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Erkundungen zum Kirchenlied

Festschrift für Ansgar Franz

0429
2024
978-3-3811-1432-0
978-3-3811-1431-3
A. Francke Verlag 
Martin Lüstraetenhttps://orcid.org/0000-0003-2279-9338
Christiane Schäfer
Alexander Zerfaßhttps://orcid.org/0000-0002-4659-7653
10.24053/9783381114320

Dieser Band vereint 26 facettenreiche Beiträge zum Kirchenlied, die mit ihren je eigenen Stoßrichtungen und Fragestellungen exemplarisch für die Vielfalt der methodischen Ansätze bei der Erforschung von Gesangbüchern und Kirchenliedern stehen. So werden unter anderem die historischen Kontexte bestimmter Lieder oder Gesangbücher beleuchtet, einzelne Motive und ihre Rezeption näher erforscht, Melodien in ihrer Wirkung und Entstehung reflektiert, aber auch über die Herausforderungen bei der Erstellung von Gesangbüchern berichtet. Die Beitragenden, Forscherinnen und Forscher aus Mainz sowie aus den europäischen Fachnetzwerken der Liturgiewissenschaft und der Hymnologie, ehren damit den Mainzer Liturgiewissenschaftler und Hymnologen Ansgar Franz zum 65. Geburtstag, der seit vielen Jahren das Mainzer Gesangbucharchiv leitet und zahlreiche Publikationen zu Kirchenlied und Gesangbuch verfasst hat.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-381-11431-3 Dieser Band vereint 26 facettenreiche Beiträge zum Kirchenlied, die mit ihren je eigenen Stoßrichtungen und Fragestellungen exemplarisch für die Vielfalt der methodischen Ansätze bei der Erforschung von Gesangbüchern und Kirchenliedern stehen. So werden unter anderem die historischen Kontexte bestimmter Lieder oder Gesangbücher beleuchtet, einzelne Motive und ihre Rezeption näher erforscht, Melodien in ihrer Wirkung und Entstehung reflektiert, aber auch über die Herausforderungen bei der Erstellung von Gesangbüchern berichtet. Die Beitragenden, Forscherinnen und Forscher aus Mainz sowie aus den europäischen Fachnetzwerken der Liturgiewissenschaft und der Hymnologie, ehren damit den Mainzer Liturgiewissenschaftler und Hymnologen Ansgar Franz zum 65. Geburtstag, der seit vielen Jahren das Mainzer Gesangbucharchiv leitet und zahlreiche Publikationen zu Kirchenlied und Gesangbuch verfasst hat. Erkundungen zum Kirchenlied Lüstraeten, Schäfer Zerfaß (Hrsg.) PIETAS LITURGICA 17 MARTIN LÜSTRAETEN, CHRISTIANE SCHÄFER, ALEXANDER ZERFASS (Hrsg.) Erkundungen zum Kirchenlied Festschrift für Ansgar Franz <?page no="1"?> Erkundungen zum Kirchenlied <?page no="2"?> PIETAS LITURGICA 17 Interdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft begründet von Hansjakob Becker herausgegeben von Ansgar Franz und Alexander Zerfaß Die Reihe »Pietas Liturgica« erscheint in Zusammenarbeit mit »KULTUR - LITURGIE - SPIRITUALITÄT e. V.« Interdisziplinäre Vereinigung zur wissenschaftlichen Erforschung und Erschließung des christlichen Gottesdienstes <?page no="3"?> Martin Lüstraeten / Christiane Schäfer / Alexander Zerfaß (Hrsg.) Erkundungen zum Kirchenlied Festschrift für Ansgar Franz <?page no="4"?> Gedruckt mit Unterstützung des Bistums Mainz, des Bistums Trier und der interdisziplinären Vereinigung Kultur - Liturgie - Spiritualität e.V. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381114320 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1862-2690 ISBN 978-3-381-11431-3 (Print) ISBN 978-3-381-11432-0 (ePDF) ISBN 978-3-381-11433-7 (ePub) Umschlagabbildung: © Christiane Schäfer, Fotos (von oben links nach unten rechts): Christiane Schäfer (1, 3, 4, 6), Andrea Klug (2), Thomas Hartmann (5) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Foto: Christiane Schäfer <?page no="7"?> 11 15 35 77 99 121 129 149 159 173 195 213 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Ackermann Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch. Zu Entstehung, Kontext und Nachwirken von „Catholische Kirchen Gesäng“ (*Köln 1607) mit besonderer Berücksichtigung seines Druckers, Paulus von der Elst . . . . . . . Annette Albert-Zerlik „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“. Zur Kindesmetaphorik in Gerhard Tersteegens Lieddichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Bärsch Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“. Erkundungen zu einem Forschungsfeld der Liturgie- und Sozialgeschichte der Barockzeit . . . . . . . . Andreas Bieringer Apfelbaum und Weinstock. Warum Lyrik für die Liturgiewissenschaft unverzichtbar ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Buchinger Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“. Eine Ernüchterung . . Kristian Fechtner Hoffnung grünt. Naturerfahrungen und österliche Religiosität . . . . . . . . . . Elisabeth Fillmann Bärenstark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischer Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae. Hohe Theologie und tiefe Emotionen Beat Föllmi Straßburger Psalmlieder (1524-1539). Hermeneutische, musikalische und liturgische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siri Fuhrmann Stella Maris. Maria und Meer im Gespräch von Bild und Lied . . . . . . . . . . . <?page no="8"?> 225 247 263 293 305 321 333 351 381 397 407 421 Thomas Hieke König ist der Herr. Psalm 99 und seine Rezeption im Kirchenlied . . . . . . . . Birgit Jeggle-Merz „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis). Singen im Gottesdienst als Einübung in die Begegnung mit Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Klöckener Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen. Die Litaneien im „Gotteslob“ (2013) zwischen Lobpreis, Anrufung und Bitte . . . . . . . . . . . Kees Kok „Stücke deines alten Namens“. Über die biblische Art und den liturgischen Ort des Kirchenliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benedikt Kranemann Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt. Musik und Gesang in Trauerfeiern nach Großkatastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Kreuels Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder . . . . . . . . . . . . . Clemens Leonhard Unser Leben sei ein Fest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Lüstraeten Das Erbe Berengars im Kirchenlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Mailänder Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 . . . . . . . Andreas Marti Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Pietschmann Maria zart und Ave Maria. Marienfrömmigkeit und Ablass in der Messvertonung der Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Karl Praßl Einheit in versöhnter Verschiedenheit. UNISONO, das Gesangbuch der IAH 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 435 453 467 487 501 506 512 515 520 Christiane Schäfer Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz. Interdisziplinär, quellenbasiert und datenbankgestützt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sytze de Vries Suitable For Use In Procession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Weyer-Menkhoff Gott im Krieg. Wie der Psalm die Kirche singen lässt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Zerfaß Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? Zu einem unbekannten Weihnachtslied von Jochen Klepper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register Bibelstellen Altes Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibelstellen Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="11"?> Vorwort Mit dem vorliegenden Buch ehren wir Ansgar Franz anlässlich seines 65. Geburtstags am 26. Februar 2024. Der Titel „Erkundungen zum Kirchenlied“ soll einladen, das Themenfeld des Kirchenlieds, das noch lange nicht vollständig erschlossen ist, mit vorsichtigen Schritten, mutigen Tiefenbohrungen oder umfangreichen Skizzen zu ergründen und in seiner Vielgestaltigkeit zu präsen‐ tieren. Viele sind dieser Einladung gefolgt. Die meisten von ihnen unternahmen einst ihre ersten Gehversuche in diesem an vielen Stellen noch unwegsamen Feld mit Zuspruch und Anleitung des Jubilars. Ansgar Franz ist während seiner akademischen Ausbildung in Mainz durch den dortigen Forschungsschwerpunkt Hymnologie geprägt worden und hat ihn nach seiner eigenen Berufung auf die Mainzer Professur seit 2005 selbst ent‐ scheidend weiter profiliert. Seit den 1980er-Jahren hatten sein Vorgänger Hans‐ jakob Becker und der Germanist Hermann Kurzke die Kirchenlied- und Gesang‐ buchforschung in Mainz etabliert. Im Jahr 1992 erhielt diese durch die Gründung des Gesangbucharchivs, dessen Bestand seither auf rund 8.000 Gesangbücher angewachsen ist, und des Interdisziplinären Arbeitskreises (IAK) „Gesangbuch‐ forschung“ eine institutionelle Basis. Als Leuchtturmprojekte waren dort etwa das DFG-Graduiertenkolleg „Geistliches Lied und Kirchenlied interdisziplinär“ (1995-2006) und das große DFG-Projekt „Gesangbuchbibliographie“ (1999- 2008) verankert. Ansgar Franz, in Mainz 1991 promoviert und 1998 habilitiert, wirkte an verschiedenen hymnologischen Publikationen verantwortlich mit, etwa als Mitautor von „Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder“, zuerst 2001 im Beck-Verlag erschienen, und als Herausgeber von „Kirchenlied im Kirchenjahr. Fünfzig neue und alte Lieder zu den christlichen Festen“, das 2002 als achter Band der Mainzer Hymnologischen Studien veröffentlicht wurde. Nach fünf Jahren als Professor für Liturgiewissenschaft in Bochum (2000-2005) kehrte er nach Mainz zurück und initiierte seitdem zahlreiche Projekte rund um das Gesangbucharchiv und die 2017 als Nachfolgeinstitution des vormaligen IAK gegründete „Forschungsstelle Kirchenlied und Gesangbuch“. Unter ihnen ragen verschiedene Begleitmaßnahmen zur 2013 erschienenen Neuausgabe des „Gotteslob“ heraus, angefangen mit der Erstellung von fassungsgeschichtlichen Lieddossiers in der Vorbereitungsphase des Gesangbuchs, die Ansgar Franz auch als Berater der zuständigen Unterkommission der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz begleitete, bis hin zu umfangreichen Lied‐ <?page no="12"?> kommentaren zum Stammteil und zum Mainzer Eigenteil, die 2017 bzw. 2022 publiziert wurden. Auch in der Ökumene wird seine Expertise geschätzt: So ist er seit 2003 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut, war von 2003 bis 2020 Mitherausgeber der „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch“ und leitet seit 2017 gemeinsam mit Christian Lehnert die Ökume‐ nischen Kirchenliedseminare an der Evangelischen Akademie Loccum. Nicht zuletzt im Bereich der Digital Humanities entfaltet die Mainzer Forschungsstelle unter seiner Leitung zahlreiche Aktivitäten, zu denen der Aufbau einer Hym‐ nologischen Datenbank in Kooperation mit der Universität Straßburg auf der Basis des bereits bestehenden Liedkatalogs gehört. Seine Forschungen betreibt Ansgar Franz mit einer großen Sensibilität für die Verschränkung von Liturgie und Frömmigkeit und für spiritualitätsgeschichtliche Prozesse, wie sie sich auch im Kirchenlied spiegeln. Seit einigen Jahren erschließt er dafür zunehmend auch andere Quellen wie Andachtsbücher und Kommunionerinnerungsbilder, für die er mit dem Aufbau eines separaten Archivs begonnen hat. Die Beiträge der vorliegenden Festschrift sind Erkundungen des Kirchenlieds mit je eigenen Stoßrichtungen, Fragestellungen und Themensetzungen. Die Beiträge zur Gesangbuchforschung, die Werkstattberichte, die Lied- und Mo‐ tivanalysen, die Studien zur Schriftrezeption im Kirchenlied, zu seiner Perfor‐ manz, seiner Theologie und seiner Geschichte zeigen die vielfältige Methodik der Hymnologie und bilden damit auch die verschiedenen hymnologischen Interessengebiete von Ansgar Franz ab. Die vorliegende Festschrift hat von verschiedener Seite Unterstützung er‐ fahren, für die wir sehr dankbar sind. Dr. Andrea Klug (Mainz) hat mit großer Umsicht und Kompetenz zur Endredaktion des Manuskripts beigetragen. Dafür gebührt ihr besonderer Dank. Ebenfalls hat Rosalie Trattner (Salzburg) an der redaktionellen Bearbeitung mitgewirkt. Für die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag danken wir Stefan Selbmann. Für die großzügige finanzielle Förderung der Drucklegung sind wir dem Bistum Mainz, dem Bistum Trier und der Vereinigung Kultur - Liturgie - Spiritualität e.V. sehr dankbar. Nicht zuletzt aber danken wir allen Autorinnen und Autoren, die durch ihre Beiträge zu dieser Festschrift ihre Verbundenheit mit Ansgar Franz zum Ausdruck bringen. Für den Geehrten selbst wünschen wir mit Worten aus Paul Gerhardts Lied zu Psalm 121 Ich erhebe, Herr, zu dir: 12 Vorwort <?page no="13"?> Alles, was du bist und hast, Ist umringt mit Seiner Hut, Deiner Sorgen schwere Last Nimmt Er weg, macht alles gut; Leib und Seel hält Er verdeckt, Wenn dich Sturm und Wetter schreckt. Siehe, wie Sein Auge wacht, Wenn du liegest in der Ruh, Wenn du schläfest, kommt mit Macht Auf dein Bett geflogen zu Seiner Engel güldne Schar, Dass sie deiner nehmen wahr. Nun, Er fahre immer fort, Der getreue fromme Hirt, Bleibe stets dein Schild und Hort, Wenn dein Herz geängstet wird; Wenn die Not wird viel und groß, Schließt Er dich in seinen Schoß. Wenn du sitzest, wenn du stehst, Wenn du redest, wenn du hörst, Wenn du aus dem Hause gehst Und zurücke wieder kehrst, Wenn du trittst aus oder ein, Woll Er dein Gefährte sein. Martin Lüstraeten, Christiane Schäfer & Alexander Zerfaß am Gedenktag der Heiligen Caecilia 2023 Vorwort 13 <?page no="15"?> Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz Monographien Tageslauf und Heilsgeschichte. Untersuchungen zum literarischen Text und liturgischen Kontext der Tagzeitenhymnen des Ambrosius von Mailand (Pietas Liturgica. Studia 9), St. Ottilien 1994, XXII, 541 SS. (Hg.) Streit am Tisch des Wortes? Zur Deutung und Bedeutung des Alten Testaments und seiner Verwendung in der Liturgie (Pietas Liturgica 8), St. Ottilien 1997, 932 SS. Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z - Jürgen H E N K Y S - Hermann K U R Z K E - Christa R E I C H - Alex S T O C K (Hgg.), Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 568 SS; 2., durchgesehene Aufl. 2003; 3. Aufl. 2009. Wortgottesdienst der Messe und Altes Testament. Katholische und ökumenische Lekti‐ onarreform nach dem II. Vatikanum im Spiegel von Ordo Lectionum Missae, Revised Common Lectionary und Four Year Lectionary: Positionen, Probleme, Perspektiven (Pietas Liturgica. Studia 14), Tübingen - Basel 2002, XII, 393 SS. (Hg.) Kirchenlied im Kirchenjahr. Fünfzig neue und alte Lieder zu den christlichen Festen (Mainzer Hymnologische Studien 8), Tübingen - Basel 2002, X, 679 SS. Ansgar F R A N Z - Andreas P O S C H M A N N - Hans-Gerd W I R T Z (Hgg.), Liturgie und Bestat‐ tungskultur, Trier 2006, 208 SS. Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z - Alexander Z E R F Aẞ , Bruno von Köln und die Liturgie der Kartause. Rekonstruktion des Antiphonale Sancti Brunonis und Reproduktion der ältesten kartusiensischen Offiziumshandschriften (Analecta Cartusiana 292), Salzburg 2015, VIII, 407 SS. Alexander Z E R F Aẞ - Ansgar F R A N Z (Hgg.), Wort des lebendigen Gottes. Liturgie und Bibel (Pietas Liturgica 16), Tübingen - Basel 2016, XII, 507 SS. Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 1314 SS. Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022, 1000 SS. <?page no="16"?> Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden 1992 Die Tagzeitenliturgie der Mailänder Kirche im 4. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte des Kathedraloffiziums im Westen, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 34 (1992), 23-83. 1994 Ambrosius der Dichter. Zu dem von Jacques Fontaine herausgegebenen Kommentarwerk über die Hymnen des Ambrosius von Mailand, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 35/ 36 (1993/ 94), 140-149. 1995 Alttestamentliche Lesungen in Perikopenordnungen vor und nach dem II. Vaticanum, in: Klemens R I C H T E R - Benedikt K R A N E M A N N (Hgg.), Christologie der Liturgie. Der Gottesdienst der Kirche - Christusbekenntnis und Sinaibund (Quaestiones disputatae 159), Freiburg i.Br. 1995, 114-130. Der Psalm im Wortgottesdienst. Einladung zur Besichtigung eines ungeräumten Prob‐ lemfeldes, in: Bibel und Liturgie 68 (1995), 198-203. Wiederveröffentlicht in: Georg S T E I N S (Hg.), Leseordnung. Altes und Neues Testament in der Liturgie (Gottes Volk. Bibel und Liturgie im Leben der Gemeinde, Lesejahr B, S/ 97), Stuttgart 1997, 138-146. 1996 Der Revisionsvorschlag der Lutherischen Liturgischen Konferenz 1995 zur „Ordnung der Lesungen und Predigttexte“. Anmerkungen aus der Sicht eines katholischen Liturgiewissenschaftlers, in: Für den Gottesdienst 47 (1996), 4-17. Wiederveröffentlicht in: Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen 25 (1996), 35-50. „Mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“. Ein interdisziplinäres Seminar zur Gattung „Klagelieder“, in: Gottesdienst 30 (1996), 172f. 1997 „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“. Variationen zu einem Thema aus dem Hiobbuch in Lothar Zenettis Lied „Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt“, in: Pastoraltheologische Informationen 17 (1997), 73-77. Die Rolle des Alten Testaments in Perikopenreformen des 20.-Jahrhunderts, in: D E R S . (Hg.), Streit am Tisch des Wortes? Zur Deutung und Bedeutung des Alten Testaments und seiner Verwendung in der Liturgie (Pietas Liturgica 8), St. Ottilien 1997, 619-648. „Der mystische Hahn“. Hymnengesang am Übergang von der Nacht zum Tag, in: Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen 29 (1997), 29-46. 16 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="17"?> „Angelangt an der Schwelle des Abends“. Traditionen des Abendgebetes im Spiegel geistlicher Lieder, in: Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen 29 (1997), 8-28. 1999 Das Mysterium ist immer eines. Christliche Spiritualität im Spiegel von Fest, Bild und Lied, in: Glauben leben. Zeitschrift für Frauen in Kirche und Orden 6 (1999), 181-185. 2000 Die Alte Kirche, in: Christian M ÖL L E R (Hg.), Kirchenlied und Gesangbuch. Quellenbuch zu ihrer Geschichte. Ein hymnologisches Arbeitsbuch (Mainzer Hymnologische Studien 1), Tübingen - Basel 2000, 1-28. Klage als Ernstfall des Betens. Zur Vigilfeier „Hoffnung wider alle Hoffnung. Hiobs Botschaften“ des 93. Katholikentages in Mainz 1998, in: Ulrich W I L L E R S (Hg.), Beten: Sprache des Glaubens - Seele des Gottesdienstes. Fundamentaltheologische und liturgiewissenschaftliche Aspekte (Pietas Liturgica 15), Tübingen - Basel 2000, 435- 475. „‚Lob ihn mit Abrahams Samen‘. Das ‚Alte‘ Testament und die Gesänge der Kirche“. Bericht über ein Seminar zum Kirchenlied, in: Deutsches Pfarrerblatt 7 (2000), 370-371. „… mit Abrahams Samen“. Das diesjährige Kirchenliedseminar in Kloster Kirchberg, in: Gottesdienst 34 (2000), 118. Das „Alte“ Testament in den Leseordnungen der Gegenwart. Grundoptionen und offene Fragen, in: Dialog. Christlich-jüdische Informationen - Du Siach 40 (2000), 13-20. „Altes“ Testament und Kirchengesänge. Ein Seminar zum Kirchenlied, in: Musik & Kirche 70 (2000), 271-272. 2001 Eingang (Rahmentext und Abschnitt „Lateinische Hymnen“), in: Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z - Jürgen H E N K Y S - Hermann K U R Z K E - Christa R E I C H - Alex S T O C K (Hgg.), Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 13f.17f.21-26.501f. Mitten wir im Leben sind, in: ebd., 84-93.508. Leicht veränderter Wiederabdruck in: Ilsabe A L P E R M A N N - Martin E V A N G (Hgg.), Mit Lust und Liebe Singen. Lutherlieder in Porträts, Göttingen 2018, 137-143. Wachet auf, ruft uns die Stimme, in: ebd., 154-166.512f. O Heiland reiß die Himmel auf, in: ebd., 181-192.515f. O Haupt voll Blut und Wunden, in: ebd., 275-290.523. Ihr Christen, hoch erfreuet euch, in: ebd., 372-379.528. Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt, in: ebd., 471-475. Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz 17 <?page no="18"?> Schriftgemäßheit als Anspruch an das Kirchenlied, in: Heiliger Dienst 55 (2001), 21-36. „… unique dans la tradition“. Breviarium ecclesiae beatae Mariae de Corona (Paris, Ste Geneviève 2629), in: Études grégoriennes 29 (2001), 89-94. Pompa Diaboli und militia Christi. Die Taufliturgie als ursprünglicher Ort des Glaubens‐ bekenntnisses, in: Reinhard G ÖL L N E R (Hg.), Das Glaubensbekenntnis - Last oder Hilfe? (Theologie im Kontakt 9), Münster 2001, 129-151. „Alles hat am Ende sich gelohnt“? Christliche Begräbnisliturgie zwischen kirchlicher Tradition und säkularen Riten, in: Liturgisches Jahrbuch 51 (2001), 190-211. Über‐ setzung: „Tout est bien qui finit bien“? La liturgie chrétienne des funérailles entre tradition ecclésiale et rites civils, in: La Maison-Dieu 228 (2001), 63-93. Übersetzung: „Everything is Worthwhile at the End“? Christian Funeral Liturgy amidst Ecclesial Tradition and Secular Rites, in: Studia Liturgica 32 (2002), 48-68. „O zieh uns immerdar zu dir“. Spiritualität und Erotik im Himmelfahrtslied, in: Ar‐ beitsstelle Gottesdienst. Informations- und Korrespondenzblatt der Gemeinsamen Arbeitsstelle für Gottesdienstliche Fragen der Evangelischen Kirche in Deutschland 40 (2001), 72-93. 2002 Tradition und Innovation in der Liturgie der Alten Kirche, dargestellt am Beispiel des liturgischen Gesangs, in: Martin K LÖC K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N (Hgg.), Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes (FS Angelus A. Häußling OSB), Teil I: Biblische Modelle und Liturgie‐ reformen von der Frühzeit bis zur Aufklärung (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 88/ I), Münster 2002, 97-120. „Der Tod zappelt am Angelhaken“. Die Botschaft der Auferstehung als Lied der Befreiung, in: Reinhard G ÖL L N E R (Hg.), Auferstehung und ewiges Leben. Zwischen Projektion und Glaube (Theologie im Kontakt 10), Münster 2002, 185-197. Hört das Lied der finstren Nacht, in: Ansgar F R A N Z (Hg.), Kirchenlied im Kirchenjahr. Fünfzig neue und alte Lieder zu den christlichen Festen (Mainzer Hymnologische Studien 8), Tübingen - Basel 2002, 283-291. 2003 L’Ufficiatura dell’Ordine di Grandmont. Osservazioni in margine al codice Limoges, Archives départ. de la Haute-Vienne, ms. I Sém. 78, in: Ephemerides Liturgicae 117 (2003), 97-101. Liturgische Sprache und Kirchenlied, in: Bibel und Liturgie 76 (2003), 236-244. Das „schöne Blut“. Grundprobleme der Gesangbuchredaktion, dargestellt am Beispiel zweier Lieder Friedrich Spees, in: Hermann K U R Z K E - Andrea N E U H A U S (Hgg.), 18 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="19"?> Gotteslob-Revision. Probleme, Prozesse und Perspektiven einer Gesangbuchreform (Mainzer Hymnologische Studien 9), Tübingen - Basel-2003, 15-27. 2004 Letzte Worte? Gesellschaftliche Wandlungen an der Schwelle zum 21.-Jahrhundert als Herausforderung für die christliche Begräbnisliturgie, in: Hansjakob B E C K E R - Dominik F U G G E R - Joachim P R I T Z K A T - Katja S Üẞ (Hgg.), Liturgie im Angesicht des Todes. Reformatorische und katholische Traditionen der Neuzeit. Neuzeit II: Katholische Tradition (Pietas Liturgica 14), Tübingen - Basel 2004, 1225-1246. L’Antiphonaire de Notre-Dame de la Couronne. Edition des Incipit du Responsorial selon le ms. Paris, Ste Geneviève 2629, in: Études grégoriennes 32 (2004), 91-121. Zwischen Erfurt und Edessa. Aufgaben der Liturgiewissenschaft im Spannungsfeld von Theologie und Gesellschaft, in: Reinhard G ÖL L N E R (Hg.), „Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden“. Bilanz und Perspektiven der theologischen Disziplinen (Theologie im Kontakt 12), Münster 2004, 189-209. „Urbs beata Ierusalem“. Die Stadt, die Steine und die Liturgie, in: Arbeitsstelle Gottes‐ dienst 18.3 (2004), 33-39 (Themenheft: Gott in der Stadt. Eschatologie im Kirchenlied). 2005 Das bekannte und unbekannte Kirchenlied, in: Stefan K LÖC K N E R - Iris Maria B L E C K E R - Hans-Gerd W I R T Z (Hgg.), Liturgie und Musik, Trier 2005, 127-138. Liedpredigt, in: ebd., 182-185. „Laß dich im Dunkeln noch, Herr, von uns finden“ - Gott-Suchen und Gott-Finden im alten und neuen Kirchenlied, in: Bibel und Liturgie 78 (2005), 194-203. Kirchenlied und Heilige Schrift, in: Theologie der Gegenwart 48 (2005), 275-280. „Der nach menschlicher Gewohnheit“. Ein Tafelgebet als Midrasch zu Bibel und Gottes‐ dienst, in: Konturen. Rothenfelser Burgbrief 02/ 05, 10-15. „Man frage sie nach dem Grund, weshalb sie sich dem Glauben zugewandt haben“. Taufe in der Alten Kirche am Beispiel der sog. Traditio Apostolica, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 19.3 (2005), 33-43 (Themenheft: Auf dem Weg ins Leben. 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Das Lob des dreieinen Gottes in der Liturgie, in: Zur Debatte 43.3 (2013), 13-15 (Wiederabdruck von 2011). 257 ist jetzt 380 - Der Aufbau des Gesangsteils im neuen Gotteslob, in: Kirchenmusika‐ lische Informationen, Bistum Fulda (2. Halbjahr 2013), 15-18. Wiederabdruck in: Kir‐ chenmusikalische Mitteilungen 81 (Dezember 2013), hg. vom Amt für Kirchenmusik im Bischöflichen Ordinariat Augsburg, 11-14 [Volltext: https: / / www.google.com/ url? sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjG0ebgicHwAhW3gP 0HHQvcBIwQFjAEegQIChAD&url=https%3A%2F%2Fbistum-augsburg.de%2Fconten t%2Fdownload%2F95879%2F1104689%2Ffile%2FNR%252081.pdf&usg=AOvVaw11fFw d9qrgSUjrID3wZKCh]. Wiederabdruck in: Kirchenmusikalische Mitteilungen Diözese Rottenburg-Stuttgart 136 (August 2014), 9-11 [Volltext: http: / / www.amt-fuer-kirche nmusik.de/ Inhalt/ Veroeffentlichungen/ Kirchenmusikalische_Mitteilungen/ Tabelle/ Z eile17/ KMM_136.pdf]. 2014 Altes und Neues aus dem reichen Vorrat. 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Einführung in das neue katholische Einheitsgesangbuch Gotteslob; in Japanisch], in: ebd., 19-34. 2017 403 Schönster Herr Jesu, in: Wolfgang H E R B S T - Ilsabe S E I B T (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), Heft 23, Göttingen 2017, 70-76. Andrea A C K E R M A N N - Ansgar F R A N Z , Maranatha! Ein urchristlicher Ruf und sein Echo im Kirchenlied der Gegenwart, in: Liturgie und Kultur 8.3 (2017) (Themenheft: Advent), 21-37. Andrea A C K E R M A N N - Ansgar F R A N Z , Allein Gott in der Höh sei Ehr, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 14-19. Bevor des Tages Licht vergeht, in: ebd., 76-80. Christus, du bist der helle Tag, in: ebd., 110-116. Elke L I E B I G - Ansgar F R A N Z , Der Herr wird dich mit seiner Güte segnen, in: ebd., 184-188. Der König siegt, sein Banner glänzt, in: ebd., 188-194. Elke L I E B I G - Ansgar F R A N Z , Die Nacht ist vergangen, in: ebd., 217-219. Es wird sein in den letzten Tagen, in: ebd., 315-319. 26 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="27"?> Ansgar F R A N Z - Sabine G R U B E R , Fürwahr, er trug unsre Krankheit, in: ebd., 343-345. Ansgar F R A N Z - Elke L I E B I G , Gott gab uns Atem, damit wir leben, in: ebd., 375-377. Gott sei gelobet und gebenedeiet, in: ebd., 399-404. Großer Gott, wir loben dich, in: ebd., 422-429. Hermann K U R Z K E - Ansgar F R A N Z , Heb die Augen, dein Gemüte, in: ebd., 442-444. Heiteres Licht vom herrlichen Glanze, in: ebd., 455-459. Ute N Ü R N B E R G - Ansgar F R A N Z , Herr, nimm auch uns zum Tabor mit, in: ebd., 494-496. Hört das Lied der finstern Nacht, in: ebd., 530-533. Ute N Ü R N B E R G - Ansgar F R A N Z , Ich bin getauft und Gott geweiht, in: ebd., 541-544. Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr, in: ebd., 561-565. Ihr Christen, hoch erfreuet euch, in: ebd., 571-576. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, in: ebd., 611-616. Komm herab, o Heilger Geist / Veni sancte Spiritus, in: ebd., 646-654. Komm, o Tröster, Heilger Geist, in: ebd., 657-659. Kommt her, ihr Kreaturen all, in: ebd., 667-673. Christiane S C HÄ F E R - Ansgar F R A N Z , Lasst uns erfreuen herzlich sehr, in: ebd., 684-688. Elke L I E B I G - Ansgar F R A N Z , Macht weit die Pforten in der Welt, in: ebd., 723-728. Mir nach, spricht Christus, unser Held, in: ebd., 778-784. Mitten wir im Leben sind, in: ebd., 789-795. Nun ist sie da, die rechte Zeit, in: ebd., 836-839. O du hochheilig Kreuze, in: ebd., 875-881. O Gott, dein Wille schuf die Welt, in: ebd., 885-889. O Haupt voll Blut und Wunden, in: ebd., 890-898. O Heiland, reiß die Himmel auf, in: ebd., 899-904. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , Preis dem Todesüberwinder, in: ebd., 969-973. Schönster Herr Jesu, in: ebd., 996-1000. Ansgar F R A N Z - Elke L I E B I G , Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet, in: ebd., 1012-1014. Ansgar F R A N Z - Elke L I E B I G , Stimme, die Stein zerbricht, in: ebd., 1050-1054. Ansgar F R A N Z - Ute N Ü R N B E R G , Suchen und fragen, in: ebd., 1054-1057. Victimae paschali laudes, in: ebd., 1095-1100. Vom Himmel hoch, da komm ich her, in: ebd., 1104-1109. Wachet auf, ruft uns die Stimme, in: ebd., 1125-1130. Wahrer Gott, wir glauben dir, in: ebd., 1131-1134. Zu Betlehem geboren, in: ebd., 1221-1224. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , „Es ist doch unser Tun umsonst“? Die Aufnahme der Lieder Martin Luthers „wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger und reiner Evangelischer Lehr Bekenner“ in die katholische Gesangbuchtradition, in: Kirchen‐ musikalisches Jahrbuch 101 (2017), 51-73. Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz 27 <?page no="28"?> 2018 214 Gott sei gelobet und gebenedeiet, in: Wolfgang H E R B S T - Ilsabe S E I B T (Hgg.), Lieder‐ kunde zum Evangelischen Gesangbuch (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), Heft 24, Göttingen 2018, 10-15. Leicht veränderter Wiederabdruck: Gott sei gelobet und gebenedeiet (EG 214), in: Ilsabe A L P E R M A N N - Martin E V A N G (Hgg.), Mit Lust und Liebe Singen. Lutherlieder in Porträts, Göttingen 2018, 101-106. Vom Himmel hoch, da komm ich her (EG 24), in: Ilsabe A L P E R M A N N - Martin E V A N G (Hgg.), Mit Lust und Liebe Singen. Lutherlieder in Porträts, Göttingen 2018, 45-51. Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518), in: Ilsabe A L P E R M A N N - Martin E V A N G (Hgg.), Mit Lust und Liebe Singen. Lutherlieder in Porträts, Göttingen 2018, 137-143. O du hochheilig Kreuze, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 47.2 (2018), 209-211. Räume zwischen Tag und Nacht. Das Abendgebet als Übergangsritus, in: Tobias K A S P A R I (Hg.), Raumbildungen. Erkundungen zur christlichen Religionspraxis. Festschrift für Stephan Weyer-Menkhoff (Theologie - Kultur - Hermeneutik 26), Leipzig 2018, 149-164. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , Integration oder Assimilation? Die Haltung der westdeutschen Bistümer zum Liedgut der heimatvertriebenen Katholiken nach 1945, in: Liturgie und Kultur 9.3 (2018), 53-70 (Themenheft: Heimat und Fremde im Kirchenlied) [Volltext: https: / / www.liturgische-konferenz.de/ download/ EKD%20Litu rgie%20und%20Kultur%203.2018.pdf]. 2019 „Per cogliere il fascino di Ambrogio“. Gli studi sul vescovo milanese in area tedesca negli ultimi 30 anni, in: Emanuele G H E L F I (Hg.), Progetti e prospettive di ricerca su Sant’Ambrogio a livello internazionale (Studia Ambrosiana 12), Milano 2019, 71-87. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , Te deum laudamus - Großer Gott, wir loben dich. Vom altkirchlichen Morgenhymnus über das höfische Herrscherlied bis zum nationalen Lied der deutschen Christen, in: Liturgie und Kultur 10.3 (2019), 12-22 (Themenheft: Macht und Ohnmacht. Kirchenlied und Politik) [Volltext: https: / / www. liturgische-konferenz.de/ download/ komplett_EKD%20Liturgie%20und%20Kultur%20 03.2019.pdf]. „Man sagt, das Volk sei behext durch die Zauberweisen meiner Lieder“. Die Hymnen des Ambrosius von Mailand als Kampfmittel gegen den Kaiserhof ? , in: Liturgie und Kultur 10.3 (2019), 23-33 (Themenheft: Macht und Ohnmacht. Kirchenlied und Politik) [Volltext: https: / / www.liturgische-konferenz.de/ download/ komplett_EKD%20Liturgi e%20und%20Kultur%2003.2019.pdf]. 28 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="29"?> 2020 Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , Vom Augenschmaus zum Gedankenstrich. Das Gesangbuch Johann Leisentrits (1567) und das „Gotteslob“ (2013) der Deutschen Bischofskonferenz, in: Esther P. W I P F L E R (Hg.), Das Gesangbuch und seine Bilder. Voraussetzungen, Gestaltung, Wirkung (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Realienkunde 6), Wien - Köln - Weimar 2020, 145-165. 472 Der Tag hat sich geneiget, in: Wolfgang H E R B S T - Ilsabe S E I B T (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), Heft 27, Göttingen 2020, 67-70. Die Rolle der Gläubigen im Spiegel der Messandachten privater Gebetbücher des 18. bis 20.-Jahrhunderts, in: Hélène B R I C O U T - Benedikt K R A N E M A N N - Davide P E S E N T I (Hgg.), Die Dynamik der Liturgie im Spiegel ihrer Bücher. La dynamique de la liturgie au miroir de ses livres. Festschrift für Martin Klöckener. Mélanges offerts à Martin Klöckener (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 110), Münster 2020, 313-337. 2021 Entstehung, Liturgie und Spiritualität der Kartäuser, in: Gerhard K ÖL S C H - Christoph W I N T E R E R (Hgg.), Die Kartause von Mainz. Kunst und Geschichte des ältesten Kartäu‐ serklosters in Deutschland (Veröffentlichungen der Bibliotheken der Stadt Mainz 71), Oppenheim am Rhein 2021, 14-23. Präzedenzfälle vor dem Jüngsten Gericht. Das „Dies irae“ geht in Revision, in: Heiliger Dienst 75.3 (2021), 234-244 (Themenheft: Muss das sein? ! Was wir im Gottesdienst nicht mehr hören können). Zwischen Wandschmuck und Katechese. Kommunionerinnerungsbilder als Medien der Eucharistiefrömmigkeit im 19. und 20.-Jahrhundert, in: Archiv für Liturgiewissen‐ schaft 62/ 63 (2020/ 2021), 219-247. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , Verschlossene Türen. Die Liedwanderungen zwi‐ schen der katholischen und der evangelischen Kirche vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 60 (2021), 223-238. Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Ansgar F R A N Z - Matthias S C H N E I D E R , Die Einheit wächst im Gesang. Orgelkonzert mit Singstunde, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 60 (2021), 306-313. Hansjakob Becker: Nachruf, in: Gottesdienst 55 (2021), 184. 2022 474 Mit meinem Gott geh ich zur Ruh, in: Ilsabe A L P E R M A N N - Martin E V A N G (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch (Handbuch zum Evangelischen Gesang‐ buch 3), Heft 29, Göttingen 2022, 88-91. Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz 29 <?page no="30"?> Ansgar F R A N Z - Alexander Z E R F Aẞ , Rettendes Lamm und mystischer Hahn. Die poetische Rezeption der Bibel in der lateinischen Hymnodie: Zwei Beispiele, in: Harald B U C H ‐ I N G E R - Clemens L E O N H A R D (Hgg.), Liturgische Bibelrezeption / Liturgical Reception of the Bible. Dimensionen und Perspektiven interdisziplinärer Forschung / Dimensions and Perspectives of Interdisciplinary Research (Forschungen zur Kirchen- und Dog‐ mengeschichte 108), Göttingen 2022, 331-353. Die Tradition für die Gegenwart erschließen. Zwei Lieder von Sytze de Vries aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive, in: Taal die zingt. Teksten en liederen jubileumsymposium Sytze de Vries 75 op 12 september 2021 in de Domkerk te Utrecht, Schalkwijk: Stichting De Vertaalslag 2022, 45-59 (niederländisch: De traditie ontsluiten voor het heden. Twee liederen van Sytze de Vries vanuit liturgiewetenschappelijk perspectief, in: ebd., 62-73). 712,3 Licht, freundlich leuchtend, in: Mechthild Bitsch-Molitor - Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R (Hgg.), Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022, 91-97. 712,5 Der Chaos schuf zu Menschenland, in: ebd., 98-104. Franz-Rudolf W E I N E R T - Ansgar F R A N Z , 724 Lasst uns Gott dem Herrn lobsingen, in: ebd., 125-126. Joachim S C H N E I D E R - Ansgar F R A N Z , 733 Wenn wir unsre Gaben bringen, in: ebd., 141-144. Christa R E I C H - Ansgar F R A N Z , 765 Selig du und hoch begnadet, in: ebd., 199-206. 773 Auf, Christen, singt festliche Lieder, in: ebd., 244-251. 784 Das ewge Wort, der Sünder Freund, in: ebd., 300-303. Mathias B E R G E R - Ansgar F R A N Z , 792 Sag ja zu mir, wenn alles nein sagt, a.a.O.in: ebd., 328-333. 794 Der du uns weit voraus, in: ebd., 339-344. 801 Des Königs Fahne weht empor, in: ebd., 370-376. 806 Kyrie eleison. Der Dornenkranz, in: ebd., 398-402. 818 Wahrer Gott, wir glauben dir, in: ebd., 454-457. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , 819 Preis dem Todesüberwinder, in: ebd., 458-462. 828 Dies ist die Stunde, dies der Tag, in: ebd., 498-506. 830 Dreifaltiger verborgner Gott, in: ebd., 510-514. 833 Gott, den Dreieinen, glauben wir, in: ebd., 524-527. 834 Wir glauben an den einen Gott, in dem wir sind und leben, in: ebd., 527-531. Anne-Dore H A R Z E R - Ansgar F R A N Z , 835 Es jubelt aller Engel Chor, in: ebd., 531-535. 857 Die Erde ganz erfüllt, in: ebd., 614-619. 873 Lass die Wurzel unsres Handelns Liebe sein, in: ebd., 660-667. 877 Was alle Zeiten sich erhoffen, in: ebd., 682-686. 879 Steig in das Boot, sagst Du, in: ebd., 691-696. 889 O Seligkeit, getauft zu sein, in: ebd., 728-733. 30 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="31"?> 891 Du öffnest, Herr, die Türen, in: ebd., 737-742. Ansgar F R A N Z - Mechthild B I T S C H -M O L I T O R , 892 Nimm mich an so wie ich bin, in: ebd., 742-746. 895 Kommt und lobet ohne End, in: ebd., 753-759. 897 Kommt her, ihr Kreaturen all, in: ebd., 765-772. 898 Deinem Heiland, deinem Lehrer, in: ebd., 772-782. Ansgar F R A N Z - Christiane S C HÄ F E R , 901 Die Herrlichkeit der Erden, in: ebd., 792-799. 909 Herr, gedenke doch der Namen, in: ebd., 827-835. 910 Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt, in: ebd., 836-840. Anne-Dore H A R Z E R - Ansgar F R A N Z , Es jubelt aller Engel Chor, in: Alexander Z E R F Aẞ - Andrea A C K E R M A N N - Franz Karl P R AẞL - Ewald V O L G G E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Österreich und Bozen-Brixen. Liturgie - Kultur - Geschichte, Wien 2022, 189-193. Ansgar F R A N Z - Andreas M A R T I , Heil’ges Kreuz, sei hoch verehret, in: ebd., 304-310. Ansgar F R A N Z - Franz Karl P R AẞL , Heiteres Licht vom herrlichen Glanze, in: ebd., 331-336. Mathias B E R G E R - Ansgar F R A N Z , Sag Ja zu mir, wenn alles Nein sagt, in: ebd., 709-713. Andrea A C K E R M A N N - Ansgar F R A N Z - Andreas M A R T I , Schönster Herr Jesu, in: ebd., 740-747. Joachim S C H N E I D E R - Ansgar F R A N Z , Wenn wir unsre Gaben bringen, in: ebd., 869-872. Thomas H. S C H M I T Z - Ansgar F R A N Z - Lorenz V A N R I C K E L E N , Eine lebendige Kirche ist eine Kirche im Werden, in: das münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 75 (2022), 225-232 (Sonderheft: Sakralität 2.0: Vision(en) von Kirche). 2023 „Da ist aber zu merken, daß man sich nicht so genau nach dem Priester richten müßte“. Liturgie und Frömmigkeit im Spiegel von Andachtsbüchern und Kommuni‐ onerinnerungsbildern, in: Harald B U C H I N G E R - Benedikt K R A N E M A N N - Alexander Z E R F Aẞ (Hgg.), Liturgie - „Werk des Volkes“? Gelebte Religiosität als Thema der Liturgiewissenschaft (Quaestiones disputatae 324), Freiburg i.Br. 2023, 226-258. Les manuels catholiques de chants communs pour les diocèses de langue allemande: „C’est un grand cadeau“, in: La Maison-Dieu. Revue d’études liturgiques et sacramentelles 312 (2023), 111-121 (Themenheft: Le chant, acte liturgique). „Es kommt ein Schiff gezogen wohl übers weite Meer“. Wandlungen des Kirchenbildes im Kirchenlied am Beispiel der Metapher „Schiff “, in: Stephan S T E G E R - Martin S T U F L E S S E R - Marco W E I S - Stephan W I N T E R (Hgg.), Liturgie und Ekklesiologie. Reform des Gottesdienstes als Reform der Kirche, Regensburg 2023, 98-118. Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz 31 <?page no="32"?> „Es mag sein, dass alles fällt“. Krisen, Kriege und Seuchen im Spiegel von Kirchenliedern, in: Liturgisches Jahrbuch 73 (2023), 110-126. Maria und die SED. Ein Lehrversuch zu den Phänomenen Tradition, Intertextualität und Kontextualität im Kirchenlied, in: Michel S T E I N M E T Z (Hg.), De gratia perseverandi. Mélanges amicaux offerts à Martin Klöckener / Freundschaftlich dargereichte Fest‐ schrift für Martin Klöckener, Fribourg 2023, 148-151. Lexikonartikel Art. „Nicetas v. Remesiana“, in: Bibliographisches Biographisches Kirchenlexikon VI (1993), Sp. 827-829. Art. „Ambrosius. V. A. als Hymnendichter“, in: Lexikon für Theologie und Kirche I (1993), 497. Art. „Plenar,“ in: Lexikon des Mittelalters VII (1994), Sp. 19. Art. „Quatember“, in: ebd. 357. Art. „Römischer Ritus“, in: ebd. 1013f. Art. „Eusebius v. Bologna“, in: Lexikon für Theologie und Kirche III (1995), 1006f. Art. „Eusebius v. Mailand“, in: ebd., 1011. Art. „Eustorgius I.“, in: ebd., 1017. Art. „Eustorgius II.“, in: ebd., 1017f. Art. „Gaudentius v. Novara“, in: Lexikon für Theologie und Kirche IV (1995), 303. Art. „Geminianus v. Modena“, in: ebd., 441. Art. „Himmelfahrt Christi. III. Liturgisch“, in: Lexikon für Theologie und Kirche V (1996), 123f. Art. „Honoratus v. Vercelli“, in: ebd., 265. Art. „Hymnendichter. I. Lateinische H.“, in: ebd., 355-358. Art. „Johannes I. v. Neapel“, in: ebd., 939. Art. „Johannes IV. v. Neapel“, in: ebd. Art. „Laurentius I. v. Mailand“, in: Lexikon für Theologie und Kirche VI (1997), 686. Art. „Marcellina“, in: ebd., 1299f. Art. „Mone, Franz Josef “, in: Lexikon für Theologie und Kirche VII (1998), 407f. Art. „Nabor u. Felix“, in: ebd., 607f. Art. „Nazarius u. Celsus“, in: ebd., 712. Art. „Sabinus v. Piacenza“, in: Lexikon für Theologie und Kirche VIII (1999), 1411. Art. „Sabinus v. Spoleto“, in: ebd., 1411f. Art. „Satyrus“, in: Lexikon für Theologie und Kirche IX (2000), 86f. Art. „Severus v. Neapel“, in: ebd., 504f. Art. „Simplicianus“, in: ebd., 608f. Art. „Soteris“, in: ebd., 744. 32 Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz <?page no="33"?> Art.: „Wortgottesdienst“, in: Lexikon des Mittelalters IX (1998), Sp. 338. Art. „Blasiussegen“, in: RGG 4 1 (1998), Sp. 1639. Art. „Dexter/ Sinister“, in: Augustinus-Lexikon, Bd.-2 (1999), 365-367. Art. „Kantor/ Kantorin III. Kath.“, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd.-2 (2002), 374. Art. „Kommentator“, in: ebd. 600. Art. Organist II. Kath., in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 3 (2004), 115f. Art. Salbung II. Kath., in: ebd. 490f. Musik II (Vokalmusik), C ( Jüdisch), in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sach‐ wörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, Bd. XXV, Stuttgart 2012, Sp. 264-269. Musik II (Vokalmusik), D (Christlich), in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, Bd. XXV, Stuttgart 2012, Sp. 269-283. Schriftenverzeichnis von Ansgar Franz 33 <?page no="35"?> 1 Vgl. Michael H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke der Kölner Offizin des Peter von Bra‐ chel, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 50 (1966), 93-117, hier: 95; D E R S ., Mitteilungen zur Kölner Offizin „Peter von Brachel“, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 41 (1967), 211-216, hier: 215; D E R S ., Bibliographisches zum Brachelschen Gesangbuch, in: Musica Sacra 87 (1967), 43-45, hier: 43. 2 Ein maschinenschriftlicher Eintrag auf dem hinteren Innendeckel weist auf eine Restaurierung in diesem Jahr hin. - Der Verfasserin dieses Beitrags wurde als studen‐ tische Hilfskraft im Projekt Gesangbuchbibliographie in den 2000er Jahren bei einer Recherchereise in die Kölner Dombibliothek eine unvergessliche Begegnung mit diesem kleinen Gesangbüchlein (Sign.: Aa 0749) zuteil. Inzwischen ist ein Digitalisat des Büchleins unter https: / / digital.dombibliothek-koeln.de/ ddbkhd/ hist_drucke/ content/ ti tleinfo/ 566855 einsehbar. An dieser Stelle sei Dr. Harald Horst, Dombibliothek Köln, für seine langjährige Unterstützung hymnologischer Forschungsunternehmungen herzlich gedankt. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch Zu Entstehung, Kontext und Nachwirken von „Catholische Kirchen Gesäng“ (*Köln 1607) mit besonderer Berücksichtigung seines Druckers, Paulus von der Elst Andrea Ackermann 1 Verloren und wiederentdeckt Die Kölner Barockgesangbücher, insbesondere die bei Brachel erschienenen, sind relativ gut erforscht (was nicht zuletzt daran liegt, dass sie als Quellen für Lieder Friedrich Spees gelten). Das trifft jedoch nicht auf das erste, die Reihe der Brachel’schen Gesangbücher eröffnende (aber noch nicht bei Brachel gedruckte) Büchlein von 1607 zu. Dieses galt in den 1960er Jahren, als Michael Härting seine grundlegenden Untersuchungen zum Thema veröffentlichte, als verschollen, 1 sodass er auf Beschreibungen in einschlägiger Literatur angewiesen war. Spä‐ testens 1973 war das Büchlein wieder aufgetaucht, 2 doch wurde es nun nicht mehr eingehend untersucht. Härtings Forschungen waren im Prinzip vor dem <?page no="36"?> 3 Zwei Veröffentlichungen Härtings zum Thema nach 1973 waren bereits in den 1960er Jahren entstanden: Das Manuskript zu Härtings Spee-Edition wurde laut Vorwort bereits 1969 abgeschlossen (vgl. Friedrich S P E E , Die anonymen geistlichen Lieder vor 1623, hg. v. Michael H Ä R T I N G unter Mitarbeit von Theo G.M. V A N O O R S C H O T [Philologische Studien und Quellen 63], Berlin 1979, 5); und bei Michael H Ä R T I N G , Zur Quellenlage der anonymen Lieder von Friedrich Spee, hg. v. Theo G.M. V A N O O R S C H O T , in: Anton A R E N S (Hg.), Friedrich Spee im Licht der Wissenschaften. Beiträge und Untersuchungen (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 49), Mainz 1984, 63-71, handelt es sich um einen bereits 1967 gehaltenen Vortrag (vgl. Theo G.M. V A N O O R S C H O T , Verzeichnis der anonymen Lieder von Friedrich Spee. Ergänzung zu dem Beitrag von Michael Härting, in: ebd., 73-81, hier: 73). - Ein nach 1973 erschienener Handbuch-Beitrag (Michael H Ä R T I N G , Das deutsche Kirchenlied der Barockzeit, in: Karl-Gustav F E L L E R E R [Hg.], Geschichte der Katholischen Kirchenmusik 2: Vom Tridentinum bis zur Gegenwart, Kassel 1976, 108-118) war nicht der richtige Ort, um *Köln 1607 eingehend zu behandeln; immerhin spricht Härting hier von „späteren, ständig erweiterten Auflagen 1608, 1612/ 13 […]“ (ebd., 108) und bezeichnet *Köln 1608 nicht mehr als „inhaltlich unveränderte Neuausgabe“ von *Köln 1607 wie bspw. in H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke (wie Anm. 1), 95. 4 In Friedrich S P E E , „Ausserlesene, catholische geistliche Kirchengesäng“. Ein Arbeits‐ buch, hg. v. Theo G.M. V A N O O R S C H O T (Sämtliche Schriften 4), Tübingen 2005, 657, fehlt in der Titelwiedergabe das Ratsprivileg (bei anderen Gesangbüchern sind die Privilegien mit in die bibliographischen Angaben aufgenommen). Außerdem beschreibt V A N O O R S C H O T , ebd., *Köln 1608 unzutreffend als „unveränderten Neudruck der van-der-Elst-Ausgabe 1607“. - Darüber hinaus gibt er, ebd., 16, bei dem Lied Eh Gottes Sohn geboren werd mit Verweis auf B I 73 *Köln 1607 als Melodie-Quelle an; das Büchlein enthält aber weder Noten noch Tonangaben. Wilhelm B Ä U M K E R , Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen von den frühesten Zeiten bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts 1, Freiburg i.Br. 1886, 332f. erwähnt bei Nr. 73 *Köln 1607 jedoch nicht, sondern erst *Köln 1619. 5 Irmgard S C H E I T L E R , Lied und Katechese im 16. und 17. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 49 (2010), 163-185, hier: 167, Anm. 23, bezeichnet *Köln 1608 als „Erstausgabe“ der Reihe und zählt nur die bei Brachel gedruckten Gesangbücher auf. 6 Wolfgang B E H R I N G E R , Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolu‐ tion in der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 189), Göttingen 2003, 317, wählt diese Bezeichnung sogar, obwohl er nichts über von der Elsts Drucke zu wissen scheint, sondern sich auf andere Aspekte seines Wirkens konzentriert. Auffinden abgeschlossen. 3 Theo van Oorschot hatte es für seine Spee-Ausgabe offenbar nicht im Original benutzt. 4 Und in Irmgard Scheitlers Beitrag über „Lied und katholische Katechese im 16. und 17. Jahrhundert“ findet *Köln 1607 gar keine Berücksichtigung - wohl, weil es nicht bei Brachel erschienen ist. 5 Diese Forschungslücke soll nun geschlossen werden. Eine umfassende Unter‐ suchung von *Köln 1607 würde den Rahmen eines Festschrift-Beitrags sprengen. Daher konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf den Drucker - eine „interessante Figur“ 6 der frühneuzeitlichen Medienbranche -, auf die Entste‐ 36 Andrea Ackermann <?page no="37"?> 7 Vgl. https: / / altes-koeln.de/ wiki/ Eigelstein (Zugriff am 24.06.2023). 8 Vgl. Wilfried E N D E R L E , Die Buchdrucker der Reichsstadt Köln und die katholische Publizistik zwischen 1555 und 1648, in: Georg M Ö L I C H - Gerd S C H E R H O F F (Hgg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 1999, 167-182, hier: 173. 9 Vgl. https: / / altes-koeln.de/ wiki/ Augustinerinnenkloster_St._Maria_Magdalena_zur_B u%C3%9Fe (Zugriff am 24.06.2023). - Möglicherweise spielt der Kurzname auch noch auf den Namen eines Vorbesitzers aus dem 13. Jh., nämlich Rainer Busse (vielleicht sogar der Erbauer), an. 10 F.E. V O N M E H R I N G - Ludwig R E I S C H E R T , Die Bischöfe und Erzbischöfe von Köln nach ihrer Reihenfolge, nebst Geschichte des Ursprunges, des Fortganges und des Verfalles der Kirchen und Klöster der Stadt Köln, mit besonderer Bezugnahme auf die Kirchen und Klöster der Erzbischöfe 2, Köln 1844, 256f., hier: 256. 11 Vgl. https: / / altes-koeln.de/ wiki/ Augustinerinnenkloster_St._Maria_Magdalena_zur_B u%C3%9Fe (Zugriff am 24.06.2023). hung des Büchleins und auf seinen Verwendungskontext. Dieser legt es nahe, die hier notwendig zu treffende Auswahl von Einzelliedern, die hinsichtlich ihres Textes und ihrer Rezeption exemplarisch näher untersucht werden, auf die rahmenden Gesänge (also die ersten drei Lieder sowie das zum „Beschluß“) zu konzentrieren. 2 Der Drucker des Büchleins: Paulus von der Elst - ein Medienmensch des frühen 17.-Jahrhunderts Auf dem Titelblatt von *Köln 1607 ist vermerkt: Gedrůckt zu Cölln/ Bey Paulus von der Elst/ auff dem Eygelstein/ gegen vber der Bussen/ im Jahr M.-DCVII. Die Druckerei lag eher am Rande der frühneuzeitlichen Stadt, im damals noch von Wiesen und Äckern durchzogenen Eigelstein-Viertel. In der Eigel‐ stein-Straße waren vor allem Brauhäuser ansässig, 7 während sich die großen Kölner Buchdruckereien im dicht besiedelten Zentrum um den Dom scharten. 8 Von der Elsts Haus befand sich gegenüber dem Augustinerinnenkloster St. Maria Magdalena zur Buße (kurz auch einfach „Buße“ genannt). 9 Dieses Kloster nahm vor allem „junge Mädchen […], welche früher unkeusch und ausschweifend gelebt“ hatten, auf, 10 aber etwa auch arbeitsunfähig gewordene Mägde. 11 Michael Härting identifiziert in einer - von der späteren Forschung nicht rezipierten - Fußnote den weitgehend unbekannten Kölner Drucker Paulus von der Elst mit dem - vor allem in der Germanistik und in der Latinistik - Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 37 <?page no="38"?> 12 Vgl. H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke (wie Anm. 1), 104, Anm. 33. - Die Namens‐ schreibung variiert in den Quellen. Für diesen Beitrag wird, wo nicht wörtliche Zitate vorliegen, einheitlich die in *Köln 1607 belegte Schreibung Paulus von der Elst verwendet. 13 Im nahe Deventer gelegenen Zutphen ist Anfang des 17. Jh. z.B. der Drucker Andries Janssen/ Janson van Aelst belegt (vgl. VD 17, PPN 007466641). - Edward G. F I C H T N E R , Art. Aelst, Paul von der, in: Hans-Gert R O L O F F (Hg.), Die Deutsche Literatur. Biogra‐ phisches und Bibliographisches Lexikon. Reihe II: Die Deutsche Literatur zwischen 1450 und 1620. Abteilung A: Autorenlexikon 1, Bern 1991, 284-290, hier: 284, vermutet dagegen Flandern als Herkunftsregion. 14 Vgl. etwa Pfaff in der Einleitung zu: Das deutsche Volksbuch von den Heymonskindern. Nach dem Niederländischen bearbeitet von Paul V O N D E R A E L S T . Mit einer Einleitung über Geschichte und Verbreitung der Reinoltsage, hg. v. Friedrich P F A F F , Freiburg i.Br. 1887, XLVIIIf. 15 Die Vorrede seines zweiten Werkes datiert auf Ende November 1602, was nahelegt, dass diese Publikation erst nach der Ovid-Übersetzung erschienen ist. bekannteren Paul von/ van der Aelst. 12 Während Buchwissenschaft und Hym‐ nologie ihn nur als Kölner Gesangbuchdrucker kennen, blieb gerade dieser Aspekt von Germanistik, Latinistik und Kommunikations-/ Medienwissenschaft bislang unberücksichtigt. Von der Elst war in verschiedenen Bereichen der - heute würde man sagen - Medienbranche der Frühen Neuzeit tätig. 2.1 Die „Kunst der Lieb“ Möglicherweise stammte von der Elst aus den Niederlanden, wo der Name van (der) Aelst häufig anzutreffen ist. 13 Außerdem begegnen in von ihm verfassten bzw. übersetzten Werken niederländische Wortformen. 14 Vermutlich unterhielt er selbst eine - wohl kleine - Druckerei in Deventer, da seine an diesem Ort erschienenen Publikationen keine Hinweise auf andere Drucker enthalten. Allerdings wird auch von der Elst nicht ausdrücklich als deren Drucker genannt; auf den Titelblättern heißt es meist nur: „Gedruckt zu Deventer“ (o.ä.); Druck‐ vermerke am Ende der Bücher fehlen. Zudem erschienen noch in Deventer gedruckte Auflagen, als von der Elst sich schon längst in Köln niedergelassen hatte. Seine frühesten bekannten Werke kamen 1602 heraus, als sehr wahrschein‐ lich erstes eine (hoch)deutsche Übersetzung von Ovids Ars amatoria. 15 Dafür hatte „P. V D. Ae.“ eine gereimte „Vorrede an die Junge Gesellen“ verfasst - und in Ovids Werk eine Reihe (selbst gedichteter) Lieder und Verse eingestreut. Von der Elst dürfte nicht nur der Herausgeber, sondern auch der Übersetzer gewesen 38 Andrea Ackermann <?page no="39"?> 16 Vgl. dazu die kürzlich erschiene Dissertation von Jan M. K Ö N I G , Ovids Ars amatoria und Remedia amoris im Licht ihrer Rezeption. Rollenspiele erotodidaktischer Kommunika‐ tion, Darmstadt 2023, 188-193, sowie die dort angegebene Literatur. Laut K Ö N I G , ebd. 188, Anm. 956, sei „nicht zu klären“, ob die Übertragung von von der Elst stammt; da er aber weitere Übertragungen aus dem Niederländischen angefertigt hat (s. u. 2.2 und 2.4), die König jedoch nicht erwähnt, spricht viel dafür, dass von der Elst auch in diesem Fall die Übersetzung besorgte. - Dass eine niederländische Übersetzung zugrunde lag, würde zu den Angaben auf dem Titelblatt zur 2. Aufl. passen, wonach die Ars amatoria zuerst in „NiderTeutsch“, nach damaligem Sprachgebrauch gleichbedeutend mit Niederländisch, übersetzt worden sei (s. Anm. 18). 17 August Heinrich H O F F M A N N V O N F A L L E R S L E B E N , Liederbuch Pauls von der Aelst vom Jahre 1602 in der Großherz. Bibliothek zu Weimar, in: Weimarisches Jahrbuch für Deut‐ sche Sprache, Literatur und Kunst 2 (1855), 320-356, hier: 354. Eine etwas abweichende Abschrift bietet Eduard S T E M P L I N G E R , Ovids Ars amatoria in der ersten deutschen Übersetzung, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 7/ 13 (1904), 392-397, hier: 392. - Umfang von Berlin, Yz 1381: 188 S. + 1 Bl., das der gleiche Holzschnitt ziert wie das Titelblatt. 18 DE ARTE AMANDI: Das ist/ Die Kunst der Liebden. In Latein beschrieben durch den Sinreichen vnd Hochverstendigen Poeten Ouidium Nasonem, der vorzeiten vnder dem Keyser Augusto zu Rom gelebt und floriert hat. Erstlich in NiderTeutsch/ nu aber in HochTeutsch vbergesetzt/ vnd mit vielen newen Brieuen [= Briefen]/ artlichen Gerhätselen [= Rätseln]/ lüstigen Rheymen/ vnd schönen Refereinen verzieret und gebessert. Alles zu einer ehrlichen ergetzung den Jungen Gesellen zu gefallen zum andern mahl in Truck verfertigt. <Bild mit Umschrift: „Wenn dich Gott so lang ließ leben/ Biß Müllnstein trügen Wein Reben/ Vnd biß dieselbig trügen Wein/ Sollst du allzeit mein Liebste sein.“> Gedrückt zu Deventer/ im jahr M. DC. II. (Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, A: 544 Quod. [2]; Umfang: 189 [i.e., 191] S. - Das Buch enthält keinen Druckervermerk). sein; allerdings war seine Grundlage wohl nicht der lateinische Text, sondern eine niederländische Übersetzung. 16 Möglicherweise handelte es sich bei dem seit dem Zweiten Weltkrieg verlorenen Exemplar der Berliner Staatsbibliothek (Sign.: Yz 1391) um die Erstausgabe. Ludwig Erk (1807-1883) hatte für Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) eine vollständige Abschrift des Titels angefertigt, die Hoffmann wie folgt wiedergibt: De Arte Amandi: Das ist, Von Kunst der Lieb. In Latein beschrieben durch Ouidium Nasonem den Sinnreichen vnd Hochverstendigen Poeten, der vor Zeiten vnter dem Keyser Augusto zu Rom florieret hat. Mit vielen lustigen Reimen vnd Liedern gezieret vnd gebessert. Alles zu einer ehrlichen Ergetzung den jungen Leuten zugefallen zum ersten mahl in Druck verfertigt. Non Dvlce Amare, (Holzschnitt) Sed Redamari. Erstlich gedruckt zu Deuenter, Im Jahr 1602. 17 Schon im gleichen Jahr erschien eine eindeutig als solche bezeichnete zweite Auflage, 18 deren Titel jedoch von der angenommenen Erstausgabe abweicht. Die Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 39 <?page no="40"?> 19 Titel nach Katalogeintrag: De Arte amandi: Das ist die Kunst der Liebden. In Latein beschrieben durch den sinreichen und hochverstendigen Poeten Ovidium Nasonem. Erstlich in Nieder: nun aber in Hoch-Teutsch übersetzt und mit vielen neuen Brieffen etc. gebessert … zum drittenmahl in Teutsch verfertigt (Berlin, Staatsbibliothek, Yz 1396. Kriegsverlust. Umfang: 182 S., am Ende fehlen jedoch 2 Bl.). 20 Auf dem Titelblatt als Erstausgabe ausgewiesen („zum Ersten mahl in Druck verfer‐ tiget“) ist das Exemplar Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Xb 5844 (Umfang: 207 S.), das jedoch deutlich später datiert: „Gedruckt zu Deventer/ Im Jahr/ 1633.“ - Außerdem gibt sich ein undatierter Druck ohne Ort (Regensburg, Staatliche Bibliothek, 999/ Germ.112) als Erstausgabe aus, der größere Ähnlichkeiten mit der Ausgabe von 1633 aufweist, aber nur unvollständig erhalten ist und auf S. 188 abbricht (damit fehlt auch ein möglicherweise existierendes Kolophon am Buchende). - Die Berliner Staats‐ bibliothek besaß bis zum Zweiten Weltkrieg unter der Signatur Yz 1403 ein Exemplar o.O., o.D., das laut Katalog mit dem ebenfalls verlorenen Exemplar des Erstdrucks Deventer 1602 (Sign.: Yz 1391) übereinstimmt; allerdings fehlt das letzte Blatt. - Falls es sich bei dem undatierten Regensburger Exemplar um die gleiche Ausgabe handelt, wäre durch diesen Nachdruck der verlorene Erstdruck möglicherweise zugänglich. - Weitere und Nachdrucke von von der Elsts Übersetzung: Deventer 1618 (Erlangen-Nürnberg, Universitätsbibliothek, H00/ PHL-VIII 679); Leipzig - Frankfurt 1629: „Erstlich gedruckt zu Leipzig“, aber zu „finden in Franckfurt am Mayn bey Jacob de Zetter“ (Berlin, Staatsbibliothek, Yz 1401, Kriegsverlust; Beschreibung bei H O F F M A N N V O N F A L L E R S L E B E N , Liederbuch [wie Anm. 17], 354); Lippstadt - Frankfurt 1644: „zum dritten mahl in Truck verfertigt“, Druckort laut Innentitel „Liebstat“, laut vorgebundenem Titelblatt mit Kupferstich in „Frackfurt bey Matthaeo Kempffer zu finden“ (München, Bayerische Staatsbibliothek, A.lat.a. 1077). Nürnberg 1676: laut Katalog „Zum 6. mal in Druck verfertiget“ (Hannover, Gottfried Wilhelm Leibnitz Bibliothek, Lh 19). dritte Auflage erschien 1610 in Deventer. 19 Wie auch immer sich die Abfolge der weiteren Drucke genau gestaltet, 20 die Tatsache, dass das Werk über mindestens 40 Jahre hinweg neu aufgelegt und auch von anderen Offizinen nachgedruckt wurde, spricht für seinen Erfolg. Von der Elst hatte also mit der deutschen Ars-amatoria-Ausgabe ein gutes Gespür als Verleger und Drucker wie auch als Übersetzer bewiesen. 2.2 Eine Volksliedsammlung mit Heideröslein Im gleichen Jahr gab von der Elst in Deventer ein weiteres Werk - ebenfalls für ein junges Zielpublikum - heraus, bei dem er auch wieder übersetzend tätig geworden war: Blům vnd Außbund Allerhandt Außerlesener Weltlicher/ Züchtiger Lieder vnd Rheymen/ Welche bey allen Ehrlichen Gesellschafften können gesungen/ vnd auff allen Instrumenten gespiellt werden 40 Andrea Ackermann <?page no="41"?> 21 Exemplar: Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 14, 6 : 61 (Digitalisat: http: / / nbn-r esolving.de/ urn: nbn: de: gbv: 32-1-10000023987). - Zum Liederbuch wurde in den 1930er Jahren in Köln eine germanistisch-volkskundliche Dissertation angefertigt: Martha F R I T Z , Die Liedersammlung des Paulus von der Aelst, Deventer 1602, Lengerich i.W. [1936]. 22 So in Nr. 10 (Ich kann und mag mitnichten, Lob der Schreiber, Schlussstrophe: „Paul von der Aelst“), Nr. 179 (Papiers Natur ist rauschen, Lob der Buchdrucker, Schlussstrophe: „des Pauli von der Aelst“), Nr. 195 (Als ich für meinen Leib, Schlussstrophe: „das sagt Paul von der Aelste“); Lied Nr. 128 (Ach, dass ich könnt erleben) ist mit „P. von der Ae“ unterzeichnet (Liednummern nach der Ausgabe von Ernst S C H U L T E -S T R A T H A U S , München 1912). 23 Nr. 48 (Hort Wunder über Wunder), Nr. 74 (Es ist auf Erden kein schwerer Leiden) und Nr.-173 (Wohl auf, ihr Studenten alle). Zu dienstlichem wollgefallen vnd erget‐ zung allen Ehrliebenden jungen Gesellen/ Frawen vnd Jungfrawen/ so wol auß Frantzösi‐ schen/ als Hoch= und NiderTeutschen=Gesäng= vnd Liederbüchlein zusamen gezogen/ vnd in Truck verfertigt. <Bild> Gedruckt zu Deuenter/ im jahr M.DC.II. 21 In diesem Buch hat von der Elst fast 200 Lieder aus verschiedenen Liedsamm‐ lungen zusammengestellt, teilweise aus dem Niederländischen oder Französi‐ schen übersetzt - und auch eigene Texte beigetragen (einige finden sich schon als Hinzufügungen in seiner Ovid-Übertragung). In manchen Dichtungen hat er sich sogar namentlich verewigt. 22 Obwohl von der Elst in den Niederlanden tätig war, zielte er auf ein (Hoch-)Deutsch sprechendes Publikum, möglicherweise besonders auf den Buchmarkt des Rheinlandes mit Zentrum Köln. Denn in einigen Liedern der Sammlung wird explizit die Rheinmetropole besungen. 23 - Auch wenn im Titel von Musikbegleitung die Rede ist, enthält die Sammlung keine Noten, jedoch sind Tonangaben vorhanden. In einigen Texten verrät von der Elst etwas über sich selbst: Das Lob der Schreiber, in dem er sich namentlich als Dichter des Liedes zu erkennen gibt, zeigt sehr gute Kenntnisse dieser Profession. Das ebenfalls von profunder Berufskenntnis geprägte Loblied auf die Druckerei widmet er „mein Gsellen“. In der am 20. November 1602 unterzeichneten „Vorrede an den guthertzigen Leser“ gibt „P.V.D.AEL.“ Auskunft über das Ziel dieser Liedsammlung: Derohalben ich nicht vnderlassen können/ jedoch auff freundliches begeren vn̅ anhalten etlicher Ehrliebenden Gesellen vnd Tugentsamen Jungfrawen/ ein newes Liederbüchlein ins werck zu richten vnd in Truck zuuerfertigen/ damit die Jugend sich in frölichen Conuiuiis oder ehrlichen Gesellschafften mögen in aller ehrbarkeit Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 41 <?page no="42"?> 24 Vgl. bspw. Hartmut V O L L M A R , Einheitliche Theorie des Verses, Würzburg 2008, 82. - Fritz B A L T R U W E I T , Geistliche Volkslieder. Motoren der Reformation und lebensnaher Ausdruck des Glaubens bis heute, in: Johannes H A R T L A P P - Andrea C R A M E R (Hgg.), „Und was ich noch sagen wollte …“ (FS Wolfgang Kabus), Berlin 2016, 77-94, hier: 78, schreibt zu Luthers Nun freut euch, lieben Christen g’mein [*EKG 239]: „Die Melodie stammt von einem Liebeslied: ‚Sie gleicht wohl einem Rosenstock […]‘.“ Etwas vorsichtiger Walter B L A N K E N B U R G , Johann Walters Chorgesangbuch von 1524 in hymnologischer Sicht: Zum Beginn der Geschichte des evangelischen Kirchenliedes vor 450 Jahren, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 18 (1974), 65-96, hier: 75, Anm. 16: die „Melodie [hängt] fraglich mit EKG 239 zusammen […]“. Die älteste Quelle der Melodie stammt von 1545. Als älteste Textquelle wird meist von der Elsts Liederbuch angegeben. 25 Vgl. K Ö N I G , Ovids Ars amatoria (wie Anm. 16), 189. erlustieren/ vnd sich ihres gemüths ergetzen/ vnd ein jeder ein schönes Liedlein singen oder auff einem Instrument spielen/ damit alle vnzuchtige vnd nichtswürdige Gesäng vermitten vnd hindan gesetzt/ vnd andere züchtige vnd zierliche an deren stat können gebraucht werden. […] daß ich hiemit die Junge Gesellen vnd Jungfrawen etlicher massen von lastern vnd vntugenden abziehen/ zur tugend aber vnd Ehrbarkeit all gemach vnd mit glimpff anhalten wöllen. Ähnliches ist auch aus zeitgenössischen Gesangbuchvorreden bekannt: Mora‐ lisch zweifelhafte Texte sollen durch einwandfreie ersetzt werden - in diesem Fall aber nicht durch geistliche, sondern durch - aus Sicht des Herausgebers - geeignetere weltliche Lieder. Von der Elst zeigt sich dabei durchaus mode‐ bewusst und wählt auch solche Gesänge aus, die „nach art der Welschen [= Italienischen] vnd Frantzösischen Canzonetten“ gestaltet sind. Die Texte sollen „nach Poetischer Kunst“ gemacht sein. Auch buchhändlerische Aspekte spielen eine Rolle: Die Anzahl der Lieder sei begrenzt, damit das Büchlein um „ein geringes Gelt köndte verkauffet werden“. Obwohl der Preis niedrig gehalten werden sollte, war dem Büchlein kein so großer Erfolg beschieden wie der Ars-Übersetzung; von der Liedsammlung sind keine weiteren Auflagen oder Nachdrucke bekannt. Allerdings erlangte sie später rezeptionsgeschichtliche Bedeutung, denn im darin enthaltenen Lied Wach auf, wach auf, meins Herzen ein Trost (Nr. 81) mit der Strophe Sie gleicht wohl einem Rosenstock und dem häufig begegnenden Strophenschluss „Rößlein auff der Heyden“ wird eine „Vorform“ von Goethes Heideröslein gesehen. 24 Am Ende der Vorrede bittet er, seine „geschetzige arbeit in keinem weg mir zu verärgern/ tadeln oder schmehen“. Die Ovid-Übertragung hatte ein zweites Vorwort „Zu den Neydern dieses wercks“ enthalten (dort scheint es allerdings aus einer niederländischen Vorlage übernommen worden zu sein 25 ). Falls es Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden nicht zum Standard solcher Werke gehörte, (unberechtigte) Kritik schon im Vorwort abzuwehren, 42 Andrea Ackermann <?page no="43"?> 26 Vgl. H O F F M A N N V O N F A L L E R S L E B E N , Liederbuch (wie Anm. 17), 320f. 27 E N D E R L E , Buchdrucker (wie Anm. 8), 169. 28 Eine gute Einführung bietet B E H R I N G E R , Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 6), 309-321. - Speziell zu Köln vgl. auch D E R S ., Köln als Kommunikationszentrum um 1600. Die Anfänge des Kölner Post- und Zeitungswesens im Rahmen der frühneuzeitlichen Medienrevolution, in: M Ö L I C H - S C H E R H O F F (Hgg.), Köln als Kommunikationszentrum (wie Anm. 8), 182-210. 29 HISTORICAE RELATIONIS CONTINVATIO. Das ist: Ordentliche vnd eygentliche Erzehlung aller fürnembsten sachen vnd händel/ so sich von negst verlauffener Fas‐ tenmeß dieses 1603. Jahrs/ biß auff diese jetzige Herbstmeß/ durch gantz Europam/ als Hispanien/ Franckreich/ Italien/ Vngern/ Hoch: vnd Nieder Teutschlandt/ sampt den Engelländischen Inseln zutragen : so viel man dessen aus glaubwirdigen geschriebenen vnd getruckten zeitungen hat zusamen bringen können. Sampt einer außführlichen erzehlung mit was Ceremonien/ solemnitet/ vnd Triumph Iacobus der Sechste/ sey inauguriert vnd zum König in Engellandt erwehlet/ vnd folgents gekrönet worden. Alles auffs vleissigst zusammen getragen durch Paulum von der Elst. <Vignette> Ge‐ druckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachell in der Schmirstrassen/ Anno 1603 (Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, 168.1 Hist. [5]). könnte dies ein Indiz dafür sein, dass von der Elsts Situation in Deventer nicht ganz einfach war. Eventuell kam, wie Hoffmann von Fallersleben aus den Eigendichtungen von der Elsts herausliest, noch eine schwierige Liebes‐ geschichte hinzu. 26 Dies mögen - neben beruflichen und wirtschaftlichen - weitere Gründe gewesen sein, sich noch stärker in Richtung Rheinland mit Köln als „europäische[m] Buchdruckzentrum“ und „bedeutendste[r] Druckstadt des katholischen Deutschland“ 27 zu orientieren. 2.3 Zeitungs- und Postwesen Ende des 16. Jahrhunderts entstanden als neues Medium die sogenannten Messrelationen - Nachrichtenüberblicke, die anlässlich der Buchmessen im Frühjahr und Herbst gedruckt wurden und zusammenfassten, was sich im letzten halben Jahr Wichtiges in Europa (und teilweise auch darüber hinaus) ereignet hatte. 28 Diese Heftchen fanden guten Absatz; schon bald veröffent‐ lichten verschiedene Verleger konkurrierende Messrelationen; seit 1601 auch der Kölner Drucker Peter von Brachel. Die Verfasser der bei Brachel verlegten Relationen wechselten mit nahezu jeder Ausgabe. Für die Herbst-Relationen von 1603 wurde „[a]lles auffs vleissigst zusammen getragen durch Paulum von der Elst.“ 29 Um solche Messrelationen zusammenstellen zu können, bedurfte es der nötigen Informationen. Man nimmt an, dass die Verfasser der Relationen diese vor allem durch Reichspostämter erhielten, wo regelmäßig Nachrichten aus den verschiedensten Regionen zusammenliefen und über handschriftlich oder auch Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 43 <?page no="44"?> 30 Vgl. B E H R I N G E R , Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 6), 317. - Die Reichspostlinie nach Köln stieß zu dieser Zeit im rheinhessischen Wöllstein auf den Hauptkurs von Österreich bzw. Italien nach Brüssel und Spanien (vgl. B E H R I N G E R , Im Zeichen des Merkur [wie Anm. 6], 138 passim). 31 Eugen M Ü L L E R , Münsterische Botenanstalten im 16. und 17. Jahrhundert, in: Archiv für Post und Telegraphie 46 (1918), 469-479, hier: 477 (mit Abdruck eines Briefes von „Paulus von d’Elst“, in dem er im März 1612 die Übergabe einer Sendung an die Reichspost bestätigt). 32 Eine Reichspost-Linie nach Münster wurde erst im Zuge der Friedensverhandlungen gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges eingerichtet (vgl. B E H R I N G E R , Im Zeichen des Merkur [wie Anm. 6], 227-230). 33 Vgl. M Ü L L E R , Münsterische Botenanstalten (wie Anm. 31), 476. 34 Eugen M Ü L L E R , Der Postdienst in Münster während der Westfälischen Friedenstagung (1641-1649), in: Archiv für Post und Telegraphie 47 (1919), 144-156, hier: 151. 35 „[…] aus den Urkunden des Münsterischen Landesarchivs ist zu ersehen, daß die fürstbischöfliche Regierung schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts für ihre Postangele‐ genheiten in Cöln einen besonderen Postvertreter unterhielt“ (ebd., 144). als Einblattdruck vervielfältigte „Zeitungen“ (zunächst anlassbezogene [Sensa‐ tions-]Meldungen, nicht periodisch) verbreitet wurden. Für die Messrelationen wurden die wichtigsten Nachrichten gesammelt und redaktionell bearbeitet. Es bleibt die Frage, ob dies von Deventer aus, wohin keine kaiserliche Reichspostlinie führte (das aber immerhin eine Hafenstadt und Endpunkt einer wichtigen Botenlinie von Kassel über Münster war), in vollem Umfang möglich gewesen ist. Wolfgang Behringer nimmt an, dass von der Elst bereits 1603 in Köln ansässig und Postsekretär war. 30 Als „Postampts-Schreiber“ bzw. „Postverwalter“ in Köln belegt ist von der Elst nachweislich seit 1610; er vertrat dort „die münsterischen Postangelegen‐ heiten“. 31 Nach Münster führte damals noch kein Reichspost-Kurs, 32 die westfä‐ lische Stadt hatte aber 1609 eine regelmäßige wöchentliche Botenlinie nach Köln eingerichtet, 33 wo für die Sendungen von und nach Münster Anschluss an die Reichspost bestand. Für die Verwaltung dieser Sendungen war Paulus von der Elst lange Jahre zuständig. 1636 trat sein nach dem ersten Bischof von Köln benannter Sohn „Maternus von der Elß“ in seine Fußstapfen und übernahm als „‚Münsterische[r] Postdirektor‘ […] die Angelegenheiten der fürstbischöflich münsterischen Regierung“ in der Rheinmetropole. 34 Von der Elst Vater und Sohn standen also offenbar in Diensten Münsters 35 und nicht der Reichspost, aber sicher mit engem Kontakt zu Letzterer. Von der Elsts Aufgabe beschränkte sich aber nicht nur auf die Verwaltung von Postsendungen, sondern hatte darüber hinaus - oder hauptsächlich? - mit dem Zeitungswesen zu tun: Für die „Zuschickung so wol getruckter als schriftlicher avisen“, also Nachrichten, erhielt Paulus von der Elst aus Münster seit 1610 ein „jährliches sicheres Gehalt 44 Andrea Ackermann <?page no="45"?> 36 Zitiert nach ebd., 144, Anm. 5. 37 Zitiert nach Leonard E N N E N , Die Zeitungspresse in der Reichsstadt Köln, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 36 (1881), 12-82, hier: 23; vgl. auch 48. 38 Um die Frage nach von der Elsts Tätigkeit in Deventer zu klären, wären umfangreichere Recherchen (auch in Archiven) nötig gewesen, die im Rahmen dieses Aufsatzes, der unter starken zeitlichen Einschränkungen entstanden ist, jedoch nicht leistbar waren. 39 Wilhelm F L E I T M A N N , Postverbindungen für den Westfälischen Friedenskongreß 1643 bis 1648, in: Archiv für deutsche Postgeschichte 1972, 3-48, hier: 32. 40 Mitte des 17. Jahrhunderts reisten die Boten aus Richtung Osten auch vor Deventer schon zu Wasser, allerdings wurden in der Hansestadt die Sendungen von kleinen Kähnen auf größere Schiffe umgeladen. Die Boten begleiteten sie i. d. R. persönlich bis Amsterdam. Vgl. ebd., 32. von 12 Rthr“. 36 Er versorgte Münster also mit Informationen, was in der Welt geschah. Wahrscheinlich erwähnen ihn deshalb die Kölner Ratsprotokolle 1620 als jemanden, „der die Zeitungen schreibt“. 37 An dieser Stelle sei die Überlegung erlaubt, ob Paulus von der Elst nicht schon in Deventer in einer ähnlichen Funktion tätig war, nur vielleicht nicht in Festanstellung. 38 Die profunden Kenntnisse über den Beruf des Schreibers, die er in seiner Volksliedsammlung von 1602 offenbart, dürften aus eigener Erfahrung stammen. Deventer lag zwar nicht an der Reichspostlinie, doch seit dem 14. Jahrhundert ist reger Botenverkehr zwischen Westfalen und Deventer belegt; die niederländische Hansestadt fungierte gleichsam als „Hafen für das Münsterland“. 39 Von dort aus wurden Sendungen dann per Schiff über die Ijssel weitertransportiert. 40 Es wäre durchaus vorstellbar, dass von der Elst schon in Deventer als Schreiber mit der Verwaltung von (münsterischen) Botensen‐ dungen beauftragt war und bereits seit 1603 in ähnlicher Funktion in Köln wirkte. Denn schon vor der Einrichtung der Botenlinie mit festen Abgangs- und Ankunftstagen bestand reger, nur eben unregelmäßiger Botenverkehr zwischen Münster und der Rheinmetropole. Es spricht manches dafür, dass von der Elst sich auch in den frühen Jahren bereits als Schreiber verdingte und daneben als Drucker und Zeitungsschreiber tätig war. Möglicherweise strebte er zunächst an, sich hauptberuflich als Dru‐ cker zu etablieren, was ihm jedoch nicht gelang. Im Post- und Nachrichtenwesen war er dagegen langfristig erfolgreich. 2.4 Helden und Heilige: ein „Volksbuch“ Im Jahr 1604, ein Jahr nach der Herbst-Messrelation, erschien ein weiteres Ge‐ meinschaftswerk des Duos von der Elst/ Brachel: die „schöne und lüstige History Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 45 <?page no="46"?> 41 Exemplar: Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, AB 155545 (Di‐ gitalisat unter http: / / dx.doi.org/ 10.25673/ opendata2-21395). 42 Vgl. Das deutsche Volksbuch von den Heymonskindern, hg. v. P F A F F (wie Anm. 14), 187-190. 43 Angelika L E H M A N N -B E N Z , Gewalt und Körperlichkeit im Prosaroman von den ‚Hey‐ monskindern‘ (1604), in: D I E S . - Ulrike Z E L L M A N N - Urban K Ü S T E R S (Hgg.), Schnitt‐ punkte. Deutsch-Niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 5), Münster i.W. 2003, 167-192, hier: 170. 44 Vgl. die Einleitung zu Das deutsche Volksbuch von den Heymonskindern, hg. v. P F A F F (wie Anm. 14), XLII; L E H M A N N -B E N Z , Gewalt (wie Anm. 43), 170. - Ein Kölner Nachdruck ist beispielsweise 1803 belegt: Schöne und lustige Historie von den vier Heymons-Kindern […] (Berlin, Humboldt-Universität, Grimm-Zentrum, Yi-30511: F8). von den Vier Heymons Kindern“ 41 aus dem Sagenkreis um Karl den Großen. Von der Elst besorgte die Übersetzung aus dem Niederländischen, Brachel den Druck. Irritierend ist allerdings die Angabe auf dem Titelblatt „auß dem NederTeutschs in vnser gemein Teutschs vbergesetzt vnd im Truck verfertigt durch P. V. D. AE“. Nach einem Bild der vier Heymonskinder auf ihrem Wunder-Pferd Bayard folgt ein Druckvermerk: „Gedruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ in der Schmirstrassen. Anno 1604“. Ob von der Elst das Buch ursprünglich selbst hatte drucken wollen (in Deventer? oder bereits in Köln? ), dann aber doch Brachel die Herstellung überließ bzw. übergab? Jedenfalls wirkt es in der 1604 veröffentlichten Form stark auf den Kölner bzw. rheinländischen Buchmarkt zugeschnitten, denn von der Elst vermehrte den Heymonskinder-Stoff um die Legende über den Jüngsten der vier, nämlich um „das gantze Leben des H. Reinoldi“. Der Heilige Reinold ist eng mit Köln verbunden, da er der Legende nach dort beim Dombau geholfen und durch Handwerker das Martyrium erlitten haben soll. 42 Seine Gebeine wurden später nach Dortmund überführt. Von der Elsts Übertragung des Prosaromans von den Heymonskindern mit Reinolds-Erweiterung war langanhaltender Erfolg beschieden, und es gelang „erst dieser Bearbeitung, die Haimonskindergeschichte in Deutschland definitiv einzubürgern“. 43 Bei Brachel erschien mindestens eine weitere Auflage (1618), daneben und danach sind zudem viele undatierte Nachdrucke ungenannter Offizinen bis ins 19. Jahrhundert hinein belegt 44 - teilweise auch ohne von der Elst als Übersetzer zu benennen. 2.5 … und schließlich das Gesangbüchlein *Köln 1607 Im Jahr 1607 unterhielt Paulus von der Elst eine kleine Werkstatt in Köln - und druckte nun offenbar erstmals ein geistliches Werk, nämlich ein volkssprachli‐ ches Gesangbüchlein. Die innere Ausstattung des Büchleins im Duodezformat 46 Andrea Ackermann <?page no="47"?> 45 Die nächste Ausgabe, die 1608 bei Peter von Brachel erschien, weist dagegen einzelne Zierleisten auf. 46 Im Exemplar der Kölner Dombibliothek (Sign.: Aa 0749) wurde von späterer Hand in deutscher Kurrentschrift auf freien Blättern am Ende ein Register hinzugefügt. 47 Christoph R E S K E , Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprach‐ gebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef B E N Z I N G (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), Wiesbaden 2007, 464, verzeichnet nur diesen Druck und stützt sich dafür auf die Angaben Härtings. Umfangreiche Online-Recherchen in Bibliothekskatalogen und Datenbanken (z.B. VD 16 und VD 17) im Frühsommer 2023 haben zu keinen weiteren Ergebnissen geführt. 48 Gerade für kleinere Druckereien war „in den Jahrzehnten nach 1600“ die Lage „offen‐ sichtlich schwieriger geworden. Ihnen gelang es immer seltener, eine Werkstatt zu gründen. Der Markt wurde mehr und mehr von den großen Offizinen dominiert“ (E N D E R L E , Buchdrucker [wie Anm. 8], 171). 49 Vgl. H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke (wie Anm. 1), 104. (Satzspiegel: 6,1 x 10,2 cm, S. 23) ist denkbar schlicht, nicht einmal die Kopftitel der Seiten sind durch eine Linie o.Ä. abgegrenzt, einzig die Initialen der Lieder sind durch größere Typen hervorgehoben. 45 Das Titelblatt wird von einfachen (oben und unten) bzw. doppelten (an den Seiten) Linien gerahmt und trägt vor dem Druckvermerk das Jesuiten-Emblem (Vignette mit IHS-Symbol und Umschrift: LAVDABILE NOMEN DOMINI ). *Köln 1607 enthält weder Vorrede noch Inhaltsverzeichnis oder Register, 46 weder Noten noch Tonangaben. Das Gesangbüchlein von 1607 ist der einzige Druck überhaupt, der (bis jetzt) aus von Elsts Kölner Druckerei bekannt ist. 47 Ob er sonst vielleicht vorwiegend Einblattdrucke (z.B. anlassbezogene „Zeitungen“) publizierte, die sich nicht erhalten haben oder auf denen der Drucker nicht angegeben war, ist nicht bekannt. Die von ihm aus Deventer bekannten Publikationen erwecken den Eindruck, dass von der Elst Wert auf Nennung seines Namens legte. Vielleicht war seine Kölner Druckerei nur ein kurzlebiges Unternehmen und er konnte sich letztlich (wie viele Kleindrucker um 1610 48 ) nicht neben den etablierten Kölner Offizinen behaupten? Oder war der Druck des Gesangbüchleins nur eine einmalige Sache, um seinem Bekannten Peter von Brachel zu helfen? Oder war von der Elst (auch in Köln) nur Gelegenheitsdrucker im Nebenerwerb und 1607 bereits hauptberuflich als (Post-)Schreiber tätig? All diese Fragen müssen - zumindest in diesem Beitrag - offen bleiben. Michael Härting erklärt sich die Auffälligkeit, dass die erste Ausgabe des späteren Brachel’schen Reihengesangbuchs bei von der Elst erschien, damit, dass Brachel wegen der 1607 in Köln wütenden Pest den Druck möglicherweise nicht selbst übernehmen konnte. 49 Aus dem Jahr 1607 sind zwar mindestens zwei Buchdrucke Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 47 <?page no="48"?> 50 R. P. Francisci Arias Societatis Iesv Theologi. Exercitivm Divinvm De praesentia Dei. […] Coloniae Excudebat Petrus à Brachel. Anno M. D. C. VII., sowie R. P. F. Bernardini Bonavoglia Fvlginatis, Ord. Min. Observant. S. Theol. Lectoris Generalis, & Concionatoris praeclari, Sylva Inventionvm Sacrarvm, Quadragesimalium Evangeliorum […] Coloniae, Apud Ioannem Crithium. Anno M.-D.-C.-VII. Druckvermerk am Ende: Coloniae. Excudebat Petrus à Brachel. Anno M.-D.-C.-VII. 51 Laut Titelblatt ist die franziskanische Predigtsammlung bei („apud“) Johannes Chrithius erschienen, der Druckvermerk am Ende des Buches nennt aber Brachel als Drucker („excu‐ debat“). 52 Vgl. H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke (wie Anm. 1), 93. 53 Vgl. E N D E R L E , Buchdrucker (wie Anm. 8), 173. Brachels belegt, 50 einer davon für den Kölner Verleger Johann Crith, 51 dennoch ist ein zeitweiliger Ausfall denkbar. - Ein weiterer (eventuell durch die Pest bedingter) Grund könnte auch der Umzug von Brachels Offizin gewesen sein: Bis mindestens 1604 war sie in der Schmierstraße (heute: Komödienstraße) ansässig, seit spätestens 1608 dann „Under der Gülden Wagen“ (heute Teil der Hohen Straße 52 ) im Haus „Spiegelberg“ - und damit ein wenig näher beim Kölner Buchdrucker-Quartier, das sein Zentrum in der Straße Unter Fettenhennen hatte. 53 Auf den beiden lateinischen Drucken von 1607 ist keine Adresse angegeben, sodass nicht bekannt ist, wann genau der Umzug stattgefunden hat. Doch es könnte auch ganz anders gewesen sein. Denkbar wäre zum Beispiel, dass der umtriebige Medienmensch Paulus von der Elst die Gunst der Stunde (Ausfall anderer Offizinen) nutzen und sich selbst als Drucker in der Reichsstadt - also in gewisser Konkurrenz zu Brachel - etablieren oder zumindest im Neben‐ erwerb ein gutes Geschäft machen wollte und dass Brachel das Gesangbuch erst übernahm, als von der Elst seine Druckerei nicht weiterführte. Jedenfalls sind (nach derzeitiger Quellenlage) nach 1607 keine gemeinsamen Publikationen der beiden jungen Medienunternehmer mehr auszumachen. 3 Der Verwendungskontext: Katechese in Köln Das Titelblatt von *Köln 1607 gibt an, in welchem Kontext die enthaltenen Lieder verwendet wurden: Catholische Kirchen Ge= säng/ Auff die Furnem= ste Fest deß Jahrs/ wie man dieselb zu Cölln bey allen Christli= chen Catechistischen Lehren pflegt zu Singen. 48 Andrea Ackermann <?page no="49"?> 54 Vgl. auch im Folgenden: Andreas S C H Ü L L E R , Die Volkskatechese der Jesuiten in der Stadt Köln (1586-1773), in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 114 (1929), 34-86. 55 Vgl. Bernhard D U H R , Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge 2/ 2, Freiburg i.Br. 1913, 10. 15 (mit Bezug auf die Vorrede zu *Vogler 1625). 16. - Schüller spricht daher gleich von „Volkskatechese“ (vgl. D E R S ., Volkskatechese [wie Anm. 54]). - *Vogler 1625 nennt in der Vorrede „Christliche Eltern […] mit ihren Kindern vnd Gesind/ die Tauff[-] vnnd Firmpatten mit ihren Anuertrawten“ (fol. iiii r ). 56 Vgl. D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 10. 57 Vgl. z.B. S C H Ü L L E R , Volkskatechese (wie Anm. 54), 49 passim. 58 Vgl. z.B. ebd., 37.-49 passim. 59 Vgl. Theo G.M. V A N O O R S C H O T , Die Lebensdaten, in: Anton A R E N S (Hg.), Friedrich Spee im Licht der Wissenschaften. Beiträge und Untersuchungen (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 49), Mainz 1984, 9-13, hier: 9. - Aufgrund fehlender Quellen lässt sich nicht genau sagen, ab wann Spee nach Köln kam; ebenso ist nicht klar, ob er das Montanum oder das von den Jesuiten geführte Tricoronatum besuchte. Die von den Jesuiten geleiteten Sodalitäten standen Schülern beider Gymnasien offen. 60 Der als „Protokollbuch“ fungierende Liber Sodalitatis Angelicae ist für die fragliche Zeit erhalten und nennt Spee ab Mai 1604 in verschiedenen Funktionen: Senatsmitglied, Conciliarius, Assistent des Präfekten und schließlich ab Dezember 1604 als Sekretär dieser Sodalität. Im Mai 1605 erfolgte der Übertritt in die Sodalitas Parthenica, also die Marianische Kongregation, für die Älteren (vgl. Emmy R O S E N F E L D , Friedrich Spee von Langenfeld. Eine Stimme in der Wüste [Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker NF-2-=-126], Berlin 1958, 15-17, und in manchen Details abweichend V A N O O R S C H O T , Lebensdaten [wie Anm. 59], 9). *Köln 1607 ist also in Zusammenhang mit den Katechese-Stunden entstanden, die die Jesuiten seit 1586 allsonntagnachmittäglich in den Kirchen der Stadt Köln - im Sommer auch im Umland - hielten. 54 Zwar stand dabei die Unterwei‐ sung der Kinder im Mittelpunkt, doch war das Zielpublikum deutlich breiter: Nicht nur die Kinder sollten zur Katechese-Stunde kommen, sondern auch ihre Begleitpersonen (Eltern, Paten, Lehrer) und darüber hinaus Erwachsene, denen keine oder nur unzureichende religiöse Bildung zuteilgeworden war. 55 Dementsprechend ist auf dem Titelblatt von *Köln 1607 von „Christlichen Catechetischen Lehren“ die Rede und nicht von „Kinderlehr“. Im Idealfall sollten Eltern und Lehrer das sonntags in der Katechese Behandelte die Woche über mit den Kindern wiederholen und vertiefen; 56 zudem engagierten sich manche Pfarrer entsprechend. 57 Auch die Mitglieder der von Jesuiten geleiteten Sodalitäten waren kateche‐ tisch tätig. 58 Es ist daher anzunehmen, dass auch Friedrich Spee die Kölner Katechese-Praxis gut kannte. Er war wohl seit 1601 oder 1602 Gymnasiast in Köln. 59 1604-1605 bekleidete er in der Sodalitas Angelica für die jüngeren Schüler nachweislich verschiedene Ämter. 60 Als Schüler dürfte er Katechesen besucht haben, als Sodale wird er möglicherweise selbst in irgendeiner Weise katechetisch Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 49 <?page no="50"?> 61 Zur Problematik der Zuschreibung vgl. den Beitrag von Christiane S C H Ä F E R in diesem Band sowie den untenstehenden Exkurs: Ein „Gärtlein“. 62 Wie beispielsweise das Wallfahrtslied Gelobt sei Gott, der Vater; spätestens seit Mitte des 17. Jh. wurde auch Nun lobet Gott im hohen Thron, also Ulenbergs Lied über Psalm 117 mit angehängter Schlussdoxologie, als Dreifaltigkeitslied verwendet. Vgl. die von Prof. Dr. Ansgar Franz betreute Abschlussarbeit: Andrea A C K E R M A N N , Trinitätslieder in katholischen Gesangbüchern des deutschen Sprachgebiets. Unveröffentlichte Diplom‐ arbeit, Mainz 2010; D I E S . - Ansgar F R A N Z , Allein Gott in der Höh sei Ehr, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 14-19. 63 Des Öfteren sind Te-Deum-Übertragungen anzutreffen; auch die (protestantische) Gloria-Paraphrase Allein Gott in der Höh sei Ehr begegnet spätestens in der zweiten Hälfte des 17. Jh. in der Dreifaltigkeits-Rubrik. Vgl. A C K E R M A N N , Trinitätslieder (wie Anm. 62); D I E S ., Nun lobet Gott im hohen Thron, in: F R A N Z - K U R Z K E - S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 62), 846-848. 64 Zur Beschreibung des Ablaufs vgl. die Zusammenfassung bei D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 17f. - Zwar entwirft Alber hier einen Idealplan, doch dürfte dieser im Großen und Ganzen (mit kleineren lokalen Besonderheiten) die tatsächliche Praxis in der rheinischen Provinz widerspiegeln. gewirkt haben. Dass ihm das bei den Kölner Katechesen verwendete Liedgut vertraut war, ist sehr wahrscheinlich. *Köln 1607 kommt zwar kaum als Quelle für (Jugend-)Dichtungen Spees in Frage, doch stellt es gleichsam den Hintergrund dar, vor dem Spee (und ggf. weitere, zeitweilig in Köln lebende Ordensmitglieder) später eventuell eigene Lieder zu katechetischen Zwecken dichtete(n). 61 Anhand des Repertoires von *Köln 1607 dürfte nicht zuletzt ein Mangel an zum jeweiligen katechetischen Stoff passenden Liedern spürbar geworden sein und das Bedürfnis geweckt haben, Abhilfe zu schaffen. Es ist ein Unterschied, ob man in einer Katechismus-Stunde, in der etwa die Trinität behandelt wird, ein Lied singt, das (lediglich) eine trinitarische Doxologie enthält 62 oder eine trinitarische Struktur besitzt, 63 oder ein Lied, das sich ganz und gar mit der Dreieinheit Gottes beschäftigt (wie beispielsweise O heiligste Dreifaltigkeit, s. u. Abschnitt 5). Darüber, wie eine solche Katechese-Stunde in Köln in etwa verlief bzw. idealerweise verlaufen sollte, gibt eine Instruktion von Ferdinand Alber SJ (1548-1617), Visitator der rheinischen Provinz, vom März 1603 Auskunft: 64 Eine Viertelstunde vor der eigentlichen Christenlehre erklingt ein Glocken‐ zeichen, woraufhin die in der Kirche Versammelten bis zum Beginn der Stunde Lieder singen, wobei ein Kind vorsingt und die anderen nachsingen. Entweder sollten auf diese Weise Lieder eingeübt werden, oder es ist an Refrainlieder o.Ä. gedacht - möglicherweise war es auch eine Mischung aus beidem. Viele der in *Köln 1607 enthaltenen Lieder weisen Formen auf, die eine Ausführung im 50 Andrea Ackermann <?page no="51"?> 65 Die verhältnismäßig hohe Zahl an Weihnachtsliedern (24) ließe sich zum einen mit der Häufigkeit von Katechesen in der an Festtagen reichen Weihnachtszeit erklären, zum andern war die Christenlehre in dieser Festzeit vermutlich mit besonderen Veranstaltungen verbunden wie z.B. Weihnachtsspielen bzw. Vorläufern davon. In Regensburg ist etwa für die Christenlehre zu Weihnachten 1604 ein Dialog bei der Krippe belegt, der von Weihnachtsliedern unterbrochen wurde (vgl. D U H R , Geschichte 2/ 2 [wie Anm. 55], 24). 66 So der Kopftitel S. 95-111 (S. 97 u. 103 abweichend: von dem Glauben …) - Eines der beiden Lieder ist Das Heil kommt uns gewisslich her aus *Köln 1599, eine gegenreforma‐ torische Umdichtung des Reformationsliedes Es ist das Heil uns kommen her, mit dem manch katholischer Pfarrer aus der Stadt gejagt worden war (vgl. Andrea A C K E R M A N N , Die Reformation im Spiegel ihrer Kirchenlieder, in: Luther 74 [2003], 60-80, hier: 65-70, sowie die dort zitierte Literatur). 67 So zusammenfassend D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 17. Wechsel sowie die sofortige und unkomplizierte Beteiligung einer Gemeinde ohne Gesangbuch und ohne vorherige Probe ermöglichen (z.B. durch einge‐ streute „Kyrie“- oder „Alleluja“-Rufe, durch Kehrverse bzw. Refrains; durch Vor- und Nachsingen von Liedzeilen, wie es bei manchen Liedern mit kurzen Strophen im Buch selbst angezeigt ist). Die eigentliche Christenlehr-Stunde eröffnet der Katechet mit dem Kreuzzei‐ chen. Dann spricht er das Vaterunser, das Ave-Maria sowie das Apostolische Glaubensbekenntnis vor, und alle sprechen es nach. Danach werden diese Grundtexte und das Kreuzzeichen etwa eine Viertelstunde lang vertieft, wieder‐ holt, geübt. Es ist sicher kein Zufall, dass *Köln 1607 mit drei Liedern beginnt, die Vaterunser, Ave-Maria und Glaubensbekenntnis zum Inhalt haben! Nach der Einübung der Grundgebete und des Glaubensbekenntnisses wird eine Viertelstunde lang der Inhalt der letzten Stunde abgefragt. Dann behandelt der Katechet wiederum eine Viertelstunde lang ein neues Thema, wobei er ausdrücklich nicht nur auf die Kinder Rücksicht nehmen, sondern den Stoff auch für die anwesenden Erwachsenen ansprechend präsentieren soll. Bei der Stoffauswahl war auch die jeweilige Kirchenjahreszeit zu berücksichtigen. Für die Festkreise bietet *Köln 1607 insgesamt 41 Lieder, 65 hinzu kommen noch 5 Marienlieder und 4 Heiligenlieder (Commune-Texte: Von allen Heiligen - Heilige Märtyrer - Heilige Jungfrauen [2 Lieder]). Dann folgen noch zwei Lieder zu einem wichtigen Thema der Katechese mit gegenreformatorischer Stoßrichtung: „vom Glauben vnd guten Wercken“. 66 An diese schließen zwei Litaneien an (Lauretanische und Allerheiligen-Litanei). Das letzte Viertel der Katechese-Stunde war für einen Dialog zwischen zwei Kindern reserviert. Laut Albers Instruktion war vorgesehen, dass die beiden Kinder „einen Abschnitt aus dem Katechismus aufsagen und sich gegenseitig abfragen“. 67 Auch Disputationen waren üblich. Andreas Schüller weist auf Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 51 <?page no="52"?> 68 S C H Ü L L E R , Volkskatechese (wie Anm. 54), 48. 69 D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 17. 70 Vgl. S C H Ü L L E R , Volkskatechese (wie Anm. 54), passim. 71 Vgl. ebd., 52. eine Vorform des Jesuitendramas hin: Es wurden „teils die Tugenden, teils die Heiligen, in Dialogform von einigen Kindern vorgeführt“. 68 All diese Auffüh‐ rungen waren zuvor mit den beteiligten Kindern gut eingeübt worden (etwa in der Schule), sodass es nach Möglichkeit zum Erfolgserlebnis für die jungen Protagonisten (und die stolzen Eltern und Paten) wurde. Zum Schluss sprach der Katechet die Zehn Gebote (manchmal stattdessen auch die Gebote der Kirche) vor und alle wiederholten sie. Nach der Kate‐ chese-Stunde konnte „nach dem Ortsbrauch gesungen werden oder nicht“. 69 - In Köln war es offenbar Brauch, denn *Köln 1607 enthält ein Lied mit der Überschrift „Beschluß“ (Näheres dazu unten in Abschnitt 6). Die Katechese-Stunden waren gut besucht und offenbar beliebt, es wird von 400 oder gar 1000 Teilnehmenden berichtet. 70 4 Warum ausgerechnet im Jahr 1607? Dass ausgerechnet 1607 in Köln ein Gesangbüchlein für die Katechese erschien, ja, dass man überhaupt eines zusammenstellte, könnte mit dem Ausbruch der Pest zusammenhängen: Die meisten Jesuiten waren in andere Kollegien verschickt worden, sodass die Katechesen in Köln reduziert und schließlich ganz eingestellt werden mussten - auf unbestimmte Zeit. 71 Der Gedanke liegt nahe, in *Köln 1607 zunächst ein Hilfsmittel für diese schwierige Zeit zu sehen, in der die in der Stadt verbliebene Bevölkerung ohne die Jesuiten und deren katechetisches Wirken auskommen musste. Gedruckte volkssprachige Katechismen zum Nachlesen, allen voran den „Kleinen Canisius“, gab es bereits, doch spielte in Köln auch das Singen eine große Rolle. Was noch fehlte, war eine entsprechende Liedsammlung. *Köln 1607 dürfte das wohl schon seit mehreren Jahren bei den Christenlehr-Stunden in Köln gepflegte Liedrepertoire umfassen; darüber hinaus könnten auch einige Lieder darin sein, die man künftig gern bei der Katechese singen wollte. Zu der Vermutung, dass das Büchlein vergleichsweise rasch benötigt und gedruckt wurde, würde auch seine schlichte Ausstattung und das Fehlen von Registern und ähnlichen Dingen, die den Herstellungsprozess verlangsamen, passen. Man vergleiche es beispielsweise mit dem bei Quentel gedruckten Gesangbuch *Köln 1599 (und späteren Auflagen), das Zierrahmen und -Leisten, 52 Andrea Ackermann <?page no="53"?> 72 Severin C O R S T E N , Die Blütezeit des Kölner Buchdrucks (15.-17.-Jahrhundert), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 40 (1976), 130-149, hier: 148, sieht das Jesuiten-Signet als Ausdruck der Nähe des Druckers zum Kölner Jesuitenkolleg: „Andere [Drucker-]Unternehmungen fanden ihr Auskommen, indem sie sich eng an die bedeutende Jesuiten-Niederlassung in der Marzellenstraße anschlossen. Sie bekannten sich häufig auch dadurch zu dieser Bindung, daß sie, wo es vom Inhalt her angebracht war, das IHS-Monogramm als Signet führten.“ - Möglich, dass auch Paulus von der Elst die Nähe zum Jesuitenkolleg hervorheben wollte. 73 D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 15, berichtet, dass die Jesuiten an Orten, an die sie selbst nicht kommen konnten, stattdessen gedruckte Katechismen verteilen ließen. - Etwa 100 Jahre später wendeten jesuitische Volksmissionare Bücher als Hilfsmittel zur Überbrückung an: Für die Zeit zwischen Volksmissionen, zwischen denen oft bis zu zehn Jahre vergingen, ließ der Orden Missionsbüchlein drucken und verteilen, in denen neben Gebeten und belehrenden Texten auch die bei den Volksmissionen eingeübten Lieder enthalten waren (vgl. dazu exemplarisch Andrea A C K E R M A N N , Vergessene Bestseller: Die Tiroler Missionsbüchlein des 18. Jahrhunderts und ihr Liedgut, in: notae. Historische Notizen zur Diözese Innsbruck 5 [2020; erschienen 2021], 119-136, bes. 124f., sowie die dort zitierte Literatur). 74 In älteren Wiedergaben des Titels war das Ratsprivileg nicht mit abgeschrieben worden, sodass Härting es nicht kannte und sich seitdem die Ansicht verbreitete, dass das Büchlein erst seit der 2., bei Brachel erschienen Auflage mit diesem Privileg ausgestattet gewesen sei (vgl. H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke [wie Anm. 1], 95). Zweifarbendruck, Vorrede, Register und Noten enthält, oder mit den ähnlich reich ausgestatteten Jesuitengesangbüchern wie *Konstanz 1600. Wer *Köln 1607 initiiert und zusammengestellt hat, ist unbekannt. Das Jesuiten-Si‐ gnet auf dem Titelblatt weist darauf hin, dass *Köln 1607 in Verbindung mit den Kölner Jesuiten entstanden ist, 72 doch sind hier verschiedene Szenarien denkbar: Eine Möglichkeit ist, dass die Liedsammlung von einem oder mehreren Kölner Jesuiten-Katechisten selbst zusammengestellt und in Druck gegeben wurde, sei es kurz vor der Abreise aus Köln oder sogar aus der Ferne. Es gibt durchaus Beispiele dafür, dass Jesuiten Bücher als Ersatz für persönlich gehaltene Katechesen einsetzen. 73 Allerdings fehlt der sonst bei Jesuitengesangbüchern oft übliche Vermerk Cum permissu superiorum. Dafür weist es ein (weltliches) Ratsprivileg auf, das Nachdrucke unterbinden und dem Verleger seinen Verdienst sichern sollte: „Mit befreyhung eines Erbarn/ Hochweisen Raths nicht nachzudrücken“. 74 - Ebenso ist es aber auch vorstellbar, dass der Wunsch, die Liedtexte während der Abwesenheit der Jesuiten in der Hand zu haben, aus den Reihen der Kölner Bevölkerung (Pfarrer, Lehrer, Teil‐ nehmerinnen und Teilnehmer an den Katechesen, …) erwachte und von dieser Seite eine entsprechende Sammlung angeregt wurde. - Oder das Büchlein könnte sogar auf die Initiative eines geschäftstüchtigen, neu zugezogenen Druckers zurückgehen, der in den Niederlanden schon einmal eine Liedsammlung herausgegeben hatte (also über Erfahrung mit volkssprachlichen Liederbüchern verfügte) und der 1607 in Köln einen guten Absatzmarkt für ein solches Büchlein sah. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 53 <?page no="54"?> 75 Als späterer Besitzer hat sich auf einer der Vortitelseiten noch der Kölner Priester und Domherr Johann Heinrich Augustin von Möers (vor 1690-1730) verewigt. Nach dessen Tod könnte das Büchlein in die Dombibliothek oder in die 1615 gegründete Bibliothek des Priesterseminars gelangt sein (zur Bibliotheksgeschichte vgl. https: / / dombibliothe k-koeln.de/ die-dioezesanbibliothek/ geschichte-und-bestand/ [Zugriff am 22.07.2023]). 76 Bisher ging die Forschung meist davon aus, dass *Köln 1608 ein unveränderter Nach‐ druck von Köln 1607 sei (vgl. die in Anm. 1, 4 und 5 zitierte Literatur). Doch in der Auflage von 1608 fehlen folgende Gesänge: Ich glaub in Gott, den Vater mein (das Credo-Lied ist spätestens in der Ausgabe von 1619 wieder enthalten), Danksagen wir alle mit Schalle dem Herrn, unserm Gott (Weihnachten); das Neujahrslied In diesem neuen Jahre; Wir fallen nieder auf unsere Knie (Maria); Die ersten Menschen Gott der Herr (Hl. Märtyrer); Betracht mit Fleiß, o frommer Christ (Glaube & gute Werke). - Neu aufgenommen wurden: Preis sei Gott im höchsten Throne und auch seinem lieben Sohne; Ihr Christen, jetzund fröhlich seid, singet Gott Lob in Ewigkeit; Als Maria, die Jungfrau schon, nun sollt gebären Gottes Sohn (alle drei Weihnachten); Freu dich, du Himmel-Königin (Ostern); Der Himmel jetzt frohlocken soll (Hl. Apostel); O Christ, hab acht der lieben Zeit (Glaube & gute Werke). - Veränderungen der Strophenzahl weisen zwei Gesänge auf: Beim Vaterunser-Lied kam nach Str. 6 eine dazu, die „… wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ paraphrasiert, und bei In dulci jubilo wurde die vierte (Marien-)Strophe ausgelassen. 77 Vgl. H Ä R T I N G , Vier Kirchenliederdrucke; D E R S ., Mitteilungen; D E R S ., Bibliographisches zum Brachelschen Gesangbuch (alle wie Anm. 1). Das Kölner Exemplar befand sich laut eines handschriftlichen französischen Eintrags auf einer unbedruckten Seite am Ende im Jahr 1613 im Besitz von „Catrina helena von sassenrat“, eine der Vortitelseiten nennt ein weiteres Mitglied der Familie als Besitzerin: „Anna Maria di Sassenrath“ (ohne Datum). *Köln 1607 scheint also zu seiner Entstehungszeit (bzw. nur wenige Jahre danach) von gebildeten Frauen oder Mädchen einer Oberschicht-Familie benutzt worden zu sein. 75 Das Gesangbüchlein für die Christenlehre in Köln erwies sich als Erfolgspro‐ dukt. Schon 1608 kam - nun bei Peter von Brachel - eine etwas abweichende zweite Auflage 76 heraus. Weitere geänderte und später stark erweiterte Aus‐ gaben sind für 1612/ 13, 1615, 1619, 1625, 1628 und 1634 belegt; seit spätestens 1619, möglicherweise auch schon seit 1615, sind die Melodien mit abgedruckt. 77 Abgelöst wurde das Brachel’sche Gesangbuch dann 1637 vom bis weit ins 18.-Jahrhundert hinein nachgedruckten „Geistlichen Psälterlein“. 5 Zu Beginn: gesungenes Vorprogramm Eröffnet wird *Köln 1607, wie oben in Abschnitt 3 erwähnt, mit drei Liedern über die Grundgebete und das Grundbekenntnis des christlichen Glaubens, die zugleich die ersten in der Katechese vermittelten Inhalte darstellen. Für *Köln 54 Andrea Ackermann <?page no="55"?> 78 Vgl. etwa in *Köln 1599 in der das Buch eröffnenden Rubrik „Catholischer CATE‐ CHISMVS alle Sonntag bey der Christlichen Lehr/ Nachmittag andechtig zu singen“. 79 Erstmals in *Haym 1584 (mit Noten). 80 Von der Ausführung dieser Gesänge im Wechsel geht wie selbstverständlich bereits D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 19, aus: „die Responsorien werden von dem ganzen Volke gesungen, so daß alle leicht teilnehmen konnten“. - Ähnlich S C H Ü L L E R , Volkskatechese (wie Anm. 54), 53, der jedoch eher eine Vorsängergruppe aus den Reihen der Kinder statt einzelner Vorsänger vermutet. 81 Vgl. D U H R , Geschichte 2/ 2 (wie Anm. 55), 17. 1607 wählte man jedoch keine Prosa-Vertonungen, wie sie in anderen Gesang‐ büchern begegnen, 78 sondern eine gereimte Version, die auf Johann Haym (von Themar) zurückgeht. 79 Laut Titelblatt von *Haym 1584 sollte man sie singen, „wann man mit dem Creutz gehet/ wie auch inn der Kirchen“. Dementsprechend finden sie sich in späteren Büchern meist in der Rubrik mit Wallfahrts- und Prozessionsgesängen (so auch in *Köln 1599). *Konstanz 1600 ordnet sie zwar bei den Katechismus-Liedern (im Anschluss an die Prosa-Vertonungen) ein, Lied‐ überschriften und Kopftitel weisen sie aber nach wie vor als Kirchfahrtsbzw. Bittprozessionslieder aus. In *Köln 1607 fungieren sie dagegen offensichtlich als Gesänge bei der Katechese (anstelle von Prosa-Vertonungen). Für die Wahl dieser gereimten Lieder sprechen mehrere Gründe: Zum einen endet der Refrain jeweils mit der Zeile „Auff daß wir deine [bzw. seine] liebe Kinder werden“, was das Ziel der Katechese zusammenfasst: bessere Christinnen und Christen (mit entsprechendem Wissen über den Glauben und daraus resultierender Lebens‐ führung) zu werden. Zum anderen zeichnen sich Hayms Lieder durch besondere Einfachheit aus: Jede Strophe besteht aus zwei gereimten Versen, die von einem „Kyrie“-Ruf unterbrochen werden, und schließt mit einem dreizeiligen Refrain. Dieser Refrain ist noch dazu in allen drei Liedern recht ähnlich. Hinzu kommt, dass alle drei Lieder auf dieselbe Melodie gesungen wurden, die also nur einmal gelernt werden musste. Diese Form bietet die Möglichkeit, dass die Anwesenden schon bald (und ohne es extra einzuüben) in die gleichbleibenden Teile des Liedes einstimmen können, während ein oder verschiedene Vorsänger oder eine Vorsängergruppe die wechselnden Strophenteile übernahmen. 80 So konnten alle, Kinder wie Erwachsene, leicht einbezogen werden. - Offen bleibt, ob diese Lieder nur als Einstimmung vor dem Katechismus-Unterricht erklangen oder ob sie in Köln auch zur Vertiefung genutzt wurden. Visitator Alber hielt es jedenfalls für notwendig, in seiner Instruktion von 1603 darauf hinzuweisen, dass keine Minute der eigentlichen Katechese-Stunde auf Singen verwendet werden sollte, sondern Lieder nur vor oder nach der Stunde zum Einsatz kommen sollten. 81 Dies legt nahe, dass das Gegenteil mancherorts praktiziert wurde - vielleicht auch in Köln, wo das Singen eine große Rolle bei der Katechese spielte. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 55 <?page no="56"?> 82 Die oberdeutsche Provinzialkongregation empfahl 1628, dass zu „Anfang […] Gesänge, die der Zeit des Kirchenjahres entsprechen, gesungen werden [können] unter Leitung von sangeskundigen Knaben oder der Lehrer“ (D U H R , Geschichte 2/ 2 [wie Anm. 55], 18). - S. auch Abschnitt 3 dieses Beitrags. 83 Vgl. etwa die Edition: S P E E , Die anonymen geistlichen Lieder, hg. v. H Ä R T I N G unter Mitarbeit von V A N O O R S C H O T (wie Anm. 3), sowie die dort genannte Literatur. 84 S.o. Anm. 65. 85 So sind etwa 2 Fronleichnamslieder enthalten, 2 zu Mariä Geburt und anschließend an das Lied zu Mariä Himmelfahrt noch 5, die die Krönung Mariens behandeln. Dass zu diesen Anlässen mehr Lieder vorhanden waren, könnte daran liegen, dass an diesen Festen Prozessionen oder Wallfahrten stattfanden, an denen sich die Kate‐ chismus-Kinder singend beteiligten (S C H Ü L L E R , Volkskatechese [wie Anm. 54], und D U H R , Geschichte 2/ 2 [wie Anm. 55], passim, nennen viele Beispiele für die Teilnahme an Prozessionen). Der hauptsächliche Ort für die im Gesangbüchlein enthaltenen (zumeist Kir‐ chenjahrs-)Lieder war also die Zeit vor der eigentlichen Christenlehr-Stunde. 82 Die Lieder stimmten (zumeist) auf die folgende Glaubenslehre ein. Sie waren kein Nachklang zum vorher Erläuterten, sondern gingen der Erklärung voraus. Die erste Begegnung mit dem Thema der jeweiligen Katechese war nicht ein Lehrvor‐ trag, sondern (in vielen Fällen) ein Lied; ein Lied, das den neuen Inhalt der Stunde in poetischer Sprache, oft auch unter Verwendung von Bildern, zum Ausdruck brachte, untermalt von einer Melodie, und das (je nach Lied und Gegenstand mal mehr, mal weniger) auch die emotionale Saite zum Klingen brachte. An diese Ersterfahrung konnte dann die lehrhafte Vermittlung anschließen. In diesen Kontext dürften die beiden Liedsammlungen *Würzburg 1621 und 1622 gehören, die mit Friedrich Spee in enge Verbindung gebracht bzw. ihm sogar zugeschrieben werden. 83 *Würzburg 1622 ist eine Sammlung für den Weihnachtsfestkreis, der sich auch in älteren Gesangbüchern wie *Köln 1607 durch besonderen Liederreichtum auszeichnet und in dem auch die Katechesen vermutlich besonders gestaltet waren. 84 Das ein Jahr ältere Büchlein *Würzburg 1621 deckt die Zeit im Jahreskreis ab: Es enthält meist je ein Lied (in seltenen Fällen auch mehr 85 ) für Feste zwischen Pfingsten und Ende des Kirchenjahres sowie neun Lieder über christliche Tugenden, die wahrscheinlich zum Kate‐ chese-Stoff an den nicht durch besondere Feste ausgezeichneten Sonntagen ge‐ hörten. Die Tugenden waren, wie oben in Abschnitt 3 erwähnt, zudem Themen dialogischer Vorführungen während des Katechismusunterrichts. Eine Reihe von Liedern ist mit Anmerkungen versehen, die dem Text zugrundeliegende Stellen aus Bibel, Kirchenvätern oder zeitgenössischer theologischer Literatur nennen. Vielleicht dienten diese nicht nur als Nachweis der geistigen Quellen des Liedes, sondern zugleich als Impuls für die anschließende Katechese? 56 Andrea Ackermann <?page no="57"?> 86 Eine spätere Fassung des Textes findet sich unter *GL 352. - Zum Lied vgl. Andrea A C K E R M A N N , O heiligste Dreifaltigkeit, in: F R A N Z - K U R Z K E - S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 62), 910-914 (mit Edition des Originaltextes); D I E S ., Trinitätslieder (wie Anm. 62), 35-41 passim. 87 Augustin u. Aloys D E B A C K E R - Carlos S O M M E R V O G E L (nouvelle Édition), Bibliothèque de la Compagnie de Jésus 1: Bibliographie 4: Haakman - Lorette, Brüssel 1893, 1117. - Ebenso bereits in Augustin u. Aloys D E B A C K E R , Bibliothèque des Écrivains de la Compagnie de Jésus ou Notices Bibliographiques 6, Liège 1861, 255. 88 Petrus R I B A D E N E I R A - Philippus A L E G A M B E , Bibliotheca Scriptorvm Societatis Iesv, Post excusum Anni M.DC.VIII. Catalogum, Nunc hoc nouo apparatu librorum ad annum Man kann sich gut vorstellen, dass vor jeder Katechese-Stunde das zum Tag bzw. jeweiligen Stoff passende Lied gesungen und mit diesem das Thema einge‐ führt wurde. Ein konkretes Beispiel: Am Dreifaltigkeitssonntag war das Lied O heiligste Dreifaltigkeit vorgesehen. 86 Darin wird - unter Rückgriff auf Tertullian (Tert. apol. 21) - die Trinität im Bild der Sonne (Vater: Sonne - Sohn: Glanz - Geist: Hitze) veranschaulicht, wohl wissend, dass dies nur annäherungsweise gelingt („Drey Ding die an der Sonnen sein/ Vns dich ein wenig bilden ein“, Str. 2,3f., Hervorhebung A.A.) und Gott größer ist als unser „Verstandt“ (Str. 2,2). Daraus folgt aber nicht, dass man es nicht zumindest versuchen soll, sich seines Verstandes (in den ihm nun einmal eigenen Grenzen) zu bedienen. Wo unsere Vorstellungskraft und Erkenntnis endet, sollen wir - den Seraphim im göttlichen Thronsaal gleich (vgl. Jes 6) - unsere (geistigen) Augen bedecken und in den himmlischen Lobgesang (Sanctus) einstimmen (Str. 6). Das Lied schließt mit der Bitte: „Was wir auff Erden nicht verstehn/ Gib daß wir das im Himmel sehn“ (Str. 7). - Durch das Lied gewannen die Katechese-Besucherinnen und -Besucher eine erste, wenn auch begrenzte, Vorstellung von der Trinität. Diese Vorstellung konnte in der Stunde selbst dann vertieft und erweitert werden. Exkurs: Ein „Gärtlein“ In der Jesuiten-Bibliographie von De Backer / Sommervogel werden vier Werke angeführt, die „en allemand“ publiziert worden seien; vor allem die ersten beiden sollen hier näher betrachtet werden: 1. Puer Bethleemiticus, et Jubileum Natalitium cantu et rythmo eleganti. Coloniae, 12° 2. Hortulus Cantionum selectarum in usum totius anni, Herbipoli, typis Volmari, 1622, 12°. 87 Diese Titel (allerdings ohne Orts-, Verlags- und Jahresangabe) finden sich bereits in der „Bibliotheca Scriptorvm Societatis Iesv“ von 1643 88 sowie in weiteren Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 57 <?page no="58"?> reparatae salutis M.DC.XL.II editorum concinnata & illustrium virorum elogiis adornata, Antwerpen 1643, 493. Dort wird jedoch nichts zur Sprache gesagt, in der die Büchlein verfasst sind. Dass sie auf Deutsch seien, findet sich etwa in: Compendiöses Gelehrten=Le‐ xicon, Darinnen Die Gelehrten, als Fürsten und Staats=Leute, die in der Literatur erfahren, Theologi, Prediger, Juristen, Politici, Medici, Philologi, Philosophi, Historici, Critici, Linguisten, Physici, Mechanici, Mathematici, Scholastici, Oratores und Poëten, so wohl männals weiblichen Geschlechts, welche vom Anfang der Welt grösten theils in gantz Europa biß auf jetzige Zeit gelebet, und sich durch Schrifften oder sonst der gelehrten Welt bekant gemacht, an der Zahl über 20000. nach ihrer Geburth, Absterben, vornehmsten Schrifften, Leben und merckwürdigsten Geschichten, aus denen glaubwürdigsten Scri‐ benten, die man jedesmahl fleißig angemerckt, kurtz und deutlich nach Alphabetischer Ordnung beschrieben werden, Denen Liebhabern der Historie der Gelehrten, und andern curieusen Personen zu nützlichen Gebrauch zum Druck befördert, Nebst einer Vorrede He., D. Joh. Buchhard Menckens, Leipzig 1715, 1098. 89 Z.B. Henning W I T T E , Diarium Biographicum, Quo Eruditorum cuiusvis gentis & generis, huius seculi virorum, Vitae & Scripta, Juxta anni, mensis & diei emortualis seriem. Breviter recensentur, Danzig 1688, unpag. (31. Okt. 1637); Friedrich Mathias D R I V E R , Bibliotheca Monasteriensis sive notitia de scriptoribus Monasterio-Westphalis, Münster i.W. 1799, 78. 90 Z.B. R I B A D E N E I R A - A L E G A M B E , Bibliotheca (wie Anm. 88), 492. 91 Für die Übersetzung sei Alexander Zerfaß herzlich gedankt. - De Backers notieren in Klammern nach diesem Satz „Sotwel.“ In Nathanael Southwells Neuausgabe der Bibliogra‐ phie von R I B A D E N E I R A - A L E G A M B E (wie Anm. 88), die 1676 in Rim erschienen ist, werden (S. 857) aber auch nur die lateinischen Titel genannt (ohne Jahr, Verleger oder Angaben zur Sprache). Nachschlagewerken des 17. und 18. Jahrhunderts. 89 Es handelt sich offenbar um lateinische Kurztitel für deutschsprachige Publikationen (Spees Trutz-Nachti‐ gall beispielsweise wird als „Luscinia Germanica“ zitiert 90 ). Daher scheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass sich hinter dem „Puer Bethleemiticus“ das „Allerschönste Kind in der Welt“ (also *Würzburg 1622) verbergen könnte, und hinter dem „Hortulus“ das „Herbipolis Wurtzgärtlein. Oder Würtzburger Lustgärtlein […] Das ist/ Allerley Catholische Gesäng/ von Pfingsten biß zum Aduent/ etc. vnd durch das gantze Jahr zu singen“ (also *Würzburg 1621). Dieses Büchlein ist bei Volmar in Würzburg erschienen, allerdings 1621 (und nicht, wie beim „Hortulus“ angegeben, 1622). Beim „Hortulus“ ist zudem vermerkt: „Qui libellus a variis excerptus alibi recusus est“, also: „Dieses Büchlein, aus verschiedenen [Quellen] exzerpiert, wurde andernorts nachgedruckt“. 91 Dass es aus verschiedenen Quellen exzerpiert worden sei, kann natürlich bedeuten, dass die Lieder aus älteren Sammlungen zusammengestellt wurden. Das würde auf *Würzburg 1621 nur teilweise zutreffen, da es auch viele neue Gesänge enthält und ältere oft in neuer Fassung erscheinen. Der Hinweis auf die verschiedenen Quellen könnte sich jedoch, falls tatsächlich *Würzburg 1621 gemeint ist, auch auf die (lateinischen) Verweise aus theologischer 58 Andrea Ackermann <?page no="59"?> 92 Auf D R I V E R S Bibliographie Münsteraner Werke von 1799 (s. Anm. 89) geht die Angabe bei D E B A C K E R - S O M M E R V O G E L (wie Anm. 87), 1117, zurück, dass das Büchlein „mehrmals bei Köerding in Münster gedruckt“ wurde („impressus variis vicibus abpud Köerding Monasterii“ [dt. Übers.: Alexander Zerfaß]). Dabei scheint es sich jedoch um eine nicht zutreffende Identifikation zu handeln. Johann Joachim Koerdinck hatte 1735 die Offizin der Raesfeldt’schen Erben übernommen (vgl. David L. P A I S E Y , Deutsche Buchdrucker, Buchhändler und Verleger 1701-1750 [Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 26], Wiesbaden 1988, 139) und damit auch deren Gesangbuchproduktion: „Catholisch Ge‐ sang=Buch, Darinnen Viel alt= und newe geistreiche Lieder und Psalmen Auff alle Zeiten des gantzen Jahrs. Anjetzo wieder zum Truck gebracht, und mit dem gülden ABC, auch einigen anderen Gesängen vermehret. Münster in Westphalen, Getruckt vormahl bey Raeßfeldt, nun Kördinck. Im Jahr 1741“ (Angaben nach B III 178). Dieser Neuausgabe (nicht aber den älteren) ist teilweise ein Gebetbuch vorgebunden, das den Titel „Geistliches Seelen=Gärtlein“ trägt. Offenbar hatte Driver dieses Gebetbuch (samt angebundenem Gesangbuch, das jedoch ein separates Titelblatt besitzt) als Klinckarts „Hortulus“ identifiziert, was allein schon aus chronologischen Gründen nicht haltbar ist und auch inhaltlich nicht passt, handelt es sich beim „Seelen=Gärtlein“ doch um eine Gebetssammlung, nicht um Lieder. (Nebenbei sei bemerkt, dass auch die Münsteraner Gesangbücher Lieder rezipieren, die sich in *Würzburg 1621 und 1622 finden.) 93 Dietz-Rüdiger M O S E R , Verkündigung durch Volksgesang. Studien zur Liedpropaganda und -katechese der Gegenreformation, Berlin 1981, 26, verwechselt einiges. So schreibt er den „Hortulus“ dem fast eine Generation jüngeren Johannes Heringsdorf SJ (1606- 1665) zu und dessen „Psalteriolum“ dafür Klinckart. Außerdem schließt Moser aus der Angabe bei D E B A C K E R - S O M M E R V O G E L (s. Anm. 87), dass auch das Weihnachtslieder‐ büchlein 1622 erschienen sei. 94 Vgl. D E B A C K E R - S O M M E R V O G E L , Bibliothèque (wie Anm. 87), 1117; W I T T E , Diarium (wie Anm. 89), unpag. (31. Okt. 1637); Compendiöses Gelehrten-Lexicon (wie Anm. 88), 1098 (und Nachfolgewerke); D R I V E R , Bibliotheca (wie Anm. 89), 78. - Für diesen Beitrag konnten aus Zeitgründen und wegen beruflicher Verpflichtungen, die keine Literatur beziehen, die bei einer Reihe von Gesängen angegeben sind. *Würzburg 1621 bietet quasi verdichtete Exzerpte für den Katechismusunterricht. Der bei De Backer/ Sommervogel erwähnte „Nachdruck“ läge mit *Köln 1623 vor, das die Lieder aus beiden Würzburger Büchlein (und noch einige mehr) zusammenfasst. 92 - Leider war nicht herauszufinden, aus welchen Quellen De Backer/ Sommervogel die Detailinformationen zu diesen Büchlein haben, ob sie möglicherweise einen Erscheinungsort (Köln/ Würzburg) und eine Jahresangabe (1622 statt 1621) ver‐ wechselt haben könnten, oder ob sie selbst bereits Informationen, die zu *Würzburg 1622 gehören, auf den „Hortulus“ übertragen haben. Bei den beiden zitierten Liedsammlungen, „Puer“ und „Hortulus“, ist seit 1643 auch der Verfasser angegeben - allerdings nicht Friedrich Spee, sondern der aus dem Bistum Trier (wohl aus Bernkastel) stammende Jesuit Petrus/ Peter/ Pierre Klinckart (1580-1637). 93 Klinckart trat - offenbar in Rom, wo er studierte - 1611 in die Gesellschaft Jesu ein und wirkte als Prediger in Köln, Münster, Würzburg, Baden(-Baden) und Trier. Er starb im Oktober 1637 in (Bad) Kreuznach. 94 Es Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 59 <?page no="60"?> Reisen erlaubten, leider keine Archivrecherchen zu Klinckart angestellt werden. Die Verfasserin hofft, dies zu einem späteren Zeitpunkt noch nachholen zu können. 95 Zum Folgenden vgl. A C K E R M A N N , Trinitätslieder (wie Anm. 62), 22-24. 27-31; zum Lied vgl. auch den Liedkommentar zur Aufklärungs-Neufassung: Andrea A C K E R M A N N - Matej P O D S T E N Š E K (zur Mel.), Gott Vater, sei gepriesen, in: Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Ansgar F R A N Z - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022, 643-651. 96 Möglicherweise geht diese Kürzung auf die erste Auflage des ebenfalls in Köln, jedoch bei Gerhard Grevenbroich gedruckten Gesangbuchs *Andernach 1608 zurück, die 1605 oder 1606 erschienen ist; von der Erstausgabe ist kein Exemplar erhalten. Die 2. Auflage von 1608 gibt sich laut Vorwort als „gemehrt/ vnd gebessert“ aus (vgl. dazu auch die Ausführungen Härtings in: Das Andernacher Gesangbuch [Köln 1608]. Faksimiledruck. Mit einem Nachwort herausgegeben von Michael H Ä R T I N G [Denkmäler rheinischer Musik 13], Düsseldorf 1970, IV). Die fünfstrophige Fassung von Gelobt sei Gott, der Vater könnte also auch erst in der zweiten Auflage des Andernacher Buchs aus *Köln 1607 hinzugefügt worden sein. Anders als im Kölner Büchlein steht das Lied in *Andernach 1608 jedoch bei den „Gesäng in der Creutzwoch“ [Kopftitel], fungierte also als Prozessionslied. Das Initium wurde leicht modifiziert: Gelobet sei der Vater. wäre interessant zu wissen, wann genau er in welchem Kolleg tätig war - und ob er womöglich sogar Friedrich Spee kannte und mit ihm Lieder austauschte; die beiden weisen mit Köln, Würzburg und Trier immerhin drei gemeinsame Wirkungsorte auf. Wie auch immer sich Klinckarts Büchlein zu *Würzburg 1621 und 1622 ver‐ halten mögen (oder auch nicht) - mit ihm ist ein weiterer Jesuit der rheinischen Provinz namentlich bekannt, der ebenfalls im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts deutsche Kirchenlieder dichtete. Möglicherweise sind auch Klinckarts Lieder in Gesangbücher der rheinischen Provinz (und darüber hinaus) eingegangen. Vor diesem Hintergrund müsste die Zuschreibungsfrage wohl in manchen Fällen noch einmal neu gestellt werden. 6 Zum „Beschluß“ 6.1 … in *Köln 1607 und den frühen Brachel’schen Gesangbüchern Das letzte Lied in *Köln 1607 trägt die Überschrift „Beschluß“, was sehr wahr‐ scheinlich auf seine Verwendung hinweist: Es beschloss die Katechese-Stunden. Als Nebeneffekt stellt es zugleich den Abschluss des Gesangbüchleins dar. Gelobt sei Gott, der Vater 95 ist erstmals (mit 33 Strophen) in *München 1586 als Lied für die Wallfahrt nach Andechs belegt und wurde schon bald auf andere Gnadenorte adaptiert (in *Köln 1599 für das Bistum Speyer wird es auf Waghäusel gesungen). In *Köln 1607 findet sich eine auf die Kopfstrophe mit dem trinitarischen Lobpreis sowie die vier letzten Strophen gekürzte Fassung. 96 Die anamnetischen Strophen, 60 Andrea Ackermann <?page no="61"?> 97 Diese Auflage war leider nicht erreichbar. Aus der Beschreibung von Härting geht zwar nicht eindeutig hervor, dass die Bußpsalmen nach Gelobt sei Gott, der Vater angefügt wurden, die von ihm mitgeteilten Seitenangaben und die Beobachtung, dass auch in *Köln 1619 die Bußpsalmen nach dem „Beschluß“-Gesang stehen, legt jedoch nahe, dass dies auch schon in der Ausgabe von 1612/ 13 so war (vgl. H Ä R T I N G , Bibliographisches zum Brachelschen Gesangbuch [wie Anm. 1], 44f.) - Von der Ausgabe aus dem Jahr 1615 war kein Exemplar ermittelbar; auch Härting stand keines zur Verfügung. 98 In *Köln 1619 sind die Bußpsalmen durch Beginn einer neuen Seite von dem Be‐ schluss-Gesang abgesetzt. 99 Der Kopftitel „Catholische Gesäng | von der H. Dreyfaltigkeit“ deutet darauf hin, dass man das Lied inzwischen verstärkt als Trinitätslied und nicht als Schluss-Gesang wahrgenommen hat. Diese Tendenz verstärkt sich bei *Vogler 1625. In den späteren Ausgaben des Brachel’schen Gesangbuchs, *Köln 1625 und *Köln 1628, sind dann die Lang- und die Kurzversion von Gelobt sei Gott, der Vater nacheinander bei den Wallfahrtsgesängen eingeordnet. die die Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zu den Ereignissen am jeweiligen Wallfahrtsort Revue passieren lassen, sowie die Bitte um Stärkung des Glaubens und um Schutz, um Gottes- und Nächstenliebe sowie um Erleuchtung der Chris‐ tenheit (und besonders ihrer Priester) und die Fürbitte für die Obrigkeit wurden weggelassen. Mit nur mehr fünf Strophen hat das Lied auch eine für den Abschluss der Katechismus-Stunde passende Länge (in diesem Kontext werden ja bei weitem nicht so viele Verse benötigt wie bei einer Prozession oder Wallfahrt). In *Köln 1607 folgt nun (passend zur gegenreformatorischen Ausrichtung der Katechese) auf die trinitarische Eingangsstrophe eine Bitte um Ausrottung von „Ihrthumb vnd Ketzerey“, um die daraus resultierende Einheit der Christenheit in Bekenntnis und Liturgie („Damit bei Christen leuthen/ Ein Glaub vnd Gottsdienst sey“) und um Vermehrung des Glaubens (Str. 2). „Fürsten vnd Herren“ mögen den „Erbfeind“ vertreiben und Gott möge sein Volk vor „Auffruhr/ Mord vnd Krieg“ behüten (Str. 3). Gott solle „vnser Sünd“ nicht durch „Pestilenz vnd gebrechen/ Noch thewre hungers noth“ vergelten, sondern stattdessen „auß aller noth“ helfen (Str. 4). Die Schlussstrophe ist dem Ende des Lebens gewidmet: Es wird um „würdig[en]“ Empfang des Viaticum gebeten, das den Weg in den Himmel eröffnet: „Daß wir kommen zusammen/ Dort in der Engelschar“. Der Katechismus-Unterricht endete also mit einem Lobpreis der Heiligen Dreifaltigkeit und einer Bittlitanei. Gelobt sei Gott, der Vater beschließt auch die ein Jahr später - nun bei Peter von Brachel - erschienene, leicht veränderte Neuauflage des Büchleins. Seit der Auflage von 1612/ 13 wurden am Ende des Büchleins die sieben Bußpsalmen hinzugefügt, 97 die sich ebenso - dann allerdings mit Noten - auch in der Ausgabe von 1619 finden. 98 Vor diesen und nach den Heiligenliedern steht der „Beschluß Gesang zu der Heyligen Dreyfaltigkeit“. 99 *Köln 1619 enthält zusätzlich in der Rubrik „bey den Creutzg[ängen] vnd Wallfarten“ (Kopftitel) das vielstrophige Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 61 <?page no="62"?> 100 *Erfurt 1622, „eine Kompilation aus verschiedenen Gesangbuchdrucken“ (H A M A C H E R , s.-u., 311), bringt zwar Fassung und Überschrift wie *Köln 1619 („Beschluß Gesang/ zu der heiligen Dreyfaltigkeit“), rubriziert ist das Lied aber „bey Creutzg[ängen] vnd Wallfahrten“ [Kopftitel]. Interessant ist, dass man im 1615 gegründeten Erfurter Jesuitenkolleg (Erfurt gehörte damals zum Kurfürstentum Mainz) zwar das Lied samt Überschrift übernahm, aber offenbar die Praxis, es zum Abschluss der Katechese-Stunde zu singen, nicht kannte. Zum Buch vgl. Theo H A M A C H E R , Ein Erfurter Gesangbuch von 1622, in: Musica Sacra 87 (1967), 309-311. 101 Dass in Würzburg gerade 1621 und 1622 Gesangbüchlein für den Katechismus-Unter‐ richt entstanden, könnte damit zu tun haben, dass Fürstbischof Johann Gottfried von Aschhausen 1620 den Katechismus-Unterricht an Sonntagnachmittagen für alle Pfarr‐ kirchen verpflichtend vorschrieb; wo die Jesuiten die Katechese nicht übernahmen, war es Aufgabe der Pfarrer (vgl. Winfried R O M B E R G , Die Würzburger Bischöfe von 1617 bis 1684 [Germania Sacra Dritte Folge 4 = Das Bistum Würzburg 7], Berlin 2011, 106). Es war nach diesem Erlass damit zu rechnen, dass Liedsammlungen für die katechetische Unterweisung stärker nachgefragt werden würden. 102 Das Lied ist hier mit Noten abgedruckt. Die Melodie ist ediert in: S P E E , Die anonymen geistlichen Lieder, hg. v. H Ä R T I N G unter Mitarbeit von V A N O O R S C H O T (wie Anm. 3), 139. Wallfahrtslied Gelobt sei Gott, der Vater - wie in seinem wahrscheinlichen Erstdruck *München 1586 in der Fassung für Andechs (und nicht, wie in *Köln 1599, für Waghäusel). 6.2 Die Würzburger Neufassung Die fünfstrophige Fassung von Gelobt sei Gott, der Vater wird zwar breiter rezipiert, doch ist das Brachel’sche Reihengesangbuch, beginnend mit *Köln 1607, lange Zeit das einzige, in dem es als „Beschluß“-Gesang verwendet wird. 100 Dieses Schlusslied scheint wohl (zunächst) eine Eigenart der Kölner Katechese-Stunden gewesen zu sein. Diese Kölner Tradition dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit der (oder die) für *Würzburg 1621 101 Verantwortliche(n) gekannt haben. Diese explizit für die Katechese bestimmte Sammlung enthält als letztes Lied eine (ebenfalls fünfstro‐ phige) Neufassung des Liedes, mit der eindeutigen Überschrift „Beschluß der Kinderlehr“: *Köln 1607: „Beschluß.“ *Würzburg 1621: „Beschluß der Kinderlehr.“ 102 1. GElobt sey Gott der Vatter/ In seinem höchsten Thron/ Vnd auch der Seligmacher/ Sein eingeborner Sohn/ Gelobet sey auch der Tröster/ 1. GElobt sey Gott der Vatter/ In seinem höchsten Thron/ Vnd auch der Seligmacher/ Sein eingeborner Sohn/ Gelobt sey auch der Tröster/ 62 Andrea Ackermann <?page no="63"?> Der lebend machend Geist/ Der einige Gott vnd herrscher/ Die höchst Dreifältigkeit. Kyrie eleyson. - Der lebendmachend Geist/ Der einig Gott vnd Herscher/ Die Dreyheit allermeist. Kyrie Eleyson. 2. O Gott du wollst außreutten/ Ihrthumb vnd Ketzerey. Damit bey Christen leuthen/ Ein Glaub vnd Gottsdienst sey/ Verleyh Fürsten vnd Herren/ Der gantzen Christenheit/ Daß sie den Glauben mehren/ In fried vnd einigkeit/ Kyrie eleyson. - 2. O Gott! wöllest außreuten Irrthumb vnd Ketzerey/ Damit bey allen Leuten Der Glaub ohn Irrthumb sey: Den Glauben helff vermehren Auff Erden weit vnd breit/ Daß alle dich recht ehren/ Nun vnd in Ewigkeit. Kyrie/ etc. 3. Gib daß sie sich verleiben/ Mit Macht/ Leib/ Ehr vnd Gut/ Den Erbfeind zuuertreiben/ Rächen vnschuldigs Blut/ Weiter wir/ Herr/ dich bitten/ Durch dein sehr grosse lieb/ Du wollest vns behüten/ Vor Auffruhr/ Mord vnd Krieg/ Kyrie=eleyson. - 3. Helff alle Päß versperren/ Türckischer Krafft vnd Macht: Verleyh Fürsten vnd Herren Den Sieg in aller Schlacht. Dem Keyser triumphieren Helff in dem gantzen Reich/ Glückseliges regieren/ Gib allen Fürsten gleich. Kyrie/ etc. 4. Wolst vnser Sünd nit rechen/ Getrewer Herr vnd Gott/ Durch Pestilentz vnd gebrechen/ Noch thewre hungers noth/ In disen vnsern nöthen/ Erhör vns lieber Gott/ Darumb wir dich jetzt bitten/ Hilff vns auß aller noth. Kyrie eleyson. - 4. Gib daß wir alle halten Dein heyliges Gebott: Gib daß wir vns nicht spalten/ Von dir O trewer Gott. Gib daß wir glaubig bleiben Biß zu dem letsten Endt/ Vnd laß vns nicht ableiben Ohn alle Sacrament. Kyrie/ etc. 5. Gib daß wir würdig niessen/ Das heilig Sacrament/ Wann wir von hinnen müssen/ In vnsrem letzten endt/ Daß wir kommen zusammen/ Dort in der Engel schar/ Wer das begert sprech Amen/ Das werde alles war/ Kyrie eleyson. 5. Gib daß wir selig werden Durch deine grosse Gnad/ Gib daß vns nichts auff Erden An Leib vnd Seelen schad; Durch deine grosse Güte/ Kranckheit vnd Krieg auffheb; Die Frücht im Feld behüte/ Zuletzt dich selber geb. Kyrie/ Eleyson. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 63 <?page no="64"?> 103 Vgl. Ronny B E I E R , Art. Aschhausen, Johann Gottfried Freiherr von, in: Biographisch-Bi‐ bliographisches Kirchenlexikon 24, Hamm 2005, 119-135. 104 Vgl. dazu auch den Hinweis auf plündernde osmanische Freischärler bei Antje B R Ä C K E R , Friedrich Spee, der (islamische) Orient und die Türken. Die religiöse Bewältigung des Fremden, in: Spee-Jahrbuch 16 (2009), 7-22, hier: 15f. Während in der Kölner Version die Strophen 2 und 3 verzahnt sind (die „Fürsten“ aus Str. 2 werden in 3 wieder aufgegriffen), sind die Strophen 2 und 3 der Würzburger Fassung jeweils einem einheitlichen Thema gewidmet: Bewahrung des Glaubens (Str. 2) und Schutz des Landes (Str. 3). Interessant ist, dass die Ausrottung der Ketzerei (und der Ketzer) nun allein in Gottes Hand gelegt wird und nicht „Fürsten vnd Herren“ für die Vermehrung des Glaubens mit verantwortlich gemacht werden (stattdessen soll ihnen nun der „Sieg in aller Schlacht“, Str. 3, gewährt werden, also Erfolg in weltlichen Angelegenheiten). Ob man unter Fürstbischof Johann Gottfried von Aschhausen, der ein großer Befürworter der Hexenverfolgung war (die Zahl der Hexenprozesse nahm ab 1617 in Würzburg stark zu 103 ), allzu deutlich vor Augen hatte, was passierte, wenn sich eine irdische Macht bei der Ausrottung von „Irrthumb“ zu eifrig engagierte? Auch die dritte Strophe ist so umgestaltet, dass nicht mehr die Fürsten mit aller Macht den „Erbfeind“ vertreiben und Unschuldige „rächen“, sondern Gott der letztverantwortliche Akteur bleibt. Nicht Gewalt und Vergeltung stehen im Vordergrund, sondern Hilfe beim Schutz des Landes („Helff alle Päß versperren“ 104 ) und Hilfe zum Sieg, nun ausdrücklich mit Bezug auf den „Keyser“ (auch als Exponent der katholischen Seite im beginnenden Dreißigjährigen Krieg). Des Weiteren wird darum gebeten, dass alle Fürsten „glückselig“ regieren können, was weniger das persönliche Glück des Herrschers meint, sondern Fürsorge und Wohlfahrt für das ganze Land. In diesem Lied wird nun der „Erbfeind“ (Str. 3) konkretisiert, und zwar - zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, von dem Würzburg zu dieser Zeit (von Soldaten-Aushebungen abge‐ sehen) allerdings noch weitgehend verschont blieb - überraschenderweise nicht in Bezug auf die Protestantische Union, sondern mit den (nichtchristlichen) „Türck[en]“. Man hätte diese Strophe, zumal in der vorigen von Ketzerei die Rede war, auch leicht zu einer Bitte für die Katholische Liga umgestalten können. Doch das tut der Dichter nicht. Durch die Füllung dieser Leerstelle mit den „Türck[en]“ ist ausgeschlossen, die frühere „Erbfeind“-Strophe auf eine der aktuellen Kriegsparteien zu singen. Nebenbei erinnert diese Strophe daran, dass trotz des Krieges zwischen Christen die Bedrohung von außen, durch die muslimischen Türken, nach wie vor aktuell war. Zudem bestand die Gefahr, dass der Kriegszustand für Feldzüge in Richtung Mitteleuropa ausgenutzt wurde, 64 Andrea Ackermann <?page no="65"?> 105 1619 war es dem protestantischen Fürsten Gábor Bethlen von Siebenbürgen gelungen, während der kriegsbedingten Abwesenheit des Kaisers nach Wien vorzustoßen und die Stadt zu belagern. Von einem polnischen Heer zurückgeschlagen, verbündete Bethlen sich mit dem Osmanischen Reich, das 1620 ein starkes Heer an die Donau schickte und bei Cecora (Rumänien) das polnische Heer aufrieb (vgl. Osmanisch-Polnischer Krieg 1620-1621, https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Osmanisch-Polnischer_Krieg_1620%E2%80% 931621 [Zugriff am 10.07.2023]). wie sich gerade in den Jahren 1619/ 20 zeigte, als ein siebenbürgisches Heer vor Wien stand und Erinnerungen an die Belagerung Wiens durch die Türken 1529 wachgerufen haben mag. 105 Durch diese Konkretisierung ist das Lied zwar zeitgebundener als der unterschiedlich füllbare Begriff „Erbfeind“, sollte aber noch lange aktuell bleiben (denkt man etwa an die zweite Belagerung Wiens 1683). In den Strophen 4 und 5 werden kürzere, meist zweizeilige, Bitten aneinan‐ dergereiht, in der vierten Strophe, um es mit einer *GL2-Rubrik zu sagen, mit Schwerpunkt „Leben aus dem Glauben“, und dies bis zum Ende (Empfang der Sterbesakramente). Die Schlussstrophe umfasst die Bitten um Bewahrung im irdischen (Schaden an Leib und Seele, Krankheit und Krieg, Ernteausfall) und ewigen Leben (rahmend: „selig werden“ in 5,1; Anspielung auf das Viaticum in 5,8). Die Formulierung „Krieg auffheb“ spiegelt die zeitgeschichtliche Situation, in der der Text entstanden ist: Es wird um Beendigung des Krieges gebeten, nicht um Vermeidung eines solchen. Der Gedanke der alten Liedfassung, dass irdisches Unheil göttliche Strafe für „Sünd[en]“ sei (Str. 4), findet sich in der Neufassung nicht mehr. Statt sich auf menschliche Verdienste (oder Verfehlungen) zu konzentrieren, wird - sogar gedoppelt - an die „grosse Gnad“ (5,2) und die „grosse Güt“ (5,5) Gottes erinnert, aus der allein heraus er irdisches Unheil abwendet und ewige Seligkeit verleiht - sola gratia. 6.3 … und ihre Rezeption 6.3.1 Ein Katechismus mit ausgefeiltem Liedprogramm: *Vogler 1625 Es sind nur zwei Gesangbücher bekannt, die die Würzburger Neufassung rezip‐ ierten, diese beiden sind aber umso bedeutsamer. Zum einen findet sich die neue Version von Gelobt sei Gott, der Vater in dem 1625 in Würzburg erschienenen „Catechismüs In aüsserlesenen Exempeln, kürtzen Fragen, schönen Gesängern […]“ von Georg Vogler SJ (1585-1635). Eine zweite Auflage folgte 1630. Dieser Katechismus mit ausgearbeitetem Liedprogramm wurde, wie *Würzburg 1621 und 1622, bei Johann Vollmar gedruckt und ist aus der zwanzigjährigen Erfah‐ rung Voglers als Katechet erwachsen, wie er selbst in der Vorrede ausführt. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 65 <?page no="66"?> 106 *Vogler 1625, unpag. (unter Nr. X. der Vorrede). 107 Vgl. die Anweisung in *Vogler 1625, S.-637. 108 So wurde die Ausführung zumindest laut Vorrede geübt: „Zum dritten sie täglich im Anfang oder End der Schulen gegen einanderen den Chorū vnd Intercalat mit Versen Singen […]“ (*Vogler 1625, unpag. [unter Nr. XI. der Vorrede]). 109 *Vogler 1625, fol. iiii v (unter Nr. III. der Vorrede). 110 *Vogler 1625, fol. iiii v (unter Nr. IV. der Vorrede). Vogler stammte aus Ehingen an der Donau, hatte in Würzburg studiert und war 1603 in den Orden eingetreten. Die Kiliansstadt, die bis 1626 zur rheinischen Ordensprovinz gehörte, war seine langjährige Wirkungsstätte. Ob Vogler die Kölner Katechese-Tradition aus eigenem Erleben kannte oder nur vermittelt durch *Würzburg 1621, ließ sich nicht herausfinden. Jedenfalls übernahm er die Neufassung von Gelobt sei Gott, der Vater in seinen Kate‐ chismus. Dieser ist mehrteilig. Der erste Teil umfasst die Hauptstücke des Kate‐ chismus, die in Frage- und Antwortform abgefasst sind. Nach jedem Hauptstück folgt dasselbe noch einmal in Liedform (ebenfalls nach Frage-Antwort-Schema). Der zweite Teil wie der vertiefende siebte Teil ist der Katechismus „in Exempeln“, der längere Ausführungen zu einem Thema bietet. Viele Exempel enden mit einem thematisch dazu passenden Gesang, einem „Chorus“. Teil 3 stellt mit dem „KinderJubel“ eine Liedsammlung dar. In der Vorrede erläutert Vogler die Verwendung der Gesänge: Der jeweils zum Thema passende „Chorus“ aus den Exempeln soll „die Wochen hindurch gelernet und geübet [werden] in den Schulen“. 106 Er wird also von den Schul‐ kindern vorgesungen, beschließt die sonntägliche Katechese-Stunde und ver‐ innerlicht noch einmal den neu gelernten Stoff. Die meisten Chori enthalten entweder gleichbleibende Elemente wie Kehrverse, Kehrstrophen oder kurze Rufe (in die die ganze Gemeinde einstimmen konnte) oder ein „Intercalat“, ein eingeschobenes Stück, das mit Noten an anderer Stelle notiert ist. 107 Chorus und Intercalat wurden wohl von zwei Kinderchören im Wechsel vorgetragen. 108 - Die Gesänge im „KinderJubel“ kommen dagegen vor allem vor Beginn der Stunde zum Einsatz: Als unmittelbare Vorbereitung auf die Christenlehre fand in der Kirche eine Wiederholung des bisherigen Stoffes in Kleingruppen durch „Verhörmeister“ und „Lehrmeisterin“ statt. 109 Vogler empfahl, danach (und vor der Eröffnung der Stunde durch den Katecheten) etwas zu singen „entweders auß dem Kinderjubel nach Gelegenheit deß Fests/ oder auß den Hauptstücken deß Catechismi […]“. 110 Obwohl die Lieder aus dem „KinderJubel“ laut Vorrede vor allem zur Eröff‐ nung erklingen sollten, lautet der Untertitel zu diesem Abschnitt: 66 Andrea Ackermann <?page no="67"?> 111 *Vogler 1625, Vorrede, fol. II v -III r . KinderJubel. Catholischer Gesäng/ wie mit den Fried= vnd lobsingenden En= glen/ Engelische Kinder auff dieser Pilger= schafft nach allen Gezeiten deß Jahrs/ am Ende deß Catechismi/ vnd daheim/ verehren sollen die allerheyligste Drey= faltigkeit. Der erste Gesang ist ein deutsches Te Deum, in der Tat ein klassischer Schluss-Gesang (Überschrift: „Das gantze Jahr hindurch“). Dann folgt ein Lied „Von der Allerheyligsten Dreyfaltigkeit“ (Gelobet sei und gebenedeit, Alleluja), dann „Ein anders“, nämlich Gelobt sei Gott, der Vater, das Schlusslied zur Katechese-Stunde in der Kölner Tradition und in *Würzburg 1621, das hier als Trinitätslied bezeichnet wird. Nach einem Vater-Unser-Lied (das ja *Köln 1607 und die Katechese eröffnete) sind die Kirchenjahrs-Gesänge abgedruckt. Möglicherweise beziehen sich einige der Angaben im Untertitel (Dreifaltigkeits‐ lieder für das Ende der Katechismus-Stunde) vor allem auf die ersten drei Gesänge, während die übrigen, wie Vogler im Vorwort beschreibt, eher zu Beginn erklangen. Den Sinn und Zweck der neu gedichteten Lieder beschreibt Vogler in der Vorrede folgendermaßen: […] hab ich newe Gesänger vnd Reyen darumb gemacht/ weil ich gesehen/ daß gar keine Gesänger verhanden/ in welchen der Catechismus mit seinen Außlegungen/ zu dem Ziel/ welcher der Catechist haben soll/ begriffen. Gedachte bey mir selbsten/ es stehe vber die massen lächerlich/ daß etliche ein gantzes Jahr lang zwey oder drey Gesänger der Catechistischen Jugend wollen vorsingen/ die sich auff außgelegte Matery/ so wenig schicken als der arme Judas auff Pfingsten. 111 Vogler wollte also für Abwechslung sorgen, und er wollte Texte haben, die genau zum behandelten Stoff passten. Beides erfüllen die Chori: Statt jede Stunde mit dem Lied Gelobt sei Gott, der Vater zu beenden, erklang nun zum Abschluss ein den Inhalt der Stunde aufgreifender Gesang. Vor Beginn der Katechese war Gelegenheit, (bekannte und beliebte) Kirchenjahreslieder zu singen, die zwar zur jeweiligen, aber doch nicht ganz genau zur an diesem Tag behandelten Materie passten, oder auch Grundgebete wie das Vaterunser in Liedform zu wiederholen. - Damit geht Vogler noch einen Schritt weiter als *Würzburg Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 67 <?page no="68"?> 112 Es fehlt z.B. das Lied zum Würzburger Bistumspatron St. Kilian, dafür sind Lieder zum Ordensheiligen Ignatius von Loyola hinzugekommen. Zum Michaelslied gesellt sich nun auch je eines zu den Erzengeln Gabriel und Raphael (erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird aller drei Erzengel am 29. September gedacht, vorher gab es eigene Gedenktage für Gabriel [März oder Mai] und Raphael [meist im Oktober]). 113 Zum Lied vgl. A C K E R M A N N , Trinitätslieder (wie Anm. 62), 31-35. 1621, das vor allem für passgenaue Lieder zum jeweiligen Feiertag bzw. zur Festzeit sorgte (und mit den lateinischen Anmerkungen Hilfestellungen bot, wie man diese theologisch auslegen und in die Stunde einbeziehen konnte). Beide Sammlungen setzten unterschiedliche Schwerpunkte in ihrem Liedprogramm: Der unbekannte Herausgeber von *Würzburg 1621 hatte vor allem eine stark auf das Kirchenjahr hin ausgerichtete Katechese im Blick; bei Vogler stand dagegen der Katechismus-Stoff selbst im Zentrum und sollte durch darauf zugeschnittene Lieder vertieft werden. Die Anweisungen Voglers zum Einsatzort der Lieder legen jedenfalls nahe, dass auch die Gesänge aus *Würzburg 1621 - wie die im „KinderJubel“ - tatsächlich vor allem zu Beginn der Stunde erklangen. 6.3.2 *Köln 1623 und die späteren Kölner Gesangbücher Das lange verschollene Gesangbuch *Köln 1623 erschien zwar bei Brachel, stellt aber keine Ausgabe des Reihengesangbuchs dar, sondern vereinigt (etwas modifiziert 112 ) *Würzburg 1621 und 1622 sowie zwei weitere Teile „Fasten Gesäng“ (S. 132) und „Oster=Jubel“ (S. 153). Der kalendarische erste Teil beschränkt sich nicht mehr aufs Sommerhalbjahr, sondern führt den Festkalender bis Mariä Verkündigung (25. März) fort. - Als letzter Teil sind unter der Überschrift „ MISCELLANEA . Oder Allerley/ etc.“ Gesänge zu verschiedenen katechetischen Themen (Glaube und gute Werke, verschiedene christliche Tugenden, Todsünden, Ewigkeit) vereint, also Gesänge zu Katechese-Themen an Sonntagen, die nicht durch eine Festzeit oder besonderen Anlass geprägt waren. Obwohl es sich um ein Kölner Gesangbuch handelt, findet sich in *Köln 1623 die Würzburger Neufassung von Gelobt sei Gott, der Vater und nicht die Kölner Version. Das Lied trägt die seine Verwendung eindeutig bezeichnende Überschrift „Beschluß des Catechismi“ und steht fast am Ende des Liedteils. Es folgen nur noch die Lauretanische Litanei, eine Salve-Regina-Übertragung, sowie - wohl als Nachtrag - das Marienlied Alle Tage sing und sage. In *Köln 1623 ist Gelobt sei Gott, der Vater allerdings nicht mehr der einzige Schlussgesang, sondern ihm ist eine neu gedichtete Alternative („Ein anders“) zur Seite gestellt: Wir loben dich, Gott Sabaoth, 113 das auf die gleiche Melodie wie das (textlich und melodisch) ebenfalls neue Osterlied Wir freuen uns, Herr Jesu Christ gesungen wurde. Beide Lieder weisen eine Form auf, die auch 68 Andrea Ackermann <?page no="69"?> in *Köln 1607 häufiger anzutreffen ist und unkompliziertes Mitsingen aller Anwesenden erlaubt: Die Strophen bestehen aus zwei paargereimten Zeilen, zwischen denen ein „Kyrie“-Ruf eingeflochten ist und auf die ein „Alleluia“ samt einfachem Kehrvers („Gelobet sey Gott vnd Maria“) folgt. Die Melodie zeigt an, dass dieser Kehrvers wiederholt wird, möglicherweise also nach jeder Strophe erst vor- und dann von allen nachgesungen wurde. Mit nur vier Strophen ist das Lied sehr kurz, also offenbar für genau diesen Zweck geschaffen und als Prozessionsgesang trotz entsprechender Form eher ungeeignet. Melodie: *Köln 1623, fol. 172 (Übertragung, Notensatz und Textunterlegung: Matej Podstenšek) WIr loben dich Gott Sabaoth/ Kyrie eleison. In drey Personen einen Gott. Alleluia, Gelobet sey Gott vnd Maria. 2. Gott Vatter in den höchsten Thron/ Kyr.&c. Dich loben wir sampt deinen Sohn. Alleluia,&c. 3. Gott heyliger Geist gleicher weiß/ Kyr.&c. Dich ehren wir mit Ehr vnd Preiß. Alleluia,&c. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 69 <?page no="70"?> 114 Zum Te Deum vgl. Ansgar F R A N Z , Großer Gott, wir loben dich, in: D E R S . - K U R Z K E - S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 62), 422-429, sowie die dort angegebene Literatur. 115 Detailnachweise bei A C K E R M A N N , Trinitätslieder (wie Anm. 62), 33. 116 Wir loben dich fehlt in allen drei späten Ausgaben des Brachel’schen Gesangbuchs im Register. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Lied eine Sonderrolle als Schlusslied einnahm. - In *Köln 1628 sind neu hinzugenommene Lieder an anderer Stelle eingefügt, sodass Wir loben dich in der Schlussposition blieb. In *Köln 1634 wurde jedoch am Ende ein neues Lied zu Maria Magdalena (Jesu Vater des ewigen Lichts) angefügt. 4. O Heyligste Dreyfaltigkeit/ Kyr.&c. Beschütz die gantze Christenheit. Alleluia,&c. Als Schlussgesang wurde nun statt der mit einer Doxologie eröffneten Bittlitanei Gelobt sei Gott, der Vater eine entfaltete Schlussdoxologie mit nur einer Bitte gewählt. Doch handelt es sich bei Wir loben dich nicht einfach um eine verdichtete trinitarische Doxologie, sondern vielmehr um eine knappe Zusammenfassung des Te Deum. 114 Darauf weist etwa die Anrede „Gott Sabaoth“ hin. Auch lassen sich textliche Anleihen bei der auf *Leisentrit 1567 zurückge‐ henden Te-Deum-Übertragung Dich, Gott, wir loben und ehren ausmachen, die im gemeinsamen Kehrvers („Gelobet sey Gott vnd Maria“) gipfeln. 115 Diese Übertragung findet sich beispielsweise im Quentel’schen Gesangbuch (*Köln 1599 und spätere Auflagen) sowie ab *Köln 1625 auch im Brachel’schen; eine überarbeitete Version bietet *Vogler 1625. Dort ist das Lied, wie bereits erwähnt, als Schlussgesang nach der Katechese vorgesehen. Ein deutsches Te Deum war als Abschluss des Katechismus-Unterrichts also nicht unüblich. In Köln wählte man statt des ganzen feierlichen Hymnus eine stark gekürzte Fassung. Dieser neue Schlussgesang setzte sich gegenüber dem älteren Schlusslied mit seinen teilweise recht zeitbezogenen Bittstrophen durch. In den späteren Aus‐ gaben des Brachel’schen Reihengesangbuchs (*Köln 1625, *Köln 1628 und *Köln 1634) ersetzt Wir loben dich das frühere Gelobt sei Gott, der Vater als Gesang am Ende; Gelobt wandert stattdessen in die Rubrik mit den Wallfahrtsliedern. Die Te-Deum-Kurzfassung trägt nun die Überschrift „Beschluß Gesang“ und schließt nicht nur die Katechese-Stunde (und ggf. andere Feiern und Veranstaltungen), sondern auch das Gesangbuch. 116 Ausgehend von den Liedern zum „Beschluß“ des Brachel’schen Reihengesangbuchs einschließlich der Erstauflage *Köln 1607 entwickelte sich offenbar ein Bewusstsein dafür, ein Gesangbuch als 70 Andrea Ackermann <?page no="71"?> 117 Die Erstauflage von 1637 ist verschollen, eine spätere zeitnahe war für diesen Beitrag nicht erreichbar. Die geänderte und deutlich erweiterte Ausgabe *Mülheim [1741] enthält den „Beschluß“ nicht (mehr) - doch sie endet mit dem lateinischen Te Deum. 118 *Köln 1638, 448. - Der Text steht in der Notenausgabe jedoch nicht an allerletzter Stelle, ihm folgt noch „Ein gar anmuotige Melodey“ zu Gleich früh, wann sich entzündet, die als Alternative zu der im Buch abgedruckten offenbar in letzter Sekunde hinzugekommen war und eine Art Anhang darstellt. Gesamtkomposition mit entsprechendem Schlusspunkt zu gestalten. Einen „Beschluß“ weist dann auch der „Geistliche Psalter“ (*Köln 1638) auf, die Großdruckausgabe mit Noten zum 1637 erschienenen „Geistlichen Psälterlein“, einem der auflagenstärksten Gesangbücher überhaupt. 117 Allerdings handelt es sich diesmal nicht um ein Schlusslied, sondern um einen Prosa-Text, der nun eindeutig als Schluss des Gesangbuchs konzipiert ist: Beschluß. GEh jetz Psalter/ vnd erfüll alle Hertzen durch die gantze Welt mit dem Lob der Allerheiligsten Dreyfaltigkeit/ der Himmel vnd Erden Königin Mariae/ vnd der gan= tzen heiligen Bürgerschafft des Himmli= schen Jerusalems von nun an biß in Ewigkeit. AMEN . 118 Anhang: Chronologisches Verzeichnis der genannten Gesangbücher *Leisentrit 1567 Geistliche Lieder vnd Psalmen/ der alten Apostolischer recht vnd warglaubiger Christlicher Kirchen/ so vor vnd nach der Predigt/ auch bey der heiligen Comm‐ union/ vnd sonst in dem haus Gottes/ zum theil in vnd vor den Heusern/ doch zu gewönlichen zeitten/ durchs gantze Jar/ ordentlicher weiß mögen gesungen werden/ Aus klarem Göttlichem Wort/ vnd Heiliger geschrifft Lehrern (Mit vorgehenden gar schönen vnterweisungen) Gott zu lob vnd ehre/ Auch zu er‐ bawung vnd erhaltung seiner heiligen allgemeinen Christlicher Kirchen/ Auffs fleissigste vnd Christlichste zusamen bracht. Durch Johann: Leisentrit von Olmutz/ Thumdechant zu Budissin etc. […] Cum Gratia & Priuilegio. (DV am Ende: Gedruckt zu Budissin/ durch Hans Wolrab: M.-D.-Lxvii.) Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 71 <?page no="72"?> *Haym 1584 Christenliche Catholische Creutz[=]gesang/ vom Vatter vnser vnnd Aue Maria, von denn zwölff stucken des Apostolischen Glaubens/ etc. Durch einen Ca‐ tholischen Priestern/ Gott zu lob vnd ehr/ vnnd der gemainer lobwürdigen Brůderschafft zum Hayligenberg/ inn vnser lieben Frawen Thůmbstifft inn Aug‐ spurg/ etc. Auch sonst anderen Catholischen Christen zu gůtter wolfart/ wann man mit dem Creutz gehet/ wie auch inn der Kirchen zusingen ist/ inn den Truck gegeben worden. […] Anno 1584. Johann Haym. *München 1586 Gesang vnd Psalmenbuch. Auff die fürnembste Fest durchs gantze Jar/ inn der Kirchen/ auch bey Processionen/ Creutzgäng/ Kirch[=] vnd Wahlfarten nützlich zugebrauchen. Auß den alten approbirten Authorn der Christlichen Kirchen zu gutem in dise Ordnung gebracht. Jedem Lobgesang vnnd Psalmen ist sein gewöhnliche Melodey mit vleiß zugeordnet worden. Mit Geistlicher vnd Weltlicher Obrigkeit bewilligung in Truck verfertigt. 1586. Gedruckt zu München/ Bey Adam Berg. Cum gratia & priuilegio Caes: Maiest. *Köln 1599 Alte Catholische Geistliche Kirchengeseng/ auff die fürnem̅ste Feste/ Auch in Processionen/ Creutzgängen vnd Kirchenfärten: Bey der H. Meß/ Predig/ in Heusern/ vnd auff dem Feld zu gebrauchen/ sehr nützlich/ sampt einem Cate‐ chismo. Auß Beuelch Deß Hochwürdigen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Eberharten Bischouen zu Speir/ vnnd Probsten zu Weissenburg/ etc. in diese ordnung gestelt. Gedruckt zu Cölln/ Durch Arnoldt Quentell. M. D. XCIX. Mit Röm: Keys: Mayest: Priuil: vnd Freiheit. *Konstanz 1600 Catholisch Gesangbüchlein/ in fünff vnderschidliche Theil abgetheilt bey dem Catechismo/ auch fürnemmen Festen/ in Processionen/ Creutzgängen vnd Kirchēfärtē sehr nutzlich zugebrauchen. Sampt zweien Letaneyē/ vom Zarten Fronleichnam Christi/ vnd seiner werden Mutter/ item Psalter Marie/ alles in Gesags weyß gestelt. Cum facultate Superiorum. Getruckt zu Costantz [sic] am Bodensee/ bey Nicolao Kalt. 1600. *Köln 1607 Catholische Kirchen Gesäng/ Auff die Furnemste Fest deß Jahrs/ wie man dieselb zu Cölln bey allen Christlichen Catechistischen Lehren pflegt zu Singen. Gedrůckt zu Cölln/ Bey Paulus von der Elst/ auff dem Eygelstein/ gegen vber der Bussen/ im Jahr M. DCVII. Mit befreyhung eines Erbarn/ Hochweisen Raths nicht nachzudrücken. 72 Andrea Ackermann <?page no="73"?> *Andernach 1608 Catholische Geistliche Gesänge/ Vom süssen Namen Jesu/ vnd der Hochge‐ lobten Mutter Gottes Mariae etc. Von der Fraternitet S. Ceciliae Zu Andernach in Lateinisch vnd Teutsche verß Componirt vnnd Collegirt. Vtriusque sexus parthenicis priuatim & in piis congregationibus, Auch in Bittgängen/ Wal‐ fahrten/ Creutzgängen/ Processionen, Stationen, Gottsdrachten/ Frücht[=] vnd Landsägnungen vnd bey der Kinderlehr zugebrauchen. Gedruckt zu Cölln/ Durch Gerhart Greuenbruch. Anno M.-DC.-VIII. *Köln 1608 Catholische Kirchen Gesäng/ Auff die Furnemste Fest deß Jahrs/ wie man dieselb zu Cölln bey allen Christlichen Catechistischen Lehren pflegt zu Singen. Gedruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ Vnden der Gülgen Wagen [sic]/ im Jahr M. DCVIII. Mit befreyhung eines Erbarn/ Hochweisen Rahts nicht nach zu drücken. *Köln 1619 Catholische Kirchen Gesäng/ auff die Fürnemste Fest deß gantzen Jahrs/ wie mann dieselb zu Cölln/ vnnd anderstwo/ bey allen Christlichen Catholischen Lehren pflegt zu singen. Auß den Alten approbirten Authoren der Christlichen Kirchen/ allen Pfarrherren/ alten Leuthen/ vnd jungen Kindern zu gutem in diese Ordnung gebracht. Jetzo auffs new vbersehen/ corrigirt vnd mit Noten vermehrt worden. Gedruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ vnder der Gülden Wagen/ Im Spiegelberg/ Im Jahr M. DC XIX. Mit Befreyung eines Erbarn Raths nicht nach zu Trucken. *Würzburg 1621 Bellʼ Vedére Oder Herbipolis Wurtzgärtlein. Oder Würtzburger Lustgärtlein. Darin ein Lusthauß. im Lusthauß ein Orgel vnd allerley Mottetti vnd Concerti, Das ist/ Allerley Catholische Gesäng/ von Pfingsten biß zum Aduent/ etc. vnd durch das gantze Jahr zu singen. Mit Hundert vnd Tausent Stimmen/ etc. Getruckt zu Würtzburg/ bey Johan Volmar/ Im Jahr 1621. *Würzburg 1622 Psalm XLIV. תיפיפי ה Il più bello del mondo. Das Allerschönste Kind in der Welt. MARGARITA in Concha, &c. Berl in Goldt/ Die Gottheit in der Menschheit/ etc. ὦ Μυςτήριον Wunder vber Wunder. ad Coloss. I. Gedruckt zu Würtzburg/ bey Johan Volmari/ Im Jahr 1622. *Erfurt 1622 Catholische/ GEistliche Kirchen gesäng/ auff die fürnemsten Festa, Auch in Pro‐ cessionen, Creutzgängen vnd Kirchfährten: Bey der heiligen Meß/ Predigt/ in Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 73 <?page no="74"?> Häusern vnnd auff dem Feld/ sehr nützlich zu gebrauchen. Mit viel schönen andächtigē Weyhnachtgesängen vermehret/ vnd mit Fleiß corrigiert. Gedruckt im Jahr nach der Geburt vnsers HErrn JEsu Christi/ M.-DC.-XXII. *Köln 1623 Außerlesene/ Catholische/ Geistliche Kirchengesäng von Pfingsten/ biß zum Aduent/ etc. Weinacht Jubel / etc. Fastengesäng/ etc. Oster Jubel/ etc. Wal‐ lieder/ etc. Vnd Allerley durch das gantze Jahr zu singen. 1623. Gedruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ vnder gülden Wagen. *Köln 1625 Catholische Kirchen Gesäng/ auff die Fürnembste Fest des gantzen Jahrs/ wie man dieselbe zu Cölln/ vnd anderstwo/ bey allen Christlichen Catholischen Lehren pflegt zu singen. Auß den Alten approbirten Authoren der Catholischen Christlichen Kirchen/ allen Pfarrherren/ alten Leuthen vnd jungen Kindern zu gutem verfaßt. Jetzo auffs new vbersehen/ so viel die Melodey als den Text belangend/ corrigiert/ mit new Gesängen vermehrt/ vnd in ein bestendige Form gebracht. Gedruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ vnder Gülden Wagen/ Im Jahr 1625. Mit Befreyung eines Erbarn Raths/ nicht nach zu drucken. *Vogler 1625 Catechismüs In aüsserlesenen Exempeln, kürtzen Fragen, schönen Gesängern, Reÿmen vnd Reÿen für Kirchen vnd Schülen von newem fleissig aüssgelegt vnd gestelt. Dürch R. P. Georgium Voglerum Engensem der Societet IESV priestern. Würtzburg Beÿ Jahann [! ] Volmari A°. MDCXXV. Cum permissu sup: et priuil. S. Caes. Maies. *Köln 1628 Catholische KirchenGesäng/ auff die fürnembste Fest des gantzen Jahrs/ wie man dieselbe zu Cölln/ vnd anderstwo/ bey allen Christlichen Cathol. Lehren pflegt zu singen. Auß den alten approbirten Authoren der Catholischen Christ‐ lichen Kirchen/ allen Pfarrherrn/ alten Leuten vnd jungen Kindern zu gutem verfast. Jetzo auffs new vbersehen/ so viel die Melodey als den Text belangt/ cor‐ rigiert/ mit new Gesängen vermehrt/ vnd in ein beständige Form gebracht. M. DC. XXVIII. Getruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ vnter der gülden Wagen/ Mit Befreyung eines Ehrnvesten Rhats nicht nach zutrucken. *Köln 1634 Catholische Kirchen Gesäng/ auff die fůrnembste Fest des gantzen Jahrs wie man dieselbe zu Cölln/ vnd anderstwo/ bey allen Christlichen Cathol. Lehren pflegt zu singen. Auß den alten approbirten Authoren der Catholischen Christ‐ lichen Kirchen/ allen Pfarrherrn/ alten Leuten vnd jungen Kindern zu gutem 74 Andrea Ackermann <?page no="75"?> verfaßt. Jetzo auffs new vbersehen/ so viel die Melodey als den Text belangt/ cor‐ rigirt/ mit new Gesängen vermehrt/ vnd in ein beständige Form gebracht. An. M.DC.XXXIV. Getruckt zu Cölln/ Bey Peter von Brachel/ vnder der gülden Wagen. Mit Befreyung eines Ehrnuesten Rhath nit nach zutrucken. *Köln 1638 Geistlicher Psalter in welchem Die außerlesenste alt: vnd newe kirchen[=] vnd hausgesang neben den lieblichsten Psalmen Dauids verfasset seindt. Colln. M-D-C-XXXVIII In verlegung Peter Grevenbruch. *Mülheim [1741] Geistliches Psälterlein P. P. Societ. JESU, in welchem die auserlesensten alten und neuen Kirchen= und Hausgesänge, liebreiche Psalmen Davids, verfasset ist. Diesen letzten Druck von den Patribus mit sonderbarem Fleiß übersehen, und mit anmüthigen und ganz neuen Gesängen und vielen Psalmen vermehret, so seiner Ordnung nach eingesetzt. Gedruckt in Mülheim bei Joh. Georg Schmitz, Buchhändler. *EKG Evangelisches Kirchengesangbuch. Stammausgabe. Kassel 1950. *GL2 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Herausgegeben von den (Erz-)Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen. Stuttgart 2013 [Stammteil]. Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch 75 <?page no="77"?> 1 Für den vorliegenden Beitrag wird folgende Ausgabe verwendet: Gerhard T E R S T E E G E N , Geistliches Blumengärtlein mit der Frommen Lotterie und einem kurzen Lebenslauf des Verfassers. Neue Ausgabe [BG], Stuttgart 1956. 2 Ebd., 591-674; Teil des Blumengärtleins seit der 2. Auflage 1735. 3 D E R S ., Weg der Wahrheit die da ist nach der Gottseligkeit bestehend aus zwölf bey verschiedenen Gelegenheiten aufgesetzten Stücken und Tractätlein, nebst zwey Zugaben [WW], Solingen 4 1768. Digitalisierte Ausgabe: https: / / books.google.de/ book s? id=D-88AAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad =0#v=onepage&q&f=false (Zugriff am 09.03.2023). 4 Vgl. BG, Vorbericht 9, 32. „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ Zur Kindesmetaphorik in Gerhard Tersteegens Lieddichtung Annette Albert-Zerlik Beim Durchgang durch den Gedichtband Geistliches Blumengärtlein von Ger‐ hard Tersteegen (Sigle BG) 1 , der 1729 erschien und in sechs weiteren Auflagen bis 1768 erweitert wurde, stößt man immer wieder auf das Motiv des Kindes. Sowohl Liedtexte als auch Spruchgedichte, etwa in Der frommen Lotterie  2 , zeigen dessen hohen Stellenwert, untermauert durch Ausführungen des Autors in an‐ deren Schriften, insbesondere seinem erstmals 1752 veröffentlichten Hauptwerk Weg der Wahrheit (Sigle WW ) 3 . Schon im Vorbericht des Blumengärtleins ist die Rede vom „einfältigen Herzenskindlein“ als Sinnbild für denjenigen Menschen, der sein ganzes Leben danach ausrichtet, in das „Heiligtum der innigen und ewigen Gemeinschaft Gottes“ einzutreten. 4 Der so akzentuierte geistliche Weg verweist auf Tersteegens Verbindung zum französischen Quietismus, außerdem zur deutschen und spanischen Mystik des Mittelalters beziehungsweise der <?page no="78"?> 5 Zum Einfluss des Quietismus, v. a. durch Peter Poiret, Jean de Bernières-Louvigny und Madame Guyon, sowie der Mystik auf Tersteegens Leben und Werk vgl. z.B. Cornelis Pieter V A N A N D E L , Gerhard Tersteegen. Leben und Werk - sein Platz in der Kirchengeschichte, Neukirchen-Vluyn 1973, 231-235. 251-266; Werner H E H L , Gerhard Tersteegen (Dichter der christlichen Gemeinde), Stuttgart 1986, 29-36; Hansgünter L U D E W I G , Gebet und Gotteserfahrung bei Gerhard Tersteegen (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 24), Göttingen 1986, 311-318; Dietrich M E Y E R , Die Spiritualität des refor‐ mierten Pietismus am Beispiel G. Tersteegens, in: Peter Z I M M E R L I N G (Hg.), Handbuch evangelische Spiritualität 1, Göttingen 2017, 417-437, hier: 424. 6 Auf die Behandlung weiterer liedanalytischer Untersuchungsfelder, z.B. Aspekte der Form, Melodie oder Rezeption, muss im begrenzten Rahmen dieses Beitrags verzichtet werden. 7 BG, Des geistlichen Blumengärtleins drittes Büchlein oder geistliche Lieder und An‐ dachten, 309-590: Nr. 5, 319-325; 6, 325-330; 7, 330-333; 35, 390-392; 36, 392-394; 46, 418-420; 47, 420f.; 48, 421-423; 60, 465-467; 61, 467-469; 62, 469-475; 87, 523f.; 102, 563. 8 Freundlich lockende und treulich warnende Jesusstimme (BG 3,5); Bild der christlichen Kindheit (BG 3,7) und Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu (BG 3,48). Neuzeit, wie sie sich in Schriften zum Beispiel von Meister Eckehart, Johannes Tauler, Teresa von Avila oder Johannes vom Kreuz niederschlägt. 5 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die hermeneutische Frage nach dem Sinn der Kindesmetaphorik, 6 von der 13 Gesänge im dritten Teil des Blumengärtleins (BG 3) 7 fast ausnahmslos vollständig bestimmt sind. Bei deren Sichtung sind drei Ausprägungen erkennbar, die unter den Überschriften „Von Jesus eingeladen“, „Im Schoß der Mutter“ und „Sehnsucht nach dem göttlichen Kind“ zunächst vorgestellt werden (1.1 bis 1.3). Das zweite Kapitel behandelt Aspekte der theologischen und spirituellen Deutung (2.1 bis 2.3). Im Anhang wird entsprechend den Abschnitten von Kapitel 1 jeweils ein exemplarisches Stück in Gänze präsentiert (3.1 bis 3.3). 8 1 Bilder des Kindes in Liedern des Blumengärtleins 1.1 Von Jesus eingeladen Vor allem in zwei Gesängen richtet sich der Blick auf bereits verständige Kinder: • Freundlich lockende und treulich warnende Jesusstimme an die Kinder und Jugend (BG 3,5; Text s.-u. 3.1) • Ermunterungslied für die Pilger (BG 3,62) Der Text des erstgenannten greift explizit auf die neutestamentliche Perikope der Kindersegnung zurück, wie das ihm vorangestellte Zitat zeigt: „Jesus aber rief sie herzu und sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen! “ (Lk 18,16). Insgesamt 22 Strophen geben eine fiktive Rede Jesu wieder, in der er vor den 78 Annette Albert-Zerlik <?page no="79"?> Fallen des „Satans“ warnt (vgl. Str. 4,4-7) und angesichts der Gefahren weltlicher Verlockungen dafür wirbt, sich zu ihm zu kehren, damit sich seine Verheißung des Reichs Gottes erfüllen kann: „Kommt Kinder, kommet her zu mir, ich will euch selig machen! “ (Str. 2,6-7; vgl. Lk 18,16). Die Abkehr von der Welt ist auch Thema des Ermunterungsliedes für die Pilger, jetzt aus Perspektive der Kinder: „Kommt, Kinder, laßt uns gehen … Kommt, stärket euren Mut, zur Ewigkeit zu wandern“ (BG 3,62, Str. 1). Dem inneren Auge bietet sich das Bild eines Pilgerzuges mit Kindern, die das „Kinderspiel am Weg“ nicht beachten (Str. 7,1-2), vom „Vater“ begleitet werden (Str. 11,2) und friedlich „gehen Hand an Hand“ (Str. 14,2). 1.2 Im Schoß der Mutter geborgen Einige Dichtungen fokussieren das sehr kleine Kind, das noch auf die Gebor‐ genheit im Schoß seiner Mutter beziehungsweise seines Vaters angewiesen ist: • Bild der christlichen Kindheit (BG 3,7; Text s.-u. 3.2) • Kindliches Verlangen nach der Offenbarung Jesu im Herzen (BG 3,35) • Zuflucht der Seele unter die Flügel Jesu (BG 3,36) • Die Kinderschule (BG 3,47; Text und Deutung s.-u. 2.3) • Aufmunterung zum Kinderleben (BG 3,60) • Das müde Kind (BG 3,102) Das Lied Bild der christlichen Kindheit beschreibt detailliert ideale Eigenschaften eines Säuglings, der in den Armen seiner Mutter liegt (BG 3,7, Str. 2-16), verbunden mit dem Wunsch, ein solches Kind werden zu können (vgl. Str. 1. 17-18). Ebenso spricht das Gedicht Die Kinderschule vom Säugling, und zwar als Vergleich zum Menschen, der in seinem „Seelengrund“ Einkehr hält (vgl. BG 3,47, Str. 5). Insbesondere stellen jene Gesänge die innige Beziehung zwischen Säugling und Mutter dar, die das Bedürfnis nach Trost und Stärkung thematisieren. Das Lied Kindliches Verlangen nach der Offenbarung Jesu im Herzen drückt dies im Bild des hungrigen und schreienden Säuglings aus: „Ich dürst’ und schrei, ich kann nicht mehr … Denk, Jesu, an mich armes Kind! “ (BG 3,35, Str. 9), ähnlich Strophe 2 von Das müde Kind: „Ach, Mutterherz, drein ich mich senke, nimm ein dein Kindlein und es tränke! “ (BG 3,102). Der Gesang mit dem Titel Zuflucht der Seele unter die Flügel Jesu knüpft an die Klage Jesu über die sich seinem Sammlungsruf verweigernden „Kinder“ Jerusalems an (vgl. Mt 23,37) und greift daraus das Bild des Kükens in seiner Eigenschaft als Nestflüchter auf. Dem entspricht ein Kleinkind, das sich bereits fortbewegen kann, aber noch auf den Schutz der Mutter angewiesen ist. Wie das „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 79 <?page no="80"?> 9 Liedkommentare hierzu unter Berücksichtigung der jeweiligen Originalfassung: Ansgar F R A N Z , Vom Himmel hoch, da komm ich her, in: ders. - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur, Stuttgart 2017, 1104-1109; Alexander Z E R F Aẞ , Ich steh an deiner Krippen hier, in: ebd., 552-560; Ansgar F R A N Z , Zu Bethlehem geboren, in: ebd., 1221-1224. „Küchelein“ folgt es gerne dem Lockruf der Henne: „Ich schrei und kriech’ in deinen Schoß“ (BG 3,36, Str. 6,6). Obwohl das Schoßkind meist in Beziehung zur Mutter erscheint, finden sich auch Texte, die im Vater die Bezugsperson sehen entsprechend dem biblischen Gottesbild als Vater (z.B. Joh 16,27; Gal 4,6; 1 Joh 3,1f.), so die erste Strophe von Aufmunterung zum Kinderleben: „Kommt, laßt uns Kinder werden, … des Vaters Wink und Zügen aufmerken und vergnügen und, wie die Kindlein tun, in seinem Schoße ruhn! “ (BG 3,60). 1.3 Sehnsucht nach dem göttlichen Kind Eine spezielle Gruppe bilden Gesänge, die sich der Betrachtung des göttlichen Kindes widmen: • Tugendspiegel der Kindheit Jesu (BG 3,6) • Das hohe Weihnachtsgeschenk (BG 3,46) • Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu (BG 3,48; Text s.-u. 3.3) • Der schwachen Kinder Trost (BG 3,61) • Christtagserweckung für die Kinder (BG 3,87) Die Lieder spiegeln eine Frömmigkeitsform, die sich beispielsweise in Martin Luthers Vom Himmel hoch (Str. 7-14), Paul Gerhardts Ich steh an deiner Krippen hier oder Friedrich Spees Zu Bethlehem geboren niederschlägt. 9 Die dort jeweils verwendete Ich-Form und direkte Anrede an das Du des Kindes in der Krippe prägen gleichermaßen die Dichtungen Tersteegens. Das Lied Tugendspiegel der Kindheit Jesu intendiert die Angleichung des Ichs an das Jesuskind, ausgedrückt durch die in Strophe 2-11 wiederholte Bitte „Jesu, wie du laß mich werden noch auf Erden“. Am Ende wechselt das Schauen zum Gestus der Umarmung: „Mein Jesu, ich umarme dich, komm, drück dein Kinderbild in mich, laß mich dir ähnlich werden“ (BG 3,6, Str. 13,1-3). Auch in Das hohe Weihnachtsgeschenk (BG 3,46) spricht das Ich, das hier seinen einstigen Zustand in Sünde im Kontrast zu dem der Erlösung reflektiert, zum „Gotteskind“ voller Sehnsucht nach inniger Verbindung. Der Wunsch in der achten Strophe, Jesus zu „umfassen“, steigert sich in der neunten: 80 Annette Albert-Zerlik <?page no="81"?> So komm denn, süßes Kind, du Heiland meiner Seelen! Ich will mich ewig dir verbinden und vermählen; Da nimm mein Herz dir hin und gib dein Herze mir, Daß meine Liebe sich in deiner Lieb’ verlier’! Weitergehend trachtet das Ich danach, sein „arm’s, geringes Herz“ möge zur Krippe des göttlichen Kindes werden (vgl. Str. 10,3-4), und bittet „Mach in dem Stall allhier mich deiner Kindheit gleich“, um das „Himmelreich“ zu erlangen (Str. 11,3-4). Die Kommunikationssituation des Gesangs Christtagserweckung für die Kinder ist zunächst durch einen Aufruf an die Kinder bestimmt, das „Gottkind in der Wiegen“ zu „schauen“, das aufgrund ihrer Sünde „nackt und arm und weinend“ vor ihnen „liegt“ (BG 3,87, Str. 1,4-6), das aber die „Kinder sucht … auf Erden, daß sie seine Engel werden“ (Str. 2,4-5; vgl. Mt 18,10f.; Lk 2,14). Diese sollen sich vor der Krippe niederwerfen und dem Heiland „ihr Herz und alles“ hingeben (vgl. Str. 3). Dass der Akt der Hingabe nur ein persönlicher sein kann, zeigt der Wechsel von der an den „Kinderorden“ gerichteten Anrede (Str. 1-4) zu dem in Ich-Form verfassten Gebet in Strophe 5: Nun, ich will die Welt verlassen Und dich, Himmelskind, umfassen, Das sich gern den Kindern gibt; Jesus, komm, mein Herz ist deine, Mach es still, gebeugt und reine, Mach’s, daß es dich ewig liebt! Einige Liedtexte drücken die Verbindung zu Jesus in gewechselter Perspektive aus: Der oder die Betende möchte selbst als „Schoßkind“ vom göttlichen Kind aufgenommen werden. Zum Beispiel heißt es in Strophe 4 des Liedes Der schwachen Kinder Trost (BG 3,61): Dir will ich mich lassen, Wollst mich ganz umfassen, Ewig wohl bewahr’n. O du Schoß der Liebe, Deinen Zug und Triebe Laß mich tief erfahr’n! Nimm mich ein Und mach mich rein, Daß ich’s mög’ in allen Sachen Wie dein Schoßkind machen! „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 81 <?page no="82"?> 10 WW 3,27, 164. 11 Zu Tersteegens Begriff der „Gegenwart Gottes“ vgl. L U D E W I G , Gebet (wie Anm. 5), 73-76. Das hier ausgedrückte Verlangen kommt noch intensiver in der Dichtung Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu zur Sprache, nämlich im Bild des an der Brust des „süßen Gottkindes“ trinkenden Säuglings (vgl. BG 3,48, bes. Str. 3). 2 Deutungsaspekte aus theologischer und spiritueller Perspektive Der Überblick über die Dichtungen zeigt die Verwendung des Kindmotives zum einen in Hinsicht auf den Säugling, zum anderen auf das größere, bereits vernunftfähige Kind. 2.1 Der Säugling Das für den Säugling typische Wesen ist von den Eigenschaften der Willenlo‐ sigkeit, Armut, Einfalt und Unschuld bestimmt, wie sie der Gesang Bild der christlichen Kindheit aufführt. „Sein liebstes Werk und höchst’s Vergnügen ist, in der Mutter Armen liegen“, „sanfte zu umarmen sie“ (BG 3,7, Str. 14) und an ihrer Brust Befriedigung zu finden (vgl. Str. 15). Nach Tersteegens Auslegung des Jesuswortes „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ erfüllt ein dem Säugling gleichgewordener Mensch in vollkommenem Maß die Voraussetzung, ins Himmelreich zu kommen (vgl. Mt 18,3f.), und zugleich erfährt er das Paradies schon jetzt in seiner Seele: „Ich weiß gewiß, so kommt schon hier Gott und sein Paradies in mir“ (Str. 18). Diesbezüglich heißt es in Weg der Wahrheit, dass dann „der Geist zu seinem Ursprung, Grund und Ziel, wohin er gehöret, und also auch zu seiner Ruhe und wahren Seligkeit, gelanget; welche durch die Hoffnung der künftigen vollkommenen Ausbreitung und Offenbarung derselben in der ewigen Herrlichkeit, noch vermehret wird“. 10 Die Gegenwart Gottes zu erfahren, gilt Tersteegen als höchste Stufe des inneren Gebetes mit Auswirkungen auf den ganzen Lebenswandel. Man erreicht sie durch die Rückkehr in die Unschuld des Kindes im mütterlichen beziehungsweise väterlichen Schoß. 11 Allerdings erscheint im Verhältnis dazu die Charakterisierung des Neuge‐ borenen im Lied Das hohe Weihnachtsgeschenk als Gegensatz: „Ich wurde Gottes Feind, ein Höllenkind, geboren“ (BG 3,46, Str. 2). Die Sicht des von Anfang an verdorbenen Kindes ist hier so drastisch, dass die Frage aufkommt, wie diese mit dem sonst im untersuchten Liedgut dominierenden Ideal des Säuglings vereinbar ist. Dass der Mensch in Sünde geboren ist, ist für den 82 Annette Albert-Zerlik <?page no="83"?> 12 Gerhard T E R S T E E G E N , Unparteiischer Abriß christlicher Grundwahrheiten, Mülheim 1801, 121. Digitale Ausgabe: https: / / archive.org/ details/ unparteiischera00tersgoog/ mo de/ 2up? view=theater (Zugriff am 09.03.2023); vgl. WW (wie Anm. 3) 2, 2. Anhang Vom Kinderwerden, 135-137. 13 Vgl. hierzu Ivar A S H E I M , Glaube und Erziehung bei Luther. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik, Heidelberg 1961, 225-242; Rainer L A C H M A N N , Art. Kind, in: Theologische Realenzyklopädie 18 (1989), 156-176. 14 A S H E I M , Glaube (wie Anm. 13), 235; vgl. L A C H M A N N , Kind (wie Anm. 13), 160f. 15 Vgl. A S H E I M , Glaube (wie Anm. 13), 229. 16 Vgl. L A C H M A N N , Kind (wie Anm. 13), 161f. reformatorisch geprägten Autor Gewissheit. In seinem Unparteiischen Abriss christlicher Grundwahrheiten antwortet er auf die Frage, ob schon die „jungen Kinder der Sünde Adams und ihrer Strafe theilhaftig“ seien, mit „Ja, von ihrer Geburt an“. 12 Die auffällige Diskrepanz zwischen der Sicht des einerseits unschuldigen und andererseits verdorbenen Kindes begegnet schon bei Martin Luther. 13 Dieser erkennt „das Menschliche in seiner schönsten Gestalt gerade beim kleinen Kind. Unschuld, Natürlichkeit, Furchtlosigkeit, Gottvertrauen, alles das ist vornehmlich im Kindesalter da … Das Kind wird ihm ein Symbol des verlorenen Paradieses und ein Vorbild des wahren Christenlebens“. 14 Zugleich geht Luther davon aus, dass das Kind, wie alle Menschen, von der Erbsünde betroffen ist und nur durch die Sündenvergebung in der Taufe gnadenhaft zum Kind Gottes wird. 15 Aber in der frühkindlichen Phase, wenn Vernunft und Eigenwillen noch nicht erwacht sind, schläft die Erbsünde noch. Erst mit zunehmendem Alter tritt sie in Form von einzelnen Sünden zutage. Diese Auffassung kann man auch im betreffenden Lied von Tersteegen erkennen: Der von Anfang an bestehenden Sündenverfallenheit steht die Erlösung durch die Menschwerdung Christi gegenüber, der man durch die Bereitschaft, sich gemäß der Kindheit Jesu zum Kind machen zu lassen, entspricht: „Bereite mich denn selbst, und mach mich auch zum Kinde“ (BG 3,46, Str. 11). Im Unterschied zu Meinungen vor allem von Vertretern der lutherischen Orthodoxie und des Pietismus, die die „erbsündig verdorbene Kindesnatur“ übermäßig betonen und ihre Erziehungspraktiken danach ausrichten, 16 wird Tersteegen nicht müde, den Säugling als Leitbild, orientiert am unüberbietbaren Ideal des Jesuskindes, auf dem spirituellen Weg vor Augen zu führen, wie es etwa im Tugendspiegel der Kindheit Jesu (BG 3,6) der Fall ist. Das Ziel der Erfahrung von Gottes Gegenwart sieht der Autor vornehmlich in der Vereinigung mit Christus, die vor allem jene Liedtexte thematisieren, die das singende Ich in die Betrachtung des göttlichen Kindes hineinversetzen. Über die Aneignung von dessen Tugenden hinaus verlangt das Ich danach, sich mit dem Kind in der Krippe zu vereinigen, zurückgehend auf die Brautmystik dargestellt „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 83 <?page no="84"?> 17 Ähnlich Str. 6 von Spees Zu Bethlehem geboren: „Lass mich von dir nicht scheiden, knüpf zu, knüpf zu das Band“, Text siehe F R A N Z , Zu Bethlehem geboren (wie Anm. 9), 1221. 18 Vgl. Gertrud von Helfta, Gesandter der göttlichen Liebe 2,6. Edition: Johannes W E Iẞ ‐ B R O D T , Der hl. Gertrud der Großen Gesandter der göttlichen Liebe 1, Freiburg 9 1922, 86-88, hier: 87f. 19 Text siehe F R A N Z , Vom Himmel hoch (wie Anm. 9), 1108. 20 Text siehe Z E R F Aẞ , Ich steh an deiner Krippen hier (wie Anm. 9), 557. 21 „Und ich … konnte nicht zu euch reden wie zu geistlichen Menschen, sondern wie zu fleischlichen, wie zu unmündigen Kindern in Christus. Milch habe ich euch zu trinken gegeben und nicht feste Speise; denn ihr konntet sie noch nicht vertragen“ (1 Kor 3,1f.). Die Auslegung dieser Stelle von Irenaeus in Adversus haereses (4,38,2; FC 8/ 4, 334f. Brox) überträgt Tersteegen folgendermaßen: „Unser Herr … hätte zu uns kommen können in seiner unaussprechlichen Herrlichkeit; wir aber konten die Grösse seiner Glorie nicht ertragen. Deßwegen hat er … uns als Kindern sich selbst zur Milch dargestellet, in seiner Menschlichen Zukunft / damit wir gleichsam an der Brust seines Fleisches groß gezogen, und durch solche Milch-Speise angewöhnet würden, zu essen und zu trincken das Wort Gottes …“ (WW 5, 3. Anhang 14, 269f.). 22 WW, 2. Zugabe Die Kraft der Liebe Christi 22, 554. beispielsweise als „Umarmen“ (BG 3,6, Str. 13), „Umfassen“, Sich-„Verbinden“ und „Vermählen“ (BG 3,46, Str. 8-9). 17 Daneben findet sich die Vorstellung, selbst zur Krippe zu werden: „Ein arm’, geringes Herz, das ausgeleert und klein, soll deine Krippe nur und ew’ge Wohnung sein“ (BG 3,46, Str. 10). Der in der mysti‐ schen Tradition beheimatete Gedanke 18 ist Ausdruck der vergegenwärtigenden Deutung der Gottesgeburt in der Seele. Ähnlich dichtet Luther: „Ach, mein herzliebes Jesulein, mach dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhen in meins Herzens Schrein“ (Vom Himmel hoch, da komm ich her, Str. 13) 19 oder Gerhardt: „So lass mich doch dein Kripplein sein“ (Ich steh an deiner Krippen hier, Str. 14) 20 . Der Mensch strebt aber nicht nur danach, das göttliche Kind aufzunehmen, sondern er möchte, da er nun selbst zum Kind geworden ist, gleichfalls im Schoß des Jesuskindes aufgenommen werden: „O du Schoß der Liebe … Nimm mich ein und mach mich rein, daß ich’s mög’ in allen Sachen wie dein Schoßkind machen! “ (BG 3,61, Str. 4,4.7-9). Die Sehnsucht geht teilweise so weit, dass das Ich an der Brust des göttlichen Kindes gestillt werden will. Die dort genossene Milch kann nach Tersteegen im Sinn geistlicher Nahrung zur Förderung des Wachstums auf dem Weg zur Vollendung verstanden werden (vgl. 1 Kor 3,2 21 ; 1 Petr 2,2): „So wenig ein natürlich Kind sorget, wie es solle groß werden: eben so wenig darf auch ein Kind der Gnaden sorgen, wie es werde anwachsen, starck und heilig werden. Die mütterliche Liebe Christi sorget in dem allen: das gute Kind soll nur im Schooß der Mutter bleiben, und bätend, glaubend, liebend, aus der Brust der Gnaden Saft und Kraft zum Leben und Wachsthum saugen“. 22 Gegenüber der Deutung der Milchnahrung als Mittel zur geistlichen Reifung lassen mehrere Texte Tersteegens den Wunsch nach dem unmittelbaren 84 Annette Albert-Zerlik <?page no="85"?> 23 Das Verb „spänen“ bedeutet „von der Muttermilch entwöhnen“, hier von „aller andern Lust“. 24 BG, Der Frommen Lotterie 371, 665. Vgl. den Reim Der Kinder Übung: „An Jesus denken, sich ganz ihm schenken, In ihn sich senken mit aller Lust, ohn’ Murr’n und Kränken sich lassen lenken und kindlich tränken aus Jesu Brust.“ (BG 1,504, 148) oder das Lied BG 3,102, Str. 2, 563. Vgl. L U D E W I G , Gebet (wie Anm. 5), 113-115. 25 Vgl. V A N A N D E L , Gerhard Tersteegen (wie Anm. 5), 143 Anm. 261. 26 Die Stelle beruht auf der Vulgatafassung: „meliora sunt ubera tua vino“. Vorgang des Gestilltwerdens erkennen, welcher der Vereinigung mit dem göttlichen Kind gleichkommt. Dafür ist die dritte Strophe von Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu (BG 3,48) ein Beispiel: Zieh mich in deine Unschuld ein, Laß mich wie du ein Kindlein sein, Im Geiste saugend deine Brust, Gespänt 23 von aller andern Lust! Die Vorstellung des an der Mutterbrust Jesu saugenden Kindes bringt prägnant eines der Lose aus der Frommen Lotterie zur Sprache, und zwar in Form der Rede des Jesuskindes: Schau doch, Maria säuget mich, Und ich, mein Kind, will säugen dich; Tu auf den Mund, kehr alle Lust In mich hinein und saug die Brust! 24 Das intime und sinnliche Bild des Gestilltwerdens durch Christus, das in Schriften einiger pietistischer Autoren ebenfalls begegnet, 25 findet sich vor allem im Bereich der auf das Hohelied rekurrierenden Brautmystik. Zum Beispiel schreibt Teresa von Avila in ihren Gedanken über die Liebe Gottes, die sie am Zitat „Deine Brüste sind lieblicher als Wein“ (Hld 1,2) 26 orientiert, über das Gebet der Vereinigung: „Will nun der überaus reiche, göttliche Bräutigam die Seele noch mehr bereichern und beschenken, so wendet er sich ihr derart zu, daß sie, wie von inniger Freude und Wonne hingerissen in seine göttlichen Arme, verzückt zu sein scheint, sich anklammernd an seine heilige und göttliche Brust. Da weiß sie nur zu genießen, erhalten von jener göttlichen Nahrung, die ihr Bräutigam ihr reicht und wodurch er sie fördert, damit er sie noch mehr mit Wonnegenuß erfüllen könne und sie täglich wachse an Verdiensten … Wie ein kleines Kind seine Kraftzunahme nicht merkt und nicht weiß, wie es gestillt wird; wie ihm „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 85 <?page no="86"?> 27 Gedanken über die Liebe Gottes 4,4. Edition: Aloysius A L K O F E R , Die Seelenburg der heiligen Theresia von Jesu. Mit einem Anhang: Gedanken über die Liebe Gottes, Rufe der Seele zu Gott, kleinere Schriften (Sämtliche Schriften der hl. Theresia von Jesu 5), München 1937, 273f. Das Bild der Ernährung an der Brust findet sich auch in Teresas Seelenburg: „Denn von jenen göttlichen Brüsten, an denen Gott die Seele beständig zu nähren scheint, kommen Strahlen von Milch hervor, die alle Bewohner der Burg stärken“ (Seelenburg 7,7; Edition: ebd., 210). 28 WW 2,44, 125. oft die Milch, ohne daß es zu saugen sucht oder überhaupt etwas tut, in den Mund gegeben wird, ebenso ist es auch hier“. 27 2.2 Das vernunftfähige Kind Texte, die das Bild des älteren Kindes spiegeln, welches schon der Vernunft und des bewussten Willenseinsatzes fähig ist, wollen zu einer Haltung anregen, die von kindlicher Offenheit, Formbarkeit des Charakters und Freude am Lernen geprägt ist. Sie stellen aber auch die Gefahr vor Augen, infolge der aufgekeimten Bereitschaft zur Sünde vom rechten Weg abzukommen. In Identifikation mit solchen Kindern sind die Gläubigen, die ja aufgrund von Christi Erlösung Got‐ teskinder heißen, dazu aufgerufen, den Verlockungen der Welt zu entsagen und stattdessen zu Jesus zu kommen (vgl. BG 3,5; Lk 18,16f. parr) beziehungsweise sich seiner Führung anzuvertrauen, um das Reich Gottes zu erlangen (vgl. BG 3,62; Mt 18,2f.; 19,13f. parr). Anders als beim Säugling an der mütterlichen Brust, mit dem das Ziel der Vereinigung mit Gott beziehungsweise Christus ins Blickfeld rückt, liegt beim größeren Kind der Schwerpunkt auf der bewussten Abkehr von der Welt und der Aneignung von Tugenden, deren Ausübung unerlässlich ist, um Gott im Inneren begegnen zu können: „Darum müssen wir nicht nur äußerlich auf sein Wort in der Schrift, sondern auch vornehmlich auf sein Wort, seine Überzeugung, Wirckung und Leitung in unserm Herzen, einfältig acht geben, und dasselbe bewahren“. 28 2.3 Die Kinderschule Die beiden kindlichen Phasen des Säuglings- und Vernunftalters lassen sich als Stationen des spirituellen Weges deuten, der allerdings im Vergleich zur allgemeinmenschlichen Entwicklung umgekehrt verläuft: Der Erwachsene soll zunächst wie ein Kind werden, das Jesu Ruf versteht und ihm folgt, um letztlich gleich einem Säugling ganz in der Verbindung mit Gott aufzugehen. Was hierzu gelernt werden muss, ist Gegenstand des Gedichtes Die Kinderschule (BG 3,47): 86 Annette Albert-Zerlik <?page no="87"?> 1. Wo ist die Schule denn auf Erden, Da große Männer Kinder werden Und kleine Kinder heißen groß? Wo ist die Schule, da man liebet, Da man sein All’s zum Schulgeld giebet, Da man zur Schul’ geht arm und bloß? 2. Wo lern’ ich’s, daß ich all’s verlerne Und mich von mir und all’m entferne, Da Ein Kind Einen Meister hört Ja, Eins nur hört und Eins nur übet, Da Eine sich dem Einen giebet, Da man uns gibt, was man uns lehrt? 3. Da man uns lehrt, nur immer geben, In allem ohne Leben leben, In allem leiden ohne Leid, In allem folgen ohne Fragen, Auf alle Fragen Ja zu sagen, Zu allen Proben stehn bereit? 4. Wo lernet man das tiefe Schweigen, Beschaun, Anbeten und Sichbeugen In stiller, reiner Liebesbrunst? Wo lernet man Gott bloß umfassen, Das Nichtstun und das Überlassen, Wo lernet man die Kinderkunst? 5. Wo ist die Schule doch zu finden, Der Ort, da Ort und Zeit verschwinden, Weil nur ein stetig’s Nun da gilt? Still, Seele, laß dein Sorg’n und Fragen! Gott will dir’s selbst gern geb’n und sagen Im Seelengrund, wenn er dich stillt. Der Duktus der Strophen ist fast durchgängig vom Forschen nach der „Schule auf Erden“ bestimmt, in der „große Männer Kinder werden und kleine Kinder heißen groß“ (Str. 1,1-2; vgl. Mt 18,3f.). Ihren Ausdruck findet die Suche in Form von aneinandergereihten Fragen nach dem „Wo“ der Schule mit ihren besonderen Merkmalen und Lernzielen. Erst die drei letzten Zeilen des Liedes geben der fragenden Seele einen Hinweis auf die Antwort (vgl. Str. 5,4-6). Die Absicht des Autors ist es, Aspekte des Weges zur Erfahrung der Gegenwart Gottes „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 87 <?page no="88"?> 29 WW 2,42, 124. 30 WW 6,13, 295. 31 Predigt 57. Edition: Josef Q U I N T , Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, München 1979, 420; vgl. Peter L I P S E T T , Wege zur Transzendenzerfahrung (Schriften zur Kontemplation 7), Münsterschwarzach 1992, 163f. 32 Vom edlen Menschen. Edition: Q U I N T , Meister Eckehart (wie Anm. 31), 145. 33 WW 6,15, 300. 34 Predigt 35. Edition: Q U I N T , Meister Eckehart (wie Anm. 31), 322. aufzuzeigen, die auf den beiden Grundpfeilern der „inwendigen Absterbung und des innern Gebäts, beydes miteinander ausgeübet“ 29 , aufruhen. Dementsprechend bedeutet „inwendige Absterbung“, „sein All’s zum Schulgeld“ einzusetzen, um „arm und bloß zu werden“ (Str. 1,5-6). Selbst alles bisher Gelernte muss man „verlernen“ und sich von allen Dingen und sich selbst „entfernen“ (vgl. Str. 2,1-2). Die so entstehende Verfassung beschreibt Tersteegen in Weg der Wahrheit als eine, in der „der Seele … alle äußere und innere Beschäfftigungen, und eigenen Wircksamkeiten … verleidet und benommen“ werden, das heißt: „mit ihrem Lesen, Betrachten, Hören, Reden, mündlichem Bäten will es so nicht mehr fort“. 30 Hier und mehrfach im Text der Kinderschule zeigt sich der Bezug zur Mystik, insbesondere in der Aus‐ prägung von Meister Eckehart. Darauf verweisen die Ausdrücke „verlernen“ und „sich entfernen“: „Je mehr du alle deine Kräfte zur Einheit und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder, die du je in dich hereingenommen hast, einzuziehen vermagst, und je mehr du dich von den Kreaturen und ihren Bildern entfernst, um so näher bist du diesem [Gott, Anm. d. Verf.] und umso empfänglicher“. 31 Dem Verzicht auf alle äußeren Ablenkungen steht positiv die sich im „innern Gebät“ vollziehende Hinwendung zu Gott gegenüber. Gemäß Strophe 3 zählt nur noch die Gemeinschaft der „einen“ Seele mit ihrem „Einen Meister“, dessen „eine“ Lehre sie vernimmt und „übt“, und die „sich dem Einen giebet“ (vgl. Str. 2), ähnlich der Erklärung von Eckehart: „Im Einen findet man Gott, und Eins muß der werden, der Gott finden soll … Sei Eins, auf daß du Gott finden könntest! “. 32 Des Weiteren lehrt die Schule zu „leben, ohne zu leben“ (Str. 3,2), das heißt ausschließlich in Gott „wahres Leben und Wesen, Friede, Freude, Trost und Vergnügung“ 33 zu finden, abgestorben von der Welt und sich selbst. Das Paradoxon „leiden ohne Leid“ (Str. 3,3) verweist wiederum auf Eckehart, der es als Zeichen der Gottesgeburt in der Seele erläutert: „Wenn du … dahin kommst, daß du weder Leid noch Kümmernis um irgend etwas haben kannst, so daß dir Leid nicht Leid ist und alle Dinge dir ein lauterer Frieden sind, dann ist das Kind wirklich geboren“. 34 Zu streben ist nach der völligen Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, das heißt im Geist der Kreuzesnachfolge „in allem zu folgen 88 Annette Albert-Zerlik <?page no="89"?> 35 WW 2,40, 123. 36 Die Wortwahl erinnert an das Lied Gott ist gegenwärtig, Str. 1: „Gott ist gegenwärtig; lasset uns anbeten, und in Ehrfurcht vor ihn treten! Gott ist in der Mitte; alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge! “ (BG 3,11, 340-342). 37 Predigt 31. Edition: Q U I N T , Meister Eckehart (wie Anm. 31), 300. 38 Johannes vom Kreuz, Die dunkle Nacht. Edition: Ulrich D O B H A N u.a., Sämtliche Werke 1, Freiburg 1995, 70; vgl. L I P S E T T , Wege (wie Anm. 31), 222f. 39 L I P S E T T , Wege (wie Anm. 31), 158f. Das Eckehart-Zitat stammt aus Predigt 57. Edition: Q U I N T , Meister Eckehart (wie Anm. 31), 417. ohne Fragen“ (Str. 3,4; vgl. Mt 10,38; Lk 14,27) und „auf alle Fragen Ja zu sagen“ (Str. 3,5; vgl. Mt 6,10; Mk 14,36 parr). Ähnlich bemerkt Tersteegen an anderer Stelle: „Gutartige Hertzens-Kinder sagen zu allem, was der Vater will oder thut, ja, Vater! “. 35 Schließlich lenkt der Text den Blick zum innersten Raum der Begegnung mit Gott, die keiner verbalen Andachtsübung mehr bedarf. Nach jenem Ort sehnt sich die Seele, möchte das „tiefe Schweigen, Beschaun, Anbeten und Sichbeugen in stiller, reiner Liebesbrunst“ erlernen (Str. 4,1-3). 36 Das Verharren vor Gott im „Nichtstun“ und „Überlassen“ (Str. 4,5) meint die ungeteilte Präsenz des Menschen entsprechend Eckeharts Mahnung: „Du mußt dich selbst lassen, und zwar völlig lassen, dann hast du recht gelassen“. 37 Mit dem Akzent der „stillen, reinen Liebesbrunst“ (Str. 4,3) klingt außerdem die Empfehlung des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz an: Die Menschen tun „sehr viel, wenn sie geduldig im Gebet ausharren, ohne dabei etwas zu tun. Das einzige, was sie hier zu tun haben, ist, ihre Seele von allen Erkenntnissen und Gedanken frei und ledig geruhsam zu lassen … Sie sollen sich einzig mit einem liebevollen und ruhigen Aufmerken auf Gott zufriedengeben“ 38 . In diesem Zustand spielen Raum und Zeit keine Rolle mehr. Die Suche nach dem „Wo“ der Schule, „da Ort und Zeit verschwinden, weil nur ein stetig’s Nun da gilt“ (Str. 5,2-3), und alle vorangehenden Fragen münden in den Zuspruch, von Gott selbst die Antwort zu erhalten, und zwar im „Seelengrund“ (vgl. Str. 5,4-6), dem Eckehart „eine überragende und allen gesonderten Seelenkräften überlegene Qualität zumisst: ‚Gott geht hier in die Seele ein mit seiner Ganzheit, nicht mit einem Teile; Gott geht hier ein in den Grund der Seele.‘“ 39 Der „Seelengrund“ ist somit der Ort, an dem die „Seele“ mit ihren Fragen ans Ende kommt. Jenseits verstandesmäßiger Belehrung wird nicht ihr Wissenshunger gestillt, sondern sie selbst wird „gestillt“ in der Vereinigung mit Gott. Ähnlich lautet einer der Schlußreime im ersten Teil des Blumengärtleins: Laß los die Kreatur, entsink dem eignen Willen, Gedenk nicht mehr an dich und laß dich Gott im Grund „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 89 <?page no="90"?> 40 BG 1,5, 36. 41 Zur Frage bzgl. Tersteegens Verständnis von „Vereinigung“ in Differenzierung zur Einheitserfahrung (unio mystica) vgl. L U D E W I G , Gebet (wie Anm. 5), 279-284. 42 WW 3,22, 158. Demütig, liebreich, sanft, merk, wenn er dich will stillen; So findst du dich in Gott und Gott in dir zur Stund’. 40 Tersteegens Bild des im Seelengrund Gestilltwerdens ist im Kontext der Kinder‐ schule sicher nicht im Sinn der unio mystica zu verstehen, in der die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt gänzlich aufgehoben ist und welche auf keinerlei Weise zu beschreiben ist. Vielmehr spiegelt es ein noch duales Verhältnis zwischen Gott und Mensch, wobei aber die Distanz zur größtmöglichen Dichte vermindert ist. 41 Ethische Konsequenzen sind im Gedicht der Kinderschule kein Thema, aber nach Überzeugung des Dichters ergeben sie sich aus der im Gebet erfahrenen Gottseligkeit: „Ob nun zwar die wahre Gottseligkeit … gantz was Inwendiges ist; so kann sie doch, als ein Göttliches Licht, ohnmöglich so gar verborgen bleiben, daß sie nicht ihre lebendige Merck-Zeichen … solte von sich strahlen lassen, in ihrem gantzen Leben, Reden, Handel und Wandel …“. 42 3 Anhang mit Liedbeispielen 3.1 Freundlich lockende und treulich warnende Jesusstimme an die Kinder und Jugend (BG 3,5) 1. Zu mir, zu mir, ruft Jesus noch, Die Kindlein lasset kommen! Hab’ ich aus Lieb’ zu ihnen doch Die Kindheit angenommen, Ja, wie ein arm’ elendes Kind, Gebüßet und beweint die Sünd’ Der Kinder, die mich hören. 2. Ich hab’ am Kreuz für sie mein Blut Mit bittrem Schmerz vergossen, Dadurch gelöscht der Hölle Glut, Den Himmel ausgeschlossen; Nun steh’ und ruf ’ ich mit Begier: „Kommt, Kinder, kommet her zu mir, Ich will euch selig machen! “ 90 Annette Albert-Zerlik <?page no="91"?> 3. Zu mir, zu mir, nicht zu der Welt Und ihren Eitelkeiten, Die auch euch Kindern sehr nachstellt Und lockt auf allen Seiten; Drum sieh dich vor, mein Kind, und tu Vor ihr dein Aug’ und Herze zu, Sie stürzt dich ins Verderben! 4. Sie beut dir an Lust, Ehre, Pracht, Freud’, Schönheit, Ruh und Schätze; Doch, wenn man’s alles wohl betracht’t, So sind’s nur Strick’ und Netze, Die Satan braucht, dadurch die Seel’ Zu fangen und zu führ’n zur Höll’ Auf ebnen, breiten Wegen. 5. Die Welt gibt Wollust, die zerfließt Im Blick, und dann folgt Pressen; Wie bald ist eine Lust gebüßt, Ein Leckerbißchen g’gessen! Und dafür muß die Seele dann Auf ewig mit dem reichen Mann Dort in der Flamme darben. 6. Weltehre, Lieb’, Lob, Gunst und Gnad’ Ist kaum mit Müh zu kriegen, Und wem sie’s heut’ gegeben hat, Den läßt sie morgen liegen In Schmach, Verachtung, Spott und Kot; Und hielt man’s gleich bis an den Tod, Folgt dann doch ew’ge Schande. 7. Ihr Prangen, Pracht und Herrlichkeit, Ihr Säubern und ihr Zieren Ist Phantasie und Eitelkeit, Zeit-, Müh- und Seelverlieren, Die, wann der Leib im schwarzen Schoß Der Erde liegt, muß nackt und bloß, Mit Kot beschmutzt hinfahren. „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 91 <?page no="92"?> 8. Ihr Scherzen, Lachen, Tanzen, Freud’ Geht nimmer recht von Herzen Und wird gar leicht verkehrt in Leid, Bringt endlich ew’ge Schmerzen. Dein’ Schönheit, die sie so hoch acht’t, Liegt bald verwelket und veracht’t, Dann hast du ausgedienet. 9. Die Welt auch Ruhe dir anbeut, Doch kann sie gar nichts geben Als Unruh, Grämen, Müh und Streit, Ein jammervolles Leben; Und gibt sie Ruh, so ruhet man Am Höllenrand, drein stürzt sie dann Im Tod dich plötzlich nieder. 10. Ihr Reichtum, Schätze, Geld und Gut - Drum muß man von dem Morgen Bis in die Nacht, ja bis in ’n Tod Stets laufen, wühlen, sorgen; Hat man’s, gar leicht verliert man’s noch, Verliert man’s nicht, so muß man’s doch Im Tode all’s verlassen. 11. Nun sieh, mein Kind, dies ist’s, wieviel Die Welt vermag zu geben. Hüt dich vor ihrem Trauerspiel, Es gilt dir Leib und Leben; Merk doch aufs End’, du mußt davon! Sonst wirst du einst vorm Richterthron „Geh weg von mir! “ anhören. 12. Nun ruf ’ ich noch mit süßer Stimm’: „Kommt her zu mir, ihr Kinder! “ Steh still und es zu Herzen nimm, Ich gebe dir nicht minder! Denn des die Welt so rühmet sich, Ist Schatten nur und wesentlich Allein in mir zu finden. 92 Annette Albert-Zerlik <?page no="93"?> 13. Die Lüste, die ich tropfweis’ gieß’ Schon jetzt in keusche Herzen Zart, kräftig, innig, übersüß, Geist, Seel’ und Leib ergötzen. Schmeckt hier so meine Freundlichkeit, Was wird’s dann sein, in Ewigkeit Aus Wollustströmen trinken! 14. Bei mir ist Ehre unverrückt, Ich liebe, die mich lieben, Auch ew’ge Gnade man erblickt Nach wenigem Betrüben; Ich steh’ in Not und Tod dir bei, Ich bleibe ewig dir getreu: Das hat gar viel zu sagen. 15. Ich will die Seel’ mit Heiligkeit Und Tugendschmuck umhangen, Drin sie auf ’m Thron in Herrlichkeit Als Königin wird prangen; Der Leib auf der Posaunen Hall Wird aufstehn glänzend wie Kristall, Durch meinen Geist verkläret. 16. Bei mir ist wahre Freud’ die Füll’, Die Welt noch Feind kann rühren; Die macht im Kreuz und Leiden still, Im Tod wohl jubilieren. Flieh, eitle Schönheit, die nur Wust, So werd’ ich ewig meine Lust An deiner Schönheit haben! 17. Ich bin dein’s Geistes Ruhestell’, Ich kann ihn nur vergnügen; Es kann kein Sturmwind, Furcht noch Höll’ Aus meinem Schoß ihn rügen. Komm her zu mir, ich rufe noch, Mein Kind, nimm auf mein sanftes Joch, So wirst du Ruhe finden! „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 93 <?page no="94"?> 18. Mein Reichtum ist beständig’s Gut, Den ich umsonst will schenken, Kein Rost, kein Dieb, kein Feu’r noch Flut Kann solchen ewig kränken; Ich hab’ ein ganzes Himmelreich, Viel’ Königsschätze drin zugleich, Die wirst du all’ ererben. 19. Sieh da, mein Kind, was Jesus sei, Wo du nicht ganz ein Blinder; Folg meiner Stimm’, weil ich noch schrei: „Kommt her zu mir, ihr Kinder! “ Folgst du nun jetzt dem Rufen nach, So sollst du auch an jenem Tag „Komm her zu mir! “ dann hören. 20. Wenn dann die Welt samt Lust und Pracht Im Feuer wird vergehen, Dann wirst du werden zu mir ’bracht Und freudig mit mir gehen; In meinem Reiche, da wirst du Auf meinen Armen finden Ruh, Und ich dich ewig herzen. 21. In meiner Liebe, Furcht und Ehr’ Die schönen Jugendjahren Und zarte Blüt’ der Kraft verzehr, Laß Schein und Schatten fahren, Kein’n Augenblick verschieb es nicht, Eh dir der Lebensfaden bricht; Gib mir, mein Kind, dein Herze! 22. Der Frommen kleines Häufelein Sei deine Lust auf Erden, So wirst auch du ein Engelein Mit ihnen nachmals werden; Mein’ Engel hier bewahren dich, Mit welchen du wirst ewiglich Im Paradies spazieren. 94 Annette Albert-Zerlik <?page no="95"?> 3.2 Bild der christlichen Kindheit (BG 3,7) 1. O liebe Seele, könnt’st du werden Ein kleines Kindchen noch auf Erden, Ich weiß gewiß, es käm’ noch hier Gott und sein Paradies in dir. 2. Ein Kindchen ist gebeugt und stille, Wie sanft gelassen ist sein Wille! Es nimmt, was ihm die Mutter gibt, Es lebet süß und unbetrübt. 3. Man hebt es auf, man legt es nieder, Man macht es los, man bind’t es wieder; Was seine Mutter mit ihm macht, Es bleibt vergnügt und süße lacht. 4. Vergißt man sein, es ist geduldig, Bleibt allen freundlich und unschuldig, Durch Schmähen wird es nicht gekränkt, An Lob und Ehr’ es auch nicht denkt. 5. Ein Kindchen kann in Lust noch Schätzen, Noch andern Sachen sich ergötzen; Man mach’ es arm, man mach’ es reich, Es gilt ihm alles eben gleich. 6. Der Menschen Ansehn gilt ihm wenig, Es fürchtet weder Fürst noch König; O Wunder, und ein Kind ist doch So arm, so schwach, so kleine noch! 7. Es kennet kein verstelltes Wesen, Man kann’s aus seinen Augen lesen; Es tut einfältig, was es tut, Und denkt von andern nichts als gut. 8. Mit Forschen und mit vielem Denken Kann sich ein Kind das Haupt nicht kränken, Es lebt in süßer Einfalt so Im Gegenwärtigen ganz froh. „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 95 <?page no="96"?> 9. Ein Kindchen lebet ohne Sorgen In seiner Mutter Schoß verborgen; Es läßt geschehen, was geschicht, Und denkt fast an sich selber nicht. 10. Ein Kindchen kann allein nicht stehen, Geschweige, daß es weit sollt’ gehen; Es hält die liebe Mutter fest Und so sich führ’n und tragen läßt. 11. Und wenn es einst aus Schwachheit fället, Es sich nicht ungebärdig stellet; Man hebt es auf, man macht es rein, Es geht hernach nicht mehr allein. 12. Ein Kindchen kann nicht überlegen, Es läßt sich heben, tragen, legen, Denkt nicht an Schaden noch Gefahr, Es bleibt nur überlassen gar. 13. Ein Kindchen weiß von keinen Sachen, Was andre tun, was andre machen; Was ihm vor Augen wird getan, Schaut es in stiller Unschuld an. 14. Sein liebstes Werk und höchst’s Vergnügen Ist, in der Mutter Armen liegen, Sie anzusehen spät und früh Und sanfte zu umarmen sie. 15. Es schätzet seiner Mutter Brüste Mehr als die Welt und alle Lüste, Da find’t es, was ihm nötig ist, Da schläft es ein und all’s vergißt. 16. O süße Unschuld, Kinderwesen, Die Weisheit hab’ ich mir erlesen! Wer dich besitzt, ist hochgelehrt Und in des Höchsten Augen wert. 96 Annette Albert-Zerlik <?page no="97"?> 17. O Kindheit, die Gott selber liebet, Die Jesu Geist alleine giebet, Wie sehnet sich mein Herz nach dir! O Jesu, bilde dich in mir! 18. O Jesu, laß mich noch auf Erden Ein solch unschuld’ges Kindlein werden; Ich weiß gewiß, so kommt schon hier Gott und sein Paradies in mir. 3.3 Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu (BG 3,48) 1. Du süßes Gottkind, Jesu Christ, Der mir zulieb’ ein Kindlein bist, Ich grüße dich, o Lebenssonn’, Ich küsse dich, o Seelenwonn’. 2. Ich ehre deiner Kindheit Stand, Gott, König über alle Land; Man schaut, man liebt, man bet’t dich an: Dies sei dir all’s von mir getan! 3. Zieh mich in deine Unschuld ein, Laß mich wie du ein Kindlein sein, Im Geiste saugend deine Brust, Gespänt von aller andern Lust! 4. Mein Herz sei ohn’ Annehmlichkeit Von fremden Dingen dieser Zeit, Daß nichts eindring’ und mich verstör’ Und ich zu keinem mich auskehr’. 5. Mein eingewandtes Äugelein Dich nur anseh’ und kindlich mein’; Mach mich von meiner Selbstheit bloß, Verbirg mich tief in deinen Schoß! 6. Weg alle Mannigfaltigkeit, Weg Hoheit und was sonst zerstreut, Weg Bilderwesen, Klugheitsschein! Ich will ein Herzenskindlein sein. „Nimm ein dein Kindlein und es tränke“ 97 <?page no="98"?> 7. Ein Kind hat nur ein’n Augenblick, Es sorgt nicht vorwärts noch zurück, Es denkt nichts Arg’s, liebt ohne Kunst; So sei mein Sinn, so meine Brunst! 8. Mein kleiner Meister, mich regier, Mein Herz und Willen schenk’ ich dir; Dein Reich zukomm’, dein Will’ gescheh, So bin ich frei von Angst und Weh! 9. Mein ganzes Wesen, Leib und Seel’ Ich dir hingeb’ und ganz befehl’; Mein Tun und Sorgen ist getan, Ich nehm’ mich meiner selbst nicht an. 10. Es lebe nur mein Jesulein! Gottkind, ich will dein Sklave sein; Dein Kindersinn und Kinderstand Werd’ hoch geehrt durch alle Land! 98 Annette Albert-Zerlik <?page no="99"?> 1 Peter H E R S C H E , Musik in der katholischen Kirche, in: Peter H E R S C H E - Siegbert R A M P E (Hgg.), Sozialgeschichte der Musik im Barock (Handbuch der Musik des Barock 6), Laaber 2018, 81-106, hier: 97. 2 So der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823‒1897), zit. nach Friedrich W. R I E D E L , Kirchenmusik in der ständisch gegliederten Gesellschaft am Ende des Heiligen Römi‐ schen Reiches, in: Friedrich W. R I E D E L (Hg.), Kirchenmusik zwischen Säkularisation und Restauration (Kirchenmusikalische Studien 10), Sinzig 2006, 47‒58, hier: 52. Ähnlich äußerte sich Charles Burney (Tagebuch II, 164: „weil hier die Kirchen täglich sehr voll sind, so muss diese Musik, wenn sie auch gleich nicht die schönste ist, gewissermaßen das Ohr der Einwohner bilden.“). 3 Vgl. Franz Karl P R Aẞ L , Messe und Requiem, in: Wolfgang H O C H S T E I N - Christoph K R U M M A C H E R (Hgg.), Geschichte der Kirchenmusik 2: Das 17. und 18. Jahrhundert im Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ Erkundungen zu einem Forschungsfeld der Liturgie- und Sozialgeschichte der Barockzeit Jürgen Bärsch Die Kirche der Barockzeit schärfte den Gläubigen nicht nur Glaubenswahr‐ heiten und moralische Verpflichtungen ein, sie nahm ihnen nicht nur materiell etwas ab, sie bot neben der zentralen religiösen Beheimatung auch einen sozialen Gegenwert, nämlich „Bildungsmöglichkeiten und Sozialleistungen, hohe Kunst und musikalische Unterhaltung, die jedermann gratis zugänglich war“ 1 . Man hat deshalb die Kirche als die „Kunstschule des gemeinen Mannes“ 2 bezeichnet. Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass Barockmusik keineswegs ein rein elitär-adliges Unterhaltungsvergnügen war, sie erreichte durchaus breite Bevölkerungsschichten. Gerade die katholische Kirche bot zahlreiche Räume, Anlässe und Möglichkeiten für eine qualitativ hochstehende Kirchenmusik, die auch für die „kleinen Leute“ offen war. Denn neben den Sonn- und Fest‐ tagen kamen hier die zahlreichen Heiligenfeste, Bruderschaftsgottesdienste und Wallfahrten hinzu. Überdies wurde Musik nicht nur für die Messfeier in ihren verschiedenen Ausprägungen (Missa sollemnis, Missa brevis, Requiem) komponiert, 3 auch für das Stundengebet (vor allem Vesper und Komplet) mit <?page no="100"?> Spannungsfeld der Konfessionen, Laaber 2012, 54‒73; Wolfgang H O C H S T E I N , Die Messe, in: ebd., 216‒232; Dagny W A G N E R , Das Requiem, in: ebd., 233‒237. 4 Vgl. Magda M A R X -W E B E R , Kirchenmusikalische Gattungen außerhalb der Messe in Italien und Deutschland, in: Geschichte der Kirchenmusik 2 (wie Anm. 3), 74‒91; Magda M A R X -W E B E R , Die Musik zu den katholischen Nachmittags-Gottesdiensten, in: ebd., 238‒261. 5 Peter H E R S C H E , Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg i.Br. 2006, hier: 1, 655‒666, Zit. 660; vgl. auch R I E D E L , Kirchenmusik (wie Anm. 2), 52. 6 H E R S C H E , Muße und Verschwendung 1 (wie Anm. 5), 660. 7 Vor allem für die Pfarrkirchen gilt, dass sie „in musikalischer Hinsicht am wenigsten gut erforscht“ sind. H E R S C H E , Musik (wie Anm. 1), 85. Unergiebig ist in dieser Hinsicht Mi‐ chael F I S C H E R ‒ Norbert H A A G ‒ Gabriele H A U G -M O R I T Z (Hgg.), Musik in neuzeitlichen Konfessionskulturen (16. bis 19. Jahrhundert). Räume ‒ Medien ‒ Funktionen, Ostfildern 2014. 8 Mariateresia D E L L A B O R R A , Il fondo musicale dell’Archivio plebano di Vimercate, Roma 2000. seinen kirchenjahreszeitlichen Spezifika (O-Antiphonen, Trauermetten) und für außermissale Andachtsformen (Passionsandachten, Eucharistische Anbetung, Marien- und Heiligenverehrung, Oratorien) entstand eine unüberschaubare Anzahl von Kompositionen. Man denke allein an Litaneien, an das Te Deum, den Psalm Miserere, das Stabat Mater, das Salve Regina und vieles mehr. 4 „Die Pflege dieser Musik reichte im Katholizismus weit nach unten, ins Volk hinein; auch in gewöhnlichen Pfarrkirchen wurden zuletzt mindestens bei besonderen Gelegenheiten figurierte (mit Instrumenten begleitete) Kirchen‐ musik aufgeführt.“ 5 Durch die Kirche erreichte Barockmusik „weite Kreise auch außerhalb der Städte“. 6 Diese These vertritt der Berner Frühneuzeithistoriker Peter Hersche. Allerdings konstatiert er auch, dass dieser Aspekt der Liturgie- und Sozialgeschichte bisher weithin ein Forschungsdesiderat darstellt. Denn Einzelheiten über die barocke Kirchenmusik außerhalb der Höfe und Resi‐ denzen, der Dom-, Stifts- und Klosterkirchen sind kaum bekannt. 7 Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass es auch in kleinstädtisch-dörflichen Pfarrkirchen zeitweise figurierte oder wenigstens mit Generalbass begleitete Kirchenmusik gab. So wurde im Pfarrarchiv von Vimercate bei Mailand ein großer Bestand von geistlicher Musik des Spätbarock und der Frühklassik entdeckt, was auf eine entsprechend rege musikalische Tätigkeit in dieser nur wenige tausend Einwohner zählenden Kleinstadt schließen lässt. 8 Noch weniger weiß man über die religiösen und emotionalen Wirkungen von Gesang und Instrumentalmusik auf die Gläubigen jener Zeit. Welche Formen der Musik im Gottesdienst waren verbreitet? Wo ereigneten sich Kontakte zwischen virtuoser Sakralmusik und dem alltäglichen gläubigen Leben der „kleinen Leute“? Was bekamen sie 100 Jürgen Bärsch <?page no="101"?> 9 Das im Erscheinen begriffene Handbuch der Musik des Barock (bisher 6 Bde., Laaber 2018‒2020) umfasst die Phase zwischen 1600 und 1750. 10 Etwa im Sinne von Werner K. B L E S S I N G , Fest und Vergnügen der „kleinen Leute“, in: Richard V A N D Ü L M E N - Norbert S C H I N D L E R (Hgg.), Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.‒20. Jahrhundert) (Fischer-TB 3460), Frankfurt a. M. 1984, 352‒379. überhaupt zu hören? Wie hat die Kirchenmusik Einfluss genommen auf die religiöse Stimmungslage und die Frömmigkeitspraxis? Die Reihe der Fragen ließe sich leicht fortsetzen. Sie deuten ein Forschungsfeld an, das liturgie- und sozialhistorische Aspekte der barocken Kirchenmusik umfasst und weithin, so lässt sich schnell bilanzieren, eine „terra incognita“ darstellt, die noch der nä‐ heren Entdeckung bedarf. Verständlicherweise kann auch dieser Beitrag keine substanziellen Erkenntnisse ausbreiten, aber doch mit ersten Erkundungen und Sondierungen zur weiteren Vertiefung anregen und damit auf ein Feld hinweisen, das an die umfangreiche Kirchenlied- und Gesangbuchforschung des mit dieser Festschrift Geehrten anschließt. Dabei seien zwei Bemerkungen vorweggeschickt. Wenn hier von Barockzeit die Rede ist, wird ein relativ breiter Zeitrahmen angesetzt, weitgehend die Zeit zwischen 1600 und dem Ende des 18. Jahrhunderts. Damit soll bewusst über den in der Musikgeschichte üblichen Rahmen hinaus gegriffen werden, um auch fortlaufende Entwicklungen, die zum Teil quellenmäßig besser erschlossen sind, zu berücksichtigen. 9 Zudem versteht sich der gewählte Begriff „kleine Leute“ nicht im Sinne einer eingrenzbaren sozialen Gruppierung, sondern eher plakativ als Ausdruck für die Menschen, die nicht über Macht, Reichtum und besonderen Status verfügten, ohne aber deshalb als arm oder unterdrückt zu gelten, also das, was man als die durchschnittlichen Repräsentanten der kleinstädtisch-ländlichen Bevölkerung bezeichnen könnte. 10 1 Kirchenmusik in ländlichen Pfarrkirchen ‒ die Ausgangslage Die Situation der Kirchenmusik in den einfachen Dorfpfarreien und länd‐ lich-kleinstädtischen Pfarrkirchen im 17./ 18.-Jahrhundert muss verständlicher‐ weise als disparat bezeichnet werden. Es gab große Ungleichzeitigkeiten. Wie die Vorrede des Mainzer Cantuals 1605 zu erkennen gibt, konnten beim Hochamt deutsche Kirchenlieder vor und nach der Predigt sowie nach der Elevation bis zum Schluss gesungen werden. Andernorts wiederum streute man deutsches Liedgut in die lateinisch gesungene Messe ein, etwa vor dem Graduale, zwischen den Strophen der Sequenzen, nach dem lateinischen Credo, bis zur Präfation, Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 101 <?page no="102"?> 11 Vgl. Adam G O T T R O N , Das deutsche Kirchenlied 1537 bis 1649 am Mittelrhein, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 42 (1958) 53-63, hier: 54-56; Philipp H A R N O N C O U R T , Ge‐ samtkirchliche und teilkirchliche Liturgie. Studien zum liturgischen Heiligenkalender und zum Gesang im Gottesdienst unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebiets (Untersuchungen zur praktischen Theologie 3), Freiburg i.Br. 1974, 349f. 12 Eine sukzessive Ausweitung der deutschen Lieder in der Messfeier ist in den Pastoral‐ briefen 1652, 1655, 1662 und 1675 zu erkennen. Vgl. Erika H E I T M E Y E R , „Münsterisch Gesangbuch / Auff alle Fest und Zeiten deß gantzen Jahrs … 1677“. Zu Struktur und Ge‐ nese des ersten Münsterer Diözesangesangbuches, in: Benedikt K R A N E M A N N - Klemens R I C H T E R (Hgg.), Zwischen römischer Einheitsliturgie und diözesaner Eigenverantwor‐ tung. Gottesdienst im Bistum Münster (Münsteraner Theologische Abhandlungen 48), Altenberge 1997, 79‒102, hier: 84f. Besonders aufschlussreich ist hier der Pastoralbrief vom 23. März 1675, in: Die Pastoralbriefe des Münsterer Fürstbischofs Christoph Bernhard v. Galen (1650‒1678) in Verbindung mit den bischöflichen Lageberichten an den Papst und dem Testament des Bischofs, komm. u. hg. v. Alois S C H R Ö E R , Münster 1998, 293‒299. 13 Vgl. H E I T M E Y E R , „Münsterisch Gesangbuch“ (wie Anm. 12), 86‒88. 14 Vgl. Andreas H E I N Z , Die Jesuiten als Förderer deutscher Messlieder. Ein frühes Zeugnis für die Praxis des „Deutschen Hochamts“ (Friedrichstadt 1687), in: Liturgisches Jahr‐ buch 35 (1985), 158‒167. nach der Elevation und am Schluss. Und bei einer Missa lecta sang man, ge‐ wissermaßen als „Überbrückung“, volkssprachliche Kirchenlieder durchgehend vom Introitus bis zum Evangelium, vom Offertorium bis kurz vor der Elevation und dann wieder bis zum Segen des Priesters. 11 Wieder anders gestaltete sich der gottesdienstliche Gesang im Fürstbistum Münster. Hier erlaubte Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (geb. 1606, amt. 1651‒1678), wo Chorsänger fehlten ‒ was wohl für nicht wenige Landkirchen galt ‒, die Messgesänge wie Graduale, Offertorium und Communio in deutscher Sprache zu singen. 12 Überdies förderte er das volkssprachliche Kirchenlied, indem er 1677 ein eigenes Münsterisch Gesangbuch herausgab, das deutsche Gemeindelieder sogar zur durchgehenden Begleitung der Missa cantata vorsah. 13 Diese Praxis traf vor allem in der norddeutschen Diaspora auf offene Ohren. Denn hier suchte man ein Gegengewicht zu schaffen gegen das attraktive volkssprachliche Singen im evangelischen Gottesdienst. Überdies ließ die geringe Zahl der Katholiken gar keine Choralschola zu. Kurzerhand begannen die Jesuiten in der kleinen katho‐ lischen Gemeinde von Friedrichstadt in Schleswig-Holstein seit 1687, anlässlich der neu errichteten kleinen Orgel deutsche Kirchenlieder zu den einzelnen Elementen der Messe singen zu lassen. Auch in anderen Missionsstationen hat man offenbar auf diese Praxis zurückgegriffen. 14 In anderen Regionen des Reichs sah es völlig anders aus. Für die Westeifel lässt sich erheben, dass „die singende Meß“ selbst in großen Landpfarreien keine 102 Jürgen Bärsch <?page no="103"?> 15 Vgl. Andreas H E I N Z , Die sonn- und feiertägliche Pfarrmesse im Landkapitel Bit‐ burg-Kyllburg der alten Erzdiözese Trier von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19.-Jahrhunderts (Trierer Theologische Studien 34), Trier 1978, 97f. 16 Vgl. ebd., 98‒100. 17 Vgl. ebd., 108; Martin P E R S C H , Zur Praxis des Nachwandlungsliedes im Trierischen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Andreas H E I N Z - Heinrich R E N N I N G S (Hgg.), Gratias agamus. Studien zum eucharistischen Hochgebet (FS Balthasar Fischer), Freiburg i.Br. 1992, 369‒383. 18 Vgl. H E I N Z , Pfarrmesse (wie Anm. 15), 101‒104. 19 Vgl. Ulrich G. L E I N S L E , Prämonstratensische Pfarrseelsorge in Schwaben (Schriftenreihe des Klostermuseums Roggenburg 3), Neu-Ulm 1998, 27. Weihnachten 1783 müssen die Sängerinnen ihren Einsatz verpasst haben, denn der Chronist notierte ironisch, es habe sich nach der Wandlung „kein Mäuschen“ gerührt. „Die Sängerinnen werden sich wohl bey den Hirten in dem Stalle von Betlehem eingefunden haben.“ Ebd., 28. 20 Johann Nepomuk H A U N T I N G E R , Reise durch Schwaben und Bayern im Jahre 1784, neu hg. v. Gebhard S P A H R , Weißenhorn 1964, 42. ‒ Auch für die Stadtpfarrkirche Buchen (Odenwald) sind bereits Ende des 17. Jahrhunderts „Singmägde“ bezeugt. Vgl. Gerlinde T R U N K , Geschichte der Kirchenmusik bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Armin B R E N N F L E C K (Hg.), 300 Jahre Kirchenmusik in Buchen, Buchen 1988, 19‒38, hier: 24. Selbstverständlichkeit war. Vielfach wurde zum Teil bis ins 18. Jahrhundert die Sonntagsmesse nur als stille Lesemesse zelebriert. 15 Denn der Gesang des Hochamtes setzte nicht nur eine gewisse Gruppe von Chorsängern voraus, er galt als Zugabe, die dem Pfarrer extra vergütet werden musste. Ein Wandel trat erst mit dem Wunsch ein, auch in der Kirche an der zeitgenössisch „modernen“ Musik teilzuhaben, die zugleich als Ausdruck einer gewissen Urbanität galt. So setzten sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich Chöre mit zunächst ausschließlich männlichen Mitgliedern in den Landpfarreien durch. Sie wurden von einem geistlichen Küster oder einem sonstigen Hilfsgeistlichen angeleitet und übernahmen den Volkspart der lateinischen Messgesänge. 16 Anfangs hatten die Gruppen von rund sechs bis zwölf Sängern ihren Platz im Chor der Kirche, wanderten aber später auf die Tribüne über dem Kircheneingang ab. Ein Grund dafür lag wohl auch im Aufkommen von Sängerinnen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etablierte sich vielerorts ein sogenannter „Jungfrauen-Chor“, der vor allem volkssprachliche Gesänge wie das Nachwand‐ lungslied 17 übernahm und auch bei den Bruderschaftssonntagen und -festen involviert war. 18 Einsätze dieser Art sind auch andernorts überliefert. In der Pfarrkirche zu Biberach trugen bei der Christmette Sängerinnen nach der Wand‐ lung ein deutsches Weihnachtslied vor, 19 und bei seiner Reise durch Schwaben 1784 bemerkte der St. Gallener Stiftsbibliothekar Johann Nepomuk Hauntinger (1756‒1823), dass bei der Predigt in Ochsenhausen „das Heiliggeistlied nicht vom ganze Volke, sondern nur von etwa acht Jungfern à vier Stimmen in einer recht angenehmen Melodie abgesungen wurde“. 20 Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 103 <?page no="104"?> 21 Vgl. Thomas H O C H R A D N E R , Zur musikalischen Volkskultur bis 1865, in: Jürg S T E N Z L (Hg.), Salzburger Musikgeschichte, Salzburg ‒ München 2005, 383‒400, hier: 392. 22 Vgl. Johannes B A U R , Reste muttersprachlichen Singens beim lateinischen Hochamt in Südtirol, in: Liturgisches Jahrbuch 6 (1956), 43‒49. 23 Vgl. oben Anm. 12; Hans Jürgen B R A N D T - Karl H E N G S T , Geschichte des Erzbistums Paderborn 2: Das Bistum Paderborn von der Reformation bis zur Säkularisation 1532‒ 1802/ 21 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Mitteldeutschen Kirchenprovinz 13), Paderborn 2007, 493f. Im sauerländischen Olpe hatte der dortige Pfarrer eine eigene Sammlung der in Gebrauch gewesenen Kirchenlieder zu einem pfarreigenen Gesang‐ buch zusammengestellt. Vgl. Theo H U N D T , Ein altes westfälisches Gesangbuch. Das Olper Gesangbuch des Pfarrers Roberti von 1735, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 58/ 59 (1974/ 75), 115-119. 24 Vgl. Michael M Ü L L E R , Volksgesang und Kirchenlied im Dienst der Kirchenreform im Hochstift Fulda, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 91 (2007), 25-34. 25 Vgl. H E I N Z , Pfarrmesse (wie Anm. 15), 107f. 26 Vgl. Balthasar F I S C H E R , Das „Deutsche Hochamt“, in: Liturgisches Jahrbuch 3 (1953), 42‒53, bes. 47‒49. Ähnlich war es wohl auch im Salzburgischen. Hier übernahmen männliche „Kirchensinger“, geschart um einen Vorsänger, die volkssprachlichen Kirchen‐ lieder, die sie zum Teil sogar selbst schrieben und mit denen sie im 18. Jahr‐ hundert auch in den Landkirchen die gesamte musikalische Umrahmung des Gottesdienstes bestritten. Wo eine Orgel vorhanden war, fing der Vorsänger jedes Lied zuerst an, worauf der Chor einfiel und die Orgel respondierte, zum Teil begleitete die Orgel auch den Gesang. 21 In Südtirol lebte lange Zeit der sogenannte „Bauerngesang“, volkstümliche Messgesänge und religiöse Lieder, die von einer Großfamilie oder einem Hof während des lateinischen Hochamtes vorgetragen wurden. 22 Damit berührt sich die Frage nach dem Volksgesang. Hatten sich in den Land‐ gemeinden von Münster oder Paderborn bereits im 17. Jahrhundert deutsche Messlieder der Gemeinde, das sogenannte „Deutsche Hochamt“, durchgesetzt 23 und erklangen im Hochstift Fulda schon im 16. Jahrhundert nach der Sequenz und am Schluss der Messe deutsche Kirchengesänge 24 , war das volkssprachliche Kirchenlied auf den Dörfern der Westeifel nur sporadisch verbreitet und wurde weithin vom Chor allein gesungen. 25 Erst im 19. Jahrhundert gewann hier das „Deutsche Hochamt“ an Boden. 26 Schaut man zudem in die Pfarreibeschreibungen, die Mitte des 19. Jahrhun‐ derts im Bistum Regensburg verfasst wurden, stellt sich das Bild noch einmal an‐ ders dar. Ein Überblick aus dem niederbayerischen Dekanat Geiselhöring zeigt, dass in fast allen Kirchen zwar deutsche Messgesänge angestimmt wurden, aber allein vom Chor. Den „Volksgesang während der Messe gab es [hingegen] 104 Jürgen Bärsch <?page no="105"?> 27 Johann K I R C H I N G E R , Zwischen barocker Vielfalt und ultramontaner Uniformierung. Eine exemplarische Edition von Pfarreibeschreibungen des 19. Jahrhunderts aus dem Bistum Regensburg (Dekanat Geiselhöring 1859/ 1861) (Regensburger Beiträge zur Regionalgeschichte 18), Regensburg 2015, 45. 28 So in Geiselhöring, Hainlding, Baierbach, Leiblfing und Sallach. Vgl. ebd., 94, 125, 156, 194, 301. 29 Ebd., 222. 30 Ebd., 270. 31 Ebd., 142. 32 Ebd., 370. nirgends“. 27 Nur noch an Hoch- und Bruderschaftsfesten erfolgte Instrumental‐ musik in barocker Tradition. 28 Im Zuge des aufstrebenden Ultramontanismus und des Cäcilianismus triumphierte der Pfarrer von Martinsbuch, es sei „des Guten schon genug geschehen, daß Pauken und Trompeten schweigen und der Lärm und das Getöse ein Ende hat“. 29 Gleichwohl stand es mit der Musik vielerorts nicht zum Besten. In Ottering bildete „gewöhnlich nur der alte Schulmeister den ganzen Chor“ 30 . Ähnlich urteilte der Pfarrer von Hofdorf: „Die Musik in den Kirchen ist erbärmlich, der Schullehrer bildet in der Regel das ganze Orchester. Einige Messen, Litaneien und Vespern, die er das ganze Jahr herunterleiert, machen seinen gesammten musikalischen Reichthum aus.“ 31 Und der Pfarrer von Westen meinte gar: „In Mallersdorf ist der dermalige Schullehrer vielleicht der wenigst befähigte Organist in Niederbayern, darum wird in der Regel von Dilettanten die Orgel gespielt.“ 32 Die Beispiele zeigen zur Genüge, wie vielgestaltig man sich das musikali‐ sche Leben in den kleinen Pfarreien bis weit ins 19. Jahrhundert vorstellen muss. Zwischen Choralgesang und deutschem Kirchenlied, Orgelspiel und Instrumentalmusik, barocker Figuralmusik und eintönigem Schullehrergesang bewegte sich die kirchenmusikalische Praxis. Wenn es im Folgenden um eine Spurensuche nach der Kirchenmusik der „kleinen Leute“ geht, wird man sich diese Breite vor Augen halten müssen. 2 Hinweise auf die musikalische Ausstattung der Pfarrkirchen in der Barockzeit 2.1 Orgel und Orgelspiel Es war schon angeklungen, dass sich vor allem im 18. Jahrhundert auch bei der ländlichen Bevölkerung und in den kleineren Dorfpfarreien der Wunsch nach einer zeitgenössischen Musik im Gottesdienst mehrte. So legte man etwa in St. Wolfgang am Stein, einer kleinen Filialkirche, die zum Prämonstratenserstift Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 105 <?page no="106"?> 33 Vgl. Maximilian S C H I M B Ö C K , Siard Worath. Abt von Schlägl (1661‒1701‒1721) (Schlägler Schriften 4), Linz 1977, 55. 34 Vgl. Josef G R Ü N E N F E L D E R , Beiträge zum Bau der St. Galler Landkirchen unter dem Offizial P. Iso Walser 1759‒1785, in: Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 85 (1967), 1‒334, hier: 42. 35 Vgl. ebd., 97. - Die im Stiftsarchiv St. Gallen erhaltene Rechnung von Grass, am 4. Januar 1779 ausgestellt, beläuft sich allerdings auf 739 Gulden (StiASG, Urk. F1 A127). 36 Vgl. G R Ü N E N F E L D E R , Beiträge (wie Anm. 34), 103. 37 Vgl. Georg B R E N N I N G E R , Notizen aus Rechnungen der Pfarrkirche Hohenkammer in der Barockzeit, in: Amperland 30 (1994), 281‒283, hier: 282. 38 Ebd., 282. 39 Vgl. ebd., 282; Georg B R E N N I N G E R , Orgeln in Altbayern, München 2 1982, 46f. 40 Josef W I E S L H U B E R , Die Landpfarreien im 18. Jahrhundert, in: Literarische Beilage zum Klerusblatt 11 (1935), 89‒100, hier: 95. 41 Ebd., 95. Schlägl in Oberösterreich gehörte, auf Kirchenmusik besonderen Wert. Hier spendeten die Pfarrleute Geld, damit 1710 eine neue Orgel beschafft werden konnte. 33 Die Anschaffung oder die Reparatur und der Ausbau von Orgeln darf wohl als Zeichen dafür gelten, dass Gemeinden finanzielle Anstrengungen auf sich nahmen, um die Voraussetzungen für eine größere kirchenmusikalische Praxis zu schaffen. Johann Michael Grass (1746-1809), Orgelbauer in St. Gallen, lieferte für viele Landkirchen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neue Orgeln. In Bernhardszell hatte sich der Pfarrer die Sorge um die Kirchenmusik zu eigen gemacht. Er stiftete 1779 nicht nur die Orgel für 400 Gulden, sondern auch einen Fond von 1.100 Gulden für die Besoldung eines Organisten und der Sänger sowie für den Unterhalt der Orgel. 34 In St. Fiden schaffte man 1778 eine Grass-Orgel für 780 Gulden an, 35 und in Steinach bestellte man bereits 25 Jahre nach dem Orgelbau 1784 ein neues Instrument für 900 Gulden, da sich die alte Orgel als unbrauchbar erwiesen hatte. 36 In der Pfarrkirche von Hohenkammer (Freisinger Land) begann man Ende des 18. Jahrhunderts, sich um die Orgel zu kümmern. Eine Rechnung von 1684 belegt, dass dem Dachauer Orgelbauer Johann Rainer († 1696) 5 Gulden und 32 Kreuzer ausbezahlt wurden für die Reparatur und Stimmung des Regals. 37 Damit begnügte man sich aber offenbar nicht. Denn 1696 baute man eine neue Orgel auf, wofür „Mayster Wolfen Meyerl Khistlern“ 38 8 Gulden und 24 Kreuzer bezahlt wurden. Die Orgel stammte aus dem Ingolstädter Orgelbau des Johann König (um 1635‒1691) und kostete 77 Gulden. 39 Probleme mit der Orgel spiegeln sich in den Kirchenrechnungen der Pfarrei Aidenbach. 1710 musste sie „durchgehend geputzt und die Pfeiffen geleimt“ 40 werden, wohl ohne durchschlagenden Erfolg. Denn „weil das Orgelwerk 1721 ganz ruiniert ist, und so schlecht ist, daß man es kaum brauchen kann“ 41 , bestellte man eine neue Orgel, die aber wohl nicht 106 Jürgen Bärsch <?page no="107"?> 42 Vgl. ebd., 95. 43 Vgl. Georg B R E N N I N G E R , Beiträge zur Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts in Dachau-St. Jakob, in: Amperland 13 (1977), 228‒232, hier: 230. 44 August Johann B I T T N E R , 540 Jahre Orgeln in Hilpoltstein, Stadtpfarrkirche St. Johann Baptist, in: Eichstätter Diözesangeschichtsblätter 5 (2020/ 21), 221-256, hier: 230-233. 45 Vgl. Reinhard M Ü L L E R , Die Visitation des Herzogtums Westfalen durch den Kölner Generalvikar Johann Arnold de Reux (1716/ 17) (Forschungen zur Volkskunde 63), Münster 2016, 145. 474‒477. 46 Zit. nach Wolfgang S E I B R I C H , Die Orgel auf dem Land. Orgel und Orgelspiel im Trierischen während des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 52 (2002), 125‒180, hier: 136. 47 Vgl. ebd., 139‒146. 48 Vgl. ebd., 148. 49 Vgl. ebd., 148. ausgeführt wurde. Bereits 1773 beschaffte man erneut eine Orgel, wofür 200 Gulden fällig waren. 42 Ebenso wurde die Orgel in St. Jakob in Dachau vielfach in Mitleidenschaft gezogen, Ausbesserungen und Ergänzungen sind in den Rechnungen zwischen 1639 und 1697 immer wieder bezeugt. 1706 wurde eine neue Orgel aufgestellt, deren Blasebälge aber bereits 1709 vergrößert werden mussten. 43 Zahlreiche Aufwendungen dokumentieren die Kirchenrechnungen in Hilpoltstein vom 16. bis 18. Jahrhundert. Im Zuge der Barockisierung erhielt die Stadtpfarrkirche 1734 für 250 Gulden eine neue Orgel, ergänzt 1756 um ein tragbares Positiv, das wiederum mit 66 Gulden zu Buche schlug. 44 Hinsichtlich der Verbreitung von Orgeln in den kleinstädtisch-dörflichen Pfarrkirchen wird man regional große Unterschiede annehmen müssen. Im kurkölnischen Herzogtum Westfalen war Anfang des 18. Jahrhunderts nur in etwa der Hälfte der Pfarrkirchen eine Orgel vorhanden. 45 Auch im Trierischen setzte sich die Orgel vor allem erst im Zuge der Erweiterungen der Pfarrkirchen im 18. Jahrhundert durch. Offenbar spielte hier neben der Erleichterung für den Chor die wachsende Einsicht in die Bedeutung religiöser Emotionalität eine wichtige Rolle. Der Rektor der Wallfahrtskirche Driesch, Johann Gerards, bemerkt denn auch: „Es ist unleugbar, dass eine wohl eingerichtete Orgell, wan sie wohl traktiret wird, Hertz und gemüth eines frommen Menschen nicht allein heiliglich aufmontere, sondern auch dem Gottes dienst selbsten ein Majestätisches ansehen gebe.“ 46 Jedenfalls nahmen nun ‒ teils über Stiftungen ‒ die Orgelanschaffungen zu, 47 wobei viele Pfarreien durch Eigenleistungen beim Transport und der Aufstellung die Kosten zu drücken suchten. 48 Dennoch belief sich der Preis für einen Großteil der dörflichen Orgeln auf 400 bis 650 Gulden. 49 Wer waren die Organisten und was lässt sich über deren musikalische Qualitäten sagen? In diesem Punkt wissen wir offenbar relativ wenig. Es ist denn auch be‐ Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 107 <?page no="108"?> 50 Zu Recht betont Martin Loeser: „Aus berufsgeschichtlicher Sicht herrscht ein weitaus größeres Forschungsdesiderat zur katholischen als zur evangelischen Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts.“ Martin L O E S E R , Die katholischen Kirchenmusiker im 17. Jahrhundert, in: Franz K Ö R N D L E ‒ Joachim K R E M E R (Hgg.), Der Kirchenmusiker. Berufe ‒ Institutionen ‒ Wirkungsfelder (Enzyklopädie der Kirchenmusik 3), Laaber 2015, 221f., Zit.: 221. 51 Vgl. S E I B R I C H , Orgel auf dem Land (wie Anm. 46), 154f.; M Ü L L E R , Visitation (wie Anm. 45), 294f.; Sabine E I B L , Küster im Fürstbistum Münster. Stabsdisziplinierung, Gemeindeansprüche und Eigeninteressen im konfessionellen Zeitalter (Westfalen in der Vormoderne 27), Münster 2016, 143‒146; zu den Küsterlehrern vgl. ebd., 222‒232. 52 Vgl. Siegbert R A M P E , Orgel- und Clavierspielen 1400‒1800. Eine deutsche Sozialge‐ schichte im europäischen Kontext (Musikwissenschaftliche Schriften 48), München ‒ Salzburg 2014. 53 Vgl. S E I B R I C H , Orgel auf dem Land (wie Anm. 46), 156‒158; E I B L , Küster (wie Anm. 51), 257‒268. 54 Vgl. S E I B R I C H , Orgel auf dem Land (wie Anm. 46), 161. 55 Vgl. ebd., 162f. Dagegen betont Rampe, dass Frauen aus religiösen und Schicklichkeits‐ gründen (Pedalgebrauch) vom Organistenberuf ausgeschlossen waren. Dies berück‐ sichtigt allerdings nicht die praktische Ausübung des Orgelspiels durch Frauen, speziell in den Frauenklöstern. Vgl. Siegbert R A M P E , Organisten und andere Tastenspieler, in: H E R S C H E - R A M P E (Hgg.), Sozialgeschichte (wie Anm. 1), 340‒357, hier: 343. zeichnend, dass der einschlägige Band in der „Enzyklopädie der Kirchenmusik“ nur zwei Seiten über die katholischen Kirchenmusiker im 17. Jahrhundert ent‐ hält. 50 Es waren zumeist wohl die Küster und Schullehrer, die oft in Kombination beider Tätigkeiten die Leitung der Gesangsgruppe innehatten und zwangsläufig in die Rolle des Organisten hineinwuchsen. 51 Reine Berufsorganisten dürfte es, wenn überhaupt, wohl fast nur in Städten gegeben haben. 52 Für manche Regionen lassen sich einzelne Familien ausmachen, die in einer Art Dynastie mit dem Küster- und Lehreramt auch die Kenntnisse des Orgelspiels tradiert und für eine gewisse Kontinuität der dörflichen Orgelmusik gesorgt haben. 53 Darüber hinaus muss man damit rechnen, dass gelegentlich ein Handwerker aus dem Dorf sich rudimentäres Wissen im Orgelspiel beigebracht hatte, wie etwa Franz Merten aus Wittlich, der hauptberuflich Glaser war. 54 Gelegentlich traf man hier und da auch außerhalb der Ordensgemeinschaften auf Frauen als Organistinnen. 55 Zwar boten die Klosterschulen oder die Bildungseinrichtungen der Jesuiten Orte für die Ausbildung von Kirchenmusikern, damit dürften sie allerdings nur auf einen engeren regionalen Bereich ausgestrahlt haben. Erst 108 Jürgen Bärsch <?page no="109"?> 56 Vgl. Dieter K I R S C H , Die Kirchenmusik und das Wirken der Schullehrer im Bistum Würzburg des 19. Jahrhunderts, in: Dieter K I R S C H ‒ Ulrich K O N R A D (Hgg.), Kirchenmusik in der Diözese Würzburg. Studien und Quellen vom 16. bis ins 20. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 64), Würzburg 2010, 256‒270; Joachim K R E M E R , Lehrerorganisten im 19. Jahrhundert. Zwischen kir‐ chenmusikalischem Handwerk und künstlerischem Anspruch, in: K Ö R N D L E ‒ K R E M E R (Hgg.), Der Kirchenmusiker (wie Anm. 50), 317‒334. 57 S E I B R I C H , Orgel auf dem Land (wie Anm. 46), 162. 58 Vgl. ebd., 161; Josef S T I L L , Musik für die kleine Königin. Welche Orgelliteratur ist in Niederehe spielbar? , in: Klaus K E M P (Hg.), Die Balthasar-König-Orgel zu Niederehe, Niederehe 1998, 87‒103. 59 Vgl. etwa Hans B Ö H R I N G E R , Zur Geschichte des Orgelbaus in Paderborn, Büren und Höxter, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 41 (1957), 94‒116; Franz K Ö R N D L E , Zur Geschichte der Orgeln der Stadtpfarrkirche St. Walburga in Monheim, in: Friedhelm B R U S N I A K (Hg.), Quaestiones in musica. Festschrift für Franz Krautwurst zum 65. Geburtstag, Tutzing 1989, 317‒323; Friedrich W. R I E D E L (Hg.), Die Orgel als sakrales Kunstwerk III. Orgelbau und Orgelspiel in ihren Beziehungen zur Liturgie und Archi‐ tektur der Kirche (Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz. Sonderband), Mainz 1994/ 95; B I T T N E R , Orgeln Hilpoltstein (wie Anm. 44). mit der Einrichtung von Schullehrerseminaren besserte sich im 19. Jahrhundert die Ausbildung nach und nach. 56 Man kann sich also gut vorstellen, dass die Qualität der angeschafften Instrumente die der Nutzung weit überschritten hat. Aber auch hier lassen sich nur sehr punktuelle Aussagen treffen. Während die Stadtschöffen Bernkastels 1745 von ihrem Organisten verlangten, die Fugen in den Vespern nicht so lange, sondern nur „schöne geistliche Stückelchen“ zu spielen, bezeichneten die Witt‐ licher den genannten Franz Merten als „ungelernt“ 57 . Noch weniger ist bekannt über die in der Kleinstadt und auf dem Dorf zu Gehör gebrachte Orgelliteratur. So konnte Wolfgang Seibrich für das Mittelrheingebiet nirgendwo Kosten für die Anschaffung eines Orgelbuchs oder ähnlichem auffinden. 58 Angesichts des vielfach eng begrenzten Könnens der Organisten darf man hier wohl auch nicht zu viel erwarten. Dennoch sind die Aussagen zur Praxis des Orgelspiels im katholischen Gottesdienst des 17. und 18. Jahrhunderts und ihres Umfeldes wenig befriedigend. Hier werden nur systematische Untersuchungen von Kirchenrechnungen und die Durchmusterung von lokalhistorischen Studien Aufschluss bringen. 59 2.2 Instrumentalmusik Weiß man etwas über andere Musikinstrumente und deren Gebrauch in Land‐ kirchen des 17. und 18. Jahrhunderts? Auch hier dürften vor allem Rechnungen und Inventarverzeichnisse Hinweise liefern, sofern sie von kleinstädtischen Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 109 <?page no="110"?> 60 Etwas besser steht es für das 19. und 20. Jahrhundert. Vgl. exemplarisch Hubert U N V E R R I C H T , Die Kirchenmusiksammlung der Pfarrei Jauernick bei Görlitz, in: Kirchen‐ musikalisches Jahrbuch 89 (2005), 99-101; D E R S ., Die Kirchenmusiksammlung der Pfarrei Jauernick. Ein Nachtrag, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 92 (2008), 131f. 61 B I T T N E R , Orgeln Hilpoltstein (wie Anm. 44), 232. 62 Zit. nach Reinhard H A L L E R , Bodenmais … und die „Bomoesser“. Alltagsleben in einer Königlich-Bayerischen Landgemeinde 1806‒1918. Mit Ausblicken in die Zeit davor und danach, Zwiesel 1989, 322. 63 W I E S L H U B E R , Landpfarreien (wie Anm. 40), 97. 64 Vgl. ebd., 97. 65 Vgl. ebd., 97. und dörflichen Pfarrkirchen überhaupt erhalten sind. 60 Im Pfarrarchiv von Hilpoltstein hat sich ein Inventar von 1755 erhalten, wonach neben der Orgel für die Kirchenmusik zur Verfügung standen: „2 Violin von Dillingen, 2 andere und ältere Violinos, 2 Pratschen, 1 Baseth, 2 Flautten, 2 Cornett Houben, 1 baar Pauckhen und 1 Violin von Steiner.“ 61 Ein 1815 verfasstes Inventar aus der Pfarrkirche von Bodenmais bezeugt, dass sich auf der Empore „2 Pauken mit samt den Fellen, 1 alte Violin, 6 Trompeten“ 62 befanden. Auch wenn dies darauf hindeutet, dass die Instrumente seit geraumer Zeit nicht mehr benutzt wurden, in vergangenen Jahrzehnten dürften sie doch in den Gottesdiensten der Marktgemeinde erklungen sein. Aus niederbayerischen Pfarreien des Land‐ kreises Passau konnte Josef Wieslhuber Kirchenrechnungen analysieren. Im Blick auf die Kirchenmusik dieser Region spricht er von einer „Stieftochter der Kirche“. 63 Nur für den kleinen Marktflecken Aidenbach sind nennenswerte Ausgaben überliefert. 1764 schaffte man hier zwei neue Pauken für 7 Gulden an, 1776 wurden Saiten für die Streichinstrumente besorgt, und 1782 mussten zwei Trompeten ausgebessert werden. 64 Nimmt man diese Angaben als eher zufällige Ausgabenposten, lassen sie doch gewisse Rückschlüsse auf eine keines‐ wegs schmalbrüstige Instrumentalmusik zu. Offenbar waren unterschiedliche Instrumente wie Streicher, Blas- und Schlaginstrumente doppelt besetzt und ermöglichten eine durchaus ansehnliche musikalische Gestaltung der Liturgie. Dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Ansprüche an die Kirchen‐ musik in dem kleinen Dorf wuchsen, zeigt sich bei der Fronleichnamsprozession 1777. Für die Musiker wurden zur Versorgung 2 Gulden, 30 Kreuzer ausgegeben; den Ratsherren und den Schützen billigte man nur je 1 Gulden zu. In eine ähnliche Richtung zielt die Beobachtung, dass 1704 bei den Bittprozessionen nur Vorsängerinnen und Vorsänger erwähnt werden, während 1777 ein ganzer Chor von Singknaben den Zug musikalisch ausgestaltete. 65 Nicht weniger aufschlussreich sind die Kirchenrechnungen aus St. Jakob in Dachau. Neben der Orgel und einem Regal, das bei Prozessionen und 110 Jürgen Bärsch <?page no="111"?> 66 Vgl. B R E N N I N G E R , Beiträge (wie Anm. 43), 229f. 67 Ebd., 230. 68 So in den Rechnungen von 1681, 1683, 1691, 1697, 1698 und 1699. Vgl. ebd., 229. 69 Die Auflistung der Musikalien ist Teil eines umfassenderen Inventars, das alle bewegli‐ chen Stücke der Kirche St. Moritz verzeichnet (Ingolstadt, Stadtarchiv, VII, 14‒35‒9). Vgl. Rudolf Q U O I K A , Barocke Kirchenmusik in Ingolstadt, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 49 (1965), 125‒143. 70 Vgl. ebd., 133f. 137. 71 Vgl. ebd., 134. 137. 72 Vgl. ebd., 142. 73 Vgl. Rudolf F L O T Z I N G E R ‒ Egon W E L L E S Z , Johann Joseph Fux. Musiker ‒ Lehrer ‒ Komponist für Kirche und Kaiser, Graz 1991, 16‒19. Wallfahrten mitgetragen wurde, lassen sich Streichinstrumente (Diskantgeige, Violinen, Kontrabass, Fidelbögen) und ein Fagott aus den Reparaturvermerken erschließen. 66 1667 erhielt der Benefiziat Franz Hiemer Honorar, um einigen Knaben das Singen und Violinspiel beizubringen, „damit die Gottesdienste gezieret werden“. 67 Man kann also von einem gewissen Musikchor in der Stadtpfarrkirche ausgehen, der gelegentlich durch auswärtige Sänger und Mu‐ sikanten bereichert wurde, wenn etwa Trompeter und Posaunisten bei den Rorateämtern in der Adventszeit spielten. 68 Es ist ein gewisser Glücksfall, wenn sich Inventare von Musikalien oder auch vereinzelte Bestände erhalten haben. Bei größeren Stadtpfarrkirchen wie etwa St. Moritz in Ingolstadt lassen sich Rückschlüsse auf eine reiche Kirchenmusik ziehen. Das Musikinventar von 1710 umfasst allein 32 Seiten und führt zahl‐ reiche Gattungen auf: Messen, Kirchensonaten, Motetten für verschiedene Christus- und Heiligenfeste, Vespern, Psalmen, Litaneien, Mariengesänge. 69 Aber auch „Angstgesänge“, also Gesänge, die bei den Ölbergandachten an den Donnerstagen der Fastenzeit erklangen, 70 oder „Totengesänge profundis“, die an Karfreitag ebenso gesungen wurden wie beim Begräbnis. 71 Bemerkenswert sind die vielen deutschen Gesangsstücke, die offenbar bei den zahlreichen An‐ dachten und anderen gottesdienstlichen Formen Verwendung fanden. 72 Unter den Komponisten stechen Johann Caspar von Kerll (1627-1693), Anton Deichel (um 1662-1712), Johann Melchior Gletle (1626-1683), Heinrich Franz Biber (1644-1704) und Johann Heinrich Schmelzer (um 1623-1680) hervor, nicht zuletzt Johann Joseph Fux (1660‒1741), der fünf Jahre in Ingolstadt studierte und von 1685 bis 1688 Organist an St. Moritz war. 73 Gut bestückt war auch die Musikkapelle an St. Moritz. Neben dem Organisten, dem Türmer, mehreren Tenoristen und Bassisten und einigen Frauenstimmen verfügte man über ein gediegenes Instrumentarium von drei Diskantgeigen, Violinen, zwei Bratschen, einem Violoncello und einem Kontrabass sowie einem Paar Pauken. Clarini, Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 111 <?page no="112"?> 74 Vgl. Q U O I K A , Barocke Kirchenmusik (wie Anm. 69), 142f. 75 Es ist davon auszugehen, dass die Kirchenmusik am Liebfrauenmünster in Ingolstadt ähnlich organisiert und gestaltet war. Vgl. Iris W I N K L E R , Musikleben am Ingolstädter Münster bis 1800, in: Ludwig B R A N D L ‒ Christina G R I M M I N G E R ‒ Isidor V O L L N H A L S (Hgg.), Liebfrauenmünster Ingolstadt, Regensburg 2007, 75‒83. 76 Vgl. Ernst-Günther K R E N I G , Die Kissinger Kirchenmusikinventare aus dem 18. Jahrhun‐ dert. Ein Beitrag zur fränkischen Musikgeschichte, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 43 (1959), 108-112. 77 Vgl. Gabriela K R O M B A C H , Kirchenmusikpflege in den Oberämtern Amorbach und Miltenberg (Amorbach, Buchen, Miltenberg, Hardheim, Walldürn), in: Friedrich W. R I E D E L (Hg.), Geistliches Leben und geistliche Musik im fränkischen Raum des alten Reiches. Untersuchungen zur Kirchenmusik von Joseph Martin Kraus und ihrem geistlich-musikalischen Umfeld, München ‒ Salzburg 1990, 63‒88. 78 Vgl. ebd., 64. 73. 79 Vgl. ebd., 66f. 74. Posaunen und Fagott brachten die Bläser offenbar selbst mit. 74 Es überrascht nicht, wenn in der zentralen Pfarrei einer bayerischen Herzogs- und Universi‐ tätsstadt wie Ingolstadt eine so hochstehende und reiche Kirchenmusik gepflegt wurde, zu der aber eben nicht nur Studenten und Bürgerschaft, sondern auch die „kleinen Leute“ Zugang hatten. 75 Dennoch sticht das Beispiel natürlich heraus. Nehmen wir drei wenige prominente Kirchen hinzu. Aus dem im 18. Jahr‐ hundert nur rund 1000 Einwohner zählenden Kissingen sind zwischen 1757 und 1792 gleich neun Inventare überliefert, die weitgehend einen festen Stamm an Musikalien verzeichnen. Allein die Inventare von 1757 und 1776 bezeugen ein Repertoire von über 100 Messen, 80 Kantaten und Arien, 27 Vespern, 3 Miserere und zahlreichen Sonaten, Antiphonen und deutschen Gesängen. Es handelt sich durchweg um Kompositionen, deren Brauchbarkeit durch die Drucklegung be‐ wiesen war und den technischen Möglichkeiten eines ländlichen Kirchenchores und der verfügbaren Instrumentalmusiker entsprachen. 76 Aussagekräftige Quellen haben sich auch aus der Stadtpfarrkirche von Bu‐ chen und der Landpfarrei Hardheim im kurmainzischen Gebiet des Odenwalds erhalten. 77 Überblickt man das Buchener Inventar, dann war hier Kirchenmusik in der größten, damals üblichen Besetzung möglich. Man verfügte über je zwei Trompeten, Pauken, Hörner, Flöten, Klarinetten, Fagotte, eine Oboe, drei erste und zweite Violinen, zwei Violen, ein Violoncello, einen Kontrabass und selbstverständlich die Orgel. 78 Hier standen auch zahlreiche Musikwerke zur Auswahl, darunter 24 Messkompositionen, 11 Requien, 9 Vespern und weitere Stücke wie Te Deum, Ave Maria, Veni creator spiritus, auch das Passionsoratorium Der Tod Jesu von Joseph Martin Kraus (1756‒1792) für den Karfreitag und für die Auferstehungsfeier am Karsamstagabend Auszüge aus Georg Friedrich Händels (1685‒1759) Messias. 79 112 Jürgen Bärsch <?page no="113"?> 80 Vgl. ebd., 66. 79‒81. 81 Vgl. Dieter K I R S C H (Hg.), Die Musikalien im Diözesanarchiv Würzburg. Katalog der handschriftlichen und gedruckten Bestände, 2 Bde. (Quellen und Studien zur Musikge‐ schichte Würzburgs und Mainfrankens 3‒4), Würzburg 2014. 82 Vgl. Dieter K I R S C H , Die Tradition einer Choral-Passion nach Matthäus in Franken, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 92 (2008), 83‒103. 83 Vgl. K R O M B A C H , Kirchenmusikpflege (wie Anm. 77), 67f.; K R E N I G , Kissinger Kirchenmu‐ sikinventare (wie Anm. 76), 110f. In der kleinen Gemeinde Hardheim war man mutmaßlich weniger reich bestückt. Über die Sammlung an Instrumenten sind leider keine Quellen über‐ liefert, es hat sich aber eine Vielzahl von Kompositionen erhalten. Darunter finden sich verschiedene Messen und Requien mit einem Schwerpunkt auf einfachen Ruralmessen sowie Vesper- und Psalmenkompositionen, Antiphonen, Hymnen, Cantica, Litaneien und deutsche Singarien. 80 In den ländlichen Kirchen erklang also mehrstimmige Musik nicht nur bei der Pfarrmesse, sondern auch beim Stundengebet und anderen Andachten, zumindest an Festen. Wie bemer‐ kenswert reich viele, selbst kleine Pfarreien im unterfränkischen Gebiet an Musikmanuskripten waren, beweisen die Dokumente im Würzburger Diözesan‐ archiv. 81 Demnach lässt sich belegen, dass eine „Passio secundum Matthaeum“ mit Soliloquenten und Chor während der Karwoche offenbar flächendeckend im Bistum verbreitet war. 82 Fragt man nach den Komponisten, von denen die Werke stammten, sind die Meister mit europäischem Rang eher wenig vertreten. In Buchen finden sich Werke von Joseph Haydn (1732‒1809) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756‒ 1792), auch beliebte Kompositionen von Franz Xaver Brixi (1732‒1771), Händel, Niccolo Jommelli (1714‒1774) und Giovanni Battista Pergolesi (1710‒1736). Weit mehr begegnen - ähnlich wie in Kissingen - aber Kompositionen von Musikern aus süddeutschen Klöstern, Adelshöfen und Kathedralkirchen wie Valentin Rathgeber (1682‒1750), Eugen Pausch (1758-1838), Stephan Hammel (1756‒1830) oder Johann Melchior Dreyer (1746‒1824) und Franz Xaver Bühler (1760‒1824). 83 Die wenigen Hinweise, die aus städtischen und ländlichen Pfarrkirchen erhoben werden konnten, erlauben freilich keine generellen Aussagen. Dennoch lassen die exemplarischen Funde vermuten, dass die Kirchenmusik, mit der die „kleinen Leute“ in Berührung kamen, durchaus beachtlich war und selbst in dörflichen Verhältnissen keineswegs geringgeschätzt werden darf. Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 113 <?page no="114"?> 84 Die Literatur zum nachtridentinischen Bruderschaftswesen ist nicht mehr über‐ schaubar. Hier sei verwiesen auf die Darstellung bei H E R S C H E , Muße und Verschwen‐ dung 1 (wie Anm. 5), 396‒419 mit vielen Literaturhinweisen sowie den immer noch exzellenten Überblick bei Bernhard S C H N E I D E R , Wandel und Beharrung. Bruderschaften und Frömmigkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Hansgeorg M O L I T O R - Heribert S M O L I N S K Y (Hgg.), Volksfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 54), Münster 1994, 65‒87. 85 Vgl. Martin S C H E U T Z , Bruderschaften als multifunktionale Dienstleister der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der vereinigten Barbara- und Christenlehrbruderschaft Herzo‐ genburg (1637/ 1677-1784), in: Günter K A T Z L E R (Hg.), 900 Jahre Stift Herzogenburg, Innsbruck u.a. 2013, 283-315, hier: 306. 86 Vgl. ebd., 302. 307. 3 Weitere „Kontaktflächen“ barocker Kirchenmusik Die Gläubigen erlebten Kirchenmusik aber nicht nur im Pfarrgottesdienst ihrer Landkirche. Zumindest zwei Bereiche sollen noch kurz angesprochen werden, die für die barocke Frömmigkeit eine wesentliche Rolle spielten, die Bruderschaften und die Wallfahrten. 3.1 Die Kirchenmusik der Bruderschaftsgottesdienste Im Zuge der nachtridentinischen Konfessionalisierung kamen den (Frömmig‐ keits- oder Devotions-)Bruderschaften als stände- und geschlechtsübergrei‐ fende Vereinigungen von Gläubigen eine wesentliche Rolle zu. Von Laien getragene und verwaltete Korporationen modellierten die kirchliche Reform im Blick auf die je eigenen, eng miteinander verschränkten religiösen und sozialen Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften, weshalb sie einen eminenten Einfluss auf die Gestaltung der Konfessionalisierungsprozesse nahmen. 84 Auch wenn Mitgliederzahlen und finanzielle Potenz erheblich schwankten, waren sie bestrebt, ihre eigenen gottesdienstlichen Feiern so gut es ging auszustatten. Dies betraf die Gestaltung des Altars mit Kerzen- und Figurenschmuck, die Beteiligung von Klerus und Ministranten, die Bereitstellung der Bruderschafts‐ zier (Fahne, Stäbe, Bruderschaftsröcke und -zeichen, Patronatsstatue, Funeral‐ ausstattung u.a.), aber auch eine herausragende Musikgestaltung. Musik zu finanzieren, gehörte gewissermaßen zum Kernbestandteil der Dienstleistung einer Bruderschaft. 85 Nach den Rechnungen der Barbarabruderschaft im niederösterreichischen Herzogenburg etwa wurden in den Jahren 1767 bis 1782 kontinuierlich 50 Gulden für die Musik aufgewandt. 86 Vergleicht man dies mit den übrigen jährlich wiederkehrenden Ausgaben für Kerzen, Ewig-Licht-Öl, Zelebranten, Prediger, 114 Jürgen Bärsch <?page no="115"?> 87 Vgl. ebd., 307 (Tabelle 6: Ausgaben der vereinigten Barbara- und Christenlehrbruder‐ schaft 1767-1783). 88 Hochfürstlich-Salzburgischer Kirchen- und Hof-Calender […] 1726 Salzburg [1725], Eintrag für den 19. März. Hier zit. nach Rupert K L I E B E R , Musikalische Implikationen einer Institution. Salzburgs Bruderschaften im Ausgang des 17. Jahrhunderts. Am Beispiel St. Josef und Hl. Kreuz, in: Petrus E D E R - Ernst H I N T E R M A I E R (Hgg.), Heinrich Franz Biber. Musik und Kultur im hochbarocken Salzburg, Salzburg 1994, 141-153, hier: 144. 89 Vgl. ebd., 145-147; Rupert K L I E B E R , Bruderschaften und Liebesbünde nach Trient. Ihr Totendienst, Zuspruch und Stellenwert im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben am Beispiel Salzburg 1600‒1950, Frankfurt a.-M. u.a. 1999, 385‒392. 90 Vgl. K L I E B E R , Musikalische Implikationen (wie Anm. 88), 144. 91 Vgl. K L I E B E R , Bruderschaften (wie Anm. 89), 101‒114. Sakristan und Stabträger ist dies die mit Abstand höchste Summe, die jedes Jahr zu Buche schlug. 87 Mit ihrem liturgischen Grundgerüst und ihren weiteren Festanlässen galten die Bruderschaften geradezu als Arbeitgeber für Musiker. Denn zu den gesun‐ genen Vigilien und Requien an den Quatembern, in der Allerseelen-Oktav und bei den gestifteten Jahrtagen traten die Hauptfeste, die Kirchfahrten, die Prozessionen und Andachten. Nach der Sakramentsprozession der Salzburger Josephsbruderschaft fand 1726 eine Andacht statt, worauf „gemeiniglich unter herrlicher Music ein Oratorio“ 88 folgte. Selbst im Umfeld der gottesdienstlichen Formen etablierten sich erweiterte musikalische Darbietungen. Liturgischer Mittelpunkt der 1686 gegründeten Heilig-Kreuz-Bruderschaft im Salzburger Bürgerspital bildeten wöchentliche, musikalisch gestaltete Passions-Litaneien. Ihre Initianten und Träger entstammten sogar überwiegend dem Umfeld der Hofmusik und trugen mit ihrer Kunst wesentlich zur Ausgestaltung der fei‐ erlichen Freitags-Litaneien bei. 89 Man kann vermuten, dass nicht wenigen Auftragswerken ein Bruderschafts-Gottesdienst zugrunde lag wie etwa der Josefs-Litanei von Heinrich Franz Biber, vielleicht auch seinen Rosenkranz-So‐ naten. 90 Die vermögende Corpus-Christi-Bruderschaft beauftragte jährlich ein mehrstündiges Musizieren am Heiligen Grab und entlohnte Leopold Mozart (1719-1787) für die Aufführungen von Karfreitags-Oratorien. 91 Zu Recht lässt sich einwenden, hier handle es sich um herausgehobene, im höfisch-bischöflichen Rahmen einer musikalischen Kunstmetropole stehende Beispiele, zu denen allerdings die „kleinen Leute“ durchaus Zugang hatten. Dennoch lassen sich Zeugnisse für kirchenmusikalische Bemühungen selbst in bescheideneren Verhältnissen finden. Auf den Dörfern der Westeifel formierten sich vor allem in den jesuitisch geprägten Sodalitäten und den Christenlehrbru‐ derschaften gemischte Chöre, so etwa in Ordorf, wo 1707 zehn Männer- und 17 Frauenstimmen den Bruderschaftschor bildeten. In Oberkail, Residenzort der Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 115 <?page no="116"?> 92 Vgl. Bernhard S C H N E I D E R , Bruderschaften im Trierer Land. Ihre Geschichte und ihr Gottesdienst zwischen Tridentinum und Säkularisation (Trierer Theologische Studien 48), Trier 1989, 341‒344, hier: 343. 93 Vgl. Bernhard T H E I L , Bruderschaften in Vorderösterreich. Zu Mentalität und Frömmig‐ keit barocker Bruderschaften, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 20 (2001), 195‒210, hier: 198. 94 S C H N E I D E R , Bruderschaften (wie Anm. 92), 344. 95 Vgl. Dionys S T I E F E N H O F E R , Eine reichsstädtische Liturgie, in: Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge 2 (1925), 293‒321, hier: 295. 309. - Selbst in der kleinen Dorfpfarrei Marienberg (Salzburger Land) trug ein „Tenorist“ zur „Verschönerung“ der Gottesdienste am Monatssonntag der Rosenkranzbruderschaft bei, wofür jeweils 30 Kreutzer ausgegeben wurden. Vgl. Edgar K R A U S E N , Liturgie und Brauchtum nach einem Marienberger Funktionarium von 1743, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1964/ 65, 76‒87, hier: 76. 96 Vgl. Thomas G Ö T Z , Barockkatholizismus als Lebensform. Eine frömmigkeitsgeschicht‐ liche Skizze zu den Landshuter Bruderschaften zwischen spätem 17. und spätem 18. Jahrhundert am Beispiel von St. Jodok, in: Mit Kalkül und Leidenschaft. Inszenie‐ rungen des Heiligen in der bayerischen Barockmalerei. Ausst.-Kat., 2 Bde. (Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 17), hier: 1, 221‒244. Grafen von Manderscheid-Kail, fanden sich 1734 22 Sänger und 16 Sängerinnen zusammen, die sicher auch etwas anspruchsvollere Chormusik zu Gehör zu bringen vermochten. 92 Gelegentlich befanden sich wohl auch Musiker in den Reihen der Bruderschaften. Das Inventarverzeichnis der Sebastiansbruderschaft in Schramberg führt jedenfalls einige Musikinstrumente auf, 93 und die gleich‐ namige Fraternität in Trier feierte ihr „musikalisches Amt“ mit „Music, Orgeln und Seytenspiel“. 94 Auch nach der Gottesdienstordnung der Pfarrei Dinkelsbühl 1769 sang der Musikchor der Corpus-Christi-Bruderschaft das Lauda, Sion, Salvatorem unter Begleitung von Posaunen und Zinken. Und nicht weniger feierlich beging die Johannes-Nepomuk-Bruderschaft ihr Fest, wenn unter Pauken- und Trompetenschall die Litanei vom Heiligen gesungen wurde. 95 Die Bruderschaften vermochten die soziale und religiöse Praxis breiter Schichten gerade deshalb zu formen, weil sie den barocktypischen medialen Paradigmen von Theatralität und Repräsentation folgten. 96 Und dabei kam der Musik eine eminent wichtige Rolle zu, da sie dem sinnengeladenen Geschehen der Liturgie eine besondere festiv-dramatische Dimension verlieh und zur affektiven Imagination der Glaubensgeheimnisse beitrug. Insofern lohnte es, die musikalischen Aktivitäten der Bruderschaften systematischer zu sondieren und in ihrer Rolle für die Barockfrömmigkeit zu untersuchen. 116 Jürgen Bärsch <?page no="117"?> 97 Vgl. H E R S C H E , Muße und Verschwendung 2 (wie Anm. 5), 794‒838; Peter H E R S C H E , Die profanen Riten der Wallfahrt, in: Liturgisches Jahrbuch 61 (2011), 64‒83. 98 Vgl. Peter H E R S C H E , Von der Agrikultur zur Musikkultur. Klösterliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik im 18. Jahrhundert, in: Dietmar S C H I E R S N E R ‒ Hedwig R Ö C K E L E I N (Hgg.), Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand. Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert (Studien zur Germania Sacra N. F. 6), Berlin ‒ Boston 2018, 391‒414, hier: 401f. 99 H E R S C H E , Muße und Verschwendung 2 (wie Anm. 5), 827f. 100 Das Inventarium wurde 1826 neu aufgenommen. Vgl. K R O M B A C H , Kirchenmusikpflege (wie Anm. 77), 69‒72. 101 Vgl. Franz M. W E Iẞ , Das Musikalien- und Instrumenteninventar des Servitenklosters Maria Luggau in Oberkärnten aus dem Jahre 1689, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 82 (1998), 105‒121. 3.2 Die Kirchenmusik der Wallfahrtskirchen Wallfahrten waren im 17. und 18. Jahrhundert ein Massenphänomen, das alle Bevölkerungskreise gleichermaßen umfasste. Denn sie verbanden das religiöse Erlebnis mit profanem Freizeitvergnügen und bildeten besondere Höhepunkte im agro-liturgischen Kalender der kleinstädtisch-ländlichen Bevölkerung. 97 Nicht allein die großen Ziele wie Altötting, Walldürn, Mariazell, Einsiedeln oder Kevelaer, auch die vielen kleineren, meist von Ordensgemeinschaften pastoral betreuten Wallfahrtsstätten zogen unzählige Besucher an, die mit ihren Geld‐ spenden wesentlich zum Ausbau der barocken Kirchen mit ihren Ausstattungen wie zur sozial-ökonomischen Infrastruktur beitrugen. 98 Entsprechend den fi‐ nanziellen Möglichkeiten wuchs die Anziehungskraft der Wallfahrtskirchen, so dass die dort gefeierten Gottesdienste an den Hauptfesten mit allem denkbaren sakralen Prunk vor sich gingen. Dazu gehörte, so Peter Hersche, „vor allem eine Musik mit Pauken und Trompeten. Einige Wallfahrtskirchen schafften sich dazu eine eigene Instrumentensammlung an; ihr Reichtum ermöglichte es ihnen auch ohne weiteres, qualifizierte Musiker anzustellen.“ 99 Das Musikinventar der Wallfahrtskirche Walldürn ‒ zugegeben ein besonders prominentes Beispiel ‒ zählt sechs Violinen, zwei Violen, je ein Violoncello, Kontrabass, Fagott und zwei Hörner; erst nach 1817 angeschafft wurden zwei Klarinetten und zwei Flöten, dazu kommen zahlreiche Musikwerke für Messen, Requien, Vespern, Mariani‐ sche Antiphonen und vieles mehr. 100 Ebenso reich an Musikalien bestückt war die Wallfahrtskirche Maria Luggau in Kärnten, zu der, wegen der besonderen geographischen Lage, auch Ost- und Südtiroler, aber auch Gläubige aus Italien und Slowenien pilgerten. Dies erklärt die Vielfalt und Internationalität der hier aufgeführten Kirchenmusik. 101 Für die bedeutende bayerische Marienwallfahrt nach Wessobrunn bieten die seit 1727 regelmäßig veröffentlichten Jahrbücher Einblicke in die Wallfahrtsereignisse des jeweils vergangenen Jahres. Geradezu Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 117 <?page no="118"?> 102 Vgl. Karl P Ö R N B A C H E R , Die „Mutter der schönen Liebe“ zu Wessobrunn. Zur Ge‐ schichte der bedeutendsten bayerischen Marien-Bruderschaft des 18. Jahrhunderts, in: Lech-Isar-Land 1978, 77‒92, hier: 85‒88. 103 Vgl. Kathrin M Ü L L E R , Zisterzienser und Barock. Die Kirchen der Oberdeutschen Kon‐ gregation im Spannungsfeld von Ordensidentität und lokaler Tradition (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. Ergbd. 49), St. Ottilien 2016, 235-244. 104 Vgl. Edgar K R A U S E N , Pflege barocker Frömmigkeitsformen in süddeutschen Zisterzien‐ serklöstern, in: Cîteaux, commentarii Cistercienses 32 (1981), 155‒166, hier: 163. wie Jahres- und Erfolgsberichte eines Vereins schildern die kleinen, in Leder gebundenen Bändchen die großen Wallfahrtstage, die aufs höchste inszeniert wurden. Fahnen, Böller, Illumination, prächtige Orchestermessen mit Pauken und Trompeten zeichnen das Bild eines glanzvollen barocken Festes, das die Erwartungen der erlebnishungrigen Wallfahrer möglichst noch übertreffen sollte. 102 Selbst in den von Zisterziensern versorgten Wallfahrtskirchen wie Vierzehn‐ heiligen, Raitenhaslach oder Birnau ließen das üppige barocke Bauprogramm und die glanzvolle Festmusik monastische Einfachheit zugunsten der Repräsen‐ tationsrhetorik zurücktreten. 103 Der Weg führte auch hier vom alten Zisterzien‐ serchoral zu den konzertanten Mozartmessen. 104 4 Ausblick Es ging um Sondierungen zu einem Forschungsfeld, das bisher eher wenig Aufmerksamkeit gefunden hat und in der Sozial- und Liturgiegeschichte wie in der Musikgeschichte weitgehend im Schatten stand. Die These Hersches, in der katholischen Barockkultur ‒ vornehmlich im Gottesdienst ‒ hätten gerade auch die „kleinen Leute“ Zugang zu qualitativ hochstehender Musik und damit zu einem Bereich großer Kulturinnovationen gehabt, konnte durch die hier stich‐ probenhaften Erkundungen durchaus gestützt werden. Es zeigte sich einerseits eine große Ungleichzeitigkeit in der musikalischen Praxis des gottesdienstlichen Lebens, andererseits lassen Einzelzeugnisse darauf schließen, dass figurierte Kirchenmusik keineswegs nur in großen Kathedral- und Klosterkirchen oder in Kirchen und Kapellen der Adelshöfe erklang. Es lohnt also, die Linie der These Hersches weiterzuverfolgen. Ein zentrales Problem bildet die Quellenlage. Hier sind Quellengattungen zu nennen, die von der Liturgiewie Musikgeschichtsforschung bisher kaum berücksichtigt wurden, wie etwa Kirchenrechnungen, die sich vor allem für kleinere Landkirchen freilich nur selten erhalten haben und die noch seltener ediert und kommentiert sind. Umso wichtiger wäre es, solche archivalischen 118 Jürgen Bärsch <?page no="119"?> 105 Vgl. Jürgen B Ä R S C H , Rechnungen als Quellen für die Liturgiegeschichtsforschung. Dargestellt an Rechnungen des Werkamtes und der Dom-Kustorei Bamberg aus dem 17. bis 19.-Jahrhundert, in: Liturgisches Jahrbuch 70 (2020), 45‒59. 106 Zu diesen Quellen vgl. Benedikt K R A N E M A N N , Anmerkungen zur Hermeneutik der Liturgie, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 50 (2008), 128‒161; Jürgen B Ä R S C H , Der Liber Ordinarius als Objekt liturgiehistorischer Forschung. Zu Geschichte, Stand und Perspektiven der Forschung, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 62/ 63 (2020/ 2021), 178‒218, hier: 199‒203. 215‒217. 107 Vgl. Andreas H O L Z E M , Bedingungen und Formen religiöser Erfahrung im Katholizismus zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung, in: Paul M Ü N C H (Hg.), Erfahrung als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte (Historische Zeitschrift. Beihefte NF 31), München 2001, 317‒332; G ÖT Z , Barockkatholizismus (wie Anm. 95). 108 Vgl. Jürgen B Ä R S C H , Im Thronsaal Gottes und seiner Heiligen. Katholischer Gottesdienst im Horizont barockzeitlicher Gesellschaft und Kultur, in: Dominik B R A B A N T ‒ Marita L I E B E R M A N N (Hgg.), Barock. Epoche ‒ ästhetisches Konzept ‒ Denkform, Würzburg 2017, 55‒82, hier: 75‒78. Funde zu sichern und für die hier angesprochene Thematik auszuwerten. 105 Ebenso können Inventarverzeichnisse und ähnliche Aufzeichnungen Hinweise auf die kirchenmusikalische Praxis in Pfarreien liefern. In dieser Hinsicht dürfte auch eine Auswertung der pfarrlichen Direktorien, Funktionarien und ähnlicher Gottesdienstordnungen vielversprechend sein. Zwar wird man hier wenig über konkrete Musikliteratur finden, aber die Gesangs- und Instrumentalpraxis, der Einsatz von Kantoren, Chören, Organisten im Verlauf der verschiedenen Feiern im Kirchenjahr könnte plastischer hervortreten. 106 Schließlich ist der große Bereich der landes- und lokalgeschichtlichen Studien zu berücksichtigen. Gerade in solchen regionalhistorischen Untersuchungen finden sich immer wieder Zeugnisse und Überlieferungen zum kirchenmusikalischen Leben in den Kleinstädten und auf den Dörfern. Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ ist nicht allein ein Thema des en‐ geren liturgie- und musikgeschichtlichen Interesses. Es ist vielmehr für das Verständnis der Konfessionalisierung im 17. und 18. Jahrhundert von grundle‐ gender Bedeutung. Denn die Ausbildung einer katholischen Konfessionskultur und deren Integration in die alltägliche Lebenswelt und deren vom Glauben ge‐ tragene Frömmigkeitspraxis gründet im Wesentlichen im liturgischen Erleben, in der affekthaften Erfahrung, die vor allem durch Bild und Musik geformt wurde. 107 Insofern lässt sich die Liturgie der Barockzeit als ein „Transformati‐ onsriemen“ kultureller und sozialer Vermittlung verstehen, in der die Wirkung der Musik kaum deutlich genug betont werden kann. 108 Die Kirchenmusik der „kleinen Leute“ 119 <?page no="121"?> 1 Ilse A I C H I N G E R , Kleist, Moos, Fasane, Frankfurt a. M. 1991, 55. Hier zitiert nach Reiner K U N Z E , gedichte, Frankfurt a.-M. 4 2013, 245. 2 Zur Bedeutung Reiner Kunzes im Kontext der Theologie vgl. Erich G A R H A M M E R , Verwandlung der Welt. Vom inspirierenden Potential der Poesie, in: D E R S ., Erzähl mir Gott. Theologie und Literatur auf Augenhöhe, Würzburg 2018, 55-71. Apfelbaum und Weinstock Warum Lyrik für die Liturgiewissenschaft unverzichtbar ist Andreas Bieringer „Wir sind gar nicht gemeint, gemeint ist, was an uns Licht gibt.“ 1 Ilse Aichinger 1 Zwei Gedichte im Vergleich Als Hymnologe verfügt Ansgar Franz über eine Affinität zur Lyrik, die weit über das berufliche Interesse hinausgeht. Wer den Jubilar darüber hinaus kennt, weiß ebenso um seine Leidenschaft für den eigenen (Nutz-)Garten. Der Mainzer Liturgiewissenschaftler zieht hoch über Rhein und Nahe in seinem Heimatort Bingen Gemüse und andere Köstlichkeiten, die er gerne mit Familie und Freunden teilt. Auf der Suche nach einem Dichter, der Lyrik und Garten miteinander verbindet, stößt man mit Reiner Kunze (* 1933) unweigerlich auf einen Klassiker der deutschsprachigen Gegenwartslyrik, der am 16. August 2023 seinen 90. Geburtstag feierte und wie wenige andere Autoren auf ein äußerst bewegtes Leben zurückblicken kann. 2 Zwei Gedichte des Büchner-Preis-Trägers von 1977, die beide Bildfelder auf ihre Art verknüpfen, stehen im Zentrum der folgenden Überlegungen. Damit soll einerseits die Tätigkeit von Ansgar Franz als Hymnologe und Liturgiewissenschaftler mit einem unkonventionellen Festschriftbeitrag gewürdigt werden. Anderseits möchte der Autor des Beitrags <?page no="122"?> 3 Zum Ansatz einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft vgl. Andreas B I E R I N G E R , Got‐ tesdienst in der Literatur. Entwurf einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft (Pietas Liturgica. Studia 26), Tübingen 2023. 4 K U N Z E , gedichte (wie Anm. 1), 160f. 5 K U N Z E , gedichte (wie Anm. 1), 205. anhand der beiden Gedichte kurz skizzieren, warum ausgerechnet die Lyrik für eine kultursensible Liturgiewissenschaft unverzichtbar ist. 3 BESCHNEIDEN DER APFELBÄUME IM WINTER 4 Mit den ihren kappe ich alle zweige in mir die hoch hinauswollen Von neuem auf die augen setzend Und auf die äste nach außen Durch die krone eines apfelbaums muß ein mann mit korb hindurchgehen können, sagen die alten gärtner Und übergroßes leid und übergroße freude müssen hindurchgehen können durch uns Vertikale Jungtriebe kappen, schlafende Augen (= ruhende Knospen) erhalten, horizontale Äste stärken: Hier spricht ein erfahrener Baumpfleger, der weiß, worauf es beim Beschneiden von Obstbäumen ankommt. Die Pointe des Ge‐ dichts sitzt in der Baumkrone, die möglichst frei bleiben muss, weil für das Gedeihen und Reifen der Früchte ausreichend Licht benötigt wird. Kunzes poetische Meisterschaft besteht darin, Vorgänge in der Natur und im Menschen so zu beschreiben, dass ihnen ein umfassender Sinn entwächst. Wer nicht nur Leid, sondern auch übergroße Freude an sich vorüberziehen lässt, folgt einer stoischen Unerschütterlichkeit. Oder anders formuliert: Kunzes Gedichte bewegen sich am Übergang von der Meditation zur Kontemplation. Das ist nicht vorschnell metaphysisch zu verstehen. In der ersten Strophe von „selbst‐ gespräch für andere“ wendet sich der Dichter gegen eine vorschnelle Indienst‐ nahme: „Nichts hat das gedicht gemein / mit der auferstehung, / die erde und himmel miteinander verknüpft, / damit der kelch vorübergehe am menschen“. 5 122 Andreas Bieringer <?page no="123"?> 6 Vgl. dazu u.a. die Überlegungen von Erich G A R H A M M E R , Das Gedicht hat einen Wohnort: entlang dem Staunen. Reiner Kunze zum 90. Geburtstag, online abrufbar unter: https: / / www.feinschwarz.net/ das-gedicht-hat-einen-wohnort-reiner-kunze-90-geburt stag/ sowie Cornelius H E L L , Risse des Glaubens. Das Religiöse im Werk von Reiner Kunze, online abrufbar unter: https: / / www.furche.at/ religion/ risse-des-glaubens-1247 525 (Zugriff auf beide am 10.09.2023). 7 Reiner K U N Z E - Michael S C H E U E R M A N N , „Mir ist Gotteserfahrung nicht zuteilgeworden“. Ein Gespräch mit Reiner Kunze, in: Herder-Korrespondenz 41 (1987/ 9), 425-429. 8 K U N Z E , gedichte (wie Anm. 1), 290. Ob sich Kunzes Gedichte einer religiösen Deutung entziehen oder doch eine „zarte Transzendenz“ vermitteln, darüber wurde ausführlich debattiert. 6 Der Dichter selbst hielt in einem bis heute nicht widerrufenen Interview fest, dass ihm bislang keine Glaubenserfahrung zuteilwurde: „Ich achte den Glauben anderer, mir selbst aber ist Gotteserfahrung bis heute nicht zuteilgeworden. Sollten Sie allerdings darin, daß ich für jedes Erwachen dankbar bin, auch wenn ich nicht weiß, wem, ein religiöses Empfinden erblicken, so habe ich dagegen nichts einzuwenden.“ 7 Auch wenn Kunze keine Glaubenserfahrung gemacht hat, erinnern seine Gedichte an die Verwandtschaft von Dichtung und religiöser Rede. Gedicht und Gebet bedienen sich einer Sprache, die durch Rhythmus und Klang herausge‐ hoben ist und zum Gesang neigt. Beide sind Suchbewegungen, weil es anfangs noch keine Worte für das gibt, was sie eigentlich ausdrücken möchten. Beten heißt, dem verborgenen Gott nahe zu kommen. Dichten heißt wiederum, in Bereiche des Nonverbalisierbaren vorzudringen. Beide Sprachformen bilden eine Suche ab: Religiöses Sprechen wie auch das Dichten sind eine Suche nach Worten oder, wie Kunze in seinem Gedicht „Poetik“ sagt: „Das gedicht / ist der blindenstock des dichters / / mit ihm berührt er die dinge, / um sie zu erkennen.“ 8 Trotz aller Verwandtschaft dürfen die Unterschiede nicht übergangen werden. Während der Adressat des Gebets immer Gott ist und damit eine Beziehung zu einem konkreten Gegenüber ausgedrückt wird, richtet sich ein Gedicht an eine nicht näher bestimmte Leserschaft. Darüber hinaus kann weltliche Poesie alle Dinge der Wirklichkeit ansprechen, ohne sich auf ein übergeordnetes Ziel festzulegen. Darauf will Kunze in seinen Gedichten nicht verzichten und schreibt gerade den Theologen ins Stammbuch: „Von niemanden gezwungen sein, im brot / anderes zu loben / als das brot.“ Frei von Zwängen greift Kunze im nächsten Gedicht ein unmittelbar religiös konnotiertes Bildfeld auf, das einen direkten Bezug zum christlichen Glauben aufweist: Apfelbaum und Weinstock 123 <?page no="124"?> 9 Ebd., 150f. 10 blut und wasser lassen sich als Anspielung auf Joh 19,34 lesen: „[…] einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus“. Blut und Wasser werden traditionell als Symbol für die Sakramente gedeutet. Vgl. dazu etwa die Präfation des Herz Jesu-Festes: „Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche. Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles“ (Die Feier der Heiligen Messe. Meßbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, Kleinausgabe. Das Meßbuch deutsch für alle Tage des Jahres, hg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, AUF DEM KALVARIENBERG BEI RETZ IM JANUAR 9 Auch der weinstock ist ein gekreuzigter Wie er sich in seiner nacktheit krümmt, die arme zur seite gebunden Ganz die gebärde des erlösers am sandsteinkreuz Und blut und wasser wird zur beere, aus der sie jahr für jahr den süßen einträglichen wein keltern Wie aus dem stein den glauben So viele gekreuzigte auf dem weg zu dem einen Am Beginn eines der schönsten Gedichte Kunzes steht erneut eine Naturbe‐ obachtung. Das lyrische Ich nimmt seinen Leser mit auf eine winterliche Wanderung, die durch Weinberge auf den Retzer Kalvarienberg im österrei‐ chischen Weinviertel führt. Wieder erregt eine früchtetragende Pflanze die Aufmerksamkeit des Dichters. Wie der Apfelbaum wird auch der Rebstock seiner Früchte wegen stark beschnitten. Führte das erste Gedicht noch ins Innere des Dichters, ruft er in diesem Gedicht ein christliches Motivfeld auf. Ein Sandsteinkreuz auf dem Kalvarienberg wird mit der Form eines verkrümmten Weinstocks parallel gesetzt. Auf den ersten Blick ist alles für eine poetische Messe angerichtet: Wasser und Wein, Blut und Erlösung. Ab der sechsten Zeile erhebt sich jedoch herbe Kritik: „Und blut und wasser wird zur beere, aus der sie / jahr für jahr / den süßen einträglichen wein keltern / / Wie aus dem stein den glauben“. 10 Wenn die institutionalisierte Glaubensverkündigung zum einträglichen Geschäft wird, steht die Ursprungserfahrung von Golgotha 124 Andreas Bieringer <?page no="125"?> Österreichs und der Schweiz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen und Lüttich, Freiburg u.a. 1976, 258f.). 11 K U N Z E , gedichte (wie Anm. 1), 61. 12 Ebd., 247. 13 Wertvolle Einsichten für diesen Abschnitt verdankt der Autor Ludger S C H W I E N ‐ H O R S T -S C H Ö N B E R G E R , Christlicher Glaube in einem säkularen Zeitalter, in: Thomas M Ö L L E N B E C K - Ludger S C H U L T E (Hgg.), Spiritualität. Auf der Suche nach ihrem Ort in der Theologie, Münster 2017, 69-112. auf dem Spiel. Eindringlich warnen die Verse vor einer Petrifizierung des Glaubens, ein Bild, das Kunze immer wieder ins Wort nimmt: „Und wieder und wieder gekreuzigt / Christus / / in holz und stein / kupfer und eisen / glas und gips / / Aber die Auferstehung“. 11 Es gehört zu den großen Herausforderungen von Theologie und Kirche, die in schriftliche Texte und Rituale gespeicherte Ursprungserfahrung trotz aller Abnutzungserscheinungen authentisch weiter‐ zugeben. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma liefert die letzte Strophe, auf die zugleich die Pointe des Gedichts hinausläuft. Das lyrische Ich schließt den Kreis und kehrt zur Ausgangssituation der Wanderung zurück. Auf dem Weg zum Kalvarienberg begegnen ihm viele Weinstöcke in Form des Gekreuzigten. Es gilt, das alte Erlösungsgeschehen immer wieder zu aktualisieren und heute die „viele[n] gekreuzigte[n] auf dem weg zu dem einen“ nicht zu übergehen. Ein Glaube, der nicht in den Alltag der Menschen führt, ist ein Irrweg. 2 Verwandtschaft zwischen Poesie und Liturgie „Doch immer öfter liegen wir wach, / um halt zu finden an der stille“. 12 Ein‐ gangs wurde die Frage gestellt, warum Poesie für die Liturgiewissenschaft unverzichtbar ist. Ihre Funktion als Prophetin, die von außen auf blinde Fle‐ cken und Fehlentwicklungen hinweist, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, wurde bereits angedeutet. Dazu kommt, dass heutige Menschen die Liturgie kaum mehr attraktiv finden. Sie fühlen sich vom Gottesdienst weder angesprochen, noch erfahren sie dort einen Prozess der inneren Wandlung. Es wäre vermessen, an dieser Stelle zu behaupten, Gedichte könnten den elementaren Erfahrungsverlust in der Liturgie aufhalten oder gar wettmachen. 13 Und dennoch, so lautet die abschließende These des Beitrags, zeugt Kunzes Lyrik von einer der Liturgie vorauslaufenden Erfahrung, die hilft, den Gottesdienst für Zeitgenossen neu zu erschließen. Kunzes Gedichte sind unaufdringliche Anleitung zur Meditation. Sie rufen zu Ruhe und innerer Einkehr auf: „Inne‐ halten, verweilen, nachklingen lassen und wiederholen“ - in dieser Haltung Apfelbaum und Weinstock 125 <?page no="126"?> 14 S C H W I E N H O R S T -S C H Ö N B E R G E R , Christlicher Glaube in einem säkularen Zeitalter (wie Anm. 13), 101. 15 Vgl. K U N Z E - S C H E U E R M A N N , „Mir ist Gotteserfahrung nicht zuteilgeworden“ (wie Anm. 7), 425-427. 16 Vgl. ebd., 425f. 17 K U N Z E , gedichte (wie Anm. 1), 161. vollzieht sich die Lektüre. 14 Das setzt ein verlangsamtes Lesetempo voraus, weil es beim Lesen der Gedichte nicht wie sonst üblich um die Weitergabe von Fakten oder Informationen geht. Das verringerte Tempo setzt vielmehr einen Prozess der Aufmerksamkeit in Gang. Kunze ist ein Meister darin, unter die Wahrnehmungsschwelle Gesunkenes zum Leuchten zu bringen. Rein äußerlich betrachtet, geschieht in den Gedichten nichts Außergewöhnliches. Der Dichter schildert vertraute Naturerscheinungen und Alltagsbegebenheiten. Mit seiner gesteigerten Aufmerksamkeit gelingt es ihm jedoch, Analogien zwischen Natur und Mensch, Alltag und Religion aufzuzeigen. Nicht selten verknüpft er dafür zwei zunächst weit auseinanderliegende Wirklichkeiten so miteinander, dass wir etwas wahrnehmen, was wir im Alltag sonst nicht wahrgenommen hätten. 15 Damit kann der Dichter im Beschneiden der Apfelbäume eine Anleitung für stoische Gelassenheit gegenüber aufbrausenden Gefühlen ebenso erkennen wie im verkrümmten Weinstock den gekreuzigten Christus. Die Freude Kunzes an Analogie, Reprise und Übertragung lässt das alltägliche Leben als Zeichen und Symbol eines größeren Zusammenhangs erscheinen. Gerade darin sind die Gedichte Kunzes mit der Liturgie verwandt. Beide verknüpfen - auf je eigene Weise - auseinanderliegende Wirklichkeiten so miteinander, dass aus ihnen ein umfassender Sinn entsteht. Wer Kunzes Gedichte in diesem Modus liest, schult sein inneres Aufmerksamkeitsorgan, in den vermeintlich unscheinbaren Dingen des Alltags eine tieferliegende Dimension zu erkennen. Von seiner ursprünglichen Herkunft aus der DDR geprägt, kritisiert Kunze schon früh die Kapitalisierung aller Lebensbereiche, die Mensch und Umwelt gleichermaßen zerstört. 16 Gegen die daraus resultierende Beschleunigung setzt Kunze auf Entschleunigung, Stille und das Schweigen als Grundhaltung, die seinen Gedichten vorausgehen. „Stille häuft sich an um mich, / die erde fürs gedicht“. 17 Hätte nicht gerade die Liturgie auf diesem Gebiet den Menschen von heute ein attraktives Angebot als Kontrapunkt zur Unruhe unserer Tage zu ma‐ chen? Die hier nur schemenhaft skizzierte Verwandtschaft zwischen Poesie und Liturgie bietet einer kultursensiblen Liturgiewissenschaft Ansatzpunkte genug, um Strategien gegen den Erfahrungsverlust in der Liturgie zu entwickeln, gilt doch für beide die freundliche Einladung: 126 Andreas Bieringer <?page no="127"?> 18 Ebd., 77. Treten Sie ein, legen Sie Ihre traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen. 18 Apfelbaum und Weinstock 127 <?page no="129"?> 1 Seit der Kodifikation der römischen Liturgie am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter bis zur jüngsten Liturgiereform trat bekanntlich im Leseprogramm der Messe nur in bestimmten Ausnahmefällen eine alttestamentliche Lesung an die Stelle der Epistel oder - selten - zu dieser hinzu. Quantitativ ist festzuhalten, dass alttesta‐ mentliche Lesungen an Sonntagen und den meisten Herrenfesten - mit Ausnahme von Vigilien - nicht vorkamen; qualitativ ist die Auswahl nach christlich-typologischen Kriterien die Regel. Nach Ansgar F R A N Z (Hg.), Streit am Tisch des Wortes? Zur Deutung und Bedeutung des Alten Testaments und seiner Verwendung in der Liturgie (Pietas Liturgica 8), St. Ottilien 1997, vgl. Ansgar F R A N Z , Wortgottesdienst der Messe und Altes Testament. Katholische und ökumenische Lektionarreform nach dem II. Vatikanum im Spiegel von Ordo Lectionum Missae, Revised Common Lectionary und Four Year Lectionary: Positionen, Probleme, Perspektiven (Pietas Liturgica. Studia 14), Tübingen 2002. Einen Überblick über den Traditionsbestand bietet Antoine C H A V A S S E , Les lectionnaires romains de la messe au VII e et au VIII e siècle. Sources et dérivés (Spicilegii Friburgensis Subsidia 22), 2 Bde., Fribourg 1993, Index 1, 49-54. Die zumindest in der frühmittelalterlichen Theorie vollständige Lesung des Alten Testaments in der Vigil der Tagzeitenliturgie und ihre faktische Schrumpfung kann hier nicht weiter erörtert werden; zuletzt vgl. z.B. Henry P A R K E S , Biblical Readings for the Night Office in Eleventh-Century Germany: Reconciling Theory and Practice, in: Jinty N E L S O N - Damien K E M P F (Hgg.), Reading the Bible in the Middle Ages (Studies in Early Medieval History), London 2015, 77-100; 215-224 (Anm.); 272f. (Bibliographie). Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ Eine Ernüchterung Harald Buchinger In der römischen Tradition kam das Alte Testament über viele Jahrhunderte im Leseprogramm der Messe quantitativ und qualitativ zu kurz. 1 Dagegen mani‐ festiert sich das Proprium der römischen Liturgie im dreifachen Sinne darin, ihre Gesänge fast ausschließlich aus dem Alten Testament zu beziehen und gerade darin ihre eigene Botschaft auszudrücken: Zunächst ist die Ausbildung eigener, mit praktisch jedem Anlass wechselnder Stücke - also eines Gesangspropriums als solchen - in ritenvergleichender Betrachtung keineswegs selbstverständlich; dies ist vielmehr die spezifische Eigenart - das Proprium im zweiten Sinne - des römischen Ritus. Drittens ist es die charakteristische Stimme der römischen <?page no="130"?> 2 Vgl. z.B. Harald B U C H I N G E R , Lebensraum des Wortes. Zur Bibelverwendung der römi‐ schen Liturgie am Beispiel ihrer Gesänge, in: Liturgisches Jahrbuch 62 (2012), 181-206. 3 Nicht-biblische Hymnen sind bekanntlich über den Umweg der nach der anonymen, seit der Karolingerzeit Benedikt von Nursia zugeschriebenen Mönchsregel vollzogenen Tagzeitenliturgie unter anderem aus „ambrosianischem“ Brauch in die hybride rö‐ misch-fränkische Mischliturgie eingedrungen, wurden aber in der Stadt Rom selbst nur zögerlich rezipiert; in der Messe hat sich nicht-biblische Poesie zunächst nur an den Rändern der „Gregorianischen“ Gesänge und in zusätzlichen Überlieferungsschichten von den frühmittelalterlichen Tropen und Sequenzen bis zu den muttersprachlichen Liedern und Gesängen etabliert. Letztere konnten das Gregorianische Proprium zwar faktisch überlagern, aber erst in der jüngsten Reform auch offiziell ersetzen. 4 Der Verzicht auf christliche Neudeutungen in den Gesängen von Messe und Tagzeiten‐ liturgie unterscheidet die ältere römische Tradition von der jüngsten Liturgiereform mit ihrer christologiegeschwängerten Überbietungshermeneutik, die sich nicht nur in der ausschließlich typologisch motivierten Auswahl der neu eingeführten alttesta‐ mentlichen Lesungen der Sonntagsformulare manifestiert, sondern auch in zahlreichen Gesängen bis hin zu verschiedenen Antiphonen des Wochenpsalters. Hierin besteht ein liturgischer Traditionsbruch mit potentiell fatalen Konsequenzen für die Bibeltheologie und die Wahrnehmung sowohl des Alten Testaments als auch Israels und des Judentums im Bewusstsein der Gläubigen einschließlich des Klerus. 5 Die Performanz der Liturgie hat dabei zwei Dimensionen: Einerseits ist es für die Feier des liturgischen Ritus konstitutiv, dass sich ihre Bedeutung nur in und aus der Performanz wirklich voll erschließt; andererseits kommt es dadurch aber zu einer Veränderung der Feiersubjekte, also zu einer Transformation, die ebenfalls als Performanz bezeichnet werden kann. Liturgie ist performativ im doppelten Sinne. Liturgie im ökumenischen Konzert unterschiedlicher Hermeneutiken und Spi‐ ritualitäten, selbst den ureigensten Inhalt der christlichen Feste - und damit das Proprium christlicher Theologie und Liturgie auch gegenüber dem Judentum - fast ausschließlich mit Worten des Alten Testaments zu formulieren. 2 In den als Gregorianik auch außerhalb Roms im gesamten lateinischen Westen und später weltweit verbreiteten Gesängen manifestiert sich nicht nur der strenge Biblizismus der römischen Liturgie; 3 in ihnen lebt auch eine von neutestamentlicher und patristischer Relecture des Alten Testaments gespeiste Theologie, deren oft übersehener Resonanzboden freilich jene kanonische Lektüre bildet, die jenseits der Feste die Propriumsgesänge der römischen Tradition prägt. 4 Dabei geht es nicht nur um typologische Exegese, sondern um ein mehrdimensionales Angebot der theologischen und existentiellen Iden‐ tifikation in der Performanz des liturgischen Vollzugs 5 und um die Korrelation dreier Erfahrungen: erstens jener bleibend grundlegenden Erfahrungen, die im Alten Testament - der „Schrift“ oder vielmehr den „Schriften“ der Urkirche - zum Ausdruck kommen; zweitens der neutestamentlichen Deutungen des Christusereignisses und der Erfahrungen der an ihn glaubenden Gemeinde im Lichte ihrer Bibel, also des später so genannten Alten Testaments; und drittens 130 Harald Buchinger <?page no="131"?> 6 Die Bedeutung dieses Prozesses und der daraus erwachsenden Theologie ist von der zünftigen Dogmatik erst ansatzweise zur Kenntnis genommen; vgl. Josef W O H L M U T H , Jesu Weg - unser Weg. Kleine mystagogische Christologie, Würzburg 1992 [Kommen‐ tierte Neuausgabe hg. v. Florian B R U C K M A N N - René D A U S N E R - Erwin D I R S C H E R L , Paderborn 2018]. 7 Vgl. z.B. Harald B U C H I N G E R , Pascha bei Origenes (Innsbrucker Theologische Studien 64), Innsbruck 2005; D E R S ., Pascha, in: Reallexikon für Antike und Christentum 26 (2015), 1033-1077, sowie immer noch grundlegend Franz N I K O L A S C H , Das Lamm als Christussymbol in den Schriften der Väter (Wiener Beiträge zur Theologie 3), Wien 1963, 75-155. Diese christliche Rezeption des biblischen Pesach war so dominant, dass sie vielleicht sogar das rabbinische Judentum veranlasste, für den Grundtext der Pesachhaggada auf Dtn 26 auszuweichen, wo vom Pesach als solchen gar nicht die Rede ist; vgl. Israel J. Y U V A L , Easter and Passover as Early Jewish-Christian Dialogue, in: Paul F. B R A D S H A W - Lawrence H O F F M A N (Hgg.), Passover and Easter. Origin and History to Modern Times (Two Liturgical Traditions 5), Notre Dame, IN 1999, 98-124, hier: 108-113, sowie Clemens L E O N H A R D , The Jewish Pesach and the Origins of the Christian Easter. Open Questions in Current Research (Studia Judaica 35), Berlin 2006, 107-117. der Erfahrung der je aktuellen Individuen und Gemeinschaften, die sich die in den liturgischen Texten geronnene Tradition singend aneignen dürfen und so ihren Glauben prägen und zum Ausdruck bringen können. 6 Die Nüchternheit und Zurückhaltung der römischen Liturgie zeigt sich dabei darin, dass die Deutungsangebote insbesondere der Festformulare zwar häufig eindeutig sind, aber diskret bleiben und nicht zur Aneignung ihres christlichen Propriums zwingen: Das alttestamentliche Bibelwort kann auch dort, wo der Kontext der Festesfeier neue und spezifisch christliche Resonanzen zum Klingen bringt, gehört und gesungen werden etsi Christus non daretur (auch wenn damit die Intention seiner situativen liturgischen Aneignung verfehlt würde). Zu Ostern hat dieses hermeneutische Wechselspiel zwischen christlicher Botschaft und alttestamentlicher Fundierung noch eine besondere Dimension und Radikalität: ist doch Ostern - schon im Lateinischen und Griechischen als Fremdwort Pascha über das Aramäische vom hebräischen Pesach entlehnt - zunächst ein alttestamentliches und jüdisches Fest, das erst aufgrund des Todes Jesu im zeitlichen Zusammenhang des Pesach-/ Pascha-Festes und der in 1 Kor 5,7 und Joh 19,31-36 bezeugten theologischen Identifikation Jesu mit dem dabei geschlachteten gleichnamigen Tier zur Jahresfeier von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu geworden ist; zugleich ist Ex 12 so sehr zum Grundtext der altkirchlichen Paschatheologie geworden, dass die ältesten einschlägigen Schriften - seit der Homilie des Melito und dem Traktat des Origenes - über weite Strecken Auslegung des alttestamentlichen Pesachgesetzes im Lichte des Christusereignisses sind. 7 Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 131 <?page no="132"?> 8 René-Jean H E S B E R T (Hg.), Antiphonale Missarum Sextuplex, Bruxelles 1935 [Ndr. Rome 1985], 100f., Nr.-80; vgl. B U C H I N G E R , Lebensraum (wie Anm. 2), 197-199. 9 Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 100-107, Nr. 81-87; Renatus-Joannes H E S B E R T (Hg.), Corpus Antiphonalium Officii (Rerum Ecclesiasticarum Documenta. Series maior: Fontes 7-12), Roma 1963-1979, 4, 521, Nr.-8414. 10 Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 100-107, Nr.-81-86. 11 Schon bei Alex S T O C K , Kleines Motivregister christlicher Ostergesänge, in: Alex S T O C K - Manfred W I C H E L H A U S , Ostern in Bildern, Reden, Riten, Geschichten und Gesängen, Zürich 1979, 201-223, kommt das Alte Testament nur en passant vor (konkret erstens im Hinweis auf „die alttestamentlichen Vorgeschichten der Ostergeschichte von Jona und Samson und David und Moses“, ebd. 204, die allesamt nicht ins „Gotteslob“ Eingang gefunden haben, zweitens in der Erwähnung der Frühlingsdimension des Pesach ebd. 211f., und drittens in der Erörterung der in den heute noch gesungenen Osterliedern nirgends konkret und explizit festzumachenden Verwurzelung der Liebeslieder im Hohenlied ebd. 217-219); das Alte Testament prägt die von Annette A L B E R T -Z E R L I K , Wandlungen in Glaubensverständnis und Spiritualität? Traditionelle und moderne Osterlieder im Vergleich (Pietas Liturgica. Studia 23), Tübingen 2014, analysierten Osterlieder so wenig, dass es keine für das Inhaltsverzeichnis relevante Kategorie ihrer „Themen und Theologie“ ist (vgl. VIIIf., insbesondere 2.A.II: „Thematische In den Gesängen der römischen Osterliturgie nimmt die alttestament‐ liche Prägung so unterschiedliche Formen an wie die Aneignung von Ps 138(139),18.5f. als innertrinitarisches Gespräch am Ostermorgen im Introitus der Tagesmesse durch die singenden Christen (Resurrexi, et adhuc tecum sum …: „Auferstanden bin ich, und bin noch immer bei dir …“), 8 die formal einzigartige Verwendung des seit altkirchlicher Zeit als Osterpsalm par excellence promi‐ nenten Ps 117(118) im Gradual-Responsorium Haec dies quam fecit dominus …: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat …“, in der ganzen Osteroktav einschließlich ihrer Tagzeitenliturgie 9 oder die mystagogischen Introiten der Eucharistiefeiern der Woche nach Ostern, die den Neugetauften (und der ganzen Gemeinde) die neue Würde ihrer christlichen Existenz mit mehrheitlich alttestamentlichen Worten zusingen: Introduxit vos dominus in terram fluentem lac et mel …: „Der Herr hat euch in ein Land hineingeführt, das (von) Milch und Honig fließt …“ (vgl. Ex 13,5.9); Aqua sapientiae potavit eos …: „Mit Wasser der Weisheit hat er sie getränkt …“ (vgl. Sir 15,3f.); Victricem manum tuam, domine, laudaverunt pariter …: „Deine siegreiche Hand, o Herr, lobten sie einmütig …“ (Weish 10,20f.); Eduxit eos dominus in spe …: „Der Herr hat sie herausgeführt in Hoffnung …“ (Ps 77[78],53); Eduxit dominus populum suum in exultatione …: „Der Herr hat sein Volk herausgeführt in Jubel …“ (Ps 104[105],43) 10 - um nur ein paar Höhepunkte zu nennen. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig alttestamentliche Motive die deutsch‐ sprachigen Katholik: innen des römischen Ritus in den Osterliedern ihres Ge‐ sangsbuchs finden. 11 Eine Spurensuche im Stammteil des „Gotteslob“ 2013 (1) 132 Harald Buchinger <?page no="133"?> Einzelaspekte“, und B.II.3: „Allgemeine Merkmale der nach Themenschwerpunkten kategorisierten Lieder“). 12 Um die Fußnoten nicht unnötig aufzublähen, wird auf die Wiedergabe von Literatur‐ angaben, die in den Auslegungen in Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur, Stuttgart 2017, zu finden sind, in der Regel verzichtet; für den großen Anteil ökumenischen Liedguts vgl. außerdem die umfangreichen bibliographischen Hinweise in der im Folgenden detailliert zitierten, da nicht aufsteigend numerisch organisierten Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Andrea Ackermann gilt mein herzlichster Dank für die großzügige Bereitstellung von Fassungen älterer Gesangsbücher. 13 Vor Franz-Rudolf W E I N E R T , Christ ist erstanden, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 98-101, vgl. Franz Karl P R Aẞ L , Christ ist erstanden, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 10, Göttingen 2004, 55-61. 14 Kronzeugen sind schon Ambrosius von Mailand und Augustinus von Hippo mit zahlreichen Belegen; vgl. Harald B U C H I N G E R , Pentekoste, Pfingsten und Himmelfahrt. Grunddaten und Fragen zur Frühgeschichte, in: Richard W. B I S H O P - Johan L E E M A N S - Hajnalka T A M A S (Hgg.), Preaching after Easter. Mid-Pentecost, Ascension, and Pentecost in Late Antiquity (Vigiliae Christianae. Supplements 136), Leiden 2016, 15-84, hier: 55f.; 60; 63; 66; 78. ist ernüchternd (2); dass dies nicht unbedingt so sein müsste, zeigt freilich ein ökumenischer Seitenblick ins Evangelische Gesangbuch (3). 12 1 Das Alte Testament in den Osterliedern des „Gotteslob“ 2013 - ein Durchgang Christ ist erstanden (GL 318 13 ), das wohl älteste und prominenteste deutsche Osterlied, das denn auch im neuen „Gotteslob“ den Reigen der Gesänge für die Osterzeit eröffnet, kommt ohne alttestamentliche Bezüge aus, wenn man vom wiederholten, für die Osterzeit seit der Spätantike im lateinischen Westen besonders charakteristischen „Halleluja“ absieht. 14 (In der zweiten Strophe des Himmelfahrtsliedes Christ fuhr gen Himmel [GL 319] mag man hingegen im „Christ fuhr mit Schallen“ - einer Aussage ohne Anknüpfung im Neuen Testament, wo die Himmelfahrt Christi nicht von akustischen Phänomenen begleitet ist - eine Resonanz des alttestamentlichen Intertexts Ps 46[47],6, Ascendit deus in jubilatione et dominus in voce tubae: „Gott stieg auf mit Jubel, der Herr zum Schall der Posaune“, vernehmen, der als erster Halleluja-Vers Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 133 <?page no="134"?> 15 Vgl. Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 120f., Nr. 102; Corpus Antiphona‐ lium Officii (wie Anm. 9), 3, 59, Nr. 1490; 4, 30, Nr. 6122f. (Responsorien); 476, Nr. 7952 (Vers [hier und im Folgenden im Sinne des erst später so genannten „Versikels“); vgl. Franz-Rudolf W E I N E R T , Christi Himmelfahrt. Neutestamentliches Fest im Spiegel alttestamentlicher Psalmen. Zur Entstehung des römischen Himmelfahrtsoffiziums (Dissertationen theologische Reihe 25), St. Ottilien 1987, 114-119; D E R S ., Christ fuhr gen Himmel, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 95-97, hier: 97. Die zweite Strophe ist erstmals bei Leisentrit 1567 bezeugt. 16 Vgl. Ansgar F R A N Z , Victimae paschali laudes, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 1095-1100. 17 Vgl. Corpus Antiphonalium Officii (wie Anm. 9), 3, 498, Nr. 5080 (Antiphon); 4, 427, Nr. 7740f. (Responsorien); 501, Nr. 8213 (Vers); Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 108, Nr.-90 (Halleluja, nur Ms. R = Zürich, Rheinau 28). und Offertorium des Himmelfahrtsfestes wie auch in dessen Tagzeitenliturgie wiederholt zu dessen biblischer Orchestrierung gehört. 15 ) Die Ostersequenz Victimae paschali laudes (GL 320 16 ) des Wipo (1. Hälfte 11. Jh.), von der die Melodie des Liedes abgeleitet ist und mit der es nicht selten in Verbindung trat, beginnt dagegen programmatisch mit dem Pesach-Opfer, als das Christus angesprochen wird. Dieser wird zwar zunächst nicht genannt; aber schon die in der Bibel nicht für das Pascha-Opfer verwendete Terminologie der victima führt zu einem theologischen Orientierungsreflex; gänzlich paradox ist sodann die Aussage, die Christen sollten diesem Pascha-Opfertier opfern: Victimae paschali laudes immolent Christiani. Hier werden nicht nur direktes und indirektes Objekt der Opferhandlung vertauscht (nicht das, sondern dem Opfer soll geopfert werden), sondern auch klargestellt, dass das Opfer der Christen ein Lob-Opfer ist, also ein übertragenes, worthaftes Opfer im Sinne des auch in Hebr 13,15 aufgegriffenen Psalms 49(50),14 (entfernt vgl. auch Jona 2,10). Als Grund dafür wird die für alle Ostertheologie fundamentale soteriologische Bedeutung des Pascha-Lammes angesprochen: Agnus redemit oves, „Das Lamm erlöste“ diejenigen, die mit Joh 10 im Gefolge der alttestamentlichen Hirten- und Herden-Metaphorik als „Schafe“ angesprochen werden: die „Sünder“, die der „unschuldige Christus dem Vater versöhnt hat“ (vgl. insbesondere Röm 5,8-11, weiters 2 Kor 5,18-20 sowie Eph 2,16; Kol 1,20.22). Diese Ostertheologie setzt nicht nur das alttestamentliche Pascha voraus, sondern auch jene biblische Me‐ taphorisierung des Opfers, die für alle christliche Liturgietheologie grundlegend ist. In Surrexit Dominus vere (in GL 321 ein Taizé-Kanon auf Basis des in der traditionellen Osterliturgie vielverwendeten Zitats von Lk 24,34 17 ) beschränkt sich der alttestamentliche Bezug auf die Verwendung von „Halleluja“ als Kehr‐ vers. Dieser prägt auch das ansonsten österliche Evangelien paraphrasierende 134 Harald Buchinger <?page no="135"?> 18 Vgl. Sabrina N I E D E R E L Z , Halleluja … Ihr Christen, singet hocherfreut, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 433-437. 19 Stattdessen zitierten die Schlussstrophen die liturgische Abschluss- und Entlassungs‐ formel Benedicamus domino - Deo gratias. 20 Vgl. B U C H I N G E R , Pascha bei Origenes (wie Anm. 7), 2, 774f., mit Verweis auf die ältere Literatur. Von einem „König der Herrlichkeit“ ist in der Bibel bekanntlich nur in diesem Psalm die Rede. 21 Vgl. Hagia W I T Z E N R A T H , Am Abend Weinen - doch am Morgen Jubel. Ps 30, ein alter Osternachtspsalm der Kirche, in: Hansjakob B E C K E R - Reiner K A C Z Y N S K I (Hgg.), Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium. II: Interdisziplinäre Reflexion (Pi‐ etas Liturgica 2), St. Ottilien 1983, 447-495, hier v. a. 488-490. Zur Unklarheit von Ps 29(30),13 vgl. Dieter B ÖH L E R , Psalmen 1-50 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i.Br. 2021, 536f.; 534. 22 Vgl. Elke L I E B I G , Vom Tode heut erstanden ist, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 1113-1116. Erzähllied Ihr Christen, singet hocherfreut (GL 322 18 ) aus dem ausgehenden Mittelalter. Wenn in der letzten Strophe „An diesem Tag, den Gott gemacht …“ mit Ps 117(118),24 einer der wichtigsten Psalmverse altkirchlicher Osterli‐ turgie und -homiletik anklingt, geht dies offenbar auf die erste Redaktion des Einheitsgesangsbuchs „Gotteslob“ zurück; sowohl das lateinische Vorbild O filii et filiae als auch dessen frühere deutsche Übertragungen formulierten den do‐ xologischen Schluss ohne biblisches Kolorit. 19 Dafür geht in der Umschreibung Christi als „Herr der ewgen Herrlichkeit“ in der ersten Strophe die Anspielung des lateinischen Vorbilds auf den „König der Herrlichkeit (rex gloriae)“ von Ps 23(24),7-10 verloren, mit dessen Einzug seit ältester Zeit die österliche Soteriologie vom Abstieg und Aufstieg Christi aufgerufen wird. 20 Der 2013 neu ins „Gotteslob“ aufgenommene Gesang Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt (GL 323) ist kein (Oster-) Lied, sondern ein von einem zeitgenössischen Musiker vertonter Verschnitt von Ps-29(30),12a.3b.12b-13 im bis auf den Schluss unveränderten Wortlaut der alten Einheitsübersetzung (die mit der Aussage „Dir singt mein Herz“ die Dunkelheit des hebräischen Textes fromm verschleiert); damit firmiert ein seit der Spätantike für die christliche Osterliturgie wichtiger Psalm unter den Gesängen für Ostern. 21 Das aufs spätmittelalterliche Surrexit Christus hodie zurückgehende Vom Tode heut erstanden ist (GL 324 22 ) ist wiederum ein Erzähllied, für das Silja Walter im Vorfeld des „Gotteslob“ 1975 neue Strophen gedichtet hat, in denen die soteriologische Dimension anders als im Vorbild akzentuiert wird. Wenn deren zweite davon spricht, „Die ganze Erde staunt und bebt“, muss man nicht über das Erdbeben von Mt 28,2 hinaus an das Offertorium des Ostersonntags Terra Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 135 <?page no="136"?> 23 Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 100f., Nr. 80. In der Tagzeitenliturgie kommt der Text nur am Hohen Donnerstag vor: Corpus Antiphonalium Officii (wie Anm. 9), 3, 505, Nr.-5139. 24 Eine Anspielung auf das Motiv kommt in der römischen Liturgie freilich nur im Responsorium Recessit pastor noster (Corpus Antiphonalium Officii [wie Anm. 9], 4, 375, Nr. 7509) vor, das als einer der wenigen - signifikanterweise frei, wenn auch im Rückgriff auf biblische Motive formulierten - Texte des römischen Ritus von der Hadesfahrt Christi spricht; vgl. Ingrid F I S C H E R , Die Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern. Feier - Theologie - Spiritualität (Pietas Liturgica. Studia 22), Tübingen 2013, 251-253, sowie zur weitgehenden Abwesenheit des Motivs im Kern der römischen Liturgie Gerard A.M. R O U W H O R S T , The Descent of Christ into the Underworld in Early Christian Liturgy, in: Marcel S A R O T - Archibald L.H.M. V A N W I E R I N G E N (Hgg.), The Apostles’ Creed. ‘He Descended into Hell’ (Studies in Theology and Religion 24), Leiden 2018, 54-78. 25 S.o. Anm. 20. 26 Vgl. L I E B I G , Vom Tode heut erstanden ist (wie Anm. 22), 1114 (wie das von Andrea Ackermann zur Verfügung gestellte Dossier belegt, ist der Beleg repräsentativ). 27 Vgl. Michael P F E I F E R , Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 88-90. tremuit (Ps-75[76],9f.) denken; 23 dass Christus in der dritten Strophe als Sieger „Riegel, Schloss und Stein“ sprenge, weist dagegen über den Verschluss des neutestamentlichen Grabes hinaus auf das Interpretament von Ps 106(107),5, das in der christlichen Tradition nicht einfach eine Parallele zum Grabstein darstellt. Die „eisernen Riegel“ (vgl. auch Jes 45,2) gehören vielmehr zu den „ehernen Toren“ der Unterwelt, aus der Christus - wie auch das Exultet sagt - „als Sieger emporsteigt“, um die dort Gefangenen herauszuführen. 24 Darum gehören „Riegel“ und „Schloss“ auch zum kanonischen Grundbestand der byzantinischen Anastasis-Ikone. Wenn das lateinische Lied davon sprach, „dass der König der Herrlichkeit auferstanden ist (quod surrexit rex gloriae)“, griff es mit der in der Bibel nur in Ps 23(24),7-10 belegten Redeweise einen anderen Psalm auf, der seit ältester Zeit zur biblischen Orchestrierung des Descensus und Ascensus Christi gehört 25 - ein Aspekt, der im neuen Lied leider nicht mehr erhalten ist, aber auch schon in frühen deutschen Versionen verlorengegangen war. 26 Ob die Aufforderung der vierten Strophe, „Nun jauchzt und jubelt“, bewusst auf den zweiten Teil des für die Osterliturgie seit der Spätantike in Ost und West indispensablen Psalmverses 117(118),24, „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Wir wollen jubeln und uns an ihm freuen“, anspielen will, muss dagegen dahingestellt bleiben. Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit (GL 325 27 , vom zeitgenössischen Priester-Poeten Peter Gerloff auf die beliebte Weise „Eventide“ von William Henry Monk) lebt ganz von der Emmaus-Perikope Lk 24,13-35 und kommt ohne alttestamentlichen Intertext aus. 136 Harald Buchinger <?page no="137"?> 28 Vor Franz Karl P R Aẞ L , Wir wollen alle fröhlich sein, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 1194-1197, vgl. ausführlicher D E R S ., Wir wollen alle fröhlich sein, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 10, Göttingen 2004, 61-64. 29 Vor Annette A L B E R T -Z E R L I K , Gelobt sei Gott im höchsten Thron, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 357-363, vgl. Diana R O T H A U G , Gelobt sei Gott im höchsten Thron, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 5, Göttingen 2002, 81-86. 30 Vor Annette A L B E R T -Z E R L I K , Das ist der Tag, den Gott gemacht, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 144-147, vgl. Manfred S I T Z M A N N , Dies ist der Tag, den Gott gemacht, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 3, Göttingen 2007, 12-16. 31 Zur Bedeutung von Ps 117(118) für die Weihnachtspredigt des Gregor von Nyssa und die zugrundeliegende Liturgie vgl. Jochen R E X E R , Die Festtheologie Gregors von Nyssa. Ein Beispiel der reichskirchlichen Heortologie (Patrologia 8), Frankfurt 2002, 90f. Wir wollen alle fröhlich sein (GL 326 28 ), ein auf einen spätmittelalterlichen Tropus zum Benedicamus Domino zurückgehendes Lied, entfaltet eine österliche Soteriologie einschließlich der Zerstörung der „Höllen Pfort“; die Formulie‐ rungen sind aber nicht eindeutig genug, um als Anspielungen auf die „ehernen Tore“ von Ps 106(107),5 oder die „Tore“ von Ps 23(24),7-10 gelten zu können. Auch das eröffnende „Wir wollen alle fröhlich sein“ ist höchstens ein entfernter Nachklang des österlichen Psalms 117(118),24 „Wir wollen jubeln und uns an ihm freuen“. Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt (GL 327) ist eine Antiphon auf den geringfügig veränderten Text des bereits erwähnten Psalms 29(30),12. Das Erzähllied Gelobt sei Gott im höchsten Thron (GL 328 29 ) aus dem Ge‐ sangsbuch der Böhmischen Brüder von Michael Weiße (1531) bemüht keine alttestamentlichen Intertexte. Das ist der Tag, den Gott gemacht (GL 329 30 ) beginnt programmatisch mit einem Zitat von Ps 117(118),24, des seit der Spätantike in der Osterliturgie uni‐ versal bezeugten Psalmverses, den Heinrich Bone dem erstmals 1847 greifbaren Osterlied vorangestellt hat. Dass ältere Lieder mit dem gleichen Anfang nicht Ostern, sondern Weihnachten galten, entspricht durchaus dem altkirchlichen Befund, der den später für Ostern charakteristischen Psalm zunächst auch an anderen hohen Festen, zumal Weihnachten, vorsah. 31 Die heutige fünfte und letzte Strophe geht ebenfalls auf ein erstmals bei Heinrich Bone - allerdings erst 1851 - bezeugtes Lied zurück, dessen dort am Anfang stehende Aufforderung „Nun singt dem Herrn ein neues Lied“ auf biblisches Formelgut beider Testa‐ mente zurückgreift (Ps 95[96],1, aus dessen weiterer Folge auch die Rede von „aller Welt“ und den „Wundern“, die „der Herr getan“ hat, stammt; eng verwandt vgl. Ps 97[98],1; die Aufforderung „Singt dem Herrn ein neues Lied“ findet sich Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 137 <?page no="138"?> 32 Aus dem Lied Nun singt dem Herrn ein neues Lied stammt auch die sowohl dort als auch im neuen Das ist der Tag, den Gott gemacht zweite Strophe „Verklärt ist alles Leid der Welt“, die allerdings erst bei Joseph M O H R , Psälterlein. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, Regensburg 1891, Nr. 125 bezeugt ist. Deren zweite Zeile spielte bis zu den Einheitsliedern der deutschen Bistümer von 1947 mit der Aussage „der Tod hat keinen Stachel mehr“ auf Hos 13,14 und 1 Kor 15,55f. an, einen Text, der nicht zuletzt als erste Antiphon der Karsamstags-Laudes bis zur letzten Liturgiereform von eminenter Bedeutung für die römische Osterliturgie war: Corpus Antiphonalium Officii (wie Anm. 9), 3, 371, Nr. 4045; vgl. Ingrid F I S C H E R , Die Tagzeitenliturgie (wie Anm. 24), 180f., in Rückgriff auf Balthasar F I S C H E R , O mors, ero mors tua. Eine Kurzformel der römischen Liturgie für das Paschamysterium, in: Eulogia. Miscellanea liturgica in onore di P. Burkhard Neunheuser O. S. B. (Studia Anselmiana 68 = Analecta Liturgica 1), Roma 1979, 97-113. Die Neufassung für das „Gotteslob“ verzichtete darauf zugunsten einer Allerweltsaussage über die Auferstehung, „Der Herr erstand in Gottes Macht“. Die Verfolgung dieser Varianten verdanke ich dem von Andrea Ackermann großzügig zur Verfügung gestellten Material. 33 Heinrich B O N E , Cantate! Katholisches Gesangbuch …, Mainz 1847, Nr.-114. darüber hinaus in Ps 149,1; Jes 42,10; von einem „neuen Lied“ sprechen weiters Ps 32[33],3; 39[40],4; 143[144],9 sowie im Neuen Testament die Kernszenen himmlischer Liturgie in Offb 5,9; 14,3); die von der Redaktion des ersten „Got‐ teslob“ vorgenommene Einengung von der unbestimmten Ermunterung, „ein neues Lied“ zu singen, zur determinierten Form „das neue Lied“ widerspricht freilich der Bibel. 32 (Waren hier Menschen am Werk, denen zwar die lateinische Bibel mit ihrer grundsätzlichen Unfähigkeit zur Unterscheidung determinierter und undeterminierter Nominalformen, nicht aber deren griechisches Vorbild oder gar der hebräische Text vertraut waren? War christlich-triumphalistische Exklusivität leitend? Oder beides? ) Die bei dieser Gelegenheit von Friedrich Dörr neu geschaffenen Strophen sind zwar dogmatisch ergiebig, aber frei von alttestamentlichen Motiven. Das Lied des 19. Jahrhunderts formulierte dagegen das Kerygma des liturgischen „Heute“ voller Anspielungen auf Pascha und Exodus, die wohl vom Osterhymnus Ad cenam agni providi inspiriert waren: Heut ziehn wir aus Aegyptenland, (vgl. post transitum maris rubri) Befreit von allem Dienst und Band; (vgl. de Pharaonis aspero sumus erepti imperio) Heut fegen wir den Sauerteig, (vgl. sinceritatis azyma 1-Kor 5,8) Und kleiden uns hochfreudenreich (vgl. stolis salutis candidi) - - Heut halten wir das Ostermal (sic) (vgl. ad cenam agni providi) Bei unserm Herrn im Hochzeitsaal; (vgl. ebd. + Offb 19,9 etc.) Heut essen wir das Himmelsbrod, (vgl. sinceritas azyma + Joh-6) Das uns bewahrt vor Höll’ und Tod. 33 (vgl. per quam franguntur tartara) 138 Harald Buchinger <?page no="139"?> 34 Benediktinisches Antiphonale 3, Münsterschwarzach 1996, 150 (Sonntagsvesper der Osterzeit); 257 (Sonntagsvesper), auch übernommen von Frank-Lothar H O S S F E L D - Erich Z E N G E R , Psalmen 101-150 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testa‐ ment), Freiburg i.Br. 2008, 256f.; 262f.; 270f. 35 Vgl. Annette A L B E R T -Z E R L I K , Ist das der Leib, Herr Jesu Christ, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 599-604. 36 Vor Annette A L B E R T -Z E R L I K , Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 206-212, vgl. Johanna S C H E L L , Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 2, Göttingen 2001, 71-74. 37 Andrea A C K E R M A N N , O Licht der wunderbaren Nacht, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 940-943, hier: 941. Die Bezeichnung Christi als „Morgenstern“ (lucifer matutinus; vgl. 2 Petr 1,19; Offb 22,16), geht vielleicht indirekt auf das Alte Testament zurück; vgl. etwa die Bileams-Weissagung über den „Stern“, der „aus Jakob aufgehen wird“ (Num 24,17). Tanze, du Erde (GL 330) ist eine Antiphon aus dem Benediktinischen Antipho‐ nale 1996 in dessen charakteristischer, inzwischen auch von der Einheitsüber‐ setzung 2016 übernommenen Übersetzung des Hallel-Psalms 113(114),7. 34 Ist das der Leib, Herr Jesu Christ (GL 331 35 ), die barocke Meditation über den Leib des Auferstandenen von Friedrich Spee, bedarf keiner alttestamentlichen Motive. Das gilt auch für die Entfaltung der kosmischen Freude über die Auferstehung Die ganze Welt, Herr Jesu Christ (GL 332 36 ) aus derselben Feder. Der Ruf Christus ist erstanden. Halleluja (GL 333) war noch im „Gotteslob“ 1975 als „Gemeindevers“ ausgewiesen und - inhaltlich nicht zwingend - „(zur Bereitung)“ rubriziert; alttestamentlich ist daran nur das wiederholte „Halleluja“. O Licht der wunderbaren Nacht (GL 334), 1963 von Georg Thurmair geschaffen und offenbar ursprünglich als Lied nach dem Exultet gedacht, „greift … ausge‐ wählte Motive“ aus dem Osterlob, dem praeconium paschale, auf, wenn auch mit einer gravierenden Einschränkung: „Vollständig ausgespart werden die alttestamentlichen Bezugstellen“ 37 - und damit die Basis jeder Ostertheologie, die gerade für das Exultet von fundamentaler Bedeutung ist. Der Kehrvers Das ist der Tag, den der Herr gemacht (GL 335) ist eine deutsche Fassung des seit der Spätantike in Ost und West zu Ostern bezeugten Psalms 117(118),24 und wie schon im „Gotteslob“ 1975 sowohl unter den Gesängen der Osterzeit (in GL 1975, 232,4 „zum Antwortpsalm“ rubriziert) als auch als Antiphon zum entsprechenden Psalm (GL 66,1 im Psalter; GL 1975: 236,1: Vesper in der Osterzeit; die Vesper in der Osterzeit in GL 2013, 643 bietet zu Ps 117[118] dagegen die psalmfremde Antiphon Jubelt dem Herrn, alle Lande [GL 1975, 232,6] - formal ein Stil- und Traditionsbruch, der leider in der jüngeren Praxis keine Ausnahme ist). Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 139 <?page no="140"?> 38 Vor Anne H A R Z E R , Jesus lebt, mit ihm auch ich, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 629-633, vgl. Manfred S I T Z M A N N , Jesus lebt, mit ihm auch ich, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 2, Göttingen 2001, 85-88. 39 S.o. Anm. 32. 40 Vgl. Annette A L B E R T -Z E R L I K , Freu dich, erlöste Christenheit, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 333-338. 41 Hermann K U R Z K E - Benediktiner in Münsterschwarzach, Jerusalem, du neue Stadt, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 616-618. 42 Ye/ Sing choirs of new Jerusalem; Original: Guido Maria D R E V E S (Hg.), Hymnographi Latini. Lateinische Hymnendichter des Mittelalters 2 (Analecta Hymnica Medii Aevi 50), Leipzig 1907, 285, Nr.-215 (5). Jesus lebt (GL 336 38 ), ein Osterlied von Christian Fürchtegott Gellert an der Schwelle vom Barock zur Aufklärung, verarbeitet zwei alttestamentliche Motive: Die Frage, „Tod, wo sind nun deine Schrecken? “, gleich in der zweiten Zeile der ersten Strophe, spielt auf 1 Kor 15,55 an, ist aber nicht ohne Hos 13,14 zu verstehen, einen in der traditionellen Osterliturgie des römischen Ritus zentralen Text; 39 die Wendung des zuvor alle Strophen abschließenden „dies ist meine Zuversicht“ zu „Herr, Herr, meine Zuversicht“, spielt auf Luthers Übersetzung von Ps 70(71),5 an (vgl. auch Ps 141[142],6, weiters entfernter Ps 17[18],19 / / 2 Sam 22,19). Freu dich, erlöste Christenheit (GL 337 40 ), ein seit dem ausgehenden 18. Jahr‐ hundert im Katholizismus beliebtes Osterlied, bedarf des Alten Testaments nicht, um seine Botschaft zu formulieren. Mit Jerusalem, du neue Stadt (GL 338 41 ) übernimmt das „Gotteslob“ einen mittelalterlichen lateinischen Hymnus des Fulbert von Chartres († 1028), der als volkssprachliches Lied offenbar zunächst seit dem 19. Jahrhundert im eng‐ lischen Sprachraum rezipiert wurde, 42 in der Übersetzung des Benediktinischen Antiphonales und auf eine von Heinrich Schütz für Ps-150 des Becker-Psalters geschaffene Melodie. Der „neue Klang“, den die „neue Stadt“ ihren Liedern gleich nach der zweiten Zeile der ersten Strophe geben soll, spielt nicht nur auf die Gesänge der himmlischen Liturgie nach Offb 5,9; 14,3 an, sondern auch auf das dort aufgegriffene alttestamentliche Motiv (s. o. zu GL 329 Das ist der Tag, den Gott gemacht: Ps 95[96],1; 97[98],1 etc.). Dass der „Held aus Juda siegt“, ist zwar ebenfalls eine Aussage der neutestamentlichen Johannes-Apokalypse, die aber ihrerseits auf den alttestamentlichen Jakobssegen zurückgreift (deutsch vgl. Gen 49,9f. Lutherübersetzung für eine crux interpretum; Offb 5,5; lateinisch ist in Anspielung auf dieselben Verse einfach vom „Löwen“ [leo] die Rede). Wenn in der dritten Strophe die soteriologische Aussage des österlichen Ascensus in der Metapher formuliert wird, „die erlöste Schar“ folge Jesus „befreit aus 140 Harald Buchinger <?page no="141"?> 43 Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 120f., Nr. 102 (Halleluja Dominus in Sina[i]); Corpus Antiphonalium Officii (wie Anm. 9), 3, 58, Nr. 1487 (Antiphon Ascendens [Christus] in altum); ebd., 4, 30, Nr. 6123 (Vers zum Responsorium Ascendit Deus in in jubilatione [vgl. oben Anm. 15]); vgl. W E I N E R T , Christi Himmelfahrt (wie Anm. 15), 153- 170. Zum biblischen Text und seiner jüdischen und christlichen Rezeptionsgeschichte vgl. Jean P O T I N , La fête juive de la Pentecôte. Étude des textes liturgiques (LeDiv 65a-b), Paris 1971; W. Hall H A R R I S III, The Descent of Christ. Ephesians 4: 7-11 and Traditional Hebrew Imagery (Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums 32), Leiden 1996 [repr. Grand Rapids, MI 1998]. 44 Vgl. B U C H I N G E R , Pentekoste (wie Anm. 14). der Gefangenschaft“, wird mit einer Anspielung auf den philologisch ebenfalls schwierigen und darum in der theologischen Rezeption besonders produktiven Ps 67(68),19 ein Motiv abgewandelt, das schon im Neuen Testament (Eph 4,8) aufgegriffen wird und im römischen Ritus das typologische Potential der dunklen Aussage vor allem in der Liturgie des Himmelfahrtsfestes entfaltet. 43 Dieses erst in reichskirchlicher Zeit auf Basis der Chronologie von Apg 1,3 entwickelte Fest 44 ist jenseits einer simplen Mimesis des neutestamentlichen Narrativs theologisch freilich eine Entfaltung des patristischen Motivs jenes österlichen Aufstiegs Christi, der seinerseits als Gegenbewegung zum Abstieg der „Höllenfahrt“, des Descensus ad inferos/ infera, zu verstehen ist. 2 Zwischenbilanz - und ein Nachtrag Sieht man von psalmodischen Kehrversen und vom etwas längeren Auszug aus Ps 29(30) ab, beschränken sich die alttestamentlichen Elemente in den Osterliedern des „Gotteslob“ auf das ubiquitäre „Halleluja“ und einige wenige Anspielungen: Wiederholt wird „der Tag, den Gott/ der Herr gemacht (hat)“ aus dem seit der Spätantike zu Ostern universal prominenten Ps 117(118),24 zitiert; vereinzelt finden sich Resonanzen anderer für die Osterliturgie wichtiger Psalmen wie Ps 67(68),19 und Ps 106(107),5; weniger osterspezifisch sind Motive aus Ps 49(50),14 und Ps 97(98),1. In der Übersetzung mehrfach verlorengegangen ist dagegen der in der patristischen und liturgischen Tradition für die Entfaltung des Descensus und Ascensus Christi hochbedeutsame Ps 23(24),7-10 über den Einzug des „Königs der Herrlichkeit“. Nicht nur von 1 Kor 15,55, sondern indirekt auch von Hos 13,14 inspiriert ist die rhetorische Frage, „Tod, wo ist dein Schrecken? “. Eine vergleichsweise komplexe Soteriologie auf Basis typo‐ logischer Rezeption des Alten Testaments, wie sie für die überkommene Liturgie des römischen Ritus charakteristisch ist, findet sich nur in der Übertragung des mittelalterlichen Hymnus Jerusalem, du neue Stadt. Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 141 <?page no="142"?> 45 Nach Annette A L B E R T -Z E R L I K , Zum Mahl des Lammes schreiten wir, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 12), 1228-1233, vgl. Ansgar F R A N Z - Alexander Z E R F Aẞ , Rettendes Lamm und mystischer Hahn. Die poetische Rezeption der Bibel in der lateinischen Hymnodie: Zwei Beispiele, in: Harald B U C H I N G E R - Clemens L E O N ‐ H A R D (Hgg.), Liturgische Bibelrezeption. Dimensionen und Perspektiven interdiszipli‐ närer Forschung / Liturgical Reception of the Bible. Dimensions and Perspectives of Interdisciplinary Research (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 108), Göttingen 2022, 331-353, hier: 334-341; bleibend fundamental ist Antoon B A S T I A E N S E N , The Hymn „Ad Cenam Agni providi“, in: Ephemerides Liturgicae 90 (1976), 43-71. In den knapp zwanzig eigentlichen Osterliedern des „Gotteslob“ findet sich kein Hinweis auf das biblische Pascha (Ex 12) oder den Exodus (Ex 13f.); auch deren neutestamentliche Aneignung 1 Kor 5,7 („auch unser Pascha wurde geopfert: Christus“) und 1 Kor 10,1f. („alle unsere Väter waren unter der Wolke und gingen durch das Meer und wurden auf Mose getauft“), die Basis jeder christlichen Oster- und Tauftheologie, sucht man vergeblich. Manche Gesänge wie O Licht der wunderbaren Nacht schweigen besonders schreiend über das biblische Pascha-Kerygma, das ihr Vorbild - in diesem Fall das Exultet - prägt; andere wie Das ist der Tag, den Gott gemacht, verdrängen es redaktionell aus älteren Fassungen. Die Ostertheologie der muttersprachlichen Gesänge der heutigen deutschsprachigen Katholikinnen und Katholiken kennt weder das biblische Pascha noch den damit verbundenen Exodus; auch sonst resoniert die alttestamentliche Orchestrierung österlicher Soteriologie nur ganz vereinzelt und dort nur schwach. Vom „Pascha-Opfer“ spricht einzig die lateinische Sequenz Victimae paschali und bringt somit die Osterbotschaft tatsächlich im Motiv der Erlösung durch das Lamm zum Ausdruck. Besser wird die Bilanz nur, wenn man dem die Rubrik „Ostern“ abschlie‐ ßenden Verweis „→ ‚Zum Mahl des Lammes schreiten wir‘ (Nr. 642)“ folgt und zum Hymnus der Vesper in der Osterzeit weiterblättert (und sich nicht von der dortigen Anweisung irritieren lässt, dieser sei nur zu singen, „falls kein Lichtritus vorausgegangen ist“). Dieser mutmaßlich altkirchliche Hymnus, der aus der nichtrömisch-westlichen Tradition in die mittelalterliche Mischliturgie des fürderhin römisch-fränkischen Ritus eingegangen war, entfaltet die Oster‐ theologie als Fest der Verbindung beider Testamente zu einer umfassenden Soteriologie, deren Komplexität, Dichte und Schönheit jener des Exultet ent‐ spricht. 45 Das „Mahl des Lammes“ ist dabei natürlich nicht nur im Genitivus subjectivus das apokalyptische Hochzeitsmahl von Offb 19,9, das die dazu Geladenen „mit weißen Kleidern angetan“ (Offb 19,8; vgl. auch Offb 7,9-14 etc.) begehen, sondern im Genitivus objectivus der österliche Verzehr des Paschalammes (vgl. Ex 12), worauf auch der Kontext des Durchzugs durch das 142 Harald Buchinger <?page no="143"?> 46 Vgl. GL 277 Aus tiefer Not, GL 237 Vom Himmel hoch, da komm ich her, GL 348 Nun bitten wir den Heiligen Geist und GL 215 Gott sei gelobet und gebenedeiet, leider nicht auch Nun komm, der Heiden Heiland (vgl. aber GL 227 Komm, du Heiland aller Welt). Rote Meer hinweist (auch wenn die Abfolge Durchzug-Mahl im Widerspruch zum biblischen Narrativ von dessen typologischer Entsprechung in der Sakra‐ mentenfeier der Initiation geleitet ist, wo die Eucharistie der Taufe folgt). Das gleichermaßen am Kreuz vergossene wie in der Eucharistie genossene Blut der zweiten Strophe wird spätestens dann zum Gegenbild des Blutes des Lammes (vgl. Offb 7,14; 12,11; 1 Petr 1,19) vom Pascha (Ex 12,7 etc.), wenn die dritte Strophe vom Schutz vor dem Verderber am Paschaabend (vgl. Ex 12,13.23) und von der Errettung aus der Herrschaft des Pharao spricht. Angelpunkt ist das Zitat von 1-Kor 5,7 in der vierten Strophe: denn „Christus ist unser Osterlamm (pascha nostrum)“; die anschließende Anspielung auf das „ungesäuerte Brot der Lauterkeit“ (1 Kor 5,8) wird von der Übersetzung leider eingeebnet, ebenso wie die Verbindung von Eucharistie und Kreuz in der Aussage, dass „sein Fleisch“ als dieses Brot „dargebracht“ worden sei; auch das biblische Kolorit der fünften Strophe, demzufolge „das gefangene Volk erlöst“ sei (vgl. Ps 67[68],19; Eph 4,8; s. o.) geht in der jüngeren deutschen Version - anders als in älteren Fassungen - verloren, bleibt aber indirekt in der sechsten Strophe erhalten: „Gefesselt ist der Fürst der Welt“. Eine derart dichte Synthese beider Testamente, von Typologie, biblisch-patristisch inspirierter Soteriologie und Sakramententheologie wird von keinem anderen der im „Gotteslob“ vertretenen Ostergesänge erreicht. Im Gegenteil: Die Inspiration des traditionellen Osterhymnus wurde aus Das ist der Tag, den Gott gemacht getilgt, und es wurde darauf verzichtet, das lutherische Christ lag in Todesbanden endlich - wie eine Reihe anderer Lieder aus der Feder des Reformators 46 - auch ins katholische Gesangsgut aufzunehmen, womit indirekt auch die gemeinsame vorreformatorische Tradition eingeholt würde, die in späteren Schöpfungen beider Konfessionen in Vergessenheit geriet oder verdrängt wurde. Eine diachrone Betrachtung des hier zunächst synchron gesichteten Mate‐ rials zeigt, dass Ostern nur im mittelalterlichen Erbe neuzeitlichen Gesangsguts als Pascha zur Sprache kommt: in den beiden bis heute rezipierten Hymnen und der Sequenz. Dass dieser Traditionsverlust der jüngeren römisch-katholischen Liturgie deutscher Zunge nicht nötig wäre, zeigt ausgerechnet ein Seitenblick auf die evangelische Tradition. Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 143 <?page no="144"?> 47 Vgl. Andreas M A R T I , Christ lag in Todesbanden, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 12, Göttingen 2005, 56-62; A L ‐ B E R T -Z E R L I K , Wandlungen (wie Anm. 11), 175-184; Christina F A L K E N R O T H , Die Passion Jesu im Kirchenlied. „Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude …“ (Mainzer Hymnologische Studien 28), Tübingen 2017, 55-91; darüber hinaus: Christoph M A R K ‐ S C H I E S , „Hie ist das recht Osterlamm“. Christuslamm und Lammsymbolik bei Martin Luther und Lucas Cranach, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 102 (1991), 209-230. Erstpublikation u.a. im Erfurter „Enchiridion“ von 1524. 48 „Wahrheit“ oder „Wirklichkeit“ (ἀλήθεια/ veritas) ist ein Gegenbegriff zum τύπος (oder zur figura) o.ä., der sowohl in einer horizontalen Typologie eines Melito als auch in der gewissermaßen vertikalen Allegorie alexandrinisch-platonisierender Prägung funktioniert, ohne dass die moderne Unterscheidung von Typologie und Allegorie in die Quellen projiziert werden dürfte; nach Harald B U C H I N G E R , Pascha bei Origenes (wie Anm. 7), 2, 708-713, vgl. jetzt D E R S ., From Exegetical to Liturgical Mysteries, in: Jonas G R E T H L E I N - Benedek K R U C H IÓ (Hgg.), Imperial Allegory, Its Cultural Contexts and Intermedial Entanglements: Reading Across Divides, Cambridge (in Druckvorberei‐ tung); in dieser Hinsicht problematisch, aber unübertroffen materialreich vgl. Wolfgang H U B E R , Passa und Ostern. Untersuchungen zur Osterfeier der alten Kirche (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 35), Berlin 1969, 89-147. 49 Vgl. Martin V A H R E N H O R S T , Kultische Sprache in den Paulusbriefen (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 230), Tübingen 2008, 159-161. Von der „Wahr‐ 3 Ein ökumenischer Seitenblick - eine (vorläufig verpasste) Chance Das von keinem Geringeren als Martin Luther in Anlehnung nicht nur an die mittelalterliche Sequenz Victimae paschali laudes und das alte Osterlied Christ ist erstanden, sondern auch an den Hymnus Ad cenam agni providi gedichtete und als „Christ ist erstanden gebessert“ publizierte Christ lag in Todesbanden (Evangelisches Gesangbuch 101) steht den Vorbildern an theologischer Dichte und biblischer Imprägnierung nicht nach. 47 Die ersten Strophen sind zwar primär neutestamentlich geprägt; abgesehen vom allgegenwärtigen Halleluja steht hinter dem in der dritten Strophe genannten „Stachel“ des Todes von 1 Kor 15,55 nur indirekt Hos 13,14; von diesen Stellen ist auch die Vorstellung der vierten Strophe inspiriert, „wie ein Tod den andern fraß“. Die letzten drei Strophen rezipieren dagegen das biblische Pascha von Ex 12 im Lichte seiner ältesten christlichen Aktualisierung in 1 Kor 5,7f. Wenn Luther sagt, „Hier ist das recht Osterlamm“, bietet das Adjektiv eine hermeneutische Qualifikation der altkirchlichen Typologie, wie sie seit der ältesten Paschahomilie des Melito von Sardes in christlicher Ostertheologie allgegenwärtig ist. 48 Anders als bei Paulus - oder vielleicht schon in der von ihm aufgegriffenen vorpaulinischen Tradition -, wo ohne Überbietungsterminologie gesagt wird, dass „auch unser Pascha geop‐ fert wurde: Christus“ (1 Kor 5,7), 49 wertet die Rede vom „wahren Pascha“, die 144 Harald Buchinger <?page no="145"?> heit“ ist zwar in der Allegorisierung der Ungesäuerten Brote im unmittelbar folgenden Vers die Rede, aber vermutlich nicht im hermeneutisch-überbietenden Sinn, sondern schlicht in Parallelisierung zur „Lauterkeit“. 50 Vgl. B U C H I N G E R , Pascha bei Origenes (wie Anm. 7), 2, 710-731. etwa auch am Anfang des Exultet einen hermeneutischen Schlüssel bereitstellt, das alttestamentliche Pascha implizit oder explizit ab. 50 Die Abschwächung der lutherschen Fortsetzung „davon Gott hat gebotten, / das yst an des Creutzes stam / ynn heysser lieb gebrotten“ zu „davon wir sollen leben, / das ist an des Kreuzes Stamm / in heißer Lieb gegeben“ im Evangelischen Gesangbuch gibt allerdings sowohl formal als auch inhaltlich die Bindung an das alttesta‐ mentliche Pesach-Gesetz auf: Dass Gott „davon … geboten“ habe, rekurriert ja formal ausdrücklich auf die biblische Weisung, die der H E R R nach Ex 12,1-3 durch Mose und Aaron an die ganze Gemeinde Israel in Ägypten gerichtet hat; inhaltlich erlässt Ex 12,9 die Bestimmung, das Pesach „am Feuer gebraten“ und „nicht roh noch mit Wasser gekocht“ zu essen. Die Fortsetzung, „Das Blut zeichnet unser Tür, / das hält der Glaub dem Tod für, / der Würger kann uns nicht rühren“, aktualisiert Ex 12,7.13.23.27 einerseits in einer ebenfalls seit den frühesten Quellen altkirchlicher Paschatheologie verbreiteten und im Exultet vorausgesetzten anthropologischen Allegorese; zugleich interpretiert sie das alttestamentliche Pascha mit Hebr 11,28: „Durch den Glauben hielt er (sc. Mose) das Pascha und den Blutanstrich, damit der Verderber ihre Erstgeborenen nicht anrühre“. Die letzte Strophe ist ganz von 1-Kor 5,8 bestimmt: vgl.-u. - Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr neuer Teig seid, wie ihr ungesäuert seid. - - Denn auch unser Pascha wurde geopfert: Christus. Wir essen und leben wohl, / zum süßen Brot geladen [Luther: ynn rechten Os‐ tern fladen]; / der alte Sau’rteig nicht soll / sein bei dem Wort der Gnaden. - Darum wollen wir nicht im alten Sauer‐ teig feiern, auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern in den ungesäuerten Broten der Lauterkeit und Wahrheit. Auch hier trägt Luther mit der Rede vom „rechten Ostern fladen“ einerseits eine hermeneutische Kategorie ein, die implizit, aber eindeutig den Umkehrschluss einer Abwertung des Typos mit sich bringt; andererseits betont er die österliche Dimension des in der Woche von Pesach-Mazzot gebotenen ungesäuerten Brotes. Anders als die paulinische Allegorese bezieht Martin Luther außerdem - wie schon Ad cenam agni providi und weite, wenn auch nicht die frühesten Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 145 <?page no="146"?> 51 Vgl. H U B E R , Passa (wie Anm. 48), 129-135; B U C H I N G E R , Pascha bei Origenes (wie Anm. 7), 2, 845-867; D E R S ., Jüdische Feste als Herausforderung christlicher Theologie und Liturgie: Eine Spurensuche in der Paschatheologie palästinischer Autoren, in: Albert G E R H A R D S - Hans Hermann H E N R I X (Hgg.), Dialog oder Monolog? Zur liturgischen Be‐ ziehung zwischen Judentum und Christentum (Quaestiones Disputatae 208), Freiburg i.Br. 2004, 184-207, hier: 197-201. 52 Johannes H E I N R I C H , Erschienen ist der herrlich Tag, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 3, Göttingen 2007, 61-65. Im ursprünglichen Lied bemühte Nikolaus Herman in Strophen, die im Evangelischen Gesangbuch nicht rezipiert wurden, zunächst mit Simson (vgl. Ri 14; 16) und Jona (vgl. Mt 12,40 parr) alttestamentliche Vorausbilder der Auferstehung, bevor es drei Strophen lang den Exodus, das Pascha und die zehnte Plage in einer Ausführlichkeit entfaltete, die in den deutschen Osterliedern ihresgleichen sucht: Philipp W A C K E R N A G E L , Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts 3, Leipzig 1870, 1175f., Nr. 1374; ebd. 1198, Nr. 1397 vgl. übrigens 26 Strophen „Von einsetzung des Osterlambs, unnd (sic) wie alle Erstgeburt in Egypten umbkam, und Israel auszog: Da Gott Egypten schlagen wolt“. 53 Elke A X M A C H E R , Frühmorgens, da die Sonn aufgeht, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 2, Göttingen 2001, 75-78. 54 Vgl. Alexander V Ö L C K E R , O Tod, wo ist dein Stachel nun, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 13, Göttingen 2007, 41-44. Stränge altkirchlicher Pascha- und mittelalterlicher Eucharistietheologie 51 - das Essen des christologisch verstandenen Pascha auf die Eucharistie: „Christus will die Kost uns sein / und speisen die Seel allein.“ Nur nebenbei sei angemerkt, dass mit Erschienen ist der herrlich Tag (EG 106 52 ) ein ökumenisches Lied des 16. Jahrhunderts aus der Feder von Nikolaus Herman nicht vom alten (GL 1975, 225) ins neue „Gotteslob“ übernommen wurde, das den Triumph Christi als „Gefangenführen“ der Feinde im Sinne von Ps 67(68),19 anspricht (abgesehen von der Ps 117[118],24 wiedergebenden Feststellung, alles „freut sich heut an diesem Tag“ und der folgenden Aufforderung, „Drum wollen wir auch fröhlich sein“ - in Parallele zum allgemein-österlichen „das Halleluja singen fein“). Alttestamentliche Spuren finden sich auch im Verweis auf die Protologie, wenn etwa das frühbarocke Frühmorgens, da die Sonn aufgeht (EG 111 53 ) von Johann Heermann davon spricht, „wie er (sc. Christus) der Schlangen Kopf zerknickt“ (vgl. Gen 3,15, gegen die Vulgata und die katholische mariologische Deutung nicht auf die Frau, sondern auf deren Nachkommen bezogen). Das etwa zeitgenössische O Tod, wo ist dein Stachel nun (EG 113 54 ; vgl. 1 Kor 15,55 in Abwandlung von Hos 13,14) von Georg Weissel widmet dem Thema die ganze zweite Strophe: „Wie sträubte sich die alte Schlang, / da Christus mit ihr kämpfte! / Mit List und Macht sie auf ihn drang, / und dennoch er sie dämpfte. / Ob sie ihn in die Ferse sticht, / so sieget sie doch darum nicht, / der 146 Harald Buchinger <?page no="147"?> 55 Antiphonale Missarum Sextuplex (wie Anm. 8), 94f., Nr. 77; Graduale triplex, Solesmes 1979 = Graduale Romanum, Solesmes 1974, 194. Kopf ist ihr zertreten.“ In der Aussage der dritten Strophe, Christus „zerbricht der Hölle Schloss und Tür“, hallen alttestamentliche Interpretamente der Hadesfahrt wider (Ps 106[107],5; Jes 45,2). Die vierte Strophe paraphrasiert jenen Vers aus dem für die Osterliturgie wichtigen Ps 117(118),16, dem unter anderem das traditionelle Offertorium des Hohen Donnerstags Dextera domini fecit virtutem entnommen ist, das in der letzten Liturgiereform der Paschavigil zugewiesen wurde: 55 „Des Herren Rechte, die behält / den Sieg und ist erhöht …“. Die Bilanz alttestamentlicher Motive ist im Evangelischen Gesangbuch zwar quantitativ nur wenig besser als im katholischen „Gotteslob“ 2013; qualitativ wird sie freilich durch die Prominenz des lutherischen Christ lag in Todesbanden und dessen traditionsgesättigten theologischen, liturgischen und spirituellen Reichtum aufgewogen. Die Rezeption von Christ lag in Todesbanden wäre nicht nur ein ökumenisches Zeichen, sondern würde auch das biblische Defizit und die Israel-Vergessenheit heilen, mit dem die Katholik: innen in den deutschen Osterliedern des „Gotteslob“ konfrontiert sind. Das Alte Testament in Osterliedern des „Gotteslob“ 147 <?page no="149"?> Hoffnung grünt Naturerfahrungen und österliche Religiosität Kristian Fechtner 1 Ein persönliches Wort vorweg Es ist immer eine Freude, dem Kollegen Ansgar Franz auf dem Flur zwischen unseren beiden Büros zu begegnen, am gemeinsamen Mainzer Fachbereich mit seinen zwei theologischen Fakultäten. Oder morgens, wenn man sich auf dem Weg zum universitären Tagewerk trifft. Immer ergibt sich ad hoc ein persönlich-fachliches Gespräch. Dabei nimmt der evangelische Praktische Theologe, der im Fach anders unterwegs ist als der katholische Kollege, nicht selten eine Einsicht mit, die ihm selbst so nicht aufgegangen wäre. Oder eine Frage, die ihm nun nachgeht. So ist es, wenn man Kontakt hat mit dem Jubilar, der liturgiegeschichtlich und hymnologisch wie kaum ein anderer bewandert ist. Und auch von der Gartenarbeit versteht der katholische Kollege viel; im Präsidialgang der Universität hängt in einer Galerie Mainzer Dozierender ein großformatiges Porträt von ihm. Auf diesem ist er mit einem Bündel Möhren abgebildet, die er geerntet hat. Er kennt sich mit Natur aus; weiß, wie sie austreibt, wächst und gedeiht. Mit dem Gruß zum Geburtstag verbindet sich der Wunsch, er möge weitere gute Jahre wissenschaftlicher und gärtnerischer Betätigung haben. Auf der Schnittstelle von Religiosität und Naturerleben ist die folgende Vignette angesiedelt, die dem Jubilar zugeeignet ist. 2 Ostern vs. Frühlingsfest? Mit den beiden österlichen Topoi von Kreuz und Auferstehung sind die anthro‐ pologischen Grundthemen von Tod und Leben in der Mitte des Kirchenjahres <?page no="150"?> 1 Die folgenden Überlegungen schließen an Gedanken an, die ich bereits in einem anderen Zusammenhang entfaltet habe: Kristian F E C H T N E R , Mild religiös. Erkundungen spätmoderner Frömmigkeit, Stuttgart 2023. 2 So als Beispiel für die geläufige Entgegensetzung: Die Seele vom Eis befreien - oder wie wir aus Ostern mehr machen als ein Frühlingsfest. Ein Impuls von Prälat Traugott S C H Ä C H T E L E : https: / / ekiba.de/ detail/ nachricht-seite/ id/ 15085-die-seele-vom-eise-befrei en-oder-wie-wir-aus-ostern-mehr-machen-als-ein-fruehlingsfest/ ? cat_id=239 (Zugriff am 12.05.2022). platziert. 1 Das Motiv des Lebens im Sinne von Aufbruch und Anbruch neuen Lebens, das den Tod überwindet, ist kirchenjahres- und - in unseren Breiten‐ graden - naturzeitlich mit der Zeit des Osterkreises verbunden. Sie spannt sich von den späten Winterwochen in den Frühling hinein aus. Mit dem Konnex von Passion / Ostern und Natur(zeit) betritt man nun allerdings dünnes theologisches Eis. Insbesondere die protestantische Theologie hat aus unterschiedlichen Gründen häufig Vorbehalte angemeldet, wenn der Verdacht besteht, dass Got‐ tesglaube und Naturgeschehen kurzgeschlossen werden könnten. Denn die österliche Botschaft - dass Leben aus dem Tod heraus erwächst - kündet nicht von etwas ‚Natürlichem‘; anders als in der Biologie hat in der Theologie der ‚Tod nicht das letzte Wort‘. Die differenztheologische Sichtweise, die zwischen christlichem Glauben und Naturerleben trennt, bestimmt bis heute auch vielfach die homiletische und liturgische Wahrnehmung der Osterverkündigung: Wenn etwa in der Predigt der „aufbrechenden Natur nachgespürt“ wird, dann - so heißt es zugespitzt in einer kirchenleitenden Andacht - „mutiert“ Ostern zu einem Frühlingsfest und dessen Botschaft wird trivialisiert. 2 Im Hintergrund der theologischen Entgegensetzung steht auf evangelischer Seite nicht nur die von der Dialektischen Theologie scharf pointierte Kritik an einer ‚natür‐ lichen Theologie‘, sondern auch die Befürchtung, dass der Glaube zu einer naturseligen Religiosität wird, mithin aus der Kirche in Wald und Wiese auswandert. Womöglich muss man aber auch als evangelischer Theologe nicht umstandslos allergisch reagieren auf gegenwärtige Formen von ‚Naturreligi‐ osität‘. Jedenfalls wird auch in der biblischen Überlieferung deutlich, dass das Naturgeschehen durchaus sinnbildend und gleichnishaft für den Glauben wahrgenommen werden kann. Dies schlägt sich auch im kirchlichen Liedgut nieder, Paul Gerhardts Frühsommerlied Geh aus, mein Herz, und suche Freud ist eines der populärsten Beispiele. Kulturell ist insbesondere die aus der winterlichen Brache (wieder)erwachende Natur Sinnbild von Lebensenergie ge‐ worden und hat der Topos vom ‚aufbrechenden Grün‘ offenbar eine besondere Anmutung. Farbpsychologisch gesehen kann das Grün heute vielen kulturellen 150 Kristian Fechtner <?page no="151"?> 3 Eva H E L L E R , Wie Farben wirken. Farbpsychologie - Farbsymbolik - Kreative Farbge‐ staltung, Reinbek bei Hamburg 1999, 71. 4 Ebd., 72. 5 Ebd., 74f. 6 Vgl. zu den folgenden liedkundlichen Beobachtungen die Analysen von Ulrich L I E B E R ‐ K N E C H T , EG 98 „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 2, Göttingen 2001, 62-65; Karl Christian T H U S T , 98 „Korn, das in die Erde“, in: D E R S ., Die Lieder des Evangelischen Gesangbuchs. Kommentar zu Entstehung, Text und Musik. Bd. 1, Kassel u.a. 2012, 168-170; Annette A L B E R T -Z E R L I K , 793 ö „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“, in: Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Ansgar F R A N Z - Christiane S C H Ä F E R und politischen Phänomenen eine „naturbezogene Bedeutung“ 3 geben: von Hauptfriedhöfen als ‚grüner Lunge‘ einer Stadt bis zur Partei der ‚Grünen‘. Dabei ist grün durchaus eine ambivalente Farbe, das Spektrum reicht von zartbis giftgrün. Gleichwohl ist das Grün die „Symbolfarbe des Lebens“, sie bildet den Gegensatz zu „welk, dürr, abgestorben“. 4 Grün ist Inbegriff des Frühlings und versinnbildlicht Hoffnung. 5 Mit dieser Verbindung bin ich bei meiner Sache, denn im Folgenden soll das erste Grün an Halm und Zweigen Thema sein, von dem zwei (Passions-)Lieder singen. 3 Passion in österlicher Perspektive: „… und ihr Halm ist grün“ 1. Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt - Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün. 2. Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab - Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün. 3. Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn - hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün. Das Lied mit dem Text, den der evangelische Theologe Jürgen Henkys in den 1970er-Jahren zu DDR-Zeiten verfasst hat, ist liedgeschichtlich ein Crossover in mehrfacher Hinsicht. 6 Die Melodie ist von einem französischen Weihnachtslied aus dem 15. Jahrhundert übernommen, der ursprünglich englische Text gehört Hoffnung grünt 151 <?page no="152"?> (Hgg.) unter Mitwirkung von Anne-Dore H A R Z E R , Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022, 334-338. 7 T H U S T , Korn (wie Anm. 6), 168. 8 A L B E R T -Z E R L I K , Korn (wie Anm. 6), 335. zu einem anglikanischen Osterlied aus dem frühen 20. Jahrhundert, den Jürgen Henkys „relativ frei“ 7 zu einem Passionslied ins Deutsche übertragen hat. Als Lied im Evangelischen Gesangbuch (EG 98) ist es das Wochenlied zu Lätare, das von katholischer Seite in mehrere Eigenteile des Gotteslob übernommen wurde, „darunter in den des Bistums Mainz“ 8 (GL 793). Viele der klassischen Passionslieder gehen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nur schwer über die Lippen, ihre massive Theologie mit ihren Bildern ‚voll Blut und Wunden‘ klingt abständig. Dies ist hier anders, Korn, das in die Erde ist verträglicher und zugänglicher, nicht zufällig wird es heute in vielen Passionsgottesdiensten gesungen. Es rekurriert auf die gleiche Erzählung, die hier aber poetisch sparsam durch wenige Schlüsselworte präsent gesetzt wird: Tod, Grab und Felsen, Nacht und dritter Tag. Das reicht und muss nicht eigens ausgemalt werden. Die Melodie ist eher einfach gehalten, die Sätze sind knapp, die Aussagen pointiert. In der Deutung wird die hinterlegte Geschichte Jesu - in der Mitte des Liedes wird sie einmal explizit aufgerufen („Jesus ist tot.“) - durch Bilder ausgelegt, die aus dem Feld der Natur stammen: Korn, Weizen und Halm, Gestrüpp und Dorn. Bibelkundige entdecken darin zwei neutestamentliche Referenzen: In der ersten Strophe wird das Gleichniswort vom Weizenkorn aufgenommen, das in der Erde sterben muss, um Frucht zu bringen (Joh 12,24). In der dritten Strophe klingt das Gleichnis vom Sämann an, dessen Saat auch auf ödes Gelände fällt (Mk 4,3-9 parr), und dieses wird existentiell gewendet: „unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn“. Was im biblischen Kontext noch eng an die agrarische Tätigkeit der bäuerlichen Lebenswelt gebunden ist, wird für uns Heutige durch den Kehrvers der jeweils vierten Zeile als Naturerfahrung geweitet: „… und ihr Halm ist grün“. Das erste Grün erleben auch spaziergehende Zeitgenossinnen, die naturempfänglich sind. Dass da etwas keimt und wächst, sehen auch Stadtbewohner ohne eigenen Garten. Als Passionslied mit österlichem Vorschein - Lätare! - schwelgen die Strophen aber nicht in der Natur, das Lied hat nichts von einer ‚Zierblumen-Religiosität‘. Denn was da austreibt, ist „Weizen“, mithin als brotbringende Pflanze Vorgriff aufs Grundnahrungsmittel. Und die Szenerie, die Wirklichkeit, die im Lied zum Ausdruck kommt, ist (noch) Passion: im Tod versunken, in Schuld verurteilt, im Leid verloren. Und so wird hart kontrastiert, am markantesten wiederum in der Mitte des Liedes: In der dritten Zeile wird konstatiert: „Jesus ist tot, …“. Und dann kommt unvermittelt, nur durch einen Punkt getrennt: „Liebe wächst …“. Der österliche transitus vom Tod ins Leben ist 152 Kristian Fechtner <?page no="153"?> kein Fortschreiten, sondern ein Übertritt, dazwischen eine Kluft, die im Lied selbst zu einer Schwelle wird. Eine letzte Beobachtung: Das dynamische Moment ist nicht das Leben selbst, es ist die Liebe. Dem Tod begegnen zu können, gründet nicht in einem Vitalismus des Kreatürlichen, und es ist auch keine Sache des ‚Sollens‘. Das Lied beschreibt ein Geschehen, das man an der Natur sehen kann, nämlich das Wachsen der Saat. Und was man spüren kann, wenn man es spürt: dass Liebe so wächst wie Weizen, wenn sie wächst. Schlusswort jeder Strophe und damit auch des Liedes: grün. In ihm scheint auf und klingt an, wie das Österliche den Karfreitag hoffend überwindet. 4 Ermutigung: „Das Grün bricht aus den Zweigen …“ 1. Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich. 2. Du, laß dich nicht verbittern in dieser bittren Zeit, Die Herrschenden erzittern - sitzt du erst hinter Gittern - doch nicht vor deinem Leid. 3. Du, laß dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das wolln sie doch bezwecken, daß wir die Waffen strecken noch vor dem großen Streit. 4. Du, laß dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit. Du kannst nicht untertauchen, du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit. 5. Wir wolln es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit. Das Grün bricht aus den Zweigen, wir wolln das allen zeigen, dann wissen sie Bescheid. Hoffnung grünt 153 <?page no="154"?> 9 So der Titel der Schallplatte und der Gedichtsammlung, in der das Lied bzw. das Gedicht 1968 veröffentlicht wurde. 10 Vgl. Karin K. K A R L S S O N , Psalmer i 2000 talet. Nya psalmer i Svensky kyrkan, Göteborg 2011, 73. 11 So in einem Interview in: Der SPIEGEL 1981. https: / / www.spiegel.de/ kultur/ triefende -dichtung-und-banale-Wahrheit-a6e70c68c-0002-0001-0000-000014334266 (Zugriff am 15.02.2023). 12 Ich nehme im Folgenden Einsichten auf von Federico C O L L A O N I , Linguistik und Literatur: Ein interdisziplinärer Ansatz zur Analyse des Themas „Emotionen“ am Beispiel Wolf Biermanns „Ermutigung“, in: Linguistische Treffen in Wroclaw, Vol. 18 (2020) II, 61-69. https: / / linguistische-treffen.pl/ articles/ 18/ 04_collaoni.pdf (Zugriff am 15.02.2023). Das zweite hier von mir etwas eigenwillig als ‚Passionslied‘ rubrizierte Lied gehört einer anderen Gattung an als das zuvor Besprochene. Immerhin ist es in ähnlicher Zeit und ebenfalls in der DDR entstanden. Nachdem der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann Mitte der 1960er-Jahre Auftritts- und Publikationsverbot erhalten hatte, schrieb er das Lied Ermutigung - so Biermann selbst - für seinen Freund, den Lyriker Peter Huchel, der ebenfalls in der DDR nicht mehr publizieren und reisen durfte. 1966 geschrieben, wurde das Lied zwei Jahre später auf Schallplatte eingespielt und zeitgleich auch in einer Ge‐ dichtsammlung veröffentlicht. In seiner Gebrauchs- und Wirkungsgeschichte zeigt sich in gewisser Weise auch ein Crossover: Wolf Biermann sang es - mit „Marx- und Engelszungen“ 9 - selbst als Widerstandslied zu DDR-Zeiten, Mitte der 1970er-Jahre auf seinem ersten Konzert in Westdeutschland, in dessen Folge er ausgebürgert wurde, und später im deutschen Bundestag bei dessen Gedenksitzung zum 25. Jahrestag des Mauerfalls 2014. So gewann es immer wieder andere zeitgeschichtliche Bezüge. Als politisches Lied wurde es auch in progressiven kirchlichen Gruppen aufgegriffen; es wurde und wird hier und dort auf dem Kirchentag oder in Evangelischen Studierendengemeinden gesungen. In Übersetzung findet es sich sogar im Ergänzungsbuch zum Evangelischen Gesangbuch der Schwedischen Kirche. 10 Gelegentlich konnte Wolf Biermann die Resonanz, die sein Lied im kirchlichen Kontext fand, als bekennender Nicht-Christ leicht ironisch kommentieren und nannte es selbst ein „rotes Kirchenlied“ 11 . Bereits der Titel „Ermutigung“ zeigt an, worum es dem Lied geht: der Resigna‐ tion zu widerstehen, indem Mut als Lebensgefühl aktiviert wird. 12 Es geht um Veränderung, hier als Veränderung der Selbstempfindung und der Haltung zu dem, was die gegebenen Verhältnisse mit den Menschen machen. Mit der Anapher zu Beginn der ersten vier Strophen („Du lass dich nicht …“) wird der Hörer, die Hörerin persönlich adressiert. Zeit und gesellschaftsdiagnostisch 154 Kristian Fechtner <?page no="155"?> 13 In einem Brief an Mathilde Wurm, 28.12.1916, in: Rosa L U X E M B U R G , Gesammelte Briefe. Band-5, Berlin 1987, 151. ist jeweils die zweite Zeile: Die Gegenwart wird als harte und bittere, als Schreckens- und Schweigezeit erlebt. Passion ist ihr Signum. Sie macht, wenn man ihren destruktiven Kräften nicht zu widerstehen vermag, Menschen sich gleich: Sie drohen zu verhärten und zu verbittern, zu erschrecken und zu verstummen. Im Spalt zwischen beidem - den herrschenden Verhältnissen und den Reaktionen der Menschen - liegt die Freiheit als Mut, sich dennoch nicht überwältigen zu lassen. Das Lied ist als Passionslied ein ‚Trotz‘-Lied. Und wird von Wolf Biermann auch so intoniert. Die „Ermutigung“ steckt in vier Wendungen des Liedes: Erstens wechselt es in der dritten Strophe, mithin in seiner Mitte, vom „du“ ins „wir“. Gefühl und emotionale Gestimmtheit spürt der Einzelne immer nur an sich selbst; es geht um die individuelle Selbstformung eigener Empfindungen; Handeln jedoch, das aus persönlichem Mut erwächst, erfolgt gemeinschaftlich. Das Individuelle und das Kollektive werden in der vierten Strophe noch einmal explizit aufeinander bezogen: So wie „du“ die anderen brauchst, brauchen „wir“ auch dich. Zweitens wechselt durch eine kleine Veränderung der Vorsilbe in derselben Strophe das Subjekt vom Passiv ins Aktiv: Aus der Erfahrung, „verbraucht“ zu werden, wird die Aufforderung, die eigene Zeit zu „gebrauchen“. Ebenfalls in der vierten Strophe wird drittens „Heiterkeit“ als Gefühlsressource aufgerufen, sie bildet ein Widerlager zum Ernst der Verhältnisse. Gerade unter bedrängenden Umständen ‚heiter‘ bleiben zu können (und nicht verbissen zu werden), ist nicht nur gesund, sondern auch subversiv; Heiterkeit untergräbt Machtansprüche. Traditionskundige hören das bekannte Diktum von Rosa Luxemburg mit, die in einem ihrer Briefe aus dem Gefängnis an eine Gefährtin schrieb: „Dann sieh, daß du Mensch bleibst: (…) fest und klar und heiter sein, ja heiter trotz alledem und alledem“ 13 . Viertens schließlich mündet das Lied in der fünften Strophe, die Wolf Biermann meist höher und lauter singt, in das zentrale Hoffnungsbild, mit dem er im gegenwärtigen Zustand eine neue Zeit aufscheinen sieht: „Das Grün bricht aus den Zweigen“. Bezeichnenderweise ist es auch hier, wie im Kirchenlied von Jürgen Henkys, das Naturereignis, das den Anbruch versinnbildlicht; hier - der Diktion des Liedes entsprechend - als ‚Ausbruch‘ der Natur. Was zu sehen ist, wird im ‚Zeige-Gestus‘, mithin demonstrativ, aufgenommen, und den anderen wird - in der Doppeldeutigkeit des Wortsinnes - davon „Bescheid“ gegeben. Dieser Ausgang des Liedes wird nicht mehr im ‚Sollen‘ formuliert, sondern als ein ‚Wollen‘: Wo die Ermutigung Resonanz findet, „wolln wir das allen zeigen“. Hoffnung grünt 155 <?page no="156"?> 14 Wolf B I E R M A N N , Mensch Gott! , Berlin 2021, 29f. 15 Johann Wolfgang V O N G O E T H E , Faust. Der Tragödie erster Teil (1808), Berlin 1959, 36. Man muss das Lied des nicht gott-, aber menschgläubigen Dichters nicht als säkular-poetisches Passionslied deuten. Man kann es aber. Wolf Biermann hat häufig auf das religiöse Sprach- und Sinnpotential der christlichen Tradition auf seine Weise zurückgegriffen. Und er weiß um die Nähe seiner Dichtung zum Religiösen und die Wirkung, die sich daraus ergibt. In seinem jüngsten Buch, das bezeichnenderweise „Mensch Gott! “ heißt und in dem er seine eigenen Gedichte und Lieder religiös rubriziert und persönlich kommentiert, nimmt er einen Brief auf, den ihm eine befreundete Theologin 1966 geschickt hat. 14 Sie habe, so berichtet sie, mit ihrem christlichen Chor vor Heiligabend bei Patienten in einem kirchlich gebundenen Krankenhaus Weihnachtslieder gesungen. Bei Es ist ein Ros entsprungen brüllte ein junger Mann, dem nach einem Unfall beide Beine amputiert worden sind, aggressiv „Aufhören“: „Meine Beine krieg ich sowieso nich wieder! Haut ab mit Eurem Christus! “ Es entstand, so die Briefschreiberin, eine schier „endlose Peinlichkeit“ und wir konnten „weder weitersingen noch einfach weggehen“. Und dann erzählt sie, dass sie - ohne recht nachzudenken und zu wissen, was sie da tat - hin ging zu seinem Bett und „mit bloßen Händen“ und alleine, vor Aufregung auch zu hoch ansetzend, seine, das heißt Wolf Biermanns Ermutigung sang. Alle Strophen. „Ich hielt durch“, schrieb sie. Und dass nach dem Lied der junge Mann nach ihrer Hand griff und sagte „Jetzt is jut.“ 5 Schlussbemerkungen Die beiden Lieder sind nicht nur im Tonfall denkbar unterschiedlich. Beide jedoch suchen nach Lebenszeichen in den Zeiten, die als schwer, dunkel und leidvoll erlebt werden. Und beide finden zum österlichen Motiv des ‚aufbre‐ chenden Grüns‘ als Frühlingsereignis. Nun ist das Sinnbild weder neu noch originell. Die Metapher ist geläufig, seit Goethes ‚Osterspaziergang‘ wissen wir, dass „Hoffnungsglück grünet“ 15 . So kann man kritisch einwenden, dass das konventionalisierte Bild mittlerweile zum Klischee erstarrt ist. Womöglich besitzt das, was Menschen damit vor Augen haben, jedoch so viel Kraft und Anmut, dass das Motiv Menschen heute zu berühren und zu bewegen vermag - jedenfalls, wenn es so wie in diesen beiden Passionsliedern erklingt. So übergebe ich meine Überlegungen an den Jubilar und ahne, dass er aus seiner Sicht noch Etliches bemerken wird, was ich gar nicht im Blick hatte, und es womöglich auch noch einmal anders deutet. Stoff gibt es jedenfalls für künftige 156 Kristian Fechtner <?page no="157"?> Begegnungen zwischen den Büros und für Dispute in herzlicher Verbundenheit. Ich freue mich darauf. Hoffnung grünt 157 <?page no="159"?> 1 Referenztext ist für alle norwegischen Bibelzitate die Internetbibel der norwegischen Bibelgesellschaft, die die Ressourcen für den Bibelgebrauch der Norwegischen Kirche (Den Norske Kirken) - lutherisch und bis vor wenigen Jahren Staatskirche - bereitstellt: https: / / bibel.no/ nettbibelen, ausgewählt die Übersetzung von 2011. 2 David Scott Hamnes verweist in seinem Vortrag bei der Annual Conference 2022 der HSUSC, der im I.A.H.-Bulletin 49 (in Vorbereitung) gedruckt erscheinen wird, darauf, dass das Lied im sprachlichen Modus eines Psalms geschrieben ist. Bärenstark Elisabeth Fillmann Hinter dem traditionsgesättigten Initium Gott, du bist meine Zuflucht überrascht ein ungewöhnliches Kirchenlied aus dem 21. Jahrhundert von der norwegischen Autorin Ingrid Brækken Melve (geb. 1986). Die Eingangsformulierung nach der Anrede „Gud“, „du er min tilflukt“, ist aus gleich mehreren Psalmen entlehnt: Ps 31,5, 71,7, 91,9, 142,6 (zudem in einem Abschnitt von gattungsähnlicher Form auch Jer 17,17), um nur die wörtlichen Übereinstimmungen zu nennen. 1 Dazu kommen weitere Psalmverse gleichartigen Inhalts. Psalmenförmig 2 ist im Lied auch die anredende Attribution Gottes an sich. Sie wird nach den zitierenden Worten mit einer unerwarteten Be‐ stimmung weitergeführt: „meine starke Bärenmutter“. Vor der weiteren Analyse der Ausgestaltung dieser weiblichen und wilden, kreatürlichen Gottesmetapher eine Vorstellung des Liedtexts als Ganzem: Gud, du er min tilflukt, min sterke bjørnemor. Her hviler jeg mitt hode, du lukter liv og jord. Hellig, fast er rytmen fra dine hjerteslag. Det hamrer gjennom tiden fra mørke natt til dag. <?page no="160"?> 3 Den norske kirkes salmedatabase / Nye salmer, Nr. 072. Abonnementpflichtiger Zugang über https: / / gudstjeneste.no. 4 Im Original steht die unbestimmte Form, also „zu Tag“, was im Deutschen unbeholfen wirken würde. Jeg er et lite nøste, jeg lever inntil deg. Du lar meg sove, vokse helt til du vekker meg. Du kaller meg fra søvnen til kamp for alle små: ‚Stå opp min vakre datter, gå ut i verden, gå! ‘ Gi mat til den som sulter, vern alle verdens barn. Løs ut den som er fanget i mørke krefters garn. Du brøler hoyt i sinne når urett skjer på jord. Din kjærlighet til livet er mektig, vill og stor. 3 Die folgende Arbeitsübersetzung bietet mit Absicht bei einigen Vokabeln die möglichen Varianten, um eine Ahnung der Konnotationen im Original zu ermöglichen: Gott, du bist meine Zuflucht, meine starke Bärenmutter. Hier ruhe ich meinen Kopf aus, du riechst nach Leben und Erde. Heilig, beständig/ fest ist der Rhythmus von deinem Herzschlag. Er schlägt durch die Zeit von dunkler Nacht zum 4 Tag. Ich bin ein kleines, molliges Tierchen, ich lebe dicht an dir. Du lässt mich schlafen, wachsen, bis du mich weckst. Du rufst mich aus dem Schlaf zum Kampf für alle Kleinen: „Steh auf, meine schöne/ veraltet: wackere/ tapfere/ tüchtige/ brave Tochter, geh hinaus in die Welt, geh! “ Gib denen, die hungern, Essen, schütze alle Kinder der Welt. Löse den/ die, der/ die gefangen ist im Garn/ Netz dunkler Kräfte, heraus. 160 Elisabeth Fillmann <?page no="161"?> 5 Im Original steht auch hier die unbestimmte Form, also „in Zorn“. 6 Den norske kirkes salmedatabase / Nye salmer (wie Anm. 3). 7 Eine der beiden amtssprachlichen Varietäten des Norwegischen. 8 Interview David Scott Hamnes mit Ingrid Brækken Melve im Webinar „Salmer for vår tid“ (Kirchenlieder für unsere Zeit) vom 06.05.2021, https: / / ressursbanken.kirken.no/ n n-NO/ 2021/ webinar-salmer-fra-var-tid/ (Zugriff am 05.05.2023). 9 Maja H A T T V A N G , Ingrid Brækken Melve debuterer til terningkast 6: - En roman som lyser av innsikt, in: https: / / www.boktips.no/ skjonnlitteratur/ romaner/ ingrid-braekken -melve-avstotning-debutant-intervju/ , verfasst 22.10.2022 (Zugriff am 06.05.2023). Du brüllst laut im 5 Zorn/ in Wut, wenn Unrecht auf der Erde geschieht. Deine Liebe zum Leben ist mächtig/ gewaltig, wild/ rasend/ heftig und groß. 1 Einfache Grundform mit Anspruch Der Strophenaufbau des Liedes lässt es äußerlich schlicht und einfach wirken: Es besteht aus sechs dreihebigen Vierzeilern - jedenfalls in der Datenbank der norwegischen Kirche 6 , mit Wechsel zwischen klingenden und stumpfen Kadenzen und mit Reim nur zwischen zweiter und vierter Zeile. In der Melodie von Solveig Spilling Bakkevig, 2017, ein Jahr nach dem Text, komponiert, bilden zwei Zeilen eine Phrase, so dass eine Assoziation zum Parallelismus membrorum der Psalmen aufkommen kann, der in einigen Strophen auch inhaltlich nachweisbar wäre, und textlich sechs gereimte Zweizeiler entstehen. (Zur melodisch variierten Wiederholung des Textes der jeweiligen zweiten Strophenteile später.) Der Einstieg der ersten und zweiten Strophe ist trochäisch, alle anderen Zeilen, auch die ersten Zeilen der Strophen zwei bis sechs, sind jambisch, so dass die Melodie dort eine Auftaktnote braucht. Es ist stimmig zum formalen Befund der Einfachheit, dass Ingrid Brækken Melve in einem Gespräch für ein norwegisches Kirchenlied-Webinar mit David Scott Hamnes 2021 äußert, sie schreibe oft minimalistische Texte. Sie nennt unter ihren Inspirationsquellen Hip-Hop auf Nynorsk 7 und spoken poetry. Sie sei nicht ängstlich, kleine alltägliche oder konkrete Dinge mit biblischer Sprache zu mischen und zusammenzuwerfen. Sie dichtet Kirchenlieder zum eigenen Vergnügen und Spaß („[for] å ha det morsomt, […] kose meg med“). 8 In einem anderen Interview berichtet sie, dass sie 2014 mit dem Schreiben von Kirchenliedern begonnen habe, um während einer Pfarrvertretung ihre Langeweile zu bekämpfen. „Det var ingenting som skjedde, ingen døde. Jeg satt på prestekontoret og følte at jeg ikke bare kunne sitte på Facebook, jeg måtte gjøre noe kristen-aktig. Så jeg prøvde meg på å skrive en salme.“ 9 („Es passierte nichts, niemand starb. Ich saß im Pfarrbüro und hatte das Gefühl, dass ich nicht nur auf Facebook rumhängen könne, dass ich etwas Christenmäßiges tun müsse. Bärenstark 161 <?page no="162"?> 10 Ebd.: „Den første hun skrev ble overraskende bra. Dette kan jeg, tenkte hun. De neste gikk det dårligere med. Siden har hun brukt mange år på finne sitt eget språk. I dag livnærer hun seg delvis som salmedikter.“ („Das erste, das sie schrieb, wurde überraschend gut. Das kann ich, dachte sie. Mit dem nächsten war es schwieriger. Seitdem hat sie einige Jahre gebraucht, um ihre eigene Sprache zu finden. Heute bestreitet sie ihr Einkommen teilweise als Kirchenlieddichterin.“) 11 Der Herzschlag ist in der Einspielung von Gud, du er min tilflukt, die in dem oben erwähnten Webinar „Salmer for vår tid“ (wie Anm. 8) zu hören ist, musikalisch nachgebildet. Der Satz stammt von Birgit Diupedal. So versuchte ich mich darin, ein Kirchenlied zu schreiben.“) Dem gelungenen Erstling folgten mühevollere Anläufe, in denen sie ihre eigene Sprache fand. 10 Die vorhin beschriebene Einfachheit von Gud, du er min tilflukt darf jedoch nicht täuschen: Der Trochäus in 1,1 und 2,1 hebt „Gott“ und „Heilig“ hervor und gibt dem Lied einen setzenden, bestimmten Charakter. Die formale Bescheiden‐ heit ist nicht mimetisch, bildet den Aussagecharakter nicht ab, im Gegenteil. Das Lied vertritt einen Anspruch und wird in 6,1 explizit laut: „brøler hoyt“. Auf die letzte Strophe wird zurückzukommen sein. 2 Lebendige Metaphorik des Nährens und Bergens - Empowerment und Stärke Wie werden die starke Bärenmutter und das Verhältnis des Lied-Ichs zu ihr beschrieben? Zunächst sehr sinnenhaft. Nachdem der Tastsinn im angelehnten Kopf involviert ist, wird der Geruchssinn aufgerufen und die Tiermutter als nach Erde riechend wahrgenommen und nach Leben - hier findet, in den konkreten Beschreibungen fast verborgen, eine Abstraktion statt. Das geerdete Gottesbild wird mit dem Leben eng verbunden - und durchaus christlich rezipierbar („Ich bin die Auferstehung und das Leben“; Joh 11,25). Die zweite Strophe ist taktil, im Fühlen des Herzschlags, und gleichzeitig akustisch; das Schlagen ist hörbar. 11 Die dunkle Nacht und der Tag bringen die optische Dimension hinzu. Zugleich ist eine (heils)geschichtliche Interpretation - „durch die Zeit“ - mit impliziter Lichtmetaphorik („Tag“) eingewoben. Der beständige, feste Rhythmus wird durch die Prädikation „heilig“ zum Bild eines verlässlichen Gott-Du. Indem der Ablauf von dunkler Nacht zum hellen Tag aufgerufen wird, werden zugleich die realen Vorgänge in der natürlichen Entwicklung der Bärenjungen ins Spiel gebracht. Sie werden im Januar geboren und bleiben im Winterbau bis in den Frühling. Auch in der dritten Strophe klingt das an („lässt mich schlafen, wachsen“). Auch die Selbstbeschreibung des Ich als kleines, niedliches Tierchen ist biologisch verankert. Die Jungen der 200 (w) bis 300 (m) kg schweren Bären wiegen bei der Geburt zwischen 300 und 162 Elisabeth Fillmann <?page no="163"?> 12 Vgl. https: / / bjorneparken.no/ bjornene/ (Zugriff am 14.05.2023). Der Bärenpark liegt in Flå und spielt in dem im nächsten Absatz zu behandelnden Roman eine wichtige Rolle. 13 Our living world. An artistic edition of the Rev. J. G. Wood’s Natural history of animate creation, New York [ca. 1885]. 14 Die Überlegungen zu psychopathologischen Zügen können an dieser Stelle nicht erörtert werden. Vgl. z.B. Anne Cathrine Straume, Skremmende om Godstro på ville veier, veröffentlicht 18.12.2022: https: / / www.nrk.no/ anmeldelser/ anmeldelse_-_avstot ning_-av-ingrid-braekken-melve-1.16199603, und, darin eingebettet, NRK radiopodcast Bokanmeldelser. NRKs litteraturkritikere snakker om bøkene de leser for tida vom 02.12.2022: Ingrid Brække Melve - Gudommelig uhygge (auf beides Zugriff am 22.04.2023). 15 Avstøtning, 5. 600 g. Sie können also kleiner sein als kleinste überlebensfähige menschliche Frühgeborene, und ihr Gewicht ist im Verhältnis zu den ausgewachsenen Bären etwa um den Faktor 10 kleiner als das Gewicht menschlicher normalgewichtiger Neugeborener zu Erwachsenen. Die winzigen tierischen Säuglinge wachsen dann bis zum Ende der Winterruhe und verlassen den Bau ca. 4-kg schwer. 12 Die ersten drei Strophen erzeugen die empowernde Atmosphäre, in der ein von einer schützenden Mutter in kreatürlicher Körperlichkeit umhegtes kleines Wesen heranwachsen kann. Das Bild der bergenden, wärmenden, nährenden Bärin hat auch in dem Roman „Avstøtning“ (Abstoßung) von Ingrid Brækken Melve eine wichtige leitmotivische Funktion. Der Roman ist 2022, sechs Jahre nach Gud, du er min tilflukt, erschienen. Der Verlag hat ihn mit einer Umschlagillustration versehen, die einem älteren naturhistorischen Bildband entnommen ist 13 und zwei kleine, von ihrer Mutter beobachtete, spielende Jungtiere zeigt. Der beeindruckende Erstlingsroman der Autorin kann als ganzer nicht unmittelbar auf das Lied projiziert werden. Seine expliziten Verweise auf Bibelstellen und mehr noch seine unmarkierten biblischen Bezüge bilden zwar einen hohen Anteil des dichten Leitmotivgewebes, das Gotteserleben der Ich-Erzählerin ist jedoch ein bedrängendes und kein heilsames. Gott, das Du, das über weite Passagen angeredet wird, lässt der Ich-Erzählerin kein Eigenleben und vereinnahmt sie in beklemmender und schmerzhafter Weise. 14 Lied und Roman können auch deshalb nicht nahtlos aufeinander bezogen werden, weil im epischen Verlauf wiederkehrende und konstitutive Motivelemente in ihrer Bedeutung changieren. Aber ein Seitenblick auf die zugleich regressiven und lebensför‐ dernden traumhaften Bärenbegegnungen im Roman schließt das Lied weiter auf. Die junge Protagonistin nimmt immer wieder Bezug auf ihre visionären (? ) Entrückungserlebnisse ins wohlige Dunkel eines Bärenbaus. Eine solche Vision eröffnet das Werk. 15 Das vom lyrischen Ich im Lied aufgerufene Bild der Bärenstark 163 <?page no="164"?> 16 Avstøtning, 56f.: „Du lar meg høre den store bjørnens hjerteslag, den den ligger i hi om vinteren. Du lar meg til og med høre hvordan bjørnungene som sover, vokser seg sterkere for hver dag. Lyden av at de suger melk fra den mye større mammaen sin, og noen ganger har du tatt meg dit.“ („Du lässt mich den Herzschlag des großen Bären hören, von dem, der im Winter im Bau liegt. Du lässt mich ab und zu hören, wie die Bärenjungen, die schlafen, mit jedem Tag stärker heranwachsen. Das Geräusch davon, dass sie Milch bei ihrer viel größeren Mama saugen, und einige Male hast du mich mit dorthin genommen.“ - Die akustische Hypersensibilität ist ein Element der besonderen Gottesbeziehung der Ich-Erzählerin.) S. 83: „det var der jeg hørte til, der alt er mykt og mørkt og varmt.“ („dort war es, wo ich hingehörte, wo alles weich und dunkel und warm ist.“) S. 140: „lukta av bjørnemammaen min“ („der Geruch meiner Bärenmama“). Diese Mutter ist im Roman auch einer der Gegenentwürfe gegen die leibliche Mutter der Protagonistin, zu der sie ein problematisches Verhältnis hat, das hier nicht diskutiert werden kann. 17 Avstøtning, 136: „Du viste meg inn til et bjørnehi, og der lot du meg sove gjennom natta. Jeg lå der sammen med de to små ungene hennes. Vi var søsken den nattta, vi drakk av melka hennes. Da jeg våknet opp om morgenen, kjente jeg meg sterk av det du hadde gitt meg. […] den tunge pusten, de rolige hjerteslagene hennes, lukta av jord og pels“. 18 Avstøtning, 265: „Hun kommer til å rive meg i stykker med det samme. Jeg lukter feil, hun vet, jeg ikke er hennes. Jeg […] ser for meg hvordan det brune, tunge dyret skal legge seg over meg. Jeg håper det er hjertet hin river ut først. I det lille sekundet før alt stopper, skal jeg være min egen.“ („Sie wird mich gleich in Stücke reißen. Ich rieche falsch. Ich […] sehe vor mir, wie das braune, schwere Tier sich über mich legen wird. Ich hoffe, dass es das Herz ist, das sie zuerst herausreißt. In der kurzen Sekunde, bevor alles aufhört, werde ich mein eigen sein.“). Ruhe am Körper der nach Erde riechenden Bärenmutter ist in den epischen Beschreibungen ausgefaltet. Es ist um die weiche Wärme des Muttertiers angereichert und um das Gesäugtwerden. 16 Der komplexe Kampf um die (nicht) ausreichende Versorgung mit Nahrung, den die Ich-Erzählerin, ihre Familie, das Gesundheitspersonal (das Romangeschehen entwickelt sich von einer Herztransplantation aus) und Gott austragen, durchzieht den Roman. Was die Ich-Erzählerin bei der Bärin erfährt, ließe sich mit dem veralteten Wort Erquickung treffend benennen: „Du wiesest mich in einen Bärenbau, und dort ließt du mich die Nacht hindurch schlafen. Ich lag da zusammen mit ihren zwei kleinen Jungen. Wir waren Geschwister in der Nacht, wir tranken von ihrer Milch. Als ich am Morgen aufwachte, fühlte ich mich stark durch das, was du mir gegeben hattest.“ 17 Auch wenn Gott sie zur Bärin führt, ist die Fürsorge der Bärin ein Stück weit ein Gegenbild gegen den Gott, der die Protagonistin als Werkzeug ganz beansprucht. Aber hier findet sich das erwähnte Changieren von Bildern; zum einen reflektiert die Erzählerin über die Gefahr, durch die Bärin wegen ihres falschen Geruchs zerrissen zu werden, und strebt am Ende sogar einen solchen Tod an, 18 zum anderen rechnet sie die Erlebnisse in der Phase, 164 Elisabeth Fillmann <?page no="165"?> 19 Avstøtning, 198: „Brun pels og mykt mørke. Ikke i virkeligheten.“; ähnlich das volun‐ taristische Wegschieben der Erinnerung an die warmen Körper und das dunkle Weiche als „alte Spur“, S.-204. 20 Avstøtning, 208f. 21 Avstøtning, 208: „hos profeten Hosea, der blir du sammenlignet med en rasende binne som de har tatt ungene fra“ - die Fortführung, dass bei Ezechiel (die Erzählung) über einen Bären stehe, der Jungen in Stücke reiße, passt zu den eben zitierten Befürchtungen oder Erwartungen. (Allerdings ist die zweite Bibelstelle, auf die angespielt wird, wohl 2 Kön 2,24, und der Prophet dort Elischa.) in der sie sich von Gott zu emanzipieren versucht, zu seinen Bestechungen, die sie vor der Krisis des Romans im Bemühen um ein selbstbestimmtes Leben ablehnen möchte: „Brauner Pelz und weiches Dunkel. Nicht in Wirklichkeit.“ 19 Diese Aspekte im Roman sollten aber nicht als Zurücknahme des Gottesbildes im Lied gewertet werden. Der Roman lässt sich als Auseinandersetzung mit gefährdenden Gottesvorstellungen deuten. Vor allem aber wird das positive Gottesbild der Bärenmutter deshalb gestützt, weil die Stellen, in denen die Erzählerin sich bei der Bärin erholt, eine große Kraft haben, die die Bedrohung oder Abwertung überstrahlt. Noch in der Phase, in der die Protagonistin die regressiv-fürsorgenden Bärenmuttervisionen wegschieben will, sind sie besonders anziehend in Worte gefasst, die an das Lied erinnern: „Hun lar meg ligge inntil henne, jeg krøller meg sammen, jeg blir like myk som henne, og det er så kaldt utenfor, men varmt, så varmt ved pelsen hennes, og det myke hvite søte, det varmer meg innenfra, […] denne summende dype lyden fra henne, hun snuser på hodet mitt.“ 20 („Sie lässt mich dicht bei sich liegen, ich ringle mich zusammen, ich werde so weich wie sie, und es ist so kalt außerhalb, aber warm, so warm an ihrem Pelz, und die weiche weiße Süße, die wärmt mich von innen, … dieser summende tiefe Laut von ihr, sie schnuppert an meinem Kopf.“) - Der Vergleich zu „lever inntil deg“, „hviler … mitt hodet“ („lebe dicht an dir“, „ruhe meinen Kopf aus“) und die Vorstellung des kleinen, molligen Tierchens drängen sich auf. 3 Implikationen des biblischen Hintergrunds Es gilt aber, zunächst noch bei der gefährlichen Bärin zu verweilen. Denn die Passage wird eingeleitet: „Mein Bär ist niemals zornig auf mich“, nachdem ex‐ plizit auf die Bibel verwiesen wurde: „Beim Propheten Hosea, da wirst du [Gott] mit einer rasenden Bärin verglichen, der sie die Jungen weggenommen haben.“ 21 Genau diese biblische Referenz, Hos 13,8, ist auch in der Kirchenlieddatenbank Bärenstark 165 <?page no="166"?> 22 Vielleicht hat der Nachweis der Bibelstelle auch den Zweck, das Bild gegen den Vorwurf unzulässiger feministischer Theologie abzusichern. 23 Vgl. die in Anm. 18 zitierte Romanstelle S. 265. Der deutsche Wortlaut von Hosea 13,8 folgt Luther 2017. 24 Dies ist eine Interpolation, gestützt auf die Nähe von „wachsen“ (vokse) zu „schlafen“ (sove), das die Bärenmutter erlaubt. 25 Webinar „Salmer for vår tid“ (wie Anm. 8). bei „bjørnemor“ angegeben. 22 Die Hosea-Stelle lautet: „Jeg vil komme over dem som en binne de har tatt ungene fra, og rive opp brystet på dem“ - „Ich falle sie an wie eine Bärin, der die Jungen genommen sind, und zerreiße ihnen Brust und Herz“. 23 Die Kommentare zum komplexen Hosea-Buch setzen sich mit dieser Stelle auseinander, und die Referenz auf dieses biblische Buch bringt zwei weitere Aspekte des Liedes in den Blick, Gerechtigkeit und Liebe und feministische oder gendersensible Theologie. Die drei Stränge sind verflochten, können hier aber nur nacheinander behandelt werden. Dafür soll aber zunächst der Liedtext wieder in den Fokus rücken. Dort kann im zweiten Teil der dritten Strophe die Bärentochter mit soviel Zeit, wie sie dafür braucht, heranwachsen. 24 4 Diakonischer und gesellschaftspolitischer Handlungsappell „Bis du mich weckst“ ist der Doppelpunkt, der den zweiten Teil des Liedes einleitet. Er scheint zunächst wenig mit der Bildlichkeit des ersten verbunden zu sein. Der Beschreibung einer Redesituation, „Du rufst mich“, also eines Appells, einschließlich des Resümees seines Inhalts „zum Kampf für alle Kleinen“, folgt in der wörtlichen Rede der Wechsel zu Gott als Sprecherin, worin die Eltern-Kind-Beziehung zum lyrischen Ich aus göttlicher Sicht validiert wird, indem es als „Tochter“ angesprochen und im Attribut „schöne“ positiv bestärkt wird. Der folgende Imperativ lautet, aufzustehen und in die Welt zu gehen. Die Aufforderung wird intensiviert, indem „geh“ am Ende des Satzes und damit am Ende der Strophe 4 wiederholt ist. Zu kämpfen für die Kleinen, ist ein Teil der Motivation für Ingrid Brækken Melves Kirchenlieddichten, mit dem sie bestehende Lücken auffüllen möchte. Im Gespräch in dem Webinar mit David Scott Hamnes erläutert sie, dass sie einen nicht nur feministischen, sondern generell machtkritischen theologischen Ausgangspunkt habe. 25 Die fünfte Strophe zählt drei Konkretionen des Kampfes für die Kleinen auf: Hungrigen zu essen zu geben, Kinder zu schützen und Gefangene zu befreien. Stellen aus dem Matthäusevangelium lassen sich - neben vielen 166 Elisabeth Fillmann <?page no="167"?> 26 Parallel Mk 10,14, Lk 18,16. 27 Interessant für die Rezeption des Liedes in Norwegen dürfte sein, dass es dort seit Ende der 2010er-Jahre eine Bewegung gibt, die explizit laute Aktionen durchführt, um die Volksvertreter zu entschlossenem Handeln gegen den Klimawandel aufzufor‐ dern, Klimabrølet, das Klimagebrüll, s. https: / / klimabrolet.no/ (Zugriff am 13.05.2023). Brøl-Proteste kommen auch in Ingrid Brækken Melves Roman „Avstøtning“ vor. 28 Im norwegischen Bibeltext kommt hier im vorangehenden Vers, anders als im Luther‐ text 2017 und im Text der Einheitsübersetzung 2016, „Zorn“ nicht vor, sondern „redsel“ - Furcht, Entsetzen, Grauen, Angst. (9b-10: „Jeg vil ikke komme med redsel. Herren skal de følge, som en løve skal han brøle. Når han brøler, skal hans barn komme skjelvende fra vest.“) anderen Bibelstellen - assoziieren; zu den Kindern Mt 19,14 26 „Lasst die Kinder zu mir kommen“, zu den beiden anderen, „hungrig“ und „zu essen gegeben“, „im Gefängnis“ und „besucht“, Mt 25,35-38. Die Gefangenen nicht nur zu besuchen, sondern zu befreien, ist biblisch allerdings Gottes Handeln. Im Lied sind die geforderten Aktionen erweitert beziehungsweise spezifiziert. Alle Kinder der Welt sollen geschützt werden, und befreit werden diejenigen Menschen, die im Netz dunkler Kräfte gefangen sind. Man vergleiche übrigens Ps 31,5: „Fri meg fra garnet de har spent ut for meg! For du er min tilflukt.“ (Luther 2017 übersetzt: „Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke.“) Hinsichtlich der Art der dunklen Kräfte besteht eine für die Deutung offene poetische Leerstelle, die sich nicht nur mit psychischer Bedrängnis oder politischer Repression füllen lässt. Die letzte Strophe kehrt zur anredenden Beschreibung Gottes durch das lyrische Ich zurück. Die Reaktion Gottes auf das zuvor konkretisierte, auf der Welt geschehende Unrecht wird vorgestellt, indem die theriomorphe Gottesmetapher der ersten Strophe wieder aufgenommen wird: „Du brüllst laut.“ 27 Die oben erwähnte Einspielung des Liedes gibt davon in einem lauten und langgezogenen „brøler“ eine eindrückliche akustische Realisation. - Brüllend (allerdings wie ein Löwe) wird Gott auch in Hosea 11,10 vorgestellt. 28 - Dass als Ursache für das Brüllen der Zorn gesetzt wird, überschreitet die biologische Ebene der Tiermetaphorik. Zorn ist eine menschliche und nach dem Zeugnis der Bibel eine göttliche Emotion. Die Schlusszeilen des Liedes begründen den Zorn über Ungerechtigkeit indirekt: Ungerechtigkeit ist eine Bedrohung des Lebens, und Gottes Lebensliebe ist - wenn das sagbar ist - ungezähmt. 5 Kontrapunkt und Formverschränkung - biblisch fundiert Weil die machtvolle Opposition gegen Ungerechtigkeit im Bild der Bärin weder biologisch noch in kulturell tradierter Tiersymbolik angelegt ist, und Bärenstark 167 <?page no="168"?> 29 Luther 2017 und Einheitsübersetzung 2016 verwenden den Begriff „Stärke“ nicht! 30 Der bestimmte Artikel, im Fall von „liv“, „et“ (neutrum), wird im Norwegischen nachgestellt. wegen des atmosphärischen Wechsels zwischen umsorgter Ruhe und fordernder Aktion scheinen die beiden Liedteile zunächst unverbunden. Doch sie sind verwoben. Das Hoseabuch schafft die eine Verbindung, die andere ist poetisch liedinhärent. Sie liegt in der spiegelbildlichen Wiederaufnahme von Begriffen und Wortfeldern: Ist die Parallele von „mørke natt“ (2) und „mørke krefters“ (5) eine bloße zweimalige Wortverwendung von „dunkel“, so geht das erneute Auftreten von „jord“ (Erde) aus der ersten Strophe in der letzten einen Schritt weiter zu einem inhaltlichen Konnex der Aussagen und lässt sich folgendermaßen lesen: Gottes enge Verbundenheit mit der Schöpfungserde (sinnenfällig gemacht in „lukter […] jord“) erstreckt sich auch auf die Implikationen von „auf der Erde“ ins Gesellschaftliche. „[V]ern alle verdens barn“ (5), „schütze alle Kinder der Welt“, nimmt indirekt ebenfalls den ersten Teil des Liedes auf: „barn“ (Singular und Plural sind identisch) ist ähnlich wie „datter“ in Strophe 4 das zugehörige Antonym zu „(bjørne)mor“ (Mutter). Dieser Satz bildet eine Stelle, die besonders eng mit der Attribuierung „Zuflucht“ in den Psalmen und anderen Teilen des Ersten Testaments verwoben ist. Das Substantiv „vern“, die Bezeichnung Gottes als Schutz, erscheint als Parallelismus zu „tilflukt“ (Zuflucht) in 2 Sam 22,3, Ps 61,4 und Ps 71,7. Spr 14,26 bildet ein noch expliziteres Vor- oder Hintergrundbild zu der Zeile: „Å frykte Herren er et sikkert vern, der kan også barna søke tilflukt.“ (Luther 2017: „Wer den H E R R N fürchtet, hat eine sichere Festung, und auch seine Kinder werden beschirmt.“) Mit dem Auftrag, alle Kinder zu schützen, werden die individuelle Mutter-Tochter-Beziehung und die Fürsorge universal erweitert. Auf der Bildebene zeigt sich das komplementäre Paar: Der Schutz der „Zuflucht“ (Strophe 1) kann verlassen werden, hinaus in die „Welt“. Die Bärenmutter ist in Strophe 1 „stark“, und dazu gehört in Strophe 6 eine Liebe zum Leben, die mit einem Adjektiv aus dem semantischen Umkreis von „stark“ gekennzeichnet wird: „mächtig“. Hier ist noch aus den Zuflucht benennenden Psalmenparallelen nachzutragen, dass es im Lied Davids in 2 Sam 22,3 heißt: „Gud er […] min styrke og mitt vern, min tilflukt“ („Gott ist meine Stärke 29 und mein Schutz“), und in Ps 59,17: „jeg vil synge[! ] om din makt“ (Luther 2017: „Ich aber will von deiner Macht singen[! ]“). Vers 18 bezeichnet Gott als „meine Stärke“. Eine lexikalische Klammer neben „jord“, die das ganze Gedicht einschließt, bildet „liv(et)“ 30 in der ersten und der letzten Strophe. „Gott“ ist auf die gleiche 168 Elisabeth Fillmann <?page no="169"?> 31 Hubert I R S I G L E R , Gottesbilder des Alten Testaments. Von Israels Anfängen bis zum Ende der exilischen Epoche. Teilband I, Freiburg - Basel - Wien 2021, hier: 604. 32 Jörg J E R E M I A S , Art. Hosea / Hoseabuch, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 15 (1986), 586-598, hier: 590. 33 J E R E M I A S , Hosea (wie Anm. 32), 591, vgl. I R S I G L E R , Gottesbilder (wie Anm. 31), 610 und 613f. 34 I R S I G L E R , Gottesbilder (wie Anm. 31), 607. Weise wie „Erde“ durch „lukter“ eng mit „Leben“ verbunden, und die Liebe Gottes zum Leben ist mit der Endstellung im Gedicht besonders hervorgehoben. In den poetischen Formen, besonders in den gewählten Wörtern und seman‐ tischen Feldern, wird also eine Verbindung zwischen dem Gottesbild der Bärenmutter, die ihr Geschöpf wohltuend umhegt, und der Atmosphäre des Schutzraums in der ersten Liedhälfte mit dem fordernden Gottesbild des Hi‐ naussendens zur Tätigkeit in der Welt, das von ethischen Ansprüchen geprägt ist, in der zweiten Liedhälfte hergestellt. 6 Hosea - Unrechtszorn und Menschenliebe Wie angekündigt soll nun die zweite Verbindung durch den Rückbezug auf das Hoseabuch erläutert werden. In dem nicht leicht zugänglichen und aus textkritischer Sicht hochkomplexen Prophetenbuch geht es um die Anklage Gottes gegen sein abtrünnig gewordenes Volk, dem das Gericht droht. Gott will Israel heilen, es sperrt sich aber, so Hubert Irsigler, deshalb kommt es zur Unheilsandrohung, bis dahin, dass Gott sich präsentiert wie Panther, Löwe oder die der Jungen beraubte Bärin. 31 Auch nach der Deutung von Jörg Jeremias, der die Grausamkeit der angedrohten Todesbilder stärker hervorhebt („Jahwe statt Retter [13,4] als zornige Bärin, die dem Opfer den Brustkorb zerreißt [13,7f]“), ist Gottes Zorn für Hosea die notwendige Kehrseite seiner intensiven Liebe (Hos 2) 32 . Beide stimmen überein, dass, auch wenn Israel trotz allen Gerichts und aller Heilserweise uneinsichtig an der Schuld festhängt, „Gott unfähig (bleibt), es zu vernichten, weil sein Herz ‚umstürzt‘ und seinen Zorn besiegt“ 33 . Die Beziehung zwischen Gott und Israel/ Ephraim ist in Hosea 11 in Bilder des Verhältnisses zwischen Kind und sorgenden Eltern gefasst. 34 Differenzfeministische Theologie Bärenstark 169 <?page no="170"?> 35 Vgl. die Auseinandersetzung von Marie-Theres Wacker mit Helen Schüngel-Strau‐ manns Deutung: Marie-Theres W A C K E R , Father-God, Mother-God - and Beyond. Exegetical Constructions and Deconstructions of Hosea 11, in: lectio difficilior 2/ 2012, https: / / www.lectio.unibe.ch/ de/ archiv/ marie-theres-wacker-father-god-mother-god-and-bey ond-exegetical-constructions-and-deconstructions-of-hosea-11.html#top; die Überset‐ zung S. 5. - Zu den unterschiedlichen Ansätzen der feministischen Theorie vgl. Anm. 45. 36 Zitiert in Mt 9,13 und 12,7, dort mit der Übersetzung „Barmherzigkeit“ (Luther 2017, Einheitsübersetzung 2016, Nettbibelen 2011 ebenfalls „barmhjertighet“). 37 Die Einheitsübersetzung ebenfalls: „Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlacht‐ opfern, / an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.“ 38 I R S I G L E R , Gottesbilder (wie Anm. 31), 606. Die Wortanalyse in Fußnote 75. - Vgl. auch weitere Bibelstellen wie Spr 21,3 und 21: „Å gjøre det som er rett og rettferdig, er mer verdt for Herren enn offer. Den som jager etter rettferd og godhet, finner liv og rettferd og ære.“ (Luther 2017: „Recht und Gerechtigkeit tun ist dem H E R R N lieber als Opfer. Wer der Gerechtigkeit und Güte nachjagt, der findet Leben, Gerechtigkeit und Ehre.“) 39 Eberhard B O N S , Das Buch Hosea (Neuer Stuttgarter Kommentar - Altes Testament 23/ 1), Stuttgart 1996, 180-182. hat durch textkritische Vorschläge als alternative Übersetzungsmöglichkeiten sogar die Lesart des Stillens für Hos 11,4 eingebracht. 35 Es ist nicht nur die Tierbildlichkeit, die Gud, du er min tilflukt mit Hosea grundieren kann, sondern auch die Forderung nach gesellschaftlicher Gerech‐ tigkeit in der Passage Hosea 6,6 36 : „For jeg vil ha kjærlighet, ikke slaktoffer, gudskjennskap framfor brennoffer.“ (Luther 2017: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ 37 ) Die Liebe an dieser Stelle geht auch in die Richtung der Nächstenliebe. Irsigler betont auf der Basis der Wortanalyse des zugrundeliegenden „häsad“, Hingabe, das auch den Gemeinschaftssinn, mitmenschliche Güte und Großherzigkeit von Menschen untereinander beinhalten kann: „Hosea hält Israel programmatisch die heilvolle Rechts- und Lebensordnung vor Augen“. 38 Eberhard Bons’ Ausle‐ gung von Hosea hebt hervor, dass Gott auf „‚emotionale Weise‘“ mit seinem Volk verbunden ist, dass Liebe und „Gotteserkenntnis die Herstellung intakter menschlicher Beziehungen“ einschließen und dass „Gott ein Interesse an einer […] gerechteren Welt hat“. 39 Die Verknüpfung von Gottes Fürsorge und Gottes Zorn über das Unrecht der Welt, der zum Kampf dagegen aufruft, ist also vorgeprägt. Der Konnex im Lied ermöglicht auch, die Gefahr der Überforderung gebannt zu sehen. Die Fürsorge der starken Mutter ermöglicht, dass der Aufruf zum Handeln befolgt werden kann. Die göttliche Liebe zum Leben ist so mächtig, unbändig und groß, so mag man folgern und übertragen, dass sie auch dem Menschenkind die notwendige Kraft gibt. 170 Elisabeth Fillmann <?page no="171"?> 40 I R S I G L E R , Gottesbilder (wie Anm. 31), 610. 41 Nettbibelen 2011 Hos 11,9b: „For jeg er Gud og ikke et menneske, hellig midt iblant dere“. 42 Vgl. W A C K E R , Father-God, Mother-God (wie Anm. 35), 10-14. 43 Den Mangel konstatiert sie im Webinar „Salmer for vår tid“ (wie Anm. 8). 44 W A C K E R , Father-God, Mother-God (wie Anm. 35), 14. 45 Vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen Samira B A I G , Mutterschaft als Herausforderung feministischer Theorie. Eine Diskussion von differenz-, gleichheitsfeministischen und poststrukturalistischen Ansätzen, in: Helga K R Ü G E R -K I R N - Laura W O L F (Hgg.), Mut‐ terschaft zwischen Konstruktion und Erfahrung. Aktuelle Studien und Standpunkte, Opladen - Berlin - Toronto 2018, 15-27. Differenzfeministische Ansätze machen gegenüber einem männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb Realitäten von Frauen sichtbar, die sich von männlichen unterscheiden (16). Gleichheitsfeministische Ansätze gehen von einer grundsätzlichen Gleichheit von Männern und Frauen aus, während in einer politischen Konstruktion von Unterschieden eine Hierarchisierung von Männern und Frauen mit einer Rollen- und Rechteverteilung zuungunsten von Frauen stattfindet (18). Poststrukturalistische Ansätze sehen in der geschlechtlichen Zweiteilung ein 7 Potenziale des transpatriachalischen Gottesbildes Es gibt einen dritten Anknüpfungsbereich für konstitutive Bestandteile von Gud, du er min tilflukt im Hoseabuch. Dort begründet Gott (10, 9), dass er seinen Zorn nicht ausführt, „dass sein Verschonungswille stärker ist“, 40 damit, dass er Gott ist, nicht menschlich: Der Wortlaut ist für die Übersetzung uneindeutig, wie z.B. Marie-Theres Wacker in der Diskussion mehrerer Übersetzungen und Zugänge zeigt: Es kann sowohl heißen „Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte“ (Luther 2017) 41 als auch „denn Gott bin ich und nicht Mann“, wie Martin Buber sich entscheidet. 42 Gott auf das männliche Geschlecht festzulegen, verfehlt sein Wesen. Deshalb füllt Ingrid Brækken Melve den Mangel an nicht männlichen Gottesbildern 43 in Kirchenliedern in ihrem Lied mit der Metapher der Bärenmutter auf. Zu erwägen ist die Gefahr einer erneuten Genderstereotypie, vor der Marie-Theres Wacker unter Rückbezug auf Jürgen Ebach warnt: „Note that ‚not masculine‘ does not mean ‚feminine.‘ It is only by insisting on this difference that opens spaces in between that one can avoid imprisoning women, men, and even God in gender stereotypes.“ 44 Dieser Gefahr wirkt im Lied entgegen, dass im zweiten Teil, der die gesellschaftlichen Konsequenzen des göttlichen Auftrags benennt und Gottes zornige Anklage gegen widergöttliches Unrecht auf der Erde schildert, die Bärenmutter mit Eigenschaften und in einer Weise auftritt, die sonst als „männlich“ gelten, wie stark, gewaltig oder mächtig, wild, groß und laut. (Hier kann man gleichheitsfeministische Ansätze im Hintergrund sehen.) 45 In der Vertonung von Solveig Spilling Bakkevig mit der Wiederholung Bärenstark 171 <?page no="172"?> gesellschaftliches Wirklichkeitskonstrukt. In neueren gendertheoretischen Ansätzen wird ein biologisches Substrat mitreflektiert (20f.). 46 So Helga K R Ü G E R -K I R N , Mütterlichkeit braucht kein Geschlecht, in Helga K R Ü G E R -K I R N - Leila Zoë T I C H Y (Hgg.), Elternschaft und Gender Trouble. Geschlechterkritische Perspektiven auf den Wandel der Familie, Opladen - Berlin - Toronto 2021, 97-122, hier: 98-100. Krüger-Kirn hinterfragt „die Verwobenheit der Begriffe Mutterschaft und Mütterlichkeit […] und deren Verflechtung mit normativen Prämissen“, die über Jahrhunderte funktionalisiert wurden und als „implizite Selbstverständlichkeiten […] wirksam sind“. Diese „Leitbilder und Vorannahmen zu Mutterschaft und Mütterlichkeit [sind] sozioökonomisch und ideologisch motiviert“ und hängen „eng mit den gesell‐ schaftlichen Umstrukturierungen im Zuge der Industrialisierung zusammen […], die wesentlich zu einer strukturellen Trennung von produktiver Erwerbsarbeit und repro‐ duktiver Familienarbeit beigetragen hat“ und die Frau soziologisch auf die Rolle der Hausfrau und Mutter reduzierte (98f.). Krüger-Kirn plädiert für die Emanzipation der Mütterlichkeit aus Geschlechtsrollenvorgaben, sie könne vielmehr „unabhängig vom Geschlecht oder der Erfahrung einer Schwangerschaft und Geburt erlebt und gelebt werden“ (100). Krüger-Kirn untermauert dies mit sozialwissenschaftlichen Zugängen und bindungstheoretisch und neurobiologisch orientierten Studien, die zeigen, „dass fürsorgliche Beziehungs- und Verhaltensweisen mit dem Neugeborenen nicht durch biologische Zusammenhänge initiiert werden, sondern die hormonellen Gegebenheiten und neuronalen Strukturen des Gehirns durch die soziale Praxis mit Neugeborenen [samt ihrer Bedürfnisse] beeinflusst werden“ (114). Ihr Fazit lautet: „Mütterlichkeit braucht kein Geschlecht“ (112). 47 „Das Private ist theologisch“, sagt die Autorin im Gespräch im Webinar „Salmer for vår tid“ (wie Anm. 8). der letzten Liedzeilen erklingt gerade die Stelle von der mächtigen Liebe zum Leben durch die Doppelung als starker Schlusssatz. Das Lied besingt mütterliche, körperliche, (traditioneller gesprochen: ) leib‐ liche Fürsorge, eine göttliche Eigenschaft und ein göttliches Handeln, die lebensnotwendig sind. Mütterlichkeit kann im poststrukturalistischen feminis‐ tischen Ansatz, in der Gendertheorie, entgegen tradierter Geschlechtsrollenvor‐ gaben und tief verinnerlichter Denkfiguren über Weiblichkeit und Mutterschaft durchaus ohne Geschlecht gedacht werden. Sie ist in Erfahrungs-, Lebens- und Tätigkeitsbereichen und von Beziehung, Versorgung und Fürsorge gegründet, die allen Geschlechtern offenstehen. 46 Dichotomischen gesellschaftlichen Genderkonstruktionen zu entgehen, dafür bietet vielleicht gerade das kreatürliche, nicht-menschliche Gottesbild, die Bärenmutter, eine gute Chance, denn in der (selbstverständlich ebenfalls kulturell geformten) Vorstellung einer beschützend warmen, aber keineswegs harmlosen Bärin lassen sich individuelles Wohlergehen und die Kraft im empö‐ rungsgetriebenen sozialen Handeln gegen das Unrecht zusammendenken 47 und praktisch vereinen, Kuscheln und Kampf, Wärme und Widerstand. Gut, dass Ingrid Brækken Melve die Kirchenliedtradition mit diesem Bild erneuert hat. 172 Elisabeth Fillmann <?page no="173"?> 1 Die Sensibilisierung für diesen in der gottesdienstlichen Praxis nicht immer hinreichend berücksichtigten Zusammenhang verdankt sich nicht zuletzt den Forschungen und Anregungen von Ansgar Franz zur Hymnologie von der Alten Kirche bis zum Neuen Geistlichen Liedgut. 2 Anton B A U M S T A R K , Das Gesetz der Erhaltung des Alten in liturgisch hochwertiger Zeit, in: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 7 (1927), 1-23. 3 Vgl. Ingrid F I S C H E R , Die Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern: Liturgie - Theologie - Spiritualität (Pietas Liturgica. Studia 22), Tübingen 2013. Die darin nur kursorisch behandelten Tropen (S. 266-267) sollen im Rahmen dieses Beitrags nun eingehender betrachtet werden. Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae Hohe Theologie und tiefe Emotionen Ingrid Fischer Theologie und Spiritualität der christlichen Liturgie werden in Gesängen un‐ terschiedlichster Gattungen ausgedrückt und geformt. 1 So ermöglichte auch das nach dem Baumstark’schen Gesetz der „Erhaltung des Alten in liturgisch hochwertiger Zeit“ 2 bis ins 20. Jahrhundert durch archaische Schlichtheit aus‐ gezeichnete frühmorgendliche Offizium am Hohen Donnerstag, Karfreitag und Karsamstag eine spezifische vorösterliche Feiererfahrung. Aus den Antiphonen der als vox Christi vollzogenen Psalmen (und einiger Cantica) ließ sich eine stark theozentrisch-soteriologische Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu in Erwartung seiner Auferstehung erschließen. 3 Das rituelle Löschen von Kerzen und Lampen während der nächtlichen Feier, die noch in der Finsternis vor Tagesanbruch endete, hat, je nach Anzahl und Dramaturgie, rasch vielerlei allegorische Deutungen erfahren: von der Flucht der Jünger über das alleinige Ausharren der Mutter Jesu bis zu den dreimal 24 Stunden der Grabesruhe (sic) - jedenfalls geeignet, Emotionen zu wecken und die Gemüter zu bewegen. <?page no="174"?> 4 Vgl. Phil 2,8. Etliche Handschriften bieten am vorösterlichen Triduum einen Gesang Christus. Dabei handelt es sich entweder um den Vers(ikel) Christus factus est pro nobis samt Responsum Mortem autem crucis vor dem Benedictus (zitiert Phil 2,8 wörtlich) oder um einen Tropus in der Kyrielitanei nach den Laudes (mit leicht abweichendem Text). 1 Eine mittelalterliche Zutat im Offizium Anders als in der - weitestgehend auf Psalmodie, Gebet und Lichtlöschen redu‐ zierten - ältesten römischen Tradition zeigt sich die Nacht- und Morgenhore an den drei letzten Tagen der Hohen Woche (Tenebrae, „Trauer-“, „Pumper-“ oder „Finstermetten“) in mittelalterlichen Quellen um mehrere Elemente erweitert. Unter anderem verzeichnen etliche Handschriften ab dem 10. Jahrhundert eine im Wechsel gesungene dreigliedrige Litanei aus Kyrie- und Christus-Rufen mit tagesspezifischen kurzen Einschüben (Tropen). So erklingt nach der Bene‐ dictus-Antiphon in der nach dem Auslöschen der letzten Kerze finsteren Kirche das namengebend häufig von Knaben gesungene Kyrie puerorum: Kyrie eleison. Kyrie eleison. Kyrie eleison. Domine miserere. Christus Dominus factus est obediens usque ad … 4 Tropus. Christe eleison. Tropus. Christe eleison. Tropus. Christe eleison. Domine miserere. Christus Dominus factus est obediens usque ad … Kyrie eleison. Kyrie eleison. Kyrie eleison. Domine miserere. Christus Dominus factus est obediens usque ad mortem. Zuletzt immer: Mortem autem crucis. Vielerorts folgt (oder geht voraus) der Brauch des Lärmens (fragor et strepitus), eine - vielleicht aus dem Abklopfen der Hore entstandene - lautstarke Allegorie auf das Erdbeben beim Tod Jesu (Mt 27,51) oder den Aufruhr („Höllenlärm“) beim Eindringen Christi in die Unterwelt. Liturgieschilderungen und -kommentare der Zeit beschreiben die mitunter exzessive Beteiligung des Volkes an diesem Getöse, indem es mit Hämmern, Stöcken und Steinen an die Kirchenbänke und Mauern schlägt. Zugleich betonen sie die besondere Dramatik und Emotionalität der Kyrie-Anrufungen, welche für die lamenta oder lamentationes et dolores der Frauen am Grab (vgl. Mt 27,61) stünden - ungeachtet der biblischen Referenztexte, denen zufolge weder Christi Gang zu „den Geistern, die im Gefängnis waren“ (1 Petr 3,19), von Lärm begleitet wurde noch die Frauen 174 Ingrid Fischer <?page no="175"?> 5 „Eine Beteiligung der Gemeinde an der Trauermette durch Kyrierufe“ im Benedikti‐ nerstift St. Lambrecht (Graz) referiert beispielsweise (basierend auf der noch älteren Forschung von Othmar Wonisch aus dem Jahr 1948) bereits Johannes J A N O T A , Studien zu Funktion und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 23), München 1968, 158. Auch der von Robert K L U G S E D E R und Gionato B R U S A textkritisch edierte Liber Ordinarius Pataviensis (Codices manuscripti & impressi. Supplementum 13), Purkersdorf 2019, 67, vermerkt für die Litanei in den Laudes am Hohen Donnerstag (165,3) Volksgesang: „Quo finito populus habeat vociferationes suas“; vgl. auch Harald B U C H I N G E R , Hohe Woche und Ostern in Schlüsselquellen der Passauer Liturgie, in: Robert K L U G S E D E R (Hg.), Musik und Liturgie in der Diözese Passau im Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nach‐ barregionen der Universität Passau 73), Passau 2020, 37-62, hier: 51: „Die ausdrückliche Teilnahme des Volkes an der Trauermette des Karfreitags mit ihrem spektakulären Schluss ist bemerkenswert, wenn auch keineswegs unüblich.“ Für weitere Zeugnisse vgl. auch D E R S ., Die monastischen Consuetudines von St. Emmeram (Ende 10. Jahrhun‐ dert) als Quelle der Liturgiegeschichte, in: D E R S . - Sabine R E I C H E R T (Hgg.), Gottesdienst in Regensburger Institutionen. Zur Vielfalt liturgischer Traditionen in der Vormoderne (Forum Mittelalter-Studien 18), Regensburg 2021, 57-192, hier: 106. 6 Joseph P O T H I E R , Chant de la Litanie avec tropes ou versets à l’office des Ténèbres, in: Revue du Chant Grégorien 11 (1903), 133-140. 7 Pedro Romano R O C H A , Les „tropes“ ou versets de l’ancien office des ténèbres, in: Mens concordet voci pour Mgr A.G. Martimort, Paris 1983, 691-702. 8 Die Handschriften werden nach R O C H A , Tropes (wie Anm. 7), zitiert. Die Identifikation der Bibliotheken folgt den RISM Bibliothekssigla https: / / rism.info/ de/ community/ sigla .html. am Grab geklagt und geweint haben. Für das sonst in kaum einer offiziellen Tagzeitenliturgie anwesende oder gar involvierte Volk dürften sowohl die Mitwirkung an der lautstarken Inszenierung der Todesschrecken als auch die ihnen fallweise zukommenden Akklamationen 5 ein emotionaler Tiefpunkt und zugleich stimmungsvoller Höhepunkt gewesen sein, der niemanden unberührt ließ. Abgeschlossen wurde die Hore vom still gesprochenen Paternoster, dem täglichen Miserere Ps 50(51) und der Oration Respice quaesumus Domine. Im Anschluss an die Forschung von Joseph Pothier 6 hat Pedro Romano Rocha in seinem Beitrag zur Festschrift für Georges Martimort 58 lateinische Zeugen solcher Tropen in der Kyrielitanei gesichtet und alphabetisch gelistet. 7 Anhand seiner Übersicht sollen im Folgenden Rochas kursorische Beobachtungen zu Herkunft und Stilmitteln detailliert für jedes dieser kurzen Stücke (zur leichteren Identifizierung in Rochas Nummerierung 8 ) weitergeführt werden. Von Interesse ist hier insbesondere die Auswahl und Zusammenstellung der Kyrie-Tropen, die der Nacht- und Morgenhore der drei vorösterlichen Tage einen je eigenen Schlussakkord verleiht. Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 175 <?page no="176"?> 9 CH-SGs 390-391. 10 F-TLm ms. 76. 11 E-H ms. 7. 12 E-Mn I. 424. 13 I-Lc ms. 603. 2 „… der du für uns zu leiden kamst“ Im Unterschied zur impliziten Christologie der psalmogenen Antiphonen ma‐ chen die Tropen in der Litanei die Identifikation des leidenden Subjekts oder Objekts, des Lammes, Priesters, Erlösers etc. mit dem akklamierten Kyrios Christus explizit. Text und Vortrag - helle, „unschuldige“ Knabenstimmen kontrastieren den Gesang erwachsener Männer - lassen die Passion teils holzschnittartig plastisch werden und erwecken das Mitgefühl der Feiernden. Die herangezogenen Handschriften - älteste Antiphonare (10.-13. Jh.), einige Ordinarien (12.-15. Jh.) und mehr als 40 Breviere (12.-15. Jh., einige jüngere aus dem 16./ 17. Jh.) - quer durch Europa sind ostfränkischer, westfränkischer, aquitanisch-iberischer und insularer Herkunft. Mehrheitlich bieten sie für den Hohen Donnerstag (feria V) drei Einschübe, seltener vier, fünf oder sechs. Sofern den Folgetagen nicht eigene Texte zugeordnet sind, ist auch ohne den seltenen Hinweis „ut fer. V“ davon auszugehen, dass sie am Karfreitag und/ oder Karsamstag wiederholt wurden. Einzig St. Gallen 390 (Codex Hartker) 9 notiert umgekehrt nur am Karsamstag vier Tropen: jene drei, die am Hohen Donnerstag sehr breit bezeugt sind (25, 26, 19), sowie zusätzlich 31. Auch andere ostfränkische Handschriften ergänzen diesen Tropus oder kombinieren ihn mit je zwei der drei anderen. Drei aquitanisch-iberische Codices (Dax 10 , Huesca 11 , Saragossa 12 ) bieten nur je zwei Tropen pro Tag. Und im Kloster S. Maria de Pontetetto 13 (Lucca) war lediglich ein Text pro Tag vorgesehen. 2.1 Der Hohe Donnerstag 2.1.1 Eine stabile Mehrheitstradition: Grund und Ziel der Passion Der Hohe Donnerstag weist ein durchwegs stabiles Repertoire auf: Als weitge‐ hend überregionale Mehrheitstradition zeigen sich an diesem Tag (in ost- und westfränkischen Quellen häufig an allen drei Tagen) die Tropen 25, 19 und 26: (25) Qui passurus advenisti propter nos Der du für uns zu leiden gekommen bist: … Diese knappe Bekenntnisformel umschreibt das soteriologische Ziel des Herr‐ scher-Adventus. Sie attribuiert Christus als den sowohl zu unseren Gunsten als 176 Ingrid Fischer <?page no="177"?> 14 Die erste Antiphon in den Laudes am Karsamstag; vgl. Balthasar F I S C H E R , O mors, ero mors tua: Eine Kurzformel der römischen Liturgie für das Paschamysterium, in: Eulogia. Miscellanea liturgica (FS Burkhard Neunheuser, Studia Anselmiana 68 = Analecta Liturgica 1), Rom 1979, 97-113. 15 P-BRp ms. 657 notiert die Reihe 14, 15, 30 für Karfreitag. auch stellvertretend Leidenden (vgl. u.a. Jes-53; Mt 17,12; 1 Petr 2,21; 3,18; 4,1) und trifft damit den Kern des Erlösungsgeschehens. (19) Qui expansis in cruce manibus traxisti omnia ad te saecula Der du mit am Kreuz ausgestreckten Händen alle Weltzeiten an dich gezogen hast: … Die universal bedeutsame Verheißung Jesu vor seinem Leiden „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen“ ( Joh 12,32) singt der Vers dem Erlöser als am Kreuz eingelöst zu. (26) Qui prophetice prompsisti ero mors tua o mors Der du prophetisch verkündet hast: Ich werde dein Tod sein, o Tod: … Hier wird die schon paulinisch von der Strafankündigung über Israel (Hos 13,14) zum Drohspruch gegen den Tod umgedeutete Prophetie (mit Jes 25,8 in 1-Kor 15,54f.) O mors, ero mors tua; morsus tuus ero, inferne  14 bereits am Hohen Donnerstag (und verbreitet an allen drei Tagen) zur letztgültigen Interpretation des Christusereignisses. Alle drei Tropen führen - wie auch in den römischen Amtsgebeten üblich - die Anrufungen Christe eleison mit relativen Anschlüssen weiter, die Christus in seinem Leiden und Sterben als den eigentlich und siegreich Handelnden, nicht passiv, sondern aktiv qualifizieren. In wenigen (biblischen) Worten verge‐ genwärtigen sie den Grund und das Ziel des irdischen Daseins Jesu in seiner Endgültigkeit: Für uns (zu leiden) gekommen, zieht er gerade in der scheinbar ohnmächtigen Hingabe alle an sich - zugleich dem Tod für immer seinen Stachel. 2.1.2 Eine aquitanisch-iberische Besonderheit: Universale Erlösung? Etwa die Hälfte der untersuchten aquitanisch-iberischen Handschriften bezeugt die Mehrheitstradition; die übrigen setzen mit eigenen (außer in Braga 15 ) dem Hohen Donnerstag vorbehaltenen Tropen 14, 15, 30 deutlich andere Akzente: (14) Pater qui commode omnia regis ubique pariter cum propria sobole Vater, der du alles angemessen lenkst/ regierst, und überall in gleicher Weise mit dem eigenen Spross: … Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 177 <?page no="178"?> Dieser Tropus akklamiert nicht Christus, sondern den Vater (! ), dem freilich der Sohn als ebenbürtiger Weltenherrscher beigesellt ist. Ob hier der am Kreuz oder der zur Rechten des Vaters Erhöhte imaginiert wird? Oder (wie in Ps 2 am Karfreitag) das verborgene Königtum des Gekreuzigten? Oder aber romanische Bildwerke, in denen (wie auch in der byzantinischen Kunst) Vater und Sohn identifiziert werden (vgl. Joh 12,45 „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“)? (15) Quam pro nostro admisso scelere hodie das in escam omnibus populis Den (Spross, den) du für unseren (ihm) aufgeladenen Frevel heute allen Völkern zur Speise gibst: … Dieser Einschub setzt die Rede über Christus fort, Handelnder bleibt der Vater: Er hat im eucharistischen Mahl den mit unseren Vergehen beladenen „Spross“ (aus der vorausgehenden Akklamation) der Welt zur Nahrung gegeben. Mehr noch: Er reicht diese universale Speise zur Vergebung der Sünden „heute“. Ein Vorblick auf den abendlichen Hauptgottesdienst in coena Domini. (30) Traditur patrator mundi per manus miseri Iudae infidis iudaeis ad crucifigendum ut nos a morte eripi valeremus gratias persolventes Der Vollender der Welt wird durch die Hände des unseligen Judas den treulosen Juden ausgeliefert, um ihn zu kreuzigen, damit wir, dem Tod entrissen werden könnten und dir Dank abstatten: … In diesem Text ändern sich Sprechakt und Tonfall: Die anklagende Feststellung thematisiert nicht mehr das universale Heilshandeln des Vaters in Christus, sondern verurteilt die vermeintlichen Urheber seines Leidens, den „unseligen“ Verräter Judas (vgl. Mk 14,45 parr) und die „treulosen“ Juden (vgl. Apg 2,23). War nicht gerade zuvor von „unserem Vergehen“, das Christus aufgeladen wurde, die Rede gewesen? Und weiß das singende Ich sich nicht dem Tod verfallen? Doch nun sind die Schuldigen nur noch Judas und die Juden, wir hingegen gerettet und dankbar. Diese feindselige Grenzziehung vermag freilich eher, Hass zu schüren als sich selbst an der Seite der Irrenden zu finden und die intendierte Dankbarkeit gegenüber dem „Vollender der Welt“ zu erwecken. Die derart tropierte Kyrie-Litanei wäre geeignet, über die tagesspezifischen Aspekte (Eucharistie, Verrat) hinaus die allumfassende Heilsbedeutung des Paschamysteriums vor Augen zu halten - Vater, der alles regiert, Speise für alle Völker, Vollender der Welt - wäre da nicht zuletzt der polemische Antiju‐ daismus, der die Beter zum gefährlichen „Wir und die Anderen“ verführt. 178 Ingrid Fischer <?page no="179"?> 16 E-SAu ms. 2023. 17 In anderen Regionen begegnen an den Kartagen fallweise einer oder zwei dieser Tropen; vereinzelt auch anders kombiniert (s.-u. 2.5.2). Ein spanisches Brevier aus Salamanca 16 ersetzt in dieser Reihe Tropus 15 durch 1 (s. u. 2.2): Hatte ersterer „unser Verbrechen“ mit der (sündentilgenden) Eucharistie verbunden, bleibt in letzterem nur die Schuld des Verräters stehen, der durch seinen heuchlerischen Kuss dem Lamm zum Wolf wird. Im Nachklang der Antiphonen der Nacht- und Morgenhore des Hohen Donnerstags, insbesondere im Anschluss an die Benedictus-Antiphon Traditor autem dedit eis signum, dicens: Quem osculatus fuero, ipse est, tenete eum (Der Verräter aber gab ihnen ein Zeichen und sagte: Den ich küssen werde, der ist es, den ergreift), behält in dieser Tropierung die Zerbrechlichkeit der Beziehung zwischen Gott und Mensch und die Entfremdung von Freunden und Vertrauten das letzte Wort. Sie wird erschreckend offenkundig im scharfen Urteil sowohl über den Freund und Apostel als auch über das Herkunftsvolk Jesu. 2.2 Karfreitag: Wenn der Tod Trauer trägt Für den Karfreitag ist der regionale Variantenreichtum weit größer, und es lässt sich keine evidente Mehrheitstradition ausmachen. In ostfränkischen Handschriften fehlen häufig spezifische Angaben für die Kartage. Die Tropen 25, 19, 26 vom Hohen Donnerstag werden wohl an allen drei Tagen gesungen; manche Quellen vermerken (meist am Hohen Donnerstag) zusätzlich Tropus 31 (s. u. 2.2.1). Einige Handschriften westfränkischer Herkunft führen bereits am Hohen Donnerstag neben 25, 19, 26 eine zweite dreigliedrige Reihe 1, 31, 29 an. 2.2.1 Eine insulare Tradition: Wolf und Lamm Am Karfreitag ist die genannte Reihe 1, 31, 29 vor allem im englischen Raum verbreitet. 17 (1) Agno miti basia cui lupus dedit venenosa Welchem sanften Lamm der Wolf giftige Küsse gegeben hat: … Das Lamm ist im Alten Testament das Opfertier schlechthin, das Opfer selbst aber Instrument der (wiederherzustellenden/ -gestellten) Kommunikation mit Gott. Dem Pesachlamm kommt als Symbol der Verschonung (Ex 12,13) und Befreiung (und damit auch der Volkwerdung) Israels herausragende Heilsbe‐ deutung zu. Die Übertragung auf Jesus, das (geschlachtete) Lamm Gottes ( Joh 1,29.36) erweist ihn überdies nach dem Vorbild des Gottesknechts ( Jes 53,7; Apg Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 179 <?page no="180"?> 18 Möglicherweise eine fehlerhafte Variante des Verses Vita in ligno moritur infernus est morsus expoliatus (Das Leben stirbt am Holz, die Unterwelt ist ihres Stachels beraubt; vgl. Hos 13,14 / 1-Kor-15,55), wie er sich in Antiphonaren des 10.-12. Jh. findet; andere zeitgleiche und jüngere Quellen bieten ebenfalls kleinere textliche Abweichungen. 8,32) und des verfolgten Propheten ( Jer 11,19) als den unschuldig anstelle und zugunsten anderer („für sie“) getöteten Gerechten, der ihnen Heil erwirkt. Doch noch ist der eschatologische Tierfriede ( Jes 11,6; 65,25) fern; eher bewahrheiten sich die weisheitliche Warnung „Was kann ein Wolf mit einem Lamm gemeinsam haben? So viel wie ein Sünder mit einem Frommen“ (Sir 13,17) und das Gleichnis Jesu vom Feind des guten Hirten, denn „der Wolf reißt sie [sc. die Schafe] und zerstreut sie“ ( Joh 10,12). Lamm und Wolf sind rasch identifiziert: Die Beziehung zwischen Meister und Jünger ist vergiftet und die Geste der Zuneigung von Judas zum Zeichen seines Verrates an Jesus pervertiert (vgl. Lk 22,48). Die Sanftmut - Milde, Wehrlosigkeit, Verletzlichkeit - des Lammes ist sprichwörtlich; ihr Gegenteil ist die giftige Schärfe jenes (und jedes) Mundes, der Jesus mit Worten verrät und mit einem Kuss ausliefert. Der Psalmist weiß um das allgemeinmenschliche Übel giftiger Rede (vgl. Ps 26[27],12; 139[140],4; 57[58],5) ebenso wie der Verfasser des Jakobusbriefes: „Die Zunge ist es, die den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber wird von der Hölle in Brand gesetzt. Denn jede Art von Tieren, auf dem Land und in der Luft, was am Boden kriecht und was im Meer schwimmt, lässt sich zähmen und ist vom Menschen auch gezähmt worden; doch die Zunge kann kein Mensch zähmen, dieses ruhelose Übel, voll von tödlichem Gift“ ( Jak 3,6-8). (31) Vita in ligno moritur infernus et mors lugens spoliatur 18 Das Leben stirbt am Holz; der Hades und der trauernde Tod werden beraubt: … Nach dem Verrat am „Lamm“ geht es sodann um die Bedeutung des Todes Jesu. Dieser kurze Text führt das Motiv des Descensus Christi ad inferos ein und evoziert zwei starke und plastische Bilder. Zum einen: „Er hat unsere Sünden mit seinem eigenen Leib auf das Holz des Kreuzes getragen …“ (1 Petr 2,24) und zum andern den Untergang der Hölle und die gleichzeitige Plünderung des Machtbereichs des Todes - möglicherweise eine ältere Tradition, die sich in der Ostersequenz Victimae paschali laudes des Dichters Wipo (11. Jh.) niederge‐ schlagen hat: „Mors et vita duello conflixere mirando. Dux vitae mortuus regnat vivus“ (Tod und Leben kämpften in einem wundersamen Zweikampf; der Fürst des Lebens, gestorben, herrscht nun lebend). Hier wird alles, was bisher Geltung hatte, auf den Kopf gestellt: Das Leben - von Gott „für uns zur Sünde gemacht“ 180 Ingrid Fischer <?page no="181"?> 19 Wie Anm. 16. 20 Vgl. die Communio der Paschavigil Pascha nostrum. (2 Kor 5,21) - stirbt, doch Hölle und Tod haben es nicht erbeutet, sondern gehen, ihrer Macht beraubt, an ihm zugrunde. Er, der sonst Trauer verbreitet, muss nun selbst Trauer tragen. Zwei übermächtige Subjekte „Hölle (Hades/ Unterwelt)“ und „Tod“ (vgl. Hos 13,14) erleiden durch das Leben passiv ihren Untergang. Der Tropus richtet sich nicht an Christus, sondern proklamiert ihn als den Lebenden („das Leben“), der den Tod besiegt hat. (29) Te qui vinciri voluisti nosque a mortis vinculis eripuisti Der du dich willig fesseln ließest und uns den Fesseln des Todes entrissen hast: … Der Psalmist kennt die Klage von Menschen „in den Fesseln, Schlingen und Fallstricken des Todes“ (vgl. Ps 114[116],3; Ps 17[18],5f. oder Ps 106[107],14), deren Hilferufe um Rettung erhört wurden. Der Tod als „Lohn der Sünde“ (Röm 6,23) bindet freilich jeden Menschen. So ist auch vom Messias verheißen, er werde kommen, „um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselten Befreiung“ ( Jes 61,1; Lk 4,18). Doch die Weise, wie das geschieht, ruft Erstaunen hervor, denn in seiner Passion wird Christus den in Sünde und Tod „gefangenen und gefesselten“ Menschen gleich ( Joh 18,12). Auch die Bindung Isaaks (Gen 22) als Typos für Christus mag in den Blick gekommen sein. 2.2.2 Eine aquitanisch-iberische Besonderheit: Kosmische Trauer Jene Quellen mit dem oben beschriebenen Eigengut 14, 15, 30 am Hohen Donnerstag (s. o. 2.1.2) stimmen auch am Karfreitag in vielem, am Karsamstag (s. u. 2.3) in manchem überein. Neun Textzeugen belegen für Karfreitag in der Kyrielitanei die Abfolge der Tropen 12, 4, 11 (Salamanca 19 für Karsamstag), und weitere drei bieten inhaltlich ähnlich 12, 9 (statt 4), 11: (12) Magnus in orbe sacerdos hodie immolatur pro salute mundi Der Hohepriester auf Erden wird heute für das Heil der Welt geopfert: … Dieser Tropus proklamiert (nicht akklamiert) Christus in Anlehnung an den Hebräerbrief als sacerdos vom Priestertyp „nach der Ordnung Melchisedeks“ (vgl. Hebr 5,6.10) und nicht gemäß dem aaronitischen Erbpriestertum. Da aber derselbe Priester und Opfer(lamm) ist, klingt sowohl das paulinische „Als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden“ (1 Kor 5,7) 20 als auch der in der Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 181 <?page no="182"?> 21 Hier ruft der Prophet allerdings zur Totenklage über „den Pharao, den König von Ägypten“, den Gott im Strafgericht vernichtet hat: „Wenn dein Leben erlischt, will ich den Himmel bedecken und seine Sterne verdüstern. Die Sonne decke ich zu mit Wolken, der Mond lässt sein Licht nicht mehr leuchten. Deinetwegen verdunkle ich alle die strahlenden Lichter am Himmel und lege Finsternis über dein Land …“. Liturgie der Kartage verankerte Text vom Gottesknecht ( Jes 53), der wie ein Lamm zur Schlachtung geführt wird, mit. (4) Cuius in morte sidera lugent infernus ac tellus seminant lacrimas cum tremore Bei dessen Tod die Sterne klagen, die Welt und Unterwelt mit Beben Tränen säen: … Dieser Tropus bringt die Anteilnahme des Kosmos an der Passion ins Wort. Wie in manchen Psalmen die ganze Schöpfung am Gotteslob beteiligt ist (u.a. „Lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, all ihr leuchtenden Sterne“, Ps 148,3), erheben die Sterne beim Tod Jesu nun Klage um den Verlorenen - ähnlich dem Prophetenwort: „Die Sterne und Sternbilder am Himmel lassen ihr Licht nicht leuchten“ ( Jes 13,10a). Erde und Unterwelt hingegen vergießen („säen“) erschüttert Tränen: Die eine ob der Ungeheuerlichkeit des Geschehens, die andere wegen des ihr bevorstehenden Untergangs? Doch gerade in ihren Tiefen wird Christus, der Anspielung auf Ps 125(126),5 zufolge, „mit Jubel ernten“. An dieser Stelle steht in drei Quellen folgender inhaltlich eng verwandter Tropus 9: (9) Huius in orbe sol tenebrescit infernus ac tellus seminant lacrimas cum tremore Dessen Sonne sich im Erdkreis verfinstert, (während) Welt und Unterwelt mit Beben Tränen säen: … Hier wird eine apokalyptische Vision abgerufen, wie etwa bei Jesaja be‐ schrieben: „Die Sonne ist dunkel bei ihrem Aufgang, und der Mond lässt sein Licht nicht scheinen“ (Jes 13,10bc; vgl. Ez 32,7f. 21 ; Joel 2,10; 3,4; 4,15; Apg 2,20; Offb 6,12). Auch die Evangelien verkünden Finsternis für die Zeit der Drangsal (Mk 13,24 parr; 15,33 parr). Mit dem Tod Jesu ist sie angebrochen. Aus dem relativen Anschluss an Christe eleison geht der akklamierte Christus selbst als die Sonne hervor, die sich verfinstert: Mit seinem Lebenslicht erlischt freilich auch im Erdkreis das „Licht der Welt“ ( Joh 8,12 u.ö.). Der Erde und der Unterwelt indes bleiben (vgl. oben 4) Erschütterung und Tränen. 182 Ingrid Fischer <?page no="183"?> 22 Keine Verwendung finden am Karsamstag die Tropen 3, 9, 14, 15, 20, 27 und 30. (11) Latro ipsum agnovit dum penderet in cruce dicens: Domine mei memento; at Iesus ait patescat tibi et in me sperantibus ianua paradisi Ihn hat der Räuber erkannt, als er am Kreuz hing, indem er sprach: Herr, gedenke meiner; Jesus aber sagt: Dir und denen, die auf mich hoffen, wird sich die Pforte des Paradieses öffnen: … Dieser überlange narrative Tropus paraphrasiert Lk 23,42f. und erweitert die Rettungszusage auf alle Hoffenden. Abschließend platziert, holt er die Feiernden aus der kosmisch-endzeitlichen Soteriologie zurück in eine letzte rettende Begegnung auf Golgota, worin der sterbende Jesus einem Verbrecher (an der Schwelle des verdienten Todes) die Pforten zum Paradies öffnet. In ihm sollen sie sich erkennen, mit ihm sich identifizieren. Diese Reihe legt, teils knapp, teils wortreich, das Heil in allen Dimensionen, für Groß und Klein, Oben und Unten, offen, denn das hohepriesterliche Opfer Christi umfasst den Kosmos. Es rettet (universal) die ganze Welt und zugleich (persönlich) den ärmsten Sünder - und bis in die liturgische Feierstunde hinein alle, „die ihre Hoffnung auf mich setzen“. Mit diesem Resümee endet die Nacht- und Morgenhore, in deren Psalmodie das prekäre Schicksal des Menschen in seiner Schuldverstrickung dominiert hatte, tröstlich: Er muss nicht im drohenden Abgrund versinken, sondern darf als Sünder und Glaubender bis zuletzt auf Errettung hoffen. 2.3 Karsamstag: Im Kampf „auf Leben und Tod“ Die Auswahl und Zusammenstellung der Kyrie-Tropen für Karsamstag ist wenig stabil, aber nicht beliebig. Die Mehrzahl der untersuchten Stücke begegnet in einer von mehreren Dreiergruppen. 22 Sofern nicht an allen drei Tagen dieselben Tropen gesungen werden, ist die relativ häufigste Kombination wiederum eine aquitanisch-iberische Reihe 10, 8, 28: (10) Idem in ligno pependit infernus ab eo depopulatur Derselbe hängt am Holz, von dem die Unterwelt entvölkert wird: … Die Wortwahl „ans Holz gehängt“ für den Kreuzestod Jesu kennt bereits Apg 5,30. Eindrücklicher noch weist der Galaterbrief auf den wunderbaren Tausch der Erniedrigung Christi um der Erhöhung des Menschen willen hin: „Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem er für uns zum Fluch geworden ist; denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“ (Gal 3,13). Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 183 <?page no="184"?> 23 Vgl. Emil J. L E N G E L I N G , Unbekannte oder seltene Ostergesänge aus Handschriften des Bistums Münster, in: Balthasar F I S C H E R - Johannes W A G N E R (Hgg.), Paschatis Sollemnia. Studien zur Osterfeier und Osterfrömmigkeit, Basel - Freiburg - Wien 1959, 215-258. Der breite Strom der Descensusliteratur geht auf das Nikodemus-Evangelium zurück, worin die Begegnung mit dem rex gloriae bei den Heiligen freilich reine Freude (und Schadenfreude gegenüber Satan und Hades) auslöst. 24 Ebd. 216f. Weitere Belege bei Harald B U C H I N G E R , Osterprozessionen und ihre Gesänge. Annäherungen an ein interdisziplinäres Forschungsfeld, in: Wolfgang H O R N - Fabian W E B E R (Hgg.), Colloquium collegarum (FS David Hiley), Bad Tölz 2013, 9-88; u.a. 64f. „Entvölkerung“ ist eine Folge der Kriegsführung (oder verheerender Pandemien) und meint üblicherweise die Tötung oder Deportation von Menschen. Und tat‐ sächlich „deportiert“ der Sieger seine vom Tod erbeuteten Gefangenen, die er im Triumphzug aus der Todessphäre mit sich ins Leben führen wird. (8) Hodie ianitor mortis victus est ab illo Heute ist der Pförtner des Todes von jenem besiegt worden: … Das Bild vom Türhüter zum Reich der Schatten, der das Eindringen des Siegers nicht verhindern kann, ruft noch einmal die Tor-/ Einzugsliturgie aus Psalm 24 wach, der an diesem Tag bereits als Vigilpsalm gesungen wurde. Dem „König der Herrlichkeit, im Kampf gewaltig“ (Ps 23[24],7.9), musste widerwillig Zugang gewährt werden, und „der letzte Feind, der entmachtet wird“ (1 Kor 15,26), von ihm seine endgültige Niederlage hinnehmen. (28) Sancti qui tenebantur in morte captivi voce lacrimabili clamaverunt: advenisti redemptor noster quem exspectabamus Die Heiligen, die im Tod gefangen waren, haben mit Tränen in der Stimme gerufen: Du, unser Erlöser, bist gekommen, den wir ersehnt haben: … Die ersten beiden Tropen proklamieren in knappen Worten die Überwindung des Türhüters zur Unterwelt und deren Entvölkerung. Der dritte zitiert aus dem Triumphgesang Cum rex gloriae, der die bewegende Szene der tränenreichen Begegnung der „im Tod“ gefangenen Frommen mit ihrem Befreier Christus vermutlich aus einer pseudo-augustinischen Homilie aufnimmt. 23 Als Antiphon u.a. zur Prozession vor der Messe am Ostertag sowie zur elevatio crucis belegt, war dieser Gesang dem Volk auch aus der anschaulich inszenierten visitatio sepulchri am Ostermorgen vertraut. 24 Alle drei Stücke rekapitulieren im Motiv des Descensus Christi das Herzstück der vorausgehenden Nacht- und Morgenhore: Ausgehend von der Paradoxie, dass der Gekreuzigte seine Macht über den Tod erweisen würde, führen sie das Drama „auf Leben und Tod“ vor Augen, dessen glücklicher Ausgang die Sehnsucht der verbannten Menschheit erfüllt hat. 184 Ingrid Fischer <?page no="185"?> 25 I-VCd cod. CCX. 2.4 Zwei alternative Reihen Sondergut am Karsamstag kennen drei der untersuchten Quellen. Sie kombi‐ nieren in zwei Varianten wie folgt: 2.4.1 Reihe 13, 24, 17: Heimführung Nach den überall bekannten Tropen 25, 26, 29 (Hoher Donnerstag) sowie der „(westfränkisch-)insularen“ Reihe 1, 31, 29 (Karfreitag) bietet in den vorlie‐ genden Quellen nur ein spätes ostfränkisches Brevier aus Aosta 25 (15. Jh.) am Karsamstag die Tropenfolge 13, 24, 17: (13) Pater orbis terrarum intende servorum preces tuorum Vater des Erdkreises, achte auf die Gebete deiner Knechte: … Diese erste Anrufung gilt ausnahmsweise nicht Christus, sondern richtet an den Schöpfer („Vater“) der Welt die wenig spezifische Bitte, das Gebet „deiner Knechte“ zu erhören. (24) Qui ovem perditam duxisti ad patriam Der du das verlorene Schaf in die Heimat geführt hast: … Der zweite Einschub hingegen akklamiert Christus, der (als guter Hirte impli‐ ziert) heimgeholt hat, was verloren war (Lk 15,4-6). Seine Heimat und die seiner Schafe ist „im Himmel“ (vgl. Phil 3,20) wie auch der Ruheplatz (vgl. Ps 22[23],2) des heimgeholten Schafes (und aller Heimatsuchenden; Hebr 11,16) in der himmlischen Ruhe Gottes (vgl. Hebr 4,3). Während das Lamm Gottes (in 1) am Vortag dem Wolf ausgeliefert war, der in die Herde einfällt, sind in diesem Bild nun alle Schafe gerettet und in sicherem Frieden. (17) Qui culpam veteris Adae reconciliasti in cruce, te rogamus audi nos, Fili Dei Der du die Schuld des alten Adam am Kreuz gesühnt hast, dich bitten wir, höre uns, Sohn Gottes: … Der letzte Tropus des Tages - diesmal eine an den Sohn gerichtete Bitte um Erhörung - bietet begrifflich komprimierte paulinische Soteriologie: Schuld (Kol 2,14) - Kreuz - Sühne (Röm 3,25; 5,10; Kol 1,20); alter und neuer Adam (Röm 5,12.14; 1 Kor 15,22.45). Vor diesem Hintergrund könnte rückblickend auf die erste „inhaltsarme“ Anrufung immerhin der Vater als Urheber des Heilsgeschehens in Christus erkannt werden (2 Kor 5,18f.). Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 185 <?page no="186"?> 26 E-Mn I. 1460/ 1. 27 F-Pn n. a. lat. 1236. 28 Am Hohen Donnerstag folgt das Brevier der Mehrheitstradition (25, 19, 26) und am Karfreitag der eigenen insularen (31, 1, 29). 2.4.2 Reihe 5, 21, 6: Schöpfer und Erlöser Aus dem westfränkischen Raum kommen mit einem Brevier (15. Jh.) aus Auxerre 26 und einem wesentlich älteren Antiphonar (12. Jh.) aus Nevers 27 zwei Zeugen für die seltene Reihe 5, 21, 6. Auch sie bieten am Hohen Donnerstag die Mehrheitstradition 15, 19, 26 und am Karfreitag die insular belegten Tropen 1, 29, 31. Am Karsamstag notieren sie folgende Stücke: (5) Cunctorum factor hominum necnon quoque redemptor Iesu Jesus, aller Menschen Schöpfer und gewiss auch Erlöser: … Dieser theologisch imprägnierte schlichte Tropus spricht den in der Litanei angerufenen Christus mit seinem irdischen Namen Jesus als präexistenten Schöpfer und universalen Erlöser an. (21) Qui in sepulcro iacuisti dum tartara spoliasti immortalis Der du, Unsterblicher, als du im Grabe lagst, den Tartarus beraubt hast: … Mit einem klassischen relativen Anschluss formuliert die Anrufung zwei Para‐ doxa des Descensus: Der (von seiner Präexistenz her) Unsterbliche (vgl. Joh 1,1; 8,58) ist gestorben und begraben; zugleich wird der Ort der sprichwörtlichen „Grabesruhe“ zum Schauplatz eines spektakulären Raubzugs. (6) Fac nos tecum resurgere et delicta nostra dimitte semper Lass uns mit dir auferstehen, und vergib uns immer unsere Vergehen: … Die im letzten Tropus an Christus gerichtete Bitte bringt die Hoffnung der Feiernden zum Ausdruck, an Christi Auferstehung Anteil zu haben. Die von ihm erbetene „immer“-währende Vergebung erschließt das Geschehen als ein für alle Mal wirksam (vgl. Röm 6,10; Hebr 7; 9; 10). Drei Stilmittel verbinden die Texte - einer Oration vergleichbar - zu einem zusammenhängenden Satz: Der Anrufung Jesu folgen seine anamnetische Prädikation als Schöpfer, Erlöser und Unsterblicher (der den Tod beraubt hat) sowie die darin begründete Bitte um Auferstehung und Vergebung. 2.4.3 Reihe 18, 2, 22: Vergebene Schuld? Eine zweite nur am Karsamstag außergewöhnliche Tropierung findet sich in einem sehr späten insularen Brevier aus Hereford (1505) 28 : (18) Qui discipulos pavisti corpore tuo atque cruore Der du die Jünger mit deinem Leib und Blut genährt (geweidet) hast: … 186 Ingrid Fischer <?page no="187"?> Der Tropus greift motivisch auf den Hohen Donnerstag zurück. Der Ausdruck „weiden“ beschreibt die Eucharistie im Bild des Hirten Jesus, der seinen Schafen/ Jüngern Nahrung gibt: freilich nicht etwas, sondern sich selbst. Der darauffol‐ gende Tropus vergegenwärtigt die Situation nach dem Mahl und unterstreicht das Moment der Selbsthingabe: Jesus stellt sich nun nicht mehr als Hirte dem Feind seiner Schafe entgegen, sondern als Opfer(lamm): (2) Agnus innocens traditori non negasti pia pacis oscula Du unschuldiges Lamm hast dem Verräter zärtliche Friedensküsse nicht verweigert: … Wie im Tropus Agnus miti (1) am Vortag, treffen in dieser Szene Jesus und Judas aufeinander: War in 1 jedoch der „Wolf “ mit seinem giftigen Kuss am Zug gewesen, erwidert hier das Lamm mit derselben Geste: Seine Küsse bezeichnen jedoch nicht Verrat, sondern schenken Frieden. Ob die Reihenfolge der Tropen 1 (Karfreitag) und 2 (Karsamstag) eine mögliche Vergebung und Versöhnung auch für Judas insinuiert? Wahrscheinlicher aber ist der bloße Kontrast zwischen Wolf und Lamm, Gift und Milde, Verrat und Freundschaft, Schuld und Unschuld. (22) Qui latroni in cruce confitenti paradisi mansionem praeparasti Der du dem am Kreuz bekennenden Räuber eine Wohnung im Paradies bereitet hast: … „Schuld“ ist auch das Thema des abschließenden Tropus, der nun auf den Karfreitag zurückblickt. Er verbindet zwei Worte über das Himmelreich: Dem mit ihm gekreuzigten reuigen Verbrecher hat Jesus nicht nur die Tür zum Paradies eröffnet (Lk 23,43), sondern ihm - wie seinen Jüngern versprochen - eine Wohnung bereitet ( Joh 14,2; vgl. 2-Kor 5,1). In dieser Reihe dominieren die persönlichen Begegnungen und Beziehungen mit fließenden Grenzen zwischen Freund und Feind: Auch Judas ist einer der Zwölf, und ein Räuber erkennt in dem zum selben Schandtod verurteilten Jesus seinen Retter. Die Feiernden haben Grund, sich mit jedem von ihnen zu identifizieren. Insgesamt entstehen aus dieser Kyrie-Tropierung am Ende der Nacht- und Morgenhore hoffnungsvolle Stimmungsbilder. Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 187 <?page no="188"?> 29 Zwei neuzeitliche Breviere aus Aberdeen (1509) und Sarum (1531) sowie das Ordina‐ rium der Dominikaner (13. Jh.) und eines aus Exeter (14. Jh.; GB-EX Arch. Cap. ms. 3502) wiederholen sie am Karsamstag; zwei etwas ältere Breviere (15. Jh.) aus Worms (I-Rvat Palat. Lat. 518) und Aosta (I-VCa cod.54) am Karfreitag; der jeweils andere Tag hat eigene Tropen. 30 F-TLm ms. 74. 31 Wie Anm. 10, 11 und 12. 2.5 Wiederholungen, Ausnahmen und Besonderheiten Werden dieselben Tropen an allen Tagen gesungen (oder zumindest an zwei von drei 29 ), handelt es sich dabei fast immer um die Reihe 25, 19, 26. 2.5.1 Reihe 30, 11, 28: Wer wird gerettet? Eine Ausnahme bietet ein spätmittelalterliches Brevier (15. Jh.) aus Toulouse 30 : Auch seine Tropen 30, 11, 28 sind nur am Hohen Donnerstag notiert und dürften daher für alle drei Tage vorgesehen gewesen sein. Sie setzen mit je einem tagesspezifischen Motiv Akzente auf der Beziehungsebene: Hoher Donnerstag: Traditur patrator, Latro ipsum, Sancti qui tenebantur Anders als die universal-soteriologischen Tropen 25, 19, 26, in denen der Tod als einziger Feind in den Blick kommt, führt diese Reihe wortreich die Auslieferung Jesu durch Judas an die Juden (historisch falsch „zur Kreuzigung“), die Rettungszusage an den mitgekreuzigten Räuber und den tränenreichen Empfang des Siegers durch die Gerechten in der Unterwelt vor Augen. Die Trennung zwischen den Verworfenen (dem „unseligen“ Judas und den „un‐ dankbar-treulosen“ Juden) und den Geretteten (dem gläubig Bekehrten, den „Heiligen“ und den aktuell dankbar Feiernden) wird scharf gezogen. 2.5.2 Dreimal zwei Tropen Je zwei Tropen pro Tag (Hoher Donnerstag: 25, 26; Karfreitag: 20, 31; Kar‐ samstag: 1, 29) bieten die aquitanisch-iberischen Breviere Dax, Huesca und Saragossa. 31 Sie stammen aus der Mehrheitsreihe vom Hohen Donnerstag 25, 19, 26 (unter Verzicht auf 19) sowie der ebenfalls häufigen Reihe 31, 1, 29. Letztere wird auf die Kartage aufgeteilt und am Karfreitag durch einen weiteren Einschub (20) ergänzt: Hoher Donnerstag: Qui passurus, Qui prophetice Karfreitag: - 188 Ingrid Fischer <?page no="189"?> 32 Wie Anm. 13. 33 D-BAk ms.23. (20) Qui in cruce expansis manibus traxisti animas iustorum ad supera Der du mit am Kreuz ausgestreckten Händen die Seelen der Gerechten in die Höhen (den Himmel) gezogen hast: … - Vita in ligno Karsamstag: Agno miti, Te qui vinciri Ähnlich wie 19 lenkt hier stattdessen der Tropus 20 den Blick auf die am Kreuz ausgespannten Arme des Erlösers - mit einem Unterschied: Er zieht nicht alle(s) an sich ( Joh 12,32), sondern erhöht die „Seelen der Gerechten“ (Dan 3,86; Weish 3,1). Nach den verheißungsvollen Tropen am Hohen Donnerstag (Anfang und Ziel des Leidens, Prophetie des Sieges) und den staurologischen Texten am Karfreitag (ausgespannt am Kreuz / am Holz) fokussieren die Tropen am Karsamstag das Lamm. Sie rekapitulieren den verräterischen Kuss des „Wolfes“ und die freiwillige Bindung Jesu zugunsten der im Tod gefesselten Menschheit. 2.5.3 Ein Tropus pro Tag Beispiel 1: Todesdrohung Im Antiphonar S. Maria de Pontetetto 32 aus Lucca (11. Jh.) ist nur je ein, den tagesspezifischen Feierinhalten korrespondierender, Kyrie-Tropus bezeugt: 26 - 19 - 31: Hoher Donnerstag: Qui prophetice Karfreitag: Qui expansis Karsamstag: Vita in ligno Die Verteilung der weithin am Hohen Donnerstag verwendeten Tropen auf die Nacht- und Morgenhoren aller drei Tage verleiht diesen zwar nur je einen, in dreimaliger Wiederholung aber einprägsamen Akzent. Schon zum Auftakt erklingt die österliche Kurzformel aus Hos 13,14 / 1 Kor 15,55 (Hoher Donnerstag), dann die in Joh 12,32 verheißene All-Erlösung durch den am Kreuz Erhöhten (Karfreitag) und als Schlussakkord noch einmal die Verbindung der Motive Kreuz und Descensus (Karsamstag). Beispiel 2: Im Kreuz ist Leben Das frühe Antiphonar Bamberg 33 , ebenfalls aus dem 11. Jahrhundert, greift nur an den Kartagen auf je einen Tropus zurück (Hoher Donnerstag: 25, 26, 19) - 31 - 23: Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 189 <?page no="190"?> 34 GB-WO F 160. Karfreitag: Vita in ligno Karsamstag: - (23) Qui latroni sero paenitenti paradisi ianuam aperuisti Der du dem spät bereuenden Räuber die Tür zum Paradies geöffnet hast: … Bereits am Karfreitag wird der Bogen vom Tod Jesu (des „Lebens“) am Kreuz zu seinem Triumph über den Tod in der Unterwelt geschlagen; am Karsamstag zeigt sich, dass dieser Sieg auch dem reuigen Verbrecher zum Heil wurde (vgl. Lk 23,43). In den Texten eröffnen sich jene Welten, die den Feiernden offenstehen: das Infernum und das Paradies. Nach dem Blick in den entleerten Abgrund sowie ins aufgetane Paradies werden sie am Karsamstag selbst als reuevoll-hoffende Sünder in den Tag entlassen. 2.5.4 Seltene Tropen Beispiel 1: Das geschlachtete Lamm Codex Worcester 34 , ein insulares Antiphonar des 13. Jahrhunderts, bietet dreimal drei Tropen in einer speziellen Mischung aus einigen häufigen Stücken sowie den in sonst keiner der untersuchten Quellen belegten Texten 27, 3 (Karfreitag) und 16 (Karsamstag): Hoher Donnerstag: Qui passurus, Agno miti, Te qui vinciri Karfreitag: - (27) Qui ut agnus ad victimam ductus nobis aeternos dempsisti luctus Der du, wie ein Lamm zur Schlachtung geführt, die ewige Trauer von uns genommen hast: … - Qui expansis (3) Crucis in ara mactatus nobis clementer texisti reatus Am Altar des Kreuzes geschlachtet, hast du uns die Schulden milde zugedeckt: … Karsamstag: Qui prophetice, Vita in ligno (16) Quem sanctorum animae redemptorem piis vocibus suscepere Den die Seelen der Heiligen mit frommen Gesängen als Erlöser empfangen haben: … Am Karfreitag bringen die spärlich belegten Tropen 27 und 3 das Motiv des geschlachteten Lammes mit den Referenztexten Jes-53,7 und Offb 5,8.9.12. Die Motive von „Schlachtung“ (ad victimam ductus) in 27 und „Kreuz“ (expansis in 190 Ingrid Fischer <?page no="191"?> cruce) in 19 verbinden sich in 3 „am Altar des Kreuzes geschlachtet“ (crucis in ara mactatus) zum soteriologischen Bekenntnis von der Vergebung der Sünden. Der Grausamkeit seiner Hinrichtung erwidert der Geschlachtete mit Güte. Die „zugedeckte“ Schuld lässt Ps 84(85),3 anklingen („Du hast deinem Volk die Schuld vergeben, all seine Sünden zugedeckt“); die Verbindung von Schuld und Kreuz auch Kol 2,14: „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.“ Am Karsamstag umspielen alle drei Tropen den Descensus Christi: die Tropen 26 und 31 biblisch-nüchtern, Tropus 16 (ähnlich wie 28) in Anspielung auf das Canticum triumphale vom gebührenden Empfang des Retters durch die Seelen der Heiligen. Beispiel 2: Bitte um Einsicht Die Zusammenstellung der Tropen in einem 1493 gedruckten Brevier aus York bietet häufig belegte Texte, ordnet diese aber neu an (25, 18, 1 - 29, 19, 31 - 26, 22, 7): Hoher Donnerstag: Qui passurus Qui discipulos Agno miti Karfreitag: Te qui vinciri Qui expansis Vita in ligno Karsamstag: Qui prophetice Qui latroni (7) Fac nos tuam Iesu mortem digne venerari Lass uns deinen Tod, Jesus, würdig verehren: … Die Tropen am Hohen Donnerstag führen in die Passion ein: Das angekündigte Leiden interpretiert das eucharistische Mahl (Hirt/ Schafe) und nimmt seinen Lauf im Verrat (Lamm/ Wolf). Der Karfreitag verbindet die doppelte Ohnmacht Christi (des Gefesselten und am Kreuz/ Holz Fixierten) mit dem Erweis seiner Macht zur Befreiung und Erhöhung (der Gerechten) im Höllenraub. Die Karsamstagstropen erinnern zunächst das von Paulus in 1 Kor 15,55 österlich zum Drohwort gegen den Tod gewendete Zitat aus Hos 13,4, das auch dem noch in seiner Todesstunde zu Jesus bekehrten Verbrecher zugutekommt. Diesen Jesus bitten die Feiernden abschließend um Hilfe zur würdigen Vereh‐ rung seines Todes (in der Betrachtung und gläubigen Annahme seines heilsamen Leidens; vielleicht auch konkret in der adäquaten Begehung der gegenwärtigen Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 191 <?page no="192"?> Osterfeierlichkeiten? ). Zuletzt den verurteilten, aber reuigen Sünder vor Augen, mag sich bei den Feiernden die geforderte bußfertige Gesinnung eingestellt haben. 3 Zusammenfassung und Ertrag 3.1 Kurz - kontrastreich - konturiert Aufgrund ihrer Kürze können Tropen Motive zwar nennen, kaum aber entfalten. In ihrer raschen Aufeinanderfolge - häufig in Gegensatzpaare gebracht - profi‐ lieren sie dennoch einprägsam relevante Inhalte. Ältere Tropen basieren stärker auf biblisch-theologischen, teils paradoxen Motiven, jüngere Texte schärfen manche Konturen, um die emotionale Betroffenheit und Anteilnahme der Betei‐ ligten zu fördern. Damit kann auch die Tendenz zur moralischen Grenzziehung zwischen Bösen und Guten, Undankbaren ( Juden) und Dankbaren (Christen) einhergehen; ebenso die Einengung des Erlösungsgeschehens auf die Heiligen. Paradoxe Aussagen sind plakativ, kontrastreiche Parallelen verständlich und leicht zu merken: • Ausgespannt fixierte Hände ziehen alle(s) / die Seelen der Gerechten an sich • Ohnmacht erweist sich als mächtig • Das Leben stirbt / bringt dem Tod den Tod • Der Gefesselte befreit von den Fesseln • Der „Besiegte“ plündert / entvölkert als Kriegsheld die Unterwelt • Der Tod trägt Trauer / die Unterwelt vergießt Tränen • Hohepriester / Schlachtopfer • Unsterblicher - Grab / Ruhe im Grab - Kampf in der Unterwelt • Firmament - Unterwelt / Verlorenheit - Heimat • Wolf - Lamm / sanft - giftig / unselig, treulos - dankbar bekennend • reuevoller Sünder / verräterischer Freund / gefangene Heilige Bilder überlagern einander oder gehen ineinander über: Christus ist Lamm Gottes und Hirte zugleich; der Wolf „küsst“ das Lamm und reißt zugleich die Herde des Hirten. Oder: Das hingerichtete Leben wird im nächsten Moment zum Tod des Todes. Theologisch wandern vor allem die älteren, knapp und biblisch fundierten Tropen zwischen Descensus und Ascensus „auf und nieder“. Abstieg und Erhöhung sind mehrdeutig: An der Oberfläche zeigt sich das Erwartete, paradox gewendet das Gegenteil. 192 Ingrid Fischer <?page no="193"?> Vereinzelt mündet ein Tropus in eine konkrete Bitte, was dem Charakter der Kyrie- und Christus-Rufe als Huldigung wenig entspricht. Da und dort verirrt sich in einen Text der Vater als Adressat. 3.2 Vorösterliche Miniaturen Ein überregional weitgehend stabiles Vorkommen bestimmter Tropen zeigt sich nur am Hohen Donnerstag mit der bevorzugten Reihe 25, 19, 26, deren sti‐ listisch traditionelle sowie theologisch-soteriologische „Querschnittsthematik“ (Leidensankündigung, Kreuzestod, Siegesprophetie) für die häufig belegte Ver‐ wendung an allen drei Tagen stimmig erscheint. Die in durchwegs späten aquitanisch-iberischen Quellen aus dem 14. Jahrhundert belegte Reihe 14, 15, 30 erreicht kein vergleichbares theologisches Niveau. Der darin angelegte Heilsuniversalismus wird antijudaistisch gebrochen. Zwei weitere Reihen folgen regional unterschiedlichen Traditionen: 1, 31, 29 begegnen in fränkischen (seltener spanischen und portugiesischen) Codices an allen drei Tagen; in insularen Quellen am Karfreitag (und vereinzelt am Karsamstag). Sie akzentuieren spekulativ-anschaulich ausgemalte Paradoxa des Erlösungsgeschehens. Die Reihe 12, 4, 11 (seltener auch 12, 9, 11) in überwiegend aquitanisch-iberischen Zeugen bringt den Kosmos ins Spiel - Sonne und Sterne betrauern den Tod Christi, die Unterwelt vergießt Tränen und trägt Trauer angesichts der verlorenen Beute: Dazu zählt auch der noch in seiner Todesstunde bekehrte Schächer am Kreuz. Der Befund für Karsamstag ist vielfältig, sofern die Quellen überhaupt eigene Tropen vorsehen. Relativ häufig ist nur die ebenfalls aquitanisch-iberische Reihe 10, 8, 28, die dreimal den Descensus ad inferos umspielt: Zweimal handelt Christus, indem er den Türhüter überwältigt und die Unterwelt entvölkert; zuletzt entbieten Generationen von gefangenen Heiligen mit Tränen in der Stimme dem ersehnten Erlöser ihren Gruß. Jede Kombination dreier solcher kurzen Texte erschafft eine vorösterliche Miniatur von eigener Qualität - geeignet, den kundig Feiernden manch theolo‐ gisch-spirituelles Highlight aus den 15 Psalmen und Cantica, neun Responsorien und Versikeln einer ausgedehnten vorösterlichen Nacht- und Morgenhore im Gedächtnis zu behalten. Beim anwesenden Volk werden aber wohl die in Dunkelheit und mit lärmendem „Pumpern“ stimmungsvoll in Szene gesetzten Anrufungen den stärksten Eindruck hinterlassen haben. Die Tropen zum Kyrie der Tenebrae 193 <?page no="195"?> 1 Les PSEAVMES MIS EN RIME FRANCOISE Par Clement Marot, & Theodore de Beze, Genf, Antoine Vincent, 1562 (HDB 30610). Straßburger Psalmlieder (1524-1539) Hermeneutische, musikalische und liturgische Überlegungen Beat Föllmi Vom „Straßburger Psalter“ ist in der hymnologischen Forschung immer wieder die Rede. Doch was damit genau gemeint ist, bleibt oft unklar. Dies wird im Vergleich zum viel bekannteren und rezeptionsgeschichtlich bedeutsameren Genfer Psalter deutlich. Dieser ist ein vollständiger, französischer Reimpsalter, der planvoll angelegt wurde ( Johannes Calvin kümmerte sich persönlich darum) und der 1562 erstmals vollständig erschienen ist. 1 Jeder Psalm kommt ein einziges Mal vor, fast jeder Psalm hat seine eigene, oft extra dafür komponierte Melodie. Abgesehen von einer textlichen Revision im 17. Jahrhundert und einigen melodischen Retuschen ist das Repertoire des Genfer Psalters über Jahrhunderte unverändert weitergegeben worden - und dazu noch in unzählige Sprachen, mit Übernahme der Melodien, übersetzt worden. Ganz anders verhält es sich mit dem „Straßburger Psalter“. Er enthält ein un‐ einheitliches Repertoire von über dreißig verschiedenen Autoren, viele Psalmen kommen in mehrfachen Übertragungen vor. Das Straßburger Repertoire wurde zunächst in zwei Teilausgaben (1537 und 1538) mit Noten gedruckt; im Jahr 1539 kam zusätzlich eine Ausgabe mit dem gesamten Repertoire heraus, allerdings nur die Texte ohne Musik. In die späteren Straßburger Gesangbücher wird nur noch eine Auswahl dieses Repertoires übernommen. Das große Gesangbuch von 1541 (das einzige, das der Straßburger Reformator Martin Bucer mit einem Vorwort versehen hat) markiert hier eine Wende. Dieser hymnodische Wechsel wird sich nach dem Ende des Interims bestätigen, als die Straßburger Kirche unter Johannes Marbach zur lutherischen Orthodoxie übergeht und in dogmatischer und liturgischer Hinsicht jeden reformierten (calvinistischen) Einfluss zurückweist. In einem Gesangbuch von 1568 erscheint zum letzten <?page no="196"?> 2 Ein new außerlesen Gesangbůchlin für die Kirchen, Straßburg, Carl Acker, 1568 (RISM B/ VIII 1568/ 09; HDB 34). 3 S. dazu Christian M E Y E R , Les mélodies des églises protestantes de langue allemande. Catalogue descriptif des sources et édition critique des mélodies. I. Les mélodies publiées à Strasbourg (1524-1547) (Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen 74), Baden-Baden - Bouxwiller 1987; Beat F Ö L L M I , The Strasbourg Psalter: A ‚Missing link‘ for European Hymnology? , in: David J. B U R N - Grantely M C D O N A L D - Joseph V E R H E Y D E N - Peter D E M E Y (Hgg.), Music and Theology in the European Reformations (Epitome musical), Turnhout 2019, 437-453. 4 S. dazu Beat F Ö L L M I , Musical editions for the Protestant churches of Strasbourg until the end of the Interim (1555), in: Andrea L I N D M A Y R -B R A N D L - Grantley M C D O N A L D (Hgg.), Early printed music and material culture in Central and Western Europe (Music and material culture series), London 2021, 65-84. 5 Es handelt sich um den sogenannten Augsburger Psalter, einen vollständigen Reimpsalter mit 150 versifizierten Psalmen und einigen Cantica, der 1537 (HDB 264, ohne Noten ) und in Neuauflage 1538 (HDB 271, ohne Noten) erschienen ist. Mal ein Großteil des ursprünglichen „Straßburger Psalters“: 154 Psalmlieder, zusätzlich einige Cantica. 2 1 Die Entstehung des Straßburger Psalters Die Genese dieses Psalters ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt worden. 3 Ich beschränke mich deshalb im Folgenden auf eine kurze Zusammenfassung. In den ersten 15 Jahren der Straßburger Reformation, von 1524 bis 1539, ist eine Reihe von Publikationen mit den liturgischen Neuerungen der evange‐ lischen Kirche erschienen. In den frühesten Agenden finden sich erste Lieder, deren Zahl stetig zunimmt, bis schließlich eigentliche Gesangbücher gedruckt werden, die ein stets anwachsendes Repertoire wiedergeben. Als treibende Kraft hinter diesen zahlreichen Publikationen stehen weniger die Straßburger Prediger als vielmehr der Drucker Wolfgang Köpfel (ein Neffe des Reformators Wolfgang Capito), dessen Offizin über lange Zeit eine Monopolstellung für den Druck von Agenden und Gesangbüchern innehatte. 4 Am Ende der 1530er-Jahre werden zwei komplementäre Ausgaben mit insgesamt 187 Psalmliedern und 36 weiteren Stücken (biblische Cantica und liturgische Stücke) bei Köpfel gedruckt. Der erste Teil von 1537 enthält einerseits die Lieder lokaler Autoren, dann aber auch solche von anderen Orten der deutschsprachigen Reformation: aus Wittenberg (allen voran die Lieder von Martin Luther), Nürnberg, Augsburg, Konstanz, Basel, Zürich, Riga. Der zweite Psalterteil von 1538 enthält fast ausschließlich Psalmen von drei Augsburger Täufern: Joachim Aberlin, Jakob Dachser und Sigmund Salminger. 5 Offensicht‐ 196 Beat Föllmi <?page no="197"?> 6 F Ö L L M I , The Strasbourg Psalter (wie Anm. 3), bes. 438. 7 Von Ps 119 sind insgesamt vier Psalmlieder vorhanden, aber zu unterschiedlichen Versen. 8 Es handelt sich um folgende Psalmen: 2*, 9*, 10*, 11, 13, 14, 15, 16, 23, 26, 27, 30, 41, 46*, 51, 56, 82, 88, 94, 103, 104, 116, 117*, 119**, 124, 127, 128, 140, 146, 147, 150 (* = 3 Umdichtungen, ** = 4 Umdichtungen). lich wurden diese Lieder gezielt ausgewählt, damit die in Straßburg bisher unvertont gebliebenen biblischen Psalmen ebenfalls vertreten sind. Es stellt sich nun die Frage, ob das gesamte in Straßburg veröffentlichte Repertoire als „Straßburger Psalter“ bezeichnet werden soll oder nur die Stücke aus dem ersten Teil (also ohne den „Augsburger Psalter“) oder ob man sich sogar nur auf die Umdichtungen jener Autoren beschränken will, die in Straßburg tätig gewesen sind. Ich habe bereits an anderer Stelle 6 dafür plädiert, den „Straßburger Psalter“ prinzipiell als ein Repertoire mit unscharfen Konturen zu betrachten und den Begriff deshalb möglichst weit zu fassen. Im Verlauf dieses Beitrags möchte ich mich allerdings auf die Straßburger Psalmlieder im engeren Sinne, also jene von in der Stadt wirkenden Autoren, konzentrieren. 2 Umfang des Straßburger Psalters Der Umfang des Straßburger Psalters lässt sich nicht exakt bestimmen, da es keine normative Ausgabe gegeben hat. Der erste Teil enthält - in seiner Erstfassung - 60 Psalmlieder (darunter neun Psalmen, die in zwei verschiedenen Umdichtungen vorkommen 7 ). Hinzu kommen 17 biblische Cantica. Der zweite Teil enthält - in seiner Erstfassung -128 Psalmlieder (darunter zehn Psalmen, die in zwei verschiedenen Umdichtungen vorkommen, und 15 Psalmen, die bereits in anderer Fassung im ersten Teil stehen). Ein Psalm (Ps 130 Aus tiefer Not von Luther) steht in beiden Teilen in derselben Fassung. Hinzu kommen neun biblische Cantica. Damit enthalten beide Teile zusammen in der Erstfassung (1537/ 1538) 187 verschiedene Psalmlieder und 26 Cantica. Von den 150 biblischen Psalmen fehlt lediglich Ps 53, der jedoch mit Ps 14 weitgehend übereinstimmt (Ps 14 kommt denn auch in zwei Fassungen vor, von Luther und von Dachstein). Damit ergeben sich 38 Dubletten, bei denen biblische Psalmen zwei- oder mehrmals umgedichtet worden sind. 8 Unter den 26 Cantica finden sich: sieben Gesänge auf alttestamentliche Texte, acht auf neutestamentliche sowie elf liturgische Stücke und Gebete. In der letzten Kategorie kommen einige Dubletten vor: Das Glaubensbekenntnis findet sich in drei verschiedenen Umdichtungen, das Unser Vater sogar in sechs. Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 197 <?page no="198"?> 9 RISM B/ VIII 1524/ 15, HDB 5. Im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek (D-Mbs: Rar. 1085) fehlen die letzten Seiten und somit auch Pollios Magnificat. Ein vollständiges Exemplar in: DK-Kk: NJ112. 10 „OTHMARVS NACHTGALL ARgentinus, charissimis amicis Symphoriano Pollioni, & Ioanni Rudolphingio maioris templi Argentinensi vicarijs“, fol. aii. Johannes Rudol‐ finger war ebenfalls Vikar am Münster und zudem ein Freund von Hans Baldung Grien. 11 Zu seiner Biografie s. Beat F Ö L L M I , Art. Greiter, Greitter, Gryter, Mathias, in: Ludwig F I N S C H E R (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil 7, Kassel u.a. 2002, Sp. 1575-1578. 12 Ps 13, Ps 51, Ps 114, Ps 115, Ps 119 (in zwei Fassungen jeweils teilweise), Ps 125 sowie das Unser Vater. 3 Die Autoren und ihre Lieder Im selben Jahr 1524, als in Straßburg die ersten Lieder Luthers im Druck erscheinen, tauchen auch die ersten Gesänge lokaler Autoren auf. Das erste Lied, das wir eindeutig einem Autor zuordnen können, ist das Magnificat von Symphorianus Pollio: Mein Seel erhebt den Herren mein. Es erscheint im „Teutsch Kirchen ampt“ 9 an letzter Stelle im Zusammenhang des Vespergottesdienstes. Pollio benützt die klassische Barform (jambisch mit 8 bzw. 7 Silben pro Zeile), so wie sie sich auch bei einigen Lutherliedern findet. Das Lied hat eine eigene Melodie, deren Komponist unbekannt ist. Pollio ist auch der Autor einer Umdichtung des Herrengebets, das erstmals im zweiten Teil des „Straßburger Kirchengesangs“ von 1525 auftaucht: Vater unser, wir bitten dich. Symphorian Altbießer, latinisiert Pollio, wurde in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Straßburg geboren. Pollio hatte Theologie studiert und interessierte sich insbesondere für alte Sprachen. So gehörte er der humanistischen Sodalitas litteraria an. Er war Vikar und Mitglied des Hohen Chores, also unter jenen Sängern, welche die Liturgie am Münster an Stelle der hochadligen Chorherren zelebrierten. Der Straßburger Organist und Humanist Ottmar Luscinius widmet seinen bekannten Traktat „Musicae institutiones“ ( Johannes Knobloch, 1515) seinem „lieben Freund“ Pollio. 10 Früh setzte sich Pollio mit den Schriften von Luther und Zwingli auseinander. Im November 1523 erwarb er das Bürgerrecht und heiratete im folgenden Jahr. Er wurde evangelischer Prediger, zuerst an St. Martin, später an St. Stephan, und hielt nach dem Vorbild von Bucer, Capito und Hedio Vorlesungen über biblische Texte. Er starb im Verlauf des Jahres 1537. Die Schöpfungen von zwei wichtigen Straßburger Autoren finden sich ab 1524 in den Gesangbüchern: Greiter und Dachstein. Matthias Greiter 11 ist nachweis‐ lich der Verfasser - Textdichter und höchstwahrscheinlich auch Melodist - von sieben Psalmen und einem Canticum (ferner auch von zwei liturgischen Gesängen, Kyrie und Gloria). 12 Außerdem werden ihm aufgrund stilistischer 198 Beat Föllmi <?page no="199"?> 13 Es sind dies, nach M E Y E R , Les mélodies (wie Anm. 3), die Nummern: 32, 43, 91, 92, 99, 100, 101, 107, 108, 109, 111, 116, 120; s. dazu auch Markus J E N N Y , Geschichte des deutsch-schweizerischen evangelischen Gesangbuches im 16. Jahrhundert, Basel 1962, 82. 14 Vermutlich am 20. Dezember 1550; zur Frage nach dem Todesdatum s. Théodore G É R O L D , Les plus anciennes mélodies de l’Église protestante de Strasbourg et leurs auteurs (Cahiers de la Revue d’histoire et de philosophie religieuses 18), Paris 1928, 20f. 15 Zu seiner Biografie s. Manfred M E R K E R , Wolfgang Dachstein (1487-1553), ein Offen‐ burger Studienfreund Martin Luthers, Organist in Straßburg und Liederdichter der Reformation, in: Die Ortenau. Mitteilungen des historischen Vereins für Mittelbaden, 2020, 17-32. Kriterien noch 13 weitere Gesänge zugeschrieben. 13 Die Melodie zu Es sind doch selig alle, die (Ps 119) gelangte zu großer Verbreitung, da sie einerseits Calvin für Ps 36 und Ps 68 (den hugenottischen „Schlachtenpsalm“) übernahm und andererseits Sebald Heyden für sein Kirchenlied O Mensch, bewein dein Sünde groß verwendete. Greiter ist etwa in der Mitte der 1490er-Jahre im oberbayrischen Aichach geboren und hat sich 1510 an der Universität Freiburg im Breisgau immatri‐ kuliert. Zu einem unbekannten Zeitpunkt trat er in einen (nicht bekannten) Orden ein und empfing die Priesterweihe. Es ist ebenfalls ungewiss, wann und aus welchem Grund er nach Straßburg gekommen ist. Er heiratete 1524 und erwarb das Straßburger Bürgerrecht. Im selben Jahr ist er als „vorsaenger“ am Münster nachgewiesen. Neben seinem Amt am Münster gab er Musikunterricht am Gymnasium von Sturm. In dieser Funktion verfasste er ein „Elementale musicum, juventuti accommodum“, das 1544 bei Jakob Frölich erschien (in zweiter Auflage noch einmal 1556, nach Greiters Tod). Eine außereheliche Af‐ färe brachte seine Stellung 1546 ins Wanken. Er wurde zwar als Münsterkantor entlassen, durfte aber weiterhin Musikunterricht erteilen. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten kehrte Greiter bei der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes zum alten Glauben zurück. Er verstarb wenige Monate später, Ende 1550 oder spätestens Anfang 1551. 14 Greiters Kompositionen zeugen von hoher Kreativität. Neben der üblichen Barform, die auch Luther und seine Straßburger Kollegen verwenden, schuf er verschiedene, eigenwillige Silben- und Reimschemata. Seine Umdichtungen von Ps 51 (O Herre Gott, begnade mich) sowie von Ps 119 (Es sind doch selig alle, die) weisen eine dreizehnzeilige Barform auf. Für die Umdichtung von Ps 114 (Da Israel aus Ägypten zog) wechselt er sogar zwischen 7-, 8- und 9-silbigen Zeilen. Wolfgang Dachstein wurde spätestens 1487, vermutlich in Offenburg, geboren. 15 Er studierte 1503 zusammen mit Luther an der Universität Erfurt. In Straßburg trat er um 1520 in den Predigerorden ein. Über seine musikalische Ausbildung Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 199 <?page no="200"?> 16 Es sind dies, nach M E Y E R , Les mélodies (wie Anm. 3), die Nummern: 23, 30, 52, 64, 128, 131; s. dazu auch J E N N Y , Geschichte (wie Anm. 13), 83f. 17 Wenige biografische Angaben bei: l. u., Art. Oeler, Ludwig, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 24, Leipzig 1887, 286, Online-Version: https: / / www.deutsche-biograp hie.de/ pnd119776863.html#adbcontent (Zugriff am 28.02.2023). 18 S. dazu Gustav C. K N O D , Die Stiftsherren von St. Thomas zu Strassburg (1518-1548). Ein Beitrag zur Strassburger Kirchen- und Schulgeschichte (Beilage zum Programm des Lyceums zu Strassburg, Programm Nr.-514), Straßburg 1892, 47. ist nichts bekannt, vermutlich hat er bereits in Erfurt und später im Straßburger Dominikanerkloster, vielleicht sogar bei Ottmar Luscinius, Musik- und Orgel‐ unterricht erhalten. 1521 wurde er zum Organisten an St. Thomas ernannt. Wie Greiter scheint sich auch Dachstein von Anfang an der reformatorischen Bewegung zugewandt zu haben. Er verlässt 1523 das Kloster, nimmt das Bürgerrecht an und verheiratet sich im darauffolgenden Jahr. Spätestens 1543 hat er zusätzlich das Amt des Münsterorganisten inne. Daneben gab er ab 1542 Musikunterricht am Gymnasium. Als ihm wegen zu häufiger Absenzen das Amt wieder entzogen wurde, verstrickte er sich wie sein Kollege Greiter in einen langen Rechtsstreit. Auch er kehrte 1550, bei der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes, zum alten Glauben zurück, wohl um das Organistenamt am Münster zu behalten. Er verstarb im Jahr 1553. Von Dachstein stammen zwar nur drei Psalmübertragungen, Ps 14, Ps 15 und Ps 137 (sechs weitere werden ihm aus stilistischen Kriterien zugeschrieben 16 ), doch ist seine Melodie zu Ps 137 (An Wasserflüssen Babylon) mit dem Text von Paul Gerhardt (Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld) zu großer Bekanntheit gelangt. In diesem Psalm, wie auch bei Ps 15 (O Herr, wer wird Wohnungen han), verwendet Dachstein eine 10-zeilige Barform mit besonders langem Abgesang. Ludwig Oeler (auch Oler) stammte aus Freiburg im Breisgau. 17 Er gehörte dem Kartäuserorden an und wirkte als Priester und Prediger. Wegen seiner polemi‐ schen Predigten musste er Freiburg verlassen und kam 1522 nach Straßburg. Von 1523 bis 1525 ist er als Inhaber einer Pfründe an St. Thomas nachgewiesen. 18 Er befand sich unter den ersten Geistlichen in Straßburg, die das Bürgerrecht annahmen und sich damit auf die Seite der Reformation stellten. Im Jahr 1524 gab er eine Apologie heraus, in der er seinen Weggang aus Freiburg begründete, und 1525 eine Satire in Versform, in der er das päpstliche Jubeljahr als „Jahrmarkt“ verspottete. Seine Psalmbereimungen erschienen ebenfalls 1525. Nach diesem 200 Beat Föllmi <?page no="201"?> 19 Dafür spricht, dass der Dekan Wurmser Oeler noch 1525 unter seine Gegner zählt, aber in der Anklageschrift von 1527 nicht mehr erwähnt; s. dazu K N O D , Stiftsherren (wie Anm. 18), 47. Der Hinweis, Oeler werde noch 1530 als Kanoniker an St. Thomas aufgeführt, ist falsch: Albert Friedrich Wilhelm F I S C H E R , Kirchenlieder-Lexicon, 2. Hälfte, Gotha 1879, 461. 20 Zur Biografie von Vogtherr s. Frank M U L L E R , Les premières années (1526-1530) de l’activité de Heinrich Vogtherr à Strasbourg, in: Revue d’Alsace 113 (1987), 129-150. 21 Zu seiner Biografie s. l. u., Schweintzer, Hans, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band-33, Leipzig 1891, 364f., Online-Version: https: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd 119827735.html#adbcontent (Zugriff am 28.02.2023). Datum kommt er in keiner Quelle mehr vor, wahrscheinlich ist er vor 1527 verstorben. 19 Oeler veröffentlichte im zweiten Teil des „Straßburger Kirchenamts“ seine Bereimungen zu den Psalmen 1-8. Diese richten sich alle nach Form und Melodie auf die Vorlage von Luthers Psalmlied Ach Gott, vom Himmel sieh darein, eines der ersten in Straßburg gedruckten Lutherlieder, das bereits 1524 im „Teutsch Kirchen ampt“ bei Köpfel erschien. Es beruht auf der klassischen Barform mit dem Silbenschema: 8 7 8 7.8 8 7 (jambisch) und dem Reimschema: A b A b.C C d. Heinrich Vogtherr wurde 1490 in Dillingen (in der Nähe von Augsburg) als Sohn eines Arztes geboren und erlernte das Handwerk eines Linsenschleifers. 20 Er muss während seiner Ausbildung in Leipzig und Augsburg gelebt haben. Ab 1520 setzte er sich als Illustrator und Schriftsteller für die reformatorische Bewegung ein. Daneben malte er die Fresken der Pfarrkirche von Wimpfen bei Heilbronn. Im Jahr 1525 kam er nach Straßburg und nahm das Bürgerrecht an. Dort erwarb er sich durch prächtige Gravuren großes Ansehen. Im Jahr 1550 wurde er zum kaiserlichen Linsenschleifer ernannt und begab sich nach Wien, wo er 1556 verstarb. Für die Straßburger Kirche verfasste er den Text zu drei Psalmliedern: Ps 71, Ps 73 und Ps 139, alle mit eigener Melodie. Die ersten zwei Psalmen erschienen im „Teutsch Kirchen ampt“ von 1525, der dritte in „Psalmengebett und Kirchenübung“ von 1530. Auch Hans Schweintzer kam von auswärts nach Straßburg. 21 Er wurde (vermut‐ lich um 1500) in Schlesien geboren und traf in Liegnitz mit Kaspar Schwenckfeld zusammen. Diesem folgte er 1529 nach Straßburg, wo er eine Druckerei ein‐ richtete und theologische Literatur, unter anderem auch von Schwenckfeld, herausgab. Auch nach dem Weggang Schwenckfelds von Straßburg 1534 (und der Verurteilung von dessen Werken) blieb Schweintzer mit dem umstrittenen Reformator in Kontakt, weswegen er 1556 vom Rat verhört wurde. Sein Sterbe‐ Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 201 <?page no="202"?> 22 Zu seiner Biografie s. Jean R O T T , Art. Englisch (Engelsch, Endlich, Anglicus, Leim‐ enhans, Pyxocomister), in: Charles B A E C H L E R - Jean-Pierre K I N T Z (Hgg.), Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne 9, Straßburg 1986, 815. 23 Zu seiner Biografie s. Jean R O T T , Art. Hubert Conrad, in: Charles B A E C H L E R - Jean-Pierre K I N T Z (Hgg.), Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne 17, Straßburg 1991, 1680f. jahr ist nicht bekannt. Von Schweintzer stammen die Übertragungen von Ps 41 und Ps 118 sowie ein freier Gesang O höchster Gott, in deinem Thron, die alle erstmals in „Psalmen und geistliche Lieder“ von 1537 erscheinen. Johannes Englisch (auch Anglicus oder Pyxocomister) wurde 1502 im elsässi‐ schen Buchsweiler geboren. 22 Er stellte sich zunächst als Kanzleischreiber in den Dienst von Graf Philipp III. von Hanau-Lichtenberg. Als Anhänger der Re‐ formation aus Buchsweiler vertrieben, flüchtete er nach Straßburg und erwarb 1527 das Bürgerrecht. Bis mindestens 1535 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Schullehrer. Darauf wurde er Gehilfe des Reformators Mathias Zell an der Münsterpfarrei und behielt diese Funktion bis 1562. Englisch war 1536 unter den Unterzeichnern der Wittenberger Konkordie. Als vehementer Gegner des Interims weigerte er sich 1549, seine Wohnung den Altgläubigen zu räumen. Er war der erste evangelische Prediger, der im März 1561 wieder im Münster predigte. Doch nun geriet er in Gegensatz zum lutherisch-orthodoxen Johannes Marbach und wurde 1563 zusammen mit Konrad Hubert entlassen und zum Freiprediger ernannt. Englisch starb Ende-Juli 1577 in Straßburg. Von ihm ist die Umdichtung zweier biblischer Cantica überliefert, die beide in „Psalmengebett und Kirchenübung“ von 1530 erstmals erschienen: Gebenedeit sei Gott, der Herr (Lobgesang des Zacharias) und Im Frieden dein, o Herre mein (Lobgesang des Simeon). Konrad Hubert wurde 1507 im pfälzischen Bergzabern geboren. 23 Er studierte von 1519 bis 1523 in Heidelberg und später in Basel. Dort machte er die Bekanntschaft von Oekolampad, dessen Sekretär er von 1526 bis 1531 war. Darauf kam er nach Straßburg und wurde Vikar an der St. Thomaskirche. 1532 heiratete er Margareta Blaurer aus der Familie der Konstanzer Reformatoren. 1545 wurde er Kanoniker an St. Thomas und 1547 sogar Kantor. Hubert war einer der wichtigsten und tatkräftigsten Mitarbeiter Bucers. Als jener beim Inkrafttreten des Interims Straßburg verlassen musste, hielt Hubert weiterhin zu ihm. 1563 musste er sein Amt an St. Thomas aufgeben und wurde wie sein Kollege Englisch zum Freiprediger am Münster ernannt. Er starb im April 1577 in Straßburg. Neben seiner reformatorischen und seelsorgerischen Tätigkeit entfaltete Hubert auch eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Ohne Zweifel war er an der Herausgabe des großen Kantionals, des einzigen von der 202 Beat Föllmi <?page no="203"?> 24 RISM B/ VIII 1541/ 06, HDB 46; RISM B/ VIII 1560/ 12, HDB 33; RISM B/ VIII 1572/ 05, HDB 47. 25 Bei diesem Lied wird auch Johannes Schnesing als möglicher Autor genannt. Straßburger Kirche „offiziell“ herausgegebenen Kirchengesangbuchs, beteiligt; es erschien erstmals 1541, weitere Ausgaben folgten 1560 und 1572. 24 Hubert verfasste fünf Kirchenlieder, die sich teilweise bis heute gehalten haben. Es handelt sich dabei um ein Psalmlied, die Umdichtung von Ps 133, sowie vier freie Lieddichtungen (Allein zu dir, Herr Jesu Christ, 25 Dieweil wir sind versammelt, O Gott, du höchster Gnadenhort sowie Weltschöpfer, Herr Gott, Jesu Christ). Die Gesänge sind in „Ein New Auserlesen Gesangbuͤchlin“ von 1545 erschienen, außer dem letzten Lied, das sich erst in der Nachfolgeausgabe „Das Newer vnd gemehret Gesangbuͤchlin“ von 1559 findet. Somit gehört dieser Psalm eigentlich nicht mehr in den „Straßburger Psalter“ der Doppelausgabe von 1537/ 1538. Es ist bezeichnend, dass sich unter den Autoren der Straßburger Psalmen nur ein einziger Einheimischer, also in der Stadt Geborener, findet, nämlich Sym‐ phorianus Pollio; alle anderen sind von auswärts zugezogen - so wie im Übrigen auch alle Straßburger Reformatoren. Eine solide praktische Musikausbildung haben nur Greiter und Dachstein erhalten. Pollio und Hubert dürften im Rahmen ihrer humanistisch-theologischen Studien zumindest Rudimenta der Musik erlernt haben, beide haben zudem liturgische Ämter innegehabt. Mehrere dieser Lieddichter sind - aus unterschiedlichen Gründen - marginalisiert worden. Greiter und Dachstein sind aus opportunistischen Motiven bei der Einführung des Interims zum katholischen Glauben zurückgekehrt. Schweintzer war stets ein bekennender Schwenckfeldianer. Englisch und Hubert gerieten nach dem Ende des Interims mit der erstarkenden lutherischen Orthodoxie unter Marbach in Konflikt und wurden ihrer Ämter enthoben. Psalm Incipit Textautor Melodie Erstdruck Ps 1 Wohl dem Menschen, der wandelt nicht L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 2 Warum tobet der Heiden Hauf L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 3 Ach Herr, wie sind mein’r Feind so viel L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 4 Erhör mich, wenn ich ruf zu dir L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 203 <?page no="204"?> Psalm Incipit Textautor Melodie Erstdruck Ps 5 Erhör mein Wort, mein Red vernimm L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 6 Ach Herr, straf mich nicht in deim Zorn L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 7 Auf dich, Herr, ist mein Trauen steif L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 8 Herr, unser Herr, wie herrlich ist L. Oeler Eb6 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 13 Ach Gott, wie lang vergissest mein M. Greiter Eb7 RISM B/ VIII 1524/ 16 HDB 6 Ps 14 Der Töricht spricht: Es ist kein Gott W. Dach‐ stein Eb13 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Ps 15 O Herr, wer wird Wohnungen han W. Dach‐ stein Eb19 RISM B/ VIII 1525/ 21 HDB 15 Ps 41 Glückselig ist der Mann H. Schwein‐ tzer Eb32 RISM B/ VIII 1537/ 03 HDB 27 Ps 51 O Herre Gott, begnade mich M. Greiter Eb11 RISM B/ VIII 1525/ 18(1) HDB 7 Ps 71 Herr Gott, ich trau allein auf dich H. Vogtherr Eb18 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 Ps 73 Gott ist so gut dem Israel H. Vogtherr Eb20 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 Ps 114 Da Israel aus Ägypten zog M. Greiter B27 RISM B/ VIII 1530/ 06 HDB 19 Ps 115 Nicht uns, nicht uns, o ewiger Herr M. Greiter B27 RISM B/ VIII 1530/ 06 HDB 19 Ps 118 Dass Gott, der Herr, so freundlich ist H. Schwein‐ tzer B34 RISM B/ VIII 1537/ 03 HDB 27 Ps 119, 1-6 Es sind doch selig alle, die M. Greiter Eb14 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 Ps 119, 17-32 Hilf, Herre Gott, dem deinen Knecht M. Greiter Eb15 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 Ps 125 Nun welche hier ihr Hoffnung gar M. Greiter Eb16 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 204 Beat Föllmi <?page no="205"?> 26 Robert S T U P P E R I C H (Hg.), Martini Buceri Opera Omnia, series I: Deutsche Schriften, Band-1: Frühschriften 1520-1524, Gütersloh - Paris 1960, 247. 27 Formula missae et communionis pro Ecclesia Vuittembergensi, Wittenberg 1523 (WA 12,218); Deudsche Messe und ordnung Gottis diensts, Wittenberg 1526 (WA 19,72-113). Psalm Incipit Textautor Melodie Erstdruck Ps 133 Nun sieh, wie fein und lieblich ist K. Hubert Eb46 RISM B/ VIII 1545/ 05 HDB 48 Ps 137 An Wasserflüssen Babylon W. Dach‐ stein Eb17 RISM B/ VIII 1525/ 18(3) HDB 9 Ps 139 Herr Gott, der du erforschest mich H. Vogtherr B28 RISM B/ VIII 1530/ 06 HDB 19 Magni‐ ficat Mein Seel erhebt den Herren mein S. Pollio Eb5 RISM B/ VIII 1524/ 15 HDB 5 Vater unser Vater unser, wir bitten dich S. Pollio Eb12 RISM B/ VIII 1525/ 18(2) HDB 8 Zacha‐ rias Gebenedeit sei Gott, der Herr J. Englisch B25 RISM B/ VIII 1530/ 06 HDB 19 Simeon Im Frieden dein, o Herre mein J. Englisch B26 RISM B/ VIII 1530/ 06 HDB 19 Tabelle der von Straßburger Autoren verfassten Psalmen und Cantica 4 Der liturgische Gebrauch der Psalmen In seiner Schrift „Grund und Ursach“ vom Dezember 1524 hält Martin Bucer unter Berufung auf Paulus in 1 Kor 14,26 fest: „wenn ir z u°samenkomet, so hat ein jeder einen psalmen, er hat ein lere, er hat ein zungen, er hat ein offenbarung, er hat ein außlegung“. 26 Das heißt, zu jedem Gottesdienst gehört das Psalmsingen, neben der Lesung von Altem und Neuem Testament, der Rede des Heiligen Geistes und der Predigt. Von Anfang an gab es in Straßburg einen zweifachen Gebrauch der Psalmen. Das „Teutsch Kirchen ampt“, das 1524 und 1525 in mehreren, im Umfang stets anwachsenden Ausgaben erschien, unterscheidet zwischen der „Ordnung der Mess“ und „Ordnung der Vesper“. In der Messe (oder später dem Gottesdienst mit Abendmahl) finden sich naturgemäß die Teile des Ordinariums und Prop‐ riums. In der letzten Kategorie werden auch Psalmlieder bzw. biblische Cantica vorgeschlagen - so wie dies auch Luther in der „Formula Missae“ (1523) und später in der „Deutschen Messe“ (1526) vorschlägt. 27 Dieser Hauptgottesdienst Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 205 <?page no="206"?> 28 S T U P P E R I C H , Bucer Frühschriften (wie Anm. 26), 246f. 29 S T U P P E R I C H , Bucer Frühschriften (wie Anm. 26), 275. Derselbe Gedanke auch in: 241. 30 Jean R O T T (Hg.), Correspondance de Martin Bucer. Tome I (jusqu’en 1524) (Studies in Medieval and Reformation Thought 25), Leiden 1979, 285f. (Nr.-81). 31 „… cantionibus in communem linguam ex hebraïco psalterio transfusis, ubi mire assonant mulieres viris, ut jucundum sit audire …“, Brief an Guillaume Briçonnet, Bischof von Meaux, 25. Dezember 1525, abgedruckt in: Aimé-Louis H E R M I N J A R D (Hg.), Correspondance des Réformateurs dans les pays de langue française, Genf - Paris Band-1, 1866, 406f. (Nachdruck: Nieuwkoop 1965). sieht vor der Epistellesung Psalmengesang durch die Gemeinde vor („auff das singt die gantz gemein etlich kurz psalmen oder lobgesang“ 28 ). Innerhalb der Vesper hingegen (also der Nebengottesdienste ohne Abend‐ mahl) waren fast ausschließlich Psalmen vorgesehen, da dort auf Ordinariums‐ gesänge verzichtet werden konnte. Hier reihen sich die Psalmen also nicht in die Kategorie der Propriumsgesänge ein, sondern erfüllen die Funktion des Psalmsingens so wie in der monastischen Tradition - dafür spricht auch, dass in den frühen Psalmdichtungen der 1520er-Jahre oft die Schlussstrophe die Doxologie enthält. Als Begründung für das Psalmsingen gibt Bucer folgende Erklärung: „[…] so gebrauchen wir uns in der gemein gots keins gesangs noch gepets, das nit auß goetlicher schrifft gezogen sey, und dieweyl, was in der gemein gottes gehandelt würt, jederman in gemein besserlich sein soll, betten noch singen wir nichts, dann in gemeiner teütscher sprach, das der ley gemeincklich moege amen sprechen, wie das der geist gottes lernet […].“ 29 In den ersten Jahren der Straßburger Reformation wurde sehr rasch der Ge‐ meindegesang eingeführt. Wie wir gesehen haben, hat Bucer dies bereits in „Grund und Ursach“ gefordert, und ein Brief von Bucer und Capito an die Zürcher 30 bestätigt dies (beide Dokumente von Ende 1524). Wir haben zudem einen Bericht eines Augenzeugen, des französischen Predigers Gérard Roussel, der im Dezember 1525 über eine Vesperfeier im Münster schrieb, dass „Gesänge in der Volkssprache aus dem hebräischen Psalter übertragen erstaunlicherweise von Frauen und Männern angestimmt wurden, so dass es angenehm anzuhören war“. 31 Es handelt sich dabei um einstimmigen Gesang; Gesangbücher für mehr‐ stimmiges Singen kommen in Straßburg erst nach dem Interim in Gebrauch und markieren den Übergang zu einer stärker lutherischen Praxis. Bemerkenswerterweise ist in der Anfangszeit nirgendwo von einem Chor (aus Schülern) die Rede. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da die städtischen Schulen erst in der zweiten Hälfte der 1520er-Jahre gegründet wurden, der erste Unterricht begann 1526 an St. Thomas. In der 1535 von Johannes Schwebel 206 Beat Föllmi <?page no="207"?> 32 „Duodecima ad primam, psalmi in schola crastino die dominico in templo decantandi praecinuntur […]“, Carl E N G E L , Das Schulwesen in Straßburg vor der Gründung des protestantischen Gymnasiums 1538, Straßburg 1886, 66. 33 So in: Rodolphe R E U S S (Hg.), Les Collectanées de Daniel Specklin, chronique strasbourgeoise du seizième siècle, Straßburg 1890, Nr.-2245. 34 „Municipalstatutum E. E. Rathes de anno 1539“, Munizipalstatut, fol. 24 r , in: Archives de la Ville et de la Communauté Urbaine de Strasbourg, Archives Saint Thomas, 23. 35 Die Ordnung ist abgedruckt bei: Gerald D Ö R N E R (Hg.), Die evangelischen Kirchenord‐ nungen des XVI. Jahrhunderts, Band 20: Elsass, 1. Teilband: Straßburg - Tübingen 2011, 77-80. an Alt-St. Peter gegründeten Schule war an jedem Tag Musikunterricht mit Psalmengesang vorgesehen; am Samstag wurden dann jene Psalmen durchge‐ gangen, die in den Sonntagsgottesdiensten von den Schülern als „Vorsänger‐ chor“ gesungen werden sollten. 32 In dem Ende 1538 gegründeten Gymnasium (ab 1566 Akademie und ab 1621 Universität) hatte die Musik - Theorie und Praxis - ebenfalls einen festen Platz im Hinblick auf ihre Verwendung im Gottesdienst. Hingegen hatten die Gemeinden von Anfang an einen Kantor. Für die erste Zeit der Reformation haben wir keine Angaben, was dessen Aufgabenbereich gewesen sein könnte, da er in den frühen liturgischen Ordnungen nicht er‐ wähnt wird. Der Münsterkantor Greiter wird zuweilen auch „vorsaenger“ 33 genannt. Da responsorialer Gesang in den evangelischen Gottesdiensten nicht vorgesehen war, handelt es sich um didaktisches Vorsingen bzw. Anstimmen. Erst mit der Einführung von Schülerchören gehörte zum Aufgabenbereich des Kantors auch der Musikunterricht und die musikalische Vorbereitung der zu singenden Psalmen. Diese Aufgaben werden erstmals in den Statuten des St. Thomaskapitels von 1556 klar definiert. 34 Merkwürdigerweise fehlt in den Straßburger Ordnungen des 16. Jahrhun‐ derts jeder Hinweis auf den Gebrauch der Orgel im Gottesdienst, erst die Kirchenordnung von 1598 erwähnt sie. 35 Doch offensichtlich wurden die Orgeln auch nach dem Übergang der Stadt zur Reformation weiter bespielt. Für die Straßburger Reformatoren gab es keine theologischen Gründe, das Orgelspiel zu verbieten - wohl aber politisch-taktische, diesen Brauch, vor allem gegenüber den Schweizern, zu verschweigen. Am Münster und an St. Thomas wurden auch nach der Abschaffung der katholischen Messe und der Einführung des evangelischen Gottesdienstes die Organisten weiter besoldet. Die Münsterorgel ist 1541 sogar von einem auswärtigen Orgelbauer revidiert worden. Dabei gab der Rat auch gleich einen Hinweis auf die Benutzung des Instruments: „Und sol man auch alle sontag zu den predigen daruff psalmen ein vers und den Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 207 <?page no="208"?> 36 L[ouis] D A C H E U X (Hg.) Les chroniques strasbourgeoises de Jacques Trausch et de Jean Wencker. Les Annales de Sébastien Brant, Straßburg 1892, Nr.-3602. 37 S. Jan R. L U T H , Gemeindegesang in den Niederlanden im 16. Jahrhundert, in: Eckhard G R U N E W A L D - Henning P. J Ü R G E N S - Jan R. Luth (Hgg.), Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, 16.-18. Jahrhundert, Tübingen 2004, 421-434. andern schlagen lassen“. 36 Die Orgel hat also, zumindest im Münster, den Psal‐ mengesang begleitet. Allerdings wissen wir nichts über die Art der Begleitung: Handelte es sich um einstimmiges Spiel, wie es später die niederländischen Calvinisten pflegten 37 oder um mehrstimmige, akkordische Begleitung, wie etwa die Sätze des Basler Münsterorganisten Samuel Mareschall (allerdings einige Jahrzehnte später)? 5 Das hermeneutische Prinzip der Straßburger Psalmparaphrasen Es ist interessant, die Straßburger Psalmlieder mit jenen Luthers zu vergleichen. Es sind sieben an der Zahl, wenige angesichts der 43 Liedschöpfungen Luthers. Ps 124 (Wär Gott nicht bei uns diese Zeit) und Ps 128 (Wohl dem, der in Gottes Furcht steht) sind getreue Psalmparaphrasen, so wie man sie unter den Straß‐ burger Psalmen findet. An keiner Stelle hat Luther hier Motive und Themen, die nicht im Bibeltext stehen, eingetragen. Das Lied Aus tiefer Not schrei ich zu dir ist zwar ebenfalls eine recht getreue Übertragung von Ps 130. Doch kann Luther es hier nicht lassen, den Psalm in Richtung seiner Rechtfertigungslehre zu deuten. So lautet Vers 4 in der Bibel: „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte“, während es in Luthers Gesang heißt: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, / die Sünden zu vergeben“, gefolgt von fünf weiteren Zeilen, welche die Rechtfertigung allein aus Gnade darstellen (nach Röm 3,23). Die Übertragungen von Ps 12 (Ach Gott, vom Himmel sieh darein) und Ps 67 (Es woll uns Gott genädig sein) erscheinen fast wie Tropen: Jeder biblische Vers ist von umfangreichen Erklärungen gefolgt. Zweifellos der interessanteste Fall ist die Übertragung von Ps 46 (Ein feste Burg ist unser Gott), Luthers bekannteste und wirkungsmächtigste Liedschöpfung. Nicht nur hat hier Luther zwei Verse weggelassen (Vers 7 und 12), auch die Reihenfolge der Verse wurde teilweise umgestellt. Vor allem aber hat er zahlreiche neue Themen eingetragen, um den geistlichen Streit eindrücklich darzustellen. Am erstaunlichsten ist hierbei die Gleichsetzung von „Herr Zebaoth“ mit Jesus Christus in Strophe 2. 208 Beat Föllmi <?page no="209"?> 38 Doxologie in den Psalmen 1-8 von Oeler, Ps 13 von Greiter, Ps 15 von Dachstein. 39 Enjambements finden sich in: Ps 137 von Dachstein; Ps 13 und Ps 51 von Greiter; Ps 71 und Ps 73 von Vogtherr; Magnificat von Pollio. Im Gegensatz dazu weisen die Psalmen der Straßburger Autoren (die ich im Folgenden als „Straßburger Psalmen“ im engeren Sinne bezeichne) vier Beson‐ derheiten auf, die in unterschiedlichem Maße Anwendung gefunden haben. 1) Der Psalm wird vollständig übertragen. Die Straßburger Psalmen übertragen den biblischen Psalm vom ersten bis zum letzten Vers (abgesehen von der Überschrift). Eine Ausnahme bilden lediglich die beiden Psalmlieder Greiters auf Ps 119, von dessen 176 Versen jeweils eine Auswahl getroffen wurde - wobei allerdings alle ausgewählten Verse ebenfalls komplett bereimt wurden. Durch die vollständige Übertra‐ gung aller Verse beansprucht das Psalmlied, der biblische Psalm selber zu sein; der Autor hat dabei lediglich eine Übersetzung in poetische Sprache vorgenommen. 2) Der Psalm wird textgetreu übertragen. Der Bibeltext ist nicht nur vollständig in singbare Poesie umgegossen, es wurde auch darauf verzichtet, fremde Themen einzutragen. Wo wir bei Luther auf trinitarische, christologische und dogmatische Themen stoßen, ist solches bei den Straßburger Psalmen nicht zu finden. Selten kommt es vor, dass eine knappe Formulierung des Bibeltextes im Psalmlied ausführlich expliziert wird (so beispielsweise im Ps 118 von Schweintzer). Wiederum zeigt sich, dass die Psalmparaphrase beansprucht, Bibeltext zu sein. Die einzige Zugabe ist gelegentlich eine eigene Schlussstrophe für die Doxologie, was sich auch bei Luther in einem Fall findet (Ps 12). 38 3) Schematische Aufteilung der Verse auf die Strophen. In zahlreichen Psalmen aus Straßburg ist die Tendenz erkennbar, die biblischen Verse schematisch auf die Strophen aufzuteilen, so dass jede Liedstrophe die gleiche Anzahl an Versen erhält. Zweifellos soll damit die Rückbindung an den Bibeltext verstärkt werden. Doch kann dieses Prinzip nicht immer umgesetzt werden, da die Psalmverse recht unterschiedlich lang sein können. Am besten ist die schematische Aufteilung bei den Psalmen von Ludwig Oeler realisiert: Von seinen acht Psalmliedern hat nur eines, Ps 7, eine unregelmäßige Aufteilung. Auch zwei von Dachsteins Psalmen (Ps 14 und 15) übertragen die Verse regelmäßig auf die Strophen. Gelegentlich kommt es allerdings auch vor, dass ein Vers über ein Strophen‐ ende hinaus aufgeteilt wurde (also eine Art Enjambement). 39 Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 209 <?page no="210"?> 40 Oeler stützt sich dabei auf eine Frühfassung der Psalterübersetzung Luthers (WA DB 10: I, 106-108). 41 S. dazu Beat F Ö L L M I , Le chant des psaumes des Réformés flamands et néerlandais aux XVIe et XVIIe siècles, in: Daniel F R E Y - Christian G R A P P E - Madeleine W I E G E R (Hgg.), Usages et mésusages de l’Écriture. Approches interdisciplinaires de la référence scripturaire (Écriture et Société), Straßburg 2014, 139-156, vor allem: 154. 42 HDB 30114; ein Digitalisat des einzigen bekannten Exemplars in der Bayerischen Staatsbibliothek München: https: / / opacplus.bsb-muenchen.de/ search? id=165540394& ; db=100&View=default (Zugriff am 28.02.2023). Zu diesem Gesangbuch s. auch Beat 4) Sparsamer Gebrauch von Füllwörtern. Die Metrik und das Reimschema machen es oft notwendig, den Bibeltext etwas freier zu übertragen. Insbesondere werden gelegentlich zusätzliche Wörter ergänzt. Dies lässt sich exemplarisch an den acht Psalmen von Oeler illustrieren. Wie sonst kein anderer Straßburger Autor versucht Oeler, den Prosatext von Luthers Psalmen seiner Metrik und seinem Reimschema anzupassen. In manchen Fällen gelingt es ihm, alle Wörter des Luthertextes umzuformen, manchmal allerdings müssen Füllwörter eingefügt werden. So wird beispielsweise Luthers Formulierung in Ps 1: „Der wird sein wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen“ 40 bei Oeler zu: „Der würt sein wie ein baumes pflantz / bey gůten wasser bechen“ (Str. 2, Z. 1-2). Bei den niederländischen Calvinisten wird dieses Thema der „stoplappen“ (Füll‐ wörter) später ausführlich diskutiert werden, da dort ein jedes vom Bibeltext abweichende Wort - und sei es nur aus metrischen Gründen - als problematisch galt. 41 Auch die meisten Psalmübertragungen des sogenannten Augsburger Psalters folgen im Wesentlichen den oben genannten Prinzipen. Dies mag mit ein Grund gewesen sein, weswegen die Augsburger Psalmen sofort in die Straßburger Psalmen integriert worden sind, um damit die Zahl der biblischen Psalmen komplett zu machen. Möglicherweise haben sich die Augsburger Autoren (Aberlin, Dachser und Salminger) sogar von den Straßburger Übertragungen für ihre eigenen Paraphrasen leiten lassen. Als direktes Vorbild dienten die Straßburger Psalmen vor allem dem Genfer Psalter. Johannes Calvin wirkte zwischen Sommer 1538 und Herbst 1541 in Straßburg als Pastor der französischen Flüchtlingsgemeinde. Bereits 1539 erschien in der Offizin von Johannes Prüss ein kleines Gesangbuch mit 22 französischen Gesängen, darunter 19 Psalmen: „Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant“ 42 (Einige Psalmen und Gesänge in Gesangsweise). Daraus sollte zwischen 1545 und 1562 in Genf ein vollständig bereimter Psalter in französi‐ 210 Beat Föllmi <?page no="211"?> F Ö L L M I , Calvin und das Psalmsingen. Die Vorgeschichte des Genfer Psalters, in: Zwing‐ liana 36 (2009), 59-84. scher Sprache werden. Calvin hat dabei die Straßburger Prinzipien übernommen und perfektioniert: die bibeltreue poetische Umdichtung des Bibeltextes in volkssprachliche, singbare Poesie. Straßburger Psalmlieder (1524-1539) 211 <?page no="213"?> Stella Maris Maria und Meer im Gespräch von Bild und Lied Siri Fuhrmann 1 Notizen zur Bildgeschichte in der Kirche Stella Maris auf Norderney Norderney ist ursprünglich eine rein protestantisch geprägte Insel. Der Katho‐ lizismus kommt mit den Urlauberinnen und Urlaubern, den Kurgästen, auf das Eiland. Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts folgen sie königlichem (ab 1836, Georg V. von Hannover) und kaiserlichem Trend (1906, Wilhelm II.). Davon zeugen heute noch Straßennamen und Gebäude. Auf Norderney trägt eine Kirche das Patronat „Stella Maris“; sie wurde von Dominikus Böhm (1880-1955) konzipiert. Zahlungskräftige Badegäste aus dem Rheinland und aus Westfalen haben den Bau unter dieser prominenten Leitung ermöglicht. So konnte ein bis heute von Kundigen vielbeachtetes Bauhaus-Denkmal entstehen. Abb. 1: Außenansicht der Kirche „Stella maris“ auf Norderney (Foto: Nicole Zimmermann, Düsseldorf). <?page no="214"?> 1 Luigi M O N Z O , Kirchen bauen im Dritten Reich. Die Inversion der kirchenbaulichen Erneuerungsdynamik am Beispiel der von Fritz Kempf entworfenen Kirche St. Canisius in Augsburg, in: Das Münster - Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 68 (2015), Heft 1, 74. Das Innere der 1930/ 31 erbauten Kirche überrascht mit der konsequenten Klar‐ heit der Formen, überrascht auch wegen seines großformatigen Chorwandbildes auf der Südseite des Raumes, das als das größte Gemälde der Insel gelten kann. Abb. 2: Innenansicht der Kirche „Stella maris“ auf Norderney (Foto: Nicole Zimmermann, Düsseldorf). Nur ein Jahr, nachdem Rudolf Schwarz mit St. Fronleichnam in Aachen einen Meilenstein moderner Kirchbaukunst gesetzt hatte, zeigt Dominikus Böhm mit „kühner Modernität“ 1 sein Können auf diesem Terrain und entwirft die Som‐ merkirche „Stella Maris“ in Gestalt- und Formensprache der Neuen Sachlichkeit: klare Formen, weiß getünchte Wände, weiß gestrichene Kirchenbänke, gra‐ phisch gestaltete Fenster. Die örtliche Presse zeigt sich begeistert: „Wir dürfen sagen, dass Norderney durch diese Kirche eine neue Sehenswürdigkeit erhalten hat - gleich anziehend für das naive Empfinden des einfachen Menschen und 214 Siri Fuhrmann <?page no="215"?> 2 Die neue katholische Kirche, in: Badezeitung und Anzeiger. Kur- und Fremdenliste für das Nordseebad Norderney, Nr.-94 (60) vom 1. August 1931. 3 „Meine Aufnahme in die katholische Kirche erfolgte im Collegio Papio in Ascona. Ich hatte darum gebeten, weil ich fürchtete, daß dieser Schritt in Köln ein mir unliebsames Aufsehen machen würde. […] Der kluge Benediktinerpater Hugener […] hielt mich dank meiner Kenntnis von Möhler und Newman für genügend vorbereitet und nahm mich nach Rücksprache mit dem Bischof in Lugano sofort in die Kirche auf.“ Richard S E E W A L D , Die Zeit befiehlts, wir sind ihr untertan. Lebenserinnerungen, Freiburg i.Br. 1977, 208. 4 Davon gibt Seewald in seiner Autobiographie Auskunft. Sein Vater sei religiös indif‐ ferent gewesen und habe die katholische Kirche verlassen. Richard und seine drei Geschwister seien protestantisch erzogen worden. Vgl. S E E W A L D , Die Zeit befiehlts (wie Anm. 3), 14f. (das Zitat: 14). 5 Vgl. ebd., 338f. 6 Vgl. Wolfgang V O I G T - Ingeborg F L A G G E , Dominikus Böhm 1880-1955, Tübingen - Berlin 2005, 108f. der kleinen Insassen der Kinderheime, wie für den Kurgast der größeren Städte, der seinen Maßstab mitbringt“. 2 Richard Seewald (1889-1976), ein befreundeter Kollege von Böhm, der mit ihm in den Kölner Werkschulen zusammenarbeitete, konnte für die Ausführung eines Chorwandbildes gewonnen werden. Seewald war 1929 zum Katholizismus konvertiert; 3 das erste sakrale Bild, das er schafft, ist die Norderneyer Stella Maris-Maria. Seewald beschreibt seine Konversion als „Rückkehr zum Katholi‐ zismus“. Sein Vater habe seinerzeit auf der „protestantischen Taufe“ bestanden, 4 mit der Hinwendung zum Katholizismus finde er zurück in den Rahmen, der seiner inneren Verfassung entspricht. Er engagierte sich zeitlebens für die katholische Sakralkunst, war regelmäßiger Autor des „Hochland“, wetterte gegen Klerikalismus und zeigte sich kritisch gegenüber den Reformen der Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils. 5 Dominikus Böhm hat sich nicht leicht getan mit der künstlerischen Ausge‐ staltung seiner Kirchen. Nur wenige Künstler konnten mit dem eigenwilligen Architekten harmonieren. Lediglich drei seiner Bauten werden durch großfor‐ matige Bildkunst ergänzt. Meistens nutzt Böhm Lichtführung und Glaskunst zur Innenraumgestaltung seiner Sakralbauten. 6 Die Zusammenarbeit von Seewald und Böhm auf Norderney entstand eher zufällig und war einer flapsigen Bemerkung geschuldet, wie Seewald in seinen Lebenserinnerungen zum Besten gibt: „Uli [Emma Margarethe Seewald-Trotsch, Ehefrau von Seewald] kam von Ascona zurück, und wir begannen an unsere Abreise zu denken. Sie war ja eigentlich mehr, nämlich eine Auswanderung, da wir unseren Wohnsitz nach der Schweiz zu verlegen gedachten. Da erhielt sie einen ganz unerwarteten Aufschub. Bei einem als Abschiedsbesuch gemeinten Besuch bei Dominikus Stella Maris 215 <?page no="216"?> 7 S E E W A L D , Die Zeit befiehlts (wie Anm. 3), 220f. 8 Brief von Heribert Solaro an Elmar Siepe vom 28. Oktober 1988, aus dem unveröf‐ fentlichten Nachlass des Absenders freundlich zur Einsicht gegeben durch dessen Tochter Angela Solaro-Meyer, 1. Er gehört zu einem sich zwischen März 1988 und März 1989 erstreckenden Briefwechsel zwischen dem Kirchenvorstandsmitglied Solaro, Kaufmann auf Norderney, und Elmar Siepe, Baudirektor i. R. aus Neuss, der sich seinerzeit um die Archivalien Richard Seewalds kümmerte mit dem Vorhaben, eine Biographie zum 100. Geburtstag Seewalds herauszubringen. Dem Briefwechsel muss ein Telefonat vorangegangen sein, in dem sich Siepe in seinem Anliegen vorstellte. - Heribert Solaro spricht gegenüber Elmar Siepe davon, dass sich 80 Prozent der Kinderkurheime in katholischer Trägerschaft befunden hätten. Richtig ist, dass sich die meisten Kurheime in Trägerschaft von Städten und Landkreisen befanden, eine konfessionelle Ausprägung hin zum Katholizismus sich also aus den Herkunftsregionen und ihren heimatlichen konfessionellen Prägungen ergeben haben konnte. 9 Vgl. ebd. Böhm sah ich in seinem Atelier das Model einer kleinen schneeweißen Kirche, das mir ausnehmend gefiel. Sie sei für Norderney bestimmt, erfuhr ich, und zwar für die Kinder all der Kinderheime, die sich auf dieser Insel befänden. Ich sagte, mehr im Spaß als im Ernst: ‚Ich habe mich so oft geweigert, in Ihren großen Kirchen heilige Figuren an die Wand zu malen, wie sie mir freundlichst antrugen. In diese kleine male ich Ihnen etwas hinein, wenn Sie wollen.‘ - Böhm nahm mich sofort beim Wort. Ich machte den Entwurf für das Bild über dem Altar, das ein für die Kinder bestimmtes werden sollte, und es wurde, wenn auch ein wenig zögernd, vom Bischöflichen Ordinariat akzeptiert. So verbrachten wir vier Wochen auf der Insel Norderney, in denen ich das Bild malte.“ 7 Richard Seewald schafft ein für Kenner der Bauhausarchitektur eher untypi‐ sches, vielgestaltiges Gemälde, das später noch detailliert betrachtet werden wird. Die Zielgruppe des Bildes sind, wie es die Intention des Architekten war, Kinder: In den 1920er- und 1930er-Jahren zählte man auf Norderney um die 30 Kinderkurheime, die sich zu einem hohen Anteil 8 in katholischer Trä‐ gerschaft befanden. Während der Saison zwischen Mai und September kamen also 500 bis 700 Kinder als Gottesdienstteilnehmende hinzu, weswegen eine Saison-Kinder-Kirche nötig wurde. 9 Es war die Zeit der Luftkuren: Während eines sechsbis achtwöchigen Aufenthalts sollten Kinder aus den industriell stark besiedelten Gegenden an Rhein und Ruhr und dem Saarland wieder aufge‐ päppelt werden. Zwei Kinderkurheime wurden durch die Herz-Jesu-Schwestern aus Paderborn geleitet, die Franziskanerinnen aus Münster unterhielten eben‐ falls ein Kinderkurheim. Es gehörte zum Klinikprogramm des Sonntags selbst‐ verständlich dazu, ins Hochamt und in die Andacht zu gehen, so dass während der vorkonziliaren lateinischen Liturgie das Chorwandbild eine willkommene Beschäftigung geboten haben wird. Das Porträt der Gottesmutter mit Kind mag 216 Siri Fuhrmann <?page no="217"?> auch eine therapeutische Komponente gehabt haben, denn immerhin waren die Kinder oft schon in jungen Jahren ohne jeglichen Kontakt zu den Eltern für bis zu zwei Monate allein auf der Insel. Immer wieder erzählen Seniorinnen und Senioren heute beim Besuch der Kirche von ihren Erinnerungen an diese Kirche und insbesondere an das Marienbild, das ihnen aus Kindertagen im Gedächtnis geblieben ist. Abb. 3: Großformatiges Chorwandbild von Richard Seewald im Innern der Kirche „Stella Maris“ auf Norderney (Foto: Nicole Zimmermann, Düsseldorf). Stella Maris 217 <?page no="218"?> 10 Richard S E E W A L D , Wie ich die S.S. Annunziata=Kapelle in Ronco mit Bildern schmückte, in: Hochland 34 (1937), 352-356, hier: 353. 11 Tatsächlich wurde das Altarbild während der winterlichen Bauzeit 1930 auf dem Dachboden des Kinderkurheimes „Josefsstift“ geschaffen. 12 In Europa dreht sich der Strahlenkranz üblicherweise im Uhrzeigersinn. Alle französi‐ schen Leuchttürme drehen sich allerdings links herum, und da eine französische Firma den Turm von Norderney errichtete, bekam er die unübliche Richtung. Der Maler hat dies humorvoll aufgegriffen und das Psalmenzitat ebenfalls umgedreht: Psalm 97 eröffnet eigentlich mit „Exsultet terra! Laetentur insulae multae“, im Strahlenkranz steht aber „Laetentur insulae multae / exsultet terra“. Richard Seewald fasste sein Norderneyer Werk in einer Nebenbemerkung in einem Artikel des „Hochland“ folgendermaßen zusammen: „Vor fünf Jahren malte ich die Wand über dem Altar der kleinen Stella-Maris-Kirche in Nor‐ derney, [… und bin] ,von den Rändern her‘ vorgedrungen, indem ich zuerst die ganze Insel malte, mit Badekarren und Hotels, Fischerhäusern und Mühle, Rettungsboot und Leuchtturm (wahrlich schon mancherlei Symbole durch sich selbst), dann die Fische im Meer und die Boote darauf und in der Mitte die Gottesmutter, die in diese bunte und dem Beter so vertraute Welt das heilige Kind trägt, ,kleiner Gast und großer Held‘“. 10 Der Künstler hat also eine Art Wimmelbild entstehen lassen, eine Art realistisches Traumbild, in dem im unteren Drittel die insulare Umgebung wie‐ derentdeckt werden kann. Die Größenverhältnisse des Dargestellten sind nicht maßstabsgetreu, die Insel wird porträtiert mit einigen markanten Gebäuden, aber ohne den Willen zur Vollständigkeit. Auf der linken Seite zeigt sich, eher an Wiedererkennung als an geographischer Korrektheit interessiert, der bewohnte Westteil der Insel durch klassizistische Gebäude wie das Haus „Daheim“ 11 , einige typisch ostfriesische Fischerkaten und, ganz selbstbewusst, ein Modell der neuerbauten Kirche „Stella Maris“ mit seinem markanten hochaufragenden Holzkreuz rechts neben dem Eingangsportal; daneben die einzige Insel-Mühle Ostfrieslands, die Landebahn für Wasserflüge, das Kap mit dem auf dem Kopf stehenden Seezeichen, die Georgshöhe, eine der höchsten Erhebungen der Insel, von der bis heute ein Wetterkreuz aufragt. Im Wasser am unteren Bildrand wird eine Vielzahl von Fischen sichtbar: Quallen, Schollen, Aale, Seenadeln, Seehecht und Seewolf sind zu entdecken. In der Mitte der Insel ragt hoch hinauf der 1874 erbaute Leuchtturm von Norderney, eine Reparationszahlung der napoleonischen Kriege und daher das einzige linksdrehende Leuchtfeuer der Nordsee. 12 Zum Entstehungszeitpunkt der Kirche und des Bildes blüht der Tourismus auf Norderney, nicht nur abgemagerte Kinder, sondern immer mehr potente, auch katholische Erholungssuchende kommen auf die Insel. Die Prominenz 218 Siri Fuhrmann <?page no="219"?> 13 Apostolisches Schreiben Papst Johannes Pauls II. „Stella Maris“ über das Apostolat des Meeres vom 31. Januar 1997. https: / / www.vatican.va/ content/ john-paul-ii/ de/ mot u_proprio/ documents/ hf_jp-ii_motu-proprio_17031999_stella-maris.html (Zugriff am 06.10.2023), 1. Absatz. 14 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien neben der Norderneyer Widmung erwähnt: Maria Meeresstern auf Borkum (1880/ 1882), St. Maria Meeresstern in Werder an der Havel (1906), Maria Meeresstern in Sellin auf Rügen (1920), die Katholische Seemannsmission Stella Maris (weltweit ab 1922), Stella Maris in Binz auf Rügen (1924). 15 Vgl. Hermann K U R Z K E , Notizen zum Marienlied, in: Teresa B E R G E R - Albert G E R H A R D S (Hgg.), Liturgie und Frauenfrage (Pietas Liturgica 7), St. Ottilien 1990, 307-318, hier: 309. des Deutschen Reiches, der Kaiser und das Königshaus von Hannover hatten Norderney als Seebad eine Visitenkarte ausgestellt. 2 „Stella Maris“ - eine Mode? „Stella Maris, Meeresstern, ist der beliebteste Beiname, mit dem die Seeleute seit jeher diejenige anriefen, deren Schutz und Beistand sie vertrauen: die Jungfrau Maria. Jesus Christus, ihr Sohn, begleitete seine Jünger auf ihren Fischerbooten, stand ihnen in Seenot bei und beruhigte den Sturm. So begleitet auch die Kirche mit der Seefahrt verbundene Menschen, indem sie sich der besonderen geistlichen Bedürfnisse jener Personen annimmt, die sich aus verschiedenen Gründen auf See aufhalten und arbeiten“ 13 - so summiert das Apostolische Schreiben über die katholische Seefahrtsmission „Stella maris“ und ordnet das maritime Bildprogramm biblisch ein. An den deutschen Küsten und auf den Inseln an Nord- und Ostsee gibt es etliche Patrozinien von katholischen Kirchen und Einrichtungen, die den Namen „Stella Maris“, „Maria Meerstern“ o.ä. tragen. 14 Es mag ein Zufall sein, dass sich in der Gebäudewidmung eine Mode niederschlägt, die sich auch in den Gesangbüchern dieser Zeit nachvollziehen lässt. Hermann Kurzke konnte für das Lied Meerstern, ich dich grüße zeigen, dass die lateinische Vorlage für dieses Lied, der Hymnus Ave, maris stella aus dem 8. Jahrhundert, in den Ge‐ sangbüchern vor der Aufklärung anzutreffen ist, dann eine aufklärungsbedingte Pause eintritt und er sich dann wieder in Gestalt des deutschen Liedes in vielen Regionalgesangbüchern der 1930er-Jahre zeigt. 15 Es würde eines grundsätzlichen Blicks auf die Zeit zwischen den Weltkriegen bedürfen, um die These von der Mode „Meerstern“ zu verifizieren. Das Inter‐ esse am marianischen Bildprogramm und die Wiederentdeckung marianischer Lieder fügen sich allerdings ein in das zeitbedingte theologische Interesse an Maria. Das Chorwandbild gibt Zeugnis von einer für seine Zeit hochmo‐ Stella Maris 219 <?page no="220"?> 16 Vgl. Alois M Ü L L E R - Dorothea S A T T L E R , Mariologie, in: Theodor S C H N E I D E R (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd.-2, Düsseldorf 1992, 155-187, hier: 174f. 17 In einer persönlichen Begegnung mit Kirchenvorstand Heribert Solaro nach der Sym‐ bolik der Schiffe befragt, antwortete der Maler, dass es aus purem Zufall zwölf Schiffe geworden seien. Er habe den Kindern, für die er das Bild gemalt habe, die Lebensreise versinnbildlichen wollen. Es mag eine schalkhafte Antwort gewesen sein, die, besieht man sich die Schaffenstiefe seiner sakralen Werke, kaum ernstgemeint gewesen sein dürfte. Vgl. Schreiben von Heribert Solaro an Elmar Siepe vom 28. Oktober 1988, 3. Siepe zweifelt ebenso an der Zufälligkeit der zwölf Schiffe. Vgl. sein Antwortschreiben an Heribert Solaro vom 10. November 1988, 1f. 18 Vgl. Brief Solaro an Siepe, 28. Oktober 1988, 2. 19 Vgl. S E E W A L D , Die Zeit befiehlts (wie Anm. 3), 338f. Leider konnte diese Zurückhaltung aufgrund der miserablen Aktenlage bis 1945 nicht durch das Diözesanarchiv verifiziert werden. 20 Vgl. V O I G T - F L A G G E , Dominikus Böhm (wie Anm. 6), 108. Immerhin wurde das Kunst‐ werk international präsentiert: „Auf der Biennale 1933 in Mailand durfte ich ein letztes Mal meine Zugehörigkeit zur deutschen Kultur sehen, bevor der Nationalsozialismus sie zerstörte. Dort hatte Deutschland nur erlesene Druckerzeugnisse ausgestellt und Fotografien moderner Bauten. Unter den Architekturen stieß ich auf große Aufnahmen des Wandbildes, das ich für Böhms Kirche auf Norderney gemalt hatte.“ Richard S E E W A L D , Der Mann von gegenüber - Spiegelbild eines Lebens, München 1963, 290. dernen Mariologie. Denn in den dreißiger Jahren befinden wir uns noch im so genannten Marianischen Jahrhundert (1850-1950), in dem Fragen wie die unbefleckte Empfängnis Mariens (1854, Pius IX., DH 2800-2804), ihre leibliche Aufnahme in den Himmel (1950, Pius XII., DH 3900-3904) oder auch ihre Miterlöserschaft diskutiert werden und romantische Darstellungen von Mari‐ enköniginnen Hochkonjunktur haben. 16 In diesem Bild ist knapp und präzise eine für seine Entstehungszeit moderne Mariologie zusammengefasst: Maria ist ein Leuchtturm. Sie trägt das Licht, ist aber nicht selbst das Licht. Sie befindet sich inmitten der Zeugen der Auferstehung, ist die Königin der Apostel. Die Schiffe können stellvertretend für die zwölf Apostel gesehen werden. 17 Erstaunlicherweise kam es zum Patronat „Stella Maris“ auf Norderney nicht etwa durch einen Ordinariatsbeschluss des Bistums Osnabrück oder das Wirken eines Ortspfarrers, sondern der Künstler Seewald taufte die Kirche gewisser‐ maßen durch sein Kunstwerk. Am 2. August 1931 wurde die Sommerkirche Böhms wegen des Bildnisses auf das Patronat „Maria stella maris“ geweiht. 18 Während Seewald einen Hinweis darauf gibt, dass die behördlichen kirchli‐ chen Stellen sich wohl verhalten zu dem Kunstwerk geäußert hatten, 19 wurde der Wagemut des für den Kirchenbau verantwortlichen Geistlichen Pastor Fipp in der Kunstwelt anerkennend erwähnt. 20 Die Seewaldsche Maria macht in ihrer Erscheinung einen Unterschied zu Mariendarstellungen ihrer Zeit: Sie thront nicht, ihre Milde wirkt weder süßlich noch unterwürfig. Sie entspricht bis heute 220 Siri Fuhrmann <?page no="221"?> 21 S E E W A L D , S.S. Annunziata=Kapelle in Ronco (wie Anm. 10), 357. 22 Das Zitat aus Ps 97,1 bringt Seewald in seiner Zeit am Lago Maggiore nochmals als Allegorie in Öl auf die Leinwand (o. J.). Vgl. Anton S A I L E R (Hg.), Richard Seewald (1889-1976). Eine Werkauswahl mit zeitgenössischen Würdigungen und Zitaten aus Büchern von Richard Seewald, München 1977, 190. gültigen ästhetischen Schönheitsidealen: eine aparte, nordische Blondine, eine flotte junge Mutter. 3 Maria - ein Meerstern Die Symbolik und Verehrung Mariens als Meeresstern kann bis in die ausge‐ hende Antike zurückverfolgt werden. Beim Kirchenvater Hieronymus findet sich der erste Beleg, dass Maria mit dem Meeresstern identifiziert wird. In der Phase der Latinisierung der Kirchensprache werden auch Eigennamen übersetzt. „Maria“ wird auf Hebräisch „Mirjam“ genannt, was sich zusammen‐ setzt aus Mir = Meer und Jam = Tropfen oder Träne. Lateinisch wird daraus „stilla maris“. Der Meerstern, die „stella maris“, mag schlicht einem „Verhörer“ geschuldet sein. Hier ist nicht an Maria als „stella matutina“ zu denken; nicht der Morgenstern steht Pate. Zu denken ist eher an den Polarstern, das nördlichste helle Gestirn, an dem die Nautiker Peilung nehmen, wenn sie ihren Kurs auf See bestimmen. Maria wird als eine Orientierungsfigur betrachtet, an die man sich im Glauben und in der Lebensführung halten kann, um die Meere des Lebens zu überqueren. Aus einer Selbstauskunft des Malers wissen wir, dass der Ausmalung der Kapelle in Ronco 1936 das Bildprogramm zugrunde lag, unter dem „der erhabene Lobgesang der Lauretanischen Litanei sie begreift; stella matutina, rosa mystica, vas spirituale, turris eburnea, janua coeli, arca foederis, domus aurea.“ 21 Es liegt die Annahme nahe, dass Seewald den Marienhymnus Ave, maris stella und möglicherweise auch die deutsche Liedübertragung, die Marienlitanei Meerstern, ich dich grüße, im Ohr hatte, als er auf Norderney zum Pinsel griff. Dafür spricht der Bild-Code im Zentrum des Bildes. In der Längsachse von Stern, Mutter-Kind-Einheit und Leuchtturm lässt sich der lateinische Hymnus nachvollziehen: „Ave, maris stella“ (1,1) - Maria wird als Meerstern angespro‐ chen, „Meerstern, ich dich grüße“ setzt ja auch die deutsche Übertragung an. Im Zentrum des Bildes wird der Wunsch „monstra te esse matrem“ aus der vierten Hymnenstrophe verwirklicht (V. 1), die anmutige junge Frau wird zur Mutter durch das Kind, das sie trägt. Der Leuchtturm sendet Lichtsignale 22 über die düstere Nordsee und bildet eine Analogie zur Maria, die den Blinden das Licht bringen möge, wie es im Hymnus bittend in der dritten Strophe heißt: „profer Stella Maris 221 <?page no="222"?> 23 Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R , Meerstern, ich dich grüße / Ave maris stella, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Got‐ teslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 754-759, hier: 758f. 24 Vgl. Barbara D E I M L I N G , Sandro Botticelli, Köln 2004; Hans K Ö R N E R , Nackte Körper vor schwarzem Hintergrund. Die Folgen von Sandro Botticellis schaumgeborener Venus, in: Hans K Ö R N E R - Sandra A B E N D (Hgg.), Vor-Bilder. Ikonen der Kulturgeschichte. Vom Faustkeil über Botticellis Venus bis John Wayne, München 2015, 49-73. lumen caecis“ (V. 2). Maria möge den Weg bereiten, wenn wir Christus sehen - „iter para tutum / ut videntes Jesum“ (6,2.3), was im Hinabschreiten der Maria über die Wellen seinen Ausdruck findet. Seewald setzt im Schreiten der Maria auch ein wichtiges Gestaltungsprinzip des Architekten Dominikus Böhm ins Bild: Nicht nur die Stella-Maris-Kirche auf Norderney, sondern etliche der von ihm geschaffenen Sakralgebäude - man denke z.B. an den Dom zu Neviges - spielen mit der Idee, dass die Straße in die Kirche hineinführt, die Bepflasterung sich in den Kirchenraum fortsetzt und dem Menschen, der die Kirche betritt, deutlich wird, dass das Profane und das Sakrale keine Gegenwelten zu sein brauchen. Der Maler nimmt nun diese Raumerfahrung und das Sinnbild des Unterwegsseins mit aufs Meer und mit ins Bild. Der homo viator findet auf seinen Reisen in Maria eine Vorbild- und eine Trostfigur. Sie zeigt, wie das Leben, das einer Seereise gleicht, an Untiefen vorbei und durch Stürme hindurch gelingen kann. 23 So kommt im Bild auch die gegenüber der lateinischen Vorlage veränderte Schlusspointe der deutschen Liedübertragung zur Geltung und führt die Betrachterperspektive in die (eschatologische) Anschauung Christi. „Dass wir Jesum sehen, / o Maria, hilf, / fröhlich vor ihm stehen, / o Maria, hilf! / Maria, hilf uns allen, / aus unserer tiefen Not“ (Str. 7; GL 524). 4 Die Frau aus dem Meer Ikonographisch lässt die Mariengestalt an Sandro Botticellis Geburt der Venus bzw. an ihre Vorstudie, die Venus pudica, denken. Der Bildtypus der Venus findet sein Vorbild in der Darstellung des griechischen Malers Apelles, der grie‐ chischen Mythen folgend die Geburt der Aphrodite als die dem schäumenden Meer entsteigende Göttin skizziert. 24 222 Siri Fuhrmann <?page no="223"?> Abb. 4: Sandro Botticelli, Geburt der Venus, 1485 (Detail aus: Sandro Botti‐ celli---La nascita di Ve‐ nere---Google Art Pro‐ ject---edited.jpg) Abb. 5: Richard Seewald, Stella Maris, 1930, De‐ tail (Foto: Nicole Zimmer‐ mann, Düsseldorf). Die Gestalten von Botticellis Venus und Seewalds Maria haben Gemeinsam‐ keiten in einem anmutigen, gesenkten Blick, einem langen schlanken Hals, blondem, langem, bewegtem Haar und graziösen Füßen, die bis in ihre Position hinein dem florentinischen Gemäldetypus aus dem 15. Jahrhundert gleichen. Die Venus ersteht, oder besser gesagt surft auf der Hälfte einer Jakobsmuschel. Maria schreitet über die Nordsee, die Wellen um sie herum sind etwas dunkler abgesetzt, was an einen Teppich oder eine Treppenanlage denken lässt. Die Venus verkörpert die geistige Liebe und bedeckt ihre Scham durch ihr Haupt‐ haar, den rechten Arm angewinkelt, um auch ihre Brüste zu bedecken; Maria, Sinnbild mütterlicher Liebe, ist hingegen züchtig in marienblau gehüllt, auch sie hat den rechten Arm angewinkelt, allerdings, um ihren Sohn zu präsentieren, der mit regem Blick und aufrechtem Rücken auf ihrer Hand zu thronen scheint. Die nackte Venus verbirgt ihre Scham allein mit ihrem Haar - die Haare werden ihr zum Kleid; die gekleidete Maria sammelt unter ihrem Überwurf, Stella Maris 223 <?page no="224"?> 25 Richard Seewald gibt in der katholischen Zeitschrift „Hochland“ Auskunft über den Anspruch, den er an christliche Kunst richtet und gibt damit auch eine Art Lesehilfe für sein Chorwandbild: „[…] in einem tieferen Sinne darf man freilich sagen, unser Glauben [der Katholizismus] sei poetisch, denn die Poesie hat es in erster Linie mit Bildern zu tun, mit Analogien, und dies ist auch eines der beseligendsten Geheimnisse unserer Religion, daß alles Geschaffene, das Sichtbare wie das Unsichtbare, zuerst real, dann aber Bild ist. Und dies müsste das Kriterium für den katholischen, den christlichen Maler sein, daß er, was immer er male - und es brauchen keineswegs immer ,heilige‘ Dinge zu sein -, sie so male, daß sie einmal real da seien, aber dann zu Sinnbildern erhoben werden. Hier aber klafft unsere Wunde, die Wunde, an der die kirchliche Malerei unserer Tage noch jämmerlicher dahinsiecht als die profane. Sie, der die Verzweiflung ihrer weltlichen Schwester erspart bleibt: nicht zu wissen, was sie darstellen soll; sie scheitert in 99 von 100 Fällen am Wie, weil sie übereifrig, auf zu kurzem Wege auf das Sinnbildliche ausgeht und die Realität der Dinge überspringt. Sie verfällt sofort ins ,Stilisieren‘, um ja das Symbolische deutlich werden zu lassen, drapiert sich fix mit den abgetragenen Kleidern vergangener Kunstepochen und schafft statt Kunst ein jammervolles Kunstgewerbe.“ S E E W A L D , S.S. Annunziata=Kapelle in Ronco (wie Anm. 10), 355. einer Schutzmantelmadonna gleich, die Insel Norderney unter sich. Für die Venus wird eine Schönheit aus Florenz als Modell vermutet. Das Antlitz Mariens lieh nach Aussage von Zeitzeugen eine jugendliche Insulanerin aus der Ortsgemeinde. 5 Unbeschuht Theologische Bezugspunkte findet der Maler im Gang Jesu auf dem Wasser und entwirft ein Gegenbild zum Versuch Petri, über das Wasser zu schreiten (Mt 14,22-33). Es ist Nacht, als Jesus den fischenden Jüngern über das Wasser entgegenkommt. Die Jünger erschrecken, wähnen in Jesus einen Geist. Als sich Jesus zu erkennen gibt, will der eifrige Petrus es ihm nachtun und geht nach einigen Versuchen in seinen Zweifeln unter. Jesus fährt ihn harsch an: „Du Kleingläubiger“. Physikalisch ist es unmöglich, über Wasser zu gehen. Aber hier geht es nicht um Physik. In Petri Gang auf dem Wasser und Untergang wird der Glaube als Nachahmung Jesu auf die Probe gestellt. Richard Seewald lässt Maria über die ungastliche Nordsee schreiten. Be‐ hutsam setzt sie barfüßig ihren Schritt und geht nicht unter. Unbekleidete Füße illustrieren die Verletzlichkeit und auch die Zugänglichkeit einer Person. Maria läuft hier als Gegenentwurf zum zaudernden Petrus erfolgreich über das Wasser. Seewald setzt ins Bild und fasst in der Barfüßigkeit Mariens zusammen, worin die Gottesmutter Maria eine Orientierung sein kann, nämlich, im Vertrauen auf Gott die Wege des Lebens zu gehen. 25 224 Siri Fuhrmann <?page no="225"?> 1 Vgl. Ruth S C O R A L I C K , Trishagion und Gottesherrschaft. Psalm 99 als Neuinterpretation von Tora und Nebiim (Stuttgarter Bibelstudien 138), Stuttgart 1989, 113. In ihrer umfassenden Studie zu Ps 99 hat Ruth Scoralick die ältere Literatur bis zum Ende der 1980er Jahre aufgearbeitet. Zur Literatur s. auch Johannes S C H I L L E R , Bemerkungen zur Analyse und Interpretation von Psalm 99, in: Biblische Notizen 91 (1998), 77-89, hier: 87-89. 2 Les Pseavmes mis en rime Francoise par Clement Marot et Theodore de Beze, Genf 1565. König ist der Herr Psalm 99 und seine Rezeption im Kirchenlied Thomas Hieke 1 Einführung Siebenmal nennt Psalm 99 den Gottesnamen JHWH, siebenmal wird auf JHWH mit dem selbständigen Personalpronomen hûʾ („Er“) oder ʾattâ („Du“) Bezug genommen. Dreimal wird das Bekenntnis qādôš hûʾ („Heilig ist Er“) wiederholt, was an das „Heilig, Heilig, Heilig“ von Jesaja 6 erinnert. Das sind keine Zufälle, sondern zeigt, dass hier ein sorgfältig gestalteter Lobpreistext von hohem künstlerischem Rang vorliegt. 1 Die folgende exegetische Erschließung des hebräischen Textes von Psalm 99 wird noch mehr Hinweise dafür liefern. Psalm 99 erweist sich aber nicht nur als poetisches Kleinod, sondern auch als hochgradig verdichtete Theologie: Der Psalm spricht auf kleinstem Raum und mit nur wenigen Andeutungen zentrale Aspekte biblischer Rede über Gott, das Volk Israel und die Völker sowie über das gegenseitige Verhältnis dieser drei Größen an. Dabei stellt der Psalm nicht nur Gottes königliche Größe und Macht, sondern auch Gottes Wunsch nach Recht und Gerechtigkeit sowie Gottes Anleitung dazu, die Tora, ins Zentrum. Es ist sehr anregend zu verfolgen, wie ein solch poetischer und theologischer Text Nachdichtungen im Kirchenlied erfährt. Dazu untersuche ich exemplarisch zwei Psalmen-Umdichtungen und ihre jeweilige Variation: Im 16. Jahrhundert verfasste Théodore de Bèze ein achtstrophiges Lied im Genfer Psalter, 2 das <?page no="226"?> 3 Ambrosius L O B W A S S E R , Der Psalter deß Königlichen Propheten Dauids, hgg. von Eckhard G R U N E W A L D - Henning P. J Ü R G E N S , Teil 2, Hildesheim u.a. 2004. 4 Hinzu kommt, dass Ansgar Franz mich eingeladen hat, einige Lieder des Mainzer Gotteslob-Diözesanteils zu kommentieren. Diese Zusammenarbeit mit Ansgar Franz ist stets ungemein lehrreich für mich, und ich bin ihm zutiefst dankbar für alle Kollegialität und Freundschaft. - Dr. Christiane Schäfer vom Gesangbucharchiv Mainz danke ich für die vielfältige Unterstützung bei der Materialbeschaffung zu den Kirchenliedern. von Ambrosius Lobwasser ins Deutsche übertragen wurde. 3 Im 20. Jahrhundert erstellte Fritz Enderlin eine knappe Fassung mit drei Strophen (1952), deren Struktur und Rahmenzeilen Maria Luise Thurmair 1971 übernahm, in den Strophen aber inhaltlich etwas andere Akzente setzte. Diese Vorgehensweise - also ausgehend von der exegetischen Erschließung des Psalms in der Hebräischen Bibel die Spuren der Psalmendichtung im Kirchenlied nachzuzeichnen - haben Ansgar Franz und ich mit Studierenden anhand vielfältiger Beispieltexte im gemeinsamen Seminar „Vom Psalm zum Psalmenlied“ (Wintersemester 2019/ 2020) eingeübt. Ich vertiefe nun diesen Prozess anhand von Psalm 99 und hoffe, damit dem Freund und Kollegen eine kleine Freude und allen Interessierten eine Horizonterweiterung zu bescheren. 4 2 Text 2.1 Hebräischer (masoretischer) Text (MT) und Arbeitsübersetzung Psalm 99 (BHS) Arbeitsübersetzung � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 - - - 1 a b c d JHWH ist König. Es zittern die Völker. Er thront auf Kerubim. Es wankt die Erde. תָּ נ֥ וּ ט הָ אָ ֽ רֶ ץ ׃ יְ ֭ ה וָ ה בְּ צִ יּ֣ וֹ ן גָּ ד֑ וֹ ל וְ רָ ֥ ם ה֝ ֗ וּ א ﬠַ ל ־ כָּ ל ־ הָ ֽ ﬠַ מִּ ֽ י ם ׃ 2 - 2 a b JHWH auf Zion ist groß, und erhaben ist Er über alle Völker. � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, gebietenden Namen. und Samuel unter denen, Psalm 99 (BHS) 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 JHWH ist König. Es zittern die Völker. Er thront auf Kerubim. Es wankt die Erde. 2 JHWH auf Zion ist groß, und erhaben ist Er über alle Völker. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 3 Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. Heilig ist Er. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 4 Und die Stärke eines Königs: Recht liebt er. Du hast Aufrichtigkeit gegründet, Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 5 Erhebt JHWH, unseren Gott, und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! Heilig ist Er. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 6 Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, und Er antwortete ihnen. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, 7 In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, die er ihnen gegeben hatte. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 8 JHWH, unser Gott, Du antwortetest ihnen. Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, aber vergeltend ihre Untaten. 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, 9 Erhebt JHWH, unseren Gott, und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, denn heilig ist JHWH, unser Gott. 3 - - 3 a - b Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. Heilig ist Er. � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, � ָ ל ֭ ָ מ ה֣ ָ וה ְ י םי ֑ ִ מּ ַ ﬠ וּ ֣ ז ְ גּ ְ ר ִ י םי ֗ ִ בוּר ֝ ְ כּ ב ֥ ֵ שֹׁ י טוּ ֥ נ ָ תּ ׃ץ ֶ ר ֽ ָ א ָ ה 1 a JHWH ist König. b Es zittern die Völker. c Er thront auf Kerubim. d Es wankt die Erde. לוֹ ֑ ד ָ גּ ןוֹ ֣ יּ ִ צ ְ בּ ה ָ וה֭ ְ י םי ֽ ִ מּ ַ ﬠ ֽ ָ ה־ל ָ כּ־ל ַ ﬠ אוּ ֗ ֝ ה ם ֥ ָ ר ְ ו ׃ 2 a JHWH auf Zion ist groß, b und erhaben ist Er über alle Völker. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, 4 - - - 4 a b c d Und die Stärke eines Königs: Recht liebt er. Du hast Aufrichtigkeit gegründet, Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. 226 Thomas Hieke <?page no="227"?> 5 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 18-22; Erich Z E N G E R , Psalm 99, in: Frank-Lo‐ thar H O S S F E L D - Erich Z E N G E R , Psalmen. Psalm 51-100 (Herders Theologischer Kom‐ mentar zum Alten Testament), Freiburg i.Br. 2000, 691-705, hier: 692. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 5 - - 5 a b c Erhebt JHWH, unseren Gott, und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! Heilig ist Er. אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ 6 - - - 6 a - - b Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, und Er antwortete ihnen. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 7 - - 7 a b bR In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, die er ihnen gegeben hatte. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 8 - - - 8 aV a b c JHWH, unser Gott, Du antwortetest ihnen. Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, aber vergeltend ihre Untaten. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. א ֗ ָ רוֹנ ְ ו לוֹ ֥ ד ָ גּ � ְ מ ֭ ִ שׁ וּ ֣ דוֹי ׃אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק 3 a Preisen sollen sie deinen großen und Furcht gebietenden Namen. b Heilig ist Er. ֮ � ֶ ל ֶ מ ז ֥ ֹﬠ ְ ו ב ֥ ֵ ה ֫ ָ א ט ֪ ָ פּ ְ שׁ ִ מ םי ֑ ִ ר ָ שׁי ֵ מ ָ תּ ְ נ֣ ַ נוֹכּ ה ָ תּ ֭ ַ א ׃ ָ תי ֽ ִ שׂ ָ ﬠ ה ֬ ָ תּ ַ א ׀ב ֤ ֹק ֲ ﬠ ַ י ְ בּ ה ֗ ָ ק ָ ד ְ צ ֝ וּ ט ֥ ָ פּ ְ שׁ ִ מ 4 a Und die Stärke eines Königs: b Recht liebt er. c Du hast Aufrichtigkeit gegründet, d Recht und Gerechtigkeit in Jakob hast Du gemacht. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וי ֗ ָ ל ְ ג ַ ר ם ֥ ֹ ד ֲ ה ַ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ִ ה ֭ ֽ ְ ו אוּ ֽ ה שׁוֹ ֥ ד ָ ק ׃ 5 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder am Schemel seiner Füße! c Heilig ist Er. ל ֵ אוּמ ְ שׁ֭וּ וי ֗ ָ נ ֲ הֹכ ֽ ְ בּ ׀ן ֨ ֹר ֲ ה ַ א ְ ו ה ֤ ֶ שׁ ֘ ֹ מ ה ֗ ָ וה ֝ ְ י־ל ֶ א םיא ֥ ִ רֹק וֹ ֑ מ ְ שׁ י ֣ ֵ א ְ רֹק ְ בּ ׃ם ֽ ֵ נ ֲ ﬠ ַ י אוּ ֣ ה ְ ו 6 a Mose und Aaron unter seinen Priestern, und Samuel unter denen, die seinen Namen anrufen, riefen zu JHWH, b und Er antwortete ihnen. ם ֑ ֶ הי ֵ ל ֲ א ר ֣ ֵ בּ ַ ד ְ י ן ָ נ ֭ ָ ﬠ דוּ ֣ מּ ַ ﬠ ְ בּ וּ ֥ ר ְ מ ָ שׁ ק ֣ ֹח ְ ו וי ֗ ָ תֹ ד ֝ ֵ ﬠ ׃וֹמ ֽ ָ ל־ן ַ ת ֽ ָ נ 7 a In der Wolkensäule sprach er zu ihnen; b sie bewahrten seine Zeugnisse und seine Satzung, bR die er ihnen gegeben hatte. ֮ וּני ֵ ה� ֱ א ה֣ ָ וה ְ י ם ֥ ָ תי ֫ ִ נ ֲ ﬠ ה ֪ ָ תּ ַ א ם ֑ ֶ ה ָ ל ָ תי֣ ִ י ָ ה א ֵ שׂ֭ ֹ נ ל ֣ ֵ א ׃ם ֽ ָ תוֹלי ִ ל ֲ ﬠ־ל ַ ﬠ ם ֗ ֵ קֹ נ ֝ ְ ו 8 aV JHWH, unser Gott, a Du antwortetest ihnen. b Ein tragender/ aufhebender Gott warst du ihnen, c aber vergeltend ihre Untaten. וּני ֗ ֵ ה� ֱ א ה ֤ ָ ו ֘ ה ְ י וּ ֡ מ ְ מוֹ ֽ ר וֹ ֑ שׁ ְ ד ָ ק ר ֣ ַ ה ְ ל וּו ֲ ח ַ תּ ְ שׁ ֽ ִ ה ֭ ְ ו ׃וּני ֽ ֵ ה� ֱ א ה ֥ ָ וה ְ י שׁוֹ ֗ ד ֝ ָ ק־י ֽ ִ כּ 9 a Erhebt JHWH, unseren Gott, b und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, c denn heilig ist JHWH, unser Gott. 9 - - 9 a b c Erhebt JHWH, unseren Gott, und werft euch nieder an seinem heiligen Berg, denn heilig ist JHWH, unser Gott. 2.2 Zu Text und Übersetzung 1b: Das mit „zittern“ übersetzte Verb RGZ bezeichnet eine starke emotionale Erregung, die sich durch erhöhte Körperbewegung ausdrückt. Die Septuaginta (LXX) versteht die Verben modalistisch (also als Jussive) und wählt den Impe‐ rativ ὀργιζέσθωσαν, sie sollen zürnen; dieses Äquivalent geht in die gleiche Richtung. 1d: Das mit „wankt“ übersetzte Verb NûṬ kommt nur hier vor und ist in seiner Bedeutung unklar. Vom Parallelismus zu 1b her und der LXX-Wiedergabe mit σαλευθήτω, „erbeben“, ist ebenfalls an eine heftige Bewegung als Reaktion auf das Thronen Gottes auf den Kerubim zu denken. Im Ugaritischen ist die Wurzel nṭṭ mit der Bedeutung „wanken, schwanken“ belegt. 5 2b: Das groß geschriebene „Er“ übersetzt das selbständige Personalpronomen hûʾ, das im Psalm mehrfach vorkommt, neben 2b noch in 3b, 5c und 6b. Ähnlich markiert das groß geschriebene „Du“ in 4cd und 8a das selbständige Personalpronomen ʾattâ. 2b: Anstelle der Wendung „über alle Völker“ haben wenige Handschriften, die LXX-Handschrift Codex Vaticanus und einige Minuskeln ʾĕlōhîm im Sinne König ist der Herr 227 <?page no="228"?> 6 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 39-40; Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 692; S C H I L L E R , Bemerkungen (wie Anm. 1), 77. 7 Vgl. dazu z.B. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 61-73; Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 693. 8 Vgl. Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 693. 9 Vgl. Thomas H I E K E , Levitikus 16-27 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testa‐ ment), Freiburg i.Br. 2014, 711. von „über alle Götter“ wie in Ps 95,3; 96,4; 97,9. Es könnte sich um eine „aberratio oculi“, eine Fehllesung, von 1b her handeln oder aber eine Anpassung an die genannten Psalmen. Die handschriftliche Bezeugung ist gering. Für den masoretischen Text spricht, dass die Völker unstrittiger Text in 1b sind und daher auch hier gut passen, zumal als Subjekt in 99,3. 6 Gottes Erhabenheit über die Völker wird sehr ähnlich in Ps 113,4 formuliert. 3b, 5c: In diesen Versen wird als Refrain die Wendung qādôš hûʾ, „heilig [ist] Er“ verwendet. Dabei ist nicht ganz eindeutig, worauf sich das selbständige Personalpronomen hûʾ bezieht, wer oder was also „heilig“ ist. Diese Frage muss auf der Ebene der Inhaltsanalyse diskutiert werden. 4a: Für die Auflösung der Fügung wəʿōz melek gibt es viele Vorschläge. 7 Dem masoretischen Text am nächsten kommt die Deutung als einpoliger Nominalsatz: „Und die Stärke eines Königs (besteht darin, dass …)“. Insofern ist 4a gleichsam eine Frage (Worin besteht die Stärke eines Königs? ), die in 4b beantwortet wird: (Das) Recht liebt er 8 (s.-u., Aussagegehalt). 5c: Einige Handschriften, die LXX und die Vulgata gleichen an 9c an und ergänzen ein kî, ὅτι, quia, „denn“. 3 Strukturanalyse 3.1 Grobgliederung Das auffälligste Gliederungssignal von Ps 99 ist das dreimal vorkommende markante Adjektiv qādôš, „heilig“. Es wird plene (mit waw als mater lectionis für das lange ô) geschrieben, wie es üblich ist, wenn damit die Gottheit qualifiziert wird. 9 Zweimal wird es mit dem selbständigen Personalpronomen hûʾ verbunden (3b, 5c), einmal, am Ende, wird lexikalisch ausgedrückt, wer „heilig“ ist (9c). Mit diesem (variierten) Refrain ergeben sich drei Hauptabschnitte: 99,1-3; 4-5; 6-9. Diese Dreiteilung wird durch das dreimalige Vorkommen der Wurzel RûM, „erheben“ (2b, 5a, 9a) unterstützt. Dass die Verse 5 und 9 nahezu wortgleich sind, könnte auch für eine Zweiteilung des Psalms (1-5; 6-9) sprechen. Doch dann würde man dem markanten dreimaligen „Heilig“ nicht gerecht werden. Zudem hätte man das Problem, dass in 99,1-5 zwei doch sehr verschiedene Sphären angesprochen werden: die Völker / die 228 Thomas Hieke <?page no="229"?> 10 So auch Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 694-695, mit Rückgriff auf Joachim J E R E M I A S , Das Königtum Gottes in den Psalmen. Israels Begegnung mit dem kanaanäischen Mythos in den Jahwe-Königs-Psalmen (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 141), Göttingen 1987. Zur Diskussion um Zwei- und Dreiteilung s. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 54-58. Scoralick sieht im ersten Hauptabschnitt die „Einleitung“, die für die folgenden beiden „Strophen“ eine „voranzeigende“ und „generative“ Kraft habe (58). Erde einerseits und Jakob (als Chiffre für das Volk Israel) andererseits. Von daher erscheint die dreiteilige Struktur angemessener. 10 Der Lobaufruf von 3a ist zudem den Aufrufen von 5ab und 9ab durchaus ebenbürtig. Die drei Hauptabschnitte lassen sich thematisch wie folgt fassen: I Die Erhabenheit des Königsgottes auf seinem Kerubimthron über alle Welt II Die vom Königsgott gegründete Ordnung (Recht und Gerechtigkeit „in Jakob“) III Die Bewährung der Ordnung in der Geschichte Israels. 3.2 Feingliederung Der Aufbau jedes der drei Teile ist gleich, was wiederum für die Dreiteilung spricht. Innerhalb jedes Hauptabschnitts lassen sich drei Unterabschnitte und der Refrain ausmachen. Der erste Unterabschnitt spricht vom König (bzw. seiner Gefolgschaft in 6a), der zweite von seiner Größe und worin sie besteht bzw. wie sie sich schon realisiert hat. Der dritte Unterabschnitt ist der aus den vorausge‐ henden Überlegungen resultierende Lobaufruf im Imperativ. Daran schließt sich als Begründung des Lobaufrufs die Aussage über die Heiligkeit an. Erst beim dritten Refrain (9c) begegnet die für die Begründung typische Konjunktion kî, „denn“, sowie der lexematische Ausdruck dessen, der heilig ist ( JHWH). Insofern ist die Verwendung der selbständigen Personalpronomina „Er“ und „Du“ fast wie eine kleine Rätselaufgabe: Wer ist der Angesprochene? Wer ist „heilig“? Der letzte Refrain gibt die Antwort, die schon alle wissen: JHWH, unser Gott. Im Schema kann man die Feingliederung wie folgt illustrieren: 1a 4a (6a) Der König JHWH 1b-2b 4b-d 6b-8c Die Größe des Königs (Erhabenheit, Recht und Vergebung) 3a 5ab 9ab Lobaufruf (Imperativ) 3b 5c 9c Refrain: Heilig ist Er/ JHWH J. Schiller verankert seine Strukturierung dagegen ausschließlich bei der Rede‐ perspektive, die zwischen ER-Rede (99,1-2 / 99,5-7) und Anrede (99,3-4 / 99,8) König ist der Herr 229 <?page no="230"?> 11 S C H I L L E R , Bemerkungen (wie Anm. 1), 83. 12 Vgl. Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 695. 13 S. dazu grundsätzlich u.a. Shawn W. F L Y N N , YHWH is King: The Development of Divine Kingship in Ancient Israel (Vetus Testamentum. Supplements 159), Leiden - Boston 2014; Hans D E W A L D , JHWH herrscht als König (Ps 93,1; 97,1; 99,1). Zur semantischen Wirksamkeit von Grundkategorien des Gottesbildes Altisraels beim Verstehen von Gottesmetaphern (Salzburger exegetische theologische Vorträge 6), Wien - Münster 2016. Flynn unterscheidet zwei Phasen des Gebrauchs der Metapher: eine frühere, die JHWH als Krieger-König zeige (Ex 15,1-18; Dtn 33,5; Num 23,21; Ps 29) und eine spätere, die JHWH als universalen Schöpfer und absoluten König in Jerusalem darstelle (Ps 93; 95-99). abwechsle, wobei die zwei Refrains (99,5 und 99,9) der ER-Rede zuzurechnen seien. Nach je zwei Strophen folge damit ein Refrain. 11 Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass einige der o. g. wichtigen Beobachtungen unberücksichtigt bleiben. 3.3 Besonderheiten in der Struktur Auffällig ist, dass der zweite und der dritte Hauptabschnitt mit nahezu wort‐ gleichen Wendungen abgeschlossen werden (99,5 und 99,9). Die Unterschiede beziehen sich nur auf die jeweiligen Orte, wo man sich zum Lobpreis nieder‐ werfen soll (Schemel seiner Füße bzw. sein heiliger Berg). Diese Orte sind jedoch sachlich identisch und entsprechen dem im ersten Hauptabschnitt lexematisch genannten Zion (99,2a). Somit sind der zweite und der dritte Hauptabschnitt parallelisiert, wobei der dritte den zweiten steigernd weiterführt, erläutert und vertieft: Die Andeutung „in Jakob“ (4d) wird durch einen ausführlichen Rückbezug auf die Geschichte Israels (Mose, Aaron, Samuel) entfaltet. 12 4 Inhaltsanalyse 4.1 Aussagegehalt Der Satz YHWH mālāk („JHWH ist König“) ist eine Metapher, die das Herrschen eines Königs (Wurzel MLK) im menschlichen Bereich auf die Herrschaft JHWHs überträgt. 13 Dabei ist aus der syntaktischen Konstruktion Folgendes abzuleiten: (1) Die Voranstellung des Subjekts JHWH betont, dass es JHWH ist, der als König herrscht, und kein anderer Gott, etwa Marduk von Babylon. (2) Die Verwendung der Afformativ-Konjugation der Wurzel MLK zeigt zum einen, dass JHWH König geworden ist (ingressiver Aspekt), also den Thron bestiegen hat (Inthro‐ nisation). (3) Zum anderen drückt die Verbformation zugleich aus, dass JHWH 230 Thomas Hieke <?page no="231"?> 14 Vgl. Martin L E U E N B E R G E R , Art. Königtum Gottes (AT), in: Das wissenschaftliche Bibel‐ lexikon im Internet (www.wibilex.de), April 2012, hier: 3.2.3.2.1; s. auch S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 22-38. 15 Zum Fußschemel vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 76-78. Die Kombination „sich niederwerfen am Schemel von Gottes Füße“ findet sich nur noch in Ps 137,7. nun dauerhaft als König herrscht (durativer Aspekt). 14 Das König-Sein JHWHs ist „abgeschlossen“ und in dem Sinne auch ewig, als die Inthronisation nicht innerhalb der menschlichen Zeit, sondern vor aller Zeit zu denken ist. YHWH mālāk ist somit wie folgt zu umschreiben: „JHWH ist König (geworden und herrscht nun als König)“. Dieser Satz ist die Themenangabe für den gesamten Psalm. Die folgenden Abschnitte entfalten, worin JHWHs Königsherrschaft besteht, wie sie sich zeigt, wodurch sie besonders qualifiziert wird (Recht und Gerechtigkeit) und wie sich das in der Geschichte Israels bereits gezeigt hat (die positiven Beispiele Mose, Aaron und Samuel, aber auch das Vergelten Gottes, das festgestellt, aber nicht näher ausgeführt wird). In 99,3b und 5c ist in der Wendung „heilig ist Er“ nicht eindeutig, wer oder was „heilig“ ist. Es könnte das vorausgehende maskuline Substantiv im Singular sein: der Name (Gottes) in 99,3, der Schemel seiner Füße in 99,5. Dies ist zunächst und auf der Satzebene grundsätzlich denkbar, denn beispielsweise sagt Ps 111,9, dass der Name Gottes heilig sei. Allerdings wäre die Vorstellung eines heiligen Schemels (99,5) einmalig, 15 und in der LXX kongruieren das Nomen ὑποπόδιον im Neutrum und das folgende ὅτι ἅγιός ἐστιν nicht. Zieht man als erweiterten Refrain auch noch 99,9c heran, wird von der regelhaften Struktur her deutlich, dass mit „heilig“ und dem selbständigen Personalpronomen „Er“ immer JHWH gemeint ist: 2b und erhaben ist Er über alle Völker 3b Heilig ist Er. 5c Heilig ist Er. 6b und Er antwortete ihnen. 9c denn heilig ist JHWH, unser Gott. Insofern setzt der Refrain in Ps 99,3.5.9 den programmatischen Satz des Heilig‐ keitsgesetzes, Lev 19,2, „ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott“, in einen Lobpreistext um. Die Bedeutung der sehr knapp gestalteten Fügung wəʿōz melek mišpāṭ ʾāhēb in 99,4ab ergibt sich auch aus dem Kontext: Der erste Hauptabschnitt stellt JHWH als großen König auf dem Zion über alle Völker heraus. Der zweite Hauptabschnitt präzisiert dann, dass die Stärke eines Königs darin besteht, dass König ist der Herr 231 <?page no="232"?> 16 Vgl. Hubert I R S I G L E R , Einführung in das Biblische Hebräisch I (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 9/ I), St. Ottilien 1978, 161. 17 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 68-69. 18 Dass die „Strophe“ Ps 99,6-9 eine inhaltliche Geschlossenheit aufweist, zeigt S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 81-112, nachvollziehbar auf. er (das) Recht liebt. Fast wirkt die Darstellung wie ein Frage-Antwort-Dialog zwischen Lehrer und Schülern oder Prediger und Gemeinde: (Frage: ) wəʿōz melek - Und die Stärke eines Königs? (Worin besteht sie? ) (Antwort: ) mišpāṭ ʾāhēb - Recht liebt er! Die Afformativ-Konjugation ʾāhēb ist nicht als Vergangenheit zu übersetzen, sondern präsentisch, da es sich bei „lieben“ um ein Affekt-Verb handelt. 16 Die Bestätigung, dass der große König JHWH auf dem Zion Recht liebt, folgt in der preisenden Du-Anrede in 99,4cd. Dabei treten zum Begriff „Recht“ (mišpāṭ) noch die teilweise synonymen Begriffe „Aufrichtigkeit“ (mêšārîm) und „Gerechtigkeit“ (ṣədāqâ) hinzu. „Aufrichtigkeit“ ist ein eher seltenes Wort (19 Belege, v. a. Jesaja, Psalmen, Sprichwörter), das aber Ps 99 mit Ps 96,10 und Ps 98,9 verbindet, wo dieses Wort JHWHs gerechtes Richten gegenüber den Völkern bezeichnet. Damit leiten die drei Begriffe in 99,4cd von den Völkern zu Israel („in Jakob“) über. Recht und Gerechtigkeit hat JHWH „in Jakob gemacht“ - das Allerweltswort „machen“ (Wurzel ʿŚY) zielt auf diese Breite der Bedeu‐ tungen, hat aber auch eine schöpfungstheologische Konnotation. 17 Recht und Gerechtigkeit sind somit Gottes Werk und damit so unleugbar vorhanden wie die Schöpfung. Zugleich ist das „Tun“ von Recht und Gerechtigkeit Kennzeichen des idealen Königs (s.-u., Geprägte Sprache). Die Israelperspektive und das Bestehen von Recht und Gerechtigkeit in Jakob werden im dritten Hauptabschnitt (Ps 99,6-7) anhand des Verweises auf die Geschichte vertieft und bestätigt. Als Garanten für das Funktionieren der von Gott gemachten Rechtsordnung gelten Mose und Aaron sowie Samuel, die mit Gott in Kontakt waren und „Zeugnisse“ (Plural; Singular: ʿēdût) und „Satzung“ (ḥōq) bewahrten - zwei weitere Begriffe für das Recht, diesmal mit der Konnotation der Schriftlichkeit. 18 Dass Mose als „Priester“ angesehen wird, sollte nicht zu sehr verwundern. Zwar ist die „amtliche“ Priesterlinie der Tradition Israels ausschließlich mit Aaron verbunden, doch gehört Mose wie Aaron zum Stamm Levi, und schließlich ist es Mose, der in Lev 8-9 durch sein Tun den priesterlichen Opfergottesdienst inauguriert. Ähnlich großzügig muss man mit Samuel verfahren, der so gar nicht zur Wüstengeneration von Mose, Aaron und der Wolkensäule passen will. Doch die Kombination von Mose und Samuel als große Fürbitter findet sich auch in Jer 15,1 ( Jeremia dagegen 232 Thomas Hieke <?page no="233"?> 19 Zu Ruf und Antwort Gottes s. auch Jes 58,9; 65,24; Jer 33,3; Jona 2,3; Sach 13,9; Ps 3,5; 17,6; 20,10; 27,7; 81,8; 91,15; 99,6; 102,3; 118,5; 119,145; 120,1; 138,3; 1 Chr 21,26. Eher kritisch wird das Verhältnis von Ruf und (nicht ergehender Antwort) verständlicherweise im Buch Ijob gesehen (Ijob 5,1; 9,16; 12,4; 13,22; 14,15). - Die „Wolkensäule“ dürfte hier als poetisches Bild zu verstehen sein, das für die Offenbarung JHWHs an bestimmte Menschen allgemein steht. Wie Mose und Aaron aus der Wolke am Zeltheiligtum im Buch Levitikus die Anweisungen für den Opfergottesdienst bekommen haben, so hat auch Samuel als Diener am Heiligtum in Schilo Instruktionen von JHWH erhalten. Die Person, die Ps 99 gedichtet hat, hat sich die Freiheit genommen, hier mit breitem Pinselstrich auf Grundsätzliches hinzuweisen. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 101, optiert mit Recht für eine „gewisse Freiheit der Interpretation“ und betont (S. 102): „Vielleicht spricht der Text des Psalms etwas weitherziger als Exegeten denken“. - Manfred O E M I N G , „Er thront auf den Kerubim“ - die Verehrung der Königsherrschaft Gottes als Herrschaft des Rechts. Psalm 99, in: Manfred O E M I N G - Joachim V E T T E , Das Buch der Psalmen. Psalm 90-151 (Neuer Stuttgarter Kommentar - Altes Testament 13/ 3), Stuttgart 2016, 70-74, hier: 73, erinnert mit Rückgriff auf Augustinus mit Recht daran, dass Gott auch an dem Menschen Samuel etwas zu reinigen wusste. Trotzdem ist das Gemeinsame der drei Gestalten Mose, Aaron und Samuel nicht, wie Oeming meint, „ihre Sündhaftigkeit“, sondern ihre für Menschen maximal mögliche Gottesnähe, wobei dazu sicher auch die Angewiesenheit auf die Gnade Gottes gehört: Mose, Aaron und Samuel sind wie alle Menschen der Gnadenformel (Ex 34,6-7; Ps 99,8) unterworfen. wird diese Fürbitte untersagt: Jer 14,11). Es geht dem Psalm möglicherweise weniger darum, den drei Gestalten spezifische Funktionen zuzuordnen (Priester, Prophet, Fürbitter). Vielmehr scheint das Gemeinsame, für das die drei stehen, die besondere Nähe zu JHWH zu sein: Bei ihnen funktioniert(e) die Kommuni‐ kation mit JHWH, denn „sie riefen zu JHWH, und Er antwortete ihnen“ (z.B. aus der Wolkensäule). 19 Warum war das so? Weil sie JHWHs „Zeugnisse und seine Satzung“ bewahrten. So werden Mose, Aaron und Samuel zu Vorbildern für das ethische Verhalten Israels als Adressatenschaft. 4.2 Sprechakte Die vorherrschenden Sprechakte in Ps 99 sind zum einen die vielen Feststel‐ lungen ([assertiv-konstativ]), zum anderen die daraus resultierenden bzw. dadurch begründeten Aufrufe zum Lob ([direktiv-positiv]). JHWHs machtvolle Herrschaft über die Erde und alle Völker (einschließlich Israels), JHWHs Heiligkeit und Aufrichtung von Recht und Gerechtigkeit werden zunächst als Aussagen konstatiert. Untergeordnet und begleitend dazu sind damit auch Sprechakte des Lobens ([expressiv-evaluativ-positiv]) und des Beken‐ nens ([kommissiv-initiativ-positiv]) verbunden: Indem man JHWHs machtvolle Herrschaft und JHWHs Gerechtigkeit feststellt, hält man sie auch für richtig und angemessen und bekennt sich zu ihr. Die Lobaufrufe (v. a. 99,5ab und 99,9ab, aber König ist der Herr 233 <?page no="234"?> 20 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 29-32. Zu Details zum Kerubimthroner s. auch Thomas H I E K E , Psalm 80 - Praxis eines Methodenprogramms, St. Ottilien 1997, 346-350. auch 99,3a ) sind zwar grammatikalisch Imperative (bzw. ein Jussiv in 3a), stellen aber schon das Lob selbst dar ([expressiv-evaluativ-positiv]). Der Rückblick in die Vergangenheit ([assertiv-narrativ]) im dritten Hauptteil untermauert die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit auch in der Gegenwart. Diese Perspektive stellt als weiteren begleitenden Sprechakt den Ausdruck der Hoffnung und des Wunsches dar, diese Gerechtigkeit Gottes möge auch im Alltag sichtbar werden ([expressiv-volitiv]). 5 Texttypik 5.1 Geprägte Sprache Die Formel YHWH mālāk ist charakteristisch für die sogenannten „JHWH-Kö‐ nigs-Psalmen“ und begegnet wortgleich in Ps 93,1; 96,10; 97,1 und 99,1 sowie in 1 Chr 16,31 und Ex 15,18. Sachlich gehören noch weitere Stellen hinzu, die JHWH als König (melek) bekennen (z.B. Ps 10,16; 24,8; 47,3; 95,3; 98,6). Die Gruppe der „JHWH-Königs-Psalmen“ folgt auf die wichtigste Schaltstelle im Psalter: der Klage über den Untergang des irdischen Königtums bzw. der Da‐ vidsdynastie in Ps 89 (zugleich Ende von Buch 3 des Psalters). Somit präsentiert die Psalterarchitektur das Königtum Gottes als die (bessere? ) Alternative zum irdischen Königtum. Ein weiteres Element geprägter Sprache ist die Rede vom Kerubimthroner (yōšēb kərûbîm). Dieses Gottesepitheton begegnet (sonst immer mit Artikel havor Kerubim) auch noch in 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2; 1 Chr 13,6; 2 Kön 19,15/ Jes 37,16 und Ps 80,2. Von diesen Stellen her wird die Vorstellung des machtvollen JHWH und seiner Lade sowie die Repräsentanz JHWHs in den Kerubimdarstellungen des ersten Tempels wachgerufen. 20 Doch scheint die Perspektive von Ps 99 weiter zu sein, und vielleicht fehlt deshalb der Artikel: Jenseits von Lade und Tempel weckt Ps 99 die Vorstellung eines über den Welten thronenden Universalgottes. Die Rede vom „Furcht gebietenden“ (Partizip Nifal von YRʾ) sowie „großen“ oder „heiligen“ Namen Gottes in Ps 99,3 findet sich in Variationen auch in Dtn 28,58; Mal 1,14; Ps 111,9. Die dreimalige Nennung des Wortes „heilig“ (qādôš) in Bezug auf Gott verbindet Ps 99 mit dem Trishagion in Jes 6,3. Man könnte Ps 99 als „ein 234 Thomas Hieke <?page no="235"?> 21 Franz D E L I T Z S C H , Biblischer Commentar über die Psalmen, 4., überarbeitete Auflage, Leipzig 1883, 662. 22 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 59-60. 23 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 107-112. Mit Scoralick muss man sich über ältere Vorschläge wundern, die hier große Textschwierigkeiten sehen und nur mit z.T. erheblichen Textänderungen zur Interpretation kommen. Diese Probleme bestehen nicht, wenn man den intertextuellen Bezug zur Gnadenformel entsprechend gewichtet. irdisches Echo des serafischen Trisagions“ 21 bezeichnen. Eine umgekehrte Abhängigkeitsrichtung ist weniger plausibel. Doch Ps 99 ist nicht nur von der Berufungsvision des Jesaja (und dem im Buch Jesaja häufig vorkommenden Gottestitel „der Heilige Israels“) inspiriert, 22 sondern auch vom Programmvers des Heiligkeitsgesetzes (Lev 19,2: „ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott“). Hier wird die Vorstellung von der Heiligkeit JHWHs/ Gottes in einem Lobpreistext verdichtet. Das „Machen“ von „Recht und Gerechtigkeit“ hat einerseits schöpfungstheo‐ logische Konnotationen (s. o., Aussagegehalt), andererseits ist diese Wortkom‐ bination ein typisches Kennzeichen der idealen Könige Israels: David (2 Sam 8,15; 1 Chr 18,14), Salomo (1 Kön 10,9; 2 Chr 9,8), Joschija ( Jer 22,15). Aber auch das in Jes 9,5-6 geborene wunderbare Kind wird im Auftrag JHWHs der Heerscharen die Herrschaft durch Recht und Gerechtigkeit stützen (s. auch Jer 23,5; 33,15). Schließlich ist das Tun von Recht und Gerechtigkeit Aufgabe eines jeden Menschen, der an JHWH glaubt ( Jes 56,1; 58,2; Jer 22,3; Ez 18,5.19.21.27; 33,14.16.19; 45,9; Ps 106,3; Spr 21,3). Dass JHWH selbst Recht und Gerechtigkeit tut, betonen wie Ps 99,4 auch Jer 9,23 (bāʾāreṣ: auf Erden, im Land? ) und Ps 103,6. Ps 99 greift somit eine geläufige Vorstellung auf, nämlich die Sehnsucht nach einer Herrschaft in Recht und Gerechtigkeit sowie einem zwischenmenschlichen Zusammenleben, das davon gekennzeichnet ist, und projiziert einerseits diese Hoffnung auf JHWH ( JHWH möge Recht und Gerechtigkeit auch durchsetzen), fordert aber implizit auch die Umsetzung dessen im Alltag Israels, wie dies Mose, Aaron und Samuel vorbildlich getan haben. Die Formulierungen in 99,8bc rufen die sogenannte „Gnadenformel“ von Ex 34,6-7 auf den Plan: 23 Gott ist einerseits ein „tragender/ aufhebender Gott“ (nōśēʾ in Ex 34,7b und Ps 99,8b im Sinne von „Schuld tragen bzw. aufheben, entfernen“), andererseits ein „vergeltender“ Gott (nōqēm in Ps 99,8c im Sinne von „die Schieflage des Unrechts beseitigen und die gerechte Ordnung wieder‐ herstellen“). Diese Redeweise erinnert an Nah 1,2, wo auch die Gnadenformel im Kontext aufscheint, und sie entspricht (sogar lautlich) der Wendung in Ex 34,7c (wənaqqê lōʾ yənaqqe, „aber er spricht nicht einfach frei“, EÜ). Das König ist der Herr 235 <?page no="236"?> 24 S. dazu auch S C H I L L E R , Bemerkungen (wie Anm. 1), 86. 25 Vgl. dazu Thomas H I E K E , Art. Epiphanie (AT), in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), April 2015. 26 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 34-35. 27 Vgl. Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 693. „Vergelten der Untaten“ zwingt nicht dazu, bei Mose, Aaron und gar Samuel irgendwelche Untaten zu suchen. Vielmehr geht es Ps 99 um das Grundsätzliche: um die durchgehende Erfahrung der Begleitung Israels durch die Zeit vom Exodus bis zu Samuel und darüber hinaus, bei der JHWH sich immer wieder sowohl als vergebend (wie etwa beim „Goldenen Kalb“) als auch strafend (wie etwa mehrfach im Buch Numeri) erwiesen hat. Die beiden Zeilen in Ps 99,8bc thematisieren so auf engstem Raum die bibeltheologische Grundspannung zwischen der vergebenden Barmherzigkeit Gottes einerseits und der strafenden, die rechte Ordnung wiederherstellenden Gerechtigkeit Gottes andererseits. 24 5.2 Gattung Die Gattung des Psalms ist als „Imperativischer Hymnus“ zu bestimmen. Die Grundstruktur von Lobaufruf im Imperativ und folgender, mit kî angeschlos‐ sener Begründung wird in Ps 99 variiert und erweitert, aber nicht grundsätzlich verlassen. Die volle Form findet sich in 99,9ab (Imperativ) und 99,9c (kî, denn), doch auch davor ist dieses Grundmuster durchgehend präsent. 5.3 Motive Das Erzittern der Völker und das Wanken der Erde in Ps 99,1 ruft den Mo‐ tivkomplex „Epiphanie“ bzw. „Theophanie“ auf den Plan. 25 Dabei wird dieser Gedanke - wie so vieles in dem Psalm - nur kurz angedeutet: So wird die Präsenz JHWHs zu Beginn des Gebets sprachlich vergegenwärtigt. 26 Zu diesem Motivkomplex gehört auch die Vorstellung von der Wolkensäule (Ex 33,9; Num 12,5) als sichtbarem Zeichen der Begleitung des Volkes durch JHWH während des Zugs von Ägypten ins Gelobte Land - Ps 99,7 erinnert daran. Das Motiv, dass JHWH (als König) das Recht bzw. die Gerechtigkeit liebt (ʾHB), findet sich mehrfach in der Hebräischen Bibel, vor allem in den Psalmen: Dtn 10,18; Jes 61,8; Ps 11,7; 33,5; 37,28; 99,4. 27 Das Motiv des „Heiligen Berges“ als Ort der Begegnung mit JHWH in Ps 99,9b ist geläufig und oft mit Zion verbunden: Jes 11,9; 27,13; 56,7; 57,13; 65,11.25; 66,20; Jer 31,23; Ez 20,40; 28,14; Joel 2,1; 4,1 (+Zion); Obd 16+17 (+Zion); Zef 3,11; Sach 8,3; Dan 9,16.29; vielfach tritt es in den Psalmen auf (Ps 2,6+Zion; 236 Thomas Hieke <?page no="237"?> 28 Vgl. Thomas H I E K E , Art. Berg, in: Michael F I E G E R - Jutta K R I S P E N Z - Jörg L A N C K A U (Hgg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, 57-62, hier: 62. u.ö.). 28 Es ergibt sich von diesem leichter zu bestimmenden Ort ein inhaltlicher „Reim“ mit Ps 99,5b, dem „Schemel seiner Füße“: Vor beidem soll sich die Adressatenschaft niederwerfen, daher ist anzunehmen, dass es sich um den gleichen Ort handelt. Gemeint ist zunächst der Tempel in Jerusalem auf dem Zion als Ort der Gottesbegegnung in der nachexilischen Zeit des Zweiten Tempels als fundamentum in re. Zugleich aber wird der Tempel nicht explizit genannt, so dass grundsätzlich Raum ist für eine „geistliche“ Deutung, wo und wie immer man sich die Gegenwart Gottes vorstellt. 6 Pragmatik und Entstehungsgeschichte Ps 99 zielt zunächst und zuerst auf den Lobpreis JHWHs als großen König über die ganze Welt. Gründe für diesen Lobpreis sind das Zittern der Völker (99,1b), das Aufrichten von Recht und Gerechtigkeit in Jakob (99,4d) und das gerechte Richten JHWHs im Spannungsfeld von Verzeihen und Vergelten (gerechten Ausgleich schaffen; 99,8bc). Möglich ist diese Größe und dieses machtvolle Handeln JHWHs durch JHWHs grundsätzliche Verschiedenheit von dieser Welt, ausgedrückt im dreimaligen Epitheton „heilig“ (99,3b.5c.9c) - und diese Verschiedenheit ermöglicht zugleich eine Begegnung mit diesem Gott. Diese Kommunikation hat in der Geschichte erfolgreich stattgefunden - dafür stehen Mose, Aaron und Samuel. Im hymnischen Lobpreis schwingt jedoch zweitens auch ein Ausdruck von Hoffnung mit: Wenn JHWH dafür gepriesen wird, Recht und Gerechtigkeit in Jakob gemacht zu haben, und wenn daran erinnert wird, dass bei denen, die JHWHs Zeugnisse und seine Satzung befolgt haben, die Kommunikation funktionierte (Mose, Aaron und Samuel riefen - und JHWH antwortete), dann ist damit die Hoffnung verbunden, dass sich Recht und Gerechtigkeit auch in der Gegenwart der Adressatenschaft verwirklichen mögen. Damit ergibt sich drittens ein subtiler, gleichwohl nicht zu unterschätzender ethischer Appell: Mose, Aaron und Samuel werden zum Vorbild für das Handeln der Adressatenschaft. Auch die zum Lobpreis Aufgeforderten sollen nicht nur preisen, sondern es den großen Gestalten der Vergangenheit Israels gleichtun. Sie sollen Recht und Gerechtigkeit in Jakob und JHWHs Zeugnisse und Satzung bewahren - mit anderen Worten: die Tora befolgen. Insofern verkörpert Ps 99 auf engstem Raum und mit knappen, oft nur andeutenden Formulierungen und Stichwörtern eine Summe nachexilischer König ist der Herr 237 <?page no="238"?> 29 Vgl. S C O R A L I C K , Trishagion (wie Anm. 1), 113-114; Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 697; Mark L E U C H T E R , The Literary Strata and Narrative Sources of Psalm xcix, in: Vetus Testamentum 55 (2005), 20-38, hier: 20-21. Leuchter macht darauf aufmerksam, dass der Psalm auch einige archaische sprachliche Elemente enthält. Seine Rekonstruktion einer ursprünglichen Gestalt von 99,6-8 ist jedoch stark abhängig von anderen unsi‐ cheren Datierungen und damit zu spekulativ. Sie wird dem intertextuellen Bezug zur Gnadenformel nicht gerecht. 30 Vgl. Z E N G E R , Psalm 99 (wie Anm. 5), 696-698. Theologie. Insbesondere der dritte Hauptteil mit der Kombination von Mose, Aaron und Samuel sowie der Rezeption der Gnadenformel legt nahe, dass Ps 99 bereits auf die Komplexe Tora (Gen bis Dtn) und Vordere Propheten ( Jos bis 2 Kön), aber auch die Hinteren Propheten ( Jes 6: Trishagion) zurückzublicken scheint. 29 Die Weltsicht und die Gottesvorstellung dieser Theologie lassen sich wie folgt umschreiben: JHWH ist der König der ganzen Welt, vor ihm zittern alle Völker, doch JHWH hat sich in besonderer Weise Israel zugewandt und der Adressatenschaft Recht und Gerechtigkeit in Gestalt der Tora zukommen lassen. Von den Angesprochenen wird erwartet, dies im Alltag zu realisieren - JHWH wird dies begleiten und auf Verfehlungen souverän reagieren: JHWH wird vergeben, wo nötig, zugleich aber die gerechte Ordnung durch Vergeltung wiederherstellen, also nicht ungestraft lassen. Die Reaktion darauf ist nicht ein kalkulierendes Ausrechnen der Barmherzigkeit Gottes (was absurd wäre), sondern ein demütiges Anerkennen der souveränen Größe JHWHs im Lobpreis. Damit schließt sich der Zirkel von Lobpreis und Ethik, Kult und Ethos, rechtem Verhalten im Gottesdienst und gerechtem Handeln im Alltag. 7 Kontext 7.1 Nachbarpsalmen Ps 99 steht im größeren Zusammenhang der Psalmen 93-100. In diesen Psalmen tritt die Formel „JHWH ist König (geworden und herrscht nun als König)“ mehrfach auf (Ps 93,1; 96,10; 97,1; 99,1). Erich Zenger beobachtet einen kom‐ positorischen Dreischritt an Themen: 30 (a) JHWH ist durch die und seit der Schöpfung König des Kosmos. (b) JHWH offenbart dieses Königtum, dessen Fundament Recht und Gerechtigkeit sind (Ps 94,15; 97,2; 99,4) in und durch Israel und zwar vor dem Forum der Völkerwelt. (c) Die Vollendung von JHWHs Königtum geschieht in einem eschatologischen Gerichtsgeschehen an Israel und den Völkern mit dem Ziel, dass Israel und die Völker JHWHs Königtum anerkennen und preisen (Ps 100 als Gipfelpunkt der Komposition). Ps 99 ist in dieser Bewegung eine Scharnierstelle, die einerseits die Völker-Perspektive 238 Thomas Hieke <?page no="239"?> 31 Vgl. ebd., 704. 32 Vgl. ebd. aus Ps 98 aufnimmt (vgl. Ps 98,9 und 99,1-2), andererseits die Rolle Israels als Ort der mustergültigen Umsetzung von Gottes Weisung nochmals betont (Recht und Gerechtigkeit „in Jakob“, Mose, Aaron und Samuel als Vorbilder für die Befolgung der Weisung JHWHs). Das Heil, das die Völker schauen werden, ist nach Ps 99 die von JHWH am Sinai ergangene Tora - sie soll von Israel vorbildlich erfüllt werden, denn dadurch ist, wie Ps 99,6-8 zeigt, die Kommunikation mit Gott möglich. Aber damit ist Gottes Plan nicht erschöpft, vielmehr soll dieser Weg Israels den Völkern den Weg zum Heil Gottes und zum Heiligtum zeigen, so dass JHWH sein Gericht in Recht und Gerechtigkeit über alle Völker halten kann. Was im eröffnenden Ps 93 nur angedeutet wird, wird durch Ps 99 präzisiert. 31 7.2 Innerbiblische Verbindungen Die Verbindungen, die Ps 99 zu anderen Texten der Hebräischen Bibel aufweist, wurden schon bei den vorausgehenden Schritten angedeutet. Besonders her‐ vorzuheben sind zwei Aspekte. (1) Das dreimalige Auftreten des Adjektivs qādôš, „heilig“ stellt eine Beziehung zum Trishagion von Jes 6 her. Dort singen Serafim-Engel das dreimalige „Heilig“, hier in Ps 99 wird dreimal die Adressa‐ tenschaft, die „Zionsgemeinde“, zum Lobpreis mit der Begründung aufgerufen, dass JHWH „heilig“ ist. Gemeinsam ist beiden Texten die Proklamation der einzigartigen Mächtigkeit des Zionsgottes JHWH inmitten der Völkerwelt und über den gesamten Kosmos. Ps 99 präzisiert nun theologisch, worin diese Macht des großen Königs besteht: JHWH, der König der Welt, liebt Recht und Gerechtigkeit und will dieses Recht durch sein Volk Israel allen Völkern kundtun. 32 (2) Der zweite wichtige intertextuelle Bezug ist das Aufrufen der zwei Teile der Gnadenformel aus Ex 34,6-7. Damit wird präzisiert, was mit dem „Namen“ JHWHs gemeint ist (Ps 99,3a). Ex 34,6 stellt (wie Ps 99,3) den Namen JHWHs voran und beginnt mit dem zweimaligen YHWH YHWH, JHWH ist JHWH - um dann zu zeigen, was diesen Namen qualifiziert: dass JHWH einerseits barmherzig ist, andererseits nicht ungestraft lässt, also nicht tatenlos zusieht, wenn das Recht unter die Räder kommt und die Gerechtigkeit einer Unrechts-Schieflage weicht. Ps 99 ruft dieses souveräne Handeln Gottes in Erinnerung, wenn mit dem Verweis auf Mose, Aaron und Samuel zum Bewahren (Befolgen) der Weisung (Tora) JHWHs aufgefordert wird. Es ist Gottes Plan, mit „Recht und Gerechtigkeit in Jakob“ der Völkerwelt das gerechte Handeln König ist der Herr 239 <?page no="240"?> 33 Zur Melodie vgl. Andreas M A R T I , König ist der Herr. Völker, gebt ihm Ehr, in: Ökumenischer Liederkommentar, Lfg. 4 (2005); Werkbuch zum Gotteslob. III. Sonntage und Herrenfeste im Jahreskreis. Lesejahr A, hg. von Josef S E U F F E R T , Freiburg i.Br. 1975, 122. vorzuführen. Doch Israel wird daran immer wieder scheitern - deswegen muss Gott barmherzig und gnädig sein und die Schuld tragen/ wegnehmen. Andererseits kann das Unrecht nicht das letzte Wort haben, und deswegen wird Gott nicht ungestraft lassen und die Untaten vergelten, also die Rechtsordnung wiederherstellen. 8 Psalm 99 im Kirchenlied Als Beispiele aus der Rezeptionsgeschichte von Psalm 99 werte ich vier Texte aus der Psalterdichtung des 16. Jahrhunderts und der neueren Lieddichtung des 20.-Jahrhunderts in knapper Weise aus. 8.1 Die Dichtung im 16.-Jahrhundert Für den Genfer Psalter (1562) schafft Théodore de Bèze eine Nachdichtung von Psalm 99 im Französischen (Or est maintenant L’Eternel regnant). Dabei werden die drei Hauptteile des Psalms in acht Strophen zu je acht Zeilen gefasst. Diese poetische Grundstruktur wird von Ambrosius Lobwasser in seiner Übertragung ins Deutsche übernommen (s. die Erläuterung weiter unten). Inhaltlich lehnt sich der Text sehr eng an den hebräischen Psalm 99 an. Das Tetragramm JHWH wird mit „L’Eternel“ („der Ewige“), mit „le Seigneur“ („der Herr“) oder „(nostre) Dieu“ („[unser] Gott“) wiedergegeben, so dass das siebenmalige Vorkommen von JHWH in Psalm 99 verloren geht. Auch das auffällige dreimalige qādôš hûʾ, „Heilig ist Er“, hat nicht mehr diesen prominenten Platz. Das Wort „sainct“ („heilig“) begegnet am Ende von Strophe 2, in der Mitte von Strophe 4 und in der Steigerung „tres-saincte“ in der letzten Zeile (Strophe 8). Das Element der Vorlage ist somit aufgegriffen, wird jedoch von einer anderen poetischen Struktur überlagert. Zu diesem französischen Text komponierte Pierre Davantès eine rhythmisch auffällige Melodie, die als „Genf 1562“ die moderne Rezeption bestimmt. 33 Charakteristisch sind die Synkopen (je eine in Zeile 1-3, zwei in Zeile 4). Sie sollen verhindern, dass in die Zeilen eine störende Mittelzäsur eingesungen wird. 240 Thomas Hieke <?page no="241"?> Genfer Psalter Théodore de Bèze 1562 Der Psalter deß Königlichen Propheten Dauids 1573 1. Or est maintenant L’Eternel regnant, - Der Herr herschen thut / Wie ein König gut / Peuples obstinez En soient estonnez: - Das volck sich entsetzt / Er hat sich ge‐ setzt Cherubins sous lui Lui servent d’appui, - Auff ein Cherubim / Es zittern für im Que la terre toute Tremblant le redoute. - Und erschrecket werden Alle leut auff erden. - - - 2. Grand est le Seigneur Assis en honneur- Groß ist Gott der Herr Von gewalt und ehr / Au mont de Sion. Toute nation - Auff dem berg Syon. Alle Nation Le voit haut monté: Dont sera chanté - Ubertrifft er weit / Drumb ihm danckbar seyt / Son grand Nom terrible Et sainct au possible. - Deß nam groß ist freilich / Erschrecklich und heilig. - - - 3. Ce grand Roi tresfort N’aime rien si fort- Dem König von macht Und ehr hoch geacht / Que droit jugement: Droit gouvernement- Unrecht nicht gefelt / Billigkeit er helt / Il a ordonné, Et Jacob mené, - Gut gericht und Recht In Jacobs ge‐ schlecht Par un soin qui dure, En toute droiture. - Hat er wol gehalten / Und stets lassen walten. - - - 4. Sus donc, en ce lieu / Loüez nostre Dieu, - Gott mit lob erhebt / Ehr und preiß ihm gebt / Tous humiliez Tombez à ces pieds, - Bieget ewre knie Für seim schemel hie / Car sainct est son nom. Moyse & Aaron - Heylig ist sein thron / Moyses und Aron Ont bien fait l’office De son sacrifice. - Priester die den Herren Fleissig theten ehren. - - - 5. C’est celui auquel Jadis Samuël - Samuel ein Man Der Gott ruffet an / Adressoit sa voix, Quand tout à la fois - Diese all zumal In not und trübsal / Le peuple crioit, Et son Dieu prioit, - Zu Gott mit gebet Embsig schrien stet / Qui à leur semonce Donnoit sa response.- Und er hört sie geren / Thet sie auch gewehren. - - - König ist der Herr 241 <?page no="242"?> 34 Als weitere Umdichtungen erwähnt M A R T I , König (wie Anm. 33), die Fassungen von Johannes Stapfer (1775) und Matthias Jorrissen (1798) sowie das Schaffhauser Gesangbuch von 1841 und den sogenannten Probeband von 1941. 6. Des nuës des cieux Il parloit à eux, Aus den wolcken rab Er ihn leitung gab / Montrant haut & clair Sa colomne en l’air: - Durch die seul / die ihn In der lufft er‐ schien / Eux aussi gardoient Ses loix, & tenoient - Sie hielten mit fleiß Sein wort und ge‐ heiß / Chere l’ordonnance De son alliance. - Und heilig bunde / Ganz von herzen grunde. - - - 7. O Dieu de nous tous, Tu leur fus si doux,- Und du unser Gott / Erhörst sie in not / Que de les ouïr Et faire jouïr - Sie nicht ubergabst Ihn ihr sünd vergabst De grace & pardon: Toutefois selon - Aus gnad und gedult / Doch von ihrer schuldt Leurs grandes malefices Punissant leurs vices. - Und verbrechung wegen Ihn straff thetst aufflegen. - - - 8. Soit loüé tout haut Nostre Dieu d’enhaut: - Gott den Herren preist / Und ihm ehr beweist / Soit à deux genoux Adoré de vous, - Die knie für ihm biegt / Mit bit ihm an‐ liegt / Au mont qu’il lui plaist: Car c’est lui qui est - Auff dem berg Syon Seiner wohnung fron / Dieu rempli, sans feinte, De gloire tres-saincte. - Da man Gott thut ehre / Heilig ist der Herre. Ambrosius Lobwasser überträgt 1573 den französischen Text ins Deutsche. 34 Lobwasser versieht den Psalm „Dominus regnabit Psal. xcix.“ mit einem sehr passenden Vorspruch: „Dieser Psalm beschreibt die sonderliche gnad / die Gott dem Stamm Abrahe bezeigt hat / das er denselben an kinds stat ange‐ nommen / durch ein Priuilegium / das er ihm soll zugeeignet sein“. Damit wurde vom Dichter erkannt, dass die Verleihung von Recht und Gerechtigkeit in Gestalt der Tora für Israel ein Privileg und die Erwählung zum Sondereigentum Gottes (nach Ex 19,5-6) darstellt. Im Einzelnen geht Lobwasser mit seiner französischen Vorlage nahe am Psalmtext entlang. Das Wort „Kerubim“ (im Hebräischen wie im Französischen ‚Cherubins‘ Plural) deutet er jedoch in Strophe 1 offenbar als Reittier: „Er hat sich gesetzt Auff ein Cherubim“. Die dreiteilige Struktur des Psalms löst Lobwasser im Gefolge von de Bèzes französischer Dichtung in eine achtstrophige Gestaltung auf. Zwar kommt 242 Thomas Hieke <?page no="243"?> 35 RKG 26; aufgegriffen im Katholischen Gesangbuch der Schweiz (KG) 211 sowie im Christkatholischen Gesangbuch 794. das wichtige bedeutungstragende Wort „heilig“ an den entsprechenden Stellen vor, bildet aber nicht mehr einen dreimaligen Refrain. Dies geht so weit, dass der Übergang vom zweiten zum dritten Hauptteil des Psalms (Ps 99,5 und 99,6) in eine Strophe (4) gepackt wird, wenn sich „heylig ist sein thron“ auf „Moyses und Aron“ reimt (im Französischen: „Car sainct est son nom. Moyse & Aaron“). Mit Samuel beginnt eine neue Strophe (5). Bemerkenswert ist, dass das ambivalente Gottesbild von Ps 99,8 (Vergebung und Vergeltung) in Strophe 7 treu wiedergegeben wird: „Und du unser Gott / Erhörst sie in not / Sie nicht ubergabst / Ihn ihr sünd vergabst / Aus gnad und gedult / Doch von ihrer schuldt / Und verbrechung wegen / Ihn straff thetst aufflegen“. 8.2 Die Dichtung im 20.-Jahrhundert Im 20. Jahrhundert scheinen hier Bedenken aufzukommen. In beiden hier betrachteten Dichtungen ist vom Vergelten der Schuld (Untaten) nicht mehr die Rede. Fritz Enderlin schafft für das Gesangbuch der Evangelisch-Reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (RKG) 1952 35 eine knappe dreistrophige Fassung, die Wörter und Wendungen bisheriger Nachdichtungen aufgreift. Es fällt jedoch auf, dass sämtliche Israel-Bezüge ausgespart werden. Damit wird Psalm 99 eine ganz erhebliche inhaltliche Säule genommen. Enderlins Text ist durch diese Auslassung problematisch, ohne dass dahinter möglicher‐ weise eine antijüdische Absicht stecken mag. Dennoch ist diese christliche Israelvergessenheit zu beklagen. Was Enderlins Text bewahrt, ist die dreiteilige Struktur des Psalms mit dem Bekenntnis zur Heiligkeit Gottes. Daraus wird der gleichlautende Refrain aller drei Strophen des Liedes: „Preiset seinen Namen: Er ist heilig. Amen“. In dieser Kürze ist auch die Ambivalenz bewahrt, dass nicht ganz klar ist, wer heilig ist: „der Herr“ oder „sein Name“. Gleichwohl gehen die Variationen von Ps 99,3 (Name), 99,5 (Schemel seiner Füße) und 99,9 (heiliger Berg) durch diesen kurzen Refrain verloren. Gegenüber dem auf Jakob/ Israel bezogenen Privileg der Tora (Zeugnisse, Satzung), das noch Lobwassers Vorspruch so heraushebt, universalisiert Enderlin Gottes gerechtes Handeln: „Allen schafft er Recht: wie dem Herrn dem Knecht. Jeder gilt ihm gleich. Wahrheit heißt sein Reich“ (Strophe 2). Vielleicht ist dieser Gedanke, dass vor Gott alle gleich gelten, für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtiger. Den Bezug zur Vision Jesajas in Jes 6, der in Psalm 99 durch das dreimalige König ist der Herr 243 <?page no="244"?> 36 Ihr Lied von 1971 wird im GL1 im Stammteil aufgenommen (275). In den Stammteil von GL2 schafft es das Lied nicht, aber die Eigenteile Augsburg, Fulda, Nord (Hamburg), Limburg, Bamberg, Ost (Berlin) und Paderborn überliefern es. „heilig“ nur subtil angedeutet ist, macht Enderlin stärker, wenn er in Strophe 1 schreibt: „Um ihn steht und wacht seiner Engel Macht“. Fritz Enderlin (RKG 1952) - Maria Luise Thurmair (GL1, 1971) 1. König ist der Herr. Völker, gebt ihm Ehr.- 1. König ist der Herr. Alle Macht hat er, Um ihn steht und wacht seiner Engel Macht - thront auf Kerubim, alles bebt vor ihm. und vor ihm erhebt alles, was da lebt. - Seines Mantels Saum füllt den Welten‐ raum. Preiset seinen Namen: Er ist heilig. Amen.- Preiset seinen Namen. Er ist heilig. Amen. - - - 2. Allen schafft er Recht: wie dem Herrn dem Knecht. - 2. König ist der Herr. Alles Recht schafft er, Jeder gilt ihm gleich. Wahrheit heißt sein Reich, - gab dem Erdenrund seine Ordnung kund. Kraft, Gerechtigkeit, Treu und Billigkeit. - Alle, Herr wie Knecht, finden gleiches Recht. Preiset seinen Namen: Er ist heilig. Amen.- Preiset seinen Namen. Er ist heilig. Amen. - - - 3. Kommt von nah und fern, lobet Gott, den Herrn. - 3. König ist der Herr. Groß und gut ist er, Beuget eure Knie, tief anbetend hie. - der die Knechtschaft brach, aus der Wolke sprach, Ruft ihn. Er verzeiht in Barmherzigkeit. - der uns Schutz verleiht, Tag um Tag ver‐ zeiht. Preiset seinen Namen: Er ist heilig. Amen.- Preiset seinen Namen. Er ist heilig. Amen. Maria Luise Thurmair greift vieles von Fritz Enderlins Dichtung auf. 36 Markant sind die Kopfzeile „König ist der Herr“, mit der sie nun alle drei Strophen beginnen lässt, die Dreistrophigkeit, die den drei Hauptteilen von Ps 99 ent‐ spricht, und der dreimalige Refrain „Preiset seinen Namen. Er ist heilig. Amen“. Inhaltlich geht Thurmair etwas näher an den Psalmtext heran („thront auf Kerubim, alles bebt vor ihm“). Interessant ist, dass auch hier der Bezug zu Jes 6 ausgebaut wird, aber nicht über die umstehenden Engel, sondern über „Seines Mantels Saum“. Der Gewandsaum Gottes füllt in Jes 6,1 den Tempel, was in der Vorstellung schon eine gewaltige Größe des thronenden Gottes insgesamt weckt. Für Thurmair reicht jedoch der Tempel nicht, zumal es den nicht mehr gibt, daher setzt sie - zeitgemäß am Beginn des Raumfahrtzeitalters - fort mit 244 Thomas Hieke <?page no="245"?> „… füllt den Weltenraum“. Wenn eine solche Aktualisierung gewünscht wird, ist das aus meiner Sicht eine gelungene Übertragung. Thurmair übernimmt von Enderlin auch die Universalisierung der Gerechtigkeit Gottes für alle Menschen und dehnt dies - passend zum Weltenraum und zum Wanken der Erde in Ps 99,1 - auf die Weltordnung aus (Strophe 2): „Alles Recht schafft er, gab dem Erdenrund seine Ordnung kund. Alle, Herr wie Knecht, finden gleiches Recht“. In Strophe 3 überwindet Thurmair die Israelvergessenheit und bringt zwar nicht die Namen Mose, Aaron und Samuel, aber immerhin den Auszug aus Ägypten und die Wolkensäule (Ps 99,7a) ein: „… der die Knechtschaft brach, aus der Wolke sprach“. Aus Ps 99,8 wird nur das Verzeihen übernommen, nicht das Vergelten: „der uns Schutz verleiht, Tag um Tag verzeiht“. Zur Entstehungszeit des Liedes war die Betonung des verzeihenden Gottes sicher ein wichtiges Motiv. Aus heutiger Sicht müsste man doch wieder stärker die Sehnsucht einbringen, dass Gott auch Unrecht vergilt und die Unterdrücker zur Rechenschaft zieht. 9 Rückblick und Ausblick Ich singe das Lied in der Fassung von Maria Luise Thurmair gerne, und ich finde es gut, dass es im Eigenteil meiner Heimatdiözese Bamberg weiterhin zu finden ist (820). Die rhythmisch anspruchsvolle Melodie hat einen tänzerisch-festlichen Charakter und korrespondiert dem Inhalt des Lobpreises des gerechten Königs‐ gottes in stimmiger Weise. Die Strophenstruktur entspricht der feinsinnigen Strukturierung des Psalmtextes in kongenialer Weise. Psalm 99 selbst hat sich als poetisches Kleinod erwiesen, das bei näherer Analyse eine meisterhafte Gestaltung aufweist: Auf kleinstem Raum und mit wenigen Andeutungen wird eine verdichtete Theologie mit expressiven Elementen des Lobpreises, aber auch mit ethisch-appellativen Elementen der Torabefolgung realisiert. Im Blick auf die Menschen weist Psalm 99 sowohl eine universale Völkerperspektive als auch eine besondere Israelperspektive auf, so dass der Gedanke der Erwählung Israels als Vorbild für die Völker und als Wegweiser zum (ge)rechten Leben subtil durchscheint (vgl. Ex 19,5-6). Diese „Heilsgeschichte“ wird im Vorspruch von Ambrosius Lobwasser eigens thematisiert. In der Liedfassung von Maria Luise Thurmair wird sie knapp angedeutet; beim Text von Fritz Enderlin fehlt sie ganz, was ein erhebliches Defizit dieser Fassung darstellt. Nicht nur bei der Bibelauslegung, so lernt man daraus, sondern auch bei der Lieddichtung muss eine Israelvergessenheit überwunden werden. Es muss eine Hermeneutik entwickelt und angewandt werden, die das heilsgeschichtliche „prae“ Israels ernst nimmt. Mose, Aaron und Samuel sind in Psalm 99 eben Zeugen dafür, dass die Verwirklichung eines Lebens nach der Weisung Gottes für Menschen König ist der Herr 245 <?page no="246"?> möglich ist - bei allem Scheitern. Das Volk Israel und das Judentum bis heute sind Zeugen dafür, dass Gottes Plan, den Menschen einen Weg zu einem gerechten und gedeihlichen Miteinander zu zeigen (und zwar über Gottes Weisung und diejenigen, die sie vorbildlich umsetzen), gelingen kann - bei allem Scheitern. Anspruch und Scheitern, Vergeben und Vergelten gehören immer zusammen. Im Blick auf Gott gilt festzuhalten: Gott ist - so Psalm 99 und viele andere biblische Texte - weder untätig, wenn Menschen das gerechte Zusam‐ menleben gelingt, noch untätig, wenn sie daran scheitern. Wenn Schieflagen des Unrechts entstehen, muss Gott auch durch Vergeltung eingreifen - das ist eine Hoffnungsperspektive von Psalm 99, die in den Liedtexten des 20. Jahrhunderts zu kurz kommt. Dort ist etwas einseitig nur vom Verzeihen die Rede. Ist es sehr vermessen, die Ambivalenz von Ps 99,8 doch noch im Gotteslob-Lied von Maria Luise Thurmair hörbar zu machen? Mein Vorschlag für die letzte Zeile wäre: „der die Schuld versöhnt, doch die Untat sühnt“. Das 21. Jahrhundert bedarf wieder mehr der Vorstellung von einem Gott, der bei aller Barmherzigkeit mit königlicher Macht menschliches Fehlverhalten in die Schranken weist. 246 Thomas Hieke <?page no="247"?> 1 Vgl. den Bericht zum Projekt „Chance Kirchengesang“ von Birgit J E G G L E -M E R Z , Vom Buch zum Produktemix. Auf dem Weg zum Nachfolgeprodukt des Kirchengesangbuchs (KG), in: Schweizerische Kirchenzeitung 189 (2021), 280f. [Wiederabdruck in: Musik & Liturgie 146 (2021), Heft 4, 14-16]. „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) Singen im Gottesdienst als Einübung in die Begegnung mit Gott Birgit Jeggle-Merz Die katholische Kirche der Deutschschweiz befindet sich mitten in dem Prozess „Chance Kirchengesang“, dessen Ziel es ist, nicht nur das in die Jahre gekom‐ mene deutschschweizerische „Katholische Gesangbuch“ zu ersetzen, sondern den Kirchengesang insgesamt als Teil der Kirchenerneuerung und -entwicklung zu sehen. 1 Dabei wurden verschiedentlich auch Bedenken geäußert, ob der Gesang im Gottesdienst tatsächlich noch ein probates Mittel sei, um Menschen von heute zu erreichen, und ob es wirklich sinnvoll sei, diese nicht unerhebli‐ chen finanziellen und personellen Mittel in ein solches Projekt zu investieren. Im folgenden Beitrag soll deshalb herausgestellt werden, dass Singen im Got‐ tesdienst eine hohe theologische Bedeutung hat. Dies zeigt sich schon darin, dass bereits in der Heiligen Schrift immer wieder Lieder vorkommen, die in den Erzählsträngen der Heilsgeschichte eine nicht unwichtige Funktion wahrnehmen. Interessant ist, dass einige dieser Gesänge bis heute ihren Platz in der Liturgie haben und dort die Sängerinnen und Sänger in einen ganz ähnlichen Prozess hineinnehmen wie jenen, von dem die Bibel berichtet. Vergleichbares gilt auch für Gesänge, die ganz im Hören auf den Atem der Heiligen Schrift entstanden sind. Ein besonders interessantes Beispiel dafür stellt das Liedgut von Huub Oosterhuis dar, dem in diesem Beitrag deshalb Raum gegeben werden soll. <?page no="248"?> 2 „Musicam sacram“. Instruktion „über die Musik in der Liturgie“ vom 05.03.1967, Nr. 5 (EDIL/ DEL 1,737). 3 „Laudis canticum“. Apostolische Konstitution vom 01.11.1970 (EDIL/ DEL 1,2213). 4 Josef-Anton W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen. Dargestellt am Beispiel des ‚Antwortpsalms‘ in der Messfeier (Studien zur Pastoralliturgie 18), Regensburg 2005, 45. 5 Joseph G E L I N E A U , Chant et musique dans le culte chrétien. Principes, lois et applications, Paris 1962. - Deutsche Ausgabe: Die Musik im christlichen Gottesdienst. Prinzipien, Gesetze, praktische Anwendungen, Regensburg 1965. 1 Singen im Gottesdienst als theologische Größe Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Sacrosanctum Con‐ cilium bezeichnet den Gesang im Gottesdienst als „notwendigen und integrie‐ renden Bestandteil der feierlichen Liturgie“ (SC 112) und sieht es als die „vornehmste Form“ der Liturgie an, „wenn der Gottesdienst feierlich mit Gesang gehalten wird“ (SC 113). Denn: „wenn die Kirche betet, singt oder handelt“, wird „der Glaube der Teilnehmer genährt und ihr Herz zu Gott hin erweckt“ (SC 33), so die Begründung. Wenn bei diesen Aussagen noch der Eindruck aufkommen könnte, es ginge bei der Hochschätzung des Gesangs vor allem um den Aspekt der Feierlichkeit, so stellt die bald nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution von der Ritenkongregation publizierte Instruktion Musicam sacram die theolo‐ gische Bedeutung des Gesangs heraus, wenn dort die gesungene Liturgie als „Vorausbild der himmlischen Liturgie der heiligen Stadt Jerusalem“ 2 bezeichnet wird. Die Apostolische Konstitution Laudis canticum legt noch einmal nach und beschreibt als Ziel des neuen Stundenbuchs, dass das Loblied der Kirche sich verbinde „mit dem Lobpreis, der von den Engeln und Heiligen im Himmel gesungen wird“, und es „jenem vollkommenen Lob, das in alle Ewigkeit dem dargebracht wird, ‚der auf dem Throne sitzt, und dem Lamm‘ (Offb 5,13)“, Tag für Tag näher komme. 3 1.1 Singen im Gottesdienst als Ort der Erfahrung Gottes Im Rahmen gottesdienstlichen Feierns erhält das Singen somit „ekklesiologische Bedeutung als gegenwärtiges und eschatologisches Zeichen der Gemeinschaft des Volkes Gottes“. 4 Vorbereitet wurde diese theologische Sichtweise des Sin‐ gens im Gottesdienst insbesondere durch den französischen Jesuiten Joseph Gelineau, der die Bedeutung des Gesangs in seinem kurz vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils erschienenen Buch „Chant et musique dans le culte chrétien“ 5 aus der Liturgie heraus erhob: Im Gottesdienst gewinne die Stimme eine über die Verlautung von Inhalten hinausreichende Dimension, sie werde 248 Birgit Jeggle-Merz <?page no="249"?> 6 Vgl. G E L I N E A U , Die Musik im christlichen Gottesdienst (wie Anm. 5), 13f. 7 Ebd., 49. 8 Vgl. ebd., 27f. 9 Vgl. Philipp H A R N O N C O U R T , „So sie’s nicht singen, so gleuben sie’s nicht“. Singen im Gottesdienst. Ausdruck des Glaubens oder liturgische Zumutung? , in: Hansjakob B E C K E R - Reiner K A C Z Y N S K I (Hgg.), Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium, Bd.-2 (Pietas Liturgica 2), St. Ottilien 1983, 139-172, hier: 145. 10 H A R N O N C O U R T , „So sie’s nicht singen, so gleuben sie’s nicht“ (wie Anm. 9), 146. zum „Mysterium“ bzw. zum „Sacramentum“, 6 d.h. erst „im gesungenen Vollzug erreicht das Wort [Gottes; BJ] seine Wirksamkeit“. 7 Weil also die Liturgie dem Wort Gottes verpflichtet ist, sei auch dem Gesang gegenüber nonverbalen musikalischen Formen in der Liturgie der Vorzug zu geben. 8 Im Gesang findet die Antwort des Menschen auf die Anrede Gottes einen ganzheitlichen Aus‐ druck, der die Singenden etwas von dem erfahren lässt, was sie kognitiv nur anfangshaft begreifen können. Singen kann verbal Unaussprechliches zur Sprache bringen. 9 Die Erfahrungen, dass Gott ‚Ja‘ zum Menschen sagt, dass er je und je neu seine Rettung anbietet, sind „zwar inhaltlich bestimmt und darum verbal aussagbar, aber als Heilserfahrung haben sie den Menschen in seiner Personmitte getroffen, aus seiner Existenzangst gerettet und ihm Hoffnung erschlossen, und das läßt sich verbal nicht ausdrücken. Diese existentielle Glaubensdimension verlangt nach einer Äußerung, die aus der Personmitte kommt, die die Betroffenheit selbst glaubwürdig äußert und mitteilt, und die, vor dem Hintergrund dieser unzerstörbaren Rettungserfahrung, auch das Leiden an der Schuld und die Angst vor dem Tod als bedrohende Unheilserfahrung nicht verschweigt. So braucht christlicher Glaube den Gesang als adäquates Zeichen für die dankbare Annahme der angebotenen Rettung und für die Gewißheit, in der Gemeinschaft aller Glaubenden auch an der Vollendung schon Anteil zu haben.“ 10 1.2 Die singende Gemeinde als Ort der Gegenwart Gottes Sacrosanctum Concilium betont ausdrücklich, dass Christus in der betenden und singenden Gemeinde gegenwärtig ist (SC 7). Singen im Gottesdienst ist daher auch eine bevorzugte Form der Verwirklichung tätiger Teilnahme im Gottesdienst (vgl. SC 14). „Je mehr […] die Feiernden das Potential des Singens nutzen, um tätig, bewusst und voll, also mit ihrer ganzen Person an der Liturgie teilzunehmen, umso mehr öffnen sie sich der ihnen in der Feier geschenkten göttlichen Gnade, desto tiefer können sie sich vom in der Liturgie gegenwärtigen Gott umwandeln und erneuern lassen, desto intensiver erfahren sie im Singakt selbst die heilende Gegenwart Gottes. Die singende Gemeinde wird so zum „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 249 <?page no="250"?> 11 W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen (wie Anm. 4), 229. - An dieser Stelle kann nicht verifiziert werden, ob Menschen von heute diese postulierten Dimensionen auch tatsächlich so erleben. Es sei aber auf Untersuchungen von Jochen K A I S E R verwiesen, in denen die Bedeutung von Musik im Gottesdienst für das religiöse Erleben von Menschen empirisch erhoben wird: Religiöses Erleben durch gottesdienstliche Musik. Eine empirisch-rekonstruktive Studie (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie 71), Göttingen 2012. Eine zweite empirische Untersuchung ist dem „Singen in Gemeinschaft als ästhetische Kommunikation. Eine ethnographische Studie“ ge‐ widmet ([Systematische Musikwissenschaft], Wiesbaden 2017). Vgl. auch D E R S ., Singen in der evangelischen Kirche als emotionaler und begeisternder Glaubensausdruck: https: / / www.musik-und-gottesdienst.de/ willkommen/ forschungsanliegen/ singen-in-d er-evangelischen-kirche/ (Zugriff am 04.04.2023). 12 Karl A D A M E K , Singen - Die eigentliche Muttersprache aller Menschen, online zugäng‐ lich unter: https: / / karladamek.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 09/ Singen-die-eigentliche -Muttersprache-des-Menschen.pdf (Zugriff am 04.05.2023). 13 Karl A D A M E K , Singen als Lebenshilfe. Zu Empirie und Theorie von Alltagsbewältigung. Plädoyer für eine „Erneuerte Kultur des Singens“, Münster 1996, 83. 14 Ebd., 201f. 15 H A R N O N C O U R T , „So sie’s nicht singen, so gleuben sie’s nicht“ (wie Anm. 9), 143. Ort, wo Gott durch Christus befreiend und erlösend wirkt.“ 11 Kraft des Heiligen Geistes ist die singende Gemeinde also ein Ort der Gegenwart Christi, ein Zeichen für die bleibende Gegenwart Gottes in Welt und Kirche. 1.3 Singen als „eigentliche Muttersprache des Menschen“ Der Musikpsychologe und Gesangsforscher Karl Adamek bezeichnet das Singen als die „eigentliche Muttersprache des Menschen“ 12 und betont die Bedeutung des Singens für das gesunde Leben des Menschen. Das Singen ermögliche eine „Art erkennender Selbstbegegnung“ 13 und habe die Funktion, „kognitive Prozesse im Sinne der Förderung der Selbstreflexion über das eigene bewusste und (noch) unbewusste Erleben auf körperlicher und psychischer Ebene an‐ zuregen“. 14 Phylogenetisch und ontogenetisch ist das Singen älter als das Sprechen. Die Sprache entwickelt sich erst gemeinsam mit der logischen Ver‐ nunft, wohingegen die Entfaltung der musikalischen Verwendung der Stimme mit der „Entfaltung der emotionalen Kapazität“ 15 einhergeht. Sprechen und Singen sind also unterschiedliche Ausdrucksformen des Menschen und nehmen unterschiedliche Funktionen wahr. Während die Sprechstimme in erster Linie als Medium für den sprachlich-gedanklichen Ausdruck dient, also Bedeutungs‐ träger einer Aussage ist, bei der die emotionale Information untergeordnet ist, stellt Singen „ein emotionales Verhalten dar, ist Ausdruck und Kundgabe einer emotionalen Befindlichkeit, die in den gesungenen Worten beschrieben und näher bestimmt wird. Nicht primär das Wort als solchem [sic], sondern der 250 Birgit Jeggle-Merz <?page no="251"?> 16 W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen (wie Anm. 4), 74. 17 G E L I N E A U , Musik im christlichen Gottesdienst (wie Anm. 5), 17. 18 Eine systematische Einführung in den Forschungsstand der Narratologie bietet Sönke F I N N E R N , Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählana‐ lyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28, Tübingen 2010. 19 Norbert L O H F I N K , Das Alte Testament und der christliche Tageslauf. Die Lieder in der Kindheitsgeschichte bei Lukas, in: D E R S ., Im Schatten deiner Flügel. Große Bibeltexte neu erschlossen, Freiburg i.Br. 1999, 218-236. Person, die das Wort singt, gilt die Aufmerksamkeit sowohl beim Hörer als auch beim Singenden selbst.“ 16 Auch Joseph Gelineau betonte diese besondere Qualität des Singens, wenn er das Singen als Zeichen von überquellendem Leben sah: „Wer singt, strömt sich aus, gibt sich hin. Im Gesang, den der Atem formt, der aus dem Herzen kommt und den die Stimme trägt, die nichts zurückhalten, nichts zum Verstummen bringen kann, tritt der Mensch frei aus sich heraus.“ 17 2 Narratologische Entdeckungen In den letzten Jahrzehnten haben die Bibelwissenschaften die narrativen Stil‐ mittel der biblischen Verfasser (und Verfasserinnen) wieder entdeckt. 18 Die Bücher der Heiligen Schrift werden dabei nicht mehr primär nach ihrer Entste‐ hungsgeschichte befragt, sondern vielmehr in ihrer kanonischen Endgestalt wahrgenommen. Dabei kommt in den Blick, dass viele Abschnitte des Alten und Neuen Testaments Erzähltexte sind, so beispielsweise die Erzählungen über die Erzeltern, über Mose, Samuel oder die Könige Israels sowie ebenso die vier Evangelien und die Apostelgeschichte. In vielen dieser biblischen Erzählstränge sind Lieder eingewoben, die dort eine ganz bestimmte Funktion wahrnehmen. 2.1 Lieder in den Erzähltexten des Alten Testaments Auf diesen Umstand, dass Lieder den Erzählstrang unterbrechen, hat insbeson‐ dere Norbert Lohfink hingewiesen. 19 Man denke an • das Lied des Mose und das Siegeslied der Mirjam nach dem Durchzug durch das Schilfmeer: „Singt dem H E R R N ein Lied, / denn er ist hoch und erhaben! / Ross und Reiter warf er ins Meer“ (Ex 15,1-21); • oder an das Lied des Mose vor seinem Tod: „Hört zu, ihr Himmel, ich will reden, / die Erde lausche meinen Worten“ (Dtn 31,30-32,44); • oder an das Siegeslied Deborahs und Baraks: „Dass Führer Israel führten / und das Volk sich bereit zeigte, / dafür preist den Herrn! “ (Ri 5,1-31); „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 251 <?page no="252"?> 20 Ebd., 220f. 21 Ebd., 221. 22 Ebd., 222. 23 Ebd., 223 (Hervorhebungen im Original). • oder an das Loblied der Hanna nach der Geburt ihres Sohnes Samuel: „Mein Herz ist voll Freude über den H E R R N “ (1 Sam 2,1-11); • oder an das Danklied Davids am Ende des Zweiten Samuelbuches: „H E R R , du mein Fels und meine Burg und mein Retter“ (2 Sam 22,1-51); • oder an den Psalm des Propheten Jona im Fisch: „In meiner Not rief ich zum H E R R N / und er erhörte mich“ ( Jona 2,3-10). Lohfink betont, dass das Faktum der Lieder in den Erzählsträngen natürlich immer bekannt gewesen sei, doch habe man darin vor allem einen Schmuck der Erzählung gesehen und kein besonderes Erzählmittel, welches für die Hörenden dieser Erzählung Sinnräume erschließen hilft. Interessanterweise stellt er aber bei der Analyse dieser Lieder fest, dass diese nicht die Handlung vorantreiben, sondern als Ruhepunkte der Handlung fungieren. „Oft befinden sie sich am Ende einer Handlungseinheit, dienen also auch nicht der Spannungserhöhung durch Handlungsstau (‚plot break‘). Ihre Funktion läßt sich am ehesten mit der eines ‚chorus‘ in einem Broadway-Musical vergleichen, der im Idealfall durch die Beifallsstürme des Publikums zu einem ‚show-stopper‘ wird.“ 20 Auffällig ist, dass die vorgestellten Sänger und Sängerinnen alle prophetisch inspiriert sind: „… alle diese Gesänge reißen neue theologische Horizonte auf “. 21 Innerhalb der Erzählung sind diese Lieder Momente von „umfassenderer Enthüllung. Wenn handelnde Personen an Höhepunkten oder Endpunkten der Erzählung ihren Mund zu einem Psalm öffnen, werden sie innerhalb der Geschichte selbst zu Propheten und entschlüsseln die Großzusammenhänge, wobei sie zugleich die Leserschaft in den eigenen Lobpreis hineinziehen.“ 22 Die narratologische Analyse zeigt, dass mit den Gesängen, die die Sänge‐ rinnen und Sänger anstimmen, etwas über Gott ausgesagt wird. Diese Lieder charakterisieren Gott als den, der sich den Menschen zuwendet und sich als rettender Gott erweist. „Hier kommt der Geist über die gerade handelnde Person, und niemand kann Gottes Geist zwingen, zu kommen oder auszubleiben. Wichtig ist allein, daß diese Psalmen einen höheren und umfassenden Erkennt‐ nisgewinn erschließen und zu einer Leserhaltung einladen, die zwar aus dem Interesse am Erzählten kommt, aber nun zur Preisung Gottes wird.“ 23 252 Birgit Jeggle-Merz <?page no="253"?> 24 Ebd., 225. 25 Angelus A. H Ä U ẞ L I N G , Die Bibel in der Liturgie der Tagzeiten, in: D E R S ., Tagzeitenliturgie in Geschichte und Gegenwart. Historische und theologische Studien, hg. v. Martin K L Ö C K E N E R (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 100), Münster 2012, 91-110, hier: 97. 2.2 Lieder im Lukasevangelium Im Neuen Testament ist es insbesondere der Evangelist Lukas, der Lieder in seine Erzählkontexte einbettet. Hier sind es das Lied Mariens bei ihrer Cousine Elisabeth (Lk 1,46-55), der Hymnus des Zacharias nach der Namensgebung für seinen Sohn Johannes (Lk 1,68-79), der Gesang der Engel auf dem Feld nach der Geburt Jesu (Lk 2,14) und der Lobgesang des Simeon bei der Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,29-32). Norbert Lohfink identifiziert für diese Gesänge das gleiche biblische Stilmittel wie im Alten Testament: Die vier Gesänge dienen im Erzählkontext des Lukasevangeliums nicht dazu, die Handlung voranzutreiben. „Solange man das Magnificat, das Benedictus und das Gloria liest, ist die Handlung angehalten. […] Das Nunc dimittis bewegt zwar die Handlung weiter. Es ruft das Erstaunen der Eltern hervor (2,33), und dadurch wiederum wird ein Preis Simeons auf die Eltern des Kindes provoziert, dem sich ein prophetisches Wort der Mutter Jesu anschließt (2,34). Angesichts dieser Parallelisierung fällt jedoch auf, daß Simeons Elternpreis nur erwähnt wird, während sein Gottespreis vorher voll zitiert worden ist. Dadurch wirkt das volle Referat des Nunc dimittis im narrativen Darstellungstakt zumindest nachträglich als Handlungsbremsung.“ 24 Wie im Alten Testament, so erschließen auch die Lieder im Lukasevangelium neue Sinnräume und laden die Lesenden oder Hörenden des Evangeliums ein, sich in die Geschichte des von Gott gewirkten Heils einzugliedern und sich dem Lobpreis anzuschließen. Hier wird ein tief in der Heiligen Schrift verankertes Selbstverständnis deutlich, wonach sich die Bibel nicht als ein abgeschlossenes Buch versteht, sondern als ein lebendiges Angebot Gottes, mit ihm in Begegnung zu treten. In besonderer Weise verwirklicht sich dies, wenn Menschen sich dem Lobpreis der authentischen Zeugen des Heilshandelns Gottes anschließen. In der Geschichte der Liturgie wird es geradezu zu einem Stilgesetz, „sich in die Rolle von Personen zu begeben, an denen, in der Bibel verbürgt, Gott Taten der Rettung und des Heils bezeugte, und die unter diesem Aspekt ausgewählten Geschehensberichte programmatisch zu wiederholen“. 25 Die jetzt Lebenden identifizieren sich als Zeitgenossinnen und Zeitgenossen des Heilshandelns Gottes, „die sie kraft der sakramentalen Wirklichkeit“ sind, indem sie sich in die Rolle der historischen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 253 <?page no="254"?> 26 Vgl. Angelus A. H Ä U ẞ L I N G , Liturgie: Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegenwart, in: D E R S ., Christliche Identität aus der Liturgie. Theologische und historische Studien zum Gottesdienst der Kirche, hg. v. Martin K L Ö C K E N E R - Benedikt K R A N E M A N N - Michael B. M E R Z (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 79), Münster 1997, 2-10, hier: 5. 27 H Ä U ẞ L I N G , Liturgie: Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegen‐ wart (wie Anm. 26), 6f. 28 Vgl. L O H F I N K , Das Alte Testament und der christliche Tageslauf (wie Anm. 19), 227. 29 Hier die drei Cantica des Lukasevangeliums, die in der Tagzeitenliturgie ihren Platz haben, plus das Gloria der Engel auf dem Felde. 30 L O H F I N K , Das Alte Testament und der christliche Tageslauf (wie Anm. 19), 228 (Hervor‐ hebungen im Original). begeben und sich ihre Worte ‚leihen‘, mit denen zu biblischer Ursprungszeit das Heil bezeugt wurde. 26 So nimmt die Liturgie der Tagzeiten die Lieder des Lukasevangeliums auf - das Magnificat im Abendgottesdienst (Vesper), das Benedictus im Morgengottesdienst (Laudes) und das Nunc dimittis in der letzten Hore des Tages (Komplet) -, damit „die Betenden sich selbst als die Zeitgenossen jener Heilstaten identifizieren, deren Konkretion ihnen die Gestalten der Mutter Jesu, des Priesters am Jerusalemer Tempel und Vaters des vor Jesus letzten Propheten, und des greisen Simeon, dessen lebenslanges Warten nun erfüllt ist, durch die Zeiten gültig erweisen“. 27 Lukas stellt Maria, Zacharias und Simeon als vom Geist inspirierte Personen vor, nicht nur über den Inhalt ihrer Lieder, sondern schon durch die vorauslaufenden Kennzeichnungen dieser Personen in der Erzählung selbst: 28 So ist die Situation, in die das Magnificat hineingestellt wird, vom Heiligen Geist geradezu geschwängert, dem Zacharias wird durch ein Wunder die Zunge gelöst (Lk 1,64), und sein Lobpreis wird eingeleitet mit den Worten „er wurde vom Heiligen Geist erfüllt und redete prophetisch“ (Lk 1,67), von Simeon wird sogar dreimal gesagt, dass der Heilige Geist bei ihm am Werk war (Lk 2,25.26.27). Und: Hanna, die ebenfalls Gott preist, ist eine Prophetin (Lk 2,36). In all diesen „Liedern drücken sich nicht menschliche Gefühle aus, sondern göttliche Wirklichkeiten. Wenn die Sänger und Sängerinnen der vier 29 Lieder charakterisiert werden, dann nur als deren Vermittler. Im strengen Sinne charakterisiert wird dagegen der eigentlich Handelnde der ganzen Erzählung: Gott. Er wird in diesen Liedern besungen. Sein Geschichtshandeln kommt zur Sprache. Das entspricht abermals dem Befund in den alttestamentlichen Parallelen.“ 30 254 Birgit Jeggle-Merz <?page no="255"?> 31 Vgl. Huub O O S T E R H U I S , Stilte zingen - verzamelde liedteksten, Utrecht 2018. 32 Vgl. hierzu Ansgar F R A N Z , „Der uns grüßt aus seiner Ferne, der uns ansieht aus der Nähe“. Zu einem „Tafelgebet“ von Huub Oosterhuis, in: Mariano D E L G A D O - Hans W A L D E N F E L S (Hgg.), Evangelium und Kultur. Begegnungen und Brüche (FS Michael Sievernich; Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 12), Stuttgart 2010, 348-356. 2.3 Lieder der Bibel im Gottesdienst Die Bücher der Heiligen Schrift erzählen von konkreten Ereignissen in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie erzählen diese aber nicht als gewesen und vergangen, sondern stellen sie als Paradigmen vor, an denen das Wirken Gottes noch in der Gegenwart identifiziert und von den Glaubenden erkannt werden kann. Im Singen können die Gottesdienstfeiernden sich die Worte der in der Heilsgeschichte so bedeutenden Protagonisten zu eigen machen und sich einüben in das rechte Verhältnis zu Gott. Es ist dann nicht nur Zacharias, der ausruft: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels“, nicht nur Simeon, der bekennt: „denn meine Augen haben das Heil gesehen“, und nicht nur Maria, die lobpreist: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“, sondern der und die Singende kann sich mittels Rollenzitat selbst als der oder die Ausrufende, Bekennende, Gott Lobpreisende erkennen. 3 Huub Oosterhuis: Lieder im Sprachraum der Bibel geboren Von den Hunderten von Liedern und Texten, die der am Ostersonntag 2023 verstorbene niederländische Poet Huub Oosterhuis verfasst hat, hat es nur ein kleiner Bruchteil in die offiziellen deutschsprachigen katholischen Gesangbü‐ cher „Gotteslob“ (D/ A) und „Katholisches Gesangbuch“ (CH) geschafft. 31 Anders in den Niederlanden: Dort hat Huub Oosterhuis mit seinen Liedern und Gebeten die liturgische Praxis maßgeblich geprägt. Es mag auch daran liegen, dass die römisch-katholische Kirche der Niederlande nie ein offizielles Gesangbuch für die Liturgie, das mit dem „Gotteslob“ oder dem „Kirchengesangbuch“ vergleichbar wäre, herausgegeben hat. Cornelis (Kees) Kok, Mitbegründer der Stiftung „Leerhuis & Liturgie“ in Amsterdam, Direktor der Stiftung „De Nieuwe Liefde“ und sozusagen der Sekretär von Oosterhuis, berichtet, dass das Reper‐ toire fast aller von kirchenmusikalischen Vereinen publizierten Gesangbücher mehrheitlich aus der Oosterhuisschen Feder stammt. Es handelt sich dabei nicht nur um strophische Kirchenlieder, die hier Aufnahme gefunden haben, sondern auch um „Psalmodien, gesungene Gebete, auch die umstrittenen eucharistischen ‚tafelgebeden‘ (Tischgebete), 32 gesungene Bibeltexte, Kanons, Akklamationen, „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 255 <?page no="256"?> 33 Cornelis G. (Kees) K O K , Das gesungene Buch. Die liturgischen Lieder von Huub Oosterhuis. Zu seinem 85. Geburtstag, in: Protokolle zur Liturgie 8 (2018/ 2019), 192-202, hier: 201. 34 Alex Stock, der sich intensiv mit der Poesie von Huub Oosterhuis auseinandergesetzt hat, übersetzt näher am Originaltext: „Ich steh vor dir in Leere, arm und bang“ (Alex S T O C K , Stimme, Name, Licht am Morgen. Beten bei Huub Oosterhuis, in: Ulrich W I L L E R S [Hg.], Beten. Sprache des Glaubens. Seele des Gottesdienstes. Fundamentaltheologi‐ sche und liturgiewissenschaftliche Aspekte [Pietas Liturgica 15], Tübingen - Basel 2000, 301-313, hier: 303f., oder D E R S ., Andacht. Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis, St. Ottilien 2011, 55-59). - Im Nachwort zur Liedsammlung „Du bist der Atem meiner Lieder“ bemerkt Peter Pawlowsky: Es haben sich „leider einige von den Urhebern nicht autorisierte Übersetzungen verbreitet. Wie stark aber offenbar der ‚Bedarf ‘ für diese Lieder ist, zeigt sich daran, daß auch einige dieser ‚schwächeren‘ Übersetzungen bereits in das Einheitsgesangbuch Gotteslob übernommen wurden“ (Du bist der Atem meiner Lieder. Gesänge von Huub Oosterhuis und Bernard Huijbers, übertragen von Peter P A W L O W S K Y , Freiburg i.Br. 1976, 86). 35 Die tiefgründige, ganz aus der Heiligen Schrift atmende Litanei von der Gegenwart Gottes (GL 557 / KG 804) wird leider nur selten verwendet. Vgl. dazu Alex S T O C K , Sei hier zugegen. Die „Große Litanei“ von Huub Oosterhuis, in: Liturgisches Jahr‐ buch 55 (2005), 147-155; D E R S ., Andacht (wie Anm. 34), 63-78. - Interessant ist, dass die Deutschschweizer „Wort-Gottes-Feier am Sonntag“ diese Litanei als ersten passenden Gesang zur Bereitung auf das Hören des Wortes Gottes nennt. Vgl. Die Wort-Gottes-Feier am Sonntag, hg. vom Liturgischen Institut in Freiburg i. A. der Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz, Fribourg 2014, 3., aktual. Aufl. Regensburg 2021, 33f. 36 Huub O O S T E R H U I S , Ganz nah ist dein Wort. Gebete, aus dem Niederländischen über‐ tragen v. Peter P A W L O W S K Y , Wien 1967. 37 Huub O O S T E R H U I S , Im Vorübergehn, Wien 1969. 38 [Cornelis G. K O K (Hg.),] Das Huub Oosterhuis Gottesdienstbuch, Freiburg i.Br. 2013. 39 Alex S T O C K , Und die Funken sehe ich: Huub Oosterhuis und seine Poesie in Deutschland, in: Herder-Korrespondenz 68 (2014), 466-470, hier: 470. 40 Huub O O S T E R H U I S , Psalmen, Freiburg i.Br. 2014. große durchkomponierte Gesänge, usw.“. 33 Im deutschen Sprachgebiet kennt man vor allem Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr 34 (GL 422 / KG 544), ein Ge‐ sang, der vielerorts zum festen Repertoire bei Beerdigungen gehört, Herr, unser Herr, wie bist du zugegen (GL 414) oder Wer leben will wie Gott auf dieser Erde (GL 460 / KG 202). 35 In diversen Sammlungen ist jedoch der Schatz der Lieder und Gebetstexte Oosterhuis’ schon seit Ende der 1960er-Jahre auch in deutscher Sprache zugänglich, beginnend mit Ganz nah ist dein Wort  36 (1967) und Im Vorübergehn  37 (1969) bis zu dem „Huub Oosterhuis Gottesdienstbuch“ (2013), das einen „niederländischen Blumengarten von Liedern, Gebeten, Meditationen, Predigten, Litaneien, Akklamationen und Schrifttexte“ 38 bietet, „die geeignet sind, auch die in traditionellen Formen verlaufende Liturgie zu bereichern“, 39 und den „Psalmen“ (2014). 40 Anlässlich seines 85. Geburtstags erschien eine 256 Birgit Jeggle-Merz <?page no="257"?> 41 Wie Anm. 31. - Eine Übersicht über alle lieferbaren Titel bietet https: / / huuboosterhuis.n l/ leverbare-titels/ (Zugriff am 20.04.2023). 42 Cornelis G. (Kees) K O K , Wie weit ist die Nacht? ( Jesaja 21,11-12). Die Nacht in der Bibel und in den Liedern von Huub Oosterhuis, in: Liturgie und Kultur 6 (2015), Heft 3, 17-29, hier: 17. 43 K O K , Das gesungene Buch (wie Anm. 33), 195. 44 Ebd., 197. 45 Huub O O S T E R H U I S , Aandachtig Liedboek. 143 teksten om te zingen en ter overweging, Baarn 1983, 7 (zitiert nach: S T O C K , Stimme, Name, Licht am Morgen [wie Anm. 34], 301f.). - Vgl. auch Alex S T O C K , Gottesfürchtige Andacht - Lieder aus Amsterdam. Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis, in: Theologische Quartalschrift 167 (1987), 45-55; D E R S ., Andacht (wie Anm. 34). 46 Vgl. S T O C K , Stimme, Name, Licht am Morgen (wie Anm. 34), 302. 47 Cornelius G. (Kees) K O K , Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis, in: Heiliger Dienst 64 (2010), 141-148, hier: 142; auch in: D E R S ., Huub Oosterhuis: Dichter des Wortes, in: Liturgie und Kultur 5 (2014), Heft 3, 46-56, hier: 47. - Vgl. auch D E R S ., Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 16 (2002), 76-83. vollständige Sammlung aller Liedtexte von Huub Oosterhuis unter dem Titel „Stilte zingen - verzamelde liedteksten“ (2018). 41 Zwei Aspekte zeichnen die Gebets- und Liedtexte von Huub Oosterhuis in besonderer Weise aus. Zum einen: „Alle Lieder von Huub Oosterhuis sind im Sprachraum der Bibel geboren, auf der Erzähl-Achse von Schöpfung (Genesis) - Befreiung (Exodus) - Auferstehung (Evangelium).“ 42 Und: „Die Lieder und Gesänge mit Texten von Huub Oosterhuis wurden alle geschrieben, um - als integrierter Teil der Liturgie - nicht nur vom Chor oder nur von der Gemeinde, sondern ‚durch Bühne und Saal zugleich‘ (wie Bernard Huijbers es nannte) gesungen zu werden.“ 43 3.1 „Im Respektrand“ 44 der Bibel geschrieben Im Vorwort zur Sammlung „Aandachtig Liedboek“ legte Huub Oosterhuis selbst dar, wie seine Poesie entstand: „Diese Texte sind andächtig geschrieben, d.h. lauschend, horchend auf die Worte der Bibel.“ Sie sind „gemacht aus dem Material biblischer Wörter und Bilder und mit den Psalmen vor Augen“. 45 Die Bücher des Alten und Neuen Testaments sind für Oosterhuis die maßgebliche Ressource seiner Poesie. Er sei Poet als Exeget und als Exeget Poet, so formuliert Alex Stock die Herangehensweise Oosterhuis’. 46 Dabei war ihm dies gar nicht in die Wiege gelegt, denn er hatte erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Bibel für sich entdeckt. „Die ganze Bibel, das ganze Panorama des sogenannten ‚Alten‘ und ‚Neuen‘ Testaments entfaltete sich erst allmählich vor seinem poeto-theologischen Auge“, berichtet Kees Kok. 47 Er lernte die Bibel lesen als ein „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 257 <?page no="258"?> 48 K O K , Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis (wie Anm. 47), 144f. 49 Huub O O S T E R H U I S , Die Spiritualität der Bibel, in: Junge Kirche 70 (2009), 10-14, hier: 14. 50 K O K , Wie weit ist die Nacht? (wie Anm. 42), 17. 51 In deutscher Sprache veröffentlicht in: Huub O O S T E R H U I S , Wort, das trägt. Biblische Lieder und Gebete, Düsseldorf 1990, 12. 52 Alex S T O C K , Das Ausmaß der Schrift. Huub Oosterhuis „Schriftlied“, in: Bibel und Liturgie 64 (1999), 141-146, hier: 142. 53 Vgl. Alex S T O C K , Hierhin, Atem. Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis. Amsterdam 1994, 27. 54 Huub O O S T E R H U I S , Den Fremden liebhaben, in: Rudolf W A L T E R (Hg.), Inspiration für das Leben. Im Dialog mit der Bibel, Freiburg i.Br. 2015, 50-57, hier: 50. „politisches, skeptisches, mystisches, fragendes Buch, das durch keine Dogmatik überboten wird“. 48 Er entdeckte, dass der Sprachraum der Bibel diese geschaffene Welt ist und darin die ganz konkreten Menschen: „In der Sprache der Bibel ist der Lebensatem jedes Menschen ‚heilig‘. Heilig ist ‚Ich werde da sein‘, der ein Gott der Armen und Entrechteten ist. ‚Heilig‘ ist ‚der Ort, wo du stehst‘, ruft die Stimme aus dem Feuer zu Mose, denn an diesem Ort beginnt das Hören des Namens und der Weg der Befreiung, der Nächstenliebe und der universalen Solidarität. ‚Heilig‘ ist dieser Weg.“ 49 Die Schrift spreche nicht in einer anderen Wirklichkeit neben der der jetzt Lebenden, sie spreche nicht über die Vergangenheit, sondern „über gestern, hier und heute und morgen“. Damit kenne die Bibel „keine verlorenen Zeiten und keine verlorenen Menschen, sie sammelt die Zeiten in sich, bringt sie zusammen“. 50 Eine Frucht dieser Lektüre ist das „Schriftlied“: Die chaos schiep tot mensenland - Der Chaos schuf zu Menschenland. 51 Es besingt die Zeit der Schrift, in die der Mensch eingewoben ist: Menschenursprung und Menschenzukunft, dazwischen: Menschentage. Solche Schrift ist „ein Buch der Weltgeschichte vom ersten bis zum jüngsten Tag, ein Buch der Menschheitsgeschichte von der Genesis bis zur Apokalypse. In seinem Weltzeitrahmen ist alles unterzubringen, was sonst noch in und von der Welt aufzuschreiben ist.“ 52 Diesem kleinen Lied vertraut man sich an, schreibt Alex Stock, wenn man es auf seine eigene Stimme übernimmt. 53 So wie in diesem Schriftlied versucht Oosterhuis in seinen Liedern stets eine direkte Verbindung zwischen damals und heute, zwischen der Geschichte Israels, seinem Gott und den jetzt Feiernden herzustellen. „In den Liedern und Erzählungen der Bibel wird das menschliche Leben nicht als unergründliches Geheimnis verherrlicht oder betrauert, sondern als Auftrag und Segen besungen.“ 54 258 Birgit Jeggle-Merz <?page no="259"?> 55 Du bist der Atem meiner Lieder (wie Anm. 34), 83. 56 Vgl. Alex S T O C K , Und die Funken sehe ich (wie Anm. 39), 469. 57 Alex S T O C K , Stimme, Name, Licht am Morgen (wie Anm. 34), 301. - Das Singen hat tatsächlich ältere phylogenetische und ontogenetische Wurzeln als das Sprechen (vgl. z.B. Ernst A. K L U S E N , Singen. Material zu einer Theorie, Regensburg 1989, 59: „Singend sich zu äußern, gehört zu jenem alten Bestand der früh erworbenen und zuletzt sterbenden Inhalte des menschlichen Bewusstseins - im Gegensatz zur Sprache“). Das Singen entsteht also nicht erst aus emphatischer Rede oder gehobenem Sprechen, so W I L L A , Singen als liturgisches Geschehen (wie Anm. 4), 72. 58 Huub O O S T E R H U I S , Ich steh vor dir, Freiburg i.Br. 2004, 137. - Zitat als Einleitung zur Liedsammlung: Huub O O S T E R H U I S , Du Atem meiner Lieder. Hundert Lieder und Gesänge, hg. von Cornelis K O K , Freiburg i.Br. 2009, 9. 59 K O K , Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis (wie Anm. 47), 142f. (Hervorhe‐ bung im Original). 3.2 „daß wir vollströmen mit Lebensatem und schreien endlich geboren“ 55 Die Oosterhuissche Poesie hat ihren Ort nicht in der nachdenklichen Lektüre, sondern in der Liturgie, als Lied gesungen. 56 Das Ideal von Huub Oosterhuis ist eine ganz gesungene (nicht umsungene) Liturgie. Nicht weil eine solche Liturgie feierlicher sei, sondern weil sie etwas fortsetzt, was den Menschen von Anbeginn an ausmacht. Oosterhuis versteht den gemeinsamen „Gesang erwachsener Menschen als Fortsetzung jenes ersten wortlosen Schreis, mit dem wir alle zur Welt gekommen sind. Liturgie als Lebensatemzug“, formuliert Alex Stock. 57 Oder in den Worten Oosterhuis’ selbst: „Singen heißt, sich in ein größeres Ganzes einfügen, mit anderen einstimmen und dabei Worte verwenden, die man allein niemals verwirklichen kann, an die man sich nur gemeinsam mit anderen heranwagt. In einer singenden Gemeinde fühlt man sich trotz aller Zweifel doch wie zu Hause, im Schutz einer heilsamen Anonymität. Das gemeinsam gesungene Lied ist oft ein rechtmäßiges Alibi für die persönliche Ohnmacht des Herzens.“ 58 Es gehe Oosterhuis um eine Liturgie, die ihre Worte und Taten mindestens ebenso sehr auf die Existenzerfahrung von heute wie auf Inhalt und Stil der Tradition abstimmt, so Kees Kok. Denn: „Liturgie ist die lebendige Konfrontation zwischen Tradition und Erfahrung. Aber diese Konfrontation stand faktisch vierhundert Jahre lang still. Sowohl Erfahrung als auch Tradition waren jahr‐ hundertelang sozusagen im Latein eingefroren, in mittelalterlicher Liturgie versteinert, in (privater und öffentlicher) Frömmigkeit und Andacht, und in den letzten Jahrhunderten auch außerhalb der Kirche.“ 59 Von Anfang an war der Gesang für Oosterhuis der wichtigste Gegenstand der Erneuerung. Kees Kok zitiert aus einem unveröffentlichten Vortrag: „Es ist unmöglich, sich einen „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 259 <?page no="260"?> 60 K O K , Das gesungene Buch (wie Anm. 33), 193f. - Ähnlich auch in: D E R S ., Huub Oosterhuis: Dichter des Wortes (wie Anm. 47), 47; D E R S ., Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis (wie Anm. 47), 142. - Vgl. auch D E R S ., The language of liturgy, in: Anton V E R N O O I J (Hg.), Liturgy and muse: the eucharistic prayer (Liturgia contenda 14), Leuven u.a. 2002, 49-62. 61 K O K , Das gesungene Buch (wie Anm. 33), 195. 62 S T O C K , Andacht (wie Anm. 34), 56. Gottesdienst ohne Gesang vorzustellen. Wir brauchen Lieder und Gesänge, die optimal innerhalb der ganzen Liturgie des Wortes und des ‚Tisches‘ [der Eucharistie] funktionieren können, zum Beispiel auch Lieder als eine Art der Erklärung der Schriftlesungen. Wie jeder andere Dichter muss der Verfasser von liturgischen Liedern versuchen, im Gesang das Jetzt, die Stadt, in der wir leben, Mann, Frau, Geburt, Tod, Gutes und Böses zu thematisieren. Es geht um Lieder und Liturgie in der lebendigen Volkssprache, das ist die Sprache, in der wir wohnen, verwurzelt sind, die wir sprechen; in der wir fantasieren und krank sind, Geld verdienen und lieben - eine Sprache, in der unser ganzer Lebensraum zum Ausdruck kommt.“ 60 Deshalb war es Huub Oosterhuis auch so wichtig, dass die Lieder und Gesänge von allen mitvollziehbar sind. Das ist nur möglich, wenn die Melodien aus dem Text heraus entstehen, so „wie auch die Gregorianik entstanden ist: mit erhobener Stimme ‚kantillierte‘ Texte, gegliedert durch einfache melodische Formeln.“ 61 4 Singen im Gottesdienst als Ort der Einübung in die Begegnung mit Gott Seit Anbeginn sind die christlichen Gemeinden singende Gemeinden, die im Singen zum Ausdruck bringen, was sie glauben, wie sie sich im Gegenüber zu Gott verstehen und wie sie ihre Identität wahren können. Im Singen können sich die Feiernden einüben in die Begegnung mit Gott und sich zugleich erleben als solche, die bereits in einer engen Beziehung zu Gott stehen. „Ik sta voor U. Ich - vor - dir“, 62 so drückt Huub Oosterhuis die Dimension aus, die sich im gottesdienstlichen Singen für jede Einzelne und jeden Einzelnen realisiert. Die Feier der Liturgie eröffnet die Chance, sich immer wieder neu in die Wirklichkeit christlicher Existenz einzuüben, gerade weil sie je neu teilhaben lässt an der Wirklichkeit des Heilsmysteriums. In den Liedern und Erzählungen der Bibel wird aufgezeigt, wie dies geschehen kann. Es zeigt sich, dass ohne Lied und 260 Birgit Jeggle-Merz <?page no="261"?> 63 Huub O O S T E R H U I S , Twee of drie. Voor en over kritische gemeenten. Nederlandse kerkgeschiedenis sinds bisschop Bekkers, Baarn 1980 (zitiert nach K O K , Die liturgische Dichtung von Huub Oosterhuis [wie Anm. 47], 146). Gesang die Möglichkeit verkümmert, „sich gegenseitig im Wort der Schrift wiederzuerkennen“. 63 „Schrift, die Menschenzukunft schreibt“ (Huub Oosterhuis) 261 <?page no="263"?> 1 Der Beitrag ist dem Kollegen Ansgar Franz gewidmet, dem der Autor dieser Zeilen seit Langem freundschaftlich verbunden ist. Er hat sich im Rahmen seiner vielfältigen Studien zu Gesangbüchern und zum Kirchenlied unter anderem mit den Litaneien beschäftigt. Ein äußerst ansprechendes Zeugnis davon ist der Beitrag: Ansgar F R A N Z , Namensmeditationen. Alte und neue Litaneien, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 22 (2008), Nr.-2, 36-49. 2 In diesem Artikel werden für die genannten Gesangbücher folgende Abkürzungen verwendet: Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen Die Litaneien im „Gotteslob“ (2013) zwischen Lobpreis, Anrufung und Bitte 1 Martin Klöckener Wer das „Gotteslob“ aus dem Jahr 2013 aufschlägt, begegnet einer erstaunlich großen Zahl von Litaneien. Im Hauptabschnitt II., überschrieben mit „Psalmen, Gesänge und Litaneien“, sind 14 verschiedene Stücke unterschiedlichen Cha‐ rakters aufgeführt. Damit wird den Litaneien als gemeinschaftlichem wie individuellem Gebet eine ansehnliche Bedeutung beigemessen, wenngleich die Andachten, in denen mehrere der Litaneien ihren eigentlichen Sitz im Leben hatten, in vielen Gottesdienstplänen der Gemeinden teilweise oder voll‐ ständig untergegangen sind. In manchen Kreisen hatte man vor einem halben Jahrhundert auch die Litaneien selbst in ihrer überlieferten Gestalt wegen ihrer additiven und repetitiven Elemente und des Verdachts des gedankenlosen Heruntersingens eher für ein Auslaufmodell des christlichen Betens gehalten, das den Anforderungen an einen sich an den Gegenwartsfragen orientierenden Gottesdienst kaum mehr standhalten konnte. Nichtsdestoweniger hatte schon das erste interdiözesane Gesangbuch für das deutsche Sprachgebiet „Gotteslob“ aus dem Jahr 1975 eine große Zahl von Litaneien aufgenommen. Deutlich zu‐ rückhaltender war hingegen das schweizerische „Katholische Gesangbuch“ aus dem Jahr 1998. 2 Wenn das GL 2013 knapp vier Jahrzehnte nach seinem Vorläufer <?page no="264"?> GL 1975 - Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, hg. von den Bischöfen Deutschlands und Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich. Stammaus‐ gabe, Stuttgart 1975, benutzt in der Ausgabe für die Erzdiözese Paderborn, Paderborn 1975; GL 2013 - Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, hg. von den (Erz-)Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen, Stuttgart 2013 (Stammausgabe); benutzt in der Ausgabe für die Diözese Trier, Trier 2013, sowie in der Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Österreichs, Wien 2013; KG 1998 - Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch für die deutschsprachige Schweiz, hg. im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz, Zug 1998; Nachdr. (= 2. rev. Aufl.) 2015. 3 Vgl. die knappen Überblicke über Litaneien allgemein: Balthasar F I S C H E R , Art. Litanies, in: Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique 9 (1976), 865-872; D E R S . - Helmut H U C K E , Litaneien, in: Rupert B E R G E R u.a., Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgie‐ wissenschaft 3), Regensburg 2 1990, 213-217; Balthasar F I S C H E R - Franz Karl P R Aẞ L , Art. Litanei, in: LThK 3 6 (1997), 954-956; zwar teilweise überholt, wegen des zusammenge‐ stellten Materials aber immer noch der Kenntnisnahme wert: Fernand C A B R O L , Art. Litanies, in: Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie 9,2 (1930), 1540-1571. Sehr anregend: Dominik T E R S T R I E P , Litaneien - Weisheit als Gebet, in: Gianluca D E C A N D I A - Philippe N O U Z I L L E (Hgg.), Sancta morum elegantia. Stile e motivi di un pensare teologico. Miscellanea offerta a Elmar Salmann (Studia Anselmiana 177), Rom 2018, 607-623. in erheblich gewandelten kirchlichen und gesellschaftlichen Kontexten den Litaneien abermals besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist dies ein Indiz für die überzeitliche Bedeutung dieser thematisch und gestalterisch vielfältigen Gebetsform sowohl für den Gottesdienst der Kirche als auch das geistliche Leben der einzelnen Getauften. Ebenfalls sind sie aus liturgiegeschichtlicher Perspektive von erheblichem Interesse. 3 In diesem Beitrag wird zunächst eine Einführung in die Gebetsform Litanei gegeben, ehe knapp dargelegt wird, wie es zur Auswahl und Gestalt der Litaneien im GL 2013 kam. Dabei wird das GL 1975 als Vorläufer beigezogen und ebenfalls ein kurzer Blick in das schweizerische Gesangbuch KG 1998 (2015) geworfen. Anschließend werden die einzelnen Litaneien vor ihrem historischen Hintergrund und mit ihren theologisch-spirituellen Charakteristika erläutert. Der klassischen Allerheiligenlitanei wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Eigens behandelt werden zwei Heiligenlitaneien aus den Anhängen des GL 2013 für die Diözese Trier und für die (Erz-)Diözesen Österreichs als teilkirchliche Sonderformen. Im letzten Abschnitt wird nach der Aktualität der Gebetsform Litanei gefragt. 264 Martin Klöckener <?page no="265"?> 4 Vgl. die knappe Darstellung bei Hermann U S E N E R , Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Frankfurt a. M. 3 1948, 335f.; F R A N Z , Namensmedita‐ tionen (wie Anm. 1), 36 mit Beispielen. Unter den zahlreichen religionsgeschichtlichen Studien vgl. zuletzt den Sammelband Witold S A D O W S K I - Francesco M A R S C I A N I (Hgg.), The Litany in Arts and Cultures (Studia Traditionis Theologiae 36), Turnhout 2020. 5 Vgl. T E R S T R I E P , Litaneien (wie Anm. 3), 610-613, mit der anregenden Beschreibung der Wirkung des Litaneigebets nach diesem „Urahn der christlichen Litaneien“ (610): „Beten macht objektiv, indem es hilft, Abstand zur augenblicklichen Situation zu gewinnen. Die litaneiartige Wiederholung wird zu einem Korrektiv: Denk nicht nur an die augenblickliche Not, sondern schau auf das Gesamtbild! Der Beter bekommt ein neues Empfinden für Maß und Proportion“ (611). 6 Ebd., 612. 7 Vgl. F I S C H E R , Litaneien (wie Anm. 3), 214f.; eine gute Zusammenfassung auch bei F R A N Z , Namensmeditationen (wie Anm. 1), 38-42. 1 Litaneien als überzeitliche Gebetsform Litaneiartige Gebete sind bereits aus diversen religionsgeschichtlichen Kon‐ texten der Antike bekannt. Durch vielfältige, eindringliche Anrufungen der Gottheit mit variierenden Namen, oft verbunden mit einem bestimmten Epi‐ theton, ging es darum, dass ein bestimmtes Anliegen erhört wurde. Die wie‐ derholten Anrufungen hatten einen beschwörenden Charakter und sollten die Gottheit gewissermaßen zwingen, im Sinne des Betenden zu handeln. 4 Die jüdisch-christliche Tradition ist mit dieser Gebetsform ebenfalls vertraut, gibt ihr jedoch einen anderen Sinn, was sich besonders im Alten Testament im Ps 136, einer Danklitanei an den Bundesgott des Volkes Israel, aufzeigen lässt. 5 Der Psalm reiht in kurzen Versen die Heilstaten Gottes an seinem Volk, die bei der Schöpfung ansetzen und über zahlreiche Ereignisse aus der Geschichte Israels bis hin zu den aktuell Betenden reichen, die sich mit dem Vers „Der unser gedachte in unserer Erniedrigung …“ (V. 23) selbst in diese Reihe der Lobenden einordnen, aneinander und lässt die teilnehmende Gemeinde jeweils den Kehrvers „denn seine Huld währt ewig“ singen. Es geht um „Schöpfung, Be‐ wahrung und Schutz des Lebens“. 6 Im Ps 136 hat die Litanei den Charakter eines heilsgeschichtlich begründeten Dankgesangs und Lobpreises angenommen. In der Alten Kirche finden sich verschiedene litaneiartige Serien von Namens‐ anrufungen auf biblischem Fundament, die normalerweise als Christuslitaneien gestaltet sind. 7 Dabei kommt zunehmend ein soteriologischer Aspekt zum Vorschein. So werden die Christusanrufungen mit der Lebenswirklichkeit der Menschen, mit ihren Anliegen und Sorgen zusammengebracht und vor Gott hingetragen. Die vielfache Variation eines bestimmten Grundmotivs und die Wiederholung bestimmter Elemente verleihen dem Anliegen besonderen Nach‐ druck; die Betenden sind innerlich und im äußeren Vollzug intensiv beteiligt. Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 265 <?page no="266"?> 8 Vgl. Acta Apostolicae Sedis 1 (1909), 290-292. 9 Vgl. F I S C H E R , Litaneien (wie Anm. 3), 215. 10 Vgl. ebd., 216. 11 Für die Lauretanische Litanei vgl. unten Abschnitt 2.2.7. In der Litanei vom hl. Josef wurden mit Schreiben der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenord‐ nung vom 1. Mai 2021 sieben - so das Dokument (faktisch sind es aber nur fünf) - zu‐ sätzliche Anrufungen eingefügt, die sich auf lehramtliche Texte mehrerer Päpste stützen; vgl. https: / / press.vatican.va/ content/ salastampa/ it/ bollettino/ pubblico/ 2021/ 05/ 01/ 0264/ 00573.html#de (Zugriff am 26.07.2023). Das Liturgische Institut für die deutschsprachige Schweiz in Freiburg hat die Litanei gedruckt und auf der Homepage veröffentlicht; vgl. https: / / www.liturgie.ch/ praxis/ kirchenjahr/ heiligenfeste/ 1909-josef-litanei (Zugriff am 26.07.2023). Zu den beiden weiteren neuen Litaneien vgl. unten Abschnitt 3. Seit dem frühen Mittelalter werden vermehrt auch die Heiligen zu Adressaten solcher Anrufungen (vgl. unten Abschnitt 2.2.1). Vor der Zentralisierung der römischen Liturgie seit dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert kannten die Litaneien, gerade die am weitesten verbreitete Allerheiligenlitanei, viele Ausprägungen, die auf einem gemeinsamen Fundus aufbauten, aber nicht normiert waren und deshalb überaus variantenreich sein konnten. Litaneien eignen sich - je nach ihrem Charakter unterschiedlich - sowohl als Privatgebet als auch in der Liturgie. Dabei misst die Kirche der Allerheili‐ genlitanei und der 1587 päpstlich approbierten Lauretanischen Litanei eine besondere Bedeutung in liturgischen Kontexten bei. Im Jahre 1601 verbot Papst Clemens VIII. mit Ausnahme der beiden genannten alle weiteren Litaneien für den liturgischen Gebrauch, was mit der Sorge um eine zu starke Emotionalität im Gebet zusammenhängen dürfte, die die Texte vieler damaliger Litaneien prägte. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden unter dem Einfluss zeitgenössi‐ scher Frömmigkeitsentwicklungen zwei Christuslitaneien von päpstlicher Seite für den Gebrauch in der Liturgie zugelassen, zum einen die Namen-Jesu-Litanei (1886), zum anderen die Herz-Jesu-Litanei (1899). 1909 approbierte Papst Pius X. die Litanei vom heiligen Josef, 8 1960 kam noch die Litanei vom Kostbaren Blut hinzu. 9 Die heutige kirchliche Gesetzgebung sieht keine Normierung durch den Apostolischen Stuhl mehr vor; vielmehr fallen öffentlich gebrauchte Litaneien normalerweise in die Zuständigkeit der Diözesanbischöfe. 10 Dass in den letzten Jahren der Apostolische Stuhl allerdings Ergänzungen in der Lauretanischen Litanei sowie in der Litanei vom hl. Josef gesamtkirchlich vorgeschrieben und außerdem zwei neue Litaneien veröffentlicht hat, deutet darauf hin, dass er nicht völlig auf den früheren Rechtsanspruch verzichten will. 11 Litaneien sind einfache Formen des Betens, die auch in einer mündlichen Gottesdienstkultur und ohne schriftliche Hilfen von einer großen Zahl von Teilnehmenden leicht mitvollzogen werden können. Die in der Regel gleich‐ 266 Martin Klöckener <?page no="267"?> bleibenden Akklamationen zur Beteiligung der Gläubigen spielen dabei eine zentrale Rolle genauso wie schlichte, eingängige Melodien. Das erlaubt auch ihre Verwendung in Prozessionen, wie zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart zeigen. Durch ihre vielfachen Wiederholungen schaffen Litaneien eine meditative Grundstimmung im Gebet, betrachten ein Mysterium des Glaubens mit variie‐ renden Worten und Rufen unter verschiedenen Blickwinkeln und sind gleich‐ zeitig offen dafür, dass die Teilnehmenden ihre eigenen Anliegen mit in das Gebet hineinnehmen und vertrauensvoll vor Gott bringen können. Zahlreiche Litaneien sind Ausdruck bestimmter Frömmigkeitsformen, die zeitgebunden sein können und Betenden anderer Generationen oder geistlicher Ausrichtung nicht immer in gleicher Weise zugänglich sind. Das zeigt sich bereits bei den genannten Litaneien, die im Laufe der Zeit eine gesamtkirchliche Anerkennung besaßen. Nicht alle von ihnen haben eine echte Relevanz über die Zeiten hinweg behalten. Dass die Litanei dennoch eine überzeitliche Gebetsform ist, wird nicht zuletzt in Neuschöpfungen deutlich, die auch gegenwärtig zu beobachten sind. 2 Die Litaneien im „Gotteslob“ 2013 2.1 Auswahl und Bearbeitung der Litaneien durch die zuständige Arbeitsgruppe Zwischen den Litaneien im GL 1975 und im GL 2013 besteht eine relativ große Kontinuität. Bei der Ausarbeitung des GL 2013 fielen innerhalb der Unterkommission „Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch“ (GGB) die Litaneien in den Aufgabenbereich der Arbeitsgruppe II „Gregorianik / Nichtliedmäßige Gesänge“, die sich ab Juni 2004 auf zahlreichen Sitzungen damit beschäftigte. Dabei wurden einerseits die im GL 1975 vorhandenen Litaneien einer kritischen Prüfung unterzogen. Andererseits wurden weitere, zum Teil neue Litaneien und Litaneimodelle mit in die Überlegungen einbezogen. Die AG II arbeitete mit einer primär kirchenmusikalischen Perspektive, doch verlangte der untrennbare Zusammenhang von Musik und Text bei den Litaneien auch die Beschäftigung mit den Texten. Die Unterkommission reagierte mehrfach auf die Vorlage einzelner Litaneien und verabschiedete sie - mit einigen letzten Änderungs‐ wünschen - im Juli 2010 und Januar 2011. Das GL 1975 weist im Inhaltsverzeichnis eine eigene Gruppe „Litaneien und litaneiartige Gesänge“ aus, von denen die meisten unter den Nummern 762-770 Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 267 <?page no="268"?> 12 Vgl. GL 1975, S. 13. Recht ausführliche Informationen über die Auswahl und die detaillierten Formulierungen der Litaneien finden sich im Bericht der Subkommission V „Litaneien und akklamatorische Gesänge“, verfasst von Franz S C H M U T Z - Josef S E U F F E R T , in: Paul N O R D H U E S - Alois W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht zum Einheitsgesangbuch „Gotteslob“, Paderborn - Stuttgart 1988, 376-395. Hinzuzunehmen sind die Informa‐ tionen zu den einzelnen Liednummern, bes. S.-828-830. 13 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 602. 14 Vgl. ebd., 658. 15 Vgl. ebd., 377. 390. 393. 743. zusammengestellt sind. 12 Einige weitere finden sich in anderen Abschnitten des Gesangbuches. Die AG II sah die aufgeführten Stücke kritisch auf ihre Eignung für das GL 2013 durch. Darüber hinaus hatte sie sich mit anderen litaneiartigen Gesängen sowie diversen Kyrie-Litaneien u.ä. zu befassen, die in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden. Die Litaneien, die in das GL 2013 übernommen wurden, werden unten im Abschnitt 2.2 genauer kommentiert. Zunächst sei aber zusammengestellt, welche Litaneien und litaneiartigen Gesänge aus dem GL 1975 nicht in das GL 2013 übernommen wurden. Der Gesang Lehre uns, Herr, deinen Willen zu tun (GL 1975, Nr. 170), der bei den Gesängen zur Fastenzeit steht und keine Litanei im eigentlichen Sinn ist, 13 wurde nicht in das GL 2013 aufgenommen. Darauf verständigte sich die AG II in einer ihrer ersten Sitzungen, weil der Zusammenklang von Sprache und rhythmischer Gestalt als unzureichend betrachtet und die Komposition insgesamt als schlecht eingeschätzt wurde. Ähnliches gilt für den kurzen Gesang Nr. 280 Preiset den Herrn, denn er ist gut, der im GL 1975 unter „Lob und Dank“ steht. 14 Von den Christus-Litaneien des GL 1975 wurde die aus den frühmittelalter‐ lichen Laudes Hincmari hervorgegangene Litanei Nr. 563, dort überschrieben mit „Lobpreis und Fürbitte“, nicht ins GL 2013 aufgenommen. Im GL 1975 wird die Litanei mit dem Vers Christus gestern, Christus heute, Christus in Ewigkeit eröffnet, woran sich Bitten für Kirche und Welt anschließen; dabei wird die durchgehende Christusorientierung mit Anrufungen an die Heiligen um deren Fürbitte verbunden, ehe in einer Schlussdoxologie die endzeitliche Wiederkunft Christi thematisiert wird. 15 Die AG II hatte sich von Beginn ihrer Arbeit an für die Beibehaltung dieser Litanei ausgesprochen. Kritisch beurteilt wurde der Begriff „Führer“ im 4. Abschnitt („Ihr heiligen Führer der Völker“), den man umformulierte. Zudem wurden zahlreiche Ergänzungen bei den anzurufenden Heiligen und die Bildung neuer Gruppen von Heiligen (z.B. „Den Völkern Europas“) vorgeschlagen, bei denen vor allem Heilige des 20. Jahrhunderts aufscheinen. Bei der Doxologie wurde eine geringfügige melodische Anpassung gewünscht. Eine Vorlage mit diesen Änderungen wurde von der AG II schließ‐ 268 Martin Klöckener <?page no="269"?> 16 Vgl. Protokolle der Sitzungen vom 10./ 11. Februar 2005 in Fulda, TOP 6, vom 17.- 19.11.2005 ebenfalls in Fulda, TOP 6, sowie vom 7.-9.1.2009 in der Akademie Hohen‐ heim, Stuttgart, TOP 7. 17 Vgl. Protokoll der 18. Sitzung der Unterkommission vom 13.-14.7.2010. 18 Verfasst von Cordelia Spaemann für das GL 1975; vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 385. 389. 391. 393. 828. 19 Vgl. Protokolle der Sitzungen vom 10./ 11. Februar 2005 in Fulda, TOP 6, und vom 12.-14. September 2005 in Salzburg. 20 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 380. 385f. 389-392. 829. Zur Namen-Jesu-Litanei vgl. knapp T E R S T R I E P , Litaneien (wie Anm. 3), 619-621 sowie die ausführlichere Darstellung von Carl K A M M E R , Die Litanei von allen Heiligen, die Namen-Jesu-Litanei, die Josefs-Litanei, Innsbruck 1962. 21 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 380. 383. 385-388. 390. 392. 829. 22 So das Protokoll der Sitzung vom 12.-14. September 2005 in Salzburg, TOP 5. lich verabschiedet 16 und ebenfalls von der Unterkommission bestätigt. 17 Warum die Litanei doch nicht im GL 2013 erscheint und zu welchem Zeitpunkt dies von wem entschieden wurde, lässt sich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nicht klären. Ebenso fehlt im GL 2013 die Namen-Gottes-Litanei (GL 1975, Nr. 763 und KG 1998, Nr. 803), 18 die keine Litanei im klassischen Sinn ist und auch nicht vertont wurde, sondern in einer kurzen Einführung als „Gebetstext“ und „Betrachtung, bei der man am besten nach den einzelnen Abschnitten kurze Zeit Stille hält“, bezeichnet wird. Nach Auffassung der AG II lag die Zuständigkeit bei der AG V, die sich mit den Gebetstexten befasste; sie bemerkte aber gleichzeitig, dass der Text und seine Aufteilung den Rahmen einer Litanei sprenge. Außerdem hin‐ terfragte man bestimmte Passagen, besonders im Abschnitt 763,3. 19 Die kritische Bewertung setzte sich offenbar durch, so dass man auf diesen litaneiartigen Gebetstext verzichtete. Ebenso wurde die vor allem mit biblischen Bildern und Aussagen arbeitende Jesus-Litanei (GL 1975, Nr. 765), die auf Grundlage der Namen-Jesu-Litanei erstellt worden war, 20 nicht in das GL 2013 integriert. Die AG II sah eine große inhaltliche Nähe zu GL 1975, Nr. 564 sowie anderen Litaneien. Deswegen empfahl sie den Verzicht auf die Jesus-Litanei; tatsächlich enthält das GL 2013 mehrere andere Jesus-/ Christus-Litaneien (s. unten Abschnitt 2.2.5). Schließlich fehlt im GL 2013 die Litanei vom heiligsten Sakrament (GL 1975, Nr. 767). 21 Die AG II positionierte sich von Beginn an dahingehend, dass die Litanei zu wenig bildhaft, im letzten Teil zu moralisierend, gleichsam eine „Pädagogisierung des Numinosen“ sei. 22 Außerdem rechnete man mit Wechsel‐ gebeten im Andachtsteil, die eine ähnliche Funktion erfüllten. Man verständigte sich allerdings auf die Suche nach einer alternativen Sakramentslitanei, die im Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 269 <?page no="270"?> 23 Vgl. auch unter den Andachten, besonders Nr. 675,8 und 676,1 mit litaneiartigen Gebeten zur Eucharistieverehrung. 24 Im GL 1975 unter Nr. 762. In einer stark gekürzten Fassung findet sie sich auch für die Osternacht unter Nr. 210. Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 380. 382f. 385-390. 623. 828. In der Langfassung Nr. 762 wurden keine spezifischen Heiligen des deutschen Sprachgebiets berücksichtigt; wohl wird darauf hingewiesen, dass „Tagesheilige, Patrone, Landesheilige, Bistumsheilige“ eingefügt werden können. Das KG 1998 bietet die Litanei unter Nr. 802, außerdem in einer gekürzten, gegenüber dem GL 1975 aber deutlich ausführlicheren Version ebenfalls für die Osternacht (Nr. 430) mit zahlreichen für die Schweizer Diözesen charakteristischen Heiligen, die in der Langfassung Nr. 802 als eine kompakte Gruppe am Ende der Heiligenanrufungen stehen: Bruder Klaus (Landespatron, Ranft und Sachseln), Urs und Viktor (Solothurn, Bistum Basel), Luzius (Bistum Chur), Gallus und Othmar (Bistum St. Gallen), Mauritius und Theodul (Territorialabtei Saint-Maurice und Bistum Sitten), Nikolaus (Bistum Lausanne-Genf-Freiburg, besonders Freiburg). 25 Vgl. die umfassende Studie zur Thematik mit Edition zahlreicher Litaneien und statistischen Erhebungen zu den einzelnen Anrufungen und Anliegen von Astrid K R Ü G E R , Litanei-Handschriften der Karolingerzeit (Monumenta Germaniae Historica. Hilfsmittel 24), Hannover 2007. Speziell zur Allerheiligenlitanei des Lorscher Rotulus (9. Jahrhundert) mit der unübertroffenen Zahl von 534 Heiligenanrufungen vgl. ebd., 296-306. 339f. sowie D I E S ., Sancte Nazari ora pro nobis. Ludwig der Deutsche und der Lorscher Rotulus, in: Wilfried H A R T M A N N (Hg.), Ludwig der Deutsche und seine Zeit, Darmstadt 2004. Unter den älteren Studien sind hervorzuheben: Edmund B I S H O P , The Litany of the Saints in the Stowe Missal, in: D E R S ., Liturgica historica. Papers on the Liturgy and Religious Life of the Western Church, Oxford 1918, Nachdr. 1962, 137- 151; Gisbert K N O P P , Sanctorum nomina seriatim. Die Anfänge der Allerheiligenlitanei und ihre Verbindung mit den „Laudes regiae“, in: Römische Quartalschrift 65 (1970), 185-231; speziell zur Allerheiligenlitanei in der Osternacht: James G. L E A C H M A N , The setting of the Litany of the saints in the baptismal liturgy of the Easter Vigil, in: Studia liturgica 34 (2004), 205-215 (schwerpunktmäßig zur frühmittelalterlichen Geschichte); Joris G E L D H O F , The Litany of Saints of the Easter Vigil in the Roman Rite, in: S A D O W S K I GL 2013 in der Litanei von der Anbetung Christi (Nr. 562, vgl. unten 2.2.5.c) gefunden wurde. 23 Bei aller Kontinuität hat sich also aufs Gesamt gesehen doch eine weiterrei‐ chende Neubearbeitung des Abschnitts mit den Litaneien durchgesetzt. 2.2 Kommentar der Litaneien des GL 2013 2.2.1 Die Allerheiligenlitanei Aus gutem Grund steht im GL 2013, wie im GL 1975 und im KG 1998, 24 an erster Stelle die Allerheiligen-Litanei (Nr. 556). Sie hat ihre Ursprünge im frühen Mit‐ telalter und ist die älteste der heute gebräuchlichen Litaneien. In der Geschichte der Liturgie und der Frömmigkeit ist sie bei unterschiedlichsten Anlässen gebraucht worden 25 und wird unverändert in zentralen Liturgiefeiern der Kirche 270 Martin Klöckener <?page no="271"?> - M A R S C I A N I (Hgg.), Litany in Arts and Cultures (wie Anm. 4), 175-196. Zwar in einigen Punkten überholt, jedoch immer noch brauchbarer Überblick bei Ludwig E I S E N H O F E R , Handbuch der katholischen Liturgik, Bd. 1, Freiburg i.Br. 1932, 193-201. Die älteste kontinentale Fassung liegt im Sacramentarium von Gellone (um 790) vor, und zwar im Kontext der Taufliturgie; vgl. Liber Sacramentorum Gellonensis. [1: ] Textus. Cura Antoine D U M A S (CChr.SL 159), Turnhout 1981, Nr. 2313. Die Struktur ist hier schon weithin ausgeprägt, wenn auch die Zahl der Anrufungen und Anliegen im Vergleich zu späteren Fassungen sehr klein ist (14 Heiligenanrufungen, zwei Bitten um Befreiung, fünf Anliegen); vgl. auch K R Ü G E R , Litanei-Handschriften (s. o.), 265-267. Vorläufer stammen aus dem griechischen Sprachraum sowie aus dem angelsächsischen Raum; vgl. besonders Charles P L U M M E R (Hg.), Irish Litanies. Text and translation, ed. from the manuscript (Henry Bradshaw Society 62), London 1925; Michael L A P I D G E (Hg.), Anglo-Saxon Litanies of the Saints (Henry Bradshaw Society 106), London 1991; Nigel J. M O R G A N (Hg.), English Monastic Litanies of the Saints after 1100, 3 Bde. (Henry Bradshaw Society 119. 120. 123), Woodbridge 2012-2018. Dazu auch K R Ü G E R , Litanei-Handschriften (s.-o.), bes. 69-96. 26 In der römischen Liturgie ist die Allerheiligenlitanei gegenwärtig vorgesehen bei der Feier der Eingliederung in die Kirche in der Osternacht sowie in einer Kurzform auch sonst bei der Taufe, bei Ordinationen, bei der Jungfrauenweihe, der Ewigen Profess von Ordensleuten, der Weihe eines Abtes bzw. einer Äbtissin sowie bei der Kirchweihe. Vgl. zu einer letztlich liturgietheologischen Fragestellung, die über das Fallbeispiel der Ordinationen hinaus auch analog für andere Feiern gilt: Arnaud J O I N -L A M B E R T , La personnalisation de la litanie des saints lors des ordinations, in: La Maison-Dieu 238 (2004), 103-124; engl.: The Personalization of the Litany of the Saints at Ordinations: An Ecclesiological and Pastoral Issue, in: Studia liturgica 34 (2004), 216-230. mit jeweils kontextbedingten Anpassungen gesungen. 26 Sie diente und dient darüber hinaus als Prozessionsgesang und hatte bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ebenfalls einen festen Platz im Brevier unter den frei zu wählenden Zusatzgebeten sowie bei einzelnen sakramentlichen Feiern (besonders in der Liturgie für Kranke und Sterbende). Die Struktur der Litanei ist vielfältiger, als es ihr Name auf den ersten Blick nahelegt: Sie beginnt mit einer Christusanrufung, die in eine Anrufung des tri‐ nitarischen Gottes übergeht, und setzt dann mit Anrufungen einer variierenden Zahl und Auswahl von Heiligen, geordnet nach bestimmten Gruppen, fort, auf die die Gläubigen jeweils mit dem gleichbleibenden Ruf „bitte(t) für uns“ antworten. Auch wenn die Heiligenanrufungen damit einen beträchtlichen Teil der Litanei ausmachen, verdeutlicht der christozentrische Rahmen - auch am Ende steht eine Christusanrufung -, dass die Heiligen je mit ihrer vollendeten und im Heiligen geeinten Lebensgeschichte nicht absolut, sondern insofern angerufen werden, als sie einen besonderen Platz innerhalb des Christusmys‐ teriums haben, ja Zeugen für Christus sind. Dazu passt auch, dass nach den Engeln die biblischen Heiligen (Maria, Apostel, Evangelisten) folgen, die in unmittelbarem Kontakt zu Jesus standen, sodann die Märtyrer, die ihre Treue zu Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 271 <?page no="272"?> 27 Vgl. Calendarium Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum auctoritate Pauli Pp. VI promulgatum. Editio typica, Vatikan 1969, 33-37; gekürzte Fassung für die Sakramentenfeiern, teils noch um spezielle Anliegen erweitert, ebd., 38f.; zu beachten ferner der „Commentarius in Litanias Sanctorum“ ebd., 159-162. Deutsche Ausgabe: Ritenkongregation, Der Römische Kalender gemäß Beschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuert und von Papst Paul VI. eingeführt, hg. von den Liturgischen Instituten in Salzburg, Trier und Zürich (Nachkonziliare Dokumentation 20), Trier 1969, 73-85 (lateinisch-deutsche Ausgabe, wobei die deutsche Übersetzung nicht approbiert ist) sowie 226-230 (Kommentar). Christus bis zur Hingabe ihres Lebens erwiesen haben. Zugleich wird durch die Anrufung der Heiligen um ihre Fürbitte bei Gott die Kirche in ihrer Gesamtheit als irdische und himmlische Solidargemeinschaft unter ihrem Haupt Christus präsent. Deshalb bringt die Allerheiligenlitanei über die Vergegenwärtigung des Christusmysteriums hinaus auch die ekklesiale Dimension, die für alle Getauften eine bleibende Realität ist, in besonderer Weise zum Ausdruck. Bereits im frühen Mittelalter wurden die Heiligenanrufungen mit einer Christuslitanei und einer Anliegenlitanei verbunden. So folgen im zweiten Abschnitt die wiederum an Christus gerichteten Rufe um Befreiung von dem die Menschen versklavenden Bösen in seinen verschiedenen Facetten, verbunden mit der Bitte um Teilhabe an Christi Heilswirken, ehe im dritten und letzten Abschnitt eine Fülle unterschiedlicher Anliegen nach Art der oratio universalis, wiederum an Christus gerichtet, vorgetragen werden, die sowohl die Betenden selbst als auch andere Glieder der Kirche einschließen. Der Ausklang mit dem dreifach wiederholten und in der Antwort variie‐ renden „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt …“ und der nochmaligen Anrufung „Christus, höre uns. - Christus, erhöre uns“ verdeutlicht einmal mehr, dass in der Allerheiligenlitanei die Betenden zu Christus, dem Haupt der Kirche, der Märtyrer und Heiligen, rufen und das Christusmysterium auf spezielle Weise vergegenwärtigt wird. Auch das GL 2013 folgt dieser überlieferten Linie. Ein Grundmodell für die gesamte Kirche wurde nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im „Calenda‐ rium Romanum“ von 1969 veröffentlicht. 27 Das GL 1975 hat daraus einige wenige Elemente übernommen, so zum Beispiel die Anrufung der alttestamentlichen Heiligen Abraham und Mose, geht ansonsten aber relativ frei mit der römischen Vorlage um und kürzt die Heiligenliste erheblich, ohne gleichzeitig Spezifika des deutschen Sprachgebietes einzubringen, wie es prinzipiell möglich gewesen wäre. Die Bitten um Befreiung hingegen werden offenbar zwecks einer Aktua‐ lisierung erheblich ausgeweitet, wobei einige der ergänzten Motive sich auch 272 Martin Klöckener <?page no="273"?> 28 Im Folgenden sind die Ergänzungen des GL 1975 gegenüber der Fassung im „Calendarium Romanum“ kursiv gesetzt: „Jesus, sei uns gnädig; Herr, befreie uns. / Sei uns barmherzig … / Von allem Bösen … / Von aller Sünde … / Von der Versuchung durch den Teufel … / Von Zorn, Haß und allem bösen Willen … / Von Süchtigkeit und Unzucht … / Von Stolz und Hochmut … / Von Spott und Verrat … / Von Gleichgültigkeit und Trägheit … / Von Schwermut und Verzweiflung … / Von Verblendung des Geistes … / Von Verhärtung des Herzens … / Von Unwetter und Katastrophen … / Von Hunger, Krieg und Krankheit … / Von der Vergiftung der Erde … / Von einem plötzlichen Tode … / Von der ewigen Verdammnis …“. 29 Das Graduale Romanum ergänzt bei den Märtyrern den hl. Stanislaus, Bischof von Krakau (ca. 1030-1079) und einer der polnischen Nationalheiligen. In der Reihenfolge vertauscht sind Johannes der Täufer und Josef (im Calendarium Romanum zuerst Josef, im Graduale umgekehrt). Außerdem setzt das Graduale, wohl zwecks Erleichterung des Gesangs, viele Ortszusätze oder andere Charakterisierungen von Heiligen in deren Anrufungen in Klammern. Vgl. Graduale Romanum Sacrosanctae Romanae Ecclesiae de Tempore & de Sanctis, primum sancti Pii X iussu restitutum et editum, Pauli VI … cura nunc recognitum. Ad exemplar „Ordinis Cantus Missae“ dispositum et rhythmicis signis a Solesmensibus monachis diligenter ornatum, Solesmes 1979 [zuerst 1974], 831-837; identisch und mit derselben Paginierung auch im Graduale Triplex […], Solesmes 1979. 30 Vgl. Protokoll der Sitzungen vom 10./ 11. Februar 2005 in Fulda, TOP 6, vom 26.-28. Mai 2005 in Stuttgart-Hohenheim, TOP 4, sowie vom 12.-14. September 2005 in Salzburg, TOP 5. traditionell in der Allerheiligenlitanei finden. 28 Die AG II hat bei der Erarbeitung des GL 2013 den Sitzungsprotokollen zufolge nicht auf das „Calendarium Romanum“, sondern auf das „Graduale Romanum“ zurückgegriffen, dessen Fassung der Litanei allerdings bis auf eine Ergänzung identisch ist. 29 Zusätzlich war ein Ziel, das Grundgerüst mit Heiligen aus dem deutschen Sprachraum anzureichern. Bei den abschließenden Rufen „Lamm Gottes …“ sollten typogra‐ phisch die drei unterschiedlichen Antworten deutlicher wiedergegeben werden, was im GL 2013 auch zum Tragen kam. Die im GL 1975 fehlende letzte Christusanrufung war zu ergänzen. 30 Auf einige weitere Änderungen und Ergänzungen der im GL 2013 abge‐ druckten Fassung im Vergleich zum GL 1975 sei speziell hingewiesen. Bei den Gottesanrufungen zu Beginn heißt es nun: „Heilige Dreifaltigkeit, ein Einiger Gott“, wodurch die Einzigkeit Gottes und die Dreiheit der göttlichen Personen gleichzeitig in den Blick gehoben werden. Die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael werden in einer einzigen Anrufung zusammen genannt, was im Folgenden häufiger auch bei Heiligen geschieht, wenn zwischen ihnen eine persönliche oder inhaltliche Beziehung besteht. In der Gruppe der Patriarchen und Propheten bleibt die Nennung der alttestamentlichen Heiligen Abraham Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 273 <?page no="274"?> 31 Das „Calendarium Romanum“ sieht hier zusätzlich den Propheten Elia vor, der auch schon im GL 1975 und im KG 1998 ausgelassen wurde. 32 Von den im GL 1975 genannten Heiligen nicht mehr berücksichtigt wurden Hieronymus, Laurentius und der Pfarrer von Ars, die alle in der nicht mehr erscheinenden Gruppe der „heiligen Diakone und Priester“ standen, Athanasius als Kirchenlehrer und Klara als Jungfrau bzw. Ordensstifterin. und Mose. 31 Unter den Aposteln wird der laut Apg 1,15-26 nachgewählte Matthias ergänzt, vermutlich wegen dessen lebendiger Verehrung in Trier am einzigen vermeintlichen Apostelgrab nördlich der Alpen. Eine neue Gruppe von biblischen Heiligen wird mit „Alle heiligen Jünger des Herrn“ bezeichnet, in der sich die Evangelisten Lukas und Markus sowie Maria Magdalena finden, Letztere lange ehe sie 2016 von Papst Franziskus explizit zur Apostelin der Apostel erhoben und im Römischen Generalkalender als „Fest“ aufgewertet wurde. Richtig ist, dass die Märtyrer - anders als im GL 1975 - gleich im Anschluss an die biblischen Heiligen stehen; über die Alte Kirche hinaus werden mit Bonifatius der „Apostel Deutschlands“ und mit Thomas Morus ein neuzeitlicher Heiliger, der in den Glaubenskämpfen des 16. Jahrhunderts sein Leben verloren hat, hinzugefügt. Unter den Päpsten, Bischöfen und Lehrern der Kirche - diese werden zusammengefasst - finden sich auch die in Salzburg und ganz Österreich besonders verehrten Rupert und Virgil, mit Willibrord der „Apostel der Friesen“ und Gründer der Abtei Echternach (dort auch sein Grab) im heutigen Luxem‐ burg als Repräsentanten anderer Gegenden des deutschen Sprachgebiets. In der längeren Gruppe der „heiligen Jungfrauen und Ordensleute“ wird neben Or‐ densgründern wie Benedikt, Bernhard (von Clairvaux), Franziskus (von Assisi) und Dominikus sowie Ignatius von Loyola auch Petrus Canisius aufgeführt, der wegen seines Wirkens in Deutschland nach der Reformation verschiedentlich als „zweiter Apostel Deutschlands“ bezeichnet wird; er wirkte die letzten Jahre seines Lebens in Freiburg in der Schweiz, wo er 1597 starb und begraben ist. In dieser Gruppe werden dann auch endlich mehrere Frauen genannt: Katharina von Siena, Birgitta von Schweden, Theresia von Avila und Edith Stein. Die letzte Gruppe nennt Eheleute und Eltern, die teilweise wieder einen besonderen Bezug zum deutschen Sprachgebiet haben: Monika, Hedwig (von Andechs, dann Schlesien), Elisabeth (von Thüringen) und Nikolaus von Flüe (Schweizer Landespatron). Insgesamt werden im GL 2013 also 46 einzelne Heilige in den Anrufungen genannt, von denen zehn durch ihre Herkunft, ihr Wirken oder ihre besondere Verehrung einen unmittelbaren Bezug zum deutschen Sprachgebiet haben, während es im GL 1975 nur 27 Heilige waren. 32 Die Auswahl im GL 2013 ist damit zweifellos ein Gewinn, auch wenn beispielsweise weithin verehrte und im Volksbrauch verankerte Heilige wie Martin von Tours und Nikolaus fehlen. 274 Martin Klöckener <?page no="275"?> 33 Gewissermaßen eine Verdoppelung liegt jetzt vor bei: „Durch deine Menschwer‐ dung. / Durch deine Geburt und dein heiliges Leben“. Die Bitte um Befreiung „Durch deine Taufe und dein heiliges Fasten“ wurde neu eingefügt; sie findet sich auch im „Calendarium Romanum“. - Angelus Häußling hat darauf hingewiesen, dass die übliche Übersetzung des lateinischen „per“ an dieser Stelle mit „durch“ den Sinn nicht adäquat wiedergibt: „Ferner muß die Wendung ‚durch Christus‘ noch für eine weitere Bedeutung offengehalten werden: sie ist sprachlich auch eine Vertrauens- und Beschwörungsformel und muß dann im Deutschen mit ‚bei‘ wiedergegeben werden. Dieser Sinn tritt klar bei Wendungen hervor, wie sie im zweiten Teil der großen (‚Allerheiligen‘-)Litanei enthalten sind: per sanctam incarnationem tuam, libera nos Domine - bei (nicht: durch) deiner heiligen Menschwerdung (beschwören wir dich: ) befreie uns, Herr. Solche Formeln beschwörenden Betens sind urtümliche Äußerungen der Verehrung, die in den Offenbarungsreligionen … noch durch die Anamnese der Heilstaten Gottes gestützt werden“ (Angelus A. H Ä U ẞ L I N G , Akklamationen und Formeln, in: Gestalt des Gottesdienstes [wie Anm. 3], 220-239, hier: 231). Die im GL 1975 entfalteten Bitten um Befreiung wurden im GL 2013 stark ver‐ mindert und - nach der unveränderten Einleitung „Jesus, sei uns gnädig; / Herr, befreie uns“ - auf lediglich fünf Motive reduziert: „Von allem Bösen / Von aller Sünde / Von der Versuchung durch den Teufel / Von Zorn, Hass und allem bösen Willen / Von dem ewigen Tode“. Die Versuche zeitgenössischer Aktualisierung im GL 1975, die in einigen Punkten eine zu hinterfragende implizite Tugendlehre enthielten, wurden damit vollständig zurückgenommen und nur ein kleiner Grundbestand aus der Überlieferung sowie aus den aktuellen römischen Quellen wurde beibehalten. Die im selben Abschnitt stehenden Mysterien des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu „Durch deine Menschwerdung …“ usw. bis hin zu „Durch deine Wiederkunft in Herrlichkeit …“ wurden leicht bearbeitet. 33 Ebenfalls wurden die Anliegen für Kirche, Welt und die Betenden selbst nach Art der oratio universalis auf insgesamt gelungene Weise vor allem sprachlich bearbeitet, wobei an einigen Stellen auch andersartige theologische Akzentset‐ zungen erkennbar sind, so wenn etwa die Bitte „Öffne den Ungläubigen die Ohren für deine Botschaft“ nun heißt: „Öffne alle Menschen für deine Botschaft“, oder wenn die Bitte für die Feinde der Kirche „Gib ihren [d.h. der Kirche] Feinden Einsicht und Umkehr“ ersatzlos entfällt. Aufs Gesamt gesehen kann man die Bearbeitung der Allerheiligenlitanei im GL 2013 im Rahmen der Anpassungen an Ort und Zeit, wie sie die Geschichte dieser Litanei durchgängig gekannt hat, als theologisch-geistlich sachgerecht und auch sprachlich gut begründet bezeichnen. Bot das GL 1975, Nr. 210 eine zweite, kürzere Fassung der Allerheiligenlitanei für die Osternacht, so wird im GL 2013, Nr. 313 darauf verzichtet, sondern nur auf die Antworten der Gemeinde in der Langfassung Nr. 556 verwiesen. Im Laufe der Arbeit der AG II war eine Fassung der Allerheiligenlitanei aus Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 275 <?page no="276"?> 34 Vgl. Protokoll der 18. Sitzung der Unterkommission vom 13.-14. Juli 2010. Tatsächlich ist die Litanei dann im Münchener Kantorale erschienen und wird in allen drei Bänden zu den Lesejahren abgedruckt: Münchener Kantorale. Werk- und Vorsängerbuch für die musikalische Gestaltung der Meßfeier. Erarb. von Markus E H A M … unter Mitwirkung von Rupert B E R G E R u.a., hg. von der Abt. Kirchenmusik im Ordinariat des Erzbistums München und Freising. Lesejahr A, München 2 2017, 208f.; Lesejahr B, ebd. 2 2017, 216f.; Lesejahr C, ebd. 2 2018, 212f. 35 Vgl. auch Franz Karl P R Aẞ L , Zum Lobe seiner Herrlichkeit. Psalmen - Tagzeitenliturgie - Litaneien im neuen Gotteslob, in: Singende Kirche 60 (2013), 156-160; Nachdr. [mit Ergänzungen von Andreas Großmann], in: Kirchenmusik im Bistum Limburg 2014, Nr. 2, 8-16, sowie [mit Ergänzungen von Stefan Kling], in: Kirchenmusikalische Mitteilungen, Bischöfliches Ordinariat Augsburg, Nr.-83, Dezember 2014, 7-19. Frankreich, die eine völlig andere Melodieführung kennt, für die Osternacht in Betracht gezogen worden. Doch ließen sich einerseits Herkunft und Rechte nicht hinreichend klären, andererseits ging man schließlich davon aus, dass die Allerheiligenlitanei in der Osternacht durch die Fassung im Messbuch vorgegeben war, so dass man auf eine Alternative für diese Feier verzichtete. Allerdings sah die Unterkommission gegen Ende der Arbeit vor, dass die Litanei für die Osternacht in einem Kantorenbuch erscheinen sollte. 34 2.2.2 Regionale Bearbeitungen der Allerheiligenlitanei für die (Erz-)Diözesen Österreichs und für die Diözese Trier Zwei Bearbeitungen der Allerheiligenlitanei in den Anhängen zum GL 2013 bringen ein zusätzliches textliches Gestaltungselement mit ein. Im Anhang für die (Erz-)Diözesen Österreichs findet sich unter Nr. 974 die Litanei von den Heiligen und Seligen Österreichs. Sie folgt in der Grundstruktur dem Modell der Allerheiligenlitanei, übernimmt auch deren Melodie und ist dementsprechend vollständig für den Gesang eingerichtet. Aber bei der Aus‐ wahl der Heiligenanrufungen stellt sie bei den allgemeinen Heiligen jeweils einen besonderen Bezug zu Österreich her. Darüber hinaus bringt sie eine Fülle von Heiligen und Seligen, die aus Österreich (teilweise nicht nur das heutige Staatsgebiet umfassend) stammen, dort eine besondere Verehrung genießen oder einen anderweitigen Bezug haben. 35 So heißt es etwa gleich zu Beginn: „Heilige Maria, du Schutzfrau Österreichs“. Im späteren Verlauf begegnen Anrufungen wie: „Heiliger Florian und Gefährten, ihr ersten Blutzeugen unserer Heimat“, „Heiliger Stephan, du König der Ungarn und ihr Führer zu Christus“, „Heiliger Ingenuin und heiliger Albuin, ihr Patrone Tirols und Hüter des christlichen Glaubens“, was bis hin zu den Heiligen und Se‐ ligen des 20. Jahrhunderts reicht, zum Beispiel: „Seliger Karl, du frommer Kaiser aus dem Hause Österreich“ oder „Seliger Franz Jägerstätter, du Glaubenszeuge 276 Martin Klöckener <?page no="277"?> treu deinem Gewissen“. Weil man die „Standardheiligen“ nicht auslassen wollte, musste auch bei diesen jeweils ein Epitheton ergänzt werden. Deshalb liest man beispielsweise: „Heiliger Michael, du Anführer der Scharen des Himmels“, „Ihr heiligen Engel, geschaffen zur Ehre Gottes und zur Hilfe für uns Menschen“, „Heiliger Josef, du Patron der Kirche und der arbeitenden Menschen“, „Heiliger Martin, du tatkräftiger Bischof und Vorbild des barmherzigen Teilens“. Insge‐ samt kommt man auf 72 Heiligenanrufungen; die Litanei füllt ganze sechs Seiten im Gesangbuch. Anders als in der normalen Allerheiligenlitanei werden bestimmte Typen von Heiligen und Seligen nicht in Gruppen zusammengefasst; es scheint vielmehr, dass man weithin chronologisch nach dem Todesjahr vorgegangen ist. Die Charakterisierung der Heiligen und Seligen ist jeweils so formuliert, dass die Anredeform der Anrufung fortgeführt wird: „Du …; Ihr …“. Laut der einleitenden Rubrik für den Vollzug der Litanei kann die Anrufung der Heiligen auch ohne die Erweiterung erfolgen; in dem Fall dient letztere als Hintergrundinformation für die Betenden, denn nicht bei jedem Namen aus alter und neuerer Geschichte werden sogleich alle Betenden wissen, um wen es sich handelt. Die Diözese Trier verfährt im Rahmen einer Andacht zu den Heiligen und Seligen des Bistums Trier (Trierer Anhang, Nr. 903) ähnlich. Unter Nr. 904 wird als möglicher Bestandteil der Andacht eine Litanei bereitgestellt. Diese ist nicht für den Gesang eingerichtet, vielmehr wird offenbar davon ausgegangen, dass sie im Wechsel zwischen Vorbeter und Gemeinde gesprochen wird. Die Bezüge zur Diözese werden unterschiedlich formuliert, zum Beispiel: „Heilige Maria, ohne Erbsünde empfangen, Patronin der Trierischen Kirche“, „Heiliger Matthias, Patron unseres Bistums“, „Heiliger Petrus, Patron unseres Domes und der Bischofsstadt“, „Heilige Eucharius, Valerius und Maternus, Zeugen des Glaubens und erste Bischöfe von Trier“ usw. Auf zahlreiche weitere Namen folgt die zu‐ sammenfassende Anrufung: „Alle Bischöfe und Glaubensboten unseres Landes“. Für alle weiteren Heiligen und Seligen gibt es keine Zuordnung nach Gruppen, sondern ist eine grobe chronologische Abfolge zu entdecken, die aber nicht konsequent eingehalten wird. Ein in jeder Hinsicht klares Ordnungsprinzip ist nicht zu erkennen. Anders als im Österreichanhang wird die Erweiterung ohne die Anrede „du“ oder „ihr“ formuliert; bei einigen Heiligen kann die Erweiterung nahtlos die Namensanrufung fortsetzen (z.B. bei Martin, der sich nachweislich in Trier aufgehalten hat: „Heiliger Martin, Vorbild der Nächstenliebe“). Bei anderen gibt die Erweiterung eher eine beinahe lexikalische Kurzinformation, die weniger für das Gebet geeignet scheint, z.B. „Heiliger Wolfgang, Lehrer an der Domschule von Trier und Bischof von Regensburg“ oder „Heilige Irmina, Mutter der heiligen Adele von Pfalzel, Äbtissin und Mitbegründerin des Klosters Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 277 <?page no="278"?> 36 Im GL 1975, Nr. 764; im KG 1998, Nr. 804, wo der Litanei eine längere Einführung vorangestellt ist. 37 Der Redaktionsbericht zum Gotteslob bietet dazu nur spärliche Informationen. Der Vorschlag stammte aus dem „Arbeitskreis 5 ‚Gesänge von heute‘“ innerhalb der Subkommission I, später I B „Nichtliedmäßige Gesänge“. Dort wird einzig im Bericht von der 17. und letzten Sitzung vom 11.-13. Februar 1973 notiert, man habe die Litanei durchgesungen und mit einer Gegenstimme bei zwei Enthaltungen angenommen. Dem „Textautor“ (gemeint ist wohl der Übersetzer Lothar Zenetti) wurden wegen falscher Ligaturen noch einige textliche Verbesserungen vorgeschlagen; vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 282 sowie 829. Die Subkommission V, die sich ansonsten mit den Litaneien befasste, war offenbar nicht in die Überlegungen einbezogen. 38 Vgl. Alex S T O C K , Sei hier zugegen. Die „Große Litanei“ von Huub Oosterhuis, in: Liturgisches Jahrbuch 55 (2005), 147-155; Stock beschreibt sehr gut das Grundanliegen und die theologische Dynamik dieser Litanei. Vgl. auch F R A N Z , Namensmeditationen (wie Anm. 1), 42-49; Markus E H A M , Wie heute Gott aufspüren? Erfahrungen mit der „Litanei von der Gegenwart Gottes“ (GL 764), in: Stefan K L Ö C K N E R - Matthias K R E U E L S - Günther M A S S E N K E I L (Hgg.), Brückenschlag. Wolfgang Bretschneider zum 60. Echternach“. Insgesamt finden sich 41 Anrufungen, bei denen - wie bei Trier zu erwarten - die christliche Spätantike, aber auch noch das Mittelalter stark vertreten sind, während das 19./ 20. Jahrhundert im Vergleich zu Österreich zahlenmäßig zurücktritt. Die Trierer Litanei verzichtet nach der Anrufung der Heiligen auf die Bitten um Befreiung und die Nennung von Anliegen, sondern geht nach dem letzten Ruf „Alle Heiligen und Seligen unseres Bistums“ direkt zum dreimaligen „Lamm Gottes …“ über, ehe zum Schlussgebet hingeführt wird. Beide Heiligenlitaneien heben die eigene Tradition und Glaubensgeschichte in den Vordergrund und tragen zur Ausprägung einer diözesanen oder regio‐ nalen Verehrung der Heiligen bei. Im Vergleich dieser beiden Modelle hält die österreichische Version den Gebetscharakter konsequenter durch. 2.2.3 Die Litanei von der Gegenwart Gottes Die Litanei von der Gegenwart Gottes (GL 2013, Nr. 557), 36 eine Dichtung von Huub Oosterhuis aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, spiegelt Leben und Glauben der Menschen in der Moderne mit all ihren Infragestellungen von Welt, Mensch und Gott wider. Sie ist Ausdruck der Suche nach Gott, gründet aber zugleich in einem tiefen Vertrauen, dass auch die Menschen im Heute die Gegenwart Gottes und die Begegnung mit ihm nach dem Vorbild von Ex 33,18 erfahren können. Die Litanei erscheint bereits im GL 1975 und wurde dort im Rahmen der Suche nach „Gesängen von heute“ in den Bestand aufgenommen. 37 Auf größere Differenzen zwischen dem holländischen Original und der im GL 1975 abgedruckten deutschen Fassung von Lothar Zenetti haben Alex Stock und Ansgar Franz hingewiesen; 38 Alex Stock hat eine neue Übersetzung, die 278 Martin Klöckener <?page no="279"?> Geburtstag, Regensburg 2001, 40-44. Zu den geistlichen Texten von H. Oosterhuis ins‐ gesamt vgl. Alex S T O C K , Hierhin, Atem. Zur poetischen Theologie von Huub Oosterhuis, Amsterdam 1994; D E R S ., Stimme, Name, Licht am Morgen. Beten bei Huub Oosterhuis, in: Ulrich W I L L E R S (Hg.), Beten: Sprache des Glaubens - Seele des Gottesdienstes. Fundamentaltheologische und liturgiewissenschaftliche Aspekte (Pietas Liturgica 15), Tübingen u.a. 2000, 301-313; Kees K O K , De vleugels van een lied. Over de liturgische poëzie van Huub Oosterhuis, Baarn (NL) 1990. 39 S T O C K , Sei hier zugegen (wie Anm. 38), 154, der im Übrigen die biblischen Bezüge gut herausarbeitet. F R A N Z , Namensmeditationen (wie Anm. 1), 42-44 notiert bei jedem Vers die biblischen Referenzstellen. 40 Vgl. ebd., 48f. 41 So treffend die Einführung in KG 1998, Nr.-804. 42 S T O C K , Sei hier zugegen (wie Anm. 38), 147f. enger beim Original bleibt, vorgelegt. Die Litanei ist stark biblisch geprägt und „ganz und gar aus der Sprache der Schrift gewonnen“. 39 Ansgar Franz spricht von den „biblischen Klangräumen“, die die Litanei bietet. 40 Sie ist völlig anders aufgebaut und inhaltlich ausgerichtet als die zuvor beschriebene Allerheiligenlitanei, kennt auch keinen sonst für Litaneien typischen, in der Regel gleichbleibenden Antwortruf der Gemeinde, sondern verlangt die stete Wiederholung des von einem Kantor oder Chor jeweils vorgetragenen Verses, so dass das dialogische Element von Wort und Antwort sich derselben Texte bedient. Die von Bernard Huijbers besorgte Vertonung bietet ebenfalls keine gleichbleibende, ruhig dahinfließende Melodie, was über die Jahrhunderte hinweg die Allerheiligenlitanei ausgezeichnet hat und mit Variationen auch für andere Litaneien charakteristisch ist, sondern kennt drei sich wiederholende Melodien, die sich jedoch fortwährend steigern, so dass die letzten Verse wieder mit der Anfangsmelodie, nur um eine Oktav höher, gesungen werden. Mit dieser Charakteristik entspricht die Melodie ausgezeichnet dem sich mit seinen Bitten und Fragen an Gott immer weiter zuspitzenden Text, so dass man von einer Dramatisierung der Gebetsbitte, von einer „musikalische[n] und deklamatorische[n] Klangpyramide“ 41 sprechen kann. Wenn man dazu die ursprüngliche musikalische Inszenierung mit dem Übergang vom einstimmigen zum mehrstimmigen Wechselgesang, den Einsatz der Instrumente, die Steige‐ rung in der Lautstärke und andere Stilmittel kennt, darf man zurecht von „eine[r] Art geistliche[m] Bolero“ sprechen. 42 Die immense Spannung in der Gotteserfahrung, die die Glaubenden erleben und aushalten müssen, gipfelt dabei nochmals in den letzten beiden Versen: „Auf dich vertrauen wir, auf den Lebendigen. / Könntest du jemals Vertrauen enttäuschen? “ Diese Litanei gehört zu den großen geistlichen Dokumenten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist bedauerlich, dass sie in der liturgischen Praxis - eigener Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 279 <?page no="280"?> 43 Protokoll der 1. Sitzung vom 2./ 3. Juni 2004 in Fulda. 44 Vgl. S T O C K , Sei hier zugegen (wie Anm. 38), 148-150. 45 Besonders intensiv in der Sitzung vom 12.-14. September 2005 in Salzburg. 46 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 28.-30. März 2006, auf der die AG II die revidierte Fassung verabschiedete. 47 Vgl. Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch für die Katholischen (Erz-)Bistümer Deutschlands, Österreichs sowie das Erzbistum Bozen-Brixen zur Erprobung im Zeitraum vom Ersten Advent 2007 bis Pfingsten 2008, hg. von den (Erz-)Bischöfen Deutschlands, Österreichs und vom Bischof von Bozen-Brixen. Probepublikation für ausgewählte Gemeinden, Stuttgart 2007. Erfahrung zufolge - nur äußerst selten und in Sondersituationen gebraucht wird. Bei der Vorbereitung des GL 2013 hat die AG II schon in ihrer ersten Sitzung „eine andere Übersetzung, auf jeden Fall aber eine klarere Unterlegung des Textes“ als im GL 1975 gewünscht. 43 Auch in späteren Sitzungen sah man die Notwendigkeit einer „Gebrauchsanweisung“ und einer eindeutigeren Zuordnung von Text und Noten, überlegte gar eine völlige Neuübersetzung, wobei die Fassung von Alex Stock nicht zum Singen geeignet schien. 44 Schließ‐ lich entwickelte man diverse textliche Anpassungen, die die Singbarkeit mit den bisherigen Melodien verbessern sollten. 45 Diesbezüglich bedurfte es des Einverständnisses des Übersetzers Lothar Zenetti, das von der Unterkommission eingeholt wurde, so dass die Litanei schließlich mit leicht geändertem Text und im Druck mit einer klareren Zuordnung von Text und Noten beibehalten wurde. 46 Dafür entscheidend waren auch noch die vorwiegend positiven Rück‐ meldungen aus der Evaluation der Probepublikation zum GL. 47 Das GL 2013 verfügt damit weiterhin über diese Perle zeitgenössischen Betens und einer Frömmigkeit, die bleibend auf der Suche nach Gott ist. Mit der Unterstützung kompetenter Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker möchte man für die Zukunft einen häufigeren Gebrauch der Litanei erhoffen. 2.2.4 Litaneien vom Wirken Gottes in Schöpfung und Geschichte a) Die Litanei vom Heilswirken Gottes Die Litanei vom Heilswirken Gottes (Nr. 558) lehnt sich mit ihrem Lob der Schöpfung und des Wirkens Gottes in der Heilsgeschichte an Psalm 136(135) an, konzentriert sich im zweiten und dritten Abschnitt dann aber auf die Heilsgeschichte in Christus von der Inkarnation bis zur Wiederkunft am Ende der Zeiten und thematisiert in einer Reihe von Anrufungen auch das Wirken des Geistes in dieser Welt. Somit hat die Litanei letztendlich einen trinitarischen Zuschnitt. Der gleichbleibende Antwortruf der Gemeinde „denn seine Huld währt ewig“ ist Psalm 136, einer Danklitanei an den Bundesgott des Volkes 280 Martin Klöckener <?page no="281"?> 48 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 659; siehe auch Josef S E U F F E R T u.a. (Hgg.), Werkbuch zum Gotteslob, Bd. 3: Sonntage und Herrenfeste im Jahreskreis Lesejahr A, hg. im Auftrag der Kommission für das Einheitsgesangbuch, Freiburg i.Br. 1975, 137. Das KG 1998 bietet diesen Gesang nicht. 49 Im GL 1975, Nr. 281 und im KG 1998, Nr. 650,1 heißt es: „9. Ihr Menschen alle, preiset den Herrn. / Völker und Rassen, preiset den Herrn. … 12. Ihr Christen alle, preiset den Herrn. Alles, was atmet, preise den Herrn“. Daraus wurde im GL 2013: „9. Ihr Kinder Israels … / ihr Völker alle … 12. Ihr Menschen alle … / Alles, was atmet …“. Einerseits ging es offenbar darum, aufgrund neuerer gesellschaftlicher Diskussionen das Wort „Rassen“ zu vermeiden; andererseits wurde die „Christianisierung“ des alttestamentlichen Gesangs aufgegeben und wurden die „Kinder Israels“ gemäß dem ursprünglichen Kontext von Dan 3 eingesetzt. 50 Die AG II entschied dies bereits in einer frühen Phase ihrer Arbeit; vgl. Protokoll der Sitzung vom 10./ 11. Februar 2005 in Fulda. Israel, entnommen; so wird die dem Psalm entstammende Akklamation zum Lob- und Dankruf für das Wirken des dreifaltigen Gottes, das in diesem Gesang ausschließlich die Bejahung kennt, nicht aber die Suche nach Gott und den Zweifel wie in der vorausgehenden Litanei von der Gegenwart Gottes. Das entspricht dem doxologischen Charakter von Liturgie überhaupt, auch wenn diese selbstverständlich andere Orientierungen, Erfahrungen und Stimmungen menschlichen Lebens zu integrieren weiß. Nicht jedem Gläubigen wird ange‐ sichts der Erfahrung von Welt und Geschichte diese rein im Lobpreis bestehende Litanei allerdings immer möglich sein. Bereits das GL 1975 enthält diesen aus der Feder von Josef Seuffert stam‐ menden Gesang (Nr. 284), jedoch nicht unter den Litaneien, sondern unter den Lob- und Dankgesängen; dort ist er betitelt mit Lobpreis vom Heilswirken Gottes. 48 Bei der Erarbeitung des GL 2013 entschied die AG II frühzeitig, dass der Gesang erhalten bleiben, sein Text aber erweitert werden sollte. Die fünf Verse, die sich im GL 2013 auf das Wirken des Geistes beziehen (Abschnitt 4), wurden neu hinzugefügt; der trinitarische Charakter lag somit im GL 1975 noch nicht vor. Ebenfalls wurde ein neuer Kehrvers beigegeben und eine neue Melodie für die litaneiartigen Rufe von Kantor und Gemeinde geschaffen. b) Schöpfungslob nach Dan 3 Für ein weiteres Schöpfungslob wird auf einen Auszug aus dem litaneiartigen Lobgesang der drei Jünglinge (Dan 3,51-90, stark gekürzt) verwiesen (Nr. 619,1- 2). Dieser von Josef Seuffert geschriebene Gesang fand sich schon im GL 1975 und im KG 1998, wobei das GL 2013 im letzten Abschnitt kleine, aber markante Änderungen vorgenommen hat. 49 Außerdem wurde der Kehrvers Danket dem Herrn, denn er ist gut … durch den dreistimmigen Kanon Alles, was Odem hat … ersetzt. 50 Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 281 <?page no="282"?> 51 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 278-281. 660; S E U F F E R T u.a. (Hgg.), Werkbuch zum GL, Bd.-3 (wie Anm. 48), 139f. 52 Der Text wurde übernommen aus: Dieter B E R G - Leonhard L E H M A N N u.a. (Hgg.), Franziskus-Quellen. Die Schriften des Heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seine Orden. Im Auftrag der Provinziale der Deutschsprachigen Franziskaner, Kapuziner und Minoriten (Zeugnisse des 13. und 14. Jahrhunderts zur Franziskanischen Bewegung 1), Kevelaer 2009. - Eine wiederum andere Übersetzung (ohne musikalische Einrichtung mit Hilfe eines Kehrverses) findet sich im KG 1998, Nr.-587,3. 53 Vgl. Ernst H. K A N T O R O W I C Z , Laudes Regiae. A study in liturgical acclamations and mediaeval ruler worship, Berkeley u.a. 1958. Das Werk ist ebenfalls bedeutend für die Anfänge der Allerheiligenlitanei. c) Der Sonnengesang des Franziskus von Assisi In GL 2013, Nr. 559 wird sodann auf den Sonnengesang des Franziskus von Assisi verwiesen (Nr. 19,2), dem der mehrfach zu wiederholende Kehrvers Gelobt seist du, mein Herr beigegeben wird. Im GL 1975, Nr. 285 firmierte der Sonnengesang nicht unter den Litaneien, sondern in der Gruppe der Gesänge „Lob und Dank“. 51 Das GL 2013 bietet eine Neuübersetzung des Kapuziners Leonhard Lehmann. 52 Der Sonnengesang war im Laufe der Arbeit der AG II zum GL 2013 wieder‐ holt Gegenstand der Diskussion. Mehrere vorliegende Übersetzungen wurden geprüft, eine durchgängige Vertonung erwogen, schien aber nicht angeraten. Schließlich entschied man sich angesichts des Charakters des Textes dafür, den Sonnengesang nur in den Gebetsteil aufzunehmen. Dabei blieb der genannte, im GL 1975 vorhandene kurze gesungene Ruf als Möglichkeit erhalten. Wegen seiner Bekanntheit und Bedeutung in der geistlichen Tradition ist der Sonnen‐ gesang, ein Lobpreis Gottes für die von ihm ins Leben gerufene Schöpfung mit ihren einzelnen Elementen, ein höchst wertvolles Element, das als Gebet des Franziskus von Assisi über seinen ursprünglichen Kontext hinaus Menschen aller Epochen und geistlicher Ausrichtung anspricht. 2.2.5 Jesus-/ Christus-Litaneien a) Die Christus-Rufe nach den Laudes festivae Unter GL 2013, Nr. 560 findet sich unter dem Titel Christus-Rufe eine Christus-Li‐ tanei, die eine freie Übersetzung der Laudes festivae ist, angelehnt an die Melodie der frühmittelalterlichen Laudes regiae, 53 mit dem Kehrvers Christus vincit … in deutscher Übertragung: Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewig‐ keit und der jeweiligen Gemeindeakklamation „wir huldigen dir“ nach jedem Ruf. In fünf Motivkreisen wird der erhöhte Christus zunächst in mehrfacher Hinsicht als „König“, dann vor allem in seiner Göttlichkeit, seinem Eintreten für die Armen, Sünder und Hoffnungslosen, in seinem österlichen Mysterium 282 Martin Klöckener <?page no="283"?> 54 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 743. Vgl. auch den Kommentar in: Josef S E U F F E R T u.a. (Hgg.), Werkbuch zum Gotteslob, Bd. 5: Sonntage und Herrenfeste im Jahreskreis Lesejahr C, Freiburg i.Br. 1976, 185f. Das KG 1998 enthält diesen Gesang nicht. 55 Wenn es statt „Herr und Meister“ (GL 1975) nun „Lehrer und Meister“ heißt, sollte zweifellos der Begriff „Herr“ an einer Stelle vermieden werden, wo er verzichtbar ist. Aus „Freund der Armen“ (GL 1975) wurde „Helfer der Armen“, aus „Mann der Schmerzen“ (GL 1975), eine Anspielung an das Vierte Gottesknechtslied Jes 53 (hier V. 3), wurde „Mann aller Schmerzen“, was mir kein Gewinn zu sein scheint. Wenn aus „Herr des Lebens“ (GL 1975) nun „Herr des neuen Lebens“ geworden ist, wollte man möglicherweise deutlicher die Auferstehung in den Blick bringen. „Licht der Menschen“ wurde zu „Licht für die Menschen“. Die johanneische Selbstaussage Jesu „Brot des Lebens“ ( Joh 6,35.48) wurde erweitert zu „Brot ewigen Lebens“; offenbar traute man den Gläubigen nicht das volle Verständnis des jesuanischen Diktums zu. Schließlich wurde aus „Weg zum Vater“ (GL 1975) - ebenfalls katechetisierend - „Weg zum himmlischen Vater“. 56 P R Aẞ L , Zum Lobe seiner Herrlichkeit (wie Anm. 35), 160 bezeichnet sie als Salzburger Jesus-Litanei, weil sie aus der Salzburger Gotteslob-AG hervorgegangen ist. von Leiden, Sterben und Erlösungshandeln für die Menschen und zuletzt in seiner Bedeutung für die Kirche im Heute und als „Weg zum himmlischen Vater“ angerufen. Standen diese Christus-Rufe im GL 1975, Nr. 564 unter den Christus-Gesängen, 54 so wurden sie im GL 2013 wegen ihrer literarischen Gestalt mit einem sich wiederholenden Ruf den Litaneien zugeordnet. Bemerkenswert sind einige geringfügige Änderungen gegenüber der Fassung von 1975, bei der die Verantwortlichen in den meisten Fällen offenbar das Anliegen einer kate‐ chetischen Verdeutlichung verfolgten, die nicht erforderlich gewesen wäre. 55 b) Die Salzburger Jesus-Litanei In GL 2013, Nr. 561 schließt sich eine kürzere Jesus-Litanei mit einer im Kehrvers dreistimmigen ostkirchlichen Melodie an. Die Litanei wurde neu erstellt 56 und ist stark von der heilenden und befreienden Zuwendung Jesu zu den Menschen geprägt. Dabei greift sie teilweise auf Vorbilder aus den Evangelien zurück und stellt gerade in den letzten drei Anrufungen „Jesus, du Brot, von dem wir leben / … du Licht, durch das wir sehen / … du Weg, auf dem wir gehen“ einen unmittelbaren Bezug zu den Betenden her. Mit den kurzen, aussagekräftigen Anrufungen und ihrer ruhigen, getragenen Melodie kann sie zu einer Vertiefung der Christus-Beziehung beitragen. c) Die Litanei von der Anbetung Jesu Christi Bei der Litanei von der Anbetung Jesu Christi (GL 2013, Nr. 562), die sich ebenfalls einer ostkirchlichen Melodie bedient, handelt es sich um eine abermals biblisch geprägte Aufforderung zur Anbetung des Leibes Jesu Christi, die auf frühchristliche Texte zurückgreift. Dabei werden die christologischen Aussagen Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 283 <?page no="284"?> 57 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 386-388. 391f. 829. Das KG 1998 kennt keine solche Litanei. 58 Vgl. Hans Bernhard M E Y E R , Gottesdienst und Spiritualität, in: Martin K L Ö C K E N E R - Angelus A. H Ä U ẞ L I N G - Reinhard M E ẞ N E R (Hgg.), Theologie des Gottesdienstes. 2: Gottesdienst im Leben der Christen. Christliche und jüdische Liturgie (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 2,2), Regensburg 2008, 251f.; Hans Josef nicht auf „Jesus (Christus)“ bezogen, sondern jeweils auf „den heiligsten Leib Christi, das Lamm Gottes“. Dementsprechend heißt es auch im mehrmals wiederholten Kehrvers: „Betet an den Leib des Herrn, betet an das kostbare Blut des Herrn“. Zur Sprache kommen in erster Linie Passagen aus den Evangelien im Zusammenhang der österlichen Ereignisse, beginnend mit dem Abendmahl Jesu mit den Jüngern bis hin zur Auferstehung und Verklärung Jesu Christi. Es legt sich sowohl durch den Kehrvers als auch durch die ersten Verse mit einer Anspielung auf das Letzte Abendmahl nahe, dass mit dieser Litanei eine eucharistische Aussage intendiert ist. d) Die Litanei vom Leiden Jesu Die Litanei vom Leiden Jesu (GL 2013, Nr. 563) bietet eine Betrachtung der ver‐ schiedenen Szenen und Elemente der Passion Jesu, verbunden mit der aus dem Kreuzesgeschehen erwachsenen Erlösung. Die Litanei endet mit Fürbittrufen für Leidende sowie für eine eigene dem Sinn Jesu im Leiden entsprechende Haltung der Betenden. Eine solche Litanei fand sich auch im GL 1975, Nr. 766, 57 wurde aber sowohl textlich als auch für die musikalische Gestaltung stärker überarbeitet. In der Struktur ähnelt sie der Allerheiligenlitanei, wenn am An‐ fang, nach einer Anrufung der drei göttlichen Personen, zahlreiche Anrufungen an Christus (hier natürlich nicht der Heiligen) stehen, die sich mit Elementen aus seiner Leidensgeschichte verbinden. Sodann folgt eine Serie von ebenfalls an Christus gerichteten Fürbitten, teils der Betenden für sich selbst, teils für andere, ehe zum Schluss weitere Anliegen vorgetragen werden. Der Kehrvers Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung rahmt die Litanei und wird auch zwischendurch an den Übergängen zwischen den einzelnen Teilen wiederholt, während der ebenfalls mehrfach wiederkehrende Ruf Erhöre uns Christus aus den Laudes Hincmari entlehnt ist. e) Die Herz-Jesu-Litanei Die Herz-Jesu-Litanei (GL 2013, Nr. 564) zählt zu den überlieferten kirchlichen Gebetstexten. Sie hat ihren spiritualitätsgeschichtlichen Hintergrund in der Herz-Jesu-Frömmigkeit, wie sie zwar schon in der mittelalterlichen Mystik be‐ gegnet, sich vor allem aber seit dem 17. Jahrhundert, ausgehend von Frankreich ( Jean Eudes usw.), entwickelte. 58 Die Litanei wurde 1899 von Papst Leo XIII. für 284 Martin Klöckener <?page no="285"?> L I M B U R G u.a., Herz Jesu, Herz-Jesu-Verehrung, in: LThK 3 5 (1996), 51-58; Hansjörg A U F D E R M A U R , Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 5), Regensburg 1983, 207-210. 59 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 379f. 385f. 394. 830. 60 Im GL 1975, Nr. 768 gibt es überhaupt keine gesanglichen Elemente bei dieser Litanei. Das KG 1998 führt die Litanei nicht auf. 61 Vgl. S E U F F E R T u.a. (Hgg.), Werkbuch zum GL, Bd.-5 (wie Anm. 54), 237-240. den liturgischen Gebrauch approbiert. Wie schon im GL 1975, Nr. 768 59 ist sie auch im GL 2013 nicht als ganze für den Gesang eingerichtet, sondern verweist nur auf den gesungenen Kehrvers Danket dem Herrn, denn ewig währt seine Liebe (Nr. 444), der jeweils nach einer Reihe von Anrufungen gesungen werden kann. 60 Die AG II hatte zunächst in Betracht gezogen, die Litanei nicht ins GL 2013 aufzunehmen, und sich um Alternativen bemüht, jedoch keine entsprechenden Texte gefunden. Da man auf eine - auch zuvor nicht bekannte - Vertonung verzichtete, wurde die Entscheidung an die AG V „Gebetstexte“ übergeben. So erscheint die Litanei, einzig zu Beginn ergänzt um die Anrufung „Christus, höre uns - Christus, erhöre uns“ gegenüber dem GL 1975 unverändert im GL 2013. 2.2.6 Die Heilig-Geist-Litanei Die AG II nannte von Beginn an unter den Desideraten für das neue Gesangbuch eine Litanei vom Heiligen Geist, die das GL 1975 nicht enthielt. Nach ausführ‐ licher Suche und Begutachtung entsprechender Gebetsmaterialien griff man schließlich auf die Litanei vom Heiligen Geist zurück, die Josef Seuffert unter Verwendung anderer Vorlagen abgefasst und im „Werkbuch zum Gotteslob“ 61 publiziert hatte. Nur einige geringfügige Änderungen wurden, teils aus Gründen der Singbarkeit, vorgenommen. Allerdings wurden die Abschnitte 5 und 6 (Fürbitten nach dem Modell „Dass …“ sowie der dreimalige Ruf „Lamm Gottes …“) ausgelassen, was im Blick auf den Gesamttext sinnvoll erscheint. Da sich im „Werkbuch zum Gotteslob“ keine Vertonung fand, schuf Godehard Joppich eine solche. Diese Text- und Melodiefassung, die im GL 2013 (Nr. 565) knapp vier Seiten füllt, beinhaltet vielfältige Anrufungen des Heiligen Geistes, die entweder biblisch begründet sind oder der sonstigen theologisch-geistlichen Tradition entstammen, im zweiten Abschnitt Bitten um Befreiung ähnlich wie bei der Allerheiligenlitanei, im dritten Abschnitt Bitten um das Wirken des Geistes in den Betenden selbst. Die Litanei stellt für das GL 2013 einen Gewinn dar. Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 285 <?page no="286"?> 62 Vgl. Walter D Ü R I G , Die Lauretanische Litanei. Entstehung, Verfasser, Aufbau und mariologischer Inhalt, St. Ottilien 1990; Ignazio M. C A L A B U I G - Salvatore M. P E R R E L L A , Le litanie della Beata Vergine. Storia - Teologia - Significato, in: Marianum 70 (2008), 103- 202 (weit ausholend, bibliographisch reichhaltig dokumentiert, mit einem gewissen Fokus auf der Lauretanischen Litanei, bes. 124-137. 155-171); Manfred H A U K E , Die Lau‐ retanische Litanei. Systematische Aspekte marianischer Volksfrömmigkeit, in: Nicolaus U. B U H L M A N N - Peter S T Y R A (Hgg.), Signum in Bonum. Festschrift für Wilhelm Imkamp zum 60. Geburtstag (Thurn und Taxis Studien. Neue Folge 1), Regensburg 2011, 933-953 (mit reichhaltiger internationaler Bibliographie); T E R S T R I E P , Litaneien (wie Anm. 3), 615-618. Siehe auch die ältere Monographie von Carl K A M M E R , Die Lauretanische Litanei (Die kirchlichen Litaneien), Innsbruck 1960. Die meisten Kommentare dieser Litanei, seien sie älteren oder jüngeren Datums, haben eher betrachtenden Charakter. 63 Vgl. G.G. M E E R S S E M A N , Der Hymnos Akathistos im Abendland, 2 Bde. (Spicilegium Friburgense 2-3), Freiburg/ Schweiz 1958-1960; vgl. auch D E R S ., „Virgo a doctoribus praetitulata“. Die marianischen Litaneien als dogmengeschichtliche Quellen, in: Frei‐ burger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 1 (1954), 129-178. 64 F I S C H E R , Art. Litaneien (wie Anm. 3), 216. Zur Einführung in Deutschland vgl. die ältere Studie von Nikolaus P A U L U S , Die Einführung der lauretanischen Litanei in Deutschland durch den seligen Canisius, in: Zeitschrift für katholische Theologie 26 (1902), 574-583; T E R S T R I E P , Litaneien (wie Anm. 3), 616. 65 Zu deren Deutung vgl. H A U K E , Lauretanische Litanei (wie Anm. 62), 938. 66 F I S C H E R , in: F I S C H E R - P R Aẞ L , Litanei (wie Anm. 3), 955 spricht von dem „poetischsten Element in den Prosatexten der kath. Liturgie“. 67 Vgl. die detaillierten Nachweise solcher innerbiblischen Bezüge bei H A U K E , Lauretani‐ sche Litanei (wie Anm. 62), bes. 942-947. 2.2.7 Marianische Litaneien a) Die Lauretanische Litanei Die seit dem 16. Jahrhundert bekannte große Marienlitanei, die Lauretanische Litanei, deren Name sich bekanntlich von ihrem Aufkommen am italienischen Marienwallfahrtsort Loreto ableitet, schließt sich im GL 2013 unter Nr. 566 an. Nach der Allerheiligenlitanei ist sie die nächstälteste in der katholischen Kirche amtlich anerkannte Litanei; Papst Sixtus V. approbierte sie im Jahre 1587. 62 Gilles Gérard Meersseman 63 hat gezeigt, dass „sie aus einer von östlicher Mari‐ enfrömmigkeit, näherhin von dem im Osten bis heute gebräuchlichen Hymnos Akathistos beeinflußten frühmittelalterlichen Reimlitanei an Maria entstanden ist (erste Bezeugung Paris 1200)“. 64 Wie die Allerheiligenlitanei kennt sie einen christologischen Rahmen sowie anfangs die Anrufung des dreifaltigen Gottes, so dass die Einbindung aller Marienverehrung in das Christusmysterium deutlich wird. 65 Die Litanei bedient sich einer stark poetischen Bildsprache, 66 benutzt zahlreiche Ehrentitel Marias, von denen verschiedene vor alttestamentlichem Hintergrund zu lesen sind und gleichsam einen Dialog zwischen Altem und Neuem Testament initiieren, 67 und darf in einigen Passagen nicht zuletzt als eine Huldigung Mariens verstanden werden, die aus ihrem zeitgeschichtlichen 286 Martin Klöckener <?page no="287"?> 68 Dass die Lauretanische Litanei „ein wertvoller Beitrag zur Neuevangelisierung“ in Deutschland sei, wie Hauke (ebd., 953) behauptet, kann der Verfasser dieser Zeilen angesichts seines Verständnisses von Neuevangelisierung unter den gegenwärtigen Herausforderungen nicht nachvollziehen. 69 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 830. Eine alternative Melodie wurde abgedruckt in: Josef S E U F F E R T u.a. (Hgg.), Werkbuch zum Gotteslob, Bd. 6: Die Gedenktage der Heiligen, Freiburg i.Br. 1977, 425f.; sie wurde im GL 2013 aber nicht berücksichtigt. Bei der alternativen Melodie werden jeweils mehrere Anrufungen zusammengezogen. 70 Vgl. das Rundschreiben der Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst vom 13.3.1980, in: Martin K L Ö C K E N E R - Heinrich R E N N I N G S (Hgg.), Dokumente zur Er‐ neuerung der Liturgie, Bd. 2: Dokumente des Apostolischen Stuhls 4.12.1973-3.12.1983, Kevelaer - Freiburg/ Schweiz 1997, Nr. 3954. Zu den historisch-theologischen Hinter‐ gründen vgl. Walter D Ü R I G , Ist die Inschrift des Magus-Epitaphs die früheste Bezeugung des neuen liturgischen Marientitels „Mutter der Kirche“? , in: Münchener theologische Zeitschrift 28 (1976), 376-384; D E R S ., Maria, Mutter der Kirche. Zur Geschichte und Theologie des neuen liturgischen Marientitels, St. Ottilien 3 1979. 71 Im Lateinischen heißt die Anrufung „Regina Familiae“ (Singular). Vgl. das Rund‐ schreiben der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vom 31.12.1995, in: Reiner K A C Z Y N S K I (Hg.), Enchiridion documentorum instaurationis liturgicae, Bd. 4: (15.1.1994-4.12.2003), Rom 2018, Nr. 7182; Martin K L Ö C K E N E R (Hg.), Dokumente zur Erneuerung der Liturgie, Bd. 4: Dokumente des Apostolischen Stuhls 4.12.1993-3.12.2003, unter Mitarb. von Siegfried O S T E R M A N N - Alexander Z E R F Aẞ , Kevelaer (in Vorb.), Nr.-7182. 72 Dabei handelt es sich um die Anrufungen „Mutter des Erbarmens“ („Mater misericordiae“), „Mutter der Hoffnung“ („Mater spei“) und „Trost/ Hilfe der Migranten“ („Solacium migrantium“). Vgl. das Rundschreiben der Kongregation für den Gottes‐ dienst und die Sakramentenordnung, in: Acta Apostolicae Sedis 112 (2020), 634; auch in: Ephemerides liturgicae 134 (2020), 383. Dazu: Christoph N E U E R T , Neue Titel für Maria. Ergänzende Anrufungen für die Lauretanische Litanei, in: Gottesdienst 54 (2020), 176. Kontext heraus verständlich wird. Durch ihr Alter und ihren regelmäßigen Gebrauch im Zusammenhang neuzeitlicher Marienfrömmigkeit ist sie zu einem Grundbestand marianischer Gebete geworden, auch wenn ihre Aussagen für Menschen der Gegenwart, die weniger mit dieser Tradition und Symbolik vertraut sind, manche Fragen aufwerfen können. 68 Die Textfassung im GL 2013 ist, abgesehen von zwei Ergänzungen, identisch mit dem GL 1975, Nr. 769 69 und dem KG 1998, Nr. 807, einschließlich der Melodie. Die ergänzenden Anrufungen Mariens wurden von Papst Johannes Paul II. 1980 eingeführt, und zwar „Mutter der Kirche“ im vorderen Teil 70 und „Königin der Familien“ gegen Ende. 71 Inzwischen wurden von Papst Franziskus weitere Anrufungen hinzugefügt, die in späteren GL-Ausgaben nachzutragen sein werden. 72 Die AG II hatte zu Beginn ihrer Arbeit in Erwägung gezogen, wegen der langen Tradition auch den lateinischen Text der Litanei mit abzudrucken, was aber später verworfen wurde. Auch wurde überlegt, ob man einzelne Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 287 <?page no="288"?> 73 Die mehrfache Kritik von H A U K E , Lauretanische Litanei (wie Anm. 62) an der Fassung der Litanei im GL 1975 wurde nicht berücksichtigt und war möglicherweise nicht rechtzeitig bekannt. 74 Vgl. Paul R I N G S E I S E N , Morgenlob - Abendlob. Mit der Gemeinde feiern, erarb. zus. mit Wolfgang B R E T S C H N E I D E R u.a., hg. vom Amt für Kirchenmusik im Ordinariat des Erzbistums München und Freising u.a., Dienstebuch, Bd. 3: Feste und Anlässe im Kirchenjahr, Planegg 2004, Nr. 103, S. 138f.; ebenfalls im Gemeindebuch desselben Werkes, 2004, Nr.-103, S.-118f. 75 Vgl. N O R D H U E S - W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht (wie Anm. 12), 380. 383-386. 391. 393. 830. - Im KG 1998, Nr. 808 wird bis auf geringe Varianten die Litanei für die Verstorbenen aus dem GL 1975 übernommen. überlieferte Sprachbilder nicht in einer für die Gegenwart eher zugänglichen Sprache wiedergeben könne. Doch nach Prüfung mehrerer anderer Vorlagen blieb es schließlich bei dem aus dem GL 1975 bekannten Text. 73 b) Das Marienlob Sei gegrüßt, Maria Zwei weitere marianische Stücke erscheinen unter den Litaneien. Das litanei‐ artige Marienlob moderner Gestalt Sei gegrüßt, Maria versucht, die Brücke zwischen biblisch begründeten Aussagen und der Bedeutung Mariens für die Kirche und die Gläubigen der Gegenwart zu schlagen. Der neu für das GL 2013 verfasste Text stammt von Paul Ringseisen und Stefan Klöckner und ist mit einer ostkirchlichen Melodie versehen (Nr. 567). Die Sprache dieses Marienlobs unterscheidet sich grundlegend vom Marienlob der Lauretanischen Litanei und ist mit ihren vielen biblischen Bezügen und Allusionen für die Menschen der Gegenwart sehr ansprechend. c) Die Grüssauer Marienrufe Außerdem werden die Grüssauer Marienrufe mit dem weithin bekannten, volkstümlich beliebten Kehrvers Mutter Gottes, wir rufen zu dir und der gleich‐ bleibenden Akklamation der Gemeinde Maria, wir rufen zu dir in einer textlichen Bearbeitung von Rupert Berger wiedergegeben (Nr. 568), an deren Ende noch ein Abschnitt mit dem Titel „Von den sieben Schmerzen“ hinzugefügt wird, der nach demselben Schema und mit derselben Melodie gesungen werden kann. Der Text wurde aus dem Werk „Morgenlob - Abendlob“ für die Tagzeitenliturgie mit der Gemeinde übernommen. 74 Insgesamt stehen damit im GL 2013 drei marianische Litaneien zur Verfügung. 2.2.8 Die Litanei für die Verstorbenen Die Litanei für die Verstorbenen (GL 2013, Nr. 569) beschließt diese Gruppe von Gesängen. Sie fand sich schon ähnlich im GL 1975 (Nr. 770), 75 wurde aber leicht bearbeitet und vor allem mit einem anderen Kehrvers versehen, der die 288 Martin Klöckener <?page no="289"?> 76 Vgl. George B. T I M M S , Eine Christkönigs-Litanei, aus dem Engl. übers. von Christoph N E U E R T , in: Gottesdienst 52 (2018), 250; Bettina W I S S E R T , Biblische Frauengestalten. Eine Litanei für Wort-Gottes-Feiern und andere Anlässe, in: Gottesdienst 53 (2019), 205f. (textlich zu aufgeladen). österliche Hoffnung der Christen im Tod besser ausdrückt: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung. Darauf folgt als Antwort der Gemeinde ein Ruf zum erhöhten Christus: Christus ist Sieger, Christus ist König, Christus ist Weltenherr. Der Schlussteil im GL 1975, beginnend mit dem Ruf „Wir armen Sünder“ und Bitten der Betenden für sich selbst sowie mit dem Vater unser, wurde im GL 2013 passenderweise getilgt. 3 Litaneien - eine Gebetsform für die Zukunft? Angesichts der zeitgenössischen Krise des Gebets und überlieferter liturgischer Formen mag man ernsthaft fragen, ob Litaneien eine Gebetsform der Zukunft sind. Ihr Vollzug setzt eine gewisse Vertrautheit mit Inhalt und Form voraus und kann deshalb für manche Gläubige schwierig bleiben. Jenen hingegen, die sich darauf einlassen, können Litaneien eine intensive Gebetserfahrung bieten, die sich nicht aus ständig Neuem speist, sondern gewissermaßen in einer Kreisbewegung unterschiedliche Seiten des einen und selben Heilsmyste‐ riums aufschließt, als dessen tragenden Teil im Heute sich die Betenden selbst erfahren. Rund zehn Jahre nach der Einführung des GL 2013 liegen keine Untersuchungen über die Rezeption der darin enthaltenen Litaneien vor, so dass man kaum etwas Verlässliches über den tatsächlichen Gebrauch sagen kann. Deshalb bleiben viele Aussagen eher auf der Ebene der individuellen Erfahrung aus der Liturgiepastoral. Lediglich die Allerheiligenlitanei hat in jeweils angepasster Gestalt einen festen Platz in zahlreichen liturgischen Feiern; allerdings wird sie vermutlich kaum einmal außerhalb dieser Feiern gebraucht. Doch gibt es Anzeichen für ein fortbestehendes Interesse an der Gebetsform Litanei, und zwar sowohl im gemeinschaftlichen Gottesdienst als auch im privaten Gebet, wobei klar sein dürfte, dass nicht alle Litaneien für beide Verwendungen gleich gut geeignet sind. In Büchern für das private Gebet wie auch in Materialien für den Gottesdienst finden sich häufiger neu verfasste Li‐ taneien für unterschiedliche Gelegenheiten, sowohl als Anrufungsals auch als Anliegenlitanei oder in Kombination der beiden. Die Zeitschrift „Gottesdienst“ hat in den letzten Jahren mehrmals solche Initiativen vorgelegt. 76 Längst nicht alle neuen Entwürfe sind zufriedenstellend, lassen mitunter die symbolischen Sprachformen vermissen, viele bedürften einer kritischen theologischen Refle‐ xion. Doch ist allein schon das Phänomen, dass neue litaneiartige Gebete und Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 289 <?page no="290"?> 77 Vgl. das Dekret zur Veröffentlichung der beiden Litaneien in: Notitiae 561-562 (2013), 236f. Die lateinischen Titel sind: De Domino Nostro Iesu Christo Sacerdote et Victima (Text: ebd., 238-242) und De Sanctissimo Sacramento (Text: ebd., 243-247). Einen Kommentar bietet Maurizio B A R B A , L’approvazione di due Litanie cristologiche, ebd., 255-274; D E R S ., Due litanie cristologiche di recente approvazione. Un nuovo contributo alla storia della preghiera cristiana, in: Ephemerides liturgicae 127 (2013), 153-168. Schon mehrere Jahre zuvor hatte Jean E V E N O U , Les litanies du Christ, Prêtre et Victime, in: Ephemerides liturgicae 120 (2006), 25-51, veranlasst durch die mehrfache öffentliche Zitation der Litanei von Jesus Christus, Priester und Opfer(gabe) durch Papst Johannes Paul II., den Ursprung dieses Gebets in der Ecole française de spiritualité des 17. Jahrhunderts aufgezeigt und verschiedene Fassungen vorgestellt, die besonders zur Förderung einer bestimmten geschichtlichen Form priesterlicher Frömmigkeit und Christusidentifikation gedient haben, heute aber kaum mehr tragbar sind. 78 Es gibt keine amtliche deutsche Übersetzung der Litaneien. Im Internet finden sich diverse private Fassungen. Wenn man in der Litanei von Jesus Christus, Priester und Opfer(gabe) auf Aussagen stößt wie „Von einem unüberlegten Eintritt in den Klerus, erlöse uns, o Jesus! / Von der Sünde des Sakrilegs … / Vom unwürdigen Ausgeben des Kirchenvermögens …“ (lateinisches Original: „A temerário in clerum ingréssu, líbera nos, Dómine. / A peccáto sacrilégii, libera … / Ab indígna opum ecclesiasticárum dispensatióne …“), kann man nicht anders, als von einem Missbrauch des Gebetes, der ans Absurde grenzt, zu sprechen. Texte geschaffen werden, bemerkenswert. Das Internet als Informationsquelle bietet darüber hinaus ein buntes Panoptikum von Litaneien sehr unterschiedli‐ cher Qualität, aus allen denkbaren Frömmigkeitsrichtungen, gelegentlich auch mit Absurditäten und oft in unzureichender sprachlicher Gestalt. Im Vergleich zu vielen dieser Texte sind die Litaneien des GL 2013, die sämtlich einem kriti‐ schen Auswahlverfahren nach theologischen, sprachlichen und musikalischen Kriterien unterzogen worden sind, eine Wohltat. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat im Jahr 2013, also zu spät, um im GL 2013 berücksichtigt werden zu können, zwei neue Litaneien für die Gesamtkirche veröffentlicht, die Litanei Jesus Christus, Priester und Opfer(gabe) sowie die Litanei vom Allerheiligsten Sakrament, die im deutschen Sprachgebiet kaum wahrgenommen worden sind. 77 Sie entstammen bestimmten spiritualitätsgeschichtlichen Kontexten, die teilweise in der Gegen‐ wart schwierig zu vermitteln sind und Fragen aufwerfen; manche Anrufungen und Anliegen kann man nicht anders denn als eine stark moralisierende, auf vermeintliche Erziehung bedachte, letztlich missratene Zusammenstellung von Tugenden und Verhaltensweisen primär von Priestern bezeichnen. 78 Auch fehlt diesen Litaneien das poetische Element, wie es auf völlig verschiedene Weise etwa die Litanei von der Gegenwart Gottes und die Lauretanische Litanei auszeichnet. Solche Entwürfe sind für die geistliche Förderung der Getauften, ob als Laien oder im priesterlichen Dienst, nicht hilfreich. 290 Martin Klöckener <?page no="291"?> Wichtig bleibt für die Litaneien der Gesang. Diesbezüglich ist das GL 2013 ein deutlicher Gewinn gegenüber dem GL 1975 sowie dem schweizerischen KG 1998, das ohnehin bei den Litaneien zurückhaltender war. Durch den gesungenen Vollzug entgeht man auch eher der Gefahr eines „Herunterleierns“ der immer gleichen Antworten, sondern kann sich besser in die geistliche Dynamik, die eine gute Litanei entwickeln kann, hineinbegeben. Mit ihren sachgerechten Merkmalen sind die Litaneien im GL 2013 aufs Gesamt gesehen wichtige Elemente, um in der Gemeinschaft des Volkes Gottes die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott zu tragen und ihm Lobpreis, Anrufung und Bitte entgegenzubringen. Die menschliche Lebenswelt vertrauensvoll vor Gott tragen 291 <?page no="293"?> „Stücke deines alten Namens“ Über die biblische Art und den liturgischen Ort des Kirchenliedes Kees Kok 1 Im Voraus Ich lese es heraus aus deinem Wort, aus der Geschichte der Gebärden, mit welchen deine Hände um das Werden sich rundeten, begrenzend, warm und weise. Du sagtest leben laut und sterben leise und wiederholtest immer wieder: Sein. Doch vor dem ersten Tode kam der Mord. Da ging ein Riss durch deine reifen Kreise und rief die Stimmen fort, die eben erst sich sammelten um dich zu sagen, um dich zu tragen alles Abgrunds Brücke - Und was sie seither stammelten, sind Stücke deines alten Namens. (Rainer Maria Rilke) Als ich 2023 diesen Beitrag für Ansgar Franz’ Festschrift vorbereitete, starb am Ostersonntag mein Lehrmeister und langjähriger Weggefährte, der am Allerheiligenfest 1933 geborene niederländische Dichter und Theologe Huub Oosterhuis, im Alter von 89 Jahren. Seine Lieder haben viele Stimmen gesam‐ melt, um „alles Abgrunds Brücke“ zu sagen, zu tragen und zu singen. Seine Lieder sind „Stücke / deines alten Namens“, des Namens des Schöpfers und Befreier-Gottes, zusammen gestammelte, unsagbar gesungene Lieder. <?page no="294"?> 1 Huub O O S T E R H U I S , Weiter sehen als wir sind, Freiburg i.Br. 1973, hier: 146. 2 Inspiriert von Louis-Marie C H A U V E T , Du symbolique au symbole. Essai sur les sacrements, Paris 1979, hier: 87-109, bes. 96-100. Wie er 1973 schrieb: „Ich glaube an gläubige Lieder, die sagen, was nur gesungen werden kann, die wissen, was nicht zu wissen ist, wehrlos, wie nur ein Lied ist“. 1 Vieles von dem, was ich in diesem kleinen Artikel zu stammeln versuche, habe ich von ihm gelernt und ist Ansgar Franz auch im Namen von Huub Oosterhuis gewidmet. 2 Die Bibel als lebendige Quelle Der Ort, der ‚Sitz im Leben‘, des Kirchenliedes ist die Liturgie, der Gottesdienst. Als liturgischer Gesang steht es im ‚Dienst des Wortes‘: des großen Dialogs der biblischen Geschichte der Befreiung, als Aktualisierung und Fortsetzung dieses Dialogs; des Gesprächs, das einmal anfing mit der Frage: „Adam, wo bist du? “ - und später: „Mensch, wo ist dein Bruder? “ Es werden Texte und Lieder, Dichter und Komponisten gebraucht, die zu diesem Dienst des Wortes bereit und ausgerüstet sind; die davon überzeugt sind, dass Sprache und Worte und die großen Themen, die in der Bibel in verschiedensten Tonarten entfaltet werden, aufgrund ihrer lebenserfahrenen Ursprünglichkeit immer wieder neuen Lehrstoff zur Klärung und ‚Weisung‘ (Thora) der eigenen, existentiellen Erfahrung, immer wieder neue Lieder bieten können. Psalmen und Cantica bilden zwar den wichtigsten Teil der biblischen Poesie, aber auch Moses und die Propheten, Kohelet und das Hohelied, die Evangelien und sogar der schwierige Paulus sind eine ‚ewige‘ Quelle für neue biblische Lieder. Auch die Thora selbst, die fünf Bücher Mose, enthält mehr ‚Liedgut‘ als das ‚Lied des Schilfmeeres‘ in Exodus 15 und das ‚Lied von Moses‘ in Deuteronomium 32. Unerschöpfliches Material für immer neue Lieder und Gesänge, in denen die Bücher Mose neu gelesen, erklärt und mit aktueller Lebenserfahrung aufgeladen werden. 3 Das Dreieck des Wortes 2 In der Liturgie herrscht das Wort vor. Gottesdienst ist eine immer neue Bewe‐ gung vom Hören übers Feiern zum Leben (und zurück). Es setzt die Liturgie als einen Prozess, ein Zusammenspiel von Wort und Antwort in Gang. Man kann 294 Kees Kok <?page no="295"?> 3 Kees K O K , De kunst van de liturgie, Kampen 2004, Kap. 4, hier: 24-29. sich Liturgie schematisch als ein interaktives Dreieck vorstellen, als lebendige Interaktion zwischen gehörtem, gefeiertem und gelebtem Wort. 3 Die Basis des liturgischen Dreiecks symbolisiert eine Abgrenzung innerhalb der Zeit: Die ekklesia (Gemeinde) kommt zu einer bestimmten Zeit zusammen, in einem Hier und Jetzt, zwischen Vergangenheit und Zukunft, um sich zu orientieren an dem Wort. Damit entzieht sie sich der Zeit und Welt keineswegs. Ihre Liturgie steht mit beiden Füßen auf dem Boden, sie grenzt sich jedoch von Zeit und Raum ab, um sich zu besinnen, um zu Atem zu kommen. Während dieser liturgischen Zeit und in diesem Raum wird gleichsam ein Weg vom Hören übers Feiern zum Leben zurückgelegt. Dieser Weg ist bestimmend für die Reihenfolge der Liturgie. Die Gemeinde kommt wegen des gehörten Wortes zusammen, wegen der Glaubenstradition, von der die Bibel wie gesagt das ‚Ehrenwort‘ darstellt. Nach der Eröffnung der Liturgie und den verschiedenen Riten, die damit zusammenhängen (etwa dem Entzünden einer Kerze), ist der erste Teil der Liturgie gekennzeichnet durch den ‚Dienst des Wortes‘, das liturgische Lehrhaus, in dessen Mittelpunkt das Hören des Wortes und dessen Auslegung steht. Aber von Anfang an spielt auch das ‚Feiern‘ schon eine Rolle, denn das Wort wird ja nicht erst jetzt zum ersten Mal gehört, die Liturgie ist eingebettet in eine Serie, ist Teil eines (kirchlichen) Jahreslaufs. In Lied und Gebet, in Akklamation und Psalm wird das Gehörte interpretiert, ergründet, angenommen und angeeignet, das heißt: in die eigene Situation gesprochen, von außen nach innen gebracht, verinnerlicht. Diese Aneignung des Wortes erreicht ihren Höhepunkt in der Feier der Eucharistie, in dem wirksamen Zeichen (signum efficax) von Brot und Wein. Das Brechen, Teilen und Essen, die Teilnahme an der Eucharistie (Abendmahl) symbolisiert die Aneignung auf sehr direkte Art und Weise. Diese Geste zum Gedächtnis an Jesus, den Messias, drückt die Bereitschaft zur Teilnahme an dem ‚messianischen Projekt‘ aus, dem Kommen des Reiches Gottes: ‚neuer Himmel‘ und ‚neue Erde‘. Auf diese Art und Weise wird das Wort gefeiert. Nachfolgend steigt die ekklesia hinab über Treppen der Fürbitte (die wir aus diesem Grunde auch an das Ende des gesamten Gottesdienstes stellen) mit dem Segen hin zu dem Ort, an dem ihre Mitglieder Verantwortung tragen, in Beziehungen, Familie, Arbeit, Politik, all den Orten und Situationen, wo das Wort gelebt werden muss. „Stücke deines alten Namens“ 295 <?page no="296"?> 4 Gespräch - Wort und Antwort Die Bibel ist Ursprung und Sprachquelle allen Gottesdienstes (hebr. avoda), also auch des Kirchengesangs. Aber sie darf nicht von der ersten bis zur letzten Seite als toter Buchstabe zum unantastbaren ‚Wort Gottes‘ erhoben werden, isoliert vom aktuellen, lebendigen Umgang mit ihm. Sie möchte auch nicht in endlosen, strophischen Liedern nachgesungen und nachgebetet, sondern sollte immer wieder mit neuen Erfahrungen aufgeladen werden, damit sie wirklich gefeiert - das heißt von der versammelten Gemeinde angeeignet - und gelebt werden kann. Die römisch-katholische Liturgie, namentlich die Messe, als lebendiges Ge‐ spräch zwischen Tradition und existentieller Erfahrung stand allerdings vier‐ hundert Jahre lang still. Erfahrung wie Tradition waren jahrhundertelang im Latein und in Rubriken eingefroren. Das volle Leben suchte inzwischen seinen Weg außerhalb der Liturgie, in privater und öffentlicher Frömmigkeit, und in den letzten Jahrhunderten immer mehr auch außerhalb von Kirche und Christentum. Obwohl er damals noch streng den Vorrang der lateinischen römisch-katholischen Liturgie vor der frommen Andacht betonte, warnte Ro‐ mano Guardini schon 1918 in „Vom Geist der Liturgie“: „der Abstand von der durchschnittlichen Gefühlslage darf nicht zu groß werden. […] Die Liturgie hat den Grundsatz Ne bis idem (‚Es soll nichts wiederholt werden‘). […] Der Mensch 296 Kees Kok <?page no="297"?> 4 Romano G U A R D I N I , Vom Geist der Liturgie, Freiburg i.Br. 1918, 17-41: Kap. „Liturgisches Beten“, hier zitiert: 29. 35 (Anm.). 41. 5 Alex S T O C K , Liturgie und Poesie. Zur Sprache des Gottesdienstes, Kevelaer 2010, 127. soll sein volles Leben in seinem Beten wiederfinden“. 4 Es hat den Anschein, dass die römische Kirche aus gegenreformatorischer Beflissenheit im Lauf der letzten Jahrhunderte die Bibel theologisch so beschlagnahmt hat, dass deren eigene Stimme oft erstickt wurde, dass man ihre befreiende Botschaft oft nur noch in einer unverständlichen Sprache schallen hörte. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben die kirchlichen Hüter der Liturgie darin keine wesentliche Wende gebracht. Sie haben sich als Verteidiger einer vergangenen Liturgiesprache und vergangener gottesdienstlicher Formen verhalten und der noch nicht wirklich begonnenen Liturgie-Erneuerung vorzeitig Grenzen ge‐ setzt. Die Folgen - aber es gibt natürlich mehrere Ursachen dafür - sind bekannt: leerlaufende Kirchen und gleichzeitig eine Sintflut von neuen Texten, Liedern und Liturgien von sehr unterschiedlichem Gehalt und sehr unterschiedlicher Qualität, die auch nicht immer einen Damm gegen den Leerlauf bilden. Und oft ist die Bibel das Opfer auf der Schlachtbank der angestrebten Neuzeitlichkeit. Wie der Theologe Alex Stock einmal scharf feststellte: „Statt dass die Liturgie in all ihren Teilen verstanden wird als Medium, das heutige Denken mit der biblischen Sicht der Dinge vertraut zu machen, wird das ‚heutige Denken‘ zum Maßstab der Pensionierung biblischer Motive genommen“. 5 Neue, zeitgerechte Liturgie und liturgische Kirchenlieder entstehen nur, und immer aufs Neue, aus dem geduldigen, ständigen Umgang mit der eigenen Tradition, wovon die Bibel, vor allem die Psalmen, Anfang und bleibende Quelle ist. 5 Schriftsprache Die Entwicklung einer Sensibilität für die Liturgiesprache erfordert also einen regelmäßigen Umgang mit der Heiligen Schrift, vor allem für diejenigen, die sich berufen fühlen, selbst neue liturgische Texte und Lieder zu verfassen. Dabei sollten sie lernen, die Schrift so zu lesen, rezitieren und singen, dass das Alltags‐ leben und die Daseinserfahrung der Gemeinde in ihr Resonanz finden. Wenn das einst gelebte Wort nicht mit dem heutigen Leben in Berührung kommt, kommt es nicht zur Sprache und gibt es auch nichts zu feiern. Hier stehen wir sofort vor einer Fülle von praktischen Problemen. Die römisch-katholische Kirche hat in ihrer Geschichte kaum andere Formen des Umgangs mit der Bibel als die traditionell-liturgische und christozentrisch-dogmatische gekannt. Im Religionsunterricht beschränkte sich das Kennenlernen der Bibel oft auf die „Stücke deines alten Namens“ 297 <?page no="298"?> 6 Beispielsweise Maarten ’ T H A R T , Ein Schwarm Regenbrachvögel, Berlin 1988. 7 Kornelis Heiko M I S K O T T E , De openbaring der verborgenheid, Baarn 1934, 65-99: Kap. „Opmerkingen over theologische exegese“, hier: 74. Eigene Übersetzung. ‚Biblische Geschichte für Schule und Familie‘, in der erzählende Abschnitte der Bibel mehr oder weniger wörtlich nacherzählt und zu einer durchgehenden Geschichte aneinandergereiht wurden, die mit der Bibel selbst nur noch auf anekdotischer Ebene zu tun hatte. Die Sprachwelt der Schrift in ihrer ganzen Breite und Tiefe ist Durchschnittskatholik: innen jedenfalls lange unbekannt und daher ungeliebt geblieben. Für ihre reformatorischen Schwestern und Brüder ist die Situation ganz anders, aber deshalb nicht immer besser. Sie sind oft mit der Bibel von Genesis bis Offenbarung aufgewachsen. Für manche ist sie ein verfestigter sprachlicher Schatz, für andere ein moralisches schwarzes Loch, wovon der auch im deutschen Sprachgebiet bekannte Maarten ’t Hart so blumenreich zeugt. 6 Auch hier ist die biblische Breite und Tiefe nicht selten von Generationen dogmatisch verengt und festgefahren worden. Ein erneutes oder erstmaliges Kennenlernen der Bibel stößt vorerst auf eine Erblast von Missverständnissen, die vor allem bei älteren Menschen manchmal unausrottbar scheinen. Es wird viel Zeit und Geduld benötigen, um diese Missverständnisse auszuräumen und zu einem gesunden, unvoreingenommenen Verhältnis zur ‚großen Geschichte‘ der Bibel zu gelangen. Der bedeutende niederländische evangelische Theologe Kornelis Heiko Miskotte schrieb darüber schon 1934 dieses: „Die Gestalt der Schrift ist zu fremdartig, zu chaotisch, als dass je der Sinn der Schrift mit den Worten an der einen oder anderen Stelle übereinstimmen würde: der Sinn übersteigt alle Worte. Und doch ist der Sinn nirgendwo anders zu finden als in den konkreten Zeichen, das Wort nirgendwo anders als in den Worten. Deshalb kann man sagen, dass das Missverstehen der heiligen Schriften die Regel und das Verstehen die Ausnahme ist.“ 7 Das im Judentum geborene ‚Lehrhaus‘, das regelmäßige Lernen und Nach‐ denken über den Text, gemeinsam mit anderen und mit Hilfe von fachkundigen Lesern, ist, in irgendeiner Form, auf Dauer unabdingbar. Und immer wird dieses Lernen mit Blick auf die Liturgie Hand in Hand gehen müssen mit dem Lesen und Buchstabieren konkreter menschlicher Geschichten in den vielen anderen Sprachen, die im Alltag der Gemeinde eine Rolle spielen: in der Sprache der Nachrichten, der Medien, der Poesie und der Literatur und all den anderen Sprachen, in denen Menschen ihre Emotionen ausdrücken und die sie oft aus dem ‚Lebenslied‘, der Popularmusik und anderen kleinen und großen Poesien 298 Kees Kok <?page no="299"?> 8 C H A U V E T , Du symbolique au symbole (wie Anm. 2), hier: 272. Eigene Übersetzung aus dem Französischen. 9 Ebd., 273. 10 Ebd., 275. schöpfen. All dies zusammen bildet den Resonanzraum, in dem die Schrift erst zur Sprache kommen und in Liedern lebendig werden kann. 6 De- und Resakralisierung Der französische Theologe Louis-Marie Chauvet nennt in seinem oben ge‐ nannten Buch „Du symbolique au symbole“ eine weitere wichtige Vorausset‐ zung, die die Liturgiesprache und -symbolik erfüllen muss, wenn sie in der heutigen Zeit etwas zu sagen haben soll: „Sie muss aus der zeitgenössischen Kultur schöpferisch sein, vor allem aus all jenen Momenten, in denen sich die Geschichte zur Zukunft und zu einer anderen Welt hin öffnet, zur Befreiung, zur Gerechtigkeit, zur gerechten Verteilung, zur neuen Menschlichkeit“. 8 Dabei interpretiert Chauvet die viel beklagte Säkularisierung positiv: „Die Säkularisierung, d.h. die Forderung nach Autonomie von Politik, Wissenschaft und Moral gegenüber den etablierten Religionen, führt nicht zum Tod des Heiligen, sondern zu seiner Metamorphose: Man wird Zeuge einer religiösen Desakralisierung und einer a-religiösen Resakralisierung. Das Heilige verlagert sich von Objekten wie dem Universum, der Heimat, der Ehe, der Familie, der Tradition zu einer Heiligkeit historischer Natur: Sozialismus, Autonomie, Pluralismus, Befreiung, Gewaltlosigkeit, Ökologie. Dieser Wandel findet seinen Widerhall in der Bibel, insbesondere in der Prophetie, denn ist die Entsakralisierung des Universums zugunsten der Geschichte nicht im Herzen der Bibel selbst geschrieben? “ 9 Chauvet ist besonnen genug, um auf einige Fallstricke hinzuweisen. Sogar Worte wie Gerechtigkeit, faires Teilen, Engagement sind „wie Sahnetörtchen“ („tartes à la crème“) geworden, die oft bedeutungslos mundgerecht angewendet werden und leicht zu „schamlosem Geschwätz, Exhibitionismus oder ideologi‐ scher Belehrung“ führen können. Nur die ‚Dankbarkeit‘, die uneigennützige Anmut der Poesie kann die Liturgiesprache davor bewahren. 10 Es werden also Dichter gebraucht. 7 Authenticam? Am 28. März 2001 veröffentlichte die vatikanische Gottesdienstkongregation unter dem Titel Liturgiam authenticam eine Instruktion mit Kriterien für die „Stücke deines alten Namens“ 299 <?page no="300"?> 11 Cornelis V A N A N D E L , Tussen de regels: de samenhang van kerkgeschiedenis en kerklied, Den Haag [1961] 1982, 167. Übersetzung liturgischer Texte, wie sie von Rom nach dem Zweiten Vatikani‐ schen Konzil freigegeben wurden. Die Instruktion enthält jedoch auch Anmer‐ kungen zu neu geschaffenen Texten und Hymnen, die auf ihre Orthodoxie, d.h. auf ihre Authentizität nach römischen Maßstäben, geprüft werden sollen. Die Bischöfe wurden angewiesen, eine Bestandsaufnahme der bestehenden Übersetzungen und neuen Texte vorzunehmen und innerhalb von fünf Jahren Bericht zu erstatten. Wie dies geschehen sollte und welche die Kriterien für eine solche Überprüfung sind, war nicht klar. Außerdem war es zu spät. Fast überall sangen die Menschen schon ihr eigenes Lied und, wie Huub Oosterhuis in einem dieser Lieder schrieb: Wer lebt, der macht sein eignes Lied und wer nicht lebt, versteht es nicht Als Liturgicam authenticam erschien, ging in den niederländischen Medien das Gerücht um, dass vor allem die Texte und Lieder von Oosterhuis dieser Überprüfung zum Opfer fallen würden. Bisher ist es nur der Diözese Roermond (in der südniederländischen Provinz Limburg) gelungen, seine Lieder aus der Anthologie „Laus Deo“ zu verbannen. Allerdings werden in den zwei meist verbreiteten sonntäglichen Gottesdienstheftchen nur noch einige wenige, ältere Lieder von ihm zugelassen. Interessant ist, dass Oosterhuis einst, als Sekretär der Liturgiekommission des niederländischen Pastoralrates, dafür plädierte, dass Theologen wie Edward Schillebeeckx und Liturgiker die liturgischen Texte, die aus verschiedenen Gemeinden kommen, prüfen und sie sogar den römischen Behörden zur ‚Genehmigung‘ vorlegen sollten. Das war am 1. April 1969 in Herzogenbusch. Kardinal Alfrink lobte seinen jugendlichen Enthusiasmus und schloss gleich die Sitzung. Der Refrain der Geschichte des Kirchenlieds, jedenfalls in den Niederlanden, lautet: „Leider verfügte man nicht über Dichter großen Formats und die Über‐ setzungen lassen den ursprünglichen Versen oft kein Recht widerfahren“. 11 Auch für die Liturgiesprache gilt jedoch, was der jüdische Schriftsteller Bruno Schulz schon 1936 besonders tief umschrieben hat: „Die Sprache ist ein metaphysisches Organ des Menschen. Dennoch verliert das Wort im Lauf der Zeit seine Geschmeidigkeit, festigt sich und hört auf, Leiter neuer Sinngebungen zu sein. Der Dichter stellt das Leitungsvermögen der Worte durch neue Kurzschlüsse wieder her. Die Poesie gibt den Wörtern ihren Platz wieder, verbindet sie 300 Kees Kok <?page no="301"?> 12 Bruno S C H U L Z , Das Mythisieren der Wirklichkeit, in: D E R S ., Die Wirklichkeit ist Schatten des Wortes: Aufsätze und Briefe, Frankfurt a.-M. 1994, hier: 240-242. 13 C H A U V E T , Du symbolique au symbole (wie Anm. 2), 292. 14 Huub O O S T E R H U I S , Stilte zingen. Verzamelde Liedteksten, Utrecht 2018, hier: 170, Übersetzung KK. Eine spätere Variante der letzten Zeile (Psalm 121,4) lautet: „Er wird nicht schlafen, aller Seelen Hüter“. gemäß ihren alten Bedeutungen. Beim Dichter erinnert sich das Wort gewissermaßen an seinen wirklichen Sinn, blüht auf, entfaltet sich spontan nach den eigenen Gesetzen und gewinnt seine Integrität wieder.“ 12 Auch Chauvet postuliert für eine authentische Liturgiesprache einen „gewissen Poetismus“. 13 Zusammenfassend: Die einfachsten Formulierungen können eine starke poetische Funktion haben. Es braucht keine schwierigen Worte, keine ausgefeilte Ästhetik. Man muss an der Beziehung („enchaînement“) der Wörter untereinander herumspielen. Es handelt sich dabei nicht um ‚freie Poesie‘ und schon gar nicht um den ‚individuellsten Ausdruck des individuellsten Gefühls‘, sondern um poetische Qualität im Dienst der Liturgie. Chauvet weist auch auf die im Namen der Kreativität erzwungene Spontaneität hin, die paradox ist und schnell etwas Pathologisches annimmt: „wahre Spontaneität erfordert eine lange Einübung ihrer Ausdrucksmittel“. 8 Lieder über die ‚Schrift‘ Klangreste einer unvollendeten Geschichte. Steinerne Silben, Spuren im Wüstensand. Lichtworte, einst empfangen, doch von wem? - Er wird nicht schlafen, Israels Behüter (Huub Oosterhuis) 14 Außer Oosterhuis’ „Schriftliedern“ habe ich in allen niederländischen Gesang‐ büchern kein einziges Lied gefunden über die Bibel als Buch, über die Art dieses Buches. Die Bibel ist für Oosterhuis kein religiöses Denkmal, kein aus dem Himmel gefallenes göttliches Diktat, kein moralisches Gesetzbuch, sondern sie ist ‚ein lebendiges Buch von Menschen über Menschen‘, ein Menschentagebuch. Aber es ist auch ein schwieriges Buch. Es sind „Klangreste“ aus vergangener Zeit, „steinerne Silben, Spuren im Wüstensand“. Sie können jedoch „Lichtworte“ sein, wenn sie als Signale der darin verborgenen, großen Erzählung der Be‐ freiung, einer immer unvollendeten Geschichte, verstanden werden. Nach eigener Aussage verfasste Huub Oosterhuis seine ersten Lieder für „römisch-katholische Heidenkinder, die nach gutem katholischem Brauch noch „Stücke deines alten Namens“ 301 <?page no="302"?> 15 Ausführlicher schrieb darüber Alex S T O C K , in: Hansjakob B E C K E R u.a., Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 492-498. 16 Gotteslob, Bistum Mainz, Nr.-712,5. 17 Ansgar F R A N Z , 712,5 Der Chaos schuf zu Menschenland, in: D E R S . - Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022, 98-104, hier: 103. nie von der Bibel gehört hatten“. Er selbst hatte damals „noch kaum mit der Bibel angefangen“. Trotzdem ist dieses von Hause aus jüdische Buch - auch das „Neue“ ist jüdisch von Hause aus! - allmählich die bleibende Grundlage seiner liturgischen Dichtung geworden. 9 Zum Schluss Zum Schluss noch einiges über Oosterhuis’ wohl bekanntestes Lied über die Bibel, sein Schriftlied. 15 Es wurde in den Mainzer Eigenteil des „Gotteslob“ 16 aufgenommen, dank Ansgar Franz, der es in dem 2022 erschienenen Band „Die Lieder des Mainzer Gotteslob“ auch kommentiert hat. Franz schreibt da: „Das Schriftlied von Huub Oosterhuis betrachtet die Bibel nicht als eine alte Sammlung frommer Geschichten aus der Vergangenheit oder als Reservoir für Fußnoten zu theologischen Traktaten, sondern es liest die Schrift in der Weise, wie es auch die Liturgie tut“. 17 Dieses für Oosterhuis’ Werk wohl „pro‐ grammatische“ Lied besteht aus drei Strophen, aus einer Trinität. Es entfaltet sich in der Zeit: vom menschlichen Ursprung bis zur menschlichen Zukunft und dazwischen: die Menschentage. Es ist ein Buch über die Weltgeschichte vom ersten bis zum letzten Tag, die Menschheitsgeschichte von Genesis bis zur Apokalypse. Der Chaos schuf Schriftlied (Übersetzung: Frans Doevelaar) Der Chaos schuf zu Menschenland, der Menschen hier zusammenband, er schrieb sein Wort, gegeben zum Schutz für unser Leben. Er schrieb uns frei mit eigner Hand. Schrift, die Menschenursprung schreibt. Wort, das treu bleibt. 302 Kees Kok <?page no="303"?> Das Buch, das jeden Namen nennt, Gesichter, Seelen, Menschen kennt, die Liebe, so lebendig, die Liebe, so vergänglich, die Wehn, die nie zu Ende gehn. Schrift, die Menschentage schreibt. Licht, das hell bleibt. Sein unvergänglich Testament: dass er uns auch im Tod noch kennt - die Tage, die wir leben, auf Tod hin festgeschrieben, zum ewig Leben hingelenkt. Schrift, die Menschenzukunft schreibt. Er, der treu bleibt. In der ersten Zeile geht es um die Schöpfung: von Chaos zu bewohnbarem Menschenland. In der zweiten Zeile um eine Stimme, die die Menschen zum ‚Sinnzusammenhang‘ ruft: die Verbindung der Menschen untereinander und die Verbindung der Menschen mit ihrem Schöpfer. Und dann heißt es von demselben Schöpfer und Bundesstifter: „Er schrieb mit eig’ner Hand“. Dass Gott nicht nur ein sprechender, sondern auch ein schreibender Gott ist, können wir uns nicht ohne Weiteres vorstellen. Im Buch Exodus lesen wir dennoch: „Und als er mit Mose auf dem Berg Sinai zu Ende geredet hatte, gab er ihm die beiden Gesetzestafeln, steinerne Tafeln, beschrieben mit dem Finger Gottes“ (Ex 31,18), und Mose stieg mit den beiden Gesetzestafeln in den Händen vom Berg herab. Und etwas weiter heißt es: „Die Tafeln waren Gottes Werk, und die Schrift war Gottes eigene Handschrift, die in die Tafeln eingeschrieben war“ (Ex 32,16). Er hat uns also mit seiner eigenen Hand freigeschrieben. Denn um Befreiung handelt es sich in dieser Schrift, in den zehn Worten auf den Tafeln: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat“, aus dem Haus der Sklaverei. Es ist kein Joch, das uns auferlegt wurde, kein hartes menschliches Gesetz, sondern ein zehnfaches befreiendes Wort. Dieses Buch ist ein Menschentagebuch. Es zeichnet „Gesichter, Seelen, Name für Name“, wie es im niederländischen Text heißt. „Name für Name“ heißt: einer nach dem anderen, die ganze unermessliche Reihe der biblischen Namen von Adam bis Maria Magdalena. Aber auch viele Namenlose, ja das Buch möchte, dass alle Menschen darin vorkommen, dass alle sich darin erkennen, auch „Stücke deines alten Namens“ 303 <?page no="304"?> wir hier und heute. Aufgezeichnet ist vor allem die Liebe, die von Gesichtern, Seelen und Namen ausgeht, die aufflammt und überspringt; die aber zu oft nicht standhält, vergeht, ausstirbt, oft in Feindschaft umschlägt, in Mord und Totschlag: „Kain, wo ist dein Bruder? “ Und die Wehen dieser Welt, die einfach nie vergehen … So erzählt die Heilige Schrift die Geschichte der menschlichen Liebe und des Leidens: Es ist kein Liebesroman, keine Idylle. Die Liebe wird hart erkämpft. „Sein unvergänglich Testament“. Es geht in diesem Testament nicht um ein neues Testament gegen ein altes oder neben ihm. ‚Testament‘ ist auch die Übersetzung des hebräischen Wortes berith, das wir gewöhnlich mit ‚Bund‘ übersetzen (vgl. Mt 26,28). Es ist Bund und auch ‚letzter Wille‘. Die beiden Bedeutungen spielen in diesem Bibellied eine Rolle. Der Sinn und die Schluss‐ folgerung der einen Schrift ist die Besiegelung der Urkunde des Anfangs, des ersten und letzten Willens des Schöpfers: Der letzte Wille ist in einem Satz zusammengefasst: „dass er uns auch im Tod noch kennt“; dass wir im Tod nicht dem allmählichen und völligen Vergessen anheimfallen und niemals anheimfallen werden; dass er, von dem das ganze Lied singt, uns auch dann noch kennt: Gesichter, Seelen, Name für Name. 304 Kees Kok <?page no="305"?> 1 Ansgar F R A N Z , Bildersingen - Bilder singen. Das Beispiel der Ostersequenz des Adam von Sankt Viktor, in: Liturgie und Kultur 7 (2016), 36-52, hier: 36. 2 F R A N Z , Bildersingen (wie Anm. 1), 36. 3 Im gemeinsamen Aufsatz (Benedikt K R A N E M A N N - Kerstin M E N Z E L , Ein Paradigmen‐ wechsel in der öffentlichen Trauer? Das staatliche wie kirchliche Gedenken an die Verstorbenen in der Corona-Pandemie am 18. April 2021, in: Pastoraltheologie 110 [2021], 297-318) ist versucht worden, der Instrumentalwie Vokalmusik in einem ökumenischen Gottesdienst wie einem Staatsakt zum Andenken an die Toten der Coronapandemie Rechnung zu tragen. 4 Vgl. Martin H O O N D E R T u.a. (Hgg.), Handbook of Disaster Ritual. Multidisciplinary Perspectives, Cases and Themes (Liturgia condenda 32), Leuven 2021. Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt Musik und Gesang in Trauerfeiern nach Großkatastrophen Benedikt Kranemann 1 Musik und Trauerfeier - ein zu wenig beachtetes Thema Zu Beginn einer philologisch wie theologisch sensiblen Interpretation einer Ostersequenz und ihrer Bilder hat Ansgar Franz darauf aufmerksam gemacht, dass liturgische Gesänge mit ihren reichen Sprachbildern „das Heil ‚vor Augen stellen‘ wollen“. 1 Er hat wenige Zeilen später angefügt: „Der Glaube sieht mit dem Gehör“. 2 An Trauerfeiern nach Großkatastrophen nehmen Gläubige wie Ungläubige, konfessionell oder religiös Gebundene wie Ungebundene teil. Sie suchen Hoffnung, Trost, letztlich, in welcher Weise auch immer, Heil. In der Spur, die Ansgar Franz ausgelegt hat, soll deshalb gefragt werden, welche Hilfe dabei Musik und Gesang insgesamt bieten. Leider finden sich in den (deutschsprachigen) Studien zu Trauerfeiern nach Großkatastrophen zwar Berichte, aber kaum Analysen zur musikalischen Ge‐ staltung. 3 Selbst ein umfangreiches Werk wie das niederländische „Handbook of Disaster Ritual“ 4 äußert sich nur am Rande zu „music“ und „song“ und ver‐ deutlicht, dass kulturell bedingt sehr unterschiedliche musikalische Szenarien denkbar sind. Aber die musikalische Dimension solcher Rituale und Gottes‐ <?page no="306"?> 5 S E K R E T A R I A T D E R D E U T S C H E N B I S C H O F S K O N F E R E N Z (Hg.), Trauerfeiern und Gottesdienste nach Katastrophen (Arbeitshilfen 317), Bonn 2020, 19. Vf. dieses Beitrags hat an dieser Arbeitshilfe mitgearbeitet. Vgl. auch Christian B I N D E R u.a., Öffentliche Trauerfeiern für Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Eine Handreichung, Hildesheim 2016. 6 Vgl. Brigitte B E N Z , Eine ökumenische Trauerfeier mit Konfessionslosen angesichts einer Tragödie. Das Gedenken an die Toten des Amoklaufs in Erfurt im Jahre 2002, in: Benedikt K R A N E M A N N - Brigitte B E N Z (Hgg.), Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Theologische und sozialwissenschaftliche Zugänge (Evangelisch-katholische Studien zu Gottesdienst und Predigt 3), Neukirchen-Vluyn 2016, 9-20, hier: 18f. 7 Vgl. B E N Z , Eine ökumenische Trauerfeier (wie Anm. 6), 19. 8 Vgl. Benedikt K R A N E M A N N , Liturgie in der Öffentlichkeit. Trauerfeiern nach Großka‐ tastrophen, in: D E R S . - B E N Z (Hgg.): Trauerfeiern nach Großkatastrophen (wie Anm. 6), 21-39, hier: 36. Hans S T I F O S S -H A N S S E N - Lars Johan D A N B O L T , The Function of Ritual Use after Disasters. A Practical Theological Perspective, in: ebd., 40-50, hier: 48, halten für die Trauerfeiern nach Anschlägen in Oslo und auf ein Feriencamp auf der Insel Utøya am 22. Juli 2011 fest: „All rituals presented a sophisticated dimension of music“. Kritische Anmerkungen auch bei Klaus E U L E N B E R G E R , „Der Boden unserer Herzen ist aufgebrochen“. Trauerfeiern nach den Amokläufen in Erfurt (2002) und Winnenden (2009), in: Kristian F E C H T N E R - Thomas K L I E (Hgg.), Riskante Liturgien - Gottesdienste in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, Stuttgart 2011, 33-42, hier: 40, und Anna K A R G E R -K R O L L , Fragen zur Angemessenheit von Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Anmerkungen einer Tagungsbeobachterin, in: K R A N E M A N N - B E N Z (Hgg.), Trauerfeiern nach Großkatastrophen (wie Anm. 6), 185-194, hier: 190. 9 Vgl. K R A N E M A N N , Liturgie in der Öffentlichkeit (wie Anm. 8); Albert G E R H A R D S , Die Ästhetik der Trauerfeiern nach Großkatastrophen, in: ebd., 114-123, hier: 122f. dienste wird nicht systematisch aufgearbeitet. Hier und dort findet man kürzere Anmerkungen zur Instrumental- und Chormusik in solchen Feiern. Kirchliche Praxishilfen heben zwar auf die „Unmittelbarkeit und emotionale (…) Eindringlichkeit“ sowie die Rezeptionsmöglichkeiten von Musik in solchen Feiern ab, räumen aber dem Musikalischen wenig Raum ein. 5 Dass Musik und Gesang insbesondere in den medial zugänglichen Trauer‐ feiern große Bedeutung besitzen, zeigt bereits ein erstes Beispiel. Bei der Trauerfeier auf dem Erfurter Domplatz am 3. Mai 2002 nach einem Amoklauf an einem Gymnasium drückte Musik Trauer wie Hoffnung der Menschen aus. Das schloss Instrumentalmusik ein, 6 von der besonders die Soloimprovisation eines Jazzsaxophonisten hervorgehoben wurde. Gerade in „nonverbale(n) Ausdrucks‐ weisen“ seien „die Gefühle der Anwesenden, wie Trauer und Verlassenheit, musikalisch zum Ausdruck“ gekommen. 7 Beim Repertoire in den Feiern überwiegt insgesamt Klassik. 8 Doch kann sie sehr unterschiedlich rezipiert und inszeniert werden. 9 Für interreligiöse Trauerfeiern solle man „Musik und vor allem Lieder […] keinesfalls als ‚neutrale‘ 306 Benedikt Kranemann <?page no="307"?> 10 Vgl. Jochen M. A R N O L D , Zur Praxis und Theologie öffentlicher Rituale und multireli‐ giöser Feiern - eine evangelische Perspektive, in: K R A N E M A N N - B E N Z (Hgg.), Trauer‐ feiern nach Großkatastrophen (wie Anm. 6), 141-163, hier: 158. 11 Vgl. NN, Rühren und bewegen. Psychotraumatologische und praktisch-theologische Überlegungen zu Gottesdiensten in großer Not, in: Doris J O A C H I M -S T O R C H (Hg.), In großer Not. Gottesdienste nach traumatischen Ereignissen (Materialbücher des Zen‐ trums Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau 121), Frankfurt a. M. 2014, 50-76. Zur „Rührung“ verweist der Beitrag auf Günther R Ö T T E R , Musik und Emotionen. Musik als psychoaktive Substanz - Musikalischer Ausdruck - Neue experimentelle Ästhetik - Emotionstheorien - Funktionale Musik, in: Helga D E L A M O T T E -H A B E R - Günther R ÖT T E R (Hgg.), Musikpsychologie (Handbuch der systemati‐ schen Musikwissenschaft 3), Laaber 2005, 268-338. 12 Jochen T E U F F E L , Im Angesicht der Katastrophe. Öffentliche Trauer- und Bittgottes‐ dienste. Elemente, Modelle, Materialien, Gütersloh 2012, 105. Er weist ebd., 115, darauf hin, dass die Teilnehmenden an öffentlichen Trauergottesdiensten kaum mit Kirchenliedern vertraut sein dürften. Notwendig seien „zeitgenössische Trauerlieder, die den Schmerz in die Gottesrede hineinnehmen“. Teuffel empfiehlt die „Schaffung von Kontrafrakturen“ (ebd., 115). Dazu passt die auf empirischen Befunden aufbau‐ ende Aussage von Stephan A. R E I N K E , Empirisch gestützte Gedanken zum Singen im Kasualgottesdienst, in: Liturgie und Kultur 1 (2010), 44-50, hier: 50, dass neben einem Befremden von den Liedtexten und einer Unkenntnis des Liedrepertoires die Melodien der Kirchenlieder oftmals Menschen ansprechen würden und deshalb neue Texte für alte Melodien zukunftsweisend sein könnten. Vgl. demgegenüber aber die Überlegungen von Alexander Z E R F Aẞ , „Alles vergehet, Gott aber stehet“. Die prophe‐ tische Funktion der Kirchenmusik, in: Stefan K O P P - Marius S C H W E M M E R — Joachim W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie. Zur Aufgabe der Kirchenmusik heute (Kirche in Zeiten der Veränderung 4), Freiburg i.Br. 2020, 263-276, demzufolge Lieder gerade dadurch, dass fremden Erfahrungen eine Stimme geliehen wird, situativ hilfreich sein können. 13 Christoph K R U M M A C H E R , Theologie im Kirchenlied - Kirchenlieder als Theologie, in: Meinrad W A L T E R - Albert J. U R B A N (Hgg.), Das Gebet- und Gesangbuch Gotteslob. Kirchenmusikalische Impulse. Kommentierte Einblicke. Pastoralliturgische Perspek‐ tiven, Trier 2017, 183-194, hier: 184, spricht von Stimme, Atem, Puls usw. als dem „Instrument“, das dem Menschen gegeben sei. 14 Christa K I R S C H B A U M - D O R I S J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst. Praktische und seelsorgliche Überlegungen, in: J O A C H I M -S T O R C H (Hg.), In großer Not (wie Anm. 11), 89-95, hier: 89. Medien begreifen, zumal sie bisweilen auch für die Identität einer Gruppe sehr wichtig sind“. 10 Große Bedeutung kommt der emotionalen Qualität der Musik zu, welche mit Rührung und innerer Bewegung der Teilnehmenden zusammengebracht wird. 11 Gemeinsames Singen und Klagen helfe gegen den Zwang zum Schweigen, gegen Isolation und „Vereinzelung“. Zugleich wird auf die Grenzen kirchlicher Gesang‐ bücher bei solchen Feiern hingewiesen. 12 Musik werde als „ein körperliches Geschehen“ wahrgenommen, 13 habe aber sehr unterschiedlichen Einfluss. 14 Sie Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 307 <?page no="308"?> 15 K I R S C H B A U M -J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst (wie Anm. 14), 94. 16 Vgl. K I R S C H B A U M -J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst (wie Anm. 14). Ein solches Nebeneinander verschiedener Musikstile wurde für die Gedenkfeier zum ersten Jah‐ restag des Loveparade-Unglücks am 24. Juli 2011 gewählt; vgl. Uwe R I E S K E , Gedenkgot‐ tesdienste nach Unglücksfällen. Am Beispiel der Nachsorge nach dem Loveparade-Un‐ glück vom 24. Juli 2010, in: J O A C H I M -S T O R C H (Hg.), In großer Not (wie Anm. 11), 96-103, hier: 100. 17 Vgl. K I R S C H B A U M - J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst (wie Anm. 14), 93-95. 18 Thomas E I C K E R , Katholischer Ansatz einer Theologie der Kirchenmusik, in: Albert G E R ‐ H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik 1: Grundlegung: Der Raum und die Instrumente. Theologische Ansätze. Hymnologie: Die Ansätze des Gottesdienstes (Enzyklopädie der Kirchenmusik 4/ 1), Laaber 2014, 113-121, hier: 114. Wichtig ist ebd. zudem sein Hinweis auf die existenzielle, nicht abstrakte Gottesrede der Kirchenmusik. 19 Vgl. Bertold H Ö C K E R , Brücke zur Welt. Erste Überlegungen zu Musik in Gottesdiensten anlässlich gesellschaftlicher Krisen, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 19 (2005), 67-70. helfe, „Spannung loszulassen“. 15 Doch wie kann angesichts der Vielfalt heutiger musikalischer Vorlieben die musikalische Gestaltung als verbindendes Handeln innerhalb einer solchen Feier überhaupt gelingen? Ein sorgfältiges Abwägen verschiedener Musikstile und ihrer Wirkungen gilt als unabdingbar. 16 Die Bedeutung gemeinschaftlichen Singens, das durch einen Chor oder eine kleine Schola unterstützt werden könnte, wird von manchen hervorgehoben. Über ein sinnvolles Nebeneinander von musikalischer Darbietung und gemein‐ schaftlichem Singen sei nachzudenken. 17 Schließlich kann Musik Themen aufrufen, die Krisen betreffen oder in Krisen relevant sind und anders möglicherweise nicht artikuliert werden. „Der Sänger oder Musiker kündet von einer Begegnung, die ihm widerfahren ist, die ihn nicht mehr los lässt und die ihn drängt, davon in überschwänglicher Weise zu berichten.“ 18 Gerade Musik könne eine (temporäre) Verbindung zu Menschen, die nicht einer Kirche angehören, aufbauen und für Beteiligung sorgen. 19 Im Folgenden werden zunächst einige Überlegungen zu Musik und ihrer Funktion in der Klage zusammentragen. Dann werden einige Trauerfeiern vorgestellt, die zu sehr unterschiedlichen Anlässen begangen worden sind: für die Toten, Verletzten und Hinterbliebenen nach einem Amoklauf, einem Unfall, einer Naturkatastrophe. In den abschließenden Überlegungen werden theologische Aussagen und Praxisbefunde zusammengeschaut. 308 Benedikt Kranemann <?page no="309"?> 20 Allerdings begegnet bislang nur in wenigen Ausnahmen Musik, die nicht aus dem west- oder mitteleuropäischen Kontext oder aus der Musikpraxis anderer Religionen stammt. Eine Ausnahme ist beispielsweise die Rezitation von Koranversen durch einen Imam in der Trauerfeier für die Toten der Flutkatastrophe im Ahrtal (s. u.). Sie wirkt auf Nichtmuslime möglicherweise wie Gesang, ist aber standardisierte Kantillation. Für diese Trauerfeiern wurde bislang nicht bedacht, dass im Islam nur koranischer Gesang mit Gebet vereinbar ist. Für den Hinweis danke ich Martin Lüstraeten. Vgl. Peter D Ü C K E R S , Der Ökumenische Gottesdienst für die Opfer der Flutkatastrophe aus dem Hohen Dom zu Aachen am 28. August 2021, in: Stephan S T E G E R u.a. (Hgg.), Liturgie und Ekklesiologie. Reform des Gottesdienstes als Reform der Kirche, Regensburg 2023, 275-281. 21 Vgl. aus der vielfältigen Literatur u.a. Philipp H A R N O N C O U R T - Hans Bernhard M E Y E R - Helmut H U C K E , Singen und Musizieren, in: Rupert B E R G E R u.a., Gestalt des Gottes‐ dienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (Gottesdienst der Kirche 3), Regensburg ²1990, 131-179; Franz Karl P R Aẞ L , Liturgie verstehen durch Musik, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 50 (2008), 356-370; Albert G E R H A R D S - Matthias S C H N E I D E R (Hgg.), Der Gottesdienst und seine Musik 1 (wie Anm. 18). 2: Liturgik: Gottesdienstformen und ihre Handlungsträger (Enzyklopädie der Kirchenmusik 4/ 2), Laaber 2014; K O P P - S C H W E M M E R - W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie (wie Anm. 12). 22 Albert G E R H A R D S , „Heiliges Spiel“ - Kirchenmusik und Liturgie als Rivalinnen oder Verbündete? , in: D E R S . (Hg.), Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Erbe und Auftrag, Münster 2005, 29-38, hier: 33, spricht von der „theologische[n] Aufwertung der Kirchenmusik über das Dekorative hinaus zum Wesensausdruck der Liturgie“ und fordert ebd. die „Wiederentdeckung der Tiefendimension der Musik“. 23 Vgl. Alexander D E E G - David P L Ü S S , Liturgik (Lehrbuch Praktische Theologie 5), Gütersloh 2021, 463: „Singen heißt beten mit allen Sinnen.“ 2 Musik und Gesang als Ausdrucksmittel von Trauer und Klage Trauerfeiern nach großen Katastrophen sind Momente der Erinnerung und Klage, des Nachdenkens und der Suche nach Perspektiven für Menschen, die zutiefst erschüttert sind. Welche Rolle hat in solchen ökumenischen Gottes‐ diensten, in die mehr und mehr multireligiöse Elemente integriert werden, Musik? 20 Es gibt durchaus Überschneidungen zu anderen Gottesdiensten, ins‐ besondere Kasualien, und damit zur Rolle von Musik in der Liturgie insgesamt. 21 Gesang und Instrumentalmusik sind im gottesdienstlichen Geschehen erst‐ rangig. Beide sind grundlegende Elemente jeden Gottesdienstes 22 und spielen in der rituellen Begegnung von Gott und Mensch eine wesentliche Rolle. Es geht dabei auch, aber nicht allein, um Feierlichkeit und um die Auszeichnung der jeweiligen Feier. Der Mensch kann sich musikalisch vor und auf Gott hin in einer Weise artikulieren, wie es andere Ausdrucksmittel der Liturgie, vor allem das Wort, nicht leisten können. 23 Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 309 <?page no="310"?> 24 Vgl. Franz Karl P R Aẞ L , Katholische Perspektiven zu einer Theologie und Praxis der Kirchenmusik. Gottesdienstliche Musik in kirchenamtlichen Dokumenten, in: Irene M I L D E N B E R G E R - Wolfgang R A T Z M A N N (Hgg.), Klage - Lob - Verkündigung. Gottes‐ dienstliche Musik in einer pluralen Kultur, Leipzig 2004, 73-90, hier: 75. 25 Vgl. E I C K E R , Katholischer Ansatz (wie Anm. 18), 118, der besonders der Instrumental‐ musik die Kraft zuschreibt, Leid auszudrücken. Er spricht zudem von der diakonischen Dimension der Kirchenmusik (ebd., 120). 26 P R Aẞ L , Katholische Perspektiven (wie Anm. 24), 75. Allerdings können auch Rezita‐ tionen wie z.B. die des sog. Ahrpsalms in der u. g. Trauerfeier im Aachener Dom eine der Musik vergleichbare Wirkung entfalten. 27 Vgl. Albert G E R H A R D S - Benedikt K R A N E M A N N , Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft, Darmstadt 2019, 245. 28 Vgl. P R Aẞ L , Katholische Perspektiven (wie Anm. 24), 79; vgl. zu den ‚partiellen Partizi‐ pationsmöglichkeiten‘ Winfried H A U N E R L A N D , Participatio actuosa und musica sacra. Gesang und Instrumentalmusik als liturgisches Handeln, in: K O P P - S C H W E M M E R - W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie (wie Anm. 12), 58-71, hier: 68-71. 29 Vgl. dazu das Themenheft „Trost? Begegnungen mit Psalmen und Liedern“, Liturgie und Kultur 1 (2010), H. 3. 30 Vgl. G E R H A R D S , Heiliges Spiel (wie Anm. 22), 44, wonach für den Menschen angesichts des Unsagbaren nicht Worte, sondern Gesang das ‚intensivste Mittel‘ ist. Auf der inhaltlichen Ebene trägt Musik in der Liturgie deren Inhalt mit und bringt zum Ausdruck, was sich in der Feier ereignet. 24 In der Liturgie wird von Gott gesungen, um sich so dem Unsagbaren nähern zu können. Gleiches gilt für Instrumentalmusik, die in eindringlicher Weise das Ringen mit Gott zum Ausdruck bringen kann 25 und der andere Klangfarben als reiner Verbalität zur Verfügung stehen. Musik ist Teil der Anamnese, aber in ihr artikulieren sich ebenso Doxologie und Epiklese. Sie gilt als „wirkungsvoller und ganzheitlicher als das gesprochene Wort“. 26 Sie ist eine Artikulationsweise eigener Art. Lob, Dank, Klage lassen sich im Gesang schon deshalb besonders intensiv äußern, weil der Mensch körper‐ lich-leiblich involviert ist. Mit seiner Stimme oder über das Spielen eines Instruments ist er Teil der jeweiligen Feier und bringt sich als Individuum in die Gemeinschaft ein. 27 Insbesondere der Gesang ermöglicht im Gottesdienst eine spirituell tiefreichende Weise der Beteiligung. Es geht nie nur um den bzw. die Einzelne oder die Gemeinschaft, sondern um wechselnde Beziehungen zwischen den Anwesenden. Musik und Gesang sind als Möglichkeiten tätiger Teilnahme zu verstehen, um aus der Liturgie etwas für das eigene Leben mitzunehmen, dabei aber das Maß der äußeren Teilnahme und inneren Zustimmung selber festzulegen. 28 Für einen Gottesdienst, in dessen Mittelpunkt gemeinschaftliches Trauern und Gedenken angesichts einer Extremsituation stehen und der Trost spenden 29 und Orientierung geben soll, ist das entscheidend. 30 Das gilt für 310 Benedikt Kranemann <?page no="311"?> 31 Vgl. dazu K R A N E M A N N - M E N Z E L , Ein Paradigmenwechsel (wie Anm. 3), 312-314. 32 Vgl. zum Hören Peter B U B M A N N , Das Charisma des Hörens als Grundvollzug der Liturgie, in: Liturgie und Kultur 1 (2010), H. 3, 51-56, der eine Theologie des Hörens entwirft und vor einer Abwertung dieser Weise der Beteiligung am Gottesdienst warnt. Die Überlegungen beziehen sich zwar auf den Gemeindegottesdienst, lassen sich aber im Grundsätzlichen auf die Trauerfeiern übertragen. 33 Das gemeinschaftsstiftende Moment hebt Stephan Alexander R E I N K E , Alles Verhand‐ lungssache? Überlegungen zur Musik im Kasualgottesdienst, in: Pastoraltheologie 100 (2011), 413-425, hier: 420, hervor: „Die Musik, speziell die Lieder, sorgen für eine aktive Beteiligung der Gemeinde im Gottesdienst. Sie lockern die Atmosphäre auf, schaffen Gemeinschaft und geben das Gefühl, Menschen an ihrer Seite zu haben.“ Der Vergleich zu den Trauerfeiern nach Großkatastrophen legt sich nahe. Vgl. u.a. zu den Voraussetzungen einer solchen Gemeinschaftsbildung im Gesang Melanie W A L D -F U H R ‐ M A N N , Positive Effekte gemeinschaftlichen Singens. Ein Forschungsüberblick, in: D I E S . - Klaus-Peter D A N N E C K E R - Sven B O E N N E K E (Hgg.), Wirkungsästhetik der Liturgie. Transdisziplinäre Perspektiven (Studien zur Pastoralliturgie 44), Regensburg 2019, 191-214, hier: 198-203. 34 Den „Freiraum zur persönlichen Aneignung“ betont auch H Ö C K E R , Brücke zur Welt (wie Anm. 19), 68. 35 Manuel S T E T T E R , Öffentliche Rituale. Zur liturgischen Bearbeitung kollektiver Krisen‐ erfahrung, in: Amt und Gemeinde (auge) 71 (2/ 2022), 75-83, hier: 81, spricht solchen Trauerfeiern insgesamt die Funktion der „Mobilisierung von Emotionen“ zu. „Rituale mobilisieren, benennen, kommunizieren und regulieren Gefühle.“ Er versteht Emo‐ tionen als „kulturelle Praktiken“, die er „in den Zwischenräumen des Sozialen“ verortet. 36 Vgl. R Ö T T E R , Musik und Emotionen (wie Anm. 11), 285 u.ö.; vgl. Klaus J. S E I D E L , Warum Musik zur Trauer? Die Trauerfeier als Ritus und die Rolle der (Kirchen-)Musik, in: Gottesdienst und Kirchenmusik 1997, 112-119, wonach Musik Emotionen beeinflusst, aber auch „die anfänglich weniger emotional beteiligte Umwelt zu einem gemeinsamen Empfinden“ anregt (ebd., 119); Reiner S C H U H E N N , Kirche im Fall - Kirchenmusik im Aufwind? Künstlerisch-methodische Anforderungen an angehende Kirchenmusiker angesichts veränderter Gesellschaftsstrukturen, in: K O P P - S C H W E M M E R - W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie (wie Anm. 12), 172-184, hier: 179, nennt ent‐ sprechend als eine Qualität von Kirchenmusik, „Menschen mit einer hohen situativen Stimmigkeit vielfältig zu berühren und herauszufordern“. Im Zusammenhang ist zudem sein Hinweis zu beachten, künftige Kirchenmusik dürfe „nicht zwischen ‚drinnen‘ und ‚draußen‘ unterscheiden“ (ebd., 181). Peter E B E N B A U E R , Geistlich, affektreich und vielgestaltig! Zur Bedeutung und Praxis des liturgischen Gemeindegesanges, in: M I L ‐ D E N B E R G E R - R A T Z M A N N (Hgg.), Klage - Lob - Verkündigung (wie Anm. 24), 173-185, religiöse wie weltliche Trauerfeiern, in denen Musik ein basales Element ist. 31 Sie schafft die Möglichkeit der Vergemeinschaftung im gemeinsamen Hören, 32 gegebenenfalls im gemeinsamen Singen, falls ein entsprechendes Repertoire vorhanden ist. 33 Menschen können sich als Gruppe von Musik ergreifen lassen, ohne dabei ihr Hören als Individuum 34 aufgeben zu müssen. Musik besitzt eine emotionale Qualität. 35 Entsprechend können sich Men‐ schen in einer solchen Feier mit anderen, auch aus anderen Religionen und Weltanschauungen, artikulieren. 36 Gemeinsam geteilte Gefühle kommen ins Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 311 <?page no="312"?> hier: 183, fordert „eine neue Konzentration auf das affektive und spirituelle Potential gemeinsamen liturgischen Singens“. 37 Vgl. Philipp H A R N O N C O U R T , Die religiöse Bedeutung von Musik und Gesang, in: B E R G E R u.a., Gestalt des Gottesdienstes (wie Anm. 21), 138-143, hier: 141, mit Blick auf die theologische Bedeutung von Musik im Alten Testament. 38 Vgl. P R Aẞ L , Katholische Perspektiven (wie Anm. 24), 76. 39 Laut Jörg N E I J E N H U I S , Auf dem Weg zu Gott Sprache finden. Der ökumenische Gottes‐ dienst im Berliner Dom zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Südasien, in: Arbeitsstelle Gottesdienst 19 (2005), 50-61, hier: 56, handelte es sich um ein indonesisches Trauerlied. 40 In Anlehnung an Peter B U B M A N N , Kriterien und Perspektiven für gottesdienstliche Musik in einer sich verändernden Gesellschaft, in: M I L D E N B E R G E R - R A T Z M A N N (Hgg.), Klage---Lob - Verkündigung (wie Anm. 24), 11-35, hier: 15f. Spiel, Trauer kann in Gemeinschaft ausgedrückt werden. Musik kann mit Blick auf Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen verbinden, weil sie nicht auf eine Glaubensrichtung festlegen muss. Sie kann Menschen unterschiedlicher Bekenntnisse zusammenführen. Anders als beispielsweise im Gebet, das klar adressiert ist, bleiben Musik und Gesang kommunikativ offener und vielfältiger. Sie können, aber sie müssen sich nicht an Gott richten. Sie können verkündigen oder so rezipiert werden, aber sie müssen es nicht. 37 Durch Musik entsteht ein gemeinsamer und verbindender Klangraum. An ihm können die Anwesenden durch ihr Musizieren oder Singen „mitbauen“, in ihm können sie sich „aufhalten“ und von ihm können sie sich bewegen lassen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, dass die Musik nicht nur Qualität besitzt, sondern zum Anlass und den Teilnehmenden passt. 38 Dazu kann ebenfalls gehören, dass, wie 2005 bei einem Trauergottesdienst für die Toten einer Tsunami-Katastrophe, 39 Musik aus anderen Kulturen erklingt, die Menschen aus dieser Kultur in die Trauergemeinde einbindet und zugleich eine Identifi‐ kationsmöglichkeit schafft. Musik trägt nicht zuletzt zur Strukturierung einer Trauerfeier bei. Sie kann Menschen, die mit liturgischen Abläufen nicht vertraut sind, die Teilnahme erleichtern, weil insbesondere durch Chorgesang und Instrumentalmusik Mo‐ mente entstehen, in denen nicht agiert und nicht auf eine möglicherweise wenig vertraute Gebetssprache gehört werden muss, sondern allein die Musik zur Geltung kommt. Die Musik bringt damit Ruhe in den Ablauf der Feier. Aber es bleiben zugleich Fragen: Wer entscheidet über die Musik, die zu hören ist, und über die Gesänge, die möglicherweise sogar gemeinschaftlich gesungen werden sollen? Welches Verständnis von Religion und Kirche und der konkreten Feier, die sich ja deutlich von einer Gemeindeliturgie unterscheidet, soll und kann sich hier äußern? 40 Kultur gibt es „nur noch im Plural verschiedenster 312 Benedikt Kranemann <?page no="313"?> 41 B U B M A N N , Kriterien und Perspektiven (wie Anm. 40), 26. 42 B U B M A N N , Kriterien und Perspektiven (wie Anm. 40), 30, der sogar ebd. von einem „konziliaren Prozess“ spricht. 43 Im Zusammenhang ist das Verständnis der pastoralen Rolle von Kirchenmusikern interessant; vgl. Gerhard S C H N E I D E R , Kirchenmusiker als pastorale Mitarbeiter, in: K O P P - S C H W E M M E R - W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie (wie Anm. 12), 127-137. 44 Vgl. den Ablaufplan: https: / / www.baden-wuerttemberg.de/ fileadmin/ redaktion/ dateie n/ Altdaten/ 202/ Programm_Trauerfeier_Winnenden.pdf (Zugriff am 05.01.2023). Vgl. die Beschreibung der Feier: E U L E N B E R G E R , „Der Boden unserer Herzen ist aufgebrochen“ (wie Anm. 8), 35-38; K R A N E M A N N , Liturgie in der Öffentlichkeit (wie Anm. 8), 26-28. milieubezogener Kulturen“. 41 Was bedeutet das mit Blick auf die heterogene Gruppe derer, die an einer Trauerfeier teilnehmen, insbesondere dann, wenn aufgrund der Situation langfristige „Klärungs- und Verständigungsverfahren“ 42 unmöglich sind? Gerade die liturgiewissenschaftliche Literatur aus evangelischer wie rö‐ misch-katholischer Theologie betont aufgrund liturgietheologischer Erwä‐ gungen das gemeinsame Singen. Doch in Trauerfeiern mit vielen, denen mögli‐ cherweise liturgische Praxis fremd ist, die aus anderen Religionen kommen oder die keiner Religion angehören, ist ein gemeinsames Singen fast unmöglich. Doch sollen der Gesang und die Musik insgesamt Menschen in ihrer Trauer verbinden und die Möglichkeit geben, sich in der Situation der Trauer Perspektiven der Hoffnung eröffnen zu lassen. 43 Damit verbinden sich erhebliche Herausforde‐ rungen. 3 Musik und Gesang in verschiedenen Trauerfeiern - Analyse von Fallbeispielen Nach dem Amoklauf an einer Schule in Winnenden wurde am 21. März 2009 eine öffentliche ökumenische Trauerfeier in der Pfarrkirche St. Karl Borromäus begangen. 44 In dieser Feier standen Instrumentalmusik neben Gesang, Chorge‐ sang neben Gemeindegesang. Kirchenmusik prägte deutlich diese Feier. Zum Einzug erklang Orgelmusik von Johann Caspar Simon, Präludium und Fuge in g, anschließend zum Beginn der Eingangschor der im Zusammenhang aus sich sprechenden Kantate „Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir“ (BWV 131) von Johann Sebastian Bach. Nach dem liturgischen Gruß sang die Gemeinde die Strophen 1, 3 und 4 des Liedes Aus tiefer Not schrei ich zu dir (GL 277), das vom klagenden „Geschrei“ bis zum Trost reicht und auf menschliche Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 313 <?page no="314"?> 45 Vgl. Hermann K U R Z K E , Aus tiefer Not schrei ich zu dir, in: Ansgar F R A N Z u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 40-45. 46 Vgl. Konrad K L E K , Du wahrer Gott und Davids Sohn. BWV 23, in: D E R S ., Dein ist allein die Ehre. Johann Sebastian Bachs geistliche Kantaten erklärt 2: Der erste Leipziger Jahrgang 1723/ 24, Leipzig 2016, 301-306, hier: 304. 47 Konrad K L E K , Ich hatte viel Bekümmernis. BWV 21, in: D E R S ., Dein ist allein die Ehre (wie Anm. 46), 48-58, hier: 51. 48 Ansgar F R A N Z , O Haupt voll Blut und Wunden, in: D E R S . u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 45), 890-898, hier: 897. 49 Christiane S C H Ä F E R - Hermann K U R Z K E , Bewahre uns, Gott, in: F R A N Z u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 45), 80-83, hier: 81. 50 S C H Ä F E R - K U R Z K E , Bewahre uns, Gott (wie Anm. 49), 82. Sünde wie göttliche Gnade hinweist, dies alles mit einer getragenen Melodie. 45 Nach gemeinsamer Rezitation von Ps 77 und der Verlesung der Namen der beim Amoklauf Getöteten erklang der Schlusschor aus Johann Sebastian Bachs Kantate „Du wahrer Gott und Davids Sohn“ (BWV 23). Im Choral Christe, du Lamm Gottes ruft die Gemeinde Christus an, wird also anders als im Rezitativ, wo sich ein Ich an Christus wendet, der gemeinschaftliche Aspekt des Trauerns und Bittens unterstrichen. 46 Nach der Lesung spielte der Organist den „Chant des Paix“ von Jean Langlais. Auch die beiden Predigten wurden musikalisch gerahmt. Nach der Predigt von Landesbischof Frank Otfried July hörte man die Sinfonia aus Johann Sebastian Bachs Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ (BWV 21), einer „Trauerkantate, die dem Schmerz über den Verlust eines Menschen Raum gibt und zugleich mit den Psalmbetern den Weg zur Überwindung allen Kummers aufzeigt“. 47 Der Predigt von Bischof Gebhard Fürst schloss sich gemeinsamer Gesang der Strophen 1 und 7 des Liedes O Haupt voll Blut und Wunden (GL 289) an. Mit Ansgar Franz kann man für die heutige siebte Strophe wie mit Blick auf die ursprüngliche Fassung von Paul Gerhardt die drei Wenn-Sätze mit ihrer Klimax hervorheben. „Bei jedem Schritt wird die Angst bedrückender, der Hilferuf bedrängender.“ 48 Nach Fürbitten und Vaterunser stand vor dem Abschluss mit Segen das gemeinsam mit vier Strophen gesungene Lied Bewahre uns Gott, behüte uns Gott (GL 453), für das auf das Elegische und „fast“ Schwermütige im Zusammenspiel von Text und Melodie hingewiesen worden ist: 49 Es „steht ein Aufbruch bevor, aber die Stimmung ist wehmütig wie vor einem schweren Weg“. 50 Am Ende der Feier erklang noch einmal die Orgel. Wie eine solche Trauerfeier ganz anders gestaltet werden kann, zeigt ein Gottesdienst für die Toten von Winnenden, der dort am 20. März 2009 in 314 Benedikt Kranemann <?page no="315"?> 51 Vgl. den Ablaufplan, an dem wir uns im Folgenden orientieren: Uta L Ü N N E M A N N -R A I S E R , Schuldekanin für Sonderschulen, Trauer-Gottesdienst am 20.3.2009 nach dem Amoklauf in Winnenden an der Bodenwaldschule (Schule für Erziehungshilfe) in Winnenden: htt ps: / / schulpastoral.drs.de/ fileadmin/ user_files/ 165/ Dokumente/ Praxisfelder/ Krisenseelso rge/ Trauerfeiern/ Amoklauf/ Trauergottesdienst-Winnenden-Schule-Erziehungshilfe.pdf (Zugriff am 05.01.2023). Der Plan enthält einige Abbildungen zum Raum, in dem der Gottesdienst stattfand. 52 Vgl. die kritischen Anmerkungen zu populärer Musik in solchen Gottesdiensten bei T E U F F E L , Im Angesichts der Katastrophe (wie Anm. 12), 115f. Aber lässt sich, zumal ohne Beachtung möglicher Rezipienten, pauschal sagen: „Was der Pop zu bieten hat, passt nicht wirklich in einen Trauergottesdienst“ (ebd., 115)? Anders äußern sich K I R S C H B A U M - J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst (wie Anm. 14), 91, die sich wiederum skeptisch gegenüber „moderne[r]/ zeitgenössische[r] Musik“ zeigen (ebd., 92). Vgl. auch Anna K A R G E R -K R O L L , Fragen zur Angemessenheit von Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Anmerkungen einer Tagungsbeobachterin, in: K R A N E M A N N - B E N Z (Hgg.), Trauerfeiern nach Großkatastrophen (wie Anm. 6), 185-194, hier: 191. 53 Der Mitschnitt der Trauerfeier ist offensichtlich nicht mehr greifbar; vgl. aber https: / / programm.ard.de/ TV/ Programm/ Alle-Sender/ ? sendung=28229226335538 (Zugriff am 05.01.2023). Vgl. die Beschreibung der Feier: Benedikt K R A N E M A N N , Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Die Rolle der Kirchen im öffentlichen Raum, in: Andreas A N T E R - Verena F R I C K (Hgg.), Politik, Recht und Religion (Politika 18), Tübingen 2019, 199-217, hier: 207-209. einer Schule begangen wurde. Der Ablaufplan 51 bleibt, was die Musik angeht, allgemein, lässt aber doch mehreres erkennen: Instrumentalmusik, die nicht weiter spezifiziert wird, rahmte die Feier. Im Mittelpunkt der Feier stand ein „Klageritus“ mit ganz eigener Zeichensprache. Er fand an einem „Klagetisch“ statt, der offensichtlich schon einige Tage in der Schule stand. Klagen, die auf Spiegelscherben geschrieben worden waren, wurden verlesen und in ein Scherbenbild gelegt. Es erklang eine nicht weiter benannte Musik von Xavier Naidoo. 52 Die Schüler hatten die Möglichkeit, Teelichte an einer Kerze, die schon „die ganze Woche am Trauertisch gebrannt hat“, zu entzünden und zum Scher‐ benbild zu stellen. Hinter dem Trauertisch stand ein einfaches Holzkreuz, in dessen Arme weiße Tulpen gesteckt wurden. Der Ablaufplan interpretierte das so: „Für die Toten und für uns Hoffnung ausdrücken.“ Insgesamt war die Feier auf eine konkrete Zielgruppe hin gestaltet. Sie bediente sich Ausdrucksmitteln, die aus der Jugendkultur stammen. Auch die liturgische Zeichensprache - hier ist etwa an den Schmuck des Kreuzes zu denken - wurde neu interpretiert. Eine ganz eigene musikalische Prägung besaß ein Trauergottesdienst, der am 8. Juli 2017 in der Unterkirche der Frauenkirche, Dresden, für die Toten eines Busunglücks gefeiert wurde, das sich kurz zuvor auf der A9 zugetragen hatte. 53 Eingangs der Feier erklang das „Ave verum corpus“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Nach der Eröffnung des Gottesdienstes und der Rezitation von Ps 23 Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 315 <?page no="316"?> 54 Vgl. die Beschreibung der Feier: Benedikt K R A N E M A N N , Rituale als Hilfe in Krisenzeiten? Herausforderungen und Möglichkeiten christlicher Liturgie, in: Mirjam S C H A M B E C K - Winfried V E R B U R G (Hgg.), Wie Religion für Krisen taugt. Zum Beitrag religiöser Bildung in Krisenzeiten, Göttingen 2023, 214-230, hier: 222-224. 55 Vgl. Stephan W A H L , Ahr-Psalm [19. Juli 2021]: https: / / www.bistum-trier.de/ filead min/ user_upload/ Ahr-Psalm_-_Stephan-Wahl_-_Hochwasser_2021.pdf (Zugriff am 05.01.2023). 56 Alle Zitate aus der Trauerfeier für die Toten der Flutkatastrophe sind Nachschrift der Fernsehübertragung der Trauerfeier. Vgl. Hochwasser 2021: Trauerfeier mit Merkel und Steinmeier in Aachen | WDR aktuell: https: / / www.youtube.com/ watch? v=C1MBvvpE vgM (Zugriff am 05.01.2023). 57 Vgl. Angelus A. H Ä U ẞ L I N G : Akklamationen und Formeln, in: B E R G E R u.a., Gestalt des Gottesdienstes (wie Anm. 21), 220-239, hier: 233. war von Franz Liszt die „Consolation Nr. 1“ zu hören. Brennende Kerzen wurden zur Erinnerung an die Toten, Verletzten, Trauernden, Helfer etc. aufgestellt. Dem schloss sich das „Pater noster“ von Franz Liszt an. Dann folgten nach einer Lesung aus dem Johannes-Evangelium zwei Sätze aus Johann Sebastian Bachs Triosonate C-Dur für 2 Violinen und Cembalo (BWV 1037). Nach Fürbitten, Va‐ terunser, der Möglichkeit für alle Anwesenden, Kerzen anzuzünden, folgte der Schlusssegen. Dann erklang Pianomusik. Es handelte sich um eine Feier, in der sich fast durchgängig Text- und Musikanteile abwechselten. Die Musik erzeugte eine feierlich-getragene Atmosphäre und trug wesentlich zur Ausstrahlung und Würde des Gottesdienstes bei. Auch hier war ausschließlich klassische Musik zu hören. Wieder anders sah die musikalische Gestaltung des Trauergottesdienstes für die Toten der Flutkatastrophe im Ahrtal aus, der am 28. August 2021 im Aachener Dom begangen wurde. 54 Solistischer Gesang setzte hier von Beginn an inhaltlich entscheidende Akzente, unterstrich das bewegende Motiv der Klage und deutete bereits das Ringen um Gott an. Der Text und die getragene Melodie korrespon‐ dierten einander. Inhaltlich begegneten in diesem Klagegesang bereits Zitate aus dem Ahr-Psalm des Theologen Stephan Wahl. 55 Der Gesang setzte mit den Worten „Schreien will ich zu Dir, Gott, mit verwundeter Seele, mit verwundeter Seele“ ein und leitete dann über ein dreimaliges „Schreien“ zur Frage über: „Wo warst du, Gott, wo warst du, Gott, Ewiger“, die mehrfach wiederholt wurde. Das wurde noch einmal zugespitzt in der Frage: „Hast Du uns endgültig verlassen? “ 56 Überraschend endete dieses Lied mit einem mehrfachen Kyrie eleison - „Namensausruf und Erbarmensbeschwörung“, „Glaubensbekenntnis und somit auch […] Lobpreis“. 57 Nach der Eröffnung des Gottesdienstes rezitierte eine Schauspielerin sehr ausdrucksstark lange Passagen des Ahr-Psalms. Im Hintergrund setzte leise Orgelmusik ein. Teile der Rezitation wurden mit ein‐ 316 Benedikt Kranemann <?page no="317"?> 58 Arrangement von Klaus W A L L R A T H , so die Information bei https: / / www.zdf.de/ gesellsch aft/ gottesdienste/ oekumenischer-gottesdienst-104.html (Zugriff am 05.01.2023). 59 Vgl. zum Lied Jakob S T E I N E R , Noch ehe die Sonne am Himmel stand, in: F R A N Z u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 45), 815-818, hier: 816f. 60 W A H L , Ahr-Psalm (wie Anm. 55). 61 W A H L , Ahr-Psalm (wie Anm. 55). 62 Arrangement von Klaus W A L L R A T H , so die Information bei https: / / www.zdf.de/ gesells chaft/ gottesdienste/ oekumenischer-gottesdienst-104.html (Zugriff am 05.01.2023). 63 Lateinischer Text nach Andrea A C K E R M A N N , Wo die Güte und die Liebe wohnt, in: F R A N Z u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 45), 1201-1204, hier: 1202. geblendeten Bildern der Katastrophe unterlegt. Dem schlossen sich die Strophen 1 und 4 des solistisch gesungenen Liedes Noch ehe die Sonne am Himmel stand (GL 434) an, wobei der Chor den Refrain „Du bist Gott, unser Gott, die Zuflucht“ sang. 58 Das Lied von Eugen Eckert lehnt sich an Ps 90 sowie Lieder von Jochen Klepper und Schalom Ben-Chorin an. 59 Musikalisch und textlich greifen beide Strophen die Schlussworte des Ahr-Psalms auf. Heißt es dort „Halte du mich aus! Und halte mich, Ewiger! Halte mich! “, 60 so wird hier insbesondere im Refrain das Vertrauen auf Gott artikuliert: „Du bist Gott, unser Gott, die Zuflucht für und für. Dir leben wir, dir sterben wir, wir gehen von dir zu dir.“ Das dominante Motiv der Klage und Anklage wurde so mit dem immer wieder neu durchbrechenden Hoffen auf Gott zusammengeführt. Im Gesang klangen die Suche nach dem nahen wie dem fernen Gott und die Hoffnung auf Gott immer wieder neu an. Nach Schilderungen der Katastrophe durch Betroffene und Helferinnen und Helfer wurden zwei weitere Verse des Ahr-Psalms solistisch wie Lamentationen gesungen: „So werfe ich meine Tränen in den Himmel, meine Wut schleudere ich dir vor die Füße. / Hörst du mein Klagen, mein verzweifeltes Stammeln, ist das auch ein Beten in deinen Augen? “ 61 Es schloss sich unmittelbar ein chorisch gesungenes „Kyrie“ an. 62 Die Gesänge interpretierten sich gegenseitig, Widersprüche, Spannungen, das Fragen und Hoffen des Gottesglaubens wurden performativ ausgesagt. Die Predigten von Bischof Bätzing und Landesbischof Bedford-Strohm wurden verbunden durch „A Choral Amen“ von John Rutter. An die beiden Ansprachen schloss sich die erste Strophe des lateinischen Ubi caritas et amor in der Komposition von Maurice Duruflé an. Sie benennt das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe und spricht die Spannung des Gottesglaubens von „timeamus - amemus“ aus. In der Situation der Katastrophe vertrauten die Menschen auf das Miteinander, die Nächstenliebe: „ex corde diligamus nos sincero“. 63 Damit wurde das Fürbittgebet eingeleitet: gegenseitiges Eintreten im Gebet als ein Ausdruck von Nächstenliebe. Dem Vaterunser nach den Fürbitten Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 317 <?page no="318"?> 64 Vgl. R Ö T T E R , Musik und Emotionen (wie Anm. 11), 269. 65 Vgl. R Ö T T E R , Musik und Emotionen (wie Anm. 11), 285; vgl. auch W A L D -F U H R M A N N , Positive Effekte (wie Anm. 33), 206-210. folgten die Strophen 2 und 4 von GL 453 Bewahre uns, Gott, wieder im Wechsel von Solisten und Chor (Refrain) gesungen. Mit einer Instrumentalmusik, der mit Trompete gespielten Melodie des Liedes Ich bete an die Macht der Liebe von Dimitry Bortniansky, wurde zum Abschluss des Gottesdienstes ein akustisches Zeichen dafür gesetzt, dass nun ein neuer Abschnitt der Feier begann, nämlich der Staatsakt. In ihm sprach allein Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der Staatsakt endete mit der Fantasia g-Moll BWV 542 von Johann Sebastian Bach. 4 Musik und Gesang als Essentials von Trauerfeiern nach Großkatastrophen Die öffentlichen Trauerfeiern nach Großkatastrophen lassen sich ohne Beach‐ tung ihrer Klanggestalt nicht wirklich umfassend analysieren. Das Musikalische ist wesentliches Element dieser Gottesdienste und für die Kommunikation in‐ nerhalb einer insgesamt heterogenen und nur temporär zusammenkommenden Gruppe. Aus den bisherigen Überlegungen ergeben sich die folgenden Schluss‐ folgerungen: Musik und Gesang sind in Trauerfeiern nach Großkatastrophen von essenzieller Bedeutung. Nicht nur in den hier analysierten Feiern sind beide eindeutig mehr als allein Schmuck und keinesfalls ein Randgeschehen. Sie tragen zum inhaltlichen Gehalt der Feier bei und bringen Klage, aber ebenso Hoffnung zum Ausdruck. Sie ermöglichen den Trauernden eine eigene ‚Sprache‘ für den Gottesdienst und eine eigenständige Möglichkeit der Artikulation wie der Rezeption. Sie sind ein tragendes strukturelles Moment der Trauergottesdienste. Häufig wechseln sich Wort- und musikalische Parts ab. Dadurch erhalten diese Feiern ihr Gesicht. Sie werden so möglicherweise für die Leitung der Feiern, die Sprechenden wie die Teilnehmenden emotional erst erträglich, weil das erfahrene Leid nicht immer wieder neu verbal thematisiert werden muss. Gerade Musik wirkt psychoaktiv 64 und kann Emotion und Verhalten beeinflussen. 65 Musik konfrontiert mit neuen Erfahrungen und erweitert den eigenen Erfahrungs‐ horizont. Wer einer Bachkantate zuhört oder sie mitsingt, in der von Trauer und Leid die Rede ist, bedient sich der Sprache und des Klangs aus einer anderen 318 Benedikt Kranemann <?page no="319"?> 66 Für den Gesang arbeitet das prägnant heraus Z E R F Aẞ , „Alles vergehet, Gott aber stehet“ (wie Anm. 12), 263-276, der u.a. mit Angelus Häußling von musikalischer „Ereignisinterpretation“ spricht (ebd., 263). Das lässt sich ebenso auf Texte übertragen. 67 K I R S C H B A U M - J O A C H I M -S T O R C H , Musik im Gottesdienst (wie Anm. 14), 91; vgl. insge‐ samt ebd., 90-92 („Welche Art von Musik hilfreich sein kann“). Zeit. 66 Wer eine zeitgenössische Komposition spielt oder singt, nutzt nicht nur Ausdrucksmittel einer anderen Person, sondern erschließt sich einen anderen Erfahrungshorizont bzw. öffnet sich den Erfahrungen eines anderen Menschen. So oder so sind damit Weitungen des eigenen Horizonts und der eigenen Artikulationsmöglichkeiten verbunden. In der Situation der Konfrontation mit persönlichem Leid kann daraus Trost und damit Hilfe zur Bewältigung der Situation bezogen werden. Es lassen sich unterschiedliche Ansätze für die Verwendung von Musik und Gesang beobachten. Das haben die Beispiele aus Winnenden deutlich gemacht, die musikalisch, aber auch in ihrer sonstigen Gestaltung nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können. Hier zeigt sich die Differenz zwischen einem zielgruppenorientierten Gottesdienst, in diesem Fall für Schüler: innen, und einer Trauerfeier, die sich an eine heterogene Gruppe richtet. Zudem lässt der Vergleich erkennen, welche anderen Gestaltungsformen für eine solche Trauerfeier möglich wären, wenn man beispielsweise auf einige Grundaspekte heutiger Jugendkultur achten würde. Das gilt sowohl für den Gesang wie für die Instrumentalmusik. Mit Blick auf deren Anteile an den Trauerfeiern können ebenfalls verschiedene Ansätze unterschieden werden. In den öffentlichen Trauerfeiern dominiert zumeist klassische Musik, die sich von ihrer Klanggestalt her nahe an den üblichen Hörgewohnheiten der Gegenwart bewegt. 67 Versuche, die Situation der Klagenden anders als in Gestalt klassischer Musik auszudrücken, sind rar. Vermutlich sollen die Trauernden nicht überfordert werden und bemüht man sich um eine Weise des Rituals, auf das Menschen sich leicht einlassen können. Das passt zu einem Grundzug dieser Feiern, einer weltanschaulich und kulturell heterogenen Öffentlichkeit gemeinsame Trauer zu ermöglichen. Allerdings bleibt weiter zu untersuchen, wer durch dieses kulturelle Framing von den Trauerfeiern möglicherweise ausgeschlossen wird. Klage, Trost und Hoffnung in Klanggestalt 319 <?page no="320"?> 68 Vgl. zur Rezeption und Akzeptanz von Liedern Andreas M A R T I , Kirchenlied und Ge‐ sangbuch. Einführung in die Hymnologie. Unter Mitarbeit von Elie J O L L I E T , Göttingen 2021, 192-194. Musikstücke und Klang eröffnen die Möglichkeit vielfältiger Rezeption. 68 Die Musikstücke legen die Rezipienten weniger fest als Texte. Etwa die er‐ wähnten Bach-Kantaten können als Teil christlicher Kirchenmusik verstanden werden, können aber ebenso als Stücke eines klassischen Musikrepertoires, das konfessionell offen ist, oder als erbauliche Musik gehört werden. Diese Rezeptionsvielfalt kommt der heterogenen Gruppe der Trauernden entgegen. Wie schon für die Zeichenhandlungen dieser Gottesdienste festgestellt worden ist, ermöglicht auch die musikalische Gestalt, Menschen verschiedener gesell‐ schaftlicher Herkunft zu beteiligen. Offenheit und Vielfalt sind eine Chance dieser Feiern. Gesänge können Heil „‚vor Augen stellen‘“, so ist Ansgar Franz eingangs zitiert und diese These dann auf Musik in den Trauerfeiern nach Großkatastrophen angewendet worden. Die Bedeutung, die die musikalische Gestaltung dieser Feiern hat, steht außer Frage und muss bei ihrer wissenschaftlichen Analyse berücksichtigt werden. Theologisch betrachtet hilft dabei gerade die musikali‐ sche Gestalt der Gottesdienste, Trauer und Hoffnung in einer Spannung zu halten, so dass menschliches Leid nicht überspielt, zugleich jedoch Mut für ein Leben nach der Katastrophe zugesprochen wird. Für die Trauerfeiern nach Großkatastrophen ist das keine Kleinigkeit. 320 Benedikt Kranemann <?page no="321"?> 1 Huub O O S T E R H U I S , Du bist der Atem und die Glut - Gesammelte Meditationen und Gebete, Freiburg i.Br. 1994; hier Zitat aus: Ein kleines Lied, 319f. Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder Matthias Kreuels Zum liturgiemusikalischen Alltag christlicher Gemeinden und Gemeinschaften gehören ihre Lieder - in welcher stilistischen Ausprägung auch immer. Bei ihnen handelt es sich (mit Huub Oosterhuis gesprochen) um „gläubige Lieder, die sagen, was nur gesungen werden kann, die wissen, was nicht zu wissen ist, wehrlos wie nur ein Lied ist“ 1 . Solche Worte lassen aufhorchen. Wehrlos wie nur ein Lied ist? Es gibt doch die geschmetterten Patronatslieder oder Wallfahrtslieder im Brustton der Pilgererfahrungen. Man kann Gemeinde‐ lieder ideologisierend einsetzen, man kann sie verballhornen. Wehrlos? Die Oosterhuis-Gedanken gelten solchen Aspekten offensichtlich nicht! Stattdessen ermutigen sie mit sorgsam eingrenzender Sicht zum Staunen: Gemeindelieder wahrzunehmen als ein kostbares Gut. Und deren Begleitung? Was macht in der Aktualität gegenwärtiger Gottesdienstpraxis die Begleitung der Gemeindelieder aus? Wo stehen wir da? Was wären motivierende Ziele? Vorweg eine weitere Eingrenzung. Bekanntlich geht es hier um einen Teil der Gemeindepraxis, in dem durchaus auch größere Gruppen tätig sind ( Jugend‐ band, Posaunenchor, Flötenkreis, Streichorchester …). Dies ist aber nicht überall so. In wirklich jeder Gemeinde bzw. Gemeinschaft dagegen liegt Liedbegleitung zunächst bei einem einzelnen Instrument (Orgel, Klavier, Gitarre), und alltäglich ist da die Abfolge Intonation/ Vorspiel, Begleitung der Strophe/ n, eventuell Zwischenspiel/ e, eventuell auch ein Nachklang. Um diese Vollzüge soll es gehen. Infolgedessen bleibt ein Abriss zur Historie der Gemeindeliedbegleitung ebenso <?page no="322"?> 2 Hingewiesen sei auf: 1) Ingo B R E D E N B A C H - Helmut B R A N D , Anleitung zur choralgebun‐ denen Improvisation, in: Siegfried B A U E R (Hg.; unter Mitarbeit von Ingo B R E D E N B A C H ), Probieren und Studieren, Lehrbuch zur Grundausbildung in der Evangelischen Kirchen‐ musik, München 1996, 9-42; Dietrich S C H U B E R T H , Singen mit der Gemeinde, in: ebd., 409-411. - 2) Hans-Jürgen K A I S E R - Barbara L A N G E (Hgg.), Basiswissen Kirchenmusik. Ein ökumenisches Lehr- und Lernbuch in 4 Bänden […], Bd. 3: Thomas A L B U S - Franz Josef S T O I B E R (Hgg.), Musiktheorie - Liturgisches Orgelspiel, Stuttgart 2006, darin: „Gemeindebegleitung“, 98-183, (a) Christoph G E O R G I I , Anregungen für Vorspiele und Intonationen, 98-127 (b) Jürgen E S S L , Grundlagen der Gemeindebegleitung, 120-140 (c) Franz P R E C H T L , Patterns zur Begleitung Neuer Geistlicher Lieder am Klavier, 141-148 (d) Nico S C H M I T T , Begleitung Neuer Geistlicher Lieder auf der Orgel, 149-183. außen vor wie ein Kurzlehrgang einschlägiger Basics, denn zu beidem gibt es ausreichend Literatur. 2 1 Persönliche Musikpraxis Im Leben des Autors gehört die Gemeindeliedbegleitung zur persönlichen Musikpraxis. Noch heute entsinne ich mich an erste Gottesdienstmitwirkungen zu Beginn der Gymnasialzeit und an die sich rasch vermehrenden Begleit-An‐ fragen und -Aufgaben in meiner Neusser Heimat. Bald war das Engagement als Ministrant zu Ende - dafür gehörten jetzt zwei bis drei Gottesdienste zu jedem Sonn- und Feiertag. Parallel zur musikalischen Heran- und Ausbildung entwickelten sich auch meine Liedsätze und nahmen kontinuierlich an Vielge‐ staltigkeit und Stilistik zu. Selbst heute, in nachberuflicher Zeit, ist es immer noch diese Begleitpraxis, deren Weiterentwicklung kein Ende zu haben scheint. Eine beglückende Erfahrung. Im damaligen Schul- und Kirchenmusikstudium wurden Liedsätze mehr und mehr verschriftlicht (Tonsatz), sie wurden hand‐ werklich verfeinert (Kontrapunkt) und führten später bis zu Grundlagen der Komposition. Letztere waren Spiegelbild zur Orgel- oder Klavierimprovisation bzw. zum sog. Liturgischen Orgelspiel. Ein erstes Fazit: Aus jahrzehntelanger Erfahrung kann ich bestätigen, dass einschlägige Musikdisziplinen davon leben, sich fortwährend neu in der An‐ wendungsrealität zu beweisen, Gemeindeliedbegleitung also in der Vielfalt gottesdienstlicher Situationen. 2 „Wo fange ich an“ - eine Vertonung Der Zusammenhang von Komposition, Stegreifspiel und situationsgebundener Begleitung lässt sich am besten am konkreten Beispiel darstellen. Ich wähle einen kleinen Gesang aus den letzten Jahren. 2017 veröffentliche Uwe Kolbe 322 Matthias Kreuels <?page no="323"?> 3 Uwe K O L B E , Psalmen, Frankfurt a. M. 2017. Zum Autor finden sich vielfältige Informa‐ tionen im Internet; am Beginn der „Psalmen“ gibt sein Geleitwort nähere Hinweise zu den Texten dieses Büchleins. 4 K O L B E , Psalmen (wie Anm. 3), 11. Folgende Notenbeispiele: nach Manuskript-Fassungen des Autors. (* 1957) ein Büchlein mit dem ebenso kurzen wie auffälligen Titel „Psalmen“. 3 Gleich der erste Text weckte mein Interesse: 4 DEIN MORGEN Wo fange ich an, wohin mit den Augen, den Blick aufzuheben zu deinem Morgen zu nehmen den Weg, wo führt er mich hin, hinaus aus der Irre? Noch singe ich nicht, ein Stammler der Liebe, ich bitte dich, lasse mich sehen den Weg und singen dein Lied. Es entstand folgende Vertonung - hier die Gemeindefassung: Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder 323 <?page no="324"?> Vertonung ist hier wörtlich gemeint: Aus dem Kolbe-Text, der in einem Gleichgewicht aus Unscheinbarkeit (äußerer Eindruck) und Differenziertheit (Textrhythmus, Zeilenstruktur, inhaltliche Bögen) steht, ergaben sich Töne sozusagen von selbst. (Dabei sind die Ziffern der vier Dreizeiler keine Strophen‐ zählung, sondern dienen nur als Orientierung, etwa beim Ansingen mit einer Singgruppe oder Gemeinde.) Zur Komposition der Melodie: Dreizeiler 1 und 2 Textlich (und folglich auch musikalisch) stehen sie in einem Wiederholungsver‐ hältnis. Dem Dreizeiler-Paar 1 und 2 entspricht am Schluss der mit Wiederho‐ lung gesungene vierte Dreizeiler. Dreizeiler 3 Einerseits beginnt er mit einem Textüberhang (Ende des Fragesatzes), anderer‐ seits enthält er eine zweigliedrige Selbstwahrnehmung, die im vierten Dreizeiler der dort formulierten Bitte ihren Schwung gibt. Dreizeiler 4 Während im Text diese Zeilen nicht wiederholt werden, ergab die Vertonung eine solche Wiederholung, vor allem in Balance zum Beginn (s. zuvor). Tempo - Tonhöhe - Taktart Die Melodie soll den Text angemessen realisieren; er wird also „gesungen“ wie „gesprochen“. Dies unterstreicht die Metronom-Angabe: Der ganze Takt 324 Matthias Kreuels <?page no="325"?> entspricht in etwa einer deutlich verlangsamten Sekunde. - Die Tonhöhe geht von den Möglichkeiten einer normalen Gemeinde aus. - Der 3/ 4-Takt zeichnet mit seinen spezifischen Schwerpunkten die Textvorlage nach, der offensichtlich diese Taktart innewohnt, ohne dabei den Textfluss zu dominieren. Akkordangaben Zur Notation der Gemeindefassung gehören auch Akkordbuchstaben. Diese richten sich nach Gepflogenheiten vieler (zumal neuerer) Gemeindelieder. Zwischenfazit: Wo fange ich an ist anhand der Gemeindefassung (auch als Liederbuchbzw. Gesangbuchfassung zu bezeichnen) durchaus schon singbar. Allerdings bleibt die Gemeindebegleitung dabei nur „angedeutet“. Begleitsatz In einem weiteren Arbeitsgang entstand der ausgeschriebene Begleitsatz. Dieser setzt die Wahl einfacher musikalischer Mittel fort und fügt abschließend einige Takte als „Vor-/ Zwischen-/ Nachspiel“ hinzu. Damit nähert er sich einem Arran‐ gement. Ein kurzer Rückblick auf das Projekt Wo fange ich an insgesamt: Schon vor Anfertigung der Melodie begleitete mich die Frage, wo ein solcher Gesang liturgisch verortet sein könnte. Folgende Möglichkeiten schienen mir denkbar: • zu Gottesdienstbeginn als „Thema“ (… in mehrfacher Wiederholung ge‐ sungen); • als Gliederungsgesang zu Gedanken mit der wiederholten Frage Wo fange ich an? ; • als Kehrvers zu einem biblischen Psalmtext (dieser gesprochen oder ge‐ sungen); • als Rahmenvers zu einem Gemeindelied, zu einem Chor- oder Instrumental‐ stück (jeweils tonartlich in einem sinnvollen Bezug oder Kontrast stehend); • Wo fange ich … als wiederholende Singphasen im Wechsel mit Orgelimpro‐ visationen; • Wo fange ich … als wiederholende Singphasen im Wechsel mit Stille. Es geht also bei diesen Varianten um liturgische Konstellationen, in denen der Kolbe-Text ein gesungener Impuls ist. Aus dieser Sicht heraus nahm der Begleitsatz Kontur an, einschließlich zusätzlicher Takte am Ende: Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder 325 <?page no="326"?> 326 Matthias Kreuels <?page no="327"?> Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder 327 <?page no="328"?> Zwischen Gemeindefassung und Begleitsatz gibt es Unterschiede: • Hinzufügung von Taktzahlen; • zwecks besserer Lesbarkeit werden die vier Dreizeiler in Absätzen notiert, was jeweils die Anmerkung „sogleich …“ zur Folge hat; • Umwandlung der Akkordangaben zu einem einfachen dreistimmigen Satz - dafür entfallen jetzt aus der Gemeindefassung die Akkordbezeichnungen; • Ergänzung um die Takte 37-42 (Vor-/ Zwischen-/ Nachspiel), die ihrerseits mit der Maßgabe „Tempo I“ an den Beginn rückgebunden sind. Über äußere Notationsaspekte hinaus steht der Begleitsatz mit spezifisch mu‐ sikalischen Gestaltungsmomenten im Dienst an der Melodie und damit am Textinhalt: Basslinie Sie stützt den Melodiebogen über häufige Töne in der Unterterz (Dezime). Mittelstimme Der Akkordton der Mittelstimme bewegt sich ebenso oft mit dem Abstand einer kleinen Septime in Richtung Basston. Basslinie und Mittelstimme Basston und weiterer Akkordton ergeben im Zusammenklang eine Art Schwe‐ bezustand - sozusagen ein Klangsymbol für den Textinhalt insgesamt. Tonale Pole Takt 1-24: C-Dur in Korrespondenz mit a-moll (unterhalb C-Dur) und e-moll (oberhalb). Takt 25-27: Rückung nach B-Dur (musikalisches Mittel des Textbezugs); Rückung löst sich zu G-Dur auf, als dominantischer „Rückweg“ zu C-Dur. Takt 28-36: C-Dur vorherrschend, nur in Takt 33 Anklänge an die zuvor mitgestaltenden Pole a-moll bzw. e-moll. An einigen Stellen greifen klangliche und rhythmische Gestaltung eng inein‐ ander: Fragesatz-Ende Takt 19-21: Die Frage mündet melodisch in eine (sinnausdeutende) Pause, die der Begleitsatz aber ausfüllt und so den textlichen Fortgang zusammenhält. Selbsteinschätzung 2 Takt 23-24: Vergleichbar Takt 19-21 führen die beiden Begleitstimmen in die tonale Rückung hinein, die, ihrerseits, sozusagen von selbst ein wenig an 328 Matthias Kreuels <?page no="329"?> Tempo verliert, wenn hier leiser gesungen wird. (Nochmals: Es soll der Text ja „gesungen“ werden wie „gesprochen“ …) Zusammenfassung (vierter Dreizeiler) Takt 28-36: Melodie und Begleitung deklamieren betont gemeinsam und wech‐ seln auch (die innerlich „mitlaufende“ Viertel bleibt konstant! ) suggestiv ge‐ meinsam vom kleinen Dreiertakt in den großen Dreiertakt - und später wieder zurück. 3 Routine in der Begleitpraxis birgt Gefahren Der ausgeschriebene Begleitsatz ist Konkretisierung der in der Gemeinde‐ fassung nur angedeuteten Begleitung. Oder: Was hier im Begleitsatz ausge‐ schrieben ist, wird im Normalfall einer Liedbegleitung mehr oder weniger spontan umgesetzt, üblicherweise direkt aus dem Gesang- oder Liederbuch heraus, oft auch aus einem „Orgelbuch“ oder anderen Begleitausgaben. Dazu ein kurzer Blick hinter die Kulissen - also in die Situation hinein, dass ein (unbekanntes) Lied zur Begleitung ansteht: • Man spielt (oder denkt) sich in die betreffende Melodie und ihre Begleitak‐ korde hinein, eventuell auch in einen notierten Begleitsatz. • Man nutzt Erfahrungen mit ähnlichen Liedern. • Man kennt möglicherweise auch schon bestimmte Stile. Irgendwann ist in dieser Situation mehr oder weniger alles Routine geworden, man kommt daher mit jedwedem Lied klar, zumindest irgendwie. Eine derartige Spontanpraxis birgt die Gefahr (positiv formuliert) von ständigen Kompromissen oder (negativ gesehen) von tolerierten Missverständ‐ nissen oder gar Unfällen. Letztere lassen sich ebenfalls durch Routine oft vermeiden. Trotzdem sind in der Praxis landauf, landab folgende Gegebenheiten anzutreffen: Tonhöhe versus Mitsingen Aus Unfähigkeit zur Transposition oder dem Unwillen, eine angemessene(re) Tonhöhe zu nehmen, spricht die Begleitung nur Teile der Singenden an. Der Rest macht nicht mit. Unangemessenes Tempo Statt einer Tempowahl, die sorgsam die spezifische Wort-Ton-Konstellation, die singende Gruppe (Gemeinde) und deren Sing-Raum (Kirche) in den Blick nimmt, entspringt das Tempo bauchgefühligem Spontankalkül. Hier wäre eigentlich Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder 329 <?page no="330"?> 5 O O S T E R H U I S , Ein kleines Lied (wie Anm. 1), 319f. reflektierendes Innehalten angesagt - statt Begründung nichtoptimaler Tempi mit angeblich musikalischen Argumenten. Grauzone Vorspiel (Intonation) Statt einer unkomplizierten Vermittlung der zu erwartenden Melodie und eines ebenso spielerischen Singstarts am „Punkt x“ pflegt man, geradezu liebe‐ voll, langatmig-geschnörkelte Hinführungen. Außerdem klärt sich das spätere Tempo (zu) oft erst während des Vorspiels. Hektik statt Intensität Eigentlich wäre es ein Leichtes, mit der Gemeinde einfach nur gemeinsam zu musizieren. Stattdessen zielen viele Begleitungen darauf, der Gemeinde zu „zeigen, wo es lang geht“. Ergebnis: Hektik, speziell bei den Zeilenübergängen, außerdem bevormundendes Insistieren auf Kleinigkeiten dort, wo eigentlich gemeinsame Intensität dem Singen guttäte - und damit auch der Liturgie! Geschickte Gemeindeführung via Liedbegleitung hat eben nichts mit Hektik oder Bevormundung zu tun. Maßkonfektion, nicht Begleitmaschine Eigentlich verdient jedes Lied und jede liturgische Situation eine maßgefertigte Liedbegleitung! Es ist einfach ungenügend, die „Begleitmaschine“ anzuwerfen, die dann liefert, was irgendwie und überall „schon passt“. Aus vielen Erlebnissen heraus kann ich nur wünschen, dass Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker genau hier neue Wege gehen. Es kann einfach nicht sein, dass uns so mancher Popsong außerhalb der Kirchenmauern (dort buchstäblich „in aller Munde“) innerhalb dieser Mauern einen Spiegel mit Mitsing-Fragezeichen hinhält - und das zu Recht. 4 Gemeinsamkeit stiftende Unscheinbarkeit des musikalischen Tuns Zurück zum eingangs zitierten Gedanken von Huub Oosterhuis. Hier sein leicht größerer Zusammenhang: „Ich glaube an gläubige Lieder, die sagen, was nur gesungen werden kann, die wissen, was nicht zu wissen ist, wehrlos wie nur ein Lied ist. Singen; schwankendes Gleichgewicht aus Worten und Wortlosigkeit, aus Sprechen und Schweigen“. 5 Welche Ziele könnten es also für die Begleitung von Gemeindeliedern sein, die aus dem Kern dieser Aufgabe heraus neue Motivation geben? 330 Matthias Kreuels <?page no="331"?> Gemeindelieder sind Teil der gottesdienstlichen und damit kirchlichen Zu‐ kunft. Wenn Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker alles tun, dem gemein‐ samen Singen wirklich zu dienen, und alles weglassen, was diesem gemeinsamen Singen Probleme bereitet, kann zumindest hier pastorale Zukunft als hoffnungs‐ voll gelten. Die kirchenmusikalischen Hausaufgaben bestehen darin, Musik in der Liturgie nicht gegen die Spiritualität der Liturgie zu setzen, es geht darum, musikalische Eigensinnigkeit zu überwinden. Künstlerisch verwirklicht sich Gemeindeliedbegleitung gerade dort, wo es für Unscheinbarkeit musikalischen Tuns einen unbezahlbaren Lohn gibt: Ge‐ meinden und Gemeinschaften singen gerne ihren Glauben und leben so ihr liturgiemusikalisches Miteinander im „Gleichgewicht aus Worten und Wortlo‐ sigkeit, aus Sprechen und Schweigen“. Wo fange ich an? - Von der Begleitung der Gemeindelieder 331 <?page no="333"?> 1 L I T U R G I S C H E I N S T I T U T E S A L Z B U R G u.a., Die Weihe der Kirche und des Altares, die Weihe der Öle (Pontifikale für die Katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes 4), Freiburg i.Br. 1994, 68. - Ich danke Dr. Christine Farwick für die Überarbeitung des Textes. Unser Leben sei ein Fest Clemens Leonhard 1 Anti-liturgische Liturgie Gibt es noch einen Alltag, wenn unser Leben ein Fest ist? Oder soll es bloß ein Fest sein, während wir ohnehin wissen, dass es keines ist? Ist es womöglich unsere Pflicht, unser Leben so zu führen, dass wenigstens andere, die uns sehen, meinen, dass unser Leben ein Fest ist? Das oben angedeutete Phänomen tritt noch deutlicher hervor, wenn man es nicht nur in Bezug auf die Zeit, sondern auch auf den Raum oder konkrete Orte bedenkt. Sobald „allerorten […] dein Tempel, wo das Herz sich fromm dir weiht“ (GL Österreich 711,7: „Schubert-Messe“), ist, braucht es keinen Wegweiser mehr, wie man zum „Tempel Gottes“ gelangt. In diesem Sinn beinhaltet das nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführte Kirchweihgebet den diffusen Zweifel an der Heiligkeit von Orten, der schon ins salomonische Gebet zur Einweihung des Tempels eingetragen ist (1 Kön 8,16.27). Mit 1 Petr 2,5 sagt das Kirchweihgebet: „Dieses Haus weist hin auf das Geheimnis der Kirche, die Christus in seinem Blute geheiligt hat. Sie ist dein Zelt unter den Menschen, der heilige Tempel, erbaut aus lebendigen Steinen, gegründet auf das Fundament der Apostel; der Eckstein ist Jesus Christus.“ 1 An sich sollte die Kirche als Gebäude aus Menschen, als Versammlung leben‐ diger Steine und nicht als Hallenbau mit Turm begriffen werden. Das Gebet zur Einweihung der Kirche enthält also eine Kritik am Einweihen von Kirchen. Wenn man zur Frage der Zeit zurückkehrt, würde die Herstellung von Kalendern sehr einfach, wenn das ganze Jahr ein Fest wäre. Vielleicht sollte <?page no="334"?> 2 Zur Beurteilung von Stimmungen und Emotionen, die die Lieder fördern vgl. Peter H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ als zeitgenössische Komponente christlicher Spiritualität (Theologie und Praxis 3), Münster 1998, 331f., 340f. 3 Vgl. H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 433. 4 Die weiteren Strophen des Liedes kamen erst nach und nach dazu; vgl. Clemens L E O N H A R D , Unser Leben sei ein Fest, in: Alexander Z E R F Aẞ - Andrea A C K E R M A N N - Franz Karl P R Aẞ L - Ewald V O L G G E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Österreich und Bozen-Brixen. Liturgie - Geschichte - Kultur, Wien 2022, 824-828. 5 Vgl. die Überlegungen zum Werk von Fritz Staal bei Axel M I C H A E L S , Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, in: Christiane B R O S I U S - Axel M I C H A E L S - Paula S C H R O D E (Hgg.), man diese Fragen einfach nicht stellen? Vielleicht haben Sängerinnen und Sänger von Unser Leben sei ein Fest für eine kurze Zeit ein diffus gutes Gefühl. 2 Danach kehren die einzelnen Mitglieder dieser Gruppe wieder in den eigenen Bereich des Lebens zurück, das weder theoretisch noch praktisch ein Fest ist. Vielleicht dient die Textseite des Liedes gar nicht der Informationsvermittlung, sondern vielmehr dem sozialen Zweck, ein gutes Gefühl zu schaffen. Allerdings sagte Peter Janssens, der die Melodie dieses Liedes geschrieben hat, über Liedtexte: „Lieder, die mit seichtem Tralala den Sonnenschein und die Güte Gottes besingen, die da überall zu finden sein soll, muß ich und will ich nicht schreiben“. 3 Hat er vielleicht mit Unser Leben sei ein Fest eine Ausnahme von seiner Regel gemacht? Die folgenden Überlegungen werben dafür, die Textseite der ersten Strophe des Liedes Unser Leben sei ein Fest und vergleichbarer Lieder in Hinblick auf zwei Aspekte ernst zu nehmen. 4 Erstens ist die Funktion eines Textes als Komponente eines geistlichen Lieds nicht Verkündigung eines dogmatischen Inhalts. Das mehr oder weniger gute Gefühl verweist auf eine zweite Funktion, nämlich die eines theologischen, möglicherweise politischen Statements. Wer über den Text nachdenkt, kann sich dabei sogar schlecht fühlen. Aber: Sich aufgrund der Erkenntnis einer Wahrheit schlecht zu fühlen, kann ein sehr gutes Gefühl sein. Es können im Folgenden nur Vermutungen über Bedingungen der Möglichkeit guter und schlechter Gefühle angestellt werden. Diesen Vermutungen fehlt die Grundlage empirischer Messungen, so dass von vornherein der methodische Rahmen dieses Essays begrenzt ist. 2 Sinnloses Überlegungen, welche Rolle liturgische Texte in Liturgien spielen, stehen bei der Beschreibung von Liturgien im Hintergrund. Wenn sie als Handlungen verstanden werden, ist die sprachliche Ausgestaltung für das Gelingen und Verstehen des Rituals unwichtig. 5 Liturgischen Texten kann von der Glaubens‐ 334 Clemens Leonhard <?page no="335"?> Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen (UTB), Göttingen 2013, 40-45. 6 Ute H Ü S K E N , Ritualfehler, in: B R O S I U S - M I C H A E L S - S C H R O D E , Ritual (wie Anm. 5), 129-134, hier: 132. 7 Vgl. zu Definitionsansätzen H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 209- 233; sowie Daniel B R E U S E R , Das Neue Geistliche Lied. Entstehung - Erfahrung - Perspektiven, Marburg 2009, 21-42, 44-46. 8 H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 261 berichtet, dass Joseph Kardinal Höffner meinte, das Neue Geistliche Lied gehöre „weniger“ zur „Eucharistiefeier, als vielmehr“ zu Wort- oder Gebetsgottesdiensten - aus der Sicht der katholischen Kirche und im Vergleich mit der Feier der Sakramente nebensächliche, da wirkungslose fromme Übungen. 9 H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 227, 426f., 432 im Interview. Ich danke den beiden Münsteraner Musikern Jürgen Knautz und Michael Jahnig für Erinnerungen an Peter Janssens’ Südamerika-Engagement. Janssens teilt (H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ [wie Anm. 2], 426) nicht mit, über welches Buch er mit dem Denken von Ernesto Cardenal in Berührung kam. Bei einem Besuch von Cardenal in Deutschland im Jahr 1973 gestaltete Janssens einen Gottesdienst, der auf einer Langspielplatte (LP) publiziert wurde; H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 325f., 328 sowie 325 Anm. 229 zur Langspielplatte. 10 L E O N H A R D , „Unser Leben sei ein Fest“ (wie Anm. 4). 11 Vgl. die Transkription des Interviews mit Janssens bei H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 423-425, 439. gemeinschaft doctrinal efficacy zugeschrieben werden. „Dabei bezieht man sich auf einen Zusammenhang von Ritual und postulierter Wirkung, der nicht empirisch zu erfassen ist (z.B. muss es nach einem Regentanz nicht regnen und das Ritual kann trotzdem als wirksam gelten).“ 6 Doctrinal efficacy ist nicht messbar. Wenn es innergemeinschaftliche Konflikte über Verfahren zu ihrer Verwendung gibt, deutet dies an, dass manchen Gruppenmitgliedern die Differenz zwischen erfahrbaren und dogmatischen Wirkungen bewusst ist. Doctrinal efficacy kann für das Neue Geistliche Lied 7 innerhalb der katholischen Kirche ausgeschlossen werden. Lieder werden nicht als Sakramente betrachtet. 8 Deswegen ist ihre liturgische Dignität gering. Aus diesem Grund werden darin etwa eingeschriebene theologische Aussagen nicht sehr ernst genommen. Die Toleranz gegenüber Liedtexten war und ist allerdings nicht grenzenlos. Peter Janssens, der Unser Leben sei ein Fest vertont hat, verbrachte 1964 acht Monate auf einer Theatertournee in Südamerika. Er lernte Ernesto Cardenal kennen und blieb mit diesem auch weiterhin in Kontakt. 9 Obwohl Janssens den Text von Unser Leben sei ein Fest nicht selbst entwickelte (was Alois Albrecht und dem sog. „Metternich-Team“ zukam), wird unten zu zeigen sein, dass Cardenal in ähnlich liturgiekritischer Weise dachte. 10 Janssens war höchst engagiert in und interessiert an neuen kirchlichen Entwicklungen. Die Zusammenarbeit mit Alois Albrecht und Josef Metternich, denen die Textdichtung zukam, war eng. 11 Unser Leben sei ein Fest 335 <?page no="336"?> 12 Ebd., 328, 435. 13 Katechetische Homilien 15,21; Peter B R U N S , Theodor von Mopsuestia, Katechetische Homilien (Fontes Christiani 17/ 2), Freiburg i.Br. 1995, 404f. 14 Katechetische Homilien 15,20; B R U N S , Theodor (wie Anm. 13), 404f. 15 Vgl. Katechetische Homilien 12,2; B R U N S , Theodor (wie Anm. 13), 320f. Janssens weigerte sich, „bei seinen Offenen Singen“ politische Lieder im Sinn der Theologie von Cardenal „fortzulassen“, und nahm dafür in Kauf, bei Katholiken‐ tagen nicht mehr eingeladen zu werden. 12 Aus diesem zeitgenössischen Zeugnis lässt sich ablesen, dass Liedtexte als bedrohlich wahrgenommen wurden. Aufgrund der im Deutschen eingebürgerten liturgischen Übersetzungs‐ sprache ist falsche Syntax, die Verwendung seltener und entlegener Worte und Metaphorik, die sich nicht direkt erschließt, kein Beweis für eine mangelhafte Konstruktion liturgischer Texte, sondern ein Indiz für Authentizität. Lange Überlieferungsgeschichten der Liturgien legen nahe, dass in der Gegenwart sinnlos gewordener liturgischer (oder biblischer) Text irgendwann sinnvoll gewesen sein muss und deswegen weiter tradiert wurde. Unverständliche liturgische Texte (und mit banaler Alltagserfahrung nicht erklärbare Handlungen) sind kein neues Phänomen in Liturgien. Um unzugäng‐ liche und für die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer in den Kirchen selten verwendete Texte und Handlungssequenzen für den Dialog zu öffnen und formal zu legitimieren, hielten spätantike Liturgie-Erklärer Katechesen. Entscheidend ist im Sinn ihres Platonismus die Auflösung erkennbarer Ver‐ bindungen zwischen den Dingen der Welt als Abbilder himmlischer Urbilder und diesen himmlischen Urbildern. Wer um die Wende zum 5. Jahrhundert eine Messfeier in Antiochia oder Mopsuestia beobachtet, hat keine Chance zu erkennen oder zu verstehen, dass der konkrete Bischof am Altar ein Bild Christi des Hohenpriesters ist, der am himmlischen Versöhnungstag im himmlischen Allerheiligsten ein Ritual vollzieht. 13 Diese Schau müssen die Betrachterinnen und Betrachter der Liturgien „gleichsam mit Einbildungskraft“ 14 in ihrem Geist hervorrufen. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie die katechetischen Homilien ihres Bischofs Theodor gehört haben. 15 Durch uninformiertes Hinschauen schaut man hingegen nichts. Das platonistische Pathos dieser Katechesen dient dazu, die Beliebigkeit der Erklärungen zu vertuschen. Wenn Erklärungen willkürlich sind und man alles mit allem erklären kann, dann ist alles, was man in der Liturgie tun, sagen und singen kann, erklärbar. Es kommt daher nicht darauf an, wie oder mit welcher Methode etwas erklärt wird. Es kommt einzig und allein darauf an, dass es der Bischof erklärt. Man müsste daher auch für Neue Geistliche Lieder und ihre Texte die Konstruktion von Autorität und implizite Machtstrukturen analysieren. Die Frage nach der Autori‐ 336 Clemens Leonhard <?page no="337"?> 16 Vgl. B R E U S E R , Das Neue Geistliche Lied (wie Anm. 7), 21, 32-39. 17 Als Beispiel sei Huub Oosterhuis genannt, der am Ostersonntag 2023 verstorben ist; vgl. Otto F R I E D R I C H , „,Bis wohin gehst du mit mir‘“, in: Die Furche 79 (2023), Nr.-15, 8. 18 Clemens L E O N H A R D , The Lord’s Prayer Between Christian Ethics and Liturgy. Its Interpretation in Theodore of Mopsuestia’s Catechetical Homilies and the Reception by Later East-Syrian Authors, in: Albert G E R H A R D S - Andrea D O E K E R - Peter E B E N B A U E R (Hgg.), Identität durch Gebet. Zur gemeinschaftsbildenden Funktion institutionali‐ sierten Betens in Judentum und Christentum (Studien zu Judentum und Christentum), Paderborn u.a. 2003, 335-367, bes. 340f. 19 H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 272, 282, 324f., 214 (zum „Botschafts‐ charakter“ des NGL als „eindeutig funktionsorientiertes Lied“), 215: „Gerade mit dem Neuen Geistlichen Lied vermischen sich liturgische und ‚politische‘ Aspekte in einem weltwachen Gottesdienst.“ Vgl. B R E U S E R , Das Neue Geistliche Lied (wie Anm. 7), 48 (ähnlich bei H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“, 265 eingerahmt): „Dabei geht es häufig tätskonstruktion um das Neue Geistliche Lied wird im Folgenden ausgeblendet. Neue Geistliche Lieder wurden von Event-Managern und Event-Managerinnen (zum Beispiel für Kirchentage), von Verlagen, Musikerinnen und Musikern und anderen Gruppen verbreitet. Man gewann damit Wettbewerbe und verdiente durch Verkauf von Tonträgern und Noten und durch deren Aufführung Geld. Sie wurden nicht von hohen Amtsträgern der römisch-katholischen Kirche promulgiert. Manche Lieder wurden durch die Aufnahme in offiziell verbreitete Gesangbücher autorisiert. Wer in ihre Geschichte blickt, ahnt aber das Flair des chaotischen Ursprungs 16 oder des unangepassten, prophetischen Schöpfungs‐ prozesses im Hintergrund. 17 Die moderne Lizenz zur gewagten Wort- und Themenwahl bei der Abfassung der Texte entspricht der spätantiken Lizenz zur ebenso gewagten Interpretation. Die spätantiken platonistischen Katechesen liefern zwei hermeneutische Stra‐ tegien zum Verständnis von Inhalt und Erfolg der Texte Neuer Geistlicher Lieder. Erstens gilt der Primat der Tugend: „Was bedeutet das Vaterunser? - Sei brav! “ 18 Zweitens ist das Motiv für die Textinterpretation der Antike dasselbe wie für die Texterstellung der Moderne: ein Gefühl des Unbehagens, vielleicht sogar der Peinlichkeit. Dieses Gefühl entsteht aus der Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen dem jeweils eigenen denkerischen Ansatz und Anspruch einerseits und der traditionellen Liturgie, an der man teilnimmt und die man nicht aufgeben will, andererseits. Die aus diesem Unbehagen entstandenen Texte sind anti-liturgische Liturgie. 3 Jesu Werk in unseren Händen Liturgische Texte und Handlungen können bedeutungslos sein. Sie sind trotzdem nicht zwecklos. 19 Manche Liedtexte des Neuen Geistlichen Lieds Unser Leben sei ein Fest 337 <?page no="338"?> um einen Indikativ des Seins und den Imperativ, dann danach zu leben“ - womit ein schönes Beispiel für einen essentialistischen Fehlschluss vorliegt. 20 Theodor von Mopsuestia, Katechetische Homilien 11,3 (wie Anm. 13), 301f. 21 Theodor von Mopsuestia, Katechetische Homilien 11,5 (wie Anm. 13), 304. entsprechen der spätantiken Liturgieerklärung darin, dass das Wesen aller Rituale Tugend ist. Der Zweck der Formulierung und Verbreitung der Lieder ist die Aufmunterung und Ermahnung der Sängerinnen und Sänger. Theodor von Mopsuestia († 428) studierte Rhetorik in Antiochia und wurde Bischof von Mopsuestia (heute Yakapınar in der östlichen Türkei). Neben theologischen und exegetischen Werken sind seine katechetischen Homilien - Predigten vor Neugetauften sowie Taufbewerberinnen und Taufbewerbern - in einer Übersetzung erhalten. Sie geben Einblick in die platonistische Liturgiein‐ terpretation der Epoche. In seiner Homilie über das Vaterunser sagt Theodor nach dem Zitat aus Lk 11, in das er das matthäische Vaterunser eingetragen hat: „Diese kurzen Worte hat er gebraucht, als wollte er sagen, daß das Gebet nicht in Worten besteht, sondern in der Sittlichkeit, der Liebe und der Sorge um das Rechtschaffene. Denn wer sich dem Guten zuwendet, dessen ganzes Leben muß im Gebet bestehen, was in der Erwählung des Guten sichtbar wird. Das Gebet ist nun notwendigerweise auf den Lebenswandel bezogen: was nicht erstrebt werden darf, das soll auch nicht erbeten werden. … Wer nun so beschaffen ist, braucht beständig die Bitten des Gebetes; wer nämlich um das Rechtschaffene bemüht ist, für den ziemt es sich, von Gott Hilfe zu erbitten, daß er ihm zu dem verhilft, worum er bemüht ist, nämlich zu dem, was er sein ganzes Leben lang zu tun erwählt hat.“ 20 Im weiteren Verlauf heißt es: „Deshalb hat er auch seinen Jüngern, die ihn baten, ein Gebet zu lehren, folgende Worte überliefert: Wenn euch am Gebet gelegen ist, dann wißt, daß es nicht in Worten besteht, sondern in der Wahl eines tugendhaften Lebens und in der Liebe zu Gott und in der Sorge um das sittlich Gebotene. Wenn ihr euch um diese Dinge bemüht, seid ihr in eurem ganzen Leben Betende.“ 21 Neben den Allaussagen („… seid ihr in eurem ganzen Leben Betende“) geht es Theodor um Tugend. Als Praxis ist Gebet gewiss etwas, das unter anderem in Kirchengebäuden getan wird. Entscheidend ist, dass Gebet tugendhaftes Leben ist. Wie Theodors Homilien suggerieren Texte des Neuen Geistlichen Lieds Wesensidentitäten zwischen Tugend und Liturgie. Wenn „unser Leben ein Fest“ und als Voraussetzung dafür oder als Folge davon „Jesu Geist in unserer Mitte“ ist, dann ist ebenfalls als Ursache oder als Folge davon „Jesu Werk in unseren Händen“. Die Unklarheit über Folge und Voraussetzung, über Ergebnis und 338 Clemens Leonhard <?page no="339"?> 22 Der Liedtext „Unser Leben sei ein Fest“ ersetzte einen älteren Vorschlag „Unser Leben ist ein Fest“; vgl. H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 251 und 253-255 zur weiteren Entwicklung von Strophen. 23 GL 472. Vgl. gegen die hier vertretene Interpretation Annette A L B E R T -Z E R L I K , Manchmal feiern wir mitten im Tag, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017, 728-730, die die intransitiven (Sätze, die aufbrechen) und passiven Ausdrücke (Schwerter, die umgeschmiedet, und Sperren, die übersprungen werden) auf die Unverfügbarkeit des Geschenks mystischer Augenblicke als Auferstehung deutet. 24 Vgl. auch „Dein Friede kommt nicht durch Gewalt, von oben nicht und nicht von selbst. Du willst durch uns Frieden schaffen, Gerechtigkeit, Liebe, dein Reich“ sowie die Textentstehungsgeschichte bei H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 249f. 25 Peter H Ü N E R M A N N (Hg.), Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Latei‐ nisch-deutsch (Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1), Freiburg i.Br. 2004, 90. 26 H Ü N E R M A N N , Dokumente (wie Anm. 25), 90. Bedingung ist notwendig, weil „Jesu Geist“ keiner Erfahrung zugänglich ist. Am Ende steht die Aufforderung, dass „Jesu Werk in unseren Händen“ sein soll. Sängerinnen und Sänger des Liedtextes müssen „Jesu Geist“ durch ihren Lebenswandel, der ein „Fest“ werden soll, weil er bereits wesenhaft ein Fest ist, 22 im Alltag konstruieren. Wenn ihr Leben und Verhalten von ihnen selbst und von ihrer Umwelt als geglückt beurteilt wird, können sie Jesu Geist als Ursache dafür ausgeben. Wenn sie scheitern, werden sie selbst daran schuld gewesen sein, dass „Jesu Werk“ nicht „in ihren Händen“ und „ihr Leben“ kein „Fest“ war. Ein Lied wäre damit überfordert, Kriterien für Erfolg und Scheitern zu bieten. Dennoch ist in dieser Frage Unklarheit wichtig: Man wird nie genug geleistet haben. Weniger totalitär als Unser Leben sei ein Fest ist Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung. 23 Wie man oder wer „Stunden einschmelzen“ kann oder soll, verrät das Lied nicht. Das Einschmelzen der Stunden könnte einen Geschenkcharakter des plötzlich im Alltag als Glücksmoment auftretenden Festes andeuten. Am Ende soll man aber - Strophe 3 folgend - aufhören sich zu zanken und „Waffen umschmieden“ 24 . Es ist Aufgabe der Sängerinnen und Sänger, im Alltag Auferstehung zu bewirken. Was die Konzentration auf Ethik betrifft, entsprechen die Liedtexte zeitge‐ nössischen sakramententheologischen Klischees. Lumen Gentium 11 sagt dazu: „Der heilige und organisch aufgebaute Charakter der priesterlichen Gemein‐ schaft wird sowohl durch die Sakramente als auch durch die Tugenden in die Tat umgesetzt.“ 25 Die Getauften müssen „den Glauben, den sie von Gott durch die Kirche empfangen haben, vor den Menschen … bekennen“. 26 Beim Sakrament Unser Leben sei ein Fest 339 <?page no="340"?> 27 H Ü N E R M A N N , Dokumente (wie Anm. 25), 90f. 28 Belege zur griechischen Basiliusanaphora gibt Achim B U D D E , Die ägyptische Basi‐ lios-Anaphora. Text - Kommentar - Geschichte ( Jerusalemer Theologisches Forum 7), Münster 2004, 405. Die Tradition der Basiliusanaphora steht im Kontext einer analogen Bemerkung von Basilius selbst (Benoît P R U C H E , Basile de Césarée. Sur le Saint-Esprit. Introduction, Texte, Traduction et Notes [Sources Chrétiennes 17 bis], Paris 2 1968; 66, S. 480f.) und der Formulierung der Liturgie in den Apostolischen Konstitutionen (Marcel M E T Z G E R , Les Constitutions Apostoliques. Livres VII et VIII [Les Constitutions Apostoliques 3 = Sources Chrétiennes 336], Paris 1987; 8,12,39, S.-198-201). 29 Karl R. P O P P E R , Der Zauber Platons (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde 1 = Gesammelte Werke in deutscher Sprache 5), Tübingen 8 2003 [1945], besonders Kap. 3, S.-24-42. der Firmung erwähnt das Konzil den Heiligen Geist als Geschenk nur mehr an zweiter Stelle. An erster Stelle werden die Gefirmten nicht befreit oder beschenkt, sondern „vollkommener an die Kirche gebunden (vinculantur)“. Sie sind dann „noch strenger verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen“. 27 Die Antwort auf die Frage „Was ist Firmung? “ ist eine Aufforderung, nämlich „Verbreite und verteidige den Glauben in Wort und Tat noch mehr als Leute, die nur getauft sind! “ Doctrinal Efficacy der Sakramente ist prinzipiell der Erfahrung nicht zugänglich. Was zu erfahren bleibt, ist die Erfüllung einer Aufgabe: „… noch strenger verpflichtet …“. Platonistische Liturgieerklärungen der Antike können weder eine irdische Wandlung (z.B. eucharistischen Brots und Weins in Leib und Blut Christi) beschreiben noch den Versuch, eine himmlische Wandlung Gottes durch Bitt‐ gebete herbeizuführen, tolerieren. Das erste Problem lösen die Autorinnen und Autoren liturgischer Texte in der Formulierung der Epiklesen Eucharistischer Hochgebete. 28 Der Heilige Geist wird nicht gebeten, die Gaben zu verändern, sondern deren Identität (Leib und Blut Christi) zu offenbaren. Wenn man keine Dinge der gegenständlichen Welt außerhalb des eigenen Denkens verändern will (oder weiß, dass man es nicht kann), bleibt nur die Veränderung der eigenen Erkenntnis des Wesens der Dinge. Noch weniger als irdische Dinge will man Gott verändern. Die Platon-In‐ terpretation von Karl Popper trifft präzise Anliegen, Herausforderungen und Probleme der spätantiken Liturgieerklärer. 29 Sie verstehen die Unwandelbarkeit der Ideenwelt als deren entscheidende Eigenschaft. An dieser Unwandelbarkeit partizipiert Gott ebenfalls. Insofern sind Bittgebete unmöglich. Wenn man Bittgebete in ihrem Wortlaut ernstnimmt, zielen sie auf eine Beeinflussung, ergo Umstimmung, ergo Veränderung Gottes. Dieses zweite Problem lösen die antiken Liturgieerklärer durch das Verbot von Bittgebeten. Die in der 340 Clemens Leonhard <?page no="341"?> 30 Philo, Über die Einzelgesetze 2,41f.: Isaak H E I N E M A N N (Übers.), Über die Einzelgesetze Buch I-IV, in: Leopold C O H N u.a. (Hgg.), Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung 2, Berlin 2 1962 [1910], 120 und vgl. dort Anm. 4 zu dieser Interpretation als kynisch-stoische Lehre. 31 Philo, Über die Einzelgesetze 2,43: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 121. 32 Philo, Über die Einzelgesetze 2,46: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 122. Zusatz in [-]: C.L. 33 Philo, Über die Einzelgesetze 2,48: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 122. Zusatz in [-]: C.L. Praxis unvermeidbaren Spuren der Tradition der Bittgebete - allen voran das Vaterunser - sind für platonistische Liturgie-Interpreten Grund für Befremden. Dieses Unbehagen ist der locus theologicus, aus dem in der Antike genauso wie in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts anti-liturgische Liturgieelemente entspringen. 4 Das Leben der Philosophin und des Philosophen beziehungsweise der Revolutionärin und des Revolutionärs als Fest 4.1 Philo von Alexandria Das Leben eines Philosophen oder einer Philosophin (oder einer Revolutionärin und eines Revolutionärs) ist ein Fest. Philo von Alexandria teilt das Gefühl des philosophischen Befremdens angesichts kontingenter Feste. Dazu kommt, dass er die alttestamentlichen Gesetze, die die Feste ordnen und anordnen, seinen ägyptischen Leserinnen und Lesern nicht als verbindliche Normen einschärfen kann. Die Feste schreiben eine ausschließlich mit dem Tempel in Jerusalem verbundene Praxis vor. In der Interpretation der Einzelgesetze spricht Philo von zehn Festen der Torah. Wer an den Schabbat, Versöhnungstag oder Pesach als Einstieg in die Liste der biblischen Feste denkt, wird eines Besseren belehrt: „Jeden Tag bezeichnet das Gesetz als Fest, indem es das tadellose Leben frommer, der Natur und ihren Vorschriften gehorsamer Menschen im Auge hat.“ 30 Zum Ideal des menschlichen Lebens als Fest schreibt Philo: „Und wenn nicht die Laster um sich gegriffen und die Erwägungen über das Förder‐ liche überwunden und schliesslich aus der Menschenbrust ausgetilgt hätten, wenn vielmehr die Kraft der Tugend allzeit ungemindert geblieben wäre, so wäre die ganze Zeit von der Geburt bis zum Tode ein ununterbrochenes Fest, … 31 [Die idealen, philosophisch lebenden Jüdinnen und Juden] erfreuen … sich mit Fug und Recht der Tugenden und verbringen ihr ganzes Leben als ein Fest 32 , [was, wenn sich alle so verhielten, der Welt Glück brächte,] sodass kein Augenblick des Lebens ohne Glücksgefühl bliebe und der ganze Kreislauf des Jahres ein einziges Fest bildete.“ 33 Unser Leben sei ein Fest 341 <?page no="342"?> 34 Philo, Über die Einzelgesetze 2,53: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 123. 35 Philo, Über die Einzelgesetze 2,56: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 124. 36 Philo, Über die Einzelgesetze 2,141: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 145. 37 Philo, Über die Einzelgesetze 2,142: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 146. 38 Philo, Über die Einzelgesetze 2,147f.: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 148. 39 Philo, Über die Einzelgesetze 2,209: H E I N E M A N N (wie Anm. 30), 166. 40 Origenes, Gegen Kelsos 8,8: Paul K O E T S C H A U , Des Origenes acht Bücher gegen Celsus. II. Teil. Buch V-VIII (Des Origenes ausgewählte Schriften 3 = Bibliothek der Kirchenväter 53), München 1927, 739f. (307f.). Da dieses Szenario angesichts der Bosheit und Verdorbenheit der Menschheit nicht funktioniere, hätte Mose anerkannt, dass die Feste lege artis nur von Gott zu feiern seien, 34 und diverse Gesetze für die Menschen eingerichtet. Danach kommt Philo auf den Sabbat zu sprechen. 35 Das Fest des Neumonds etwa basiere auf vier Gründen: Der dritte Grund darunter ist, „dass nämlich die Menschen niemals ihr Eigentum vorenthalten, sondern dem Beispiel der seligen und glücklichen Wesen am Himmel folgen, die Missgunst aus ihrer Seele verbannen und ihr Eigentum öffentlich der Allgemeinheit dienstbar machen und den Würdigen zur Verfügung stellen sollen“; 36 der vierte Grund ist, dass man „mit Vernunft die ersten Triebe zügeln …“ 37 soll. Für das Pascha gilt: „Nach denen aber, die das geschriebene Wort allegorisch auszulegen pflegen, bedeutet das Ueberschreitungsopfer die Reinigung der Seele; denn das Streben des Weisheits‐ jüngers ist nach ihnen ausschliesslich darauf gerichtet, sich loszumachen von dem Körper und dessen Leidenschaften, deren jede den Menschen einem reissendem Strome gleich überflutet, wenn man ihre Strömung nicht zurückdämmt und aufhält durch die Grundsätze der Tugend.“ 38 Auch das Laubhüttenfest dient der „Erziehung zur Tugend“ 39 . 4.2 Origenes Origenes widmet einen Teil des achten Buchs seiner Widerlegung des Werkes von Kelsos dem philosophischen Unbehagen mit kontingenten Festen des Christentums. In einem anderen Kontext stellt er fest, dass Verehrung und Dienst an Gott nicht Gott, sondern den Menschen nützt. 40 Schließlich beruft er sich auf einen Angriff auf das Christentum, der die Bedürfnislosigkeit und Neidlosigkeit Gottes mit der Forderung verknüpft, die Christinnen und Christen sollten doch an den öffentlichen Festen Roms teilnehmen. An dieser Stelle 342 Clemens Leonhard <?page no="343"?> 41 Origenes, Gegen Kelsos 8,21: K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 756 (324). 42 Origenes, Gegen Kelsos 8,22: K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 756 (324). 43 Ergänzung im Original, Anm. 1; K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 757 (325). könnte Origenes eine Schwachstelle jeder platonistischen Theologie offenlegen: Wenn Gott unwandelbar ist, keiner Verehrung bedarf und nicht beeinflusst werden kann, gibt es keinen Grund für eine Verpflichtung zur Feier von Festen oder überhaupt für die Behauptung, es gäbe eine gottgewollte Zeitgestaltung, insbesondere wenn die paganen Feste „Erfindungen von Leuten sind, die sie beliebig wegen gewisser Ereignisse der Ge‐ schichte eingesetzt haben, oder von denen sie auch glauben, daß sie philosophische Lehren über Wasser oder Erde oder die von ihr kommenden Feldfrüchte darstellen.“ 41 Origenes paraphrasiert Gal 4,10f. und verleiht damit der Ablehnung der Feste paulinische Autorität. Als Philosoph könnte Origenes noch die paganen Feste ablehnen und Kelsos als Nicht-Philosophen entlarven. Als Christ kann er das nicht. Origenes unterstützt zunächst seine Ablehnung der paganen Feste durch die Übernahme eines fiktiven Gegenarguments: Schließlich feierten Christinnen und Christen „Herrentage oder Rüsttage … oder das Pascha oder das Pfingstfest an mehreren Tagen“ 42 . Das Christentum ist allerdings nicht hinreichend philoso‐ phisch, um eine heidnische Praxis von Festen auf der Basis ihrer philosophischen Existenz ablehnen zu können. Origenes übernimmt die Kritik und behauptet, „daß der vollkommene Christ, der sich immer in den Worten und Werken und Gedanken des Wortes Gottes bewegt, das seinem Wesen nach ‚Herr‘ ist, immer in seinen ‚Tagen‘ lebt und immer ‚Herrentage‘ feiert. Aber auch [wer 43 ] sich immer für das wahre Leben vorbereitet und sich der Genüsse des irdischen Lebens, durch die die große Menge sich täuschen läßt, enthält und ‚den Sinn des Fleisches‘ (Röm 8,6f.) nicht pflegt, sondern ‚seinen Leib quält und knechtet‘ (1 Kor 9,27), der feiert immer die Rüsttage. Wer ferner erkannt hat, daß ‚als unser Pascha Christus geopfert wurde‘ (1 Kor 5,7), und daß er das Fest dadurch feiern muß, daß er ‚von dem Fleische des Wortes ißt‘ ( Joh 6,52-56), der hört niemals auf, das Paschafest zu begehen (Ex 12,21ff). Und da das Wort ‚Pascha‘ als ‚Opfer für den glücklichen Übergang‘ erklärt wird, so geschieht es, daß er immer mit seinem Denken und mit jedem Wort und mit jeder Handlung von den Dingen des Lebens zu Gott ‚übergeht‘ und zu der Stadt Gottes hineilt. Wer außerdem in Wahrheit sagen kann: ‚Wir sind mit Christus auferstanden‘ (Kol 2,12; 3,1), aber auch diese Worte sprechen kann: ‚(Gott) hat uns mitauferweckt Unser Leben sei ein Fest 343 <?page no="344"?> 44 Origenes, Gegen Kelsos 8,22: K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 756f. (324f.). 45 Origenes, Gegen Kelsos 8,23: K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 757f. (325f.). und mitversetzt in die Himmelswelt in Christus‘ (Eph 2,6), der befindet sich immer in den Tagen des Pfingstfestes. …“ 44 Der vollkommene Christ bzw. die vollkommene Christin ist nach Origenes von der Feier der Festtage unabhängig, weil die persönliche tägliche Tugend, Askese und Erkenntnis Fest sind. Das konkrete Feiern von Festen rechtfertigt er dennoch im folgenden Abschnitt: „Die große Menge derer, die gläubig zu sein scheinen, es aber nicht wirklich sind, bedarf, da sie alle solche Tage nicht feiern will oder kann, der Erinnerung wegen sichtbarer Denkzeichen, um nicht vollkommen an jenen vorüberzugleiten.“ 45 Diese konkreten Feste des Christentums, die allerdings nur die Unterschicht in geistigem Sinn betreffen, müssen mit den heidnischen Festen verglichen werden. Der oben erwähnte Angriff des Kelsos auf das Christentum ist aus der Sicht des Origenes zum Scheitern verurteilt. Als Philosoph darf Kelsos die öffentlichen Feste der Heiden nicht unterstützen. In dieser Angelegenheit dürfte es keinen Unterschied zwischen paganen und christlichen Philosophen geben. Sie müssten bloß darin übereinkommen, das konkrete Feiern von Festen nur als Praxis derer, die es nicht besser verstehen, die keine Philosophinnen und Philosophen sind, zu begreifen. Kelsos disqualifiziert sich selbst, weil er die heidnischen Feste nicht als Phänomen der geistigen Unterschicht abwerten will. Noch viel klarer als Philo drückt Origenes als Philosoph seine Ablehnung gegenüber einer Zeitgestaltung oder gar einer Festpraxis aus, die man als gött‐ lichen Vorschriften entspringend auszugeben pflegt. Für die in der Praxis nach philosophischen Idealen - nämlich nach einem in diesem Sinn tugendhaften Leben - strebenden Theologen muss die Festpraxis der Kirche befremdlich erscheinen. Entscheidend ist ein Gefühl der geistigen Überlegenheit über Mitglieder der eigenen Gruppe oder gegnerischer Gruppen, die historische Feste („beliebig wegen gewisser Ereignisse der Geschichte eingesetzt“) oder Ideenfeste, die mit naturalistischen Fehlschlüssen legitimiert oder gar auf einer solchen Basis eingeführt werden („philosophische[ ] Lehren über Wasser oder Erde oder die von ihr kommenden Feldfrüchte“), pflegen. 4.3 Ernesto Cardenal Im letzten Kapitel „Das ewige Fest“ seines Buchs von der Liebe versammelt Ernesto Cardenal Allaussagen („… Leben und Tod ist ein und dasselbe … 344 Clemens Leonhard <?page no="345"?> 46 Ernesto C A R D E N A L , Das Buch von der Liebe. Mit einem Vorwort von Thomas Merton (Das Poetische Werk 4 = Gütersloher Taschenbücher Siebenstern 444), Gütersloh ²1990 [deutsch 1971; orig. 1970], 147-150. 47 C A R D E N A L , Buch von der Liebe (wie Anm. 46), 150. 48 Ernesto C A R D E N A L , Das Evangelium der Bauern von Solentiname. Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Bd. 2, Gütersloh 1980, Kap. „Die Ähren und der Sabbat (Matthäus 12, 1-8)“, 27. Wenn wir mit Christus kommunizieren, kommuniziert der ganze Kosmos mit Christus“), die in Feststellungen über die Zeit gipfeln (und damit das Buch abschließen): 46 „Die Liturgie ist die tägliche Erinnerung hier auf Erden und hier in der Zeit an dieses Hochzeitsmahl, das in der Ewigkeit seinen Anfang nahm. Für die Kirche sind darum alle Tage des Jahres Festtage, und in der Liturgie wird jeder Tag ‚feria‘, Fest, genannt. Jeder Tag des Kalenderjahres und des Kirchenjahres ist für uns ein Bild dieses ewigen Festes, das kein Ende hat.“ 47 Durch den Begriff „Bild“ deutet Cardenal ein Interesse an platonistischen Weltkonstruktionen an. Er wechselt an dieser Stelle nicht zu Aufforderungen an Leserinnen und Leser, und die anti-liturgischen Konsequenzen der Idee bleiben implizit. In Cardenals „Evangelium der Bauern von Solentiname“ werden ebenfalls Stimmen zitiert, die zu den Allaussagen eine anti-liturgische Note ergänzen: „Olivia: - Und jetzt sagt ihnen Jesus also, der Tempel wäre nicht so wichtig, das wirklich Heilige sei der Mensch. Weder der Tempel noch die geweihten Brote, noch die Priester, noch die Opfer, nichts von allem zählt: Das einzig Wichtige ist der Mensch. Felipe: - Das müßten auch heute die Priester in den Kirchen predigen: ‚Es gibt etwas Größeres als den Tempel.‘ Denn die Revolution ist wichtiger als alle religiösen Riten. Aber für viele Christen ist es nicht so, für sie ist der religiöse Kult wichtiger als das Volk.“ 48 Im weiteren Verlauf heißt es: „Quique: - Ich glaube, in einer gerechten Gesellschaft haben auch die Opfer einen Sinn, weil dann die Liturgie eine wirkliche Liturgie ist und einen wirklichen Sinn hat, nämlich die Gemeinschaft aller Menschen. Laureano: - Vielleicht ist dann keine Liturgie mehr nötig. Wenn die Menschen immer in einer Liebesgemeinschaft leben und alles untereinander teilen, Essen, Kleidung, Bildung und alles übrige, ohne Unterschiede und ohne Konkurrenz … [im Original] Dann ist keine Liturgie mehr nötig, weil das ganze Leben eine einzige Liturgie ist. Unser Leben sei ein Fest 345 <?page no="346"?> 49 C A R D E N A L , Evangelium (wie Anm. 48), 28. Quique deutet das Statement etwas um, behält aber das anti-liturgische Ziel bei. 50 Ernesto C A R D E N A L , Das Evangelium der Bauern von Solentiname. Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Bd. 4, Gütersloh 1980, Kap. „Das heilige Abendmahl (Markus 14, 12-25)“, 59f. Elbis: - Das soll also heißen, daß die Messe und die Kommunion wenig Sinn haben? Oder was? Quique: - Also nein, das glaube ich nicht. Die Kommunion ist für mich ein Akt der Solidarität mit allen Menschen.“ 49 Im vierten Band des „Evangeliums der Bauern von Solentiname“ wird ein öffentliches Gespräch am späten Gründonnerstag wiedergegeben: „William: - Ich glaube, als er ihnen diese Kommunion gab, das Brot, das die Nahrung, und den Wein, der die Freude ist, und dabei sagte, es sei sein Leib und sein Blut, meinte er damit, daß wir uns genau wie er für die Armen hingeben sollen. Das heißt, unser Leben geben. Dies ist mein Leib und mein Blut heißt soviel wie: Dies ist mein Leben. Das ist es, was er von uns wollte, als er sagte, wir sollten es genauso machen wie er. Wir sollten keinen bloßen Ritus wiederholen. Und aus der Eucharistie haben sie einen Ritus gemacht. Ich [Ernesto Cardenal, Anm. C.L.] sage: - Jesus will gerade mit einem Ritus brechen. So wie auch das Osterfest der Israeliten ein Bruch mit einem Ritus war, indem aus einem religiösen Fest ein politischer Akt wurde. Ihr Ostermahl, das von neuem zu einem Ritus geworden war, wird von Christus für eine politische, ökonomische und soziale Befreiung der Menschheit benutzt. … Einer der jungen Männer: - Also, ich glaube, wir sollten die Karwoche für etwas Besseres benutzen. Irgendetwas für das Volk tun. … Ich [Ernesto Cardenal, Anm. C.L.] sage: - Der erste Bund hatte keinen Bestand; das Volk, das für die Freiheit auserwählt war, wurde zu einem Volk von Armen und Reichen.“ 50 Zum anti-jüdischen und revolutionären Pathos der Assoziationen in Auseinan‐ dersetzung mit den biblischen Texten tritt eine anti-liturgische Position. Diese steht in einem ausdrücklichen Zusammenhang mit der Liturgie von Sonntag und Ostern. Nachdem der namentlich nicht genannte „junge Mann“ spricht: „Wir sollten die Karwoche für etwas Besseres benutzen“, löst sich die Versammlung keineswegs auf, um „etwas Besseres“ zu tun. Stattdessen wird über etliche Seiten das Gespräch über das Evangelium fortgeführt. Obwohl die Mitglieder der Gemeinschaft aus Solentiname später dieser Maxime unter Einsatz ihres 346 Clemens Leonhard <?page no="347"?> 51 Harald B U C H I N G E R , Sakramente: Zeichen und Werkzeuge des Heils: Fragen der Ge‐ schichtlichkeit, in: Theologische Quartalschrift 202 (2022), 139-151. 52 Origenes, Gegen Kelsos 8,21: K O E T S C H A U , Origenes (wie Anm. 40), 756 (324). Über Bonaventura: Josef F I N K E N Z E L L E R , Die Zählung und die Zahl der Sakramente. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung, in: Leo S C H E F F Z Y K - Werner D E T T L O F F - Richard H E I N Z M A N N (Hgg.), Wahrheit und Verkündigung (FS Michael Schmaus), Paderborn 1967, Bd.-2, 1005-1033, hier: 1020. 53 Das Scheitern des Modells zeigt sich sehr anschaulich bei Leonardo Boff. Mit immensem Pathos baut er in der „Kleine[n] Sakramentenlehre“ die Vorstellung auf, dass alles Sakrament sein kann. In Kapitel 9.2 (79-82) implodiert sein System. Boff wagt es nicht, das „Sakrament des Zigarettenstummels“ (Kap. 3, 27-33) einfach stehen zu lassen und es seinen Leserinnen und Lesern zu überlassen, wo sie in ihrem Leben Sakramente finden. Am Ende steht der naturalistische Fehlschluss auf die sieben Sakramente der katholischen Kirche. In: Leonardo B O F F , Kleine Sakramentenlehre, Düsseldorf 14 1995. 54 Für eine allgemeine Kritik des Traktats s. Reinhard M E ẞ N E R , Sakramentalien, in: Theologische Realenzyklopädie 29 (1998), 648-663. Lebens sehr wohl folgten, steht im Hintergrund der Publikation von Cardenal eine liturgienahe Sozialform als Bühne für die Ablehnung von Liturgien. 5 Allaussagen gegen theologisches Unbehagen Das Gefühl des Unbehagens gegenüber der eigenen Tradition ist ein mächtiger locus theologicus. Eine probate Strategie zur Abschwächung des Unbehagens sind Allaussagen. Zur Entstehungszeit der Texte des Neuen Geistlichen Lieds sind sie in der Sakramententheologie en vogue. Die sieben Sakramente können durch keine Definition zusammengefasst werden. 51 Genauso gibt es keine Defi‐ nition, die nur die sieben gegenüber anderen rituellen Handlungen im Raum der Kirche eingrenzt. Die Entstehung der Vorstellung von sieben Sakramenten ist in den Worten des Origenes „beliebig wegen gewisser Ereignisse der Geschichte eingesetzt“. Die Sakramententheologien konstruieren naturalistische oder ety‐ mologische Fehlschlüsse, indem sie „philosophische[ ] Lehren über Wasser oder Erde oder die von ihr kommenden Feldfrüchte“ oder Lebensphasen des Menschen und deren angeblich notwendige Übergänge als Gründe für konkrete Sakramente ausgeben. 52 Die Flucht in die Allaussage kaschiert die Sinnlosigkeit der Sakramententheologien nur dürftig. Wenn Christus das Wurzelsakrament oder die Kirche das Grundsakrament ist, scheint die Frage (die niemand beant‐ worten kann), warum die Äbtissinnenweihe kein Sakrament, die Ehe jedoch sehr wohl eines sein soll, in den Hintergrund gedrängt. 53 Die Anti-Rationalität des Traktats „Über die Sakramente im Allgemeinen“ ist offensichtlich. 54 Es ist ohnehin alles Sakrament, und jede Stunde muss durch unsere Tugend zu einem Fest gemacht werden. Unser Leben sei ein Fest 347 <?page no="348"?> 55 H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 212f., 224, 264-284; B R E U S E R , Das Neue Geistliche Lied (wie Anm. 7), 48-50. 56 H A H N E N , Das „Neue Geistliche Lied“ (wie Anm. 2), 245-257. 57 Vgl. ebd., 213 zur Ähnlichkeit mit politisch motivierten Volksliedern sowie 225f., 266, 328f. 58 Ebd., 223-226, 229 („Liturgie“ in einem weiten Sinn), vgl. aber Seite 238 zum kontrovers diskutierten Lied Danke (das 1960 Gewinner des Wettbewerbs der Evangelischen Akademie Tutzing war) und 236f. die Bemerkung von Martin Gotthard Schneider, dass er „gar kein gottesdienstliches Lied beabsichtigt“ hätte; 239, 244, 255f. 6 Zusammenfassung Das Neue Geistliche Lied lebt von seinen Melodien und seinen Texten. Man kann und soll diese Texte auch dann ernst nehmen, wenn sie es den Sängerinnen und Sängern nicht allzu schwer machen. 55 Die Auftakt-Performances der Neuen Geistlichen Lieder wurden sorgfältig geplant und die Texte dementsprechend gestaltet. 56 Neben politischen Anliegen 57 kann Liturgiekritik ein wichtiger Baustein dieser Texte sein. Es ist Teil ihrer Gattungsdefinition und bestimmt ihre Gestaltung, dass Neue Geistliche Lieder für die Liturgie geschaffen sind. 58 Peter Janssens hat in Unser Leben sei ein Fest unter Mitwirkung von Alois Albrecht und dem sog. Metternich-Team einen liturgischen Standard-Song geschaffen, der sich sogar in Ausgaben des Gotteslob findet. Die Liturgiekritik wird von Anfang an mitgedacht und in der Rezeption in dieser Weise durchgehalten. Sie ist nicht zufällig, sondern gezielt liturgisch. Den Text des hier herangezogenen Beispiels Unser Leben sei ein Fest be‐ stimmen markante zeitgenössische Elemente der Liturgieinterpretation und Liturgiekritik (Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils oder von Ernesto Cardenal). Das Unbehagen, dass man kontingente Liturgien oder überhaupt Liturgien feiert, wird mit Allaussagen kaschiert („Unser Leben sei ein Fest“) und damit legitimiert, dass man zu verantwortlichem Handeln aufruft („Jesu Werk in unseren Händen“). Dieselbe Motivationslage und dieselbe Lösungsstrategie finden sich in Werken antiker Autoren wie Philo von Alexandria und Origenes. Unser Leben sei ein Fest steht in der langen Geschichte des Versuchs, das Unbehagen über die ei‐ gene Tradition zum Ausdruck zu bringen. Im Gegensatz zu den gelehrten Texten der antiken und modernen Theologinnen und Theologen thematisiert das Neue Geistliche Lied dieses Unbehagen mit der traditionellen Liturgie niederschwellig für breite Gruppen christlicher Kirchen als offenen Denkanstoß. Es vermeidet die komplizierten Zugänge der Philosophinnen und Philosophen und die hohen Ansprüche der Revolutionärinnen und Revolutionäre. Es versucht nicht, durch eine innerkirchliche Hierarchie von Wissenden und Unwissenden, die nur (als 348 Clemens Leonhard <?page no="349"?> Umformulierung eines Gedankens von Origenes) leichte Kost vertragen, die Unzufriedenheit mit der eigenen Tradition zu dämpfen. Sängerinnen und Sänger aller Schichten können sich der Auseinandersetzung mit den Texten stellen oder sich dieser Auseinandersetzung entziehen. Unser Leben sei ein Fest 349 <?page no="351"?> 1 Vgl. Alexander Z E R F Aẞ , Wahrer Leib, sei uns gegrüßet, in: Ansgar F R A N Z u.a. (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur, Stuttgart 2017, 1134-1137, hier: 1134. 2 Über die Auswirkungen auf das Bild in der katholischen Breitenreligiosität vgl. Ansgar F R A N Z , Zwischen Wandschmuck und Katechese. Kommunionerinnerungsbilder als Medien der Eucharistiefrömmigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv für Liturgie‐ wissenschaft-62 (2020), 219-247. 3 Vgl. Henri de L U B A C , Corpus Mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter. Eine historische Studie, Einsiedeln 1969, 237. Das Erbe Berengars im Kirchenlied Martin Lüstraeten 1 Einleitung In der Auseinandersetzung mit Kirchenliedern fällt immer wieder auf, dass manche Texte im kollektiven Gedächtnis fortbestehen und sich nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreuen, auch wenn die Entwicklung in der Theologie und in der Frömmigkeit längst sehr viel weiter vorangeschritten ist. 1 Im Folgenden soll ein Kirchenlied vorgestellt werden, das nicht nur in Mentalität und Frömmigkeit, sondern auch direkt im Wortlaut auf den Abendmahlsstreit des 11. Jahrhunderts und den Eid Berengars zurückgeht. Seine Beliebtheit hängt zusammen mit der eucharistischen Frömmigkeit des Mittelalters, die im Katholizismus bis heute prägend ist. 2 2 Der sogenannte Abendmahlsstreit und der Eid Berengars 2.1 Die Vorgeschichte In der Alten Kirche wurde die Eucharistiefeier vor allem als Anamnese des Heilshandelns Christi verstanden. Der im Zentrum des Feier stehende Ausdruck „Leib Christi“ war dabei keineswegs eindeutig - nach de Lubac sei damit zunächst die versammelte Gemeinde bezeichnet worden, die sich durch das gemeinsame Mahl konstituiert, und von dort habe der Begriff eine Transposition von der Wirkung der Eucharistie hin zur eucharistischen Materie erfahren. 3 <?page no="352"?> 4 Als Ursachen der Entwicklung sind sicherlich die zunehmende Stilisierung des Mahls als auch die Loslösung der Kommunion von der eucharistischen Versammlung zu nennen, die beide bereits bei Justin bezeugt sind, vgl. Nathan D. M I T C H E L L , Worship of the Eucharist Outside Mass, in: Anscar J. C H U P U N G C O (Hg.), Handbook for Liturgical Studies. Volume III: The Eucharist, Collegeville 1999, 263-275, hier: 266f. 5 Cyprian erzählt eine kurze Anekdote, mit der er illustrieren will, dass die Kommunion für Sünder unantastbar ist, in Cypr. laps. 26: „Und als sie [eine nicht-christliche Frau; M.L.] ihr Kästchen, in dem der heilige Herr war, mit ihren unwürdigen Händen zu öffnen versuchte, schlug von dort Feuer hervor, und sie wurde so erschrocken, dass sie es nicht mehr zu berühren wagte.“ Im Original: „Et cum quaedam arcam suam, in qua Domini sanctum fuit, manibus indignis temptasset aperire, igne inde surgente deterrita est ne auderet adtingere.“ (C Y P R I A N U S , <C A R T H A G I N I E N S I S >, De Lapsis, in: Robert W E B E R (Hg.), Sancti Cypriani Episcopi Opera. Ad Qvirinvm · Ad Fortvnatum · De Lapsis · De Ecclesiae Catholicae Vnitate [Corpus Christianorum. Series Latina III], Turnhout 1972, 217-242, hier: 235). Eigene Übersetzung. 6 Vgl. Cyr.-H.-myst.-5,21: „Dich nähernd komme aber nicht mit ausgestreckten Handflä‐ chen noch mit gespreizten Fingern, sondern indem du die Linke zum Thron der Rechten machst, die vorgesehen ist, den König zu empfangen, und die Hand hohl machend emp‐ fange den Leib Christi, dazu ‚Amen‘ sagend.“ Im Original: „Προσιὼν οὖν μὴ τεταμένοις τοῖς τῶν χειρῶν καρποῖς προσέρχου, μηδὲ διῃρημένοις τοῖς δακτύλοις· ἀλλὰ τὴν ἀριστερὰν θρόνον ποιήσας τῇ δεξιᾷ, ὡς μελλούσῃ Βασιλέα ὑποδέχεσθαι, καὶ κοιλάνας τὴν παλάμην δέχου τὸ σῶμα τοῦ Χριστοῦ, ἐπιλέγων «Ἀμήν».“ (C Y R I L L U S , <H I E R O S O L ‐ Y M I T A N U S > - Auguste P I É D A G N E L - Pierre P A R I S [Hgg.], Catéchèses Mystagogiques. Introduction, Texte Critique et Notes [Sources Chrétiennes 126bis], Paris 2 1988, 170). Eigene Übersetzung. Kyrill von Jerusalem beschreibt damit eine Geste, die mit der Wiedereinführung der Handkommunion in der Liturgiereform wieder in Gebrauch kam. Godefridus Snoek vermutet, dass die starke Betonung der Realpräsenz Christi und die Ehrerbietung ihr gegenüber auch den Auseinandersetzungen mit dem Arianismus geschuldet sind, dessen Kern es war, Jesus Christus die Göttlichkeit abzusprechen, vgl. Godefridus J.C. S N O E K , Medieval Piety from Relics to the Eucharist. A Process of Mutual Interaction (Studies in the History of Christian Thought-63), Leiden 1995, 51f. 7 Vgl. Paul F. B R A D S H A W - Maxwell E. J O H N S O N , The Eucharistic Liturgies. Their Evolution and Interpretation (A Pueblo Book), Collegeville 2012, 210. 8 Ebd., 215. Obgleich der Begriff somit offensichtlich platonisch geprägt war, wurde er bereits in der Alten Kirche zunehmend konkreter und damit auch zunehmend magischer verstanden, 4 und so sind bereits seit dem 3. Jahrhundert Berichte über Eucharistiewunder überliefert. 5 In der Praxis wurde die eucharistische Materie mit besonderer Ehrerbietung behandelt und die Realpräsenz Christi in den eucharistischen Gaben betont. 6 Dies wiederum führte dazu, dass die Angst vor einem unwürdigen Empfang dieser Gaben wuchs und sich die Laien bereits ab dem 4. Jahrhundert immer häufiger der Kommunion enthielten 7 und sich darauf beschränkten, im Gottesdienst das Handeln der Kleriker zu beobachten bzw. „die Messe zu hören“ 8 . Wer lesen konnte, konnte sich außerdem der Lektüre von 352 Martin Lüstraeten <?page no="353"?> 9 Die Probleme, die sich aus dem Festhalten am Lateinischen ergaben, werden beispielhaft deutlich an can. 17 der Synode von Tours (813), der regelt, dass die Bischöfe ihre Predigten in der Volkssprache halten sollen, da diese für alle verständlicher sei: „Wir sehen einmütig, dass jedweder Bischof Homilien zu geben hat, die die nötigen Ermahnungen enthalten, über die die Untertanen zu belehren sind, d.h. über den katholischen Glauben, so wie sie ihn begreifen können, über die künftige ewige Vergeltung für einen jeden, über das Letzte Gericht und über die Werke, mit denen ein gutes Leben erworben oder ausgeschlossen werden kann. Und dass für eben diese Homilien jeder [Bischof] danach strebe, sie verständlich in die romanische oder germanische Volkssprache zu übertragen, die alle, zu denen sie gesprochen wird, besser verstehen können.“ Im Original: „Visum est unanimitati nostrae, ut quilibet Episcopus habeat homilias, continentes necessarias admonitiones, quibus subiecti erudiantur: id est de fide catholica, prout capere possint, de perpetua retributione quoque futura, & ultimo iudicio; & quibus operibus possit promereri beata vita, quibusue excludi. Et ut easdem homilias quisque aperte transferre studeat in rusticam Romanam linguam, aut Theotiscam, quo facilius cuncti possint intelligere quae dicuntur.“ ( Jacques S I R M O N D , Concilia Antiqua Galliae cum Epistolis Pontificum, Principum Constitutionibus et Aliis Gallicanae Rei Ecclesiasticae Monumentis. Tomus 2: 751-840, Paris 1629, 298). Eigene Übersetzung. 10 Vgl. Arnold A N G E N E N D T , Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte-68), München 2 2004, 46f. 11 Vgl. Gary M A C Y , The Banquet’s Wisdom. A Short History of the Theologies of the Lord’s Supper, Ashland 2 2005, 15. Kommentierungen der Liturgie, sogenannten expositiones missae, zuwenden. Damit hatte die Eucharistiefeier ihren Gemeinschaftscharakter verloren. Klerus und Gemeinde trennten sich zunehmend voneinander. Das wurde bereits sprachlich erfahrbar, da der Klerus für die Liturgiesprache am Lateini‐ schen festhielt 9 und zusätzlich seit dem 8. Jahrhundert das Hochgebet nicht mehr laut vortrug, sondern nur noch leise flüsterte. Der Kleriker galt nun als alleiniger Liturge, der nicht mehr länger zusammen mit den Gläubigen sich dem Opfer Christi anschloss, sondern als Opfernder das Opfer darbrachte. Aus dieser Überlegung entstand die Privatmesse, die unter Ausschluss der Gläubigen gefeiert wurde. 10 Theologisch reflektiert wurde dieser Prozess kaum. Die Bischöfe erklärten zwar die Liturgie dem Volk, so wie die Apologeten sie einem skeptischen heidnischen Umfeld erklärten, und immer wieder konnte die Liturgie eine Referenz in theologischen Diskussionen sein, aber eine Verständi‐ gung darüber, wie und warum die eucharistischen Gaben Leib und Blut Christi sein konnten, wie es beispielsweise bei der Christologie der Fall war, fand nicht statt. 11 Das Erbe Berengars im Kirchenlied 353 <?page no="354"?> 12 Pascasius R A D B E R T U S - Beda P A U L U S (Hg.), De Corpore et Sangvine Domini (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis-16), Turnhout 1969. 13 Vgl. Celia C H A Z E L L E , The Eucharist in Early Medieval Europe, in: Ian Christopher L E V Y u.a. (Hgg.), A Companion to the Eucharist in the Middle Ages (Brill’s Companions to the Christian Tradition 26), Leiden 2012, 205-249, hier: 210. 14 Vgl. Gary M A C Y , The Theologies of the Eucharist in the Early Scholastic Period. A Study of the Salvific Function of the Sacrament according to the Theologians c. 1080-c. 1220, Oxford 1984, 21. 15 Vgl. ebd., 27. 16 Paschasius R A D B E R T U S , De Corpore et Sanguine Domini 14, in: R A D B E R T U S , De Corpore et Sanguine Domini (wie Anm.-12), 89. 2.2 Die Festlegungen bei Paschasius Radbertus Den Anstoß für die theologische Auseinandersetzung gab im 9. Jahrhundert Paschasius Radbertus (ca. 790-865), Mönch am Kloster Corbie und dessen Abt in der Zeit von 843 bis 847. Er hatte bereits zwischen 831 und 833 eine Abhandlung über die Eucharistie mit dem Titel „De Corpore et Sanguine Domini“ für die sächsischen Mönche am Kloster Corvey verfasst. 12 Entstanden war diese Arbeit, laut Prolog, auf Drängen eines früheren Schülers des Paschasius, der mit dieser Abhandlung die sächsischen Novizen unterweisen wollte, die weder über die nötigen Lateinkenntnisse noch über den Zugang zu Büchern verfügten, um sich einzuarbeiten. 13 Es war das erste Werk überhaupt, das sich mit der Eucharistie nicht ritualis‐ tisch, sondern doktrinär auseinandersetzte, und eine Besonderheit darin war sicherlich die starke Identifikation des sakramentalen Leibes Christi mit dem gekreuzigten und auferstandenen Leib Christi 14 vor dem Hintergrund eines verlorengegangenen Symbolverständnisses. Paschasius Radbertus hielt also an dem Begriff vom „Leib Christi“ fest, indem er erklärte, dass eine reale Ver‐ wandlung der eucharistischen Gaben stattfände. Die konsekrierten und somit gewandelten Gaben sind also heilige Speise und heiliger Trank und die Quelle ewiger Erlösung, weil sie den wahren Leib Christi enthalten. Paschasius war also ein durchaus innovativer Denker, dem das Verdienst zukommt, erstmals (für den Westen) eine vollständige Theologie der Eucharistie entwickelt zu haben, 15 problematisch jedoch waren die anekdotischen Referenzen, mit denen er seine Thesen abstützte, beispielsweise die Geschichte eines alten Asketen, der bei der Kommunion ein „einzig vor Blut triefendes Fleisch (ipsi soli caro sanguine cruentata)“ in seiner Hand gesehen haben soll. 16 Diese Abhandlung war wenig verbreitet, bis er Karl dem Kahlen (reg. 843- 877) anlässlich seiner Krönung eine Abschrift schenkte. Der neue König musste von den Inhalten irritiert gewesen sein, denn schon bald danach schrieb er einen Brief an Ratramnus (ca. 800-868), einen Mitbruder des Paschasius, mit 354 Martin Lüstraeten <?page no="355"?> 17 Ratramnus zitiert die beiden Fragen zu Beginn seiner Antwort, vgl. Ratramnus, De Corpore et Sanguine Domini, 5: „Ob das, was in der Kirche mit dem Mund der Gläubigen gegessen wird, Leib und Blut Christi im Mysterium oder in Wahrheit sei, fragt eure Erhabenheit. […] Und ob es derselbe Leib sei, der von Maria geboren wurde, gelitten hat, gestorben ist und begraben wurde, und der auferstehend und zum Himmel auffahrend zur Rechten des Vaters sitzt.“ Im Original: „Quod in ecclesia ore fidelium sumitur corpus et sanguis christi, quaerit vestrae magnitudinis excellentia in misterio fiat, an in veritate. […] Et utrum ipsum corpus sit quod de maria natum est, et passum, mortuum et sepultum, quodque resurgens et caelos ascendens ad dexteram patris consideat.“ (R A T R A M N U S , <C O R B E I E N S I S >, De Corpore et Sanguine Domini. Texte Original et Notice Bibliographique (Verhandelingen der Koninlijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen. Afdeling Letterkunde. Nieuw Reeks 87), Amsterdam 1974, 44). Eigene Übersetzung. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Fragen bei der Lektüre von Paschasius’ Abhandlung aufkamen. Der Zusammenhang ist jedoch nicht bewiesen. Die daraus entstehende Situation dürfte dann für alle Beteiligten unangenehm gewesen sein - immerhin musste Ratramnus dann Stellung beziehen zu der Lehre seines eigenen Abtes, vgl. M A C Y , Banquet’s Wisdom (wie Anm.-11), 87f. 18 Vgl. Reinhard M E ẞ N E R , Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft (Innsbrucker Theo‐ logische Studien-25), Innsbruck 1989, 98. 19 Ratramnus, De Corpore et Sanguine Domini, 19, vgl. R A T R A M N U S , <C O R B E I E N S I S >, De Corpore et Sanguine Domini (wie Anm.-17), 55. 20 Vgl. M A C Y , Theologies (wie Anm.-14), 28f. zwei Fragen: Ist das, was in der Kirche mit dem Mund der Gläubigen gegessen wird, Leib und Blut Christi im Mysterium oder in Wahrheit? Und ist es derselbe Leib, der von Maria geboren wurde, gelitten hat, gestorben ist und begraben wurde, und der auferstehend und zum Himmel auffahrend zur Rechten des Vaters sitzt? 17 Die Fragen selbst sind schon sehr unglücklich gestellt, weil sie eine Opposition von Wahrheit und Mysterium implizieren, die dem platonischen Denken der Antike völlig zuwiderläuft. 18 Auch Ratramnus muss von diesen sehr plastischen Darstellungen irritiert gewesen sein und erklärte deshalb, dass der eucharistische Leib und der Verzehr desselben zwar real seien, jedoch spirituell: Leib und Blut Christi in der Kommunion seien Zeichen, die als sichtbare Geschöpfe von Brot und Wein den Menschen nähren, dabei aber auch den Verstand der Gläubigen nähren und heiligen. 19 Der Empfang von Leib und Blut Christi geschehe somit „in mysterio“ und nicht „in veritate“. Entsprechend sei der von der Jungfrau geborene Christus auch nicht in den eucharistischen Gaben gegenwärtig, sondern beide Präsenzweisen unterschieden sich voneinander. Ratramnus musste nur auf die beiden Fragen antworten und stand somit nicht vor der Aufgabe, einen vollständigen theologischen Traktat zu verfassen, wie es Paschasius Radbertus getan hatte. 20 Er konnte darum darauf insistieren, dass der von der Jungfrau geborene Leib Christi und der in der Kommunion empfangene Leib Christi zwei verschiedene Daseinsweisen sind, ohne erklären zu müssen, Das Erbe Berengars im Kirchenlied 355 <?page no="356"?> 21 Vgl. C H A Z E L L E , Eucharist (wie Anm. 13), 206f. 22 Vgl. M A C Y , Theologies (wie Anm.-14), 29f. 23 Vgl. Miri R U B I N , Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 2 1997, 16. 24 Vgl. B R A D S H A W - J O H N S O N , The Eucharistic Liturgies (wie Anm.-7), 223. 25 Vgl. ebd., 224. wie die beiden zusammenhängen. Zugleich deutet er in seiner Schrift aber auch an, dass er mit seiner Richtigstellung einem Schisma entgegenwirken möchte. 21 Es scheint, dass Ratramnus’ Antwort kaum rezipiert wurde, bekannt sind lediglich drei Leser, und der Wert seines Zeugnisses liegt vor allem darin, dass es eine Debatte seiner Zeit dokumentiert. 22 Insgesamt wurde die Debatte auch nicht sehr hitzig geführt und bedurfte entsprechend auch nicht einer um‐ gehenden Klärung. 23 Die Bezeichnung dieser Diskussion als „Abendmahlsstreit“ oder „Kontroverse“ ist also insofern irreführend, als dass kein Streit geführt, kein Theologe verurteilt und keine Klärung geschaffen wurde. Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Ansätze auch gar nicht so stark, denn beide gehen von einer Realpräsenz und von einem Wirken des Heiligen Geistes aus; der Streitpunkt betrifft lediglich die Frage nach der realphysischen Verwandlung. 24 2.3 Der Widerspruch durch Berengar Mitte des 11. Jahrhunderts erst führten die ungelösten Spannungen zum Eklat, als Berengar (ca.-999-1088), Kanoniker an der Kathedrale von Tours, das Werk von Paschasius Radbertus las und in einer Antwort darauf eine sehr viel schärfere Trennung zwischen physischer und spiritueller Gegenwart vornahm, als es Ratramnus getan hatte. Er lehnte die Vorstellung ab, dass tatsächlich Teile des Leibes Christi in der Kommunion gegessen werden und zog diese Ansicht ins Lächerliche, beispielsweise indem er hinterfragte, ob der Leib des Herrn nicht geschändet würde, wenn er solchermaßen immer wieder neu hergestellt, dann verdaut und ausgeschieden würde, insbesondere, wenn Tiere ihn essen würden. Er betonte, dass Wein und Brot unverändert bleiben, jedoch zu sakramentalen Zeichen der Gegenwart Christi würden, die entsprechend mit dem glaubenden Verstand wahrzunehmen sei. Es war erwartbar, dass er dafür heftigen Widerspruch erfahren würde, da er somit die Realität der Gegenwart Christi zu leugnen schien. 25 Mit seinen Kritikern führte Berengar einen Lehrstreit. Seine Gegner waren unter anderem Durandus von Troarn (ca. 1018-1088) und Lanfrank von Bec (ca. 1010-1089), die jeweils Traktate gegen Berengar und seine Schüler ver‐ fassten. Lanfrank erwiderte mit der Unterscheidung zwischen der äußeren 356 Martin Lüstraeten <?page no="357"?> 26 Vgl. M A C Y , Theologies (wie Anm.-14), 36. 27 Vgl. ebd.; R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 19. Erscheinung von Brot und Wein nach der Konsekration einerseits und der Es‐ senz, die sie verbargen, andererseits, also mit der Trennung von sichtbarer und unsichtbarer Wirklichkeit. Berengar wiederum verfasste eine Erwiderung zu Lanfrank, in der er ebenso die Position von Humbert, Kardinalbischof von Silva Candida, angriff. Die Diskussion wurde immer hitziger und involvierte immer mehr Personen, so dass eine Klärung der Angelegenheit immer drängender wurde. 2.4 Der Eid von 1059 Papst Leo-IX. (sed. 1059-1054) exkommunizierte Berengar und zwang ihn, auf der Synode von Vercelli (1050) zu erscheinen. Auf seinem Weg zur Synode musste er zuerst nach Paris, um von König Heinrich I. (reg. 1031-1060), dem Titularabt von Tours, eine Erlaubnis zu erbitten, wurde von diesem aber festgenommen und eingesperrt, so dass er auf der Synode in Abwesenheit verurteilt wurde. 1054 kam eine Synode in Tours zusammen, auf der Berengar eine Kompromissformel unterzeichnete, die er selbst vorgeschlagen hatte und die vom päpstlichen Legaten akzeptiert wurde, in der Hoffnung, damit die Angelegenheit beruhigen zu können. 26 1059 wurde er zu einer Synode in Rom geholt und gezwungen, seiner Lehre mit einem Eid abzuschwören, der wahrscheinlich von dem von ihm angegangenen Humbert da Silva Candida formuliert worden war. 27 Dieser Eid betonte sehr stark die Realpräsenz Christi: „Ich, Berengar, belege, indem ich den wahren und apostolischen Glauben erkenne, jede Häresie mit dem Anathema, insbesondere die, derer ich bislang beschuldigt wurde, die sich anschickt zu behaupten, dass das Brot und der Wein, die auf den Altar gelegt werden, nach der Konsekration nur ein Sakrament und nicht der wahre Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus seien, und dass sie nicht sinnenhaft, sondern nur im Sakrament, mit den Händen des Priesters berührt oder gebrochen oder mit den Zähnen der Gläubigen zerrieben werden können. Ich stimme jedoch der heiligen römischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl zu und bekenne mit Mund und Herz, dass ich bezüglich des Sakraments des Herrenmahls am Glauben festhalte, den der Herr und ehrwürdige Papst Nikolaus und diese heilige Synode mit der evangelischen und apostolischen Autorität festzuhalten überliefert und mir bestätigt hat, dass nämlich Brot und Wein, die auf den Altar gelegt werden, nach der Konsekration nicht nur ein Sakrament, sondern auch der wahre Leib und das Das Erbe Berengars im Kirchenlied 357 <?page no="358"?> 28 DH 690. Im Original: „Ego Berengarius… cognoscens veram et apostolicam fidem, anathematizo omnem haeresim, praecipue eam, de qua hactenus infamatus sum: quae adstruere conatur, panem et vinum, quae in altari ponuntur, post consecrationem solummodo sacramentum, et non verum corpus et sanguinem Domini nostri Iesu Christi esse, nec posse sensualiter, nisi in solo sacramento, manibus sacerdotum tractari vel frangi vel fidelium dentibus atteri. Consentio autem sanctae Romanae Ecclesiae et Apostolicae Sedi, et ore et corde profiteor de sacramento dominicae mensae eam fidem me tenere, quam dominus et venerabilis papa Nicolaus et haec sancta Synodus auctoritate evangelica et apostolica tenendam tradidit mihique firmavit: scilicet panem et vinum, quae in altari ponuntur, post consecrationem non solum sacramentum, sed etiam verum corpus et sanguinem Domini nostri Iesu Christi esse, et sensualiter, non solum sacramento, sed in veritate, manibus sacerdotum tractari et frangi et fidelium dentibus atteri, iurans per sanctam et homousion Trinitatem et per haec sacrosancta Christi evangelia. Eos vero, qui contra hanc fidem venerint, cum dogmatibus et sectatoribus suis, aeterno anathemate dignos esse pronuntio.“ (Heinrich D E N Z I N G E R - Peter H Ü N E R M A N N [Hgg.], Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg i.Br. 42 2009, 690). Eigene Übersetzung. 29 Vgl. M A C Y , Theologies (wie Anm.-14), 36. 30 Im Original: „a disaster“ (Gary M A C Y , The Theological Fate of Berengar’s Oath of 1059. Interpreting a Blunder Become Tradition, Treasures from the Storeroom. Medieval Religion and the Eucharist [A Pueblo Book], Collegeville 1999, 20-35, hier: 22). 31 Vgl. M A C Y , Theologies (wie Anm. 14), 38; M A C Y , Theological Fate (wie Anm. 30), 22; M A C Y , Banquet’s Wisdom (wie Anm.-11), 94. Blut unseres Herrn Jesus Christus sind und sinnenhaft, nicht nur im Sakrament, sondern in Wahrheit, mit den Händen der Priester berührt und gebrochen und mit den Zähnen der Gläubigen zerrieben werden können, beschwörend durch die heilige und wesensgleiche Trinität und durch dieses hochheilige Evangelium Christi. Diejenigen aber, die gegen diesen Glauben anrücken, so verkünde ich, sind mit ihren Dogmen und ihren Anhängern des ewigen Anathemas würdig.“ 28 Formell war der Streit damit beigelegt, doch hatte der Eid noch viel mehr Auswirkungen: Er wurde in den Kirchenrechtssammlungen seiner Zeit rezipiert und durch sie tradiert und erfuhr somit eine erstaunlich weite Verbreitung als orthodoxes Bekenntnis über die Realpräsenz Christi im Sakrament - obgleich er bereits bei seiner Unterzeichnung von Theologen zurückgewiesen wurde. 29 Theologisch war der Eid „ein Desaster“, 30 zumal diese hyperrealistischen Aus‐ sagen wahrscheinlich nicht nur in Abgrenzung gegen Berengar, sondern auch gegen die Orthodoxie festgehalten wurden, mit der sich Humbert im Azymen‐ streit nur wenige Jahre zuvor überworfen hatte. 31 358 Martin Lüstraeten <?page no="359"?> 32 Vgl. B R A D S H A W - J O H N S O N , The Eucharistic Liturgies (wie Anm.-7), 224. 33 DH 700. Im Original: „Ego Berengarius corde credo et ore confiteor, panem et vinum, quae ponuntur in altari, per mysterium sacrae orationis et verba nostri Redemptoris substantialiter converti in veram et propriam ac vivificatricem carnem et sanguinem Iesu Christi Domini nostri et post consecrationem esse verum Christi corpus, quod natum est de Virgine et quod pro salute mundi oblatum in cruce pependit, et quod sedet ad dexteram Patris, et verum sanguinem Christi, qui de latere eius effusus est, non tantum per signum et virtutem sacramenti, sed in proprietate naturae et veritate substantiae. Sicut in hoc Brevi continetur et ego legi et vos intelligitis, sic credo, nec contra hanc fidem ulterius docebo. Sic me Deus adiuvet et haec sancta Dei Evangelia.“ (D E N Z I N G E R - H Ü N E R M A N N , Kompendium der Glaubensbekenntnisse [wie Anm. 28], 700). Eigene Übersetzung. 2.5 Der Eid von 1079 Der Streit war tatsächlich noch nicht beigelegt, weil Lanfrank eine Schrift gegen Berengar verfasste, auf die dieser wiederum reagierte. 1079 wurde er erneut zu einer Synode in Rom gerufen und dazu genötigt, zu widerrufen und einen zweiten Eid zu unterzeichnen. Dieser zweite Eid wirkt auf den ersten Blick sehr ähnlich, 32 weist jedoch einige wichtige Charakteristika auf: „Ich, Berengar, glaube mit dem Herzen und bekenne mit dem Mund, dass Brot und Wein, die auf den Altar gelegt werden, durch das Mysterium des heiligen Gebets und die Worte unseres Erlösers wesenhaft verwandelt werden in das wahre, eigene und lebendigmachende Fleisch und Blut unseres Herrn Jesu Christi und nach der Konsekration der wahre Leib Christi, der geboren wurde von der Jungfrau und der für das Heil der Welt geopfert am Kreuz hing und der sitzt zur Rechten des Vaters, und das wahre Blut Christi, das aus seiner Seite geflossen ist, werden, nicht nur durch das Zeichen und die Kraft des Sakraments, sondern in der Eigentlichkeit der Natur und der Wahrheit der Substanz. Wie es in dem Breve enthalten ist und ich es gelesen habe und ihr es versteht, so glaube ich, und ich werde nicht länger gegen diesen Glauben lehren. So wahr mir Gott helfe und diese heiligen Evangelien Gottes.“ 33 Der Eid ist deutlich kompetenter formuliert. Hyperrealistische Auffassungen wie die von dem Leib Christi, der von den Zähnen der Gläubigen zerrieben wird, fehlen hier. Des Weiteren wurde der Begriff der „Substanz“ und mit ihm das ganze Konzept aristotelischer Ontologie aufgegriffen - und eine Veränderung der Substanz war eben etwas, was mit den Sinnen nicht erfassbar war. Damit war ein zentraler Begriff für die sich entfaltende Eucharistietheologie vorgegeben. Das Erbe Berengars im Kirchenlied 359 <?page no="360"?> 34 Vgl. A N G E N E N D T , Grundformen der Frömmigkeit (wie Anm.-10), 46. 35 Vgl. M A C Y , Banquet’s Wisdom (wie Anm.-11), 102f. 36 Vgl. ebd., 103. 37 Vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 52f. 38 Vgl. M A C Y , Theological Fate (wie Anm. 30), 25. 3 Die Rezeption des Eids Berengars 3.1 Das Winden der Scholastik Als Wirkung der Eucharistie wurde auch schon in der Alten Kirche eine irgendwie geartete Transformation der Gaben angenommen, und was nun im Mittelalter geschah, war, dass zunächst Paschasius Radbertus unter neuen politischen und intellektuellen Vorzeichen einen Entwurf vorlegte, mit dem er diese Transformation eben ausformulierte, und dass die posthume Kommen‐ tierung dieses Entwurfs so heftig diskutiert wurde, dass Präzisierungen und Festlegungen erfolgen mussten. Das Ziel scheint gewesen zu sein, die Vorstel‐ lung von einer Wandlung der Gaben zu erhalten, die ihrerseits Voraussetzung dafür ist, dass die Messe überhaupt als Opfer verstanden werden kann 34 - wobei das Festhalten an einer materialen Verwandlung möglicherweise auch den Angriffen der Katharer und Albigenser geschuldet war, die die Vorstellung einer materialen Vermittlung einer geistlichen Realität gänzlich abwiesen. 35 Der (zweite) Abendmahlsstreit ereignete sich in einer Zeit des aufkom‐ menden Universitätswesens, und so verwundert nicht, dass nun eine Fülle an Traktaten zur Eucharistie entstand. 36 Praktisch jeder Pariser Gelehrte verfasste eine Abhandlung, 37 wobei durch die Eide von 1059 und 1079 schon eine Richtung vorgegeben war. Dennoch entfernten sich die großen Denker in der theologischen Reflexion immer weiter von der ursprünglichen Intention der Eide, wobei der Eid von 1059 sogar gänzlich zurückgewiesen wurde. 38 Der einflussreichste Theologe dieser Zeit war Petrus Lombardus (ca. 1100- 1160), der in der Mitte des 12. Jahrhunderts in Paris lehrte und mit dem vierbändigen Werk „Sententiae“ das am weitesten rezipierte theologische Buch des Mittelalters verfasste. Es handelt sich hierbei um eine Kompilation von Zitaten verschiedener Theologen, die nach Themen sortiert wurde, so dass man nicht mehr länger eine Vielzahl an theologischen Abhandlungen benötigte, sondern hiermit in einem Buch alles vereint vor sich hatte. Damit wurde das Buch im 13. Jahrhundert zum Standard-Lehrbuch der Theologie, und praktisch jeder Theologe musste im Laufe seiner Biografie einen Sentenzen-Kommentar verfassen. Und in dieser Kompilation zitiert Petrus Lombardus auch den Eid Berengars von 1059 und legt ihn aus: 360 Martin Lüstraeten <?page no="361"?> 39 P E T R U S L O M B A R D U S , Sententiae, l. 4, dist. 12, cap. 3. Im Original: „Ex his satis datur intelligi quod fractio et partes quae ibi videntur fieri, in sacramento fiunt, id est, in specie visibili. Ideoque illa Berengarii verba ita distinguenda sunt, ut «sensualiter non modo sacramento, sed in veritate» dicatur corpus Christi «tractari manibus sacerdotum»; «frangi vero et atteri dentibus», vere quidem, sed in sacramento tantum.“ (Petrus Lombardus, Sententiae in IV-Libris Distinctae [Spicilegium Bonaventurianum-5], Rom 3 1981, 306f.) 40 Vgl. M A C Y , Theological Fate (wie Anm. 30), 26. 41 S. Th. III, q. 77 a. 7 ad. 3. Im Original: „illud, quod manducatur in propria specie, ipsum et frangitur et masticatur in sua specie; corpus autem Christi non manducatur in sua specie, sed in specie sacramentali.“ (T H O M A S V O N A Q U I N - K A T H O L I S C H E R A K A D E M I K E R V E R B A N D (Hg.), Das Geheimnis der Eucharistie. III. 73-83 [Die Deutsche Thomas-Ausgabe-30], Salzburg 1938, 149f.). 42 Vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 24. „Aus diesem ist hinreichend zu verstehen gegeben, dass die Brechung und die Teile, die hier gemacht zu werden scheinen, im Sakrament geschehen, das heißt, an der sichtbaren Gestalt. Und deshalb müssen jene Worte Berengars, dass er ‚sinnenhaft, nicht im Modus des Sakraments, sondern in Wirklichkeit‘ Leib Christi genannt und ‚mit den Händen des Priesters berührt‘; ‚wahrhaft gebrochen und von den Zähnen zerrieben‘ werde, unterschieden werden, denn etwas ist wirklich, aber nur im Sakrament.“ 39 Damit hatte er den Eid in das exakte Gegenteil verkehrt: 40 Eben weil der Leib des Herrn auferstanden sei, könne er nicht gemeint sein, und die Aussagen vom Zerreiben durch die Zähne der Gläubigen müssten sich auf die sakramentalen Zeichen von Brot und Wein allein beziehen. Die folgenden Generationen an Theologen konnten diesen Impuls dankbar aufgreifen. So konnte Thomas von Aquin ebenfalls erklären, dass mit der konsekrierten Hostie nicht der reale Christus zerkaut wird: „Das, was in seiner eigenen Gestalt gegessen wird, das wird auch gebrochen und verdaut in seiner Gestalt; der Leib des Herrn jedoch wird nicht in seiner Gestalt gegessen, sondern in der sakramentalen Gestalt.“ 41 3.2 Die Transsubstantiationslehre Die Lösung der Scholastik war die Lehre von der Transsubstantiation - auf die Weise konnte erklärt werden, warum Messopfer und Kreuzesopfer nicht nur gleichwertig, sondern sogar identisch sind, wie es in Berengars Eid erklärt wird, ohne dass sich dies notwendig auch den Sinnen erschließen muss. 42 Wohl‐ Das Erbe Berengars im Kirchenlied 361 <?page no="362"?> 43 Vgl. Gary M A C Y , Theology of the Eucharist in the High Middle Ages, in: Ian Christopher L E V Y u.a. (Hgg.), A Companion to the Eucharist in the Middle Ages (Brill’s Companions to the Christian Tradition 26), Leiden 2012, 365-398, hier: 374. 44 Vgl. Gary M A C Y , The “Dogma of Transsubstantiation” in the Middle Ages, in: D E R S ., Treasures from the Storeroom. Medieval Religion and the Eucharist (A Pueblo Book), Collegeville 1999, 81-120, hier: 81. 45 Im Original: „Una vero est fidelium universalis Ecclesia, extra quam nullus omnino salvatur, in qua idem ipse sacerdos est sacrificium Iesus Christus, cuius corpus et sanguis in sacramento altaris sub speciebus panis et vini veraciter continentur, transsubstantiatis pane in corpus, et vino in sanguinem potestate divina: ut ad perficiendum mysterium unitatis accipiamus ipsi de suo, quod accepit ipse de nostro.“ (D E N Z I N G E R - H Ü N E R M A N N , Kompendium der Glaubensbekenntnisse [wie Anm. 28], 802). Eigene Übersetzung. 46 Vgl. M A C Y , Transsubstantiation (wie Anm. 44), 82f. 47 Vgl. S N O E K , Medieval Piety (wie Anm. 6), 48. Hans Bernhard Meyer vermutet aus dem‐ selben Grund die Einführung der Elevation (Hans B. M E Y E R , Die Elevation im deutschen Mittelalter und bei Luther. Eine Untersuchung zur Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte des späten Mittelalters, in: Zeitschrift für katholische Theologie-85 [1963], 162-217, hier: 173). gemerkt: Der Begriff ist erstmals im 12.-Jahrhundert belegt, 43 war also dem Eid Berengars zeitlich deutlich nachgelagert und zugleich inhaltlich unterbestimmt. Oft wird darauf verwiesen, dass die Vierte Lateransynode (1215) die Trans‐ substantiationslehre dogmatisiert habe, doch ist dies schlicht nicht der Fall. 44 Die Referenzen führen immer zu einem Halbsatz, der im Kontext eines längeren Glaubensbekenntnisses gegen die Katharer und die Albigenser steht: „Es gibt aber eine allgemeine Kirche der Gläubigen, außerhalb derer überhaupt keiner gerettet wird, in der derselbe Priester und Opfer ist, Jesus Christus, dessen Leib und Blut im Sakrament des Altars unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten sind, transsubstantiiert vom Brot in den Leib und vom Wein in das Blut mit göttlicher Macht: damit wir zur Vollendung des Mysteriums der Einheit uns selbst von ihm empfangen, was er selbst von uns empfangen hat.“ 45 Dieser Halbsatz erklärt aber keineswegs, was mit dem Begriff „Transsubstantia‐ tion“ gemeint ist, und wahrscheinlich wurde er zeitgenössisch noch sehr viel offener verstanden als in seiner Rezeptionsgeschichte. 46 Der Lateransynode wird es auch nicht - oder zumindest nicht vorrangig - um die lehramtliche Festlegung der Transsubstantiationslehre gegangen sein als vielmehr um das Festhalten an der Aussage, dass in der Kommunion Leib und Blut Christi empfangen werden. 47 Zwar taucht hier tatsächlich der Begriff der Transsubstantiation erstmals in einem lehramtlichen Dokument auf, doch hat die Lateransynode hier eben nicht die Transsubstantiation definiert, sondern lediglich die Realpräsenz Christi in den eu‐ 362 Martin Lüstraeten <?page no="363"?> 48 Vgl. M A C Y , Banquet’s Wisdom (wie Anm.-11), 133. 49 Vgl. ebd., 142. 50 Vgl. M A C Y , Transsubstantiation (wie Anm. 44), 89. Macy verweist dafür auch auf die zeitgenössische Kommentierung der Vierten Lateransynode. 51 Vgl. B R A D S H A W - J O H N S O N , The Eucharistic Liturgies (wie Anm.-7), 226. 52 Vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm. 23), 25; Arnold A N G E N E N D T , Offertorium. Das mittelalterliche Messopfer (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 101), Münster 3 2014, 364. 53 Vgl. Karl-Georg P F Ä N D T N E R , Die Transsubstantiation in der Legendenbildung, in: Ulrike S U R M A N N - Johannes S C H R Ö E R (Hgg.), Trotz Natur und Augenschein. Eucharistie - Wandlung und Weltsicht, Köln 2013, 283-290, hier: 283. 54 Vgl. Wilhelm B R E U E R , Die lateinische Eucharistiedichtung des Mittelalters von ihren Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Ein Beispiel religiöser Rede (Beihefte zum „Mittellateinischen Jahrbuch“-2), Wuppertal 1970, 305. charistischen Gaben dogmatisiert. 48 Was genau mit Transsubstantiation gemeint ist, wurde hingegen nie definiert 49 - auch nicht bei späteren Gelegenheiten. Es überrascht nicht, dass die Theologen dieser Zeit in dem Beschluss der Vierten Lateransynode auch keinen Anlass sahen, die Realpräsenz näher zu er‐ klären oder festzulegen. Gary Macy kommt mit Blick auf die Quellenlage zu der Einschätzung, dass die Vierte Lateransynode von ihren Zeitgenossen auch gar nicht als so starke Zäsur wahrgenommen wurde wie in der Dogmengeschichte heute. 50 Wirklich ausformuliert wurde die Transsubstantiationslehre erst 51 durch Thomas von Aquin (ca. 1225-1274), der als Erster aristotelische Kategorien anlegte, um zu erklären, dass sich bei gleichbleibenden Akzidenzien die Substanz ändere, so dass eine reale Veränderung stattfinde, die aber eben nicht durch die Sinne, sondern nur durch den Verstand erschlossen werden könne. Bemerkens‐ wert ist dieser Ansatz dabei nicht nur wegen der Anwendung aristotelischer Kategorien, sondern auch, weil er mit der aristotelischen Lehre unvereinbar ist - er setzt voraus, dass Substanz und Akzidenzien irgendwie voneinander getrennt werden können. Thomas verweist hierfür schlicht auf das Wunder. Möglicherweise war dies auch das implizite Eingeständnis der Unzulänglichkeit des eigenen Modells, mit dem eine Distanz zu den zunehmend krasseren Aus‐ wüchsen des Realismus in Theologie und Breitenreligiosität hergestellt werden sollte, 52 in jedem Fall aber werden damit die Hostienwunder zurückgewiesen. 3.3 Die Auswüchse der Transsubstantiationslehre Hostienwunder sind bereits seit der Mitte des 9.-Jahrhunderts bezeugt, 53 erfuhren aber durch die Lehrstreitigkeiten und den Eid Berengars von 1059 nochmal eine zusätzliche Verbreitung. 54 Stets ging es darum, dass die Wandlung von Brot Das Erbe Berengars im Kirchenlied 363 <?page no="364"?> 55 Hier sind insbesondere die Bluthostien zu nennen: konsekrierte Hostien, die nach einiger Zeit rote Ränder bildeten. Dieses Phänomen geht zurück auf Bakterienkolonien, die auf kohlehydrathaltigen Lebensmitteln bei Zimmertemperatur ein rotes Pigment ausbilden, vgl. P F Ä N D T N E R , Transsubstantiation (wie Anm. 53), 284. 56 Vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm.-54), 306f. 57 Vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 118. 58 Vgl. S N O E K , Medieval Piety (wie Anm.-6), 59. 59 Vgl. ebd., 49; P F Ä N D T N E R , Transsubstantiation, 287. 60 Berengar, Rescriptum III, 581-525: „Denn die Bedeutung des Pronomens ist bei diesem wichtig, denn, wenn er durch die Sündhaftigkeit der Empfänger vernichtet würde, so dass nicht wegen des Empfängers das Opfer des Altars bestehe, sondern wegen des Wesens des Empfängers soeben eine Portion des Fleisches, eine Portion des Blutes, wurde, dann wurde nicht nur für die Menschen, sondern auch für das Vieh, die Vögel, die Verderblichkeit und das Feuer das Opfer des Altars zum Leib und Blut des Herrn gemacht.“ Im Original: „Pronominis enim vis ad hoc valet, quia, si per subiecti absumeretur corruptionem, ut non per subiectum superesset altaris oblatio sed adesset recens facta per generationem subiecti porciuncula carnis, porciuncula sanguinis, non solum hominibus, sed etiam pecudibus, avibus, putredini atque ignibus corpus fieret Christi et sanguis oblatio altaris.“ (B E R I N G E R I U S , <T U R O N E N S I S > - Robert B.C. H U Y G E N S (Hg.), Rescriptum contra Lanfrannum [Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis-84], Turnhout 1988, 204). Eigene Übersetzung. und Wein in Leib und Blut Christi mit den Sinnen erfahrbar wurde und dass solchermaßen die Realität der Wandlung erfahrbar wurde. Manche dieser Wunder lassen sich heute einfach erklären, 55 der Großteil aber sind legendenhafte Erzäh‐ lungen, die ein eindrucksvolles Zeugnis für die Frömmigkeitshaltung im Hoch- und Spätmittelalter sind: 56 Visionen oder andere sinnliche Wahrnehmungen der wahren Substanz als Belohnung für Glauben oder als Antwort auf Zweifel, unnatürliches Verhalten von Naturelementen, Tieren und Menschen aus Respekt vor der Eucharistie oder die Erscheinung von Fleisch und Blut gegenüber einem Hostienschänder, häufig ein Jude, ein Dieb oder eine Hexe. 57 In Folge des Abend‐ mahlsstreits wurden insbesondere die Hostienvisionen immer zahlreicher und stereotyper 58 und zu einem beliebten Motiv in der darstellenden Kunst. 59 In der Theologie stand man solchen Hostienwundern skeptisch gegenüber, musste sich aber ebenso der Frage nach der Realpräsenz und nach der konkreten Ausformung der Transsubstantiation stellen. Und das zu einem durchaus prakti‐ schen Zweck: Bereits in Berengars „Rescriptum contra Lanfrancum“ hatte dieser darauf hingewiesen, dass kleinere Partikel, die auf dem Altar zurückblieben, nach dem Gottesdienst von Tieren gegessen werden könnten. 60 In einem Brief an Meginhard, Abt von Gladbach, gab Wolfhelm, Abt von Brauweiler, diesen Einwand Berengars so wieder, dass dieser argumentiert hätte, dass Mäuse, die den Leib Christi äßen, ja nicht Christus aufnehmen und auch nicht das ewige Leben haben könnten, so dass der Leib Christi auch nicht im konsekrierten 364 Martin Lüstraeten <?page no="365"?> 61 „Wenn Mäuse den konsekrierten Leib Christi essen sollten, ist Christus deshalb nicht in ihnen, und diese werden nicht in Christus bleiben noch das ewige Leben gehabt haben.“ Im Original: „Si mures consecratum corpus Christi comederint; non ideo Christus in eis, et ipsi in Christo manebunt, nec vitam aeternam habuit.“ (Vita B. Wolphelmi. Auctore Conrado eisdem Loci Monacho ac Beati Wolphelmi Discipulo, in: Jean-Paul M I G N E [Hg.], Hugonis Abbatis Flaviniacensis Ekkehardi Uraugiensis Chronica accedunt B. Wolphelmi Abbatis Brunswillerensis Opuscula Duo [Patrologia Latina 154], Paris 1853, 403-434, hier: 413). Eigene Übersetzung. 62 Vgl. Gary M A C Y , Of Mice and Manna. Quid Mus Sumit as a Pastoral Question, in: Recherches de Théologie Ancienne et Médiévale-58 (1991), 157-166, hier: 162. 63 Trad.-apost.-37 (lat.-78,3-7): „Jeder strenge sich an, dass nicht ein Ungläubiger von der Eucharistie koste, noch eine Spitzmaus oder ein anderes Tier, und dass nichts von ihr hinfällt und verlorengeht. Der Leib Christi ist nämlich von den Gläubigen zu essen und nicht zu missachten.“ Im Original: „Omnis autem festinet, ut non infidelis gustet de eucharistia aut ne sorix aut animal aliud aut ne quid cadeat et pereat de eo. Corpus enim est Christi edendum credentibus et non contemnendum.“ (Erik T I D N E R , Didascaliae Apostolorum · Canonum Ecclesiasticorum · Traditionis Apostolicae. Versiones Latinae [Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 75], Berlin 1963, 143). Eigene Übersetzung. 64 Das Pathos von Artur Michael Landgraf, der das entsprechende Kapitel in seiner Sakramentenlehre mit den Sätzen beginnt: „Die Frühscholastik war nicht die Zeit der großen theologischen Schau. Sie war dazu verurteilt, die Aschenbrödelarbeit der Ein‐ zeluntersuchung zu leisten, vor allem aber erst zu prüfen, wo ein Problem lagerte und wo sich vielleicht eine Goldader auftun konnte. Nachdem sie das klassische Material vom Schutt des vielen Unbrauchbaren gesondert hatte, hatten die nachher Kommenden die bedeutend leichtere Aufgabe, das so aus dem Altertum Herübergerettete in ein System zu bringen und spekulativ auszuwerten.“ (Artur M. L A N D G R A F , Die Lehre von den Sakramenten. Band II [Dogmengeschichte der Frühscholastik 3], Regensburg 1955, 207), hat also keine Berechtigung. 65 Vgl. ebd., 211.; M A C Y , Mice and Manna (wie Anm.-62), 158f. Brot sein könne. 61 Damit stand die Frage im Raum: Was isst die Maus? Die Relevanz der Frage war sicherlich auch durch provokante Anfragen von Seiten der Katharer bedingt, 62 sie hatte aber auch den praktischen Bezug, dass Mäuse durchaus an die konsekrierten Hostien gelangten. Erstmals behandelt wurde dies bereits in der Spätantike in der Traditio Apostolica 63 und wurde danach immer wieder aufgegriffen. 64 Ein wiederkehrendes Argument war, dass die Maus natürlich den Leib des Herrn esse, so wie auch so mancher sündhafter Mensch den Leib des Herrn essen würde, was eigentlich noch schlimmer sei als der Verdauungstrakt eines Tieres. 65 So äußerte sich als einer der ersten auf Berengars Anfrage Guitmund, der spätere Bischof von Aversa: „Offenkundig ist freilich aus der Ordnung Gottes, dass die Körper der Beseelten besser sind als die der Unbeseelten, die Empfindsamen besser als die Empfindungslosen. Das Erbe Berengars im Kirchenlied 365 <?page no="366"?> 66 Guitmundus, De Corporis et Sanguinis Christi, l. 2. Im Original: „Manifestissimum quippe est ex ordine Dei, animata corpora inanimatis, sensibilia insensibilibus meliora esse. Neque huic sententiae ullum vel tenuiter sciolum refragaturum credo. Quae autem meliora sunt, apud optimum Dominum chariora, ideoque honorabiliora sunt: quo fit ut corpus cujuslibet vivi animalis non sit apud Deum vilius quam terra et lapis. Sed Christi corpus, sicut jam diximus, in lapide jacuit, et terram calcavit: non igitur propter aliquam vilitatem cujuscunque animalis corpus horrescit. Quapropter, etiam si aliquo divino judicio bruta quaelibet animalia non solum sacrosancta mysteria tangere, sed etiam valeant devorare, nulla tamen ex hoc nobis ratio obviat quae veritatem Dominicae carnis et sanguinis, quam tenemus in sacris mysteriis, nos negare compellat.“ (G U I T M U N D U S , <A V E R S A N U S >, Guitmundi Archiepiscopi Aversani De Corporis et Sanguinis Christi Veritate in Eucharistia Libri Tres, in: Jean-Paul M I G N E [Hg.], Victoris III Romani Pontificis, Sancti Anselmi Lucensis, Opera Omnia [Patrologia Latina 149], Paris 1882, 1427-1494, hier: 1449). Eigene Übersetzung. Und ich glaube, diesem Satz wird auch kein Besserwisser zu widerstreben trachten. Was jedoch geeigneter ist, angesichts des gütigsten Herrn wertvoller und somit ehrwürdiger ist, ist, dass der Leib irgendeines Tieres bei Gott nicht wertloser ist als die Erde oder ein Stein. Der Leib Christi aber hat, wie wir bereits gesagt haben, unter dem Grabstein gelegen und auf die Erde getreten. Und so soll man nicht erschaudern ob irgendeiner Wertlosigkeit des Leibes irgendeines Tieres. Denn, wenn nämlich durch irgendein göttliches Urteil irgendein unvernünftiges Tier das allerheiligste Mysterium nicht nur berührt, sondern auch dazu gelangt, es herunterzuschlucken, widerspricht das unserer Ansicht nach nicht der Wahrheit des Leibes und des Blutes des Herrn, die wir in den heiligen Mysterien bewahren, und nötigt uns nicht, sie zu leugnen.“ 66 Das mag zwar theologisch konsequent sein, doch hat das für die Praxis fatale Folgen, wie beispielsweise die Ausführungen von Petrus de Palude aufzeigen: „Über die zwei Weisen des Essens Bezüglich der neunten Unterscheidung fragt man viererlei: […] Erstens, ob der Sünder den Leib Christi empfangen kann. […] Bezüglich dieser Frage gibt es drei Ansichten: Erstens über die verschiedenen Weisen des Empfangens, zweitens über das vernunftbegabte Geschöpf, das den Leib Christi empfängt, drittens über das vernunftlose Geschöpf. […] Bezüglich des dritten gibt es drei Schlussfolgerungen. Erstens, dass ein wildes Tier kein Sakrament empfangen kann außer diesem, denn das Wesen der anderen Sakramente ist das Handeln oder das Leiden des Menschen, beispielsweise die Waschung des Menschen, die Salbung und dergleichen, so dass wenn ein wildes Tier gewaschen oder gesalbt wird, es nicht getauft oder geweiht ist. Die zweite Schlussfolgerung ist, dass es dieses Sakrament empfangen kann, denn dessen Wesen ist der konsekrierte Stoff, den das wilde Tier wahrhaft empfängt, denn es empfängt wahrhaft die Gestalten, unter denen wahrhaft der Leib Christi ist. 366 Martin Lüstraeten <?page no="367"?> 67 Petrus de Palude, Scriptum in Quartum Sententiarum, Köln 1514, dist. ix, qu. 1, art. 1, concl. 3. Im Original: „De duobus modis manducandi Circa Distinctionem nonam quaerunt quattuor […] primo utrum peccator possit sumere corporem Christi […] circa istam quaestionem sunt tria videnda: primo de diuersis modis sumendi: secundo de creatura rationali quae sumit corporem Christi. tertio de creatura irrationali. […] Circa tertium tres sunt tres conclusiones. Prima quod brutum nullum sacramentum potest suscipere nisi istud: quia essentia aliorum sacramentorum est actio vel passio hominis: puta ablutio hominis unctio et huiusmodi. Unde si ablueretur vel ungeretur brutum non esset baptismus nec sacrum. Secunda conclusio est quod potest istud sacramentum suscipere: quia eius essentia est materie consecratio quam brutum vere sumit quia vere manducat species sub quibus vere est corpus Christi. Et dato quod per hoc reddantur inhabiles ad usum hominis propter quem sunt: nihilominus non propter hoc desinit ibi esse corpus Christi: sicut per hoc quod aqua congelatur non desinit esse benedicta: sed per accidens est: sicut si homo comederet hostiam consecratam quam crederet simplicem: quam si brutum manducare non potuit miraculum est: sicut asinus heretici manducare non potuit: sed flexis genibus hostiam adoravit. Tertia conclusio est de hostia consecrata quam mus comedit quid faciendum sit. Respondeo. Si mus capi potest exenterari debet: et mus quidem debet conburi et cinis in piscina perijci. Pars autem hostie si homo eam sumere horreret debet in tabernaculo reverentur reponi et tandiu ibi dimitti quoad naturaliter consumatur. Ipsa autem nequaquam debet in pisciniam proijci sicut quidam sacerdos fecit de musca reperta in calice post consecrationem.“ (P E T R U S D E P A L U D E - V I N C E N T I U S V O N H A E R L E M (Hg.), Exactissimi et q[ua]m maxime Probati ac Clarissimi Doctoris Petri de Palude Predicatorij Ordinis Hierosolimitani quonda[m] Patriarche dignissimi Quartus Sententiaru[m] Liber, Köln 1514). Eigene Übersetzung. Ich gestehe ein, dass sie dadurch untauglich werden für den Gebrauch durch den Menschen, für den sie sind, doch nichtsdestotrotz hören sie deswegen nicht auf, Leib Christi zu sein, so wie gefrorenes Weihwasser auch nicht aufhört, geweiht zu sein, sondern dies akzidentiell ist, so wie wenn ein Mensch eine konsekrierte Hostie isst, von der er denkt, dass es eine einfache ist. So, wie es auch ein Wunder ist, wenn ein wildes Tier nicht essen kann, als [in einer bekannten Erzählung; M.L.] der Esel eines Häretikers nicht essen konnte, sondern mit gebeugten Knien die Hostie verehrte. Die dritte Schlussfolgerung betrifft die konsekrierte Hostie, die die Maus isst und was zu tun ist. Ich antworte: Wenn die Maus gefangen werden kann, muss sie ausgeweidet werden. Die Maus muss freilich verbrannt werden und die Asche in die Piscina gegeben werden. Der Rest der Hostie jedoch, muss - falls der Mensch davor zurückschreckt, ihn zu empfangen - ehrfürchtig in den Tabernakel zurückgelegt und so lange dort zurückgelassen werden, bis er auf natürliche Weise vernichtet wird. Keinesfalls jedoch darf man ihn in die Piscina werfen, wie es ein Priester mit der Fliege macht, die nach der Konsekration im Kelch gefunden wird.“ 67 Das Erbe Berengars im Kirchenlied 367 <?page no="368"?> 68 Petrus L O M B A R D U S , Sententiae, lib. 4 dist. 13 c. 1 (72), n. 8. Im Original: „Illud etiam sane potest dici, quod a brutis animalibus corpus Christi non sumitur, etsi videatur. Quid ergo sumit mus? quid manducat? Deus novit.“ (Petrus L O M B A R D U S , Sententiae [wie Anm. 39], 314). Eigene Übersetzung. 69 Vgl. B R A D S H A W - J O H N S O N , The Eucharistic Liturgies (wie Anm.-7), 227. 70 S. Th. III, q. 78 a. 1 ad. 4. Im Original: „Unde dicendum est quod, si sacerdos sola verba praedicta proferret cum intentione conficiendi hoc sacramentum, perficeretur hoc sacramentum, quia intentio faceret ut haec verba intelligerentur quasi ex persona Christi prolata“ (Thomas V O N A Q U I N , Geheimnis der Eucharistie [wie Anm. 41], 163). Eigene Übersetzung. 71 Dieses Prinzip wurde aus der Jurisdiktion übernommen, vgl. A N G E N E N D T , Grundformen der Frömmigkeit (wie Anm.-10), 33f. Demnach ist das Essen der Hostie durch die Maus zwar weniger schlimm als durch den Sünder, aber doch derart schlimm, dass die Maus, die eine konsekrierte Hostie gegessen hat, gefangen und ausgeweidet werden und ihr Mageninhalt entweder von einem (würdigen) Menschen gegessen oder doch zumindest zur Verrottung aufbewahrt werden muss. Ein anderes Argument findet sich beispielsweise bei Petrus Lombardus, der erklärt, dass die Maus natürlich nicht den Leib des Herrn esse, sich aber zu den Gründen ausschweigt: „Jenes kann nämlich vernünftigerweise gesagt werden, dass der Leib Christi nicht von unvernünftigen Tieren gegessen wird, auch wenn das gesehen wird. Was also isst die Maus? Was zerkaut sie? Gott weiß es.“ 68 Es ist klar, dass das unbefriedigend ist. Von dort aus entwickelten sich darum komplexere Entwürfe wie die eines Alain de Lille oder eines Bonaventura, die aber jeweils - so wie bereits Thomas - von der Möglichkeit eines substanzlosen Akzidenz ausgehen müssen. 69 Bewirkt wird diese Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, indem ein Priester die Einsetzungsworte ausspricht, wobei - wie Thomas von Aquin erklärt - der liturgische Kontext zwar vorgeschrieben, aber nicht eigentlich notwendig ist: „Daher ist zu sagen, dass wenn ein Priester nur die zuvor genannten Worte vorträgt mit der Absicht, dieses Sakrament zu vollbringen, bringt er dieses Sakrament zustande, da die Absicht bewirkt, dass diese Worte verstanden werden als würden sie von der Person Christi vorgetragen.“ 70 Es handelt sich um einen Automatismus: Werden Ritual und Formel präzise eingehalten, dann tritt automatisch auch die Wirkung, eben die Wandlung von Brot und Wein, ein. 71 Dies sichert zunächst die Realpräsenz Christi in den eucharistischen Gestalten ab, auch wenn diese nicht überprüfbar ist, es 368 Martin Lüstraeten <?page no="369"?> 72 Robert H O L C O T , Sententiae IV, 3, 5. Im Original: „Item, pono quod sacerdos consecrat omnes panes in una fenestra unius panetarii, et postea furetur illas species. Et tunc, si agatur contra eum quod furatus est panes suos, numquid potest licite negare? Videtur quod sic, quia certum est quod hoc est falsum, et licet negare falsum. […] Ad quintam, quando arguitur de sacerdote prius consecrante species panis, et postea furtive auferente illas species etc., dico quod sic. Tamen, si probetur in foro iudicii contra eum, tenetur fateri fraudem suam; non tamen debet laico restituere illas species, licet habeat illas, sed valorem. Non valorem sacramenti, quia hoc non potest, sed valorem panis ante consecrationem; tamen debet negare se abstulisse panem.“ (Robertus, <H O L C O T >, Roberti Holkot: natione Angli: professione sacri Predicatorum ordinis: viri longe perspicacissmi: atque adeo non vulgaris inter theologos nominis: operum hoc in volumine contentorum catalogus, London 1518, 259-268). 73 Vgl. Dallas G. D E N E R Y , From Sacred Mystery to Divine Deception. Robert Holkot, John Wyclif and the Transformation of Fourteenth-Century Eucharistic Discourse, in: Journal of Religious History-29 (2005), 129-144, hier: 137. kann aber auch ins Problematische gesteigert werden. Denn den thomanischen Ansatz konsequent weiterführend entwickelt Robert Holcot (ca. 1290-1349) den Fall, dass ein Priester allein durch das Sprechen der Einsetzungsworte durch das Schaufenster einer Bäckerei hindurch die ausliegenden Brote konsekriert und dann anschließend die solchermaßen konsekrierten Brote entwendet, damit kein Schaden am Leib des Herrn entstehe: „Des Weiteren gebe ich das Beispiel, dass ein Priester alle Brote in einem Fenster irgendeiner Bäckerei konsekriert, und danach jene stiehlt. Und dann, wenn gegen ihn verhandelt werden sollte, dass er seine Brote gestohlen hat, kann er das etwa richtigerweise verneinen? Es scheint, dass dem so ist, denn es ist sicher, dass es falsch ist, und er darf das Falsche verneinen. […] Zum fünften, wenn der Priester überführt wird, erst die Gestalt des Brotes konsekriert und danach jene Gestalt gestohlen und fortgeschafft zu haben etc., sage ich dies. Wenn doch im Gericht gegen ihn untersucht wird, ist er angehalten, sein Verbrechen zu gestehen, nicht jedoch darf er dem Laien diese Gestalt zurückgeben, denn es steht ihm nicht zu, sie zu haben, sondern nur ihren Wert. Nicht den Wert des Sakraments, denn dies ist nicht möglich, sondern den Wert des Brotes vor der Konsekration. Doch muss er verneinen, Brot gestohlen zu haben.“ 72 Dieser Automatismus wiederum ist auch problematisch. Holcot verzweifelte zunehmend an diesen eucharistietheologischen Fragen: Wenn Gott die Substanz von Brot und Wein in die Substanz von Leib und Blut ändern könne, ohne dass dies mit dem Verstand erfasst werden kann, also gewissermaßen eine göttliche Täuschung vorliege, insofern die Realität des Leibes dem Verstand als Realität des Brotes erscheint, dann stelle sich die Frage, ob über den Rahmen der Eucharistie hinaus Gott über die Realität täuscht, 73 ob also nicht die ganze Welt einzig Akzidenzien seien, deren Substanzen wir nicht erfassen. Das Erbe Berengars im Kirchenlied 369 <?page no="370"?> 74 Vgl. Edouard D U M O U T E T , Le Désir de Voir l’Hostie et les Origines de la Dévotion au Saint-Sacrement, Paris 1926, 26. 75 DH 812: „Jeder Gläubige beiderlei Geschlechts soll, nachdem er die Jahre der Unterschei‐ dung erreicht hat, alle seine Sünden wenigstens einmal im Jahr getreu allein seinem eigenen Priester beichten und die ihm auferlegte Buße nach Kräften zu erfüllen versu‐ chen, und mindestens zu Ostern das Sakrament der Eucharistie ehrfürchtig empfangen.“ Im Original: „Omnis utriusque sexus fidelis, postquam ad annos discretionis pervenerit, omnia sua solus peccata saltem semel in anno fideliter confiteatur proprio sacerdoti, et iniunctam sibi paenitentiam pro viribus studeat adimplere, suscipiens reverenter ad minus in Pascha Eucharistiae sacramentum“ (D E N Z I N G E R - H Ü N E R M A N N , Kompendium der Glaubensbekenntnisse [wie Anm. 28], 812). Eigene Übersetzung. Neben der beson‐ deren Ehrfurcht vor der Kommunion dürfte der nachlassende Kommunionempfang auch den damit verbundenen, zum Teil erheblichen, Kosten geschuldet gewesen sein, vgl. Peter B R O W E , Die Kinderkommunion im Mittelalter, in: Scholastik 5 (1930), 1-45, hier: 32-36. 76 Vgl. Zuster I M E L D A , Gebeden bij de Opheffing. Naar Mndl. Handschriften der XVe Eeuw, in: Algemeen Nederlands Eucharistisch Tijdschrift 10 (1931), 335-342, hier: 337; M E Y E R , Elevation (wie Anm.-47), 177; M A C Y , Theology, 379f. 77 Vgl. Edouard D U M O U T E T , Le Christ selon la Chair et la Vie Liturgique au Moyen-Âge, Paris 1932, 128. 78 Vgl. I M E L D A , Opheffing (wie Anm. 76), 338. Auffällig sind die Parallelen zur Gralslegende, wonach der Anblick des Heiligen Grals ebenfalls so viele wunderbare Wir‐ kungen haben soll, vgl. Adolph F R A N Z , Die Messe im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volkslebens, Freiburg 1902, 103; D U M O U T E T , Le Désir (wie Anm. 74), 27. Es scheint sich aber eher so zu verhalten, dass die Eucharistiemotive auf den Gral übergingen, vgl. ebd., 28; R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 139. 3.4 Die Schaufrömmigkeit Der Abendmahlsstreit mit der Festlegung der Realpräsenz und die sich daran entzündenden Debatten haben möglicherweise die Gläubigen erschüttert 74 und bewirkt, dass sich aus dem Respekt vor der Kommunion eine regelrechte Angst entwickelte. Mit einem unwürdigen Kommunionempfang verband man extreme Gefahren, so dass die Kommunionhäufigkeit rapide abnahm und die bereits erwähnte Vierte Lateransynode den zumindest jährlichen Kommunionempfang anordnen musste. 75 Zu dem somit kaum noch praktizierten Kommunionempfang bildeten sich Ersatzformen heraus, wie beispielsweise das Küssen der Pax und das Schauen der konsekrierten Hostie. Zu dieser Schaufrömmigkeit wurden die Laien auch von den Theologen ausdrücklich ermutigt, die diesen Vorgang des Anschauens zunehmend als geistliche Kommunion interpretierten und ihr die gleichen Wirkungen wie dem leiblichen Empfang zuschrieben. 76 Das Schauen der Hostie galt als Vorgeschmack auf die Schau Christi am Jüngsten Tag, 77 und ihr wurde außerdem nachgesagt, dass sie auch körperliche Leiden lindern soll. 78 370 Martin Lüstraeten <?page no="371"?> 79 Vgl. Peter B R O W E , Die Verehrung der Eucharistie im Mittelalter, München 1933, 58. 80 Vgl. D U M O U T E T , Christ selon la Chair (wie Anm.-77), 147f. 81 Vgl. D U M O U T E T , Le Désir (wie Anm. 74), 37. Für die Zeit davor sind keine Belege bekannt, vgl. B R O W E , Verehrung der Eucharistie im Mittelalter (wie Anm.-79), 28. 82 Statut de Paris, Nr. 80. Im Original: „Precipitur presbyteris ut, cum in canone misse inceperint «Qui pridie», tenentes hostiam, ne elevent eam statim nimis alte, ita quod videri possit a populo, sed quasi ante pectus detineant donec dixerint «Hoc est corpus meum» et tunc elevent eam ita quod possit ab omnibus videri“ (Odette P O N T A L , Les Statuts Synodaux Français du XIIIe Siècle Précédés de l’Histoire du Synode Diocésain depuis ses Origines. Tome I: Les Statuts de Paris et Le Synodal de l’Ouest [XIIIe Siècle] [Collection de Documents Inédits sur l’Histoire de France. Section de Philologie et d’Histoire jusqu’à 1610. Série in-8-9], Paris 1971, 82). Eigene Übersetzung. 83 Vgl. D U M O U T E T , Le Désir (wie Anm.-74), 37f. 84 Vgl. ebd., 42. Diese Elevation wurde bereits so sehr ausgestaltet, dass sie für das Volk sichtbar war, vgl. M E Y E R , Elevation (wie Anm.-47), 162f. Daraus wiederum entwickelte sich die Vorstellung, dass das Betrachten der konsekrierten Hostie selbst schon ein Verdienst sei. 79 Im 12./ 13. Jahrhundert wurde somit auf Drängen der Laien die Elevation der konsekrierten Hostie in die Messliturgie eingefügt. Hierbei handelte es sich um keine zentral gesteuerte Neuerung, sondern sukzessive führten sie einzelne Pfarrer und einzelne Diözesen ein, 80 wobei die Ursprünge hierfür in Paris zu liegen scheinen. 81 Dort gab Bischof Odo von Sully (sed. 1196-1208) ein Synodalstatut heraus, in dem er die Priester ermahnte, die Hostie erst nach den Worten „Hoc est enim corpus meum“ anzuheben, damit sie von allen geschaut werden könne: „Es ist den Priestern vorgeschrieben, dass wenn sie im Messkanon mit ‚Qui pridie‘ beginnen und die Hostie festhalten, sie diese nicht sofort zu hoch erheben, so dass sie vom Volk gesehen werden könnte, sondern gewissermaßen vor der Brust halten, bis sie ‚Hoc est corpus meum‘ sagen, und sie dann erheben, so dass sie von jedem gesehen werden kann.“ 82 Am Wortlaut wird deutlich, dass die Synode eigentlich gar nicht die Elevation eingeführt hat, sondern lediglich präzisiert hat, wann die Elevation, die also offenbar bereits praktiziert wurde, zu erfolgen hat. 83 Bis dahin war es üblich, dass eine Elevation bereits vor den Einsetzungsworten stattfand, eben in der Nachahmung des Einsetzungsberichts zum „accepit panem“, 84 was jedoch die Gefahr barg, dass die Gläubigen ein Stück Brot verehren. Um das zu vermeiden, sollte die Elevation erst nach der Konsekration erfolgen, und damit war zu bestimmen, wann sich diese ereignet. Das Synodalstatut selbst verdankt sich also einem anderen Kontext, der nicht direkt offensichtlich ist: Es reagiert auf einen Lehrstreit, in dem Petrus Comestor (ca. 1100-1178) und Petrus Cantor Das Erbe Berengars im Kirchenlied 371 <?page no="372"?> 85 Vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm.-23), 53f. 86 Das Provinzkonzil von Mainz scheint die Elevation vorauszusetzen, wenn es anordnet: „Jeder Priester soll sein Volk sorgfältig unterweisen, dass wenn er in der Feier der Messen das Opfer des Heils anhebe, ein jeder demütig seine Knie beuge oder doch wenigstens sich ehrerbietig verneige.“ Im Original: „Sacerdos vero quilibet plebem suam doceat diligenter, ut cum in celebratione missarum elevatur hostia salutaris, quilibet devote flectat genua sua, vel saltem se reverenter inclinet.“ (Giovanni D. M A N S I [Hg.], Sacrorum Conciliorum Nova, et Amplissima Collectio. Tomus XXIII: Ab Anno MCCXXV usque ad Ann. MCCLXVIII, Paris 1903, 1082.) Für Rom hingegen ist die Elevation erst im 14. Jahrhundert nachweisbar, vgl. D U M O U T E T , Le Désir (wie Anm. 74), 45f. 87 Dieses wurde bald erweitert um ein Läuten mit den Turmglocken, um somit auch den Abwesenden zu signalisieren, dass gerade eine Elevation stattfindet, vgl. Josef A. J U N G M A N N , Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe. Zweiter Band: Opfermesse, Freiburg 5 1962, 260-262. (ca. 1130-1197) die Ansicht vertraten, dass sich die Konsekration des Brotes erst zeitgleich mit der des Weines bei den Worten „in remissionem peccatorum“ ereigne, was durch diese Regelung offensichtlich zurückgewiesen wird. 85 Mit der Festlegung des Zeitpunkts der Elevation wurde es auch zunehmend üblicher, dieselbe zeitlich auszudehnen, um so dem Verlangen des Volkes nach Schau der konsekrierten Hostie entgegenzukommen. Von Paris aus konnte sich die Elevation der konsekrierten Hostie dann rasant verbreiten. 86 Die Elevation des Kelches wurde aus Gründen der Symmetrie eingeführt, konnte sich jedoch nur sehr viel schleppender durchsetzen und genoss nie die gleiche Popularität. Ein möglicher Grund könnte sein, dass man das Blut Christi im Kelch nicht sehen konnte. In den Ritus der Eucharistiefeier wurden somit aber nicht nur die Elevation des konsekrierten Brotes und des konsekrierten Weines aufgenommen, sondern beide Riten wurden zusätzlich ausgeschmückt durch das Schellen mit Glocken, 87 durch das Innehalten des Priesters und seine Hinwendung nach links und nach rechts, durch das Abbrennen von Weihrauch, durch das Entzünden von Elevationskerzen, ganz besonders jedoch durch das Murmeln von Gebeten. Die Laien wiederum schätzten die Elevation und den Akt der Augenkommunion so hoch ein, dass der Rest der Messe gar als unnötig angesehen wurde und man sich teilweise darauf beschränkte, nur zur Schau der Elevation den Gottesdienst aufzusuchen und bald danach die Kirche wieder zu verlassen, wie beispielsweise Gottschalk Hollen beklagt: „Es gibt auch jene, die nicht kommen, außer wenn sie den Klang des Glöckchens hören; dann kommen sie und sehen die Elevation; ist die Elevation geschehen, kehren 372 Martin Lüstraeten <?page no="373"?> 88 Gottschalk Hollen, Sermones II,41. Im Original: „Sunt etiam qui non veniunt nisi audiant sonum campanule tunc veniunt et vident eleuationem: facta eleuatione mox recedunt currendo et fugiendo quasi diabolum vidissent.“ (Godescaldus Hollen, Sermonum Opus Exquisitissimum. 2: Sermones D[omi]nicales super Epistolas Pauli Partis Estivalis, Hagenau 1520, [166]). Eigene Übersetzung. 89 Die Frage, ob die Elevation eingeführt wurde, um dem Verlangen der Laien zu entsprechen oder um selbige zu unterweisen, muss an dieser Stelle gar nicht geklärt werden, vgl. R U B I N , Corpus Christi (wie Anm. 23), 55. Man kann an diesem Wechsel von der sumptio zur adoratio kritisieren, dass er der Individualisierung Vorschub leistet und dem gemeinschaftlichen Charakter der Eucharistie nicht gerecht wird, vgl. Alexander Z E R F Aẞ , Das „Tantum ergo“ des 3. Jahrtausends? Nightfever im Spiegel von Kommuni‐ onfrömmigkeit und Eucharistietheologie, in: Stimmen der Zeit 233 (2015), 623-632, hier: 627. Der Kirchenhistoriker Thomas Lentes relativiert dies jedoch mit Verweis darauf, dass mit der Augenkommunion stärker als zuvor die individuelle Frömmigkeit an das objektive und gemeinschaftliche Erleben der Liturgie rückgebunden wird (Thomas L E N T E S , Soweit das Auge reicht. Sehrituale im Spätmittelalter, in: Thomas L E N T E S u.a. [Hgg.], Das „Goldene Wunder“ in der Dortmunder Petrikirche. Bildgebrauch und Bildproduktion im Mittelalter [Dortmunder Mittelalter-Forschungen 9], Bielefeld 2003, 241-258, hier: 242f.). 90 Vgl. M E Y E R , Elevation (wie Anm.-47), 176. sie direkt wieder zurück, wobei sie rennen und fliehen, als ob sie den Teufel gesehen hätten.“ 88 Die Elevation avancierte auch in kurzer Zeit zum bevorzugten Motiv bei Missale-Miniaturen, also zum Paradigma für die Messe schlechthin. Die von Berengar von Tours angestoßene Diskussion um das Wesen der Eu‐ charistie, die Festlegungen in dessen Eiden und in der Transsubstantiationslehre waren also ursächlich für das Aufkommen der Schaufrömmigkeit oder auch Augenkommunion, die wiederum den Anlass dazu gab, mitten im Hochgebet ein neues Rituselement zu etablieren. 89 Die Bischöfe förderten die Augenkommunion und die anbetende Verehrung der Hostie, indem sie zum Sprechen kleiner Begrüßungsgebete ermunterten und daran auch Ablasszusagen knüpften. 90 Bald entstanden Elevationsgebete und Elevationsgesänge, die exklusiv zu diesem Zweck verfasst wurden. Das Erbe Berengars im Kirchenlied 373 <?page no="374"?> 91 Vgl. Edouard D U M O U T E T , Aux Origines des Saluts du Saint-Sacrement. I. La Dévotion à l’Humanité du Christ et les Prières d’Élévation, in: Revue Apologétique. Doctrine et Faits Religieux-52 (1931), 409-431, hier: 421-426. 92 Durandus, Rat. Div. Off. l. 4, c. 41, n. 51, vgl. G U I L L E L M U S , <D U R A N T U S > - Anselme D A V R I L - Timothy M. T H I B O D E A U (Hgg.), Rationale Divinorum Officiorum. I-IV (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis-140), Turnhout 1995, 461f. 93 Vgl. D U M O U T E T , Christ selon la Chair (wie Anm.-77), 151f. 94 Vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm.-54), 365. 95 Vgl. Alex S T O C K , Lateinische Hymnen, Berlin 2011, 235. 96 Vgl. Martin L Ü S T R A E T E N , „Ave, Verum Corpus Natum“. Eine liturgie- und frömmigkeits‐ geschichtliche Verortung des Elevationsgebets in Fragm. germ. 8 der Martinus-Biblio‐ thek, in: Winfried W I L H E L M Y (Hg.), Bibliothecarius Martinianus. Festgabe für Helmut Hinkel zum 75. Geburtstag (Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 2018), Würzburg 2018, 15-42, hier: 41. 97 Vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm.-54), 361. 98 Vgl. B R O W E , Verehrung der Eucharistie im Mittelalter (wie Anm.-79), 53. 99 Vgl. J U N G M A N N , Missarum Sollemnia (wie Anm. 87), 267f. Dumoutet spekuliert, ob es nicht ursprünglich vom Zelebranten laut rezitiert wurde, vgl. D U M O U T E T , Christ selon la Chair (wie Anm.-77), 171. 4 Die Rezeption des Eids Berengars im Reimgedicht „Ave Verum“ 4.1 Die Entstehung Die Elevationsgebete entstanden möglicherweise aus den Kommuniongebeten der Zelebranten 91 und sind bereits bei Wilhelm Durandus belegt. 92 Die ursprüng‐ lichen Formen dürften eher kurze Anrufungen als vollständige Gebete gewesen sein. 93 Es lässt sich aber beobachten, dass die Gebete im Laufe der Zeit doch immer ausführlicher wurden, was ein Indiz für die zunehmende Ausdehnung der Elevation sein kann. 94 Ein solches Elevationsgebet ist das Ave Verum, das in verschiedenen Hand‐ schriften mit entsprechenden Rubriken und Ablasszusagen verbunden ist. 95 Der möglicherweise älteste Zeuge ist das Frag. germ. 8 der Mainzer Martinus-Bi‐ bliothek, 96 das nicht nur den lateinischen Wortlaut, sondern außerdem auch die ersten Zeilen einer deutschen Übersetzung überliefert. Das Ave Verum steht am Anfang einer Tradition der Eucharistiedichtung 97 und genoss eine weite Verbreitung. 98 Sein „Sitz im Leben“ ist die Elevation in der Messe, zu der dieses gereimte Gebet von dem einzelnen Beter bzw. der einzelnen Beterin leise gesprochen wurde, um damit den real präsenten Leib des Herrn zu begrüßen und daran Bitten für die Todesstunde zu knüpfen. 99 374 Martin Lüstraeten <?page no="375"?> 100 Breuer ergänzt, dass die Verse 1 und 2 den Leib des Herrn zum Thema hätten, die Verse 3 und 4 hingegen das Blut, vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm. 54), 340. Diese Einteilung ist nicht überzeugend, da das Blut zwar thematisiert, aber nicht begrüßt wird und sich die Zeile 4 zweifelsohne auf die Hostie bezieht und nicht auf den Kelch. 101 Raniero C A N T A L A M E S S A , Gottheit tief verborgen. Das Geheimnis der Eucharistie im Licht großer Hymnen, Freiburg 2006, 148f. 102 L Ü S T R A E T E N , Verortung (wie Anm. 96), 34. 103 Das war durchaus üblich für die Gebete dieser Zeit, vgl. Ruth W I E D E R K E H R , Fürbitterin, Gnadenmutter und Belehrende. Maria im Sarner Gebetbuchbestand, in: Eva V O N R O ‐ T H E N B E R G E R - Lydia W E G E N E R (Hgg.), Maria in Hymnus und Sequenz. Interdisziplinäre mediävistische Perspektiven (Liturgie und Volkssprache 1), Berlin 2017, 89-109, hier: 101. 104 Vgl. Z E R F Aẞ , Nightfever (wie Anm.-89), 626. 4.2 Der Text Das Gebet besteht aus einer einzigen Strophe aus fünf Versen, möglicherweise ursprünglich sogar nur vier, die im trochäischen Versmaß kreuzgereimt sind und sich sowohl in der Mittelzäsur als auch am Zeilenende reimen. 100 Dabei reimt sich jeweils ein maskulines Partizip Perfekt Passiv auf ein maskulines Partizip Perfekt Passiv in der Mittelzäsur als auch ein Ablativ Singular der konsonantischen Deklination auf einen Ablativ Singular der konsonantischen Deklination am Zeilenende. Literarisch ist das Gebet somit „von höchster Einfachheit“ 101 und kann schnell auswendig gelernt werden. Die Kürze des Gebets lässt auch eine Rezitation während der Elevation zu. Im Folgenden wird der Wortlaut des Mainzer Fragments wiedergegeben: 102 1 „Aue uerum corpus natum ex maria virgine - „Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren aus der Jungfrau Maria, 2 Uere passum immolatum in cruce pro homine - wahrhaft gelitten, geopfert am Kreuz für den Menschen. 3 Cuius latus perforatum uero fluxit sanguine - Dessen Seite durchbohrt, wahrhaft von Blut floss, 4 Esto mihi pregustatum mortis in examine - Sei mir ein Vorgeschmack in der Prü‐ fung des Todes 5 O dulcis o pie o fili marie - O süßer, o gnädiger, o Sohn Mariens. 6 miserere mei amen.“ - Erbarm dich meiner. Amen.“ Die Mainzer Fassung ist im Singular formuliert, war also tatsächlich als stilles Gebet des oder der Einzelnen während der Elevation vorgesehen, 103 wobei die Kommunion nicht nur durch den Singular individualisiert erscheint, sondern auch dadurch, dass der Kommunionempfang für die individuelle Sterbestunde vorbehalten bleibt. 104 Das Erbe Berengars im Kirchenlied 375 <?page no="376"?> 105 Vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm.-54), 341. 106 Vgl. S T O C K , Lateinische Hymnen (wie Anm.-95), 234. 107 Vgl. Z E R F Aẞ , Wahrer Leib (wie Anm. 1), 1136. 108 Vgl. D U M O U T E T , Christ selon la Chair (wie Anm.-77), 170. 109 Vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm.-54), 342. 110 Vgl. Z E R F Aẞ , Wahrer Leib (wie Anm. 1), 1136. 111 Das gab immer wieder Anlass für Polemik, vgl. Karl H A M M E R , „Ave verum corpus …“. Ein Gebet auch für Protestanten? , in: Acta Mozartiana-13 (1966), 61-68, hier: 63. 112 Sehr wahrscheinlich gab es zum Zeitpunkt der Abfassung des Ave Verum noch keine Elevation des Kelches, vgl. B R E U E R , Lateinische Eucharistiedichtung (wie Anm. 54), 341. 113 Vgl. ebd., 323. Das Gebet beginnt mit der Begrüßung des wahren Leibs, die in der Formu‐ lierung nur verständlich ist, wenn ein unmittelbarer Blickkontakt besteht. 105 Dieser wahre Leib wird sodann über Attribuierungen mit Glaubensaussagen näher identifiziert: Er wurde von der Jungfrau geboren, hat gelitten, ist am Kreuz gestorben und wurde an der Seite durchbohrt. 106 Die Formulierung lässt dabei keinen Zweifel an der Identität von historischem und eucharistischem Leib. In Zeile 4 wird dann die eigentliche Bitte angesprochen und der Kommunion‐ empfang thematisiert, wobei der Wortlaut vom Regelfall der Augenkommunion ausgeht und die sakramentale Kommunion nur für die Wegzehrung bei den Sterbesakramenten vorsieht. 107 Diese Bitte um Beistand in der Todesstunde ist ein relativ typisches Thema der Elevationsgebete, 108 und stets geht es implizit darum, dass die Messfeier selbst nicht mehr notwendig in eine Kommunion mündet, sondern vielmehr die regelmäßige Augenkommunion vor einem un‐ vorbereiteten Tod bewahren soll. 109 Zeile 5 wechselt dann wieder zurück in die Anrufung Christi, wobei die offensichtlichen Parallelen zum Salve Regina einerseits und der Bruch mit dem Reimschema andererseits die Vermutung na‐ helegen, dass es sich hierbei um einen sekundären Zusatz handelt. 110 Auffällig ist an dem Text daneben auch noch, was alles fehlt: Nicht nur fehlen die Bezüge auf die Gemeinschaft und auf die Kommunion der konsekrierten Hostie, außerdem werden auch der Name Christi nicht genannt 111 und der Kommunionkelch nicht erwähnt. 112 Dass - ähnlich wie auch bei anderen Elevationsgesängen 113 - insbesondere die Wirklichkeit und die Wahrhaftigkeit der Wesensverwandlung hervorge‐ hoben werden, dürfte der Rezeption des Eids Berengars geschuldet sein. Wie im Eid Berengars wird auch im Wortlaut des Ave Verum insbesondere die Realprä‐ senz betont, wobei ein wesentliches Stilmittel die Nennung von Ereignissen der Heilsgeschichte ist: 376 Martin Lüstraeten <?page no="377"?> 114 Vgl. ebd., 341; C A N T A L A M E S S A , Gottheit tief verborgen (wie Anm.-101), 150f. 115 Vgl. Youri D E S P L E N T E R , Al aertrijc segt lofsanc. Middelnederlandse verrtalingen van Latijnse hymnen en sequensen. Band-I: Studie, Gent 2008, 135. 116 Vgl. M E Y E R , Elevation (wie Anm. 47), 185; Franz J. M O N E , Lateinische Hymnen des Mittelalters. Band-1: Lieder an Gott und die Engel, Aalen 1964, 280. 117 Vgl. B R O W E , Verehrung der Eucharistie im Mittelalter (wie Anm.-79), 149f. Eid Berengars von 1079 Ave Verum Ego Berengarius corde credo et ore confiteor, panem et vinum, quae ponuntur in altari, per mysterium sacrae orationis et verba nostri Redemptoris substantialiter converti in veram et propriam ac vivificatricem carnem et sanguinem Iesu Christi Domini nostri - - et post consecrationem esse verum Christi corpus, quod natum est de Virgine et quod pro salute mundi oblatum in cruce pe‐ pendit, et quod sedet ad dexteram Patris, et verum sanguinem Christi, qui de latere eius effusus est, non tantum per signum et virtutem sacramenti, sed in proprietate naturae et veritate substantiae. - Aue uerum corpus natum ex maria virgine Uere passum immolatum in cruce pro homine Cuius latus perforatum uero fluxit sanguine Esto mihi pregustatum mortis in examine O dulcis o pie o fili marie miserere mei amen. Die jeweils genannten Ereignisse stimmen dabei überein, 114 was eine direkte Beeinflussung wahrscheinlich erscheinen lässt. Der Eid Berengars wäre somit zu einem - zumindest informellen - Teil der Messliturgie geworden. 4.3 Die Rezeption im Kirchenlied Die für das Mainzer Fragment bereits nachgewiesene volkssprachliche Über‐ setzung des lateinischen Reimgebets wird spätestens im 14. Jahrhundert zum Regelfall zumindest in privaten Andachtsbüchern. 115 Etwa zeitgleich entstanden auch die Vertonungen dieser Texte, wobei hierfür der lateinische Wortlaut zugrunde gelegt wird. Die sehr populäre Vertonung durch Wolfgang Amadeus Mozart soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ave Verum in verschiedenen Ländern zur Elevation gesungen wurde, also gewissermaßen als Einschaltung zwischen Sanctus und Benedictus. 116 Darüber hinaus fand es Verwendung auch bei Aussetzungsmessen. 117 Mit dem Ausgang des Mittelalters jedoch wird die Das Erbe Berengars im Kirchenlied 377 <?page no="378"?> 118 Vgl. J U N G M A N N , Missarum Sollemnia (wie Anm.-87), 270. 119 Im österreichischen Eigenteil wird es als zweizeiliger Kehrvers zur Kommunion geführt, allerdings nur die erste Zeile des originären Wortlauts auf Latein und deren deutsche Übersetzung. Die Melodie wurde dem „Geistlichen Liederheft“ von 1939 entnommen, vgl. Gotteslob. Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Österreichs, Wien 2013, 787. Nahezu identisch taucht es auch im Eigenteil von Bozen-Brixen auf, dort jedoch ohne den lateinischen Wortlaut, also nur mit der deutschsprachigen Übersetzung der ersten Zeile, vgl. Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Bozen-Brixen, Stuttgart 2013, 798. 120 Vgl. Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Gemeinsamer Eigenteil mit der Erzdiözese Freiburg, Ostfildern 2013, 877; Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Würzburg, Würzburg 2013, 848; Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Trier, Trier 2013, 793; Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Speyer, Annweiler 2013, 853; Gotteslob. Ausgabe für die Erzdiözese Bamberg, Bamberg 2013, 873; Gotteslob. Ausgabe für das Erzbistum Köln, Stuttgart 2013, 843; Gotteslob. Ausgabe für die Erzdiözese München und Freising, Regensburg 2013, 811; Gotteslob. Ausgabe für das Bistum Passau, Stuttgart 2013, 875. 121 Vgl. Gotteslob. Ausgabe für die Diözese Regensburg, Regensburg 2013, 748. 122 Gotteslob Köln (wie Anm.-120), 843. Begrüßung des Leibs bei der Elevation unüblicher und die Elevation zunehmend still vollzogen. 118 Das Ave Verum verblieb als Begrüßungsgesang bei Ausset‐ zungsgottesdiensten, dann selbstredend im Plural formuliert. Als Kirchenlied ist es auch heute noch in deutscher Übersetzung in einigen Diözesananhängen zum neuen „Gotteslob“ enthalten 119 und wird dort in der Rubrik „Eucharistie“ 120 bzw. „Kommunion“ 121 geführt. Beides ist mindestens pro‐ blematisch, da der Text immer noch eine Begrüßung ist, die an die konsekrierten Gaben gerichtet ist. Das Lied vor dem Eucharistischen Hochgebet zu singen, ist also nicht stimmig, es als Danklied nach der Kommunion zu singen aber auch nicht. Am ehesten dürfte es nach wie vor seinen Platz bei der eucharistischen Anbetung haben. Der Text geht zurück auf Heinrich Bone, jedoch verweisen die Angaben in den verschiedenen Eigenteilen auf je unterschiedliche Ausgaben seines Gesangbuchs. Die älteste Form wird im Kölner Diözesananhang aufgegriffen und unterscheidet sich signifikant von den anderen Fassungen dadurch, dass die O-Rufe der fünften Zeile übernommen wurden: „Wahrer Leib, sei uns gegrüßet, den Maria uns gebar; der am Kreuz für uns gebüßet, das Versöhnungsopfer war! Blut und Wasser aus dir fließen, da dein Herz durchstochen war. Gib uns, dass wir dich genießen in der letzten Todsgefahr! O gütger Jesu, o milder Jesu, o Jesu, du Sohn Gottes und der Jungfrau Maria! “ 122 Die übrigen Fassungen geben als Entstehungsjahr 1882, 1888 oder 1892 an und beziehen sich damit wohl auf Joseph Mohrs „Lasset uns beten! “ von 1881, das 378 Martin Lüstraeten <?page no="379"?> 123 Gotteslob Bamberg (wie Anm.-120), 873. 124 Im Speyerer Diözesananhang wurde die Melodie jedoch nach B-Dur transponiert, möglicherweise weil man von einem Vortrag durch Blechblasinstrumente ausgeht. dann auch in verschiedenen Bistümern Diözesangesangbuch wird. Sie stimmen aber im Wesentlichen überein: „Wahrer Leib, sei uns gegrüßet! Dich Maria uns gebar: Du hast unsre Schuld gebüßet, sterbend auf dem Kreuzaltar! Blut und Wasser sind geflossen, als dein Herz durchsto‐ chen war; sei zum Heil von uns genossen in der Todesstund Gefahr! “ 123 Die Abweichung von der ursprünglichen lateinischen Fassung, dass „Blut und Wasser“ geflossen seien, geht bereits auf Eingriffe im lateinischen Wortlaut zurück, die das Wasser ergänzten. Etwas unglücklich ist Bones Übersetzung mit „sterbend auf dem Kreuzaltar“: Die lateinische Fassung spricht vom Kreuz und betont damit in enger Anlehnung an Berengars Eid die Identität von historischem und eucharistischem Leib Christi. Möglicherweise hat Bone seine Übersetzung gewählt, um somit das Geschehen am Kreuz und das Geschehen auf dem Altar zu parallelisieren, was der ursprünglichen Intention durchaus entspricht. Der Begriff „Kreuzaltar“ bezeichnete jedoch im allgemeinen Sprach‐ gebrauch den Altar, der in den Klöstern und Kathedralen vor dem Lettner aufgestellt wurde und somit für die Gemeinde einsehbar war. Wenn man Bones Übersetzung als genaue Lokalisierung der Wandlung im Kirchenraum versteht, tritt das Passionsmotiv sehr stark in den Hintergrund. Als Melodie dient meist die aus Joseph Mohrs „Lasset uns beten“ von 1881, 124 Köln, Trier und Rottenburg-Stuttgart verwenden jedoch jeweils eigene Melodien. Lediglich die Fassung des Kölner Diözesananhangs belässt es bei der Über‐ setzung von Heinrich Bone. Alle übrigen Diözesananhänge ergänzen noch eine zweite Strophe auf der Basis von Joseph Mohrs „Lasset uns beten! “ (1881) bzw. sein „Psälterlein“ (1891): Göttlich Blut, für uns vergossen Aus des Heilands Wunden rot! Du den Himmel hast erschlossen, Uns erlöst vom ew’gen Tod. Herr! der Feind von allen Seiten Mit Gewalt und Arglist droht; Hilf uns beten, hilf uns streiten, Stärk uns in des Sterbens Not! O Jesus, mild gesinnt, Das Erbe Berengars im Kirchenlied 379 <?page no="380"?> 125 Ludwig D E P O N T E - Joseph M O H R , Im Kreuze Heil! Betrachtungen über das Leiden Jesu Christi, Regensburg 1888, 323. 126 Z E R F Aẞ , Wahrer Leib (wie Anm. 1), 1136. 127 Vgl. Joseph M O H R , Cäcilia. Katholisches Gesang= und Gebetbuch, Regensburg 9 1878, 416f. 128 Gotteslob Trier (wie Anm.-120), 793. Marias süßes Kind, Erbarme dich unser! 125 Mit dieser zweiten Strophe wird „die Spannung zwischen Heilsgewissheit und bleibender Bedrohung durch die Todesangst aus der ersten Strophe“ 126 fortgeschrieben. Die eigentliche Motivation dürfte aber vor allem gewesen sein, dass parallel zur Begrüßung des konsekrierten Brotes mit der zweiten Strophe der konsekrierte Wein begrüßt werden sollte. Diese Parallelität der Strophen für Leib und Blut Christi war im Mittelalter üblich, setzt jedoch bereits die Elevation des Kelches voraus. Joseph Mohr wird sie genau zu dem Zweck verfasst haben. Damit eignet sich die zweite Strophe aber nicht als Gesang zur eucharistischen Aussetzung. Einen eigenen Weg geht der Trierer Diözesananhang, der die Melodie aus Joseph Mohrs „Cäcilia“ 127 nimmt. Der Text stammt aus dem Trierer Gesangbuch von 1846: „Wahrer Leib, o sei gegrüßet, den Maria uns gebar, der für unsre Schuld gebüßet und am Kreuz das Opfer war! Ja, du bist es, der durchstochen Blut und Leben gab für mich; du hast Satans Macht gebrochen, und durch dich hab Leben ich. O milder, o gütiger, o süßer Jesus, o du Sohn Mariä! Heilges Gastmahl, sei gegrüßet! Du lebendges Himmelsbrot, welches alles Leid versüßet, Stärkung gibt in jeder Not! Wenn in Todesangst ich liege, dann, o Jesus, stärke mich, dass ich nach erkämpftem Siege dich genieße ewiglich! O milder, o gütiger, o süßer Jesus, o du Sohn Mariä! “ 128 Diese Übersetzung verwendet den Singular und individualisiert damit die Heilswirkung des Passionsgeschehens. Gegenüber der Vorlage werden neue Motive ergänzt, wodurch sich das Lied auf zwei Strophen aufteilt: Die Inhalte von Zeile-5 werden in der zweiten Strophe aufgegriffen. Damit hat es ein Text in das Gotteslob geschafft, der wesentlich durch dein Eid Berengars beeinflusst ist. 380 Martin Lüstraeten <?page no="381"?> 1 Zur internen Abgrenzung der verschiedenen Arbeitsgruppen, insbesondere von Ar‐ beitsgruppe 2, wurde vereinbart, dass als Gegenstand der Arbeitsgruppe 1 unter Liedern Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 Richard Mailänder 1 Einleitung Vergleicht man das Gotteslob 1975 (GL 1) mit dem Gotteslob 2013 (GL 2), dann fällt in Bezug auf den Gegenstand dieses kleinen Artikels auf, dass die Zahl der Hymnen deutlich gestiegen ist, um ca. 100 Prozent. In kaum einem anderen Liedbereich des Gotteslobes dürfte es eine solche Erweiterung gegeben haben, auch wenn es eine Reihe neuer Rubriken im Gotteslob 2013 gibt. Als Berater der Unterkommission Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch (GGB) der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz war Ansgar Franz eng in die Arbeiten am Gotteslob einbezogen. Und so gibt es eine Reihe von Elementen im Gotteslob, von der Gliederung des Buches bis zu einzelnen Liedern und Gesängen, bei denen er eine große Rolle gespielt hat. Und ohne den genauen Diskussionsprozess innerhalb der Berater mit der Unterkommission zu kennen, vermute ich, dass auch er einen gewissen Anteil daran hat, dass sich die Zahl der Hymnen so deutlich geändert hat. Der folgende Beitrag geht dezidiert nicht auf die Frage ein, was ein Hymnus ist, auch wenig auf die verschiedenen Textfassungen, sondern will im Wesent‐ lichen einen kleinen Einblick in die Werkstatt der Arbeitsgruppe 1 (AG1 - Lieder) geben und aufzeigen, wie bei den Entscheidungen zur Setzung der Verbindungen von Text und Melodie bei den Hymnen vorgegangen wurde. 2 Vorbereitende Arbeiten In der ersten Arbeitssitzung im Juli 2004 wurden einerseits die Ergebnisse der Akzeptanzerhebung zum Gotteslob 1975 ausgewertet, andererseits alle Lieder des Gotteslob diskutiert. 1 In einem zweiten Arbeitsschritt wurden wei‐ <?page no="382"?> strophisch-metrische Gesänge zu verstehen sind. Obwohl die Arbeitsgruppe 2 den Gregorianischen Choral u.a. bearbeitete, wurden die lateinischen Hymnen von der AG 1 beraten. 2 Johannes W A G N E R - Siegfried S C H M I T T (Hgg.), Registerband zum Stundenbuch - Die Feier des Stundengebetes, Freiburg 1990, 265-291. Erstaunlich war die Tatsache, dass zwei Gesänge als Hymnen wiedergegeben werden, die von ihrer Geschichte her Sequenzen sind: Stabat Mater (Christi Mutter stand in Schmerzen, GL 532) und Veni Sancte Spiritus (Komm herab, o heiliger Geist, GL 344). Nicht unter den Hymnen aufgeführt wird in dieser Liste jedoch die Übertragung des Te Deum, etwa in Gestalt des Liedes Großer Gott, wir loben dich, GL 380. 3 Die dortigen Quellenangaben zu den einzelnen Texten wurden für die Quellenangaben im Gotteslob übernommen. 4 L I T U R G I S C H E I N S T I T U T E T R I E R , S A L Z B U R G , Z Ü R I C H (Hgg.) in Zusammenarbeit mit den Mönchen der Abtei Münsterschwarzach, Antiphonale zum Stundengebet, Münster‐ schwarzach 8 2002. tere Recherchen angestellt. Zu diesen gehörte die Auswertung sämtlicher Gesangbücher, die von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut (AÖL) verwendet werden, aller Eigenteile des Gotteslob 1975 und deren Erweite‐ rungen, aber auch internationaler Gesangbücher, sowohl aus Osteuropa wie aus dem insbesondere englischsprachigen und skandinavischen Raum. Insgesamt wurden über 3.000 Lieder diskutiert. Des Weiteren wurde das Stundenbuch ausgewertet auf der Suche nach Hymnen, die in das Gotteslob aufgenommen werden können. Für die Quellen der Hymnentexte wurde der „Registerband zum Stundenbuch“ wichtig. 2 Die Auswahl der Gesänge, über die in diesem Artikel berichtet wird, bezieht sich auf diese Liste von Hymnen. 3 Bei der Auswahl der Hymnen waren wir bemüht, alle Aspekte des Kirchenjahres und kirchlichen Lebens zu berücksich‐ tigen. Bezüglich der Textfassungen ist die AG 1 nicht selber gestaltend vorge‐ gangen, sondern hat im Wesentlichen die Textfassungen aus den liturgischen Büchern übernommen und als gegeben vorausgesetzt. Sehr viel anders sah es mit den Melodiefassungen aus. Auch wenn es zu nahezu allen Texten Melodievorschläge gab, insbesondere im „Antiphonale zum Stundengebet“ 4 , so hatte doch die Akzeptanzerhebung zum Gotteslob gezeigt, dass Melodien im Typus derjenigen aus dem Antiphonale, wie sie bereits im Gotteslob vertreten waren, mehrheitlich nicht als beliebt gewertet wurden. Dies bedeutet keinerlei Einschränkung gegenüber der hohen Wertschätzung, die diese Melodien aufgrund ihrer Qualität genießen. Somit gab es nach der Auswahl der Texte Hymnen mit Melodien, die übernommen wurden, und Hymnen, zu denen neue Melodien gesucht werden mussten. Darüber hinaus gab es eine kleine Gruppierung von Liedern, deren Melodie oder Text geändert wurde. 382 Richard Mailänder <?page no="383"?> 5 Anmerken möchte ich jedoch, dass es wohl keine Strophe gab, über die in der gesamten Arbeit der AG 1 so intensiv diskutiert wurde wie über den Text aus der 5. Strophe dieses Hymnus. Gegenstand der Diskussion war der Vers „et antiquum documentum novo cedat ritui“, insbesondere die Thurmair-Übertragung in GL1: „Das Gesetz der Furcht […]“. 6 Der Änderungsvorschlag, den die AG 1 ursprünglich befürwortet hatte, lautete „Gott heißt jeden von uns Kind, der dich Mutter nennt“ - so war der Text bereits in der kleinen Gotteslob-Revision 1993/ 95 verändert worden. 3 Änderungen von Hymnen gegenüber Gotteslob 1975 3.1 Christus, du bist der helle Tag (GL 90) Da die Koloraturen für den Gemeindegesang nicht einfach sind, wurde die abschließende Koloratur auf der drittletzten Silbe von sechs Tönen auf vier verkürzt, um sie leichter singbar zu machen. 3.2 Preise, Zunge, das Geheimnis (GL 493) Diesen Hymnus erwähne ich an dieser Stelle lediglich mit dem Hinweis darauf, dass der Text komplett überarbeitet wurde 5 . Melodisch wurde jedoch nichts geändert. 3.3 Nun bitten wir den Heiligen Geist (GL 348) Die Textfassung der 4. Strophe, 4. Zeile „und im Frieden als Brüder uns finden“ wurde gendergerecht geändert in „und als Schwestern und Brüder uns finden“. 3.4 Eine große Stadt ersteht (GL 479) Ähnlich wie bei Nun bitten wir den Heiligen Geist gab es auch hier Kritik an der Fassung der 4. Zeile der 2. Strophe „Gott heißt jeden Sohn und Kind, der dich Mutter nennt“. Durch den Verein zur Herausgabe des katholischen Gesangbuchs der Schweiz wurde rechtlich erwirkt, dass dieser Text geändert werden musste in „Gott heißt Tochter, Sohn und Kind, der dich Mutter nennt“. 6 Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 383 <?page no="384"?> 7 Bemühungen, die Melodiequelle zu verifizieren, blieben erfolglos. So wurde die Quel‐ lenangabe aus GL 1 übernommen. 8 Auch wenn sich der Hymnus im Stundenbuch findet, wird er im Registerband zum Stundenbuch nicht aufgeführt. 3.5 Du Sonne der Gerechtigkeit (GL 269) Ebenfalls aus dem GL 1 übernommen wurde der Hymnus Christus, du Sonne unsres Heils, jedoch in GL 2 dem 2013 aktuellen Stundenbuch folgend mit dem Incipit Du Sonne der Gerechtigkeit. 7 4 Unverändert übernommene Hymnen Unverändert übernommen wurden: 1. Ave, maris stella (GL 520) 2. Bevor des Tages Licht vergeht (GL 663) 3. Gott, heilger Schöpfer aller Stern (GL 230) 4. Komm, du Heiland aller Welt (GL 227) 8 5. Komm, Heilger Geist, der Leben schafft (GL 342) 6. Pange, lingua, gloriosi (GL 494) 7. Tantum ergo sacramentum (GL 496) 8. Veni, creator Spiritus (GL 341) 5 Neue Melodien Folgende Hymnen finden sich im Gotteslob 2013 neu: 1. Christus, du Herrscher (GL 370) 2. Christus, du Licht vom wahren Licht (GL 546) 3. Der Erde Schöpfer und ihr Herr (GL 469) 4. Der König siegt, sein Banner glänzt (GL 299) 5. Die Nacht ist vergangen (GL 83) 6. Du große Herrin, schönste Frau (GL 648) 7. Du, Herr, hast sie für dich erwählt (GL 547) 8. Du Licht des Himmels, großer Gott (GL 615) 9. Erhabene Dreifaltigkeit (GL 353) 10. Heiteres Licht (GL 660) 11. Hört, eine helle Stimme ruft (GL 621) 12. Jerusalem, du neue Stadt (GL 338) 13. Nun ist sie da, die rechte Zeit (GL 638) 384 Richard Mailänder <?page no="385"?> 9 Catholisch Gesangbuch/ voller Geistlicher Lieder vnd Psalmen/ der alten Apostolischer recht vnd warglaubiger Christlicher Kirchen/ so vor vnd nach der Predigt/ auch bey der H. Communion/ vnd sonst in dem haus Gottes/ zum theil auch inn vnd vor den Heusern/ doch zu gewönlichen zeitten/ durchs gantze Jahr/ ordentlicher weis nach Catholischer Kirchen Melodey/ mögen sicher gesungen werden […] Durch Den Ehrwirdigen Herrn Johan: Leisentrit den Eldern Thumdechant zu Budissin […] Bautzen 1584. 10 So die Quellenangabe der AÖL, im GL 1 und 2 und in Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z - Jürgen H E N K Y S - Hermann K U R Z K E - Christa R E I C H - Alex S T O C K , Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 372. Das Textincipit bei Leisentrit lautet Nu wol Gott das unser gesang (S.-55f.). 14. Gott, dein Wille schuf die Welt (GL 628) 15. O selger Urgrund allen Seins (GL 359) 16. Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet (GL 275) 17. Tod und Vergehen (GL 656) 18. Zum Mahl des Lammes schreiten wir (GL 652) 6 Die Quellen, aus denen die AG 1 sich auf ihrer Suche nach neuen Melodien bedient hat 6.1 Bereits vorhandene Melodien 6.1.1 Übernahme bereits verwendeter Melodien im Gotteslob Es gibt im Gotteslob, wie in vielen anderen Gesangbüchern, Melodien, die nicht eindeutig einem Text zuzuordnen sind, weil sie mehrfach verwendet und jahreszeitlich als neutral empfunden werden. Dazu gehört z.B. die Melodie von Valet will ich dir geben, die wir im Gotteslob an mehreren Stellen finden, z.B. zu den Texten Du hast, o Herr, dein Leben (GL 185), Den Engel lasst uns preisen (GL 540) oder Den Herren will ich loben (GL 395). Dies gilt auch für die Melodie, die aus dem Gotteslob 1 bekannt war zum Text Ihr Christen, hoch erfreuet euch, die nun eine Zweitverwendung findet als Melodie zum Text Christus, du Licht vom wahren Licht (GL 546) und eine weitere zum Text Du Licht des Himmels, großer Gott (GL 615). Dabei handelt es sich um eine Melodie, die auf das Gesangbuch von Johann Leisentrit aus dem Jahre 1584 9 zurückgeht, in einer Bearbeitung von Erhard Quack aus dem Jahre 1941 10 . Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 385 <?page no="386"?> 11 Paul N O R D H U E S - Alois W A G N E R (Hgg.), Redaktionsbericht zum „Gotteslob“, Paderborn 1988, 632. 12 Vgl. B E C K E R u.a., Geistliches Wunderhorn (wie Anm. 10), 372. 13 Wie Anm. 4. Unschwer zu erkennen ist, dass die Bearbeitung dieser Melodie durch Quack in dieser ersten Zeile massiv ist, ja bis auf die Quart nach unten wenig Ähnlichkeit hat mit der Fassung im GL. Allerdings ist die zweite Hälfte der Melodie nahezu identisch mit dem Original. Laut Redaktionsbericht zum GL 11 wurde die Melodie durch Joseph Mohr in seinem Psälterlein 1891 erstmalig der Himmelfahrtsthematik zugeordnet. Die in GL 1+2 abgedruckte Fassung erscheint in dieser Kombination erstmalig in dem 1941 publizierten Anhang zum Speyerer Diözesangesangbuch „Salve Regina“. 12 Ein anderes Beispiel ist der Hymnus O selger Urgrund allen Seins (GL 359), für den auf eine Melodie von Nikolaus Herman zurückgegriffen wird, die sich bereits im Gotteslob 1975 fand zum Text Wir danken dir, Herr Jesu Christ (GL 297). Die Idee dahinter war: Die Texte sind neu, die Melodien werden nicht allzu häufig gesungen und sind auch thematisch nicht eindeutig belegt. Somit lässt sich die Melodie, einmal gelernt, mehrfach im Jahr verwenden, so dass auch der Hymnus mehr Chancen hat, des Öfteren gesungen zu werden, auch wenn die Texte neu sind. 6.1.2 Antiphonale zum Stundengebet Die einzige aus dem Antiphonale zum Stundengebet 13 neu entnommene Melodie gehört zu dem in beeindruckender Weise mit dem Wort verbundenen Hymnus Die Nacht ist vergangen (GL 83). Wie die aufgehende Sonne steigt die Melodie nach oben, kulminierend mit dem Wort „steigenden“, bevor sie sich wieder in die Mitte zurückbewegt. Aus der Melodie eines gregorianischen Chorals hervorgegangen und mit dieser Melodie auch im Antiphonale versehen ist der Hymnus Der König siegt, sein Banner glänzt (GL 299). Der Text ist die für das Stundenbuch angefertigte Übertragung des Textes Vexilla regis prodeunt, zu dem auch die Choralmelodie gesungen wurde, wie sie sich im Antiphonale findet: 386 Richard Mailänder <?page no="387"?> 14 Choral=Buch für den katholischen Gottesdienst mit besonderer Rücksicht auf das Gesangbuch vom Pfarrer Lütkenhaus […] Münster 1846. 15 C A N A D I A N C O N F E R E N C E O F C A T H O L I C B I S H O P S (Hg.), Catholic Book of Worship, Ottawa 1994. Die in GL 2 befindliche Melodiebearbeitung geht zurück auf eine Fassung Münster 1846 14 . 6.1.3 Übernahme aus anderen Gesangbüchern Insbesondere im Gesangbuch „Catholic Book of Worship“ 15 fanden sich eine Reihe von Melodien, die die AG gesammelt hatte und zu den neuen Hymnen im GL 2 einsetzte. Dies gilt etwa für den Hymnus Der Erde Schöpfer und ihr Herr (GL 469). In der kanadischen Publikation findet sich diese Melodie unter der Nummer-485 zum Text Lord God and maker of all things in f-moll. Ein weiterer Hymnus wurde mit einer Melodie aus diesem kanadischen Gesang‐ buch versehen, um den es einige Diskussionen gab. Es handelt sich um den Hymnus Du, Herr, hast sie für dich erwählt (GL 547). Mit dem Incipit O Sun of Justice erscheint diese Melodie in Kanada: Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 387 <?page no="388"?> 16 The United Methodist Hymnal - Book of United Methodist Worship, Nashville, Tennessee 3 1989. 17 (E R Z -)B I S C H Ö F E D E U T S C H L A N D S U N D Ö S T E R R E I C H S U N D B I S C H O F V O N B O Z E N -B R I X E N (Hgg.), Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch - Probepublikation für ausgewählte Gemeinden, Stuttgart 2007. 18 Ebd., Nr. 113,2; der Tatsache, dass gleich vier Melodieversionen angeboten wurden, ist zu entnehmen, dass die AG zu dem Zeitpunkt keine wirklich überzeugende Lösung anbieten konnte. 19 Hymnal (wie Anm. 16), Nr.-463. Insbesondere die Berater hatten Einwände gegen diese Melodie: Sie sei zu festlich/ feierlich - durch die vielen Ligaturen, die in der Tat ein charakteristi‐ sches Merkmal für Feierlichkeit sind - und das Dreier-Metrum sei zu lebendig. Das Gegenargument war: Wenn wir einen solchen Text aus der Vesper für Jungfrauen als Hymnus neu einführen wollen, dann hat er nur dann eine Chance, gesungen zu werden, wenn er mit einer lebendigen Melodie verbunden ist, die auch etwas von der zweiten Strophe („Voll Freude zog sie mit dir ein“) zum Ausdruck bringen kann. Dem Gesangbuch „Hymnal“ 16 wurde die Melodie entnommen zu: O Gott, dein Wille schuf die Welt (GL 628). In der Probepublikation zum GL 2 17 war lediglich der Text aus dem Stundenbuch abgedruckt, mit Melodievorschlägen aus dem GL 1 (Nummern 279, 701, 559 oder 557). 18 Die Auswertung der Rückmeldungen zur Probepublikation zeigte, dass der Text sehr gut angenommen worden war. Daraufhin wurde nach einer geeigneten starken und prägnanten Melodie gesucht. Sie fand sich im „Hymnal“ unter dem Incipit Lord, speak to me: 19 Verblüffend war für uns die dortige Quellenangabe „Music: Adapt. from Robert Schumann, 1839“. Sollte Schumann etwa ein Kirchenlied geschrieben haben, das wir in Deutschland nicht kennen? Hilfe kam in dem Fall von der Robert-Schu‐ mann-Forschungsstelle in Düsseldorf. Die Melodie ist wirklich von Schumann 388 Richard Mailänder <?page no="389"?> 20 Im entsprechenden Wikipedia-Artikel findet sich zu diesem kleinen Werk folgende in unseren Zusammenhang passende Anmerkung: „Das letzte Stück […], ein schlichter Rundgesang, hat etwas Poetisch-Bilanzierendes. Es beendet den Zyklus mit einer zwischen Choral- und Volkston angesiedelten Melodie, die durch häufige Pausen unterbrochen und von einer Arpeggienbewegung der rechten Hand umspielt wird, die an eine-Lautenoder-Gitarrenbegleitung-erinnert“. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Nach tstücke_(Schumann) (Zugriff am 02.03.2023). 21 Hymns. Ancient & Modern. Revised, Canterbury 14 2005. 22 Ebd., 568. und entstammt einem kleinen Klavierwerk als vierte von vier Nummern, 1839 publiziert unter dem Titel „Nachtstücke“ op. 23,4 20 : Der Sammlung „Hymns. Ancient & Modern“ 21 wurde die Melodie zu Du große Herrin, schönste Frau (GL 648) entnommen. Dort ist sie veröffentlicht unter dem Text O Jesus, blessed Lord. 22 Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 389 <?page no="390"?> Durch die Mithilfe von Anne-Dore Harzer konnte die im englischen Buch angegebene Quelle P. Reinigius verifiziert werden, 1586 (nicht 1587) publiziert mit dem Textincipit O Gott Vater in Himmels Thron: Dem Evangelischen Gesangbuch (EG) entnommen ist die Melodie zum Hymnus Erhabene Dreifaltigkeit. Sie findet sich dort unter der Nummer 308 zum Incipit Mein Seel, o Herr, muß loben dich, einer Paraphrase des Magnificat. 390 Richard Mailänder <?page no="391"?> 23 Kirchenlied. Eine Auslese geistlicher Lieder, Berlin - Freiburg 1938. 24 Es handelt sich um die Rubrik zur österlichen Bußzeit. 25 Ebd., 61. Aufgrund der Tatsache, dass von der Seite der Berater angemerkt wurde, diese Melodie sei „für das Besingen des Geheimnisses der Trinität […] zu tänzerisch“, hat die AG 1 die Melodie in ein Zweier-Metrum überarbeitet, mit dem der Hymnus nun auch in GL 2 enthalten ist. Der Sammlung „Kirchenlied“ 23 wurde eine Melodie entnommen für einen Hymnus in der österlichen Bußzeit: Nun ist sie da, die rechte Zeit (GL 638). Zum Text im Abschnitt „Mir nach! Spricht Christus“ 24 steht zu dieser Melodie, hier notiert im 3/ 8-Takt, Komm, Sünder, komm, ich wart auf dich. 25 Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 391 <?page no="392"?> 26 In der englischsprachigen Hymnologie haben Melodien Namen, unabhängig vom unterlegten Text. 27 Wie Anm. 21. 28 Musicalisch Hand-Buch der Geistlichen Melodien à Cant. et Bass. Hamburg, Gedruckt bey Georg Rebenleins Wittwe. Anno 1690. Eine Melodie, die sofort im Thesaurus der unbedingt zu verwendenden Melodien der AG 1 landete, kannten fast alle Mitglieder der AG aus England: Es handelte sich um die Melodie mit dem Namen „Winchester New“ 26 . In „Hymns. Ancient & Modern“ 27 ist die Melodie mit den Texten On Jordan’s bank the Baptist’s cry (Advent, Nr. 27) und Ride on, ride on in majesty! (Passionszeit und Heilige Woche, Nr.-61) unterlegt. Da die Melodie im deutschen Sprachraum nahezu unbekannt ist, gab es auch keine jahreszeitliche Konnotation. In der Probepublikation war der Text des Hymnus Zum Mahl des Lammes schreiten wir mit der Melodie aus dem Antiphonale zum Stundenbuch veröffent‐ licht: Leider wurden weder Text noch Melodie von den Probanden sehr positiv bewertet. Nach Auffassung der Mitglieder der Unterkommission GGB und deren Beratern sollte auf den Text aber nicht verzichtet werden. So stellte sich die Aufgabe, zu einem Text, der nicht sehr gut rezipiert worden war, eine starke Melodie zu finden, die etwas von der österlichen Freude erfahren lässt. Sehr schnell wurde dann der Vorschlag gemacht, diesen Text mit „Winchester New“ zu verbinden. Gleichzeitig wurde angesichts der österlichen Thematik auch beschlossen, dass eine Tonart gewählt werden sollte, in der der Spitzenton der Melodie gleichzeitig auch der Spitzenton aller Melodien im GL 2 sein sollte - was dann auch umgesetzt wurde mit es''. Spannend war die Verifizierung der Quelle. In englischen Gesangbüchern wird als Quelle „Hamburg“ 1690 angegeben. Und mit der Hilfe von Anne-Dore Harzer konnte auch diese Quelle aufgefunden werden. In der Tat findet sich die Melodie in einem Hamburger Gesangbuch aus dem Jahre 1690 28 - zum Text Wer nur den lieben Gott lässt walten: 392 Richard Mailänder <?page no="393"?> 29 Im Internet einsehbar: https: / / vmirror.imslp.org/ files/ imglnks/ usimg/ 2/ 2c/ IMSLP37021 7-PMLP114751-Schütz_Becker_Psalmen_Davids.pdf (Zugriff am 01.03.2023), 603. 6.1.4 Weitere Einsendungen Durch die „Gemeinschaften von Jerusalem“ waren wir auf die Melodie zum 150. Psalm in der Vertonung des Beckerpsalters von Heinrich Schütz aufmerksam ge‐ worden. Die von Schütz verwendete Melodie zum 150. und damit das Psalmen‐ buch abschließenden Psalm 29 erschien der AG 1 ideal für einen Osterhymnus. Ausgewählt wurde dazu der Text Jerusalem, du neue Stadt (GL 338). Wie die erste Zeile bei Schütz zeigt, konnte die Melodie unverändert übernommen werden; anstelle der Breven wurden Viertelnoten gewählt. Nicht aus dem Repertoire des Antiphonale übernommen wurde die Melodie zum Text Du Sonne der Gerechtigkeit (GL 269). Stilistisch ist sie verwandt mit den Melodien des Antiphonale. Leider lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wer aus der AG 1 diese Melodie beigesteuert hat. Zwei weitere Hymnenmelodien, die unaufgefordert eingesendet wurden, gehören zu dieser Gruppe: Christus, du Herrscher (GL 370) von Reiner Schuhenn und Tod und Vergehen (GL 656) von Franz Forsthuber. Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 393 <?page no="394"?> 30 Johannes Z A H N , Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt, Gütersloh 2 1889, Nachdruck Hildesheim - Zürich - New York 1997. 6.1.5 Melodien aus Melodiesammlungen Den Prozess der Melodiefindung mit Hilfe von Melodiesammlungen kann man gut nachverfolgen am Beispiel des Hymnus Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet (GL 275). Dazu lag der AG eine Melodie vor Winfried Heurich vor. Diese überzeugte aber die Mehrheit der Mitglieder nicht. So wurden weitere Vorschläge gemacht, im konkreten Fall mit Hilfe der Sammlung von Johannes Zahn. 30 Diese waren: (Melodie nach Vopelius 1682 [Zahn 972]) (Melodie nach Klein 1785 [Zahn 1006]) 394 Richard Mailänder <?page no="395"?> 31 Leider ließ sich auch diese Quelle nicht verifizieren. (Melodie nach Egli aus dem Zürcher Gesangbuch von 1787 [Zahn 1009]) Keine dieser Fassungen konnte überzeugen. Ein weiterer Vorschlag war dann die Melodie von Lobet den Herren, alle die ihn ehren (GL 81). Auch wenn Melodie und Text einander gut entsprechen, wurde von der Seite der Berater angemerkt, dass diese Melodie zu sehr mit dem Morgenlied Paul Gerhardts verbunden sei; ein weiterer Vorschlag war, den Text mit der Melodie von Herzliebster Jesu (GL 290) zu verbinden. Aber auch dieser Vorschlag fand keine Mehrheit. Durch Zufall stießen wir dann auf die Melodie mit der Quellenangabe „Paris 1681“ 31 , die nun abgedruckt ist. 6.2 Hymnenmelodien durch Mitglieder der Arbeitsgruppe In einigen wenigen Fällen sah die AG 1 die Notwendigkeit, selbst kreativ zu werden, da die vorliegenden Melodievorschläge nicht ausreichend überzeugten. Zwei Melodien betrifft dies im Bereich der Hymnen: Hört, eine helle Stimme ruft (GL 621) von Christian Dostal und Heiteres Licht (GL 660). Während Dostal die Melodie zu einer Sitzung mitbrachte, entstand die musikalische Fassung von Heiteres Licht spontan in einer Sitzung: Sehr gewünscht wurde der Hymnus Heiteres Licht vom herrlichen Glanze nach dem wohl aus vorkonstantinischer Zeit stammenden Phos hilaron in der Übertragung von Maria Luise Thurmair. Dieser Hymnus hat das Problem, dass er zwar strophisch ist, aber nicht metrisch. Jede Strophe hat zum Teil eine extrem abweichende Anzahl von Silben gegenüber anderen Strophen, so dass es nahezu unmöglich erscheint, eine sinnvolle strophisch-metrische Melodie dazu zu finden. So entstand in der Arbeitsgruppe die Idee, den Gesang zu gestalten Auf der Suche nach Melodien der Hymnen für das Gotteslob 2013 395 <?page no="396"?> 32 Richard M A I L Ä N D E R - Winfried B Ö N I G - Emmanuela K O H L H A A S - Reiner S C H U H E N N (Hgg.), Kölner Chorbuch - Abendlob/ Evensong, Stuttgart 2004, 78. in der Art des Hymnus Sei gegrüßt, Herr Jesus (Kölner Chorbuch, Nr.-45 32 ) oder der Marienlob-Litanei (GGB 567). Dabei geht die Oberstimme stufenweise von d bis zum Spitzenton c und steigt über fast dieselben Töne wieder abwärts. Auf diese Art und Weise ist sie sehr einfach zu erlernen. Dieser einfachen Melodie wurden zusätzlich Akkorde unterlegt nach orthodoxer Tradition. 396 Richard Mailänder <?page no="397"?> 1 Gustav A. K R I E G , Das Kirchenlied zwischen Traditionalismus und Säkularismus, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 34 (1992/ 94), 22-56. 2 Hermann K U R Z K E , Kirchenlied und Literaturgeschichte. Die Aufklärung und ihre Folgen, in: D E R S ., Kirchenlied und Kultur (Mainzer Hymnologische Studien 24), Tü‐ bingen 2010, 152-160, hier: 155. Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion Andreas Marti 1 Fragestellung: Literatur und Gebrauchstext „Das Kirchenlied ist eine Gestalt der Kunst“. So beginnt Gustav A. Krieg seinen Aufsatz über das Kriterienproblem in der Hymnologie. 1 Es ist eine kühne Behauptung angesichts der von germanistischer Seite vorgenommenen Zuordnung von Kirchenliedtexten zum Bereich der Gebrauchsdichtung, bei welcher die Funktion Vorrang vor der Gestalt hat. Eine solche Unterscheidung gilt seit der deutschen literarischen Klassik, „die im Zuge der Autonomieästhetik Gebrauchstexte generell abwertete“, 2 wobei in neuerer Zeit die Wende von der reinen Produktionszur Rezeptionsästhetik sowie der Einbezug linguistischer Betrachtungsweisen die Differenz ein Stück weit relativiert haben. Kriegs Zuweisung signalisiert dennoch einen Anspruch, den sowohl die Dichtung als auch die Vertonung von geistlichen Liedern nur in bestimmten historischen Kontexten erhoben haben. Sie formuliert in dieser Hinsicht einen Idealfall, und sei es nur in der Eigenwahrnehmung der kirchenmusikalischen Verantwortli‐ chen. 2 Historische Situationen 2.1 Kunstanspruch im Barock In erster Linie ist hier das 17. Jahrhundert zu nennen, die Epoche des Barock in Deutschland. Kaum ein namhafter Dichter, der damals nicht auch geistliche Gedichte verfasst hätte. Ob die Autoren damit eine geistliche Absicht verfolgt <?page no="398"?> 3 Johann Anastasius F R E Y L I N G H A U S E N , Geist=reiches Gesang=Buch, 4. Ausg. Halle 1708, Nachdr. Tübingen 2004, 11. haben, muss durchaus offenbleiben. Hatten Luther und seine Zeitgenossen und Nachfolger die Verkündigung, die Liturgie oder die Katechese im Auge - häufig explizit in Gesangbuchvorreden formuliert -, liegen die Dinge nun anders. Es geht seit der Opitzschen Reform um poetische Qualität, und zu dieser gehört außer der handwerklichen Gestaltung auch der Gegenstand der Dichtung, in der Begrifflichkeit der klassischen Rhetorik gesprochen die „Inventio“. In der Hierarchie der Werte rangieren nun aber geistliche Themen an der Spitze, vor Gegenständen der Moral, der klassischen Mythologie, der Liebe oder weltlichen Vergnügungen. Wer demnach Dichtungen auf der höchsten Qualitätsstufe schaffen wollte, hatte sich auch geistlicher Themen anzunehmen, um sein Werk schon von der Inventio her hoch anzusetzen. Ein kultureller Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre ist für jene Zeit nicht vorauszusetzen. So bleiben die geistlichen Texte, auch wenn sie nicht explizit geistliche Zielsetzungen verfolgen, wie selbstverständlich integriert in die kirchlich-geistliche Sphäre. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts ändert sich die Lage mit dem Aufkommen des Pietismus, der nun das geistliche Singen wieder explizit einem Zweck zu‐ ordnet, der „Erbauung“ der gläubigen Seele. Johann Anastasius Freylinghausen schreibt in der Widmung seines Gesangbuchs an drei Fürstinnen, dass sie „in Absingung Christlicher und geistreicher / so alter als neuer Gesänge / die Erbauung ihrer Seelen suchen“ sollen. 3 Musikalisch liegt die Sache im Barock etwas komplizierter. Auf der einen Seite ist da die Entstehung des deutschen Sololiedes auf der Basis der General‐ basstechnik, die um 1630 von Italien her nach Deutschland kam. Diese „Aria“ wurde zu einer Hauptgattung der Vokalmusik des frühen und mittleren Barock, als eigenständige Liedkomposition ebenso wie als Bestandteil mehrgliedriger Werke, später „Kantaten“ genannt. Auf der anderen Seite sind die typischen „Aria“-Melodien im Gesangbuch weniger breit vertreten als die Dichter der Zeit. Das liegt daran, dass die „Aria“ dem Bereich des Sologesangs zugehört; weil aber das Kirchenlied auf die Partizipation der gottesdienstlichen Gemeinde ausgerichtet ist, erscheint die Zugehörigkeit zum beschriebenen Stilbereich automatisch etwas eingeschränkt, während er im privaten Raum eher Fuß fassen konnte. Als Komponisten zu nennen sind immerhin Heinrich Albert, der Vetter von Heinrich Schütz, etwa als Begründer des deutschen Sololiedes genannt, dann Johann Schop, Johann Georg Ebeling und - in einem kleinen Teil seiner etwa 100 Melodien - Johann Crüger. Dieser liefert ein gutes Anschauungsbei‐ 398 Andreas Marti <?page no="399"?> spiel für Nähe und Distanz des Kirchenliedes zur zeitgenössischen Kunst. Crüger hat in seinem mehrheitlich angewandten Melodietypus ältere Typen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts aufgenommen - Melodien des Genfer Psalters und der „Kantionalsatzzeit“ um 1600 -, diese aber in einer Weise perfektioniert, die einem Kunstanspruch eigener Art zu entsprechen vermochte, dies trotz deutlicher Distanz zur zeitgenössischen Melodieästhetik. In der Vertonung von Texten Paul Gerhardts hat dann sein Nachfolger, Johann Georg Ebeling, eben diese „Aria“-Ästhetik ins Spiel gebracht. 2.2 Der Genfer Psalter An diesem Punkt ist ein kurzer Rückblick auf den eben genannten Genfer Psalter zu tun. Im Unterschied zum Liedschaffen der deutschen Reformation, die sich aus im weiten Sinne volksliedhaften oder traditionell liturgischen Quellen speiste und diese immer erkennbar bleiben ließ, schufen die Genfer einen textlich wie musikalisch an den humanistischen Kunstformen der Zeit orientierten neuen Liedtypus. Die textlichen Maßstäbe setzte mit Clément Marot einer der führenden französischsprachigen Literaten der Zeit. Diese Maßstäbe waren offensichtlich so hoch, dass Calvin seine eigenen Psalmbereimungen zurückzog und durch solche von Marot ersetzen ließ. Die Melodien hatten ihre stilistischen Wurzeln in den humanistischen Oden‐ vertonungen. Von volksliedhaften Gattungen waren sie weit entfernt, dafür suchten sie eine kunstvolle Textdeklamation im differenzierten Zusammenspiel zwischen Textmetrum, Melodierhythmus und Melodieführung. Dazu tritt oft eine raffinierte Architektur in der inneren Beziehung melodischer Bausteine untereinander. Alles in allem haben wir hier eine Kunstform, die sich nach Anspruch und Strukturen vielleicht mit der Baukunst der Renaissance verglei‐ chen lässt. Nicht umsonst zählt einer der drei Melodieautoren, Loys Bourgeois, zur ersten Liga der französischen Komponisten der mittleren bzw. späteren Renaissance. Seine Melodien hat er denn auch sogleich in kunstvolle Motetten eingebaut. 2.3 Exkurs: Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach Kehren wir zurück zum Barock. War die kompositorische Artifizialität in der Renaissance noch mit dem geistlichen Lied oder dem „Kirchenlied“ im engeren Sinne kompatibel oder doch mit ihm zu verbinden, wird dies im Barock problematisch, wie schon die Distanz der „Aria“ zum Gemeindelied zeigt. Auch auf textlicher Seite hat sich der „hohe Stil“, wie ihn Johann Rist Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion 399 <?page no="400"?> 4 Vgl. dazu Rainer H I L L E N B R A N D , Paul Gerhardts deutsche Gedichte, Frankfurt a. M. 1992. gerne verwendet hat, als relativ ungeeignet erwiesen: Paul Gerhardt hat sich demgegenüber des „mittleren Stils“ bedient - nicht minder kunstvoll, aber von weniger augenfälliger Artifizialität. 4 Kunstanspruch und Wirklichkeit drohen jedoch generell schon früh auseinander zu driften. Erst recht gilt dies auf musikalischer Ebene für die zunehmende Verfeinerung und Expansion des konzertanten Stils in der Emanzipation der Instrumentalvon der Vokalmusik. An den beiden herausragenden Meistern des Barock, Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, zeigen sich zwei unterschiedliche Wege, mit diesem Problem umzugehen. Schütz hält zu dem in seiner Zeit gebräuchlichen Kirchenliedrepertoire eine gewisse Distanz. Nur selten nimmt er Melodien auf, um sie in seine Werke einzubauen. In den „Musikalischen Exsequien“ kommen zwar mehrere Melodien vor. Häufig verändert er sie aber mehr oder weniger stark, oder er lässt sie fragmentiert durch die Stimmen wandern. Der „cantus prius factus“ darf sich dem Zugriff des gestaltenden Künstlers nicht entziehen. Auf der anderen Seite hat Schütz im „Becker-Psalter“ eine stattliche Anzahl an Kirchenliedmelodien selber geschaffen, von denen sich die Mehrzahl allerdings angesichts ihrer hohen Artifizialität in der Praxis nicht durchgesetzt hat. Bach hingegen hat selber keine Kirchenliedmelodien verfasst - abgesehen von seiner unsicheren Autorschaft für einige Melodien im „Schemelli“-Gesang‐ buch, die zudem eher dem Ariaals dem Gemeindeliedtypus zuzurechnen sind. Dafür hat er in großer Anzahl, vielleicht mehr als die meisten seiner Zeitgenossen, in seinen Werken auf das Kirchenliedrepertoire seiner Zeit zu‐ rückgegriffen. Für die Orgelwerke ergibt sich dies zunächst aus der liturgischen Praxis, doch übersteigen seine großen Choralbearbeitungen in der „Leipziger Handschrift“ und in „Clavier-Übung III. Teil“ diesen Rahmen bei weitem und integrieren Kirchenliedmelodien in eigentlich autonome Kunstwerke. Im Vo‐ kalwerk bilden Bearbeitungen von Kirchenliedmelodien einen großen Bereich, sei es in konzertanten Formen des so genannten Choralchorsatzes, der meist die Choralkantaten eröffnet, sei es die Verarbeitung in Arien oder sei es im vierstimmigen Satz. Dieser ist eine Weiterentwicklung des „Kantionalsatzes“, wie er Ende des 16. Jahrhunderts geformt wurde: vierstimmig, die Melodie in der Oberstimme, mehr oder weniger gleichzeitige Textdeklamation in allen Stimmen (also nicht eigentlich „homophon“ im späteren Sinne, sondern eine „synchronisierte Polyphonie“). Bei Bach ist nun die harmonische Komplexität dieses Satztyps massiv gesteigert. Häufig finden sich unter ein- und derselben Melodienote zwei unterschiedliche harmonische Situationen - eine Vorhaltsauf‐ 400 Andreas Marti <?page no="401"?> lösung, eine kadenzierende Fortschreitung von Subdominante zu Dominante beispielsweise. Nebenbei sei hier angemerkt, dass diese harmonische Struktur ein langsames Singtempo voraussetzt. Dass man die in der Singbewegung des 20. Jahrhunderts angestrebte Beschleunigung des Gemeindegesangs auf die Bach-Choräle ausgedehnt hat, ist ein Anachronismus, der im Zeitalter der historisch informierten Aufführungspraxis nicht mehr vorkommen sollte. Fazit: Sowohl für Schütz wie für Bach war das Kirchenlied in die artifizielle, anspruchsvolle Musik integrierbar, auch wenn sie es selber im vollen Sinne wohl nicht dazugezählt haben. 2.4 Das Kirchenlied in der „zweiten Liga“ Die Distanz zwischen Kirchenlied einerseits, zeitgenössischer Dichtung und Musik andererseits wächst im 18. und erst recht im 19. Jahrhundert laufend an. Von keinem der für die Literatur maßgeblichen Autoren, keinem Komponisten von nachhaltiger Bedeutung finden wir Lieder in unseren Gesangbüchern, vom Einzelfall Gellert und von ein paar mehr oder weniger zufälligen Ausnahmen abgesehen, und auch Gellert hätte allein auf Grund seiner säkularen Texte kaum eine größere Bekanntheit erreicht. Die eingangs erwähnte Autonomieästhetik hat eine prinzipielle Differenz zwischen Literatur und Kirchenlieddichtung etabliert. Analog dazu verläuft die Autonomisierung der Musik seit dem 18. Jahr‐ hundert, die sich aus konkreten Gebrauchssituationen mehr und mehr löst. Mit dem Zusammenbruch der Romantik nach 1900 fällt dann auch noch die formal-handwerkliche Grundlage weg: Strophenlied so gut wie tonale und regelmäßig gegliederte Komposition, beides wichtige Elemente der Ge‐ meindetauglichkeit, sind von da an prinzipiell überholt, wirken epigonal und zementieren den Sonderbereich des Kirchenliedes in einer Art zweiten Liga (oder darunter). Wenn schon die Kirchenmusik als Ganze ab dem späten 18. Jahrhundert gewissermaßen den Weg in einen kulturellen Sonderbereich, ein Ghetto, eine Art geschützte Werkstatt antrat, so ist dies erst recht vom Kirchenlied zu sagen. 2.5 Versuch der Wiederannäherung: Die kirchenmusikalische Reform Dem hat die kirchenmusikalische Reformbewegung der 1920er-Jahre und da‐ nach entgegenzuwirken versucht. Das geschah textlich durch die Anknüpfung bei jener Epoche, für welche die Kirchenlieddichtung noch in die allgemeine Dichtung integriert war, nämlich beim Barock. So entstehen die Texte eines Jochen Klepper oder Rudolf Alexander Schröder, die durch die Aufnahme Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion 401 <?page no="402"?> 5 Text von Kurt Marti, EG 153, RG 867. 6 Text von Kurt Marti und Armin Juhre, EG 633, RG 832. barocker Gestaltungselemente und eines oft gezielt archaisierenden Vokabulars Distanz zur Alltagssprache und damit literarischen Anspruch signalisieren, sich allerdings oft genug in Manierismus versteigen. Musikalisch kam die Anknüpfung an den Barock auch vor, allerdings deutlich seltener. Dafür boten die Strömungen des Neomodalismus sowie des Folklorismus einen gewissen Handlungsspielraum für die Schaffung gemeindetauglicher, aber nicht roman‐ tisch geprägter Melodien. Die Form und die begrenzte Komplexität des Gemein‐ deliedes setzten allerdings enge Grenzen, so dass sich ein Komponist wie Frank Martin ausdrücklich weigerte, Kirchenliedmelodien zu schreiben. Mag die innere Qualität mancher Texte und Melodien jener Zeit (und ihrer Epigonen in der zweiten Jahrhunderthälfte) durchaus vorhanden sein, so bleibt doch der Abstand zu den höchsten ästhetischen Ansprüchen in Literatur und Musik des 20. Jahrhunderts beträchtlich und aus gattungsbedingten Gründen auch prinzipiell unüberwindbar. Der Selbstanspruch der Kirchenmusik jener Zeit wurde zwar erhoben, aber von außen kaum mitvollzogen. 2.6 Gesprächsabbruch nach 1950? Vollends unüberwindbar wird die Kluft zwischen Kirchenlied und zeitgenössi‐ schem Musikschaffen schon mit Zwölftonmusik und Serialismus und erst recht dann mit dem Postserialismus seit den 1950er-Jahren. Das Kirchenlied ist durch seine Formbindung im Grunde zur Epigonalität verurteilt, auch wenn da und dort die klassische Strophenform an ihre Grenzen geführt oder umgekehrt durch die Verwendung von Reihen - Strukturen und Textelemente, die durch die Strophen hindurch gleich bleiben - innerlich legitimiert wurde. Beispiele dafür wären einerseits Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt 5 mit prosanahem Textmetrum, andererseits Manchmal kennen wir Gottes Willen 6 mit strikter und inhaltlich differenzierter Reihenform. Zeitgenossenschaft auf musikalischem Gebiet wurde ab etwa 1960 durch den Anschluss an unterschied‐ liche Gattungen der so genannten Popularmusik gesucht: Spiritual/ Gospel, Chanson/ Schlager, Beat/ Rock. Damit ist aber das Feld verlassen, auf dem die Diskussion über den Kunst-Charakter im klassischen Sinne überhaupt geführt werden kann, zumal erhebliche Teilbereiche der Popularmusik musikalische Muster längst vergangener Zeiten reproduzieren. 402 Andreas Marti <?page no="403"?> 7 Jurij M. L O T M A N , Die Struktur literarischer Texte, München (1972) 4 1993, 24. 3 Der Resignation entkommen? Sind wir damit am Punkt der Resignation angelangt, wo wir uns auf bloße Funktionalität zurückziehen müssen? Auf zwei Ebenen können wir versuchen, der Resignation zu entkommen. Zum einen geht es um die Relativierung der Zeitgenossenschaft, zum anderen um eine Funktionalität zweiten Grades in Verbindung mit einer differenzierten Beurteilung ästhetischer Qualität. 3.1 Eine neue Art der Zeitgenossenschaft Die Feststellung ist nicht originell, aber sie ist für den heutigen Umgang mit Musik von entscheidender Bedeutung: Die technische Reproduzierbarkeit von Musik (selbst wenn es sich streng genommen dabei nur um eine Abbildung von Musik handelt - auch mit der teuersten Hi-Fi-Anlage) hebt den einschrän‐ kenden Aspekt von Zeitgenossenschaft auf. Bach und Mozart sind uns genauso gegenwärtig wie aktuelle Komponisten - vielleicht gar gegenwärtiger -, und auch in den popularmusikalischen Sparten spielen zeitliche Abstände häufig keine Rolle. Darum: Wenn wir von Kunstansprüchen sprechen, gehört datum‐ mäßige Zeitgenossenschaft nicht automatisch dazu. Ohnehin ist das Neuheitsbzw. Originalitätspostulat wohl eher ein Erbe des 19. Jahrhunderts und seiner Fortschrittsmentalität. So sind wir frei, an Kirchenlieder aus früheren Zeiten die „Kunst“-Frage ohne Einschränkung zu stellen. Allerdings müssen wir sie für einen erheblichen Teil des Repertoires mehr oder weniger negativ beantworten, wie der historische Durchgang gezeigt hat. 3.2 Abgestufte Artifizialität Hier kommt nun die zweite Ebene ins Spiel, das Postulat einer differenzierten ästhetischen Qualität. Wir beginnen beim Text, und zwar bei der Unterschei‐ dung zwischen Alltagssprache und poetisch geformter Sprache. Diese hat gegenüber der Alltagssprache grundsätzlich einen Mehrwert, weil sie über Metaphorik, über unterschiedliche Sprecher-Adressaten-Verhältnisse und über innertextliche Beziehungsgeflechte formaler und inhaltlicher Art einen Infor‐ mationsmehrwert aufbaut, der den Rezeptionsvorgang unabschließbar macht. „Künstlerische Struktur gestattet es, einen Informationsumfang zu übermitteln, der mit Hilfe der elementaren eigentlichen sprachlichen Struktur gar nicht übermittelt werden könnte“. 7 Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion 403 <?page no="404"?> Selbstverständlich kann die Distanz zur Alltagssprache unterschiedlich groß sein, aber ganz entfallen darf sie nicht. Schon der Formzwang einer wie auch immer gearteten Strophigkeit macht einen ersten Unterschied zur All‐ tagssprache aus. Etwas schwieriger ist es mit der Musik. Eine „Alltagsmusik“ im gleichen Sinne wie bei der Sprache gibt es ja nicht. Schon die Tatsache, dass etwas gesungen und nicht bloß gesprochen wird, schafft eine andere Ebene. Nur wird es hier analog darum gehen, dass durch innermusikalische Beziehungen, durch das Spiel mit Gattungszugehörigkeiten, durch adäquat dosierte Emotionalität, vielleicht durch mehr oder weniger deutliche Zitate und Assoziationen ein komplexerer Rezeptionsvorgang ausgelöst wird. Auch hier gibt es große graduelle Unterschiede, wobei der Artifizialität beim Kirchenlied aus Gründen des Vollzugs natürlich Grenzen gesetzt sind. Wir werden also davon auszugehen haben, dass es statt eines kompromisslosen Kunstanspruchs graduelle Ansprüche an literarische und musikalische Qualität gibt. Diese erreichen eine mehr oder weniger ausgeprägte ästhetische Rezeption, bei der das „Werk“, hier also das Kirchenlied, nicht eins zu eins als Information und auch nicht in voller Identifikation als eigene Aussage aufgenommen wird, sondern immer auch Gegenüber bleibt, offenbleibt für andere Facetten und Aspekte als diejenigen, die im jeweiligen Moment zur Geltung gebracht werden können. Diese Unabgeschlossenheit verbindet jede Form einer mehr oder weniger ausgeprägten künstlerischen Äußerung und Darstellung mit der Dimension der Liturgie, die ihrerseits nicht Eins-zu-eins-Informationen vermittelt, sondern Räume öffnet für die Begegnung mit dem, was „höher ist als unser Verstehen“. 3.3 Geistliche Musik und die Funktionalität zweiten Grades Wenn wir für einen Moment den Bereich des Kirchenliedes verlassen und einen Blick auf die Kirchenmusik, die geistliche Musik, die Musik überhaupt werfen, wird dies noch deutlicher. Es besteht ja durchaus eine gewisse Konkurrenz zwischen Kunst und Liturgie, wenigstens wird eine solche manchmal empfunden. Ich gestatte mir hier eine persönliche Reminiszenz: Im Mai 2022 wurde Bachs h-Moll-Messe ungekürzt im Rahmen der (fast) ungekürzten Messliturgie in der Klosterkirche Einsiedeln aufgeführt. Da wurden Bedenken geäußert, die Musik werde die Liturgie überfahren, aufsaugen. Das Gegenteil war der Fall: Die Musik wurde selber zur Liturgie. Die drei Stunden Dauer waren dabei kein Problem, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass zu Bachs Zeit ein Sonntagsgottesdienst drei bis vier 404 Andreas Marti <?page no="405"?> 8 Hans Georg Nägeli 1818 im Subskriptionsaufruf als „Ankündigung des größten mu‐ sicalischen Kunstwerks aller Zeiten und Völker“. Bach-Dokumente VI, Kassel 2007, 462. - Vorher schon Carl Friedrich Zelter im Brief vom 13.12.1811 an Georg Pölchau: „wahrscheinlich das größte musikalische Kunstwerk, das die Welt gesehen hat“, zit. bei Walter B L A N K E N B U R G , Einführung in Bachs h-moll-Messe, Kassel (1974) 2 1982, 16. 9 Vgl. dazu Michael M E Y E R -B L A N C K , Musik - „Magd der Theologie“? , in: Stefan K O P P - Marius S C H W E M M E R - Joachim W E R Z (Hgg.), Mehr als nur eine Dienerin der Liturgie. Zur Aufgabe der Kirchenmusik heute (Kirche in Zeiten der Veränderung 4), Freiburg i.Br. 2020, 18-32, bes. 28. Stunden gedauert hat (und das mit weniger Musik und dafür einer einstündigen Predigt). Es lässt sich bekanntlich nicht nachweisen, ob Bach die Fertigstellung der Messe überhaupt im Blick auf eine konkrete Aufführung vorgenommen hat. Das „größte Kunstwerk aller Zeiten“, wie die h-Moll-Messe genannt worden ist 8 , steht in der Linie einer sich von direkten Funktionen allmählich entkoppelnden Musik, seien diese Funktionen der Liturgie, der politischen Repräsentation oder der höfischen Tanzveranstaltung geschuldet. Den „Courant normal“ der Liturgie hat sie zweifellos verlassen; einer üblichen Funktionserwartung entspricht sie nicht, weder qualitativ noch quantitativ, und dies gilt auch schon für die Zeit, in der sie entstanden ist. Das Kunstwerk empfängt nicht die Weisung der Liturgie, sondern definiert seine Funktion für die Liturgie selber, setzt sich selber die Aufgabe und geht damit über eine vordefinierte Funktion hinaus. Es erfüllt einen Anspruch im übergeordneten Sinn, nämlich im ästhetischen Erlebnis die Offenheit und Dynamik von Glaubensaussagen erfahrbar zu machen, dies in einer Einheit von Emotion und Intellekt, die anders nicht zu erreichen ist, zudem in einer letztlich rechtfertigungstheologisch zu interpretierenden Haltung des radikalen Empfangens, die gleichzeitig höchst aktive und bewusste Offenheit für die Botschaft bedeutet. 9 Wir haben damit eine Funktionalität zweiten Grades, die unauflöslich an den Kunstanspruch gekoppelt ist. Es besteht eine Dialektik der künstlerischen Autonomie, indem die enge primäre Funktionszuschreibung gerade das Über‐ schreiten des Alltäglichen, des direkt Sagbaren, des Erwartbaren verhindert, das nur in der Dimension der offenen ästhetischen Erfahrung möglich ist. Kurz gesagt: Die Musik, die Kunst überhaupt, gibt der Kirche nur dann das, was diese von ihr nötig hat, wenn sie ihr dies nicht vorschreiben zu müssen meint. Kehren wir zum Kirchenlied zurück, wird natürlich sogleich der riesige Abstand zu den großen Werken der Kirchenmusik deutlich. Dennoch wirkt das Muster auch im Kleinen und auch im Blick auf eine nur relative ästhetische Qualität. Jeder Liedtext, der eine eigenständige poetische Gestalt hat, führt für einen Das Kirchenlied zwischen Kunstanspruch und Funktion 405 <?page no="406"?> Moment aus der strikten Linearität des liturgischen Verlaufs hinaus, schafft einen kleineren oder größeren Freiraum für Denken und Empfinden. Mag sein, dass dies von strengen Liturgikern als Gefährdung gesehen wird, und die Klage über die „Verliederung“ des Gottesdienstes kann mindestens teilweise darauf zu beziehen sein. Jede Melodie, die mehr ist als eine banale Reihe bekannter Formeln, öffnet einen kleineren oder größeren Raum individueller Emotion, so dass das gemeinsam gesungene Lied die Singenden zugleich in die Gemeinde integriert und ganz bei sich selbst sein lässt. Eine wenn auch nur relative artifizielle Qualität, textlich und musikalisch, ist darum die Voraussetzung dafür, dass ein Lied seine liturgische Funktion erfüllen kann. Somit ist die im Titel formulierte Spannung von Kunstanspruch und Funk‐ tionalität umzudenken zu einem dialektischen Spannungsfeld, auf dem beide Aspekte unauflöslich miteinander verbunden sind, sich nicht konkurrenzieren, sondern überlagern und bedingen. 3.4 Die kirchenmusikalische Aufgabe Was das für Rolle und Aufgabe von Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern bedeutet, liegt auf der Hand. Sie müssen Künstlerinnen und Künstler sein, freilich im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten, die bei den vielen neben‐ beruflich Tätigen sicher nicht unbegrenzt sind. Diesen Rahmen müssen sie aber ausloten und ausnützen, möglichst in jedem Gottesdienst. Dazu müssen sie Raum bekommen. Kirchenbehörden, Pfarrer und Pfarrerinnen stehen hier in der Pflicht. Nur zu oft wird alles, was über das Nötigste hinausgeht, als überflüssig betrachtet. Entsprechend wird ängstlich auf das Timing der gottesdienstlichen Musik geachtet (obschon durch das Weglassen von überflüssigen Moderationen und liturgischen „Small Talks“ wesentlich mehr Zeit eingespart werden könnte), werden Anstellungen verkleinert und Haushaltsposten reduziert, die Banalisie‐ rung der Kirche schreitet voran, und sie arbeitet wacker daran, sich weiter überflüssig zu machen. Gottesdienst, Kirche als ganze hat eine Dimension zu vertreten, die oft nicht in einfache Worte und direkte Formeln zu fassen ist. Um Zugänge zu ihr zu öffnen, braucht sie die Kunst in ihren verschiedenen Formen und Ausprägungen - nicht nur, aber ganz besonders die Musik. Darum nochmals: Nicht Kunstanspruch oder Funktion heißt die Frage, son‐ dern die wohlverstandene und nicht im Detail voraus zu definierende Funktion der Kunst. 406 Andreas Marti <?page no="407"?> 1 Zitiert nach: Richard S H E R R , The Papal Chapel ca. 1492-1513 and Its Polyphonic Sources, Diss. Princeton 1975, 97. Maria zart und Ave Maria Marienfrömmigkeit und Ablass in der Messvertonung der Renaissance Klaus Pietschmann „Zur Frömmigkeit regt sie die Zuhörer bei dieser Handlung an“ - mit dieser Äußerung stellte der Zeremonienmeister Leos X. Paride de Grassi die andachts‐ fördernde Rolle der Musik im Rahmen der Karwochengottesdienste in der päpstlichen Kapelle heraus, die zu den herausragendsten Zeremonien des Kir‐ chenjahrs zählten. 1 Die Worte rekurrieren damit auf die elementare Bedeutung einer sinnlich-auditiv vermittelten inneren Haltung bei der Teilnahme an reli‐ giösen Ritualen, wie sie in allen kulturellen Kontexten begegnet. Während die Musikanthropologie musikalischen Komponenten kultischer Zusammenhänge bezogen auf außereuropäische Kulturen umfänglich nachging, bilden entspre‐ chende Ansätze für die christlich-westliche Kunstmusik insbesondere im aus‐ gehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit eher die Ausnahme - ungeachtet zahlreicher Ansätze der historischen Kulturwissenschaften zu Ritualdynamiken oder symbolischen Kommunikationspotentialen, die sich als Deutungsmatrix auch für die Vokalpolyphonie der Renaissance heranziehen lassen. Dieser Beitrag soll eine mögliche Herangehensweise am Beispiel zweier Messkompositionen demonstrieren, die im zeitlichen Umfeld der Reformation entstanden sind und in engem Zusammenhang mit der Verheißung eines Nachlasses zeitlicher Sündenstrafen standen, für dessen Erlangung die entspre‐ chende Andachtshaltung eine wesentliche Voraussetzung darstellte. Im Falle der Missa Maria zart von Jacob Obrecht war das zugrundeliegende Kirchenlied mit einem Ablass verbunden, während die Missa Ave Maria von Cristóbal de Morales einem konkreten Anlass zugeordnet werden kann, der mit einem päpstlichen Segen verbunden war und aufgrund dessen einen vollkommenen Ablass verhieß. Vorangestellt seien zunächst einige einleitende Überlegungen <?page no="408"?> 2 Berndt H A M M , Ablass und Reformation - Erstaunliche Kohärenzen, Tübingen 2016. zum Zusammenhang von Frömmigkeit, Ablass und Musik in den Jahrzehnten um 1500. 1 Musik und Ablass Die päpstliche Ablasspraxis ist auch über 500 Jahre nach Luthers Thesenan‐ schlag ein aktuelles Thema. Nicht nur sind die Petersablass-Kampagnen Tetzels im Namen Leos X. und die reformatorischen Schmähungen, die den Papst im Gegenzug mit dem Antichristen gleichsetzen, im allgemeinen Bewusstsein prä‐ sent, und auch in den Medien begegnet in diesem Zusammenhang nach wie vor das Bild eines dekadenten Renaissance-Papsttums, das für ablassfinanzierten Luxus und Prachtentfaltung seine pastorale Verantwortung vernachlässigte. Man denke etwa an Eric Tills Spielfilm „Luther“, in dem Uwe Ochsenknecht einen dekadenten Leo X. spielt, der während des Konsistoriums seine Papageien im Goldkäfig füttert. Ungeachtet dessen sind päpstliche Segnungen nach wie vor populär, wobei sie heute zum Selbstkostenpreis im Internet bestellt werden können oder an Ostern und Weihnachten beim mittäglichen „Urbi et Orbi“ gespendeten päpstlichen Segen ganz umsonst über Funk und Fernsehen zu haben sind, wie seit jeher verbunden mit einem vollständigen Ablass der zeitlichen Sündenstrafen. Der Anspruch der römischen Kirche, den göttlichen Gnadenschatz zu verwalten, hat sein enormes Mobilisierungspotential beginnend mit den hochmittelalterlichen Kreuzzügen immer wieder aufs Neue erwiesen. Den überkommenen Narrativen stehen freilich schon länger differenziertere Forschungsperspektiven gegenüber. Neben einem Interesse an der inneren Ver‐ fasstheit aller Teile der spätmittelalterlichen Bevölkerung, die die Voraussetzung für die grundstürzenden Entwicklungen der Reformationsjahrzehnte bildete, zielen vor allem Auseinandersetzungen mit den psychologischen, emotionalen und sensitiven Bedingungen der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und ihrem Niederschlag in den Künsten auf eine Kurskorrektur. So ist es nur auf den ersten Blick überraschend, dass der evangelische Kirchenhistoriker Berndt Hamm mit seinem Buch „Ablass und Reformation. Erstaunliche Kohärenzen“ eine Neubewertung von Luthers reformatorischer Gnadenbotschaft vornahm und sie in frappierende Nähe zur römischen Ablasstheologie rückte, wobei er deren frömmigkeitsgeschichtliche Grundlagen sorgfältig analysierte und die pastorale Aufrichtigkeit herausstellte, die der Ablasspraxis ungeachtet vereinzelter Ex‐ zesse im Allgemeinen zugrunde lag. 2 Hamm verwies dabei auf die enorme 408 Klaus Pietschmann <?page no="409"?> 3 Nikolaus P A U L U S , Geschichte des Ablasses im Mittelalter (1922/ 23), hg. von Thomas L E N T E S , 3 Bde., Darmstadt 2000. 4 Bonnie J. B L A C K B U R N , The Virgin in the Sun: Music and Image for a Prayer Attributed to Sixtus IV, in: Journal of the Royal Musical Association 124 (1999), 157-195. Ausweitung päpstlicher Gnadenerweise, die die Erlangung vollständiger Ab‐ lässe zu einem Allgemeingut für alle werden ließ, die sich Gebetspraktiken wie den enorm populären Rosenkranz zu eigen machten, Pilgerreisen auf sich nahmen oder regelmäßig die Messe besuchten. Die Voraussetzung für die Erlangung der erstrebten Gnade waren dabei allein die aufrichtige innere Haltung und die Bereitschaft zu guten Werken, die keineswegs nur pekuniärer Natur sein mussten - die nachhaltige Propagierung dieser im Grundsatz bis heute gültigen Auffassung erfolgte am Vorabend der Reformation insbesondere durch den Dominikanerpapst Sixtus IV., für dessen Pontifikat Nikolaus Paulus eine regelrechte Ablassinflation ausmachte, 3 und vieles spricht dafür, dass sein gleichzeitiges Engagement für die Künste auch vor diesem Hintergrund zu verstehen ist. Inwiefern kirchenmusikalische Praxis in einem Zusammenhang mit dem Ablasswesen stand, wurde bislang nur punktuell mit Hinblick auf die entspre‐ chende Wirksamkeit bestimmter Gebete oder Gesänge thematisiert. So verwies Bonnie Blackburn im Zusammenhang mit dem häufig vertonten Hymnus Salve sancta facies auf die Ablässe, die an die Rezitation dieses Gebets geknüpft waren und im Kontext der Verehrung des wahren Antlitzes Christi stehen, das Legenden zufolge auf das Schweißtuch der Veronika zurückgeht. 4 Zwar wurde dabei zurecht darauf hingewiesen, dass Ablässe kaum das alleinige Motiv für die Wahl dieses Gebets als Motettentext gewesen sein dürften, denn ein ökonomisch denkender Christ hätte die Zeit, die die Darbietung einer Motette beanspruchte, weitaus effektiver etwa mit einem Rosenkranzgebet zugebracht; jedoch dürfte gerade in den gehobenen Kreisen, die die Auftraggeber und Adressaten der elaborierten Vokalpolyphonie bildeten, die Vorstellung einer nicht nur visuell und intellektuell, sondern auch klanglich-auditiv vermittelten Schau des Erlösers und des Gesangs der Engel als Potenzierung der Früchte einer solchen Andachtspraxis verstanden worden sein, die über eine schlichte Ablassarithmetik hinaus ging. 2 Jacob Obrechts Missa Maria zart Das erste Fallbeispiel weist in dieselbe Richtung. Zu den weit verbreiteten Kirchenliedern des ausgehenden 15. Jahrhunderts zählte das Marienlied Maria zart von edler Art, das sich bis weit ins 17. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit Maria zart und Ave Maria 409 <?page no="410"?> 5 Klaus P I E T S C H M A N N , Im Spannungsfeld der Konfessionen: Jan Le Febures Rosetum Marianum (1609) und der kirchenmusikalische Aufschwung in Mainz um 1600, in: Ursula K R A M E R - Klaus P I E T S C H M A N N (Hgg.), Mainz und sein Orchester. Stationen einer 500-jährigen Geschichte (Schriften zur Musikwissenschaft 23), Mainz 2014, 21-39. 6 Birgit L O D E S , Maria zart und die Angst vor Fegefeuer und Malafrantzos - Die Karriere eines Liedes zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Nicole S C H W I N D T (Hg.), Musikalischer Alltag im 15. und 16. Jahrhundert (Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 1), Kassel 2001, 99-133, hier: 114f. erfreute und eine Reihe aufwendiger Vertonungen erfuhr, so beispielsweise durch den ersten nachweisbaren Mainzer Hofkapellmeister Jan Lefebure, der jede einzelne der 33 Strophen einer textlichen Neufassung Renwart Cysats von 1580 individuell vertonte und als Rosetum Marianum im Druck herausbrachte. 5 Das aus zwei dreizeiligen Stollen und einem zwölfzeiligen Abgesang beste‐ hende Lied zeichnet sich durch eine gewisse Kurzatmigkeit aus, auf die die einprägsame Melodie reagiert. Maria zart von edler Art Ein Ros ohn alle Dornen Du hast mit Macht herwiderbracht Das vor war lang verloren. Durch Adams Fall dir hat Gewalt Sanct Gabriel versprochen. Hilff, dass nicht wird gerochen Mein Sünd und Schuld Gewinn mir Huld, Wann kein Trost ist Wo du nit bist, Barmherzigkeit erwerben. Am letzten End, Ich bitt, nicht wend Von mir in meinem Sterben. Birgit Lodes verwies auf den besonderen Charakter des Liedes, der es von den üblichen Standards der geistlichen Liedproduktion um 1500 deutlich abhebt. Ferner konnte sie zeigen, dass dieses Kirchenlied um 1500 nicht nur als talis‐ manartiger Schutz gegen die neu eingeschleppte Syphilis galt, sondern vom Zeitzer Bischof auch mit einem 40-tägigen Ablass belegt wurde. 6 Dass dieser Ablass für seine Beliebtheit und enorme Verbreitung im 16. Jahrhundert von 410 Klaus Pietschmann <?page no="411"?> 7 Zitiert nach Birgit L O D E S , Multiple Erscheinungsformen einer Vorlage. Maria zart kontrafaziert und bearbeitet, in: Nicole S C H W I N D T (Hg.), Die Kunst des Übergangs. Musik aus Musik in der Renaissance (Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 7), Kassel 2008, 99-133, hier: 74. zentraler Bedeutung war, belegen nicht nur die Beischriften, die sich in der Überlieferung häufig finden, sondern auch die explizite Bezugnahme am Ende der um 1500 erstmals gedruckten und nachfolgend mehrfach überlieferten Umdichtung „Maria zart dein Sohn verrat“, wo es heißt: Sei Schild und Port Auf alle Ort, Dass mich die Laster meiden. Und ich empfind’ Ablass der Sünd’ Das helf ’ mir Christus’ Leiden. 7 Das Lied zählt zu den sehr wenigen Andachtsliedern der Zeit, deren Melodie zur Grundlage einer Vertonung des Ordinarium Missae gewählt wurde. In dem 1507 beim Basler Drucker Gregor Mewes erschienenen Messendruck findet sich die Missa Maria zart des höchst renommierten frankoflämischen Komponisten Jacob Obrecht, der kurz zuvor als Hofkapellmeister von Ferrara der dort wütenden Pest-Epidemie erlegen war. Da er auf dem Weg dorthin in Innsbruck Station gemacht hatte und dort für die Komposition einer Messe für Kaiser Maximilian entlohnt worden war, gilt es als wahrscheinlich, dass die Komposition hier entstand, zumal der Kaiser mutmaßlich selbst an der Syphilis litt und ihm die wundertätige Wirkung, die dem Lied nachgesagt wurde, zweifellos bekannt war. Die ungewöhnlich groß und komplex angelegte Faktur der Messkomposition spricht zudem per se für einen hochrangigen Entstehungskontext. Dabei verknüpft die Art der musikalischen Verarbeitung der Liedmelodie als Cantus firmus traditionelle Kompositionsverfahren mit einer das Ablassversprechen und die Messfrüchte komplementär verbindenden Art der Durchführung. So erklingt die Liedmelodie, in Segmente aufgespalten, sukzessive die Ordinariumsteile hindurch bis zum ersten Hosanna des Sanctus einmal vollständig. Im Benedictus ist das Lied nicht präsent, doch kehrt es zuletzt im Agnus Dei wieder, wandert durch die Stimmen und erklingt schließlich deutlich wahrnehmbar vollständig in der Sopranstimme. Zusätzlich lässt sich die Motivik sämtlicher Stimmen die gesamte Messe hindurch weitgehend auf Partikel der Liedmelodie zurückführen, so dass sich die Komposition wie eine kaleidoskopartige Meditation über das Lied verstehen lässt, deren intertextuelle Bezugnahmen zum gesungenen Ordinariumstext vielfältige Auslegungsopti‐ Maria zart und Ave Maria 411 <?page no="412"?> 8 Klaus P I E T S C H M A N N , Kirchenmusikalische Kanonbildung im Kontext mittelalterlicher Heiligkeitskonstruktion, in: Klaus P I E T S C H M A N N - Melanie W A L D -F U H R M A N N (Hgg.), Der Kanon der Musik: Theorie und Geschichte. Ein Handbuch, München 2013, 199-214. onen eröffnen. Die auffällige Abwesenheit des Liedes zum Benedictus erklärt sich vor dem Hintergrund der üblichen Praxis, diesen Teil des Sanctus mit der Elevation zu synchronisieren: Der Moment der Realpräsenz Christi löst gewissermaßen das mit dem Lied verbundene Ablassversprechen ein, und seine umso markantere Rückkehr im Agnus Dei manifestiert seine Gültigkeit über das Messopfer hinaus. 3 Musik und Andacht In dieser musikalischen Verarbeitung des Liedes zeichnet sich die enorme Be‐ deutung ab, die dem andachtsfördernden Potential komponierter Kirchenmusik an sich zukam. Was dabei unter „Andacht“ im Einzelnen zu verstehen ist, umfasst ein recht breites Spektrum: Die geistige Ablenkung von profanen Gedanken durch stille oder gemurmelte Gebete als vergleichsweise leicht praktizierbare Frömmigkeitspraxis ließ sich graduell durch Techniken steigern, wie sie vor allem durch die Exerzitien des Ignatius von Loyola bekannt geworden sind, aber auf eine lange Tradition zurückblickten. Im Idealfall konnten sie zu mystisch-ekstatischen Transzendenzerfahrungen führen, wie sie sich in der bildenden Kunst und der Erbauungsliteratur häufig dargestellt finden. Dass die Musik im Rahmen dieser Andachtstechniken eine große Rolle spielen konnte, steht außer Frage: Unter zahlreichen Beispielen ragt die „Violeta“ der Caterina de Vigri heraus, mit deren Spiel sich die Heilige in religiöse Trance versetzt haben soll und die nach ihrem Tod im Jahre 1463 als Reliquie verehrt wird. Sie repräsentiert eine musikvermittelte Gottesnähe, wie sie auch in der für den Kanonisationsprozess gesammelten Heiligenvitenliteratur wiederholt begegnet. Sei es der musizierende Engel, dessen Erscheinung den Heiligen Franziskus nur aufgrund eines einzigen Tons die ewige Seligkeit erahnen ließ, seien es der Heilige Dunstan oder die Heilige Hildegard von Bingen, die ihre auf Transzendenzerfahrungen basierenden Gesänge aufzeichneten, so dass sie zum gleichsam klingenden Ausweis ihrer Heiligkeit werden konnten. 8 Ein dabei zu beobachtender Grundzug ist die Rolle, die den musikalischen Erfahrungen als Repräsentanten der Himmelsmusik beigemessen wird. Die wohl ausführlichste Auseinandersetzung mit dem devotionsbeför‐ dernden Potential der Musik in den Jahrzehnten um 1500 bietet der bekannte, um 1475 am Hof von Neapel entstandene „Complexus effectuum musices“ des Johannes Tinctoris, der sich als differenzierte Skizze musikalischer Andachts- 412 Klaus Pietschmann <?page no="413"?> 9 Albert S E A Y (Hg.), Johannis Tinctoris Opera theoretica, 3 Bde. (Corpus scriptorum de musica 22), American Institute of Musicology 1975-1978, Bd. 2, 177 (eigene Überset‐ zung). stimuli lesen lässt - wohl erstmals bezogen auf die vergleichsweise neuartigen Ausdrucksformen der Vokalpolyphonie. Es mag an dieser Stelle genügen, den 20. und letzten effectus zu zitieren, der die entscheidende Quintessenz formuliert: Vicesimus effectus musicae: Musica animas beatificat. Nulli namque dubium est homines ad compunctionem audiendo cantum induci. Propter hoc enim ecclesia Dei laudes cantari instituit, ut patet per capitulum Cleros 21 dis, et per Doctorem Sanctum secunda secundae, quaestione XCIa, articulo secundo. Unde cum per compunctionem animae salutem attingant, sequitur musicam huiusmodi salutis esse causam. Quaequidem salus summa beatitudo est quam non modo, ut praediximus, qui musicam audiunt, sed et qui sciunt assequuntur. Unde propheta Psalmo LXXXVIIIo: Beatus populus qui scit iubilationes. „20. Wirkung der Musik: Die Musik macht die Seelen selig. Und es besteht nämlich kein Zweifel, dass die Menschen vom Hören des Gesangs zur Reue angeleitet werden. Deswegen hat die Kirche verfügt, dass die göttlichen Lobpreisungen gesungen werden, wie in der Distinktion 21 Cleros [des Decretum Gratiani] und vom Heiligen Doktor [Thomas von Aquin] in der Summa theologica 2-2, q.-91a, art.-2 dargelegt ist. Und weil die Seelen durch die Reue das Heil erlangen, folgt, dass die Musik der Grund dieses Heils ist. Dieses Heil bedeutet die höchste Seligkeit, die, wie wir zuvor sagten, nicht nur von denjenigen, die die Musik hören, sondern auch von denjenigen, die sie begreifen/ beherrschen, erlangt wird. Daher sagt der Psalmist in Psalm 88: ‚Selig ist das Volk, das die Lobpreisungen beherrscht‘.“ 9 Das Spektrum der musikalischen Mittel, mit denen die Steigerung der Messan‐ dacht erreicht wurde, war denkbar breit. Anknüpfend an die zitierte Äußerung des Tinctoris lässt sich aber feststellen, dass es sowohl unmittelbare Klangwir‐ kungen als auch komplexe, nicht primär auditiv wahrnehmbare Satztechniken sind, die die angestrebte compunctio auslösen konnten. 4 Die Missa de Beata Virgine von Cristóbal de Morales Die Investition in exzellente Klangkörper und herausragende Komponisten kann vor diesem Hintergrund also auch als Akt der Fürsorge eines Landes- oder Kirchenfürsten gegenüber der Gruppe von Gläubigen verstanden werden, die in den Genuss dieser musikalischen Gottesdienstanreicherung kam, da sie zur Wirksamkeit der Ablässe beizutragen vermochte. Das einleitende Zitat Maria zart und Ave Maria 413 <?page no="414"?> 10 BAV, Vat. Lat. 5634, Teil 2, fol. 238, zitiert nach: S H E R R , Papal Chapel (wie Anm. 1), 97. 11 Vgl. Klaus P I E T S C H M A N N , Kirchenmusik zwischen Tradition und Reform. Die päpstliche Kapelle und ihr Repertoire im Pontifikat Pauls III. (1534-1549) (Capellae Apostolicae Sixtinaeque Collectanea Acta Monumenta 11), Vatikanstadt 2007. dieses Beitrags rückt folglich auch die Rolle der päpstlichen Sänger in das entsprechende Licht. Der Zusammenhang, in dem es steht, bietet jedoch noch weitergehende Aufschlüsse: Verumtamen Alexander papa VI qui fuit hyspanus statuit quod cantores sui indigine hyspani: qui naturaliter cantando magis flere videntur quam vociferari: in aliquibus clausulis sive partibus passionis simul tres omnes per cantum figuratum pientissime quidem: ac devotissime cantarent quasi lamentarentur […] quae notabiles ad pietatem in hoc actu excitat audientes. Idem etiam servabunt ipsi cantores in parasceve sequenti inter passionem decantandam. „Tatsächlich ordnete der spanische Papst Alexander VI. an, dass die Sänger seiner spanischen Herkunft, die natürlicherweise beim Singen mehr zu weinen als die Stimme zu tragen scheinen, in einigen Abschnitten des Passionsvortrags zu dritt in Vokalpolyphonie äußerst fromm und andächtig singen bzw. klagen sollten. Dies regt die ehrenwerten Zuhörer bei dieser Handlung zur Frömmigkeit an. In dieser Weise verfuhren die Sänger in der folgenden Karwoche beim Passionsgesang.“ 10 Der päpstliche Zeremonienmeister Paride de Grassi spricht hier konkret über die spanischen Sänger, die unter Alexander VI. in die Kapelle gelangt seien und durch ihre Art zu singen diejenigen, die sie im gottesdienstlichen Rahmen hören, zur Frömmigkeit und Reue anregten - und, so ließe sich ergänzen, ihre Empfänglichkeit für die Messfrüchte steigerten. Dass Papst Paul III. zu Beginn seiner Amtszeit im Jahre 1535 mit Cristóbal de Morales persönlich einen spanischen Komponisten in der Kapelle installierte, dokumentiert zugleich das Bestreben, zur Hebung der Gottesdienstfrömmigkeit in der ewigen Stadt verstärkt auch den ihm unterstellten Klangkörper einzu‐ setzen und dabei besonders auf das bewährte Potential spanischer Musiker zu zurückzugreifen. 11 Während seiner zehnjährigen Tätigkeit in der päpstlichen Kapelle avancierte Morales zu den kompositorisch aktivsten Kapellsängern. Speziell seine Messen fanden nicht nur in die Chorbücher der päpstlichen Kapelle Eingang, sondern erschienen auch in zahlreichen Drucken, darunter zwei aufwendigen Individualdrucken von 1544, wobei der zweite Druck Papst Paul III. gewidmet ist. Insbesondere im Falle der hierin enthaltenen Messen ist anzunehmen, dass sie für spezielle päpstliche Zeremonien entstanden sind. Konkrete Entstehungsanlässe lassen sich allerdings, wie für die meisten Messen 414 Klaus Pietschmann <?page no="415"?> 12 Rafael K Ö H L E R , Die Spiritus et alme-Tropen als liturgische Zeichen, in: Klaus H O R T ‐ S C H A N S K Y (Hg.), Zeichen und Struktur in der Musik der Renaissance. Ein Symposium aus Anlaß der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung, Münster/ Westf. 1987, Kassel 1989, 121-140; Christiane W I E S E N F E L D T , Majestas Mariae. Studien zu marianischen Choralordinarien des 16. Jahrhunderts (Beihefte zum Archiv für Musik‐ wissenschaft 70), Stuttgart 2012. der Renaissance, nicht ohne weiteres bestimmen. Für die Missa de Beata Virgine zu 5 Stimmen allerdings kann ein solcher Entstehungszusammenhang mit großer Wahrscheinlichkeit eruiert und gezeigt werden, in welcher Weise die Komposition auf diesen Rahmen reagiert. Die frühesten Quellen erlauben eine Datierung der Messe vor 1540. Ent‐ sprechend der Gattungstradition des Typus der Missa de beata virgine weist das Gloria auch Vertonungen der sog. Spiritus et alme-Tropen auf, also Tropie‐ rungen, die dem Gloria-Text eine marianische Ausrichtung geben. Speziell diese Tropen bildeten ein Experimentierfeld für die Erprobung klanglicher Mittel zur affektiven Andachtslenkung. 12 Auch Morales nutzt sie zur Etablierung überraschender Ruhepunkte, die die intrikate Vokalpolyphonie zugunsten einer überwältigenden Klangwirkung aufgeben. Diese Ruhepunkte betonen zugleich den Ausnahmecharakter der Tropen im Gloria, denn sie stellen Relikte einer ansonsten am Vorabend des Tridentinums obsoleten mittelalterlichen Praxis dar, die lediglich zu Marienfesten im Ordinarium ihren Platz behielt und als liturgische Reverenz an die ausgeprägte spätmittelalterliche Marienfrömmigkeit zu verstehen ist. Ihre besondere kompositorische Behandlung durch Morales und andere Komponisten erklärt sich vor diesem Hintergrund, jedoch erfolgte wenig später durch die Konzilsväter auch ihre endgültige Eliminierung aus der Liturgie. Ungewöhnlich ist demgegenüber die Einschaltung eines zusätzlichen Fremd-Cantus firmus im Credo. Hier erklingt insgesamt fünfmal das Ave Maria in folgender Fassung: „Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus, aleluia.“ Offensichtlich sollte dem durch die Tropen marianisch kodierten Gloria ein expliziter Marienbezug auch im Credo an die Seite gestellt werden. Mit dem Ave Maria griff Morales ein besonders populäres Gebet auf: Zusammen mit dem Pater noster war es von Sixtus IV. als Gebet zur Wandlung empfohlen worden, und vor allem als zentraler Bestandteil des Rosenkranzgebetes war es Allgemeingut; in beiden Zusammenhängen waren auch umfängliche Ablässe verkündet worden. Bemerkenswert ist allerdings die von Morales verwendete Form des Gebets und seiner Melodie. Sie war in der römischen Liturgie als Maria zart und Ave Maria 415 <?page no="416"?> 13 Antiphonale de Sanctis der päpstlichen Kapelle (1539), In Annuntiatione B. Mariae V. ad Vesperas, B.A.V., C.S. 11, fol. 22. 14 Anna E S P O S I T O , Le confraternite del matrimonio. Carità, devozione e bisogni sociali a Roma nel tardo Quattrocento (con l’edizione degli Statuti vecchi della Compagnia della SS. Annunziata), in: Laura F O R T I N I (Hg.), Un’ idea di Roma. Società, arte e cultura tra Umanesimo e Rinascimento, Rom 1993, 7-51. 15 „Missa fuit de Annunciatione finita Missa Papa dedit Benedictione indulgentie“, B.A.V., Vat. lat. 12277, fol. 319 (3. April 1537). Vesperantiphon dem Fest Mariä Verkündigung am 25. März zugeordnet, durch das angehängte Alleluia konkret für den eher seltenen Fall, dass das Fest in die Osterzeit fällt. 13 Damit verweist der Credo-Cantus firmus sowohl auf die weit verbreitete Gebetspraxis des Rosenkranzes als auch auf das Fest Mariä Verkündigung innerhalb der Osterzeit. Das Fest Mariä Verkündigung war im Rom der Renaissance mit der höchst populären Tradition verbunden, dass in der Kirche S. Maria sopra Minerva nach dem Festgottesdienst mittellose Mädchen im heiratsfähigen Alter vom Papst mit einer Mitgift ausgestattet wurden. Initiator war Kardinal Juan de Torquemada, der im Jahre 1460 zu diesem Zweck die Bruderschaft SS. Annunziata a S. Maria sopra Minerva gründete. 14 Ein kurz nach Torquemadas Tod im Jahre 1500 entstandenes Gemälde von Antoniazzo Romano in der Annunziata-Kapelle erinnert bis heute an den Stifter und den karitativen Akt (Abb. 1). Mit seiner Unternehmung erntete der Kardinal so großen Zuspruch, dass sich die Päpste den Anlass bald zu eigen machten und die Übergabe der Mit‐ giftbörsen selbst übernahmen. Den Diarien der päpstlichen Zeremonienmeister ist zu entnehmen, dass das zumeist in die Fastenzeit fallende Fest oft auf den Osterdienstag verlegt und unter Beteiligung der Kurie samt päpstlichen Sängern in S. Maria sopra Minerva begangen wurde. Häufig findet sich zudem der Verweis auf die Erteilung eines päpstlichen Segens mit Ablass. So auch unter Paul III.: Das Diarium des Jahres 1537 etwa stellt eigens heraus, dass der Papst zwischen Messe und Börsenübergabe „dedit Benedictionem indulgentie“. 15 Ungeachtet der zuvor erwähnten Ablassinflation in der Renaissance blieben feierliche päpstliche Segen Ausnahmeereignisse, und sie wurden vor allem am Hauptfeiertag Ostern von der Benediktionsloggia von San Pietro aus erteilt - die Erteilung eines päpstlichen Segens mit Plenarindulgenz bedeutete also eine enorme Aufwertung des Anlasses. 416 Klaus Pietschmann <?page no="417"?> Abb. 1: Antoniazzo Romano, Die Madonna Annunziata übergibt die Aussteuer den von Kardinal Torquemada vorgestellten armen Mädchen (um 1500); Rom, S. Maria sopra Minerva, Cappella dell’Annunziata (Foto: Peter1936F; https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: SMsM_Cappella_Annunziata_Altarbild.jpg). Somit liegt es nah, Morales’ Missa de Beata Virgine als für den Festanlass bestimmte Messvertonung zu interpretieren, die den allgemeinen marianischen Bezug der Spiritus et alme-Tropen im Gloria durch die Wahl des Ave Maria als Credo-Cantus firmus festspezifisch präzisiert und durch das hinzugefügte Alleluia auf die Verlegung des Festes in die Osterzeit reagiert. Der auf die Messe folgende päpstliche Segen bildet dabei einen zentralen Bezugsrahmen für die musikalische Gestaltung, die ein Bemühen um die Schaffung einer spezifischen Andachtshaltung erwarten lässt und am Beispiel des Credo kurz erläutert sei. Zunächst bedeutet die Einflechtung der Vesperantiphon speziell in das Credo der Annuntiatio-Liturgie eine dramaturgisch wirkungsvolle Entscheidung. Im Evangelium ist kurz zuvor die Begrüßung Marias durch den Engel in den Worten des Evangelisten Lukas verlesen worden und mit hoher Wahrschein‐ Maria zart und Ave Maria 417 <?page no="418"?> lichkeit Gegenstand einer Predigt gewesen. Das gesungene Aufgreifen der Worte des Engels im Credo wirkt dabei per se im Sinne einer Überhöhung des zentralen Festinhalts, denn nach der Verkündung im Evangelium und der rationalen Auslegung in der Predigt erfolgt nun in einem weiteren Schritt die emotional-andachtsbezogene Evokation der Antiphon und damit zugleich der omnipräsenten Gebetspraxis. Hinzu kommt, dass das Credo im Messritus den Ort der Selbstvergewisserung der Gemeinde im gemeinschaftsstiftenden Glauben markiert; durch den Cantus firmus wird damit Maria als zentrale Identifikationsfigur der Gläubigen affirmiert und die mit ihr verknüpfte Mari‐ enfrömmigkeit in den Rang eines Glaubensfundaments erhoben. Allein die auditiv gut vernehmbare Präsenz dieses speziellen Cantus firmus also konnte beim Zuhörer ein entsprechendes Assoziationsfeld aufrufen, das die erwünschte Andachtshaltung erwarten ließ. Der Cantus firmus wird jedoch weitergehend dazu genutzt, einzelnen Pas‐ sagen des Credo-Textes konkrete marianische Konnotationen hinzuzufügen - analog zu der linearen Tropierung des Gloria, hier jedoch in vertikaler. Intonation: Credo in unum Deum - 1. Patrem omnipotentem, factorem cæli et terræ, 1. Ave Maria visibilium omnium et invisibilium; ---------------et in unum Dominum Iesum Christum, Gratia plena Filium Dei unigenitum, et ex Patre natum ---------------ante omnia sæcula, Deum de Deo, lumen de lumine, Dominus tecum Deum verum de Deo vero, ---------------genitum, non factum; consubstantialem Patri; Benedicta tu per quem omnia facta sunt; qui propter nos homines In mulieribus et propter nostram salutem Alleluia. descendit de cælis, 2. Ave Maria et incarnatus est de Spiritu Sancto Gratia plena, Dominus tecum ex Maria Virgine, Benedicta tu et homo factus est. In mulieribus, alleluia. 2. Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato 3. Ave Maria 418 Klaus Pietschmann <?page no="419"?> passus et sepultus est; ---------------et resurrexit tertia die secundum scripturas, Gratia plena, Dominus tecum et ascendit in cælum, Benedicta tu sedet ad dexteram Patris. In mulieribus, alleluia. 3. Et iterum venturus est cum gloria iudicare - vivos et mortuos, cuius regni non erit finis. - 4. Et in Spiritum Sanctum Dominum et vivificantem, 4. Ave Maria qui ex Patre Filioque procedit; ---------------qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur; Gratia plena, Dominus tecum qui locutus est per Prophetas; ---------------et unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam. Benedicta tu Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum, In mulieribus, alleluia. et exspecto resurrectionem mortuorum 5. Ave Maria, gratia plena et vitam venturi sæculi. Amen. Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus, alleluia. Der Satz gliedert sich in insgesamt vier Teile, in der Darstellung gekennzeichnet durch die Nummerierung im Credo-Text. Der Cantus firmus erklingt dabei je zweimal in den beiden Randteilen, einmal im zweiten Teil, im dritten Teil schweigt er. Seine auditive Wahrnehmbarkeit ist dabei vor allem dann gewährleistet, wenn er in kürzeren Notenwerten erscheint, also beim zweiten, dritten und fünften Erklingen. Deren Platzierung erscheint genau kalkuliert: Das zweite Erklingen erfolgt gleichzeitig mit dem Credo-Textabschnitt, der die Menschwerdung Christi beinhaltet - auf diese Weise wird das Eintreffen der Prophezeiung des Engelsgrußes herausgestellt. Das dritte Auftreten des Cantus firmus ist auf den Kreuzestod und die Auferstehung bezogen - eine Parallelset‐ zung, wie sie in den gängigen Formen des sog. schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzes allgemein etabliert war. Präzise kalkuliert ist schließlich auch das auf nur 21 Mensurtakte gestauchte fünfte Antiphonzitat, das gleichzeitig mit den beiden letzten Credo-Textzeilen erklingt, die die Erwartung der Auferstehung und des ewigen Lebens formulieren - die Heilserwartung also, die letztlich Maria zart und Ave Maria 419 <?page no="420"?> der ganzen Ablassfrömmigkeit zugrunde liegt und hier mit dem marianischen Gebet klimaktisch eng geführt wird. Damit, so ließe sich zugespitzt formulieren, ist der musikverständige Gottesdienstteilnehmer innerlich umfassend auf die nun folgende Eucharistiefeier und den abschließenden päpstlichen Segen als Höhepunkt vorbereitet. Ganz im Sinne von Tinctoris werden dabei sowohl auf affektiver wie auf intellektueller Ebene Andachtsstimuli angeboten, die auf eine spezifisch marianische Lesart des Credo-Textes abzielen. Diese wiederum war durch die marianischen Gloria-Tropen sowie Evangelium und Predigt stufenweise vorbereitet worden. Sicherlich ließen sich weitere intertextuelle Verschränkungen zwischen Credo-Text und Cantus firmus etwa auch auf der Ebene von Einzelbegriffen auf‐ zeigen. Sie würden den sich bereits abzeichnenden Befund stützen, dass Morales eine vielschichtige Engführung von populären Formen der Marienfrömmigkeit und der Messliturgie vornimmt. Diese Vielschichtigkeit wendet sich dabei an ein breites Publikum: Die mittellosen, mit Mitgiftsbörsen auszustattenden Mädchen etwa werden durch das bloße Erklingen der Ave Maria-Antiphon an das Rosenkranzgebet erinnert, während musikverständige Kenner unter den Anwesenden die intrikate Intertextualität zum Anlass einer Meditation nehmen können. In jedem Fall löst die Vertonung eine Andachtshaltung aus, die sich als Vorbereitung auf den an den Anlass geknüpften Ablass verstehen lässt. Das Beispiel verdeutlicht damit ebenso wie Obrechts Missa Maria zart die grundsätzliche Herausforderung einer kulturgeschichtlich ausgerichteten Mes‐ senforschung. Eine so genaue Anlassbzw. Kontextbestimmung wie in diesen beiden Fällen ist in den seltensten Fällen möglich, und folglich muss die Einord‐ nung kompositorischer Entscheidungen vielfach vage bleiben. Allerdings zeigt die weite Verbreitung von Morales’ Missa de Beata Virgine, dass sie keineswegs an die römische Annunziata-Zeremonie gebunden blieb. Diese Offenheit des Messenrepertoires, das sich vom Entstehungskontext zu emanzipieren vermag und sich neue Kontexte gleichsam erschließt, bietet ein reiches Forschungsfeld, das noch viele Perspektiven bietet. 420 Klaus Pietschmann <?page no="421"?> 1 Siehe https: / / iah-hymnologie.de/ de/ startseite/ (Zugriff am 01.07.2023). Vgl. auch Franz Karl P R Aẞ L , Art. Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, 4 (2001), 201f. 2 Das Mitgliederverzeichnis ist aus Datenschutzgründen nur im internen Bereich der Website (wie Anm. 1) einsehbar. 3 Dies schon lange, bevor an (Musik-)Universitäten „artistic research“ als Zusammen‐ schau von wissenschaftlicher und künstlerisch-praktischer Forschung entdeckt worden ist. Einheit in versöhnter Verschiedenheit UNISONO, das Gesangbuch der IAH 1997 Franz Karl Praßl Die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie e.V. (IAH) 1 versteht sich seit ihrer Gründung 1959 als ein Zusammenschluss von Menschen, die sich mit dem Kirchenlied beschäftigen, theoretisch wie praktisch, als aus‐ übende Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, im Bereich von Dichtung und Komposition und in der Forschung (hauptsächlich in Disziplinen wie Liturgiewissenschaft, Musikwissenschaft, Sprach- und Literaturwissenschaft, Buchkunde usw.). Der IAH gehören 2023 insgesamt 332 Mitglieder aus 32 Ländern an, 2 neben den meisten europäischen Ländern und Nordamerika kommen Mitglieder auch aus Korea, Japan, Taiwan, Südafrika und Uganda. Die alle zwei Jahre stattfindenden Tagungen sind gleichermaßen wissenschaftlich wie musikalisch-praktisch ausgerichtet. 3 Der musikalische Teil der Tagungen beschränkt sich nicht auf Konzerte, Singstunden, Hymn-Festivals und derglei‐ chen, sondern ist vielmehr auch in die täglichen Gottesdienste integriert, in die Morgengebete und die eucharistischen Liturgien bzw. Hauptgottesdienste der verschiedenen Konfessionen. Es entstand daher der berechtigte Wunsch, anstelle von Liederzetteln bzw. kleinen Liederheften ein für die IAH maßge‐ schneidertes Gesangbuch zu erstellen. <?page no="422"?> 4 Magda R I E H M , in: Mitteilungen der IAH 12, November 1988, 4. Die Mitteilungen liegen alle auch im IAH-Archiv an der Fakultätsbibliothek Theologie an der Karl-Fran‐ zens-Universität Graz auf. Kustos des Archivs ist Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Ebenbauer. 1 Von den verschlungenen Pfaden der Manuskripterstellung bis zur Buchpräsentation Die Vorarbeiten für ein Gesangbuch der IAH - international, mehrsprachig (es wurden letztendlich 16 verschiedene Sprachen berücksichtigt), ökumenisch - wurden im Zuge der IAH-Tagung in Lund 1987 initiiert, als eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Markus Jenny eingerichtet wurde. Bevor das Manuskript überhaupt in Ansätzen sichtbar war, gab es schon den Buchtitel: UNISONO , als Symbolwort für gemeinsames, aber nicht uniformiertes Singen. In den Mitteilungen der IAH vom November 1988 war darüber zu lesen: „Zu ‚Unisono‘: Die Arbeit an dem mehrsprachigen Liederbuch geht zwar kontinuierlich und zielstrebig voran, aber die Gruppe, die sich damit befaßt, kann sich aus Kosten‐ gründen (so reich ist die IAH leider nicht! ) nur immer im Zusammenhang mit Tagungen treffen“. 4 Die elf Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind im Begleitwort des UNISONO erwähnt: Hedwig T. Durnbaugh (USA), Gerhard Hahn (D), Philipp Harnoncourt (A), Jürgen Henkys (D), Markus Jenny (CH), Wim Kloppenburg (NL), Robin A. Leaver (USA), Alan Luff (GB), Andreas Marti (CH), Franz Karl Praßl (A), Elisabeth Wentz-Janacek (S). Die Arbeitsschwerpunkte der Mitglieder waren fächerübergreifend, es waren vielfach mehrere Kompetenzen in einer Person vereint. Bei acht Mitgliedern war dies im Bereich von Theologie bzw. Litur‐ giewissenschaft der Fall, Erfahrungen mit Kirchenmusikpraxis hatten sieben Personen, fünf waren (auch) der Musikwissenschaft zuzurechnen. Drei Persön‐ lichkeiten wiesen eine sprachbzw. literaturwissenschaftliche Kompetenz aus, mit Jürgen Henkys war auch ein prominenter Kirchenlieddichter vertreten. In der Konfessionszugehörigkeit überwogen die sieben Mitglieder aus verschie‐ denen Kirchen der Reformation, zwei waren anglikanisch, zwei katholisch. In einer Rückschau nach mehr als 30 Jahren kann gesagt werden, dass enges konfessionelles Denken bei der Erstellung des Buches keine Rolle gespielt hat; der Inhalt der Publikation mag dies bestätigen. Man wusste einfach voneinander, wo allenfalls auch „rote Linien“ vorhanden, welche davon überschreitbar waren und welche nicht. Auf Befindlichkeiten bzw. Ängstlichkeiten kirchlicher Ver‐ antwortungsträger musste in einem institutionell unabhängigen Verein keine Rücksicht genommen werden. Dazu standen vor allem auch die nicht wenigen kirchlichen Amtsträger in dieser Arbeitsgruppe. 422 Franz Karl Praßl <?page no="423"?> 5 „Joint-Conference“ ist die Bezeichnung für die alle sechs Jahre stattfindende gemein‐ same Studientagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH), der Hymn Society of Great Britain and Ireland und der Hymn Society in the United States and Canada. 6 Magda R I E H M , in: Mitteilungen der IAH 15, Juni 1990, 3. 7 Magda R I E H M , in: Mitteilungen der IAH 24, November 1994, 4. Nicht alle Mitglieder der Arbeitsgruppe waren damals auch Mitglieder im Vorstand der IAH. 8 Zu den Vorgängen vgl. Hermann M I K L A S , Grüne Pflanze in gedeihlichem Klima - Ökumene in der Steiermark, in: Begegnung und Inspiration - 50 Jahre Ökumene in Österreich, hg. vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich, Graz 2008, 68-74. Die komplexe Arbeit ging tatsächlich trotz der genannten Umstände zügig voran. Magda Riehm konnte im Juni 1990 berichten: „Im März dieses Jahres tagte sowohl die Arbeitsgruppe UNISONO als auch der IAH-Vorstand in Leuven, dem Orte der Joint-Conference 5 1991. Während anstrengender und voll gefüllter Sitzungstage konnte die UNISONO -Gruppe ihre Arbeit nahezu beenden und der Vorstand die organisatorische und inhaltliche Planung der Tagung 91 zumindest in groben Zügen aufstellen. Über die abschließende Arbeit an UNISONO und die Herausgabe des Liederbuches wird in den MITTEILUNGEN im November ein Bericht erscheinen“. 6 Dieser Beitrag ist allerdings nie erschienen. Magda Riehm erwähnte jedoch in ihrem Rechenschaftsbericht anlässlich ihres Ausscheidens als Sekretärin der IAH: „das UNISONO -Manuskript wurde von den daran arbeitenden Vorstandsmitgliedern fertiggestellt“. 7 Das Manuskript war zwar fertig, die weiteren Arbeiten kamen aber abrupt zum Stillstand, als Markus Jenny plötzlich von seiner schweren Erkrankung heimgesucht wurde. So blieb das Manuskript zunächst einige Jahre liegen. Als die Vorbereitungen für die Zweite Europäische Ökumenische Versamm‐ lung in Graz 1997 in die engere Phase traten, 8 waren sich zwei Mitglieder der Arbeitsgruppe UNISONO , nämlich Andreas Marti und der Autor dieses Beitrags, einig: jetzt oder nie. Das UNISONO müsse zur Ökumenischen Ver‐ sammlung in Graz erschienen sein. Das Manuskript wurde ein letztes Mal kritisch durchgesehen. Das deutsche Vorwort musste in 14 Sprachen übersetzt werden (die 16. Sprache war Latein, hier konnte eine Übersetzung unterbleiben). Neben den Mitgliedern der IAH haben auch Studierende der Abteilung Kirchenmusik an der damaligen Mu‐ sikhochschule in Graz (heute: Kunstuniversität) bei den Übersetzungen mitge‐ holfen; das Kirchenmusikinstitut war damals international breit aufgestellt. Schwieriger war das Finden eines Verlegers, der die Risiken eines solchen Buchprojektes eingehen wollte. Es wurde schließlich der habilitierte Religions‐ Einheit in versöhnter Verschiedenheit 423 <?page no="424"?> 9 Heute Univ.-Prof. für Religionspädagogik und Katechetik sowie Leiter des Hochschul‐ lehrganges Religionspädagogik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Hei‐ ligenkreuz im Wienerwald: https: / / www.hochschule-heiligenkreuz.at/ lehrende/ prof-u niv-doz-dr-andreas-schnider/ (Zugriff am 01.07.2023). 10 Das Programmbuch: Herbert B E I G L B Ö C K - Wilfried N A U S N E R (Hgg. im Auftrag der KEK und CCEE), Versöhnung. Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens. Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 23.-29. Juli 1997, Graz/ Österreich, Graz 1997. 11 Siehe Programmbuch (wie Anm. 10), 198. pädagoge Dr. Andreas Schnider 9 dafür gewonnen, der 1989 seinen eigenen Manumedia Schnider Verlag gegründet hatte, der auch als Verlag Zeitpunkt Schnider publiziert hat. Schnider war begeistert vom Projekt eines vielspra‐ chigen ökumenischen Gesangbuches, und er beschäftigte sich intensiv mit dem Werden der Publikation. Das Manuskript musste relativ rasch gesetzt und das Layout eingerichtet werden; mit dieser nicht geringen Arbeit konnte ein Lehrender an der Grazer Musikhochschule betraut werden, Mag. Wolfgang Riegler. Die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung fand in Graz vom 23.- 29. Juni 1997 statt. 10 Knapp davor konnte das UNISONO tatsächlich ausgeliefert werden. Das Buch wurde - ohne dass dies wegen der knappen Zeit vorher aus „Sicherheitsgründen“ groß angekündigt werden konnte - in einer der offiziellen Kulturveranstaltungen der Ökumenischen Versammlung vor einer großen Zuhörerschaft präsentiert. Dies geschah in einem Konzert, das aus mehreren Gründen bemerkenswert war, wie es schon der offizielle Titel sagte: „Gregorianik am Bahnhof. Psallat ecclesia mater - Gesänge von der und über die Kirche. […] Dienstag, 24. Juni 1997, 22.00 Uhr Bahnhofshalle Hauptbahnhof Graz. Grazer Choralschola, Leitung Franz Karl Praßl“. 11 Es sollte ein Gregori‐ anikkonzert im öffentlichen Raum sein, die große Bahnhofshalle war schon aufgrund ihrer guten Akustik für das Singen bestens geeignet. Nachdem der vorletzte Schnellzug des Tages eingefahren war, konnte die Rolltreppe abgestellt werden und das Konzert in der übervollen Halle beginnen. Am Ende wurde eine Überraschung angekündigt: die Präsentation des UNISONO , welche von Philipp Harnoncourt souverän gestaltet worden ist. Am Ende wurde gesungen: The day you gave us, Lord, has ended, gleichzeitig in vier Sprachen: englisch, deutsch, norwegisch, französisch. Die IAH hatte nun ihr Liederbuch, es konnte erstmals im Sommer jenes Jahres bei der Joint-Conference in York (Großbritannien) verwendet werden. 424 Franz Karl Praßl <?page no="425"?> 12 Dargestellt in: Franz Karl P R Aẞ L , „So sie’s nicht singen, so gleuben sie’s nicht“ - Erin‐ nerungen an Philipp Harnoncourt, in: Erich R E N H A R T (Hg.), Denkschrift. In memoriam Philipp Harnoncourt *9. Februar 1931 †25. Mai 2020, Graz 2021, 45-56, hier: 54. 2 Zum theologischen Konzept des UNISONO Das knappe Vorwort des Buches erläutert vor allem das theologische Konzept: „Wenn Christen gleich welcher Konfession oder Sprache zusammenkommen, um gemeinsam Gottes Wort zu hören, miteinander zu beten und zu singen, dann bezeugen sie Christus als ihren einen Herrn. In ihm sind sie eins. Diese Einheit der Christen in ihrem Singen ist weltweit im Wachsen. Ein Zeugnis dafür und zugleich eine Hilfe auf dem Weg dorthin soll die vorliegende Sammlung sein. Sie faßt die wichtigsten der gegenwärtig bereits über eine oder mehrere Konfessions- oder Sprachgrenzen hinweg verbreiteten christlichen Lieder und Gesänge zusammen. Bei Gottesdiensten oder anderen Zusammenkünften von sprachlich gemischten Gruppen oder Gemein‐ schaften, bei Tagungen und Kongressen, Wallfahrten und Kirchentagen, im Tourismus und in Regionen an den Sprachgrenzen soll das Buch im ökumenischen wie im monokonfessionellen Gebrauch seinen Dienst tun. Die ‚Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie‘ (IAH) - der einzige über‐ konfessionelle weltweite Zusammenschluß von Wissenschaftern und Praktikern, die sich um den christlichen Kirchengesang bemühen - hielt es von seinen Arbeitszielen her für seine Pflicht, durch eine entsprechend zusammengesetzte Gruppe aus ihren Reihen diese Sammlung zusammenbringen und sorgfältig redigieren zu lassen. Sie hofft, der christlichen Welt damit einen vielfältigen Dienst zu leisten und die Kirchen dem Ziel des Singens UNI SONO - aus einem Munde (Römer 15,6) - ein Stück näher zu bringen.“ Ziel des Buches ist es also, für einen möglichst großen sowie kulturell als auch herkunftsmäßig vielfältigen Benutzerkreis gemeinsames Singen zu ermögli‐ chen, vor allem im Gottesdienst der christlichen Kirchen. Das Einssein im Singen ist ein hörbares Lebenszeichen einer zumindest partiellen Einheit im Glauben und im Bekenntnis des drei-einen Gottes. Gemeinsamkeit im Singen ist auch das Bezeugen einer wachsenden Einheit von Christinnen und Christen, die sich mit ihrer Stimme zu Christus als ihrem Herrn bekennen. Dass Singen ein besonderer Ausdruck des Glaubens ist, braucht hier nicht eigens betont zu werden. Philipp Harnoncourt hat in Abwandlung eines Satzes von Martin Luther in dessen Vor‐ wort zum Babstschen Gesangbuch 1545 mehrfach geschrieben: „So sie’s nicht singen, so gleuben sie’s nicht“. 12 Mit dieser Grundüberzeugung, dass es ohne Gesang nur ein rudimentäres Bekenntnis des christlichen Glaubens geben kann, hat Harnoncourt im Kreise der Liturgiewissenschaftler seiner Generation in der Einheit in versöhnter Verschiedenheit 425 <?page no="426"?> 13 Philipp H A R N O N C O U R T , Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie. Studien zum liturgischen Heiligenkalender und zum Gesang im Gottesdienst unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebiets, Graz 1974. 14 Franz Karl P R Aẞ L , In memoriam Philipp Harnoncourt (09.02.1931-25.05.2020), in: IAH-Mitteilungen 73 (2021), 17-19. 15 Einen guten Einblick in diese Fragen gibt: Franz Karl P R Aẞ L - Piotr T A R L I N S K I (Hgg.), Bene cantate ei. Festschrift 50 Jahre I.A.H. (IAH-Bulletin 37), Graz - Opole 2009. 16 Vgl. Thomas L A B O N T É , Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Enstehung, Corpusanalyse, Rezeption (Mainzer Hymnologische Studien 20), Tübingen 2008, bes. 109. 110. Bei Lutherliedern wurde in der Erstauflage des „Kirchenlied“ 1938 der Name des Autors nicht genannt, dies geschah erst bei einem Nachdruck 1962. unmittelbaren Nachkonzilszeit quasi als „Exot“ unermüdlich auf die Bedeutung von Gesang und Musik im Gottesdient hingewiesen und diesem Aspekt auch einen Teil seiner Habilitationsschrift gewidmet. 13 Es kommt daher nicht von ungefähr, dass er sich in der Anfangsphase der IAH mit besonderer Energie dieser transnationalen und ökumenischen Gesellschaft vor allem in seiner Zeit als deren Sekretär gewidmet hat. 14 Die IAH wurde schließlich 1959 gegründet, um Forschung am Kirchenlied international, vielsprachig und ökumenisch aufzustellen und dafür ein breites Netzwerk weltweit zu knüpfen. 15 Harnoncourt hatte daran großen Anteil, auch durch seine Mitarbeit am UNISONO . Dass dem Ziel, gemeinsames Singen von Christinnen und Christen über viele Grenzen hinweg zu realisieren, zahlreiche Hindernisse entgegenstehen, versteht sich von selbst. Hindernisse wie Hemmnisse haben einen „natürlichen“ Aspekt, aber auch Aspekte in den Köpfen der Menschen, die mit solchen Fragen befasst sind. Die Lieder „der anderen“ waren für die Mitglieder der IAH wohl nie ein wirkliches Problem, ein Blick in die Gesangbuchgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt jedoch, dass es nicht immer selbstverständlich war, z.B. evangelische Autoren in katholischen Gesangbüchern offen zu nennen. 16 3 Zur Struktur des Buches UNISONO enthält 133 Lieder und Gesänge. Der Aufbau folgt traditionellen Mustern eines Kirchengesangbuches, ökumenisch ausgerichtet und angerei‐ chert. Nach dem lateinischen Pater noster als Eröffnung finden sich Lieder und Gesänge gemäß dem Verlauf des Kirchenjahres vom Advent bis Pfingsten. Im Kapitel „Gottesdienst“ stehen 16 Bausteine eines erweiterten „Ordinariums“ für die eucharistischen Liturgien der Großkirchen wie Katholiken, Anglikaner, Lutheraner in lateinischen wie volkssprachlichen Versionen. Daran schließt sich ein Abschnitt mit 13 Psalmliedern und dem Magnificat an. Es folgen die 426 Franz Karl Praßl <?page no="427"?> 17 Über diese und andere komplexe Zusammenhänge der Geschichte der Hymnologie informiert: Mark A. L A M P O R T - Benjamin K. F O R R E S T - Vernon M. W H A L E Y (Hgg.), Hymns and Hymnody. Historical and Theological Introductions, 3 Bde., Eugene, Oregon 2019. thematischen Kapitel „Lob - Dank - Bitte“, „Botschaft“ und „Kirche“. Am Ende des Liedteils stehen die Morgen- und Abendlieder. Das UNISONO wurde bewusst nicht paginiert, um - vor allem in internatio‐ nalen Kontexten - eine ständig vorkommende Verwechslung von Seitenzahl und Liednummer zu vermeiden. So können auch ein Vorwort (in 15 Sprachen) sowie ein Nachwort (deutsch, englisch, französisch) nicht in herkömmlicher Weise zitiert werden. Die Liste der Urheberrechtsträger und ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis, in dem die Ursprungsversionen der Lieder und Gesänge in Majuskeln ausgewiesen sind, vervollständigen das Buch. Die Statistik der Ursprungsversionen gemäß den Incipits im Inhaltsver‐ zeichnis zeigt folgendes Bild: Deutsch 45 Latein 31 Englisch 29 Schwedisch 9 Französisch 7 Niederländisch 7 Dänisch 3 Norwegisch 3 Finnisch 1 Polnisch 1 Ungarisch 1 Elf von 16 Sprachen stellen zumindest einmal die Ursprungsversion eines Liedes. Aus Tschechien, Kroatien, Slowenien, Italien und Spanien kommen nur Übersetzungen. Dies mag typisch für eine internationale Hymnologie zu Beginn der Neunzigerjahre gewesen sein; heutige mehrsprachige Gesangbücher, die z.B. auch das Repertoire von Taizé oder das internationale Neue Geistliche Lied miteinbeziehen, werden in dieser Frage ein anderes Bild bieten. Dass deutsche Lieder die Statistik der Ursprungsversionen mit Abstand anführen, hat seinen Grund nicht allein in der Zusammensetzung der Arbeits‐ gruppe. Rein historisch gesehen kommen aus dem Kernland der Reformation viele Lieder, die sehr rasch Konfessionsgrenzen übersprungen haben. Der Blick auf das deutsche Kirchenlied im England des 19. Jahrhunderts hat z.B. viele Übersetzungen und Bearbeitungen nach sich gezogen. 17 Die Highlights des Einheit in versöhnter Verschiedenheit 427 <?page no="428"?> 18 Dies hebt das UNISONO auch von vergleichbaren Publikationen wie dem Liederbuch Cantate Domino, Kassel 1974, ab. Der Mut zur Gleichzeitigkeit ist ein entscheidendes Kriterium, um Ausschluss vom Singen zu minimieren. 19 Ulrich P A R E N T - Martin R Öẞ L E R , [Nr.] 44 - O du fröhliche, in: Gerhard H A H N - Jürgen H E N K Y S (Hgg.), Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 4, Göttingen 2002, 26-30. 20 Enthalten auch im Programmbuch der Grazer Ökumenischen Versammlung (wie Anm. 10), 224. englischen Kirchengesangs waren teilweise schon bekannt, wie die Jahreszahlen der Übersetzungen anzeigen. Dass englische Lieder eine größere Resonanz gefunden haben, hängt sicher auch mit der Praxis des ökumenischen Singens in den offiziellen Gremien wie z.B. dem Ökumenischen Rat der Kirchen zusammen. Die Übernahmen von Liedern aus Nordeuropa sind wohl zum größeren Teil dem Netzwerk der IAH geschuldet, neuere Lieder aus den Niederlanden, z.B. von Huub Oosterhuis, haben ihren Weg von alleine gefunden. Dass Länder aus Ostmitteleuropa sehr schwach vertreten sind, ist zum Großteil der Behinderung dieser Kirchen durch die kommunistischen Regimes zuzuschreiben, welche auch eine kulturelle Entfaltung dieser Kirchen nicht zugelassen und einen regulären Austausch sehr erschwert haben. Die diesbezüglichen Bemühungen der IAH waren kompliziert und mussten sehr diskret bleiben. 4 Gemeinsamkeit in der Sprachenvielfalt - wie vermeidet man den Turmbau zu Babel? Gravierend war das Problem der Sprachenvielfalt in seinen konkreten Details. Aufgrund einer über viele Jahre geübten und bewährten Praxis in der IAH sollte das Gesangbuch so ausgerichtet sein, dass alle bei einer Feier Anwesenden ein Lied in ihrer Sprache (bzw. nach Wahl einer ihnen nahestehenden Sprache) gleichzeitig gemeinsam singen konnten. 18 Liederzettel vor dem UNISONO enthielten daher auch meist die Rubrik: „Wir singen alle gemeinsam, ein jeder in seiner Sprache.“ Dem „technischen“ Akt des gleichzeitigen gemeinsamen Singens geht freilich die Einsicht voraus, dass ein vielsprachiges Lied in jeder einzelnen sprachlichen Version auch den identischen Inhalt repräsentieren muss. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigen viele Wanderungen von Liedmelodien in andere Sprach- und Kulturräume. Das süditalienische Marien‐ lied O sanctissima mutiert im deutschen Sprachraum zum Weihnachtslied O du fröhliche. 19 Die Melodie der deutschsprachigen Paraphrase des Te Deum Großer Gott, wir loben dich erscheint in italienischen Gesangbüchern meist als dreistrophiges Loblied auf die Dreifaltigkeit Te lodiamo, Trinità. 20 428 Franz Karl Praßl <?page no="429"?> 21 Das Bild „Gras und Ufer“ ist meist nicht verstanden worden. Der Autor des Liedes meinte damit einen Blick vom Festland auf die Weite des Meeres, um die Weite der Liebe Gottes zu beschreiben. Einen Gutteil der Arbeit am Manuskript machte daher die Suche nach inhaltlich kompatiblen Versionen aus. Diese mussten u. U. bei nicht gänzli‐ cher Übereinstimmung erst von Native Speakern adaptiert werden. Mitunter wurden auch Kirchenliedautoren in den verschiedenen Ländern beauftragt, geeignete Fassungen für das gemeinsame Singen herzustellen. Vom damals in Keutschach/ Hodiše bei Klagenfurt tätigen Pfarrer Lorenz (Lovro) Kassl, einem Kärntner Slowenen, stammt z.B. die slowenische Version des Liedes Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, die er 1990 im Auftrag der Arbeitsgruppe erstellt hat: Hvali, Gospoda, mogočnega Kralje vse slave. Die 1974 schon vorhandene, verkürzte italienische Version von Eugenio Costa jr. SJ und Giuseppe Sobrero Lode all’ Altissimo wurde 1991 vom damaligen Turiner Organisten Massimo Nosetti um die Strophen 3 und 4 ergänzt. Die englische Version von Catherine Winkworth musste Hedwig (Hedda) Durnbaugh 1990 um die dritte Strophe ergänzen. Alle anderen Versionen waren schon älteren Datums, sodass dieses Lied im UNISONO in acht Sprachen aufscheint: Deutsch, Englisch, Niederländisch, Dänisch, Tschechisch, Ungarisch, Slowenisch und Italienisch. Acht Sprachen waren das Maximum für die Auswahl der verschiedenen Versionen, da sich dies mit dem doppelten Abdruck der Melodie ausging. Häufig beließ man es bei vier Sprachen, aber auch in diesem Falle musste die eine oder andere Version erst beauftragt werden. Dies geschah auch unter dem Aspekt eines gewissen Ausgleichs unter den verschiedenen europäischen Regionen. Der damalige Hit der Jungen und jung Gebliebenen Guds kärlek är som stranden och som gräset von Anders Frostenson 1968 wurde im deutschen Sprachraum in konkurrierenden Versionen verbreitet, meist unter Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer (was zu vielen Missverständnissen geführt hat 21 ), aber ins UNISONO schaffte es die vor allem in der Schweiz lancierte Version von Markus Jenny Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe. Die Arbeitsgruppe fand offenbar Gefallen an diesem Lied. So hat Hedda Durnbaugh, eine Wienerin in den USA, welche die langjährige Dolmetscherin der IAH für Deutsch-Englisch und Englisch-Deutsch gewesen ist, 1991 die englische Version erstellt und Lorenz Kassl die slowenische, welche sich relativ rasch in Südkärnten und Slowenien eingesungen hat. Der katholische Klassiker Ein Haus voll Glorie schauet in der Version des Gotteslob 1975 durfte im UNISONO auch nicht fehlen. Da dieses von den Katholiken in der Arbeitsgruppe gewünschte Lied damals weder der Kommis‐ Einheit in versöhnter Verschiedenheit 429 <?page no="430"?> sion bekannte Konfessionsnoch Sprachgrenzen überschritten hatte, wurden 1990 und 1991 kurzerhand von Lorenz Kassl eine slowenische, von Elisabeth Wentz-Janacek eine schwedische und von Massimo Nosetti eine italienische Version erstellt. Dies war einer der wenigen Fälle, wo nicht streng nach der Empirie vorgegangen wurde, bereits über Sprach- und Konfessionsgrenzen hinausgehende Lieder zu suchen. Im Falle dieses Liedes ergab sich freilich der angenehme Nebeneffekt, dass nun ein weiteres Lied für die Dreiländerwallfahrt der (Erz-)Diözesen Gurk-Klagenfurt, Ljubljana und Udine für die polyglotten Wallfahrerinnen und Wallfahrer vorhanden war. 5 Wieviel Latein verträgt ein internationales ökumenisches Gesangbuch? Bestandteil des Grundkonzepts von UNISONO war es, die wichtigsten Gesänge für die Feier der eucharistischen Liturgien in den diversen christlichen Kirchen bereitzustellen. Für Anglikaner, Lutheraner und Katholiken war dies durch die Liedauswahl durchaus gegeben: Kyrie, Gloria (Allein Gott in der Höh) und Sanctus (Heilig, heilig, Steinau) waren in mehreren Sprachen vorhanden. Es stellte sich aber auch die Frage nach der Gregorianik, und dies nicht nur für die katholischen Eucharistiefeiern, sondern in der Vielfalt ihrer heutigen litur‐ giepraktischen Erscheinungsformen und in der internationalen Gegebenheit als nach wie vor mächtige Wurzel des volkssprachigen Kirchenliedes. Das UNISONO wird eröffnet mit dem Pater noster gemäß der Melodie im heutigen Missale Romanum. Dem folgt eine deutsche bzw. englische Version gemäß dem lateinischen Kantillationsmodell. Die Nr. 43 ist überschrieben mit „Ordinarium Missae“. Hier findet sich die vollständige Missa mundi samt den heutigen zwei Ite missa est-Versionen (per annum und für Ostern). Auch das Gloria der Ostermesse (Vat 1) wurde abgedruckt, weil es im Lied Allein Gott in der Höh zitiert wird. Auf zwei gregorianische Alleluia-Rufe folgt das lateinische Credo (Vat 3). Unter „Ante Canonem Missae“ sind die Einleitungsdialoge der Präfation zu verstehen. „Post verba Testamenti“ ist die Akklamation nach dem Einsetzungsbericht. Als Kommuniongesang firmiert das Adoro te devote latei‐ nisch, deutsch, niederländisch und englisch in bereits vorhandenen Versionen. Gott sei gelobet und gebenedeiet hingegen wird deutsch, englisch, niederländisch und kroatisch geboten. Bezüglich eines Marienliedes konnte man sich auf die Antiphon Ave Maria einigen, bei der der biblische Teil bis „Jesus“ abgedruckt ist. Dazu kommt ein rezitationsähnliches Ave Maria auf Deutsch, Slowenisch und Latein aus dem 430 Franz Karl Praßl <?page no="431"?> Kärntner Diözesananhang des Gotteslob 1975. Das Magnificat in der Version der Nova Vulgata im 6. Psalmton schließt den Teil der Psalmlieder ab. An dieser Stelle muss vermerkt werden, dass sich im UNISONO selbstver‐ ständlich auch Kernlieder der Reformation finden, wie Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort oder Ein feste Burg ist unser Gott. UNISONO ist also mit Fug und Recht als Gesangbuch der Einheit in versöhnter Verschiedenheit anzusehen. Die IAH ging, betrachtet man manches kirchliche Denken und Handeln, mit diesem Konzept von Ökumene weit voran. Latein ist auch sonst im Gesangbuch präsent. Gewünscht war der Abdruck des lateinischen Te Deum laudamus im Tonus simplex unmittelbar vor der Liedparaphrase Großer Gott, wir loben dich. Einige lateinische Hymnen der Tagzeitenliturgie sind (als Ausgangspunkt für Kirchenlieder) mit ihren heute gängigen gregorianischen Melodien aufgenommen worden, auf die auch die volkssprachlichen Versionen gesungen werden. Dies beginnt mit dem Ad‐ venthymnus Conditor alme siderum, der zusammen mit drei traditionellen Übersetzungen, deutsch (von Thomas Müntzer), englisch und niederländisch, aufgenommen wurde. Als lateinischer Morgenhymnus wurde Iam lucis orto sidere mit drei volkssprachlichen Versionen ausgewählt, von Jochen Klepper stammt die deutsche, von verschiedenen Autoren die englische. Die slowenische Version wurde dem Stundenbuch entnommen. Bei den Abendliedern steht der Hymnus Deus, creator omnium, dem niederländische, englische und deutsche Fassungen beigegeben wurden, wobei letztere aus der Arbeitsgruppe UNISONO selber stammt. Man hat bei den Hymnen nicht versucht, mit den jeweiligen landesspezifischen Übersetzungen im Stundenbuch die Höchstzahl der jewei‐ ligen Versionen (acht) auszureizen. Dies geschah nur beim Pfingsthymnus Veni, creator Spiritus, dessen sieben Übersetzungen mit der vereinfachten Melodie aus dem Gotteslob 1975 zu singen sind, während das lateinische Original sich mit der herkömmlichen Choralmelodie verbindet. Zwei Sequenzen wurden für unverzichtbar gehalten: die Ostersequenz Vic‐ timae paschali laudes und „The Golden Sequence“ (Titel von Nr. 39) Veni, Sancte Spiritus. Während letztere in der Zusammenschau von Deutsch, Niederländisch und Englisch keine Probleme bereitete, galt es, bei der Ostersequenz eine delikate Frage zu lösen. Der Sequenz fehlt seit dem Missale Romanum von 1570 üblicherweise die Parallelstrophe (Credendum est magis) zur Schlussstrophe Scimus Christum surrexisse, und dies mit gutem Grund wegen ihrer Ausfälle gegen das Judentum. Die englische Strophenfolge enthielt jedoch diesen Paral‐ lelvers, auf den man aus strukturellen, in der Sequenz selbst liegenden Gründen nicht verzichten wollte. Der Grazer Professor für Patrologie und Ökumenische Theologie, Johann Baptist Bauer (1927-2008), hatte eine Idee: Folgt man dem Einheit in versöhnter Verschiedenheit 431 <?page no="432"?> Matthäusevangelium (Mt 27,62-66), waren es ja nicht die „Juden“, sondern die „Hohenpriester“, welche quasi in prophetischer Voraussicht das Faktum des leeren Grabes und der Auferstehung vor dem Volk vertuschen wollten. Man brauchte also nur in der inkriminierten Strophe das Wort iudaeorum gegen das Wort sacerdotum auszutauschen. Damit war die Perikope, auf der die Strophe beruht, auch in Hinblick auf größere Bibeltreue gerettet. Anders Frostenson hatte schon 1971 eine passende schwedische Paraphrase geliefert, Katarina Livljanič ergänzte die kroatische Version. Allein in der finnischen Fassung musste die entsprechende Zeile leer bleiben. Auch das O-Antiphonen-Lied Veni, veni, Emanuel stellte die Herausgeber vor Probleme. In dieser Paraphrase des 12. Jahrhunderts fehlen die Antiphonen O sapientia und O rex gentium. Auch hier sorgte Johann Baptist Bauer für Abhilfe, indem er diese beiden Strophen auf Latein nachdichtete. Er, der zeitlebens Dummheit nicht leiden konnte, schrieb dementsprechend: „Veni, o Sapientia, exsolve nos amentia“, um dann genau den Antiphonentext weiter zu paraphrasieren. Alan Luff musste die entsprechenden englischen Strophen nachdichten, bei anderen Sprachen sind die entsprechenden Stellen leider leer geblieben. Die international verbreiteten spätmittelalterlichen lateinischen Osterbzw. Weihnachtslieder O filii et filiae, Puer natus in Bethlehem und Quem pastores laudavere kamen ebenfalls in ihren unterschiedlichen sprachlichen Versionen zu Ehren. Entsprechend der Ausrichtung des UNISONO wurde auch ein lateinischer Kanon aufgenommen: Jubilate Deo (nicht der von Jacques Berthier, sondern der von Michael Praetorius 1610). Überblickt man das Repertoire an lateinischen Gesängen im UNISONO , so fällt zunächst auf, welch große Rolle lateinische Hymnen oder auch Anti‐ phonen im europäischen Kirchengesang spielen, sei es auf Latein selbst (bei den gebildeteren Schichten) oder in muttersprachlichen Bearbeitungen oder Transformationen. Das Bereitstellen eines lateinischen Ordinariums für die Gemeinde samt den wichtigsten liturgischen Dialogen sollte im internationalen Kontext eine Selbstverständlichkeit sein, kann doch Gregorianik die Funktion einer katholischen Corporate Identity erfüllen, die auch im ökumenischen Raum ihren Platz haben darf. 6 Musikalische Fragen Jeder Kundige im internationalen Kirchengesang wird sofort fragen: Nach welcher Melodiefassung ist ein Lied zu singen? Nach dem Wortrhythmus oder 432 Franz Karl Praßl <?page no="433"?> 22 Z.B. Evangelische Missionsgesellschaft Basel (Hg.), Thuma mina. Singen mit den Partnerkirchen. Internationales ökumenisches Liederbuch, erarbeitet von Dieter T R A U T ‐ W E I N , Basel 1995. mensural, wenn es um Hymnenmelodien geht, in rhythmisch differenzierter Form oder gleichmäßig dahinschreitend isorhythmisch, wenn es sich um alte Kirchenliedweisen handelt? Wie sind die Genfer Psalmen hinsichtlich der Pau‐ sensetzung zu behandeln? Wie sind ältere Lieder zu notieren? Mit langen No‐ tenwerten (Halbe als Grundschlag) oder mit kurzen (Viertel als Grundschlag)? Diese Diskussionen spiegeln unmittelbar wider, was die Wiedergewinnung einer sauberen Editionstechnik bei der Alten Musik auch für die Praxis des Kirchenliedes bedeutet. Die Arbeitsgruppe hat sich entschlossen, Gregorianik auf fünf Linien mit halslosen Notenköpfen zu notieren und Tongruppen durch Zusammen- oder Auseinanderrücken gut kenntlich zu machen. Diese Notationspraxis hilft, ein nicht immer willkommenes Bekenntnis zu einer klassischen Interpretations‐ schule im Choral zu vermeiden, und begünstigt einen vom Text her kommenden flüssigen Gesang. Für Lieder der Reformationszeit und später war die Norm der Notation der Ursprungsgesang: metrisch oder auch mit Taktstrichen, wenn dies in den Quellen der Fall war. Grundsätzlich wurde eine Melodiefassung gewählt, welche einer im Ursprungsland verbreiteten Fassung entspricht. Für deutsche Lieder war die Norm eine Fassung der AÖL (Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut), so eine solche vorhanden war. Eine Praxis, die schon in der Sequenzennotation des 10. Jahrhunderts bekannt war und in den englisch‐ sprachigen Gesangbüchern grundsätzlich üblich ist, wurde auch ins UNISONO übernommen: Neben der Nummer eines Liedes steht auch deren Melodietitel („tune name“). So heißt etwa Bethany die Melodie des Liedes Näher, mein Gott, zu dir. Auf Begleitsätze oder ein Orgelbuch wurde verzichtet, da diese Materialien prinzipiell greifbar sind. In der Rückschau etwa 25 Jahre nach der Publikation des UNISONO wird man feststellen können, dass dieses Werk schon damals eher traditionell ausgerichtet gewesen ist. Das Manuskript war im Prinzip schon Ende der Achtzigerjahre fertig und muss im Vergleich mit der Liederbuchproduktion dieser Jahre 22 als etwas betrachtet werden, das schon damals in manchen Aspekten ein wenig aus der Zeit gefallen erschien. Das UNISONO war freilich das Gesangbuch der IAH, seine Zielgruppe waren die Mitglieder einer mit dem Kirchengesang befassten Vereinigung und nicht evangelische oder katholische Jugendgruppen oder Pfarren. Dieses Liederbuch von Fachleuten für Fachleute des Kirchengesangs in Theorie und Praxis konnte und musste anders aussehen Einheit in versöhnter Verschiedenheit 433 <?page no="434"?> 23 Colours of Grace. Gesangbuch der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Im Auftrag des Exekutivausschusses der GEKE und in Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) e.V. erarbeitet und heraus‐ gegeben von Peter B U K O W S K I , Thomas F L Ü G G E , Dorothea M O N N I N G E R , Christine-Ruth M Ü L L E R , Andreas M A R T I , Franz Karl P R Aẞ L und Ilsabe S E I B T , München 2006. als zeitgleich erstellte Gesangbücher für eine breit gestreute Gemeinde von Nutzern. Historische Aspekte und die Darstellung von Entwicklungen, die Verwurzelung in einer bestens bekannten Tradition und die Innovation durch Gesänge aus den Nachbarländern des zentraleuropäischen Raumes machen die Qualität dieses Buches aus. Das Neue kommt vor allem aus den Ländern des „nordeuropäischen Liederfrühlings“; die Innovationen des Kirchengesangs in Finnland, Schweden und Norwegen stehen kulturell den meisten der damaligen IAH-Mitglieder näher als Sacropop. Aber auch hier werkt heute eine neue Generation. Das UNISONO freilich sollte bald schon aufgehen im Gesangbuch der GEKE „Colours of Grace“ 23 - aber das ist eine andere Geschichte. 434 Franz Karl Praßl <?page no="435"?> 1 Hermann K U R Z K E , Kirchenlied und Kultur (Mainzer Hymnologische Studien 24), Tü‐ bingen 2010, Klappentext. 2 Vgl. die Publikationsliste in diesem Band. 3 Ansgar F R A N Z , Tageslauf und Heilsgeschichte. Untersuchungen zum literarischen Text und liturgischen Kontext der Tagzeitenhymnen des Ambrosius von Mailand (Pietas Liturgica. Studia 9), St. Ottilien 1991. Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz Interdisziplinär, quellenbasiert und datenbankgestützt Christiane Schäfer 1 Kirchenlied- und Gesangbuchforschung - ein vielfältiges Forschungsgebiet „Gesangbücher haben bis heute Millionenauflage und besitzen eine prägende Kraft für bestimmte Gemütszonen und Bevölkerungsteile. Sie sind als For‐ schungsgegenstand lange vernachlässigt worden, obgleich die Hymnologie durch ihre Lage zwischen den Textwissenschaften, der Musikologie und den Theologien ein faszinierendes Paradigma von Interdisziplinarität darstellt. Die inhaltliche Spannweite der Gesangbücher reicht vom trivialen Lied bis zur höchsten musikalischen Poesie. Kirchenlieder sind Gebrauchsliteratur, die von jeder Generation an den jeweiligen Zeitgeist angepasst wird. Die Kirchenlied- und Gesangbuchgeschichte ist deshalb ein treuer Spiegel der Kulturgeschichte.“ 1 Die Beschäftigung mit dem Forschungsfeld Kirchenlied und Gesangbuch prägt die wissenschaftliche Arbeit von Ansgar Franz schon seit vielen Jahren. Von daher lag es nahe, die vorliegende Festschrift genau diesem Themenge‐ biet zu widmen. Die von Ansgar Franz initiierten Projekte sind zahlreich, seine Publikationsliste 2 lang. Die von ihm behandelten Themen reichen von den Hymnen des Ambrosius 3 bis zu den zeitgenössischen Liedern aus der <?page no="436"?> 4 Ansgar F R A N Z , Die Tradition für die Gegenwart erschließen. Zwei Lieder von Sytze de Vries aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive (niederländisch: De traditie ontsluiten voor het heden. Twee liederen van Sytze de Vries vanuit liturgiewetenschappelijk perspectief), in: Taal die zingt. Teksten en liederen jubileumsymposium Sytze de Vries 75 op 12 september 2021 in de Domkerk te Utrecht, Schalkwijk 2022, 45 (62)-59 (73). 5 Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z , Das Antiphonar der Kartause, ein Beispiel eremi‐ tischer Liturgiereform des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Meta N I E D E R K O R N -B R U C K (Hg.), Liber amicorum James Hogg - Kartäuserforschung 1970-2006, Bd. 1, Salzburg 2007, 259-264. 6 Hermann K U R Z K E - Ansgar F R A N Z - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Got‐ teslob. Geschichte - Liturgie - Kultur. Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln, Stuttgart 2017 und Mechthild B I T S C H -M O L I T O R - Ansgar F R A N Z - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Mainzer Gotteslob. Geschichte - Musik - Spiritualität, Ostfildern 2022. 7 Ansgar F R A N Z , „Weißt du, wo der Himmel ist? “ Himmelsvorstellungen im Kirchenlied, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 20 (2005), 381-411. 8 Ansgar F R A N Z , Kirchenlied und Migration. Der Anhang des Mainzer Gesangbuchs von 1952 „Kirchenlieder unserer Brüder aus dem Osten“, in: Benedikt K R A N E M A N N (Hg.), Liturgie und Migration. Die Bedeutung von Liturgie und Frömmigkeit bei der Integration von Migranten im deutschsprachigen Raum, Stuttgart 2012, 157-171. niederländischen Ökumene, 4 von den Quellen des Mittelalters 5 bis hin zum katholischen Einheitsgesangbuch Gotteslob von 2013, 6 von der Untersuchung einzelner Motive 7 bis hin zur Darstellung bedeutender gesangbuchgeschichtli‐ cher Entwicklungen in den verschiedenen Jahrhunderten. 8 All diese Arbeiten stehen in engem Zusammenhang mit einer Forschungseinrichtung, die es in dieser Art nur an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gibt - das Gesang‐ bucharchiv. Es bildet die Basis für vielfältige Arten der Auseinandersetzung mit hymnologischen Themen - seien sie theologie- und frömmigkeitsgeschicht‐ lich, kulturwissenschaftlich oder kirchenhistorisch, wirkungsgeschichtlich oder musikwissenschaftlich, literarhistorisch oder buchgeschichtlich ausgerichtet. Das Bewusstsein um diese fächerübergreifendende Themenvielfalt hat die hymnologische Forschung in Mainz von Beginn an geprägt und gab den Anstoß für die Gründung und die Etablierung des Gesangbucharchivs. 2 Der IAK Gesangbuchforschung und das Mainzer Gesangbucharchiv 2.1 Die Anfänge In einem Aktenordner im Gesangbuchbucharchiv hat sich ein Schriftstück aus dem Jahr 1992 erhalten. Es ist überschrieben mit „Bekanntmachung“ und teilt folgendes mit: 436 Christiane Schäfer <?page no="437"?> 9 Schriftstück ohne genaue Datierung und Angabe des Verfassers aus dem Jahr der Gründung des IAK Gesangbuchforschung. Da der Text auf dem offiziellen Briefpapier des IAK mit der Angabe c/ o Prof. Dr. Hermann Kurzke abgedruckt ist, kann davon ausgegangen werden, dass er diesen Text verfasst hat. „Auf Antrag der Professoren Hansjakob Becker (Liturgiewissenschaft, Fachbereich 01), Albrecht Greule (Deutsche Sprachwissenschaft, Fachbereich 13) und Hermann Kurzke (Neuere deutsche Literaturgeschichte, Fachbereich 13) hat der Senat der Jo‐ hannes Gutenberg-Universität in seiner Sitzung vom 20.02.1992 die Einrichtung eines Interdisziplinären Arbeitskreises ‚Gesangbuchforschung‘ befürwortet. Die damit verbundenen Mittel wurden im Sommer 1992 erstmals zugewiesen, so daß der Arbeitskreis seine Tätigkeit aufnehmen konnte. Das satzungsgemäß erste Ziel ist die Einrichtung eines Gesangbucharchivs, um einer seit vielen Jahren betriebenen Forschung eine bessere Grundlage zu geben. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart sind über 6000 verschiedene Gesangbücher erschienen. Sie stellen eine kultur- und sprachgeschichtliche Quelle ersten Ranges dar, zum Beispiel, um nur wenige Aspekte anzudeuten, aufgrund ihrer langen Gattungstradition (vom Psalter bis zur Gegen‐ wart), aufgrund ihrer massenhaften Verbreitung - noch heute haben Gesangbücher Auflagen in Millionenhöhe -, aufgrund der poetischen Qualität nicht weniger dort überlieferter Texte, ferner als ideales Arbeitsfeld für wirkungsgeschichtliche Studien - denn jede Epoche hat, durch Umdichtungen und Streichungen, durch Variationen und Restaurationen den Liedern ihren Stempel aufgedrückt. […] Das Archiv führt zunächst in Mainz vorhandene Bestände (Zentralbibliothek, Fach‐ bereichsbibliotheken, Bibliothek des Priesterseminars, Stadtbibliothek, Privatsamm‐ lungen) teils in Form von Dauerleihgaben, teils wenigstens katalogmäßig zusammen und ergänzt sie dann durch Antiquariatskäufe, Reprints, Kopien oder Verfilmungen der Marksteine der Gesangbuchtradition. Es wird zunächst in der Fachbereichs‐ bibliothek Katholische Theologie, Abteilung Liturgiewissenschaft, sowie im Biblio‐ theksraum 01-431 (Dr. Ansgar Franz) untergebracht. Dort sind inzwischen bereits einige hundert Gesangbücher aufgestellt und durch ein vorläufiges Titelverzeichnis erschlossen. Die Betreuung des Archivs erfolgt durch die Professoren Becker und Kurzke. […]“ 9 Dem Schriftstück sind einige Informationen aus der Entstehungszeit des Mainzer Gesangbucharchivs zu entnehmen, die selbst denen, die damals dabei gewesen sind, kaum noch in Erinnerung sein dürften. So wird das genaue Gründungsdatum des Interdisziplinären Arbeitskreises Gesangbuchforschung genannt, das auf den 20. Februar 1992 fällt. Zugleich wird klar formuliert, dass sich der neu gegründete IAK als erstes Ziel die Einrichtung und den Aufbau des Gesangbucharchivs gesetzt hatte. Und da es zunächst noch an geeigneten Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 437 <?page no="438"?> 10 Probleme der Gesangbuchforschung. Jahrestagung des Interdisziplinären Arbeits‐ kreises, in: JOGU. Zeitschrift der Johannes Gutenberg-Universität, Nr. 137. 21. Jahr‐ gang/ April 1992, 14. Räumen fehlte, hat Ansgar Franz damals einem Teil der Gesangbuchsammlung ein Obdach in seinem Büro geboten. In einem Bericht über die erste Jahresta‐ gung des IAK Gesangbuchforschung, die am 10. März 1993 stattgefunden und an der, wie eine alte Anwesenheitsliste belegt, auch Ansgar Franz teilgenommen hat, wird ein kurzer Überblick über das Sammlungsinteresse und den derzeitigen Ausbaustand des noch jungen Gesangbucharchivs gegeben. Dort heißt es: „Gesangbücher wurden in den wissenschaftlichen Bibliotheken jahrhundertelang nicht systematisch angekauft. Die bisherigen öffentlichen Sammlungen haben ihren Schwerpunkt in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert. Auch die kirchlichen Samm‐ lungen sind in der Regel in ihrer Struktur eher zufällig erschlossen. Es gibt relativ viele kaum bekannte und kaum zugängliche Privatsammlungen. Fast alle Sammlungen sind schwerpunktmäßig protestantisch. Das Mainzer GBA will demgegenüber die katholische Tradition akzentuieren, generell aber auf Dauer eine gewisse Vollständig‐ keit anstreben. […] Das GBA ist eine wichtige Quelle für die Liturgiegeschichte, die Hymnologie, die Theologie- und die Konfessionsgeschichte, die Sprachgeschichte, die Mentalitäts- und Frömmigkeitsgeschichte, die Gattungsgeschichte einer wichtigen Form von Gebrauchspoesie, die Buchkunde und anderes mehr. Die bisher angelegten Verzeichnisse machen in Mainz bereits einen Bestand von 859 Gesangbüchern zu‐ gänglich.“ 10 Das Mainzer Gesangbucharchiv sollte sich von den bereits existierenden Ge‐ sangbuchsammlungen abheben. Das Sammlungskonzept war anspruchsvoll und die Quellenlage unübersichtlich. Es gab weder Onlinekataloge noch im Internet bereitgestellte Digitalisate. Bibliographisch verzeichnet waren 1993 lediglich alle Gesangbücher mit Noten, die bis 1900 erschienen waren. Da die überwiegende Zahl der Gesangbücher vor allem des 18. Jahrhunderts keine Noten enthält und das gesamte 20. Jahrhundert noch gar keine Berücksichtigung gefunden hatte, war damit nur ein Bruchteil der tatsächlich existierenden Quellen erschlossen. In Bezug auf die Gesamtzahl der vorhandenen Gesang‐ bücher war man also auf Schätzungen angewiesen. So ging man zum dama‐ ligen Zeitpunkt von einer Gesamtgesangbuchzahl von lediglich „über 6000“ Exemplaren aus und strebte für die neu aufzubauende Gesangbuchsammlung eine gewisse Vollständigkeit an. Im Zentrum der Bemühungen stand, eine einzigartige Quellenbasis für eine innovative, interdisziplinär und allgemein kulturgeschichtlich ausgerichtete Kirchenliedforschung zu schaffen. Dieses 438 Christiane Schäfer <?page no="439"?> 11 Für die tägliche Eucharistiefeier der Studentengemeinde hat der Liturgische Arbeits‐ kreis der Katholischen Hochschulgemeinde München, zu dem neben vielen anderen auch Hansjakob Becker und Hermann Kurzke gehörten, ein Liederbuch herausgegeben, das 1965 unter dem Titel „Bis er wiederkommt…“ im Druck erschienen ist. Das Buch enthält auf 315 Seiten, wie in einem Brief aus dem Februar 1965 von Hansjakob Becker dargelegt wird „1. alles brauchbare Liedmaterial, das in den verschiedenen Diözesangebetbüchern und ähnlichen Sammlungen verstreut ist […]. 2. Darüber hinaus […] altchristliche Texte in einem modernen Sprachgewand (v. a. Hymnen) und dazu passende alte Melodien (15.-17. Jh.), 3. […] eine große Anzahl Psalmlieder (ca. 50, Ulenberg u.a.) […] Auch eine Reihe von Kehrversen, Allelujamelodien und Kyrierufen. […] 4. Daneben […] ein deutsches Te Deum, Magnificat, Benedictus, Nunc dimittis, Rorate, Attende Domine, Salve Mater, Laudes Hincmari und ein Vaterunser. Auch ein der byzantinischen Liturgie entlehntes Modell für die Fürbittlitanei, deren Antwortrufe sowohl einstimmig als auch im vierstimmigen Satz gesungen werden können.“ 12 Dazu gehört Hansjakob B E C K E R - Reiner K A C Z Y N S K I (Hgg.), Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium, Bd. 1: Historische Präsentation, Bd. 2: Anthropologi‐ sche Aspekte (Pietas Liturgica 1+2), St. Ottilien 1983. Dieses Kompendium möchte, wie aus der Einleitung von Bd. 1 (S. 3) hervorgeht, „in dreifacher Sicht Anregungen geben: Zunächst geistesgeschichtlich: Hymnologie ist ein Stiefkind der Literaturwissenschaft. Das ist umso erstaunlicher, als Hymnen nicht nur sprachliche und literarische Größen sind, sondern, aufgrund ihrer Verwendung im Gottesdienst und im religiösen Leben, eine bedeutende kulturelle Wirkungsgeschichte haben. Sodann theologisch: Wenn Theologie durch alle rationalisierende, abstrahierende und differenzierende Wissen‐ schaft hindurch doxologisch bleiben soll, d.h., wenn sie nicht über Gott, sondern aus Gott und zu Gott reden will, dann bedarf die Theologie in Dogmen einer Ergänzung durch eine Theologie in Hymnen. Endlich spirituell: Hymnen sind nicht nur Sprach‐ zeugnisse, sondern auch Glaubenszeugnisse, Zeugnisse, in denen Glaube und religiöse Erfahrung in dichterischer Gestalt zur Sprache kommen. Als solche sind sie nicht nur das Urgestein der Theologie, sondern die noch glühende Lava religiöser Erfahrung.“ 13 Probleme der Gesangbuchforschung (wie Anm. 10), 14. Interesse hatte lange Wurzeln, wie ebenfalls dem bereits zitierten Bericht über die erste Jahrestagung des IAK zu entnehmen ist: „Die Professoren Dr. Hansjakob Becker, Dr. Albrecht Greule und Dr. Hermann Kurzke gaben einen Bericht über die Vorgeschichte des Arbeitskreises, der auf dem Liturgiekreis der Studentengemeinde in München in den sechziger Jahren 11 beruht und später auf gemeinsamen Oberseminaren und Tagungen sowie Publikationen 12 aufbaute.“ 13 Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 439 <?page no="440"?> 14 Ulrike Süß (1961-2017) hat das Gesangbucharchiv mit aufgebaut. Die farbliche Kenn‐ zeichnung (blau für katholisch und rot für evangelisch) der Signaturetiketten geht auf sie zurück. Sie war über viele Jahre im IAK Gesangbuchforschung tätig und hat sich mit großem Engagement für seine Belange eingesetzt. Neben Frau Süß waren in den 31 Jahren seit seiner Gründung zahlreiche wissenschaftliche Hilfskräfte und Mitarbeiter: innen im Gesangbucharchiv tätig. Von 2005 bis 2017 hat Marle Kurzke die Gesangbuchsammlung betreut. Dass sich die hymnologische Forschung in Mainz über die Jahre fest etablieren konnte, verdankt sich nicht zuletzt der Bereitschaft aller Beteiligten, sich immer wieder auch über das bezahlte Maß hinaus mit Hingabe, Kompetenz und großem Einsatz einzubringen. 15 Hermann K U R Z K E , Kurzer Bericht über die Tätigkeiten des Interdisziplinären Arbeits‐ kreises Gesangbuchforschung (IAKGBF) 1993/ 1994. 16 Das Gesangbucharchiv gehört zu den „Sammlungen der Johannes Gutenberg-Uni‐ versität“ (https: / / www.sammlungen.uni-mainz.de/ gesangbucharchiv/ ) und hat eine Reihe von festen Kooperationspartnern: Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ehemals Deutsches Volksliedarchiv), Freiburg; Theologische Hochschule Elstal (Bund 2.2 Vom IAK Gesangbuchforschung zur Forschungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ Die Aufgabe, der man sich gegenübersah, war sehr groß, die Probleme waren zahlreich. So heißt es in einem Arbeitsbericht des IAK Gesangbuchforschung über die Jahre 1993/ 94: „Der IAKGBF wird in seiner bisherigen Struktur durch die skizzierten Aufgaben und Initiativen vielfach überfordert. Es fehlt an Raum, Personal und Mitteln. Der Aufbau des Archivs war nur möglich, weil die aus den Mitteln des Arbeitskreises angestellte wissenschaftliche Hilfskraft Ulrike Süß 14 weit über ihre bezahlte Arbeitszeit hinaus tätig war.“ 15 All diesen Schwierigkeiten zum Trotz gelang es, die Zusammenarbeit auf weitere Disziplinen auszudehnen. Schon bald gehörten dem IAK Gesangbuch‐ forschung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der katholischen und evangelischen Theologie, der Literaturwissenschaft, der Sprachwissenschaft, der Buchwissenschaft, der Musikwissenschaft und der Sozialwissenschaften an. Geleitet wurde er zunächst von Hermann Kurzke (1992-2005), dann von Ansgar Franz (2005-2016). Aus diesem Verbund ging eine Reihe von Forschungsinitia‐ tiven hervor - allen voran das von der DFG geförderte Graduiertenkolleg „Geist‐ liches Lied und Kirchenlied interdisziplinär“ (1995-2006) und das DFG-Projekt „Gesangbuchbibliographie“ (1999-2008) sowie eine Reihe weiterer Unterneh‐ mungen. Auf diese Weise bildete sich um das Mainzer Gesangbucharchiv herum über die Jahre ein Netzwerk aus an der Hymnologie interessierten Einzelpersonen und Institutionen. Bis heute prägen die interdisziplinäre Zu‐ sammenarbeit 16 , der wissenschaftliche Austausch, die gemischtkonfessionelle 440 Christiane Schäfer <?page no="441"?> Freikirchlicher Gemeinden); Universität Straßburg; Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH); Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen, Frankfurt; Universität Salzburg; Martinus-Bibliothek Mainz. Ausrichtung und die kontinuierliche Erweiterung der Gesangbuchsammlung die Arbeit des Mainzer Gesangbucharchivs. Seit 2017 ist es Teil der an die Katholisch-Theologische Fakultät im Fach Liturgiewissenschaft und Homiletik angegliederten Forschungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“, die von Ansgar Franz geleitet wird. 2.3 Das Gesangbucharchiv heute In den im Archiv erhaltenen jährlichen Berichten des Arbeitskreises kann man gut nachverfolgen, wie die Sammlung in den ersten Jahren gewachsen ist. Sie konnte über die Jahre zu einer stattlichen Präsenzbibliothek ausgebaut werden, die heute - nach gut 31 Jahren - rund 8.000 Titel vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart umfasst. Etwa drei Viertel des Bestandes sind evangelischer und ein Viertel katholischer Provenienz. Das älteste Original wurde 1545 in Magdeburg gedruckt. Es ist ein von Johann Spangenberg in lateinischer und deutscher Sprache verfasstes Cantional. Der deutsche Titel lautet: KJrchengesenge Deutsch/ auff die Sontage vnnd fuernemliche Feste/ durchs gantze Jar/ zum Ampte/ so man das hochwirdige Sacrament des Abendmals Christi han‐ delt/ auffs kuertzest durch Johan Spangenberg/ verfasset. 1545. (Gedruckt zu Magde‐ burg durch Michael Lotther. M.D.xLv.). Schwerpunkte der Sammlung bilden die evangelische Tradition des 16. Jahr‐ hunderts und die katholische des 17. Jahrhunderts, die beide vor allem über Reproduktionen repräsentiert sind. Darüber hinaus sind die katholische Über‐ lieferung des 19. Jahrhunderts, der östliche Teil des deutschen Sprachgebietes sowie das Elsass gut dokumentiert. Dazu kommen eine kleine Sammlung an Militärgesangbüchern, 27 Ordner mit Kleinschriften (z.B. Liederhefte allgemein, Beihefte zu bestehenden Gesangbüchern, Liederhefte zu Kirchen- und Katholi‐ kentagen, zu Wallfahrten und zur Heiligenverehrung), ca. 150 fremdsprachige Gesangbücher, Choral- und Melodiebücher, Anthologien, Editionen und ca. 1.000 Bände Sekundärliteratur. Der Bestand wächst kontinuierlich, in den letzten Jahren hauptsächlich über Schenkungen. Inzwischen wird er bereichert durch zwei weitere Sammlungen, die Ansgar Franz aufgebaut hat. So hat man in den Räumen des Mainzer Gesangbucharchivs auch Zugriff auf inzwischen rund 1.800 Gebet- und Andachtsbücher sowie auf annähernd 540 Kommunionerinnerungsbilder. Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 441 <?page no="442"?> 17 Hermann K U R Z K E , Kirchenlied und Kultur (Mainzer Hymnologische Studien 24), Tü‐ bingen 2010, 152. 18 Hermann K U R Z K E , Vorwort, in: Hansjakob B E C K E R - Ansgar F R A N Z - Jürgen H E N K Y S - Hermann K U R Z K E - Christa R E I C H - Alex S T O C K , Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 11. 3 Von der Rezeptionsästhetik zur Datenbank Schon den frühen Zeugnissen über den IAK Gesangbuchforschung kann man entnehmen, dass die Rezeptionsästhetik einen großen Schwerpunkt der Mainzer hymnologischen Forschungen bildete. Immer wieder wurden wir‐ kungsgeschichtliche Untersuchungen angestoßen, die auf verschiedene Weise deutlich machten, dass sich das Kirchenlied von anderen literarischen Gat‐ tungen klar unterscheidet: „Die große Mehrzahl der Kirchenlieder ist textlich außerordentlich instabil. Jede Gesangbuchgeneration greift in den Textbestand ein. Überblickt man diese Prozesse über Jahrhunderte, dann lösen sich die Texte oft auf in eine Kette von Fassungen“ 17 . Und für viele - vor allem katholische - Kirchenlieder lässt sich häufig gar nicht feststellen, wann genau sie von wem in welcher Fassung geschaffen worden sind: „Bei etlichen Liedern […] verlieren sich die Ursprünge im dunkeln. Für manche ist es geradezu konstitutiv, daß es keinen ‚Urtext‘ gibt, sondern nur eine prozeßhafte Überlieferung, die zwar von Zeit zu Zeit zu festen Gebilden auskristallisiert, in anderen Zeiten aber die Textgrenzen auflöst und in einen flüssigen Aggregatzustand zurückkehrt, aus dem sich wechselnde Mischungen und schließlich neue Verfesti‐ gungen bilden. Manche Lieder finden nicht bei ihrer Entstehung, sondern erst durch spätere Überformungen ihre schönste Ausprägung. Das Ganze kompliziert sich noch einmal dadurch, daß auch die Melodien sich wandeln, daß Lieder manchmal erst nach Generationen ihre Melodien aufspüren, während Erstdrucke nicht selten andere (und oft schlechtere) Melodiezuweisungen haben. Eine kanonisch gültige, über die Jahrhunderte konstante Gestalt des Gesamtgebildes Lied gibt es oft überhaupt nicht.“ 18 Das letzte Zitat stammt aus der Einleitung zu einer im Jahr 2001 erschienen Edition mit dem Titel: „Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Herausgegeben, vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker, Ansgar Franz, Jürgen Henkys, Hermann Kurzke, Christa Reich, Alex Stock“. Es ist die erste grö‐ ßere Publikation, die im Umfeld des IAK Gesangbuchforschung entstanden ist. Sie präsentiert 50 große Kirchenlieder in text- und melodiekritischen Fassungen, die poetisch ausgedeutet und rezeptionsgeschichtlich erläutert werden. Dazu 442 Christiane Schäfer <?page no="443"?> 19 Das kann die Autorin dieser Zeilen aus eigener Erfahrung berichten, da sie im Sommersemester 1995 als wissenschaftliche Hilfskraft im IAK Gesangbuchforschung diese Aufgabe übernommen hatte. Dass damit der Grundstein dafür gelegt war, dass sie bis heute im Mainzer Gesangbucharchiv tätig ist, war damals allerdings noch nicht absehbar. 20 Zu finden unter: https: / / gesangbuchbibliographie.uni-mainz.de/ index.php. mussten die Fassungsgeschichten der jeweils zu besprechenden Lieder ermittelt werden. Das bedeutete konkret, dass die um das Jahr 1995 rund 1.200 Exemplare umfassende Sammlung Buch für Buch durchforstet werden musste auf der Suche nach den für die Wirkungsgeschichte jeweils relevanten Fassungen, was aufwendig und mühsam war. 19 Es lag nahe, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie man hier effizienter ans Ziel kommen könnte. 3.1 Die Mainzer Datenbanken Bei den Recherchen zu einzelnen Liedern ließen sich allmählich die besonders wirkmächtigen Bücher ermitteln, und es entstand der Gedanke, diese Bücher inhaltlich nach Liedanfängen zu erschließen. Daraus entwickelte sich allmählich die Idee, dies mit Hilfe einer Datenbank zu realisieren, und so wurde zum Ende der 1990er-Jahre in Zusammenarbeit mit einem eigens dafür beauftragten In‐ formatiker die Datenbank „Liedkatalog“ programmiert, in der dann wesentliche, rezeptionsleitende Gesangbücher nach Liedinitien erfasst wurden. Damit war ein Arbeitsinstrument entstanden, das bis heute unerlässliche Dienste leistet - zeigt es doch auf einen Blick, wann ein Lied zuerst in den Gesangbüchern auftaucht, wie weit es verbreitet ist, wann eventuell eine Überlieferungslücke eingetreten ist oder ob es im Verlauf seiner Geschichte vielleicht auch die Konfessionsgrenze überschritten hat. Parallel dazu entstanden in diesen Jahren auch die ersten Pläne, die bislang so unzureichende bibliographische Erschließung der deutschsprachigen Gesang‐ bücher insgesamt voranzutreiben. Dies konnte ab 1998 in einem großangelegten DFG-Projekt realisiert werden, in dem die Datenbank „Gesangbuchbibliogra‐ phie“ entwickelt und erarbeitet worden ist. Sie verzeichnet flächendeckend die deutschsprachigen christlichen Gesangbücher vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart und steht im Internet zur Recherche zur Verfügung. 20 Dadurch wurde erstmals sichtbar, wie zahlreich die tatsächlich existierenden Gesangbücher sind. Statt der ursprünglich einmal geschätzten 6.000 konnte man nun ca. 29.000 Gesangbücher nachweisen. So sind in Mainz gleich zwei Datenbanken geschaffen worden, mit deren Hilfe die Quelle Gesangbuch und die Gattung Kirchenlied systematisch durch‐ Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 443 <?page no="444"?> 21 Derzeit wird nach einer finanziellen Förderung gesucht, die es ermöglicht, die HDB in ein Open Source Format zu überführen und im Internet vollumfänglich nutzbar zu machen. 22 Wilhelm B Ä U M K E R , Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen von den frühesten Zeiten bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts, auf Grund handschrift‐ licher und gedruckter Quellen, 4 Bde., Freiburg i.Br. 1883-1911 (Reprint Hildesheim 1962). sucht werden können. Die dabei ermittelten Ergebnisse lassen sich leicht in Gesamtzusammenhänge einordnen und bieten die Chance, auch größere Untersuchungsfelder - wie zum Beispiel die Wanderung ganzer Liedgruppen - zu überblicken. Beide aus dem Ende der 1990er-Jahre stammenden Instrumente sind inzwischen - in Zusammenarbeit mit Beat Föllmi von der Universität Straßburg - in der Hymnologischen Datenbank/ Hymnological Database (HDB) zusammengefasst und um weitere Suchmöglichkeiten erweitert worden. Sie fußt auf einem enormen Datenbestand (rund 40.000 Datensätze zu den Liedern und rund 31.000 Datensätze zu Gesangbüchern), verbindet die bibliographische Erfassung mit der inhaltlichen Erschließung der Gesangbücher und gibt darüber hinaus Auskunft über Musik, Illustrationen, Vorworte, Musiknotation, Druck‐ technik, Liedautoren und Verlage. 21 3.2 Die Gotzen-Kartothek - ein analoger Liedkatalog des frühen 20.-Jahrhunderts Der datenbankgestützte Liedkatalog des Mainzer Gesangbucharchivs hatte einen analogen Vorläufer, wie sich bald herausstellen sollte. Der Bibliothekar und Kirchenliedforscher Joseph Gotzen (1875-1956) hatte nämlich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Idee, Gesangbücher nach Text- und sogar Me‐ lodieinitien zu verzeichnen. Wahrscheinlich ist sie in dem Moment entstanden, als er damit konfrontiert wurde, den vierten und letzten Band der von Wilhelm Bäumker (1842-1905) ab 1881 erarbeiteten Edition „Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen“ 22 zu vollenden und herauszugeben. Bäumker war nämlich 1905 während der Arbeit an diesem Band, der dem 19. Jahrhundert gewidmet war, überraschend gestorben. Gotzen konnte - als Bibliothekar der Kölner Stadtbibliothek - sowohl auf Bäumkers Material als auch auf dessen bedeutende Gesangbuchsammlung zurückgreifen, die direkt nach seinem Tod der Stadtbibliothek übergeben und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Es ist zu vermuten, dass Gotzen während der Fertigstellung dieses Bandes, der schließlich 1911 erschienen ist, damit begonnen hat, seine umfang‐ reiche handschriftliche Kartothek anzulegen. Im Endzustand umfasste sie 55.000 444 Christiane Schäfer <?page no="445"?> 23 Gotzen-Kartothek / Joseph G O T Z E N , Köln [1890-1952]. Universitätsbibliothek Mainz, https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: hebis: 77-vcol-35417 - Die Karteikästen werden sukzessive eingearbeitet. postkartengroße Karteikarten. Auf ca. 40.000 Karten sind alle jemals innerhalb der katholischen Gesangbücher überlieferten Liedtexte jeweils mit der ersten Strophe und allen Nachweisen ihres Vorkommens dokumentiert - incl. Vari‐ anten und Melodieverweisen, Angaben zu Silben- und Strophenzahl sowie häufig mit einem genauen Vermerk, unter welcher Nummer auf welcher Seite der Text jeweils zu finden ist. Dazu kommt ein ca. 15.000 Karten umfassender Melodiekatalog, der die Melodien verzeichnet und angibt, welchen Texten sie in den Gesangbüchern jeweils zugeordnet worden sind. Um diese Melodiekarten alphabetisch durchsuchbar zu machen, hat Gotzen sie in ein Notenalphabet übertragen und entsprechend eingeordnet. Dieses beeindruckende und ausgesprochen hilfreiche Lebenswerk Joseph Gotzens, an dem er bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1955 gearbeitet hat, befindet sich heute in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Für ein paar Jahre war die Kartothek nach Mainz ausgeliehen, wo sie durch das Digitalisierungs‐ zentrum der Johannes Gutenberg-Universität komplett digitalisiert worden ist. Seitdem besitzt das Mainzer Gesangbucharchiv eine digitale Kopie, die derzeit in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Mainz, der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln und der Forschungsstelle Kirchenlied und Gesangbuch als Digitalisat der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. 23 3.3 Orientierung in unübersichtlichem Gelände Es dürfte kein Zufall sein, dass im Umfeld der Gesangbuchsammlung Bäumker und im Mainzer Gesangbucharchiv unabhängig voneinander solche Liedkata‐ loge entstanden sind - hatten doch sowohl Joseph Gotzen als auch viele Mainzer Forschungsinitiativen die katholische Tradition im Blick, die im Ver‐ gleich zur evangelischen Überlieferung weitaus weniger erforscht ist und sich in wesentlichen Punkten deutlich von ihr unterscheidet. Vor allem die von Hermann Kurzke vielfach beschriebene „prozeßhafte Überlieferung“ ist hier besonders stark ausgeprägt, weil katholische Kirchenlieder bis weit in das 18. Jahrhundert hinein anonym in die Gesangbücher gelangten. Die Tatsache, dass man die Verfasser der Texte und die Komponisten der Melodien nicht kennt, sorgte dafür, dass sich im Laufe der Zeit eine starke Variabilität der einzelnen Liedfassungen herausgebildet hat, die häufig nur noch schwer zu überblicken ist. Wenn man also eine jeweils gegenwärtig im Gesangbuch stehende Fassung einordnen, die Hintergründe ihrer Entstehung und die verschiedenen Phasen Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 445 <?page no="446"?> 24 Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, 31 Hefte (Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch 3), Göttingen 2000-2023. 25 Mainzer Hymnologische Studien, hgg. von Hermann K U R Z K E - Ansgar F R A N Z - Chris‐ tiane S C H Ä F E R in Verbindung mit der Forschungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Internationalen Arbeitsgemein‐ schaft für Hymnologie, 29 Bände. 26 Dominik F U G G E R - Andreas S C H E I D G E N (Hgg.), Geschichte des katholischen Gesang‐ buchs (Mainzer Hymnologische Studien 21), Tübingen 2008. ihrer Überlieferung dokumentieren möchte, ist man auf eine die Jahrhunderte durchschreitende Quellenkenntnis angewiesen. Während im evangelischen Bereich bis in die „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch“ 24 hinein die Suche nach der „Urfassung“ des Textes und der Melodie im Vordergrund steht, muss katholischerseits häufig überhaupt erst einmal ermittelt werden, welche Fassung eines Liedes die Tradition maßgeblich geprägt hat und aus welchen Quellen sie sich speist. Viel Erfahrung auf diesem Gebiet dürfte Joseph Gotzen bei der Herausgabe des letzten Bäumker-Bandes gesammelt haben, behandelte er doch das 19. Jahr‐ hundert, das zum einen alte Texte neu entdeckte und zum anderen dadurch geprägt war, diese bei der Wiederaufnahme in die Gesangbücher teils durch Veränderungen, teils durch Neukombination vorgefundener Fassungen der eigenen Zeit anzuverwandeln. Seine Kartothek half ihm, sich einen Überblick zu verschaffen, neue Forschungsfelder zu entdecken und sich ein Expertenwissen anzueignen, das ihn zu einem vielgeschätzten Experten bei den Kommissionen machte, die für die Erarbeitung neuer Gesangbücher zuständig waren - seien es die „Einheitslieder“ von 1947 oder die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges neu erscheinenden Diözesangesangbücher. Auch das Team rund um das Mainzer Gesangbucharchiv hat sich mit Hilfe des Liedkatalogs und der Gesangbuchbibliographie zahlreiche neue Forschungs‐ felder erschlossen, eine Publikationsreihe ins Leben gerufen, 25 eine katholische Gesangbuchgeschichte vorgelegt 26 und sich gründlich mit der katholischen Kir‐ chenliedtradition befasst. Unter anderem wurde von Mainz aus die Arbeit der für die Lieder zuständigen Kommission für das Gotteslob von 2013 mit Lieddossiers unterstützt, die Auskünfte über die verschiedenen Fassungen und die Überlie‐ ferung der Lieder zusammengefasst dargestellt und dokumentiert haben. Nach dem Erscheinen des neuen „Gotteslob“ sind dann verschiedene Liedkommentare vorgelegt worden. Der 2017 erschienene Band widmet sich allen Liedern des Stammteils und einigen ausgewählten Liedern des Erzbistums Köln, die 2022 veröffentlichen Bände dem Eigenteil des Bistums Mainz sowie den Eigenteilen von Österreich und Bozen-Brixen. In allen drei Bänden werden die Lieder umfassend erschlossen und in ihren Lebensläufen durch die Jahrhunderte bis in 446 Christiane Schäfer <?page no="447"?> 27 Vgl. Anm. 6 und Alexander Z E R F Aẞ - Andrea A C K E R M A N N - Franz Karl P R Aẞ L - Ewald V O L G G E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Österreich und Bozen-Brixen. Liturgie - Kultur - Geschichte, Wien 2022. 28 Vera H I E R H O L Z E R , Wertsachen: die Sammlungen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - mit Fotografien von Thomas Hartmann, Mainz 2018, 106. 29 Friedrich S P E E , Cautio criminalis, hg. von Theo G.M. van O O R S C H O T (Sämtliche Schriften 3), Bern 1995. die Gegenwart nachgezeichnet. 27 Sie konnten auch deswegen in so kurzer Zeit entstehen, weil die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen, die daran mitgeschrieben haben, mit Materialpaketen ausgestattet worden sind, die alle wichtigen Überlieferungszeugnisse und einschlägige Informationen enthalten haben. Ohne „Liedkatalog“ und „Gesangbuchbibliographie“ (heute zusammengefasst in der „Hymnological Database“), den Bestand des Mainzer Gesangbucharchivs und die Gotzen-Kartothek wäre das in diesem Umfang sicherlich nicht möglich gewesen. 4 Ein begehrtes Sammlerstück Wer eine so bedeutende Gesangbuchsammlung zusammenträgt und hütet, muss auch Freude am Sammeln haben. Sie hat schon Hermann Kurzke in die Antiquariate aller Städte, die er bereist hat, geführt - immer auf der Suche nach neuen Schätzen für das Gesangbucharchiv. Und auch Ansgar Franz sammelt mit Leidenschaft - vorwiegend auf Flohmärkten und auf eBay, wo er mit viel Geduld erschwingliche und den Bestand sinnvoll ergänzende Exemplare aufspürt und erfolgreich ersteigert. Und natürlich gibt es auch das Buch, das man ganz besonders gerne einmal aufstöbern und besitzen möchte. So wurden in einem Interview zu den Beständen des Gesangbucharchivs Ansgar Franz, Hermann Kurzke und ich einmal gefragt, welches Objekt denn ganz oben auf unserer Wunschliste stehe. Die Antwort fiel einmütig aus: „Das Gesangbuch Köln 1623 (seit dem frühen 20. Jh. verschollen, aber möglicherweise durchaus noch irgendwo vorhanden)“ 28 . Dass wir gerade dieses Gesangbuch genannt haben, war kein Zufall, hängt es doch mit einer Persönlichkeit zusammen, die in dem großen Feld der anonym überlieferten katholischen Kirchenlieder eine bemerkenswerte Ausnahme bildet. Dieser Person und ihrem Werk war schon ein im Sommersemester 1993 von Hansjakob Becker und Hermann Kurzke veranstaltetes interdisziplinäres Oberseminar gewidmet, an dem Ansgar Franz als Assistent und ich als junge Studentin teilgenommen haben. Gemeint ist der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635), der vielen als der Verfasser der „Cautio criminalis“ 29 - seiner 1631 anonym erschienenen Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 447 <?page no="448"?> 30 Friedrich S P E E , Trvtz-Nachtigal. Kritische Ausgabe nach der Trierer Handschrift, hg. von Theo G.M. van O O R S C H O T , Stuttgart 1991. 31 Friedrich S P E E , Güldenes Tugend-Buch, hg. von Theo G.M. van O O R S C H O T (Sämtliche Schriften 2), München 1968. 32 Joseph G O T Z E N , Neues über Friedrich Spee und das deutsche Kirchenlied, in: Musica Sacra 58 (1928), 356-360. 33 Ebd., 356f. Schrift gegen die Hexenprozesse - bekannt sein dürfte. Außerdem ist er der Verfasser der 1649 posthum gedruckten „Trvtz-Nachtigall“ 30 , einer Sammlung hochartifizieller geistlicher Lieder, und eines Übungsbuches mit dem Titel „Güldenes Tugendbuch“ 31 , das in die christlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einführt. Auch die beiden letztgenannten Werke sind zunächst anonym gedruckt worden, stammen aber nachweislich aus Spees Feder. Außerdem werden ihm heute über 100 in bestimmten Jesuitengesangbü‐ chern des 17. Jahrhunderts anonym überlieferte Lieder zugeschrieben. Und in diesem Zusammenhang spielen sowohl Joseph Gotzen als auch das von uns gewünschte Gesangbuch „Köln 1623“ eine bedeutende Rolle. 4.1 Schmerzlich vermisst Am 4. Oktober 1928 hat Joseph Gotzen in Köln einen Vortrag gehalten, der den Titel trug „Neues über Friedrich von Spee und das deutsche Kirchenlied“, 32 in dem er erstmals für eine größere Gruppe von anonym überlieferten Liedern den Jesuiten Friedrich Spee als Verfasser benannt hat und seine These darauf stützte, dass diese Lieder alle erstmals in dem 1623 von den Jesuiten herausgegebenen und in Köln bei Peter von Brachel erschienenen Gesangbuch „Auserlesene, Catholische, Geistliche Kirchengesäng von Pfingsten biß zum Advent“ enthalten gewesen seien. Er kommt bei seinen Überlegungen zu dem Schluss: „Nach ihrem Charakter, Metrum und Stil, nach ihrer sprachlichen Melodie und dichterischen Durchführung sind diese Lieder so eigenartig und einheitlich, dass sie nur von einem Verfasser herstammen können. Da das Gesangbuch von 1623 in Köln von den Jesuiten herausgegeben worden ist, liegt es nahe, den Verfasser bei den Kölner Jesuiten oder unter denen der niederrheinischen Ordensprovinz zu suchen. Die Lieder zeigen den Verfasser als einen wirklichen, ja bedeutenden Dichter […]. Unter den Mitgliedern der niederrheinischen Ordensprovinz aus jener Zeit haben wir aber nur einen Dichter und erst recht nur einen, der solche Lieder dichten konnte: es ist der bekannte Dichter der ‚Trutznachtigall‘ und des ‚Güldenen Tugend-Buches‘ Friedrich von Spee. Nur er kann der Verfasser der neuen Lieder des Gesangbuches von 1623 sein“. 33 448 Christiane Schäfer <?page no="449"?> 34 Martin O P I T Z , Buch von der Deutschen Poeterey (Studienausgabe), hg. von Herbert J A U M A N N , Stuttgart 2006. 35 Wie Anm. 30, 5f. 36 G O T Z E N , Neues über Friedrich Spee (wie Anm. 32), 359. 37 Ebd., 360. 38 Auf allen Karten mit den Liedern, die Gotzen Spee zuschreibt, vermerkt er ihn als Autor. Die Zuschreibung erfolgte hauptsächlich aufgrund textimmanenter Kriterien. Neben zahlreichen für die Dichtung von Spee als charakteristisch erkannten Stil‐ mitteln (Parallelismus, Antithesen, Wiederholungen u.a.) war es vor allem die metrische Form mit einem regelmäßigen Wechsel von betonten und unbetonten Silben, die besonders auffiel. Waren hier doch schon jene Versbetonungsgesetze verwirklicht, die Martin Opitz in seinem 1624 in Breslau erschienen „Buch von der deutschen Poeterey“ 34 als vorbildlich verkündet hatte. Und man wusste aus den Mercpünctlein der „Trvtz-Nachtigall“ 35 , dass Spee - völlig unabhängig von Opitz - metrischen Fragen nachgegangen und auf gleiche Gesetzmäßigkeiten gestoßen war. So sicher sich Gotzen in dieser Sache auch war, eine Einschränkung musste er einräumen: „Einer der Gründe, der Hauptgrund, warum man trotz vieler und eingehender Beschäftigung mit Spee nicht schon früher zu der hier vorgetragenen Erkenntnis gekommen ist […] liegt in der rein äußerlichen Tatsache, daß das Gesangbuch von 1623 heute nicht mehr vorhanden ist. Auf keiner deutschen Bibliothek ist es zu finden“. 36 Und er beendet seine Ausführungen schließlich mit folgendem Aufruf: „Da die hier kurz skizzierte Beweisführung ohne das Gesangbuch von 1623 nicht abgeschlossen und vollständig mit allen Belegen veröffentlicht werden kann, ergeht auch an dieser Stelle die Bitte um freundliche Mithilfe beim Suchen nach diesem Büchlein“. 37 Bleibt noch die Frage, woher Gotzen überhaupt wusste, dass diese Lieder in dem Gesangbuch Köln 1623 enthalten waren. Wilhelm Bäumker hatte das Buch, das sich in Privatbesitz befunden hatte, bei der Arbeit am dritten Band seiner Edition noch in Händen gehabt, die Vorrede ediert und eine genaue Beschreibung samt einem Liedverzeichnis abgedruckt. Kurz danach ist es auf nicht mehr nachvollziehbare Weise spurlos verschwunden. Gotzens These, die sich wahrscheinlich bei seiner Arbeit an der Kartothek 38 herausgebildet und verfestigt hat, ist von der Speeforschung aufgegriffen und Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 449 <?page no="450"?> 39 Vgl. dazu Peter K E Y S E R , Die anonym erschienenen geistlichen Lieder von Spee, in: Gunther F R A N Z (Hg.), Friedrich Spee. Dichter, Seelsorger, Bekämpfer des Hexenwahns. Kaiserswerth 1591-1635. Katalog der Ausstellung in Düsseldorf, Trier 1991, 138-145 und Michael H Ä R T I N G , Zur Quellenlage der anonymen Lieder von Friedrich Spee, in: Anton A R E N S (Hg.), Spee im Licht der Wissenschaften. Beiträge und Untersuchungen (Quellen und Abhandlungen zur Mittelrheinischen Kirchengeschichte 49), Mainz 1984, 63-71. 40 Friedrich S P E E , „Ausserlesene, catholische geistliche Kirchengesäng“. Ein Arbeitsbuch, hg. v. Theo G.M. V A N O O R S C H O T (Sämtliche Schriften 4), Tübingen 2005. 41 http: / / diglib.hab.de/ drucke/ xb-12f-541-1s/ start.htm. weiter verfolgt worden. 39 Dabei ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es wünschenswert sei, diesem Buch wieder auf die Spur zu kommen. Vor allem Theo van Oorschot, der sich sein ganzes Forscherleben lang mit Friedrich Spee beschäftigt und die gesamte historische kritische Ausgabe seiner Werke besorgt hat, hat sich in besonderer Weise dieser verlorenen Quelle gewidmet. Im letzten Band seiner Werkausgabe, die ganz den anonymen Liedern gewidmet ist, 40 hat er zunächst die gesamte Forschungslage einschließlich aller für die Speeforschung relevanter Quellen noch einmal dargestellt und alle Lieder, die Spee jemals zugewiesen worden sind, in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Sie reichen von „Ganz sicher von Spee“ bis zu „Sicher nicht von Spee“. Außerdem unternimmt er in mühevoller Kleinarbeit auf der Grundlage der für die Überlieferung von Speeliedern relevanten Quellen und verschiedener sekundärer Beschreibungen vorwiegend des 19. Jahrhunderts und mit Hilfe der Gotzen-Kartothek den Versuch, das Gesangbuch Köln 1623 zu rekonstruieren. Er bezeichnet sein Werk als „Arbeitsbuch“ und hofft darauf, dass sich seine Annahmen verfestigen und neue Forschungen anregen. 4.2 Wieder aufgetaucht Tatsächlich ist im Mai 2022 das lange gesuchte und schmerzlich vermisste Gesangbüchlein völlig überraschend wieder aufgetaucht - und zwar aus Pri‐ vatbesitz auf einer Auktion eines Münchner Buch- und Kunstauktionshauses. Leider war das Buch für das Mainzer Gesangbucharchiv nicht erschwinglich, aber es ist von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel erworben und inzwischen auch digitalisiert worden, so dass es nun der Forschung zur freien Verfügung steht. 41 Ob sich jetzt die von Gotzen - und in der Folge von vielen anderen - vorgenommenen Spee-Zuschreibungen endgültig klären und beweisen lassen? Ob sich bei der genauen Analyse des Buches Argumente ergeben werden für diejenigen, die diese Zuschreibungen zum Teil zumindest infrage stellen (wie ich) oder sie verteidigen (wie Ansgar Franz, der sich 450 Christiane Schäfer <?page no="451"?> 42 F R A N Z , Tageslauf (wie Anm. 3), 17-29. 43 Andrea A C K E R M A N N , Von der Ars amatoria zum Jesuiten-Gesangbuch, in diesem Band. bereits in seiner Dissertation intensiv mit dem „Problem der Echtheit“ der Hymnen des Ambrosius auseinander gesetzt hat 42 )? Oder ob die Frage nach den Speeliedern im Zusammenhang mit Petrus/ Peter/ Pierre Klinckart (1580-1637), den Andrea Ackermann in ihrem Beitrag zu dieser Festschrift als Verfasser von frühen Jesuitengesangbüchern entdeckt hat, 43 ganz neu gestellt werden und in der Folge auch das Gesangbuch „Köln 1623“ neu beurteilt werden muss? Das muss an dieser Stelle offenbleiben. Aber es zeigt: Auf dem Feld der Kirchenlied- und Gesangbuchforschung gibt es nach wie vor viele Fragen, spannende Themenfelder und immer wieder etwas Neues zu entdecken. So wird der Mainzer Forschungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ und ihrem Leiter auch in Zukunft die Arbeit nie ausgehen. Kirchenlied- und Gesangbuchforschung in Mainz 451 <?page no="453"?> 1 The New English Hymnal, Norwich 1986. Suitable For Use In Procession Sytze de Vries Das jährliche Interdisziplinäre Ökumenische Seminar zum Kirchlied auf Kloster Kirchberg hat mich über die (mehr als 20) Jahre mit Ansgar Franz verbunden. Wir beide waren von Anfang an Teilnehmer und auch regelmäßige Referenten. Seine oft überraschenden hymnologischen Einsichten, aber nicht weniger sein Humor und seine Freundlichkeit waren stets wichtige Zutaten. Wir haben dort oft und viel gesungen. Importierten und exportierten gegenseitig unsere Lieder. Und es freut mich sehr, dass auf diesem Weg auch Christa Reich, die Initiatorin des Seminars, im Medium ihrer Übersetzungen an der vorliegenden Ehrung von Ansgar Franz mitwirken konnte. 1 Geeignet für eine Prozession Wenn man im Englischen Gesangbuch 1 blättert, stößt man auf 27 Lieder mit der Bezeichnung „Processional“, die speziell für eine Prozession zu Beginn eines Gottesdienstes gedacht sind. Darüber hinaus tragen sieben weitere Lieder die Aufschrift „Suitable for use in procession“ („Auch zur Verwendung in einer Prozession geeignet“). Das spätere „New English Hymnal“ (1986) hat keine solche Rubrik mehr, sondern gibt zehn Liedern die Aufschrift „Suitable for use in procession“, die alle für die Zeiten und Festtage des Kirchenjahres bestimmt sind. In der anglikanischen Liturgie versteht man unter einer solchen Prozession den Einzug von Chorsängern und Geistlichen in die Kirche hinter dem so genannten Prozessionskreuz. Diese Gattung entstand im frühen Mittelalter, als England immer mehr lange Kirchen und Kathedralen bekam und es einen Weg von der Sakristei zum Hochchor und Altar gab. Bei näherer Betrachtung dieser Prozessionsgesänge fällt auf, dass sie in‐ haltlich vor allem die Tonlage der Besonderheiten des zu feiernden Festes <?page no="454"?> 2 Josef Andreas J U N G M A N N , Missarum Sollemnia, niederländische Ausgabe Kasterlee 1966, 1, 306-311. 3 Gerard V A N D E R L E E U W , Liturgiek, Nijkerk 1946, 154-162. widerspiegeln und melodisch meist eine Taktart haben, die ein einheitliches „Schreiten“ ermöglicht. 2 Introitus Die anglikanische Tradition weicht damit von dem antiken (erstmals in Antio‐ chia um 350 bekannt gewordenen) Brauch ab, einen Gottesdienst mit einem Psalm zu beginnen, der antiphonal, d.h. von einer Schola in zwei Chorgruppen, abwechselnd oder gleichzeitig vorgetragen wird. Ab dem sechsten Jahrhundert handelt es sich um einen Psalm, der fest mit der Zeit des Kirchenjahres ver‐ bunden ist. In diesem Zusammenhang beschreiben die ältesten Handschriften die Liturgie einer päpstlichen Messe in Rom, die eine ausgedehnte Prozession erforderte, aber die Dimensionen der Kirchen außerhalb Roms machten einen solchen Einzug schwierig oder sogar unnötig. Infolgedessen wurde der Psalm entweder stark gekürzt oder auf einen späteren Zeitpunkt des Gottesdienstes verschoben. In der Editio Vaticana von 1908 wird erneut empfohlen, den Introitus zu singen, wenn der Priester zum Altar aufsteigt. Damit wurde die ursprüngliche Bedeutung des einleitenden Gesangs wieder hervorgehoben. 2 3 Heutige Praxis in den Niederlanden Im niederländischen (calvinistischen) Protestantismus beginnt der Gottesdienst in der Regel, wenn der Pfarrer (der in Stille oder unter Orgelspiel zusammen mit den Mitgliedern des Kirchenvorstandes eingetreten ist) das Votum spricht: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,4). Vom alten Introitus-Psalm bleibt dann nur noch übrig, dass die Gemeinde hier das sogenannte Kleine Gloria singt, das traditionell den Abschluss des Psalms bildet: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie im Anfang, so auch jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen“. 3 Beeinflusst durch die so genannte Liturgische Bewegung in den großen protes‐ tantischen Kirchen in den Niederlanden wurde seit den 1970er-Jahren eine neue Aufmerksamkeit auf die liturgischen Quellen der Alten Kirche gelenkt, und wir lernten, (wieder) nach dem so genannten ökumenischen Ordinarium zu beten und zu singen, einer Gottesdienstordnung mit den festen liturgischen Gesängen (möglicherweise auch mit Strophengesängen, nach der deutsch-lutherischen 454 Sytze de Vries <?page no="455"?> 4 Dienstboek : een proeve ; schrift, maaltijd, gebed (Proeven voor de eredienst 4/ 5), Zoetermeer 1998. 5 Ebd., 865. Liedmesse). Auch der „Psalm des Sonntags“ wurde wiederentdeckt, und zwar als Eröffnungslied des Gottesdienstes, auch wenn er in der Regel in den gereimten Formen gesungen wurde/ wird, die dem niederländischen Calvinismus durch den Genfer Psalter vertraut sind. Als im Jahre 1998 in diesen Kirchen eine neue liturgische Ordnung 4 eingeführt wurde, war diese - nach Jahrhunderten der freien Wahl der Pfarrer - für jeden Sonntag mit Liedern, Gebeten und Lesungen versehen. Der Gemeinsame Ökumenische Rat der Kirchen in den Niederlanden entwickelte daraufhin einen Leseplan mit einer festen Lesung aus der Tora oder den Propheten, einer Epistellesung und einer Lesung des Evangeliums für jeden Sonntag. Für letztere wird der neue römisch-katholische Dreijahresplan gewählt, der den alten Einjahresplan des nachtridentinischen Missale Romanum ersetzt hat. (Das hat freilich die direkte Verbindung zwischen dem festen klassischen Namen des Sonntags und dem festen Psalm des Sonntags nicht einfacher gemacht. In der protestantischen Kirchenunion der Niederlande sind es vor allem die Lutheraner, die sich an die alten Daten halten.) In dieser festen Ordnung beginnt der Gottesdienst weiterhin mit dem Votum, dem Adiutorium und dem Apostolischen Gruß, gefolgt von einem Eingangs- oder Schwellengebet. Erst dann kommt der Einzug, der durch ein Lied, in der Regel einen Psalm, mit oder ohne Antiphon, eingeleitet wird. In den Erläuterungen zu diesem Gottesdienstbuch heißt es: „Wenn die Gemeinde den singenden Eingang betonen will, kann das Eingangslied auch vor Votum, Gruß und Gebet stehen. Die meisten Kirchengebäude bieten nicht genügend Platz, damit die ganze Gemeinde singend zu dem Ort hinaufgehen kann, an dem die Schrift geöffnet und der Tisch vorbereitet wird“. 5 Dann könnte eine Ersatzform darin bestehen, dass die Gemeinde im Stehen singt, während alle, die eine Funktion im Gottesdienst haben, ebenfalls singend ihren Platz einnehmen. Es ist bemerkenswert, dass auch die Dienenden hier mitsingen sollen. Schließlich sind sie Teil der aufsteigenden Gemeinde und nicht eine moderne Form von Klerus, „Geistlichen“, deren Einzug von Gesang begleitet wird. 4 Evangelische Landeskirchen in Deutschland Das Evangelische Gottesdienstbuch (1999) der Union Evangelischer Kirchen in der EKD und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Suitable For Use In Procession 455 <?page no="456"?> 6 Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, hrsg. von der Kirchenlei‐ tung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Berlin 1999, 37 (Grundform I). 7 Ebd. 8 Ebd. hält mehrere Möglichkeiten offen: „Der Gottesdienst wird durch Musik (Orgel, weitere Instrumente, Chor) eröffnet. Dabei kann ein Einzug der liturgisch Mitwirkenden erfolgen“. 6 Der eigentliche Beginn des Gottesdienstes wird in der Regel in dem Moment erlebt, in dem der/ die Liturge(n) Begrüßung und Votum ausspricht/ aussprechen. Erst nach einem vorbereitenden Gebet „singt die Gemeinde das Lied zum Eingang, z.B. ein Psalmlied, ein Lied mit der Bitte um den Heiligen Geist, ein Lied nach der Kirchenjahreszeit oder der Tageszeit“ 7 . Aber eine Randbemerkung hält fest: „Das Lied kann auch der Musik zum Eingang unmittelbar folgen“ 8 . Damit ist es aber noch nicht an dessen Stelle getreten und als solches noch kein Prozessionslied. Musik zum Eingang und Lied zum Eingang werden auch in den anderen liturgischen Formen für den Hauptgottesdienst am Sonntagmorgen erwähnt. Erst nach Votum und Gruß ist Platz für den Eingangspalm, der traditionell mit dem Sonntag verbunden ist. 5 Einzug oder Aufgang? Je nach kirchlicher Auffassung wird das Eingangslied eine andere Färbung haben. In einer Kirche, die die Rolle des Klerus stark betont, wird der Schwer‐ punkt auf dem Einzug der Geistlichen liegen, der von Gesang begleitet wird. In eher presbyterianisch geprägten Kirchen hingegen wird der Schwerpunkt eher auf dem gemeinsamen „Hinaufgehen“ als Pilger liegen, und dieser erste Hymnus kann auch als gemeinsames Singen der Gemeinde verstanden werden: „Lasset uns ziehen zum Hause des H E R R N ! “ (Ps 122). Im frühen Mittelalter wurde eine Art von Gesängen komponiert, die bei Prozessionen gesungen werden sollten. Fast immer enthielten sie einen Refrain, damit die versammelte Gemeinde mitsingen konnte. England war besonders reich an solchen Gesängen, von denen mehrere im Sarum-Ritus zu finden sind. In der römischen Liturgie kennen wir zum Beispiel noch das Gloria, laus et honor, das bei der Prozession am Palmsonntag gesungen wird. 456 Sytze de Vries <?page no="457"?> 6 Pastoral-psychologische Faktoren Neben den verschiedenen historisch-liturgischen Faktoren, die den Status eines Introitus oder Eingangsliedes bestimmen, lassen sich auch andere Akzente erkennen, die insbesondere durch die Zeit, in der wir leben, bedingt sind. In einer Zeit, in der der Kirchenbesuch immer weniger selbstverständlich und immer mehr eine bewusste Entscheidung ist, schauen und hören die Menschen auch immer kritischer auf das, was gesagt, gebetet und gesungen wird. Die eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte werden dabei immer stärker gewichtet. Nicht selten betritt man den Kirchenraum aus einer hektischen Welt und einem geschäftigen Treiben heraus, das noch voller Unruhe ist. Aus meiner eigenen Praxis als Pfarrer wurde mir klar, wie oft Menschen Schwierigkeiten mit den alten Psalmtexten haben, die dann im Gottesdienst zuerst erklingen, vor allem wenn sie sie selbst singen sollen. Schließlich spiegeln diese Texte nicht immer die eigene Befindlichkeit wider, und der Sprung von der eigenen Erfahrung zu „Tiefen des Elends“ (Ps 130) oder „ich kam in Jammer und Not“ (Ps 116), „ich bin als Sünder geboren“ und „meine Sünde ist immer vor mir“ (Ps 51) ist ihnen zu groß. In der Praxis erweist es sich dann als unzureichend zu erklären, dass die Kirche in den Psalmen in erster Linie den Weg Jesu des Messias besingt und dass wir beim Singen viele der Texte zusätzlich als Notration oder Wegzehrung aufbewahren können, als Worte, auf die wir in Zeiten der Not zurückgreifen können. Für diejenigen, deren Hauptanliegen der Bezug des sonntäglichen Gottesdienstes zum Zeitgeschehen ist, mag auch zählen, dass wir viele Psalmen aus Solidarität mit denen singen, die wirklich in tiefer Not sind und keine Stimme mehr für ihre Klagen haben - ein ortsbezogenes Psalmensingen. Doch oft scheint es zu schwierig, sich den altehrwürdigen Psalmtexten zu nähern. Wir möchten am liebsten selbst sofort „berührt“ werden. Ist unsere Kultur zu sehr auf die Lieferung von Tür zu Tür eingestellt? 7 ‚Einstiegslieder‘? Doch der Gedanke des „gemeinsamen Aufbruchs“, der sich im gemeinsamen Singen formt (und macht nicht gerade das erst die Gemeinschaft aus? ), ist von bleibender Wichtigkeit und Bedeutung. Im Laufe der Jahre habe ich daher als Pfarrer und Dichter nach Texten und Melodien gesucht, die dem eine Form geben. Meine oben erwähnte Praxis fand in einer der ältesten und größten Kirchen von Amsterdam statt. Dort lernten wir, uns in der anglikanischen Form des Einzugs, der Prozession, zu Hause zu fühlen, wobei allem ein Prozessions‐ lied vorausging. Dieses Lied wurde in der Regel von der Kantorei längsseits des Hauptschiffes angestimmt, wozu wir uns am Grab von Jan Pieterszoon Suitable For Use In Procession 457 <?page no="458"?> 9 In: Sytze D E V R I E S , Jij mijn adem. Verzamelde liederen, Zoetermeer 2009, Nr.-5. 10 In: Sytze D E V R I E S , Op Vleugels. Nieuwe liederen, Middelburg 2021, Nr.-33. 11 Ebd., Nr.-1. 12 Ebd., Nr.-32. Sweelinck aufstellten, dem berühmtesten Kirchenmusiker unseres Landes, der in dieser Kirche die Orgel spielte und dort begraben ist. Sobald der Chor und andere Bedienstete das Kirchenschiff betraten, stimmte die gesamte Gemeinde, die ebenfalls gestanden hatte, das Prozessionslied an. Die Texte dieser Prozessionslieder haben in erster Linie die Funktion, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, wozu wir gekommen sind und was uns erwartet. Sie kreisen um die Fragen: Wer sind wir? Was bringen wir hierher mit? Was sind unsere Lasten, Sorgen, aber auch unsere Wünsche und Erwartungen? Die Lieder haben etwas von einer Wegbereitung, bis wir zum „vollen Gewicht“ der Psalmen kommen. 8 Beispiele Eine Reihe dieser Prozessionslieder wurde kürzlich von Christa Reich, Kirchen‐ musikerin und Theologin, die sich in der deutschen Ökumene mehr als verdient gemacht hat, ins Deutsche übersetzt. Die Texte sind bisher nicht veröffentlicht worden. Es ist mir daher eine große Freude, vier von ihnen auf diese Weise zunächst Ansgar Franz und dann einem breiteren Publikum vorzustellen. 1. Die Freude führt uns in dies Haus 9 2. Dies ist ein Haus zum Verweilen und Träumen 10 3. Wenn der Glaube Flügel kriegt 11 4. Was uns fordert 12 458 Sytze de Vries <?page no="459"?> 8.1 De vreugde voert ons naar dit huis / Die Freude führt uns in dies Haus 2. Dit huis van hout en steen, dat lang - 2. Lang hat den Stürmen es getrotzt, de stormen heeft doorstaan, - dies Haus aus Holz und Stein. waar nog de wolk gebeden hangt - Es birgt die Wolke des Gebets van wie zijn voorgegaan, - der Menschen alter Zeit. - - - 3. dit huis, dat alle sporen draagt - 3. Und alle Spuren in dem Haus van wie maar mensen zijn, - sind Menschenspuren nur, - de pijler die het alles schraagt, - der Pfeiler aber, der es trägt, wilt Gij die voor ons zijn? - willst Du das sein für uns? - - - 4. Zal dit een huis, een plaats zijn waar - 4. Soll dies ein Haus, ein Ort sein, wo de hemel open gaat, - der Himmel offensteht, waar Gij ons met uw eng’len troost, - wo Du uns schickst der Engel Trost waar Gij U vinden laat? - und Dich selbst finden lässt? - - - 5. Onthul ons dan uw aangezicht, - 5. Enthülle uns dein Angesicht, uw naam, die mét ons gaat - den Namen ‚Ich bin da‘, en heilig ons hier met uw licht, - und heilige uns hier im Licht uw voorbedachte raad. - mit vorbedachtem Rat. Suitable For Use In Procession 459 <?page no="460"?> 6. Vervul ons met een nieuw verstaan 6. Erleucht’ uns, dass wir neu versteh’n van ’t woord, waarin Gij spreekt - das Wort das du uns sprichst, en reik ons zelf als leeftocht aan - und mach zu Wegzehrung das Brot het brood, dat Gij ons breekt. - das du hier selbst uns brichst. - - - 7. Dit huis slijt mét ons aan de tijd, - 7. Dies Haus vergehet mit der Zeit, maar blijven zal de kracht - - wie wir - doch bleibt die Kraft die wie hier schuilen verder leidt - die uns beschützt und weiter führt, tot alles is volbracht. - bis alles ist vollbracht. - Text: Sytze de Vries Übertragung: Christa Reich Melodie: Willem Vogel 8.2 Dit is een huis van verhalen en dromen / Dies ist ein Haus zum Verweilen und Träumen 2. Hier is het huis waar het licht wordt ontstoken, - 2. Hier ist das Haus, wo das Licht wird entzündet, hier wordt aan mensen de liefde verklaard. - und hier wird Menschen die Liebe erklärt. 460 Sytze de Vries <?page no="461"?> Ieder die naamloos is, bang of gebroken, Jeder, der namenlos, bang und ermattet, weet zich hier welkom aan Gods eigen hart. - weiß sich willkommen hier an Gottes Herz. 3. Hier in dit huis dat al eeuwenlang torent - 3. In diesem Haus, das Jahrhunderte prägen, krijgen wij hart voor de nood van de stad.- wird das Herz weit für die Not unsrer Stadt. Laat in de straten als hartenklop horen: - Lasst in den Straßen als Herzklopfen hören: leven krijgt kleur van wat strak komen gaat. - ‚Leben wird farbig durch das, was noch kommt! ‘ - - - 4. Hier staat vergeving gegrift in de stenen, - 4. Hier steht Vergebung geritzt in die Steine. staan wij weer op, ons verleden voorbij, - Wir stehen auf, denn was war, ist vorbei, om gaandeweg door de hemel beschenen- um Schritt für Schritt neue Wege zu finden wegen te vinden naar Gods overzij. - zur Gottes Stadt, wo Er selbst bei uns wohnt. - - - refrein 1. - Refrain 1. - - - 5. Hier leren wij met de engelen zingen, - 5. Hier lernen wir mit den Engeln zu singen, wordt met wie voorgingen hoog ingestemd. - mit allen Heiligen hoch angestimmt; Zo mag ons lied de gewelven dorrdringen: - so kann das Lied die Gewölbe durch‐ dringen, Ons eeuwig rijmwoord is Jeruzalem! - ewiges Reimwort bleibt ‚Jerusalem‘. - - - Suitable For Use In Procession 461 <?page no="462"?> 6. Hier gaat dit lied al ons kennen te boven, 6. Hier übersteigt das Lied das, was wir kennen Gods nieuwe lente wekt ons nieuw geluid. - denn Gottes Frühling weckt neuen Ge‐ sang. Al zingend leren wij hopen, geloven; - Im Singen lernen wir hoffen und glauben, ook in de nacht dooft de lofzang niet uit. - auch in der Nacht hört das Leben nicht auf. - - - refrein 1. - Refrain 1. - - - 7. Hier staat de Levende ons steeds voor ogen, - 7. Hier steht uns Christus lebendig vor Augen, hoe Hij in liefde zichself heeft gedeeld, - wie er in Liebe sich selbst übergab, en ook vorr ons, met ontferming bewogen, - darin, von großem Erbarmen geleitet, daarin zijn hemelse Vader verbeeldt. - uns seinen himmlischen Vater bezeugt. - - - 8. Rondom het licht dat door Hem is ontstoken, - 8. Rund um das Licht, das durch ihn ist entzündet, worden wij samen gevormd tot de kring - finden wir jetzt mit einander zum Kreis. waarin het duister voorgoed is weersproken, - Da ist das Dunkel für immer entmachtet, blijvend het lied van bevrijding weerklinkt. - wir aber singen, und wir sind befreit. Text: Sytze de Vries Übertragung: Christa Reich Melodie: Ignace de Sutter 462 Sytze de Vries <?page no="463"?> 8.3 Als geloven vleugels krijgt / Wenn der Glaube Flügel kriegt 2. Is ons lied een brandend vuur - 2. Spricht im Lied ein Feuersbrand dat van hartstocht klinken moet, - mit dem Ton von Leidenschaft, waar uw Geest de adem stuurt - wo Dein Geist den Atem lenkt, zoals lucht de vlammen voedt, - - so, wie Luft die Flammen speist - blijf ons dan de adem geven - wollst Du uns den Atem geben, die doet zingen van een leven - welcher singt von einem Leben met het keervers ‚God is goed! ‘ - mit dem Kehrvers: ‚Gott ist gut! ‘ Suitable For Use In Procession 463 <?page no="464"?> 3. Als ons bidden ankers vindt 3. Wie das Beten ankern kann in de woorden van een lied, - in den Worten eines Lieds, als ook ons gezang het wint, - Singen uns befreien kann van de mist van ons verdriet, - - von dem Dunst des trüben Sinns - Gij die troont op de gezangen - der du thronst auf den Gesängen van uw volk, hoo ons verlangen - Deines Volks, hör’ das Verlangen, dat Gij bij ons woning vindt. - dass Du bei uns Wohnung nimmst. - - - 4. Als uw kerk een leven lang - 4. Wenn die Kirche lebenslang telkens weer haar hartslag vindt - ihren Herzschlag finden kann in de maat van het gezang - in dem Takt jenes Gesangs, dat uw liefdeswoord bezingt, - - der Dein Liebeswort besingt - laat wat onze monden zingen - lass, was unsre Münder singen dan ook hart en ziel doordringen, - Herz und Seele ganz durchdringen, dat ons leven zuiver klinkt! - dass auch ’s Leben rein erklingt. - Text: Sytze de Vries Übertragung: Christa Reich Melodie: Karel Demoet 464 Sytze de Vries <?page no="465"?> 8.4 Wat ons uitdaagt / Was uns fordert 2. Wie ons voorgaat - 2. Der vorangeht en ons meeneemt, - und uns mitnimmt, is die van dat woord kon leven, - konnte selbst vom Worte leben, zelfs aan nacht en dood voorbij. - auch an Nacht und Tod vorbei; In zijn liefde voor de mensen - in der Liebe, die er übte, komt God rakelings nabij. - werden wir von Gott berührt. - - - Suitable For Use In Procession 465 <?page no="466"?> 3. En wij komen 3. Und wir kommen als geroepen, - wie gerufen, wetend dat de Geest zal leiden, - wissend, dass der Geist uns leitet, vinden toekomst gaandeweg - finden Zukunft auf dem Weg, in een broederschap van mensen, - Weg-Genossenschaft von Menschen, blijvend aan elkaar gehecht. - fest verbunden allezeit. - - - 4. Want wij hopen - 4. Denn wir hoffen en wij dromen - und wir träumen van de vrede die ons toevalt, - von dem Frieden, der uns zufällt, dat aloude visioen. - der uralten Vision. En zolang de Stem blijft klinken - Und solang die Stimme klinget, wachten wij een niuew seizoen. - warten wir auf neue Zeit. - Text: Sytze de Vries Übertragung: Christa Reich Melodie: Willem van Twillert 466 Sytze de Vries <?page no="467"?> 1 Evangelisch-Lutherisches Gesang-Buch: worin die gebräuchlichsten alten Kir‐ chen-Lieder Dr. M.Lutheri und anderer reinen lehrer und zeugen Gottes, zur Befoerde‐ rung der wahren […], (2. verm. Ausg.) Buffalo 1848, 493. Melodie: Da Christus geboren war, auch Singen wir aus Herzensgrund. Gott im Krieg Wie der Psalm die Kirche singen lässt Stephan Weyer-Menkhoff Das Lied Treuer Wächter Israel’, gedichtet 1630 von Johann Heermann, besteht durchweg aus biblischen Allusionen und Zitationen. In zwölfter Strophe findet sich ein längeres Zitat: 1 „Du bist ja der Held und Mann, der den Kriegen steuern kann, der da Spieß’ und Schwert zerbricht, der die Bogen macht zunicht, der die Wagen gar verbrennt und der Menschen Herzen wend’t, daß der Krieg gewinnt ein End’.“ Zitiert wird der Psalm 46: „E I N L I E D D E R K I N D E R K O R A H , V O N D E R J U G E N D , V O R Z U S I N G E N . Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. S E L A . Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. <?page no="468"?> 2 Lutherübersetzung in der Revision 1912. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen; das Erdreich muß vergehen, wenn er sich hören läßt. D E R HERR Z E B A O T H I S T M I T U N S ; D E R G O T T J A K O B S I S T U N S E R S C H U T Z . S E L A . Kommet her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch Zerstören anrichtet, der den Kriegen steuert in aller Welt, den Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Seid stille und erkennet, daß ich GOTT bin. Ich will Ehre einlegen unter den Heiden; ich will Ehre einlegen auf Erden. D E R HERR Z E B A O T H I S T M I T U N S ; D E R G O T T J A K O B S I S T U N S E R S C H U T Z . S E L A .“ 2 1 Der Krieg: das aufwühlende Erleben Gottes Zu den „Werken des HERRN “ gehört, „auf Erden solch ein Zerstören“ anzu‐ richten. Bogen werden zerbrochen, Spieße zerschlagen und Wagen verbrannt. Waffen werden zerstört durch Waffen. Es ist Krieg. Der Krieg erschüttert, einem Erdbeben vergleichbar, die bewohnte Welt. Zerstörende Übermacht bricht ein. Der Psalm verstärkt den hereingebrochenen Schrecken, anstatt das schreckliche Erleben durch kausale Analyse zu normali‐ sieren und durch moralische Direktive auf Abstand zu bringen. Im Erschrecken reißt das Gebet mit der Anrufung Gottes einen Abgrund auf. Religion bewältigt Kontingenz nicht, sondern bringt sie zum Ausdruck. Gehört „solch ein Zerstören“ zu den „Werken des HERRN “, so ist der Krieg keineswegs von Gott mit Rücksicht auf menschliche Freiheit, gleichsam wider‐ willig, nur zugelassen, sondern ist von keinem anderen als Gott gewirkt, dem Allmächtigen, „der den Kriegen steuert in aller Welt“. Als von Gott gesteuertes Werk ist der Krieg nicht menschliche Entscheidung, sondern übermächtig hereinbrechendes Ereignis. Der Anfang des Krieges liegt jenseits der beteiligten kriegerischen Agenten. Der Psalm rückt den Krieg aus der Peripherie des Zufälligen und Fehlgesteuerten ins Zentrum des Sich-Ereignenden. Mit dem Krieg bricht „solch ein Zerstören“ herein, dass die Erde unbewohnbar wird. Es ist ein Zerstören, das keinen Standort beschreibender Beobachtung frei lässt. Erschütterung und Erstarrung, Lähmung und Panik unterlaufen 468 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="469"?> 3 Gen 1,4 u.ö. das gewohnte Erleben, das Wohnen auf der Erde. Der Horizont fällt in sich zusammen. Die den Kosmos grundlegenden Differenzierungen, wie sie im Schöpfungsgedicht 3 mit dem göttlichen Wort vorgenommen sind, werden zu‐ rückgenommen. Mit solcher Nivellierung verliert auch die Sprache ihre Wohnlichkeit für menschliches Leben. Der Horizont begrenzt nicht länger die bewohnte Welt, den Kosmos, sondern verschwindet in endloser Ununterscheidbarkeit. Das durch Differenzen zurückgedrängte Chaos bricht im Krieg wieder hervor. Statt wie bisher Subjekt und Prädikat differenziert zusammenzuhalten, jagt der Satz jetzt beide wild gegeneinander. Der Zusammenhang wird widersinnig: Die Welt breitet sich nicht aus, sondern geht unter; die Berge stehen nicht fest, sondern sinken ins Meer; Spieße durchbohren nicht, sondern zersplittern; Wagen fahren nicht, sondern werden vom Feuer eingeholt. Der Psalm führt im Rezitieren mimetisch dazu, die paradoxe Sprachzertrüm‐ merung in eigenen Sätzen nachzuvollziehen: Der Horizont spannt nicht aus, sondern fällt zusammen; Grenzen begrenzen und schützen nicht, sondern lösen sich in Endlosigkeit auf; Grundsätze gründen nicht, sondern fallen dahin; Regeln greifen nicht, sondern laufen leer; Rechte richten nichts auf, sondern werden niedergeworfen; Ansprüche sprechen nicht, sondern verhallen; Gewissheiten halten nicht, sondern werden flüchtig. Die Verwüstung des Krieges ebnet den Unterschied von innen und außen, von Steinen und Worten ein. Die Semantik, die auf Differenzierungen steht, wird zur monotonen Trümmerwüste. Erde und Sprache, die Wohnung des Menschen, die Welt versinkt mit dem Krieg als hereinbrechendem Ereignis im Chaos. Orientierung und Steuerung gehen im Chaos des Krieges verloren. Im Krieg herrscht Chaos und nicht Steuerung. - Das gilt von diesem Extrem her auch im alltäglichen Wohnen abseits des Krieges. Unsteuerbares steuert die Steuerung der ihre wohnliche Welt Steuernden. Unter der Herrschaft des nicht Steuerbaren werden Unbeschreibliches und Undenkbares, Ungewolltes und Unverschuldetes zum unabweisbaren Erlebnis. Erlebt wird chaotische Übermacht bei eigener Ohnmacht. Der Krieg wird zum Gotteserlebnis. Es ist ein finsteres Gotteserlebnis, ein Erleben des finsteren Gottes. Finster ist Gott, nicht weil er ferne wäre, sondern weil er zu nahe kommt. Der verborgene Gott, deus absconditus, ist nicht Gott in Abwendung vom Menschen, sondern Gott in unmittelbarer Präsenz beim Menschen. In übermächtiger Ge‐ genwart von Allmacht verschwindet der Horizont. Die Nähe Gottes lässt keinen Gott im Krieg 469 <?page no="470"?> Raum, zerstört die orientierte, die bemessene und geordnete Erde, Wohnung des Menschen, die Welt. Der Krieg wird zum Gotteserlebnis, und das Erleben Gottes wird kriegerisch. Krieg mit Gott wird zur grundstürzenden, horizontlosen Erfahrung Gottes. In solchem Zerstören wird Gott wahrnehmbar: „Kommet her und schauet die Werke des HERRN , der auf Erden solch Zerstören anrichtet“. Die hier zu machende Wahrnehmung nennt die Bibel den Zorn Gottes: Gott ist ein eifriger Gott (Ex 20,5; Nah 1,2), ein verzehrendes Feuer (Dtn 4,24; Ps 50,3; 79,5; 97,3; Joel 2,3), umgeben von Finsternis (Ps 18,12; Joel 2,2; Am 5,20; Zef 1,15); als schrecklicher Tag kommend ( Joel 2,11; 3,4; Mal 3,23; Apg 2,20), unvorhersehbar widerständig im Wege stehend (Ex 4,24f.). Das anthropomorphe Wort Zorn steht wider alle Rationalisierung. Gottes Zorn ist nicht als Mittel zu einem anderen Zweck, als Wirkung einer anderen Ursache oder als Zeichen einer anderen Sache rationalisierbar. Er ist nicht moralisch als Strafe für das Fehlverhalten des Menschen reduzierbar, aber auch nicht pädagogisch zur Entwicklung von Humanität ableitbar oder kommuni‐ kativ als Zeichen für das Verstehen einer sonst unerkennbar transzendenten Gestimmtheit Gottes deutbar. Der Zorn ist Gottes und nicht Epiphänomen einer anderen Größe. Gott „richtet auf Erden solch ein Zerstören an“. Aus dem Hauptsatz ließe sich über den Text hinaus die Genitivattribution „das Zerstören Gottes“ bilden. Dieser Genitiv ist subjektiv, weil er das Subjekt vertritt: Gott zerstört. Die grammatische Möglichkeit eines Genitivus obiectivus entfällt, da Gott per definitionem nicht als Objekt des Zerstörens ausgesagt werden darf. In der Genitivverbindung „Zorn Gottes“ gibt es eine solche Möglichkeit erst gar nicht, weil der Infinitiv „zürnen“ intransitiv ist und kein Objekt erfordert. Als Genitivus subiectivus zeigt die Verbindung „Zorn Gottes“ Gott als Subjekt des Zorns: Gott zürnt. Andere Subjekte scheiden damit aus. Der Zorn Gottes ist keine Aktion innerhalb einer kausalen oder funktionalen Reihung, ist keine Reaktion auf anderes, sondern ist freie Äußerung Gottes. Damit wird der Zorn Gottes unerklärlich. Der Genitiv „Zorn Gottes“ kann auch als Genitivus qualitatis gelesen werden: Der Zorn hat göttliche Qualität, ist nicht Produkt menschlichen Handelns. Er ist anfangs- und grundlos, ist unstillbar und unentrinnbar, ist übermächtig und unvermittelt. Schließlich zeigt der Genitivus possessivus „Gottes Zorn“ Zugehörigkeit an. Das Nomen im Genitiv wird zum Grund, auf dem sich das Bezugsnomen als Figur abhebt. Damit aber wird, anders als in der Reihung einseitigen Besitzes, das Nomen des Genitivs im Bezugsnomen präsent. Das durch den Genitiv 470 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="471"?> aufgespannte Verhältnis ist durchdringend. Der Zorn Gottes gehört nicht nur - äußerlich - Gott, sondern gehört - innerlich - zu Gott. Gott ist in seinem Zorn selbst gegenwärtig. Das mittels des Genitivs gebildete Attribut hat das Merkmal, dass das im Genitiv stehende Nomen durch das Possessivpronomen ersetzt werden kann. In diesem Zusammenhang drücken die drei Personen des Possessivpronomens, mein, dein, sein, nicht ein äußeres Verhältnis des Besitzes, sondern stets ein inneres Verhältnis der gegenseitigen Zugehörigkeit aus. Der Zorn gehört zu Gott, und Gott gehört zum Zorn. Im Zorn ist Gott selbst präsent. Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart (Röm 1,18). Der Zorn ist nicht etwas anderes als Gott selbst. Er ist nicht sekundäre Äußerung einer primär ruhenden Identität jenseits des Zorns, sondern Aussage von Präsenz. Im Zorn ist Gott da. Das lokale Adverb „da“ situiert Gott im Bereich wahr‐ nehmbaren Zerstörens. „Kommet her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch Zerstören anrichtet.“ Gott ist nicht an sich da, wobei die lokali‐ sierende Funktion des Adverbs aufgehoben und von der Situierung abstrahiert werden müsste. Der Satz, Gott sei an sich da, duldet keine Lokalisierung. Mit dem Zorn aber ist Gott in einem klar abgegrenzten Bereich und in einer deutlich wahrnehmbaren Weise da: Hier, wo „Zerstören“ herrscht, ist er da. Zwischen dem Hier des Psalmbeters und dem Da Gottes liegt keine Distanz mehr; der Raum ist zerstört, der Horizont verschwunden. Die Koinzidenz von Da und Hier ist nicht von beobachtendem Standort aus in Rede dritter Person beschreibbar, sondern wird unmittelbar am Ort erster Person erlitten. Weil es Gottes Zorn ist, kann er nicht auf Abstand gehalten werden. Der Psalmbeter ist mitten im Zorn Gottes. Im „Zerstören“ von Welt erlebt er, wider Willen, Gottes Gegenwart als ein übermächtiges und umfassendes Wider-uns-Sein. Die Welt, die für uns war, wird plötzlich zu einem einzigen Widerstand gegen uns Menschen. Der Krieg, Untergang der Welt und Zusammenbruch des Horizonts, wird zum Erleben des Zornes Gottes. Gott ist in seinem Zorn da, er ist in solchem „Zerstören“ hier, so nahe, dass es die Erde, die Wohnung des Menschen nicht aushält: „das Erdreich muß vergehen, wenn er sich hören läßt“. Das mit dem Reflexivpronomen „sich“ gebildete Objekt verweist auf das Subjekt des Satzes. Im Zerstören des Erdreichs ist nicht irgendetwas, eine Botschaft, Ermahnung oder Abstrafung zu hören, sondern Gott selbst. Das aber ist Krieg: entweder Gott, der zerstört, oder der Mensch, der wohnt. Wo Gott ist, kann der Mensch nicht sein. - Von diesem Extrem her zeigt sich die kriegsträchtige Alternative schon in den Grundlagen des Alltags: Wo ich stehe oder sitze, kann kein anderer stehen oder sitzen. In extremen Situationen wie dem Krieg wird diese Grundverfassung ausdrücklich. Gott im Krieg 471 <?page no="472"?> „Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge.“ Die Furcht, die der Psalm negierend zur Sprache bringt, ist Ausdruck eben dieses Untergangs der Welt. In „den großen Nöten, die uns getroffen haben“, hat sich der Horizont zusammengezogen. Solches „Zerstören“ wahrnehmend, findet der Psalmbeter seinen Ort bei den verzagten „Heiden“ vor, deren „Königreiche“ fallen. Er ist keineswegs in der „Stadt Gottes“, die „fein lustig“ bleiben soll „mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind“. Nicht „drinnen“, sondern draußen im Zorn Gottes weist der Psalm dem Beter den Platz zu. Der Untergang der heidnischen „Königreiche“ wird nicht aus der sicheren Stadt heraus beobachtet, sondern wird draußen mit den „Heiden“ geteilt. Die Gründung des Subjekts als autonomer Herrscher fällt mit dem erschütternden Erlebnis des Krieges dahin. Die Antwort auf den Zorn Gottes ist das Bekenntnis, gerade nicht drinnen bei den „Wohnungen des Höchsten“ zu leben, sondern draußen zu sein. Der Psalm hält einen Ort für den bereit, der sich auf die Rede der Wahrnehmung erster und zweiter Person einlässt. Dieser Ort ist angesichts des Zornes Gottes das Bekenntnis, Sünder zu sein: „Die Heiden müssen verzagen“. Das Sündenbekenntnis ist nicht das Eingeständnis von Fehlern, die ursächlich zu Gottes Zorn geführt hätten, sondern eine Ortsbezeichnung. Der sich als Sünder Bekennende ist in der Einsicht in die Schuld des Daseins verhaftet. Mein Hier lässt des anderen Da nicht zu, mein Hier verschuldet mich an anderen. Mein Hier lässt Gott nicht zu. Dieser Satz ist schillernd. Die ersten beiden Worte sind als Nominativ Subjekt und als Akkusativ Objekt des Satzes. So bringt der streng religiöse Begriff der Sünde abseits aller Moralität ein Erleben zur Sprache. Es ist das Erleben Gottes, „der auf Erden solch Zerstören anrichtet“. Das Bekenntnis der Sünde nimmt den Zusammenbruch des Horizonts wahr. „Der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm 6,23). Nicht leben zu können, ist das Eingeständnis verzagter Heiden und fallender Königreiche menschlicher Selbstbestimmung. Das Erleben der Horizontlosigkeit könnte nicht mehr zur Sprache kommen, wenn der Begriff der Sünde durch Moral profaniert würde. Innerhalb der Moral wäre Sünde eine Beschreibung in Sätzen dritter Person. Sünde würde zum Re‐ gelverstoß. Die vom Psalm zur Sprache gebrachte Erschütterung verschwände in Moralität. Die Rede erster Person diente nur noch zur Konfirmierung des vorab in dritter Person festgestellten Fehlverhaltens. Beobachtung und Erklärung, die Rede dritter Person, gehen am Phänomen vorbei, das sich in Bekenntnis und Gebet, der Rede erster und zweiter Person, zeigt. Die Rede dritter Person anästhesiert die Wahrnehmung, überbrückt die Erschütterung des Standorts erster Person, übergreift das Erleben menschliches Wohnen zerstörender Gottespräsenz. In dritter Person würden Kausalketten 472 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="473"?> entwickelt und Funktionslinien konstruiert, damit das erlebte Zerstören als bloße Wirkung von etwas anderem oder als gefügiges Mittel zu etwas anderem erschiene. Aus dem erschütternden Ereignis des Zornes Gottes, der initiativ hereinbrechenden Horizontverschließung würde der Fall einer Regelmäßigkeit. Das „Zerstören“ wäre nicht mehr das Phänomen der Horizontlosigkeit, wie es wahrgenommen wurde, sondern erklärbares Epiphänomen von anderem, das gewusst wird. Wahrnehmbare Präsenz würde in rationaler Linearität aufgelöst. Das erklärende Wissen dritter Person verhindert die unerklärliche Wahrneh‐ mung erster und zweiter Person, die Wahrnehmung des Unerklärlichen und Unbeschreiblichen: das Erleben von Krieg. Immer aber bleibt der unerklärbare Einbruch des „Zerstörens“ auch durch alle Rationalisierung hindurch bestehen. Wegen der bleibenden Initiative des „Zerstörens“ bleiben auch die Leistungen der Rationalität lückenhaft. Die Steuerung, analytische Erklärung, handelnde Orientierung und rückkoppelnde Kontrolle bleiben angesichts des Krieges dem Menschen versagt. Sie liegt in Händen dessen, „der den Kriegen steuert in aller Welt“. - Wiederum fällt vom Extrem kriegerischen Kontrollverlusts ein Licht auf die Verfassung des Alltags als eines Ausschlusses von Steuerung. Die Situation, in der der Mensch sich von Geburt an unhintergehbar befindet, unterliegt nicht seiner Steuerung. Der erlebte Entzug von Steuerung wird mit dem Psalm zum Gotteserlebnis, zum Erlebnis dessen, „der den Kriegen steuert in aller Welt“, zum Erlebnis Gottes, des Allmächtigen, ohne den nichts ist, was ist. Der Psalm erklärt nichts, beobachtet und konstruiert nicht. Die Position, die der Psalm einnehmen lässt, ist die der ersten und zweiten Person. Die Sätze der dritten Person, die in der zweiten Strophe durchweg gegeben sind, werden in die von erster und zweiter Person vorgegebene Struktur einge‐ bunden. Das geschieht vor allem durch expliziten Rückverweis auf die zweite Person mittels Personal- und Possessivpronomen. Einen impliziten Verweis auf jene Struktur führt die Konstruktion der Prädikate mit den Modalverben „sollen“ und „müssen“ mit sich. Hiermit wird, wie auch mit dem Präpositionaladverb „drinnen“, der Sprecher des Satzes und damit die erste Person verortet. Die Sätze dritter Person bilden keine eigene Struktur aus, etwa die einer in sich stehenden Aussage, sondern bleiben in dem Feld, das zwischen erster und zweiter Person ausgespannt ist. Die erste Person spricht zunächst durchgehend im Plural zu einer zweiten Person, viermal durch Personalpronomen, dreimal durch Possessivpronomen. Diese zweite Person wird im doppelten Imperativ aufgefordert, zu kommen und zu sehen. Daraufhin tritt ein Wechsel der Rederichtung ein. Die zweite Person Plural wird wieder in einem doppelten Imperativ aufgerufen, stille zu sein und zu Gott im Krieg 473 <?page no="474"?> erkennen. Angesprochen ist die zweite Person jetzt aber von der ersten Person im Singular, die sich prädikativ als Gott ausweist. Dieser Gott wird mit dem „Zerstören“ auf Erden zusammengebracht. Das geschieht aber nicht in einem Satz dritter Person, dagegen spräche schon die erste Person Singular, die eine zweite Person Plural anspricht. Das „Zerstören“ wird aus der Perspektive dieser zweiten Person zur Sprache gebracht. Im eigenen Erleben soll die angeredete zweite Person „die Werke des HERRN , der auf Erden solch Zerstören anrichtet“, erkennen. Der in dritter Person redende, den Herrn prädizierende Relativsatz wird anschließend als Ausdruck der ersten Person expliziert: „Seid stille und erkennet, daß ich GOTT bin. Ich will Ehre einlegen unter den Heiden; ich will Ehre einlegen auf Erden“. Die Ehre Gottes ist unteilbar, keinem anderen außer dem Allmächtigen kommt diese Ehre zu. Dieser Ehre wegen fallen die Königreiche. Eifernd wartet Gott, der Allmächtige, seiner Ehre. Das ist nicht beobachtbar, aber deutlich wahrnehmbar. Mit der Wahrnehmung ist die wahrnehmende Person engagiert. Das erlebte „Zerstören“ bekommt damit keine Erklärung, sondern eine Person, grammatisch erster oder zweiter Art. 2 Das Gute: der aufgeklärte Begriff Gottes Während der Psalm den Beter in der Wahrnehmung des finsteren, zerstörenden Gottes festhält, lässt er ihn im selben Zug sagen: „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke“. Die rezitierende erste Person kommt damit in einen Zwiespalt. Es ist ein Zwiespalt Gottes und nicht ursprünglich ein Zwiespalt jener ersten Person. Von dritter Person aus ist dieser Zwiespalt Gottes allerdings nicht zu erkennen. Die erste Person gehört mit zu dem Zwiespalt. Aus der Entfernung ist ein Abgrund des perspektivischen Winkels wegen nicht zu sehen, erst die unmittelbare Nähe des Abgrundes vor den Füßen eröffnet den Blick in den Abgrund hinein. Die im Abstand bleibende dritte Person bleibt vom Zwiespalt Gottes unberührt. Der über-sehene Zwiespalt führt zur definitorischen Abspaltung identischer Größen nach dem Muster, Gott sei gut, der Krieg sei schlecht. Der Beobachter ordnet die widersprüchlichen Aussagen des Psalms in stetiger Reihe übersichtlich so, dass kein Zwiespalt zwischen ihnen Raum hat. Aufgeklärtes Denken gebraucht den Gottesbegriff kritisch. Ob Gott sei, ist nicht zu wissen. Ist der Gottesbegriff aber kritisch aus dem Bereich posi‐ tiven Wissens als Grenzbegriff ausgegrenzt, so kann Gott auch nicht mit dem Krieg, abstrakt ein Gegenstand des Wissens, zusammengebracht werden. Eine derartige Behauptung wäre unkritisch, wäre Irrtum, der auf unaufgeklärter 474 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="475"?> Wahrnehmung beruhte. Demgegenüber verbietet aufgeklärte Kritik, von einer Erscheinung Gottes zu reden. Der kritische Gottesbegriff dient der Negation theoretischer Sätze über Gott. Dies deckt sich zunächst mit dem Psalm, der Sätze über Gott in dritter Person im Ganzen vermeidet. Der Preis jener Kritik ist aber, die ambivalenten, widersprüchlichen Erlebnisse nicht mehr in ihrer erlebten Einheit aussagen zu können, stets und sämtlich Widerfahrnisse der sie erlebenden ersten Person zu sein. Das Erleben zerfällt in disparate Momente, und der Horizont des Erlebens verschwindet. Die mit dem Horizont eintretende räumliche Ordnung der Phänomene, ihr Miteinander und Übereinander, das deren Wahrnehmung entspricht, wird zugunsten einer nicht wahrnehmbaren, im Voraus gesetzten, mithin transzendentalen Linearität aufgegeben, so dass die Erlebnisse, in einem strikten Nacheinander voneinander isoliert, identifizierbar werden. Die binäre Logik der Identität lautet, dass etwas Etwas und nicht ein Anderes sei. Die horizontlos fest- oder stillgestellten Phänomene bilden nicht mehr eine Figur auf dem Grund des Horizonts, sondern werden zu Fällen in unterschiedli‐ chen Reihungen von Kausalität und Funktionalität. Weil sie aber als solcher Fall von niemandem erlebt werden, kann von ihnen nur in dritter Person die Rede sein. Die erste Person wird konsequent in die dritte Person aufgehoben, sie dient nur noch der Affirmation kausaler Reihung und funktionaler Normalisierung. Der kritische Gottesbegriff verhindert die Bildung eines Horizonts. Der Horizont ist immer Horizont einer Perspektive, womit die von der Kritik ausgeschlossene wahrnehmende erste Person fundamental wird. Als Horizont aber ist er nicht Produkt der Perspektive, sondern ihr Anderes. Der Horizont, nicht in dritter Person aussagbar, ist nicht das Eigene der ersten Person, sondern ein ihr entgegengesetztes Fremdes. Die Bildung von Horizont ist nicht ein Projekt der ersten Person, eine sekundäre Äußerung innerer, reiner Identität, sondern ein auf die Person zukommendes Ereignis, ein Gegen-Stand. Der Horizont ist gegeben. Als Gegebenheit ist der Horizont nicht Produkt von anderem, etwa des Sehens. Die Gegebenheit hat keinen Grund außerhalb ihrer Gebung. Die Gebung des Horizonts liegt im Schöpferwort, das die chaotische Endlosigkeit differenziert (Gen 1,6-8). Der Horizont ist nicht mein, sondern Gottes. Mein Horizont ist mir selbst fremd. Nicht als Transzendental, als ideale Bedingung der Möglichkeit, etwa des Sehens, sondern nur als fremder, als entgegenstehender gibt der Horizont Raum. Der Horizont, nur in erster Person ausdrückbar, durchkreuzt deren Identität und Selbstbestimmung durch Befrem‐ dung im Innersten. Insofern ist schon die Bildung eines Horizonts zwiespältig. Der Horizont kann nur in erster Person ausgedrückt werden, entzieht sich der Gott im Krieg 475 <?page no="476"?> ersten Person gleichwohl als Gegebenheit. Im Innersten der ersten Person, im Eigenen der persönlichen Perspektive waltet fremdes Schöpferwort, göttlicher Horizont. Zwiespältigkeit wird aber in aufgeklärter Rationalität mittels des kritischen Gottesbegriffs aufgelöst und auf fortlaufende und parallele Reihe gebracht. Gegenüber der kritisch ausgeschlossenen Horizontbildung liegt der einzige positive Gebrauch des kritischen Gottesbegriffs in der praktischen Verwendung der Vernunft. In unbedingter Geltendmachung des allen empirischen Bezugs freien Gesetzes der Moral postuliert die Vernunft einen durchgehend morali‐ schen Gott. Der gute Gott, der keinen Horizont eröffnet, ist eine vernünftige Forderung. Gott ist nur als guter Gott denkbar, heißt der Satz der Vernunft. So wird der theoretisch unmögliche Begriff Gottes praktisch zum klaren Begriff des guten Gottes aufgeklärt. Der gute Gott ist die Möglichkeit des Guten. Die Aufklärung des Gottesbegriffs zum Begriff des guten Gottes leistet nicht nur die aufgeklärte Kritik, sondern ebenso auch erweckte Offenbarung. Durch Offenbarung wird die Restriktion kritischen Denkens überschritten. Das erweckte Denken fordert nicht nur wie die unerweckte Vernunft, sondern weiß den guten Gott. Durch Offenbarung weiß das erweckte Denken über alle Kritik hinaus, dass der gute Gott sei. Der gute Gott ist nicht nur Möglichkeit des Guten, sondern auch deren Verwirklichung. Der gute Gott, aufgeklärt als Möglichkeit postuliert oder erweckt als Wirk‐ lichkeit gewusst, bildet keinen Horizont. Dass Gott gut sei, lässt den Horizont verschwinden. Das Verschwinden des Horizonts stellt für die Kritik prinzipiell kein Problem dar. Die Möglichkeit bildet keinen Horizont, sondern verweist auf kausale und funktionale Reihen der Verwirklichung. Erwecktes Denken muss hier anders vorgehen. Unkritisch wird Gott durch Offenbarung zu einem Moment. Das offenbarte Moment des guten Gottes muss das erweckte Denken in Zusammenhang mit anderen Momenten bringen, mit denen es ursprünglich in keinem Zusammen‐ hang steht. Momente sind an sich apart. Erst durch Reihung gewinnen sie Zusammenhang. Sie werden entweder Ursache und Wirkung oder aber Mittel und Zweck in kausaler oder funktionaler Reihung. Erwecktes Denken hat andere Momente, aber nicht andere Mittel als die aufgeklärte Rationalität. Der gute Gott hat in seiner Reihe der Verwirklichung des Guten mit dem Krieg, der immer auch schlecht ist, zunächst nichts zu tun. Anstelle eines Gottesbezuges werden Menschen, die nicht gut sind, als unmittelbar benach‐ barte Momente des Krieges eingesetzt. Neid und Gier unterliefen die morali‐ sche Gesinnung und führen zu kriegerischem Verhalten. Sinnlich bedingte moralische Schwäche wird zur Ursache des Krieges gemacht. Damit ist der 476 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="477"?> 4 Vollversammlung des Weltrats der Kirchen, Amsterdam 1948. Krieg konsequent von der guten Wirklichkeit Gottes ferngehalten und in der Folge als schlechte Wirklichkeit des Menschen abgewertet. Gott kommt in der Kausalkette des Krieges nicht vor. Der Zusammenhang Gottes mit dem Krieg ist negativ. Der Krieg wird, in einer Kausalkette ausgesagt, gott-los. Mit der gottlosen Erklärung wird das Feld der aufgeklärten Moralität strikt gewahrt. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Der Mehrheitsbeschluss einer Kirchenversammlung 4 verlässt das Feld aufgeklärter Moral nicht und greift daher in phänomenologischer und theologischer Hinsicht zu kurz. Um den Gottesbegriff vor der bei der Rede vom Willen Gottes naheliegenden subjekt‐ theoretischen Verkürzung zu schützen, wäre zuallererst die Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Willen einzubringen. Solche Unter‐ scheidungen zugunsten binär feststellender Identifizierungen zu meiden, ist Merkmal aufgeklärter Theologie. Gehört der Krieg zu „den Werken des Herrn“, so geschieht er auch mit seinem, uns verborgenen Willen. Der Krieg könnte also nur zu Gottes offenbarem Willen in Widerspruch stehen. Man müsste ihn dazu aus dem fünften Gebot ableiten, was nur gelänge, wenn eine weitere Unterscheidung, die des geistlichen und weltlichen Regiments Gottes, übergriffen würde. Führt das Gebot im geistlichen Regiment zur Erkenntnis von Sünde, so dient es im weltlichen Regiment der Erhaltung von Leben gegen dessen Bedrohung. Dieser Erhaltung wegen ist das den Staat legitimierende Gewaltmonopol gegeben. Die Durchsetzung des fünften Gebots geschieht mit Polizei- und Strafgewalt nach innen und nach außen mit militärischer Gewalt. So könnten in der Abwehr mörderischer Gewalt Kriege entstehen, die dem offenbarem Willen Gottes sehr wohl entsprächen. Der aufgeklärt kritische Gottesbegriff steht solcher Differenzierung zugunsten einer klar aussagbaren Identität des Gottesbegriffs entgegen. Damit aber verliert die Rede von Gott ihre horizontbildende Kraft und wird zur Illusion des Guten, welches durch unendlichen Ausschluss dessen, das nicht sein soll, projektiert wird. Die erweckte Variante überbietet das aufgeklärte Muster. Entgegen der kri‐ tischen Beschränkung auf die prinzipielle Zusammenhangslosigkeit von Krieg und Gott wird eine positive Verbindung gezogen. Dazu wird eine funktionale Reihung vorgenommen. Der Krieg wird zur Strafe Gottes. Die schlechte Wirk‐ lichkeit wird übergriffen, dass sie doch noch zu etwas gut sei. Die Besserung des nicht guten Menschen ist der Zweck des guten Gottes. Das Mittel dazu ist als unübersehbare Fehlermeldung der Krieg. Die schlechte Wirklichkeit des Krieges wird bei dieser instrumentellen Reihung mit dem guten Gott aufgewertet. Die Gott im Krieg 477 <?page no="478"?> Schlechtigkeit sinkt zum bloßen Schein des Besseren herab. Auch hier wird das Feld der Moralität nicht verlassen. Da der Krieg aufgrund des aufgeklärten wie auch erweckten Begriffs vom guten Gott theologisch nicht zu fassen ist, wird er zum Moment der Moralität. Das Gotteserlebnis des „Zerstörens“ ist in rationeller Reihung aufgehoben. Vom dunklen Gott, der den Horizont zusammenfallen lässt, kann weder aufgeklärt noch erweckt die Rede sein. Vom aufgeklärten oder erweckten Standort aus ist der Zwiespalt Gottes, in den der Psalm zwischen „Schutz“ und „Zerstören“ blicken lässt, nicht zu sehen. Der Psalm versetzt den Beter nicht in erwecktes Wissen, sondern zu den „Heiden“, die „verzagen“ müssen. Diese Platzanweisung könnte nur zum Preis eines höheren, unbeteiligten Standorts übergangen werden, vom dem aus auch von Gott nur in dritter Person zu reden wäre. Der Psalm fiele mit seiner Dynamik dahin und wäre als gefälliger Ausdruck erweckten Wissens festgestellt. Der Psalm würde wissen lassen, Gott sei nicht zornig. Auch gegen die Heiden, zu denen die Erweckten gerade nicht gehören, sei er nur scheinbar zornig, in Wahrheit aber, indem er deren Besserung verfolge, sei er gnädig. Auf diesen Satz könne man sich verlassen, weil er an sich wahr sei, also jenseits allen widersprechenden Erlebens erster und zweiter Person. Der Satz dritter Person gilt mithin der Form nach als Offenbarung. Sie zu glauben, wäre dann der nachrangige Platz für die Rede erster und zweiter Person. Aufgrund der Offenbarung glaubt der Erweckte. Glaube ist ihm höheres Wissen, das Wissen der Offenbarung. Folglich bekennt er nicht, damit er glaube, sondern weil er zuvor wissend glaubt. Er betet nicht, damit Gott gnädig werde, sondern weil Gott gnädig sei. So gelesen, bliebe der Text des Psalms eine Botschaft für etwas, was als Offenbarung längst schon gewusst ist. Der Text des Psalms wäre um die poetische Struktur verkürzt. 3 Die Stadt: der aufgehende Horizont Gottes Der Psalm bleibt in der Rede erster und zweiter Person. Auch die Sätze dritter Person geben explizit einen Sprecher an. Das geschieht mit den Possessiv- und Personalpronomen erster Person, „Gott ist unsere Zuversicht … in den großen Nöten, die uns getroffen haben“. „Gott ist bei ihr drinnen.“ Das Präpositionaladverb „drinnen“ nimmt einen Raumbezug vor: Gott ist „drinnen“, und die Heiden sind draußen. Während das Präpositionaladverb anaphorisch auf die Nominalphrase „Stadt Gottes“ im Satz zurückverweist, weist es zugleich auch deiktisch aus dem Satz heraus. Der Ort 478 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="479"?> wird angezeigt, von dem aus dem Satz gesprochen wird. Explizit wird das im nächsten Satz: „D E R HERR Z E B A O TH I S T MIT U N S “. Die Psalmbeter sind „drinnen“. Mit der Platzanweisung „drinnen“ geraten die Psalmbeter, die sich zuvor draußen bei den Heiden loziert sahen, nun selber in einen Zwiespalt. Der Zwiespalt Gottes, der ursprünglich ist, greift auf den Psalmbeter über und bildet sich in ihm ab. Der mit dem Psalm doppelt, an erster wie zweiter Person aufklaffende Zwiespalt ist der poetischen Struktur des Textes wegen dynamisch. Die „Zuversicht und Stärke“, von der gesagt ist, sie seien Gott für uns, sind nach dem vom Psalm konsequent vorgenommenen strukturellen Ausschluss der dritten Person kein propositionaler Gehalt einer indikativen Feststellung. Der Satz dritter Person stellt im Psalm nichts fest, sondern entbirgt vielmehr die Dynamik einer Kontrastbildung. Gegen den im hereinbrechenden „Zerstören“ der Erde erlebten Zusammenfall des Horizonts wird ein Horizont eröffnet. „Zuversicht und Stärke“ bilden den Bogen dieses aufgehenden Horizonts. Sie liegen nicht auf der Ebene von „den großen Nöten, die uns getroffen haben“. Sonst zöge der in der Not erlebte Zusammenfall des Horizonts sie in seine eigene Horizontlosigkeit hinein. Das Erleben der „Hilfe in den großen Nöten“ führte nicht weiter als zu den „Heiden“, die „verzagen“ müssen. Die bloße Alternierung von Not und Hilfe ließe den Horizont in unendlicher Reihung verschlossen bleiben. Die Hilfe wäre ein Tropfen auf den heißen Stein, und die Not fräße alle Hilfe auf. Hilfe würde zur Figur auf dem Grund der Not. Als Erlebnis bildet die Hilfe keinen Kontrast zur Horizontlosigkeit in den „großen Nöten“, die das hereinbrechende „Zerstören auf Erden anrichtet“. Dem Missverständnis, das die „Hilfe“ zur Aussage eines Erlebnisses macht und mit der Aussagelogik die poetische Dynamik blockiert, baut der Psalm schon mit seinem ersten Wort vor. „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke.“ Zuversicht, Stärke und Hilfe sind nicht unser Erleben, sondern sind Gott. Dieser Gott, der unser „Schutz“ ist, wird im Weiteren prädiziert als „Gott Jakobs“. Damit spannt sich ein eigener Horizont auf. Die Geschichten Jakobs werden zitiert, die, als Heilige Schrift gelesen, nicht des Lesers Erleben ausdrücken, sondern den Horizont des Gottes Jakobs aufspannen. „Zuversicht, Stärke und Hilfe“ sind die Abbreviatur solcher Lektüre, mit denen der Bogen des Horizonts des Gottes Jakobs beschrieben wird. Bilden Zuversicht und Stärke den Horizont, so sind sie nicht die Perspektive des Beters. Der Beter ist nicht zuversichtlich, er „fürchtet“ sich vielmehr. „Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge.“ Dieser Satz ist keine feststellende Aussage. Der Indikativ des Hauptsatzes ist abhängig vom Konjunktiv des Konzessivsatzes. Der Indikativ vertritt den Konjunktiv: Wir Gott im Krieg 479 <?page no="480"?> würden uns nicht „fürchten, wenngleich die Welt unterginge“. Nun aber geht die Welt unter durch „die Werke des HERRN , der auf Erden solch Zerstören anrichtet“. Der Indikativ in diesem bedingenden Satz zieht den Indikativ nach sich: da „fürchten“ wir uns. Der Untergang der Welt ist zum Fürchten. Ein Gottesschrecken stellt sich ein. „Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge.“ Beide Teil‐ sätze sind nicht symmetrisch. Der Untergang der Welt und die Furchtlosigkeit sind nicht miteinander konkurrierende Erlebnisse. Sonst würde das Erleben des Weltuntergangs das Erleben der Furchtlosigkeit in dem von jenem mitgeführten Zusammenfall des Horizonts im Zorn Gottes versinken lassen. Der Satz von der Furchtlosigkeit muss auf der Ebene des Horizonts, nicht auf der des Erlebens gelesen werden. „Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben.“ Mit der Modalisierung des Prädikats wird die Leseanweisung explizit. Die Stadt Gottes „soll“ lustig bleiben, sie ist es offenbar nicht mehr. Erlebt wird der Untergang der Welt, der den Horizont im Zorn Gottes verschließt. Die adversative Konjunktion „dennoch“ darf nicht als Nebenordnung des Hauptsatzes auf der Ebene der vorangehenden konzessiven Nebensätze gelesen werden. Das mit solcher Ne‐ benordnung ausgesagte Erleben der lustigen „Stadt Gottes“ verschwände in der Horizontlosigkeit des erlebten Weltuntergangs. Die Modalisierung hätte die Funktion eines Irrealis: die Stadt Gottes „sollte“ fein lustig bleiben, was sie aber nicht tut. Die Modalisierung schwächt die Aussage des Satzes nicht ab, als käme die „Stadt Gottes“ gegen den Untergang der Welt nicht an, sondern intensiviert die Aussage zur Anrede: die „Stadt Gottes“ soll etwas tun. „Die Stadt Gottes soll fein lustig bleiben.“ Als Horizont soll die „Stadt Gottes“ erscheinen. Nicht als kontrafaktisches Erlebnis zum Weltuntergang wird die „Stadt Gottes“ ausgesagt, sondern sie wird aufgerufen als Kontrast zur Horizontlosigkeit. An dieser Stelle wird die Redestruktur des Psalms sichtbar. Anders als im oben zitierten Satz der Kirchenversammlung wird im Psalm mit der Modalisierung die Figur einer Anrede gebildet. Im Satz, Krieg solle nach Gottes Willen nicht sein, fungiert als Quelle der Modalisierung nicht der Sprecher mit seinem Wunsch, sondern wird explizit der Wille Gottes angegeben. Damit verschwindet die erste hinter der dritten Person. Die Modalisierung bringt dort keine Bitte oder Anrede zum Ausdruck, sondern ist Aussage einer feststehenden Norm. Der Satz ist nicht wie im Psalm Gebet dessen, was Gott tun möge, sondern Programm dessen, was zu tun sei. Mit ihrem Beschluss betet die Kirchenversammlung nicht zu Gott, sondern gibt sich dem Menschen gegenüber als Wille Gottes aus. Statt die differenzierende Struktur erster und zweiter Person mit ihrem konstitutiven Ge‐ 480 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="481"?> genüber zu bedienen, unternimmt die Kirchenversammlung eine Identifizierung dritter Person: Gottes Wille und der Beschluss der Kirchenversammlung werden ununterscheidbar. Dieser Strukturunterschied hat konfessionelle Dimension. 4 Der Name: die aufgerufene Wendung Gottes Gegen das „Zerstören“ Gottes wird die „Stadt Gottes“ aufgerufen. Beide Wort‐ verbindungen sind parallel und damit material streng gegensätzlich. Die Stadt Gottes und die Wohnungen des Höchsten stehen dem Zerstören, Werk des Herrn, entgegen. Mit der gegenläufigen Genitivattribution vollzieht der Psalm eine gegensätz‐ liche Prädikation Gottes. Die Prädikation „Stadt Gottes“ geschieht parallel zu der des „Zerstörens“ Gottes. Die Prädikationen sind streng symmetrisch. Sie sagen nicht aus, was Gott tut, sondern sagen an, was Gott ist. „Das Erdreich muß vergehen, wenn er sich hören läßt.“ Im „Zerstören“ lässt Gott nicht eine Botschaft, sondern sich selber hören: Im Zorn Gottes ist Gott selbst präsent. Die Nominalphrase „Stadt Gottes“ ist eine Genitivattribution. Der Genitiv zeigt Zugehörigkeit an. Die „Stadt Gottes“ gehört zu Gott, und Gott ist in der „Stadt Gottes“ selbst gegenwärtig. Kommunio, wechselseitige Zugehörigkeit ereignet sich in der Genitivattribution. Nur unter Verkürzung der Spannkraft des Genitivs könnte sein Gebrauch zum Ausdruck äußeren Besitzes herabsinken. Die „Stadt Gottes“ gehört nicht Gott, und Gott ist auch nicht Besitzer seiner Stadt; vielmehr ist Gott in seiner Stadt selbst präsent. Das wäre auch Ergebnis einer Lesung der Stadt Gottes als Genitivus qualitatis. Die Stadt ist göttlicher Qualität. Sie ist anfangslos und unzerstörbar. Sie ist nicht abgeleitete Größe, hat keinen Zweck, sondern hat die Präsenz Gottes. Mit der Prädikation der „Stadt Gottes“ erscheint Gott als Wohnender. In seiner Stadt ist Gott ein Mit-Seiender. Mit der Prädikation Gottes als unter Menschen Wohnenden liest der Psalm Heilige Schrift (Lev 26,11; Num 1,50; Ps 78,60; Jes 7,14; Ez 37,27; Offb 21,3). Auf diese Weise, durch ein Zitat der Schrift wird mit der „Stadt Gottes“ eine Prädikation Gottes in den Psalm eingebracht, die kontradiktorisch zur Prädikation Gottes, „der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet“, zu stehen kommt. Zorn Gottes und „Stadt Gottes“ werden entgegengestellt. Mit solcher Entgegensetzung kommt es nicht zu einer Addition, zu einer Reihung gütiger und zorniger Momente, sondern zu einem Gegensatz in Gott. Gott ist in seinem Zorn nicht weniger präsent, als er in seiner Stadt ist. Mit solcher Ambivalenz geht alle Übersicht verloren; dem königlichen Subjekt entgleitet die Steuerung. Gott im Krieg 481 <?page no="482"?> Im Zwiespalt seines Zorns, des Deus absconditus, und seiner Stadt, des Deus revelatus, wird Gott als der Eine gezeigt. Gott ist zornig gegen seine Güte (Ps 77,8-11; 89,47.50), und Gott ist gütig entgegen seinem Zorn (Ps 85,4). Gott zerstört seine Stadt, die er baut (Ps 78,59f.; Jes 6,6; 7,17; Klgl 2,1-10), und Gott baut seine Stadt, die er zerstört (Ps 69,36; 78,69; 102,17; 147,2; Jes 44,26; 45,13; Jer 13,8; 31,18; Ez 36,36). Der Gegensatz ist aber, insofern er vom Psalm aufgezeigt wird, nicht aussa‐ gelogischer Natur, sondern von poetischer Dynamik. Der Psalm kommt mit seinen Versen nicht in endloser Reihung zur Behauptung eines wechselvollen Schicksals, sondern zu einer Anrufung. Das Modalverb „sollen“ wird zum Adhortativ. Der Optativ, durch das Modalverb „mögen“ formuliert, wird als unadressierter Wunsch vermieden, um die modalisierte Aussage dritter Person streng in der Struktur erster und zweiter Person zu halten. Da es die Stadt Gottes ist, die angeredet wird, kann die Modalisierung kein Jussiv sein, kein schaffendes Wort, sondern bleibt in der Geste der Anrufung. Der Psalm hält die Struktur des Gebets durch. Das der Erhörung gewisse Gebet ruft die Stadt Gottes auf zu sein, wie sie angesprochen wird: Stadt Gottes. Die „Stadt Gottes“ wird aufgerufen, gegen das Versinken des Horizonts im Zorn Gottes als Horizont des Mit-Seins Gottes zu erscheinen. Die „Stadt Gottes“ soll den Horizont so bilden, dass der erlebte Zusammenfall des Horizonts über‐ blendet wird. Die adhortativ verstandene Modalisierung des Satzes, „dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben“, ruft eine Veränderung des Horizonts herbei, betet um eine Wandlung Gottes. Der Psalm sagt nichts aus, sondern weist in das Gebet ein. Er redet nicht von Gott, ohne ihn zugleich auch mit Namen zu nennen. Mit der Prädikation der „Stadt Gottes“ bringt der Psalm den Namen Gottes ein: „D E R HERR Z E B A O TH I S T MIT U N S ; D E R G O TT J AK O B S I S T U N S E R S C H U TZ “. Der indikativische Satz ist nicht Aussage dritter Person, wogegen schon das Präpositionalobjekt in erster Person des Personalpronomens spräche. Gewichtiger ist die Wiederholung des Satzes, die bei einer Aussage funktionslos wäre. Der den Psalm durchschießende Kehrvers ist nicht Aussage, sondern Leseanweisung. Mit dem wiederholten Aufruf der Namen weist der Psalm einerseits mittels der Nennung in die Richtung zu dem Genannten hin und verweist andererseits als Zitat auf die Heilige Schrift zurück. Die poetische Lektüre, die Lesung der Bibel als Heilige Schrift, das Gebet der Schrift ist die Perspektive, die den Horizont der Stadt Gottes inmitten der Horizontlosigkeit des „Zerstörens“ Gottes aufscheinen lässt. Mit dem Kehrvers wird die Perspektive auf den mit Namen anrufbaren Gott strikt beibehalten. In „den großen Nöten, die uns getroffen haben“ und uns 482 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="483"?> im Versinken des Horizonts den Zorn Gottes „fürchten“ lassen, hält der Psalm mit dem Kehrvers an der Anrufung fest, damit Gott „D E R HERR Z E B A O TH MIT U N S “ als Horizont erscheine. In der Horizontlosigkeit Gottes, „der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet“, möge Gott den Horizont als „mit uns“ Seiender aufspannen. Der aufgehende Horizont wird nicht im Gegensatz zur Horizontverschlie‐ ßung behauptet, so dass sich eine unaufhörliche Reihung ergäbe, die zur Permanenz der Horizontlosigkeit führte. Ein allmächtiger Gott ohne Güte wechselte mit einem gütigen Gott ohne Macht ab. Erst unter Negierung der Allmacht käme es zur einer Feststellung der Güte Gottes, damit aber auch zur Auflösung jeglichen Horizonts. Gott würde als Güte behauptet, ohne dass ihr horizontbildende Kraft innewohnte. Statt solcher Feststellung betreibt der Psalm mit seiner poetischen Dynamik vielmehr eine Wandlung des Horizonts. Der neue Horizont wird in die beste‐ hende Verschließung des Horizonts so eingebracht, dass dieser sich öffnet. Die Horizontverschließung wandelt sich zur Horizonteröffnung. Damit ist die Ho‐ rizontlosigkeit als Ort der Wandlung im aufgehenden Horizont festgehalten. Der drohenden Alternierung von Horizontbildung und Horizontzerfall ist gewehrt. Der Krieg verschwindet nicht im aufgehenden Horizont. Der neue Horizont ist keine auf Ausblendung beruhende Illusion. Es ist kein anderer Gott, der im aufgehenden Horizont erscheint, sondern es ist derselbe Gott, der nun aber anders erscheint. Weltuntergang und „Zerstören“ Gottes werden gewandelt zur „Stadt Gottes“, das Fürchten zur Wohnung, das allseitige Wider-uns zum raumgebenden „Mit-uns“. Es wird nichts anderes erlebt, aber es wird anders erlebt. Der andere Horizont lässt anders erleben. Im kriegerischen Untergang der Welt wird der leidende Christus sichtbar. An ihm ist der Krieg als das „Zerstören“ zu sehen, das Gott „auf Erden anrichtet“. Christus ist aber nicht als dritte Person und damit als Element innerhalb eines Horizontes zu sehen, sondern der Psalmstruktur gemäß nur als zweite Person. Als zweite Person aber ist er das Gegenüber der ersten Person und bildet mit seinem Gesicht deren Horizont. Christus lebt für die und mit denen, die den Untergang der Welt erleben. Der leidende Christus wohnt bei denen, die den Zorn Gottes erleiden. Für sie erleidet Christus den Zorn Gottes. Damit öffnet sich der verschlossene Horizont. Mit dem leidenden Christus erscheint „die Stadt Gottes“, die „fein lustig bleiben soll“. Der Untergang der Welt im Krieg als dem Ausbruch des Zornes Gottes wird zum Ort, an dem der Allmächtige als „Gott Jakobs … unsere Zuversicht und Stärke“ ist, „eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“. Der den Zorn Gottes erleidet und damit der Welt Sünde trägt, wird zum Gott im Krieg 483 <?page no="484"?> Ort der Wandlung des „Zerstörens auf Erden“ zur „Stadt Gottes“ ( Jes 54,8-10). Der im Zorn gottverlassene Jesus zeigt das Gesicht Gottes als des Vaters im Himmel. Der von Gott verlassene Jesus wird zum Sohn des allmächtigen Gottes. Der zur Rechten sitzende gottverlassene Christus bildet den neu aufgehenden Horizont, der die Horizontlosigkeit als Ort seiner Eröffnung festhält. Der Krieg verschwindet nicht, sondern wird nun als Ort des Heils Gottes, des „mit-uns“-Wohnenden, erlebt. Von einer Wandlung Gottes zu reden, ist in Sätzen dritter Person ausge‐ schlossen. Die Aussagelogik steht dem entgegen. Was etwas ist, kann nicht sein Gegenteil sein. Ambivalenz, die in dritter Person durch Reihung stillgestellt wäre, wird in erster und zweiter Person zur Sprache gebracht. Gebet ist das Medium der Wandlung Gottes (Ex 32,12; Ps 6,5; 78,38; 85,4f; 90,13; 106,23; Jes 12,1; Jer 18,20; Jona 3,9). Betend betreibt der Psalm eine Horizontwandlung. Dass Gott sich wandle, redet im Psalm die erste Person zu einer zweiten. Die Modalisierung, die die Dynamik des Psalms ausmacht und in der Mitte mit dem Verb „sollen“ explizit wird, ist im Rekurs auf den Anfang zu übertragen: Gott soll „unsere Zuversicht“ sein; wir mögen uns „nicht fürchten“. Nicht Be‐ hauptungen werden gemacht und dann reichlich redundant mitgeteilt, sondern eine Bewegung wird vollzogen. Die Wandlung des Horizonts wird initiiert. Zu Beginn des Psalms wird festgelegt, der Psalm sei „vorzusingen“. Eine Lesung des Psalms verfehlte ihn also von Anfang an. Lied, poetisch rekursiver Text ist der Psalm und nicht etwa Kommunikation, informativ diskursiver Text. Der Psalm ist nicht Argument, sondern Wiederholung von etwas, das ohne Wiederholung nicht wäre. Mit der Rezitation des Psalms werden weder Gott noch die Menschen informiert. Dass der Zorn Gottes abständig und Gott gnädig wäre, wird nicht behauptet; der Psalm ist vielmehr vorzusingen, damit Gott sich abwende vom Zorn und gnädig werde. Inmitten des Schreckens von Krieg und Weltuntergang, inmitten des Gottesschreckens und der Gottverlassenheit des „Zerstörens“ Gottes wird der Psalm der „Stadt Gottes“ gesungen. So wird der Psalm im Namen Jesu Christi vorgesungen. In seiner Wiederholung holt der Psalm diesen Namen Gottes wieder. Die poetische Struktur der Wiederholung wird im nicht übersetzbaren hebräischen Wort „sela“, das im Psalm mit regelmäßigem Abstand dreimal gebraucht wird, explizit. Die griechische Bibel schreibt hier „dia-psalma“, ein Zwischen-Psalm, etwas zwischen dem Psalm. Mit solchem Zwischenspiel wird der Psalm gegliedert. Durch die Unterbrechung entstehen Strophen. Die Strophen wiederholen zunächst sich selbst, indem sie formgleich sind. Des Weiteren wiederholen die Strophen die sonst nicht zum Ausdruck kom‐ menden Leerstellen zwischen ihnen. Mithin besteht das vom vorzusingenden 484 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="485"?> Psalm zu Wiederholende nicht nur aus Text, sondern ebenso auch aus Nicht-Text. Damit ist das Wiederholte, das ohne den Psalm nicht wäre, der Struktur nach ein Name. Der Name ist Figur auf dem Grund des Unnennbaren. Einen Namen trägt der, der keinen Namen trägt. Der Name ist Ruf in das Unruf‐ bare hinein; ist ein zum Ruf heraus gewendetes Schweigen. Der vorzusingende, mit Zwischenräumen versehene Psalm wiederholt die Wendung des Namens. Die namentliche Zuschreibung des Liedes an die Söhne Korahs weist den Leser in eine Geschichte ein. Korah verweist als Urenkel auf Levi, den Sohn Jakobs. Der Gott Jakobs wird im Psalm aufgerufen. Ein Sohn Jakobs, Levi, ist Stammvater der Leviten, die von den übrigen Stämmen Israels ausgesondert sind, wandernd die Bundeslade zu tragen, dienend in der Zeltwohnung vor Gott zu stehen und segnend seinen Namen auf die Israeliten zu legen (Dtn 10,8; Num 6,27). Korah, der den Leser in den mit den Israeliten wandernden und bei ihnen wohnenden Namen Gottes einweist, will die mit dem Namen gegebene Vermitt‐ lung des allmächtigen Gottes auf dessen Unmittelbarkeit hin übergreifen und wird in der Folge mitsamt seiner eigenen Wohnung vom Erdboden verschluckt (Num 16). Den Untergang der Welt erlebt er mit eigenem Leibe. In der erstrebten Unmittelbarkeit fällt der Horizont zusammen. Trotz der Horizontlosigkeit der Unmittelbarkeit bleiben dem Korah die Söhne. Korahs Söhne werden von David zu Sängern an der Wohnung des Herrn bestellt (1 Chr 6,16-18). Zur Hälfte besingen die elf Korahpsalmen im Psalter die Wohnung des Herrn in direkter Beschreibung von Tempel (Pss 42f.; 84), Palast (Ps 45), Thron (Ps 47) und Berg (Ps 48; 87). Die andere Hälfte besingt die Wohnung des Herrn, indem diese Lieder den mit der Ahnenreihe Korahs gegebenen Wandel von Verwerfung und Zuwendung vollziehen (Pss 44; 46; 49; 85; 88). Weist Korah den Leser in den Namen des Gottes Jakobs ein, so bilden Korahs Söhne mit ihren Psalmen die Hohlform des Namens Jesu Christi und bereiten so dem Leser die Wohnung. Mitten im Untergang der bewohnten Welt, mitten im Krieg, zeigt sich der Gott Jakobs beim gottverlassenen Jesus, den er seinen Sohn nennt und damit die im Krieg Gottverlassenen zu Kindern Gottes macht. So ist der Psalm der poetischen Form, seiner strophischen Gliederung und seiner namentlichen Zuschreibung nach das, was er mit seinen Worten mime‐ tisch zeigt: die Wiederholung der gnädigen Wendung Gottes. Den gnädigen Gott zeigt der Psalm demjenigen, der die Zeigegeste mimetisch in eigener Geste aufnimmt und nicht in propositionelle Gehalte zerfallen lässt. Nicht Information, Offenbarung, sondern Wiederholung ist das Medium für den Satz: Gott im Krieg 485 <?page no="486"?> „D E R HERR Z E B A O T H I S T M I T U N S ; D E R G O T T J A K O B S I S T U N S E R S C H U T Z . S E L A .“ Johann Heermanns Lied folgt dieser Vorgabe des Psalms, Bibel durch Wieder‐ holung zur Heiligen Schrift als dem Medium des gnädigen Gottes zu machen. 486 Stephan Weyer-Menkhoff <?page no="487"?> 1 „Kyrie. Geistliche Lieder“ erschien zuerst im September 1938 mit 16 Gedichten. Eine dritte, erweiterte Ausgabe, im Umfang fast verdoppelt, wurde 1941 noch zu Lebzeiten Kleppers veröffentlicht und enthielt 30 Lieder, darunter über die späten Auflagen hinaus das mit „Zum Heldengedenktag“ überschriebene Wie fielen die Helden im Streit! , das Klepper selbst eigentlich nicht für „Kyrie“ vorgesehen hatte. Vgl. Jürgen H E N K Y S , Zur Bibliographie der Kirchenliedtexte Jochen Kleppers, in: Musik und Kirche 63 (1993), 95-101, hier: 95f. (zur 3. Auflage des „Kyrie“) und 101 (zum Heldengedenktags-Lied). Die aktuelle Ausgabe des „Kyrie“ ist: Jochen K L E P P E R , Kyrie. Geistliche Lieder, Bielefeld 25 2020. Sie bezieht sich im Copyright auf die erste Nachkriegsausgabe von 1950, bei der es sich jedoch um einen Nachdruck der kürzeren 1938er Ausgabe handelte; in Wahrheit liegt den späteren Drucken die sechste Auflage von 1955 zugrunde (vgl. H E N K Y S , Bibliographie [wie oben], 95). 2 Jürgen H E N K Y S , Zum Liedschaffen Jochen Kleppers [zuerst 1967], in: D E R S ., Singender und gesungener Glaube. Hymnologische Beiträge in neuer Folge (Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung 35), Göttingen 1999, 234-243, hier: 234. Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? Zu einem unbekannten Weihnachtslied von Jochen Klepper Alexander Zerfaß 1 Das Lied im Kontext In Jochen Kleppers Gedichtsammlung „Kyrie. Geistliche Lieder“ bilden die Texte zum Kirchenjahr die größte Gruppe. Unter den kirchenjahreszeitlichen Liedern wiederum sticht ein deutlicher Schwerpunkt auf Weihnachten ins Auge: Sechs Lieder - von den insgesamt 29 in den späteren Ausgaben des „Kyrie“ (seit 1955) enthaltenen 1 - sind diesem Fest gewidmet, während bei‐ spielsweise dem gesamten Osterfestkreis nur vier Texte zufallen. Die darin greifbare besondere Beziehung zum Geburtsfest Jesu spiegelt sich auch im „Gewicht der weihnachtlichen Tagebucheintragungen“ Kleppers. 2 Zwei der vier Weihnachtslieder, die bereits in der Erstausgabe von „Kyrie“ (1938) enthalten waren, zählen zu den gesangbuchmäßig besonders stark rezipierten Texten: <?page no="488"?> 3 Vgl. dazu u.a. Frieder S C H U L Z , Die Nacht ist vorgedrungen, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 2 (2001), 11-16; D E R S . - Andreas M A R T I , Die Nacht ist vorgedrungen, in: Ökumenischer Liederkommentar (ÖLK) zum Katholischen, Refor‐ mierten und Christkatholischen Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz, Lieferung 3, Fribourg - Basel - Zürich 2004; Alexander Z E R F Aẞ - Dan Z E R F Aẞ , Die Nacht ist vorgedrungen, in: Ansgar F R A N Z - Hermann K U R Z K E - Christiane S C H Ä F E R (Hgg.), Die Lieder des Gotteslob. Geschichte - Liturgie - Kultur, Stuttgart 2017, 220-223. 4 Vgl. dazu u.a. Jürgen H E N K Y S , „Du Kind, zu dieser heilgen Zeit“. Über fünf Zugänge zu einem Lied Jochen Kleppers [zuerst 1993], in: D E R S ., Singender und gesungener Glaube (wie Anm. 2), 288-292; D E R S ., Du Kind, zu dieser heilgen Zeit, in: Hansjakob B E C K E R u.a., Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, München 2001, 445-450; Frieder S C H U L Z , Du Kind, zu dieser heilgen Zeit, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 3, Göttingen 2001, 21-24; Siri F U H R M A N N , Das Kreuz über der Krippe. Jochen Klepper: Du Kind, zu dieser heilgen Zeit (1938), in: Musica Sacra 128 (2008), 40f.; Alexander Z E R F Aẞ , Du Kind, zu dieser heilgen Zeit, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 3), 237-240. 5 Einen Kommentar zu diesem Lied bietet, ohne dass es der Titel des Aufsatzes vermuten ließe: H E N K Y S , Liedschaffen (wie Anm. 2). 6 Eine Internetrecherche förderte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Vertonungen folgender Komponist*innen zutage (in chronologischer Reihenfolge): Fritz Werner (1951), Johannes Petzold (1959), Ina Lohr (1960), Herbert Beuerle (1965), Christian Hählke (1980), Ute Orth - Mark Wiedersprecher (mit Chorsatz von Ute Orth 2012), Manfred Schlenker (Melodie und Chorsatz 2017). Ferner existiert eine Vertonung von Frederikus G. aan het Rot zur niederländischen Übersetzung Wie was U, Heer, voor deze nacht? Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16; GL 220) 3 und das „Weihnachts-Kyrie“ Du Kind, zu dieser heilgen Zeit (EG 50; GL 254) 4 . Die übrigen sind weniger bekannt: Ebenfalls bereits 1938 aufgenommen wurden Sieh nicht an, was du selber bist und das bereits 1936, mithin als erstes Gedicht Kleppers zum Christfest entstandene „Abendmahlslied zu Weihnachten“ Mein Gott, dein hohes Fest des Lichts. Erst nach der Erstveröffentlichung von „Kyrie“ schuf Klepper das „Weihnachtslied im Kriege“ Nun ruht doch alle Welt (1939) 5 und als letztes Weihnachtslied Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht, um das es im Folgenden gehen soll. Eine Gesangbuchrezeption hat dieses Lied, wiewohl mehrfach vertont, 6 nicht gefunden. Während die beiden berühmten Lieder Die Nacht ist vorgedrungen und Du Kind, zu dieser heilgen Zeit im Advent 1937 in einer sorgenschweren Situation entstanden - Klepper bangte um seine berufliche Existenz als Schriftsteller, nachdem er aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin aus der Reichsschrifttums‐ kammer ausgeschlossen worden war -, befindet der Autor sich in einer ver‐ gleichsweise gelösten Stimmung, als er am 23. Oktober 1940 in sein Tagebuch notiert: „Drei Tage habe ich für die Berechnungen und Beschaffung der Un‐ terlagen für den Antrag auf Familienunterstützung gebraucht; und das bei 488 Alexander Zerfaß <?page no="489"?> 7 Jochen K L E P P E R , Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932-1942, Stuttgart 1955, 934. 8 Ebd.: „Immer wieder tauchen frühere Kommilitonen als meine Leser auf. [Absatz] Heute wurde mir von einem ‚Vater‘-Exemplar [gemeint ist der 1937 veröffentlichte Roman „Der Vater“] in einem Untersuchungsgefängnis geschrieben, in dem die Worte stehen: ‚… habe ich in den beiden Gefängnissen in Waldenburg (7. 2. bis 1. 4. 39) gelesen; ich danke von Herzen für allen reichen Trost und für alle Stärkung, die ich daraus empfangen habe … Jeremia 17, 5-7.‘“ 9 So noch nur zwei Monate vor dem hier behandelten Weihnachtslied bei Nun sich das Herz von allem löste, das deutlich von Sorgen um eine möglicherweise bevorstehende Deportation Renates geprägt ist; vgl. Alexander Z E R F Aẞ , Nun sich das Herz von allem löste, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 3), 858-860. 10 Ganz anders stellt sich die Situation ein Jahr später dar. Am 6. Januar 1942 schreibt Klepper im Rückblick auf das vergangene Weihnachtsfest 1941: „Die Festzeit hat uns noch einmal als ein geschlossener Kreis unseres Lebens gehört und für den [sic] man voller Dankbarkeit sein muß in allem, was er auch an schwerer, schwerer Last umschloß. [Absatz] Seit 1937 war es aber wohl das erste Weihnachten oder Jahreswende, zu dem ich kein Lied schrieb. Den Weg zum Liede sehe ich überhaupt nicht mehr: das Lied ist ohne die völlige Einwilligung in Gottes Willen nicht möglich“ (Unter dem Schatten [wie Anm. 7], 1016). Wenige Wochen zuvor hatte er am 14. Dezember 1941, dem dritten Adventssonntag, notiert: „Dieses harte Faktum steht fest: Lieder vermag ich nicht mehr zu schreiben, es sei denn das Klagelied des großen Sabbats. Liebe, Lob, Dank tragen also das Lied nicht: es ist nicht möglich ohne das Vertrauen. Und hier ist dem Widersacher gelungen, mich zu verstören“ (ebd., 1000). unserer Ordnung! [Absatz] Aber ich schrieb das Weihnachtslied: ‚Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? ‘“. 7 Blättert man die Eintragungen der vorausgehenden Tage durch, entsteht der Eindruck einer gewissen Zuversicht im Blick auf die Zukunft - der bevorstehenden Einberufung zum Kriegsdienst, deretwegen der genannte Antrag auf Familienunterstützung erforderlich war, zum Trotz. Diese Zuversicht resultierte einerseits aus Kleppers schriftstellerischem Erfolg, von dem auch der Tagebucheintrag vom 23. Oktober zeugt, 8 andererseits und vor allem aber aus den dadurch ermöglichten scheinbar günstigeren Perspektiven für die geliebte Stieftochter Renate, die aus der Zwangsarbeit bei Siemens ausscheiden konnte und eine Ausbildung zur Modezeichnerin in Aussicht hatte. Ohne den autobiographischen Kontext für die Deutung der Lieder Kleppers überstrapazieren zu wollen, fällt doch bei manchen von ihnen eine gewisse Düsternis oder Schwermut des Textes mit persönlichen Sorgen des Autors zum Zeitpunkt seiner Abfassung zusammen. 9 Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht zeigt sich davon weitgehend unberührt. 10 Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 489 <?page no="490"?> 11 Eckart 16 (1940), 319. Vgl. H E N K Y S , Bibliographie (wie Anm. 1), 101. 12 K L E P P E R , Kyrie (wie Anm. 1), 24f. Eine eingehende wissenschaftliche Würdigung hat das Lied bislang nicht erfahren. Ausfindig machen ließen sich nur der knappe Artikel Jürgen H E N K Y S , Jochen Kleppers letztes Weihnachtslied, in: Berliner Sonntagsblatt Die Kirche Nr. 52/ 53 (24./ 31.12.1967), 5, sowie Oswald B A Y E R , Gefährte Deiner Nacht. Meditation eines Weihnachtsliedes von Jochen Klepper, in: D E R S ., Vernunft und Vertrauen. Zur Grundorientierung lutherischer Theologie (Theologische Bibliothek Töpelmann 200), Berlin - Boston 2023, 273-277 (Predigt am Sonntag nach Epiphanias [25.01.2004] im Universitätsgottesdienst in der Tübinger Stiftskirche). Der Text wurde wenige Wochen nach seiner Entstehung in der De‐ zember-Ausgabe der Zeitschrift „Eckart“ erstmals gedruckt 11 und 1941 in die erweiterte Ausgabe des „Kyrie“ aufgenommen. Er lautet: 12 1. Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? Der Engel Lob ward dir gebracht. Bei Gott warst du vor aller Zeit. Du warst der Glanz der Herrlichkeit. Beschlossen war in dir, was lebt. Geschaffen ward durch dich, was webt. Himmel und Erde ward durch dich gemacht. Gott selbst warst du vor dieser Nacht. 2. Wer war ich, Herr, vor dieser Nacht? Des sei in Scham und Schmerz gedacht! Denn ich war Fleisch und ganz verderbt, verloren und des Heils enterbt. Erloschen war mir alles Licht. Verfallen war ich dem Gericht. Ich, dem Gott Heil und Gnade zugedacht, war Finsternis und Tod und Nacht! 3. Wer wardst du, Herr, in dieser Nacht? Du, dem der Engel Mund gelacht, dem nichts an Ruhm und Preis gefehlt, hast meine Strafe dir erwählt. Du wardst ein Kind im armen Stall und sühntest für der Menschheit Fall. Du, Herr, in deiner Himmel höchster Pracht wardst ein Gefährte meiner Nacht! 4. Wer ward ich, Herr, in dieser Nacht? Herz, halte still und poche sacht! 490 Alexander Zerfaß <?page no="491"?> 13 Vgl. Andreas M A R T I , Kirchenlied und Gesangbuch. Einführung in die Hymnologie. Unter Mitarbeit von Elie J O L L I E T , Göttingen 2021, 163. In Gottes Sohn ward ich Sein Kind. Gott ward als Vater mir gesinnt. Noch weiß ich nicht: Was werd’ ich sein? Ich spüre nur den hellen Schein! Den hast du mir in dieser heil’gen Nacht an deiner Krippe, Herr, entfacht! 2 Bauprinzipien Der Text präsentiert sich in der für Jochen Kleppers Lieder typischen „neoba‐ rocken“ Sprachgestalt, 13 die sich an den klassischen Epochen der Kirchenlied‐ dichtung des 16./ 17. Jahrhunderts orientiert. Trotz des Gebrauchs traditioneller Begrifflichkeiten aus Bibel und Theologie und altertümlicher Wendungen (z.B. 1,6: „Geschaffen ward durch dich, was webt“) eignet dem Text - auch dies typisch für Klepper - eine individuelle Originalität. Diese gründet auf der gedanklichen Ebene und verleiht seinen Dichtungen die charakteristische Frische, die sich nicht durch Innovationen formaler Natur zu beweisen sucht. Das Lied gliedert sich in vier achtzeilige Strophen im jambischen Rhythmus. Die Achtsilbigkeit der paargereimten Verse ließe die Strophenform beinahe als verdoppelte ambrosianische Hymnenstrophe erscheinen, umfasste nicht die jeweils siebte Zeile jeder Strophe zwei zusätzliche Silben. Auf diese Weise tritt auch formal eine kleine, aber doch nachhaltige Irritation der herkömmlichen Anmutung ein. Rhetorische Geschlossenheit erhält der Text schon auf den ersten Blick durch den parallelen Auftakt jeder Strophe mit einer Wer-Frage, die sich um den grundstürzenden Wandel dreht, welcher sich mit „dieser Nacht“ (1,1; 2,1; 3,1; 4,1), nämlich der Weihnacht, verbindet. Diese bildet nämlich die Wasserscheide zwischen einem Zustand „vor dieser Nacht“ (1,1; 2,1) und einem neuen Zustand, in den diese Nacht transformiert (3,1; 4,1). Dieser Wandel betrifft einerseits den in jeder Strophe angesprochenen Herrn, Christus: „Wer warst Du, Herr, vor dieser Nacht? “ (1,1) - „Wer wardst du, Herr, in dieser Nacht? “ (3,1), und andererseits das sich im Lied artikulierende Ich: „Wer war ich, Herr, vor dieser Nacht? “ (2,1) - „Wer ward ich, Herr, in dieser Nacht? “ (4,1). Dabei wechseln die auf den Herrn und die auf das Ich bezogenen Strophen ab: „Wer warst du“ (1,1) - „Wer war ich“ (2,1) - „Wer wardst du“ (3,1) - „Wer ward ich“ (4,1). So wird die alterierende Struktur des Textes schon zu einem ersten Hinweis auf das Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 491 <?page no="492"?> inhaltliche Thema des Liedes: In dieser Nacht verschränken sich himmlische und irdische Sphäre; was vorher strikt voneinander getrennt war, wird in eine Beziehung gesetzt, die beide Seiten zutiefst verändert. - In der Schlussstrophe wird, abweichend von den vorangehenden Strophen, zu Beginn der zweiten Strophenhälfte eine zweite Frage formuliert: „Noch weiß ich nicht: Was werd’ ich sein? “ (4,5). Damit wird die geschlossene Zeitstruktur des Textes, die die Vergangenheit vor dieser Nacht (Strophen 1 und 2) mit der Gegenwart seit dieser Nacht (Strophen 3 und 4) kontrastiert, in Richtung einer offenen Zukunft aufgebrochen. Ähnlich wie in anderen Weihnachtsliedern Kleppers, vor allem bei Die Nacht ist vorgedrungen, stellt die „Nacht“ einen Schlüsselbegriff dar, der nicht nur als letztes Wort jeweils der ersten Zeile jeder Strophe auftaucht, sondern ein zweites Mal als letztes Wort der Strophe überhaupt (Strophen 1-3) bzw. ihrer vorletzten Zeile (Strophe 4). Dabei greift die „Nacht“ bei weitem nicht nur die Zeitangabe des Geburtsgeschehens nach dem Lukasevangelium (Lk 2,8) auf und erschöpft sich auch nicht darin, das liturgische Heute der nächtlichen Weihnachtsliturgie einzuspielen - auch wenn dieses in der Wendung „diese Nacht“ sicher anklingt. Vielmehr dient die Nacht Klepper als existentielles Bild für die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. In ihm verdichtet sich die Beschreibung der conditio humana, wie sie Strophe 2 für die Zeit vor der Weih‐ nacht vornimmt und die durch Negativbegriffe wie „Scham und Schmerz“ (2,2), „ganz verderbt“ (2,3), „verloren“ und „enterbt“ (2,4), „Gericht“ (2,6), „Finsternis und Tod“ (2,8) bestimmt ist. An dieser Strophe wird besonders deutlich, dass das „ich“ des Liedes zwischen allgemein-menschlichen und individuellen Aus‐ sagen changiert, genauso wie die „Nacht“ zwischen einer heilsgeschichtlichen, einer liturgischen und einer existentiellen Ebene. Man kann nämlich diese Strophe erstens kollektiv auf das Geschick der Menschheit vor dem erlösenden Eingreifen Gottes beziehen, zweitens, immer noch kollektiv, auf das Geschick des Menschen ohne das liturgisch vergegenwärtigte Heilshandeln Gottes und sich drittens diese allgemeine Feststellung individuell zu eigen machen. Ohne diese Nacht im Sinne des ersten Verses der Strophe, also ohne die in dieser konkreten Nacht gefeierte historische Nacht der Geburt Jesu ist die menschliche Existenz im Allgemeinen und das konkrete Leben der Singenden „Nacht“ im Sinne des letzten Verses der Strophe - als Chiffre der Verstrickung in das, was dem Heil, was gelingendem Leben entgegensteht. Dieselbe existentielle Lesart von „Nacht“ wird am Ende der dritten Strophe aufgegriffen: In jener Nacht vor zweitausend Jahren wurde Christus „Gefährte meiner Nacht“ (3,8). Dies kann wiederum einerseits als allgemein-menschliche Aussage gelesen werden: Der Sohn Gottes unterwirft sich der Todesverfallenheit 492 Alexander Zerfaß <?page no="493"?> 14 Vgl. Die Nacht ist vorgedrungen 2,3f.: „Gott selber ist erschienen / zur Sühne für sein Recht“. menschlichen Lebens als der „Strafe“ (3,4) für „der Menschheit Fall“ (3,6; vgl. Gen 3,19). Indem er sich dem „armen Stall“ (3,5), zu verstehen als Bild für die Misere menschlichen Lebens, aussetzt, leistet er Sühne (3,6) 14 . Zugleich lässt sich „Gefährte meiner Nacht“ auch ganz individuell verstehen, wobei dann „meine Nacht“ zur Metapher der je eigenen Dunkelheiten wird, in denen die heilbringende Begleitung Jesu Christi als des nah vertrauten „Gefährten“ erhofft wird. Damit zeichnet sich ein weiteres Strukturprinzip des Liedes ab: Neben dem Zeitrelief, das das Lied durch den besungenen Wandel in zwei jeweils zwei Strophen umfassende Hälften gliedert (A - A - B - B) und der strophenweise zwischen „Herr“ und „ich“ wechselnden Perspektive (A - B - A - B) sind die beiden Mittelstrophen durch die düstere Beschreibung der conditio humana zusammengebunden, in der sich der Mensch vor bzw. ohne göttliche Errettung vorfindet (Str. 2) und in die Christus eintritt (Str. 3). Positive Begriffe scheinen in diesen Strophen nur als Kontrastfolie auf und beschreiben einen Zustand, der verloren ist: ich, „des Heils enterbt“ (2,4), „Erloschen war mir alles Licht“ (2,5), „Ich, dem Gott Heil und Gnade zugedacht“ (2,7); der Herr, „dem nichts an Ruhm und Preis gefehlt“ (3,3), dem im „Himmel“ höchste „Pracht“ geeignet hatte (3,7). Dieselben positiv besetzten Motivfelder, nämlich Licht, Vater-Sohn-Beziehung und Lob/ Ruhm/ Herrlichkeit, prägen die rahmenden Strophen 1 und 4, wo sie aber nicht ex negativo aufgerufen werden, sondern in sich stehen: „Der Engel Lob“ (1,2), „Glanz der Herrlichkeit“ (1,4), „In Gottes Sohn ward ich sein Kind. / Gott ward als Vater mir gesinnt“ (4,3f.), „den hellen Schein“ (4,6). In dieser Hinsicht treten die Strophen also in ein chiastisches Verhältnis (A - B - B - A). 3 Biblische Bezüge Wie in seinem „Kyrie“ üblich stellt Klepper auch diesem Weihnachtslied ein Schriftzitat voran, in diesem Fall genau genommen die Kombination zweier neutestamentlicher Stellen: „Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherleiweise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen er gesetzt hat zum Erben über alles, durch welchen er auch die Welt gemacht hat; welcher sintemal er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und hat gemacht die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zu der Rechten der Majestät in der Höhe. [Hebr 1,1-3; A.Z.] Wir sind Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 493 <?page no="494"?> 15 K L E P P E R , Kyrie (wie Anm. 1), 24. Klepper zitiert die seinerzeit aktuelle Ausgabe der Luther-Übersetzung von 1912. 16 Hier und in der Folge alle Bibelzitate nach Luther 1912. nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden. [1 Joh 3,2; A.Z.]“ 15 Mit den ersten Sätzen des Hebräerbriefes klingt die klassische Epistellesung der dritten Weihnachtsmesse („am Tage“) an (Hebr 1,1-12). Dieser Text bildet zusammen mit dem Johannesprolog, dem Evangelium jener Messe, und dem Kolosserhymnus die biblische Matrix der Eingangsstrophe. Es ist also das - im deutschsprachigen Luthertum beibehaltene - traditionelle liturgische Leseprogramm, das den Beginn des Liedes konfiguriert. 16 1,1 Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? - - 1,2 Der Engel Lob ward dir gebracht. - Hebr 1,6: „Und abermals, da er einführt den Erstgeborenen in die Welt, spricht er: ‚Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.‘“ 1,3 Bei Gott warst du vor aller Zeit. - Joh 1,1f.: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.“ 1,4 Du warst der Glanz der Herrlichkeit. - Hebr 1,3: „sintemal er ist der Glanz seiner Herrlichkeit“ Joh 1,14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ 1,5 Beschlossen war in dir, was lebt. 1,6 Geschaffen ward durch dich, was webt. - Hebr 1,2: „hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet, durch den Sohn, […] durch welchen er auch die Welt ge‐ macht hat“ Joh 1,3: „Alle Dinge sind durch dasselbe [Wort; A.Z.] gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Kol 1,16: „Denn durch ihn ist alles ge‐ schaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder 494 Alexander Zerfaß <?page no="495"?> 17 Im Hintergrund steht die seit der Exilszeit assoziierte Vorstellung der kabod JHWH als Lichterscheinung. Die kabod (eigentlich = „Gewichtigkeit“) Gottes (im Griechischen als δόξα, im Lateinischen als gloria = Herrlichkeit übersetzt) als die ihm allein zukommende Sphäre wurde auf diese Weise sinnlich codiert, worauf wiederum die christologische Lichtsymbolik des Neuen Testaments, insbesondere der johanneischen Schriften, be‐ ruht. 18 Vgl. Die Nacht ist vorgedrungen 4,1f.: „Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschen‐ leid und -schuld“. Fürstentümer oder Obrigkeiten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.“ 1,7 Himmel und Erde ward durch dich gemacht. - Gen 1,1: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ 1,8 Gott selbst warst du vor dieser Nacht.- Joh 1,1: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ vgl. Phil 2,6: „welcher, ob er wohl in göttli‐ cher Gestalt war, hielt er’s nicht für einen Raub,-Gott gleich sein“ Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft des Logos, dem als Widerschein der Herrlichkeit des Vaters 17 der Lobpreis der Engel gilt, markieren den Ausgangs‐ punkt der dramatischen Transformation, die an Weihnachten gefeiert und im Lied besungen wird: „Gott selbst warst du vor dieser Nacht“ (1,8). In scharfem Kontrast dazu zeichnen die Mittelstrophen 2 und 3 die Labilität der menschlichen Natur. Dass ihrer „in Scham und Schmerz“ zu gedenken ist (2,2), hängt mit der Schuldhaftigkeit der Begrenzung menschlichen Lebens durch Leid und Tod zusammen: Diese ist Resultat des Sündenfalls (vgl. 3,6), eine „Strafe“ (3,4), die auch das Ich des Liedes ergreift („meine Strafe“) und es seinen Status als „verderbt, verloren und des Heils enterbt“ (2,3f.) beschreiben lässt. Im Rückgriff auf die Theologie des Paulus fasst es ihn in die Wendung „ich war Fleisch“ (2,3), denn „fleischlich gesinnt sein ist der Tod“ (Röm 8,6) und „eine Feindschaft wider Gott“ (Röm 8,7). Das „Fleisch“ ist in diesem Sinn mit „Lüsten und Begierden“ (Gal 5,24; vgl. Eph 2,3) assoziiert, mit der Abwendung von Gott und seinem lebenspendenden Gebot. Zu beachten ist die Zeitstruktur des Liedes: Die entsprechenden Aussagen stehen im Präteritum und beziehen sich auf die Zeit „vor dieser Nacht“ (2,1). Trotzdem dürfen sie nicht auf eine oberflächliche heilsgeschichtliche Sukzession reduziert werden, als seien „Finsternis und Tod und Nacht“ (2,8) post Christum natum keine menschlichen Realitäten mehr. 18 Zwar spielt der Text mit „Ich […] war Finsternis“ auf Eph 5,8 an: „Denn ihr waret weiland Finsternis; nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn“. Doch zeigt Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 495 <?page no="496"?> 19 Vgl. ähnlich bei Paulus: „Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum“ (Gal 3,26). gerade der Kontext dieser Epheser-Stelle an, dass „Finsternis“ eine bleibende Bedrohung menschlicher Existenz darstellt, denn die Mahnung bleibt aufrecht: „habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis“ (Eph 5,11). Folgerichtig vermeidet es Klepper in der Schlussstrophe des Liedes, die Verstricktheit in Finsternis von menschlicher Seite her aufzulösen. Was sich „in dieser Nacht“ verändert hat, ist allein Initiative Gottes, sein Geschenk, das er in seinem Sohn eröffnet: „In Gottes Sohn ward ich Sein Kind. / Gott ward als Vater mir gesinnt“ (4,3f.). Menschliches Zutun besteht im andächtigen - „Herz, halte still und poche sacht! “ (4,2) - Annehmen dieser Gabe Gottes, in Christus als Kind Gottes adoptiert zu sein. Diese Haltung drückt sich dem Johannesprolog zufolge im Glauben aus: 19 „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben; welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“ ( Joh 1,12f.). In diesem Sinne ist das Kind-Gottes-Sein, von dem die Schlussstrophe spricht, der direkte Gegenbegriff zum vom „Fleisch“ bestimmten Zustand des Enterbt-Seins (2,4), wie ihn Strophe 2 beschrieben hatte und der im Kern in der Ablehnung des dem Menschen von Gott her bestimmten Nahverhältnisses besteht. Gleichsam eine Zusammenfassung der vierten Strophe liefert der Vers aus dem Ersten Johannesbrief, den Klepper im unmittelbaren Anschluss an die Eröffnungsverse des Hebräerbriefs dem Lied im „Kyrie“ auszugsweise vorange‐ stellt hat: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1 Joh 3,2). Die erste Aussage, „Wir sind nun Gottes Kinder“, wird - wie gerade gesehen - in der ersten Strophenhälfte entfaltet. Die zweite Hälfte der Schlussstrophe greift die Fortsetzung des Bibelverses auf: „es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“. Bei Klepper wird dies in Angleichung an die Auftaktverse aller vier Strophen zu einer Frage umgeformt: „Noch weiß ich nicht: Was werd’ ich sein? “ (4,5). Damit klingt die Vorläufigkeit an, in der menschliche Erfahrung die Erlösung einstweilen zu erfassen vermag. Allem Vertrauen in die göttliche Heilszusage zum Trotz bleibt das Wissen um das Heil in dieser Welt ein gebrochenes. Im Glauben kann man wissen, dass uns „ihm gleich sein“ verheißen ist. Was das aber wirklich bedeutet, ist an gegenwärtiger Welterfahrung allenfalls bruchstückhaft abzulesen. Diese Spannung wird erst 496 Alexander Zerfaß <?page no="497"?> 20 H E N K Y S , Jochen Kleppers letztes Weihnachtslied (wie Anm. 12), 5. 21 Vgl. dazu grundlegend Martin H E R Z , Sacrum commercium. Eine begriffsgeschichtliche Studie zur Theologie der römischen Liturgiesprache (Münchener Theologische Studien. Systematische Abteilung 15), München 1958, sowie ergänzend Ferdinand R. G A H B A U E R , „O admirabile commercium“. Relecture zweier Antiphoneninterpretationen, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 27 (1985), 70-90, und Gunda B R Ü S K E , Von der allherrschenden Sonne zum alles beherrschenden Kommerz? Über die Wandlung des Weihnachtsfestes, in: Martin K L Ö C K E N E R - Albert U R B A N (Hgg.), Liturgie in Wendezeiten. Zwischen konstantinischem Erbe und offener Zukunft, Trier 2009, 110-129, hier: 122-126. 129. 22 Vgl. Alexander Z E R F Aẞ , Mysterium mirabile. Poesie, Theologie und Liturgie in den Hymnen des Ambrosius von Mailand zu den Christusfesten des Kirchenjahres (Pietas Liturgica. Studia 19), Tübingen - Basel 2008, 117-125. mit der Parusie aufgelöst, wenn wir „ihn sehen, wie er ist“ (1 Joh 3,2). Bis dahin bleibt der „helle Schein“ (4,6), den Christus in der Weihnacht entzündet hat und der jetzt schon gespürt werden kann. Auch hier besteht, wie schon in der ersten Strophenhälfte, eine motivische Antithese zu Strophe 2. Hatte es dort geheißen: „Erloschen war mir alles Licht“ (2,5), kann im Blick auf Weihnachten mit dem Johannesprolog bekannt werden, dass mit Christus „das wahre Licht“ ( Joh 1,9) in die Welt gekommen ist. 4 Ein heiliger Tausch Die in der zweiten Liedhälfte thematisierte Transformation greift ein traditio‐ nelles Motiv der theologischen Reflexion wie der liturgischen Feier des Geburts‐ festes Jesu Christi auf: „Der ewige Sohn tritt an die Stelle des Menschenkindes (3), der hinfällige Mensch in die Würde des Gotteskindes (4)“. 20 Dieser „heilige Tausch“ (sacrum commercium), 21 in dem der Sohn Gottes Leid und Tod als Geschick des Menschen auf sich nimmt, um diesem umgekehrt Anteil an seiner göttlichen Lebensfülle zu geben, ist von Anfang an auch ein Gegenstand der weihnachtlichen Lieddichtung. Schon im ältesten Weihnachtslied überhaupt, dem Hymnus Intende, qui regis Israel des Ambrosius von Mailand († 397), klingt der Gedanke an. Seine siebte Strophe lautet: 22 Aequalis aeterno Patri, (Du) dem ewigen Vater Gleicher, carnis tropaeo cingere, gürte dich mit der Waffenbeute des Fleisches, infirma nostri corporis indem du das Schwache unseres Leibes virtute firmans perpeti. mit unvergänglicher Kraft stärkst. Die Inkarnation wird hier in militärische Metaphorik gefasst. Christus soll sich zum Kampf gegen die Mächte des Todes rüsten, indem er eine leibliche Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 497 <?page no="498"?> 23 Zum Verhältnis zwischen Hymnus und Luther-Lied vgl. ebd., 140-147 (mit Hinweis auf weitere Literatur). 24 Vgl. Andreas M A R T I , Gelobet seist du, Jesu Christ, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 10 (2004), 11-22, hier: 13f. 25 Vgl. Anne H A R Z E R , Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 3), 711-715, hier: 714 (als Zitat aus Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“). 26 Vgl. auch Anne H A R Z E R , Gelobet seist du, Jesu Christ, in: Die Lieder des Gotteslob (wie Anm. 3), 353-357, bes. 355. 27 Zitiert wird die ökumenische Fassung der heutigen Gesangbücher. Existenz annimmt. Diese wird subtil als „tropaeum“ bezeichnet, was bereits auf den Ausgang dieses Kampfes verweist: Unter einem solchen Siegesdenkmal verstand man in der Antike ein kreuzförmiges Gerüst, das nach erfolgreich bestandener Schlacht errichtet wurde und an dem erbeutete Waffen und Rüs‐ tungsteile des Gegners aufgehängt wurden. Die körperliche Existenz Jesu von Nazaret ist demnach eine Waffe, die dem Widersacher des Lebens aus der Hand genommen wird. Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass es die leibliche und sinnliche Verfasstheit der Ureltern war, die der Versuchung erlag. Was Einfallstor der Sünde war, wird nun zum Medium der Erlösung: Die zum Tode verwundete Leiblichkeit des Menschen („das Schwache unseres Leibes“) wird dadurch, dass der dem Vater wesensgleiche Sohn Gottes sie auf sich nimmt, „mit unvergänglicher Kraft“ gestärkt. - Auch Kleppers Weihnachtslied thematisiert die Verbindung von „Fleisch“ (2,3), Sünde („ganz verderbt“, ebd.) und „Tod“ (2,8). Durch die Menschwerdung heilt Christus die tödlichen Folgen der Ursünde: „Du wardst ein Kind im armen Stall / und sühntest für der Menschheit Fall“ (3,5f.). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Hymnus des Ambrosius Jochen Klepper in Gestalt der Übersetzung Martin Luthers (Nun komm, der Heiden Heiland) 23 vor Augen stand, als er sein Lied verfasste. Darauf könnte vor allem die zweite Hälfte der Schlussstrophe mit ihrer Rede vom in dieser Nacht entfachten „hellen Schein“ (4,6) „an deiner Krippe“ (4,8) hindeuten. Denn die ursprünglich achte und letzte Strophe des Hymnus lautet bei Luther (dort Strophe 7): „Dein Krippen glänzt hell und klar, / die Nacht gibt ein neu Licht dar. / Dunkel muß nicht kommen drein, / der Glaub bleib immer im Schein“. Stark vom Motiv des heiligen Tauschs bestimmt zeigt sich auch ein frühes Weihnachtslied Luthers, das dieser wohl im Advent 1523 als Erweiterung einer auf der Weihnachtssequenz Grates nunc omnes beruhenden spätmittelalterli‐ chen Leise gedichtet hat: Gelobet seist du, Jesu Christ (EG 23/ GL 252). Der gesamte symmetrische Aufbau des Liedes deutet auf den „fröhlichen Wechsel“ hin, 24 wie Luther die Wendung „sacrum commercium“ überträgt 25 . Die dafür verwendete kontrastive Rhetorik 26 verdichtet sich besonders in Strophe 6: 27 498 Alexander Zerfaß <?page no="499"?> 28 Zur Interpretation der vollständigen Fassung vgl. Joachim S T A L M A N N , Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 13 (2007), 16-22. 29 Zitiert wird die Fassung des Evangelischen Gesangbuchs. Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis. „Der Sohn des Vaters, Gott von Art“ (5,1), macht sich „arm“ (6,1), um die Menschen „reich“ (6,3) zu hinterlassen. Er kommt in ihre Sphäre, „auf Erden“ (6,1), um ihnen die seine, den „Himmel“ (6,3), zu erschließen. Stellte sich die menschliche Existenz im „Jammertal“ (5,3) zuvor erbarmungswürdig dar (6,2), erscheint sie nun „seinen lieben Engeln gleich“ (6,4). Eine Generation später schuf der in Böhmen tätige Kantor und Lehrer Niko‐ laus Herman (um 1480-1561) das zunächst für katechetische Zwecke bestimmte, bis heute äußerst populäre Weihnachtslied Lobt Gott, ihr Christen alle gleich. Von seinen ursprünglich acht Strophen 28 bietet das Evangelische Gesangbuch sechs (EG 27), das Gotteslob vier (GL 247). Das Lied ist stark durch die Dynamik des Philipperhymnus (Phil 2,6-11) geprägt: „entäußert sich all seiner Gwalt, / wird niedrig und gering / und nimmt an eines Knechts Gestalt / der Schöpfer aller Ding“ (Str. 3). In zwei Strophen, die wohl im Evangelischen Gesangbuch (als Strophen 4 und 5, ursprünglich Strophen 6 und 7), nicht jedoch im Gotteslob enthalten sind, wird das Motiv des heiligen Tauschs entfaltet: 29 4. Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran, die klare Gottheit dran. 5. Er wird ein Knecht und ich ein Herr; das mag ein Wechsel sein! Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein, das herze Jesulein! Gleich zweimal wird hier das von Luthers Übersetzung her geprägte Stichwort „Wechsel“ eingespielt (4,1; 5,2), wobei die Formulierung „Er wechselt mit uns wunderlich“ speziell an die lateinische Wendung „admirabile commercium“ ge‐ Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht? 499 <?page no="500"?> mahnt, wie sie etwa in der Antiphon „O admirabile commercium“ am Oktavtag von Weihnachten gebraucht wird. Der Gottessohn nimmt „Fleisch und Blut“ an (4,2), um dem Menschen umgekehrt an seiner „klare[n] Gottheit“ Anteil zu geben. In Umkehrung der Verhältnisse heißt das: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr“ (5,1). Schon diese beiden Beispiele aus dem 16. Jahrhundert zeigen, wie sehr der von Klepper verarbeitete Gedanke des heiligen Tauschs auch in der deutsch‐ sprachigen Kirchenlieddichtung verankert ist. Kleppers Zugriff auf das Motiv ist einerseits höchst traditionell, setzt andererseits aber doch originelle Akzente: Die Frageform zu Beginn jeder Strophe, in der er sich dem „fröhlichen Wechsel“ nähert, dämpft den Gestus dogmatischer Gewissheit durch eine Haltung des Staunens angesichts der ungeheuerlichen Dimension der sich mit dem Weih‐ nachtsfest vollziehenden Transformation. Zugleich hält die mit dem Ersten Johannesbrief in die Schlussstrophe eingetragene Frage „Was werd’ ich sein? “ (4,5) die Perspektive des Liedes offen. In Verbindung mit der literarischen Technik des zwischen allgemein-menschlichen Aussagen und individueller Aneignung changierenden Ich wird den Rezipientinnen und Rezipienten so ermöglicht, sich behutsam in das christliche Erlösungsvertrauen einzusingen. 500 Alexander Zerfaß <?page no="501"?> Autorenverzeichnis Andrea Ackermann war wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Litur‐ giewissenschaft und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Annette Albert-Zerlik, Dr. theol. habil., war wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Liturgiewissenschaft und Homiletik an der Katholisch-Theologi‐ schen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Jürgen Bärsch, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Andreas Bieringer, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissenschaft, Hymnologie und christliche Kunst an der Philosophisch-Theologischen Hoch‐ schule Sankt Georgen in Frankfurt. Harald Buchinger, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissenschaft an der Universität Regensburg. Kristian Fechtner, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Praktische Theologie (Schwerpunkt Homiletik und Liturgik) an der Evangelisch-Theologischen Fa‐ kultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Elisabeth Fillmann, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der For‐ schungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ der Johannes Gutenberg-Univer‐ sität Mainz. Ingrid Fischer, Dr. phil. Dr. theol., ist Programmleiterin der Akademie am Dom in Wien und Studienleiterin für Liturgiewissenschaft, Kirchengeschichte, Humanwissenschaften und Ethik der Theologischen Kurse Österreich. Beat Föllmi, Dr. phil., ist Universitätsprofessor für Kirchenmusik und Hymno‐ logie an der Faculté de Théologie Protestante der Université de Strasbourg. Siri Fuhrmann, Dr. theol., war wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Liturgiewissenschaft und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ist Referentin der Caritas auf Norderney. <?page no="502"?> Thomas Hieke, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Birgit Jeggle-Merz, Dr. theol., ist Universitätsprofessorin für Liturgiewissen‐ schaft an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern und der Theologi‐ schen Hochschule Chur. Martin Klöckener, Dr. theol., ist emeritierter Universitätsprofessor für Liturgie‐ wissenschaft an der Theologischen Fakultät der Université de Fribourg. Cornelis (Kees) Kok, Drs., ist Theologe und als langjähriger enger Vertrauter von Huub Oosterhuis Übersetzer seiner Werke ins Deutsche; seit 2021 ist er Vorsitzender der niederländischen »Huub Oosterhuis Stiftung«. Benedikt Kranemann, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissen‐ schaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Matthias Kreuels, KMD Prof. em., ist Referent für Musikalische Bildung am interdiözesanen Priesterseminar St. Lambert in Grafschaft (Rheinland). Clemens Leonhard, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Univer‐ sität Münster. Martin Lüstraeten, Dr. theol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Liturgiewissenschaft und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Richard Mailänder, ist Erzdiözesankirchenmusikdirektor des Erzbistums Köln und Professor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Andreas Marti, Dr. theol., war Dozent für Kirchenmusikgeschichte an verschie‐ denen Instituten, zuletzt am Conservatoire/ Haute École de Musique Lausanne. Klaus Pietschmann, Dr. phil., ist Universitätsprofessor für Musikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Franz Karl Praßl, Dr. theol., ist emeritierter Universitätsprofessor für Grego‐ rianik und kirchenmusikalische Werkkunde an der Kunstuniversität Graz. Christiane Schäfer, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der For‐ schungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ der Johannes Gutenberg-Univer‐ sität Mainz. Sytze de Vries ist Kirchenlieddichter und war Dozent für Liturgik am Cursus Theologische Vorming Gemeenteleden in Assen, Alkmaar und Amsterdam. 502 Autorenverzeichnis <?page no="503"?> Stephan Weyer-Menkhoff, Dr. theol., ist emeritierter Universitätsprofessor für Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Alexander Zerfaß, Dr. theol., ist Universitätsprofessor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Autorenverzeichnis 503 <?page no="505"?> Register <?page no="506"?> Bibelstellen Altes Testament Gen- 1,4- 469 1,6-8- 475 3,15- 146 3,19- 493 22- 181 49,9f.- 140 Ex- 4,24f.- 470 12- 131, 142, 144 12,1-3- 145 12,7- 143, 145 12,9- 145 12,13- 143, 145, 179 12,21ff- 343 12,23- 143, 145 12,27- 145 13f.- 142 13,5.9- 132 15- 294 15,1-18- 230 15,1-21- 251 15,18- 234 19,5-6- 242, 245 20,5- 470 31,18- 303 32,12- 484 32,16- 303 33,9- 236 33,18- 278 34,6-7- 233, 239 34,7- 235 Lev- 8- 232 9- 232 19,2- 231, 235 26,11- 481 Num- 1,50- 481 6,27- 485 12,5- 236 16- 485 23,21- 230 Dtn- 4,24- 470 10,8- 485 10,18- 236 26- 131 28,58- 234 31,30-32- 251 31,44- 251 32- 294 33,5- 230 Ri- 5,1-31- 251 14- 146 16- 146 1 Sam- 2,1-11- 252 4,4- 234 2 Sam- 6,2- 234 8,15- 235 22,1-51- 252 22,3- 168 22,19- 140 1 Kön- 8,16- 333 <?page no="507"?> 8,27- 333 10,9- 235 2 Kön- 2,24- 165 19,15- 234 1 Chr- 6,16-18- 485 13,6- 234 16,31- 234 18,14- 235 21,26- 233 2 Chr- 9,8- 235 Ijob- 5,1- 233 9,16- 233 12,4- 233 13,22- 233 14,15- 233 Ps- 1- 210 2- 178, 197 2,6- 236 3,5- 233 5- 237 6,5- 484 7- 209 9- 197 10- 197 10,16- 234 11- 197 11,7- 236 12- 208 13- 197f., 209 14- 197, 200, 209 15- 197, 200, 209 16- 197 17,6- 233 17(18),19- 140 17(18),5f.- 181 18,12- 470 20,10- 233 22(23),2- 185 23- 197, 315 23(24),7- 184 23(24),7-10- 135ff., 141 23(24),9- 184 24,8- 234 26- 197 26(27),12- 180 27- 197 27,7- 233 29- 230 29(30)- 141 29(30),3b- 135 29(30),12- 137 29(30),12a.12b-13- 135 29(30),13- 135 30- 135, 197 31,5- 159, 167 32(33),3- 138 33,5- 236 36- 199 37,28- 236 39(40),4- 138 41- 197, 202 42- 485 43- 485 44- 485 45- 485 46- 197, 208, 467, 485 46(47),6- 133 47- 485 47,3- 234 48- 485 49- 485 49(50),14- 134, 141 50(51)- 175 Bibelstellen Altes Testament 507 <?page no="508"?> 50,3- 470 51- 197f., 209, 457 53- 197 56- 197 57(58),5- 180 59,17- 168 59,18- 168 61,4- 168 67- 208 67(68),19- 141, 143, 146 68- 199 69,36- 482 70(71),5- 140 71- 201, 209 71,7- 159, 168 73- 201, 209 75(76),9f.- 136 77- 314 77(78),53- 132 77,8-11- 482 78,38- 484 78,59f.- 482 78,60- 481 78,69- 482 79,5- 470 80,2- 234 81,8- 233 82- 197 84- 485 84(85),3- 191 85- 485 85,4- 482 85,4f.- 484 87- 485 88- 197, 413, 485 89- 234 89,47.50- 482 90- 317 90,13- 484 91,9- 159 91,15- 233 93- 230, 239 93,1- 230, 234, 238 94- 197 94,15- 238 95- 230 95(96),1- 137, 140 95,3- 228, 234 96- 230 96,4- 228 96,10- 232, 234, 238 97- 230 97(98),1- 137, 140f. 97,1- 218, 221, 230, 234, 238 97,2- 238 97,3- 470 97,9- 228 98- 230 98,6- 234 98,9- 232, 239 99- 225f., 230, 233f., 245 99,1- 227, 230, 234, 236ff., 245 99,1-2- 239 99,2- 227, 230 99,3- 231, 234, 237, 243 99,4- 228, 230ff., 235, 237f. 99,5- 227f., 230f., 233, 237, 243 99,6- 227, 233, 243 99,6-8- 238f. 99,7- 236, 245 99,8- 233, 235ff., 243, 245f. 99,9- 228, 230f., 233, 236f., 243 100- 238 102,3- 233 102,17- 482 103- 197 103,6- 235 104- 197 508 Bibelstellen Altes Testament <?page no="509"?> 104(105),43- 132 106,3- 235 106,23- 484 106(107),5- 136f., 141, 147 106(107),14- 181 111,9- 231, 234 113(114),7- 139 114- 198 114(116),3- 181 115- 198 116- 197, 457 117- 50, 197 117(118)- 132, 137 117(118),16- 147 117(118),24- 135ff., 139, 141, 146 118- 202, 209 118,5- 233 119- 197ff., 209 119,145- 233 120,1- 233 121,4- 454 122- 456 124- 197, 208 125- 198 125(126),5- 182 127- 197 128- 197, 208 130- 197, 208, 457 133- 203 136(135)- 280 136- 265, 280 137- 200, 209 137,7- 231 138,3- 233 138(139),5f.- 132 138(139),18- 132 139- 201 139(140),4- 180 140- 197 141(142),6- 140 142,6- 159 143(144),9- 138 146- 197 147- 197 147,2- 482 148,3- 182 149,1- 138 150- 140, 197 Spr- 14,26- 168 21,21- 170 21,3- 170, 235 Hld- 1,2- 85 Weish- 3,1- 189 10,20f.- 132 Sir- 13,17- 180 15,3f.- 132 Jes- 6- 225, 238f., 243 6,1- 244 6,3- 234 6,6- 482 7,14- 481 7,17- 482 9,5-6- 235 11,6- 180 11,9- 236 12,1- 484 13,10- 182 25,8- 177 27,13- 236 37,16- 234 42,10- 138 44,26- 482 45,13- 482 Bibelstellen Altes Testament 509 <?page no="510"?> 45,2- 136, 147 53- 177, 182 53,3- 283 53,7- 179, 190 54,8-10- 484 56,1- 235 56,7- 236 57,13- 236 58,2- 235 58,9- 233 61,1- 181 61,8- 236 65,11- 236 65,24- 233 65,25- 180, 236 66,20- 236 Jer- 9,23- 235 11,19- 180 13,8- 482 15,1- 232 17, 5-7- 489 17,17- 159 18,20- 484 22,3- 235 22,15- 235 23,5- 235 31,18- 482 31,23- 236 33,3- 233 33,15- 235 Klgl- 2,1-10- 482 Ez- 18,5- 235 18,19- 235 18,21- 235 18,27- 235 20,40- 236 28,14- 236 32,7f.- 182 33,14- 235 33,16- 235 33,19- 235 36,36- 482 37,27- 481 45,9- 235 Dan- 3,51-90- 281 3,86- 189 9,16- 236 9,29- 236 Hos- 2- 169 6,6- 170 11- 169 11,4- 170 11,10- 167 11,9b- 171 13,4- 191 13,8- 165f. 13,14- 138, 140f., 144, 146, 177, 180f., 189 Am- 5,20- 470 Obd- 16- 236 17- 236 Nah- 1,2- 235, 470 Zef- 1,15- 470 3,11- 236 Sach- 8,3- 236 13,9- 233 Mal- 1,14- 234 510 Bibelstellen Altes Testament <?page no="511"?> 3,23- 470 Joel- 2,1- 236 2,2- 470 2,3- 470 2,10- 182 2,11- 470 3,4- 182, 470 4,1- 236 4,15- 182 Jona- 2,3- 233 2,3-10- 252 2,10- 134 3,9- 484 Bibelstellen Altes Testament 511 <?page no="512"?> Bibelstellen Neues Testament Mt- 6,10- 89 9,13- 170 10,38- 89 12,1-8- 345 12,7- 170 12,40 parr- 146 14,22-33- 224 17,12- 177 18,2f.- 86 18,3f.- 82, 87 18,10f.- 81 19,13f. parr- 86 19,14- 167 23,37- 79 25,35-38- 167 26,28- 304 27,51- 174 27,61- 174 27,62-66- 432 28,2- 135 Mk- 4,3-9 parr- 152 13,24 parr- 182 14,12-25- 346 14,36 parr- 89 14,45 parr- 178 15,33 parr- 182 Lk- 1,46-55- 209, 253 1,64- 254 1,67- 254 1,68-79- 253 2,8- 492 2,14- 81, 253 2,25-27- 254 2,29-32- 253 2,33- 253 2,34- 253 2,36- 254 4,18- 181 11- 338 14,27- 89 15,4-6- 185 18,16- 78f. 18,16f. parr- 86 22,48- 180 23,42f.- 183 23,43- 187, 190 24,13-35- 136 24,34- 134 Joh- 1,1- 186 1,9- 497 1,12f.- 496 6,35- 283 6,48- 283 6,52-56- 343 8,12- 182 8,58- 186 10- 134 10,12- 180 11,25- 162 12,24- 152 12,32- 177, 189 12,45- 178 14,2- 187 16,27- 80 <?page no="513"?> 18,12- 181 19,31-36- 131 19,34- 124 Apg- 1,3- 141 1,15-26- 274 2,20- 182 2,23- 178 5,30- 183 8,32- 180 Röm- 1,18- 471 3,23- 208 3,25- 185 5,8-11- 134 5,10- 185 5,12- 185 5,14- 185 6,10- 186 6,23- 181, 472 8,6- 495 8,6f.- 343 8,7- 495 15,6- 425 1 Kor- 3,1f.- 84 3,2- 84 5,7- 131, 142ff., 181, 343 5,8- 143, 145 9,27- 343 10,1f.- 142 14,26- 205 15,22- 185 15,26- 184 15,45- 185 15,54f.- 177 15,55- 140f., 144, 146, 180, 189, 191 15,55f.- 138 2 Kor- 5,1- 187 5,18-20- 134 5,18f.- 185 5,21- 181 Gal- 3,13- 183 3,26- 496 4,6- 80 4,10f- 343 5,24- 495 Eph- 2,3- 495 2,6- 344 2,16- 134 4,8- 141, 143 5,8- 495 5,11- 496 Phil- 2,6-11- 499 2,8- 174 Kol- 1,20- 185 1,20.22- 134 2,12- 343 2,14- 185, 191 3,1- 343 Hebr- 1,1-3- 493 1,1-12- 494 4,3- 185 5,6- 181 5,10- 181 7- 186 9- 186 10- 186 11,16- 185 11,28- 145 13,15- 134 Bibelstellen Neues Testament 513 <?page no="514"?> Jak- 3,6-8- 180 1 Petr- 1,19- 143 2,2- 84 2,5- 333 2,21- 177 2,24- 180 3,18- 177 3,19- 174 4,1- 177 2 Petr- 1,19- 139 1 Joh- 3,1f.- 80 3,2- 494, 496f. Offb- 5,5- 140 5,8f.- 190 5,9- 138, 140 5,12- 190 5,13- 248 6,12- 182 7,9-14- 142 7,14- 143 12,11- 143 14,3- 138, 140 19,8- 142 19,9- 142 21,3- 481 22,16- 139 514 Bibelstellen Neues Testament <?page no="515"?> Lieder Ach Gott, vom Himmel sieh darein- 201, 208 Ad cenam agni providi- 142, 144f. Adoro te devote- 430 Allein Gott in der Höh sei Ehr- 50, 430 Allein zu dir, Herr Jesu Christ- 203 Alles vergehet, Gott aber stehet- 319 Alle Tage sing und sage- 68 Als geloven vleugels krijgt- 463 Als Maria, die Jungfrau schon, nun sollt gebären Gottes Sohn- 54 An Wasserflüssen Babylon- 200 Aqua sapientiae potavit eos- 132 Ascendit deus in jubilatione- 133 Aufmunterung zum Kinderleben- 79f. Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir- 313 Aus tiefer Not schrei ich zu dir- 143, 208, 313 Ave, maris stella- 219, 221, 384 Ave Maria- 112, 415, 417, 430 Ave Verum- 374, 376f. Betracht mit Fleiß, o frommer Christ- 54 Bevor des Tages Licht vergeht- 384 Bewahre uns Gott, behüte uns Gott- 314, 318 Bild der christlichen Kindheit- 79, 82, 95 Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit- 136 Christe, du Lamm Gottes- 314 Christ fuhr gen Himmel- 133f. Christi Mutter stand in Schmerzen- 382 Christ ist erstanden- 133, 144 Christ lag in Todesbanden- 143f., 147 Christtagserweckung für die Kinder- 80f. Christus, du bist der helle Tag- 383 Christus, du Herrscher- 384, 393 Christus, du Licht vom wahren Licht- 384f. Christus, du Sonne unsres Heils- 384 Christus ist erstanden- 139 Conditor alme siderum- 431 Da Christus geboren war- 467 Da Gott Egypten schlagen wolt- 146 Danke für diesen guten Morgen- 348 Danksagen wir alle mit Schalle dem Herrn, unserm Gott- 54 Das Heil kommt uns gewisslich her- 51 Das hohe Weihnachtsgeschenk- 80, 82 Das ist der Tag, den der Herr gemacht- 139 Das ist der Tag, den Gott gemacht- 137f., 140, 142f. Das müde Kind- 79 Den Engel lasst uns preisen- 385 Den Herren will ich loben- 385 Der Chaos schuf zu Menschenland- 258, 302 Der Erde Schöpfer und ihr Herr- 384, 387 Der Himmel, der ist- 402 Der Himmel jetzt frohlocken soll- 54 Der König siegt, sein Banner glänzt- 384, 386 Der schwachen Kinder Trost- 80f. Deus, creator omnium- 431 De vreugde voert ons naar dit huis- 459 Dextera domini fecit virtutem- 147 Dich, Gott, wir loben und ehren- 70 Die chaos schiep tot mensenland- 258 <?page no="516"?> Die ersten Menschen Gott der Herr- 54 Die Freude führt uns in dies Haus- 458f. Die ganze Welt, Herr Jesu Christ- 139 Die Kinderschule- 79, 86 Die Nacht ist vergangen- 384, 386 Die Nacht ist vorgedrungen 488, 492, 495 Dies ist der Tag, den Gott gemacht- 137 Dies ist ein Haus zum Verweilen und Träumen- 458, 460 Dieweil wir sind versammelt- 203 Dit is een huis van verhalen en dromen- 460 Du, Herr, hast sie für dich erwählt- 384, 387 Du, laß dich nicht verhärten- 153 Du große Herrin, schönste Frau- 384, 389 Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt- 135, 137 Du Kind, zu dieser heilgen Zeit- 488 Du Licht des Himmels, großer Gott 384f. Du Sonne der Gerechtigkeit- 384, 393 Du wahrer Gott und Davids Sohn- 314 Eduxit dominus populum suum in exultatione- 132 Eduxit eos dominus in spe- 132 Eh Gottes Sohn geboren werd- 36 Eine große Stadt ersteht- 383 Ein feste Burg ist unser Gott- 208, 431 Ein Haus voll Glorie schauet- 429 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld- 200 Erhabene Dreifaltigkeit- 384, 390 Erhalt uns Herr, bei deinem Wort- 431 Ermunterungslied für die Pilger- 78 Erschienen ist der herrlich Tag- 146 Es ist auf Erden kein schwerer Leiden 41 Es ist das Heil uns kommen her- 51 Es ist ein Ros entsprungen- 156 Es sind doch selig alle, die- 199 Es woll uns Gott genädig sein- 208 Exultet- 139, 142, 145 Freu dich, du Himmel-Königin- 54 Freu dich, erlöste Christenheit- 140 Freundlich lockende und treulich warnende Jesusstimme an die Kinder und Jugend- 78, 90 Frühmorgens, da die Sonn aufgeht- 146 Gebenedeit sei Gott, der Herr- 202 Geh aus, mein Herz, und suche Freud 150 Gelobet sei der Vater- 60 Gelobet seist du, Jesu Christ- 498 Gelobet sei und gebenedeit- 67 Gelobt sei Gott, der Vater 50, 60ff., 65-68, 70 Gelobt sei Gott im höchsten Thron- 137 Gloria, laus et honor- 456 Gott, dein Wille schuf die Welt- 385 Gott, du bist meine Zuflucht- 159 Gott, heilger Schöpfer aller Stern- 384 Gottheit tief verborgen- 375 Gott ist gegenwärtig- 89 Gott sei gelobet und gebenedeiet 143, 430 Gott Vater, sei gepriesen- 60 Grates nunc omnes- 498 Großer Gott, wir loben dich- 70, 382, 428, 431 Gud, du er min tilflukt- 159, 162f., 170f. Guds kärlek är som stranden och som gräset- 429 Haec dies quam fecit dominus- 132 Heiteres Licht vom herrlichen Glanze- 384, 395 Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer- 429 Herr, unser Herr, wie bist du zugegen 256 Herzliebster Jesu- 395 Hört, eine helle Stimme ruft- 384, 395 Hort Wunder über Wunder- 41 516 Lieder <?page no="517"?> Hvali, Gospoda, mogočnega Kralje vse slave- 429 Iam lucis orto sidere- 431 Ich bete an die Macht der Liebe- 318 Ich glaub in Gott, den Vater mein- 54 Ich hatte viel Bekümmernis- 314 Ich steh an deiner Krippen hier- 80, 84 Ich steh vor dir in Leere, arm und bang- 256 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr- 256 Ihr Christen, hoch erfreuet euch- 385 Ihr Christen, jetzund fröhlich seid, singet Gott Lob in Ewigkeit- 54 Ihr Christen, singet hocherfreut- 135 Ik sta voor U- 260 Im Frieden dein, o Herre mein- 202 In diesem neuen Jahre- 54 In dulci jubilo- 54 Intende, qui regis Israel- 497 Introduxit vos dominus in terram fluentem lac et mel- 132 Ist das der Leib, Herr Jesu Christ- 139 Jerusalem, du neue Stadt- 140f., 384, 393 Jesus lebt, mit ihm auch ich- 140 Jesu Vater des ewigen Lichts- 70 Jubelt dem Herrn, alle Lande- 139 Jubilate Deo- 432 Kindliches Verlangen nach der Offenbarung Jesu im Herzen- 79 Komm, du Heiland aller Welt- 143, 384 Komm, Heilger Geist, der Leben schafft- 384 Komm, Sünder, komm, ich wart auf dich- 391 Komm herab, o heiliger Geist- 382 König ist der Herr. Völker, gebt ihm Ehr- 240 Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt- 151f. Lauda, Sion, Salvatorem- 116 Lehre uns, Herr, deinen Willen zu tun- 268 Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren- 429 Lobet den Herren, alle die ihn ehren- 395 Lobt Gott, ihr Christen alle gleich- 498f. Lode all’ Altissimo- 429 Lord, speak to me- 388 Lord God and maker of all things- 387 Manchmal feiern wir mitten im Tag- 339 Manchmal kennen wir Gottes Willen 402 Maria zart dein Sohn verrat- 411 Maria zart von edler Art- 409 Meerstern, ich dich grüße- 219, 221 Mein Gott, dein hohes Fest des Lichts 488 Mein Seel, o Herr, muß loben dich- 390 Mein Seel erhebt den Herren mein- 198 Näher, mein Gott, zu dir- 433 Noch ehe die Sonne am Himmel stand- 317 Nun bitten wir den Heiligen Geist- 143, 383 Nun freut euch, lieben Christen g’mein- 42 Nun ist sie da, die rechte Zeit- 384, 391 Nun komm, der Heiden Heiland 143, 498 Nun lobet Gott im hohen Thron- 50 Nun ruht doch alle Welt- 488 Nun sich das Herz von allem löste- 489 Nun singt dem Herrn ein neues Lied- 138 Nu wol Gott das unser gesang- 385 O Christ, hab acht der lieben Zeit- 54 O du fröhliche- 428 O filii et filiae- 135, 432 O Gott, dein Wille schuf die Welt- 388 O Gott, du höchster Gnadenhort- 203 O Gott Vater in Himmels Thron- 390 Lieder 517 <?page no="518"?> O Haupt voll Blut und Wunden- 314 O heiligste Dreifaltigkeit- 50, 57 O Herr, wer wird Wohnungen han- 200 O höchster Gott, in deinem Thron- 202 O Jesus, blessed Lord- 389 O Licht der wunderbaren Nacht 139, 142 O Mensch, bewein dein Sünde groß- 199 On Jordan’s bank the Baptist’s cry- 392 Or est maintenant L’Eternel regnant- 240 O rex gentium- 432 O sanctissima- 428 O sapientia- 432 O selger Urgrund allen Seins- 385f. O Sun of Justice- 387 O Tod, wo ist dein Stachel nun- 146 Pange, lingua, gloriosi- 384 Phos hilaron- 395 Preiset den Herrn, denn er ist gut- 268 Preis sei Gott im höchsten Throne und auch seinem lieben Sohne- 54 Puer natus in Bethlehem- 432 Quem pastores laudavere- 432 Recessit pastor noster- 136 Resurrexi, et adhuc tecum sum- 132 Salve Regina- 100, 376 Salve sancta facies- 409 Sei gegrüßt, Herr Jesus- 396 Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet- 385, 394 Sie gleicht wohl einem Rosenstock- 42 Sieh nicht an, was du selber bist- 488 Sing choirs of new Jerusalem- 140 Singen wir aus Herzensgrund- 467 Stabat Mater- 100, 382 Surrexit Christus hodie- 135 Surrexit Dominus vere- 134 Tantum ergo sacramentum- 384 Tanze, du Erde- 139 Te Deum laudamus- 100, 112, 431 Te lodiamo, Trinità- 428 Terra tremuit- 136 The day you gave us, Lord, has ended 424 Tod und Vergehen- 385, 393 Treuer Wächter Israel- 467 Tugendspiegel der Kindheit Jesu- 80, 83 Ubi caritas et amor- 317 Unser Leben sei ein Fest- 334f., 339 Valet will ich dir geben- 385 Vater unser, wir bitten dich- 198 Veni, creator Spiritus- 112, 384, 431 Veni, Sancte Spiritus- 382, 431 Veni, veni, Emanuel- 432 Verehrung und Liebe der Kindheit Jesu- 80, 82, 85, 97 Vexilla regis prodeunt- 386 Victimae paschali laudes- 134, 142, 144, 431 Victricem manum tuam, domine- 132 Vom Himmel hoch, da komm ich her- 80, 84, 143 Vom Tode heut erstanden ist- 135f. Wach auf, wach auf, meins Herzen ein Trost- 42 Wahrer Leib, o sei gegrüßet- 380 Wahrer Leib, sei uns gegrüßet- 351, 378 Wär Gott nicht bei uns diese Zeit- 208 Was uns fordert- 458, 465 Wat ons uitdaagt- 465 Weg der Wahrheit- 82 Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe- 429 Weltschöpfer, Herr Gott, Jesu Christ- 203 Wenn der Glaube Flügel kriegt- 458, 463 Wer leben will wie Gott auf dieser Erde- 256 Wer nur den lieben Gott lässt walten 392 Wer warst du, Herr, vor dieser Nacht 489 Wie fielen die Helden im Streit- 487 518 Lieder <?page no="519"?> Wie was U, Heer, voor deze nacht- 488 Wir danken dir, Herr Jesu Christ- 386 Wir fallen nieder auf unsere Knie- 54 Wir freuen uns, Herr Jesu Christ- 68 Wir loben dich, Gott Sabaoth- 68ff. Wir wollen alle fröhlich sein- 137 Wo die Güte und die Liebe wohnt- 317 Wo fange ich an- 322, 325 Wohl auf, ihr Studenten alle- 41 Wohl dem, der in Gottes Furcht steht 208 Zu Bethlehem geboren- 80, 84 Zuflucht der Seele unter die Flügel Jesu- 79 Zum Mahl des Lammes schreiten wir- 385, 392 Lieder 519 <?page no="520"?> Personen Aberlin, Joachim- 196, 210 Acker, Carl- 196 Ackermann, Andrea- 451 Adamek, Karl- 250 Aichinger, Ilse- 121 Alain de Lille- 368 Alber, Ferdinand- 50f., 55 Albert, Heinrich- 398 Albrecht, Alois- 335, 348 Albuin- 276 Alexander VI.- 414 Alfrink, Bernard Jan- 300 Altbießer, Symphorian- 198 Ambrosius von Mailand- 133, 497f. Anglicus, Johannes- 202 Apelles- 222 Aschhausen, Johann Gottfried- 64 Athanasius- 274 Augustinus von Hippo- 133 Babst, Valentin- 425 Bach, Johann Sebastian- 314, 316, 318, 400, 403ff. Baldung, Hans- 198 Basilius- 340 Bätzing, Georg- 317 Bauer, Johann Baptist- 431f. Bäumker, Wilhelm- 444, 449 Baumstark, Anton- 173 Becker, Cornelius- 400 Becker, Hansjakob- 437, 442, 447 Bedford-Strohm, Heinrich- 317 Behringer, Wolfgang- 44 Ben-Chorin, Schalom- 317 Benedikt von Nursia- 274 Berengar- 351, 356-359, 362ff., 373, 376, 380 Berger, Rupert- 288 Bernhard von Clairvaux- 274 Bernières-Louvigny, Jean de- 78 Berthier, Jacques- 432 Bethlen, Gábor- 65 Beuerle, Herbert- 488 Bèze, Théodore de- 195, 225, 240 Biber, Heinrich Franz- 111, 115 Biermann, Wolf- 154ff. Birgitta von Schweden- 274 Blackburn, Bonnie- 409 Blaurer, Margareta- 202 Boff, Leonardo- 347 Böhm, Dominikus- 213, 215, 220 Bon, Eberhard- 170 Bonaventura- 368 Bone, Heinrich- 137, 378f. Bonifatius- 274 Bortniansky, Dimitry- 318 Botticelli, Sandro- 222 Bourgeois, Loys- 399 Brachel, Peter von 35, 43, 45ff., 54, 61, 68, 70, 448 Brækken Melve, Ingrid- 159, 163, 166, 171f. Briçonnet, Guillaume- 206 Brixi, Franz Xaver- 113 Buber, Martin- 171 Bucer, Martin- 195, 198, 202, 205f. Bühler, Franz Xaver- 113 Burney, Charles- 99 Busse, Rainer- 37 <?page no="521"?> Calvin, Johannes- 195, 210, 399 Canisius, Petrus- 52, 274 Capito, Wolfgang- 196, 198, 206 Cardenal, Ernesto- 335, 344, 347f. Chauvet, Louis-Marie- 299, 301 Clemens VIII.- 266 Costa, Eugenio jr.- 429 Crith, Johann- 48 Crüger, Johann- 398 Cyprian- 352 Cysat, Renwart- 410 Dachser, Jakob- 196, 210 Dachstein, Wolfgang- 197-200, 203, 209 Davantès, Pierre- 240 De Backer, Aloys- 57, 59 Deichel, Anton- 111 de Lubac, Henri- 351 de Vries, Sytze- 458 Diupedal, Birgit- 162 Doevelaar, Frans- 302 Dominikus- 274 Dostal, Christian- 395 Dreyer, Johann Melchior- 113 Durandus, Wilhelm- 374 Durandus von Troarn- 356 Durnbaugh, Hedwig (Hedda)- 422, 429 Duruflé, Maurice- 317 Ebach, Jürgen- 171 Ebeling, Johann Georg- 398f. Ebenbauer, Peter- 422 Eckert, Eugen- 317 Elisabeth von Thüringen- 274 Enderlin, Fritz- 226, 243ff. Englisch, Johannes- 202 Erk, Ludwig- 39 Eucharius- 277 Eudes, Jean- 284 Fipp, Josef- 220 Florian von Rom- 276 Föllmi, Beat- 444 Forsthuber, Franz- 393 Franz, Ansgar- 50, 121, 226, 263, 278, 293, 302, 305, 314, 320, 381, 435, 438, 440, 442, 447, 453 Franziskus (Papst)- 274, 287 Franz von Assisi- 274, 282, 412 Freylinghausen, Johann Anastasius- 398 Frölich, Jakob- 199 Frostenson, Anders- 429, 432 Fulbert von Chartres- 140 Fürst, Gebhard- 314 Fux, Johann Joseph- 111 Galen, Fürstbischof Christoph Bernhard von- 102 Gelineau, Joseph- 248, 251 Gellert, Christian Fürchtegott- 401 Georg V. von Hannover- 213 Gerards, Johann- 107 Gerhardt, Paul- 80, 84, 150, 200, 314, 395, 399f. Gerloff, Peter- 136 Gertrud von Helfta- 84 Gletle, Johann Melchior- 111 Goethe, Johann Wolfgang- 42, 156 Gotzen, Joseph- 444, 446, 448ff. Grass, Johann Michael“- 106 Grassi, Paride de- 407, 414 Greiter, Matthias- 198ff., 203, 207, 209 Greule, Albrecht- 437 Grevenbroich, Gerhard- 60 Guardini, Romano- 296 Guitmund- 365 Hählke, Christian- 488 Hahn, Gerhard- 422 Hamm, Berndt- 408 Hammel, Stephan- 113 Hamnes, David Scott- 161, 166 Händel, Georg Friedrich- 112f. Personen 521 <?page no="522"?> Harnoncourt, Philipp- 422, 424ff. Härting, Michael- 35, 37, 47, 53, 60 Harzer, Anne-Dore- 390, 392 Hauntinger, Johann Nepomuk- 103 Häußling, Angelus- 275 Haydn, Joseph- 113 Haym, Johann- 55 Hedio, Kaspar- 198 Hedwig von Andechs- 274 Heermann, Johann- 146, 467, 486 Heinrich I.- 357 Henkys, Jürgen- 151, 155, 422, 442 Heringsdorf, Johannes- 59 Herman, Nikolaus- 146, 386, 499 Hersche, Peter- 100, 117f. Heurich, Winfried- 394 Hiemer, Franz- 111 Hieronymus- 221, 274 Hildegard von Bingen- 412 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich- 39, 43 Höffner, Joseph- 335 Holcot, Robert- 369 Hollen, Gottschalk- 372 Hubert, Konrad- 202 Huchel, Peter- 154 Hugener, Leonard- 215 Huijbers, Bernard- 257, 279 Humbert da Silva Candida- 357f. Ignatius von Loyola- 68, 274, 412 Ingenuin- 276 Irmina von Oeren- 277 Irsigler, Hubert- 169 Jägerstätter, Franz- 276 Janssens, Peter- 334f., 348 Jenny, Markus- 422f., 429 Jeremias, Jörg- 169 Johannes Paul II.- 219, 287, 290 Johannes vom Kreuz- 78, 89 Johann Gottfried von Aschhausen- 62 Jommelli, Niccolo- 113 Joppich, Godehard- 285 Jorissen, Matthias- 242 Juhre, Armin- 402 July, Frank Otfried- 314 Justin- 352 Karl der Große- 46 Karl der Kahle- 354 Karl I. (Österreich-Ungarn)- 276 Kassl, Lorenz (Lovro)- 429 Katharina von Siena- 274 Kelsos- 343f. Kempf, Fritz- 214 Kempffer, Matthäus- 40 Kerll, Johann Caspar von- 111 Kilian- 68 Klepper, Jochen 317, 401, 487f., 491f., 496, 498, 500 Klinckart, Petrus/ Peter/ Pierre- 59, 451 Klöckner, Stefan- 288 Kloppenburg, Wim- 422 Knobloch, Johannes- 198 Koerdinck, Johann Joachim- 59 Köerding, Johann Joachim- 59 Kok, Cornelis (Kees)- 255, 257, 259 Kolbe, Uwe- 322 König, Jan M.- 39 König, Johann- 106 Köpfel, Wolfgang- 196, 201 Kraus, Joseph Martin- 112 Krieg, Gustav A.- 397 Krüger-Kirn, Helga- 172 Kunze, Reiner- 121, 123, 125f. Kurzke, Hermann- 219, 437, 440, 442, 447 Kurzke, Marle- 440 Kyrill von Jerusalem- 352 Landgraf, Artur Michael- 365 Lanfrank von Bec- 356, 359 522 Personen <?page no="523"?> Langlais, Jean- 314 Laurentius von Rom- 274 Leaver, Robin A.- 422 Lefebure, Jan- 410 Lehmann, Leonhard- 282 Leisentrit, Johann- 70, 134, 385 Leo IX.- 357 Leo X.- 407f. Leo XIII.- 284 Liszt, Franz- 316 Livljanič, Katarina- 432 Lobwasser, Ambrosius- 226, 240, 242 Lodes, Birgit- 410 Lohfink, Norbert- 251 Lohr, Ina- 488 Lotther, Michael- 441 Luff, Alan- 422, 432 Luscinius, Ottmar- 198, 200 Luther, Martin- 42, 80, 83f., 167, 196-199, 201, 205, 208f., 398, 408, 425, 494, 498f. Luxemburg, Rosa- 155 Macy, Gary- 363 Madame Guyon- 78 Marbach, Johannes- 195 Mareschall, Samuel- 208 Marot, Clément- 195, 225, 399 Marti, Andreas- 422f. Marti, Kurt- 402 Martimort, Georges- 175 Martin, Frank- 402 Martin von Tours- 274, 277 Maternus- 277 Maximilian I.- 411 Meersseman, Gilles Gérard- 286 Meginhard von Gladbach- 364 Meister Eckehart- 78, 88 Melito von Sardes- 144 Mencke, Johann Buchhard- 58 Merten, Franz- 108 Metternich, Josef- 335 Mewes, Gregor- 411 Meyerl Khistlern, Wolfen- 106 Miskotte, Kornelis Heiko- 298 Möhler, Johann Adam- 215 Mohr, Joseph- 138, 378f., 386 Monika von Tagaste- 274 Monk, William Henry- 136 Morales, Cristóbal de- 407, 414f., 417, 420 Mörs, Johann Heinrich Augustin von- 54 Morus, Thomas- 274 Mozart, Leopold- 115 Mozart, Wolfgang Amadeus- 113, 315, 377, 403 Müntzer, Thomas- 431 Nägeli, Hans Georg- 405 Naidoo, Xavier- 315 Newman, John Henry- 215 Nikolaus (Papst)- 357 Nikolaus von Flüe- 274 Nikolaus von Myra- 274 Nosetti, Massimo- 429f. Obrecht, Jacob- 407, 411 Ochsenknecht, Uwe- 408 Odo von Sully- 371 Oekolampad, Johannes- 202 Oeler, Ludwig- 200, 209 Oler, Luwig- 200 Oorschot, Theo G.M. van- 36, 450 Oosterhuis, Huub 247, 255, 257-260, 278, 293, 300f., 321, 330, 337, 428 Opitz, Martin- 398, 449 Origenes- 145, 342ff., 348 Orth, Ute- 488 Ovid- 38f. Paul III.- 414, 416 Paulus- 495 Paulus, Nikolaus- 409 Pausch, Eugen- 113 Personen 523 <?page no="524"?> Pergolesi, Giovanni Battista- 113 Petrus Cantor- 371 Petrus Comestor- 371 Petrus de Palude- 366 Petrus Lombardus- 360, 368 Petzold, Johannes- 488 Philipp III. von Hanau-Lichtenberg- 202 Philo von Alexandria- 341f., 344, 348 Pius IX.- 220 Pius X.- 266 Pius XII.- 220 Platon- 340 Poiret, Peter- 78 Pölchau, Georg- 405 Pollio, Symphorianus- 198, 203, 209 Popper, Karl- 340 Pothier, Joseph- 175 Praetorius, Michael- 432 Praßl, Franz Karl- 422, 424 Prüss, Johannes- 210 Pyxocomister, Joannes- 202 Quack, Erhard- 385 Quentel, Peter- 52, 70 Radbertus, Paschasius- 354ff., 360 Rainer, Johann- 106 Rathgeber, Valentin- 113 Ratramnus- 354ff. Rebenlein, Georg- 392 Reich, Christa- 442, 453, 458 Reinigius, Paschasius- 390 Reinold von Köln- 46 Reux, Johann Arnold de- 107 Riegler, Wolfgang- 424 Riehl, Wilhelm Heinrich- 99 Riehm, Magda- 423 Rilke, Rainer Maria- 293 Ringseisen, Paul- 288 Rist, Johann- 399 Rocha, Pedro Romano- 175 Romano, Antoniazzo- 416 Rot, Frederikus G. aan het- 488 Roussel, Gérard- 206 Rudolfinger, Johannes- 198 Rupert von Salzburg- 274 Rutter, John- 317 Salminger, Sigmund- 196, 210 Sassenrath, Anna Maria di- 54 Schemelli, Georg Christian- 400 Schillebeeckx, Edward- 300 Schiller, Johannes- 229 Schlenker, Manfred- 488 Schmelzer, Johann Heinrich- 111 Schneider, Martin Gotthard- 348 Schnesing, Johannes- 203 Schnider, Andreas- 424 Schop, Johann- 398 Schröder, Rudolf Alexander- 401 Schuhenn, Reiner- 393 Schüller, Andreas- 51 Schulz, Bruno- 300 Schumann, Robert- 388 Schüngel-Straumann, Helen- 170 Schütz, Heinrich- 140, 393, 398, 400f. Schwarz, Rudolf- 214 Schweintzer, Hans- 201, 203, 209 Schwenckfeld, Kaspar- 201 Seewald, Richard- 215, 218, 220f., 223f. Seewald-Trotsch, Uli Emma Margarethe- 215 Seibrich,Wolfgang- 109 Seuffert, Josef- 281, 285 Siepe, Elmar- 216, 220 Simon, Johann Caspar- 313 Sixtus IV.- 409, 415 Sixtus V.- 286 Snoek, Godefridus- 352 Sobrero, Giuseppe- 429 Solaro, Heribert- 216, 220 524 Personen <?page no="525"?> Solaro-Meyer, Angela- 216 Sommervogel, Carlos- 57, 59 Spangenberg, Johann- 441 Specklin, Daniel- 207 Spee, Friedrich- 36, 49, 56, 60, 80, 139, 447ff. Spilling Bakkevig, Solveig- 161, 171 Stapfer, Johannes- 242 Stein, Edith- 274 Stein, Renate- 489 Steinmeier, Frank-Walter- 318 Stephan I. (Ungarn)- 276 Stock, Alex- 257, 259, 278, 280, 297, 442 Süß, Ulrike- 440 Sweelinck, Jan Pieterszoon- 458 Tauler, Johannes- 78 Teresa von Avila- 78, 85 Tersteegen, Gerhard- 77, 83, 88 Tertullian- 57 Tetzel, Johann- 408 ’t Hart, Maarten- 298 Theodor von Mopsuestia- 336, 338 Theresia von Avila- 274 Thomas von Aquin- 361, 363, 368, 413 Thurmair, Georg- 139 Thurmair, Maria Luise- 226, 244ff., 383, 395 Till, Eric- 408 Tinctoris, Johannes- 412f., 420 Torquemada, Juan de- 416 Trausch, Jacques- 208 Ulenberg, Caspar- 50 Valerius- 277 Van Aelst, Andries Janssen/ Janson- 38 Venus- 222 Veronika- 409 Vianney, Jean-Marie (Pfarrer von Ars)- 274 Vigri, Caterina de- 412 Vincent, Antoine- 195 Virgil- 274 Vogler, Georg- 49, 65, 67, 70 Vogtherr, Heinrich- 201, 209 Vollmar, Johann- 58, 65 Von der Elst, Maternus- 44 Von der Elst, Paulus 37f., 40f., 43, 45f., 48, 53 Wacker, Marie-Theres- 171 Wahl, Stephan- 316 Walser, Iso- 106 Walter, Johann- 42 Walter, Silja- 135 Wayne, John- 222 Weiße, Michael- 137 Weissel, Georg- 146 Wencker, Jean- 208 Wentz-Janacek, Elisabeth- 422, 430 Werner, Fritz- 488 Wiedersprecher, Mark- 488 Wieslhuber, Josef- 110 Wilhelm II.- 213 Willibrord- 274 Winkworth, Catherine- 429 Wipo von Burgund- 180 Wolfgang von Regensburg- 277 Wolfhelm von Brauweiler- 364 Wood, John George- 163 Worath, Siard- 106 Wurm, Mathilde- 155 Wurmser, Nikolaus- 201 Zell, Mathias- 202 Zelter, Carl Friedrich- 405 Zenetti, Lothar- 278, 280 Zetter, Jacob de- 40 Zwingli, Huldrych- 198 Personen 525 <?page no="526"?> PIETAS LITURGICA Interdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft begründet von Hansjakob Becker herausgegeben von Ansgar Franz und Alexander Zerfaß Bisher sind im A. Francke Verlag erschienen: Band 13 Hansjakob Becker, Dominik Fugger, Joachim Pritzkat, Katja Süß (Hrsg.) Liturgie im Angesicht des Todes Neuzeit I: Reformatorische Traditionen 2004, 566 Seiten €[D] 89,00 ISBN 978-3-7720-3029-1 Band 14 Hansjakob Becker, Dominik Fugger, Joachim Pritzkat, Katja Süß (Hrsg.) Liturgie im Angesicht des Todes Neuzeit II: Katholische Traditionen 2004, 680 Seiten €[D] 89,00 ISBN 978-3-7720-3030-7 Band 15 Ulrich Willers Beten: Sprache des Glaubens - Seele des Gottesdienstes 2000, 507 Seiten €[D] 60,00 ISBN 978-3-7720-3031-4 Band 16 Alexander Zerfaß, Ansgar Franz (Hrsg.) Wort des lebendigen Gottes Liturgie und Bibel 2016, 521 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-7720-8497-3 Band 17 Martin Lüstraeten, Christiane Schäfer, Alexander Zerfaß (Hrsg.) Erkundungen zum Kirchenlied Festschrift für Ansgar Franz 2024, 525 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-381-11431-3 <?page no="527"?> ISBN 978-3-381-11431-3 Dieser Band vereint 26 facettenreiche Beiträge zum Kirchenlied, die mit ihren je eigenen Stoßrichtungen und Fragestellungen exemplarisch für die Vielfalt der methodischen Ansätze bei der Erforschung von Gesangbüchern und Kirchenliedern stehen. So werden unter anderem die historischen Kontexte bestimmter Lieder oder Gesangbücher beleuchtet, einzelne Motive und ihre Rezeption näher erforscht, Melodien in ihrer Wirkung und Entstehung reflektiert, aber auch über die Herausforderungen bei der Erstellung von Gesangbüchern berichtet. Die Beitragenden, Forscherinnen und Forscher aus Mainz sowie aus den europäischen Fachnetzwerken der Liturgiewissenschaft und der Hymnologie, ehren damit den Mainzer Liturgiewissenschaftler und Hymnologen Ansgar Franz zum 65. Geburtstag, der seit vielen Jahren das Mainzer Gesangbucharchiv leitet und zahlreiche Publikationen zu Kirchenlied und Gesangbuch verfasst hat. Erkundungen zum Kirchenlied Lüstraeten, Schäfer Zerfaß (Hrsg.) PIETAS LITURGICA 17 MARTIN LÜSTRAETEN, CHRISTIANE SCHÄFER, ALEXANDER ZERFASS (Hrsg.) Erkundungen zum Kirchenlied Festschrift für Ansgar Franz