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Deutsch-chinesische Beziehungen

Wirtschaft, Politik, Gesellschaft

0812
2024
978-3-3811-1732-1
978-3-3811-1731-4
UVK Verlag 
Dirk Linowski
10.24053/9783381117321

Der "Wiederaufstieg" Chinas ist das dominierende geopolitische Ereignis seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990. Wir befinden uns seit Ende der 2010er Jahre in einer Phase offener politischer, wirtschaftlicher und militärischer Rivalität, in der die beiden Supermächte USA und China versuchen, ihre Einflusszonen zu stabilisieren und auszuweiten. Zahlreiche deutsche Großunternehmen wie Adidas, die BASF und Siemens sowie in der Öffentlichkeit weniger bekannte Mittelständler sind sowohl im US-amerikanischen als auch im chinesischen Markt engagiert und damit direkt von der Rivalität zwischen den USA und China betroffen. Im Westen weiß man heute kaum mehr, was in China gedacht und getan wird. Das Buch setzt sich zum Ziel, neben den vorhandenen Unterschieden Positives, d.h. Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. China und Deutschland können gemeinsam Beiträge für eine bessere Welt leisten.

Dirk Linowski Deutsch-chinesische Beziehungen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft Deutsch-chinesische Beziehungen Prof. Dr. Dr. h. c. Dirk Linowski studierte an der Universität Rostock und an der Université Paris I, Panthéon Sorbonne, Mathematik und Ma‐ thematische Statistik. Im Jahre 1999 promovierte er an der Universität Rostock in Betriebswirtschaftslehre. Nach einer Assistenzprofessur an der Universiteit Nijmegen in den Niederlanden und einem einjährigen Lehr- und Forschungsaufenthalt an der Tongji Universität Shanghai und der Shanghai Normal University in China wurde er im Jahre 2004 auf den Lehrstuhl für Asset Management mit ab 2006 verbundenem Direktorat des Instituts for International Business Studies an der wissenschaftlichen Steinbeis-Hoch‐ schule Berlin berufen, das er bis 2021 innehatte. Prof. Linowski ist seit 2004 „Distinguished Guest Professor“ an der Shanghai Normal University und seit 2008 dauerhafter Gastprofessor an der Riga Graduate School of Law in Lettland. In der Lehre immer am Zahn der Zeit zu sein, wird in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr zur Herausforderung. Mit unserer neuen fachübergreifenden Reihe nuggets präsentieren wir Ihnen die aktuellen Trends, die Forschung, Lehre und Gesellschaft beschäftigen - wissenschaftlich fundiert und kompakt dargestellt. Ein besonderes Augenmerk legt die Reihe auf den didaktischen Anspruch, denn die Bände sind vor allem konzipiert als kleine Bausteine, die Sie für Ihre Lehrveranstaltung ganz unkompliziert einsetzen können. Mit unseren nuggets bekommen Sie prägnante und kompakt dar‐ gestellte Themen im handlichen Buchformat, verfasst von Expert: innen, die gezielte Information mit fundierter Analyse verbinden und damit aktuelles Wissen vermitteln, ohne den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren. Damit sind sie für Lehre und Studium vor allem eines: Gold wert! So gezielt die Themen in den Bänden bearbeitet werden, so breit ist auch das Fachspektrum, das die nuggets abdecken: von den Wirtschaftswissenschaf‐ ten über die Geisteswissenschaften und die Naturwissenschaften bis hin zur Sozialwissenschaft - Leser: innen aller Fachbereiche können in dieser Reihe fündig werden. Dirk Linowski Deutsch-chinesische Beziehungen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381117321 © UVK Verlag 2024 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2941-2730 ISBN 978-3-381-11731-4 (Print) ISBN 978-3-381-11732-1 (ePDF) ISBN 978-3-381-11733-8 (ePub) Umschlagmotiv: © iStockphoto ∙ zhaojiankang Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 7 1 13 2 19 2.1 20 2.2 24 2.3 28 2.4 31 3 35 4 43 4.1 44 4.2 47 4.3 52 4.4 56 4.5 59 5 67 5.1 70 5.2 72 5.3 73 5.4 76 6 83 6.1 85 6.2 87 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen . . . . . Von der Aufklärung in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . Barriere No. 1! Die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barriere No. 2? Konfuzianische Tugenden . . . . . . . . . . . . . . Deutschland, das Land der Tugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleine Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . Von Mao über Deng zu Xi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Fokus auf Technologie und erste Folgen . . . . . . . . . . . . Globalisierung und Bruttoinlandprodukt . . . . . . . . . . . . . . Die Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die chinesische Währung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Demografie und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ein-Kind-Politik und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbild Japan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Mandat des Himmels und der Fluch des Konfuzius . . . Die Kommunistische Partei und das politische System Chinas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das chinesische Bildungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 91 7.1 91 7.2 94 7.3 95 8 107 8.1 108 8.2 110 9 123 127 127 1. 127 2. 128 3. 128 4. 129 5. 129 6. 130 7. 130 8. 131 9. 131 133 135 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abhängigkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die BRICS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Neue Seidenstrasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brücken und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwelt- und Klimapolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miteinander lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussakkord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Text direkt verwendete Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen Kleine Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart . . . . . . . . . . Demografie und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? . . . . . . . . . . . . . . Brücken und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussakkord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leseempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 1 So ganz eindeutig ist dabei nicht, was der Westen ist: Sie können im Verlauf einer schnellen Onlinerecherche ohne viel Mühe zehn oder auch mehr unterschiedliche Definitionen finden, die sich in unterschiedlicher Weise auf die griechisch-römische Geschichte, die Rechts- und Regierungsform, die christliche Religion, Geographie und weitere „Pfeiler“ stützen. Vorwort Nachdem China acht Jahre lang Deutschlands wichtigster Handelpartner war, schickten die USA sich Anfang 2024 an, diese Rolle zu übernehmen [1] und das nicht nur kurzfristig. China ist, Mitte der 2020er Jahre, in Deutschland nicht en vogue. Schauen wir kurz in die jüngere Vergangenheit. Nach einer Annäherung zwischen China und Deutschland in den letzten Lebensjahren des „Gro‐ ßen Steuermanns“ Mao Zedong (1893 - 1976) Mitte der 1970er Jahre - damals gab es noch den „Systemrivalen“ Sowjetunion - folgte in Deutsch‐ land im Zuge der sogenannten Öffnungspolitik ab 1992 eine Phase der „China-Euphorie“. Ihren verspäteten Abschluss fand diese im Jahr 2006 im vom Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson und dem heutigen Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick kreierten Begriff Chimerica, der eine „Symbiose“ der USA und Chinas meint. Praktisch war dies der Beginn einer Periode von gleichzeitiger pragmatischer Kooperation und Wettbewerb des Westens 1 und Chinas, die spätestens im Jahre 2019 ihr formales Ende fand. Seit 2019 bezeichnet die EU, den USA bzw. ihrem damaligen Präsidenten Trump mit zwei Jahren Verspätung folgend, China als Partner, Wettbewerber und Rivalen. Vier Jahre später wurde durch die Bundesregierung eine Chinastrategie verabschiedet, die grundsätzlich mehr auf Unterschiede und Abgrenzung abstellt als auf Gemeinsamkeiten und Kooperation. In dieser heißt es beispielweise, China wolle weltweit „wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten schaffen, um diese zur Durchsetzung politischer Ziele und Interessen zu nutzen“. [2] Mit der Übergabe der US-Präsidentschaft von Donald Trump an Joe Biden hat sich in Washington allenfalls der Ton in Nuancen geändert; direkt im Nachgang seiner Wahl im November 2020 bezeichneten die Oberkomman‐ dierenden der US Navy, der Marines und der Coast Guard gemeinsam China als „umfassendste langfristige Bedrohung“ der USA. Im Frühjahr 2024 und damit kurz vor den Wahlen im Jahr 2024 verfügte Präsident Biden über neue Strafzölle auf chinesische Einfuhren in der Annahme, damit seine Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Die große Zeit der internationalen Organisationen scheint vorbei zu sein und das Fundament der internationalen Rechtsordnung zerfällt: Streit‐ schlichtung über die Welthandelsorganisation WTO funktioniert praktisch nicht mehr, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird von der jeweili‐ gen Gegenseite (aus westlicher Sicht Russland und China) lahmgelegt und der Internationale Strafgerichtshof wird von den deutschen Medien bejubelt, wenn er einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin ausstellt und verdammt, wenn ein solcher gegen den israelischen Premierminister Netanjahu möglich scheint. Wenn Sie dieses Buch in der Hand halten, haben in den USA wieder Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Tatsächlich ist die „Abneigung“ ge‐ genüber China und die Überzeugung, es „eindämmen zu müssen“, fast das einzige große Thema in den USA, in dem sich Republikaner und Demokraten weitgehend einig sind: Für den näheren Fortgang der geopolitischen Riva‐ lität zwischen USA und China ist es somit vermutlich nachrangig, ob Trump oder Biden oder jemand anderes ab Januar 2025 im Oval Office residiert. Ob Deutschland bzw. seine politische Führung die Notwendigkeit sieht, sich den USA anzuschließen oder ob wir weiter Handel sowohl mit den USA als auch mit China treiben können, wird sich zeigen. Im Fall eines Rückbaus des Außenhandels müssen wir uns, der Theorie der komparativen Vorteile von David Ricardo (1772 - 1823) folgend, mit der jeder Student der Wirtschaftswissenschaft im Grundstudium bekannt gemacht wird, mit‐ telfristig quasi deterministisch auf Wohlstandsverluste einrichten. Es wird dann Aufgabe der Politik sein, dem Wahlvolk den Trade-off zwischen den Vorteilen eines weitgehend auf der Idee des Freihandels basierenden internationalen Handelssystems und „mehr Unabhängigkeit“ zu erläutern. Dies wäre in „normalen Zeiten“, also ohne demografischen Wandel, Kriege an der Peripherie und Migrationsdruck an den Außengrenzen der EU bereits eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Änderungen der Wahrnehmung Chinas durch die Europäer sind nicht neu. Bevor China mit dem 1. Opiumkrieg von 1839 - 1842 im Westen der Verachtung anheimfiel, genoss es im späten 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts bei vielen europäischen Intellektuellen und Aristokraten einen ausgezeich‐ neten Ruf. Jeder europäische Fürst, der etwas auf sich hielt, hatte im Barock und Rokoko eine Sammlung chinesischen Porzellans aus der Ming- (1368 - 8 Vorwort 2 Im Chinesischen werden erst der Nachname und dann der Vorname genannt. Der Nachname besteht immer aus einer Silbe, der Vorname kann aus ein oder zwei Silben bestehen. 1644) und aus der Qing-Dynastie (1644 - 1911); chinesische Pagoden oder Türme finden sich in den Parks und Schlossgärten ganz Europas. Der bekannteste China-Kenner des Barocks war der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716), der mehrfach darauf hinwies, dass die Europäer zu wenig über Sprache, Philosophie und Geschichte Chinas wissen, um belastbare Urteile fällen zu können. Der deutsche Sinologe Ole Döring führte dazu 300 Jahre später aus: „Wir können die Entwicklungen im heutigen China nicht ansatzweise verstehen, wenn wir politische Begriffe wie ‚totalitär‘ oder ‚zentralistische Diktatur‘ in den Mittelpunkt stellen. Die entsprechenden chinesischen Äquivalente sind historisch, moralisch und politisch ganz anders verknüpft und im Diskurs präsent, als dass sie in Begriffen unserer Erfahrungswelt aufgehen könnten.“ [3] Das Bild von China, das die meisten öffentlichen und privaten deutschen Leitmedien seit vielen Jahren zeichnen, ist kein gutes. Die Darstellungen konzentrierten sich seit Beginn der 2020er Jahre primär auf Überwachung, Jugendarbeitslosigkeit und eine Immobilienkrise (auf Tibet, Taiwan und die Uiguren in Xinjiang wird an anderen Stellen eingegangen). Spiegelbildlich war ein Großteil der chinesischen Berichterstattung zu Deutschland und den USA im Herbst 2023 und Frühjahr 2024, als ich nach mehr als drei Jahren „Corona-Pause“ wieder in China war, den Folgen von ungeregelter Zuwan‐ derung, Inflation und Drogenkonsum gewidmet. Beide Darstellungen sind nicht völlig falsch, sie sind jedoch einseitig und überzogen. Auf Deutschland übertragen bedeutet dies, sich vorzustellen, ein oder zwei Stunden durch das Frankfurter Bahnhofsviertel im Frühsommer des Jahres 2024 zu spazieren, die Eindrücke zu notieren und sich daraus ein Deutschlandbild gemacht zu haben. Richtig ist, dass sich China in einer Wirtschaftskrise befindet, die in etwa dem Zustand der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 1990er Jahre, nach Beendigung des „Einheitsbooms“, entspricht. Nach 40 Jahren Wachstum bekommen die weniger guten Absolventen der Universitäten nicht die Jobs, die ihnen noch wenige Jahre zuvor vorschwebten und die Eintrittsgehälter sind zumeist auf einem Niveau, das ein materiell nur sehr bescheidenes Leben ermöglicht. Chinas Staatsführer Xi Jinping 2 selbst hat dies im Herbst 2023 derart auf den Punkt gebracht, dass die Jugend lernen müsse „Bit‐ Vorwort 9 3 Eine Diskussion, die in Deutschland bezüglich der sogenannten Generation Z übrigens inhaltlich ähnlich geführt wird (nur eben nicht von der Regierung). 4 Zitiert nach [5]. Nicholas Burns, Botschafter der USA in der VR China, informierte im Herbst 2023 das State Department, dass man überhaupt nicht mehr wisse, was in China vor sich gehe. China ist hier im Vorteil: Obwohl auch die Zahl der chinesischen Studierenden in den USA seit 2020/ 2021 stark rückläufig ist, studieren immer noch mehr als 200.000 Chinesen in den USA (Stand Frühjahr 2024). terkeit zu essen“. Er gebraucht hier einen sprachlichen Ausdruck, den wir verstehen, so aber nie verwenden würden. Dabei geht es prinzipiell um den mit der inzwischen beendeten Ein-Kind-Politik verbundenen sich anbahnenden Generationenkonflikt und die psychische Belastbarkeit der Wohlstandskinder, 3 deren Existenz den wohl höchsten Preis für den wirt‐ schaftlichen Aufschwung der vergangenen vier Jahrzehnte darstellt. Dass diese Übergangsphase kommen musste, war jedermann, der sich mit China beschäftigte, klar. Respekt (den China aus dem Westen nicht hinreichend erhielt und in absehbarer Zeit auch nicht erhalten wird) verdient aber die Tatsache, dass der Wachstumsprozess so lange und ohne echte Turbulenzen vonstatten ging. Mitte 2023 waren nicht einmal mehr 400 Studenten aus den USA in China erfasst, davon mehr als die Hälfte in Peking. 4 Ursächlich für den Rückgang der US-Studenten in China waren dabei die schlechte Presse Chinas in den USA - junge Amerikaner sehen es in der Gegenwart offensichtlich als karriereschädigend an, in China zu studieren - als auch die restrikti‐ ven Maßnahmen der chinesischen Behörden während der Corona-Krise. Wie in einer gescheiterten Ehe gab es nicht den allein Schuldigen, beide Supermächte bzw. ihre Entscheidungsträger haben ihren Anteil an der wechselseitigen Entfremdung. Einige Führer der USA und Chinas haben aber inzwischen offensichtlich verstanden, dass die Sprachlosigkeit auf beiden Seiten überwunden werden muss, eine Erkenntnis, die sich in der deutschen Politik Mitte 2024 offensichtlich noch nicht durchgesetzt hat. Offensichtlich hat noch nicht einmal der Versuch stattgefunden, laut darüber nachzudenken, ob ein geschwächtes China für uns gefährlicher ist als ein stabiles China (wenn man schon der Meinung ist, dass China eine Gefahr für den Westen darstellt). Dazu müsste man aber etwas über China wissen. Ich habe mehr als die Hälfte meines Berufslebens im Ausland verbracht. Seit 2002 bin ich regelmäßiger Gast an verschiedenen Universitäten Shanghais, an denen ich insgesamt ca. vier Jahre tätig war. Ich denke somit, die Grund‐ linien chinesischen politischen Denkens - die die chinesische Führung offen 10 Vorwort kommuniziert - gut genug zu verstehen, um diese hinreichend präzise und verständlich erläutern zu können. Meine Überlegungen zu China, die ich Ihnen hier darlege, sind aus mehr als 20 Jahren Arbeiten und Leben mit chinesischen Kollegen, von denen einige enge Freunde wurden, gestützt. Ebensolange bin ich häufig in den USA und verfolge somit die Entwicklung der „US-amerikanischen Sicht auf China“. China ist ungeheuer divers und Shanghai ist damit ebensowenig reprä‐ sentativ für China wie New York für die USA. Auch sind meine chinesischen Freunde und Kollegen auschließlich gebildete und wohlhabende Menschen. Nichtsdestotrotz leben wir physisch miteinander: an Wochenenden in Shanghai fahre ich zu „meiner chinesischen Familie“: Dort versucht man wie wir, einigermaßen anständig durchs Leben zu kommen und vor allem den Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Im vorletzten Kapitel dieses Buches lesen Sie einen Gastbeitrag. Eine Chinesin, die mit einem Deutschen verheiratet ist, mit dem sie gemeinsam drei Kinder hat, berichtet dort von den besonderen Freuden und Schwierigkeiten in einer deutsch-chinesischen Familie. Zu jeder Teildisziplin der chinesischen Gesellschaft, Philosophie und Geschichte existieren umfangreiche Fachbücher, die jedes für sich für die Komplexität der Materie stehen und die für die Tiefen(aus)bildung verfasst wurden. Unbestreitbare Vorteile des hier verwendeten Monografie-Forma‐ tes sind die Konzentration auf das (subjektiv) Wesentliche und der Zwang, verständlich zu schreiben. Neben klassischen Argumentationslinien werde ich deshalb eigene Beobachtungen und Erlebnisse einstreuen. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, werden nachrangigen Aussagen, die fast immer durch wenig aufwendige Recherchen verifiziert werden können, keine Quellen zugeordnet, ebenso wird auf ein Glossar sowie Sach-, Namens- und Abürzungsverzeichnisse verzichtet. Sie finden im Text und im Anhang aber zahlreiche Literaturhinweise. Dabei wird Ihnen auffallen, dass viele dieser Quellen - Gutes muss nicht neu sein - relativ alt sind. Insbesondere habe ich mich bemüht, so selten wie möglich chinesische Dynastien und chinesischen Namen zu nennen (ohne geht es natürlich nicht! ), da dies den nichtgeschulten Leser im Allgemeinen verwirrt und mitunter sogar zum Leseabbruch führt. Tatsächlich hoffe ich, Sie, verehrte Leserin oder verehrter Leser, mit diesem kurzen Text zu China zum Nachdenken über sich selbst, unsere Gesellschaft bzw. eine Gesellschaft, in der Sie bzw. wir leben möchten, anzuregen. Dabei dürfen wir eines nie aus den Augen verlieren: Unser Vorwort 11 Wohlstand wird weiter auf Gedeih und Verderb von unserer Bildung, und damit sind explizit nicht nur fachliche Aspekte gemeint, und unserer Fähigkeit, wertschöpfend zu arbeiten, abhängen. Anders ausgedrückt: Die Zukunft Deutschlands wird primär an seinen Schulen und Hochschulen entschieden. Uns fehlt es in vielerlei Hinsicht an Wissen, und dieses wie‐ derum ist notwendige Voraussetzung, um unsere Interessen zu verstehen und im Anschluss artikulieren zu können. Dass der Erwerb von Wissen Freude bereiten zugleich und „Hunger auf mehr“ machen kann liegt in der Natur der Sache. Wenn Sie dieses Buch zum Weiterfragen, Lesen und Reisen motivieren sollte, hat es seinen Zweck erfüllt. Dass einzelne Argumentationen Teilen aus meinem deutlich umfangrei‐ cheren Buch „Herausforderungen der Wirtschaftspolitik“ [4], das in 2. Auflage im Jahr 2022 bei utb erschienen ist, ähneln, liegt ebenfalls in der Natur der Sache. China steht dort implizit immer als ein gesellschaftliches „Gegenmodell“ im Raum. Auch formal gibt es eine Kontinuität, indem ich in diesem Text jedem Kapitel einen Exkurs nachgestellt habe. Unverändert bleibt meine Überzeugung, dass wir (noch) in der für uns besten aller Welten leben. Ich danke Iris Bockholt, Rolf Drees, Andreas Ebert, Frederik Hill, David Kantel, Jacob Kleinow, Louis Aaron König, Verena Lindow, Jörn Manz, Finja Lene Probandt, Junhua Tang, Frank Witt und Haifeng Zendeh für Ihre Anmerkungen und Korrekturen des Rohmanuskripts. Es bleibt zu sagen, dass alle inhaltlichen Fehler oder Unkorrektheiten allein mir zuzuschreiben sind. Rostock, im Juli 2024 12 Vorwort 5 Im Folgenden verwende ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum. 1 Auftakt Stellen wir uns einen zwanzigjährigen Leser 5 , vielleicht Sie selbst, vor, der dieses oder auch ein anderes Buch in die Hand nimmt. Sie sind ein noch teilweise unbeschriebenes Blatt, Sie eint mit Gleichaltrigen, dass Sie vermutlich vor Kurzem das Abitur abgelegt haben, auch wenn Sie auf unterschiedliche Weise, auf einer Waldorf-Schule, einem klassischen Gymnasium oder einem Wirtschaftsgymnasium, darauf vorbereitet wurden. Sie denken also „ähnlich“ bzw. Sie sind ähnlich konditioniert. Wenn Sie sich weitere 20 Jahre später mit Ihren ehemaligen Klassenkameraden treffen, sitzen u. a. Juristen, Ärzte, Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler und Naturwissenschaftler am Tisch. Wenn Sie dann das Terrain der Jugendge‐ schichten verlassen und sich Gesellschaft und Politik zuwenden, könnten Sie feststellen, dass es berufliche Besonderheiten gibt, die die Art der Menschen, die Welt zu betrachten, prägen. Anders ausgedrückt. Ein Mathematiker hat im Allgemeinen eine andere Art, Probleme zu analysieren und zu lösen bzw. „durchs Leben zu gehen“ als ein Jurist. Wir sind gewohnt, Entscheidungen zu treffen, ohne jedes Mal die Vor‐ aussetzungen zu hinterfragen. Ein Großteil unseres Verhaltens basiert auf der Art, wie wir konditioniert sind bzw. auf Konventionen, die sich im Laufe der Zeit ändern können (z. B. Damen den Vortritt lassen, ihnen in den Mantel helfen, Gendern, usw.) oder die sehr zeitstabil sind (Rechtsverkehr auf dem europäischen Kontinent, in weiten Teilen von Festlandasien und auf dem amerikanischen Doppelkontinent, Linksverkehr in Großbritannien, Indien, Thailand, Australien, Japan und Neuseeland). In keinem dieser Fälle handelt es sich um Naturgesetze, sondern um verbindliche Regeln, die in einer Gesellschaft existieren und eingehalten werden, um das Leben der Menschen berechenbarer zu gestalten. Je mehr Menschen auf engem Raum leben, umso wichtiger werden funktionierende Regeln und deren Einhaltung, um Ordnung zu bewahren. Konventionen sind kein Wissen. Im Allgemeinen glauben wir auch viel mehr zu wissen, als dass dies tatsächlich der Fall ist. Wir leben zudem - zumeist gut - mit Theorien, ohne uns daran zu erinnern, dass es Theo‐ 6 Das erste Papiergeld wurde in China vor etwas mehr als 1.000 Jahren in der späten Tang-Dynaste (618 - 907) erfunden und in der Song-Dynastie (960 - 1279) popularisiert. rien sind. Grundsätzlich wissen wir, dass einige der Theorien, mit denen wir hantieren, falsch sind. Wir wissen nur nicht welche. Über hunderte Jahre waren auch die klügsten Menschen ihrer Zeit davon überzeugt, dass Phlogiston, ein Feuerstoff, existiere, der aus brennbaren Körpern bei der Verbrennung entweicht sowie bei Erwärmung in sie eindringt. Es war schließlich der französische Chemiker Antoine de Lavoisier (1743 - 1794), der am Ende des 18. Jahrhunderts Gewichtsveränderungen verschiedener Stoffe bei Oxidation und Reduktion untersuchte und entdeckte, dass das Element Sauerstoff dabei die entscheidende Rolle spielte. Etwas, was sehr lange als gesichertes Wissen angesehen wurde, war quasi über Nacht widerlegt. Wenn Sie nun ob der Unwissenheit unserer Vorfahren die Achseln zucken, so ist das etwas voreilig. Bewegen wir uns fast in die Gegenwart: Jahrzehnte haben Studenten der Wirtschaftswissenschaften und Ingenieure und Juristen im Nebenfach gelernt, dass Geld drei Funktionen erfüllt, näm‐ lich die des allgemeinen Tauschmittels, der Rechnungsweseneinheit und des Wertaufbewahrungsmittels. Der Ursprung des Geldes wird über zwei Personen illustriert, die üblicherweise Männer sind. Einer stellt nun z. B. Schuhe und der andere Mann Tische her. Leider braucht der Tischler nicht immer Schuhe, wenn er einen Tisch fertiggestellt hat und umgekehrt, zudem ist das Austauschverhältnis von Tischen und Schuhen nicht geklärt. Dann fällt plötzlich Geld vom Himmel und die Menschen beginnen zu produzieren und zu konsumieren. Alles war theoretisch in zufriedenstellender Ordnung, der Ursprung des Geldes in seiner Eigenschaft als allgemeines Tauschmittel dargestellt: bis der inzwischen verstorbene amerikanische Anthropologe David Graeber (1961 - 2020) in seinem im Jahre 2011 erschienenen Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ [6] einem breiten Publikum darlegte, dass der Ursprung des Geldes in seiner Eigenschaft als Rechnungswesen‐ einheit liegt. Graeber beginnt seine Argumentation mit der übrigens leicht beobachtbaren Tatsache, dass bisher kein physisches Geld, d. h. Münzen, 6 gefunden wurde, das älter ist als 2.800 Jahre, Zeugnisse menschlicher Zivili‐ sationen wie die ägyptischen Pyramiden aber 2.000 Jahre oder noch deutlich früher entstanden. Dies ist insbesondere deshalb interessant, als die ältesten 14 1 Auftakt 7 Vgl. zum Beispiel Kapitel 10 in Noah Yuval Hararis sehr lesenswerten populärwissen‐ schaftlichen Buch „Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit“. [7] Keilschrifttexte fast ausschließlich Buchhaltung widerspiegeln. 7 Münzgeld erschien dann in historischen Dimensionen fast zugleich in Griechenland, Nordindien und in China. [8] Um es kurz zu machen: Die Theorie, dass der Ursprung des Geldes in seiner Eigenschaft als Tauschmittel liegt, erwies sich als offensichtlich falsch. Irrelevant ist das nicht, es liegt in unseren geldbasierten Gesellschaften sehr wohl in unserem Interesse zu verstehen, wo das Geld herkommt bzw. wie es entstand. Erkenntnis kann auf unterschiedliche Arten entstehen: Die Philosophen Immanuel Kant (1724 - 1804) und Karl Marx (1818 - 1883) arbeiteten fast ausschließlich am Schreibtisch; Kant verließ Zeit seines Lebens nicht einmal seine Geburtsstadt Königsberg. Nichtsdestotrotz war er einer der wirkmäch‐ tigsten Denker der Neuzeit. Am anderen Extrem: Dem zweieinhalbfachen Weltumsegler James Cook (1728 - 1779) verdanken wir nicht nur zahlreiche geographische Entdeckungen im Pazifik, sondern auch Erkenntnisse, wie der Seefahrerkrankheit Skorbut begegnet werden konnte. Charles Darwin (1809 - 1882) umrundete ebenfalls die Erde per Schiff, bevor er seine Evolutionstheorie entwickelte. Tatsächlich waren aber Marx und Kant keine reinen „Schreibtischdenker“; Marx profitierte von den Beobachtungen und Erkenntnissen des Kapitalisten Friedrich Engels (1820 - 1895) und Immanuel Kant korrespondierte mit vielen namhaften Naturwissenschaftlern seiner Zeit. Er war wissenschaftlich auf der Höhe seiner Zeit! Der Kant zugesprochene Ausspruch „Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind.“ ist nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch für das hinreichende Verständnis fremder Kulturen richtig. Wir sollten also zunächst beobachten (oder auf vertrauenswürdige Beobachtungen abstellen) und Fragen stellen, bevor wir zu Wertaussagen kommen. Wenn wir uns also fremden Kulturen zuwenden, so erkennen wir, dass diese auf Konventionen beruhen, die wir oft nicht oder nicht hinreichend verstehen (von Verinnerlichung ist hier überhaupt nicht die Rede). Die auf den ersten Blick wichtigste Konvention in China, die für fast alle Europäer und Amerikaner eine quasi unüberwindbare Barriere darstellt, ist die Verständigung über die chinesische Schrift. Es gibt derart viele Zeichen, dass auch der gebildetste Chinese mitunter mit Schriftzeichen konfrontiert wird, die er nicht kennt, anderseits verwendet er im Mündlichen mitunter 1 Auftakt 15 8 Im Aufsatz „The Effect of Language on Economic Behavior: Evidence from Savings Rates, Health Behaviors, and Retirement Assets“ (2013) zeigt M. Keith Chen auch, dass die Deutschen und die Chinesen zu den Völkern mit den höchsten Sparraten gehören. Er vermutet, dass das daran liegt, weil die Zukunft so „näher“ an der Gegenwart sei. [9] Worte, für die er das Schriftzeichen nicht kennt. Dies sind Erfahrungen, die uns im Westen völlig fremd sind! Wenn Sie der Argumentation folgen, dass deutsche Juristen in bestimmten Lebenssituationen grundsätzlich anders „ticken“ als deutsche Mathematiker, sollten Sie rasch zugestehen können, dass das Erlernen einer Zeichenschrift Menschen anders prägt als das Erlernen einer Schriftsprache, die auf sechs‐ undzwanzig Buchstaben und einigen zusätzlichen Sonderzeichen beruht. Beachten Sie bereits hier, dass es keine Schriftsprache gibt, die dem Chinesi‐ schen bezüglich Eindeutigkeit überlegen ist. Im Deutschen sind wir übrigens gewohnt, die Zukunft durch die Gegenwart auszudrücken. Auch das ist eine Konvention, die wir mit sehr wenigen Sprachen, eine der wenigen ist tatsächlich das Chinesische, gemeinsam haben. In den meisten Sprachen ist das anders, wenn Sie also z. B. auf Englisch sagen „Tomorrow I fly home“, würde man Sie verstehen. Das ist aber grammatisch falsch oder mindestens schlechtes Englisch. 8 Um also zu verstehen, warum viele Dinge in China anders sind als bei uns, müssen wir uns neben Wirtschaft und Politik mit Geschichte und mit Philo‐ sophie beschäftigen. Hinter dem im Westen in den vergangenen Jahrzehnten propagierten Konzept des Wandels durch Annäherung steht bzw. stand die implizite Annahme, dass das westliche System dem chinesischen (wie auch allen anderen, die sich uns durch Handel annähern sollten) überlegen sei. Dass die Mehrheit der Chinesen mit „freiheitlichen Werten“ wenig anfangen kann, wie in zahlreichen westlichen Medien dauerhaft behauptet, bezweifle ich in dieser Pauschalität. Reisefreiheit und die Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern, sind positiv konnotiert, die Freiheit, öffentlich Bücher zu verbrennen und Drogen zu konsumieren oder auch nur Häuserwände zu beschmieren sind es allerdings nicht. Während der Westen noch vor 20 Jahren in vieler Hinsicht als Vorbild angesehen wurde, hat sich sein Bild in China langsam, aber stetig eingetrübt. Das Gesamtkonzept des heu‐ tigen Westens wird meines Erachtens von der überwältigenden Mehrheit der Chinesen, und dazu gehören auch meine gebildeten und weltoffenen Shanghaier Freunde und Kollegen, nicht als wünschenswert oder überlegen anerkannt. 16 1 Auftakt Mit Bezug auf China wird bei uns zudem ignoriert, dass ein substanzieller Teil des derzeitigen deutschen Wohlstandes mit Chinas Wiederaufstieg ver‐ bunden ist, und hier reden wir keinesfalls nur über die Gehälter in Wolfsburg oder Ludwigshafen, die ohne die China-Aktivitäten von Volkswagen und der BASF deutlich geringer ausfallen würden. Der ehemalige BASF-Chef Martin Brudermüller stellte Ende 2023 zum wiederholten Male fest, dass nicht nur chinesische Windkraftanlagen und Elektroautos inzwischen besser und billiger seien als ihre westlichen Konkurrenzprodukte. [10] Nicht nur hier täte uns etwas Bescheidenheit gut. 1 Auftakt 17 9 Um das Jahr 150 n. Chr. lebten jeweils etwa 50 Millionen Menschern im Römischen Reich und im China der Han-Dynastie und damit in beiden Reichen zusammen die Hälfte aller Menschen weltweit. 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen Vor 2.000 Jahren existierten zwei Weltreiche, das Römische im Westen und das Chinesische der Han-Dynastie im Osten. 9 Beide Reiche wurden von einem Kaiser, also einem Herrscher über einen wesentlichen Teil des Erdballs, angeführt. Die römisch-chinesischen Beziehungen, wenn man sie so nennen will, waren indirekter Natur. Zwischen der Ostgrenze des römischen Reiches im heutigen Syrien und der Westgrenze des Han-Reiches lagen mehr als 4.000 km: Zwischen den Großreichen befanden sich weitere starke Reiche wie die Parther und die Sassaniden, wichtiger aber noch sind geographische Barrieren wie Wüsten und Hochgebirge, die einem direkten Kontakt entgegen standen. Über die westlichen Ausläufer der historischen Seidenstraße (vgl. Abschnitt 7.3) erreichten einige wenige Luxusgüter aus China Europa und in die Gegenrichtung gelangten Münzen sowie offen‐ sichtlich auch einige private Reisende nach China. In beiden Reichen wusste man von der Existenz des jeweils anderen. Das wechselseitige Interesse war aber gering; man war sich jeweils groß genug. Über die Zeit in Mittel- und Westeuropa nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches wissen wir relativ wenig. Europa begann erst ab dem späten 12. Jahrhundert langsam wieder zu erwachen. Es waren die Berichte von Marco Polo aus dem „Zivilisationswunderland“ China, dessen Kaiser Kublai-Khan (1215 - 1294) aus der mongolischen Yuan-Dynastie und einer der eindrucksvollsten Führer der chinesischen Geschichte die Europäer über die folgenden Jahrhunderte inspirierte. Im Zuge der großen geographischen Entdeckungsreisen - Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung und Erreichen Indiens durch Vasco da Gama sowie die Weltumsegelung durch Fernando Magellan - dau‐ erte es nicht lange, bis erste christliche Missionare in Ost- und Südostasien auftauchten. In China unter der damals herrschenden Ming-Dynastie (1368 10 Jesuiten sind die Mitglieder der katholischen Ordensgemeinschaft „Gesellschaft Jesu“. An jesuitischen Bildungsstätten wurde bereits im 16. Jahrhundert neben Theologie auch Mathematik, Physik und Astronomie gelehrt. 11 Die endgültige Bestätigung erfolgte durch Papst Benedikt XIV. im Jahre 1742. 12 Historiker sind sich weitgehend einig, dass die „deutschen Lande“ von 1618 - 1648 etwa 40 % ihrer Bevölkerung verloren, wobei ‚verloren‘ ein Euphemismus für elendig zugrunde gingen ist. - 1644) waren die Reisenden zunächst willkommen. Der Jesuit 10 Matteo Ricci (1562 - 1610) arbeitete sich durch seine technische Expertise ab 1585 in Kanton (heute Guangzhou) nach oben und wurde schließlich zu einem der wichtigsten Berater des Kaisers. Sein Ansehen soll so groß gewesen sein, dass der Kaiser bei seinem Tod 300 Glocken läuten ließ. Die „Methode“ der Jesuiten - Akkomodation genannt - war so einfach wie erfolgreich: Sie versuchten, sich die Sitten, Denkweisen und natürlich die Sprachen ihrer Gastländer zu Eigen zu machen und deren Mentalität und Kultur nicht zuwider zu handeln. In China wollten die Jesuiten den Menschen, die zum katholischen Glauben konvertierten, ihre alten konfu‐ zianischen Riten belassen. Es gab eine lange Diskussion mit der Kurie in Rom, bis schließlich die konfuzianischen Riten für Katholiken verboten wurden: entweder - oder. Der sogenannte Ritenstreit endete mit dem Verbot der chinesischen Bräuche für Katholiken im Jahr 1704 durch Papst Clemens XI. 11 Als Folge verbot der Qing-Kaiser Yongzheng (1678 - 1735) im Jahre 1724 das Christentum in China und das westliche Chinabild begann sich von nun an langsam einzutrüben. Anders ausgedrückt: Das Papsttum bzw. synonym der Westen hat hier durch Unwissen gepaart mit Überheblichkeit eine einmalige Chance verpasst. Die amerikanische Kommunistin Pearl S. Buck (1892 - 1973) hat den gleichen Fehler ein zweites Mal nach der Gründung der Volksrepublik China erkannt: Der Westen habe China niemals verloren, er habe sich nur unsinnigerweise von ihm losgesagt. [11] 2.1 Von der Aufklärung in die Gegenwart Gottfried Wilhelm Leibniz war der erste westliche Denker von Rang, der verstand, dass es zu seinen Lebzeiten mit China eine zweite Hochkultur auf Erden gab. Leibniz war wesentlich durch die Auswirkungen des Drei‐ ßigjährigen Krieges, an dessen Ende er geboren wurde und der Deutschland im Zustand der Zerstörung hinterließ, geprägt. 12 Vergleichbare Zweifel an der Überlegenheit der christlichen bzw. westlichen Zivilisation kamen erst 20 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 13 Als Beginn des langsamen Niedergangs Chinas wird zumeist bereits das Jahr 1750 angesehen. wieder während und nach dem I. Weltkrieg auf, an dessen Ende mit dem Deutschen Kaiserreich, dem Russischen Zarenreich, der Österreich-Ungari‐ schen Doppelmonarchie und dem Osmanischen Reich vier Reiche kollabier‐ ten. Etwa 17 Millionen Menschan waren am Ende des Großen Krieges tot, Millionen schwerverwundet und weite Teile Europas unter Verwendung von Giftgas und weiteren Errungenschaften der modernen Technologie wie Panzern und Flugzeugen in Schutt und Asche gelegt. Die Verheerungen nahmen mit Ende des Weltkriegs kein Ende: ein kleiner Bürgerkrieg in Deutschland gefolgt von einer Hyperinflation, ein großer in Russland, das danach in der Sowjetunion aufging, die Spanische Grippe überall. Erstmalig waren die Zweifler an Fortschritt bzw. der Überlegenheit des Westens in Europa und Asien zu finden. Hungersnöte und Bürgerkriege gab es auch in der chinesischen Ge‐ schichte zuhauf; der Beginn der Qing-Dynastie war indes durch die drei großen Kaiser Kangxi, Yongzhen und Qianlong geprägt, die zusammen 138 Jahre regierten. China erreichte nicht nur seine geographisch größte Ausdehnung, es prosperierte. Jeder dritte Erdenbürger war im Jahre 1800 Chinese. Die Regierungszeit des Kaisers Qianlong (1711 - 1799) war einerseits der Höhepunkt chinesischer Macht, anderseits Beginn eines schleichenden Niedergangs. 13 Der Ausgang der berühmt gewordenen Macartney-Mission im Jahre 1793 spielte dabei eine entscheidende Rolle. Als das englische Königreich Handel unter Gleichen suchte, antwortete der Sohn des Himmels an König George III. über dessen Abgesandten Lord Macartney „Wir, durch die Gnade des Himmels Kaiser, belehren den König von England, unsere An‐ klage zur Kenntnis zu nehmen: Das Himmlische Reich, das alles beherrscht, was zwischen vier Meeren liegt … schätzt keine seltenen und kostbaren Dinge … auch haben wir nicht den geringsten Bedarf an Manufakturen Eures Landes. … Daher haben wir Euren Tributgesandten befohlen, sicher nach Hause zurückzukehren. Ihr, o König, sollt einfach in Einklang mit unseren Wünschen handeln, indem Ihr Euere Loyalität stärkt und ewigen Gehorsam schwört.“ [12] China war das „Reich der Mitte“ (zhong guo), um es herum nur niedriger entwickelte Völker (Barbaren). Die zweite mindestens ebenso selbstbewußte etwa 3.000 Jahre alte Bezeichnung für China, die auch heute noch verwendet wird, lautet „Alles unter dem Himmel“ (tian xia). 2.1 Von der Aufklärung in die Gegenwart 21 14 Zu den weniger bekannten Ungleichen Verträgen zählen der Vertrag von Aigun (1858) und der Vertrag von Peking (1860) zwischen Russland und China. Die Stadt Wladiwos‐ tok (wörtlich: Beherrsche den Osten) wurde offiziell gegründet, nachdem das Gebiet durch den Vertrag von Peking von China an Russland abgetreten worden war. 15 Wenn Ihnen diese Formulierung bekannt vorkommt, ist das im Sinne des Erzählflusses. Dies war die Devise Frankreichs nach dem 1870 gegen Preußen verlorenen Krieg, der mit dem Verlust Elsass-Lohringens an das nun vereinigte Deutschland endete. 16 Ich habe an anderer Stelle bereits geschrieben, dass mir ein gebildeter chinesischer Kollege vor ca. 20 Jahren versicherte, dass Sibirien in 100 Jahren (wieder) chinesisch sein werde. Etwa vier Jahrzehnte nach Lord Macartneys Abreise begannen mit dem ersten Opiumkrieg die hundert verlorenen Jahre, die auf Chinesisch „das Jahrhundert der Scham“ heißen und die erst mit der Proklamation der VR China durch Mao Zedong im Jahre 1949 beendet wurden. England kaufte zunächst aber weiter Tee in China und bezahlte mit Silber: Bis in die 1830er Jahre. Dann begannen die Engländer im großen Stil Opium aus ihrer Kron‐ kolonie Indien nach China zu verschiffen, das dort, im Gegensatz zu anderen Ländern, nicht gegessen oder getrunken, sondern geraucht wurde und damit eine ungleich stärkere Wirkung hatte. 1839 erklärte Kaiser Daoguang dem Opiumhandel, der zur Paralysierung weiter Teile Südchinas führte, den Krieg. Schlussendlich entsandte der Premierminister des Vereinigten Königreichs Lord Melbourne (der Namensgeber der heutigen australischen Großstadt) eine Flotte nach China, die Kanton (Guangzhou) in kurzer Zeit in viele kleine Teile zerschoss. Folgen wir Ian Morris, einem der sprach- und wirkmächtigsten lebenden Historiker: „Es war kein rühmlicher Tag für das Vereinigte Königreich. … Es war ungefähr so, als würde das Drogenkartell von Tijuana die mexikanische Regierung dazu bringen, als Vergeltung für einen Schlag der US-Behörde zur Drogenbekämpfung eine schwer bewaff‐ nete, um sich schießende Truppe, nach San Diego zu schicken und vom Weißen Haus zu verlangen, dass es den Drogenbaronen den Verkaufswert des beschlagnahmten Kokains (plus Zinsen und Transportkosten) ersetzt und überdies die Kosten der Militäraktion übernimmt.“ [13] Als Folge des 1. Opiumkrieges (1839 - 1842) griffen Opiumsucht und Sittenverfall um sich und das Chinesische Reich verfiel, wenn auch langsam. Nun stürzten sich alle westlichen Mächte inklusive Japan auf China. Eine Sonderrolle spielte Russland, das in zwei Kriegen, beide immerhin fast ohne Tote, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa eine Million Quadratkilometer aus dem Norden Chinas riss. 14 Bis heute gilt in China: Darüber sprechen, nie, daran denken immer. 15, 16 Auch wenn Russland und 22 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 17 Der Begriff bzw. das rassistische Konzept der gelben Gefahr wird oft mit den Nazis assoziiert. Tatsächlich wurde er bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland fast parallel „kreiert“. Unterschlagen wird oft, dass in den 1970er und frühen 1980er Jahren in Westdeutschland und den USA - fast sicher als Antwort auf die „Mao-Bibel“ schwenkenden Studenten - oft mit Bezug auf Mao Zedongs China von einer gelben Gefahr gesprochen wurde. Die „gelbe Gefahr“ kam nicht allein aus China: Ende der 1980er Jahre wurde im Westen vielfach davon ausgegangen bzw. befürchtet, vom viel kleineren Japan abgehängt zu werden. China sich regelmäßig ihrer Freundschaft versichern, hat China auch noch mit Russland „historische Rechnungen“ offen und die russische Regierung weiß das. Machen wir einen Sprung in Richtung Gegenwart: Nach einer langen Anlaufphase seit Beginn der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zahl‐ reicher westlicher Staaten mit China in den 1970er Jahren - eine schöne Referenz zur „Tischtennisdiplomatie“ finden Sie in dem Film „Forrest Gump“ aus dem Jahre 1994 - erschien China Ende der 1990er Jahre langsam im kollektiven Bewusstsein des Westens. Bewunderung für die Aufbauleistung mischten sich bereits mit unseligen Referenzen an eine gelbe Gefahr. 17 Im Unterschied zu den Leitprintmedien in Großbritannien, Frankreich und den USA zeichnen sich wichtige Vertreter der deutschen Presse durch eine besondere Gehässigkeit oder Herabsetzung Chinas aus. Relativierend, wenn das Wort hier passend erscheint, kann allenfalls angefügt werden, dass diese besondere Bösartigkeit nicht auf China beschränkt ist, sondern unter anderem auch vor den gewählten Präsidenten der USA George W. Bush und Donald Trump nicht Halt machte. Abb. 2.1 zeigt vier Titelblätter des SPIEGEL (die hier gewählt wurden, weil der SPIEGEL seit Jahrzehnten das meinungsbildenste deutsche Print‐ medium ist) zu Industriespionage, Chinas Revolutionsführer Mao Zedong, den Olympischen Spielen im Jahr 2008 und dem Covid19-Ausbruch Anfang 2020, die fraglos durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind, bei denen man aber nicht Chinese sein muss, um diese als unsachlich, herabsetzend und persönlich verletzend zu empfinden. 2.1 Von der Aufklärung in die Gegenwart 23 18 Die klassische chinesische Denkweise geht in die entgegengesetzte Richtung. Man sollte mit dem Gemeinsamen beginnen, um das Trennende dann auf einer breiteren Basis klären zu können. 19 Das erste Schriftsystem in China existierte bereits vor ca. 3.250 Jahren unter der Shang-Dy‐ nastie und es umfasste mehr als 5.000 Zeichen. [18] Abb. 2.1: SPIEGEL-Titelblätter 40/ 2005 [14], 35/ 2007 [15], 15/ 2008 [16] und 6/ 2020 [17] (SPIEGEL, 2005, 1. Oktober; SPIEGEL, 2007, 27. August; SPIEGEL, 2008, 7. April; SPIEGEL, 2020, 1. Februar) 2.2 Barriere No. 1! Die Sprache Wenn wir uns mit fremden Kulturen oder auch anderen Lebensweisen als der unseren beschäftigen, ist es meiner Erfahrung nach sinnvoll, zunächst auf Unterschiede einzugehen, um uns im Anschluss den Gemeinsamkeiten zuzuwenden. 18 So wie wir nicht als Europäer geboren wurden, sondern z.-B. als Dresdner in Sachsen in Deutschland zu Europäern werden können und nicht umgekehrt, können wir versuchen, so weit wie möglich qualitative Unterschiede zu verstehen, um im Anschluss besser zu erkennen, was uns eint; und das ist nicht nur, dass wir alle Menschen sind. Eine der fundamentalen Unterschiede zwischen dem Westen und China - mit tiefgehenden Auswirkungen - ist die Schriftsprache. Die chinesische Sprache verfügt, je nach Systematik, über 70.000 bis 100.000 verschiedene Zeichen, wobei die Mehrzahl der Zeichen äußerst selten verwendet wird. 19 Es gibt unterschiedliche Angaben, wieviele Zeichen zu Grundbzw. Durchschnittskenntnissen oder außergewöhnlichen Kenntnissen korrespondie‐ ren. In der VR China wurden im Jahre 1988 insgesamt 3.500 Zeichen für den erforderlichen Alltagsgebrauch festgelegt. Diese werden unterteilt in 2.000 „Alltagsschriftzeichen ersten Grades“ und 1.500 „Schriftzeichen für den Neben‐ 24 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 20 Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass 600 Zeichen bereits etwa 80 % der Kommunikation abdecken, 1.500 Zeichen korrespondieren zu 95 % und 2.400 Zeichen zu 99-%. Meine beiden gebildetsten chinesischen Kollegen, ein Ökonom und ein Mathematiker, schätzen ihre Kapazität auf etwa 10.000 bzw. 15.000 Zeichen. 21 Alle Sendungen des chinesischen Fernsehens sind mit Untertiteln versehen. 22 Die meisten gebildeten deutschsprachigen Zeitgenossen haben bei uns schon große Schwierigkeiten, Handschriften ihrer Urgroßeltern oder einen 100 Jahre alten Text in Frakturschrift zu lesen! 23 Unter Transkription versteht man das Umschreiben der Schriftzeichen einer Sprache in die Zeichen einer anderen Sprache unter Verwendung der Aussprache der Zielsprache (die im Normalfall die eigene Sprache ist). gebrauch“. 20 Interessant ist in diesem Zusammenhang etwas anderes: Wenn selbst die größten Schriftgelehrten nicht mehr als ca. 20.000 Zeichen beherrschen, so gibt es im Leben eines jeden, auch hochgebildeten Chinesen, immer wieder Momente, in denen ein Schriftzeichen nicht erkannt wird bzw. ein Wort nicht in ein Schriftzeichen übersetzt werden kann. Dies ist etwas grundsätzlich anderes, als wenn Sie z. B. einen Text über Quantenphysik oder Biochemie nicht verstehen, diesen aber vorlesen können. Es handelt sich somit um eine Erfahrung, die a priori nicht nur bescheiden macht, sondern um etwas, das wir Europäer oder Amerikaner (jedenfalls fast alle von uns mit Ausnahme derer, die eine ostasiatische Zeichensprache beherrschen) nicht kennen können. Die geschriebene Sprache war und ist das historisch einigende Band Chinas: Während die meisten Chinesen auch heute nicht einmal den Dialekt ihres Nachbarortes verstehen 21 , sind gebildete Menschen, wenn auch mit gewissen Mühen, in der Lage, Texte, die 2.500 Jahre alt sind, zu lesen. 22 Zu beachten ist, dass Kantonesisch und Mandarin (der Dialekt der Haup‐ stadt Peking, der zum Standard für Gesamtchina erklärt wurde) selbst für ungeschulte Fremde unterschiedlich klingen und somit unterschiedliche Transkriptionsanforderungen stellen. 23 Die wichtigsten englisch basierten Umschriften des Chinesischen sind das in der VR China verwendete Pinyin und die ältere, in Taiwan verwendete, Umschrift nach Wade Giles, die zwischen 1912 und 1921 entwickelt wurde. Auch gibt es Transkriptionssysteme ins Russische, Arabische und Persische. Im Jahre 1949 wurde in der VR China das sogenannte Simplified Chinese und 1955 die Lautumschrift Pinyin eingeführt: Dabei wurden zahlreiche Zeichen vereinfacht. Zum Beispiel wurde das alte Zeichen für Pferd (ma) 馬 zu 马 „vereinfacht“. In diesem Fall muss man schon genau hinschauen, um die Äquivalenz beider Zeichen zu erkennen. Etwas besser geht dies z. B. bei den Zeichen für Reis (mifan): aus- 米飯 wurde 米 饭 . 2.2 Barriere No. 1! Die Sprache 25 24 Ein interessantes Interview gab Zhou drei Jahre vor seinem Tod dem SPIEGEl. [21] 25 Eine auf Pinyin fußende Art, auf dem Computer Chinesisch zu schreiben, besteht darin, eine lateinische Buchstabenfolge einzutippen, und dann das passende Zeichen aus der Menge, die dazu korrespondiert, auszuwählen. Zunehmend verwendet werden Hand‐ schrifterkennungssysteme, bei denen mit einem Stift auf einem Bildschirm geschrieben wird. Vor der Ausrufung der VR China im Jahr 1949 war die überwiegende Mehrzahl der Chinesen Analphabeten; der wohlhabende Vater des Revolu‐ tionsführers Mao Zedong beherrschte Ende des 19. Jahrhunders ca. 200 Zeichen, die offensichtlich genügten, um kaufmännische Bücher zu führen. [19] Die Vereinfachung hatte primär das Ziel, das geschriebene Chinesisch bzw. den für das gewöhnliche Volk relevanten Teil einfacher erlernbar zu machen. So wurde die überwiegende Anzahl der Schriftzeichen (jedenfalls die meisten derer, die selten verwendet werden) nicht vereinfacht. [20] Umgesetzt wurde die Mammutaufgabe, eine passende Umschrift zu ent‐ wickeln - Mao Zedong bzw. Mao Tse Tung in Wade Giles Umschrift erwog offensichtlich zeitweise, das Zeichensystem ganz abzuschaffen, konnte sich der Legende nach aber nicht zwischen dem lateinischen und dem kyrilli‐ schen Alphabet entscheiden - durch den Schriftgelehrten Zhou Youguang, der 2017 im Alter von 111 Jahren verstarb. 24 Pinyin ist das heute verwendete Transkriptionssystem in der VR China, Singapur, Malaysia und bei den Vereinten Nationen; in Hongkong, Macao und Taiwan werden weiterhin die Wade Giles Umschrift und das klassische (non-simplified) Schriftchinesisch verwendet. Pinyin ist prinzipiell nur eine Um- oder Hilfsschrift, die u. a. Kindern beim Erlernen der Zeichen und beim Schreiben auf dem Computer hilft 25 ; wenn Sie aber in China nach dem Weg fragen und Ihre Zieladresse in Pinyin, d. h. in lateinischer Umschrift, zeigen, werden Sie oft Ratlosigkeit ernten. Verwandte Sprachen Das Japanische und das Koreanische sind „Derivate“ des Chinesischen und somit, bis auf Ausnahmen, von Chinesen teilweise lesbar, auch wenn sie, wie in den meisten Teilen Chinas auch, keinen Ton verstehen. Das einzige südostasiatische Land, das einmal eine auf dem Chinesi‐ schen basierende Zeichensprache hatte und diese mit Hilfe seiner damaligen Kolonialmacht Frankreich durch ein lateinisches Alphabet mit vielen Sonderzeichen ersetzte, ist Vietnam. 26 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 26 Auf Youtube findet man zahlreiche Beispiele und Minikurse. 27 Wenn in diesem Text die Pinyin-Umschrift verwendet wird, so geschieht dies ohne Betonungszeichen über den Vokalen. Das Chinesische war ursprünglich eine sogenannte einsilbige Sprache, das heißt, es bestand weitestgehend aus einsibigen Wörtern, die unveränderlich sind. Das moderne Hochchinesisch Mandarin verwendet heute neben ein‐ silbigen viele mehrsilbige Wörter. Verben werden im Chinesischen nicht konjugiert, Substantive nicht dekliniert. Dafür gibt es z. B. Endungen (Suf‐ fixe), die der Grundform angehängt werden, um eine Zeitform darzustellen. Wenn Sie Chinesisch lernen, so lernen Sie die zu den einzelnen Vokabeln gehörigen Zeichen. Da die Anzahl der Silben beschränkt ist, kann jede Silbe unterschiedlich betont werden. Mandarin hat vier Betonungen (s. u.), Kantonisch neun (deshalb klingt es für uns auch qualitativ anders). Im Mandarin gibt es die Varianten hoch gleichbleibend, hoch-tief-hoch, mit ansteigendem und mit fallendem Ton. 26 Mandarin verfügt über etwa 400 verschiedene Silben, von denen fast jede auf die vier verschiedenen Weisen ausgesprochen werden kann: Dies sei hier an einem Standardbeispiel illustriert, das Sie in vielen Anleitungen zur chinesischen Aussprache finden. Mutter (mā) Hanf-(má) Pferd (mǎ) Schimpfen (mà) 妈 麻 马 骂 Hoch gleichbleiben‐ der Ton Ansteigender Ton Erst fallend, dann steigender Ton Fallender Ton Praktisch gibt es noch einen fünften neutralen Ton (ohne Sonderzeichen); in unserem Fall z.-B. die zweite Silbe in Mama (māma) 妈妈 . Manche Silben können bis zu 50 Bedeutungen haben (ein Satz, den Sie immer wieder hören werden, ist, „Ja das klingt genauso, ist aber ein anderes Zeichen“.) Was eine auf ihre Art betonte Silbe bedeutet, ist also stark vom Umfeld bzw. Kontext abhängig. Was gemeint ist, ergibt sich durch die Verwendung von Hilfswörtern und aus der Stellung im Satzbau. Für diesen gelten nun strengere Regeln als in den indogermanischen Sprachen. 27 Das Chinesische ist ursprünglich aus einer Bildsprache entstanden und hat diesen Charakter teilweise bewahrt. Diese Schrift hat gegenüber unserer lateinischen Schrift den Vorteil, dass jemand, der die Bedeutung einzelner 2.2 Barriere No. 1! Die Sprache 27 28 Vgl. [23] Weitergehende gut verständliche Ausführungen zur chinesischen Sprache finden sich im Anhang von Charlotte Kerners Buch „Rote Sonne, roter Tiger“. Zeichen (wie übrigens die arabischen Ziffern 1, 2, 3, …) kennt, sie in seiner eigenen Sprache lesen kann. Dies erklärt, dass alte chinesische Texte von Kundigen aus aller Welt relativ einfach gelesen werden können. Inwieweit die Sprache die geistige Entwicklung determiniert hat und umgekehrt, ist nicht Gegenstand unserer Betrachtung. Es gibt aber offensichtlich einen Zusammenhang zwischen der chinesischen Schriftsprache und der Tatsa‐ che, dass sich im alten China keine Logik wie im antiken Griechenland entwickelte. [22] Übersetzungen aus dem Chinesischen von Prosa, philosophischen Texten und Lyrik sind viel schwieriger als innerhalb der europäischen Sprachfamilie (Schauen Sie sich spaßeshalber einmal an, wie die erste Seite von z. B. „Die Elenden“ von Victor Hugo oder „Anna Karenina“ von Lew Tolstoi in unterschiedlichen deutschen Übersetzungen beschaffen sind, um das Problem zu erahnen! ) Wenn Sie also verschiedene Übersetzungen von alten oder auch modernen chinesischen Gedichten vor sich liegen haben, kann es durchaus eine Weile dauern, bis Sie verstehen, dass es sich, wenn schon nicht um dasselbe, so doch um das „gleiche“ Gedicht handelt. Anders ausgedrückt: Wörtliche Übersetzungen vom Deutschen ins Chinesische und umgekehrt sind praktisch kaum möglich. Hier noch ein Nachtrag: Sie können, wie Milliarden Menschen (zumeist Chinesen) vor Ihnen, die chinesische Sprache erlernen, aber nicht nebenbei! Wie in der Mathematik und der Musik gilt: Je jünger Sie beim Start sind, umso besser. Ich habe mehrere sehr sprachtalentierte Europäer und Ameri‐ kaner kennengelernt, die erst im Alter von 18 oder 20 Jahren mit dem Chine‐ sischlernen begonnen hatten und nach einem Jahr Fremdsprachenunterricht (d. h. dann aber mindestens 10 Stunden pro Tag) wirklich gut Chinesisch gesprochen und geschrieben haben. Referenz für die Chinesischkenntnisse sind die HSK-Tests (Hanyu Shuiping Kaoshi): Ein bestandener HSK1 bestä‐ tigt Grundkenntnisse, HSK6 korrespondiert zur „hohen Schule“. 28 2.3 Barriere No. 2? Konfuzianische Tugenden Mit guten Gründen wird Konfuzius (chinesisch Kongzi oder Kong Zi), dessen Lebenszeit zumeist mit 551 v. Chr. - 479 v. Chr. angegeben wird, von vielen 28 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 29 Der Konfuzianismus wird oft auch als eine philosophische und ethische Lehre einge‐ ordnet. Ob er eine Religion war oder nicht, hängt von der Definition von Religion (ich kenne allein 17 Definitionen) ab. Weitgehend unbestritten ist, dass es Elemente des Konfuzianismus gibt, die religiösen Charakter haben, wie die Rituale der Ahnenvereh‐ rung und die Betonung des Himmels als moralische Kraft. Verschwunden sind die Riten, d. h. stark verkürzt, die vorgegebene Ordnung für die Durchführung von zeremoniellen Handlungen, die konstituierend für die Ausübung dieser „Religion“ war. Ein Ritus ist die Art und Weise, wie die Liturgie (im Christentum der Gottesdienst) gefeiert wird. Dieser Ritus ist für jede Religion oder auch für jede Kirche (im Katholizismus existieren z.-B. sechs Teilkirchen oder Riten) unterschiedlich. 30 Einen guten Überblick zu Konfuzius, Menzius, Laotse (in neuer Transkription Laodse) und den Legalisten findet man in Störigs „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“. klugen Menschen auf der gesamten Erde als wirkmächtigster Philopsoph der Menschheitsgeschichte angesehen. Ich kann bestätigen, dass alle meine chinesischen Kollegen und Freunde, jung oder alt, Mann oder Frau, bewusst oder unbewusst, stets etwas Konfuzius in sich tragen. Bezüglich des Begriffes Konfuzianismus muss zwischen der Alltagsethik (was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem andren zu, Respekt vor Älteren, usw.) und der mit dem Untergang der Qing-Dynastie im Jahre 1911 ebenfalls untergangenen „Religion“ des Konfuzianismus, von der wir sehr wenig wissen, unterschieden werden. 29 Es ist in jedem Fall falsch, die Geschichte der chinesischen Philosophie auf Konfuzius und seine Nachfolger zu reduzieren. 30 Unsere verkürzte Wahrnehmung der chinesischen Philosophie beruht auf dem postumen „Erfolg“ von Konfuzius, dessen erweiterte Lehre bereits im Jahre 136 v. Chr. zur „Staatsideologie“ durch Kaiser Wudi erklärt wurde, der nur 12 Jahre später die erste Reichsakademie zur Ausbildung von höheren Beamten gründete. Das Fragezeichen im Titel dieses Unterkapitels impliziert, dass die Wert‐ schätzung konfuzianischer Tugenden (für Deutsche) eigentlich keine Bar‐ riere ist. Ich habe den aktuellen „Konfuzianismus light“, wie er gelehrt und gelebt wird, den klassischen deutschen Sekundärtugenden stets als nah empfunden. Philosophisch scheint mir der „Abstand“ zwischen Konfuzius und Kant und dessen vier Grundfragen „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? “ geringer zu sein als der zwischen der klassischen deutschen Philosophie und dem durch John Locke begründeten empirischen Skeptizismus. Ich bitte nicht missverstanden zu werden: John Locke war ein außergewöhnlicher Denker, es geht mir hier um die „geistige Nachbarschaft“. 2.3 Barriere No. 2? Konfuzianische Tugenden 29 31 Von großer Bedeutung im Business sind die etwa 2.000 Jahre alten 36 Strategeme, die ihrerseits auf den etwa 2.500 Jahre alten Ausführungen zur Kriegskunst des Mili‐ tärstrategen Sunzi aufbauen. Kurz gesagt handelt es sich um Überlistungstechniken. Da diese Techniken geistiges Gemeingut sind, ist sozusagen selber schuld, wer sich austricksen oder täuschen lässt. Vergleiche auch den Exkurs zu Kapitel 7. Individuum vs. Gesellschaft Antworten auf die Frage „Was ist der Mensch? “ führen im Osten über die Familie als kleinste Zelle der Gemeinschaft und im Westen über das Individuum. Dies spiegelt sich auch in den Verfassungen wider: Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind die ersten fünf Artikel dem Individuum gewidmet; in China werden die Grundrechte der Bürger im Zusammenhang mit ihren Pflichten erst ab Artikel 44 der Verfassung behandelt. Schwierig kann es allerdings im Business werden: So übersetzen sich „Die Familie ist die bedeutenste Einheit der Gesellschaft“ oft in „Traue niemanden außerhalb der Familie (im erweiterten Sinne)“ und „Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern basiert auf Respekt und Unterordnung“ in „Der Sohn kann das Werk des Vaters nicht verändern (solange der Vater am Leben ist)“ und „Keine Kritik am Chef “ (mit anderen Worten: Kreativität wird nicht belohnt). 31 Das Konzept der guanxi - ein Begriff, der „Beziehungen“ bzw. Bezie‐ hungsaustausch von bilateral bis Networking und damit verbundene Rechte und Pflichten beschreibt - kann nicht ohne Weiteres in eine europäische Sprache übertragen werden. Es basiert auf der Erkenntnis, dass jeder ein‐ zelne Mensch andere Menschen braucht, um in einer potenziell feindlichen Welt zu überleben. Gegenseitige Gefälligkeiten in Gruppen, die oft zu erweiterten Familien korrespondien, sind die Folge. Basis der guanxi ist, dass jedes Mitglied des Netzwerkes gemäß seinen Fähigkeiten etwas beiträgt. Meine Rolle besteht seit zwei Jahrzehnten darin, potenzielle Auslandsstu‐ denten und ihre Eltern zu beraten; dafür profitieren ich und meine Familie und Freunde vom Wohlstand und den Ressourcen meines chinesischen Netzwerkes. 30 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 32 Frankreich (fa guo) bedeutet das Land von Recht und Ordnung, England (ying guo) das Land der Tapferen, USA (mei guo) schönes Land, usw. Vgl. auch [24]. 33 Wir werden noch sehen, dass dies in China niemanden hindert, von Japan zu lernen. 2.4 Deutschland, das Land der Tugend Die USA sind fraglos die „Referenznation“, aber Deutschland genießt (noch) in China eine besondere Wertschätzung. Namen sollen im Chinesischen etwas bedeuten, wobei die Namen für die europäischen Staaten erst im 19. Jahrhundert, als man in Kontakt zum Rest der Welt trat, eingeführt wurden. Deutschland heißt auf Chinesisch de guo, das Land der Tugend. 32 Dieser Ehrenname steht in direkter Beziehung zur deutschen Philosophie und Literatur. Wie in den USA gibt es in China keine Telefonnummer für Europa. Beson‐ dere Bedeutung für China besitzen Frankreich und England als ehemalige Kolonialmächte und, sicher aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke bzw. deren Wiedergewinnung nach dem II. Weltkrieg, Deutschland. Den Deut‐ schen wird in China zudem hoch angerechnet, dass sie sich, im Unterschied zu den Japanern 33 , für ihre Verbrechen im II. Weltkrieg entschuldigt haben. Insbesondere wurde und wird aber die deutsche Ingenieurskunst in China geschätzt. Nicht nur von Volkswagen, das eine besondere Wertschätzung in China genießt (s. Box in Abschnitt 4.3), wurde gelernt, auch bezüglich regenerativer Energien hat man sich vieles in Deutschland abgeschaut (und dann teilweise verbessert). Dass die Deutschen seit Anfang der 2020er Jahre offensichtlich bewusst ihre Industrie zurückstutzen bzw. abschaffen, wird - übrigens nicht nur in China - mit offenem Unverständnis bis hin zu ebenso offener Belustigung quittiert. Die chinesische Denkweise hat damit kein Problem: Europa, und damit Deutschland, habe eben seine Zeit gehabt. Die Zukunft wird woanders gestaltet. Dass deutsche Firmen beim Aufbau der chinesischen Industrie wichtige Helfer waren, ist davon unabhängig: Sie haben schließlich auch gut verdient. Dankbarkeit ist selten im privaten und schon gar nicht im zwischenstaatlichen Bereich eine zeitlich belastbare Kategorie. 2.4 Deutschland, das Land der Tugend 31 Exkurs: Von Konfuzius zu Kant und Schopenhauer Zwischen dem Wirken von Konfuzius und Immanuel Kant liegen etwa 2.300 Jahre Menschheitsgeschichte. So wie in der Renaissance auf die griechische und römische Klassik zurückgegriffen wurde, gab es handfeste Gründe, warum die europäische Aufklärung durch die klassische chinesische Philosophie inspiriert wurde. Konfuzius bot eine Ethik an, die keiner Religion bedurfte, sondern das eigene Handeln durch die Vernunft leitete. Es gab also keinen höheren Grund, dass sich die Menschen von Klerus und Aristokratie gängeln lassen mussten. Die wichtigste Eigenschaft des edlen Menschen bei Konfuzius ist die Mitmenschlichkeit. Sie ist die höchste aller Tugenden, gefolgt von Rechtschaffenheit, Sittlichkeit, Weisheit und Vertrauenswürdigkeit. Beginnen muss man bei sich selbst; d. h. die Tugend entwickelt sich durch ständige Übung im Menschen selbst. Wenn ein Mensch die Tugend über seine eigenen Wünsche stellt, so kann er seinen Mit‐ menschen mit Mitmenschlichkeit (mitunter auch als Güte oder Liebe übersetzt) begegnen. Äußere Verhaltensweisen sind Verlässlichkeit und Höflichkeit. Die im Konfuzianismus angelegte Vorstellung der Autonomie des Individuums wurde von Kant weiterentwickelt. Das Sittengesetz (der kategorische Imperativ) lautet 1. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. 2. Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden solle. 3. Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchtest. 4. Handle so, dass der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne. 5. Handle so, als ob du durch deine Maxime jederzeit ein gesetzge‐ bendes Glied im allgemeinen Reich der Zwecke wärest. Mit der praktischen Vernunft kann der Mensch als Entscheider also sein eigenes Leben und damit auch das der Gesellschaft gestalten. Kants philosophischer Nachfolger Arthur Schopenhauer (1788 -1860) formulierte schließlich im Jahre 1840 in dem von der Königlichen 32 2 China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen 34 Diese Bezeichnung (bzw. Beschreibung) stammt von Schopenhauer selbst. Dänischen Akademie nichtprämierten Aufsatz  34 „Über das Fundament der Moral“: Eine Tugend, die allein auf Belohnung und Bestrafung beruht, ist keine Tugend. Diese Erkenntnis ist für unser tägliches Leben von deutlich größerer Bedeutung als wir geneigt sein könnten anzunehmen. Bei bestimmten Berufsgruppen (die natürlich auch gut bezahlt sind) erwarten wir, dass diese ihre Arbeit mehr als nur kor‐ rekt erledigen, dass sie also näherungsweise tugendhaft sind. Dazu zählen unter anderem Lehrer, Ärzte und Richter. Hier schließt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger an: Der in der Gegenwart fast permanenten Kontrolltätigkeit bzw. Kennziffernverwendung liegt ein Menschenbild zugrunde, das vereinfacht besagt, dass Menschen nur auf Zuckerbrot und Peitsche reagieren. Weil vielleicht 5 % oder 10 % der Lehrer, Ärzte und Richter faul sind, werden die verbleibenden 90 % oder 95 % mit einem institutionellen Misstrauen konfrontiert, das ihnen die Freude an der Arbeit verdirbt. Diese intrinsische Freude an geistiger Arbeit brauchen wir aber, um u. a. gute Lehrer, Ärzte und Richter zu haben. [25] 2.4 Deutschland, das Land der Tugend 33 35 Es überrascht sicher nicht, dass die USA und China in den Quellen ihres „Einzugsgebietes“ jeweils als drittgrößtes Land der Erde geführt werden. 3 Kleine Geographie China ist, je nach Messart, flächenmäßig das dritt- oder viertgrößte Land der Erde. Nach Russland und Kanada werden Platz drei und vier unterschiedlich vergeben; mit Alaska sind die USA das drittgrößte Land der Erde; wenn man Land und Wasser rechnet, ist China die Nummer drei. 35 Das ist letztlich ziemlich unwesentlich: China ist mit ca. 9,6 Mio. km 2 etwa 27-mal so groß wie Deutschland und mehr als doppelt so groß wie die gesamte Europäische Union und seine Bevölkerung beträgt etwa das 17-fache der von Deutschland und reichlich das Dreifache der EU. Nun ist es wie so oft mit Verhältnissen und Durchschnittswerten: Diese erklären ohne zusätzliche Informationen wenig. Ein Großteil Chinas ist aus leicht nachvollziehbaren geographischen Gründen kaum bewohnt. So leben in Tibet auf einer Fläche, die in etwa der Deutschlands, Frankreichs und der Benelux-Länder entspricht, ungefähr so viele Menschen wie im Großraum Hamburg. Ebenso sind die nordwestlichen Provinzen sehr dünn besiedelt. Die halbautonome Provinz Xinjiang im Westen Chinas ist mit ca. 1,665 Mio. km² die flächenmäßig größte Provinz Chinas und schon seit Jahrhun‐ derten „Unruheprovinz“. Von den ca. 26 Mio. Einwohnern gehören inzwischen weniger als die Hälfte der lokalen muslimischen Minderheit der Uiguren an. Die chinesische Zentralregierung fährt, wie in Tibet und anderen, im Westen weniger bekannten, „kritischen Gebieten“, immer eine mehrgleisige Strategie, um diese einzugliedern und damit zu befrieden: „Belohnung“ der kooperativen Mitglieder der jeweiligen Minderheit, Verfolgung und Bestrafung aller realen und potenziellen Sezessionisten und Zuwanderung von Han-Chinesen, die nicht nur in Tibet und Xinjiang inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung bilden. So wie im Süden Tibet, dessen Annexion oder Integration, je nach Perspektive, erst 1951 unter Mao Zedong vollständig abgeschlossen war, stellt Xinjiang historisch eine Pufferzone nach Westen dar. In Tibet entspringen zudem die Quellen der großen drei chinesischen Flüsse: der Gelbe Fluss, der im Norden, der Jangtse, der bei Shanghai und der Perlfluss, der im Süden des Landes ins Meer fließen. Tibet ist das natürliche Grenzland zur zweiten Bevölkerungssupermacht Indien und allein die theoretische Möglichkeit, dass Indien im Falle eines Falles China von der Flusswasserversorgung abschneiden könnte, erklärt die Bedeutung Tibets für China. Relevant für Chinas Sicherheit ist heute nicht mehr der Norden, aus dem über mehr als zwei Jahrtausende die Angreifer kamen. Die berühmtesten und erfolg‐ reichsten waren die Mongolen unter Dschingis Khan im frühen 13.-Jahrhundert, gefolgt von den Russen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Mongolei und Ostsibirien sind fast menschenleer; es gibt eher Gegenbewegungen von Chinesen nach Norden. In der Mongolei ist die „Integration“ bereits weit fortge‐ schritten: Die zukünfigen Eliten werden weitestgehend in China ausgebildet. Die geopolitisch sensibelste Grenze für China ist der Osten. Wie ein Blick auf eine Landkarte Ostasiens schnell klarmacht, kann China relativ einfach über Japan, Südkorea, Taiwan und die Philippinen - in der Gegenwart alles „unsink‐ bare amerikanische Flugzeugträger“ - von der Straße in Malakka abgeschnitten werden, durch die auf etwa 10.000 - 12.000 Tankern pro Jahr ein Großteil der chinesischen Ölimporte geht und dazu weitere zehntausend Containerschiffe im Jahr ihre Waren von und nach China transportieren. Malaysia könnte die Durchquerung der Straße von Malakka ohne viel Aufwand sperren, was nicht nur zu Ängsten in China, sondern auch in Japan und Australien führt. CHI NA und seine Nachbarn Meer N OJ � <l, : •,J\•... .,.=.!:·y"" : g· " Orte und Einwohner.zahlen ■ MAn.tt.t.',ili;,e'11l()Ol){ll1(1 ■ 1000000-10 000000 • 500 000 -1 000 ooc, 100 000-500 000 u11cr IOO 000 � l laupt;tadt Greruen und Verkehr �111.'ltsl_jfi''l'P Deniar1(tll0tl':ilinle u·11slrilleneGrenze Ese.tbahnhfupt<;lrecke- Auto: a/ 11.'Fc:mstrtlße Hydrographie Fluss Ke.inl SW.Stausoo au9.,1e1-nckllflT&'SaZ�A 8111 11�1 5all: i..im� 4000n'I 2.000m H)Ollm soon, B 200m om Depres:slol\ 2U0m rnnnm 2000m 5000m 10000m Hohenc.ngabe(inm) T/ cf('OO.'lgf.be(inm) l1landlils,GIB1�cll8r •.�n -�"'�" c.'ru E i n-Ch.v,s-A."'A''tol •,{lr'lllt':1 \IHCfJ1h,! Jt-.'ßl<-;)rl1; ;.')t, ·ron ia1Y1.;i,: : ; :.,tbst<?•'l- .Ro..".lt,ONr CN=·· b6ze: rhns! u!'IC/l.:lr.1ro.Vie1t, (f;f,/ J"no'l<',.•; t�(Jul:.r! M 'l�.'l!,('.fl/ .w,ri unicmiv/ ol:oir 1 c d,',:,lcm11�":;c.''Cn Selieli�·ll�'1 :-i., / 9J1.un 1: 16000000 Abb. 3.1: China und seine Nachbarn (Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung [26]) 36 3 Kleine Geographie Chinas Antworten auf diese mögliche Bedrohung sind massive Investitionen in die Kriegsmarine und die Verfolgung der Landstränge der Belt and Road Initiave (BRI) z. B. nach Gwadar in Pakistan, wo inzwischen Zugang zum Indischen Ozean besteht (vgl. auch Abschnitt 7.3). Die Große Chinesische Mauer Mit Mauern kennen die Deutschen sich aus, auch wenn hierzulande alles um einiges kleiner als in China war und ist. Die heute noch existierenden Überreste der chinesischen Mauer stammen zumeist aus der Ming-Dy‐ nastie (1368 - 1644). Die breiten und begehbaren Teile nur wenige Kilometer nördlich von Peking waren als künstliche Grenze, die die Barbaren am Einfall in China hindern sollten, konzipiert. Die Ursprünge der Großen Chinesischen Mauer gehen etwa 2.800 Jahre zurück; große Erweiterungen wurden unter der Herrschaft des ersten Reichseinigers, des Gelben Kaisers (chinesisch Qin Shihuangdi) gemacht. Um 220 v. Chr. sollen bereits ca. 5.000 km Mauer an der Nordgrenze des Reiches existiert haben. Ob die Mauer langfristig erfolgreich war oder nicht, hängt von der Per‐ spektive ab. Jedenfalls gelang es den Chinesen, die wenigen Eindring‐ linge (darunter die Mongolen Dschingis Khans), die diese überwanden, erfolgreich zu assimilieren. Was wir natürlich nicht wissen können, ist, welche Wendungen die chinesische Geschichte ohne die Mauer genommen hätte. Geschadet hat China die Konzentration seiner Kaiser auf den Westen und den Norden dann im 19. Jahrhundert. So begriffen sie erst zu spät, welche (für die Qing-Dynastie letztlich tödliche) Gefahr von den euro‐ päischen Seefahrern, die im Osten und Südosten anlandeten, ausging. Da half die Mauer nicht. Der überwiegende Teil der Menschen lebt in Ost- und Nordostchina. Allein in Shanghai und seinen beiden Nachbarprovinzen Zhejiang und Jiangsu leben offiziell mehr als 160 Millionen Menschen auf knapp 60 Prozent der Fläche Deutschlands (was wiederum zu einer in etwa dreifachen Bevöke‐ rungsdichte im Vergleich zu Deutschland führt). 3 Kleine Geographie 37 36 Diese Million Menschen auf der Nanjing Dong Lu entspricht in etwa der Million Menschen, die auf der Avenue des Champs Elysées die französische (Herren-)Fußball‐ nationalmannschaft feiern, wenn diese Weltmeister geworden ist. Das war bisher zweimal, 1998 und 2018, der Fall. 37 Seit der Pandemie sind die Straßen weniger voll (wenngleich immer noch viel voller als bei uns). Auch in China gibt es Essenlieferdienste. Ein Teil des Lebens hat sich in die inzwischen viel größeren Wohnungen verlagert. 38 Ich habe diese Bezeichnung das erste Mal vom englischen Chinaexperten Martin Jacques gehört, von dem zahlreiche informative Videos auf Youtube verfügbar sind. Abb. 3.2: Topografie Chinas (Quelle: Wikipedia [27]) Lange vor der Covid19-Pandemie hatte ich mir zur Gewohnheit gemacht, mit Erstbesuchern Chinas an einem Samstagnachmittag auf die Nanjing Dong Lu, die größte Einkaufsstraße der Welt, zu gehen. Dort wälzten sich - jeden Samstagnachmittag - zeitgleich etwa eine Million Menschen durch die Straße. 36, 37 Wenn wir über China sprechen, so stellen wir relativ schnell fest, dass unsere Kategorien und Konzepte oft nicht hinreichend tauglich sind, um China zu begreifen. China ist kein Nationalstaat im europäischen Sinne und wird es auch nicht werden. China ist, wie zuletzt auf europäischem Boden das Römische Reich, ein „Civilization State“. 38 Diese Aussage ist deshalb 38 3 Kleine Geographie 39 Die jeweilige Minderheit ist im Personalausweis eingetragen. 40 Insgesamt gibt es etwa 20 Millionen Uiguren weltweit. Ältere Bezeichnungen für Xinjiang sind Sinkiang und Ost-Turkestan. 41 In (Mainland-)chinesischen Quellen werden 23 Provinzen angegeben. Die 23. Provinz ist nicht überraschend Taiwan. 42 Mitunter wird in deutscher Übersetzung auch der alte Begriff Reichsstädte verwendet. so wichtig, als wir konditioniert sind, politisch und auch ökonomisch nationalstaatlich zu denken. China ist im Unterschied zum zweiten Bevölkerungsriesen Indien fast mono-ethnisch. Von den 1,435 Mrd. Einwohnern (Stand Ende 2023) sind 92 % sogenannte Han-Chinesen, die verbleibenden 120 Millionen Menschen gehören zu einer der 55 staatlich anerkannten Minderheiten (die fast alle die chinesische Sprache in Wort in Schrift beherrschen) 39 . Die zahlenmä‐ ßig größte Minderheit sind mit ca. 10 Mio. die Uiguren in Xinjiang. 40 China hat im Laufe der Jahrtausende viele Eindringlinge oder Vertreter von „Randvölkern“, von Turkstämmen über Mongolen, Koreaner u. v. m., absorbiert. Tatsächlich gibt es im Gegensatz zu Korea und Japan, beides Länder, die lange abgeschottet waren und die in der Gegenwart durch die niedrigsten Ausländerquoten weltweit unter den entwickelten Ländern charakterisiert sind, kein „typisches chinesisches Gesicht“, dafür eine recht große Variabilität der Phänotypen. Auch sind die Menschen im Norden wie in Europa um einiges länger als im Süden. Das Land ist administrativ in 22 Festlandsprovinzen 41 , fünf Autonome Regionen von Minderheiten (Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi), vier regierungsunmittelbare Städte 42 (Peking, Tianjin, Shanghai und die weltgrößte Stadt Chongqing) und zwei Sonderverwaltungszonen (Hongkong und Macao) untergliedert und es hat Grenzen mit 14 National‐ staaten (s. Abb. 3.3). 3 Kleine Geographie 39 Abb. 3.3: Administrative Gliederung Chinas und Bevölkerungsdichte (Quelle: Academic dictionaries and encyclopaedias [28]) Exkurs: Taiwan Unbestreitbar ist, dass Taiwan der Name einer Insel ist, die etwa 180 km östlich vom chinesischen Festland entfernt liegt und auf deren 36.197 km² - das entspricht in etwa der Größe von Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, ist aber um einiges kleiner als Niedersachsen oder Bayern - knapp 24 Millionen Einwohner leben. Wenn man Weiteres zu Taiwan schreibt oder sagt, riskiert man allerdings, von mindestens einer Seite Prügel zu beziehen. Im Normalfall reicht es für zwei. Tatsächlich war ich mehrmals in Taiwan und davon einmal sowohl vor und nach den Präsidentschaftswahlen im Januar 2016. Vor den Wahlen war die Stimmung sehr aufgeheizt, die Gesellschaft schien in zwei Lager im Sinne von Erhaltung des status quo vs. mehr Unabhängigkeit von der VR China zerfallen zu sein, nach den Wahlen beruhigten 40 3 Kleine Geographie sich Gewinner und Verlierer (die das Wahlergebnis nicht in Frage stellten). Die letzte Präsidentschaftswahl im Januar 2024 gewann der „Sezessionist“ Lai Ching-te mit etwa 40 % der Stimmen gegen zwei Gegenkandidaten. An der Lagerbildung hat sich offensichtlich nichts geändert. Zur Geschichte Taiwans in China lesen Sie bitte die einschlägige Standardliteratur. Seien Sie aber nicht erstaunt, wenn Sie dabei durch‐ aus unterschiedliche Darstellungen vorfinden. Für uns ist hier von Bedeutung, dass Taiwan von 1895 - 1945 von Japan besetzt war. Es wurde, da es von den Besetzern als Teil Japans betrachtet wurde, relativ gut behandelt. Überreste der japanischen Zeit findet man zuhauf; so wurde der heutige Präsidentenpalast in Taipeh (der mich beim ersten Anblick entfernt an das Hamburger Rathaus erinnerte) von einem japanischen Architekten gebaut, der in Deutschland studiert hatte. Am Ende des gegen die Kommunisten verlorenen Bürgerkrieges setzte Guomindang-Führer Chiang Kai-shek (der Name wird im Westen üblicherweise in Wade Giles-Notation geschrieben) 1949 mit etwa einer Million Soldaten und deren Familien vom chinesischen Festland nach Taiwan über, wo er die Republik China ausrief, ohne den Machtan‐ spruch auf Festlandchina aufzugeben. Die VR China betrachtet Taiwan, obwohl sie die Insel nie beherrscht hat, als „unabtrennbaren Bestandteil des chinesischen Territoriums“, während sich Taiwan (offiziell Republik China) inzwischen als souve‐ ränen-Staat-sieht, von dem sich Festlandchina-abgespalten-hat. Taiwan hat sich ab den späten 1980er Jahren von einer Diktatur, in der bis 1987 das Kriegsrecht herrschte (zunächst unter Chiang Kai-shek, dann unter dessen Sohn Chiang Ching-kuo, der auf Druck der USA mit Aufhebung des Kriegsrechts schließlich den Weg in ein Mehrparteiensystem freimachte), zu einer „Musterdemokratie“ entwickelt. Es hat dabei eine eigene Währung und eine eigene Armee, was a priori genügen könnte, um gut mit dem status quo zu leben. Andererseits haben die jungen bis mittelalten Taiwaner kaum noch echte Beziehungen zum Festland, sie fühlen sich als Taiwaner und nicht als Chinesen. Ihre Sezessionsinteressen sind somit nachvollziehbar. Bis heute haben die USA Taiwan nicht als eigenständigen Staat diplo‐ matisch anerkannt. Nachdem sie am 1. Januar 1979 offizielle diploma‐ tische Beziehungen mit der VR China aufnahmen, folgte im April 1979 mit dem „Taiwan Relations Act“ ein Gesetz, dass unter formaler 3 Kleine Geographie 41 Beibehaltung der Ein-China-Politik die internationalen Beziehungen der USA zur „Republik China auf-Taiwan“ neu definierte. Die Crux ist in jedem Fall, dass eine offizielle Loslösung Taiwans von der Volksrepublik als Kriegserklärung aufgefasst würde bzw. werden müsste. Da die Perioden staatlichen Zerfalls in Chinas mehrtausendjäh‐ riger Geschichte fast immer an der Peripherie ihren Ausgang nahmen, handelt es sich aus Perspektive der chinesischen Zentralregierung um eine prinzipielle Frage. Sollte China Taiwan also als Folge einer offiziellen Loslösung vom „Mutterland“ angreifen, besteht seitens der USA keine Garantie eines Eingreifens. Im Falle des Versuches einer gewaltsamen (Wieder-)Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik stellt sich die Situation anders dar. Eine solche Entscheidung, einen Angriff Chinas auf Taiwan, träfe in beiden Szenarien aber wohl nur ein einzelner Mensch, der viel zu der Thematik gesagt hat, in dessen Kopf wir aber nicht hineinschauen können. Wenn Ausländer in der Volksrepublik zu einem Bekenntnis aufgefor‐ dert werden, dass Taiwan ein Teil Chinas sei, hat sich in meinem Umfeld die Antwort durchgesetzt, dass Taiwan natürlich ein Teil Chinas sei, und zwar der beste und schönste. Damit ist die Diskussion im Allgemeinen (oft, aber nicht immer, mit Augenzwinkern) zu Ende. Nicht ganz so gelassen sehen das offentlich viele Taiwaner. Die dau‐ erhafte Beschwörung und Wahrnehmung einer Kriegsgefahr - der „Economist“ bezeichnete Taiwan im Jahre 2022 als „the most dangerous place on earth“ - ist jedenfalls nicht spurlos an meinen taiwanischen Kontakten vorbei gegangen (wie sollte sie auch). Tatsächlich habe ich Taiwan während meiner Besuche in den 2000er und 2010er Jahren - bei konstanter Belustigung über das Chiang Kai-shek-Memorial - als eines der zivilisiertesten Länder, die ich je besucht habe, empfunden. Diese Aussage und die oben gemachte Be‐ zeichnung „Musterdemokratie“ stehen offensichtlich im Widerspruch zu den immer wieder stattfindenden Prügeleien im Parlament von Taiwan. Ich kann hier nur eine Empfehlung geben: Machen Sie sich selbst ein Bild! 42 3 Kleine Geographie 43 Einen hervorragenden Überblick über das 20. Jahrhundert in China findet man in Konrad Seitz‘ „China. Eine Weltmacht kehrt zurück“. Seitz war Spitzendiplomat im Auswärtigen Amt und „Rechte Hand“ des Außenministers der Einheit, Hans Dietrich 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart Man könnte durchaus erwarten, hier einige Ausführungen über die Nazizeit und deren Verarbeitung in Deutschland vorzufinden. Tatsächlich spielt dieser „hässlichste Teil“ unserer Vergangenheit, obwohl er zeitlich deutlich näher an der Gegenwart liegt, in unserem Alltag insgesamt eine viel geringere Rolle als die Periode vom Beginn des 1. Opiumkrieges 1839 bis zur Gründung der VR China im Jahr 1949 in China. Alle Chinesen, die ich kenne, sind, unabhängig von ihrer formalen Bildung, sehr geschichtsbe‐ wusst, wobei ihnen dabei sicher hilft, sich der einzigen seit 4.000 Jahren durchgängig existierenden Hochkultur zugehörig zu fühlen. Wichtig ist hier, dass es sich um ein echtes Interesse an Geschichte handelt, das keiner Institutionalisierung bedarf. Im Westen wird diese Zeit im Allgemeinen „die 100 verlorenen Jahre“ genannt. Das ist, die Wiederholung erfolgt bewußt, eine recht freihändige Übersetzung der chinesischen Wahrnehmung, die von den 100 Jahren der Scham spricht. China hat übrigens keinerlei Entschädigung für Kriegs‐ verbrechen westlicher Staaten und selbst Japans vom Beginn des ersten Opiumkrieges bis zur Gründung der VR China gefordert. Die Begründung dafür lautet, dass die Chinesen selbst schuld daran gewesen seien, dass auf China „rumgetrampelt“ werden konnte. Die alles überragenden politischen Figuren des 20. Jahrhunderts in China waren Mao Zedong (1893 - 1976) und Deng Xiaoping (1904 - 1997). Nach Jahrzehnten des Niedergangs, Bürgerkriegen, Angriffen von außen (der wichtigste war die Attacke Japans auf China ab dem Jahre 1931, die von den meisten zeitgenössischen Historikern als Beginn des II. Weltkriegs angesehen wird) und Hungersnöten mit numerisch für uns schwer vorstell‐ bar vielen Toten, war es schließlich Mao Zedong, der den Chinesen nicht nur ihren Nationalstolz zurückgab, nachdem er erst Japaner, Engländer, Franzosen, Amerikaner, dann die Bürgerkriegsgegner der Guomindang und schließlich die Sowjets aus dem Land geworfen hatte, er schuf damit auch die soziale Basis für Dengs Reformen. 43 Genscher. Er wurde für seine Verdienste auf seinen Wunsch hin von 1995 - 1999 als Botschafter Deutschlands nach China entsandt. 4.1 Von Mao über Deng zu Xi Solange Mao lebte, war er, der Große Steuermann, als Revolutionsführer, praktisch sakrosankt. Daran änderten auch „Fehlexperimente“ wie der „Große Sprung nach vorn“ (eine Kampagne zur Industrialisierung Chinas von unten in den Jahren 1958 - 1961, die zu geschätzt 30 Millionen Toten führte) und die „Große Proletarische Kulturrevolution“ (1966 - 1976), auch als „10 Jahre Chaos“ bezeichnet, nichts. Bereits im Jahre 1978 und damit nur zwei Jahre nach Maos Tod verfügte Deng, dass Mao zu 70 Prozent gut (die erste Phase bis zur Proklamation der VR China) und zu 30 Prozent (der folgende Rest als Quasi-Kaiser) schlecht war. Damit zitierte er übrigens Mao selbst, der, empört über die Abnabelung Chruschtschows von Stalin, selbiges über Stalin sagte. Damit war die Diskussion bis heute beendet: Deng sah klar voraus, dass China über Jahrzehnte alle Kräfte benötigen würde, um nach vorn zu schauen. Mao erledigte den politischen, Deng den folgenden wirtschaftlichen Teil von Chinas „Wiederauferstehung“. Mao sah in der starren Anwendung der Lehren von Konfuzius das Hauptübel der Rückständigkeit Chinas, das bis in das späte 18. Jahrhundert mit Abstand das wirtschaftlich stärkste Gebilde der Welt war, dann aber durch Arroganz und Unfähigkeit seiner Eliten gegenüber dem Westen immer mehr ins Hintertreffen geriet. Mao brach schließlich sämtliche gesellschaftlichen Konventionen auf: Die sozial bedeu‐ tendste ist dabei die veränderte Rolle der Frauen in der chinesischen Gesell‐ schaft. Die konfuzianische Sittenlehre verlangte über viele Jahrhunderte, dass Frauen ihr Leben lang gehorchen mussten: zuerst dem Vater, dann dem Ehemann und schlussendlich mitunter selbst dem dem eigenen Sohn. Unter Mao wurden Frauen Soldatinnen der Nationalen Volksbefreiungsarmee, es wurde Chinas erstes Ehegesetz erlassen, Scheidungen wurden legalisiert, Brauthandel und Konkubinat verboten. Seit Mao stützen Frauen den halben Himmel (bis auf das oberste Führungsgremium der Kommunistischen Partei, vgl. Abschnitt 5.5). 44 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart Füßebinden Die Suche nach menschlicher Schönheit führte zu fast allen Zeiten und überall auf der Welt, wo Menschen leben, zu geistigen Verirrungen. In Europa waren dies z. B. im Barock und Rokoko mitunter über einen Meter hohe Perücken für Frauen, die deren Leben unnötig verkompli‐ zierten. Auch die Männer blieben nicht verschont: Reste dieser Tradition können noch heute in englischen Gerichten bestaunt werden. Zu den bizarrsten Abwegen, oder, anders betracht, Großverbrechen in der Geschichte der Menschheit gehört das Füße(ab)binden. Die Tradition, Mädchen im Alter von 5 - 8 Jahren die Zehen zu brechen und jahrelang einzubandagieren, um sie am Wachstum zu hindern, entstand zu Ende der Tang-Dynastie im frühen 10. Jahrhundert n. Chr., nachdem ein Kaiser offensichtlich Gefallen an den kleinen Füßen einer Tänzerin gefunden hatte. Obwohl es kurz danach mit der Tang-Dynastie vorbei war, überlebte das Schönheitsideal der Lotusfüße weitere 1.000 Jahre. Kleine Frauenfüße - die Füße einer Frau wurden in der klassischen chinesischen Literatur vielfach als wichtigste erotische Zone der Frau beschrieben (in Japan war das interessanterweise der Frauennacken) - gehörten zum Schönheitsideal der alten chinesischen Männer. Die Ideallänge der Frauenfüße schwankte; sie bewegte sich im Laufe der Jahrhunderte zwischen 10 und 12 bis 15 Zentimetern. Sekundärfolge (? ) war, dass Frauen mit solchen Minifüßen nur noch watscheln und damit auch kaum weglaufen konnte. Das Füßebinden traf zunächst die Mädchen der Oberschicht, die Mäd‐ chen, deren Eltern Bauern waren, wurden, da sie noch für die Feldarbeit benötigt wurden, zunächst verschont. Im Laufe der Geschichte weitete sich dieser „Brauch“ aber auf alle Schichten des chinesischen Volkes aus. Tatsächlich waren es gerade die Mütter, die aufpassten, dass die Füße ihrer Töchter richtig gebrochen wurden, war dies doch Voraussetzung für eine gute Heirat. In der Gegenwart sterben die letzten sehr alten Frauen, deren Füße in ihrer Kindheit noch misshandelt wurden. Eine von Maos ersten Amtshandlungen nach Gründung der VR China war es, das Brechen und Abbinden der Füße kleiner Mädchen gesetzlich zu verbieten. Es sollte uns nicht schwerfallen, die Tatsache, dass inzwischen mehr als eine Milliarde Mädchen nicht mehr auf Stummeln laufen mußten, Maos „70-% gut“ zuzurechnen. 4.1 Von Mao über Deng zu Xi 45 Nach Maos Tod im Jahre 1976 gab es eine kurze Übergangszeit, die bereits 1979 qualitativ abgeschlossen war, als es ein neues personelles Machtzen‐ trum gab. Es war Deng Xiaoping, den der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918 - 2015) einige Male als die positivste Figur der großen Politik des 20. Jahrhunderts bezeichnete, der mit dem Beginn der ökonomischen Re‐ formpolitik Ende der 1970er Jahre die zweite Stufe zur Wiedererstarkung Chinas zündete. Ebenfalls Ende der 1970er Jahre wurde die Ein-Kind-Poli‐ tik eingeführt, die in Verbindung mit besserer Krankenversorgung nicht nur zu einer rapiden Alterung der Gesellschaft, sondern auch zu einem veränderten Sozialverhalten führte. Deng war es, der die wirtschaftliche Öffnungspolitik Chinas begann und diese, gegen zahlreiche Widerstände, ab 1992 durchsetzte. Die berühmtesten Zitate aus dieser Zeit sind „Egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse“ und „Es ist glorreich, reich zu werden, aber einige werden eher reich als die anderen.“ Einen kurzen Rücksetzer gab es mit dem im Westen sogenannten Massaker am Platz des Himmlischen Friedens im Jahre 1989, in dessen Anschluss die westlichen Staaten ihre Beziehungen zu China einfroren. Während in der Sowjetunion erste Auflösungserscheinungen zu erleben waren, zog die chinesische Parteiführung unter Deng Xiaoping die entsprechenden Schlussfolgerungen: Sie schlug den Aufstand im Sommer 1989 blutig nieder und bewahrte das Gewaltmonopol der Kommunistischen Partei. Deng hatte richtig kalkuliert: Die Aussicht auf künftige Geschäfte war im Westen stark genug, um Bedenken zu Menschenrechten beiseitezuwischen. Ab 1992 setzte ein stetiger Strom westlicher Investitionen nach China ein. Die folgenden Regierungen waren die unter Jiang Zemin 1993 - 2003 und Hu Jintao von 2003 - 2013. Seitdem ist Xi Jinping die Nr. 1 in der Kommunistischen Partei Chinas und damit im chinesischen Staat. Die Jahre unter Jiang und Hu werden als Jahre der kollektiven Führung bezeichnet, Xi hat, etwas lax ausgedrückt, den Normalzustand, dass nur einer herrscht, wiederhergestellt. Die Qualität der Regierung hängt also, wie zumeist in der Vergangenheit, wesentlich von der Qualität der Berater, die die Nr. 1 um sich schart, ab. 46 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 44 Das bedeutet nicht, dass er „seine Wahrheit“ öffentlich hinausposaunte. Chinesische Tradition war, dass Intellektuelle sich mit Denkschriften an den Kaiser wendeten. In der näheren Vergangenheit machte der Fall des Alibaba-Gründers Jack Ma Schlagzeilen, der im Oktober 2020 öffentlich der Regierung bescheinigte, von moderner Technologie keine Ahnung zu haben. Dieser „Übermut“ bekam weder dem Aktienkurs von Alibaba noch ihm selbst besonders gut. Jack Ma tritt, nach einer kurzen Zeit, in der er von der Bildfläche verschwand, nur noch als Dozent an Universitäten in Japan, Ruanda und Israel in Erscheinung. Die Regierung machte an seinem Fall exemplarisch klar, dass sie sich von den Tech-Milliardären keinesfalls auf der Nase herumtanzen lasse und sie machte ferner klar, dass alle Reichen Chinas nur reich seien, weil die Regierung ihnen dies erlaube. Herrscher und Gebildete Ja-Sagen hat unter chinesischen Intellektuellen traditionell einen schlechten Ruf (was nicht bedeutet, dass es keine oder wenige Schmeich‐ ler und Claqueure gibt). Intellektuelle im „Elfenbeinturm“ kennt die chinesische Tradition nicht, der gebildete Mensch ist verpflichtet, sich einzumischen. Der wahre Intellektuelle sagte auch dem Kaiser, selbst auf die Gefahr seines Lebens, die Wahrheit. 44 (vgl. Abschnitt 2.3). 4.2 Der Fokus auf Technologie und erste Folgen Konsens besteht heute in China sowie im Westen, dass der Niedergang Chinas bzw. dessen Zurückfallen gegenüber dem Westen ab spätestens 1800 wesentlich durch die Geringschätzung der konfuzianisch gebildeten Elite gegenüber Technologie begründet und damit selbst verschuldet war: Bis ins späte 19. Jahrhundert gab es keine technischen Bildungsanstalten und das Wissen bzw. die Erfindungen großer Techniker - Papier, Buchdruck, Kompass, Schießpulver, Porzellan, Papiergeld, die Schubkarre, die Kanone und vieles mehr wurden in China erfunden - gingen zeitweise sogar wieder verloren, während sich die Eliten über Jahrhunderte fast ausschließlich mit den klassischen philosophischen Texten von Konfuzius und seinen Nachfolgern und deren Interpretation beschäftigten. Ab dem 1. Opiumkrieg schossen die westlichen Barbaren mit Leichtigkeit chinesische Flotten zuammen, sie rissen Teil für Teil aus Ostchina heraus und zerstörten selbst den alten Sommerpalast in Peking im Jahre 1860 im Zuge einer der zahlreichen „Straf- oder Vergeltungsaktionen“. Mit Japan, das sich nach Abschaffung des Shogunats im Jahre 1867 und der anschlie‐ 4.2 Der Fokus auf Technologie und erste Folgen 47 ßenden Meiji-Restauration innerhalb weniger Jahrzehnte in die technische Moderne katapultierte und 1905 eine europäische Macht, Russland, im Krieg besiegte, war der Beweis für jedermann, der sehen wollte, sichtbar: Asiaten waren nicht per se den Europäern und ihren Abkömmlingen in Amerika unterlegen. Der qualitative Fehler, dem Geistigen einseitig den Vorzug vor dem Technischen zu geben, so einhelliger Konsens der Führer seit Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949, würde nicht wiederholt werden. China begann bereits unter Mao, zu einer der führenden Technologiemächte aufzusteigen. Als es neben den USA noch die Sowjetunion gab, existierten zwei Referenznationen. In dieser bitterarmen Zeit wurde im Jahr 1964 in China die erste Atombombe und 1967 die erste Wasserstoffbombe gezündet. Besondere Ereignisse der Neuzeit, mit denen für die Welt und vor allem die eigene Bevölkerung sichtbar gemacht wurde, zu den USA aufgeschlossen zu haben, waren der erste Chinese im Weltall, der Taikonaut Yang Liwei im Jahr 2003, die erste Chinesin im Weltall Liu Yang im Jahr 2012, der erste chinesische Flugzeugträger, die Liaoning, im Jahr 2012, sowie die erste unbemannte Mondlandung im Jahr 2013. Am 1. Juni 2024, nur wenige Monate vor Erscheinen dieses Buches, landete die Mondsonde „Chang‘e-6“ erfolgreich auf der Rückseite des Mondes, um drei Wochen später wieder mit Gesteinsproben auf der Erde einzutreffen. Jenseits dieser Medienereignisse findet man in China das mit 40.000 km Länge größte zusammenhängende Schnellbahnnetz der Welt. Die Züge fahren sekundengenau ein und aus. Dass die Chinesen Instandhaltung und nicht nur den Neubau beherrschen, kann man z. B. in Shanghai studieren. Die inzwischen 30 Jahre alte Metrolinie 1 fährt sauber und pünktlich wie eh und je. Mit Beginn der 2000er Jahre marschierten die US-Unternehmen Alpha‐ bet/ Google, Meta/ Facebook, Amazon und Apple weltweit durch; begleitet durch einige Dutzende weniger große Internet- und Softwarefirmen aus den USA (von Uber über Yahoo zu Ebay, usw., usw.) und die etwas ältere, öffentlich leise, aber um so mächtiger gewordene Firma Microsoft, die Ende Mai 2024 über eine Marktkapitalisierung von über 3.000 Mrd US-Dollar (und damit deutlich mehr als das zehnfache des teuersten europäischen Software‐ unternehmens, der SAP) verfügte. Während diese US-Unternehmen auch in Europa dominierten, entwickelte sich in China eine eigene Internetwelt. Die politische Führung Chinas hatte früh begriffen, dass es sich hier um Fragen der Unabhängigkeit und damit zugleich um Machtfragen handelt. 48 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 45 Das gilt Mitte der 2020er Jahre auch und gerade für Solartechnik, Windkrafttechnik und Elektromobilität. Ebenso für Shein und Temu, die Amazon, Zara, H&M usw. teilweise „kopierten“. Was wir bisher nur auf dem Niveau der Unternehmen kannten, findet heute auf einer Makroebene statt. So gibt es zu jedem amerikanischen Quasi-Monopolisten ein chinesisches Pendant, auch wenn die einzelnen Schwerpunkte und Strategien durchaus unterschiedlich sind. Taobao kor‐ respondiert zu Ebay, Didi zu Uber, Ctrip ist booking.com und diverse Onlinereiseportale in einem. Die größten Onlineunternehmen Chinas sind Baidu (eine Suchmaschine, die, jedenfalls vor KI, nicht an die Qualität von Google herankam), Alibaba (Führer im chinesischen E-Commerce und oft besser als Amazon) und Tencent, das Onlinespiele anbietet und den zur Allzweckalltagssoftware ausgebauten Messengerdienst WeChat betreibt. Wechat ist zugleich Bank, Büro, Facebook, Kaufhaus, Partnervermittlung und noch einiges mehr. Microsoft stellt mit seinem Gründer Bill Gates, den Xi Jinping im Juni 2023 nach einem langen persönlichen Treffen „einen alten Freund Chinas“ nannte, eine Ausnahme mit Ausnahmen dar. Windows und MS-Office sind in China weitverbreitet aber dort, wo die chinesische Regie‐ rung sicherheitsrelevante Aspekte sieht, wird offensichtlich zunehmend (weniger leistungsfähige) chinesische Software eingesetzt. In der Onlinewelt der vergangenen 25 Jahre kamen die disruptiven Innovationen fast immer aus den USA. 45 In China wurden diese Basisinno‐ vationen studiert und verbessert und somit die ursprünglichen Innovatoren teilweise aus dem Markt gedrängt. Das erste große chinesische Unternehmen, das von US-Technologie abgeschnitten wurde und von den USA international bekämpft wurde, war der Mobiltelefonhersteller und Netzwerkausrüster Huawei, das Mitte 2024 aktuelle ist der Kurzvideodienst TikTok. Mitte März 2024 stimmte eine parteiübergreifende Mehrheit von Republikanern und Demokraten im Repräsentantenhaus mit 352 zu 65 Stimmen für ein Gesetz, an dessen Ende ein Zwangsverkauf von TikTok stehen könnte. TikTok hat zwar seine Konzernzentralen in Singapur und Los Angelos, aber mit der Firma Bytedance eine chinesische Muttergesellschaft. Damit war und ist TikTok nach gängiger Lesart in den USA prädestiniert, Daten seiner Kunden zu missbrauchen, diese nach China zu exportieren, Wahlen zu manipulieren usw. Beweise für all diese Anschuldigungen wurden meines Wissens bis Mitte 2024 nicht präsentiert. 4.2 Der Fokus auf Technologie und erste Folgen 49 46 Bereits im Jahr 2012 wurden in den USA erste Vorwürfe laut, dass die chinesische Regierung Huawei für Spionage nutzen könne, 2018 wurde die Finanzvorständin und Tochter des Firmengründers angeklagt, die Iran-Sanktionen verletzt zu haben; 2022 verbot die US-Regierung den Verkauf und Import von Kommunikationsgeräten von Huawei. Mitte 2024 ist Huawei stark wie nie: Der Economist titelte am 13. Juni 2024 „America’s assissination attempt on Huawei is backfiring. The company is growing stronger and less vulnerable.” [29] Tatsächlich sind die bevorzugten Ziele amerikanischer Anschuldigungen chinesische Unternehmen, die inzwischen besser sind als ihre US-Pendants. Huawei ist trotz der Sanktionen der US-Amerikaner die weltweite Num‐ mer 1 im Ausrüstungsmarkt für Telekommunikationstechnik. 46 Weder gibt es amerikanische noch europäische Unternehmen, die beim Mobilfunkstan‐ dard G5 mit Huawei technisch wie ökonomisch konkurrieren können und G6 ist bereits unterwegs. Womit wir wieder bei TikTok sind: Die Algorithmen des Unternehmens kennen ihre Nutzer viel besser (und sie sind schneller) als die von Youtube oder auch Amazon. Tatsächlich hat der Fokus auf Technologie zu einer, vorsichtig ausge‐ drückt, unbedachten Herausforderung der USA geführt. In der im Jahre 2015 veröffentlichten Strategie China 2025 wurde ausgeführt, dass China im Jahre 2025 die weltweite Nr. 1 in Robotik, Mikroelektronik, Biotechnologie, Pharmakologie, Künstlicher Intelligenz, autonomen Fahren und einigen weiteren Zukunftstechnologien sein wolle. Es war schlussendlich Donald Trump, der öffentlich feststellte, dass es nur eine Nr. 1 geben könne und ab 2017 einen Wirtschaftskrieg gegen China eröffnete. Eine solche offene Herausforderung der USA war bzw. wäre den früheren Regierungen unter Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao jedenfalls nicht passiert. Wie vor dem I. Weltkrieg in Frankreich mit Bezug auf Elsass-Lothringen galt die Devise zwecks zukünftiger Größe „Daran denken immer. Darüber reden nie.“ Das heutige China ist technisierter als der Westen. Als westlicher (wohlwollender) Beobachter hat man jedoch vielfach den Eindruck, dass China in das andere Extrem, d. h. „Technologie kann alles“, gerutscht ist. Bargeld ist, trotz regelmäßiger Verweise der Regierung, dass es offizielles Zahlungsmittel ist, weitgehend verschwunden; es wird fast nur noch mit Smartphones bezahlt, was unter anderem dazu geführt hat, dass Bettler mit QR-Codes hantieren und der Beruf der Taschendiebe praktisch ausgestorben ist. Elektronische Zahlung hat sich von unten, weil billiger (die Ökonomen benutzen hier den Begriff Transaktionskosten) durchgesetzt. 50 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 47 Auf Chinesisch 社交媒体 (shejiao meiti). Shejiao bedeutet gesellschaftliche Kommu‐ nikationen und meiti Medien.- 48 Eine weitere Analogie ist die Verfeinerung des Teegenusses. Man braucht Jahre, um sich in den guten Tee „hineinzutrinken“. Sehr gute Teesorten kosten mehr als 1.000 Euro pro Kilogramm (oder 100 Euro für 100 Gramm), die teuersten Teesorten bewegen sich im Bereich von ca. 30.000 Euro pro Kilogramm. Wichtig zu verstehen ist, dass keine der die heutige chinesische Gesell‐ schaft prägenden Techniken eine chinesische Innovation war. Dies betrifft die Schnellzüge, die Elemente des französischen TGV, des deutschen ICE und des japanischen Shinkansen in sich tragen, ebenso wie die sogenannten sozialen Medien. 47 Das bereits erwähnte alles dominiertende Programm Wechat der Firma Tencent vereinigt Eigenschaften von Facebook, Google und Amazon und einiges mehr und ist fraglos besser (im Sinne von Effizienz) als die westlichen Pendants; allein: Die Innovationen kamen aus dem Westen inklusive Japan. Wie in der traditionellen chinesischen Kunst besteht Meisterschaft bei inkrementellen Verbesserungen. 48 Ein Maler beginnt also immer noch oft, etwas vereinfacht, als junger Mensch Seerosen oder Bergpanoramen, aber nicht beides zugleich zu malen, und tut dies dann sein Leben lang mit dem Ziel, seine Kunst immer mehr zu vervollkommnen. Ebenso in der klassischen Peking-Oper. Eine Sängerin singt eine Rolle in einer Oper ein Leben lang und nicht heute die Lady Macbeth aus Verdis gleichnamiger Oper und in der kommenden Saison Puccinis Madame Butterfly. Diese Herangehensweise der inkrementellen Verbesserungen ist histo‐ risch tradiert: Technologisch innovative Zeiten mit großen eigenen Erfin‐ dungen wie Papier, Buchdruck, Kompass und Schießpulver waren in der langen chinesischen Geschichte eher selten. Das böse Wort „Handys machen dick, dumm und faul“ kann nirgendwo auf der Welt besser als in den chinesischen Großstädten studiert werden. Viele Kinder und Jugendliche sind übergewichtig (dies hat auch mit der traditionellen Geringschätzung von Breitensport und offensichtlich unzu‐ reichendem Schulsport zu tun); wenn Sie in der U-Bahn ein Buch lesen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie der Einzige sind, der das tut. An den Universitäten erfolgt ein „Durchmarsch der Frauen“; mehr als 80 Prozent meiner Topstudenten sind inzwischen junge Frauen. Diese Beobachtung bzw. die anhaltende Tendenz zu einer weiter zunehmenden 4.2 Der Fokus auf Technologie und erste Folgen 51 49 Hier sind wir, allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz, teilweise auf einem ähnlichen Weg. Da die Abiturnote noch immer das wichtigste Kriterium für die Vergabe eines Medizinstudienplatzes ist, konvergiert das Verhältnis zwischen Frauen und Männern unter den Studienanfängern in Deutschland inzwischen gegen 2: 1. Wenn Sie dachten, dass 1,0 eine natürliche Grenze für eine Abiturgesamtnote darstellt, so irren Sie sich: Nicht nur die Humboldt-Universität zu Berlin hat 2024 eine Abiturnote noch darunter als Zielkriterium für einen Medizinstudienplatz erklärt, was, da es kaum junge Männer gibt, die solche Noten erreichen, das Verhältnis numerisch weiter zu Gunsten der Frauen verschieben wird. In diesem Kontext stellte die Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüßlein-Volhard in einem Interview im SPIEGEL vom 19. Mai 2024 fest: „Ich finde, dass wir langsam [mit Frauenförderung] aufhören sollten, weil wir Gefahr laufen, die Männer zu diskriminieren. Es gibt viel zu häufig Ausschreibungen, bei denen von vornherein absehbar ist, dass eine Frau genommen werden muss. Ein Mann braucht sich gar nicht erst zu bewerben, weil er keine Chance hat. Das ist ein Unding und widerspricht auch jedem Gleichstellungsgesetz.“ [30] Dominanz der Frauen wird von all meinen Kollegen in allen Fächern bestätigt. 49 Die sozialen Folgen sind bereits absehbar: Die Konzentrationsfähigkeit insbesondere der Jungen sinkt; zurück bleiben große Jungs, die nicht erwachsen werden wollen und nachts im Internet „rumlungern“; den klugen jungen Frauen stehen trotz Männerüberschuss, der auf die Ein-Kind-Politik zurückgeht, nicht genügend Männer auf Augenhöhe gegenüber. Viele von ihnen finden keinen Partner, der ihren Ansprüchen genügt und sie bleiben unfreiwillig partner- und kinderlos. Dies ist um so bemerkenswerter, weil die Familie in China nach wie vor das Zentrum des Lebens darstellt. 4.3 Globalisierung und Bruttoinlandprodukt Die Globalisierung, wie wir sie (noch) kennen, war erst möglich, nachdem sich seit den 1970er Jahren zwei entscheidende technologische Innovationen gemeinsam durchsetzten: Die Verbreitung der Computertechnik und die Containerschifffahrt. In historisch sehr kurzen Zeiträumen explodierte der Welthandel quantitativ; von vormals Agrar- und Luxusgütern im weiteren Sinne erweiterte sich der Welthandelsstrom auf Güter des täglichen Bedarfs. Die nun vorhandenen Technologien brachten eine zunächst potenzielle Nachfrage nach billigen Textil- und Industriegütern in Westeuropa und Nordamerika mit einem sich entwickelnden Angebot primär aus Süd- und Ostasien zusammen und ließen die Theorie der komparativen Vorteile in qualitativ und quantitativ anderen Dimensionen wahr werden. 52 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 50 Die Bedeutung des kulturellen Austausches für unsere Gesellschaften, sowie die Tatsache, dass langanhaltender Einfluss kulturell erworben und verteidigt werden muss, wurde in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland langsam vergessen. Die seriell gekürzten Mittel des DAAD und der Goethe-Institute sprechen für sich. 51 Die weltweiten Gesamtauslandsinvestionen im Jahr 1983 betrugen 42,72 Mrd. US-Dollar (gegenüber 2.012,57 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022). Als erste stiegen die „kleinen Tiger“ Taiwan, Singapur und Südkorea in die Massenproduktion von Textilien und Spielzeug ein, die dann nach Nordamerika und nach Westeuropa verschifft wurden. Richtig Fahrt nahm die Globalisierung ab den späten 1990er Jahren auf, als ein Großteil der Direktinvestitionen nach China ging. Abb. 4.1 illustriert die Entwicklung der Direktinvestionen weltweit. Volkswagen in China Volkswagen und China ist eine ganz besondere Geschichte. Der Konzern aus Wolfsburg war der erste namhafte westliche Konzern, der in China investierte. Am 11. April 1983, also etwa 15 Jahre vor dem Beginn der Direktinvestitionsmania in China, wurde unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn der erste Volkswagen Santana in Shanghai montiert. Die Santanas waren bis in die 2010er Jahre das Taxi in Shanghai. [31] Antreiber des Projektes war einer der ersten Chinesen, die in den 1970er Jahren zum Studium nach Deutschland kamen! 50 Volkswagen kam nach China, als kaum jemand im Westen an China glaubte 51 und ist damit ein alter Freund Chinas, das höchste Lob, das eine Person oder ein Unternehmen aus dem Ausland erhalten kann. Das bedeutet nicht, dass Volkswagen das Primat der Politik - öffentliche Kritik seiner Partner bzw. der Regierung ist ein absolutes no go, intern kann viel diskutiert werden - außer Kraft setzen kann. Volkswagen wird aber primär nicht als ausländischer Konzern, sondern als (guter) Teil Chinas gesehen. 4.3 Globalisierung und Bruttoinlandprodukt 53 52 Man sieht klar die „Explosion“ des Welthandels ab den späten 1990er Jahren. Der erste Rückschlag um das Jahr 2002 beruht primär auf den Auswirkungen des Attentats auf die USA am 11. September 2001. Der zweite Rückschlag ab 2007 kann weitgehend mit dem Ausbruch und den Folgen der Weltfinanzkrise bei gleichzeitig sehr schwachem US-Dollar erklärt werden. 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022 Ausländische Direktinvestitionen weltweit in Mrd. US-Dollar Abb. 4.1: Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen von 1980 - 2022 in Mrd. US-Dollar (Eigene Darstellung: Daten von der Weltbank) [32]) 52 Fast parallel zu den Auslandsinvestitionen explodierte das Bruttoinland‐ produkt Chinas (Nebenwirkungen waren Umweltverschmutzung, starke sozialer Ungleichheit, Umweltverschmutzung und Korruption [33]). 54 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000 1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022 Bruttoinlandprodukt der VR China in Mrd. US-Dollar Abb. 4.2: Chinas Bruttoinlandprodukt (BIP) in jeweiligen Preisen von 1980 bis 2023 in Mrd. US-Dollar (Eigene Darstellung: Daten vom National Bureau of Statistics of China [34]) Das BIP per capita in China wurde für 2023 auf ca. 12.500 USD geschätzt, dem etwa Fünffachen des Wertes in Indien. Leider sind solche Zahlen nur wenig aussagekräftig, da sie einerseits kaum etwas über die Kaufkraft (zur Illustration: mit 2.000 Euro netto im Monat kommen Sie in weiten Teilen Vorpommerns oder Nordhessens vermutlich gut über die Runden, in München, Berlin oder Hamburg aber fast sicher nicht) und anderseits a priori nichts über die Einkommensverteilung sagen (denselben Durchschnittswert können Sie bei näherungsweiser Gleichverteilung oder auch, wenn einer oder wenige sehr viel, und die meisten anderen sehr wenig haben, erhalten). Ungleichverteilung des Einkommens Die Ungleichheit des Einkommens wird üblicherweise über den Gini-In‐ dex gemessen. Westliche Organisationen schätzen den Gini-Index in China numerisch auf etwa 0,5, was dem Wert der USA entspricht und eine hohe Ungleichheit anzeigt. China selbst veröffentlicht keine Daten zum Gini-Index. Große Differenzen zwischen den Provinzen treiben den Gini-Index nach oben, sagen aber nichts über die sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten aus. Wenn Sie durch China reisen, sehen Sie, dass der Wohlstand ungleich verteilt ist. Einige Katzen haben, um Dengs berühmtes Wort abzuwan‐ 4.3 Globalisierung und Bruttoinlandprodukt 55 53 Zum Vergleich: In Deutschland sinkt die Anzahl der börsennotierten Unternehmen seit 2007, als sie mit 761 Unternehmen ihr Maximum annahm. Ende 2023 waren in Deutschland 429 Unternehmen börsennotiert. deln, offensichtlich eher Mäuse gefangen als andere. Ein zentrales Problem (wie in den westlichen Gesellschaften! ) ist inzwischen die Vererbung von Wohlstand, die mit Zugang zu guten Schulen für die Kinder der entsprechend Begünstigten einhergeht und damit das Leis‐ tungsprinzip teilweise außer Kraft setzt. Die Regierung versucht hier gegenzusteuern (z. B. durch ein weitgehendes Verbot privater Bildungs‐ angebote für Kinder, die sich nur der wohlhabende Teil der Bevölkerung leisten kann), aus meiner Sicht mit überschaubarem Erfolg. Meine Beobachtungen aus 20 Jahren China sind, dass es viele relativ arme Menschen aber keine bittere Armut gibt und ebenso Menschen, die hungrig sind, aber keine Menschen, die an Hunger leiden. Ich komme darauf noch zurück. 4.4 Die Börse Im Jahre 1992, praktisch direkt im Anschluss an Deng Xiaopings berühmt gewordene Reise nach Südchina, wurden in Shanghai und in Shenzhen zwei Aktienbörsen eröffnet. Die Anzahl der gelisteten Firmen stieg von 53 im Gründungsjahr auf 5.107 im Jahre 2023 (gegenüber 4.917 im Jahre 2022). 53 Wichtiger als die Anzahl der Firmen ist aber die Marktkapitalisierung und, wenn wir über Macht reden, das Verhältnis aus der Summe der in US-Dollar gemessenen Werte der in den USA am New York Stock Exchange und der NASDAQ notierten Aktien und der in China in Shanghai, Shenzhen und Hongkong gelisteten Aktien. Das Verhältnis zugunsten der USA betrug bereits 2012 ca. 3 : 1 und es ist seitdem sogar noch leicht gestiegen: Die weltweite Dominanz der amerikanischen Aktienmärkte ist ungebrochen. 56 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 54 Verkomplizierend kommt hinzu, dass es inbesondere in den ärmeren Provinzen in Zentral- und Westchina Unmengen von leerstehenden oder nicht fertiggestellten Wohnungen (Schätzungen gehen bis hin zu 90 Millionen) gibt, die auf Grund von Fehlanreizen und Fehlspekulationen gebaut wurden. In China ist eben alles ein bisschen größer (Stichwort Immobilienkrise in Spanien ab 2008, die zu einer „verlorenen Generation“ führte) als bei uns. Immobilien Etwas anders stellt sich die Sachlage dar, wenn man fragt, wo die Leute in den USA und in China ihr Geld investiert haben. In China steckt der überwiegende Teil des Geldes der Menschen in Immobilien und nicht in Aktien. Anders ausgedrückt: In den USA hängt der Zustand der Gesamtwirtschaft wesentlich an den Aktienmärkten, in China an den Immobilienpreisen. Das Preisverhältnis von Shanghai zu Tokio bei gleichwertigen Wohnimmobilien beträgt etwa 2,5: 1 (bei deutlich niedrigeren Gehältern in Shanghai). [35] In China gibt es relativ wenige Mietimmobilien, die überwiegende Mehrzahl der Leute kauft eine Wohnung, um selbst darin zu wohnen. Das bedeutet, dass selbst Gutverdiener, sofern Sie nicht Erben sind, im Laufe ihres Lebens kaum in der Lage sind, ihre Eigentumswohnung (der Begriff ist nicht ganz richtig, da bei Neubauten üblicherweise Nutzungsrechte für 99 Jahre verkauft werden) abzubezahlen und diese somit sehr lange zu einem gewissen Teil der Bank (die wiederum dem Staat gehört) gehört, die den Kredit vergeben hat. Damit hat der Staat selbstverständlich einen Hebel, um Wohlverhalten zu erzeugen. Dies ist im „Musterkapitalismusland“ Singapur, dessen in Großbritannien ausgebildeter legendärer „Staatsvater“ Lee Kuan Yew das wichtigste persönliche Vorbild für die nach Mao kommenden chinesischen Refor‐ mer ab den späten 1970er Jahren war, nicht anders. Praktisch gehören in Singapur fast alle Wohnungen dem Staat. Die Immobilienpreise sind für die Regierung von höchster Bedeutung: Einerseits kann sie sich nicht leisten, dass diese drastisch fallen, da dadurch Hunderte Millionen Menschen teilenteignet würden, anderseits dürfen sie auch nicht weiter steigen, da Wohnungen bereits heute schwer erschwinglich sind. 54 Mehr als 30 Jahre nach Gründung der Börsen spielen sogenannte insti‐ tutionelle Investoren (Fondsanbieter, Pensionskassen, etc.) in China eine 4.4 Die Börse 57 untergeordnete Rolle. An Chinas Börsen dominieren derzeit ca. 50 Millionen manipulierbare Kleinanleger, von denen viele nicht systematisch anlegen, sondern eher intuitiv „zocken“ und damit auch ihren Spieltrieb ausleben. Gerade aus diesem Grunde sind die Börsen auch für die Regierung politisch bedeutsam. Wenn die Anleger das Gefühl haben, keine faire Chance auf Gewinne zu haben, steht gesellschaftliche Unruhe quasi sicher vor der Tür. 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 01/ 1999 01/ 2003 01/ 2007 01/ 2011 01/ 2015 01/ 2019 01/ 2023 Shanghai Composite-Index Abb. 4.3: Der Shanghai Composite-Index 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) Große Ausschläge gab es 2007 und 2015; allerdings waren diese, da die Anzahl der Anleger noch verhältnismäßig gering war, für die Stimmung im Land weit weniger bedeutsam als es die Börse heute ist. Die chinesischen Börsen haben sich in Indexform seit Januar 2016 seitwärts bewegt. Das ist deutlich schlechter als der US-Markt und auch als ihre europäischen Pendants. Ursächlich dafür sind Überkapazitäten in vielen Bereichen: Viele Unternehmen produzieren zwar und tragen zum BIP bei, sie machen aber nur geringe oder keine Gewinne. Im Gegensatz zu den USA und Europa gab es seit 2018 kaum Inflation (der Höchstwert war 2,9 % im Jahre 2019). Abbildung 4.3 spiegelt also die reale Wertentwicklung recht gut wider. Offensichtlich hat es aber auch genügend Gewinner gegeben und nicht nur Firmen, wie der 2023 pleite gegangene Immobilienentwickler Evergrande, die die westliche Berichterstattung dominierten. Die Folgen der schlechten Performance von Chinas Technologieflagschiffen Tencent und Alibaba hatten zumeist Ausländer zu tragen: Beide Aktien werden 58 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 55 Tatsächlich gab und gibt es diverse unerwartete regulatorische Eingriffe der Regierung, die Anleger auf dem falschen Fuss erwischten. Dies ist aber, Stichwort Energiewende in Deutschland, kein allein-chinesisches Phänomen. 56 Eine starke Heimatwährung zwingt die international tätigen Unternehmen zu Inno‐ vation und Effizienz. Sie kann also langfristig stark machen, wie die Schweiz seit Jahrzehnten beweist. 57 Das Handelsvolumen, das ist die Summe der Importe aus und Exporte nach China, zwischen Deutschland und China betrug im Jahr 2023 254 Milliarden Euro. Das sind mehr als 3.000 Euro pro Bundesbürger! Vgl. Abb. 4.7. nicht in Shanghai oder Shenzhen, sondern in New York und in Hongkong gehandelt und sind für „Normalchinesen“ nicht investierbar, die, wenn man von Kunst abstrahiert, für Investitionen nur die Wahl zwischen in Shanghai und Shenzhen gehandelten Aktien und Immobilien haben. Kurz: Erfolgreiche Investitionen an den chinesischen Börsen sind nicht unmöglich; notwendige Voraussetzung dafür ist aber ein aktiver Investi‐ tionsstil auf Grundlage eines Verständnisses der demografischen Entwick‐ lung und der „langen Linien“ der Politik. 55 4.5 Die chinesische Währung Seit Gründung Volksrepublik China im Jahre 1949 heißt die chinesische Währung Renminbi (abgekürzt RMB), chinesisch für Volksgeld. Wenn von einer einzelnen Einheit wie 1 Euro oder 1 Dollar gesprochen wird, wird in China im Allgemeinen der alte Begriff Yuan verwendet. Auch gibt es Dutzende umgangssprachliche Bezeichnungen (wie im Deutschen Kohle, Zaster, Knete, usw.) von denen die gängigste Kuai ist. Im Folgenden wenden wir uns den Austauschrelationen von RMB (bzw. Yuan) zu Euro und Dollar zu. Diese sind für uns von besonderem Interesse, da China einer unserer wichtigsten Handelspartner ist und damit ein schwacher Euro - zumindestens kurzfristig 56 - deutsche Importe verteuert und Exporte nach China begünstigt. 57 Für China bzw. die chinesischen Unternehmen stellt sich die Situation gespiegelt dar. Ein starker Yuan (was das gleiche ist wie ein schwacher Euro) ist gut für chinesische Importe aus Europa (inklusive Urlaub oder Studien von Chinesen in Europa) aber a priori negativ für die chinesischen Exporteure. 4.5 Die chinesische Währung 59 Währungsrelationen Wenn der Wechselkurs im Ausgangszustand mit 1 Euro = 8 RMB ange‐ nommen wird, dann würde ein zukünftiger Wechselkurs von 1 Euro = 7 RMB einen schwachen Euro (man bekommt weniger RMB pro Euro) und spiegelsymmetrisch einen starken RMB bedeuten (für einen RMB bekommt man 1/ 7 Euro anstelle von lediglich 1/ 8 Euro). Analog wäre der Euro bei einem Wechselkurs von 1 Euro = 9 RMB stark (bzw. stärker als heute) und der RMB schwach. Beachten Sie, dass es sich hier um rein numerische Austauschverhältnisse handelt, die nichts über die Kaufkraft besagen. Nehmen wir zunächst die Perspektive eines deutschen Exporteurs an. Wenn seine in Deutschland hergestellte Maschine inklusive Transport nach China z.-B. 10.000 Euro kostet und das Unternehmen mit einem Gewinn von 10-% kalkuliert, dann muss das Unternehmen in diesem Ausgangszustand 88.000 RMB erlösen. Wird der Euro nun mit einem Wechselkurs von 1 : 7 schwächer, dann kann es diese 88.000 RMB in 12.571 Euro umtauschen, sein Gewinn würde c.-p. um ca. 15-% steigen. Wird der Euro hingegen stärker, dann kann es die 88.000 RMB nur noch in 88.000 RMB/ (9 RMB/ Euro) tauschen und das Unternehmen macht bei einem Erlös von umgerechnet 9.778 Euro einen Verlust in Höhe von 222-Euro. Wenn ein chinesisches Unternehmen, das seine Kosten in chinesischer Währung begleicht, im Ausgangszustand von einem deutschen Importeur für z. B. eine Hose 100 RMB berechnet, dann korrespondiert dies zu 12,50 Euro. Steigt der Euro im Wert auf 1 Euro zu 9 RMB, dann könnte der chinesische Produzent die Hose theoretisch für 11,11 Euro verkaufen, ohne dass sein Gewinn geschmälert wird. Sinkt der Wert des Euro, dann müsste der chinesische Produzent vom deutschen Importeur c. p. 100 RMB/ (7 RMB/ Euro) = 14,28 Euro verlangen. Zumeist wird er eine solche Preiserhöhung nicht durchsetzen können, also wird er billiger produzieren müssen oder pleite gehen. Es sind nun die eine brutale Konkurrenz innerhalb Chinas überlebenden Unternehmen, die auf die Weltmärkte strömen. Sowohl Deutschland als auch China sind exportorientierte Volkswirtschaften; ein schwacher Euro, der deutsche Exporte begünstigt und ein schwacher RMB, der chinesische Exporte stützt, schliessen sich aber aus. China hat neben seiner Größe den unbestreitbaren Vorteil, dass es eine eigene Zentralbank hat, während 60 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 58 Von Bedeutung ist hier auch, dass zahlreiche Verträge zu natürlichen Ressourcen wie Öl und Edelmetallen wie Gold auch ohne amerikanische Beteiligung in US-Dollar abgeschlossen werden. die Europäische Zentralbank nicht nur die Interessen Deutschlands, sondern aller Mitglieder der Eurozone im Blick haben muss. Trotz aller Diversifizierungsanstrengungen, die die chinesische Regierung unternimmt, ragen Mitte der 2020er Jahre mit den USA und der Europäischen Union zwei Handelspartner heraus. Damit kommt aus chinesischer Sicht den Wechselkursen von RMB und US-Dollar sowie RMB und Euro eine herausra‐ gende Bedeutung zu. Dass die chinesische Regierung ihre Währung bisher nicht frei konvertierbar gemacht hat, ist als Zeichen großer Vorsicht bzw. Klugheit - man sieht sich den USA auf den Finanzmärkten nicht gewachsen - zu verstehen. Das Problem der chinesischen Zentralbank ist nun, dass Euro und USD frei konvertierbare Währungen sind, die chinesische Zentralbank also nicht beide gleichzeitig direkt „unter Kontrolle“ halten kann. Die chinesische Politik hat sich früh entschieden, den Wechselkurs des RMB zum US-Dollar „zu managen“ (s. Abb. 4.4). 58 Praktisch bedeutet dies, dass pro Arbeitstag von der People’s Bank of China (nicht zu verwechseln mit der großen Privatbank Bank of China) ein Wechselkurs des US-Dollars zum RMB (oder eine enge Spannbreite) festgelegt wird. Dabei hat die chinesische Zentralbank ganz sicher auch ein Auge auf den Wechselkurs der chinesischen Währung zum Euro. 5 6 7 8 9 01/ 1999 01/ 2004 01/ 2009 01/ 2014 01/ 2019 01/ 2024 Wechselkurs RMB pro US-Dollar Abb. 4.4: Wechselkurs von RMB pro USD 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) 4.5 Die chinesische Währung 61 59 Die Einführung von Euro-Bargeld erfolgte drei Jahre später am 1. Januar 2002. Bis Juli 2005 koppelte die chinesische Zentralbank den RMB zu einem festen Wechselkurs von ca. 8,27 RMB an den US-Dollar. Beschwerden und Druck der USA und weiterer westlicher Handelspartner inklusive Japan mit der Begründung, China erschleiche sich über seine künstlich unterbewertete Währung Handelsvorteile, führten nach Chinas Beitritt zur Welthandelsor‐ ganisation WTO zu einer schrittweisen kontrollierten Aufwertung des RMB gegenüber dem US-Dollar bis 2013 um insgesamt etwa ein Viertel. Seit 2014 ist unter beträchtlichen Schwankungen eine leicht gegenläufige Bewegung zu beobachten. Zu abnehmenden Wachstumsraten des BIPs korrespondierte nun, begleitet von lautstarker Kritik der amerikanischen Politik, eine von der chinesischen Zentralbank gesteuerte leichte Abwertung des RMB gegenüber dem US-Dollar. Bevor wir uns dem Austauschverhältnis von RMB und Euro zuwenden, müssen wir uns dem wichtigsten flexiblen Währungspaar weltweit, dem von Euro und US-Dollar, widmen. 0,5 0,7 0,9 1,1 1,3 1,5 1,7 01/ 1999 01/ 2004 01/ 2009 01/ 2014 01/ 2019 01/ 2024 Wechselkurs US-Dollar pro Euro Abb. 4.5: Wechselkurs von USD pro Euro 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) Bei Einführung des Euro als Buchgeld 59 am 01.01.1999 wurde ein Wechsel‐ kurs von 1,17 US-Dollar pro Euro festgelegt. Die neue Währung verlor zunächst deutlich an Wert gegenüber dem US-Dollar, nur 13 Monate nach seiner Einführung war ein US-Dollar mehr wert als ein Euro. Bis sich ab März 2002 - US-Präsident George W. Bush hatte inzwischen als Antwort auf die Anschläge des 11. September 2001 seinen weitgehend schuldenfinanzierten 62 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen - das Bild zu ändern begann. Im Juli 2008, also zu Beginn der Weltfinanzkrise, erreichte der Euro sein bisheriges Allzeithoch mit fast 1,60 US-Dollar, die für einen Euro zu bezahlen waren. Innerhalb von nur reichlich 6 Jahren hatte der US-Dollar gegenüber dem Euro fast die Hälfte seines Wertes verloren! Seitdem wertet der US-Dollar gegenüber dem Euro, wenn auch langsam, wieder auf. Die folgende Grafik illustriert nun das für China wie Deutschland so wichtige Austauschverhältnis von RMB und Euro. 5 6 7 8 9 10 11 12 01/ 1999 01/ 2004 01/ 2009 01/ 2014 01/ 2019 01/ 2024 Wechselkurs RMB pro Euro Abb. 4.6: Wechselkurs von USD pro Euro 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) Seit 2015 ist es der chinesischen Zentralbank bei gleichzeitiger leichter Abwertung gegenüber dem US-Dollar gelungen, den Wechselkurs zwischen Euro und RMB in einem vergleichsweise engen Korridor von knapp unter 7 RMB pro Euro bis knapp über 8 RMB pro Euro „mitzusteuern“. Zu beachten ist im hiesigen Kontext, dass es in den vergangenen Jahren in China im Gegensatz zur Euro-Zone und den USA kaum Inflation gab, was zu einer Kaufkraftabwertung des Euro gegenüber dem RMB in der Größenordnung von ca. 20-% korrespondiert! Indem die chinesische Zentralbank versucht, zugleich „vernünftige“ Wechselkurse zum US-Dollar und zum Euro zu gestalten, dient sie dem übergeordneten Ziel, die soziale Stabilität in China zu bewahren und das bedeutet im hiesigen Kontext, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Bisher ist ihr dies, wie ein Blick auf die Exporte und Importe Chinas mit Blick auf Deutschland zeigt, recht gut gelungen. 4.5 Die chinesische Währung 63 60 Relativ gesehen ist Europa auf dem absteigenden Ast. Im Jahre 2010 war die Wirt‐ schaftsleistung der EU in etwa so hoch wie die der USA. Dreizehn Jahre später überstieg der Wert der USA (bei einer deutlich kleineren Bevölkerung) den der EU um ca. 50 % und China hatte zur EU aufgeschlossen. 0 50 100 150 200 250 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023 Außenhandel Deutschlands mit China in Mrd. Euro Importe aus China Exporte nach China Abb. 4.7: Wert der deutschen Importe aus und Exporte nach China von 2007 - 2023 in Mrd. Euro (Eigene Darstellung: Daten vom Statistischen Bundesamt [36]) Exkurs: Yuan vs. US-Dollar im „Kampf um die Weltherrschaft“ Die beiden politisch, ökonomisch und militärisch dominierenden Mächte der Gegenwart sind fraglos die USA und China. Europa ist (noch) ein wirtschaftliches Schwergewicht 60 , politisch und militärisch aber mit den „beiden Großen“ nicht auf Augenhöhe. Trotz der Größe und der wirtschaftlichen Stärke der Europäischen Union war es dem Euro zu keiner Zeit gelungen, auch nur annähernd die Akzeptanz des US-Dollars weltweit zu erreichen; selbst nicht zu Zeiten von dessem höchsten relativen Werteverlust um das Jahr 2008. Selbst im Shanghai des Jahres 2024 muss meine Bankfiliale erst Euros bestellen, bevor ich diese einen Tag später kaufen kann. Kein Land oder eine Staatenunion verfügt über annähernd so tiefe Kapitalmärkte wie die USA. Weder der Euro noch der RMB werden auf absehbare Zeit in der Lage sein, den Dollar als Weltleitwährung zu 64 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 61 Die Haushaltsdefizite haben sich seit einigen Jahren auf einem Niveau von über 6 % des BIPs eingepegelt und werden nach bisherigem Kenntnisstand bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts auch in dieser Größenordnung verbleiben. Bereits 2010 stellte Admiral Michael Mullen, Chief of Joint Staff, fest: "The most significant threat to our national security is our debt. …And the reason I say that is because the ability for our country to resource our military … is going to be directly proportional - over time, not next year or the year after, but over time - to help our economy. That's why it's so important that the economy move in the right direction, because the strength and the support and the resources that our military uses are directly related to the health of our economy over time." [37] 62 Historisch „zulässig“ bzw. akzeptiert war bei gegebenen rechtlichen Voraussetzungen bisher das Zugreifen auf das Vermögen von Privatpersonen und Unternehmen. Staaten, und die russische Zentralbank ist der Russischen Föderation zugeordnet, genossen Immunität. ersetzen. Tatsächlich sind es die USA bzw. ihre Regierungen selbst, die den US-Dollar durch eine ausufernde Schuldenpolitik gefährden. 61 Der zweite Punkt ist politischer Natur: Nachdem US-Präsident Barack Obama während des Arabischen Frühlings in den Jahren 2011 und 2012 keinen Finger rührte, um den jahrzehntelangen Allierten der USA, Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, vor dem Gefängnis zu bewahren, setzte ein Umdenken in der Golfregion, insbesondere in den Vereinig‐ ten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien, ein. Getreu der Ahnung we might be the next begann man, sich von den USA, wenn nicht unabhängig, so doch unabhängiger zu machen. China ist inzwischen der wichtigste Abnehmer von saudischem Öl und Saudi-Arabien damit von China abhängiger als umgekehrt. Ende 2023 vereinbarte China mit Saudi-Arabien einen direkten Währungstausch: also ohne US-Dollar. [38] Kurz zuvor, im März 2023, war es China, das eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran vermittelte, und nicht die USA. Last but not least: Die in Folge des Angriffs Russland auf die Ukraine erlassenen US-Sanktionen zwingen selbst indirekte Handelspartner Russlands, des Iran und weiterer sogenannter „Pariastaaten“ zum Aus‐ weichen auf andere Währungen (und Gold, zu dessen nachhaltigsten Käufern seit mehr als zwei Jahrzehnten die russische und die chine‐ sische Zentralbank zählen). Inwieweit Versuche, russisches Staatsver‐ mögen zu konfiszieren und dies der Ukraine zur Verfügung zu stellen, den Ruf von Europa und den USA als sichere Investitionsstandorte beeinträchtigen, wird sich zeigen. 62 4.5 Die chinesische Währung 65 63 Es kann z. B. vereinbart werden, dass innerhalb der folgenden 10 Jahre so und so viele Tausend Tonnen von Ressourcen wie Kupfer, Seltene Erden, Kohle und vieles mehr gegen eine festgelegte Anzahl von Straßenund/ oder Eisenbahnkilometern, Staudämmen, usw. „getauscht“ werden und zwar ohne unverzichtbaren Bezug auf eine Währung und sich täglich ändernde Marktpreise. Das Gesamtbild auf den Währungs- und Gütermärkten dürfte in der absehbaren Zukunft weniger homogen sein als wir es seit Beginn der 1990er Jahre gewohnt waren und die Aussagekraft der internationalen Statistiken dürfte weiter sinken. Die Tatsache, dass jedermann, der US-Dollar verwendet, subject to American law ist, wird ex höhere Gewalt den vermehrten Einsatz von anderen Währungen als dem US-Dollar inklusive Gold beschleunigen; ebenso werden langfristige Tauschgeschäfte, wie sie China im Rahmen seiner Belt and Road Initiative mit zahlreichen Entwicklungsländern bereits seit weit über einem Jahrzehnt praktiziert, an Bedeutung zunehmen. 63 66 4 Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart 64 Tatsächlich gab es mehrere Zeiten in der Menschheitsgeschichte, in denen etwa jeder dritte Erdenbewohner Chinese war. Dies war um ca. 200 n. Chr., 1600 n. Chr. und zwischen 1800 n.-Chr. und 1850 n.-Chr. der Fall. 65 Im Herbst 2023 und im Frühjahr 2024 wurden äußerst unrühmliche Statistiken zur Lebenserwartung in Deutschland, das im westeuropäischen Ranking am unteren Ende rangiert, publiziert, vgl. [40]. 5 Demografie und Gesellschaft Als Mao 1976 starb, war jeder vierte Erdenbewohner Chinese und das, ohne die Auslandschinesen, die man heute auf ca. 40 - 50 Millionen Menschen schätzt, zu zählen. In der Gegenwart ist es nur noch etwa jeder Sechste. 64 Chinas relativer Anteil an der Weltbevölkerung schrumpft wie der Europas auch. In absoluten Zahlen betrug die Bevölkerung Chinas Anfang der 2020er Jahre mehr als 1,4 Mrd. Menschen und damit in etwa das Dreifache der Bevölkerung der Europäischen Union bzw. knapp das Doppelte der Summe von EU und USA. Die Bevölkerung der VR China ist bei Erscheinen dieses Buches in absoluten Zahlen näherungsweise auf Allzeithoch, beginnt nun aber (zunächst sehr langsam) zu schrumpfen. Im Jahre 2023 wurde China von Indien als bevölkerungsreichstes Land der Erde überholt. China und Indien, das muss man sich immer wieder vor Augen halten, sind schlicht zu groß, um „normale“ Mitglieder im Club der Nationen zu sein. Aufgrund der Auswirkungen der Ein-Kind-Politik (s. das folgende Un‐ terkapitel) und der durch ein deutlich verbessertes Gesundheitssystem erhöhten Lebenserwartung - diese lag im Jahr 2022 bei 76 Jahren für Männer und 81,3 Jahren für Frauen [39] - ist das Durchschnittsalter der Chinesen in den vergangenen vier Jahrzehnten stark gestiegen und liegt bei Männern und Frauen jeweils nur ca. zwei Jahre unter den deutschen Vergleichswerten, aber jeweils ca. 6 Jahre unterhalb der japanischen Werte. Mit anderen Worten. Bezüglich der Lebenserwartung ist Deutschland näher an China (und umgekehrt) als an Japan. 65 Der Alterungs- und Schrumpfungsprozess der chinesischen Bevölkerung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der vorhersehba‐ ren Zukunft an Dynamik gewinnen. Wie dieser Prozess tatsächlich ablaufen wird, bleibt eine offene Frage. Die quantitativen Prognosen, mit denen derzeit öffentlich hantiert wird, sind jedenfalls mit höchster Vorsicht zu geniessen: Für China wurde z. B. im Jahr 2010 das Bevölkerungsmaximum bereits für 2015 prognostiziert und nicht erst für 2022. Selbst für unser kleines Deutschland erwiesen sich ab 2009 alle mir bekannten Prognosen der Bevölkerungsentwicklung wenige Jahre später als qualitativ falsch. Das hat nichts mit mangelnder Kompetenz der Demografen, die diese Szenarien gerechnet haben, zu tun. Geändert hatten sich die Fakten. [41] Die chinesische Regierung hat seit langem erkannt, dass es primär auf die Qualität der Bevölkerung ankommt und weniger auf die Quantität. Unfreiwilliges Vorbild ist in vielerlei Hinsicht Japan, dem es offensichtlich gelingt, friedlich zu schrumpfen. In China muss heute also bereits gedacht werden, was wir, die wir unseren Fachkräftemangel von außen und damit auch auf Kosten Dritter lösen wollen, nicht einmal zu denken wagen. [42] Inwieweit eine kluge Bevölkerung gehorsam sein wird, wird sich erwei‐ sen. Dies hängt heute wie gestern und in Zukunft ganz sicher direkt von der Qualität ihrer Führung ab. 68 5 Demografie und Gesellschaft Abb. 5.1: Altersverteilung der Bevölkerung in der VR China: 1950, 1978 und 2023 (Quelle: Populationpyramid [43]) 5 Demografie und Gesellschaft 69 66 Es gab einige wenige Ausnahmen, insbesondere für die 55 anerkannten Minderheiten. Siehe auch Abschnitt 6.2. 5.1 Die Ein-Kind-Politik und ihre Folgen Um dem - nach über 100 Jahren endlich Frieden! - 1949 beginnenden explosionsartigen Bevölkerungswachstum zu begegnen, führte die chinesi‐ sche Zentralregierung im Jahre 1979 die Ein-Kind-Politik ein. Während sich die Bevölkerung in den 30 Jahren nach Gründung der VR China fast verdoppelte (trotz Rückschlägen wie dem „Großen Sprung nach vorn“, s. Abschnitt 4.1), betrug der Zuwachs der Bevölkerung in den 45 Jahren danach „nur noch“ ca. 50 Prozent. Auf Grund der Ein-Kind-Politik wurden mehr als 500 Millionen Menschen nicht mehr geboren! Die Ein-Kind-Politik besagte, wie der Name andeutet, dass ein chinesisches Ehepaar nach 1979 bis zu ihrer Aufhebung im Jahre 2015 nur das Recht auf ein Kind hatte. 66 Zu Beginn der Einführung der Ein-Kind-Politik wurde diese von der damals überwiegend ländlichen Bevölkerung oft nicht ernst genommen, bis sie mit zum Teil brutaler Gewalt wie öffentlich vorgenommenen Abtreibungen durchgesetzt wurde. Da sich die Mehrzahl der Bauernfamilien unter diesen Umständen entschied, nur noch einen männlichen Nachfolger „zu wollen“, waren massenweise Abtreibungen weiblicher Föten, vor allem auf dem Lande, die Folge. Dies führte zu einem krassen Missverhältnis zwischen weiblichen und männlichen Lebendgeburten und damit seit ca. dem Jahre 2000 zu einem eklatanten Überhang von Männern gegenüber Frauen im heiratsfähigen Alter. Der untere Teil der Abbildung 5.1, der die Bevölkerungsverteilung Chi‐ nas im Jahr 2023 darstellt, erlaubt unter Verwendung der Grundrechen‐ arten einige interessante Schlüsse. Wir konzentrieren uns hier auf das Alterscluster 25-29 Jahre und sehen, dass 3,2 % aller Chinesen in diesem Alterscluster männlich und 2,8 % weiblich sind. Somit sind zusammen 6 % der Gesamtbevölkerung zwischen 25-29 Jahre alt. Davon waren zum Zeitpunkt der Betrachtung (2023) ca. 45,6 Millionen männlich und 39,9 Millionen weiblich. In dieser für die Familiengründung relevanten Gruppe können ceteris paribus fast 6 Millionen Männer keine Partnerin finden, weil die potenzielle Partnerin physisch nicht existiert! Je nachdem wie man rechnet (inklusive Zweitfrauen reicher Chinesen, was verboten ist und der ebenso offiziell verbotenen Prostitution, die dem Heiratsmarkt junge Frauen entzieht) kommt man auf ca. 25 - 30 Millionen Männer im heiratsfähigen 70 5 Demografie und Gesellschaft 67 Biologisch „normal“ ist ein Jungsüberschuss in der Größenordnung von 4 - 5 %. In Deutschland liegt der numerische Wert recht zeitinvariant bei 105 männliche Lebendgeburten: 100 weibliche Lebendgeburten. 68 Ernährung und Krankenversorgung machen gemeinsam den Unterschied: Die durch‐ schnittliche Lebenserwartung in China liegt derzeit um fast 10 Jahre höher als in Indien. und -willigen Alter, denen physisch keine Frau gegenübersteht. Diese „übrig gelassenen“ Männer sind, nicht überraschend, zumeist arm und wenig gebildet. Obwohl es in China bis heute gesetzlich verboten ist, sich vor der Geburt über das Geschlecht des ungeborenen Kindes zu informieren, setzten und setzen sich die meisten werdenden Eltern darüber hinweg. Die aktuellen Relationen befinden sich interessanterweise immer noch relativ weit ent‐ fernt vom biologischen Normalzustand. 67 Nach einem Tiefpunkt von ca. 120 männlichen zu 100 weiblichen Lebendgeburten in den Jahren 2006-2010 liegt das Verhältnis der letzten Kohorte (0 - 4 Jahre) in Abbildung 5.1 bei ca. 110 Jungen zu 100 Mädchen. In den vergangenen Jahren wurden durch die chinesische Zentralregie‐ rung mehr und mehr Ausnahmen formuliert bis hin zur völligen Aufgabe der Ein-Kind-Politik im Jahre 2015. Tatsächlich fruchteten aber die bisherigen Versuche der Regierung nicht, die Geburten wieder moderat „anzukurbeln“. Die Geburtenrate Chinas konvergiert offensichtlich gegen die sehr niedri‐ gen Werte Japans, Südkoreas und Taiwans, die alle noch unterhalb der deutschen Geburtenrate von derzeit ca. 1,36 Kinder (Stand 2023) pro Frau liegen. Die Ein-Kind-Politik hat in Verbindung mit besserer Ernährung und Kran‐ kenversorgung 68 nicht nur zu einer dramatischen Alterung der Gesellschaft, sondern auch zu einem veränderten Sozialverhalten geführt. Früher war die Familie wie eine Pyramide aufgebaut; oben die Großeltern, unten die Enkelschar; heute müssen sich zwei Eltern um ihr Kind und vier Eltern kümmern. Hinzu kommt der partielle Verlust der Unterordnung der Kinder, da sich von früher Jugend fast alles um die Kinder dreht. Weitgehender Konsens besteht in der chinesischen Gesellschaft, dass die Ein-Kind-Politik notwendig und damit richtig war. Tatsächlich läge die Be‐ völkerung Chinas heute ohne diesen „Eingriff “ seitens der Zentralregierung vermutlich um die Zwei-Milliarden-Menschen-Grenze. Der wirtschaftliche Aufschwung, den China in den vergangenen Jahrzehnten erfuhr, hätte in dieser Form nicht stattfinden können. 5.1 Die Ein-Kind-Politik und ihre Folgen 71 69 Die wichtigste kindliche Bezugsperson fast aller meiner chinesischen Kollegen war entweder die Großmutter oder der Großvater. 5.2 Vorbild Japan? Wenn man davon abstrahiert, dass China über die Jahrtausende Einwande‐ rer (darunter auch siegreiche Angreifer wie die Mongolen) absorbiert hat, gibt es wie in Japan und Südkorea keine Migrationstradition. Zudem ist China auch viel zu groß, um seine Probleme - Stichwort wieder Fachkräfte‐ mangel - auf dem Rücken bzw. auf Kosten seiner Nachbarn lösen zu können. Der demografische Wandel in Japan - Japan hatte im Jahr 2010 mit 128,11 Mio. Menschen das Maximum an Bevölkerung erreicht und ist bis Ende 2023 bei gleichzeitiger Alterung um ca. 5 Millionen Menschen geschrumpft - muss, da die Regierung Frauen offensichtlich nicht zum Gebären zwingen will, Chinas Vorbild sein. Nach den Gesetzen der Ökonomie gibt es neben Einwanderung grund‐ sätzlich zwei Möglichkeiten bzw. Kombinationen, die Hand in Hand mit der Rentenproblematik und der Kindererziehung gehen, um mehr Arbeitskraft verfügbar zu machen: Dies sind längere Arbeitszeiten und eine Steigerung der Erwerbsquote. Insbesondere ersteres kann in Japan beobachtet werden. Es gibt alte Busfahrer, alte Rezeptionisten, alte Menschen, die Parks reinigen, die im Supermarkt aushelfen etc. Vieles geht also inzwischen etwas langsa‐ mer und das wird so akzeptiert. Die japanische Regierung hat dabei kluge finanzielle Rahmenbedingungern hinsichtlich Besteuerung und Bezahlung von Menschen im Rentenalter formuliert. Zudem scheinen mir die alten Menschen, die ich in japanischen Großstädten arbeiten gesehen habe, geistig und körperlich im Durchschnitt gesünder zu sein als ihre Pendants in Deutschland und den USA. Arbeit ist offensichtlich nicht nur Mittel zum Leben, sondern sozial von herausragender Bedeutung. In China gibt es allerdings noch ein weiteres sehr ernstes Problem: Die Rolle der Erziehung der kleinen Kinder oblag in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend den Großeltern. 69 Wenn diese also länger arbeiten müssen, wird zu klären sein, wer die Kinder großzieht. 72 5 Demografie und Gesellschaft 70 Ein sehr kluger weltgewandter und weitgereister chinesischer Freund sagte vor ca. 20 Jahren zu mir, dass er die Demokratie für China nicht geeignet halte. Die verkürzte Argumentation war, dass seine Stimme dann genauso viel wert sei, wie die eines ungebildeten Bauern oder Arbeiters, von den es sehr viele gäbe. Ich würde seine Aussage derart verallgemeinern, dass eine langfristig erfolgreiche Demokratie ein gebildetes Volk voraussetzt. 5.3 Das Mandat des Himmels und der Fluch des Konfuzius Die geistigen Wurzeln des heutigen Chinas wurden etwa vor ca. 2.300 - 2.600 Jahren in Zeiten von Bürgerkriegen und Zerrüttung gelegt. Die chine‐ sische Philosophie wird seitdem durch Fragen, wie Frieden und Harmonie wiederhergestellt werden können, dominiert. Als Zeichen der Kontinuität wurde das historisch mehr als zweieinhalbtausend Jahre alte Ziel der „harmonischen Gesellschaft“ im Jahre 2004 auf der 4. Plenartagung des 16. Parteitages der KP Chinas zur Staatsdoktrin erklärt. In der klassischen chinesischen Tradition herrrscht der Kaiser (heute ersetzt durch die Kommunistische Partei Chinas, diese wiederum vertreten durch Xi Jinping) durch seine Tugend. Seine Tugend und Weisheit strahlen nach unten; sie sind Vorbild für die Beamten, die wiederum Vorbild für das Volk sind. Die Devise des Herzogs von Zhou „Führer in der Tugend zu sein, dem das Volk nacheifert.“ [44] gilt nun seit 3.000 Jahren! Die für mich wichtigste Passage im nur wenige hundert Jahre jüngeren Lun-yu (Gespräche des Konfuzius) lautet: „Führe das Volk durch Gesetze, und ordne es durch Strafen, und das Volk wird versuchen, den Strafen zu entgehen, aber es wird keine Scham haben. Führe das Volk durch Tugend und ordne es durch die Rituale des Anstandes, und das Volk wird Scham haben und gut werden.“ [45] Im Zentrum aller Herrschaftsüberlegungen in China steht bis heute nicht die Herrschaft durch das Volk, sondern die Herrschaft für das Volk. 70 Der Kaiser hat also die Pflicht dafür zu sorgen, dass die Menschen ein möglichst „langweiliges“ Leben (in der Gegenwart etwas verkürzt auf ‚kein Hunger, kein Krieg, gute Lebensaussichten für die Kinder, …‘) haben. Er ist der erste Diener unter dem Himmel, eine Vorstellung, die uns aus dem Preußenkönigtum von Friedrich II. bekannt vorkommt. In mehreren historischen Perioden der vergangenen zweieinhalbtausend Jahre, in denen der Kaiser sein Mandat nicht entsprechend wahrnahm, kam es zu brutalen Aufständen, Bürgerkriegen und mitunter zur Ablösung der alten Dynastie, die das Mandat des Himmels verloren hatte. 5.3 Das Mandat des Himmels und der Fluch des Konfuzius 73 71 Wir erörtern an dieser Stelle nicht, ob Kinder überhaupt geschlagen werden sollten. In der Gegenwart wird dies in unserem Kulturkreis zumeist abgelehnt. Dabei handelt es sich aber wiederum um eine Konvention, die sich im Laufe der Zeit - schauen Sie sich z. B. Wilhelm Buschs Bildgeschichten aus dem späten 19. Jahrhundert an, in denen Eltern und Lehrer fast ständig auf Kinder einprügeln - verändert hat. Von Konfuzius’ wichtigstem philosophischen Nachfolger Menzius ist das folgende, bis in die heutige Politik Wirkende, überliefert: „Hier ist der Weg, die Oberherrschaft zu gewinnen: Gewinne das Volk, und du gewinnst die Oberherrschaft. Hier ist der Weg, die Menschen zu gewinnen: Gewinne ihre Herzen, und du gewinnst das Volk. Hier ist der Weg, ihre Herzen zu gewinnen: Gib ihnen, was sie wünschen, und erlege ihnen nicht auf, was sie nicht mögen.“ [46] Menzius ging so weit, zu erklären, dass eine Regierung, die nicht dafür sorge, dass es dem Volk gut gehe, abgelöst werden müsse! Das ist meiner Kenntnis nach die härteste je formulierte Drohung an eine Regierung. Solange die Regierung ihre Arbeit also anständig verrichtet, d. h. dass sie den Leuten ein gutes Leben ermöglicht, verdient sie uneinge‐ schränkten Respekt und Loyalität. Aber wehe, dem ist nicht so. Dann gehört die alte Dynastie gestürzt und eine neue Dynastie wird erscheinen. So lautet der Fluch des Konfuzius (oder besser, der Konfuzius zugeschriebene Fluch) Mögest Du in interessanten Zeiten leben! Wenn Sie das derzeit verbindliche Dokument der chinesischen Regierung zu den Menschenrechten, in englischer Übersetzung „Human Rights Action Plan of China (2021 - 2025“ [47], lesen, wird Ihnen auffallen, dass die Schwer‐ punkte anders gesetzt sind, als es im Westen der Fall ist: Wir verwenden zwar denselben Begriff, meinen aber etwas anderes. China konzentriert sich bei klarer Priorisierung von kollektiven gegenüber individuellen Interessen auf die sogenannten Menschenrechte zweiter Ordnung und dabei primär auf die Abschaffung von Armut. Der Chef in China Der Mensch ist in China durch seine Pflichten definiert; Rechte basieren auf wahrgenommenen Pflichten. Dieses Prinzip zieht sich vom Kaiser bis in die Familien. Wenn z. B. ein Vater seine Kinder grundlos schlägt 71 , können diese ihn im Zweifel im Alter verrotten lassen. Ein guter Vater verdient hingegen lebenslang Respekt. 74 5 Demografie und Gesellschaft 72 Ich weiß das nicht mit Gewissheit zu sagen, aber vermutlich nutzen die Chefs dazu „graue Kassen“. So etwas gibt es als Folge von Xi Jinpings andauernden Antikorrupti‐ onskampagnen in der Gegenwart nicht mehr. Sie werden in China rasch feststellen, dass ein chinesischer Chef über deutlich mehr Rechte, aber ebenso über mehr und tiefergehende Pflich‐ ten verfügt als sein deutsches Pendant. Und wenn Sie mit einer Gruppe Chinesen dienstlich zusammentreffen, werden Sie feststellen, dass einer (oder eine) entscheidet. Das ist zumeist nicht derjenige, der am meisten spricht. Im Folgenden berichte ich unkommentiert einige Erlebnisse, die ich in meinem Umfeld an zwei Shangaier Universitäten erlebt habe. • Ein ehemaliger Universitätsprofessor, der ein wirklich guter Chef war, und seit vielen Jahren pensioniert, erkrankte als 80-jähriger Mann an Krebs und verbrachte deshalb knapp drei Monate im Krankenhaus. Er bekam jeden Tag Besuch von einem seiner beiden ehemaligen Oberassistenten, die inzwischen selbst Chefs geworden waren. Die Fragen, dass sie dafür doch nichts „zurückbekämen“ oder ob einmal pro Woche nicht auch reiche, hätten die beiden Professoren nicht verstanden. Es war ihre Pflicht, ihrem ehemaligen Chef in schwerer Zeit zur Seite zu stehen. Nachdem dieser genesen war, beschränkten sie ihre Besuche wieder auf ein monatliches Teetrinken. • Ein guter Chef, und davon habe ich mehrere erlebt, berät und hilft seinen Mitarbeitern bei Ehestress und, jedenfalls bis etwa 2015, auch bei Geldproblemen. 72 Er kann, dann muss das Problem aber dringend sein, auch am Wochenende und in der Nacht angerufen werden. Wenn es dringend ist, muss er sich das auch anhören. Sonst ist er kein guter Chef. Es sollte dann aber auch dringend sein. • Als sich ein ehemaliger Mitarbeiter, zu dem ich ein sehr enges persönliches Verhältnis hatte, mit Familiengründungsplänen trug, wurde mir die betreffende Dame nicht nur vorgestellt, es wurde relativ klar, dass er eine Aussage von seinem Ex-Chef erwarte, ob dieser glaube, dass er die richtige Partnerin ausgewählt habe. 5.3 Das Mandat des Himmels und der Fluch des Konfuzius 75 • Ein befreundeter Professor suchte für eine junge Doktorin, die bereits 30 Jahre alt war, lange und ausdauernd einen Ehemann. Er konnte erst ruhen, als seine ehemalige Studentin verheiratet war … Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die großen chinesischen Dynastien der Zhou, Han, Tang, Song, Ming und Qing allesamt länger als 250 Jahre „durchhielten“ (also jeweils länger, als es die Vereinigten Staaten von Amerika existieren) bevor sie durch gewaltsamen Umsturz und Tod der alten Eliten, inklusive des Kaisers, abgelöst wurden und dagegen die Dauer der Existenz der seit 1949 herrschenden „Dynastie“, der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), stellt, dann erschließt sich rasch, dass die Herrschaft der KPC gerade erst dem Alter eines Jungerwachsenen entspricht. Mit anderen Worten: Die noch junge herrschende Dynastie muss sich noch lange täglich beweisen und es gibt genügend ernste Herausforderungen. Neben der geopolitischen Rivalität mit den USA - der Handelskrieg und die zahlreichen Embargos insbesondere von Halbleitern tun der chinesischen Wirtschaft natürlich weh - sind es insbesondere demografische Fragen und hier zuvorderst der Überschuss an wenig qualifizierten Männern, den die Regierung ständig im Auge haben muss. Worauf die Regierung immer rechnen kann, ist die Leidensfähigkeit ihres Volkes. Aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt, der nicht überschritten werden darf. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte während ihrer 16-jährigen Amtszeit meines Wissens nur ein freundschaftliches Verhält‐ nis zu einem weiteren Spitzenpolitiker aufgebaut, dem von 2003 - 2013 amtierenden Premierminister Wen Jiabao (nach Präsident Hu Jintao die damalige Nr. 2 in China). Als Bundeskanzlerin Merkel neben Deutschland mit Eurorettung und einigem mehr beschäftigt war, erwähnte sie sinngemäß einmal am Rande, dass es einen gäbe, mit dem sie nicht tauschen wolle, weil der noch deutlich mehr um die Ohren habe als sie: Gemeint war Wen Jiaobao. 5.4 Die Kommunistische Partei und das politische System Chinas Die chinesische Staatsführung bezeichnet das politische System als „So‐ zialismus chinesischer Prägung“. Mit Definitionen ist es so eine Sache: 76 5 Demografie und Gesellschaft Jenseits gelegentlicher protektionistischer Maßnahmen im Inland und im Außenhandel lehrt die direkte Beobachtung in China, dass die dortige Wirtschaftsordnung in unserem Verständnis eher eine nicht-soziale Markt‐ wirtschaft ist, die um einiges härter als bei uns in Deutschland ist. Das größte Buchgeschäft in Shanghai wurde in der Corona-Zeit vom Online-Handel pulverisiert, ebenso wie Hypermärkte von Walmart, Carrefour oder chine‐ sischen Ketten. Gehobene Restaurants schließen mangels Kundschaft, ohne dass die Regierung auch nur einen Finger rührt. Die folgende Abbildung gibt einen kurzen Überblick zur Funktionsweise des chinesischen Staates. Abb. 5.2: Das politische System der VR China (Quelle: In Anlehnung an die Bundeszentrale für Politische Bildung [48]) Die Kommunistische Partei Chinas hat derzeit etwa 98 Millionen Mitglieder und damit mehr Mitglieder als Deutschland Einwohner; sie ist damit aber nur die zweitstärkste Partei der Welt nach der BJP von Premierminister Modi in Indien, die ungefähr doppelt so viele Mitglieder zählt. Das bedeutet, dass etwa jeder neunte Chinese, der sich im Arbeitsleben befindet, Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas ist. Die Mitgliederanzahl der KP Chinas ist, obwohl absolut seit Jahrzehnten steigend, für eine „Staatspartei“ (wie 5.4 Die Kommunistische Partei und das politische System Chinas 77 73 Der Lange Marsch (es ist zumeist von 12.500 Kilometern die Rede) ist der Gründungsbzw. Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas. Nur etwa 10 Prozent der 90.000 Kommunisten, die 1934 und 1935 im chinesischen Bürgerkrieg von Chiang Kai-sheks Truppen durch China verfolgt wurden, überlebten. die SED, die in der DDR mehr als 2 Millionen Mitglieder von 17 Millionen Einwohnern bei vielen Kindern hatte) damit relativ gering. Theoretisch ist die KP Chinas, Konfuzius und den Legalisten, die Erbadel ablehnten, folgend, eine Meritokratie. In der Praxis - Stichwort „Prinzlinge“ für die Nachfahren des „kommunistischen Uradels“, der überlebenden Teil‐ nehmer des Langen Marsches  73 - ist dem ganz sicher nicht überall so. Das Idealbild besteht aber immer noch darin, dass der oder die Beste ein Amt durch einen Auswahlprozess bekommen sollte, unabhängig von der Herkunft. Mitglied der Kommunistische Partei werden In der DDR wurde fast jeder junge Mensch (zumeist mehrfach) mit der Frage konfrontiert, ob er Mitglied der SED werden wolle. Die Frage kam, wenn auch häufig in einem Karrierekontext gestellt, relativ unabhängig von Position und Bildung und Selbstbewerbungen wurden zumeist wohlwollend geprüft. Dies ist in China nicht der Fall. Potenziell neue Mitglieder werden angesprochen und sie sind zumeist die besten Schüler vor dem Abitur oder zu Beginn des Studiums an der Universität. Dies verhindert natürlich keine „Kultur von Ja-Sagern“, sorgt aber insgesamt für eine hohe intellektuelle Qualität der Kader. Der Grundsatz der KPC, der ständig wiederholt wird, lautet, dem Volk von ganzem Herzen und mit ganzer Kraft zu dienen. Dass in der Realität Klugheit oft moralische Integrität schlägt, steht selbstredend auf einem anderen Blatt. Wenn man zweimal gefragt wurde und dankend abgelehnt hatte, ist die Sache nach meiner Erfahrung bzw. in meinem Umkreis (China ist groß) auch erledigt gewesen. Von einem dritten Mal habe ich bisher nichts gehört. Dann war aber auch klar, dass bestimmte Leitungspositionen für den Nichtkommunisten nicht mehr erreichbar waren. In diesem Sinne handelt es sich bei den meisten normalen Mitgliedern der KP Chinas um Nachfolger der sogenannten Gentry (niedere Beamte., vgl. auch [49]). Dass die zumeist selbst wohlhabend geworden Kader mehrheitlich von ihrem Volk erwarten, sich aufzuopfern, ist nicht der Fall. Vielmehr 78 5 Demografie und Gesellschaft gelten die „Opferappelle“ der Regierung primär der Partei und ihren Funktionären selbst. Richtig ist, dass es sprachlich und im Verhalten der Kader wie der „normalen Leute“ zahlreiche Nuancen gibt, sich auszudrücken und zu handeln. Jeder, der in seinem Leben sprachlich und argumentativ einem Konformitätsdruck ausgesetzt gewesen sind, sollte wissen, was damit gemeint ist. Der engere Führungszirkel besteht aus den sieben (derzeit ausschließlich älteren männlichen) Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Minister sind bedeutend oder weniger bedeutend, je nachdem ob sie Mitglied dieses Ausschusses sind. Xi Jinping, der im Jahre 2023 zum dritten Mal zum Parteichef der KPC gewählt wurde, ist offensichtlich die unumschränkte Nr. 1 in der politischen Hierarchie der VR Chinas. Das Rätselraten im Westen um Mitte 2023 verschwundene Spitzenpolitiker wie den ehemaligen Verteidigungsminister Li Shangfu und den Außenminister Qin Gang zeigt vor allem eines an: Uninformiertheit und Mangel an Chinakompetenz. Bezüglich Qin Gang waren bereits im September 2023 die chinesischen sozialen Medien voll mit Vermutungen, dass es der CIA gelungen sein, ihn „umzudrehen“ und dass er auf Grund von Spionage für den großen Rivalen „aus dem Verkehr gezogen worden sei“. Es dauerte mehr als drei Monate, bis dieses Gerücht (das offiziell natürlich weder dementiert noch bestätigt wird) von einer renommierten englischen Zeitung aufgenommen wurde. Ob und falls ja inwieweit Xi Jinping der überstürzte Ausstieg aus den Corona-Schutzmaßmahmen Anfang 2023 geschadet hat, kann von außen kaum beurteilt werden. Das Land befand sich meiner Wahrnehmung nach von Mitte 2023 bis Mitte 2024 in einer „Nachcorona-Starre“: Zudem traf die Coronapandemie China nach ca. 35 Jahren Wachstum in einem Stadium des Transitionsprozesses, in dem drei Jahrzehnte früher im Jahre 1992 bereits der „kleine Tiger“ Südkorea in starke Turbulenzen geriet. Die zentrale Herausforderung für die chinesische Führung besteht nun darin, ein neues Wirtschaftsmodell zu etablieren, das der Demografie, den Überkapazitäten und der Rivalität mit den USA gegenüber besteht. Das Modell, das der chi‐ nesischen Führung vorschwebt, orientiert sich in vielerlei Hinsicht an Japan; um den „richtigen Weg“ wird aber offensichtlich gerungen (s. Abschnitt 8.2). Die Chancen, das dies gelingt, sind meines Erachtens nicht schlecht: Die chinesische Denk- und Handlungsweise ist langfristorientiert. Dabei hilft es 5.4 Die Kommunistische Partei und das politische System Chinas 79 74 Chinas Denken ist nicht nur durch den Konfuzianismus, sondern ebenso durch den Buddhismus geprägt, der um die Zeitenwende aus Indien nach China kam und von dort aus weiter in die genannten Ableger der chinesischen Zivilisation wanderte. der Regierung fraglos, dass sie sich nicht fast ständig mit den Ergebnissen von Wahlen auseinandersetzen muss. Sozialkonten und Überwachung Die Begriffe Sozialkonten oder Sozialpunkte werden seit den 2010er Jahren im Westen immer öfter verwendet, um den autoritären Cha‐ rakter Chinas zu illustrieren. Tatsächlich wussten alle Chinesen, mit denen ich darüber gesprochen hatte, zunächst überhaupt nicht, was gemeint war. Richtig ist, dass Sozialkontrollen im weiteren Sinne (s. Abschnitt 8.2) vorwärtsgetrieben werden (mit sehr unterschiedlichen lokalen Ausprägungen), wobei die Menschen Druck „wie die Fische im Wasser“ ausweichen, was sie, sofern sie die direkte Konfrontation mit der Staatsgewalt vermeiden, auch können. Das Lesen von Politliteratur und das Anschauen von „Pflichtvideos“ wird zumeist als lästige Pflicht empfunden, der man sich so weit wie möglich entzieht. Die meisten mir bekannten Ansätze sind positiv: Wer bestimmte Punkte erreicht, erhält (kleine) Privilegien. [50] Überwachungskameras finden sich inzwischen fast überall, wobei nicht immer klar ist, ob sie angeschaltet sind oder nicht. Auch in China verändern Menschen ihr Verhalten, wenn sie sich beobachtet fühlen: Positiver Nebeneffekt (? ): Inzwischen ist der Straßenverkehr überall in China, wo ich nach der Pandemie war, weniger anarchistisch, die Menschen beherzigen überwiegend die Verkehrsregeln. Exkurs: Wohlstand und Glück Glück oder das Streben nach Glück, „the pursuit of happiness“, ist westliches Denken. Etwas auch nur ansatzweise Vergleichbares findet sich im klassischen chinesischen Denken 74 , das auch Japan, Korea und Vietnam beeinflusst hat nicht. Auch wenn viele junge Chinesen zumeist diffuse Vorstellungen von Glück haben - Hollywood läßt grüßen - hat das nicht dazu geführt, dass in China offen über Gefühle 80 5 Demografie und Gesellschaft 75 Man leidet und genießt, sehr im Unterschied zum heutigen Westen, zumeist im Stillen. Zugrundeliegend ist hier, ich beziehe mich hier explizit auf meinen weiten Bekannten- und Freundeskreis in China, eine „Schicksalsgläubigkeit“. Es ist also das Schicksal, das einem Lasten auferlegt oder Freuden zugesteht. 76 Dass das auch mitunter im Westen bezweifelt werden kann, beweist sehr schön das Lied „Wenn ich mir was wünschen dürfte …“ von Burt Bacharach und Marlene Dietrich [51]. oder Befindlichkeiten gesprochen wird. 75 Bekannt ist zudem, dass eine gute Bildung, lange Lebenserwartung, gute Gesundheitsversorgung und materieller Wohlstand noch lange nicht glücklich machen und das gilt im Westen wie im Osten. Die Frage bleibt natürlich, ob bzw. inwieweit „Glücksmaximierung“ überhaupt ein sinnvoller Ansatz in einer Gesellschaft im 21.-Jahrhundert sein kann. 76 Mit der Explosion des BIPs wurde die Armut in China ab 1979 massiv reduziert; tatsächlich hat die Kommunistische Partei Chinas seitdem den größten jemals erbrachten Beitrag weltweit zur Bekämpfung von absoluter Armut geleistet. Wenn die elementaren Grundbedürfnisse gedeckt sind, kommen soziale Befindlichkeiten verstärkt ins Spiel: Armutsforscher verwenden dann überlicherweise das Konzept der relativen Armut. Während vor 40 Jahren fast alle Chinesen fast gleich arm waren, haben heute viele etwas zu verlieren und in etwa ebenso viele etwas für sich oder ihre Kinder nachzuholen. Die Probeme der jungen Leute, die nicht nur eine Familiengründung oft verhindern, wurden bereits erörtert. Es ist somit kaum überraschend, dass mir seit Jahren von meinen Studenten ein vielstimmiges „no“ auf meine Frage, ob sie glauben, dass die Menschen mit der Verhunderfachung des BIPs glücklicher geworden sind, entgegenschallt. Risikoaversion und Alltagsaberglaube In Abschnitt 5.4 haben wir uns mit dem Mandat des Himmels beschäf‐ tigt. Naturkatastrophen wurden im alten China als Vorboten großer Ereignisse angesehen, die mitunter selbst den Entzug des Mandats des Himmels für die herrschende Dynastie ankündigten. So war die Abschaffung der Hochseeflotte im frühen 15. Jahrhundert zeitlich mit Missernten und diversen Naturkatastrophen verbunden und dem Erd‐ beben in Tangshan am 28. Juni 1976 mit über 200.000 Toten folgte Maos 5.4 Die Kommunistische Partei und das politische System Chinas 81 Tod am 9. September 1976: Für die meisten Chinesen bestehen hier ganz klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen. So wie es einen Alltagskonfuzianismus gibt, so gibt es auch einen All‐ tagsaberglauben. Als ich vor ca. 20 Jahren als „Chinaneuling“ zahlreiche buddhistische Klöster besichtigte, teilte mir ein chinesischer Freund mit, dass die Mehrzahl der Opfernden Mitglieder der Kommunistischen Partei seien: Die sichern sich, meinte er, noch mal ab. Sie sollten sich auch nicht wundern, wenn im modernen Elektroauto Ih‐ res chinesischen Partners eine Knoblauchzwiebel liegt, die vermeintlich Böses fernhält; ebenso gibt es wenige Tage, an denen man zum Friedhof geht, um die Verstorbenen zu ehren, und viele, an denen man das besser nicht tut, will man nicht riskieren, krank zu werden. Glücksbringer, zumeist in rot, gibt es natürlich auch zuhauf. Farben und Zahlen wecken Assoziationen: Gelb für die Erde und den Kaiser, Weiß für Westen, Metall, Trauer, Reinheit und Schwarz für Norden, Wasser und Kälte. Rot steht für Feuer, Herz und Lebenskraft. Die Aufzählung ist nicht vollständig. Wenn Sie im chinesischen Fernsehen ein Laufband mit Börsenkursen sehen, steht rot für steigende Kurse und grün für fallende Kurse; es ist also genau andersrum als bei uns. Ebenso steht rot beim westlichen Militär für den (potenziellen) Feind, in China (und Russland) steht es für die eigenen Leute. Die Zahl neun ist eine Glückszahl (Sie werden oft neun Mitglieder eines Aufsichtsrates, einer Kommission, o. Ä. vorfinden), die vier (‚si‘ klingt wie Tod) wird gemieden. Es gibt Hochhäuser, die haben keine vierte Etage (jedenfalls keine Etage, der die vier zugeordnet ist), sondern nur eine erste, zweite, dritte, fünfte, usw. Häuser werden nach den Fengshui-Prinzipien gebaut … Ob das alles so geglaubt wird, weiß ich bis heute nicht: Mein Eindruck ist, s. o., dass man gern auf Nummer sicher geht; dass es jedenfalls nicht schadet, sich abzusichern. Etwas Ähnliches war in Hongkong zu beob‐ achten, dessen Rückkehr zu China bereits Jahre vor der tatsächlichen Übergabe durch Großbritannien im Jahre 1993 feststand. Zahlreiche rei‐ che Hongkong-Chinesen nutzen den Zusammenbruch der DDR im Jahre 1989, um sich deren Pässe zu besorgen (d. h. zu kaufen), mit denen sie im Zuge der deutschen Wiedervereinigung automatisch gesamtdeutsche Staatsbürger wurden. Als ab 1993 „alles nicht so schlimm“ wurde, wie im Extremfall befürchtet, blieben sie weiter in Hongkong. 82 5 Demografie und Gesellschaft 77 Durch die Staatsexamina wurden im alten China die Beamtengrade verliehen. Ein erstes oder zweites bestandenes Examen (das jeweils mehrere Jahre der Vorbereitung kostete) wurde mit Posten auf Kreis- oder Bezirksebene belohnt, usw. [52] 78 Das Riesenreich wurde ca. 2.000 Jahre lang von einer winzigen Anzahl von Beamten verwaltet. Um 1900 gab es bei 400 Millionen Menschen nur 20.000 (nach anderen Schätzungen 40.000 Beamte). Die Beamten führten nur festgelegte Abgaben an den Kaiser ab, den Rest konnten sie legal behalten. [53] 6 Bildung in China Der Weg zur Verinnerlichung von Moral führt in der klassischen chinesi‐ schen Philosophie über die Erziehung. Der Himmel stellte für die alten Chinesen seit der Zhou-Dynastie (1046 v. Chr. - 256 v. Chr.) eine ethische Gottheit dar, die die Tugendhaften belohnt und die Lasterhaften bestraft: Tugend ist das Ziel der Erziehung des Menschen und Ergebnis dauernder Übung, die den Menschen in Übereinstimmung mit der Ordnung des Himmels bringt. Erziehung und Bildung gehen also Hand in Hand. Der Sohn eines einfachen Bauern konnte im alten China zwar nicht ohne Umsturz Kaiser werden, wohl aber Premierminister. Dafür musste er, was tatsächlich in einigen Fällen dokumentiert ist, im letzten und entscheidenden siebten Staatsexamen die Nase vorn haben. 77 Ein Studium erforderte nicht nur Zeit, Intelligenz und Fleiß, sondern auch viel Geld, letzteres insbesondere, um gute Lehrer zu bezahlen. Damit hatten (und haben! ) die Kinder reicher Leute naturgemäß bessere Chancen, auf Bildung basierend Karriere zu machen als die Kinder einfacher Leute. Ebenso bildete sich aber die bis heute nicht vollständig erloschene Tradition heraus, dass die Bauern eines Dorfes das Geld zusammenlegen, damit ein besonders begabtes Kind studieren und sich auf die Prüfungen vorbereiten konnte. Reziproke Verpflichtung des jungen Menschen war und ist es dann natürlich, sich im erfolgreichen Falle gegenüber der Gemeinschaft, die ihm das Studium ermöglicht hat, dankbar zu zeigen. Aus der chinesischen Geschichte können wir eine wichtige „Gesetzmä‐ ßigkeit“ ableiten, die auch in der Gegenwart gilt: Es wird als selbstverständ‐ lich angesehen, dass Bildung Geld kostet. Bildung verspricht, technisch ausgedrückt, eine hohe Rendite. Bildung und Wohlstand bilden traditionell ein Paar in China. Wer gebildet war, wurde früher Beamter und zumeist reich. 78 Dazu zwei Anekdoten, die sich beide vor etwa fünf Jahren zugetragen haben: Ich fragte einen jüngeren, promovierten Kollegen mit der Perspektive, Professor zu werden, ob er und seine Frau, die damals wie heute einen hochdotierten Verwaltungsjob an einer renommierten Shanghaier Univer‐ sität hatte, nicht erwögen, ein zweites Kind zu haben. Die Antwort war nein mit der Begründung, dass dafür das Geld fehle. Sagte er, bevor er sich in ein hochpreisiges Modell eines deutschen Automobilherstellers setzte, um in seine vorzeigbare Wohnung im erweiterten Stadtzentrum von Shanghai zu fahren. Ein wohlhabender und sehr gebildeter Freund, der in Deutschland pro‐ moviert hatte, schickte seinen Sohn regelmäßig zum betreuten Legospielen. Er und seine Frau gaben jeden Monat umgerechnet mehrere Hundert Euro dafür aus, damit der vierjährige Junge ein Mal in der Woche mit anderen Kindern von „zertifizierten Lego-Trainern“ beim Spielen angeleitet wurde. Meine Frage bzw. Vorschlag, ob es nicht sinnvoller sei, dass er selbst ab und zu mit seinem Sohn spiele, wurde verstanden. Der Freund brach den geld- und zeitintensiven Unsinn etwas später ab. Wichtig zu verstehen ist, dass beide Väter der Überzeugung waren, nur das Beste für ihr Kind (auch das nie Geborene) zu tun. Dazu zählt sicher auch, dass im Umfeld wahrgenommen wird, was die Eltern für die Bildung ihres Kindes tun bzw. bezahlen. Jede Mutter oder Vater will, dass ihr Kind die oder der Beste sein wird, dabei ausblendend, dass nicht jedes Kind (selbst, wenn verschiedene Kategorien oder Disziplinen zur Verfügung stehen) am besten sein kann. Ein weiterer sehr kluger Kollege sagte mir einige Jahre früher traurig, dass er seinen Sohn schlagen müsse, damit dieser besser in der Schule werde. Ich könnte diese Liste fortsetzen: Junge Frauen, die als Erwachsene erklärten, dass sie eine verpfuschte Kindheit hatten, weil sie an jedem Wochenende Nachhilfeunterricht verschrieben bekamen, um die hohen Erwartungen der Eltern zu erfüllen, und und und… Dies ist keinesfalls ein Moment, um „Überlegenheitsgefühle“ zu entwi‐ ckeln. Der Anteil der unglücklichen Kinder und der überforderten Eltern wächst auch und gerade in Deutschland. Während der Corona-Pandemie sind insbesondere die Kinder gut durch die Krise gekommen, deren Eltern über Geld, Zeit und Bildung verfügten. Immer mehr Eltern, die es sich leisten können, holen ihre Kinder aus dem staatlichen Schulsystem, zu dem sie das Vertrauen verloren haben, und schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Wie beim Kauf einer Wohnung determiniert die Herkunft inzwischen viel zu oft die Zukunft, der Leistungsgedanke bzw. das Leistungsprinzip als konstituierendes Merkmal einer Marktwirtschaft werden dabei ausgehebelt. 84 6 Bildung in China 79 Im Jahr 2023 unterzogen sich ab dem 7. Juni 12,91 Millionen Schüler der Abiturprüfung (chinesisch Gaokao). [54] Das sind, wie bei den amerikanischen Highschools, über 80 % aller Schüler eines Jahrgangs. Tatsächlich werden wir das Schlimmste nur in einer gesamtgesellschaftli‐ chen Anstrengung verhindern können, d. h. dass die Schulleiter in Zusam‐ menarbeit mit der vielbeschworenen Zivilgesellschaft über mindestens ein Jahrzehnt Lücken stopfen werden müssen. Wenn man es etwas verkürzt zusammenfasst, lernen unsere Kinder (oft unfreiwillig bei inzwischen flächendeckendem Lehrermangel, Stundenaus‐ fall und falsch gesetzen Prioritäten) zuwenig und die chinesischen Kinder müssen vielfach mehr lernen, als ihnen und ihrem kindlichen Stand guttut. Insoweit stellt m. E. weder das deutsche noch das chinesische System ein Vorbild für den jeweils anderen dar; wir könnten aber gemeinsam miteinander reden und voneinander lernen, wie es nicht geht. Dies sollte uns eigentlich nicht schwerfallen, weil für uns alle „die Kinder die Zukunft sind“. 6.1 Das chinesische Bildungssystem In China wird das Schulsystem von der Zentralregierung organisiert und ist nicht, wie in Deutschland, Länderbzw. Provinzsache. Das bedeutet z. B. in jedem Juni, dass alle chinesischen Abiturienten zeitgleich ein Zentralabitur (mit wenigen regionalen Nuancen) schreiben. 79 Das chinesische Bildungs‐ ministerium ist zugleich für die Grundschulausbildung, die Berufsbildung und die Hochschulbildung zuständig. Seit 1986 gibt es in China eine neunjährige Schulpflicht, bestehend aus einer sechsjährigen Grundschule und drei Jahren Mittelschule; die Analphabetenrate ist praktisch Null. Staatlichen Schulen sind, wenn man wie in Deutschland von geringen Ausgaben für Lehrmaterialen absieht, kostenfrei. Nach der Mittelschule gehen die Jugendlichen entweder in eine berufsvorbereitende Schule oder auf eine Schule, die ein Hochschulstudium vorbeitet. 6.1 Das chinesische Bildungssystem 85 Abb. 6.1: Das chinesische Bildungssystem (in Anlehnung an diverse chinesische Quellen) Es gibt private Schulen und Kindergärten, die, wie in Deutschland, der staatlichen Aufsicht unterworfen sind. Die letzten mir verfügbaren Zahlen lagen bei Kosten in Höhe von umgerechnet ca. 2.000 Euro pro Monat im Montessori-Kindergarten in Peking oder 2.500 Euro pro Monat an der Deutschen Schule in Shanghai Yangpu. Trotz dieser exorbitanten Gebühren werden einigen dieser Schulen (denen, mit dem besten Ruf) die Türen eingerannt; es gibt zahlreiche Fotos, in denen Eltern Schlange stehen, um ihr Kind an einer teuren Schule anzumelden. Bildungsbürgertum à la Chinoise Bereits Anfang der 2000er Jahre unternahm die Regierung einiges, um dem „Vulgärmaterialismus“ ihres Volkes zu begegnen. Alte Traditionen wie Kalligraphie und das Spielen von historischen Musikinstrumenten wie den Saiteninstrumenten Erhu und der seit mehr als 3.000 Jahre existierenden Guqin eroberten sich ihren Platz im Leben gebildeter 86 6 Bildung in China 80 Das Essen spielt in China eine viel größere Rolle als in den westlichen Ländern inklusive Frankreich und Italien. Eine typische Begrüßung lautet „Was hast Du heute gegessen? “ und wohlhabender Menschen. In meinem Umfeld gibt es zahlreiche Erwachsene im fortgeschrittenen Alter, die angefangen haben, ein Instrument zu lernen, anfangs nur so zum Spaß, das dann aber sehr ernsthaft betreiben. Andere begannen mit Kalligraphien und brachten es hier zu beträchtlicher Meisterschaft. Dahinter steht natürlich wieder der alte Meister Konfuzius. Gerade sehr gebildete und erfolgreiche Menschen sind sich ihrer Unzulänglichkeit bewußt: Sie wollen mehr lernen und sich „vervollkommnen“. Während die Peking-Oper für die meisten europäische Ohren ohne Schulung schwer zu mögen ist, sind zahlreiche klassische und moderne chinesische Stücke, die für Flöte, Erhu oder Guqin geschrieben sind, für uns sehr gefällig anzuhören. Youtube ist Ihr Freund! 6.2 Die Hochschulen Mit der Abiturnote bzw. der erhaltenen Punktezahl im Gaokao wird der Zugang zu den Universitäten bestimmt. Ein junger Mensch wird im Allge‐ meinen die im Ranking höchste für ihn erreichbare Universität (von denen es über 3.000 in China gibt) wählen; da die Jobs in Staat und Wirtschaft weitgehend starr gemäß dem Ruf der Universität vergeben werden. Die Tochter eines Freundes kam so aus Shanghai widerwillig nach Peking. Widerwillig, weil sie das dortige Essen nicht mochte, was in etwa so ist, als würden Sie München als Studienort in Frage stellen, weil Sie Haxen, Weiß‐ wurst und Weißbier nicht mögen. 80 Die Studiengebühren sind aus deutscher Sicht relativ hoch, wenn auch niedriger als die erwähnten Gebühren von Privatschulen. Dabei gibt es ein ausgebautes System von Stipendien und Teilstipendien. Die renommiertesten Universitäten Chinas sind alle staatlich und sie be‐ finden sich traditionell in Peking (Shanghai ist „nur“ die Wirtschaftsmetro‐ pole). Ganz oben stehen die technisch orientierte Qinghua-Universität (auch Tsinghua) und die geisteswissenschaftliche Peking-Universität (Beida), die in etwa die Rollen des Massachusetts Insitute of Technology (MIT) und der Harvard University in den USA bzw. der École Polytechnique und, 6.2 Die Hochschulen 87 bis zu ihrer Auflösung im Jahre 2021, der ENA in Frankreich, einnehmen. Die wichtigsten chinesischen Eliteuniversitäten befinden sich im Projekt 985, das die Top 10 betrifft. Danach kommen 15 - 30 landesweit bekannte Spitzenuniversitäten, gefolgt von reichlich 100 weiteren Universitäten im sogenannten Projekt 211. [55] Und dann kommt langsam der große Rest. Während das deutsche Hochschulsystem trotz sogenannter Eliteuniversi‐ täten deutlich egalitärer ist als z. B. in den USA, Großbritannien und Frankreich, existieren zahlreiche Parallelen zwischen dem chinesischen und dem französischen Bildungssystem im Allgemeinen und speziell zwischen den Grandes Écoles und den chinesischen Projekt-985-Universitäten. Die traditionelle Wertschätzung von formaler Bildung wurde nur ein ein‐ ziges Mal in den vergangenen mehr als 2.000 Jahren, während der von Mao Zedong angeführten Kulturrevolution 1966-1976, die zur Schließung der chinesischen Universitäten von 1969 bis zur vollständigen Wiedereröffnung 1977 führte, durchbrochen. Positivdiskriminierung von Minderheiten China bzw. seine Führer haben sich über Jahrtausende als kulturelle Führer der Welt verstanden. Etwas vereinfacht: Es gab China und die Barbaren. Aus diesem Überlegenheitsgefühl hat sich über die Jahr‐ hunderte eine Positivdiskriminierung von ethnischen Minderheiten entwickelt, die „weicher“ angefasst werden als die „richtigen“ Chinesen. Während die Ein-Kind-Politik bei den Han-Chinesen im Zweifel brutal durchgesetzt wurde, blieben die staatlich anerkannten Minderheiten davon weitgehend verschont. Ziel war es, denen, die willig waren (und das betrifft auch die Uiguren in Xinjiang), die Möglichkeit zu geben, zur höheren chinesischen Kultur aufzuschließen bzw. sich ihr anzuschließen (was Sie übrigens auch mit blonden Haaren können). Diese „Methode“ trug historisch fraglos zur Befriedung der Peripherie bei. Dies geht einher mit deutlich niedrigeren Eingangsvoraussetzungen für Universitätszulassungen und korrespondiert mit dem in der Video‐ empfehlung „Understanding the Rise of China“ [56] des britischen In‐ tellektuellen Martin Jacques angesprochenen Superioritätsgefühl vieler Han-Chinesen. Noch immer streben jedes Jahr Zehntausende Chinesen ins Ausland, um dort zu studieren und bringen damit viel Geld in ihre zeitweiligen Gastländer. 88 6 Bildung in China 81 Ich halte die Behauptung für zulässig, dass dies für einen vorzeigbaren Teil der Universitätsstudenten (anders verhält sich dies bei den Fachhochschulen und den Dualen Hochschulen) in Deutschland ebenso gilt. Klicken Sie sich ggf. mal durch das Organigramm einer beliebigen mittelgroßen deutschen Universität und schauen Sie, wie die Studentenzahlen nach Fächern verteilt sind. Während in der Vergangenheit vor allem Bachelorstudiengänge im Ausland gefragt waren, hat sich der Schwerpunkt in Richtung Masterstudiengänge und Promotionen verschoben. Auch wenn die Universitäten der USA immer noch das Maß aller Dinge sind, so haben die amerikanischen Universitäten im Laufe des letzten Jahrzehnts für Chinesen relativ an Attraktivität verlo‐ ren. Grund dafür sind aus affirmative action (das amerikanische Pendant der chinesischen Positivdiskriminierung von Minderheiten) folgende Berufun‐ gen von offensichtlich nicht hinreichend qualifizierten Professoren, wie der im Januar 2024 zurückgetretenen Harvard-Präsidentin Claudine Gay, der gleichzeitige Qualitätssprung der eigenen Universitäten und insbesondere nichtamerikanische Alternativen in Hongkong und vor allem in Singapur, wo sich inzwischen einige der besten Universitäten der Welt befinden. Exkurs: Die Bielefeld Hainan University of Applied Sciences Als Xi Jinping im Mai 2023 der Jugend empfahl zu lernen „Bitterkeit zu essen“, war dies an die vielen Studenten und Absolventen der chinesischen Hochschulen gerichtet, deren Vorstellungen zu ihrem Leben und ihren zukünftigen Einkünften sich gerade wie Eis in der Sonne auflösten. Tatsache ist, dass die chinesischen Hochschulen ihre Absolventen vielfach nicht den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entsprechend ausbilden und diese mit marktfernen Kenntnissen in das Berufsleben entlassen. 81 Die alles entscheidende Prüfung im Leben eines jungen Menschen ist, wie in Japan, die Abiturprüfung, die die Hochschule und damit seine zukünftige Karriere weitgehend bestimmt. Bisher ist es in China nicht gelungen, ein Äquivalent zur dualen Berufs- und Hochschulausbildung zu schaffen. Die Regierung sieht hier offensichtlich Handlungsbedarf. Es wurde verstanden, dass die Gesellschaft es sich nicht leisten kann, im bisherigen starren System viel Intelligenz brach liegen zu lassen. Tatsächlich ist es eine deutsche Hochschule, die (Fach-)Hochschule Bielefeld, die mit der Bielefeld Hainan University of Applied Sciences (BiUH) auf der „Ferieninsel“ Hainan gegenüber von Nordvietnam seit 6.2 Die Hochschulen 89 82 Dies sind nicht nur die BASF, Volkswagen, Siemens, Bayer, Mercedes und BMW, sondern auch viele mittelgroße und kleine Unternehmen. Ende 2023 waren etwa 5.200 deutsche Unternehmen in China tätig. Herbst 2023 erstmalig eine eigenständige aus dem Ausland gegründete Hochschule nach chinesischem Recht betreibt [57], wofür die Präsiden‐ tin der Hochschule, nicht überraschend, in Deutschland teils heftig angegriffen wurde. Basis der Gründung ist die Wirtschaftsentwicklungszone Yangpu/ Danzhou im Norden von Hainan, wo sich zahlreiche nationale und internationale Investoren aus dem Sektor der Industrie 4.0 angesiedelt haben. Langfristig sollen etwa 12.000 junge Leute in englischer Sprache Informatik, Maschinenbau, Elektrotrechnik, Mechatronik, usw. auf Bachelor- und Masterniveau studieren. Es lohnt sich in mehrerlei Hinsicht, dieses Projekt als einen Prototyp zukünftiger chinesisch-deutscher Beziehungen im Auge zu behalten. Die Voraussetzungen für einen Erfolg der BiUH (sprich: be you) sind a priori gegeben. Deutsche und Chinesen sind im Geschäftsbzw. Arbeitsleben durchaus kompatibel, was die Erfolge der vielen großen und kleineren deutschen Untenehmen beweisen, die mitunter bereits Jahrzehnte erfolgreich in China produzieren und Geld verdienen. 82 Die großen Fragen werden sein, ob die Selbstorganisation der Unterneh‐ men, deren Kooperation mit der Hochschule Basis des Modells ist, und die politische Unterstützung des Projektes (oder besser Nichtbehinde‐ rung) von beiden Seiten anhalten. 90 6 Bildung in China 83 Zu den „Metallen der Seltenen Erden“ zählen die chemischen Elemente der 3. Neben‐ gruppe des Periodensystems. Seltene Erden werden u. a. für die Herstellung von Smartphones, Elektromotoren und - batterien, Solarpanels und Windkraftanlagen benötigt. Hauptproduzent und -exporteur Seltener Erden ist China. 84 Diese Entwicklung setzt sich fort. Im Juni 2024 teilte der französische Pharmakonzern Eurapi mit, Ende 2025 das letzte Werk in Europa für die Metamizol-Produktion (das ist ein Grundstoff für das Schmerzmittel Novalgin) einzustellen. Dieser Wirkstoff wird in Zukunft exklusiv aus China kommen. 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? 7.1 Abhängigkeiten? In Deutschland wird seit Anfang 2022 oft und viel darüber geschrieben, dass Deutschland von China einseitig abhängig und nicht noch einmal den „Russ‐ land-Fehler“ begehen dürfe. Die Empfehlungen folgen zumeist auf dem Fuße: Sie gehen von einer teilweisen (de-risking) bis hin zu einer weitgehenden Entkopp‐ lung (decoupling) der wirtschaftlichen Aktivitäten. Die mit viel Selbstbewußtsein und wenig Kenntnis vortragene pauschale Behauptung einer einseitigen Abhän‐ gigkeit von China wird durch ihre regelmäßige Wiederholung nicht richtiger. Sie ist - jedenfalls in dieser Verallgemeinerung - grober Unfug! Richtig ist, dass zahlreiche deutsche Unternehmen, exemplarisch seien hier wiederum die BASF und Volkswagen genannt, von den Gewinnen in China abhängen. Anders ausgedrückt: Deutsche Gehälter und die Dividenden der Aktionäre werden von den Gewinnen aus China finanziert. Richtig ist auch, dass es Abhängigkeiten im Bereich der Seltenen Erden 83 und bei der Herstellung von Vorprodukten der Pharmaindustrie gab (was schmerzlich zu Beginn der Co‐ rona-Pandemie bemerkt wurde, als diverse Antibiotika nicht mehr ausreichend verfügbar waren) und immer noch gibt. Das liegt aber nicht an einer unterstellten Ruchlosigkeit der Chinesen oder unserer Naivität: Die Vorproduktion von Grundstoffen der Pharmaindustrie wurde allein aus Kosten- oder Effizienzgrün‐ den (wobei die „Ersparnisse“ relativ gering waren) vor allem nach China und Indien outgesourct 84 und wenn von Abhängigkeiten bei Seltenen Erden gespro‐ chen wird, dann sollten wir uns klarmachen, dass der Abbau derselben auch in Deutschland möglich ist. Nur ist das dann eben ein teureres und zudem giftiges Geschäft, das wir bisher gern ausgelagert haben. Wahrscheinlicher ist, dass wir es, weil immer noch giftig, anderweitig auslagern werden (so wie wir unseren Müll in arme Teile der Welt exportieren. [58]) Dass wir bezüglich Textilien und Haushaltselektronik von China abhängig sind bzw. sein sollen, halte ich inhaltlich nicht für nachvollziehbar. All diese niedrigwertigen Konsumgüter könnten wir selbst produzieren bzw. an anderen Orten produzieren lassen, nur nicht zu den aktuellen Preisen. Nun haben es die EU und die Nationalstaaten durchaus in der Hand, durch Gesetze und Regulierung zu steuern, dass bestimmte Dinge bei uns selbst hergestellt werden müssen. Die Diskussion um G5 und Huawei zeigt dies. Es ist grundsätzlich so vernünftig wie legitim, darüber zu diskutieren, inwieweit man sich potenziell von einer nichtbefreundeten Macht abhängig macht (wobei unterschlagen wird, dass unsere heutigen Freunde, Stichwort Trump, nicht notwendigerweise unsere Freunde von morgen sein müssen). Allerdings sollten diese Diskussionen nicht frei von Sachverstand (über den ich in diesem Fall z. B. nicht verfüge) geführt werden. Offensichtlich differieren die Einschätzungen selbst in der Bundesregierung, in der von Anfang 2023 bis Juli 2024 - erst dann wurde entschieden, dass Bauteile von Huawei sowie der chinesischen Technologiefirma ZTE bis 2029 komplett aus dem deutschen 5G-Mobilfunknetz entfernt werden sollen - darüber diskutiert wurde, ob Bauteile von Huawei im deutschen Antennennetz ausgetauscht werden sollten oder nicht. Huawei selbst sagt, dass Daten im Antennennetz überhaupt nicht verarbeitet würden; auch könne das Netz nicht von außen abgeschaltet oder manipuliert werden. Da es in den vergangenen Jahren in Deutschland keinen einzigen öffentlich bekannt gewordenen Zwischenfall mit Huawei gegeben hat, stellt sich offensichtlich nicht die Frage objektiver Sicherheitsmängel, sondern die nach der „politischen Zuverlässigkeit“. Im Raum steht also eine politische Markteintrittsbarriere, die es so eigentlich nur in nichtliberalen Handelsnationen geben dürfte. Damit, darüber sollten wir uns im Klaren sein, stellen wir unsere Wirtschaftsordnung selbst in Frage. Zurück bleibt ein fader Geschmack, und zwar weil die bevorzugten Ziele solcher Anschuldigungen chinesische Unternehmen sind, die besser sind als ihre westlichen Konkurrenten. Um „richtig unabhängig“ zu sein, müsste man wie ein Eremit leben, was wohl niemand von uns ernsthaft in Betracht ziehen wird. Da die Arbeitsteilung die Mutter des Wohlstandes ist, handelt es sich letztlich immer wieder um ein Abwägungsproblem, wieviel Abhängigkeit mit unserem Sicherheitsbedürfnis zu vereinbaren ist. Abbildung 7.1. stellt die größten deutschen Handelspartner vor und nach der Corona-Pandemie dar. Dabei wird deutlich, dass wir nicht nur viel mehr aus China importieren als wir exportieren und dass sich diese Differenz in den vergangenen Jahren verstärkt hat, vgl. auch Abb. 4.7. Man muss den Boden 92 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? der Realität verlassen (Stichworte hohe Energiepreise und Abwanderung der Industrie in Deutschland), um zu hoffen, dass sich diese Relationen kurzbis mittelfristig wieder „einrenken“. Dies liegt übrigens auch daran, dass chinesische Privatpersonen und Unternehmen bei uns oft nicht das kaufen können, was sie interessiert (wie Beteiligungen an Technologie- und Transportunternehmen) und dass sie nicht interessiert, was sie von oder bei uns kaufen könnten. Abb. 7.1: Die größten Handelspartner Deutschlands 2020 und 2023 (Quelle: Statistisches Bundesamt [59]) 7.1 Abhängigkeiten? 93 85 Ironischerweise gab es kein Investment weltweit, dass in den vergangenen 20 Jahren mit den US-amerikanischen Big Tech, also Microsoft, Google (heute Alphabet), Facebook (heute Meta), Amazon, Apple und später Nvidia konkurieren konnte. Wie bzw. ob dieses Handelsbilanzgleichgewicht abgebaut werden kann, ist also eine offene Frage. Langjährige Versuche der USA unter den Präsidenten Trump und Biden waren aus Sicht der USA wenig erfolgreich. China wird weiter exportieren: Einige Güter, die den begründeten Verdacht des Dumpings zulassen, z. B. Solarpanels, andere, wie Elektroautos, weil sie inzwischen technisch besser sind als ihre westlichen Pendants. 7.2 Die BRICS Im Jahre 2001 kreierte der Goldman-Sachs Ökonom Jim O'Neill den Begriff BRIC, später zu BRICS erweitert. Das Akronym BRICS stellte eine „Invest‐ mentstory“ dar, die unterstellte, dass die großen aufstrebenden Schwellen‐ länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika die auch demogra‐ fisch alte Welt langfristig outperformen würden. 85 Dabei gab es bezüglich Investments in Russland zu keinem Zeitpunkt ähnliche Argumente wie für solche in den verbleibenden vier Ländern. Außer der Tatsache, dass es sich um die jeweils größte sich entwickelnde Volkswirtschaft in der jeweiligen Region handelte, hatten und haben Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bezüglich ihrer wirtschaftlichen Struktur wenig gemeinsam. Im Laufe der letzten Jahre entwickelte sich diese Staatsgemeinschaft aus der amerikanischen Retorte tatsächlich zu einer losen Union, die einen Kontrapunkt zum alten Westen bildet. Es war weniger ein einigendes Band, sondern vielmehr ein Konsens darüber, was man nicht wollte, der die Entwicklung der BRICS politisierte. Anfang 2024 wurden die BRICS um die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Äthiopien, Argentinien, Iran, Ägypten und Saudi-Arabien erweitert, weitere 40 Länder haben offensichtlich bereits angeklopft. Die nun erwei‐ terten BRICS als dezidiert antiwestlich und unter chinesischer Führung zu bezeichnen ist falsch; gerade die Ölländer VAE und Saudi-Arabien bemühen sich um gute (Geschäfts-)Beziehungen zum Westen und nach China. Ebenso ist es falsch, unter den BRICS eine Anti-NATO oder Anti-EU unter der Füh‐ rung von China zu verstehen. Indien (nicht erst unter Premierminister Modi) hat sich in der Vergangenheit nicht und wird sich zukünftig ebenso wenig China wie den USA unterordnen. Was die alten und neuen BRICS-Mitglieder 94 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? 86 Indien ist trotz mehrerer Versuche immer noch kein Mitglied des Ständigen Sicherheits‐ rates der UNO, während Frankreich und Großbritannien, die über jeweils weniger als 5 % der indischen Bevölkerung verfügen, dies seit dessen Gründung am 24. Oktober 1945 sind. eint, ist ihr zunehmender Unwille, nach den Regeln des Westens, die bei uns gern als regelbasierte Ordnung bezeichnet werden, in vom Westen dominierten Organisationen zu spielen. Dieser Prozess ging relativ langsam vonstatten. So wurde die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) als Gegengewicht zu den amerikanisch dominierten Institutionen Weltbank und dem Weltwährungsfond im Oktober 2014 formell etabliert, nachdem China viele Jahre erfolglos versucht hatte, dort mehr Einfluss zu gewinnen. 86 Den Ansehensverlust des Westens weitweit beschleunigten gescheiterte „Nation Building“-Versuche im Irak, der Verrat Amerikas an seinem jahr‐ zehntelangen Verbündeten, Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, während des Arabischen Frühlings und vor allem das Versagen des Westens in Afghanistan (zu dessen Ende die Verbündeten vor Ort schmählich im Stich gelassen wurden, was bei uns weitgehend vergessen ist, nicht aber im „Rest der Welt“). Hinzu kommen die Abhängigkeit vom US-Dollar (dessen Gebrauch den Verwender wie bereits erwähnt US-amerikanischem Recht unterwirft) und die Einfrierung der russischen Zentralguthaben in den USA und der EU. Die Aufzählung ist nicht vollständig. Es gibt keinen Teil der Erde, dessen relativer Bedeutungsverlust größer ist als Europa. Wir sind in Europa, das haben unsere Eliten entweder noch nicht hinreichend verstanden oder sie wissen es geschickt zu verbergen, lange schon nicht mehr im Zentrum der Macht und des Interesses. Das ist aber auch nicht schlimm, wenn man John Maynard Keynes’ schöne Frage nach dem „guten Leben“ ins Zentrum der Überlegungen stellt. Man muss es aber verstehen. 7.3 Die Neue Seidenstrasse Die historische Seidenstraße war der wichtigste Handelsweg zwischen Europa und China in der Antike und im Mittelalter. Der Begriff Seidenstraße ist relativ neu; er entstand erst im 19. Jahrhundert unter Verweis auf Chinas Luxusprodukt Seide, dessen Produktionsgeheimnis bis ins 6. Jahrhundert bewahrt wurde. Die Seidenstraße war eine Handelsroute vom Mittelmeer‐ raum bis nach Ostasien. Ab dem 15. Jahrhundert verlor die Seidenstraße an 7.3 Die Neue Seidenstrasse 95 87 Ein älterer, inzwischen nicht mehr verwendeter Name ist One Belt, One Road (OBOR). 88 Deutschland ist formal nicht Teil der BRI, der deutsche Binnenhafen Duisburg aber technisch Teil der Neuen Seidenstraße. Bedeutung, da der Handel nun zunehmend über den Seeweg abgewickelt wurde. Mit Xi Jinpings Machtantritt - China war bereits back on stage - im Jahr 2013 startete China mit der Neuen Seidenstraße, die zumeist als Belt and Road Initiative (BRI) bezeichnet wird, 87 das größte Infrastruktur-Projekt der Zivilisationsgeschichte. Abb. 7.2: Land- und Seestränge der Belt and Road Initiative (Quelle: Deutschlandfunk 60]) In der BRI sind Stand Juni 2023 140 von 193 heute existierenden Staaten organisiert, also die meisten Länder bis auf den harten Kern des erweiterten Westens 88 und einige arme und geografisch schwer zugängliche Länder wie in Zentralafrika. Durch die BRI sind ca. 70 % der Weltbevölkerung wirtschaftlich mehr oder weniger eng mit China verbunden. Das ist auch 96 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? 89 Für 120 Länder ist China der wichtigste Handelspartner (Stand 2023), darunter auch westliche Länder, die nicht Teil der BRI sind. Südkorea, Japan, Australien und Neusee‐ land, die nicht Mitglied der BRI sind, versuchen den Spagat, einerseits mit China Handel zu treiben, sich aber von den USA „beschützen“ zu lassen. Dass sich das auf Dauer so durchhalten lässt, halte ich mit Verweis auf den gesunden Menschenverstand für äußerst unwahrscheinlich. nicht überraschend, ist China doch für sehr viele Länder der wichtigste Handelspartner geworden. 89 China ist insbesondere auch dort und gerade auf unserem Nachbarkon‐ tinent Afrika präsent, wo der Westen nicht hingeht, es geht offenen Kon‐ frontationen mit dem Westen somit weitgehend aus dem Wege. Eines der wenigen Länder, in denen es zu einem Wettbewerb zwischen dem chinesi‐ schen und dem westlichen Wirtschaftssystem kommt, ist die ehemalige englische Kolonie Kenia. [61] Neben den im Westen als Hauptmotivation der BRI ausgemachten Zielen der Versorgung Chinas mit Rohstoffen und der Sicherung von Absatzmärkten gilt es noch einen weiteren wichtigen Aspekt zu erwähnen, auf den bereits hingewiesen wurde. Die BRI, d. h. der Bau von Straßen, Tunneln, Eisenbahnen, Staudämmen und Flugplätzen im Ausland, erfordert Arbeiter. Sie leistet also einen wichtigen Beitrag, um den „Dampfkessel“ China zu entlasten, indem sie gering qualifizierte Männer aus China temporär abzieht. Wichtig zu verstehen ist, dass China seine ökonomischen Aktivitäten kulturell flankiert. Während Deutschland seit Jahrzehnten systematisch weniger in die Goethe-Institute [62] und den DAAD [63] investiert, tut China genau das Gegenteil. Mehr als 500 Konfuzius-Institute weltweit be‐ reiten Ausländer auf China vor. Unterrichtet wird nicht nur die chinesische Sprache, die Konfuzius-Institute vermitteln ebenso die chinesische Kultur (inklusive Kochen) und das Gesellschaftsverständnis. Die zukünftigen Eliten zahlreicher Entwicklungsländer studieren heute an Universitäten in China und sie werden die Beziehung zu ihrem zeitweiligen Gastland mit nach Hause tragen. Zu den bittersten Erfahrungen meines Beruflebens gehört die Tatsache, dass wir seit etwa 2010 traditionell deutschlandfreundliche Länder wie Äthiopien und die Mongolei an China verloren haben und - siehe die oben genannten aktuellen Budgetkürzungen - noch nicht einmal etwas daraus gelernt haben. Wir haben, in Anlehnung an Pearl Buck (vgl. Kapitel 2), diese Länder nicht verloren. Wir haben uns von ihnen losgesagt. Chinas politischer Einfluss in Europa ist insgesamt schwer einzuschät‐ zen. Jenseits von Schlagworten wie „Partner, Wettbewerber und systemi‐ 7.3 Die Neue Seidenstrasse 97 scher Rivale“ gibt es keine einheitliche europäische Chinapolitik. Das ist auch nicht schwer zu verstehen, wenn man die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands zu China, die durch hohe Direktinvestitionen in Chemie-, Automobilindustrie und den Maschinenbau charakterisiert sind, mit den Interessen Frankreichs (Verkauf von in Frankreich hergestellter Kosmetik und Luxusaccessoires sowie Wein, Cognac und Tourismus nach Frankreich) vergleicht. Deutschland hat, um es kurz zu machen, bezüglich China andere Interessen als Frankreich und dies sieht aus italienischer, spanischer, por‐ tugiesischer, griechischer (China ist Großinvestor des wichtigsten Hafens Piräus), ungarischer, usw. Perspektive nicht anders aus. China ist also wie die USA gut beraten, direkt mit den europäischen Staaten zu verhandeln und nur, wenn unbedingt nötig, mit der EU. Die ursprünglich 16 + 1 genannte Initiative, in der kleinere ost- und mitteleuropäische Staaten bilaterale Verträge mit China geschlossen haben, hat mit Estland, Lettland und Litauen bereits drei Mitglieder wieder verloren, allerdings ist deren wirtschaftliche Bedeutung bei insgesamt weniger als 6 Millionen Einwohnern auch recht begrenzt. Schmerzhafter für China war fraglos der Rückzug Italiens Ende 2023. Tatsächlich ist China aber durch seine Exporte überall in Europa mehr oder weniger stark präsent. Die chinesische Regierung hat es im vergangenen Jahrzehnt geschafft, das Bild vom freundlichen Giganten, das sie von sich in der Welt vermitteln wollte, substanziell zu beschädigen. So wird informell ohne Umschweife bestätigt, dass der Umgang insbesondere mit den geographischen Nachbarn Vietnam, den Philippinen, Japan, Südkorea und auch Indien nicht nur un‐ sensibel oder ungeschickt war, sondern ohne Not Konflikte oder Ablehnung provoziert hat. Ebenso redet öffentlich niemand mehr von der „Strategie 2025“, mit der die USA als weltweiter Technologieführer im Jahre 2015 offen herausgefordert wurden. Dass beim letzten Seidenstraßengipfel Mitte Oktober 2023 aber führende Vertreter von 140 Nationalstaaten teilnahmen, spricht für sich. Und dafür, dass die Musik längst woanders spielt, als in einem alternden, zerstrittenen und mit Kriegen an der Peripherie sowie Armutsmigration konfrontierten Europa. 98 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? 90 Gerade im akademischen Bereich gibt es starke „Herdentriebe“. Wie in Unternehmen und Parteien machen Sie an Universitäten als origineller Denker nicht notwendiger‐ weise Karriere. Es sind schließlich „die Alten“, die den Wert Ihrer Gedanken beurteilen und deren Theorien kritisieren Sie im Allgemeinen besser nicht zu forsch, wollen Sie zum Beispiel Professor werden. Dies korrespondiert übrigens zu den inkrementellen Verbesserungen in der Wirtschaft, die bereits besprochen wurden. Exkurs: Spieltheorie und Politik(wissenschaft) Wenn Sie sich die gegenwärtigen Interessen und Diskussionen an den amerikanischen und vielen europäischen Abteilungen der Politikwis‐ senschaften und der volkswirtschaftlichen Institute anschauen (die alle regelmäßig ihre Existenzberechtigung nachweisen müssen), dann kommen Sie immer wieder zu einem Thema: Der geopolitischen Riva‐ lität zwischen den USA und China und inbesondere der Taiwan-Pro‐ blematik. Ein Kollege, der im Herbst 2023 und Frühjahr 2024 an einer renommierten Universität an der Westküste der USA forschte, brachte es kurz auf die (Suggestiv-)Frage „Im Geiste schon im Krieg? “ 90 Bezüglich der Politologie wie der Ökonomie und ihrer Teildisziplinen können wir kurz festhalten, dass sich diese wissenschaftlicher Metho‐ den vor allem aus der mathematischen Statistik und der Optimierung bedient, dass ihr „Fundament“ aber sowohl ortsals auch zeitverän‐ derlich ist und dass es sich um eine Sozialwissenschaft handelt. Expe‐ rimente können nicht in unverändertem Versuchsaufbau wiederholt werden. Bedeutende aktuelle Theoriestränge der Politikwissenschaft sind der Behavioralismus, die Neue Politische Ökonomie, die Systemtheorie, Rational Choice bzw. Social Choice Ansätze und die Spieltheorie. Letztere zählt derzeit zu den populärsten Methoden in den Sozialwis‐ senschaften. Die Spieltheorie ist eine mathematische Methode, die rationales Ent‐ scheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen ableitet, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer Handelnder abhängt. Sie wird auch als Mathematik zur Modellierung von Interessenkonflikten bezeichnet. Spieltheoretische Modelle finden u. a. Anwendungen in der Politik, im Militärwesen, in der Theorie (und Praxis) der öffentlichen Güter und im Kartellrecht. Einige berühmte Spiele sind das Gefangenendilemma mit und ohne Mafia, die Schlacht in der Bismarck-See, der Kampf der Geschlechter und Stein-Schere-Papier. 7.3 Die Neue Seidenstrasse 99 Im Folgenden werde ich Ihnen an einem Spiel, dessen Ausgangsform sich z. B. als HDTV-Rennen zwischen den USA und Japan in Dixit und Nalebuffs Buch „Spieltheorie für Einsteiger“ [64] findet, illustrieren, dass wir uns mit vermeintlich wissenschaftlichen Methoden in der Politikberatung auf sehr wackeligem Grund befinden. Ich nenne das Spiel „Rennen zum Mars“. Die Spieler sind, nicht überraschend, China und die USA. 1. Das Rennen zum Mars: Ausgangssituation Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die beiden Supermächte be‐ mannte Raumflüge zum Mars vorbereiten. Solche Anstrengungen sind teuer und riskant, bringen aber bei einem tatsächlichen Erfolg einen enormen Reputationsgewinn bezüglich technologischer (und militäri‐ scher) Leistungsfähigkeit bzw. Führungsanspruch weltweit mit sich. Gehen wir vereinfacht davon aus, dass sowohl China als auch die USA je ein großes und ein kleines Programm lancieren können, um als erste Nation bemannt den Mars zu erreichen. Ein großes Programm ist teurer, zielt aber auf eine kürzere Zeit bis zur Erreichung des Zieles, als erster auf dem Mars zu erscheinen. Naturgemäß gibt es vier verschiedenen Kombinationen: - China Kleines Programm Großes Programm USA Kleines Programm - - Großes Programm - - Im Folgenden müssen wir Annahmen über die Präferenzen, die hier ordinal wiedergegeben werden, machen. Dabei setzen wir voraus, dass sowohl China als auch die USA grundsätzlich weniger Ausgaben gegenüber hohen Ausgaben für das Programm bevorzugen. Dazu nehmen wir an, dass die USA China technologisch leicht überlegen sind. Ferner hat die US-Regierung größere Probleme im Kongress und gegenüber ihrer Bevölkerung, hohe Ausgaben für eine Mars-Mission zu rechtfertigen, als die chinesische Regierung, für die ein Reputati‐ onsverlust im Sinne von zweiter Sieger als bedrohlicher angenommen 100 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? wird. Wir ordnen nun die Wünschbarkeit der vier Kombinationen für beide Spieler: 4 entspricht der wünschbarsten, 1 der am wenigsten wünschbaren Kombination. Die erste Zahl in den folgenden Paaren stellt die Präferenz der USA, die zweite die Präferenz Chinas dar. Für die USA korrespondieren • „4“ zu (klein/ klein). Die Ausgaben und die öffentliche Sichtbarkeit des Rennens sind so gering wie möglich und die Chance, das Ren‐ nen zu gewinnen und ggf. öffentlichkeitswirksam zu vermarkten sind bei dem angenommenen technologischen Vorsprung größer als 50-%. • „3“ zu (groß/ klein). Die Ausgaben der USA sind zwar hoch, der Sieg der USA aber hochwahrscheinlich. • „2“ zu (klein, groß). China hat nun eine hohe Chance, das Rennen zu gewinnen, die USA können die Bedeutung des Ausgangs aber ggf. herunterspielen. • „1“ zu (groß, groß): Die USA haben zwar eine Chance, die größer als 50 % ist, das Rennen zu gewinnen. Es besteht aber eine nicht zu vernachlässigende Möglichkeit des Eintretens des worst cases, nämlich das Rennen bei hohen Ausgaben vor den Augen der Welt zu verlieren. Für China stellt sich die Situation annahmegemäß wie folgt dar: • Die mit „4“ wünschbarste Kombination ist es, ein eigenes großes Programm zu starten, während die USA nur ein kleines Programm finanzieren. Die Gewinnwahrscheinlichkeit ist dann deutlich grö‐ ßer als 50 %. Im Falle einer Niederlage kann diese „unter den Tisch gekehrt“ werden. • Die „3“ geht an die Kombination (klein, klein). Die Siegwahrschein‐ lichkeit ist zwar geringer als 50 %, die eigene sowie die Weltöffent‐ lichkeit über das Rennen aber nicht wirklich im Bilde. • „Die „2“ geht an (groß, klein), Damit ist der öffentlichkeitswirksame Sieg der USA hochwahrscheinlich; man war aber selbst nicht hinreichend interessiert zu gewinnen. • Die schlechteste Kombination für China stellt (groß, groß) dar. Bei hohen Ausgaben riskiert die Regierung, vor der Weltöffentlichkeit und dem eigenen Volk gegen die USA bloßgestellt zu werden. 7.3 Die Neue Seidenstrasse 101 Die ausgefüllte Lösungsmatrix sieht nun wie folgt aus: - China Kleines Programm Großes Programm USA Kleines Programm (4,3) (2,4) Großes Programm (3,2) (1,1) Wir nehmen bei gegebenem Input die Perspektiven beider Länder ein: Wenn China ein kleines Programm startet, sollten die USA ein kleines Programm starten (4>3). Wenn China ein großes Programm startet, sollten die USA auch ein kleines Programm starten (2>1). Ein kleines Programm ist somit die dominante Strategie der USA. Wenn die USA ein kleines Programm wählen, sollte China ein großes Programm starten (4>3). Wenn die USA ein großes Programm starten, sollte China ein kleines Programm starten (2>1). China hat zwar keine dominante Strategie, weiss aber, dass die USA ein kleines Programm starten. China beginnt ergo ein großes Programm und (klein, groß) ist die Lösung des Spiels. 2. Vom simultanen zum sequentiellen Spiel Die Logik des soeben präsentierten Spiels führt nun dazu, dass die USA nur die drittbeste (oder zweitschlechteste) aller vier möglichen Lösungen erzielen. Die Frage ist, wie sie ihre Situation verbessern kön‐ nen. Dazu müssen wir uns erinnern, dass die bisherigen Betrachtungen simultaner Natur waren. Gehen wir nun davon aus, dass die USA den ersten Zug ziehen, das heißt, sie informieren die Öffentlichkeit, ob sie ein großes oder ein kleines Programm starten. China folgt dann in Abhängigkeit von der US-Vorgabe. Wenn die USA mit einem kleinen Programm eröffnen, befinden wir uns wieder in der bereits bekannten Situation: China wird mit einem großen Programm antworten. Wenn die USA aber mit einem großen Programm eröffnen, wird China mit einem kleinen Programm antworten (2>1). Der Nutzenwert der USA beträgt dann 3. In diesem Fall haben die USA ihre Situation durch das Gehen eines ersten Schrittes (Ankündigung eines großen 102 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? Programms) verbessert. Der Punkt ist, dass China den USA glauben muss, dass sie ihrer Ankündigung, ein großes Programm zu lancieren, tatsächlich Taten folgen lassen! Damit sind wir - leider? - aber noch nicht fertig. Natürlich weiss China, dass die USA einen ersten Schritt ziehen könnte, womit sich Chinas Situation verschlechtern würde. Somit kann China sich auch dafür entscheiden, den ersten Schritt zu gehen: Wenn China nun ein großes Programm ankündigt, werden die USA mit klein antworten. 3. Falsche Präferenzen Wenn Sie mit den bisher vorgenommenen ordinalen Zuordnungen nicht immer einverstanden waren, befinden Sie sich auf einem guten Weg! Obwohl durchaus logisch sind diese nämlich keinesfalls so klar, wie sie bisher dargestellt wurden. Nehmen wir jetzt an, dass die USA eine falsche Vorstellung von den Präferenzen der chinesischen Regierung haben. Der chinesischen Regierung sind die Ausgaben weniger egal und/ oder ist sie von der Sinnhaftigkeit des Rennens weniger überzeugt als bisher unterstellt. Die amerikanischen Präferenzen bleiben unverändert, es ändern sich aber die Präferenzen der Chinesen. • Die mit „4“ wünschbarste Kombination für China ist es, ein eigenes kleines Programm zu starten, während die USA nur ein kleines Programm finanzieren. Die Gewinnwahrscheinlichkeit ist zwar kleiner als 50 %, aber real existent. Im Falle einer Niederlage bekommt diese kaum jemand mit. • Die „3“ geht an die Kombination (groß, klein). Die Siegwahrschein‐ lichkeit ist zwar sehr gering, die Bedeutung bzw. Existenz eines Rennens kann aber geleugnet werden. • „Die „2“ geht an (klein, groß), Damit ist der Sieg Chinas wahrschein‐ licher als 50 %, aber auf Grund des Gesagten teuer erkauft bzw. weniger gut ausschlachtbar. • Die schlechteste Kombination für China stellt unverändert (groß, groß) dar. Bei hohen Ausgaben riskiert die Regierung, vor der Welt‐ öffentlichkeit und dem eigenen Volk gegen die USA zu verlieren. 7.3 Die Neue Seidenstrasse 103 Die Lösungsmatrix sieht nun wie folgt aus: - China Kleines Programm Großes Programm USA Kleines Programm (4,4) (2,2) Großes Programm (3,3) (1,1) Es folgt, dass (klein, klein) Gleichgewicht des Spieles wird. Oder gewesen wäre! Die Amerikaner hätten nach Auswertung des ersten Szenarios ein großes Programm ankündigen können. Damit wäre mit 3<4 ihr Nutzen aber schlechter als im hiesigen Spiel! Ferner können wir auch annehmen, dass die US-Regierung bzw. die gewählten Repräsentanten ihr Volk nicht richtig einschätzen, d. h. dass die Annahmen bezüglich der eigenen Präferenzen falsch sind. So könnte es der Bevölkerung der USA unter Umständen vermittelbar sein, China weltöffentlich „in die Schranken zu weisen“, d. h. dass die USA - wie bereits einmal gesehen - sich dafür entscheiden, ein großes Programm zu starten … . Dann könnten wir nach dem bisher Gesehenen zwei weitere Matrizen aufstellen; einmal unter der Annahme, dass die Chinesen leicht viel Geld mobilisieren können und dann unter der modifizierten Annahme, dass sie dies nicht können. In beiden Fällen wäre (groß, klein) die Lösung. Aber was ist nun richtig? Das ist überhaupt nicht klar! Solange wir nicht in den Kopf unseres Gegenübers schauen können bzw. dessen Entscheidungskalkül verstehen, haben wir nicht viel erreicht. Und das vor allem deshalb, weil davon auszugehen ist, dass unser Gegenüber die Methode, die wir verwenden, auch kennt. Erinnern Sie sich nun an die vor wenigen Seiten gemachte Aussage, dass ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan wohl nur von einem einzigen Menschen entschieden würde. Oder vielleicht doch nicht…? Generell stehe ich der Anwendung wissenschaftlicher Methoden in der Politik sehr skeptisch gegenüber. Es geht auch hier viel mehr um Wissen als um Wissenschaft (deren Erkenntnisse und abgeleitete Empfehlungen oft als alternativlos erscheinen). Dies alles bedeutet nicht, dass die Spieltheorie in der politischen Analyse nutzlos ist. Sie ist 104 7 Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? eine brauchbare Methode, um sich die Komplexität einer Situation und mögliche Szenarien einer weiteren Entwicklung klarzumachen. Eine „Wunderwaffe“ bei der Entscheidungsfindung ist sie bzw. kann sie, da sie geistiges Gemeingut darstellt, nicht sein. Wir müssen weiter, nach Kant, den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen und für unsere Entscheidungen die Verantwortung zu übernehmen. 7.3 Die Neue Seidenstrasse 105 8 Brücken und Ausblick Im Amerikanischen gibt es den schönen Spruch „We agree to disagree.“ Das ist viel mehr, als Sie vielleicht denken! Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte als alter Mann mehrfach, dass er die Demokratie in Deutschland im Zweifel mit seinem Krückstock verteidigen würde, er hielt aber wenig von „Demokratieexport“. In unseren Kontext übersetzt bedeutet dies, gegensätzliche Positionen (auch wenn wir diese nicht gutheißen) oder auch Gesellschaftsmodelle zu tolerieren. Dies ist insbesondere dann ein vernünftiger Ansatz, wenn alle Beteiligten erkennen, dass die Alternative unnötige Konflikte sind. Liberal zu sein bedeutet in seiner verkürztesten Form, dass ein jeder so leben möge wie er will, vorausgesetzt, er stört andere nicht wesentlich dabei, ihr Leben zu führen. In diesem Sinne sind wir m. E. in Deutschland weder nach innen noch nach außen besonders liberal. Im internationalen Kontext müssen wir in Rechnung stellen, dass in den USA, China (auch in Russland, Brasilien und Indien) alles Politische Innenpolitik ist (und in Luxemburg demzufolge fast alles Außenpolitik). Im Unterschied zum Privatleben, oder mit Abstrichen, Unternehmen, können sich Spitzenpolitiker ihre Gegenüber aber nicht aussuchen. Sie können also nicht weglaufen, der andere (z. B. der russische Präsident Wladimir Putin) ist immer noch da. Damit kommen aus Eigeninteresse zwei Dinge ins Spiel bzw. diese werden wichtig: Wissen und Interesse am jeweiligen Gegenüber, das heißt zu verstehen, dass unser Gegenüber auch seine Probleme hat, und dazu die Erkenntnis, dass wir grundsätzlich alle den gleichen globalen Herausforderungen gegenüberstehen. Diese sind Umweltverwüstung in Zusammenhang mit dem Klimawandel, ein grundsätzlich gleichlaufender demografischer Wandel hin zu alternden und schrumpfenden Gesellschaf‐ ten und, Stichworte Künstliche Intelligenz, Bio- und Nukleartechnologie, ein technologischer Wandel, der zur Abschaffung des Menschen als Endpunkt des Fortschrittsgedankens führen kann. 91 Selbiges hat meines Wissens noch niemand von Peking behauptet, auch wenn sich die Luftqualität in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren verbessert hat. Das ist insofern interessant, als die schlechte Luft Pekings auch für die nationale Führung Chinas lebensverkürzend war bzw. ist. Vorbild für Gesamtchina ist und bleibt Japan, über dessen Hauptstadt Tokio man oft einen klaren Sternenhimmel sieht. 92 Das habe ich keiner Statistik entnommen; ich habe mich zu verschiedenen Zeiten an verschiedene Straßen gestellt und gezählt. Elektroautos haben in China ein grünes Nummernschild; sie sind also von Autos mit Verbrennermotoren sofort zu unterschei‐ den. 93 Wenn Sie in China ein Auto gekauft haben, können Sie damit, wie überall, erst fahren, wenn Sie eine Zulassung bzw. ein Nummernschild besitzen. In Shanghai kostete ein Nummernschild für Benziner oder Diesel-Pkws im Mai 2024 93.029 Yuan (umgerechnet ca. 12.000 Euro) für Privatpersonen und 140.367 Yuan (etwa 18.000 Euro) für Unternehmen. Privatpersonen, die ein E-Auto kauften, bekamen das Nummerschild kostenfrei, wenn es sich um ihr einziges Auto handelte. 8.1 Umwelt- und Klimapolitik Die chinesische Regierung (der Terminus ist nicht ganz richtig, da es verschiedene Ebenen, insbesondere die Zentralregierung, die Provinzregie‐ rungen, gefolgt von den Bezirks-, Kreisebenen usw. gibt) unternimmt seit mindestens zwei Jahrzehnten beachtliche Anstrengungen im Umweltschutz. Bereits ab Anfang der 2000er Jahre wurde die Schwerindustrie inklusive alter Lkws und Busse aus Shanghai verbannt, dessen Luft ich für eine Großstadt dieser Größenordnung immer als recht passabel eingeschätzt habe. 91 Die Lkw- und Busdreckschleudern, die Industrie und der Bergbau wurden zunächst in ärmere Teile des Landes weitergereicht und von dort teilweise in dünnbesiedelte Nachbarländer an der Peripherie (z. B. wird im großen Stil Kohle und Kupfer aus der Mongolei importiert). Insgesamt hat der Umweltschutz, weil er lebensverlängernd ist! , in China hohe Priorität. Die Hauptursache für diese Aufwendungen liegt auch hier im Bedürfnis nach sozialer Stabilität. Es kam und kommt hunderte Male im Jahr vor, dass Menschengruppen aufgrund von wahren oder auch gestreuten Gerüchten über Luft- und Wasserverschmutzung oder illegale Entsorgung von Giftmüll vor oder auch in den Rathäusern randalieren. Während der Coronakrise hat die Elektromobilität in China einen unge‐ heuren Aufschwung genommen. In den Stadtzentren von Shanghai und Peking war im Frühjahr 2024 etwa jedes zweite Auto ein E-Auto, fast alle Busse fuhren mit Elektroantrieb. In den Außenbezirken war es geschätzt bereits jedes zehnte Auto. 92 Erreicht wurde dies durch eine bevorzugte Zuteilung eines Nummernschildes 93 und eine hohe Subventionierung von 108 8 Brücken und Ausblick 94 Zu Klimaschutz in China gibt es eine sehr umfangreiche Literatur und Forschung, die Sie z.-B. über scholar.google.com oder chatgpt.com recherchieren können. elektrischem Strom, mit dem die Batterien im eigenen Haus über Nacht aufgeladen werden. Im Herbst 2023 kostete der Strom für 100 km mit einem Mittelklassewagen (in diesem Falle ein Tesla 3) in Shanghai ziemlich genau einen Euro und war damit deutlich billiger als die bereits günstigen Metrofahrkarten. Hier handelt es sich primär um Umwelt- und nicht um Klimaschutz (das das nicht das gleiche ist, beginnen wir in Deutschland langsam zu begreifen). Eine Ausnahme, die sowohl klimastabilisierend als auch umweltschützend ist, besteht in Aufforstungen, die in großen Teilen Chinas verfolgt werden. Ob das für die Klima oder die Umwelt geschieht, ist auch egal, weil es gut ist. China ist heute neben den USA der größte „Klimasünder“, zugleich aber Vorreiter einer Energiewende, für die es einen langfristigen Plan gibt. Im Jahr 2023 wurde in China laut Internationaler Energieagentur etwa fünfmal so viel Kohlendioxid wie in der Europäischen Union ausgestoßen und zugleich wurden mehr Photovoltaikanlagen in Betrieb genommen als im Rest der Welt. Bezüglich Klimaschutz zeigt sich die Zentralregierung grundsätzlich interessiert und willig, Vorrang hat aber auch hier die soziale Stabilität. Lax ausgedrückt: Soziale Unruhen könnten China bereits morgen erschüttern, während der Klimatod erst später droht. 94 Auch wenn massiv in Wind und Solarenergie investiert wird, ist die Hauptenergiequelle immer noch die Kohle und sie wird dies auch noch lange bleiben. Bis 2030 wird sich die Anzahl der Kohlekraftwerke planmäßig (die Pläne liegen öffentlich aus bzw. sie sind einsehbar und sollten wörtlich genommen werden) noch erhöhen. Wenn über Klima und CO₂-Bilanzen geredet wird, sollten wir nicht vergessen, dass unsere Bilanzen entlastet werden, weil ein Großteil der Konsumgüter, die wir erwerben, in China hergestellt wird und damit der chinesischen Klimabilanz zugerechnet wird. Die derzeit praktizierte nationale Klimabuchführung ist also grob irreführend. Ein ungelöstes Problem, bei dem wir - durchaus im Eigeninteresse - mitwirken könnten, ist das Angehen des „Verpackungswahnsinns“ in China, hinter dem eine Verschwendung von Ressourcen jenseits unserer Vorstel‐ 8.1 Umwelt- und Klimapolitik 109 95 Dies besagt kurz, dass Unternehmen gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise versuchen, die Konsumenten durch immer schönere and mehr Verpackungen zu locken. Bei Süßigkeiten und Tee ist man oft erst nach Öffnen der vierten Ebene am Produkt. Dabei muss, und das sollten alle Konsumenten und Hersteller eigentlich wissen, die Verpackung schlussendlich vom Kunden mitbezahlt werden und sie reduziert gleichzeitig mögliche Gewinne der Hersteller. Diese befinden sich, in Anlehnung an das bekannteste Spiel der Spieltheorie, in einem „Gefangendilemma“. 96 Letztlich bleibt es natürlich nicht bei der Frage, Sie müssen im „Ernstfall“ auch liefern können, vgl. Abschnitt 2.3. lungskraft steht. 95 Ein weiteres ungelöstes Problem stellt die Sanierung von Flussgebieten und hier insbesondere das Gift im und am Gelben Fluss (chinesisch: huang he) dar. Hier hat man in Deutschland Erfahrungen, die nutzbar wären: In Rhein, Neckar und Elbe wird heute wieder geangelt und gebadet, und das, obwohl sie in den 1970er Jahren tote Flüsse waren. 8.2 Miteinander lernen Dass wir Menschen konditioniert sind, primär Unterschiede zu erkennen und zu benennen, ist so normal wie vernünftig. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, stets das Gemeinsame zu suchen und zu erkennen. Ian Morris, der uns im Verlauf dieser Monografie bereits begegnet ist, behauptet, und hier folge ich ihm, dass sich große Menschenmassen überall sehr ähnlich sind. Das ist etwas durchaus anderes als Hararis Vorstellung von der „Vereinigung der Menschheit“, die er in seinem Buch „Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit“ entwickelt. Essen, Gesundheit und Immobilien sind als Gesprächseintritt nicht hoff‐ nungslos aber die einfachste und zugleich effektivste Art, mit chinesischen Kollegen ins Gespräch zu kommen, sind die Kinder. Wenn also nach einer gewissen Zeit eine gegenseitige Wertschätzung entstanden ist (die immer auf fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten beruht) kann der Sprung zu persönlichen Freundschaften durchaus gelingen. In meinem Falle war es die frühe Frage an zwei Kollegen, was wir gemeinsam für die Zukunft unserer Kinder tun könnten. 96 Im Privaten geht es den Chinesen wie uns: Man versucht, jeden Tag aufs Neue, durchs Leben zu kommen. Uneinigkeit oder Streit in der Familie, vor allem über Geld und die Erziehung der Kinder, gibt es in China wie bei uns und sind eher die Regel und nicht die Ausnahme. Dass es mitunter fundamental unterschiedliche Vorstellungen von der Familie gibt, werden fast alle Beteiligten an binationalen Ehen bestätigen 110 8 Brücken und Ausblick können. Im Folgenden lesen Sie den Erfahrungsbericht einer in Deutschland lebenden Chinesin, die, obwohl sie zu einer nationalen Minderheit gehört, ganz klassisch chinesisch argumentiert. Sie werden, wie zu Beginn dieses Textes bereits angedeutet, feststellen, dass hinter ihren Ausführungen eine Sicht auf das Leben steht, die sich in Teilen von der westlichen unterscheidet. Dies betrifft Inhalt und Form. Eine kleine Brücke zwischen den Kulturen: Meine chine‐ sisch-deutsche Ehe (von H. H.) Die Großmutter trug eine elegante kurze Frisur in goldenem Blondton - einer Farbe, die nicht grell war, sondern sehr gut zu ihrer Hautfarbe passte. Sie trug einen beigen Rollkragenpullover und eine Perlenkette in harmonischen Farbtönen. Jedes Mal, wenn ich sie sah, wirkte sie so harmonisch und warmherzig. Dass ihr Rücken leicht gebeugt war, tat ihrer eleganten Ausstrahlung keinen Abbruch. Bei unserem Treffen zeigte sie mir das Buch, das sie gerade las: "Die drei Schwestern" von Jung Chang. Ich war tief gerührt. Meine Gefühle für sie wandelten sich von Fremde und Bewunderung hin zu Respekt, Wärme, Zuneigung und Vertrautheit. Sie ist eine Frau, die viel erlebt hat an Geschichte und Ge‐ schichten. Sie liest gern und reist gern, wie das chinesische Sprichwort sagt: “Lies zehntausend Bücher, wandere zehntausend Meilen”, daher besitzt sie ihre Weisheit und Gelassenheit. Sie ist die Großmutter meines Mannes und lebt mit ihrem Ehemann in Nürnberg. Ich bewundere diese älteren Menschen sehr, sie sind sehr selbstständig und haben ihr Leben gut organisiert, ich spüre aber auch die Einsamkeit und manchmal sogar die Schwierigkeiten älterer Menschen in Deutschland, die es schwer haben, familiäre Freude und Wärme von Kindern und Enkelkindern zu genießen. Für mich, die ich als Zugewanderte aus China in Deutschland lebe, heißt das, dass ich darüber nachdenken muss, wie ich mein derzeitiges Leben besser gestalten könnte, und wie ich wohl im Alter werde leben können. Geboren in einer kleinen, damals schwach entwickelten Stadt im Nord‐ westen Chinas, in der Wüste Gobi, wollte ich schon als Kind weg von zu Hause und hin in die Zentren kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung. Dazu gab es für uns Kinder aus normalen Familien nur einen Weg: für eine gute Bildung hart zu arbeiten und mit dieser guten Bildung dann die Heimatstadt zu verlassen. 8.2 Miteinander lernen 111 Shanghai, mein Studienort, zeigte mir, wie anders eine Stadt sein kann. Nach Bachelor und Master hatte ich durch glückliche Umstände die Gelegenheit, in Deutschland zu promovieren und zu erleben, wie komplett anders ein Land sein kann. Während der Promotion lernte ich meinen Mann kennen. Er fing damals von sich aus an, bei mir Chinesisch zu lernen, wir haben uns gut verstanden und ein Jahr später wurden wir ein Paar. Nach der Promotion kehrte ich wegen des Widerstands meiner Eltern gegen diese Beziehung nach China zurück. Ich wurde Dozentin an einer Fachhochschule mit fester Anstellung. Die Entfernung änderte aber nichts an der Beziehung zu meinem Freund. Unser Durchhalte‐ vermögen überzeugte meine Eltern und sie stimmten einer Heirat zu. Wir heirateten in Hongkong, feierten in Shenzhen und meine Eltern richteten für uns in Ningxia eine Hochzeit aus, gemischt muslimisch und ganz traditionell chinesisch, mit ungefähr 400 Gästen. Nach der Hochzeit blieb ich zunächst in China. Ein Jahr später, vor 11 Jahren, kam ich hochschwanger nach Deutschland und mein Eheleben mit einem deutschen Mann und - nach und nach - unseren drei Kindern begann. Drei Monate nach dem Zusammenziehen kam unser erstes Kind, drei Jahre später das zweite, knapp fünf Jahre später das dritte. Mittlerweile geht auch der jüngste Sohn in die Schule. Nun schaue ich schon auf eine mehr als zehnjährige chinesisch-deutsche Ehe zurück, wir haben viel erlebt, Schwierigkeiten ebenso wie glückliche Momente. Eine Ehe ist eine sehr individuelle Angelegenheit, bei einer internatio‐ nalen, einer interkulturellen Verbindung gibt es aber viel mehr zu berücksichtigen. Lassen Sie mich meine Erfahrungen zusammenfassen: Sprache ist Kommunikation, tief geprägt von der Kultur und Fundament des Denkens, eine Herausforderung für mehrsprachige Familien. Es hat uns sehr geholfen, dass jeder sich bemüht, die Sprache des anderen so gut wie möglich zu lernen und zu verstehen. Deutsch wurde zur Umgangssprache in unserer Familie. Mein deutscher Mann und ich, er und die Kinder, die Kinder untereinander: alle sprechen Deutsch. Ich spreche mit den Kindern nur Chinesisch, denn dass sie Chinesisch lernen, finden wir Eltern notwendig. Täglich üben wir mit den Kindern etwas Chinesisch, von einzelnen Schriftzeichen über verschiedene Ge‐ dichte und Geschichten bis zu den Gesprächen des Konfuzius. Das 112 8 Brücken und Ausblick 97 Anmerkung von Dirk Linowski: Frau H. war zu diesem Zeitpunkt und während ihrer „Überbrückungstätigkeiten“ bereits von einer deutschen Universität promovierte Betriebswirtin. erfordert enorm viel Zeit, Energie und Überzeugung. Wir wünschen uns, dass die Kinder von beiden Sprachen und Kulturen profitieren können. Über die Sprache hinaus ist es sehr wichtig, Kultur und Lebensstil des anderen, das damit verbundenen Denken und Fühlen zu verstehen. Ich musste lernen, Brot und Käse zu essen und mich in neue Lebensgewohn‐ heiten einzufügen. Gleichzeitig lernen mein Mann und seine Familie nun schon seit mehr als zehn Jahren auch langsam meine Lebensgewohn‐ heiten kennen. In einem ähnlichen Kulturkreis erscheint die innere Logik nicht so wichtig, aber in einer neuen Familie sollte man bewusst und offen damit umgehen, sie akzeptieren und verstehen. Klischees und Vorurteile anderen Kulturen gegenüber sind immer vorhanden. Wenn sie innerhalb der Familie Bedeutung gewinnen, führen sie leicht zu Verwirrung im familiären Umgang. Es ist entscheidend für die persönliche und familiäre Entwicklung, wirtschaftlich unabhängig zu sein. In den ersten Jahren in Deutschland war mein Mann noch Student und ich bezog Hartz IV. Nach der Geburt unserer drei Kinder bestand die größte Herausforderung für mich darin, wirklich auf eigenen Füßen zu stehen. Zwischendurch hatte ich verschiedene Jobs - Chinesischlehrerin, Übersetzerin, Verwaltung und Putzen bei einer kleinen Akademie, Dozentin, bis ich später wieder ein Jahr lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität arbeitete. 97 Seit drei Jahren bin ich als SAP-Beraterin angestellt und mein Mann arbeitet nun als Assistenzarzt und seine Facharztausbildung geht bald zu Ende. Ein geregeltes Einkommen durch Arbeit und Kinder, dieses Spannungsfeld zeigte sich mir in vollem Umfang. Besonders belastend war, dass familiäre Unterstützung in der Nähe unmöglich war. Meine Eltern wären sehr gerne behilflich gewesen, bekamen aber jeweils nur für drei Monate ein Visum, wofür wir jedes Mal 5.000 Euro auf der Bank sperren lassen und eine Verpflichtungserklärung abgeben mussten. Selbst in den letzten zwei Jahren konnten wir mit unseren Gehaltsbescheinigungen immer noch keine richtige Verpflichtungser‐ klärung für ein Mehrjahresvisum für sie ausstellen. 8.2 Miteinander lernen 113 "Ein Paar, bei dem die Haustüren der Partner zueinander passen" - im chinesischen Kontext gibt es diese Redewendung mit gewissen Anforderungen an den Familienhintergrund, die wirtschaftlichen Ver‐ hältnisse und das Bildungsniveau. Diesbezüglich sind mein Mann und ich weitgehend ungleich. Ich bin 11 Jahre älter als er. Was die finanzielle Situation angeht, hatte er von klein auf keine Sorgen, sein Vater ist Arzt. Meine Eltern hatten sehr einfache Berufe. Aber: beide Familien haben einen religiösen Hintergrund. Das war der wichtigste gemein‐ same Punkt, der zwei grundverschiedene Welten zusammenbrachte. Man muss auf unterschiedlichen Grundlagen Gemeinsamkeiten finden, einander respektieren und voneinander lernen! Kommunikation und Respekt für die Bedürfnisse des anderen - das ist sicher die größte Herausforderung. Zu den deutschen Feiertagen wur‐ den wir beispielsweise früher öfter von der Großfamilie meines Mannes eingeplant. Es war schwer, die Pläne für meine kleine Kernfamilie durchzusetzen, da es zu Konflikten mit der Großfamilie führte. Dadurch mussten wir lernen, mein Mann und ich selbst, unsere Bedürfnisse ver‐ antwortungsvoll in den Dienst für unsere kleine Familie zu stellen und zu einer Ausgewogenheit mit der großen Familie zu finden. Man sollte im Alltag respektvoll miteinander umgehen. So kann man gemeinsam einen Lebensstil finden, der die Grundlage für das Zusammenleben der ganzen Familie bildet. Nach 12 Jahren Eheleben bin ich nun zufrieden mit meinem Leben, selbstständig, in einer intakten Familie, in einer Ehe, die bisher alle Probleme hat überwinden können. Ich bin dankbar, dass meine Eltern all meine Bildungswege ermöglicht und einer scheinbar nicht einfachen Ehe zugestimmt haben. Ich bin dankbar, dass ich meinen Mann kennen‐ gelernt habe und wir eine wachsende Beziehung aufbauen konnten, und dass ich mich dadurch selbst besser kennenlernen konnte. Ich bin dankbar, dass ich die drei Kinder gemeinsam mit ihm erziehen und mit den Kindern zusammenleben kann. Ich bin auch dankbar, dass ich in einem anderen Land mit anderer Kultur leben und immer mehr verstehen kann. Vielleicht kann ich eines Tages auch so wie die Großmutter werden. 114 8 Brücken und Ausblick 98 Praktisch dürfte das Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich gewesen sein; niemand sonst in China würde sich wagen, eine Entscheidung von solcher Tragweite zu treffen. 99 Machen Sie sich unter Rückgriff auf die Bevölkerungsrelationen bitte einmal die Lächerlichkeit der Behauptung, dass ein paar zehn- oder hundertausend Touristen aus Europa den Tourismus in China stabilisieren, klar. 100 In Wade-Giles Transkription Hsü Pei-hung und Chi Pai Shih. Reisen nach China war noch nie so einfach: Die VR China 98 hat - als Zeichen guten Willens und nicht, wie in zahlreichen deutschen Medien kolportiert, um ihre Tourismusbranche zu stützen 99 - deutschen Staatsbürgern ab dem 1. Dezember 2023 für zunächst ein Jahr befristet die visafreie Einreise bis zu 15 Tagen gestattet. Da nicht absehbar ist, dass diese Offerte erwidert wird, bin ich skeptisch, dass es diese Regelung noch in beispielsweise drei oder fünf Jahren geben wird. Man erkennt nur, was man kennt, lehrte der große Hegel. Einfacher ausgedrückt: Reisen Sie nach China und machen Sie sich selbst ein Bild! Selbst wenn Sie nur die Hauptstadt Peking und Shanghai besuchen, werden Sie feststellen, dass die Reise sich gelohnt hat. Die Tatsache, dass Sie natürlich Verständigungsprobleme haben werden, wird fast sicher dadurch aufgewogen, dass China ein für Ausländer sehr sicheres Reiseland ist. Eine der weitestgehend akzeptierten ungeschriebenen Regeln ist, Ausländer nicht zu bestehlen (was an touristischen hotspots gelegentlich vorkommt) oder anderweitig zu schädigen. Ebenso gibt es ungeschriebene Positivregeln. Dazu zählt, dass Ausländer, selbst wenn sie sich nicht adäquat verhalten (sie wissen es halt nicht besser) gut behandelt werden. Fangen Sie also mit Beobachtungen an und versuchen Sie diese im Anschluss zu bewerten und nicht mit Theorien, in die Sie die Beobachtungen pressen. Jenseits der Kinder ist Bildung ein ganz großes Thema. Ich hatte vor Beginn meiner Tätigkeit in China das Glück, von meinem Vater mit Laotse und von meiner Mutter mit einigen chinesischen Malern bekannt gemacht zu werden. Dass ein Deutscher Bilder von Xu Beihong (1895 - 1953) und Qi Baishi 100 (1864 - 1957) erkennt, die in China fast jedes Kind kennt, wird nicht erwartet und dass ich hier „mitreden“ konnte, hat mir in China mehrfach sehr geholfen. 8.2 Miteinander lernen 115 101 Ich halte es für eine moralische Bankrotterklärung erster Ordnung, dass in Deutschland ca. 50.000 junge Menschen pro Jahr die Schule ohne einen Abschluss verlassen und wir gleichzeitig im Ausland, zumeist in ärmeren Ländern mit niedrigen Geburtenraten, auf die die Suche nach „Fachkräften“ gehen. Abb. 8.1: „Galoppierendes Pferd“ von Xu Beihong und „Krebse“ von Qi Baishi (Quelle: Weixin 65]) So wie Cato der Ältere (234 v. Chr. - 149 v. Chr.) in jeder Sitzung des Römischen Senats gefordert haben soll, dass Karthago zerstört werden solle, schließe ich meine Texte mit einem Appell, uns zu bilden. Wie die Chinesen wissen wir, dass eine lebenswerte Gesellschaft auf Gedeih und Verderb von unserer Bildung, und damit meine ich explizit nicht nur fachliche Aspekte, abhängen wird. Das Gegenmodell ist eine dünne Oberschicht und ein großer dummer Rest. 101 Eine funktionierende Demokratie, das habe ich bereits erwähnt, ist meiner Einschätzung nach nur mit einer gebildeten Bevölkerung möglich. Dass die Demokratie in Zeiten von Umweltzerstö‐ rung, Klimawandel und demografischem Wandel tatsächlich die beste aller Regierungsformen ist, wird sich immer wieder aufs Neue erweisen müssen. Investieren müssen wir wieder verstärkt in China-Kompetenz, die es, wie auch Russland betreffend und ebenso den Nahen Osten, vor zwei oder drei Jahrzehnten noch in Deutschland gab. In der Gegenwart gibt es (noch) viele kluge Einzelpersonen, die sich aber, oft aus berechtigter Angst, dafür öffentlich Prügel zu beziehen, nicht zu Chinathemen äußern. Nötig ist meines Erachtens eine Bündelung dieser Kompetenzen, was nicht bedeutet, dass daraus „Einheitsmeinungen“ folgen sollten. Es ist der gesellschaftliche zivilisierte Diskurs, der Voraussetzung für ein echtes Ringen um gute 116 8 Brücken und Ausblick 102 China muss die folgenden 15 bis 20 Jahre überbrücken, bis es demografisch in etwa dort ist, wo sich Japan heute befindet. Das bedeutet im hiesigen Kontext vor allem Technisierung (bis hin zu Pflegerobotern) und die Möglichkeit der Automatisierung in der Gesellschaft, wenn weniger Arbeitskräfte verfügbar sein werden. Darauf bereitet man sich vor: Mehr als die Hälfte der wissenschaftlichen Publikationen und Patente zu Künstlicher Intelligenz kommen aktuell aus China. 103 Vorstände von Großkonzernen in Japan verdienen derzeit in etwa so viel wie ein Bereichsleiter in Deutschland in einem vergleichbaren Unternehmen. Lösungen ist, den wir nicht nur bezüglich China wieder lernen müssen. Andernfalls fallen wir weiter gegenüber China, wo viel über uns gewußt wird und man uns in technischer Hinsicht nicht mehr unbedingt braucht, zurück. Die chinesische Regierung scheint mir in der Tat einen Masterplan zu haben, den ich etwas salopp „Japanisierung 102 plus Überwachung“ nenne. Die Voraussetzungen für ein Gelingen sind meines Erachtens gegeben. Japan und China haben gemeinsam, dass hinter fast allem, jedenfalls dem, was von Bedeutung ist, der Meister Konfuzius steht. Wenn Konfuzius von „sich vervollkommnen“ und von Mitmenschlichkeit spricht, bedeutet dies, dass der Mensch lernen muss sich zu beherrschen (vgl. Exkurs zu Kapitel 2 und Kapitel 6). Von der Selbstbeherrschung zur Selbstkontrolle und weiter zur Selbstüberwachung muss es dann gar nicht mehr so weit sein. Selbstüber‐ wachung ist nicht nur die billigste, sondern auch die effektivste Form der Überwachung. Tatsache ist, dass es in Japan, auch bei Großkonzernen, bis heute keine Managergehälter gibt, die auch nur ansatzweise das westliche Niveau, das dem der Normalverdiener seit 40 Jahren immer weiter enteilt, besitzen. 103 Die japanische Gesellschaft ist viel weniger geldbasiert als die unsere; Fälle wie die Auszahlung von Boni für das Jahr 2022 an das Topmanagement der Deutschen Bahn für die Teilerreichung von Teilzielen (die nichts mit dem Unternehmenszweck zu tun haben) sind aus Gründen der Ehre in Japan undenkbar [66]. Die chinesische Regierung zielt mit Ausnahme der Mitglieder der Kommu‐ nistischen Partei nicht auf eine Erziehung der Menschen (vgl. Abschnitt 5.5). Es genügt ihr, jedenfalls bisher, dass die Menschen im öffentlichen Raum funktionieren. Sie werden als Bürger Chinas also nicht erwarten, lange mit z.-B. einer Regenbogenfarbe durch die Straßen laufen zu können; was Sie aber in Ihren eigenen vier Wänden machen, ist der Regierung ziemlich egal. Den „Rest“ erledigen Möglichkeiten von Gesichtserkennungssoftware und die Tatsache, dass es möglich ist, Ihr Leben elektronisch (d. h. über WeChat-Protokolle, 8.2 Miteinander lernen 117 104 Machen Sie sich in diesem Zusammenhang klar, dass die technischen Möglichkeiten von Überwachung (Stichwort KI) im Westen genauso vorhanden sind wie in China. Bewegungsanalyse über das Mobiltelefon und die Geldausgaben) sehr schnell fast vollständig nachzuvollziehen: 104 Wenn man das will. Recht und Gesetz in China In China gibt es keine Tradition des geschriebenen Gesetzes. Sowohl Konfuzius als auch Laotse schätzten Gesetze gering, von Letzterem ist sinngemäß der Ausspruch „viele Gesetze, viele Verbrecher“ überliefert. Die Verrechtlichung der chinesischen Gesellschaft nahm tatsächlich erst um das Jahr 2000 mit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO Fahrt auf. Tatsächlich gab und gibt es aber ein „System von roten Linien“, die nicht überschreitet, wer nicht riskieren will, die Rechte der Gemeinschaft zu verlieren. Bekanntestes Beispiel ist die Antwort des chinesischen Staates auf den Handel mit Drogen: Wer Drogen verkauft, nimmt billigend in Kauf, dass seine Abnehmer sterben bzw. körperlich und geistig ruiniert werden, und hat somit mit der entsprechenden Reaktion der Gesellschaft oder des Staates, dem Ausstoß aus der Gemeinschaft, zu rechnen. Diese harte Vorgehensweise hat fraglos auch mit den Demütigungen Chinas nach den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert und den daraus resultierenden sogenannten Ungleichen Verträgen zu tun. Es fällt schwer, aus den aktuellen politischen und wirtschaftlichen Vorgängen in den USA und der Europäischen Union eine zukunftsorientierte (von abgestimmt ist da überhaupt noch nicht die Rede) Strategie herauszulesen. Das beginnt ganz oben mit der geplanten großen Transformation Europas, dem Green Deal der Europäischen Kommission: Wenn die Elektroautos aus China kommen, so werden sie trotz Warnungen der meisten europäischen Automobilhersteller, die nicht vor der chinesischen Konkurrenz beschützt werden wollen, auch in Europa mit hohen Einfuhrsteuern belegt. Das Klima ist auf einmal nicht mehr ganz so wichtig und die Transformation kann warten. Es ist grundsätzlich richtig, dass viele auch noch so gute amerikanische oder europäische Unternehmen unter Freihandelsbedingungen gegenüber chi‐ nesischen Konkurrenten, die bereits eine brutale Auslese in China überstanden haben und zudem auf ganz andere Skaleneffekte (wenn Sie in Europa 1 Million 118 8 Brücken und Ausblick Kunden haben, hat Ihr chinesischer Konkurrent 10 der 20 Millionen Kunden) zurückgreifen können, kaum eine Chance haben können. Nur resultiert dies grundsätzlich aus ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und nicht aus perfiden Absichten Ihrer chinesischen Wettbewerber oder der dahinterstehenden Politik. Wenn man bei uns also zu der Schlussfolgerung kommt, dass eigene Industrie‐ zweige erhaltenswert sind, sollte man ökonomisch und politisch argumentieren und nicht über „gut und böse“. Dass Sanktionen ein kluger Weg sind, um potenzielle „Gegner“ kleinzuhalten, ist historisch nicht gedeckt. Kuba, Nordkorea sowie der Iran sind immer noch da und die russische Wirtschaft ist seit 2022 nicht zusammengebrochen. Bitte denken Sie an dieser Stelle kurz darüber nach, welche Geisteshaltung hinter dem Begriff Strafzölle, die auf chinesische Importe erhoben werden, steht. So wie die Russland-Sanktionen von EU und USA zu explodierenden Importen von Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan geführt haben, die dann nach Russland weiter exportiert werden, zählen bisher vor allem Produzenten in Mexiko, Malaysia und Vietnam zu den Profiteuren der US-Sanktionen gegenüber China. So verdoppelten sich Vietnams Importe aus China innerhalb von vier Jahren von 65 Mrd. US-Dollar im Jahr 2018 auf 130 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022. [67] Man muss nicht Ökonomie studiert haben, um qualitativ zu verstehen, was dahintersteht und dass das Ziel, die Abhängigkeit der USA von China zu senken, auf diese Weise bisher nicht erreicht wurde, dafür aber die betreffenden Importe der USA teurer geworden sind. Exkurs: Indien, das “neue China”? Dass die „regelbasierte Ordnung“ des Westens in großen Teilen der Welt abgelehnt wird, hat sich bei uns inzwischen weitgehend herumgesprochen. Wenn es um potenzielle Verbündete gegen China, Russland, Iran und Nordkorea geht, kommt immer wieder die Sprache auf Indien, das dann neben den USA, der ältesten Demokratie der Welt, als größte Demokratie der Welt seinen Ehrenplatz zugewiesen bekommt. Tatsächlich zeigen die indischen Eliten wenig Neigung, sich einem Lager hinzuzugesellen. Indien ist groß und wichtig genug, dass es sich leisten kann, weiterhin eng mit Russland verbunden zu sein, ohne dafür vom Westen gemaßregelt zu werden. Zwar hat Indien China als bevölkerungsreichstes Land - mit Jubel im eigenen Land! - überholt. Das sagt aber nichts über die Qualität der Bevölkerung aus. Wenn der Alphabetisierungsgrad in Indien für 2022 mit 76,32 % angegeben wird [68], so werden dabei Menschen, die lediglich in der Lage sind, ihren Namen zu schreiben, als schreibkundig und damit 8.2 Miteinander lernen 119 nicht als Analphabeten gezählt. Legendär sind die indischen Wahlzettel, bei denen jede Partei ein Symbol hat. Die regierende BJP hat zum Beispiel die safranfarbene Lotusblüte, der Indische Nationalkongress eine offene Hand, eine der beiden Kommunistischen Partei Sichel und Hammer, die andere Hammer, Sichel und Stern und die Bahujan Samaj Party (BSP) den Elefanten … Warum? Damit die Nichtlesekundigen ihre Partei finden! Indien ist qualitativ in vieler Hinsicht anders divers als China. Es gibt ca. 100 verschiedenen Sprachen, selbst Englisch funktioniert im Mündlichen nicht immer als Brücke. Damit fehlt das einigende Band der Sprache. Zudem ist Indien ein religiös tief gespaltenes Land: Einer überwältigenden Hindumehrheit stehen ca. 13 % Muslime, die über das Land verteilt sind, gegenüber. In absoluten Zahlen sind das ungefähr 190 Millionen Menschen! Die indische Bevölkerung ist relativ jung, inzwischen aber auch durch sinkende Geburtenraten gekennzeichnet. Abb. 8.2: Altersverteilung der Bevölkerung Indiens 2023 (Quelle: https: / / www.popu lationpyramid.net/ de/ indien/ 2023/ [69]) 120 8 Brücken und Ausblick Die Bevölkerung Indiens wird aus heutiger Sicht um das Jahr 2050 mit ca. 1,6 - 1,7 Milliarden Menschen ihr Maximum annehmen und ab dann, wie China (und Europa ohne Migration), zu schrumpfen beginnen. Indien hat mit ca. 3,287 Millionen km 2 nur ein Drittel der Fläche Chinas und ist damit kleiner als die Europäische Union. Im Vergleich zu China und noch mehr zu Europa ist die bewohnbare Fläche pro Person sehr gering, da beträchtiche Teile Indiens Wüste oder Hochgebirge und somit kaum bewohnbar sind. Auffällig ist - wie in China! - die Diskrepanz zwischen der Anzahl der männlichen und der weiblichen Indiviuen bis in hohe Alterskohorten, die nicht biologisch erklärt werden kann. Den größten absoluten Unterschied konstatieren wir in der Altersgruppe von 20 - 24 Jahren. Hier stehen ca. 67 Millionen junge Männer 60 Millionen jungen Frauen gegenüber, das Verhältnis beträgt 112 : 100. Im Unterschied zu China wird dies nicht durch Abtreibungen weiblicher Föten erklärt; in Indien ist die Sterblichkeit der Mädchen gerade im Kleinkindalter viel höher als die der Jungen. Mit anderen Worten: Sehr arme Familien lassen im Zweifel öfter ein kleines Mädchen verhungern als einen Jungen. Bezüglich des wirtschaftlichen Aufholprozess ist Zurückhaltung ange‐ sagt. Das Bruttoinlandprodunkt per capita (in US-Dollar) Chinas betrug im Jahre 2023 mehr als das Fünffache Indiens. Wenn wir - in unserem Sinne optimistisch - annehmen, dass die langfristige Wachstumsrate in China bei 4 % und in Indien bei 8 % liegt, dann dauert es noch über 40 Jahre, bis Indien auf individuellem Niveau mit China gleichgezogen hat. Kurz: Die Hoffnung im Westen auf einen Aufstieg Indiens beruhen weitestgehend auf der Abwesenheit von Kenntnissen gepaart mit dem egoistischen Wunsch, unsere Probleme mit Hilfe von außen klären zu können. 8.2 Miteinander lernen 121 105 Unterhaltsame „Was wäre gewesen wenn? “-Überlegungen zu möglichen Verläufen der Geschichte stellt Morris in Kapitel 11 seines Buches „Wer regiert die Welt? “ an. 9 Schlussakkord Im Vorwort dieses Buches stand, durchaus im denkbaren Widerspruch zu seinem Titel, viel über China, viel über die USA aber relativ wenig über Deutschland. Die Ursache ist schlicht, dass wir, in ökonomischer Notation, zumeist „Preisnehmer“ sind. Das große technologische Wettrennen findet zwischen US- und chinesischen Firmen statt. Das heißt, dass wir die USA bzw. die Handlungen ihrer wirtschaftlichen und politischen Führung, die always with and behind us sind, in unsere Analysen miteinbeziehen müssen. Dies gilt, von Russland abgesehen, für kein Land mehr als für China. Um Folgen der globalen Rivalität zwischen den USA und China auf uns abschätzen zu können, müssen wir zunächst mindestens zu verstehen versuchen, wie sich „das große Spiel“ in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat. Wenn wir uns mit Geschichte beschäftigen, so tun wir dies, um die Vergangenheit besser zu verstehen. Die Vergangenheit ist deshalb für uns interessant, weil wir hoffen, mit unseren Erkenntnissen aus dem Studium der Geschichte die Zukunft (besser: mögliche Zukünfte) einzuschätzen, im Idealfall vorhersagen zu können. Bezüglich dieser beiden genannten Aspekte verhält es sich wie mit Modellen in den Natur- und Ingenieur‐ wissenschaften, die der Erklärung und der Vorhersage dienen sollen. In der Geschichte kann man aber schlecht reale Experimente machen; eine Duplizierung einer „Versuchsanordnung“ ist unmöglich. Geschichte verläuft, hier folge ich wieder Ian Morris, schwach determi‐ nistisch. So wie es Triebfedern gibt, z. B. in Marx’scher Diktion die Produk‐ tionsmittel, die auf die Produktionsverhältnisse wirken, so gab und gibt es Konstellationen und Personen, die dafür sorgen, dass an einer Weggabelung ein Weg und nicht der andere gewählt wird. Wenn nicht Kolumbus Amerika entdeckt, Vasco da Gama mit dem Schiff Indien erreicht oder Magellan die erste Weltumsegelung angeführt hätte, so hätten dies andere Seefahrer des späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert getan. 105 Einleuchten sollte Ihnen aber auch das Gedankenspiel, dass sich eine deutsche Bundesregierung unter dem ehemaligen Bundeskanzler und offen erklärten Wladimir Putin-Freund Gerhard Schröder anders zum Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 positioniert hätte als die damals amtierende Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz. Inwieweit diese Weggabelungen auf dem großen Pfad der Geschichte von Belang sind, ist unter Historikern strittig. Noah Yuval Harari zählt zu den Historikern, die darlegen, dass sich die An‐ zahl der unabhängigen Kulturen seit Jahrtausenden verringere und die das „Ende der Geschichte“ in einer einzigen Weltkultur sehen. Tatsächlich gibt es aber auch Theorien mit Überzeugungskraft, die eine Dualität als vorläufigen Endzustand für möglich erachten. Wenn ich Chinas Gesellschaftsmodell heute (ohne wertendes Attribut) als eine qualitative Alternative zum west‐ lichen Modell betrachte, ist es möglich, dass die existierenden Unterschiede von einer höheren Perspektive vernachlässigbar sind, dass also die Voraus‐ setzungen für Hararis Vorhersage gegeben sind. Vielleicht ist das aber auch nicht der Fall. So wie es meines Erachtens keinesfalls zwingend war, dass sich monotheistische gegenüber dualistischen Religionen über Jahrhunderte schrittweise durchsetzen, so ist es durchaus denkbar, dass wir bei zwei oder, für mich weniger wahrscheinlich, auch mehr großen Gesellschaftsmodellen stehen bleiben. Das wird für das große Geschichtsbuch, das in 100 oder auch 1000 Jahren geschrieben wird, von Belang sein; für unser Leben und das unserer direkten Nachkommen ist es aber sehr wahrscheinlich irrelevant. Wir, d. h. alle gegenwärtigen Gesellschaften, sehen uns heute den Folgen von jahrtausendelangem Bevölkerungswachstums (und das ist nicht nur Umweltzerstörung im engeren Sinne) bei „plötzlich“ alternden schrumpfenden Bevölkerungen und dafür immer mächtiger werdender Technologie ähnlichen Herausforderungen gegenüber. Oder liegt hier be‐ reits ein Widerspruch vor? Vielleicht brauchen wir eine weitere, höhere Perspektive? Albert Einstein formulierte kurz nach dem II. Weltkrieg „Die einzige Rettung der Zivilisation und der menschlichen Gattung liegt in der Schaffung einer Weltregierung. …Wenn die Idee einer Weltregierung nicht realistisch ist, dann gibt es nur eine realistische Aussicht für unsere Zukunft: die völlige Vernichtung der Menschheit durch Menschen.“ [70] Womit wir wieder bei Harari wären. Die vor uns stehenden drei Großherausforderungen können jedenfalls nicht gegeneinander angegangen werden. Das klingt abstrakt und es ist abstrakt. Wir müssen uns also darauf konzentrieren, was uns eint bzw. was wir gemeinsam angehen können und dabei das „Gelassenheitsgebet“ berücksichtigen: 124 9 Schlussakkord Gott, gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Dazu zählt auf die bereits im Vorwort und in Abschnitt 8.2 implizit hin‐ gewiesene Verteidigung des Prinzips des Freihandels, dem wir nicht nur einen wesentlichen Teil unseres Wohlstandes verdanken, sondern das auch friedenstiftend ist. Ich halte somit die von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen verfolgte Politik gegenüber China nach innen wie außen für unehrlich und damit für falsch. Deutschland ist nur eine Mittelmacht und selbst Europa spielt in weiten Teilen Afrikas und Südamerikas schon keine Rolle mehr. Wir sollten also um des Friedens und damit unseres Wohlstandes Willen alles tun, damit wir nicht im Lager der Decoupler enden. Noch ist Deutschland in Europa - das hat nicht mit einem deutschen Sonderweg und einer Absage an die Einbindung Deutschlands in die EU und die NATO zu tun und schon gar nichts mit Amerikafeindlichkeit - groß genug, um eine in verschiedene Richtungen begehbare Brücke zwischen den Großmächten zu bilden. Und damit die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Eines der schönsten Zitate, die ich kenne, stammt aus dem Jahre 1983 von Harold Washington (1922 - 1987), dem ersten schwarzen Bürgermeister von Chicago: „Education is not a routine activity which is divorced from national defence. It is, in the most fundamental and important sense, the first line of national defence.” Sie können sich davon in einer kleinen Ausstellung in der obersten Etage der Harold Washington Library in Chicago überzeugen. So wie education im privaten wie nationalen Bereich self-defence ist, so ist auf individuellem wie gesellschaftlichen Niveau die Fähigkeit, Fehler zu erken‐ nen und zu korrigieren, ein wesentliches Merkmal von Zukunftsfähigkeit. 9 Schlussakkord 125 Zengzi, ein Schüler von Konfuzius, formulierte vor etwa 2.500 Jahren: „Der Weg der großen Wissenschaft besteht darin, die klaren Geisteskräfte zu klären, die Menschen zu lieben und sich das Ziel im höchsten Guten zu setzen. Indem die Alten auf der ganzen Erde die klaren Geisteskräfte klären wollten, ordneten sie zuerst ihren Staat; um ihren Staat zu ordnen, regelten sie zuerst ihr Haus; um ihr Haus zu regeln, bildeten sie zuerst ihr Bewusstsein; um ihr Bewusstsein zu bilden, machten sie zuerst ihre Gedanken wahr; um ihre Gedanken wahr zu machen, brachten sie zuerst ihre Erkenntnis auf das Höchste. Die höchste Erkenntnis besteht darin, die Wirklichkeit zu erfassen. Nur wenn die Wirklichkeit erfasst wird, ist die Erkenntnis auf ihrer Höhe; wenn die Erkenntnis auf ihrer Höhe ist, sind die Gedanken wahr; wenn die Gedanken wahr sind, wird das Bewusstsein recht; wenn das Bewusstsein recht ist, wird die Persönlichkeit gebildet; wenn die Persönlichkeit gebildet ist, wird das Haus geregelt; wenn das Haus geregelt ist, wird der Staat geordnet; wenn der Staat geordnet ist, kommt die Welt in Frieden.“ [71] Weniger über China als mit China und damit mit Chinesen zu reden wäre ein Anfang. 126 9 Schlussakkord Im Text direkt verwendete Quellen Die Internetquellen wurden letztmalig am 16. Juli 2024 aufgerufen. Vorwort [1] Vgl. https: / / www.welt.de/ wirtschaft/ article249760702/ Einbruch-bei-Handel-mit -China-dieses-Land-steigt-jetzt-zu-unserem-groessten-Partner-auf.html [2] Vgl. https: / / www.auswaertiges-amt.de/ blob/ 2608578/ 810fdade376b1467f20bdb6 97b2acd58/ china-strategie-data.pdf [3] Doering, Ole (2017). Warum wir keine Angst vor China haben müssen. In Der Tagesspiegel vom 2.11.2017. [4] Linowski, Dirk (2022). Herausforderungen der Wirtschaftspolitik (2. Auflage). Tübingen: UTB-Verlag. [5] Zitiert nach Osnos, Evan (2023). China‘s Age of Malaise, S.-28. The New Yorker vom 23.10.2023. 1. Auftakt [6] Graeber, David (2011). Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Stuttgart: Klett-Cotta. [7] Harari, Yuval Noah (2019). Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit. München: DVA. [8] Vgl. https: / / www.nationalgeographic.de/ geschichte-und-kultur/ 2021/ 08/ antik es-geld-aelteste-muenzpraegestaette-der-welt-in-china-entdeckt#: ~: text=Bei%20 Ausgrabungen%20in%20der%20antiken,Berechnungen%20%C3%A4lteste%20M% C3%BCnzpr%C3%A4gest%C3%A4tte%20der%20Welt [9] Chen, Keith M. (2013). The Effect of Language on Economic Behavior: Evidence from Savings Rates, Health Behaviors, and Retirement Assets. American Economic Review, Volume 103 (2), pp. 690 - 731. [10] Vgl. https: / / www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ basf-chef-martin-brudermueller-di e-chinesen-sind-besser-als-wir-19305572.html 2. China und Deutschland: Aus der Sicht des jeweils anderen [11] Buck, Pearl (1974). China gestern und heute, S.-71. Reinbek: Rowohlt. [12] Vgl. https: / / www.zeit.de/ zeit-geschichte/ 2012/ 01/ Chinas-Niedergang/ [13] Vgl. Morris, Ian (2012). Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen und beherrscht werden, S.-16. Frankfurt a.-M. & New York: Campus. [14] SPIEGEL (2005, 1. Oktober). MAO: Anatomie eines Massenmörders, 40/ 2005. Der SPIEGEL. http: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ d-42008699.html [15] SPIEGEL (2007, 27. August). Die gelben Spione. Der SPIEGEL. 35/ 2007. http: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ d-52715099.html [16] SPIEGEL (2008, 7. April). Die Herren der Ringe. Der SPIEGEL. 15/ 2008. http: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ d-56480065.html [17] SPIEGEL (2020, 1. Februar). Made in China. Der SPIEGEL. 6/ 2020. https: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ index-2020-6.html [18] Zitiert nach Morris, Ian (2012). Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen und beherrscht werden, S.-130. Frankfurt a.-M. & New York: Campus. [19] Zitiert nach Kerner, Charlotte (2015). Rote Sonne, roter Tiger. Rebell und Tyrann: Die Lebensgeschichte des Mao Zedong, S.-18. Landsberg: Beltz & Gelberg. [20] Vgl. https: / / www.sixthtone.com/ news/ 1012040 [21] Vgl. https: / / www.spiegel.de/ politik/ toene-verbinden-a-12d2c47f-0002-0001-00 00-000124838650 [22] Störig, H. J. (1999). Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Gütersloh: Fischer. [23] Vgl. http: / / www.hsk-pruefung.de/ [24] Vgl. https: / / ltl-chinesisch.de/ chinesische-laendernamen/ [25] Binswanger, Mathias (2010). Sinnlose Wettbewerbe: Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg: Herder. 3. Kleine Geographie [26] China und seine Nachbarn. Bundeszentrale für Politische Bildung. https: / / www.bpb.de/ shop/ materialien/ karten/ 543102/ china/ [27] Topografie Chinas. Wikipedia. https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commo ns/ 2/ 22/ China_topo.png [28] Admistrative Gliederung Chinas und Bevölkerungsdichte. Academic dictionaries and encyclopaedias. https: / / de.academic.ru/ pictures/ dewiki/ 66/ Bevoelkerungsdi chte_Chinesischer_Provinzen.png 128 Im Text direkt verwendete Quellen 4. Vom Jahrhundert der Scham in die Gegenwart [29] Vgl. https: / / www.economist.com/ briefing/ 2024/ 06/ 13/ americas-assassination-a ttempt-on-huawei-is-backfiring [30] Vgl. https: / / www.spiegel.de/ wissenschaft/ christiane-nuesslein-volhard-ueber -buerokratie-in-der-wissenschaft-wer-kommt-auf-so-eine-idee-die-haben-einen -knall-a-6d87aec3-5a62-4023-acc7-35c99d2962f9 [31] Vgl. https: / / german.beijingreview.com.cn/ Dossiers/ gk40/ Chinesisch_Deutsche _Kooperation/ 201812/ t20181207_800150914.html [32] Weltbank (2024). https: / / data.worldbank.org/ indicator/ BX.KLT.DINV.CD.WD [33] Vgl. Seitz, Konrad (2000). China: Eine Weltmacht kehrt zurück, Kapitel 25 ff. München: Siedler. [34] National Bureau of Statistcs of China (2024). https: / / www.stats.gov.cn/ english/ [35] Vgl. https: / / www.numbeo.com/ property-investment/ compare_cities.jsp? count ry1=Japan&; city1=Tokyo&country2=China&city2=Shanghai [36] Statistisches Bundesamt (2024). Außenhandelsbilanzen der Jahre 2007 - 2023. https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Wirtschaft/ Aussenhandel/ _inhalt.html [37] Politico (2012). Vgl. https: / / www.politico.com/ story/ 2012/ 12/ mike-mullen-focu ses-on-debt-as-security-threat-084648 [38] Deutsche Börse (2023). Vgl. https: / / www.boerse-frankfurt.de/ nachrichten/ C hina-vereinbart-mit-Oel-Lieferant-Saudi-Arabien-Waehrungsgeschaeft-fb317cd 6-79dc-44a5-abfb-3c923ce30838 5. Demografie und Gesellschaft [39] Statista (2024). https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1274310/ umfrage/ vergleich-der-lebenserwartung-zwischen-china-taiwan-hongkong-und-macau/ [40] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2024). https: / / www.bib.bund.de/ DE/ Presse/ Mitteilungen/ 2024/ 2024-05-22-Deutschland-faellt-bei-Lebenserwartu ng-in-Westeuropa-weiter-zurueck.html [41] Linowski, Dirk (2022). Herausforderungen der Wirtschaftspolitik (2. Auflage). Tübingen: UTB-Verlag. [42] Linowski, Dirk (2023). Was uns die Diskussion über den Fachkräftemangel über uns selbst verrät. https: / / wirtschaftundethik.de/ wp-content/ uploads/ 2023/ 08/ WE _01-2023_22-05-23-1.pdf [43] Populationpyramid.net (2024). https: / / www.populationpyramid.net/ china/ [44] Zitiert nach Seitz, Konrad (2000). China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S.-52. München: Siedler. Im Text direkt verwendete Quellen 129 [45] Konfuzius (1998). Gespäche (Lun-yu). Ditzingen: Reclam. [46] Vgl. Lin, Yutang (1957). Konfuzius. Frankfurt a.M.: Fischer. [47] The State Council Information Office of the People’s Republic of China (2021). Human Rights Action Plan of China (2021 - 2025). https: / / www.ohchr.org/ sites/ d efault/ files/ documents/ issues/ business/ workinggroupbusiness [48] In Anlehnung an https: / / www.bpb.de/ themen/ asien/ china/ 44270/ charakteristi ka-des-politischen-systems/ [49] China Daily (2021). Procedure of the CPC membership admission. https: / / langua ge.chinadaily.com.cn/ a/ 202102/ 10/ WS60233e20a31024ad0baa8829.html [50] Vgl. u.-a. Brühl, Jannis (2019). China, Orwell, und die Angst des Westens. https: / / www.sueddeutsche.de/ digital/ china-kredit-sesame-sozialkredit-ueberwa chung-1.4442172 [51] Bacharach, Burt und Marlene Dietrich (1960). Wenn ich mir was wünschen dürfte. https: / / www.youtube.com/ watch? v=qY0Gi8I_nWs 6. Bildung in China [52] Vgl. Seitz, Konrad (2000). China: Eine Weltmacht kehrt zurück, Kapitel 3, München: Siedler. [53] Vgl. Seitz, Konrad (2000). China: Eine Weltmacht kehrt zurück, S. 57 f. München: Siedler. [54] Vgl. https: / / www.globaltimes.cn/ page/ 202306/ 1292125.shtml [55] Vgl. https: / / www.chinaeducenter.com/ en/ cedu/ ceduproject211.php [56] Jacques, M. (2010). Understanding the rise of China. http: / / www.ted.com/ talks / martin_jacques_ understanding_the_rise_of_china [57] Vgl. https: / / www.hsbi.de/ presse/ pressemitteilungen/ premiere-in-china-hsbi-g ruendet-eigenstaendige-hochschule-auf-der-tropeninsel-hainan 7. Gefangen im „Wettbewerb der Systeme“? [58] Vgl. u. a. https: / / www.tagesschau.de/ wirtschaft/ weltwirtschaft/ plastikmuell-re cycling-asien-exporte-kunststoff-umweltschutz-100.html und https: / / www.gree npeace.de/ engagieren/ nachhaltiger-leben/ plastikmuellexporte-deutschland [59] https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Wirtschaft/ Aussenhandel/ _Grafik/ _Stati sch/ handelspartner.html [60] Deutschlandfunk (2023). https: / / www.deutschlandfunk.de/ neue-seidenstrasse -verblasst-mythos-100.html 130 Im Text direkt verwendete Quellen [61] Linowski, Dirk (2022). Herausforderungen der Wirtschaftspolitik (2. Auflage), Kapitel 15 mit Exkurs. Tübingen: UTB-Verlag. [62] Vgl. z. B. https: / / www.zeit.de/ kultur/ 2023-09/ goethe-institut-schliessung-stelle nabbau-zukunftskonzept [63] Vgl. z. B. https: / / www.daad.de/ de/ der-daad/ kommunikation-publikationen/ pre sse/ pressemitteilungen/ daad-vor-grossen-einschnitten_juli22/ [64] Dixit, Avinash K. und Barry J. Nalebuff (1997). Spieltheorie für Einsteiger. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. 8. Brücken und Ausblick [65] https: / / mp.weixin.qq.com/ s? __biz=MzIxNTE5MDk0Mw==&mid=2650516510 &idx=6&sn=65f48d3957153671581f1cd9c181a413&chksm=8f9310eeb8e499f8126f 45c07c75679d4c9c1b7cae27ec1ecb0ff1c6391f81996ce0eeacd53d&scene=27 und https: / / mp.weixin.qq.com/ s? __biz=MzA5NTY3NDEyMw==&mid=2659506258& idx=3&sn=165cde852e590fb383cf0c686fd1061e&chksm=8bcbb236bcbc3b206cdcb d0c0f5da79e592d08b8beb7e164936f22cb2ee2d3d0bf052e4e3596&scene=27 [66] Tageschau (09. Februar 2024). https: / / www.tagesschau.de/ wirtschaft/ unterneh men/ bahn-vorstaende-keine-bonuszahlung-100.html [67] https: / / www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ welthandel-chinas-neue-helfer-197726 55.html [68] Statista (2024). https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 170863/ umfrage/ a lphabetisierung-in-indien/ [69] Vgl. https: / / www.populationpyramid.net/ de/ indien/ 2023/ 9. Schlussakkord [70] Zitiert nach Morris, S.-584. [71] Wilhelm, Richard (Übersetzer, 1983). Die Lehren des Konfuzius (Abschnitt „Das große Lernen, S.-635). Stuttgart: Reclam. Im Text direkt verwendete Quellen 131 Leseempfehlungen Die meisten hier empfohlenen Bücher sind schon relativ alt, das sollte Sie aber keineswegs abschrecken! • Jonathan Spences’ Buch „Chinas Weg in die Moderne“ aus dem Jahre 1990 ist der Klassiker zur chinesischen Geschichte von der Ming-Dynas‐ tie bis zur Revolution im Jahre 1911. • Konrad Seitz’ Buch „China: Eine Weltmacht kehrt zurück“ aus dem Jahre 2000 ist sehr umfangreich und kenntnisreich, aber für den Laien trotzdem gut lesbar. In diesem Buch finden sich eine hervorragende Darstellung der neueren Geschichte Chinas bis zum Jahre 2000 und ebenso beachtbare Vorhersagen bis fast in unsere Gegenwart. • Henry Kissinger zeigt sich mit seinem Buch „China. Zwischen Tradition und Herausforderung“ aus dem Jahre 2012 als großer Kenner von Chinas Geschichte, Philosophie und Gesellschaft. Kissinger war in China bis zu seinem Tode in seinem 101. Lebensjahr sehr geschätzt. Trotzdem wurde sein Buch bis zu seinem Tode im Jahre 2023 nicht vollständig in China verlegt. • Ian Morris’ „Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen und beherrscht werden“ ist Ihnen mehrfach in diesem Text begegnet. Das Buch aus dem Jahre 2011 heißt auf Englisch: „Why the West rules? For now“. Nach einem furiosen Auftakt, in dem Queen Victoria ihren geliebten Gatten Albert nach Peking entschwinden sieht, widmet es sich dem „Wettrennen“ östlicher und westlicher Gesellschaften. Morris ist weder ein Verfechter einer deterministischen Theorie noch hängt er der Idee an, dass Geschichte weitgehend zufällig abläuft. Auch er wagt den Blick in die Glaskugel. • Noah Yuval Hararis Buch aus dem Jahr 2011 „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ aus dem Jahre 2011 erzählt mitunter bitter und manchmal mit Witz, wie sich unsere Spezies innerhalb von 12.000 Jahren zum Beherrscher der Erde aufgeschwungen hat. • Hans Joachim Störigs „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“ aus dem Jahre 1952 wird immer wieder auf Neue verlegt. Das Buch gibt einen her‐ vorragenden Überblick über die gesamte Philosophie der Menschheit. Störig scheint wirklich alle wichtigen Texte gelesen und dazu verstanden zu haben. Die Kapitel zur klassischen chinesischen Philosophie stellen eine gute Vor- oder auch Nachbereitung des Lesens der Originaltexte von Laotse und Konfuzius bis hin zu deren Nachnachnachfolgern in der Gegenwart dar. • Harro von Senger bespricht in „Strategeme“ (die erste Auflage erschien bereits 1979) und zahlreichen Variationen seines ersten Buches die wichtigsten Kriegslisten, die im Business in China von Bedeutung sind. Diese sollten Sie unbedingt kennen, sollten Sie beabsichten, in China geschäftlich tätig zu werden. Zur Geschichte der VR China gibt es meines Wissens noch keine verlässliche historische Fachliteratur bzw. es kann diese nicht geben. Zu viele Beteiligte seit dem „Großen Sprung nach vorn“ und der „Kulturrevolution“ sind dafür noch am Leben. Hier sei dem interessierten Leser ein Ausweg über die Memoirenliteratur empfohlen. • Ein sehr berührendes und rührendes Buch hat die Germanistin Zhao Jie 2013 mit „Kleiner Phoenix: Eine Kindheit unter Mao“ geschrieben. Hier hat die deutsche Sprache einer jungen Frau das Leben gerettet. Kleiner Phoenix war der Name der Großmutter der Autorin. • „An Großvaters Hand: Meine Kindheit in China“ von Chen Jianghong ist eine Bildgeschichte aus dem Jahre 2008 im Stil der französischen bande dessinée. • Charlotte Kerners Buch „Rote Sonne, roter Tiger“ ist ein aus meiner Sicht gelungener Versuch, Leben und Wirken Mao Zedongs differenziert und dabei gut lesbar darzustellen. Tatsächlich gibt es auch gute deutschsprachige China-Literatur jüngeren Datums: • Frank Sieren ist ein deutscher Journalist, der seit vielen Jahren in China lebt und im Jahre 2006 durch ein Interviewbuch mit Helmut Schmidt bekannt wurde. „China to Go. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur - 100 innovative Trends und erhellende Einblicke“ aus dem Jahre 2023 hält, was im Titel versprochen wird. • In Sina Hardaker und Peter Dannenbergs (Herausgeber) „China: Geo‐ graphien einer Weltmacht“ aus dem Jahre 2023 finden Sie 46 Einzel‐ beiträge unterschiedlicher Autoren zu fast allem, was in dem Ihnen vorliegenden Buch besprochen wird und einiges mehr. Dafür ist das Buch auch fünfmal so umfangreich. 134 Leseempfehlungen Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1: SPIEGEL-Titelblätter 40/ 2005 [14], 35/ 2007 [15], 15/ 2008 [16] und 6/ 2020 [17] (SPIEGEL, 2005, 1. Oktober; SPIEGEL, 2007, 27. August; SPIEGEL, 2008, 7. April; SPIEGEL, 2020, 1. Februar) . . . . . . . . . . . . . . 24 Abb. 3.1: China und seine Nachbarn (Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung [26]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Abb. 3.2: Topografie Chinas (Quelle: Wikipedia [27]) . . . . . . . . 38 Abb. 3.3: Administrative Gliederung Chinas und Bevölkerungsdichte (Quelle: Academic dictionaries and encyclopaedias [28]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Abb. 4.1: Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen von 1980 - 2022 in Mrd. US-Dollar (Eigene Darstellung: Daten von der Weltbank) [32]) . . . . . . . 54 Abb. 4.2: Chinas Bruttoinlandprodukt (BIP) in jeweiligen Preisen von 1980 bis 2023 in Mrd. US-Dollar (Eigene Darstellung: Daten vom National Bureau of Statistics of China [34]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Abb. 4.3: Der Shanghai Composite-Index 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Abb. 4.4: Wechselkurs von RMB pro USD 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 4.5: Wechselkurs von USD pro Euro 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Abb. 4.6: Wechselkurs von USD pro Euro 01/ 1999 - 03/ 2024 (Eigene Darstellung: Daten von Shanghai Stock Exchange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abb. 4.7: Wert der deutschen Importe aus und Exporte nach China von 2007 - 2023 in Mrd. Euro (Eigene Darstellung: Daten vom Statistischen Bundesamt [36]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Abb. 5.1: Altersverteilung der Bevölkerung in der VR China: 1950, 1978 und 2023 (Quelle: Populationpyramid [43]) 69 Abb. 5.2: Das politische System der VR China (Quelle: In Anlehnung an die Bundeszentrale für Politische Bildung [48]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abb. 6.1: Das chinesische Bildungssystem (in Anlehnung an diverse chinesische Quellen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Abb. 7.1: Die größten Handelspartner Deutschlands 2020 und 2023 (Quelle: Statistisches Bundesamt [59]) . . . . . . . . 93 Abb. 7.2: Land- und Seestränge der Belt and Road Initiative (Quelle: Deutschlandfunk 60]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abb. 8.1: „Galoppierendes Pferd“ von Xu Beihong und „Krebse“ von Qi Baishi (Quelle: Weixin 65]) . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abb. 8.2: Altersverteilung der Bevölkerung Indiens 2023 (Quelle: https: / / www.populationpyramid.net/ de/ indi en/ 2023/ [69]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 136 Abbildungsverzeichnis Bisher sind erschienen: Ulrich Sailer Digitalisierung im Controlling Transformation der Unternehmenssteuerung durch die Digitalisierung 2023, 104 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-10301-0 Michael von Hauff Wald und Klima Aus der Perspektive nachhaltiger Entwicklung 2023, 85 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-10311-9 Ralf Hafner Unternehmensbewertung 2024, 133 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-11351-4 Irene E. Rath / Wilhelm Schmeisser Internationale Unternehmenstätigkeit Grundlagen, Führung, Organisation 2024, 175 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-11231-9 Reinhard Hünerberg / Matthias Hartmann Technologische Innovationen Steuerung und Vermarktung 2024, 152 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-11291-3 Ulrich Sailer Klimaneutrale Unternehmen Management, Steuerung, Technologien 2024, 130 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-11341-5 Oˇ guz Alaku¸ s Basiswissen Kryptowährungen 2024, 79 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-11381-1 Uta Kirschten Personalmanagement: Gezielte Maßnahmen zur langfristigen Personalbindung 2024, 159 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-12151-9 nuggets Die Reihe nuggets behandelt anspruchsvolle Themen und Trends, die nicht nur Studierende beschäftigen. Expert: innen erklären und vertiefen kompakt und gleichzeitig tiefgehend Zusammenhänge und Wissenswertes zu brandneuen und speziellen Themen. 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Wir befinden uns seit Ende der 2010er Jahre in einer Phase offener politischer, wirtschaftlicher und militärischer Rivalität, in der die beiden Supermächte USA und China versuchen, ihre Einflusszonen zu stabilisieren und auszuweiten. Zahlreiche deutsche Großunternehmen wie Adidas, die BASF und Siemens sowie in der Öffentlichkeit weniger bekannte Mittelständler sind sowohl im US-amerikanischen als auch im chinesischen Markt engagiert und damit direkt von der Rivalität zwischen den USA und China betroffen. Im Westen weiß man heute kaum mehr, was in China gedacht und getan wird. Das Buch setzt sich zum Ziel, neben den vorhandenen Unterschieden Positives, d. h. Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. China und Deutschland können gemeinsam Beiträge für eine bessere Welt leisten.