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Auf dem Weg zum Bauernkrieg

Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts

0902
2024
978-3-3811-2182-3
978-3-3811-2181-6
UVK Verlag 
Gerd Schwerhoff
10.24053/9783381121823

Vor dem "großen" Bauernkrieg von 1525 gab es im Alten Reich eine Vielzahl von Unruhen, Aufständen und Revolten. Am bekanntesten sind die "Bundschuh"-Verschwörungen und die Bewegung des "Armen Konrad" in Württemberg im Südwesten, deren Bedeutung bis heute teilweise falsch eingeschätzt wird. Auch in den Städten gab es damals eine regelrechte Aufstandskonjunktur, die bislang kaum vergleichend erforscht wurde. Das Buch gibt einen Überblick zu diesen Phänomenen und stellt die Verbindung zur Reformation her, die insofern eine neue Phase einläutet, als sie den vormals fragmentierten Bewegungen eine gemeinsame Richtung gab. Schließlich wird der Bogen bis zum Beginn des Bauernkriegs geschlagen. Auf diese Weise werden Kontinuitäten und Brüche ebenso sichtbar wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den "Voraufständen" und dem Bauernkrieg.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-381-12181-6 www.uvk.de Vor dem „großen“ Bauernkrieg von 1525 gab es im Alten Reiche eine Vielzahl von Unruhen, Aufständen und Revolten. Am bekanntesten sind die „Bundschuh“-Verschwörungen und die Bewegung des „Armen Konrad“ in Württemberg im Südwesten. Bis heute wird ihre Bedeutung oft falsch eingeschätzt. Auch in den Städten gab es damals eine regelrechte Aufstandskonjunktur, die bislang noch kaum vergleichend erforscht wurde. Das Buch gibt einen Überblick zu diesen Phänomenen und stellt die Verbindung zur Reformation her. Diese läutete eine neue Phase von Unruhen ein, indem sie den vormals fragmentierten Bewegungen eine gemeinsame Richtung gab. Schließlich wird der Bogen bis zum Beginn des Bauernkriegs geschlagen. Auf diese Weise werden Kontinuitäten und Brüche sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den „Voraufständen“ und dem Bauernkrieg sichtbar. Konflikte und Kultur Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts <?page no="1"?> Auf dem Weg zum Bauernkrieg <?page no="2"?> Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Herausgegeben von Carola Dietze · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulrike Ludwig · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 43 Wissenschaftlicher Beirat: Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt <?page no="3"?> Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts <?page no="4"?> Umschlagabbildung: Wer wissen w œ ll wie die sach stand || Jtz in dem würtenbeger land || Der kauff vñ leß den spruch z°u h-d || Er ist der arm Conrad genandt || Mainz 1514; Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Germany, Signatur Yg 6719 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381121823 © UVK Verlag 2024 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-381-12181-6 (Print) ISBN 978-3-381-12182-3 (ePDF) ISBN 978-3-381-12183-0 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Das Reich um 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1 Epochenumbruch oder Kontinuität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.2.1 Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.2.2 Bauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.2.3 Bauern und Herren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.2.4 Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.1 Reich, Territorien und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.2 Reichsreform und Landfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche . . . . . . 40 2.4.1 Türhüter der ewigen Seligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4.2 Laikales Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4.3 Die ausgebliebene Erneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3 Eine Welt in Unruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4 Bundschuh und Armer Konrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2 Bruchsal 1502 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.3 Freiburg 1513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.4 Der Arme Konrad von 1514 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.4.1 Das Herzogtum Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.4.2 Erste Phase: Initiierung und Ausweitung im Mai 96 4.4.3 Zweite Phase: Proteste und Beschwerden . . . . . . . 102 4.4.4 Ergebnisse und Fehlstellen des Landtages . . . . . . . 110 4.4.5 Letzte Phase: Verweigerungen, Proteste und Niederlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.6 Strafen und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.4.7 Zur Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.5.1 Das alte Narrativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 <?page no="6"?> 4.5.2 Dekonstruktion einer Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.5.3 Ausklang und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.1 Ein kursorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.2 Das Beispiel Köln 1512/ 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.3 Vergleichende Einordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens . . . . . . . . . . . . . . . 148 6.1 Prototypen niederadliger Selbstbehauptung . . . . . . . . . . . . . 149 6.2 ‚ Raubritter ‘ , Fehdeunternehmer oder politischer Akteur? 152 6.3 Karriere und Fall Sickingens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6.4 Die Absberg-Kampagne 1523 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste . . . . . . . . . . . . . . 161 7.1 Reform oder radikaler Protest? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.2 Resonanzen im Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 7.3 Städtische Unruhen und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 7.3.1 Das Beispiel Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 7.3.2 Das Beispiel Mühlhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land . . . . . . . . 185 7.4.1 Von Forchheim nach Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7.4.2 Zehntproteste im Zürcher Landgebiet . . . . . . . . . . . 193 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs . . . . . . . . 197 8.1 Das Beispiel Frankfurt 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 8.2 Das Beispiel Köln 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6 Inhalt <?page no="7"?> 1 Einleitung Darstellungen und Deutungen des Bauernkriegs von 1525 betonen seit jeher, dass dieser größte kontinentale Massenaufstand in Europa vor 1789 eine jahre- oder gar jahrzehntelange „ Vorgeschichte “ in Gestalt zahlreicher kleinerer Unruhen hatte. Exemplarisch und emblematisch steht dafür die Bewegung des „ Bundschuh “ im Südwesten des Reiches, dem insbesondere im Argumentationshaushalt der klassischen Überblicksdarstellung von Günther Franz eine zentrale Funktion zukam. 1 Im Umfeld des fünfhundertjährigen Bauernkriegsjubiläums ist die historische Forschung gegenwärtig herausgefordert, gängige Interpretationen zu überprüfen und ggf. zu erneuern. 2 Damit scheint auch ein frischer Blick auf die vorangegangenen Unruhen angezeigt. Hier stellt sich die Forschungslage gegenwärtig extrem uneinheitlich dar. Einerseits haben die Jubiläen der vergangenen Jahre neue Forschungsaktivitäten angeregt, etwa in Bezug auf die Bundschuh-Verschwörungen oder, mehr noch, auf den Armen Konrad. Andererseits wird die städtische Aufstandskonjunktur um 1512 immer noch nicht als ein übergreifendes Phänomen wahrgenommen und gewürdigt. Weiterhin hat die Lutherdekade zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen zur frühen Reformation geführt, dabei allerdings den Protest- und Aufruhraspekt der Reformation vergleichsweise wenig berührt. Manche Forschungsdesiderate sind wohl - immer noch - der Tatsache zuzuschreiben, dass wir uns am Anfang des 16. Jahrhunderts gewissermaßen im Niemandsland zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit bewegen: Zwar steht die Periodisierungsgrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit seit Generationen in der Kritik; aber sie ist eben immer noch eine zentrale Demarkationslinie, entlang derer die historischen Subdisziplinen ihre Claims abstecken. Im Zuge der Entstehung einer umfassenderen neuen Darstellung über das Bauernkriegsgeschehen 3 schien es deswegen angebracht, dessen Vorgeschichte systematisch zu sichten. Herausgekommen ist keine integrale Gesamtgeschichte, sondern eine längere essayistische Zwischenbilanz, die erzählerische und analytische Elemente kombiniert. Zum Teil leistet sie nicht mehr, als unseren 1 Franz, Bauernkrieg, S. 92 ff. Seine gründliche und grundlegende Darstellung bleibt trotz allen ideologischen Ballasts unverzichtbar. Eine Nutzung der (digital verfügbaren) ersten Auflage von 1933 ist deshalb geboten, weil sie wesentliche Details bietet, die in den späteren gekürzten Ausgaben weggefallen sind. 2 Schwerhoff, Heroic Narrative. 3 Schwerhoff, Der Bauernkrieg. <?page no="8"?> Kenntnisstand aufzurufen und bestehende Forschungslücken deutlicher zu markieren. Insofern will sie ein besseres Sprungbrett für künftige Detailforschung bieten. Die Darstellung will darüber hinaus eine Grundlage schaffen, um den Bauernkrieg einordnen zu können, konkret um Gemeinsamkeiten und Wirkungszusammenhänge mit seinen „ Voraufständen “ aufzuzeigen, aber auch seine zweifellos bestehenden Eigen- und Einzigartigkeiten besser herauszuarbeiten. Der Text bietet keine originäre, gar archivalische Quellenarbeit und beansprucht keine empirische Originalität. Wenn vor dem Hintergrund seiner Interpretationen und Gewichtungen der Bauernkrieg besser verständlich wird, hat er sein Ziel erreicht. Die Darstellung wird mit einer Skizze zur Situation im Reich um 1500 eröffnet, die die wichtigsten Problemlagen der Zeit verdeutlichen soll: die Spannungslagen der sozialen Welt, die sich gerade in der Zeit um 1500 von einer Ständegesellschaft „ an sich “ in eine Ständegesellschaft „ für sich “ transformierte; die wohlbekannte Vielgestaltigkeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen Reform um 1500 viele Menschen beschäftigte, wobei sich Schritte in Richtung Staatsbildung eher auf der Ebene der Landesherrschaften vollzogen; und die Lage einer Kirche, die vor allem von den gewachsenen Erwartungen selbstbewusster Laien unter Reformdruck gesetzt wurde. Nach einem kurzen Rundumblick auf die zahlreichen spätmittelalterlichen Unruhen, die sich quer durch Europa ereigneten, konzentriert sich die Darstellung dann zunächst auf die Bundschuh-Verschwörungen und den Armen Konrad im deutschen Südwesten. Die städtische Aufstandskonjunktur um 1512 bildet einen zweiten Schwerpunkt. Unter vorläufiger Ausblendung der Reformation erfolgt dann ein knapper Blick auf die „ Ritterbewegungen “ jener Jahre und auf die fürstlichen Reaktionen darauf. Schließlich soll verdeutlicht werden, wie die Reformation ab 1517 auch den sozialen Protest in der Stadt und auf dem Land befeuerte und damit z. T. alte Aufstandsmotive überdeckte; diese blieben gleichwohl virulent und verbanden sich mit den Impulsen der evangelischen Bewegung. Bis an den Bauernkrieg selbst heran führt ein letztes Kapitel über die Stadtunruhen des Jahres 1525, die nicht in einen direkten organischen Zusammenhang mit dem großen Aufstandsgeschehen gebracht werden können. Eine knappe thesenartige Bilanz in Hinblick auf den Bauernkrieg beschließt die Darstellung. „ Unruhen und Revolten “ - die Begriffe im Untertitel besitzen wenig terminologische Trennschärfe. Jenseits provisorischer, nicht vollkommen befriedigender Definitionen 4 lässt sich das damit umrissene terminologische Feld (zu 4 Blickle, Unruhen, S. 5, sieht in Unruhen z. B. Protesthandlungen von Untertanen einer Obrigkeit mit vornehmlich politischer Natur. Beide Merkmale scheinen bestreitbar. 8 1 Einleitung <?page no="9"?> dem weitere Begriffe wie „ Aufstände “ , „ Empörungen “ oder „ Rebellionen “ zu zählen sind) vor allem in der Abgrenzung nach zwei Seiten hin näher bestimmen. Indem es um kollektive Aktionen von kleineren oder größeren Gruppen von Menschen mit einer besonderen Sichtbarkeit geht (die sich z. B. in der Erwähnung in erzählenden Quellen niederschlagen kann), unterscheiden sie sich einmal von diffuseren Handlungen des „ Widerstandes “ im Alltag, die auch von einzelnen Personen getätigt werden konnten. 5 Auf der anderen Seite gibt es eine deutliche Differenz zu „ Revolutionen “ , unbeschadet der Tatsache, dass der Revolutionsbegriff lange Zeit, und bisweilen bis in die jüngere Vergangenheit hinein, unbefangen als Synonym für „ Aufstand “ oder „ Bewegung “ benutzt worden ist. 6 Heute empfiehlt es sich, den Revolutionsbegriff für schnelle und nachhaltige Umwälzungen der gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse zu reservieren; für die Zwecke des vorliegenden Buches scheidet er deswegen aus. 7 Wesentlich an Qualität gewonnen hat das Buch durch die sorgsame Lektüre und die zahlreichen weiterführenden Hinweise von Mark Häberlein - herzlichen Dank für diesen kollegialen Freundschaftsdienst! Bedanken möchte ich mich für Hinweise und Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts überdies bei Matthias Bähr, bei meiner Frau Astrid Schwerhoff und bei Stefan Selbmann vom Verlag UVK. Andere Erörterungen sparen das Begriffsproblem weitgehend aus, vgl. die Beiträge in Holbach/ Weiss, Städtische Konflikte, oder Rauscher/ Scheutz, Stimme der ewigen Verlierer. 5 Vgl. die Beiträge in Häberlein, Devianz. Hier spielt auch der Begriff „ Konflikt “ eine große Rolle, der hilfreich sein kann, wenn z. B. damit bestimmte analytische Konzepte aufgerufen werden, der aber noch ein viel größeres Feld von Phänomenen aufruft. 6 Wenn z. B. Kaser, Bewegungen, S. 34, von den „ städtischen Revolutionen “ zwischen 1509 und 1514 spricht. 7 Für den aktuellen Stand der Debatte z. B. Nitschke/ Hachtmann, Revolution; vgl. näher für den Bauernkrieg Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 580 ff. 1 Einleitung 9 <?page no="10"?> 2 Das Reich um 1500 2.1 Epochenumbruch oder Kontinuität? Als Papst Alexander VI. am Weihnachtsabend 1499 mit einem silbernen Hämmerchen die Pforte der Petersbasilika eröffnete und damit das Heilige Jahr 1500 einläutete, war das kein epochemachendes Ereignis. 1 Heilige Jahre gab es damals bereits seit zwei Jahrhunderten. In Anlehnung an die biblischen Jubeljahre (Lev 25) versprachen die Päpste seither zu diesem Anlass allen Rompilgern einen vollständigen Ablass ihrer zeitlichen Sündenstrafen. Dass es sich dabei um eine Jahrhundertschwelle handelte oder gar um die ‚ Halbzeit ‘ des zweiten Jahrtausends seit Christi Geburt, spielte - anders etwa als beim Hype um das Jahr 2000 - im Bewusstsein der Zeitgenossen keine Rolle. Bezeichnend war die träge Umsetzung des Jubiläumsablasses, dessen finanzieller Ertrag für einen Kreuzzug gegen die Türken verwendet werden sollte: Datiert ist die entsprechende päpstliche Bulle erst auf den 5. Oktober 1500; die Verkündigung durch Kardinallegat Peraudi im Reich zog sich gar bis zum Frühjahr 1503 hin. 2 Zur Epochenwende machte das Jahr 1500 bekanntlich erst rund zweihundert Jahre später Christoph Cellarius mit seiner 1702 erschienenen Historia universalis, in der er die Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit einteilte. Entscheidende Zäsuren sah der hallische Geschichtsprofessor in der Eroberung von Konstantinopel 1453 und in der Reformation ab 1517, aber aus didaktischpragmatischen Gründen wählte er die runde Zahl 1500. Bis heute stehen wir, bei aller Kritik an dieser holzschnittartigen Einteilung und an ihrer eurozentrischen Perspektive, im Banne seiner Entscheidung. Erfunden wurde das Konzept einer Epochenzäsur allerdings nicht von Cellarius, sondern von den Gelehrten des Spätmittelalters. 3 Bereits 1341 hatte der Literat und Altertumsliebhaber Francesco Petrarca die ‚ alte ‘ und die ‚ neue ‘ Zeit einander gegenübergestellt, wobei er die jüngere Vergangenheit als 1 Vgl. insgesamt Brendecke, Jahrhundertwenden, hier bes. S. 69 ff.; Schwerhoff, Jubeljahre, S.16 ff. In den folgenden Einleitungskapiteln zur allgemeinen Charakteristik der Epoche sind die Anmerkungen eher knappgehalten. Sie beschränken sich auf wenige Literaturhinweise oder auf die Nachweise von speziellen Aspekten oder direkten Zitaten. Gute Überblicke z. B. bei Münch, Lebensformen; Reinhard, Probleme; Burkhardt, Reformationsjahrhundert; jetzt Schmitz-Esser, Um 1500. 2 Paulus, Peraudi, S. 673 ff. 3 Vgl. Meuthen/ Märtl, Das 15. Jahrhundert, S. 113 ff.; Roeck, Morgen, S. 374 ff. <?page no="11"?> ‚ finstere ‘ Epoche deutlich abwertete - das Klischee vom ‚ dunklen ‘ Mittelalter deutet sich hier bereits an. Im 15. und 16. Jahrhundert verfestigte sich dann eine solche Sichtweise im Zuge der Renaissance, der ‚ Wiedergeburt ‘ bzw. ‚ Wiederbelebung ‘ der antiken Kultur bei den Humanisten, also bei denjenigen Gelehrten, die vor allem die studia humanitatis betrieben: Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und Moralphilosophie. So differenzierte z. B. 1469 der italienische Bischof Giovanni Andrea Bussi, vormaliger Sekretär des Kardinals Nikolaus von Kues, zwischen der Antike, der mittleren Zeit und „ unserer Zeit “ , hatte also bereits den Eindruck, in einem neuen Zeitalter zu leben. Als Inbegriff jenes neuen, emphatischen Epochenbewusstseins gilt der briefliche Ausruf des Humanisten-Ritters Ulrich von Hutten über die Blüte der Gelehrsamkeit und die darniederliegende Barbarei: „ O saeculum, o litterae … Oh Jahrhundert, oh Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben …“ . Nicht nur in den hohen Gefilden lateinischer Gelehrsamkeit, sondern auch in volkssprachlichen Texten stößt man um 1500 auf ein „ emphatisches Jetztzeitbewusstsein “ . 4 Dieses Bewusstsein speist sich nicht zuletzt aus den Erfahrungen vielfältiger Krisen, in der Bildung und in der politischen Ordnung ebenso wie in Kirche und Frömmigkeit. Neben Gegenwartseuphorie und Zukunftsoptimismus hatten deshalb um 1500 auch düstere Prophetien und Endzeitvisionen Konjunktur. Am bekanntesten ist die 1488 publizierte Prognosticatio des Johannes Lichtenberger, die Zeitdiagnostik, astrologische Weissagung und Endzeitprophetie in sich vereinte und bis 1530 zahlreiche Auflagen in lateinischer, italienischer und deutscher Sprache erlebte. 5 Nacheinander betrachtet er das gegenwärtige und künftige Schicksal der Kirche als das ‚ Schifflein Petri ‘ , Gegenwart und Zukunft des Reiches sowie die Lage der gemeinen Laien. Auch die Feinde der Christenheit vergisst er nicht: die Türken, die er als Vorläufer des Antichristen betrachtet, ebenso wie die Juden, die von den Höhen ihres Reichtums gestürzt und bis ans Ende der Welt gehasst würden. 6 Für die nähere Zukunft nach Anbruch des neuen Jahrhunderts prophezeit Lichtenberger Aufstände des gemeinen Volkes, die er zwar nicht gutheißt, für die er aber erstaunlich konkrete Ursachen benennt: Unwetter, Missernten und Teuerung ebenso wie Münzverschlechterungen und Steuererhöhungen. 7 Lichtenberger blieb nicht allein. 1508 folgte der Astrologe, Arzt und Theologe Johann Grünpeck, ein vom späteren Kaiser Maximilian I. gekrönter Hofpoet, mit seinem „ Spiegel der natürlichen, himmlischen und prophetischen Sehungen aller Trübsalen “ . 8 4 Müller, Epochenerfahrung, hier S. 122; Schilling, 1517, S. 141 (Zitatnachweise). 5 Kurze, Lichtenberger, S. 81 ff.; Talkenberger, Sintflut, S. 56 ff. 6 Talkenberger, Sintflut, S. 71 f. 7 Ebd., S. 74 f. 8 Ebd., S. 110 ff.; zuletzt Slattery, Astrologie. 2.1 Epochenumbruch oder Kontinuität? 11 <?page no="12"?> Die Konjunktion der Sterne, himmlische Wunderzeichen und biblische Prophezeiungen waren der Stoff, aus dem Grünpeck seine Ermahnung an die Vertreter aller Stände komponierte. Die Schrift war mit dramatischen Holzschnitten Nürnberger Meister aus der Dürerschule bebildert, die „ unmittelbar an Ängste des Betrachters vor Krieg und Gewalt, Naturkatastrophen oder ‚ Vor- Zeichen ‘ der Apokalypse am Himmel “ appellierten. 9 Insbesondere Kirche und Geistlichkeit stehen im Zentrum der Katastrophen, gezeigt werden z. B. eine auf den Kopf gestellte Kirche, das sinkende Schifflein Petri oder das Töten von Geistlichen vor der Kulisse eines brennenden Kirchengebäudes. Ob das Jahr 1500 einen Epochenwandel oder gar eine Epochenzäsur markiert, hängt nicht in erster Linie von der Wahrnehmung der Zeitgenossen ab. Rückblickend stellt sich vor allem die Frage, ob um 1500 gewichtige historische Geschehnisse oder Prozesse zu verzeichnen sind. Um 1700 sah Cellarius vor allem in der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen unter Sultan Mehmed II. einen historischen Einschnitt, was im Rahmen seines ungebrochen christlichen Weltbildes durchaus plausibel war. 1453 endete die lange, (ost-) römisch-griechische Tradition christlicher Herrschaft im östlichen Mittelmeerraum endgültig; das muslimisch geprägte Osmanenreich rückte bedrohlich an die lateinische Christenheit heran. Auch retrospektiv ist die symbolische Bedeutung dieses Einschnitts kaum zu bestreiten. Ob damit eine wirkliche Zäsur verbunden war, ist angesichts des geschrumpften byzantinischen Herrschaftsgebietes eine andere Frage. Letztlich ging die westliche Christenheit schnell wieder zur Tagesordnung über. 10 Hochfliegende Kreuzzugspläne zerschlugen sich meist, und bezeichnend ist, dass es über die Verteilung des durch die Ablasskampagne nach 1500 eingenommenen Gelder zwischen Maximilian I. und dem päpstlichen Legaten Peraudi zu einem heftigen Streit kam. 11 Die Auseinandersetzung zwischen der europäischen Christenheit und dem expansiven Osmanischen Reich sollte sich in den folgenden Jahrhunderten allerdings zu einem Dauerbrenner entwickeln. Als im wahrsten Sinne epochemachend gilt dagegen noch heute das andere von Cellarius als bedeutender Wendepunkt betrachtete Ereignis, der Thesenanschlag Martin Luthers von 1517 (mag er nun buchstäblich stattgefunden haben oder nicht) als Initialimpuls der Reformation. Abweichungen vom römischen Monopolanspruch hatte es zwar auch im Mittelalter gegeben, nun aber sollte sich mit den lutherischen und reformierten Bekenntnissen eine dauerhafte Alternative etablieren. Religiöse Pluralisierung in bisher unbe- 9 Talkenberger, Sintflut, S. 149; vgl. S. 126 f. 10 Vgl. Roeck, Morgen, S. 544 ff. 11 Paulus, Peraudi, S. 679 ff. 12 2 Das Reich um 1500 <?page no="13"?> kanntem Ausmaß war die Folge - dazu später mehr. Mindestens zwei weitere Ereigniskomplexe sind überdies geeignet, die Hypothese eines nachhaltigen Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit zu stützen. Der eine verbindet sich mit der Jahreszahl 1492, dem Jahr, als der Genuese Christoph Kolumbus im Auftrag der katholischen Könige den Seeweg nach Indien suchte und dabei einen Erdteil erreichte, der - unbeschadet früherer Erkundungen durch die Wikinger - bislang noch nicht in den Wahrnehmungshorizont Europas gerückt war. Dass Abb. 1: Johann Grünpeck, Spiegel der Sehungen aller Trübsalen, 1508, Titelblatt 2.1 Epochenumbruch oder Kontinuität? 13 <?page no="14"?> damit ein welthistorisch ungemein bedeutender Prozess, der freilich bereits früher begann, entscheidend beschleunigt wurde, bedarf keiner großen Erläuterung: Die globale Expansion Europas mit seinen Kolonialreichen prägt die Welt bis heute. Allerdings war diese Prägung um 1500 erst in Ansätzen für einige wenige Menschen erkennbar - für die alltägliche europäische Lebenswelt hatte sie noch wenig Relevanz. Das galt erst recht für ein politisches Gebilde wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation „ mit einem schwachen Zentrum und ohne unbestrittene Schwerpunktbildung “ , das auf kolonialem Feld keine Rolle spielte. 12 Immerhin war es mit dem Kartographen Martin Waldseemüller ein Bewohner dieses Reiches, der 1507 in seiner Cosmographia den inzwischen als Kontinent identifizierten Erdteil (nach dem Entdecker Amerigo Vespucci) als America bezeichnete und der dessen westliche Küstenlinien erstmals (weitgehend hypothetisch) auf der beiliegenden Karte bzw. den Erdglobussegmenten einzeichnete. 13 Dem Werk von Waldseemüller, erschienen in einer hohen Auflage von rund 1000 Stück, wird ein hoher Einfluss auf die europäische Gelehrtenwelt zugeschrieben. Damit verweist es auf den anderen Komplex, der heute als bestimmend für einen Epochenumbruch gilt: den Buchdruck. Spätestens seit dem Beginn des digitalen Zeitalters gilt der Eintritt in die ‚ Gutenberg-Galaxis ‘ (McLuhan) als markantestes Charakteristikum der Neuzeit. Allerdings war mit der Erfindung des Buchdrucks (bei näherer Betrachtung eine ingeniöse Kombination verschiedener Produktionsstufen, in deren Zentrum die standardisierte Massenproduktion einzelner Bleilettern steht) durch Johannes Gutenberg in Mainz zunächst nur ein erster Schritt zur Entfaltung einer neuen medialen Kultur getan. Zeitgenossen wie Enea Silvio Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., rühmten zunächst das schöne und ebenmäßige Schriftbild des neuen Produktes. 14 Kaiser Maximilian I. machte sich gerade diesen Aspekt als Auftraggeber ästhetisch hochwertiger Werke für ein elitäres Publikum zunutze, um seine Gedächtnispolitik zu etablieren. 15 Erst allmählich drang das große Potential der neuen Druckmedien für die Ausweitung der Massenkommunikation ins allgemeine Bewusstsein. Und nur schrittweise entfalteten sich neben dem gedruckten Kodex, dem Buch, andere druckmediale Genres wie die kürzeren Flugschriften oder die bebilderten Flugblätter. Sie sollten die Zeit der Reformation und des Bauernkriegs entscheidend prägen. 16 12 Reinhard, Unterwerfung, S. 23. 13 Ebd., S. 105. 14 Giesecke, Buchdruck, S. 143. 15 Füssel, Maximilian und die Medien. 16 Burkhardt, Reformationsjahrhundert, S. 16 ff. 14 2 Das Reich um 1500 <?page no="15"?> Das Ende des oströmischen Reiches von Byzanz, die Erfindung des Buchdrucks, der Beginn von europäischer Expansion und religiöser Pluralisierung - all diese Stichworte legen es nahe, die Zeit um 1500 tatsächlich als tiefen historischen Einschnitt zu verstehen. Aber auch eine andere Sicht auf diese Zeit ist möglich, nämlich eine, die die ‚ vormodernen ‘ Kontinuitäten zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit betont und tiefgreifende Veränderungen erst mit der Zeit um 1800 ansetzt, als die Industrialisierung begann und sich im Zeichen naturrechtlicher Gleichheitsvorstellungen moderne Gesellschaften und Nationalstaaten formten. Jener Perspektive zufolge war die Vormoderne gekennzeichnet durch vorwiegend ländliche Lebensformen mit begrenzter Produktivität und einer ständisch bestimmten Gesellschaft, in der alle Glieder je nach Geburt einen sehr unterschiedlichen Rang einnahmen. Die Forschung hat hierfür das Konzept ‚ Alteuropa ‘ entwickelt. 17 Die nachfolgende Skizze zu den Hauptmerkmalen der Epoche wird erweisen, dass beide Perspektiven, Kontinuität und Erneuerung, ihre Berechtigung haben, je nachdem, welchen Aspekt der damaligen Gesellschaft man in den Blick nimmt. Erst in der Zusammenschau ergeben sie ein vollständiges Bild. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft Ungleichheit war das zentrale Ordnungsprinzip des menschlichen Zusammenlebens im alten Europa. In der Ständegesellschaft wurde den Menschen entsprechend ihrer Herkunft und ihrem sozialen Rang ein unterschiedliches Maß an Rechten und Anerkennung zuteil. Stand, so definierte noch 1744 ein Lexikonartikel, sei nichts anderes „ als die Beschaffenheit eines Menschen, wodurch er von andern unterschieden wird “ ; in Ansehung dieses Unterschieds genieße nicht jeder Mensch „ durchgängig einerley Rechte “ , sondern „ einer vielmehr immer andere “ . 18 Nach dem Vorbild der von Gott geschaffenen kosmischen Ordnung, in der alle Gestirne ihren rechten Platz am Firmament hatten, wurde auch die menschliche Gesellschaft als ein hierarchisches Ordnungsgefüge begriffen, an dem grundlegende Veränderungen nicht vorgesehen waren. 19 In vielerlei Hinsicht herrschte das Bild einer dualistisch angelegten sozialen Gliederung, stets gab es privilegierte Menschen, die herrschen, und 17 Vgl. zur Konzeptualisierung dieser Ansätze die Beiträge in Jaser u. a., Alteuropa. 18 Zedlers Universallexikon Bd. 39 (1744), Sp. 1093. 19 Münch, Lebensformen, S. 58 ff. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 15 <?page no="16"?> abhängige, die gehorchen mussten: Männer und Frauen 20 , Eltern und Kinder, Herren und Knechte, Kleriker und Laien, oder ganz generell Zugehörige und Außenstehende. Jede und jeder besaß nach dieser Vorstellung einen bestimmten Platz in der menschlichen Gemeinschaft und (meist) ein bestimmtes Maß an ständischer Ehre. Für diese soziale Ortsbestimmung jeder und jedes Einzelnen war insbesondere ein im Mittelalter von Kirchenleuten entwickeltes Deutungsschema bedeutsam, dass auch um 1500 noch ausgesprochen einflussreich war: die Dreiteilung der Gesellschaft in ‚ Beter ‘ (oratores), also die Geistlichen, die für das Seelenheil aller Menschen zuständig waren, ‚ Krieger ‘ (bellatores), mithin Adlige, die sich um den Schutz der Menschen kümmern sollten, und schließlich Arbeiter (laboratores), eigentlich die Bauern, von deren Arbeitserträgen letztlich alle lebten. 21 Moderne Beobachter sind dem hier skizzierten Modell einer ‚ vormodernen ‘ Gesellschaft oft gefolgt und haben es scharf vom Typus der modernen Klassengesellschaft abgesetzt, die nach Einkommenschancen und Vermögen geschichtet ist. Das ist durchaus zweckmäßig, um den angesprochenen Graben deutlich zu machen, der uns von der Welt um 1500 trennt. Aber wir sollten es mit der Differenzmarkierung nicht übertreiben. Vor allem ist zu beachten, dass es sich bei der gerade skizzierten Vorstellung um ein zeitgenössisches Schema für die Deutung der Wirklichkeit handelt - ein wirkmächtiges Schema durchaus, das aber keinesfalls mit der Wirklichkeit selbst verwechselt werden darf. Dabei birgt diese Deutung dennoch, wie vor allem Otto Gerhard Oexle herausgearbeitet hat, eine wichtige, früher gerne übersehene Pointe: Das oben skizzierte Modell gesellschaftlicher Dreiteilung lässt sich zwar einerseits ohne große Mühe auf eine klare Dichotomie von ‚ Oben ‘ und ‚ Unten ‘ reduzieren; andererseits eröffnet es dem Betrachter eine modernere, funktional geprägte Sicht: Alle drei Stände sind aufeinander angewiesen, keiner kann - die Logik des Seelenheils vorausgesetzt - ohne den anderen existieren. Darüber hinaus waren bereits für viele Zeitgenossen die Grenzen eines solchen Modells erkennbar. Schon zur Entstehungszeit bildete es die soziale Wirklichkeit kaum vollständig ab, und das gilt erst recht für die weitere historische Entwicklung. So fügten sich die Stadtbürger nur mit Mühe in das Schema - mag der Adlige auch keine Probleme gehabt haben, die Stadtbewohner zusammen mit den Bauern als gemeinsamen Stand zu sehen, der sich von seiner Hände Arbeit ernähren musste, so entsprach diese Vorstellung doch 20 Dass die Komplexität der frühneuzeitlichen Geschlechterbeziehungen, die sich zudem standesspezifisch deutlich unterschieden, mit dieser Bemerkung keineswegs erfasst ist, sei hier wenigstens erwähnt; vgl. dazu Wiesner-Hanks, Women and Gender. 21 Oexle, Deutungsschemata. 16 2 Das Reich um 1500 <?page no="17"?> keineswegs dem Selbstbild vieler Bürger. Und was ist mit den vielen Außenseitern, den Tagelöhnern und Vaganten, die aus dem Ständemodell vollkommen herausfielen? Neue Modelle versuchten, der immer komplexer werdenden Wirklichkeit gerecht zu werden: Bereits im 16. Jahrhundert sollte sich die Zahl der Stände in den einschlägigen Beschreibungen vervielfachen. 22 Dass Einkommen und Vermögen, ebenso wie heute, ein großer Treiber der Verschiebung des Ständegefüges insgesamt waren, ist offensichtlich. Auch konnte dieser Faktor die ständische Zugehörigkeit einzelner Menschen verändern, denn soziale Mobilität, oft allerdings über mehrere Generationen hinweg, war in der Ständegesellschaft durchaus eine weit verbreitete Realität - es war keineswegs eine starre Kastengesellschaft. 23 Mit der Veränderung der sozialen Realität wuchs phasenweise auch die Kritik bzw. die Selbstkritik an und in einzelnen Ständen. Für eine systematische Einordnung solcher Beobachtungen könnte es sich anbieten, an den den programmatischen „ Versuch “ über die Formierung der frühneuzeitlichen Gesellschaft anzuknüpfen, den Richard van Dülmen bereits 1981 veröffentlichte. 24 Darin skizzierte er sehr komprimiert den frühneuzeitlichen Vergesellschaftungsprozess im Schnittpunkt von ökonomischer Modernisierung und Herrschaftsverdichtung. Nur vorübergehend hätten diese Entwicklungen zu einer sozialen Auflockerung und einer stärkeren sozialen Mobilität geführt, längerfristig dagegen in eine „ rigid festgeschriebene und erstmals auch herrschaftlich abgesicherte Ständeordnung “ gemündet. Es sei zu einer „ Verhärtung der Ständegesellschaft “ gekommen, „ in der jede Gruppe und jeder einzelne erstmals eine klar definierte Rolle zugewiesen bekam, der er sich bei Verlust von Ehre und Privileg fügen musste “ . 25 Viele Urteile van Dülmens sind in ihrer Zuspitzung zumindest diskussionswürdig; über manches ist die Forschung inzwischen hinweggegangen. Wertvoll und in seiner Tragweite noch nicht wirklich erschlossen scheint aber die Beobachtung, dass es sich bei dieser ‚ herrschaftlich abgesicherten Ständeordnung ‘ um eine neue Erscheinung handelt und nicht einfach um eine Perpetuierung mittelalterlicher Ordnungsvorstellungen. Van Dülmen hat daraus nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen, wenn er den Prozess als rigide Festschreibung und Verhärtung der Ständegesellschaft versteht. Seine Interpretation orientiert sich im Stil einer 22 Münch, Lebensformen, S. 63. 23 Vgl. die Beiträge in Schulze, Ständische Gesellschaft. 24 Richard van Dülmen: Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch, in: GG 7 (1981), S. 5 - 41. Der Aufsatz stellt gleichsam eine Blaupause für seine wenig später veröffentlichte Pionierdarstellung zur „ Entstehung des frühneuzeitlichen Europa 1550 - 1648 “ in der Fischer-Weltgeschichte von 1982 dar. 25 Dülmen, Formierung, S. 20 f. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 17 <?page no="18"?> älteren Strukturgeschichte vorwiegend an scheinbar objektiven sozialen Lagemerkmalen. In kulturwissenschaftlicher Perspektive würde wohl die symbolische (Neu-)Konstituierung der sozialen Ordnung um und nach 1500 in der Wahrnehmung der Zeitgenossen stärker hervortreten, emblematisch verdichtet in den vieldiskutierten und auch bei von Dülmen herangezogenen Kleider- und Luxusordnungen. 26 Was im Ergebnis stärker hervortreten würde, so die hier nicht weiter zu entfaltende These, wäre die Tatsache, dass die Ständegesellschaft um 1500 sich nicht einfach nur verfestigte bzw. „ erstmals herrschaftlich abgesichert “ wurde, sondern dass sie in dieser Zeit eigentlich erst entsteht. Gegenwärtig ist für uns „ Gesellschaft “ als Bezeichnung für die Gesamtheit aller sozialen Bezüge und Beziehungen so geläufig, dass diese eigentlich sehr abstrakte Vorstellung fast eine gegenständlich-materielle Gestalt angenommen hat. (Gleichsam eine Bestätigung ex negativo für diese Beobachtung ist jenes ultraliberale Diktum von Margret Thatcher aus dem Jahr 1987, dass es jenseits von Individuen und Familien „ no such thing as society “ gäbe. 27 ) Im Mittelalter dagegen wurde - wie gesagt - zwar viel über einzelne ‚ ordines ‘ nachgedacht und geschrieben; aber das bedeutete nicht, dass sich alle Stände zueinander in Relation setzen mussten oder gar, dass die Summe aller Stände als „ Ständegesellschaft “ oder ähnlich beschrieben werden konnte. Das hätte vorausgesetzt, dass sich potentiell alle Mittglieder eines Standes mit allen anderen Gliedern dieser Gesamtheit verbunden gewusst hätten und sich mit ihnen in Beziehung hätten setzen können. Das aber war keineswegs eine Selbstverständlichkeit für Akteure, deren Lebenswirklichkeiten sowohl räumlich als auch sozial oft sehr stark voneinander abgeschottet waren und viel weniger als heute ständig medial miteinander vermittelt wurden. Kleriker, Adlige und Bauern existierten stärker für sich und waren nicht ständig gezwungen, sich miteinander zu vergleichen. ‚ Gesellschaft ‘ in einem umfassenderen Sinn gab es mithin im Mittelalter noch nicht, lassen wir die universitas christianorum einmal außen vor. Erst um 1500 wurden die Menschen verschiedener Stände füreinander als Gesellschaft in gesteigertem Maße erfahrbar. Ein wichtiger Grund dafür lag im Prozess der Herrschaftsverdichtung und allmählichen Staatsbildung. Je intensiver der entstehende Staat alle ihm unterworfenen Glieder und Untertanen, so unterschiedlich sie hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten auch sein mochten, adressierte und zum Gegenstand obrigkeitlicher Regulierung machte, umso 26 Dülmen, Entstehung, S. 103 f., S. 213 ff.; zuletzt exemplarisch Weller, Kleidungs- und Aufwandsordnungen. Für den größeren Zusammenhang Füssel/ Weller, Ordnung und Distinktion. 27 Vgl. https: / / www.margaretthatcher.org/ document/ 106689 (abgerufen am 20.2.2024). 18 2 Das Reich um 1500 <?page no="19"?> näher rückten die einzelnen Stände aneinander, setzten sich in ein hierarchisches Vergleichsverhältnis. 28 Das konnte zugleich bedeuteten, dass sie stärker als zuvor miteinander konkurrierten und sich aneinander rieben, wie die erwähnten Kleider- und Luxusordnungen des 16. Jahrhunderts bezeugen. Die Ständegesellschaft wurde für all ihre Glieder stärker erfahrbar, damit auch verhandel- und kritisierbar. Herrschaftliche Normen wurden hier zu Medien der jeweiligen sozialen Einordnung und Selbstbeschreibung. Mehr und mehr wurden solche Normen druckmedial verbreitet. Damit eröffneten sich allen Akteuren qualitativ neue Möglichkeiten zur Selbstbeobachtung der sozialen Welt, die strukturierend und verändernd wirkten. 29 Als eine Frucht dieser intensivierten Selbstthematisierung mag die Konjunktur eines Begriffes gewertet werden, der die klassischen Stände überwölbte: ‚ gemeiner Mann ‘ . Der Humanist und Chronist Aventin lieferte in den 1520er Jahren ein vorgeblich präzises Kurzportrait des gemeinen Mannes in Bayern: Dieser sitze auf dem Land, betreibe Ackerbau und Viehzucht und übe keine obrigkeitlichen Geschäfte aus; zwar sei er einem Herrn dienst- und abgabepflichtig, doch habe der sonst keine Gewalt über ihn, er sei frei, könne Waffen tragen, Wein trinken, singen, tanzen, Karten spielen, Hochzeit und Totenmahl halten - eine Charakterisierung, in der sich leichte Herablassung und grundsätzliche Anerkennung ( „ ist ehrlich und unsträflich “ ) paarten. 30 Umfassendere Recherchen zeigen jedoch schnell, dass dieses Bild unvollständig ist, insofern der gemeine Mann nicht nur Landbewohner, sondern auch nicht ratsfähige Bürger in den Städten umfasst. 31 Weiterhin wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass der gemeine Mann je nach Position des Betrachters perspektivisch eine unterschiedliche Gestalt annehmen konnte. Aus der Sicht der gehobenen Stände, des Adels, der Geistlichkeit und auch der herrschenden Ratseliten in den Städten war ‚ gemeiner Mann ‘ ein Sammelbegriff für diejenigen, die keine herrschaftlichen Funktionen ausübten, mithin für alle Untertanen. Aus der Sicht der Dorf- und Bürgergemeinde dagegen gehörten lediglich die in den Gemeindeversammlungen vertretenen Haushaltsvorstände dazu, die in diesem Kreis durchaus Stimme und Gewicht besaßen; abhängige Knechte 28 Blickle, Untertanen, diagnostiziert eine Bedeutungsverengung des Begriffs auf Bauern und Bürger, konzediert aber, dass zunächst auch mediate Herrschaftsträger zu den Untertanen gerechnet wurden (S. 490 f.). Christoph Besold: Synopsis Politicae Doctrina, Amsterdam 1648, cap. 16, S. 170 ff. (Besold, Synopse, S. 155 ff.), handelt unter der Überschrift „ De subditis “ sogar vornehmlich von den verschiedenen Abstufungen unter den „ nobilitates “ . Vgl. aus anderer Perspektive Morsel, Erfindung des Adels. 29 Schlögl, Anwesende und Abwesende, S. 315 f. 30 Zitiert nach dem Artikel „ Armer Mann/ Gemeiner Mann “ B. Kink, in: HLB (14.05.2023). 31 Zum Folgenden Lutz, Wer war der gemeine Mann, dessen Klassifizierungen ich etwas modifiziere. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 19 <?page no="20"?> und Gesellen waren im Prinzip ebenso ausgeschlossen wie Fremde, in den meisten Fällen auch die Frauen. (Dass sich bei Aufstandsaktionen des gemeinen Mannes die Gruppe der Aktiven in sozialer Hinsicht sehr wohl nach unten und auch gegenüber den Frauen öffnen konnte, steht auf einem anderen Blatt.) Im einen Fall verbanden sich mit dem Begriff des gemeinen Mannes Wahrnehmungen von Geringschätzung und Abwertung, im anderen ein gewisses Selbstbewusstsein als Angehörige einer gleichberechtigten Gemeinschaft. 2.2.1 Adel Weiterhin blieben um 1500 die herkömmlichen Kategorien ständischer Selbstbeschreibung leitend für die Zeitgenossen, die sich als Adlige, Bauern oder Kleriker bzw. als (Stadt-)Bürger verstanden. Dabei nahmen aber nicht nur die Konflikte zwischen den Angehörigen einzelner Stände an den Rändern zu; auch die soziale Differenzierung innerhalb der einzelnen sozialen Formationen erreichte ein zuvor unbekanntes Ausmaß. Das lässt sich nicht zuletzt für den Adel ausmachen, der mit seinen vielfältigen Privilegien die ständische Ungleichheit der damaligen Zeit geradezu verkörpert. 32 Zu den Hauptmerkmalen des Adels zählen, idealtypisch gesprochen, erstens seine weitgehende Verfügung über Grund und Boden, ob als direktes Eigentum oder als Lehen eines übergeordneten Herrn. Damit eng verbunden sind Verfügungsrechte über die Menschen, die diesen Boden bearbeiten, also die Bauern. Zentral ist zweitens die Teilhabe des Adels an der Herrschaft über das Land, insbesondere über seine Beteiligung an Fehden und Kriegen, aber auch über Rechtsprechung und Verwaltung. Mit beiden Aspekten der Adelsqualitäten eng verknüpft ist ein privilegierter Zugang zu weiteren Macht- und Einkommenschancen, etwa zu Ämtern, die auch wirtschaftliches Einkommen erbringen, oder zu kirchlichen Pfründen. Gesichert werden diese Privilegien drittens über die Zugehörigkeit zu einer geburtsständisch exklusiven Gruppe, eben dem Adel. Diese Zugehörigkeit ist allerdings nicht ‚ einfach da ‘ , sondern muss ständig gepflegt, erinnert und erneuert werden, natürlich durch die Wahrung geburtsständischer Exklusivität durch entsprechende ebenbürtige Ehegattenwahl, aber auch durch die Pflege adliger Erinnerungskultur in Form von Stammsitzen und Wappentafeln, Familiengrablegen und Gedenkritualen, Ahnenportraits und Geschlechterchroniken. Viertens gehörte zu dieser Exklusivität, aber auch ein bestimmter adliger Lebensstil mit einer Verpflichtung zu Aufwand und Luxuskonsum, der Pflege typisch adliger Beschäftigungen wie Jagd und Turnieren und umgekehrt dem Verbot der Handarbeit. 32 Vgl. als guter Überblick Hechberger, Adel. 20 2 Das Reich um 1500 <?page no="21"?> ‚ Idealtypisch ‘ sind diese Bestimmungsmerkmale vor allem deshalb, weil sich die Lebensrealitäten innerhalb des Adelsstandes beträchtlich unterscheiden konnten und weil der Adel viel stärker, als es hier zum Ausdruck kommt, der historischen Entwicklung unterworfen war. Das gilt schon allein für seine Herkunft: Viele der kleineren Adligen des späteren Mittelalters leiteten sich von ursprünglich unfreien Ministerialen ab, die im Dienst großer Herren einen rasanten sozialen Aufstieg erfahren hatten. Eine andere Wurzel des niederen Adels war das Rittertum, das im hohen Mittelalter als berittenes Berufskriegertum entstanden war und sich zu einem Geburtsstand mit eigenen Aufnahmeritualen und Tugendvorstellungen entwickelt hatte. Dass diese und andere privilegierte Gruppen im Spätmittelalter sich überhaupt alle als „ adlig “ verstanden und ein übergreifendes standesspezifisches Selbstverständnis entwickelten, hat zentral mit der Konkurrenz zum Bürgertum, mit der angesprochenen Entstehung der Ständegesellschaft und mit der entstehenden Staatlichkeit zu tun. Man hat sogar von einer „ Erfindung “ des Adels (erst) im Spätmittelalter gesprochen. 33 Dabei wurde allerdings zugleich die Grenze zwischen den hochadligen Fürsten und ihnen standesgleichen Grafen und Herren einerseits und der Masse des ‚ niederen ‘ Adels andererseits schärfer gezogen. Nicht deckungsgleich mit dieser Unterscheidung von ‚ hohem ‘ und ‚ niederen ‘ Adel war die Trennlinie zwischen reichsunmittelbarem und landsässigem Adel: Wer sich „ dem Sog der Landesherrschaften mit ihren landständischen Verfassungen entziehen und ein direktes Verhältnis zum König bewahren und erlangen konnte “ , galt als reichsunmittelbar; wer sich in eine Landesherrschaft eingliederte, wurde ‚ mediatisiert ‘ und war damit nur noch mittelbar dem Reich unterworfen, unmittelbar dagegen dem jeweiligen Landesherrn. 34 In Gebieten ohne starke Landesherrschaften, vor allem in Franken und Schwaben, gelang es auch vielen kleinen Adligen, ihren reichsunmittelbaren Status zu verteidigen. Als korporativ verfasste Reichsritterschaft erlangten sie schließlich eine, wenn auch prekäre, verfassungsrechtliche Stellung im Gefüge des Alten Reiches. Überhaupt aber waren im Spätmittelalter zahlreiche Adelsgesellschaften entstanden, deren Mitglieder sich bei der (Selbst-)Behauptung gegenüber Städten und Landesherren gegenseitig unterstützen wollten und gemeinsam ihren adligen Lebensstil pflegten. Die bedeutendste unter ihnen bildete im 15. Jahrhundert die ‚ Gesellschaft mit St. Jörgenschild ‘ im Südwesten, an deren Tradition ab 1488 der ‚ Schwäbische Bund ‘ anknüpfen sollte. Das Zeitalter der ‚ Erfindung ‘ des Adels im 15. Jahrhundert markiert zugleich, das sollte bis hierher schon deutlich geworden sein, eine Phase des Umbruchs. 33 Morsel, Erfindung des Adels. 34 Hechberger, Adel, S. 39. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 21 <?page no="22"?> Zwar wird die früher gängige Charakterisierung als einer Zeit der „ Adelskrise “ heute eher kritisch gesehen; klar ist aber, dass sich die niederen Adligen in dieser Zeit des Umbruchs neu orientieren mussten. 35 Zu behaupten hatten sich die Adligen gegen die Marginalisierungs- und Mediatisierungsbestrebungen der Landesherren ebenso wie gegen den Reichtum und die Aufstiegsaspirationen der führenden städtischen Geschlechter, die selbst nach adeliger Standesqualität strebten, zuletzt auch gegen die Emanzipationsbestrebungen ihrer bäuerlichen Hintersassen. Auch wenn allgemeine Aussagen über das Einkommen adliger Herren in jener Zeit schwierig sind, so gibt es doch den generellen Befund, dass ihr Einkommen aus Grund und Boden rückläufig war und dass sich „ für viele Adlige die Schere zwischen den Einkünften und dem als notwendig erachteten Aufwand auf die falsche Seite geöffnet “ hatte. 36 Aber die betroffenen Adligen waren diesen Entwicklungen nicht wehrlos ausgeliefert. Sie versuchten, die Chancen einer stärker monetarisierten und am Markt orientierten Agrarwirtschaft aktiv gestaltend wahrzunehmen, wie Franz Irsigler eindringlich am Beispiel Philipp von Menzingens gezeigt hat. 37 Die Landwirtschaft war überdies keineswegs der einzige Bereich, in dem es Kompensationsmöglichkeiten für zurückgehende Einkommen von Adligen gab. Zwar war der Glanz des Rittertums mit den großen Niederlagen der Reiterheere gegen englische Bogenschützen oder Schweizer Fußsoldaten lange verblasst, aber in Gestalt von Kriegsunternehmern und Söldnerführern konnten die Adligen ihre Funktion als professionelle Krieger weitgehend behaupten. Und als herrschaftsgewohnter Stand war der Adel auch das entscheidende Reservoir für gehobene Herrschafts- und Verwaltungspositionen im entstehenden Fürstenstaat. 38 Umgekehrt erforderte die neue Zeit von den Adligen ebenfalls Anpassungsleistungen, insbesondere im Bereich der Bildung. Lese- und Schreibfähigkeit wurden für Adlige wichtiger, nicht wenige von ihnen wurden vom Renaissance-Humanismus erfasst, und auch die Universitätsausbildung gewann für diesen Stand allmählich an Bedeutung. Dass dort auch Nichtadlige ihre Abschlüsse machten, macht nicht nur die angesprochene Konkurrenz der Stände sinnfällig, sondern hatte gewiss auch eine erhöhte Kritikanfälligkeit des Adels zu Folge. Gehörte es zur gängigen Legitimation dieses Standes, dass sein Herkommen gleichsam automatisch ein Mehr an Tugend verbürgte, so ließ sich dieses Argument auch herumdrehen: Wer nicht tugendhaft lebte, erwies damit, dass er in Wirklichkeit eben nicht adelig war - oder in den Worten eines 35 Eindrücklich Ranft, Einer vom Adel. Vgl. insgesamt Art. „ Adelskrise “ (K. Graf) in EdN. 36 Sablonier, Zur wirtschaftlichen Situation, S. 13; vgl. Hechberger, Adel, S. 113 f. 37 Irsigler, Der Junker und die Bauern. 38 Vgl. Zmora, Princely State-Making. 22 2 Das Reich um 1500 <?page no="23"?> zeitgenössischen Spruchs: „ Wer liegt in Lastern wie ein Schwein, der kann fürwahr nicht edel sein. “ 39 2.2.2 Bauern Wurde der Adlige in den aus der Zeit um 1500 überkommenen Schriften also durchaus gelegentlich kritisiert, so war die Herablassung, ja Verachtung, die die gehobenen Stände gegenüber den Bauern artikulierten, weit verbreitet. In unzähligen satirischen, teils offen bösartigen Texten und Abbildungen wurde das Bild vom tölpelhaft-rohen und moralisch verderbten Bauern verbreitet. So wurden ‚ die ‘ Bauern zu den ganz ‚ Anderen ‘ stilisiert, von denen es sich abzugrenzen und über die es sich zu erheben galt; zuweilen wurden sie noch nicht einmal als wirklich zur menschlichen Gattung gehörig angesehen, sondern als ‚ Wilder Mann ‘ (und ‚ Wilde Frau ‘ ) zum Symbol für die Natur. 40 Dabei waren sich nicht nur die Bauern selbst bewusst, dass ohne ihre Arbeit die Ständegesellschaft nicht überlebensfähig war, wie schon die funktionale Anordnung der Dreiständelehre belegt. Im populären Sprichwort „ Da Adam grub und Eva spann, wer war da ein Edelmann “ , das ursprünglich im Zusammenhang mit dem englischen Bauernaufstand von 1381 entstanden war, wurde dieser Tatbestand mit einer deutlich adelskritischen Spitze formuliert. 41 Und in den Dialogen zur Reformation wurde aus dem groben Karsthans, dem Bauern mit der Feldhacke, ein gewitzter Gesprächspartner, der die einfachen Glaubenswahrheiten des Evangeliums gegen die Vertreter des alten Glaubens wirkungsvoll zur Geltung bringen kann. Dabei verbindet sich mit dem Begriff ‚ Bauer ‘ kaum eine weniger komplexe Wirklichkeit als mit dem des Adligen. Es handelt sich nicht um eine bloße Berufsbezeichnung, wie im Fall des heutigen Landwirts, sondern um eine soziale Kategorie, mit der die betreffende Person im gesamten sozialen Gefüge verortet wurde. 42 Wiederum idealtypisch kann man unter dem Terminus jemanden verstehen, der im Rahmen einer selbständigen Wirtschaftseinheit, konkret: auf einer Hofstelle, mit eigener Hand und mindestens unter Mithilfe seiner Hausgenossen pflanzliche und tierische Nahrung produziert. Im Mittelpunkt steht dabei - neben verschiedenen Sonderkulturen wie z. B. Hopfen und 39 Zit. nach Graf, Adel als Leitbild. 40 Rippmann, Bilder vom Bauern, hier S. 36 f. 41 Überliefert z. B. in Agricola, Sprichworter, Nr. 264; zum Entstehungskontext vgl. Eiden, Knechtschaft, S. 219 f.; Hinck, Raserei der Gemeinen, S. 48 mit FN 53. 42 Vgl. einführend Art. ‚ Bauer ‘ (P. Blickle), in: Dülmen, Fischer Lexikon, S. 150 - 158; Art. „ Bauer “ (H. Wunder), in EdN; ausführlicher Rösener, Bauern; Holenstein, Bauern; Kiessling u. a., Grundzüge. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 23 <?page no="24"?> Wein - der Anbau verschiedener Getreidearten bzw. die Milchviehwirtschaft. Das war generell ein äußerst mühsames Geschäft, vor allem, weil die Produktivität der alteuropäischen Landwirtschaft sehr viel geringer war, als wir es heute kennen. Der Ernteertrag, also das Verhältnis von Aussaat und Ernte, betrug über den Daumen gepeilt in der damaligen Zeit zwischen 4: 1 und 7: 1, auf ein ausgesätes kamen also vier bis sieben geerntete Getreidekörner. Ein Teil davon ging - wie gleich näher zu zeigen ist - an den Feudalherrn und an den Staat, ein weiterer Teil musste für die neue Aussaat zurückgehalten werden, und lediglich vom Rest konnte sich der bäuerliche Haushalt ernähren bzw. einen Überschuss auf dem Markt verkaufen; denn bereits im Spätmittelalter handelte es sich keineswegs um eine marktferne und autarke Subsistenzwirtschaft. Noch weiter getrübt werden konnte die ökonomische Bilanz allerdings durch schlechte klimatische Bedingungen: Nach einer klimatischen Warmphase im Hochmittelalter mit demographischem Wachstum, hohen Durchschnittserträgen und einer vergleichsweise guten Ernährungssituation breiter Bevölkerungsschichten hatte im 14. Jahrhundert eine Krisenzeit eingesetzt, in der nicht nur mit dem Schwarzen Tod von 1348/ 49 die Pest (erneut) über Mitteleuropa hereingebrochen war, sondern auch die einsetzende ‚ Kleine Eiszeit ‘ 43 den Nahrungsspielraum der Menschen verengt hatte; die Folgen waren ein demographischer Einbruch und die Aufgabe vieler unproduktiv gewordener Siedlungen ( ‚ Wüstungen ‘ ). Periodisch auftretende Hungerkrisen, bei denen Missernten zu Preisanstiegen, Nachfragerückgängen und Arbeitslosigkeit führten und schließlich in einer erhöhten Mortalität mündeten, wurden für die nächsten Jahrhunderte zu ständigen Begleitern. Allerdings stieg die Bevölkerungszahl in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder an und eine neue Phase des Landesausbaus begann, die die Verteilungskämpfe innerhalb des Dorfes ebenso wie diejenigen zwischen Bauern und Herren verschärfte. 44 Dass diese sehr holzschnittartigen Bemerkungen regional stark zu differenzieren wären, etwa in Hinblick auf die jeweilige landwirtschaftliche Kultur, die geographischen Verhältnisse oder das örtliche Erbrecht ( ‚ Anerbenrecht ‘ vs. ‚ Realteilung ‘ ), liegt auf der Hand. Diese Notwendigkeit zur Differenzierung beträfe ebenso die Frage des dörflichen Zusammenlebens und der gemeinsamen Verwaltung der Allmende, durch die das Dorf weit mehr war als die Summe gemeinsam an einem Ort siedelnder Bauern. Als eigene Körperschaft, die das Gemeineigentum verwaltete, dessen Nutzung regelte, ein Gemeinschaftsvermögen besaß, z. T. eigene Amtsträger wie Wächter oder Hirten einstellte, 43 Vgl. Behringer, Kulturgeschichte des Klimas, S. 117 ff. 44 Rösener, Schwerpunkte, S. 406 ff. 24 2 Das Reich um 1500 <?page no="25"?> Konflikte moderierte und kleinere Vergehen ahndete sowie die Interessenvertretung nach außen organisierte, war das Dorf ein eigenständiger Akteur der ständischen Gesellschaft, mit eigenen Vorstehern (je nach Region u. a. ‚ Schultheiß ‘ , ‚ Schulze ‘ , ‚ Ammann ‘ , ‚ Vogt ‘ genannt), Bürgermeistern und Gemeinderäten (Rat, Schöffen, ‚ Dreier ‘ , ‚ Vierer ‘ oder ‚ Zwölfer ‘ ) und periodischen Gemeindeversammlungen. Verstärkt wurde die enge soziale Verflechtung im Dorf durch die Tatsache, dass sie gewöhnlich in Gestalt der Kirchgemeinde auch eine spirituell-religiöse Dimension hatte - eine Dimension freilich, die in Form von Abgaben wiederum eine ökonomische Seite besaß. Nicht zuletzt kann das Dorf auch als Verteidigungsgemeinschaft angesprochen werden, deren Vollmitglieder in der Regel durchaus Waffen und Harnisch besaßen. 45 Vollberechtigtes Mitglied der Dorfgemeinschaft war jedoch nur der Vollbauer ( ‚ Hüfner ‘ , ‚ Hübner ‘ , ‚ Huber ‘ o. ä.), technisch gesprochen: der Inhaber einer Hufe als derjenigen Maßeinheit, die in grauer Vorzeit einmal als Normalausstattung eines Hofes festgelegt worden war. Auch die Halb- oder Viertelbauern bzw. -hüfner mochten, je nach Region, noch unter die Besitzenden zählen. Wer dagegen nur seine Wohnstätte und vielleicht einen kleinen Garten besaß, zusätzlich noch als Tagelöhner für andere oder als Kleinhandwerker arbeiten musste, gehörte zur bäuerlichen Unterschicht und konnte als ‚ Seldner ‘ oder ‚ Kötter ‘ (die regionalen Bezeichnungen wechselten) nicht Sitz und Stimme in der Dorfversammlung beanspruchen. Die tatsächliche soziale Differenzierung im Dorf unterschied sich von Ort zu Ort wesentlich stärker, als es diese grobe Einteilung suggeriert. So wuchs auch auf dem Dorf die Zahl der Handwerker; diese konnten zu den Reicheren zählen, wie oft der Schmied, oder auch zu den Ärmeren, wie die Schuster. Als bestimmendes Element für die Agrargeschichte jener Epoche gilt ein deutliches demographisches Wachstum ab etwa 1450. 46 Im Gebiet der vergleichsweise gut dokumentierten Reichsabtei Salem wurden im Jahr 1488 gut 566 Steuerpflichtige verzeichnet, im Jahr 1505 war ihre Zahl um 105 (15,6 %) gestiegen. In Bermatingen, einem großen Dorf von 400 bis 500 Einwohnern, das im Bauernkrieg eine zentrale Rolle spielen sollte, machte der Anstieg von 86 auf 116 Steuerpflichtige sogar mehr als 25 % aus. Für ganz Oberschwaben geht die Forschung davon aus, dass die Bevölkerung ab 1450 um ca. 1 bis 1,5 % wuchs; binnen 70 Jahren könnte sie sich verdoppelt haben. 47 1505 gehörte in Bermatingen jedoch zugleich ein Drittel der Einwohner zu den armen Seldnern, die 45 Insgesamt zuletzt am thüringer Beispiel Sladeczek, Vorreformation; speziell zur Verteidigung Hoyer, Militärwesen, S. 35 ff. 46 Rösener, Schwerpunkte, S. 409 ff.; Kießling u. a., Grundzüge, S. 33 ff. 47 Baier, Bevölkerungs- und Vermögensstatistik, S. 197; für Oberschwaben Sabean, Probleme, S. 140. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 25 <?page no="26"?> von der Steuer befreit waren. 48 Insgesamt wuchsen die unterbäuerlichen Schichten quantitativ stark an, ließen die Vollbauern um ihre Dominanz im Dorf fürchten und die Zahl der Konflikte um die Bodenressourcen zunehmen. 49 Wenn eine Hofstelle mehr Menschen ernähren musste oder im Erbgang aufgeteilt wurde, war der familiäre Wohlstand bedroht; blieb sie in der Hand des ältesten Sohnes, so mussten die jüngeren Geschwister sich u. U. anderswo nach Einkommensmöglichkeiten umsehen. Der fortschreitende Landesausbau durch die Urbarmachung wüst gefallener oder bewaldeter Flächen konnte die potentiellen Konflikte kaum vermindern, auch deren Nutzung war sowohl innerhalb des Dorfes als auch zwischen Herren und Bauern umstritten. Verstärkten Regulierungsbedarf und ein hohes Streitpotential gab es schließlich jetzt auch hinsichtlich der Nutzungsrechte für die Allmende. Im Gebiet des Reichsklosters Ochsenhausen hatte der Abt Teile der Allmende gegen Zins an Kleinbauern und Söldner verliehen und damit die Rechte der Vollbauern geschmälert. 1502 verpflichtete er sich dazu, diese Praxis aufzugeben. Im Bauernkrieg sollten dann die bäuerlichen Unterschichten gegenüber dem Schwäbischen Bund in ihren Beschwerden darauf dringen, allen Dorfbewohnern und nicht nur den Lehnbauern die Nutzung von Allmende und Wald zu gestatten. 50 Das Beispiel zeigt instruktiv, dass wir für die Zeit des Bauernkriegs mindestens von einem Dreieck der Konfliktakteure in Gestalt von Herren, Vollbauern und bäuerlichen Unterschichten auszugehen haben. 2.2.3 Bauern und Herren Die soziale Spannweite im Dorf mochte sehr groß sein, aber die eigentliche Kluft auf dem Land tat sich zwischen den Bauern und den grundbesitzenden Herren auf. Denn selbst der stolze Inhaber einer vollen Hufe war im Normalfall nicht deren Eigentümer, sondern besaß nur das Recht, das Land zu bewirtschaften. Eigentlicher Besitzer des Bodens war der Grundherr, in der Regel ein Adliger, wobei aber auch kirchliche Prälaten oder städtische Institutionen wie Spitäler als Grundherren auftreten konnten. In den frühmittelalterlichen Villikationen hatte der Adlige noch vom Herrenhof aus das Land weitestgehend in Eigenregie bewirtschaftet. Später dagegen ‚ verlieh ‘ er dieses Land in der Regel eher an seine Bauern, damit diese es selbständig bearbeiten konnten. (Dass im Zuge der sog. ostelbischen Gutsherrschaft später die adlige Eigenwirtschaft wieder zu einer neuen Blüte kommen sollte, kann hier beiseite 48 Rösener, Schwerpunkte, S. 425. 49 Kießling u. a., Grundzüge, S. 42 ff. 50 Rösener, Schwerpunkte, S. 425 f.; vgl. Sreenivasan, The Social Origins. 26 2 Das Reich um 1500 <?page no="27"?> bleiben.) Dabei gab es vielfältige und wiederum regional sehr unterschiedliche Besitz- und Nutzungsrechte für die Bauern, von einem großzügig ausgestalteten Erbzinsrecht, bei dem der Bauer sein Haus zu eigen hatte und es ebenso wie die Nutzung des dazugehörigen Grund und Bodens vererbte, bis hin zu einer rigiden Zeitpacht, bei der ein Bauer nach wenigen Jahren stets aufs Neue fürchten musste, dass der Vertrag nicht verlängert werden würde. 51 Ebenso variantenreich waren die Leistungen, die der Grundherr für die Landleihe von seinen Hintersassen verlangte: Im Wesentlichen handelte es sich um Abgaben, als Naturalien oder in Geldäquivalenten, und um persönliche Hand- und Spanndienste ( ‚ Fronen ‘ ) für die Eigenwirtschaft oder das adlige Herrenhaus. Die Ausgestaltung dieser Leistungen fiel ebenso vielgestaltig aus wie es die Besitzverhältnisse waren. Eine Verschärfung der bäuerlichen Abhängigkeit trat ein, wenn über diese sachlichen Abhängigkeiten hinaus eine körperliche Dimension hinzutrat, wie es bei der Leibeigenschaft der Fall war. 52 Leibeigenschaft bedeutete - zusätzlich zu den Abgaben - eine Einschränkung der persönlichen Freiheit bäuerlicher Hintersassen, die nicht ohne Erlaubnis ihres Leibherrn heiraten oder einen Ortswechsel vollziehen durften. Ausdruck der persönlichen Bindung des Leibeigenen war die Tatsache, dass der Leibherr im Fall seines Todes einen Teil seines Besitzes erbte ( ‚ Todfall ‘ ) oder etwa das beste Stück Vieh im Stall ( ‚ Besthaupt ‘ ) für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Schollenpflichtigkeit wurde von den Betroffen umso mehr als persönliche Unfreiheit empfunden, als viele Herren im 15. Jahrhundert versuchten, ihre Leibherrschaft auf immer mehr Menschen auszudehnen, um die Abwanderung ihrer Bauern in andere Herrschaftsgebiete oder in die Städte zu verhindern. In den Händen mancher Leibherren wie z. B. des Fürstabts zu Kempten wurde das Instrument der Leibherrschaft zu einem rigiden Unterdrückungsinstrument. 53 In anderen Gebieten waren sowohl die materielle Belastung aufgrund der Leibeigenschaft als auch die daraus erwachsenen Einschränkungen der persönlichen Freizügigkeit weniger gravierend; und auch mit der jeweiligen sozialen Lage der Bauern hatte dieser Status nichts zu tun, d. h. Leibeigene konnten sowohl ganz arm als auch sehr reich sein. 54 Damit ist die Auffächerung der bäuerlichen Abgaben noch nicht erschöpft. Hinzu kamen Leistungen an den Kirchenpatron, vor allem der Zehnt - wir werden sehen, welches Konfliktpotential er barg. Und jenseits des nahen 51 Vgl. Art. „ Bäuerliche Besitzrechte “ (L. Enders) in EdN. 52 Art. „ Leibeigenschaft “ (J. Klußmann) in EdN. 53 Blickle, Leibeigenschaftsrodel. 54 Andermann, Die Menschen im Dorf, S. 392 f. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 27 <?page no="28"?> Grundherrn gab es - oft auch räumlich etwas weiter entfernt - den Landesherrn und seine Verwaltung, die nicht nur ebenfalls Abgaben von den Bauern verlangten, sondern auch im Zuge einer zunehmenden Herrschaftsverdichtung immer mehr ins Dorf hineinregierten. Insgesamt war das gesamte Dorf mit seinen Institutionen in diese grund- und landesherrlichen Bindungen verwoben. So wurde der Schultheiß, Ammann oder Dorfvorsteher in der Regel vom Herrn bestimmt oder wenigstens bestätigt. Dabei waren die herrschaftlichen Bindungen oft kompliziert: Nicht nur, dass in einem Dorf die Hintersassen mehrerer Grundherren zusammen siedeln konnten, auch die Siedlungsgemeinschaft selbst mochte zwei oder noch mehr Herren unterstehen, Grund-, Gerichts- und Kirchenherrschaft konnten auseinanderfallen u. v. a. m. Für das Dorf selbst bot diese Gemengelage durchaus auch Chancen, sich durch geschickte Kommunikation oder eine Schaukelpolitik zwischen verschiedenen Herren Vorteile zu verschaffen. So war die Interaktion zwischen Dorf und Herrschaft häufig konflikthaft, weil stark gegenläufige Interessen aufeinanderprallten. Aber auch für die Herrenseite war es im Prinzip unstrittig, dass die dörflichen Selbstverwaltungsorgane die Interessen der Gemeinschaft zu vertreten hatten - alles andere wäre auch für die Junker kaum praktikabel gewesen. 2.2.4 Bürger „ Stadtluft macht frei “ , so lautet der vielleicht meistzitierte Merksatz zur mittelalterlichen Stadtgeschichte: Wer aus den unfreien Verhältnissen auf dem platten Land in die schützenden Mauern der Stadt flüchtet, ist dementsprechend nach Jahr und Tag ein freier Mann. Der Satz ist keineswegs zeitgenössisch, sondern stammt aus dem 19. Jahrhundert; entsprechende Regelungen in den Quellen sind lokal begrenzt und nicht widerspruchsfrei. 55 Dennoch trifft er, wiederum im idealtypischen Sinn, etwas Richtiges. Der Stadtbürger war in der Regel tatsächlich frei, insofern er die Verfügungsgewalt über seinen eigenen Körper hatte und über seinen Besitz bzw. sein Erbe (nach Maßgabe der rechtlichen Rahmenbedingungen) frei verfügen konnte. Das veranlasste viele Menschen, in der Stadt ihr Glück zu suchen und dort die feudalen Lasten des ländlichen Raums abzuschütteln. Städte und Stadtherren hatten daran durchaus Interesse, schon allein, weil die Städte auf den Zustrom von außen angewiesen waren, um demographisch zu überleben. Allerdings waren persönliche Unfreiheit und Stadtbürgerschaft keineswegs unvereinbare 55 Isenmann, Stadt, hier S. 167 ff. In diesem monumentalen Werk findet sich Näheres zu so gut wie allen im Folgenden angesprochenen Aspekten. 28 2 Das Reich um 1500 <?page no="29"?> Größen, viele Einwohner vor allem landesherrlicher Städte gerade im Südwesten des Reiches waren bzw. blieben Hörige, die unterschiedlichen Einschränkungen unterlagen, was ihre räumliche Mobilität, ihre Heiraten und sogar ihr Kapital anging. 56 Außerdem fungierten viele Städte, städtische Institutionen oder einzelne Angehörige der Führungsschicht selbst als Grund- oder Leibherren der umliegenden Dörfer. Spätmittelalterliche Städte waren mithin keineswegs freiheitliche Inseln im Meer einer feudalen Umwelt, sondern Teil der Ständegesellschaft mit ihrem System abgestufter Privilegien und Rechte. Letztlich war auch das Bürgerrecht ein solches Privileg, das einem Menschen entweder qua Geburt zukam oder das er - oft gegen einen erheblichen Betrag - später erwerben konnte; eine wichtige Voraussetzung dafür war meist der Hausbesitz. Nicht jeder konnte dieses Recht erwerben, oft waren Angehörige bestimmter Berufe oder unehelich Geborene ausgeschlossen. Der Bürgerstatus war wiederum die Voraussetzung für die volle rechtliche und politische Inklusion in das städtische Gemeinwesen. Ein Bürger partizipierte am Friedens- und Rechtsschutz der Stadt. Er musste aber auch bestimmte Pflichten erfüllen, insbesondere Steuern zahlen und Wachdienste leisten; bis in die Frühe Neuzeit hinein gehörten Waffenbesitz und Waffendienst ganz selbstverständlich zum Erscheinungsbild des Stadtbürgers. 57 Nur eine Minderheit der Stadtbewohner besaß gewöhnlich diesen Bürgerstatus, daneben gab es Einwohner minderen Rechts (Beisassen), rechtlich aus dem Stadtverband ausgenommene Menschen wie Kleriker, Adlige und Universitätsangehörige, ganz zu schweigen von den nur zeitweilig in einer Stadt anwesenden Reisenden und Gästen. Frauen hatten als Ehefrauen indirekt teil am Bürgerstatus ihrer Männer, nur Witwen besaßen ihn direkt. Nicht nur rechtliche Differenzen generierten oder zementierten soziale Ungleichheiten. In größeren Städten konzentrierte sich der überwiegende Teil des Vermögens bei wenigen Fernhändlern und Großkaufleuten, während die Masse auch der Zunfthandwerker kaum finanzielle Rücklagen besaß und spätestens bei der nächsten Krise von Armut bedroht war. So werden manchmal über 50 % der Steuerpflichtigen zur Unterschicht gerechnet und bildeten im Wortsinn ein Prekariat. Wohlhabendere Handwerker, kleinere Krämer, Amtsträger und städtische Bedienstete bildeten eine vergleichsweise dünne Mittelschicht. Zur Veranschaulichung eine willkürlich herausgegriffene Zahl: In Augsburg hielt eine kleine Oberschicht von 104 Personen, das sind 2,3 % aller 56 Fuhrmann, Bürger als Hörige. 57 Vgl. die Beiträge in Freitag/ Scheutz, Pulverfass. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 29 <?page no="30"?> Steuerpflichtigen, über 60 % des gesamten Steuervermögens in den Händen. 58 Entsprechend offenkundig war die soziale Polarisierung. Häufig pflegten die reichsten Familienverbände in der Stadt ein ähnlich elitäres Selbstverständnis wie das Patriziat in Nürnberg, wo einige wenige ‚ edle Geschlechter ‘ qua Geburt die Sitze im engeren Rat und andere Privilegien für sich beanspruchten. In ihrem Lebensstil orientierten sich diese Geschlechter eher am Landadel und suchten nicht selten über entsprechende Heiraten auch den Anschluss dorthin. 59 Am anderen Ende der sozialen Skala finden sich nicht nur die prekär lebenden bürgerlichen Unterschichten, sondern auch die vielen Menschen ohne Bürgerrecht, Knechte und Mägde, Tagelöhner oder Angehörige vagierender Randgruppen. Die städtische Politik spiegelte in gewisser Weise diese extremen sozialen Unterschiede. Regiert wurden die Bürger in mittleren und größeren Städten von einem Ratsgremium, das für fast alle Belange des Lebens in der Stadt zuständig war, gleichsam von der Außenpolitik bis hin zur Latrinenreinigung. Gewöhnlich setzte es sich aus Sprösslingen reicher Familienverbände zusammen, die für eine solche Tätigkeit ‚ abkömmlich ‘ waren, indem sie nicht von ihrer Hände Arbeit leben mussten. Entsprechend wenig demokratisch waren die Regularien der damaligen Ratswahl nach unseren heutigen Maßstäben ausgestaltet. Oft erkor der Rat seine neuen Mitglieder selbst, d. h. er kooptierte sie einfach in seine Reihen. Besaßen die Zünfte oder die Stadtviertel das Recht, den Rat oder zumindest einen Teil davon zu wählen, so waren die Auswahl der Kandidaten und der Wahlvorgang selbst eine hoch ritualisierte Angelegenheit, die mit echter politischer Konkurrenz zwischen verschiedenen Lagern wenig zu tun hatte. Die wichtigsten Etappen vollzogen sich ohnehin auf der Hinterbühne. Dennoch zeigen sich hier wichtige Unterschiede zum Leben auf dem Lande. Es war ein kollektives Gremium, das über die Bürger regierte - ein Gremium zumal, das auf den Konsens der Bürgergemeinde angewiesen war, wie formell oder rituell dieser Konsens auch immer zum Ausdruck gebracht wurde. Rein formal handelte es sich zudem lediglich um Herrschaft auf Zeit (in der Regel für ein Jahr), auch wenn sich die neue Amtszeit mehr oder weniger bruchlos anschloss und es sich bei den neu ins Amt kommenden Ratsherren meist um die alten handelte. Im komplexen Ratswandel verdichtete sich performativ gleichermaßen die Bedrohung und die Bekräftigung der städtischen Ordnung. 60 Die Teilhabe an der städtischen Macht verblieb für die meisten Mitglieder normalerweise auf einer abstrakt-symbolischen Ebene. In vielen Städten gab es 58 Isenmann, Stadt, S. 719. 59 Ebd., S. 750 ff. 60 Vgl. Poeck, Zahl; auch die Beiträge in Schreiner/ Meier, Stadtregiment. 30 2 Das Reich um 1500 <?page no="31"?> immerhin ‚ Große Räte ‘ als zusätzliche Vertretungsorgane der Bürgergemeinde, die zwar faktisch nur selten zusammenkamen, aber die Legitimationsbasis von Entscheidungen in wichtigen Fragen, etwa bei der Erhebung von Sondersteuern oder bei Kriegserklärungen, verbreitern sollten. In der Regel unterstützten sie so den inneren Zirkel der Macht bei der Durchsetzung seiner Politik und besaßen noch nicht einmal die Berechtigung, ohne Einvernehmen der Ratsherren zusammenzutreten. In Krisenzeiten allerdings, wenn sich der Unmut der Stadtbewohner über drückende Schulden, hohe Steuern oder Korruptionsgerüchte verdichtete, gewannen Gemeindevertretungen eine eigenständige Handlungsmacht. Außerordentliche Gemeindeausschüsse, von den Zünften oder Stadtvierteln paritätisch besetzt, wurden gewählt, formulierten die vielfältigen Beschwerden und vertraten sie gegenüber dem Rat. Auf diese Weise hatten sich in den Zunftunruhen und Bürgerkämpfen des späten Mittelalters vielfach die nachrückenden Eliten und sogar die Handwerker mehr Mitspracherechte in etlichen Städten erkämpft. 61 Freilich müssen die bisherigen Bemerkungen noch einmal in einen anderen, größeren Zusammenhang gestellt werden, denn ‚ die ‘ Stadt gab es um 1500 ebenso wenig wie ‚ den ‘ Bauern oder ‚ den ‘ Adligen. Viele der oben skizzierten Tatbestände lassen sich am besten in den bevölkerungsreichen, politisch autonomen Großstädten beobachten. Was die Bevölkerungszahl angeht, so spricht die Forschung bereits ab 10.000 Einwohnern von einer mittelalterlichen Großstadt, eine Zahl, die nur etwa 25 Städte im Reich erreichten. Nürnberg hatte um 1500 rund 20.000 Einwohner, Ulm und Augsburg lagen etwas darunter, Köln führte mit 40.000 Einwohnern mit weitem Abstand. Von den ca. 3.000 bis 4.000 Städten im Reich überhaupt gehörten über 90 % zur Kategorie der Kleinstädte mit bis zu 1.000 Einwohnern. 62 Aber nicht allein die Demographie war ein wichtiger Faktor, sondern auch der politisch-rechtliche Status einer Stadt. Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen Reichsstädten, die dem Kaiser unmittelbar unterstanden, und Landstädten, die durch einen Landesherrn mediatisiert waren. In der Reichsmatrikel von 1521 werden 85 Reichsstädte aufgezählt (tatsächlich waren es wohl etliche weniger), darunter nicht nur die meisten Großstädte, sondern auch Städtchen wie Bopfingen. 63 In diesen Reichsstädten existierte tatsächlich eine Selbstregierung des Rates wie soeben beschrieben. Hinzu kamen einige große Landstädte, die faktisch weitgehende Autonomie genossen, wie z. B. Braunschweig oder Erfurt. Die anderen waren direkt ihrem Landesherrn rechenschaftspflichtig, der je nach konkreter 61 Isenmann, Stadt, S. 251. 62 Ebd., S. 62. 63 Ebd., S. 296; vgl. Zeumer, Quellensammlung, Nr. 181, S. 317. 2.2 Die Formierung der Ständegesellschaft 31 <?page no="32"?> Konstellation mehr oder weniger auf die Geschicke ‚ seiner ‘ Stadt Einfluss nahm; das konnte im Übrigen ein großer Territorialfürst sein, aber auch ein kleiner Landadliger. In der Regel war es durchaus in seinem wohlverstandenen Eigeninteresse, das Gemeinwesen durch die Verleihung von Privilegien zu fördern und ihm einen gewissen Spielraum zur Selbstverwaltung zuzugestehen. Allerdings mochten viele Kleinstädte sich faktisch kaum von Dörfern unterscheiden, oft sogar weder eine Ratsverfassung noch eigene Gerichtskompetenzen besitzen. In den großen Reichs- und Autonomiestädten regten die ländlichen Aufstände zwar städtische Unruhen an, aber die entsprechenden Konflikte wurden dann meist innerhalb der Stadtmauern zwischen Rat und Gemeinde ausgefochten. In kleinen ‚ Ackerbürgerstädten ‘ dagegen waren Handel und Gewerbe eng mit der Landwirtschaft verbunden. Hier schlug der Bauernkrieg viel stärker in die Stadt durch. Auch für die Zeitgenossen müsste es eigentlich schwer gewesen sein, die Bürger angesichts dieser großen Unterschiede auf einen gemeinsamen ständischen Nenner zu bringen. Viele Adlige allerdings pflegten im Spätmittelalter ein Feindbild, das sich mit derartigen Unterschieden gar nicht erst aufhielt: „ Bürger und Bauer trennt nichts als die Mauer “ - in einem solchen Sprichwort kommt Geringschätzung zum Ausdruck und das Bestreben, die städtischen Emporkömmlinge, jene an ummauerten Plätzen lebenden ‚ Bauern ‘ , auf ihren eigentlichen Platz in der überkommenen Ständeordnung zurückzuverweisen. 1450 empörte sich der brandenburgische Markgraf Albrecht Achilles über die Unterdrückung des Adels und der Geistlichkeit durch die Städte: Sie wollten die Dinge dazu bringen, „ dass der Fürst dem Bürger und der Meiste dem Mindesten gleich wird “ . Eine Anekdote aus späterer Zeit inszeniert die Verachtung durch den Adel zugleich mit der Tatsache, dass die Stadtbewohner diese mit gleicher Münze heimzuzahlen verstanden: Danach habe ein vornehmer bayerischer Adliger nach der Besichtigung einer Reichsstadt zum Bürgermeister gesprochen: „ Ihr Bäuerlein, ihr Bäuerlein, ihr habt einen starken Zaun um euer Dorf gemacht “ . Zu Recht, habe dieser schlagfertig erwidert, „ damit ihn nicht eine jede Sau umwühle “ . Was der Bürgermeister hier aufspießt und was viele Städte gegenüber den Edelherren vom Lande aufbrachte, war das Bild des räuberischen und gewalttätigen Adels, der die Handelswege unsicher machte und die städtische Freiheit bedrohte. 64 Man hat das Verhältnis zwischen Adel und Städten als einen ‚ kalten Krieg ‘ des Spätmittelalters charakterisiert, mit Block- 64 Die Belege wie das Bild des „ kalten Krieges “ zwischen Adel und Städten im Spätmittelalter nach Graf, Feindbilder und Konflikte, hier S. 193 f.; ders., Feindbild und Vorbild, hier S. 126 und S. 132. Vgl. weiterführend zum angeführten Sprichwort https: / / archivalia. hypotheses.org/ 2824 (07.04.2024). 32 2 Das Reich um 1500 <?page no="33"?> und Lagerdenken, ideologischer Polarisierung und stereotypen Feindbildern. Selbst wer diese Metapher überspitzt finden mag, muss zugeben, dass das Bild einer harmonischen Ständeordnung deutliche Risse zeigte. 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung 2.3.1 Reich, Territorien und Länder Das ‚ Heilige Römische Reich Deutscher Nation ‘ - schon dieses 1512 von Maximilian I. fixierte, aber lange Zeit selten benutzte Wortungetüm zeigt an, wie kompliziert der politische Handlungsraum in Mitteleuropa gestaltet war. 65 An der Spitze dieses vereinfachend als „ Altes Reich “ apostrophierten Gebildes stand, ganz wie bei anderen westeuropäischen Monarchien auch, ein König, der sich auf mächtige Adlige als Lehensleute und Inhaber wichtiger Ämter stützte. Aber während sich in England, Frankreich und anderen Nachbarländern große Dynasten als Erbkönige etablierten, hatte sich im Reich der Gedanke einer freien Königswahl durchgesetzt, die seit Mitte des 13. Jahrhunderts von den sieben Kurfürsten vollzogen wurde. 1356 wurde diese Regelung mit der ‚ Goldenen Bulle ‘ endgültig festgeschrieben: Die Königskür wurde seither durch die drei rheinischen Erzbischöfe von Trier, Mainz und Köln sowie durch den Pfalzgrafen bei Rhein, den Herzog von Sachsen, den Markgrafen von Brandenburg und den König von Böhmen getätigt. 66 Die Krone gelangte auf diesem Wege in die Hände wechselnder fürstlicher Dynastien mit verschiedenen räumlichen Schwerpunkten. Während anderswo Chancen bestanden, die Herrschaftsgewalt in der Hand eines Königs zu konzentrieren und von dieser monarchischen Spitze her frühstaatliche Strukturen z. B. in Gestalt zentraler Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen aufzubauen, war ein solcher Weg in Deutschland weitgehend blockiert. Hier vollzog sich der Prozess der Staatsbildung stärker auf der Ebene der einzelnen Landesherrschaften. Dass es im Reich neben dem Königsauch den Kaisertitel gab, verweist auf eine weitere Eigenheit: Mit dieser aus der Antike hergeleiteten Herrscherbezeichnung stellten sich die Monarchen in die Tradition des römischen Kaisertums bzw. dessen Wiederherstellung durch Karl den Großen. Zum Ausdruck gebracht wurde damit der Anspruch auf universal-europäische Oberhoheit, darauf, ‚ König der Könige ‘ zu sein; das galt umso mehr, als der mittelalterliche 65 Grundlegend zum Folgenden Krieger, König sowie - komplementär dazu - Schubert, Fürstliche Herrschaft; Whaley, Das Heilige Römische Reich (zum Namen I, S. 39); Schnettger, Kaiser und Reich; für den weiteren Rahmen systematisch Reinhard, Staatsgewalt. 66 Jetzt Schlotheuber/ Theisen, Goldene Bulle. 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung 33 <?page no="34"?> Kaiser nicht nur das deutsche Königtum, sondern auch ‚ Reichsitalien ‘ und das burgundische Königreich regiert hatte. Der universale Anspruch hatte nicht nur eine machtpolitische, sondern auch eine religiöse Dimension: Nach der Theorie der Translatio Imperii war das unter Karl dem Großen im Jahr 800 auf die Franken übergegangene römische Kaisertum das letzte der vier großen Weltreiche, nach dessen Ende gemäß der Prophezeiung des Propheten Daniel im Alten Testament (Dan 2,31 ff.) das Jüngste Gericht Gottes folgen sollte. Unterstrichen wurde die christlich-sakrale Prägung des Titels dadurch, dass die Krönung zum Kaiser vom Papst in Rom durchgeführt wurde. Das geschah oft lange nach der Inthronisierung eines Königs, häufig auch überhaupt nicht, weil der Herrscher den aufwendigen Romzug nicht realisieren konnte oder weil sich der Papst im Zuge der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt verweigerte. Gegen Ende des Mittelalters konzentrierte sich die Vorstellung des Reiches immer mehr auf das deutsche Kerngebiet, erst jetzt wurde das heilige Reich mit der ‚ deutschen Nation ‘ identifiziert. Um 1500 war die Vorstellung einer christlichen Universalmonarchie unter der Herrschaft des Kaisers zwar noch lebendig; sie bildete eine politische Zielvorstellung erst von Maximilian I. und dann von seinem Enkel Karl V. 67 Indem Maximilian 1508 in Trient mit der Zustimmung des Papstes den Titel ‚ Erwählter Römischer Kaiser ‘ annahm, wies er den Weg in die Zukunft. Alle Herrscher führten diesen Kaisertitel fortan von Beginn ihrer Alleinherrschaft als König an, ohne dass künftig eine päpstliche Approbation für nötig gehalten wurde. Mehr als der Anspruch eines gewissen Ehrenvorrangs des Kaisers unter den gekrönten Häuptern Europas war damit aber kaum mehr verbunden. Freilich verband nicht nur der Herrscher mit dem Reichsbegriff einen Überschuss an Bedeutung, auch für viele Untertanen war das Reich eine Projektionsfläche gemeinschaftlicher Hoffnungen und Phantasien, wie die Reichsreformdiskussionen zeigen. Zudem wurde um 1500 auch der hintere Bestandteil jener Bezeichnung ‚ Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation ‘ stärker mit Bedeutung aufgeladen und propagandistisch ausgebeutet. Die ‚ deutsche Nation ‘ rückte nicht nur im Diskurs der Humanisten im Reich stärker ins Zentrum, sie wird auch in der kaiserlich-habsburgischen Propaganda des ausgehenden Mittelalters zur Mobilisierung gegen äußere Feinde benutzt, ob es sich dabei um die Burgunder, den französischen König, den Papst oder die Türken handelte. 68 67 Bosbach, Monarchia Universalis. 68 Art. „ Nation, Nationalismus “ (R. Stauber) in EdN; Sieber-Lehmann, Spätmittelalterlicher Nationalismus. 34 2 Das Reich um 1500 <?page no="35"?> Die Gründe, aus denen das römisch-deutsche Reich im Spätmittelalter zu einem Sonderfall der europäischen Geschichte werden konnte, haben zentral mit der Entwicklung jener adligen Führungsgruppe der Reichsfürsten zu tun, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert „ in Abhängigkeit vom König nach oben und in der Abgrenzung von allen anderen Herrschaftsträgern nach unten “ das wichtigste Herrschaftselement darstellte. 69 Allmählich konzentrierte sich die jeweilige Landeshoheit über ein bestimmtes Gebiet in der Hand eines Dynasten, der dieses Territorium als Vasall des Königs als Lehen empfing. Neben Herzögen und einigen ‚ gefürsteten ‘ Grafen herrschten auch rund 90 geistliche Fürstbischöfe bzw. Fürstäbte über Territorialstaaten des Reiches. Dabei ist der Begriff ‚ Territorium ‘ insofern irreführend, als die Fürsten ein Bündel von Herrschaftsrechten besaßen, die räumlich eng nebeneinanderliegen konnten, aber nicht mussten. 70 Auch im Kleinen blieb das Alte Reich ein verwirrender ‚ Flickenteppich ‘ , dessen kartographische Darstellung immer nur eine ungefähre Vorstellung der überlappenden Herrschaftsverhältnisse vermitteln kann. Gleichwohl vollzog sich seit dem 14. Jahrhundert eine auch räumliche Arrondierung der Landesherrschaften, die vor allem mit der Herausbildung einer neuen Gerichts- und Verwaltungseinheit verbunden ist: In diesen ‚ Ämtern ‘ (auch ‚ Gerichte ‘ , ‚ Vogteien ‘ ), aus mehreren Kirchspielen zusammengesetzt, wurden „ die landesherrlichen Abgaben erhoben, im Namen des Fürsten Recht gesprochen, die Polizeigewalt ausgeübt und die bäuerliche Heerfolge eingefordert “ . Für die werdende Staatlichkeit am wichtigsten war die Tatsache, dass die Ämter zum „ Rückgrat der Finanzverwaltung “ und der Durchsetzung neuer Landessteuern wurden. 71 So wurde der in der Regel adlige ‚ Amtmann ‘ ( ‚ Vogt ‘ , ‚ Pfleger ‘ ) zum Stellvertreter des Fürsten vor Ort, unterstützt von einem ‚ Kastner ‘ oder ‚ Kellner ‘ , der die Aufsicht über die jeweiligen Einkünfte und Steuern führte. Oft residierte ein solcher Amtmann auf einer befestigten Burg und kommandierte eine - allerdings meist bescheidene - Burgmannschaft. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts begannen sich die Fürsten verstärkt eines anderen „ Schlüssel[s] zur großen Macht “ zu bedienen, der aktiven Ordnungssetzung in Gestalt von Gesetzen. 72 So unterzeichnete am 11. November 1495 Graf Eberhard im Bart eine erste Landesordnung für das gerade zum Herzogtum erhobene Württemberg. Alle genannten Faktoren - Verwaltung vor Ort, Erhebung von Landessteuern und Erlass von Landesgesetzen - sind Aspekte eines Prozesses der Herrschaftsverdichtung, der den frühneuzeitlichen Staaten allmählich 69 Johannes Merz: Reichsfürsten (Mittelalter), <http: / / www.historisches-lexikon-bayerns. de/ Lexikon/ Reichsfürsten (Mittelalter)> (30.03.2023). 70 Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 5. 71 Ebd., S. 15. 72 Ebd., S. 89. 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung 35 <?page no="36"?> Konturen verlieh. Wichtig dabei war zudem die Herausbildung einer auf das Territorium bezogenen Hoch- und Niedergerichtsbarkeit. 73 Dass der Amtmann bei der Gerichtsbarkeit auf genossenschaftlich gewählte Schöffen angewiesen war, ist ein Indiz für die vielfältigen Partizipationsformen von Herrschaftsunterworfenen - erst ab etwa 1500 setzt sich für sie allmählich der Terminus ‚ Untertanen ‘ durch - auch im Spätmittelalter. Auf der Ebene einer spätmittelalterlichen Fürstenherrschaft war es die ‚ Landschaft ‘ , die dem Herrscher als genossenschaftlich organisierter Verband seiner Untertanen entgegentrat und somit Bestandteil wie zugleich Gegenstück des Prozesses der Herrschaftsverdichtung war. 74 Später bezeichnete man diese Vertretungen als ‚ Landstände ‘ und das ganze System als ‚ landständische Verfassung ‘ , wodurch das Begriffsfeld ‚ Stand ‘ um eine neue, nämlich politische Dimension bereichert wurde; in der Zeit um 1500 aber war das noch eher ungebräuchlich. Zu den Landständen eines Gebietes konnten der Adel, die hohe Geistlichkeit und die größeren Städte zählen, in manchen oberdeutschen Regionen auch die Bauern, sodass es etwa in Vorderösterreich oder Tirol vier in der Landschaft vertretene Stände gab. In der Fürstabtei Kempten indes bildeten die Bauern sogar den einzigen Stand. Damit ist schon die große Bandbreite möglicher Ausprägungen von landschaftlicher Vertretung angedeutet. So fehlte in Franken beispielsweise der reichunmittelbare Niederadel, während in Württemberg allein die städtische Ehrbarkeit Landstandschaft besaß. Bei aller Unterschiedlichkeit ähnelte sich doch der vornehmste Zweck der Landschaften als Gegenüber fürstlicher Herrschaft: die Steuerbewilligung. Im Spätmittelalter begannen die Landesherren bei ihren Herrschaftsunterworfenen Steuern zu erheben, eine bislang unerhörte Neuerung jenseits der Abgaben ( ‚ Gülten ‘ ), die sich auf die Grundherrschaft bezogen. Diese Innovation konnte der Fürst nicht erzwingen, sondern er musste dafür den Konsens mit der Landschaft suchen - im ursprünglichen Begriff der ‚ Bede ‘ (Bitte) kommt der freiwillige Charakter der Abgabe zum Ausdruck. Damit waren aber auch institutionelle Strukturen geschaffen, die die Ständevertretungen zur Mitgestaltung des Landes nutzen konnten. Bezeichnend ist etwa, dass die vergleichsweise zahlreichen Tiroler Landesordnungen des 15. Jahrhunderts auf ständische Gravamina zurückgingen. 75 Und nicht zuletzt konnten sich die Untertanen über die Ständeversammlungen im Konfliktfall gegen Zumutungen ihres Herrn zur Wehr setzen. 73 Ebd., S. 69 ff. 74 Vgl. Blickle, Landschaften, hier S. 26. Exemplarisch zu den Landständen in Bayern, Sachsen und Hessen Kohler, Antihabsburgische Politik, S. 25 f., 41 f. 58. 75 Blickle, Landschaften, S. 190 ff. 36 2 Das Reich um 1500 <?page no="37"?> 2.3.2 Reichsreform und Landfrieden Im Reich formierten sich eigene Verfassungsinstitutionen erst mit einiger Verspätung. So kann man die Entstehung von Reichstagen einerseits als logische Ausbaustufe jener Hoftage der deutschen Könige verstehen, die sich bereits lange infolge der lehensrechtlichen Pflicht der Fürsten des Reiches, bei Hof zu erscheinen und dem König mit Rat und Tat beizustehen, etabliert hatten. Tatsächlich aber erscheint der Begriff ‚ Reichstag ‘ nicht vor 1495 und erweist sich damit als Ergebnis jenes Strebens nach einer Reichsreform, das im 15. Jahrhundert mehr und mehr an Boden gewann - zu offenkundig war die Kluft „ zwischen dem sakralen Charisma und dem Machtanspruch des römischdeutschen Königtums einerseits und der Unfähigkeit dieses Königtums andererseits, das Reich im Innern zu befrieden und es vor äußeren Feinden zu schützen “ . 76 Eine ganze Reihe von Reformschriften entwarf in jener Epoche Visionen von einem neuen Ordnungsgefüge des Reiches. 77 Manche waren gelehrte Abhandlungen, geschrieben als Anleitung für den Monarchen und seine Berater. Andere hatten einen breiteren Ansatz. 1439 war am Rande des Baseler Konzils die bekannteste von ihnen entstanden, die „ Reformation Kaiser Siegmunds “ , geschrieben von einem bis heute unbekannten Autor, der vorgab, damit angebliche Reformpläne des zwei Jahre zuvor verstorbenen Reichsoberhauptes auszubuchstabieren. Die Reformatio Sigismundi nimmt manche Aspekte der späteren Reichsreform vorweg, wenn sie etwa die unbedingte Einhaltung des Friedens im Reich und das Verbot jeglicher Fehdehandlungen propagiert. 78 Insofern aber Reich und Christentum für den unbekannten Verfasser praktisch identisch sind, betreffen viele Aspekte der Schrift insbesondere das Verhältnis der weltlichen und der geistlichen Sphäre - dazu gleich mehr. Die Wirklichkeit blieb hinter den visionären Entwürfen weit zurück, die Interessen und Initiativen der verschiedenen Akteure ließen sich lange nicht auf einen Nenner bringen. Erst am Ende des 15. Jahrhunderts fand sich König Maximilian I. unter dem Druck außenpolitischer Probleme zu einem Kompromiss gegenüber der ständischen Opposition bereit. Auf dem Wormser Reichstag von 1495 wurden wichtige Reformschritte eingeleitet. 79 Insbesondere wurde ein ‚ Ewiger Landfrieden ‘ beschlossen, der ohne sachliche und zeitliche Beschränkungen die Fehde verbot und sich grundsätzlich gegen Akteure wandte, die sich das Recht herausnahmen, unter bestimmten Bedingungen zur gewalt- 76 Krieger, König, S. 49. 77 Überblick zuletzt bei Dümling, Träume, S. 53 ff. 78 Koller, Reformation, S. 308 ff. (N); vgl. Dohna, Reformatio Sigismundi, S. 71 f.; zum Zuschnitt insgesamt Dümling, Träume, S. 93 ff. 79 Vgl. den Artikel „ Wormser Reichstag, 1495 “ (G. Annas), in: HLB. 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung 37 <?page no="38"?> tätigen Selbsthilfe zu greifen. Damit war der Grundstein zu jenem Gewaltmonopol gelegt, das nach Max Weber bekanntlich als ein Eckpfeiler von Staatlichkeit gilt. Die Durchsetzung dieser Bestimmungen zog sich allerdings noch jahrzehntelang hin. Weitgehend im Konsens und ohne große Änderungen wurde der Landfrieden z. B. auf dem turbulenten Wormser Reichstag von 1521 erneut bekräftigt. Seine Bestimmungen waren ebenso ständeübergreifend wie umfassend: Niemand, „ von was wirden, stats oder wesens der sei “ solle „ den andern bevehden, bekriegen, berauben, fahen, uberziehen, belegern [ … ] noch auch einich schloß, stett, merkt, befestigung, dörfer, höffe oder wiler [ … ] mit gewaltiger that frevendlich einnemen oder geverlichen mit brant oder in ander wege beschedigen …“ . 80 Gerichtet waren derartige Sätze vorwiegend an die Adresse eines fehdelustigen Niederadels, der - im Rahmen gewisser Regeln - die gewaltsame Durchsetzung eigener Interessen zu den adligen Standesprivilegien zählte. Dabei waren ‚ Absage ‘ und gewaltsamer Streitaustrag in jener Zeit keineswegs eine exklusive Angelegenheit des Adels, sondern wurden auch von Angehörigen anderer Stände praktiziert. 81 1521 waren aber bereits seit längerem normative Regelungen auf der Ebene des Reiches und der Territorien auf dem Weg, die auch den Protest der Untertanen als Landfriedensbruch unter kapitale Strafen stellten. 82 Vom potentiellen Spektrum dessen, was im Rahmen der Landfriedensgesetzgebung kriminalisiert wurde, zeugen dann die entsprechenden Artikel der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 ab, die für Jahrhunderte das bestimmende Strafgesetzbuch des Reiches bilden sollte. 83 In dieser peinlichen Halsgerichtsordnung standen Bestimmungen gegen Verräter (Art. 124), Mordbrenner (Art. 125), boshafte Räuber (Art. 126), Aufrührer (Art. 127), böswillige ‚ Austreter ‘ (Art. 128) und böswillige Befehder (Art. 129) eng nebeneinander. Nach 1495 sollten Konflikte allein auf rechtlicher Ebene ausgefochten werden. Das war ein Grund, weshalb komplementär zum Landfrieden das Reichskammergericht als höchstes Gericht eingerichtet wurde, dessen Präsident zwar vom König ernannt, dessen Beisitzer aber wesentlich auch von den Ständen bestimmt wurden. Maximilian, der seine herrscherliche Gerichtsgewalt eingeschränkt sah, betrieb in der Folge die Aufwertung des von ihm abhängigen Reichshofrats als konkurrierendes Obergericht im Reich. Auch andere Reforminitiativen waren in jenen Jahren auf dem Weg, aber sie scheiterten nicht nur am Widerstand des Königs, sondern auch am Unwillen 80 Wrede, Reichstagsakten, Nr. 29, S. 318. 81 Vgl. Reinle, Fehden; dies., Fehdepraxis. 82 Blickle, Criminalization. 83 Nützlich immer noch die synoptische Edition von Zoepfl. 38 2 Das Reich um 1500 <?page no="39"?> der Stände. Das betraf vor allem jene allgemeine Reichssteuer, die in Worms in Gestalt des ‚ Gemeinen Pfennigs ‘ beschlossen wurde, aber niemals umgesetzt werden sollte. Schnell scheiterten zudem die Vorstöße für ein Reichsregiment, ein permanentes Regierungsorgan auf ständischer Grundlage, am königlichen Widerstand. Das erste Reichsregiment in Nürnberg bestand zwischen 1500 und 1502 kaum zwei Jahre und auch das zweite Reichsregiment in den 1520er Jahren, das Karl V. als Bedingung für seine Kür in einer Wahlkapitulation zugestehen musste, entfaltete wenig politischen Glanz. Zukunftsweisend allerdings sollten die Ausführungsbestimmungen zu den Wormser Beschlüssen werden, die in Augsburg im Jahr 1500 verabschiedet wurden (Reichsexekutionsordnung) und das Reich in zunächst sechs, später zehn Reichskreise als überterritoriale Verwaltungseinheiten unterteilten. Eine wichtige Folge der Wormser Reformen blieb die Verfestigung des Reichstags als ständische Reichsversammlung, dem die weitere Handhabung von Frieden und Recht zur Aufgabe gemacht wurde; dessen konkrete Gestalt mit den drei „ Kurien “ der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte mit ihrem sehr unterschiedlichen Gewicht freilich setzten seiner gemeinschaftlichen Meinungsbildung und eigenständigen Handlungsmacht enge Grenzen. Insgesamt wurden mit der Reichsreform zwar wichtige Schritte zu einer Modernisierung des Reiches eingeleitet, aber hinter den Reformhoffnungen vieler Zeitgenossen blieben diese deutlich zurück. Wenige Jahre vor dem Ausrufen des ‚ Ewigen Landfriedens ‘ wurde ein Bündnis verschiedener Herrschaftsträger in Oberdeutschland ins Leben gerufen. Was den 1488 gegründeten ‚ Schwäbischen Bund ‘ gegenüber seinen vielen mittelalterlichen Vorläufern besonders macht, ist sein Zustandekommen auf Initiative Kaiser Friedrichs III. im Zusammenwirken mit den ‚ mindermächtigen ‘ Ständen Schwabens und damit der ständeübergreifende Charakter dieser Schwurgenossenschaft. Die Habsburger schufen sich damit ein nützliches Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen im deutschen Südwesten. Als Landesherren Tirols und der Vorlande waren sie indes das zwar vornehmste und einflussreichste Mitglied des Bündnisses, nicht aber dessen formaler Hegemon. So konnte die Kaiserdynastie, gestützt auf den Bund, unbestreitbare Erfolge erringen, etwa gegen die Wittelsbacher als potentielle Konkurrenten um die Krone; grenzenlos für ihre Interessen instrumentalisieren konnten sie den Bund freilich nicht. 84 Die Attraktivität des Schwäbischen Bundes für viele Reichsstände zeigt sich nicht zuletzt in seiner Wachstumsdynamik: Auf dem 84 Vgl. Carl, Der Schwäbische Bund, pointiert vor allem S. 501 ff. Die ältere These von einer „ Instrumentalisierung “ des Bundes durch den Kaiser tendenziell noch bei Whaley, Reich, S. 109 ff. 2.3 Das Zeitalter der Herrschaftsverdichtung 39 <?page no="40"?> Höhepunkt seiner Mitgliederentwicklung gehörte ihm wohl die große Mehrzahl der Stände im Süden des Reiches bis hinauf nach Franken, Hessen und an den Mittelrhein an. Parallel zum Reich vollzogen sich schließlich auch im Bund schnell Institutionalisierungsprozesse in Gestalt der Etablierung von Bundesräten als Entscheidungsgremium, gegliedert in Fürsten-, Adelbzw. Prälaten- und Städtebank, einem Triumvirat von Bundeshauptleuten und wiederkehrenden Bundesräten. Für die Geschehnisse rund um die Absetzung des Herzogs Ulrich 1519 und der Auseinandersetzung mit den fehdefreudigen Rittern sollte der Schwäbische Bund ebenso überragende Bedeutung erlangen wie später im Bauernkrieg. Typologisch mag der Schwäbische Bund im Vergleich mit den Wormser Reformbestimmungen nachgerade mittelalterlich anmuten, indem er den Landfrieden, spitzt man typologisch zu, gleichsam „ bottom-up “ durchzusetzen suchte, durch die Schaffung eines befriedeten Binnenraums zwischen allen Mitgliedern des Bündnisses und nicht „ top-down “ als reichsrechtliche Norm. Faktisch aber wurde der Schwäbische Bund im Zeitalter des „ ewigen Landfriedens “ zeitweilig zum wichtigsten Instrument, um diesem Geltung zu verschaffen. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 2.4.1 Türhüter der ewigen Seligkeit An erster Stelle der klassischen Dreiständelehre standen nicht die adligen Krieger, sondern die ‚ Beter ‘ . Das reflektiert nicht nur das Selbstbewusstsein der mittelalterlichen Geistlichkeit, sondern entsprach dem allgemeinen Stellenwert der christlichen Religion für die damaligen Menschen. In einer Intensität, die sich vielen Menschen in der Gegenwart kaum mehr erschließt, war der Glauben damals mit allen Aspekten des Lebens verflochten. ‚ Kirche ‘ berührte nahezu jeden Aspekt der Gesellschaft, eine distanzierte Betrachtung von einem Ort jenseits der Religion war unmöglich, was profanes, unchristliches Verhalten ebenso wenig ausschloss wie Kritik an dieser Kirche. Heute sehen wir das natürlich anders, sprechen z. B. aus analytischen Gründen von einer Differenz zwischen Kirche und ‚ Welt ‘ . Für die Zeit um 1500 ist diese Unterscheidung insofern ein Anachronismus, als sie erst ein späteres Produkt der Aufklärung darstellt. Tatsächlich gab es bereits im Betrachtungszeitraum, wie zu zeigen sein wird, Forderungen nach stärkerer Trennung zwischen spirituell-geistlichen und weltlichen Angelegenheiten. Sie entsprangen aber nicht dem Bedürfnis nach einer Relativierung des Religiösen, sondern sollten dazu dienen, einem gottgefälligen Leben stärker zum Durchbruch zu verhelfen und das eigene Seelenheil zu sichern. Damit waren sie das gerade Gegenteil jener 40 2 Das Reich um 1500 <?page no="41"?> modernen Religionskritik, die den Glauben an überirdische Mächte und eine jenseitige Existenz als falsches Bewusstsein identifiziert, den es zu beseitigen gilt, um anstelle von Illusionen das wirkliche Glück des Volkes zu sichern (Karl Marx). Anstatt sich über den ‚ Aberglauben ‘ der Zeitgenossen zu erheben, müssen wir ganz nüchtern den Stellenwert der Sorge für das eigene Seelenheil als eine soziale Tatsache und ein legitimes Interesse in Rechnung stellen, das neben (und letztlich über) der Sorge für das tägliche Brot stand. Verstärkt wurde diese Jenseitsorientierung sicherlich durch die oft prekären Lebensumstände, die niedrige Lebenserwartung und den allgegenwärtigen Tod aufgrund von Seuchen und Hungersnöten. Ängstlich beschäftigten sich die Menschen unter diesen Umständen mit dem ‚ Danach ‘ und versuchten, bereits im Diesseits den Weg hin zu einem ewigen Leben zu sichern, das ihnen in Gestalt des Taufsakraments versprochen worden war. Elementar dafür war ein christliches Leben gemäß den biblischen Geboten, der rechte Empfang der Sakramente und gute Werke in Gestalt von Almosen und Stiftungen. 85 Einen alternativen Orientierungsrahmen gab es für die Menschen im westlichen Europa nicht. Als monotheistische Offenbarungsreligion besaß das Christentum einen exklusiven Wahrheitsanspruch. Andere Religionen waren ohnehin kaum gegenwärtig. Der Islam war zwar als Feindbild und Objekt potentieller Kreuzzüge omnipräsent, gehörte jedoch nicht zum alltäglichen Erfahrungshorizont des gemeinen Mannes. Anders verhielt es sich mit dem Judentum, das aufgrund der Gemeinsamkeiten in Herkunft und biblischer Tradition zeitweilig an vielen Orten Europas geduldet wurde. Als ‚ Gottesmörder ‘ und religiöse Konkurrenten waren die Juden aber steter Diskriminierung und zunehmender Ausgrenzung unterworfen. Im Reich erholten sich die jüdischen Gemeinden im Grunde nie mehr von den grausamen Pogromen während des ‚ Schwarzen Todes ‘ 1348/ 49; im 15. Jahrhundert wurden sie aus vielen Städten und Territorien vertrieben. 86 Ein richtiges Leben gab es für die Menschen nach der herrschenden Auffassung eben nur im christlichen Rahmen. Umso erbitterter konnte darum gestritten werden, wie denn ein rechtes christliches Leben konkret auszusehen habe. Stets hatten bislang Papst und Kurie ihren Anspruch durchgesetzt, über richtig und falsch entscheiden zu können. Glaubensabweichler waren als Häretiker kriminalisiert worden. Das spektakulärste Fanal der Ketzerinquisition bildete die Verurteilung des böhmischen Predigers Jan Hus durch das Konstanzer Konzil im Juli 1415 und seine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen, trotz der Zusage freien Geleits durch den 85 Grundlegend Angenendt, Geschichte der Religiosität. 86 Toch, Juden, S. 61 ff., S. 118 ff. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 41 <?page no="42"?> deutschen König Sigismund. 87 Die Empörung über diesen Akt trug zur Formierung der Anhänger des Getöteten, der Hussiten, als sozial-religiöser Bewegung in Böhmen bei. Über 15 Jahre sollten die Hussitenkriege Mitteleuropa in Atem halten, sogar vier Kreuzzüge wurden gegen die böhmischen Ketzer geführt, die jedoch lange nicht zum Erfolg führten. Erst innere Konflikte der Papstgegner und ein Kompromiss mit dem gemäßigten Flügel der Hussiten, den Utraquisten, brachten eine Befriedung. Die religiöse Einheit Lateineuropas aber hatte erste Risse bekommen. Im Rahmen der herkömmlichen Ständelehre kam dem Klerus insofern eine besondere Rolle zu, als nicht die Geburt, sondern ein kirchlicher Weiheakt die Zugehörigkeit konstituierte. Mit dieser Weihe erlangte der Geistliche einen privilegierten Zugang zum kirchlichen Gnadenschatz und wurde zum Inhaber kirchlicher Amtsgewalt. Damit wurde er gleichsam zum Torhüter für das ewige Heil aller Gläubigen, das ohne diese Sakramente nicht zu erlangen war. Aber nicht nur seine Amtsgewalt, sondern auch seine Privilegien unterschieden einen Geistlichen von einem Laien: Er unterstand einer eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit und war weitgehend auch von herkömmlichen Abgaben und Steuern ausgenommen sowie vom Kriegsdienst befreit. Aus dieser ständischen Sonderlage, der Mischung aus allgemeiner Relevanz und besonderer Privilegierung, entsprang die wachsende Kritik am Klerus gerade am Ausgang des Mittelalters. Doch muss zunächst festgehalten werden, dass eine solche vereinheitlichende, funktional ausgerichtete Betrachtung des Klerus als Stand der differenzierten Lebensrealität kaum gerecht wird. Ebenso wenig wie ‚ den ‘ Adligen, ‚ den ‘ Bauern und ‚ den ‘ Bürger gab es ‚ den ‘ Geistlichen. Neben den vereinzelt lebenden Weltklerikern standen die vielen Geistlichen, die in klerikalen Gemeinschaften existierten. Dazu zählten neben den zahlreichen Mönchsorden der Idee nach auch die Kanoniker, die Mitglieder einer Stiftskirche. Ein Teil von ihnen, die sog. Regularkanoniker, folgten dabei tatsächlich einer Ordensregel und ähnelten darin den Mönchen. Die Säkularkanoniker dagegen lebten nach einer weniger strengen Regel, z. B. durchaus mit Privatvermögen, in einem Kollegium von Weltpriestern an einer Stiftskirche (Stiftskapitel), oder sie gehörten, falls diese Kirche eine Bischofskirche war, einem Domkapitel an, das den Bischof wählte. Ihre Existenz wurde durch Stiftungen für ihren Unterhalt an die jeweiligen Kirchen (Präbenden) gesichert, weswegen im Mittelalter Adels- oder auch reiche Bürgerfamilien diese ‚ Pfründen ‘ nutzten, um ihre nachgeborenen Söhne (bzw. im Fall von Frauenstiften auch Töchter) zu 87 Soukup, Jan Hus. 42 2 Das Reich um 1500 <?page no="43"?> versorgen. Viele Stifte wurden so zu exklusiven Versorgungsanstalten der vornehmen Stände. Die herausgehobene Position der Dom- und Stiftskapitel weist bereits darauf hin, wie stark die soziale Stellung und die Handlungsmöglichkeiten des Klerus innerhalb der Ständegesellschaft differieren konnten. Deswegen ist grundsätzlich zwischen hohem und niederem Klerus zu unterscheiden. Im hohen Klerus war das geistliche Amt eng mit weltlicher Herrschaft und wirtschaftlichen Einkünften verknüpft; meist rekrutierte er sich deshalb aus dem Adel. Von der extremsten Ausprägung dieser Adelskirche war bereits die Rede, von jenen Fürstbischöfen und Fürstäbten nämlich, die als geistliche Vorsteher ihrer Bistümer und Klöster zugleich die weltliche Herrschaft über ein Land ausübten. 88 Dabei waren die Diözesangrenzen keineswegs identisch mit der territorialen Ausdehnung eines solchen ‚ Hochstifts ‘ ; letztere waren oft kleiner als erstere, wenngleich es nicht immer ein so großes Missverhältnis gab wie im Fall von Konstanz, dessen Diözesansprengel vom Nordufer des Genfer Sees bis nördlich von Stuttgart reichte, während das Hochstift beiderseits des Oberrheins sehr überschaubar und zersplittert ausfiel. Größe und Geschlossenheit eines geistlichen Territoriums waren ebenso wie die der weltlichen Pendants von den Zufälligkeiten der historischen Entwicklung abhängig gewesen. Die Reichsmatrikel von 1521 führt über 50 Hochstifte auf, dazu weitere 65 Fürstäbte sowie ein rundes Dutzend Fürstäbtissinnen. Insbesondere eine Besonderheit hob sie von den weltlichen Landesherrschaften ab, nämlich die Tatsache, dass ein Fürstbischof bzw. Fürstabt nicht qua dynastischer Abstammung, sondern per Wahl durch ein Domkapitel bzw. Konvent an die Macht kam. Dennoch (oder gerade deswegen) blieben diese Ämter Objekte dynastischer Machtkalküle fürstlicher oder auch niederadliger Familien. Mit der Dimension der Territorialherrschaft aber ist die weltliche Seite geistlicher Institutionen keineswegs erschöpft. Denn als Grundherren konnten auch solche Einrichtungen fungieren, die nicht die Reichsunmittelbarkeit besaßen, und so leisteten zahlreiche Bauern ihre Dienste und Abgaben an Klostergemeinschaften, an Dom- und Stiftskapitel oder auch an städtische Hospitäler. In der Kontroverse um den Kirchenzehnten sollte sich das Problem einer Verquickung von spirituellen und materiellen Tatbeständen im Zeitalter von Reformation und Bauernkrieg verdichten. Auch die Welt des niederen Klerus, der einfachen Weltgeistlichen als Pfarrer und Seelsorger, war von besonderen ökonomischen Rahmenbedingungen bestimmt. Geweiht wurden diese Geistlichen zwar vom Bischof, nominiert aber nicht selten von den Fürsten, Adligen oder städtischen Magistraten, die das 88 Vgl. dazu Ziegler, Hochstifte. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 43 <?page no="44"?> Kirchenpatronat und damit das Recht, einen Kandidaten vorzuschlagen, innehatten. Dass die bäuerlichen Gemeinden selbst ein solches Präsentationsrecht besaßen, war im Übrigen eher selten, kam jedoch durchaus vor und bildete einen wichtigen Präzedenzfall für die Debatten der Reformation. 89 An all diesen Stellen hingen materielle Güter wie Grund und Boden oder Inventar, ebenso bestimmte Rechte und die Einnahmen, die aus diesen Gütern zu erzielen waren. Wer in den Genuss dieser Pfründen kam, sollte der Idee nach als Gegenleistung bestimmte Amtspflichten erfüllen. Oft waren die Stellen aber schlecht dotiert, sodass nur der Besitz mehrerer Pfründen ein gesichertes Einkommen versprach. Oder aber die Pfarrstelle war einer größeren geistlichen Einrichtung eingegliedert ( ‚ inkorporiert ‘ ), sodass ihre Erträge dieser Einrichtung zugutekamen. Oft übertrug sie die Seelsorge an Stellvertreter, an einzelne Mönche, Vikare und Kapläne, denen nur ein kärgliches Einkommen bezahlt wurde. Abstrakter gesagt: Die fiskalische Ausbeutung durch diese Institutionen machte die ökonomische Lage der Seelsorger ebenso prekär wie die spirituelle Versorgung der Pfarrkinder. 90 2.4.2 Laikales Selbstbewusstsein Wichtig ist es hier aber insbesondere, die Adressaten dieser Seelsorge in den Blick zu nehmen, die sich gerade im 15. Jahrhundert immer selbstbewusster artikulierten: die Laien. Um 1500 erreichte das, was gemeinhin als ‚ Volksfrömmigkeit ‘ bezeichnet wird, seinen Höhepunkt. 91 Inbrünstig wie nie zuvor verehrten die Menschen den leidenden Christus, die Gottesmutter und zahlreiche neue und alte Heilige. Willig nahmen sie an den zahlreichen religiösen Umzügen und Prozessionen teil. Die Reicheren sammelten heilbringende Reliquien und tätigten zahlreiche Stiftungen, und auch die weniger Wohlhabenden taten sich in religiösen Bruderschafen zusammen, um wenigstens ihr Schärflein zu Gemeinschaftsstiftungen beizutragen. Dabei lässt sich das religiöse Empfinden der Menschen schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Auf der einen Seite gab es eine Tendenz zur Verinnerlichung, wie sie in der niederländischen und niederdeutschen Devotio moderna zum Ausdruck kam. Einfach und tugendsam wollten die ‚ Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben ‘ beisammen sein, sich dem beschaulichen Gespräch und der Vertiefung in geistliche Schriften hingeben. Dass sie sich dann doch als 89 Blickle, Gemeindereformation, S. 180 ff. 90 Blickle, Reformation im Reich, S. 28 f.; Kurze, Der niedere Klerus. 91 Unerreicht prägnant Moeller, Frömmigkeit. Vgl. die Beiträge zur normativen Zentrierung bei Hamm, Religiosität. 44 2 Das Reich um 1500 <?page no="45"?> Unterabteilung (Kongregation) den Augustiner-Chorherren zuordneten, zeigt die Beharrungskraft der überkommenen institutionellen Modelle. Das Erbauungsbuch De imitatione Christi aus der Feder eines der ihren, des Fraterherrn Thomas von Kempen, wurde aber weit über diesen Kreis hinaus einflussreich und entwickelte sich in der Frühzeit des Buchdrucks neben der Bibel zum erfolgreichsten Druckerzeugnis überhaupt. Auf der anderen Seite zeichnete sich die Frömmigkeit um 1500 aber auch durch Züge aus, die für den modernen Betrachter in einem klaren Gegensatz zur verinnerlichten Frömmigkeit stehen. Da war die merkwürdige Rechenhaftigkeit nach dem Motto „ Viel hilft viel “ , die als ein regelrechtes System der ‚ Seelenrettungsökonomie ‘ daherkam. 92 Die Angst vor der ewigen Verdammnis führte die Menschen zu zeitlich und/ oder materiell aufwendigen Investitionen in ihr Seelenheil. Die Ärmeren investierten Zeit und versuchten, so oft wie möglich den Fürbitten der Priester teilhaftig zu werden und das Abendmahl zu empfangen. Die Reicheren stifteten zum Teil riesige Summen für Seelenmessen oder Almosen, um sich von ihren Sünden loszukaufen. Zum Inbegriff der Rechenhaftigkeit vorreformatorischer Frömmigkeit wurde das Ablasswesen. Durch das Beichtsakrament konnte ein reuiger Sünder zwar die Vergebung seiner Sündenschuld erreichen, aber die Strafen für diese Sünden (salopp gesprochen: die Zeit im Fegefeuer) blieben erhalten. Durch bestimmte Akte tätiger Reue konnte ein Mensch aber auch diese zeitlichen Sündenstrafen verringern oder, durch einen vollkommenen Ablass ( ‚ Plenarablass ‘ ), den allerdings nur der Papst verleihen konnte, völlig beseitigen. Ursprünglich bestand diese tätige Reue z. B. in Gebetsleistungen, Fasten oder Almosen, aber im 15. Jahrhundert reduzierte sie sich zunehmend auf eine Geldzahlung. Gleichzeitig wurde der Geltungsbereich des Ablasses radikal ausgeweitet, etwa auf Verstorbene oder umgekehrt auf künftige Sünden, sodass Ablässe gleichsam auf Vorrat erworben werden konnten. Diese ‚ Verdinglichung ‘ provozierte verständlicherweise Kritik und Spott, denn von persönlicher Reue und Buße konnte nicht mehr die Rede sein. Wachsende Kritik erhob sich gegen die Versuche der römischen Kurie, die eingenommenen Gelder für sich zu monopolisieren. 1502 entbrannte über die Verteilung der Gelder des Jubiläumsablasses ein bitterer Streit zwischen dem päpstlichen Legaten Peraudi und König Maximilian. 93 Bekanntlich sollte dann die 1515 begonnene Ablasskampagne in den Kirchenprovinzen des Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, mit 92 Groebner, Seelenrettungsökonomie. 93 Paulus, Peraudi, S. 679 f. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 45 <?page no="46"?> der der Bau der Peterskirche in Rom finanziert werden sollte, Luthers Kritik in den berühmten 95 Thesen provozieren, die am Anfang der Reformation steht. 94 Auch andere Erscheinungsformen spätmittelalterlicher Frömmigkeit zielten weniger auf Innerlichkeit denn auf massenhafte religiöse Erregung. Dazu gehörte insbesondere das bereits von vielen Zeitgenossen als Gefährdung der öffentlichen Ordnung kritisierte Wallfahrtswesen. 95 Im brandenburgischen Wilsnack hatten 1383 drei konsekrierte Hostien die Zerstörung einer Pfarrkirche unversehrt, aber mit einem Blutstropfen gezeichnet überstanden. Aufgrund dieses Hostienwunders wurde der kleine Ort zum größten Wallfahrtszentrum der Epoche im norddeutschen Raum. Selbst heftige theologische Dispute um die Wahrhaftigkeit des Wunders änderten daran nichts. 96 Das spektakulärste Massenereignis des späteren 15. Jahrhunderts ereignete sich allerdings weiter im Süden, im kleinen Dorf Niklashausen, nahe Würzburg im Taubertal gelegen, zur Erzdiözese Mainz gehörig und den Grafen von Wertheim untertan. 97 Für einige Monate wurde die dortige Marienkapelle zum Mittelpunkt einer riesigen Wallfahrtsbewegung aus allen Himmelsrichtungen. Allen Verboten der Obrigkeit zum Trotz sei das Volk nach Niklashausen gelaufen, so berichtet später der Erfurter Domherr Konrad Stolle: Jungfrauen mit offenem Haar, Wöchnerinnen, Knaben, Jünglinge und erwachsene Männer liefen mit Fahnen, riesigen Wachskerzen und unter Absingen teils selbstgedichteter Lieder durchs Land. Alles hätten sie stehen und liegen gelassen, nicht für Wegzehrung gesorgt und am Ort selbst im Freien kampiert. Auch wenn Stolle, ebenso wie andere Chronisten, in seinem abfälligen Bericht vor allem die Einfalt des einfachen Volkes anschaulich machen wollte, so scheint doch eines gewiss: Die Wallfahrt nach Niklashausen war eine wirkliche Bewegung des gemeinen Mannes. Auch derjenige, der die Massen dorthin lockte, war ein einfacher Mann. Hans Behem, der sog. ‚ Pfeifer ‘ (richtiger wäre wohl Pauker) von Niklashausen, einer leibeigenen Familie aus der Region entstammend, hatte einst als Spielmann und Hirte gearbeitet - Tätigkeiten, die im Ruch der Unehrlichkeit standen. Nun aber war ihm, so verkündete er, die Jungfrau Maria erschienen und habe ihm die Verbrennung seiner Pauke befohlen - während er damit bisher zum sündigen Tanz aufgespielt habe, sollte er nun dem Volk predigen. Augenscheinlich besaß der Laienprediger Hans beachtliche propagandistische Fähigkeiten, aber offenkundig unterstützten ihn auch einige 94 Kaufmann, Erlöste, 108 ff. Dass Albrecht mit dem Ablass hälftig seine Schulden bei den Fuggern begleichen wollte, wusste die Öffentlichkeit nicht (Schilling, Luther, S. 162 ff.). 95 Schreiner, Peregrinatio. 96 Zuletzt Heimann, Wilsnacklaufen. 97 Das Folgende nach Arnold, Niklashausen 1476, dort der Bericht von Konrad Stolle, S. 262 - 4. 46 2 Das Reich um 1500 <?page no="47"?> gebildetere Geistliche bei der Ausarbeitung seiner Predigten und der Verbreitung seiner Vorstellungen. Abb. 2: Der Pfeifer von Niklashausen predigt, Schedelsche Weltchronik, 1493 Diese Vorstellungen des Pfeifers von Niklashausen waren ebenso radikal wie widersprüchlich und lassen sich kaum als konsistentes Programm beschreiben. 98 Sein fester Glaube an die Jungfrau Maria und an die Wirksamkeit des Ablasses, den es vor Ort im Taubertal besser zu erlangen gebe als in Rom, lassen ihn nicht als Gefolgsmann waldensischer oder hussitischer ‚ Ketzerei ‘ erscheinen. Sein Selbstbewusstsein - man ist versucht zu sagen: Größenwahn - als zentraler Heilsmittler, der die göttliche Strafe abwenden und jedem Anhänger die himmlische Gnade zuteilwerden lassen könne ( „… wenn eine Seele in der 98 Das Folgende nach dem Bericht Würzburger Kundschafter ebd. I/ 8, S. 195 f., zur Analyse ebd., S. 95 ff. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 47 <?page no="48"?> Hölle wäre, so wollte er sie mit der Hand herausführen “ ), erweist ihn als extremen Einzelgänger. Die weltliche und kirchliche Obrigkeit kritisierte er in aller nur denkbaren Schärfe: Er brandmarkte die ‚ Pfaffen ‘ als Ketzer und forderte, jeder von ihnen dürfe nur eine Pfründe besetzen, sollten sie nicht gleich alle erschlagen werden. Nicht nur an dieser Stelle kommt eine extreme Gleichheitsvorstellung zum Ausdruck, sondern auch in Bezug auf die weltlichen Stände: Fürsten und Herren sollten das Gleiche haben wie der gemeine Mann, ja sie selbst sollten um ihren Tagelohn arbeiten müssen. Selbst von Papst und Kaiser ( „ ein Bösewicht “ , wohl direkt auf Friedrich III. gemünzt) hielt er wenig. Folgerichtig sollten die Fische im Wasser und das Wild auf dem Felde ‚ gemein ‘ sein. Es sind solche Forderungen, aufgrund derer die Niklashauser Wallfahrt einst, durchaus nicht frei von der Absicht zur ideologischen Vereinnahmung, als epochemachender, erster antifeudaler „ Aufstandsversuch “ besonders herausgestellt wurde. 99 Tatsächlich aber fiel das spektakuläre Geschehen ziemlich schnell wieder in sich zusammen, als ein Reitertrupp aus Würzburg den Pfeiferhans und einige Anhänger am 12. Juli in einer Nacht-und- Nebel-Aktion verhaftete. Zwar zog eine große Menge unbewaffneter Wallfahrer, die Rede ist von über 10.000 Menschen, in den folgenden Tagen vor die Tore von Würzburg, ließ sich aber durch Vorhaltungen bischöflicher Amtsträger zum Abzug überreden, wobei eine Nachhut von einem Trupp Reiter angegriffen und etliche der Pilger getötet wurden. Um einen bewaffneten Aufstandsversuch handelte es sich sicher nicht. Am 19. Juli wurde Hans Behem nach einem nicht formgerechten Schnellverfahren in Würzburg als Ketzer verbrannt. Die Niklashauser Bewegung war damit Geschichte. Gleichwohl sollten Wallfahrten bis in die Reformationszeit die Menschen auf die Beine bringen, wie z. B. die Geschehnisse in Regensburg 1519 zeigen werden, die wegen des Wirkens von Balthasar Hubmaier zur unmittelbaren Vorgeschichte des Bauernkriegs gehören. Unvoreingenommen betrachtet erscheint es erstaunlich, dass die intensive Frömmigkeit der Jahre um 1500 nur wenig später scheinbar unvermittelt in die Reformation umschlagen konnte. So zerrüttet, wie es die klassische, sehr protestantisch gefärbte Krisenerzählung will, war diese Kirche nicht, und auch der niedere Klerus kann kaum durchgängig als ungebildet und sittenlos charakterisiert werden. Außerdem reagierte die Institution durchaus auf die verstärkte spirituelle Nachfrage durch die Gläubigen. Die intensive Laienreligiosität war nicht zuletzt auch ein Reflex der verstärkten Versuche christlicher Gelehrter und Institutionen, mit einer ausdrücklichen ‚ Frömmigkeitstheologie ‘ lebenspraktische Fragen in den Mittelpunkt zu stellen und mit ihrer 99 Laube u. a., Illustrierte Geschichte, S. 53 f. 48 2 Das Reich um 1500 <?page no="49"?> Katechese die Laien zu erreichen. So begann die Hochschätzung der Predigt nicht erst mit Luther und der Reformation, vielmehr wurden bereits im 15. Jahrhundert an vielen städtischen Hauptkirchen Prädikaturen eingerichtet; Männer wie Johannes Geiler von Kaysersberg in Straßburg konnten sich auf dieser Grundlage auf das Kerngeschäft der Predigt konzentrieren und erzielten eine weite Resonanz. Auch Dr. Reinhart Gaisslin, später als Pfarrer von Markgröningen einer der Protagonisten des ‚ Armen Konrad ‘ , hatte von 1507 bis 1509 auf einer von Laien an der Tübinger Stiftskirche eingerichteten Predigerstelle gewirkt. 100 Trotzdem wuchs die Spannung zwischen dem spirituellen Angebot der Kirche und den Bedürfnissen der Gläubigen. Je anspruchsvoller die einfachen Frauen und Männer aus dem Volk wurden, desto kritischer betrachteten sie die Geistlichen. Oft wurden diese nicht dem christlichen Ideal gerecht, indem sie nicht ehelos, sondern im Konkubinat lebten. Viele besaßen nicht die nötige Fertigkeit und Bildung, um ihre Seelsorgepflichten zu erfüllen, andere waren ganz einfach nicht hinreichend präsent, sei es aus Überlastung, sei es aus mangelndem Engagement. Viele vornehme Prälaten und auch einfache Mönche lebten nicht von ihrer eigenen Hände Arbeit, aber sie lebten doch oft sehr gut von den Abgaben der Gläubigen. Sie selbst zahlten keine Steuern und Abgaben, machten aber den Bürgern und Bauern dennoch gelegentlich ökonomisch Konkurrenz, indem sie Bier brauten und Textilien herstellen ließen. Sie profitierten vom Schutz der Gemeinschaft, waren aber doch der allgemeinen Gerichtsbarkeit entzogen, während umgekehrt die geistlichen Gerichte weitreichende Entscheidungen trafen. All diese Faktoren trugen zu einem wachsenden ‚ Pfaffenhass ‘ bei, zu antiklerikalen Attitüden, die sich später in der Reformation ins Grundsätzliche steigern sollten. 101 Zu ihrem Sprachrohr hatte sich schon der Pfeifer von Niklashausen gemacht, wenn er prophezeite, die Pfaffen würden schon in naher Zukunft ihre Tonsur mit der Hand bedecken, damit man sie nicht als Geistliche identifiziere. 102 2.4.3 Die ausgebliebene Erneuerung Dazu trug freilich auch das übergeordnete Bild der lateinisch-westeuropäischen Papstkirche im 15. Jahrhundert bei, das bislang ausgespart blieb. Im großen abendländischen Schisma war eine allgemeine Krise dieser Kirche sinnfällig geworden; über Jahrzehnte stand für alle Christen die Frage auf der Tages- 100 Dietz, Weisheit, S. 139; zu Geiler Voltmer, Wächter. 101 Vgl. Goertz, Antiklerikalismus; Mörke, Reformation, S. 121 ff. 102 Arnold, Niklashausen, S. 196. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 49 <?page no="50"?> ordnung, welchem der konkurrierenden Kirchenoberhäupter der eigene Gehorsam gelten sollte. Große Kirchenversammlungen wie die Konzilien von Konstanz (1414 - 1418) und Basel (1431 - 1448) hatten sich um die Beendigung dieser Krise bemüht. Sie setzten nicht nur einzelne Päpste ab, um die Einheit wiederherzustellen, sondern stellten mit diesem Akt dem päpstlichen Primat ein korporatives Kirchenverständnis entgegen. Dieses fand seinen Niederschlag in den Theorien des Konziliarismus, denen zufolge das Konzil über dem Papst stand. Das Scheitern der Konzilsbewegung brachte dann jedoch eine Konsolidierung päpstlicher Macht. Stärker als zuvor freilich war der römische Bischof nun auf die italienische Halbinsel zurückgeworfen, machte sich aber umso eifriger an den Ausbau seines Kirchenstaates. Nach Wahrnehmung vieler Christen war die Kirchenkrise allerdings nicht beseitigt. Mehr denn je bot die römische Kurie gerade aus deutscher Perspektive das Bild eines ‚ Apparats ‘ , dessen Angehörige das Streben nach Seelenheil vornehmlich als ‚ Heilsgeschäft ‘ verstanden und bestrebt waren, „ auf einem florierenden Markt für Geistliches … neue Ressourcen zu erschließen “ . 103 Im Wiener Konkordat von 1448 wurde dem Papst in großem Umfang das Recht zu Stellenbesetzungen und Pfründenvergaben im Reich eingeräumt, einschließlich vieler damit verbundener Zahlungen an den Heiligen Stuhl, die bald zu wachsender Kritik führten und in die ‚ Gravamina der deutschen Nation ‘ mündeten, als die diese Beschwerden später auf den Reichstagen diskutiert wurden. In der damit verbundenen Forderung nach einem deutschen Nationalkonzil spiegelt sich das Aufkommen einer neuen Wertschätzung für die ‚ deutsche Nation ‘ , die vom ausländischen Papsttum geknechtet werde. Der Mainzer Kanzler Michael Mayr hatte diesen Ton bereits 1457 in seinem Brief an Kardinal Piccolomini, den nachmaligen Papst Pius II., vorgegeben: „ Tausend Schliche, wie der römische Stuhl uns wie Barbaren das Geld auf eine feine Art aus dem Beutel ziehen kann, werden ersonnen. Unsere ehemals so berühmte Nation … ist jetzt in Armut gestürzt, Sklavin und zinsbar geworden, liegt nun im Staube da und betrauert schon viele Jahre ihr unglückliches Schicksal, ihre Armut. “ 104 Auch vor dem Hintergrund einer solchen Kritik konnte sich später Luthers Reformation in Deutschland entfalten. Entsprechend zielte schon die Reichsreformdiskussion vor und nach 1500 auch und vor allem auf die weltlichen Privilegien und die weltliche Macht der Geistlichkeit. Für den anonymen Verfasser der Reformatio Sigismundi von 1439 103 Müller, Die kirchliche Krise, S. 5. Vgl. Schnabel-Schüle, Die Reformation, S. 33 ff. 104 Zitiert nach Gebhardt, Gravamina, S. 28; vgl. Müller, Die kirchliche Krise, S. 52 ff. und S. 119 ff.; Blickle, Die Reformation, S. 27 f. 50 2 Das Reich um 1500 <?page no="51"?> waren Reich und Christentum kaum zu trennen, eine Reformation des Reiches musste insofern zwangsläufig auch die geistliche Sphäre berühren. Ihm ging es keineswegs um eine strikte Scheidung von Geistlichem und Weltlichem, sondern darum, die „ geistliche Sphäre vor einer Verquickung mit dem Nurweltlichen zu bewahren “ . 105 Dabei konnte er durchaus pragmatisch argumentieren wie im Fall der Priesterehe, die er nach dem Vorbild des ‚ Orients ‘ (gemeint war wohl eher die griechisch-orthodoxe Kirche) erlaubt sehen wollte, denn Christus habe sie nicht verboten. Der Reinheitsgedanke, der Papst Calixt II. ( † 1124) beim Verbot der Klerikerehen geleitet habe, sei zwar im Prinzip gut und schön, triebe aber die Geistlichen in der Praxis in die ‚ Sodomie ‘ . 106 Die Korrumpierung der Geistlichkeit durch weltliche Herrschaftsfunktionen aber sah die Reformatio Sigismundi sehr kritisch. Rundweg abgelehnt wurde die Leibeigenschaft: Es sei eine unerhörte, ja ‚ heidnische ‘ Sache, wenn einer zum anderen spreche: „ Du bist mein eigen! “ Christus selbst habe seinen Jüngern verkündet, der vornehmste unter ihnen solle ihrer aller Diener sein (in Bezug auf Lk 22,24 ff.). Dieser Missstand betreffe leider nicht nur weltliche Herren, sondern auch Geistliche und Klöster. Stünden sie nicht davon ab, so dürfte man sie getrost zerstören. „ Die Klöster und die Häupter, die die geistlichen heißen, sollten die geistlich Sachen wahrnehmen. Nun nehmen sie sich der weltlichen Sache an. Sie wissen vor Reichtum nicht, was sie tun sollen. Sie halten ihre Regeln nicht. … Sie sprechen nicht allein: ‚ Er ist unser eigen ‘ , sie machen Witwe und Waisen; wenn die Väter abgestorben sind, so erwerben sie die Kinder. O weh, wo haben sie das gelesen? Weh, wer hat ihnen die Freiheit (dazu) gegeben? “ 107 Vor allem solche Passagen sind es, die der „ Reformation Kaiser Sigismunds “ den Ruf als „ das erste revolutionäre Schriftstück in deutscher Sprache “ , ja als „ Trompete des Bauernkriegs “ eingebracht haben. 108 Von einem revolutionären Dokument spricht man heute wohl nicht mehr, zumal viele Elemente so neu gar nicht waren - eine Ablehnung der ‚ Eigenschaft ‘ findet sich bereits im 13. Jahrhundert im „ Sachsenspiegel “ (Landrecht III, 42) des Eike von Repgow. Von einer breiten, ja sogar volkstümlichen Rezeption des in etlichen Abschriften und Frühdrucken überlieferten Werkes wird man wohl auch nicht ausgehen können, aber immerhin wurde es gerade zur Zeit der Frühreformation stark beachtet. Eine zweite Reformschrift, die stets mit dem Bauernkrieg in Verbindung gebracht wird, jenes um 1510 gefertigte „ Buch der Hundert Kapitel “ 105 Dohna, Reformatio Sigismundi, S. 128 f.; vgl. S. 132, 152. 106 Koller, Reformation, S. 152 - 4 (N). 107 Koller, Reformation, S. 278 - 80 (N); Dohna, Reformatio Sigismundi, S. 119. 108 Friedrich von Bezold, zitiert nach Boockmann, Wirkungen, S. 514 f. 2.4 Die unabgegoltene Reform von Klerus und Kirche 51 <?page no="52"?> eines ebenfalls anonymen elsässischen Autors, den die Forschung mit dem schlagkräftigen Pseudonym „ Oberrheinischer Revolutionär “ belegte, ist dagegen nur in einer einzigen Handschrift überliefert. 109 Nicht nur deshalb wird man darin kaum eine Art theoretisches Manifest für die aufständischen Bauern sehen können. 110 Gleichwohl aber mag man die Reformschriften als Indikatoren für das Krisenbewusstsein und Reformverlangen weiter Teile der Bevölkerung verstehen, die vor und nach 1500 in vielfältigen Unruhen zum Ausdruck kamen. 109 Lauterbach, Der Oberrheinische Revolutionär. Die umfangreiche Sekundärliteratur zentriert vor allem um die Verfasserfrage, vgl. dazu Graf, Wer war; zuletzt Huth, Agenten. 110 Lauterbach, Theoretiker. 52 2 Das Reich um 1500 <?page no="53"?> 3 Eine Welt in Unruhe Die alteuropäische Ständegesellschaft mochte, zumindest in den Augen der privilegierten Gruppen, dem göttlichen Weltenplan entsprechen und eine unveränderliche Ordnung darstellen. Die zahlreichen Unruhen in Stadt und Land, die Europa zwischen dem späteren Mittelalter und den Umwälzungen der Französischen Revolution durchziehen, sprechen eine andere Sprache. Niemand wolle mehr in seinem Stand bleiben, der Bauer kleide sich wie der Edelmann, die Geistlichkeit werde verachtet, so klagte 1514 Pamphilus Gengenbach: „ Ein jeder wäre gern selbst Herr. “ 1 Geweckt wurden derartige Ängste der Privilegierten vor der Umwälzung aller Ordnung durch die zahlreichen kleineren und größeren Aufstände der Epoche, in denen sich die Unzufriedenheit des gemeinen Mannes artikulierte, ganz zu schweigen von vielfältigen Protest- und Widerstandsaktionen im Alltag. 2 Viele Länder in Europa wurden im Spätmittelalter von Revolten heimgesucht. 3 Ein auch nur halbwegs vollständiges Panorama dieser Unruhen in Europa entfalten zu wollen, überfordert den Horizont der vorliegenden Darstellung. Einige Schlaglicher müssen ausreichen. Nachdem bereits der Einbruch des ‚ Schwarzen Todes ‘ von 1348/ 49 den Beginn einer Krisenepoche 4 signalisiert hatte, erschütterten im späteren 14. Jahrhundert zwei große Bauernrevolten das westliche Europa. 1358 kam es mit der „ Jacquerie “ zu einem großen Aufstand im Königreich Frankreich, benannt nach der sprichwörtlichen Verkörperung des einfachen Bauern „ Jacques Bonhomme “ (also ‚ Hans Gutmann ‘ , eigentlich eine spöttische Fremdbezeichnung). 5 In einem kleinen Dorf an der Oise rund 50 Kilometer nördlich von Paris kam es am 28. Mai 1358 zu einem Angriff auf Adlige, von denen neun starben. Für die Aufständischen war der Adel das Hauptangriffsziel, weil er durch seine Niederlage gegen die Engländer in der Schlacht von Poitiers (1356) an Prestige verloren hatte, seiner Schutzaufgabe 1 Goedeke, Gengenbach, S. 23 f. 2 Für Deutschland insgesamt Blickle, Unruhen, dort S. 78 ff. auch zu den alltäglicheren Protestformen; für Europa insgesamt Ruff, Riots. Vgl. schon Franz, Außerdeutsche Bauernkriege, knapp zusammengefasst bei Franz, Bauernkrieg, S. 1 ff. (nicht mehr in späteren Auflagen). 3 Firnhaber-Baker/ Schoenaers, Medieval Revolt. 4 Klassisch Graus, Pest - Geißler - Judenmorde. Man könnte den Bogen noch weiter zurück schlagen mindestens bis zum flandrischen Bauernaufstand von 1323 wie bei Franz, Außerdeutsche Bauernkriege, S. 78 ff. 5 Umfassend Firnhaber-Baker, Jacquerie. <?page no="54"?> nicht mehr nachkam und die Bauern überdies für die Lösegeldzahlungen der in der Schlacht Gefangengenommenen aufkommen mussten. Die Jacquerie erfasste nicht nur das Pariser Becken, sondern mit Teilen der Picardie, der Champagne und der Normandie weite Teile Nordfrankreichs. In den folgenden Tagen und Wochen wurden Dutzende von Schlössern und Herrensitzen gestürmt sowie weitere Adlige getötet. Aber bereits am 10. Juni schlug Karl von Navarra bei Mello eine mehrere tausend Mann umfassende Truppe der Jacques, nachdem sie ihren verhandlungsbereiten Hauptmann Guillaume Calle hinterhältig gefangen genommen und wenig später hatten hinrichten lassen. Vielerorts ging der Aufstand noch bis in den Hochsommer weiter, aber auch an anderen Orten wurde er blutig unterdrückt. Eine Generalamnestie des Königs im August war mit schweren Geldstrafen für die Unterstützer der Jacquerie verbunden. Ein wichtiger Bezugspunkt für die Jacquerie war die bürgerliche Erhebung in Paris unter Étienne Marcel, dem Vorsteher der Pariser Kaufmannschaft. Als Sprecher des Dritten Standes hatte Marcel dem Dauphin als Vertreter des Königs weitgehende Reformen im Sinn einer ständischen Mitsprache abgenötigt. Im Februar 1358 setzte er sich sogar an die Spitze eines Bürgeraufstandes, in Zuge dessen enge Berater des Königs umgebracht und stattdessen Marcel und seine Verbündeten zentrale Positionen im Staatsrat besetzen konnten. Der Pariser Kaufmannsvorsteher suchte das Bündnis mit den aufständischen Bauern, wurde aber im Zuge von Fraktionskämpfen zwischen dem Dauphin und dem König von Navarra am 31. Juli ermordet. Die Empörungen in Stadt und Land endeten damit fast zeitgleich. Auch der englische Bauernaufstand von 1381 war nicht lediglich eine lokal beschränkte Revolte der Bauern, sondern ein landesweiter Aufstand, der ausgehend von Essex und Kent 26 der 39 Grafschaften von Cornwall im äußersten Südwesten des Landes bis Yorkshire im Norden erfasste. 6 Die weite Verbreitung der Revolte zeigt, wie groß und vielfältig die allgemeine Unzufriedenheit z. B. mit der restriktiven Arbeitsgesetzgebung und der Leibeigenschaft war, eine Unzufriedenheit, die sich nach dem Tod des langjährigen Königs Edward III. im Zeichen von hoher Besteuerung, Korruption und des informellen Regiments des unbeliebten Herzogs von Lancaster zu einer grundsätzlichen Vertrauenskrise in Herrschaftsapparat und Rechtsprechung steigerte. Die gut organisierten Rebellen rückten unter ihrem Anführer Wat Tyler rasch auf London vor und übernahmen dort für einige Tage faktisch die Herrschaft. Führende Amtsträger und Richter, darunter der Erzbischof von Canterbury und Kanzler Simon Sudbury sowie der Schatzmeister Robert Hales, 6 Vgl. Eiden, Knechtschaft, hier S. 189; für den weiteren Kontext von Bauernunruhen im englischen Spätmittelalter Hinck, Die Raserei der Gemeinen. 54 3 Eine Welt in Unruhe <?page no="55"?> wurden exekutiert. Dutzende von Fremden, insbesondere Flamen, fielen blutigen Massakern zum Opfer. 7 Die Bestrafung korrupter Amtsträger gehörte auch zum politischen Programm der Aufständischen, die überdies eine Abschaffung der Leibeigenschaft und eine Begrenzung der Pachtsumme für Grund und Boden forderten. Im Laufe des Aufstands wurden die Forderungen grundsätzlicher und zielten auf eine Beteiligung aller Menschen an der Herrschaftsausübung. 8 Nachdem Wat Tyler während der Verhandlungen mit dem jugendlichen Monarchen Richard II. in Smithfield am Morgen des 15. Juni getötet worden war, konnten die meisten seiner Anhänger aber erstaunlich schnell zum Rückzug und zur Heimkehr bewogen werden. Der Niederschlagung der Revolte in den verschiedenen Grafschaften folgte, wobei die mindestens 150 nachgewiesenen Exekutionen durch Sondertribunale sicherlich nur die Spitze des Eisberges darstellten. Insgesamt aber war die obrigkeitliche Reaktion vergleichsweise gemäßigt. 9 In anderen Teilen Europas kam es im Spätmittelalter ebenfalls zu großräumigen, weite Teile des jeweiligen Herrschaftsgebietes erfassenden Aufstandshandlungen. So rebellierten die freien und gut bewaffneten Bauern (und Bergleute) im Königreich Schweden in den 1430er Jahren, z. T. im Bündnis mit Bürgern und Kleinadligen, gegen die steuerlichen Belastungen durch den König. Mit dem sog. Engelbrekt-Aufstand ab 1434 vollzog sich „ der entscheidende Durchbruch des ‚ Gemeinen Mannes ‘ zu einem politischen Faktor, mit dem fortan gerechnet werden musste. “ 10 Im Osten Europas kam es dann 1514 zu einer großen Rebellion der Bauern die ein ganz eigenes Gepräge besaß. 11 Ausgangspunkt des ungarischen Dózsa-Aufstands bildete der Kreuzzugsaufruf des neugewählten Papstes Leo X. gegen die Türken und Tartaren, die dessen Kardinallegat Tamás Bakócz am Palmsonntag in Ofen (Buda, heute Teil von Budapest) verkünden ließ. Am Anfang war die Mobilisierung spärlich, gewann dann aber durch die Verkündigung von Bettelmönchen und kleinen Weltgeistlichen an Fahrt, sodass sich bis zum Ende des Monats zehntausende Menschen an den Sammelplätzen einfanden. Am 15. Mai hatte das Hauptheer unter seinem Befehlshaber György Dózsa von Pest aus bereits seinen Zug nach Südosten begonnen, als der Legat zunächst die Werbungen für den Zug einstellen und wenig später dann den Kreuzzug für beendet erklären ließ; mehr noch, alle, die die Waffen nicht niederlegen wollten, wurden mit dem Bann bedroht. Als Grund wurden gewaltsame Steuer- und Zollverweigerungen 7 Eiden, Knechtschaft, S. 244 ff. 8 Ebd., S. 415 ff. 9 Ebd., S. 399 f. 10 Buchholz, Selbstbehauptung, hier S. 198. 11 Fata, Vom Kreuzzug (mit der einschlägigen neueren Literatur). 3 Eine Welt in Unruhe 55 <?page no="56"?> unter dem Deckmantel der Kreuzzugsbewegung genannt. Was der Kirchenführer zu verhindern suchte, wurde nun aber erst recht Realität: Die Bewegung schlug in einen allgemeinen Aufstand unter Führung Dózsas um, ja zu einem heiligen Krieg der Bauern. An die Stelle der ungläubigen Osmanen traten nun die untreuen Adligen, die ihre Untertanen nicht schützten, sie aus niederen Motiven vom Kreuzzug abhalten wollten und sie mit Abgaben und Zöllen schwer belasteten. Inwieweit dahinter ein neues Gesellschaftsmodell allgemeiner ständischer Gleichheit unter einer monarchischen Spitze stand, ist nicht vollkommen klar. 12 Nach einigen militärischen Erfolgen begannen die Aufständischen Mitte Juni mit der Belagerung von Temesvár, wurden aber am 15. Juli durch ein adliges Entsatzheer unter Johann Zápolya geschlagen, dem Wojewoden von Siebenbürgen und späteren ungarischen König. Wenig später wurde Dózsa, der seinerseits adlige Gegner hatte pfählen lassen, in einem grausamen Ritual mit einer glühenden Eisenkrone als falscher Herrscher verhöhnt und getötet; dabei wurden seine Anhänger angeblich gezwungen, Teile seines Körpers zu essen. Auch andere Kapitäne und Anstifter wurden gnadenlos hingerichtet, die Masse der Aufständischen nach Bezahlung der Schäden jedoch freigelassen, „ da der Adel ohne das Bauerntum nicht viel Wert ist “ . 13 Insgesamt ist der ungarische Bauernaufstand ein gutes Beispiel für die ungeplanten und überraschenden Dynamiken von Aufstandsbewegungen: Plötzlich wurde das Kreuzzugsgeschehen zu einer Arena für den Austrag sozialer Konflikte zwischen dem Gemeinen Mann und dem Adel, wobei die Wortführer dieses Gemeinen Mannes wohl vor allem gut betuchte Weinbauern und Viehhändler aus der ungarischen Tiefebene waren und zu den Aufständischen durchaus auch Kleinadlige und kleine Geistliche gehörten. 14 Die religiöse Heiligung des Aufstandes durch die Predigten der Bettelmönche trug offenkundig viel zu dieser Dynamik bei. In Oberungarn (der heutigen Slowakei), einem Zentrum der europäischen Kupfer- und Silberproduktion, kam es überdies seit 1500 zu Spannungen zwischen Bergarbeitern, den privilegierten Bürgern der Bergstädte und der Familie Thurzo, die das Amt der Kammergrafen von Kremnitz innehatte und gemeinsam mit den Augsburger Fuggern den Kupferhandel in großem Maßstab organisierte; diese Konflikte äußerten sich unter anderem in einem vereitelten Aufstandsversuch (1508) und Abgabenverweigerungen (1515). 15 12 Ebd., S. 171 f. 13 So der Beschluss des ungarischen Reichstags, zit. nach ebd., S. 180 f.; zum Hinrichtungsritual ebd., S. 178 f. und die Abbildungen S. 189 f. 14 Ebd., S. 176. 15 Kalus, Die Fugger, S. 66 - 99. 56 3 Eine Welt in Unruhe <?page no="57"?> Der europaweite Rundumblick eröffnet eine wichtige Vergleichsebene. Die Unruhen in Frankreich und England, Schweden und Ungarn griffen weit aus und besaßen jeweils für das gesamte Königreich Bedeutung. Demgegenüber waren die Revolten und Unruhen im Reich vor dem Bauernkrieg von 1525 kleinräumig auf ein begrenztes Gebiet bezogen. Ihre Zahl war dafür umso größer: allein auf dem Land hat man 59 Empörungen gezählt, zu denen zahlreiche weitere städtische Erhebungen hinzuzurechnen wären. Ihr räumlicher Schwerpunkt lag im Süden des Alten Reiches, unterhalb des Mains bzw. der Donau. Zeitlich massierten sie sich besonders in der Zeit vor und nach 1500, fast die Hälfte von ihnen fiel in die Zeit von 1475 bis 1525. 16 Die Dimensionen des jeweiligen Aufstandes konnten dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Als „ Butzenkrieg “ , also wohl eine Art Mummenschanz, wurde jene Auseinandersetzung verharmlost, die sich im August 1514 in der bischöflich-straßburgischen Enklave Rufach (Rouffach) im Elsass abspielte. 17 Aber immerhin belagerten hier 1500 Untertanen den bischöflichen Vogt in seinem Schloss, in das sich zudem auch die Führungsschicht der nahegelegenen Stadt geflüchtet hatte. Bauern und einfache Bürger hatten sich hier zusammengetan, um gegen das Willkürregiment einer Führungsclique städtischer Honoratioren und bischöflicher Amtsträger zu protestieren. Zu größeren Bauernaufständen kam es z. B. in den innerösterreichischen Grenzlanden, zunächst 1478 in Kärnten, wo ein Bauernbund gegen die neuen Abgaben der Grundherren rebellierte und den mangelnden Schutz gegen türkische Überfälle beklagte. Noch weitere Ausdehnung erlangte dann der slowenische ( ‚ Windische ‘ ) Bauernaufstand von 1515, der größere Teile der Steiermark, Kärntens und der Krain erfasste. 18 Wesentlich begrenzter waren Empörungen wie diejenigen in den oberschwäbischen geistlichen Territorien. So wehrten sich die Untertanen des reichsunmittelbaren Klosters Ochsenhausen ab 1496 gegen ihre schlechte Rechtsstellung als nicht erbberechtigte Leibeigene des Abts. 19 Sie verweigerten ihm die Huldigung und ihre Abgaben. Als das immer noch nichts nutzte, griffen sie zu militanten Mitteln und drohten mit Gewalt. Der herbeigerufene Schwäbische Bund half bei der Niederwerfung des Aufruhrs, vermittelte aber einen Vertrag zwischen Kloster und Bauern, der das Erbrecht der letzteren entscheidend verbesserte. Bereits fünf Jahre zuvor, im Jahr 1491, hatten sich die Bauern in der Fürstabtei Kempten zu einer Einung zusammengeschlossen. 20 Ein 16 Bierbrauer, S. 26 ff., S. 62 ff. (Liste) 17 Scott, Butzenkrieg; Franz, Aktenband, Nr. 16, S. 114 ff. 18 Dolinar, Die Bauernaufstände [im Titel wohl ein Zahlendreher, statt „ 1487 “ sollte es „ 1478 “ heißen]. 19 Blickle, Landschaften, S. 112 ff., kurz ders., Unruhen, S. 14 f. 20 Blickle, Landschaften, S. 322 f. 3 Eine Welt in Unruhe 57 <?page no="58"?> Schlichtungsversuch des Schwäbischen Bundes mündete nur vordergründig in eine Versöhnung, zu einseitig vertrat er die Interessen der herrschaftlichen Seite. Die Bauern versuchten, den Abt vor das kaiserliche Hofgericht zu zitieren, der Bund brandschatzte ihre Dörfer, über 200 Betroffene flüchteten in die Eidgenossenschaft - „ ein prophetisches Vorspiel für die Ereignisse des Jahres 1525 “ . 21 Im Oktober 1492 sahen sich die Bauern genötigt, auf einem Tag zu Memmingen einem Vertrag zuzustimmen, in dem der gegenseitige Austrag der Beschwerden in Aussicht gestellt wurde. Bis 1525 sollte sich dieses Versprechen nicht erfüllen. Verallgemeinern lassen sich die Vorgänge in den beiden Klosterherrschaften nicht. In der Reichsabtei Ottobeuren etwa wurden in den Jahrzehnten vor dem Bauernkrieg größere Unruhen dadurch vermieden, dass es dem Abt und seinen Herrschaftsunterworfenen in der Regel gelang, auf dem Verhandlungsweg die Beschwerden der Untertanen abzustellen. 22 21 Erhard, Bauernkrieg, S. 4. 22 Sreenivasan, Ottobeuren, S. 35 f. 58 3 Eine Welt in Unruhe <?page no="59"?> 4 Bundschuh und Armer Konrad „ Bundschuh “ und „ Armer Konrad “ dürfen mit Fug und Recht als die beiden markantesten Aufstandsbewegungen im Vorfeld des Bauernkriegs von 1525 angesprochen werden, „ Ausdruck einer tiefgreifenden Krise im Verhältnis von Obrigkeit und Untertan im deutschen Südwesten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit “ . 1 Keine andere Empörung kam einem Massenaufstand so nahe wie jene, die 1514 weite Teile des Herzogtums Württemberg erschütterte und innerhalb des Territoriums nachhaltige Entwicklungen in Gang setzte. In der einflussreichen historischen Erzählung von Günther Franz stand der Arme Konrad allerdings im Windschatten der Bundschuhverschwörungen am Oberrhein. Während es sich bei ersterem lediglich um eine Facette des Kampfes um das „ Alte Recht “ gehandelt habe, stand danach der Bundschuh bereits im Zeichen des „ Göttlichen Rechts “ und habe damit dem Bauernkrieg den Weg bereitet. 2 Dabei war seine Sicht des Bundschuh stark geprägt von der Arbeit des evangelischen Pfarrers und Archivars Albert Rosenkranz, der mit seiner Quellenedition wenige Jahre zuvor eine bis heute unverzichtbare Grundlage für das Studium des Bundschuh geschaffen, zugleich aber auch mit seinen phantasievoll ausgeschmückten Interpretationen so manch falsche Fährte gelegt hatte. Die historischen Forschungen der letzten Jahrzehnte, oft befeuert vom fünfhundertjährigen Gedenken, hat hinter viele gängige Interpretamente ein Fragezeichen gesetzt, ohne dass es bisher zu einer wirklich umfassenden Neubewertung gekommen wäre. So kann z. B. der Sammelband zum Bundschuh aus dem Jahr 2004 3 als Wegmarke für eine begonnene Revision erscheinen, die auf halbem Weg stecken geblieben ist. Auch die vorliegende Arbeit kann dieses Desiderat nicht wirklich füllen, sondern will lediglich im groben chronologischen Durchgang durch die Ereignisse ein Fundament legen, auf dem künftige vertiefende Forschungen aufbauen können. 1 Buszello, Bundschuh und Armer Konrad, S. 42. 2 Franz, Bauernkrieg, S. 33 ff. bzw. S. 92 ff. 3 Blickle/ Adam, Bundschuh. <?page no="60"?> 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 Der Bundschuh war eine lederne Fußbekleidung, die mit einem Band über dem Knöchel zusammengebunden bzw. mit einer Schließe befestigt wurde. 4 Das Objekt stand seit jeher pars pro toto für die einfache, grobe Bauernkleidung und konnte deshalb später, einer gewissermaßen natürlichen Logik folgend, zum Zeichen für Bewegungen des gemeinen Mannes werden. So weit die etablierte Deutung. Manche Befunde aber widersprechen dieser Interpretation. 5 Auf Bildzeugnissen jener Jahrzehnte werden Bauern durchaus nicht typischerweise durch ihre Bundschuhe charakterisiert, im Gegenteil tragen auch die Angehörigen anderer Stände dieses Schuhwerk. Auch besaßen Bundschuh-Gruppierungen nicht von vornherein eine „ bäuerliche “ Konnotation. 1398 wurde der Rheinische Städtebund als „ großer Bundschuh “ bezeichnet, und der streitlustige Graf Oswald von Thierstein führte noch 1473 mit zwei jungen adligen Gefährten ein Fähnlein mit sich, auf dem ein Bundschuh abgebildet war. 6 Diese Ritter mögen den Bundschuh vor allem als Symbol für den Zusammenhalt der jeweiligen Gruppe verstanden haben, für deren ‚ Bund ‘ . 7 Aber bereits im Jahr 1443 fungierte der Bundschuh als Zeichen des Widerstands gegen die Obrigkeit, als sich das Dorf Schliengen gegen eine außerordentliche Steuer seines Landesherrn, des Bischofs von Basel, zur Wehr setzte. Nach dem Wortlaut einer späteren Unterwerfungsurkunde der Gemeinde hat bei dieser Gelegenheit „ einer von uns einen Bundschuh öffentlich auf einer Stange aufgeworfen zu einem Zeichen, wer in dieser Sache wider unsern gnädigen Herrn sein wollte, dass der zu dem Bundschuh stehen möchte “ . 8 Immer mehr sollte der Bundschuh in den folgenden Jahrzehnten zu einem zentralen Symbol für organisierten Protest gegen die Obrigkeit werden. 4 Gall, Bundschuh, S. 179, Abb. S. 182; was im Katalog 500 Jahre Armer Konrad, S. 32, als Reste eines erhaltenen Bundschuhs aus dem Kloster Alpirsbach abgebildet ist, entspricht diesem Typus nicht unbedingt. 5 Zentral Franz, Geschichte des Bundschuhs; neueste Darstellung bei Huber, Unruhe, S. 314 ff. Ich folge hier eher dem wenig beachteten Aufsatz von Gall, Bundschuh, der vor Rückprojektionen des im frühen 16. Jahrhundert geläufigen Begriffsverständnisses in die vorherige Epoche warnt. 6 Dazu Wackernagel, Hinweise. 7 Vgl. Gall, Bundschuh, S. 182, der Reinhart Koselleck und dessen Artikel „ Bund “ als Ursprung dieser Hypothese ausweist. Inhaltlich wurde sie allerdings bereits von Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 523, formuliert, bezogen indes erst auf die Spätzeit des Lehener Bundschuhs von 1513. Elemente einer älteren positiven Bedeutung des Bundschuh-Symbols finden sich noch in „ Ein warhafftige historij von dem Kayser Friderich [ … ] “ , Augspurg 1519 [VD16 W 314]; vgl. Adam, Neues von Joß Fritz, S. 484 ff. 8 Zit. nach Franz, Geschichte des Bundschuhs, S. 9 f. 60 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="61"?> Nach der kryptischen Erwähnung eines Ulmer Bundschuhs im Jahr 1450 stammt das nächste einschlägige Schriftzeugnis aus dem Jahr 1460. 9 18 Adlige aus dem Hegau richteten damals einen dringenden Hilferuf an den Bischof von Konstanz gegen ihre aufständischen Bauern. Diese wären nach Schaffhausen gezogen und hätten dort ein Fähnlein aufgesteckt, worauf ein Pflug und ein Bundschuh abgebildet gewesen seien. Damit hätten sie in der Stadt und in der gesamten Eidgenossenschaft Hilfe für ihre Anliegen mobilisieren wollen. Auch über die Ziele der Aufständischen, die sich offenbar auch selbst mit dem Kollektivsingular „ der Bundschuh “ bezeichneten, gibt der Brief Aufschluss: Sie wollten den Herren nicht mehr als die gewöhnlichen, also die herkömmlich gebräuchlichen Frondienste leisten; Strafen sollten nicht willkürlich, sondern nur „ mit Recht “ verhängt werden; und die Erbschaft solle nicht mit der Abgabe des Todfalls belastet sein. Diese konkreten Forderungen sind alles andere als revolutionär und stehen in einem gewissen Kontrast zum alarmistischen Zungenschlag des Hilfeersuchens, in dem die Sorge formuliert wird, durch das Überhandnehmen der Unruhen könne Unterdrückung und Vertreibung für alle deutschen Fürsten, Herren, Ritter und Knechte, für alle Ehrbarkeit, ja für die ganze Christenheit drohen. Das tatsächliche Geschehen war wohl erheblich kleiner dimensioniert: Es handelte sich um eine Revolte des gemeinen Mannes in der Herrschaft Hewen gegen die Grafen von Lupfen, die diese Herrschaft vor einigen Jahrzehnten als Pfand für die enormen Schulden übertragen bekommen hatten, die die Habsburger bei ihnen gemacht hatten. Als getreue Diener des Hauses Habsburg waren die Grafen in deren kriegerische Auseinandersetzungen, insbesondere gegen die Eidgenossen, involviert. Mit vielen Nachbarn standen sie aufgrund ihrer resoluten Ausdehnungspolitik ebenfalls im Streit. 10 Die Beschwerden ihrer Untertanen fügten sich stimmig in dieses Bild. Die adligen Briefeschreiber wiederum waren allesamt habsburgische Gefolgsleute und versuchten, den bislang neutralen Bischof von Augsburg auf die habsburgische Seite zu ziehen und gegen die Eidgenossen in Stellung zu bringen. Insofern erscheint der Bundschuh des Jahres 1460 als ein Mosaikstein in einem größeren Konflikt zwischen den beiden regionalen Vormächten der Habsburger und der Eidgenossen, ein Mosaikstein von bescheidenen Ausmaßen zudem: Bei der Herrschaft Hewen handelte es sich um ein Kleinstterritorium mit der Stadt Engen im Mittelpunkt. Manche Aspekte dieses Bundschuhs wiesen trotzdem in die Zukunft. Die konkreten Forderungen nach Begrenzung der Fronen, rechtsförmiger Strafjustiz und Abschaffung des Todfalls sollten auch bei späterer 9 Edition bei Köhn, Hegauer Bundschuh, S. 139 ff.; sein Aufsatz repräsentiert auch den gültigen Forschungsstand zum Thema. 10 Oka, Stühlingen, S. 147 f. 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 61 <?page no="62"?> Gelegenheit häufig erhoben werden. Auch das von der Gegenseite formulierte Bedrohungsszenarium, der Bundschuh ziele auf einen Umsturz der sozialen Ordnung schlechthin, wurde später reaktiviert und intensiviert. Für beide Seiten spielte das Bündnis mit den Eidgenossen dabei eine Schlüsselrolle. Habsburg-Österreich und seine Gefolgsleute identifizierten sich mit Adel und Ehrbarkeit, während die ‚ bäurische ‘ Eidgenossenschaft auf deren Unterdrückung ziele. Für den gemeinen Mann im deutschen Südwesten besaß die Schweizer Freiheit umgekehrt durchaus ein gewisses Verheißungspotenzial, er sah die Eidgenossen als potentielle Verbündete im Kampf gegen ihre adligen Herren. Auch dieser „ Traum “ blieb in den Jahrzehnten bis 1525 lebendig und verstärkte die bäuerliche Aufstandsbereitschaft, auch wenn sich die erwartete eidgenössische Hilfe stets aufs Neue „ als eine unrealistische Hoffnung “ erweisen sollte. 11 Über ein Vierteljahrhundert nach der Erwähnung eines Bundschuhs im Hegau kam es im Elsass zu einer Unruhe, die als erstes wirkliches Glied der Kette von Bundschuh-Erhebungen im Vorfeld des Bauernkrieges gilt. Mit Blick auf die gerade skizzierten Ereignisse wird sie zugleich als „ Fortgang der Bundschuh-Bewegung “ 12 beschrieben und so suggeriert, es habe sich beim Bundschuh um eine einheitliche Bewegung des südwestdeutschen Bauernstandes gehandelt, die - unbeschadet lokal unterschiedlicher Forderungen - das übergreifende Ziel verfolgte, „ sich durch allgemeinen gewaltsamen Aufstand von dem wirtschaftlichen und sozialen Druck zu befreien, der damals auf dem niederen Volk lastete “ und die in einer seit Jahrzehnten existierenden revolutionären Tradition wurzelte. 13 Diese Ursachen und Anlässe einer solch übergreifenden Bewegung mussten entsprechend schwerwiegend sein, und so zeichneten die Geschichtsschreiber ein weitläufiges Krisenpanorama, das neben sozioökonomischen Faktoren insbesondere der politischen Lage an der Peripherie des Reiches, den Herausforderungen durch Frankreich und die Eidgenossen besondere Aufmerksamkeit zollte; Redewendungen wie die vom „ nationalen Abwehrkampf “ zeigen, dass hier alte nationalkonservative Interpretationsmuster eine wichtige Rolle spielten. 14 Demgegenüber war die pure Ereignisebene historiographisch weniger ergiebig, sie gab - wie wir sehen werden - einfach faktisch zu wenig her. Umso wichtiger scheint es, einiger- 11 Köhn, Der Hegauer Bundschuh, S. 125 f. 12 Franz, Bauernkrieg, S. 95. 13 Rosenkranz I, S. 3, 12. 14 Franz, Bauernkrieg, S. 96; vgl. noch Bischoff, La guerre, S. 93; vgl. Sieber-Lehmann, Spätmittelalterlicher Nationalismus, für eine angemessenere Konzeptualisierung. 62 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="63"?> maßen vorsichtig Wunsch und Wirklichkeit zu trennen und die Quellen selbst auf ihre Belastbarkeit hin zu überprüfen. Der Aufstandsversuch von 1493 ist vergleichsweise gut dokumentiert. 15 Am 23. März versammelten sich drei Dutzend Männer aus neun Orten auf dem Ungersberg, einer 900 Meter hohen Erhebung am Ostrand der Vogesen, 17 Kilometer von der Reichsstadt Schlettstadt entfernt und selbst von den nächstgelegenen Dörfern nur durch einen zweistündigen Fußmarsch zu erreichen. Mit Bedacht hatten die Initiatoren ihre handverlesenen Adressaten an diesem einsamen Ort zusammengerufen, um dort heikle Angelegenheiten zu besprechen. Zu Beginn ließ Jakob Hanser alle Anwesenden einen Verschwiegenheitseid ablegen. In Hanser, dem Schultheißen des Dorfes Blienschweiler (Blienschwiller), haben wir wohl den „ Anfänger der Bewegung “ vor uns, denjenigen, der die ersten konspirativen Gespräche Mitte Februar initiiert und die Werbungen in den folgenden Wochen vorangetrieben hatte. Auch bei anderen Männern der ersten Stunde handelte es sich um gemeindliche Amtsträger oder Gerichtsboten von Dörfern der Umgebung, die vor allem dem Bischof von Straßburg oder dem habsburgischen Landvogt untertan waren; neben Blienschweiler waren die Orte Nothalten, Dambach und Stotzheim jeweils mehrfach vor Ort vertreten. 16 Bereits im Februar hatte Hanser mit dem Mann Kontakt aufgenommen, der auf dem Ungersberg ebenfalls anwesend war und aufgrund seines Sozialprestiges dort sofort die Führung übernahm: Hans Ulmann, vormals Bürgermeister von Schlettstadt. Seit 1479 hatte Ulmann für die Metzgerszunft im Rat der Stadt gesessen, 1488 als Hauptmann das städtische Hilfskontingent von 40 Fußsoldaten im Burgundischen Erbfolgekrieg auf der Seite König Maximilians gegen die Stadt Brügge geführt und 1489/ 90 als Bürgermeister amtiert. Danach erfuhr seine Karriere einen steilen Knick: In verschiedene Streitigkeiten innerhalb der Stadt verstrickt, wurde er 1492 nicht im Bürgermeisteramt bestätigt; das mochte er als unverdiente Schmach empfunden und ihn für die aufrührerischen Gedanken Hansers empfänglich gemacht haben. Nach Blienschweiler hatte er persönliche Beziehungen, vielleicht stammte er von dort und war mit Hanser verwandt, jedenfalls besaß er vor Ort Güter. 17 Auf den Ungersberg begleitete ihn nur 15 Ausgangspunkt für die Ereignisse von 1493 ist Rosenkranz I, S. 26 ff. bzw. ders. II, S. 1 ff.; vor allem auf dieser Grundlage Franz, Bauernkrieg, S. 95 ff.; zum stadthistorischen Kontext Gény, Die Reichsstadt Schlettstadt, S. 5 ff.; zuletzt Bischoff, Le Bundschuh; ders., La guerre, S. 83 ff. 16 Vgl. die Listen bei Rosenkranz I, S. 60 f. und Bischoff, Le Bundschuh, S. 62; Franz, Bauernkrieg, S. 98, bezeichnet Blienschweiler, Zell und Nothalden als Reichsdörfer, was aber nach Bischoff (S. 60) nicht stimmt. 17 Franz, Bauernkrieg, S. 98 mit Fn. 2; Gény, Schlettstadt, S. 9. 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 63 <?page no="64"?> ein weiterer Gesinnungsgenosse aus der Reichsstadt, sein dortiger Anhang scheint überschaubar gewesen zu sein; für seine Prahlerei, er könne drei- oder vierhundert Mann aus der Stadt mobilisieren, gibt es keine belastbaren Indizien. 18 Insgesamt handelte es sich um eine Versammlung bäuerlicher Honoratioren der umliegenden Dörfer, die durch Ulmanns Anwesenheit zusätzliches Gewicht bekam. Auf dem Ungersberg wurde dieser neben Jakob Hanser, Klaus Ziegler von Stotzheim und Ulrich Schütz von Andlau zu einem der vier Hauptleute gewählt. Ebenso selbstverständlich war es Ulmann, der vorher auf der konspirativen Versammlung auf dem Berg die drei Artikel vorgetragen hatte, die sich in den Vorberatungen als zentrale Forderungen herauskristallisiert hatten: Abstellung des geistlichen Gerichts in Straßburg und des Hofgerichts in Rottweil sowie Vertreibung der Juden. Dieses Minimalprogramm ist ebenso prägnant wie limitiert. Die beiden genannten Gerichte, so Ulmann, belasteten den „ armen Mann “ schwer: Die Bannbriefe des geistlichen Gerichts verursachten ihm hohe Kosten und die Achterklärung des kaiserlichen Hofgerichts würde ihn vertreiben. 19 Diese negative Einstellung gegenüber den beiden Gerichtshöfen ist nicht schwer zu erklären. Das Straßburger Offizialatsgericht hatte seine Tätigkeit weit über den eigentlichen Kernbereich hinaus ausgedehnt und konnte immer dann angerufen werden, wenn in irgendeiner Weise geistliche Güter oder Personen involviert waren - und eine Rechtfertigung für solch ein Eingreifen ließ sich fast immer konstruieren. Das altehrwürdige kaiserliche Hofgericht zu Rottweil wiederum war zwar eigentlich nur eine Urteilsinstanz unter vielen im Reich, besaß aber doch einen weiten Wirkungsbereich im Südwesten des Reiches; viele zivile Streitsachen aus dem Elsass wurden vor seine Schranken gezogen. Hartnäckig, wenn auch nicht durchgehend erfolgreich, versuchten die größeren Städte der Region, ihre rechtliche Autonomie zu wahren und ihre Bürger von der Rechtsprechung der Gerichte abzuschotten. Auch die Menschen im Dorf fühlten sich oft durch die Urteile aus Straßburg oder Rottweil benachteiligt, konnten sich diesen aber schwerer entziehen als die Städter; gerade ein Repräsentant der lokalen Gerichtsbarkeit wie der Blienschweiler Schultheiß Hanser musste das als Ärgernis empfinden. In der schriftgestützten und nach gemeinem Recht vorgehenden Prozessführung war der gemeine Mann ohne einen teuren Rechtsbeistand wohl kaum in der Lage, sich angemessen zu 18 Vgl. das Bekenntnis Klaus Zieglers von Stotzheim bei Rosenkranz II, Nr. 10, S. 14 ff., hier S. 15, das neben der Urgicht von Hans Ulmann selbst (ebd. Nr. 18, S. 22 ff.) ein wichtiges Quellenzeugnis darstellt. 19 Rosenkranz II, Nr. 18, S. 23; vgl. zu den Beschwerden und ihren Hintergründen ebd. I, S. 26 ff.; Franz, Bauernkrieg, S. 99 ff.; Mentgen, Hofgericht Rottweil; Bischoff, La guerre, S. 93 ff. 64 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="65"?> verteidigen. Kamen dann noch Korruption und Vetternwirtschaft hinzu, die eine gerechte Verfahrensführung durchkreuzten, wie es jedenfalls für das geistliche Gericht Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert ist, dann konnte sich der Ärger zu Wut und Protest steigern. 20 Der dritte Punkt, die Vertreibung der örtlichen Juden, war sachlich stärker mit dem vorangegangenen verknüpft, als es zunächst den Anschein hat. Denn das Hofgericht zu Rottweil „ wurde von den Juden mit Vorliebe aktiviert, um mit ihren Leistungen in Rückstand geratene oder ruinierte Schuldner zur Einlösung ihrer Zahlungsverpflichtungen zu zwingen “ . 21 Dass die Juden verstärkt in den Fokus bäuerlicher Beschwerden rückten, hat aber auch mit ihrer starken Präsenz auf dem Land in dieser Zeit zu tun. Lange Zeit hatten sie im Elsass wie in anderen mitteleuropäischen Regionen vorwiegend in Städten gelebt. Periodisch litten die Judengemeinden dort immer wieder unter Pogromen und Vertreibungen, ohne dass sich daran etwas änderte. Aber nach einer Verfolgungs- und Fluchtwelle in den Jahren 1476/ 77, ausgelöst u. a. durch den Zug eidgenössischer Söldner durch das Land, änderte sich das jüdische Siedlungsmuster: Viele Städte der Region vertrieben ‚ ihre ‘ Juden, darunter auch Schlettstadt, wo es zwischenzeitlich eine große Judengemeinde gegeben hatte; 1479 erwirkte die Reichsstadt ein kaiserliches Privileg zur Vertreibung ( „ de non tolerandis Judeis “ ). Als Reaktion auf diesen Verdrängungsprozess kam es in den Jahrzehnten um 1500 zu einer massiven Zunahme des Landjudentums. 22 Gerade in Orten wie Dambach, Blienschweiler und Nothalden, aus denen viele Verschwörer kamen, ist zu dieser Zeit auch jüdisches Leben nachweisbar. In Dambach lebte in dieser Zeit Han Landau, aus einer Gelehrtenfamilie stammend und jedenfalls eine der „ Führungspersönlichkeiten der deutschen Juden “ , der später nach Colmar übersiedelte. 23 Er und seine Glaubensgenossen betätigten sich als Kreditgeber für Adlige, Bürger und eben auch für die umliegenden Bauern. Immer wieder machte sie diese Funktion zu Zielen kirchlicher Angriffe auf den „ Wucher “ der Juden. 24 Selbst ein humanistischer Feingeist wie der gebürtige Schlettstädter Jakob Wimpfeling sollte 1495 nicht davor zurückscheuen, mit starken Worten vom Kanzler des Hochstifts Straß- 20 Rosenkranz und Frenzel stützen sich auf Stenzel, Die geistlichen Gerichte I, S. 395 ff., dessen Darstellung auf einer anonymen Denkschrift aus der Zeit 1436/ 45 stammt; inwieweit ihre Klagen auf die spätere Zeit übertragen werden kann, ist unklar. 21 Mentgen, Das kaiserliche Hofgericht, S. 396. Vgl. Mentgen, Juden, passim, für alle einschlägigen Informationen zu den elsässischen Judengemeinden im Spätmittelalter. 22 Mentgen, Juden, S. 65 ff., S. 593 sowie Karte G im Anhang; zu Schlettstadt S. 282 ff., bes. S. 295. 23 Ebd., S. 223, vgl. S. 224 f. 24 Vgl. differenzierend zum kirchlichen „ Wucherverbot “ für Juden und Christen Gilomen, Wucher. 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 65 <?page no="66"?> burg die Vertreibung der Juden aus seiner Pfarrgemeinde Sulzbad zu fordern: Es handele sich um Feinde Christi, um Verächter kirchlicher Zeremonien und Sakramente, vor allem aber offenkundig um treulose Wucherer und Blutsauger. 25 Ähnlich beklagte zwei Jahre später König Maximilian selbst, die Vertreibung der „ judichheit “ aus den Städten habe dazu geführt, dass „ sy auf dem lannd in dorffern sitzen und dem gemeinen mann mit diebstal und in andere weg “ belaste. 26 So schließt der dritte Artikel der Verschwörer vom Ungersberg, der die Vertreibung der Juden aufgrund ihres Wuchers fordert, an eine weitverbreitete Wahrnehmung an. Dass sie ihre Wirkung bei der Werbung potentieller Anhänger nicht verfehlte, bezeugt die Aussage eines gewissen Konrad von Mühlhausen aus Dambach: Als ihm die Kunde über den betreffenden Artikel zugetragen worden war, habe er für sich gedacht, „ wie Hane der jude inen und vill armer fromer gesellen mit wucher hette verderbt, möchten dan die juden mit wissen unsers gnedigen hern etc. vertriben und die schulde, (die) er Hane (dem) juden schuldig were, also abgetilgt werden, (das) möchte nit böse sin. “ 27 Über die tatsächlichen Kreditpraktiken von Männern wie Han Landau sagen derartige Verdikte wenig aus. Überzogene Forderungen und Betrug sind nicht auszuschließen, aber allein das konsequente Eintreiben von Schulden (erzwungen im Übrigen nicht zuletzt durch die hohen Belastungen, die König, Landesherren und Stadträte den Judengemeinden immer wieder auferlegten) mochte angesichts der ständigen Wucher-Vorwürfe anstößig erscheinen; und die Verlockung, die lästigen Schulden durch Vertreibung der Schuldner loszuwerden, war - so zeigt das Beispiel Konrads - groß. Insgesamt besaßen die drei Artikel also durchaus einige Attraktivität und waren für Menschen auf dem Land, aber auch in der Stadt anschlussfähig. 28 Dennoch zögert man, in den Artikeln eine wirkliche programmatische Grundlage für eine groß angelegte Verschwörung zu sehen, erst recht, wenn nach Ulmanns eigener Darstellung vor dem eigentlichen Aufstand ein Zug zum Vogt von Epfing geplant war, dem man die Beschwerden anzeigen wollte in der Hoffnung, dass sie abgestellt würden. Erst einmal den offiziellen Beschwerdeweg beschreiten zu wollen, bevor man die Verschwörung in Gang setzt, das klingt wie eine Schutzbehauptung des Ex-Bürgermeisters, um das eigentliche Aufstandsziel zu verbergen. In seinem (sicher unter Anwendung der ‚ peinlichen Frage ‘ zustande gekommenem) Basler Bekenntnis ist denn auch von weiterreichenden Plänen zur gewaltsamen Einnahme von Schlettstadt die Rede; wer 25 Mentgen, Juden, S. 520. 26 Zit. nach Bischoff, Le Bundschuh, S. 67. 27 Rosenzweig II, Nr. 37, S. 60; vgl. insgesamt Mentgen, Juden, S. 460 f. 28 Die Charakterisierung als „ rein bäuerliche Forderungen “ bei Franz, Bauernkrieg, S. 99 scheint mir irreführend. 66 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="67"?> Widerstand leiste, solle erstochen werden. 29 Es waren vermutlich nicht die späteren Ankläger, die Ulmann mit seiner Angabe, zunächst sozusagen den „ Dienstweg “ beschreiten zu wollen, milde zu stimmen hoffte, sondern die auf dem Ungersberg Versammelten, denen er damit das geplante Vorhaben schmackhaft machen wollte. Die drei Artikel stellten gleichsam den kleinsten gemeinsamen Nenner zur Mobilisierung eines breiten Anhangs dar. Mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand wurden weitergehende Ziele diskutiert: Den Priestern sollte lediglich eine Pfründe gelassen werden mit einem Ertrag von nicht mehr als 40 oder 50 Gulden; und den Herren sollten keine Steuern und Abgaben entrichtet werden, „ denn allein iede person 4 pf(ennig)e, und welher sich dawider satzte, denselben ze tod ze schlachen “ . 30 Offenbar zirkulierten derartige Parolen eher im inneren Zirkel der Verschwörer, wurden vielleicht im größeren Kreis eher andeutungsweise formuliert. Nach der Versammlung auf dem Ungersberg sollte die Werbung, gleichsam im Schneeballsystem, weitergehen; in Zürich und Basel sollte um Unterstützung nachgesucht werden. Aber das Unternehmen stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Trotz der sorgsamen Vorauswahl der Angesprochenen zeigten sich keineswegs alle vom Vorhaben überzeugt - sicher auch ein Indiz für die unklaren, ja widersprüchlichen Ziele. Hans Blum aus Dambach schildert etwa, wie er wiederholt vom Gerichtsboten Peter Heyden auf den Ungersberg gefordert worden war; nach seiner Schilderung war die Autorität dieser Amtsperson so groß, dass er sich dem kaum entziehen konnte. Was er dort hörte, gefiel ihm nach seiner Darstellung jedoch ganz und gar nicht. Er habe Heyden und anderen Verschwörern nicht nur gesagt, „ er wolt mit der sach gar nit zu schaffen haben “ , sondern er habe seinen Eid formell „ abgekündet “ , also wohl für nichtig erklärt. Außerdem habe er seine Gesprächspartner ermahnt, sie „ sollten der bösen sachen mußig geen “ ; wenn sie darauf beharrten, „ so weren nit henker gnug im lande, innen die köpfe abzuslagen “ . 31 Auch Jacob Renner, den man mit dem Versprechen auf „ eine gute Sache “ zur Versammlung auf dem Berg lockte, kam nur widerwillig: Sie sollten ihn lieber daheim lassen, wenn seine Hausfrau nachfrage, käme die Sache ans Licht. Als er dennoch auf dem Berg erschien, wurde er Zeuge martialischer Maßregeln unter den Verschwörern: Wer etwas ausplaudere, sollte von den anderen erstochen werden, wer gefangen genommen werde, solle sich eher „ zerreißen “ lassen, als etwas zu gestehen. Wieder in Dambach zurück, habe auch er sich gegenüber Peter Heyden umgehend wieder von der Sache distanziert: Ihm sei die Sache 29 Rosenzweig II, Nr. 18, S. 23. 30 Ebd. 31 Rosenkranz II, Nr. 37 (4), S. 55 f. 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 67 <?page no="68"?> „ widderwertig und nit gefellig, wann es wider kunig und keiser wäre “ . Selbst wenn man 6000 Mann zusammenbekäme, würde das Vorhaben nicht gelingen. Nachdem er zunächst den Schwur getätigt hatte, distanzierte er sich später von diesem „ Bubeneid “ . 32 Natürlich waren derartige Aussagen vom Bemühen geprägt, sich möglichst demonstrativ von den Aufständischen zu distanzieren. Aber auch andere Verschwörer scheinen nicht mit Überzeugung bei der Sache gewesen zu sein. Anders ist es kaum zu erklären, dass es nur wenige Tage dauerte, bis die Sache gleich an mehreren Orten aufflog. 33 Keine Woche später, spätestens am Freitag, den 29. März, waren Informationen über die Verschwörungspläne bis zum Vogt von Epfing durchgesickert, der obrigkeitliche Gegenmaßnahmen zu organisieren begann. In Dambach läuteten zwei Tage später, am Palmsonntag, die Sturmglocken zum Zeichen der Bedrohung der öffentlichen Ordnung. An diesem Tag, genau eine Woche nach der Ungersberg-Versammlung, traf sich der harte Kern der Aufständischen noch einmal in einem abgelegenen Tal, um den Eid unter aufgerichteten Spießen mit martialischen Worten zu bekräftigen und zu erneuern. In Wirklichkeit gingen die Aufständischen wenig später ohne jede Gegenwehr auseinander; ein jeder suchte sich, so gut es ging, vom Sog des drohenden Strafgerichts zu befreien. 34 Jakob Hanser hatte wohl das Glück, gerade zur Frankfurter Fastenmesse aufgebrochen zu sein; er wurde wahrscheinlich vor der Rückkehr gewarnt und tauchte unter. Auch dem Gerichtsboten Peter Heyden gelang die Flucht. Hans Ulmann entzog sich der unmittelbaren Verhaftung in der Verkleidung eines Wallfahrers und bewegte sich in Richtung Eidgenossenschaft. Vergebens versuchte er in den Osterwochen, Unterstützer aus Straßburg bzw. aus dem Landadel zu gewinnen. Schließlich wurde er auf Ersuchen Schlettstadts in Basel verhaftet, verhört und schließlich Ende Mai hingerichtet. Das gleiche Schicksal hatte bereits zwei Wochen früher in Schlettstadt selbst Klaus Ziegler ereilt, dessen viergeteilter Leib zur Abschreckung an den Landstraßen vor den Toren der Stadt ausgestellt wurde; später sollte es dem zweiten Schlettstädter Bürger, der Ulmann auf den Berg begleitet hatte, ähnlich gehen. Der vierte auf dem Ungersberg erwählte Hauptmann, Ulrich Schütz, kam nach längerem Hin und Her mit dem Abhauen der beiden Finger davon, mit dem er den aufrührerischen Eid geschworen hatte. Ihre Schwurfinger verloren auch etliche andere Angeklagte; zum Teil konnten sie die Strafe wohl durch Geldzahlungen abwenden. Einige wurden zusätzlich mit 32 Ebd. (6), S. 58 f. 33 Im Einzelnen detailliert Rosenkranz I, S. 80 ff. 34 Dazu ebd., S. 89 ff. 68 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="69"?> Landesverweisung belegt. Die Übrigen kamen mit mehr oder weniger schweren Geldstrafen sowie Ehrenstrafen davon. Insgesamt wurden 40 Personen von den rund 110 namentlich bekannten Aufständischen durch verschiedene Gerichte mit Strafen belegt. Zum Teil gelang es den Vertriebenen über kurz oder lang, die Erlaubnis zur Rückkehr zu erhalten. Lange Zeit jedoch scheinen „ die Bundschuher “ in Blienschweiler, Dambach und anderen Orten im Fokus übler Nachrede und Schmähung gestanden zu haben, ein starkes Indiz dafür, dass ihr Anliegen keineswegs von der Mehrheit ihrer Nachbarn geteilt wurde. Im August 1496 gelang es ihnen immerhin, einen Freiheitsbrief König Maximilians ausgestellt zu bekommen, der sie nach ausgestandener Strafe von ihrer Handlung „ absolvierte “ ; sie wurden wieder für amts- und gerichtsfähig erklärt, und es wurde bei hoher Geldstrafe verboten, ihnen das vergangene Fehlverhalten in Zukunft öffentlich vorzuhalten. 35 Dementsprechend wurde Jakob Rudolf aus Nothalden im August 1497 vom Kammerprokurator Peter Völtsch wieder in seinen alten Stand gesetzt, nachdem er vor ihm kniend um Gnade gebeten sowie König und Reich Treue gelobt hatte. Das verhinderte nicht, dass Rudolf im Jahr 1508 zwar zum Schöffen gewählt, aber nicht angenommen wurde, „ aus ursach, daß er ein buntschucher geweßen sin sole “ . Zwei Brüder hatten ihn öffentlich als „ onmechtigen man und buntschucher “ gescholten, was wiederum lange Rechtsstreitigkeiten auslöste. 36 Die Bezeichnung der Verschwörung als „ Bundschuher “ ist 1493 noch eine Fremdzuschreibung von außen, keine Selbstbeschreibung. In einer während seiner Flucht, aber noch in Freiheit verfassten Rechtfertigungsschrift wehrt sich Hans Ulmann ausdrücklich gegen den Vorwurf, „ es si ein buntschuch gemacht. ist alles erlogen “ . Ebenso wie Klaus Ziegler sollte er aber später im Verhör zugeben, man habe vorgehabt, einen Bundschuh bzw. ein Banner mit einem Bundschuh „ aufzuwerfen “ , d. h. öffentlich zu präsentieren. Und im Gespräch kurz vor Palmsonntag habe einer seiner Anhänger ihm verkündet, „ er wurde bald ein ufgeworfenen puntschuh sechen “ . 37 ‚ Bundschuh ‘ meinte also keineswegs eine abstrakte Bewegung, sondern das konkrete Symbol, unter dem die Aufständischen zum Zeichen ihrer Verbundenheit künftig an die Öffentlichkeit treten wollten. Schnell wurden die Verschwörer allerdings von außen als „ Bundschuh Leute “ identifiziert wie in den Oberehnheimer Rechnungsbüchern vom Frühjahr 1493. 38 Der kaiserliche Freiheitsbrief von 1496 spricht ganz 35 Rosenkranz II, Nr. 57 f., S. 80 ff. 36 Rosenkranz I, S. 132 f. 37 Rosenkranz II, Nr. 9, S. 12; Nr. 10, S. 15; Nr. 18, S. 23 f. 38 Ebd. Nr. 2, S. 3; vgl. das Protokoll der Gerichtsverhandlung in Oberehnheim, Nr. 31, S. 32 ff. 4.1 Von den Anfängen nach Schlettstadt 1493 69 <?page no="70"?> selbstverständlich von den Bundschuhern, die nach ihrer getätigten Sühne nicht mehr beleidigt werden dürften. Umgekehrt findet sich in den scharfen Anklagen gegen acht Aufständische aus Stotzheim und Dambach, in denen es heißt, sie hätten „ conspiracion und buntnus “ gegen den Christenglauben, den Landesfürsten, die Priesterschaft und die Ritterschaft, ja überhaupt gegen „ Land und Leute “ begonnen, keinerlei Bundschuh-Semantik. 39 Erst aus der Rückschau klebten die Chronisten dem gesamten Unternehmen das Bundschuh-Etikett auf. Das tat eine recht gut informierte, anonyme Straßburger Chronik ( „ Also vergienge dißer böse buntschuch “ ) ebenso wie Jakob Wimpfeling in seiner Bischofschronik, der das Ganze als bäuerliches Bündnis vorstellte, „ das sich Bundschuh nannte “ . 40 4.2 Bruchsal 1502 Straßburg und seine Umgebung sollten dann auch im Jahr 1502 Ausgangspunkt und Zentrum jenes obrigkeitlichen Bundschuh-Diskurses sein, der mit König Maximilian I. sogar die Reichsspitze erfasste. 41 Das Gebiet aber, wo sich in den Frühjahrsmonaten dieses Jahres tatsächlich ein neuer Aufstandsversuch ereignete, war nicht das Elsass, sondern es lag etwas weiter nördlich jenseits des Rheins, im Hochstift Speyer rund um Bruchsal. Diese merkwürdige Diskrepanz verdient nähere Aufklärung; allerdings ist die Quellenlage zu diesem - nach traditioneller Zählung zweiten - „ Bundschuh “ ziemlich disparat. Die farbigste und vermeintlich aussagekräftigste Quelle, eine Passage in der Hirsauer Klostergeschichte des Sponheimer Abtes Johannes Trithemius, war räumlich und zeitlich weit von den Ereignissen entfernt; der Text entstand zwischen 1509 und 1514. Zudem war Trithemius vornehmlich an einer überzeitlichen, moralisch-religiösen Wahrheit interessiert und bietet kaum Zugang zu den historischen Fakten. 42 Eine nähere Erörterung erübrigt sich deswegen. Näher immerhin kommt man dem Geschehen mit dem im Herbst 1504 abgefassten Bericht von Georg Brenz, dem Landschreiber des Speyrer Bischofs, der aller- 39 Ebd. Nr. 37, S. 52. 40 Ebd. Nr. 1, S. 2; Wimpfeling, Catalogus, S. 116 (Randglosse: „ Factio rusticana Bundschuo “ ); vgl. Bischoff, La guerre, S. 90. 41 Klassische Darstellung zum Folgenden Franz, Bauernkrieg, S. 105 ff. auf den Spuren von Rosenkranz I, S. 139 ff.; grundlegend für meine folgende Darstellung die abgewogenskeptische Revision von Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh; neuerdings Fouquet, Getreide. 42 So schon Marchal, Bundschuh, gegen Rosenkranz und gegen Zimmermann, Grundgedanken; Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 48 ff. 70 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="71"?> dings ebenfalls nicht auf unmittelbarer Augenzeugenschaft beruht. 43 Am 3. April 1502, so Brenz, wurde ein in der Markgrafschaft Baden gebürtiger und wohl auch angestellter Fußknecht namens Lux Rapp in Udenheim (heute Philippsburg) beim damaligen Speyrer Bischof Ludwig von Helmstedt vorstellig und berichtete von einer „ gesellschaft, die buntschuwer genannt “ . Viele Männer aus Bruchsal, Ober- und Untergrombach, Jöhlingen, Weingarten und Pforzheim hätten sich darin zusammengefunden. Ihr Plan sei es, einige ihrer Heimatorte sowie die Residenz Udenheim einzunehmen in der Hoffnung, dass sich die Bürger und Bauern auf ihre Seite schlagen würden. Dann wollten sie „ pfaffen und edelluten gesetz geben, sich selbs (be-)frihen und, wer ine widerwertig were, dieselben zu dot slagen “ . Insbesondere ein junger Bauer von Untergrombach mit Namen Fritz „ solt davon wissens haben “ . Zunächst hätte der Bischof auf die Angaben wenig gegeben, sie vielmehr für „ erdichtet “ gehalten. Das änderte sich, als er aus einer zweiten, unabhängigen Quelle vom geplanten Aufstand erfuhr. Ein Bauer hatte bei einem Treffen im herrschaftlichen Kammerwald versucht, den Udenheimer Bürger Theobald für die geheime Gesellschaft anzuwerben: „ ob er auch darin wolt? es wer ein fin spil furhanden. man wurd furbas fri sein, den hern nit geben noch frönen, auch Bruchsall, Grunbach (Grombach) und Udenheim innemmen. es weren auch in diesem spiel zwen sloßknecht zu Grunbach, wurden das sloß uftun. [ … ] alsbald sie daher ziehen, solten die selben knecht sie inlassen; und so sich der keller darwidder setzte, solten sie ine erstechen. “ Theobald ignorierte die Bitte des Bauern, die Angelegenheit geheim zu halten, und informierte einen Amtmann, der wiederum den Bischof in Kenntnis setzte. Dieser reagierte nun und gab Befehl, Fritz zu Untergrombach und die beiden Schlossknechte verhaften zu lassen. Einer der Knechte entkam und konnte Fritz und andere Verschwörer warnen, die ebenfalls das Weite suchten. Immerhin wurde der Schlossbäcker inhaftiert, dessen Geständnis eine weitläufige Fahndungs- und Verhaftungswelle auslöste. Der Obrigkeit sollen dabei rund einhundert Bundschuher ins Netz gegangen sein. Befragt durch den Scharfrichter unter der Tortur, bestätigten einige Gefangenen alle ursprünglichen Angaben des Lux Rapp. In Bruchsal, Udenheim, Grombach und Mingolsheim hielten die Amtleute des Fürstbischofs Gericht über die Verschwörer. Zehn wurden hingerichtet, drei weitere des Landes verwiesen, die Übrigen „ um ire juge(n) t und torheit willen an lib und gelidern geschonet “ , aber mit Geldstrafen belegt. Auch „ anderswo “ (vielleicht in der benachbarten Markgrafschaft) seien Aufrührer gerichtet worden. „ also das zu hoffend ist, die straff soll andern ein 43 Rosenkranz II, Nr. 3, S. 95-97, danach alle folgenden Zitate; Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 44 ff. 4.2 Bruchsal 1502 71 <?page no="72"?> vermanung sin, dergleichen conspiracion nit balde meer furzunemmen “ , so resümiert Brenz. Dieser fromme Wunsch markiert jedoch noch nicht das Ende seiner Aufzeichnung. Es sei befremdlich, so fügt er an, dass ein so junger Bauer wie Fritz von Untergrombach „ des buntschuchs hawbtman und anfenger “ gewesen sei. Es ist diese knappe Passage, die den Ausgangspunkt für den Mythos des Joß Fritz als Mastermind des Bundschuh bildet, denn im Übrigen schweigen die Quellen zum Jahr 1502 vollkommen über ihn. Noch befremdlicher sei, so Brenz weiter, dass keiner der zahlreichen Stiftsuntertanen, die von der Angelegenheit wussten, die Obrigkeit gewarnt hätte; allein die Warnung des „ fremden Knechtes “ Lux Rapp hätte Schlimmeres verhütet: Wäre ein weiterer Monat ins Land gegangen, so hätte der Aufstand nur unter großem Blutvergießen niedergeschlagen werden können; manche meinten sogar, das wäre völlig unmöglich gewesen, weil der Freiheitsdrang der Aufrührer so unbändig gewesen sei, dass man Beschwernisse durch Pfaffen und Adel nicht mehr erdulden wollte. Glücklicherweise sei durch göttlichen Ratschluss eine „ burische regirung “ verhindert worden. Gott habe es seit eh und je gefallen, dass „ die obristen, priester und der adel regiren und die buren dienen sullen “ . Allerdings, so fügt er hinzu, müsse die Regierung auch maßvoll und vernünftig erfolgen und den Armen keine unerträglichen Lasten auferlegen: „ dann wo sie nit recht uber dem Volk sein, da werden sie damit gestrafft, (dass) das volk auch nicht recht under inen ist “ . Das war mit Blick auf den kommenden großen Bauernaufstand eine geradezu prophetische Bemerkung, vielleicht aber auch eine nüchterne Diagnose für den Aufstandsversuch in und um Untergrombach: Denn das Speyerer Domkapitel hatte dort während der unmittelbar vorausgehenden Teuerungskrise die meisten Gesuche um Zehntreduktion abgelehnt und den eigenen Untertanen das Getreide mitleidlos zum hohen Marktpreis verkauft. 44 Derartige geradezu philosophische Anmerkungen lassen nur noch deutlicher hervortreten, dass Brenz ’ „ aktenmäßiger Bericht “ einen Fremdkörper darstellt im Protokollbuch des Fürstbistums, das sonst nur Abschriften bischöflicher Verträge, Anordnungen und Dekrete enthielt. 45 Vielleicht ist die an ungewöhnlicher Stelle formulierte Mahnung an den Nachfolger des gerade verstorbenen Fürstbischofs Ludwig von Helmstedt gerichtet, der dann auch im Dezember 1504 dem Landsknecht Lux Rapp bestätigt, ihn weiterhin mit dem von Ludwig versprochenen Denunziantenlohn zu bedenken. 46 Wahrscheinlich aber verfolgt 44 Fouquet, Getreide, vor allem S. 34, S. 39 ff. 45 Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 44. 46 Vgl. auch Rosenkranz II, Nr. 30, S. 120. 72 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="73"?> Brenz mit seinem Bericht vornehmlich das Ziel, das Verhalten der Speyerer Obrigkeit im Angesicht der Verschwörung, insbesondere das anfängliche Zögern, verständlich zu machen und zu rechtfertigen. Lux Rapp hatte ja angeblich nicht nur den Bischof von Speyer vor dem Bundschuh gewarnt, sondern auch dessen Amtsbruder in Straßburg und den Markgrafen von Baden, seinen eigenen Dienstherrn. Diese reagierten wesentlich schneller und umfassender als Ludwig. Der Landschreiber selbst berichtet, dass in etwa zu der Zeit, als in Speyer die ersten Verhaftungen vorgenommen wurden, Warnschreiben aus Straßburg und aus der Markgrafschaft eingetroffen waren. Einige dieser Schreiben sind überliefert und eröffnen einen Blick auf den obrigkeitlichen Diskurs über den Bundschuh im Elsass, über den wir demzufolge viel mehr wissen als über die Verschwörung selbst. Es ist auffällig, dass im Kerngebiet des Geschehens, etwa in den Protokollen des Speyerer Domkapitels, eher von dem „ ufgeworfen buntnus “ bzw. vom „ bund “ die Rede ist. 47 Im Elsass dagegen wird von Beginn an extensiv die Bundschuh-Semantik gepflegt. Das erste klar datierbare Zeugnis aus der Zeit ist ein Brief des Straßburger Bischofs an den habsburgischen Unterlandvogt sowie die Städte Straßburg, Schlettstadt und Oberehnheim vom 15. April, in der er warnt, dass „ der buntschuch (vor jaren under augen gewesen) noch zur zit nit herloschen “ sei, sondern beim gemeinen Volk erneut werbe; in großer Zahl würden eidliche Bündnisse geschlossen. 48 Wohl nicht zufällig war es Schlettstadt, Ort der Verschwörung von 1493, das die Warnung aufgriff, weitergab und dabei wie selbstverständlich die Straßburger Wahrnehmung bestätigte, hier zeige sich abermals das böse Vorhaben „ des Bundschuhs “ . 49 Die gegenwärtige Konspiration wurde damit in eine direkte Kontinuitätslinie mit der zehn Jahre zurückliegenden gerückt, eine Konstruktion, die von der Geschichtswissenschaft seither meist bereitwillig übernommen wurde. Nicht zufällig war es dann wohl auch Schlettstadt, wo am 29. April Delegierte verschiedener Fürsten, Herren und vieler Städte des Elsass zu einem „ Tag “ zusammenkamen. Bei dieser Gelegenheit präsentierten die Straßburger Räte den versammelten Vertretern der Obrigkeit die Aussagen eines Denunzianten, der von den Verschwörern angesprochen worden war, ihre Pläne jedoch „ us verplicht “ seiner Herrschaft offenbart hatte. 50 Sein Name wird nicht genannt; allgemein wird angenommen, dass es eben jener Lux Rapp war, der auch in Speyer vorstellig geworden war. Zwar wirft die Chronologie Probleme auf, aber das 47 Ebd. Nr. 19, S. 108 f.; Nr. 28, S. 119; vgl. Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 32 ff. 48 Rosenkranz II, Nr. 4, S. 98. 49 Ebd. II, Nr. 5 f., S. 98 f. 50 Ebd. Nr. 10, S. 100 - 102, danach alle folgenden Zitate. Das Dokument wurde wohl später an König Maximilian geschickt, vgl. Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 34 f. 4.2 Bruchsal 1502 73 <?page no="74"?> lässt sich kaum weiter aufklären. 51 Aus der Straßburger Zusammenfassung der Aussagen des Denunzianten für den Schlettstädter Tag erfahren wir jedenfalls einige weitere Details über die Konspiration. Allerdings sind sie wenig belastbar. Skeptisch stimmen schon die hohen Anhängerzahlen, die der Geheimbund an verschiedenen Orten angeblich bereits verzeichnen konnte: 400 in Bruchsal, die ganze Gemeinde in Untergrombach bis auf acht Männer, andernorts 500 Berittene (aber keine Reisigen mit Eigenleuten). Insgesamt hätten die 40 Werber „ in allen Landen “ bis zu 20.000 Anhänger mobilisiert. Das sind phantastische Zahlen, die zwar zur alarmistischen Stimmung der Obrigkeiten im Elsass passten, kaum aber zu den gleichzeitigen Ermittlungen und Strafaktionen am Ort des Geschehens, in Speyer. Auch dass die Verschwörer Boten in die Schweiz geschickt hätten, denen Beistand versprochen worden sei, passte eher zum Feindbild der Herren im Reich gegenüber den Eidgenossen als zur ausgesprochen realpolitischen Linie der Schweizer Diplomatie gegenüber den Bauern. So muss offenbleiben, wie belastbar die anderen Einzelheiten des Berichts sind, etwa die Parole des Bundschuh (Frage: „ Was ist das Wesen? “ Antwort: „ Wir können vor Pfaffen und den Edelleuten nicht genesen. “ ) oder die Information, man habe eigentlich am St. Georgstag (23. April) losschlagen wollen; jedoch sei das in Basel in Auftrag gegebene Banner noch nicht fertig gewesen, weshalb man das Losschlagen bis spätestens Pfingsten aufgeschoben habe. 52 Insgesamt passen Fakten und Chronologie nicht überzeugend zusammen, sodass deutliche Fragezeichen angebracht erscheinen: Dass es im Hochstift Speyer eine geheime Verschwörung gegeben hat, die vorzeitig aufgedeckt wurde, scheint einigermaßen plausibel. Fraglich erscheinen dagegen die gewöhnlich kolportierten großen Dimensionen der Empörung. Und auch die Behauptung, Verschwörer hätten sich im Zeichen des Bundschuhs erhoben, steht auf tönernen Füßen. ‚ Bundschuh ‘ war hier eher eine gegnerische Zuschreibung als eine Selbstbezeichnung, ein Feindbild, das zur Mobilisierung von Gegenmaßnahmen hervorragend geeignet war. Dazu passt die Beobachtung, dass in den Aussageartikeln, die die Straßburger Räte auf dem Schlettstädter Tag präsentierten, die Bundschuh-Semantik lediglich einmal am Rande auftauchte. Die Rede ist dort eher von einer „ samung und buntnis … der gerechtig- 51 In dem Dokument vom 29. April heißt es, der Denunziant sei vor ungefähr acht Tagen in Bruchsal mit der Verschwörung in Berührung gekommen. Aber bereits am 15. April hatte der Straßburger Bischof vor dem Bundschuh gewarnt, und nach Brenz war Lux Rapp bereits am 3. April in Udenheim am Hof erschienen. 52 Alle weiteren Informationen über die Bundschuh-Fahne von 1502 stammen von Trithemius und können hier beiseite bleiben, vgl. die ältere Diskussion von Steinmann, Bundschuh-Fahnen, S. 244 ff. 74 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="75"?> keit bistant zu thun “ , von einem „ bund “ bzw. von „ buntsverwandten “ . Wer auch immer der Denunziant war - in seiner Wahrnehmung stand der Bundschuh nicht im Zentrum der verschwörerischen Symbolik. Quellenmäßig besser fassbar als die Verschwörung selbst sind die Gegenmaßnahmen der Fürsten, Herrn und Städte. Auf dem Schlettstädter Tag vom 29. April verabschiedeten die beteiligten Obrigkeiten ein umfassendes Maßnahmenpaket, das gegenseitige Informations- und Hilfsverpflichtungen vorsah sowie die stärkere Überwachung potentiell gefährlicher Gruppen (umherziehende Bettler, herrenlose Landsknechte) anordnete. 53 Zugleich beschloss man, den König über die Umtriebe der Verschwörer und die eingeleiteten Maßnahmen zu informieren. Das Anschreiben an das Reichsoberhaupt spart dann auch nicht mit der dramatischen Ausschmückung des drohenden Aufstandes, der zur „ verdilkung der fursten, herrschaft, adels, priesterschaft und geordneten regimenten [ … ] durch bursman “ gedacht sei. Man gehe davon aus, dass die eingeleiteten Gegenmaßnahmen, sprich: die Einung von Schlettstadt, dem Monarchen gefallen würden. Aber womöglich reichten sie nicht aus, um der weiteren Ausbreitung der Verschwörung Widerstand zu leisten. Deswegen bäten die versammelten Herrschaften den König um Rat und Hilfe, um den Ungehorsam der Untertanen abzustellen. 54 Am königlichen Hof wurde dieser Hilferuf sehr ernst genommen, wie die Beratungen einer Versammlung der höchsten Reichsfürsten in Heidelberg zeigen. Das Ergebnis war die Verabschiedung eines königlichen Mandates. Die Gründe für die schnelle Handlungsbereitschaft liegen auf der Hand. Einerseits war Maximilian als Landesherr der vorderösterreichischen Gebiete unmittelbar von den Verschwörungsplänen am Oberrhein betroffen und teilte die allgemeine Konspirationsangst der Zeit. Aber auch als Reichsoberhaupt und Protagonist einer Reichsreform, die nach einem ansehnlichen Beginn ins Stocken geraten war und allseitige Unzufriedenheit produzierte, war er zum Handeln aufgefordert. Bei der Verabschiedung des ‚ Ewigen Landfriedens ‘ auf dem Wormser Reichstag von 1495 hatte der Akzent noch auf dem Verbot der Fehde als rechtlich legitimer Selbsthilfe herrschender Stände gelegen. In den Horizont der Landfriedensgesetzgebung gehörte aber aus der Sicht des Herrschers auch die Kriminalisierung von Unruhen aufseiten der Untertanen. In einzelnen Territorien des Reiches waren durchaus bereits Aufruhrverbote verabschiedet worden. Den Anfang hatten mit dem sog. Stanser Vorkommnis von 1481 ausgerechnet die Eidgenossen gemacht, die von den Reichsfürsten als Bündnispartner der sich empörenden Bauern wahrgenommen wurden. Voran- 53 Rosenkranz II, Nr. 11, S. 102 ff. 54 Ebd. Nr. 12, S. 104 f. 4.2 Bruchsal 1502 75 <?page no="76"?> gegangen waren auch die badischen Markgrafen 1495 mit einer Verordnung gegen Unruhen, verabschiedet vielleicht unter dem Eindruck des Bundschuh von 1493. 55 Mit dem Heidelberger Empörermandat vom 30. Mai 1502 legte nun der König den Grundstein für eine eigene Aufstandsgesetzgebung im Reich. 56 In der einleitenden Schilderung zur „ conspiracion “ bewegt sich Maximilian ganz in der Spur der von den elsässischen Herren vorgegebenen Dramatisierung, ja er überbietet sie sogar noch, indem er auf die Genugtuung verweist, die die ungläubigen Türken empfänden, wenn es zu einem Blutvergießen unter Christen käme. Den Angelpunkt des Mandats bildet die Überblendung von Aufstand und Empörung mit dem Tatbestand des Landesverrats. Über die Aufständischen solle gerichtet werden als „ verretter irs vatterlands, irer hern und oberhut, des gemeinen nutz und frides im rich und als trewlos und meineidig “ . Im Einzelnen sollen alle, „ die in puntschuch gelobt und das verstanden haben wider … all oberkeit “ , insbesondere alle Hauptleute, als Verräter gevierteilt werden. All ihre Güter sollten den Herren verfallen sein und ihre Familien des Landes verwiesen werden. Auch alle diejenigen, die sich geweigert hatten, bei der Verschwörung mitzutun, diese aber nicht ihrer Obrigkeit offenbarten, verfielen schweren Strafen. Sanktionen wurden auch Richtern und nachgeordneten Herrschaften angedroht, die das Mandat nicht beachteten. Den noch unentdeckten Mitgliedern des Bundschuhs wird das Angebot gemacht, sie seien vor körperlichen Strafen sicher, falls sie sich binnen zweier Monate selbst anzeigten. Neben der Verabschiedung und Verkündigung des königlichen Strafmandats wurde auf der Heidelberger Fürstenversammlung auch Ratschlag gehalten, „ wie man den buntschuch kunfticlich fürkomen soll “ . Die dort beschlossenen Präventionsmaßnahmen orientierten sich weitgehend an denen des ersten Schlettstadter Tages, was die gegenseitige Informations- und Beistandspflicht, die Sicherung von Schlössern und Städten und die Aufsicht über die eigenen Untertanen angeht. Besonders das königliche Mandat aber sollte epochemachend werden. Seine drakonischen Strafbestimmungen mochten in der Praxis differenziert und ein wenig aufgeweicht werden, wie es dem damaligen Umgang mit herrschaftlichen Normen allgemein entsprach. Es öffnete aber die Tür weit für eine grundlegende Kriminalisierung von Untertanenprotest, während sich die Spielräume für eine gütliche Einigung, geschweige denn eine partielle Anerkennung von Beschwerden der Herrschafts- 55 Blickle, Criminalization, S. S89 f. (sic! ); Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 37; Mayenburg, Der Bauer als Rebell, 102 56 Rosenkranz II, Nr. 21, S. 109 - 112 (Mandat) und 112 f. (Ratschlag). Danach alle folgenden Zitate. 76 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="77"?> unterworfenen entscheidend verengten. Die Angst vor konspirativen Aufständen, kristallisiert immer stärker im Bundschuh, hatte eine gewisse Eigendynamik entwickelt und produzierte ihre eigenen Evidenzen. Es war nur noch ein kleiner Schritt, auch im offenen Protest der Untertanen Landesverrat zu erblicken und unerbittlich zu strafen. Die angesprochene Eigendynamik zeigte sich auch im weiteren Verlauf des Jahres 1502, und zwar sowohl am Oberrhein als auch im Reich. Zweimal tagte im Juni noch eine Versammlung der regionalen Obrigkeiten in Schlettstadt, um ihre Beschlüsse zum „ bundschuhigen handel “ auszuweiten bzw. zu bekräftigen. 57 Von den Umtrieben der Empörer war zu diesem Zeitpunkt aber bereits keinerlei Anzeichen mehr zu entdecken. Das hinderte König Maximilian allerdings keineswegs am Versuch, das Schreckenssymbol des Bundschuhs für seine antischweizerische Politik zu instrumentalisieren. 58 Am 25. Juni schrieb er an seinen Landvogt Wolfgang von Fürstenberg, der Bundschuh drohe sich von neuem zu erheben und mit seinem Anhang, den Schweizern, die habsburgisch-burgundischen Lande zu überfallen. Bundschuh oder Schweizer, das war nach seiner Wahrnehmung eins. 59 Das Schreckgespenst Bundschuh benutzte er auch in diplomatischen Verhandlungen mit den Delegierten des Schwäbischen Bundes, um diese gegen ein anderes Gespenst zu mobilisieren, dasjenige der „ eidgenössischen Sozialrevolutionäre “ nämlich. 60 Überhaupt wurde die Verschwörung am Oberrhein zu einem zentralen Baustein in einer königlichen Propaganda, die das Reich durch zahlreiche Herausforderungen (neben Bundschuh und Eidgenossen noch durch den französischen König und die Türken) bedroht sah und Unterstützung für die habsburgische Politik einforderte. „ Der Bundschuh selbst interessierte ihn allerdings kaum. Indem Maximilian die Schuldfrage nach außen verlagerte, verschwanden die Untertanen als Akteure von der Bildfläche der Geschichte. Nicht der ‚ gemeine Mann ‘ , sondern die äußeren Feinde, die Eidgenossen und der französische König, erschienen als die eigentlichen Drahtzieher. “ 61 Der Erfolg Maximilians bei seinen Schwäbischen Bundesgenossen blieb überschaubar, zu eindeutig waren hier habsburgische Eigeninteressen im Spiel. Überdeutlich aber zeigt sich an dieser Stelle, wie sehr sich das Feindbild Bundschuh aus seinen realen Kontexten ablösen und ein diskursives Eigenleben gewinnen konnte. 57 Rosenkranz II, Nr. 23, S. 115 ff.; Nr. 26, S. 117 f. 58 Vgl. jetzt Niederhäuser, Eine schwierige Nachbarschaft. 59 Rosenkranz II, Nr. 25, S. 117. 60 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 462; Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 40 f. 61 Ulbrich, Der Untergrombacher Bundschuh, S. 42. 4.2 Bruchsal 1502 77 <?page no="78"?> 4.3 Freiburg 1513 Am Montag, den 3. Oktober 1513, beratschlagte der Freiburger Rat über Vorsichtsmaßnahmen gegen die „ bösen Läufe des Bundschuhs “ . Einige namentlich genannte Männer wüssten um dessen Aktionen. Zwei Hauptleute der Verschwörer wurden namentlich genannt. Es sei bereits ein Fähnlein gemacht worden. 62 Am gleichen Tag informierte der Rat die Zünfte und warnte alle davor, den Umtrieben des Bundschuhs zu folgen. Jeder, der etwas über die Konspirateure wüsste, sollte das sofort zur Anzeige bringen. Erkennbar seien die Bundschuh-Verschwörer daran, dass sie drei Artikel propagierten, nämlich „ dhein hern (zu) haben, dhein zins me (zu) bezalen, (die) stat innemen (zu wollen) “ . Im Übrigen erinnern die Stadtoberen an die bestehende Alarmordnung und fügen einige konkrete Artikel über das vorgeschriebene Verhalten der Nachbarschaften an, falls die Sturmglocke geläutet werde oder sich Mordgeschrei erhebe. 63 Die beiden ältesten Dokumente über den Bundschuh zu Lehen 1513 stammen mithin aus der vorderösterreichischen Stadt Freiburg. Sie sollte auch in der nächsten Zeit das Kommunikationszentrum bleiben; von ihr gingen die wichtigsten Impulse zur Beschäftigung mit dem Bundschuh aus. 64 Die nächsten Nachrichten kamen allerdings, nur einen Tag später, aus dem benachbarten Baden, wo ein Informant aus Schallstadt dem Markgrafen einige Einzelheiten über jene geheime „ geselschaft “ berichtete, „ so den adel und (die) erbarkeit zu vertilken vermeinen “ . 65 Vom Bundschuh war hier explizit (noch) nicht die Rede - ein interessantes Indiz dafür, wie sehr das Feindbild ‚ Bundschuh ‘ von Freiburg aus propagiert und popularisiert wurde. Losschlagen wollte die Gesellschaft, so der Informant, am kommenden Sonntag anlässlich des Kirchweihfestes zu Biengen, drei Wegstunden von Freiburg entfernt. Der Mann aus Schallstadt nannte weitere sechs Namen von Verschwörern. Darunter befand sich der Altvogt des bei Freiburg gelegenen Dorfes Lehen, das dem Ortsherrn Balthasar von Blumeneck untertänig war. Beteiligt sei auch der dortige Bannwart, dessen Namen er nicht nennt, immerhin aber anmerkt, dieser sei von Bruchsal gekommen. Am 7. Oktober übermittelt der mark- 62 Rosenkranz II, Nr. 3, S. 130 f. Zum vorhergehenden Dokument Nr. 2, S. 129 f. vgl. unten S. 126. 63 Ebd. Nr. 4, S. 131 f. 64 Zentrale Darstellung zu 1513 ist Buszello, Joß Fritz, mit einer quellenkritischen Revision der klassischen Darstellungen, auch seiner eigenen von 2004 (in Blickle/ Adam, Untergrombach, S. 80 - 121), die allerdings m. E. nicht in allen Punkten weit genug geht. Wegweisend schon Marchal, Karsthans, S. 259 ff. Zu der klassischen Darstellung Rosenkranz I, S. 253 ff.; Franz, Bauernkrieg, S. 113 ff.; noch Scott, Freiburg und der Bundschuh, S. 240 ff. 65 Rosenkranz II, Nr. 5, S. 133 f. 78 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="79"?> gräfliche Amtmann von Badenweiler den Freiburgern weitere Namen, darunter „ Joß aus dem Niederland zu Lehen “ . 66 Gemeint ist niemand anderer als jener Joß Fritz von Untergrombach, der 1504 im Bericht von Georg Brenz als Hauptmann und Anfänger des Bundschuhs von Untergrombach bezeichnet worden war und der nun zu Lehen als Bannwart tätig war. Als sein Name am 10. Oktober zum dritten Mal in den Korrespondenzen der Obrigkeit auftaucht (diesmal spricht Markgraf Philipp von ihm als „ Joß von Speyer “ ), geht es bereits um einen Flüchtigen, der sich „ hinuf in die eytgenossenschafft “ begeben haben soll. 67 Wie bereits 1493 und 1502 war die Konspiration auch jetzt verraten bzw. entdeckt worden, bevor die Empörer losschlagen konnten. In die Flucht getrieben hatte Joß Fritz eine Razzia des Freiburger Rates in den umliegenden Dörfern in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober, also unmittelbar vor dem angeblichen Losschlagen der Verschwörer bei der Biengener Kirchweih. Dabei gelang es der Obrigkeit allerdings nicht, die Haupttäter zu stellen. Lediglich einige Verdächtige gingen ihnen ins Netz, denen jedoch nichts nachgewiesen werden konnte. Immerhin geriet einen Tag später mit Hans Enderlin, dem Altvogt von Lehen, doch noch einer der Haupträdelsführer in die Hände der Freiburger. Selbst unter der peinlichen Frage bekannte Enderlin zunächst kaum etwas. 68 Immerhin räumte er ein, von Joß ’ Plänen für die Anfertigung eines Fähnleins zu wissen. Der Rat fragte nach der Fahne, weil er bereits aus anderer Quelle davon wusste: Ein Beauftragter des Joß Fritz hatte einen Freiburger Maler mit der Gestaltung der Bundschuh-Fahne betrauen wollen, aber dieser Maler hatte die Sache umgehend dem Rat denunziert - vielleicht handelte es sich bei ihm um die ursprüngliche Quelle für die Ermittlungen der Freiburger Obrigkeit. 69 Fast gleichzeitig war auf markgräflicher Seite ein gewisser Matern Wynman aus Mengen in der Nähe von Schallstadt festgenommen und verhört worden. 70 Und am Morgen des 11. Oktober holte Ritter Kaspar von Blumeneck den in die Kirche von Munzingen geflüchteten Marx Studlin aus dem Kirchenasyl - ein rechtswidriger Gewaltakt, für den er nachträglich den Bischof von Konstanz um Absolution bitten musste. 71 Damit hatten die Obrigkeiten gewissermaßen mehrere rote Fäden in der Hand, die sie für weitere Ermittlungen und Verhaftungen nutzen 66 Ebd. Nr. 7, S. 135. 67 Ebd. Nr. 10, S. 137. 68 Ebd. Nr. 14, S. 139. 69 Ebd. Nr. 64, S. 183 f. (Freiburger Memorandum); Nr. 69, hier S. 195 (Verhör Kilius Meyger). Vgl. aber Buszello, Joß Fritz, S. 45. 70 Rosenkranz II, Nr. 11, S. 137. Das Verhör wurde nach Freiburg übermittelt, ist aber leider nicht erhalten. 71 Ebd. Nr. 15, S. 140 f. 4.3 Freiburg 1513 79 <?page no="80"?> konnten. Allerdings kam es nicht zu jenen Massenverhaftungen, die der Freiburger Rat angesichts seiner alarmistischen Berichte wohl erwartet hatte. Vielmehr blieb die Zahl der Verhafteten überschaubar, ein Grundmuster aller Bundschuh-Verschwörungen. Fahndungserfolge gab es gleichwohl: Führende Bundschuher, die sich in Richtung Schweiz abgesetzt hatten, wurden gefasst: Basel meldete am 22. Oktober die Gefangennahme von Jakob Huser und Kilius Meyger; zwei Tage später wurden Augustin Enderlin und Thomas Muller in Schaffhausen in Gewahrsam genommen. 72 Die beiden eidgenössischen Städte zögerten, wie sie mit den Verhafteten umgehen sollten, griffen aber auf beharrliches Freiburger Drängen dann doch zu Kapitalstrafen: Am 23. Dezember wurden Huser und Meyger in Basel hingerichtet, wohl ungefähr gleichzeitig die beiden anderen in Schaffhausen. Bereits zuvor waren in Freiburg Hans Enderlin und Marx Studlin sowie ein weiterer Verschwörer zu Tode gebracht worden. Verhaftet, verhört und danach grausam gevierteilt wurde ebenfalls in Freiburg schließlich im März 1514 der ursprünglich aus Feuerbach stammende Hans Humel; er hatte zunächst fliehen können, war dann aber nach Lehen zurückgekehrt. 73 Insgesamt wurden zehn Hinrichtungen und einige weitere Körperstrafen (Abhauen der Schwurfinger) und Geldbußen als Strafen verhängt. Einer Kollektivstrafe verfielen die Zentren des Bundschuh, die Dörfer Lehen und Betzenhausen: Sie durften sich der Stadt Freiburg künftig nicht mehr als „ eine halbe Elle “ (wohl symbolisch für: überhaupt nicht) annähern. Auch wurde zunächst der Pachtvertrag beider Dörfer für die städtische Weide nicht verlängert. Vogt, Richter und Gemeinde beider Dörfer erschienen Anfang Mai 1514 vor dem Freiburger Rat und baten um erneute Pachtverleihung. Diese wurde ihnen gewährt, nicht aber ohne dass sie eine demütigende Verschreibung unterzeichnen mussten, in der ausdrücklich auf den ‚ bösen Handel ‘ mit dem Bundschuh von Joß Fritz und etlichen seiner boshaften Anhänger hingewiesen wurde und in der sich die beiden Dörfer verpflichteten, in Zukunft vor solchen Umtrieben „ trwlich und nachpurlichen “ zu warnen. 74 So weit zur Rekonstruktion des Verfolgungsgeschehens. Die vorhandenen Quellen (Korrespondenzen der regionalen Obrigkeiten und einige erhaltene Geständnisse von Beteiligten) liefern darüber hinaus vergleichsweise viele Informationen zur Struktur der Verschwörung, jedenfalls im Vergleich mit der kargen Überlieferungslage für 1502, ganz zu schweigen von den prekären Informationen über den Bundschuh von 1517. Im Mittelpunkt steht dabei so 72 Zum Folgenden Buszello, Joß Fritz, S. 48 ff. 73 Rosenkranz I, S. 294 f., S. 347; Rosenkranz II, Nr. 107, S. 225 f. 74 Ebd. Nr. 111 f., S. 228 f. 80 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="81"?> sehr ein einziger Name, dass noch die jüngste, durchaus kritische Darstellung von Horst Buszello zu einem fast euphorischen Befund gelangt: „ Der Bundschuh zu Lehen war das Werk des Joß Fritz - eines charismatischen Führers, begabt mit Einfallsreichtum und Überzeugungskraft. Joß Fritz war Ideologe, Organisator und Stratege in einem; er war Kopf, Motor und Vordenker des Bundschuh. “ 75 Tatsächlich ist die zentrale Rolle von Joß Fritz für das Jahr 1513 vielfach belegt. Es sind nicht nur die regionalen Obrigkeiten, die ihn hartnäckig als den „ rechten Hauptverursacher “ des Bundschuh anprangern. 76 Auch die Mitverschwörer weisen Joß so differenziert und farbig als Ausgangspunkt der Konspiration aus, dass man darin mehr erkennen wird als das bloße Bedürfnis, die Hauptschuld auf einen Sündenbock abzuwälzen. Kilius Meyger wurde von seinem Lehener Nachbarn Joß Fritz selbst angesprochen: „ Kilius, wiltu uns auch helfen zu der götlichen gerechtikeit, so mustu swigen und davon niemand utzit sagen. dann du sichest, wie es uns geodt, [ … ] das man uns nit will lassen bliben bi unsern alten bruchen, rechten und harkomen. “ 77 Als Hans Humel einen befreundeten Schneider für die Verschwörung anwerben wollte, nannte er ganz selbstverständlich den Urheber der ganzen Angelegenheit: „ lieber Marx, Jos well den puntschuech anfahen; wiltu nit auch in der geselschaft sein? “ 78 Nach übereinstimmenden Angaben war es dann auch Joß Fritz, der am Beginn des Herbstes bei einer nächtlichen Versammlung der Verschwörer an einem abgelegenen Ort bei Lehen und Betzenhausen ( „ auf der Hartmatte “ ) das große Wort führte. 79 Ganz selbstverständlich wurde er von den Anwesenden bei dieser Gelegenheit zum Hauptmann gewählt, während Jakob Huser zum Fähnrich und weitere Männer zu Feldwebeln erkoren wurden. Die zentrale Rolle von Joß Fritz ergibt sich natürlich auch und vor allem aus der Tatsache, dass er die Bundschuh-Traditionen gleichsam persönlich aus dem bischöflich-speyrischen Untergrombach ins freiburgische Lehen importiert hatte. Schon am 12. Oktober schrieb der Schultheiß des am Nordrand des Kaiserstuhls gelegenen vorderösterreichischen Städtchens Kenzingen (ohne Fritzens Namen zu nennen) blumig über den „ Schalk “ , der das Gift des Aufruhrs 75 Buszello, Joß Fritz, S. 55; vgl. zur Traditionslinie dieser Wertung Rosenkranz I, S. 178 (eine vereinzelte überragende Persönlichkeit, „ ein verwegener, zielbewusster, redegewandter, überzeugungskräftiger Bauernführer “ ); Franz, Bauernkrieg, S. 111 u. ö.; Scott, Freiburg und der Bundschuh, S. 339 (der gerissenste und erfahrenste Agitator vor dem Bauernkrieg mit einer revolutionären Vision). Vgl. aber zur Fragwürdigkeit einer Quellenstelle zur Charakterisierung von Fritz, die einzig von Johannes Janssen überliefert wurde, Adam, Neues von Joß Fritz, S. 483 f. 76 Rosenkranz II, Nr. 16, S. 141; Nr. 34 f., S. 153 f. 77 Ebd. Nr. 69, S. 193. 78 Ebd. Nr. 107, S. 225. 79 Zur Versammlung Rosenkranz I, S. 315 ff.; Buszello, Joß Fritz, S. 60 f. 4.3 Freiburg 1513 81 <?page no="82"?> schon lange in sich trage. 80 In einem Memorandum von Mitte November prangerte dann Freiburg die „ buberie mit dem puntschuch “ als geradezu persönliches Unternehmen des Joß Fritz an, das wiederum auf Einflüsterungen des Teufels zurückzuführen sei. Geboren sei dieser Mann in Untergrombach im Hochstift Speyer, und in Bruchsal sei er dann vor zwölf Jahren in die Bundschuh-Verschwörung verwickelt gewesen. 81 Nur bruchstückhaft sind wir über den dazwischenliegenden Lebensabschnitt von Joß informiert. Nach seiner Flucht aus Speyer hatte er Else Schmidin aus Nenzingen bei Stockach geheiratet und schließlich in Lehen ein neues Zuhause gefunden. „ Dort gelang es ihm nicht nur, seine wahre Identität zu verbergen; er gewann auch das Vertrauen seiner Mitbewohner, die ihm das Amt des Bannwarts oder Feldhüters, sicher mit Zustimmung der Ortsobrigkeit, übertrugen. “ 82 Sicherlich lässt sich vor diesem Hintergrund plausibel annehmen, dass es sich bei Fritz um eine gewinnende Persönlichkeit gehandelt haben muss. Seine Charakterisierung als charismatischer Führer mit überragendem strategischen Geschick durch die Historiographie beruht jedoch auf eher schwacher Evidenz. Sie gründet vor allem auf einer Vogelperspektive, die ihn als verbindendes Element dreier Aufstandsversuche an verschiedenen Orten binnen fast zweier Jahrzehnte zeigt. Dass Joß bereits 1502 in Untergrombach der Haupträdelsführer gewesen sein soll, darüber gibt es jenseits des späteren Berichts von Georg Brenz keinen zeitgenössischen Quellenbeleg. Die rückschauenden Betrachtungen der Obrigkeiten im Jahr 1513 bestätigten seine Beteiligung, dürfen aber kaum als Beleg für die überragende Bedeutung bereits bei der ersten Bundschuh-Verschwörung 1502 gelesen werden. Zweifellos hatte Joß Fritz den Bundschuh-Gedanken aus Speyer mitgebracht. Wie sehr er daran anknüpfte, zeigt die Aussage von Jakob Huser, Joß habe bei der Versammlung auf der Hartmatte „ von einem spruch geredt, der vormals im Niderland ouch sie gebrucht worden, nemlich also lutende: ‚ Gott gruß dich, gesell! was hastu fur ein wesen? ‘ ‚ der arm man in der welt mag nit mer genesen. ‘“ 83 Dass Joß bereits 1502 der überragende Kopf der Verschwörung gewesen sein soll, lässt sich aus derartigen Befunden kaum ableiten. Und was die Vorgänge von 1517 angeht, so werden wir sehen, dass es keinerlei belastbare Zeugnisse dafür gibt, dass Joß Fritz nach 1513 noch aktiv 80 Rosenkranz II, Nr. 18, S. 142. 81 Ebd. Nr. 64, S. 182. 82 Buszello, Joß Fritz, S. 56. 83 Rosenkranz II, Nr. 69, S. 191. Die Quellen für 1502 berichten als Wortlaut der damaligen Parole: „ Was ist das Wesen? “ „ Wir können vor den Pfaffen und Edelleuten nicht genesen “ , vgl. ebd. Nr. 10, S. 101 bzw. ohne die Edelleute der Bericht des Trithemius ebd. Nr. 1, S. 90. Die Differenz kann hier nicht diskutiert werden. 82 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="83"?> (oder überhaupt noch am Leben) war. Um die Rolle von Joß Fritz angemessen zu würdigen, bleiben mithin vor allem die Vorgänge von 1513 selbst. Bei deren Analyse wird nun stark darauf abgehoben, dass Fritz „ bei seinen Werbungen die herrschaftlichen Grenzen “ überschritten habe, folglich der Bundschuh in der Systematik von Unruhen und Aufständen der Zeit „ zu den herrschaftsübergreifenden Bewegungen “ gehörte, indem er seine Anhänger in vorderösterreichischen Orten wie Lehen und Betzenhausen fand, die zudem unterschiedlichen Ortsherren unterstanden, ebenso aber in Orten der Markgrafschaft wie Mengen oder Schallstadt. 84 Angesichts der kleinräumig zerklüfteten Machtstrukturen in einer Region, in der verschiedene Herrschaftsgebiete eng aneinanderstießen, ja wo an einem Ort mehrere Herren komplementäre, mitunter auch konkurrierende Herrschaftsfunktionen ausübten, erscheint dieser Tatbestand m. E. weniger bemerkenswert als gemeinhin unterstellt, ja sogar einigermaßen trivial. Entscheidender dürfte die Frage sein, wie viele Anhänger der Hauptmann tatsächlich um sich scharen konnte. Marx Studlin hatte bei seiner Werbung behauptet, die Hälfte der Freiburger Zünfte seien mit „ im Spiel “ . Der Rat hatte das gegenüber dem Markgrafen als unglaubwürdig dargestellt. 85 Das geschah sicher auch aus Sorge um den eigenen Ruf, aber es gibt keine Informationen, die in eine andere Richtung weisen. Wesentlich mehr als die drei später Hingerichteten, darunter Marx Studlin selbst, dürften aus der Stadt nicht beteiligt gewesen sein. Überhaupt sprechen alle Indizien für eine eher bescheidene Größenordnung des Lehener Bundschuhs: Die Zahl der Bestraften war ebenso überschaubar wie diejenige der Personen, die die Behörden überhaupt mit dem Bundschuh in Verbindung brachten: Es waren 47 Akteure. 86 Auf der Hartmatte hatten sich zum Herbstanfang 1513 nach allem, was wir wissen, 15 Männer versammelt, die meisten aus Lehen, drei weitere aus Betzenhausen. 87 Dass gerade diese beiden Dörfer einer kollektiven Ehrenstrafe unterworfen wurden, fügt sich gut ins Bild. Das Charisma des Joß Fritz wirkte mithin, wenn überhaupt, dann vor allem in seiner engsten Umgebung. Eine Massenbewegung war das kaum, auch wenn die Forschung den Bundschuh stets so charakterisiert hat. Deutliche Abstriche scheinen auch am Bild von Joß Fritz als dem kühnen Strategen geboten. Die konkreten Aufstandspläne orientierten sich offenbar vor allem am Prinzip Hoffnung: „ Item sie wolten iezt in kurzen tagen das fenlin in einem dorf uf einer kilchwihen [nämlich in Biengen am 9. Oktober, GS] 84 Buszello, Joß Fritz, S. 59; vgl. die Karte auf S. 58. 85 Rosenkranz II, Nr. 14, S. 139. 86 Buszello, Joß Fritz, S. 57. 87 Ebd., S. 60; Rosenkranz II, Nr. 69, S. 192, S. 196. 4.3 Freiburg 1513 83 <?page no="84"?> fliegen lassen und sind der meinung gewesen: ob ir glichwol am anfang wenig werent, so wurden doch die armen all uf ir parthie fallen “ , so fasste der Freiburger Rat diese Pläne aus der Rückschau zusammen. 88 Über die Einnahme der ersten befestigten Plätze - ob Freiburg, Breisach oder Endingen - hinaus dachten die Verschwörer kaum. Die Hoffnung darauf, ‚ das ganze Land ‘ werde sich erheben, sogar Elsässer könnten über den Rhein kommen und sich dem Aufstand anschließen, blieb unbestimmt und vage. Das galt auch für Pläne, bei den Eidgenossen Hilfe zu suchen. Sie belegen nur, wie hartnäckig sich das Bild der Schweiz als potentiellem Verbündeten der Bauern hielt, ein Bild, das auch die Obrigkeiten pflegten, das für sie allerdings dezidiert ein Schreckensbild darstellte. Das Verhalten Basels und Schaffhausens nach der Verhaftung der Lehener Bundschuher spricht deutlich eine andere Sprache. Interessant ist die zentrale Bedeutung, die dem Bundschuh-Fähnlein für die Initiation des Aufstandes zugeschrieben wurde - ‚ einen Bundschuh aufwerfen ‘ hieß eben ganz konkret, sich unter diesem Symbol zu sammeln und (im Wortsinn) zu verbünden. Von daher wird die große Aufmerksamkeit verständlich, die die Forschung seit jeher dieser Fahne gewidmet hat. 89 Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass alle Nachrichten über eine Bundschuh-Fahne des Joß Fritz vor und nach 1513 quellenmäßig nicht belastbar sind und daher außer Acht gelassen werden müssen. 90 Bei der Vorbereitung des Lehener Bundschuhs selbst spielte sie eine zentrale, allerdings eben fatale Rolle: Ihre Fertigung führte offenkundig zur Entdeckung der Verschwörung. Zwei Anläufe zur Bemalung einer Fahne mit dem Bundschuh in Freiburg schlugen fehl und mündeten in Denunziationen bei der Obrigkeit, erst ein dritter Versuch glückte, diesmal bei einem Maler in Heilbronn, bei dem Joß unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die gewünschte Ausfertigung der Fahne erreichte. 91 Die Angaben über die Bildmotive sind nicht ganz konsistent; der Bundschuh-Hauptmann machte ein großes Geheimnis um die Fahne. Nach den Angaben des einzigen wirklichen Augenzeugen Kilius Meyger zeigte sie auf der einen, blauen Seite ein weißes Kreuz, mithin das Wappen des Bistums Speyer; möglicherweise hatte Joß Fritz das Tuch also bereits aus Untergrombach mitgebracht. Auf der anderen, weißen Seite war eine Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes dem Täufer zu 88 Rosenkranz II, Nr. 64, S. 185; vgl. Buszello, Joß Fritz, S. 61 f. 89 Zentrale neuere Referenz, aber in wesentlichen Punkten von der Quellenkritik überholt ist Steinmann, Bundschuhfahnen; auch Huber, Unruhe, S. 327 ff. 90 Alle Angaben für 1502 stammen vom notorisch unzuverlässigen Trithemius, bei dem außerdem nicht auszuschließen ist, dass er seine 1514 abgeschlossenen Annalen bereits in Kenntnis der Vorgänge von 1513 niederschrieb, vgl. Marchal, Bundschuh, hier S. 345. Für 1517 steht überhaupt in Zweifel, dass es eine Bundschuh-Erhebung gab, vgl. unten. 91 Rosenkranz II, Nr. 64, S. 183 ff.; vgl. Buszello, Joß Fritz, 62 f. 84 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="85"?> sehen, darunter ein kniender Bauer; „ und si auch an dem venlin ein buntschuch gemalet gewesen “ . 92 Jakob Huser hatte das Fähnlein nicht gesehen, aber Joß Fritz hatte ihm nach seinem Geständnis von den Bildmotiven berichtet, überdies auch von einem darauf gemalten Spruch ( „ Herr, stand diner gottlichen gerechtikeit bi! “ ), von dem Meyger wiederum keine Kenntnis hatte. 93 Der angebliche Spruch verweist auf die programmatischen Grundlagen der Verschwörer, über die wir im Fall von Lehen vergleichsweise reichhaltige, aber eben auch widersprüchliche Informationen besitzen. Dabei darf man dem viel diskutierten Schlagwort von der „ göttlichen Gerechtigkeit “ hier (wie auch später im Bauernkrieg) nicht zu viele ideologische Lasten aufbürden: Wenn Joß Fritz stets versicherte, sein Bundschuh sei eine „ göttliche, ziemende und rechte Sache “ , dann war das alles andere als revolutionär gemeint, sondern lediglich die Versicherung, es handele sich um ein christliches und gerechtes Anliegen. 94 So erscheint es sehr plausibel, in der Aussage, „ unsern allerheiligesten vatter den bapst, unsern allergnedigsten herren den keiser und vorab got “ anerkennen zu wollen, eine Versicherung zu sehen, die Grundpfeiler der Ordnung nicht antasten zu wollen. 95 Dass die Obrigkeiten, und in Sonderheit Freiburg mit seiner Bundschuh-Phobie, das so verstanden, als wollten die Bundschuher nur noch Papst und Kaiser anerkennen, andere Herren jedoch nicht mehr, ja diese sogar zu ‚ vertilgen ‘ beabsichtigten, steht auf einem anderen Blatt. Dabei kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Mitglieder des Bundschuhs radikalere Auffassungen vertraten. Ebenso wenig widerspricht einer solchen gemäßigten Interpretation die Existenz eines festen Willens unter den Verschwörern, gegen all diejenigen Gewalt anzuwenden, die sich ihrem Vorhaben in den Weg stellen würden. Diese Vorhaben selbst waren sehr konkret und weisen Verbindungen mit anderen Erhebungen auf. 96 Gestärkt werden sollte die gerichtliche Autonomie der Gemeinde, indem das kaiserliche Hofgericht in Rottweil nicht mehr angerufen und die geistlichen Gerichte allein auf geistliche Sachen beschränkt werden sollten - eine deutliche Parallele zum Schlettstädter Bundschuh. Weiterhin sollte durch die Verringerung der Zinsen die Schuldenlast gemindert werden. Auf wirtschaftliche Besserstellung zielte auch die Forderung nach Reduzierung der Abgaben und Dienste bzw. die völlige Aufhebung „ unbilliger “ Lasten; ebenso wie die Freigabe von Jagd und Fischfang, von Wald, Wasser und Weide sollte sie später im Bauernkrieg ein 92 Rosenkranz II, Nr. 69, S. 197; zu möglichen weiteren Bildmotiven Buszello, Joß Fritz, S. 63. 93 Ebd., S. 193. 94 So richtig Buszello, Joß Fritz, S. 67. 95 Zitiert nach Rosenkranz II, Nr. 69, S. 194; ich folge hier und im Folgenden Buszello, Joß Fritz, 69 ff. 96 Buszello, Joß Fritz, S. 73 f. 4.3 Freiburg 1513 85 <?page no="86"?> vielfältiges Echo finden. Auch an antiklerikalen Spitzen fehlte es nicht: Priester sollten nicht mehr als eine Pfründe besitzen, übermäßiger Klosterbesitz an das gemeine Volk verteilt werden. Insgesamt liest sich das alles als ein stimmiger, zwar vielleicht nicht revolutionärer, aber doch weitreichender Forderungskatalog. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es sich dabei um eine Rekonstruktion auf der Grundlage zahlreicher Puzzlesteine handelt, die auf mündlichen Kommunikationsprozessen beruhen. Diese heterogenen Teile retrospektiv zu einem konsistenten Programm zusammenzufügen, ist eine methodisch durchaus heikle Operation. Und auch wenn man Joß Fritz die Urheberrechte für dieses „ Programm “ zuzuerkennen geneigt ist, gibt es doch Hinweise, dass der Lehener Pfarrer Hans Schwarz, mit dem Fritz vertrauten Umgang gehabt und seltsame Reden gepflegt haben soll, eine Inspirationsquelle für manche dieser Ideen gewesen war. Ebenso wie der Hauptmann selbst war Schwarz im Oktober 1513 aus Lehen geflüchtet; über sein weiteres Schicksal ist so gut wie nichts bekannt. 97 Ihre Bedeutung erhalten die Vorgänge rund um Lehen nicht zuletzt durch ihren beachtlichen medialen Nachhall. 98 Die in Freiburg und Basel entstandenen Texte waren verhältnismäßig nah am Geschehen und enthalten ansonsten unbekannte Einzelheiten über den Aufstand, deren Quellenwert hier jedoch nicht weiter diskutiert werden kann. Ihre wichtige Funktion bestand vor allem darin, dem Bundschuh nachhaltige öffentliche Aufmerksamkeit zu sichern. Vermutlich in den letzten Dezembertagen des Jahres 1513 entstand das „ Lied von dem Bundschuh “ , von einem unbekannten Verfasser vielleicht zur Eröffnung der Freiburger Meistersingerschule geschrieben und vorgetragen. Dieser lässt keinen Zweifel an der Verdorbenheit von Aufrührern, die zwar das Kruzifix im Fähnlein führten, deren eigentliches Wappentier aber der Skorpion sei, der reichlich Gift verspritze. 99 Wenige Monate später erschien in Basel, wo schon Sebastian Brant fast zwanzig Jahre zuvor den Prototyp des „ Narrenschiffs “ publiziert hatte, das „ Narrenschiff vom Bundschuh “ . 100 Seine Anlehnung an das gerade erwähnte „ Lied “ macht schon der von Urs Graf gestaltete Titelholzschnitt deutlich, wo die von Jost Fritz und Jacob Huser geführte Schiffsmannschaft sich unter einem Banner sammelt, das einen Skorpion zeigt. Der Bundschuh baumelt lässig an einem Schwert, das der Bauernhauptmann in der Hand hält - natürlich 97 Ebd., S. 75. Es gibt Indizien dafür, dass er später in Straßburg zumindest vorübergehend verhaftet wurde. 98 Zusammenfassend ebd., S. 51 ff. Wichtig immer noch Seibert, Aufstandsbewegungen, S. 163 ff. 99 Edition Goedeke, Gengenbach, S. 386 - 392, hier 388; vgl. Seibert, Aufstandsbewegung, S. 167 ff. 100 Edition Goedeke, Gengenbach, S. 392 - 403; dazu Seibert, Aufstandsbewegung, S. 231 ff. 86 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="87"?> Abb. 3: Narrenschiff vom Bundschuh, 1513, Titelblatt 4.3 Freiburg 1513 87 <?page no="88"?> verkehrt herum, mit der Hand die Klinge und nicht den Knauf umklammernd, wie viele andere Details Sinnbild für die verkehrte Welt, die der Verfasser - vielleicht der Schaffhausener Stadtarzt Johannes Adelphus - beklagt. Abb. 4: Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh, 1513/ 14, Titelblatt 88 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="89"?> Ebenfalls in Basel, wo vor kurzem die beiden Bundschuhführer Jakob Huser und Kilius Meyger verhaftet, verhört und schließlich hingerichtet worden waren, war bereits zuvor (wahrscheinlich im Januar 1513) von dem Drucker Pamphilus Gengenbach ein „ Büchlein “ vom Bundschuh veröffentlicht worden, das mit mehreren Nachdrucken samt der Umarbeitung zu einem „ Spruch “ zum erfolgreichsten Bundschuh-Text überhaupt avancieren sollte. 101 Seine Botschaft lässt sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen, vielmehr bietet es Anknüpfungspunkte für beide Seiten, für eine entschlossene Verdammung des Bundschuh, aber auch für eine freundlichere Sicht auf das Anliegen der Verschwörer. Explizit aus der Feder des Druckers selbst stammte eine Reimvorrede, in der ständische Unordnung und Verachtung der Geistlichkeit beklagt wird. Unter Rückgriff auf das Alte Testament ermahnt er die Bauern zum Gehorsam gegen Adel und Priesterschaft, stammten sie doch von Ham ab, den sein Vater Noah verflucht und dazu verurteilt hatte, seinen beiden Brüdern untertan zu sein. 102 Das alles deutet auf eine bedingungslose Verteidigung der überkommenen Ordnung hin. 103 Die nachfolgende Prosa-Passage ist dagegen eher neutral gehalten, indem sie den Akzent auf die bloße Schilderung der Geschehnisse legt. Mögliche Ambivalenzen des Büchleins treten noch deutlicher hervor, wenn man die Holzschnitte auf dem Titelbild betrachtet. Der eilig hergestellte Baseler Erstdruck zeigte auf dem Titelbild noch eine unspezifische Kriegergestalt, darunter ein schwarzer Bundschuh. Ein Augsburger Nachdruck nimmt dieses Motiv, sorgsamer gestaltet, auf - bis heute die am häufigsten reproduzierte Bundschuh-Abbildung. Wohl aufgrund der hohen Nachfrage brachte Gengenbach selbst später einen sorgfältig gearbeiteten Nachdruck auf den Markt, dessen Titel ein eigens für diesen Zweck gefertigter Holzschnitt mit einer komplexen Symbolik schmückte. 104 101 Edition Goedeke, Gengenbach, S. 23 - 31; dazu, zu den Nachdrucken und zum „ Spruch “ (dessen Edition bei Liliencron, Volkslieder, Bd. 3, Nr. 284, S. 133 - 138) vgl. Seibert, Aufstandsbewegung, S. 180 ff. 102 Tatsächlich verfluchte Noah nach Gen 9,21 ff. Kanaan, den Sohn des Ham. 103 Goedeke, Gengenbach, S. 27. 104 Vgl. insgesamt das Verzeichnis von Steinmann, Bundschuh-Fahnen, S. 280 ff.; zum Erstdruck VD16 G 1172 vgl. Seibert, Aufstandsbewegung, 186 f.; zu Gengenbachs Nachdruck VD16 G 1170 ebd., S. 205 ff. 4.3 Freiburg 1513 89 <?page no="90"?> Abb. 5: Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh, Augsburger Nachdruck 1514, Titelbild 90 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="91"?> Abb. 6: Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh, Basler Nachdruck 1514, Titelbild Man könnte dieses Bild als eine ziemlich präzise Abbildung des Bundschuh- Treffens auf der Hartmatte vom Herbstanfang interpretieren: Hauptmann Joß Fritz steht auf der linken Seite zusammen mit seinem Fähnrich Jakob Huser und einem Weibel einer Gruppe von Bauern gegenüber, die mit aufgereckten Fingern ihren Eid auf das Fähnlein leisten. Dieses Fähnlein zeigt den Gekreuzigten, flankiert von seiner Mutter Maria und Johannes, zu deren Füßen jeweils betend eine Bäuerin und ein Bauer im Stil spätmittelalterlicher Stifter- 4.3 Freiburg 1513 91 <?page no="92"?> bilder zu sehen sind. Das Kreuz selbst scheint aus einem überdimensionalen Bundschuh hervorzuwachsen. Im Hintergrund ist, abgesehen von Bauern, die ihr Feld bestellen, eine Szene aus dem Alten Testament abgebildet (Genesis 22): Abraham schickt sich an, auf göttlichen Befehl seinen Sohn Isaak als Brandopfer darzubringen, wird aber vom Engel des Herren daran gehindert. Die Szene wurde von christlichen Theologen als Präfiguration des Opfertodes Jesu gedeutet, wie er auf der Fahne zu sehen war. Zugleich galt sie als Sinnbild für den Bund Gottes mit ‚ seinem ‘ Volk der Israeliten, nachdem Abraham seinen bedingungslosen Gehorsam ihm gegenüber unter Beweis gestellt hatte. Der Bund der Bauern wurde so in einen direkten Zusammenhang mit der christlichen Verkündigung gerückt. Der erläuternde Text unterstreicht den dargestellten Zusammenhang, indem über der Fahne der Kommentar „ Figur des Bundschuh “ zu lesen ist, über der Opferung Isaaks „ Figur des göttlichen Bundes, Genesis 22 “ . 105 Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, als würde das Bündnis der Bauern hier regelrecht verklärt - ein drastischer Gegensatz zum Gedicht Gengenbachs, der das Ganze immerhin selbst gedruckt hat. Eine Erklärung für diesen Zwiespalt zu finden, ist nicht einfach - vielleicht wollte der Drucker aus verkaufsstrategischen Gründen sowohl den Verächtern als auch den Sympathisanten des Bundschuhs einen Anknüpfungspunkt bieten? Auffällig ist indes, dass Nachdrucke aus der Augsburger Offizin von Erhard Öglin das Basler Titelbild durch eine eigenständige Version ersetzen. Hier ist ein einzelner Bauer mit einer Fahne zu sehen, auf der eine Kreuzigungsgruppe abgebildet ist; der emblematische Bundschuh steht daneben auf dem Boden. 106 Die Abbildung des - durchaus selbstbewusst erscheinenden - bäuerlichen Fähnrichs entspricht eher dem neutralen Duktus des Prosatextes. Wie immer die konkreten frühneuzeitlichen Betrachter dieses widersprüchliche Medienangebot rezipierten, in allen Fällen trug das mediale Echo der Geschehnisse von 1513 dazu bei, den Bundschuh im kollektiven Gedächtnis zu verankern und ihn endgültig zu einem jederzeit aktivierbaren Feindbild zu machen. 105 VD16 G 1170 ist nicht digitalisiert, vgl. vorerst Goedeke, Gengenbach, S. 438. 106 Zu den Augsburger Nachdrucken VD16 G 1171 bzw. VD16 ZV 6497 Seibert, Aufstandsbewegung, S. 210 ff. Eine nähere Interpretation dieses Bildes kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Der Versuch von Steinmann, Bundschuhfahnen, S. 261 ff. Darin gleichsam das reale Abbild der Fahne von 1513 zu sehen, ist scharfsinnig, aber aus quellenkritischen Erwägungen problematisch. 92 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="93"?> 4.4 Der Arme Konrad von 1514 Der Brief, den Herzog Ulrich von Württemberg am 15. Juni 1514 an Kaiser Maximilian über die grassierende Empörung schrieb, klang äußerst alarmierend: Zwar habe er einen Landtag ausgeschrieben, dennoch falle eine Stadt nach der anderen von ihm ab. Als Beispiel für den Ungehorsam der Untertanen nennt der Herzog die Tatsache, dass sie „ aigens gewalts “ in großer Zahl Wildbret schössen, „ an ainem flecken in 2 tagen bis in die 60 stuck “ . Das Exempel mag für modernes Empfinden eher abseitig klingen, aber der jagdbesessene Herrscher sah die Verletzung seines adligen Jagdvorrechts als Indiz für den Umsturz aller Ordnung. 107 Zwar würden die Ungehorsamen versichern, „ daz sölches mir nit zuwider geschehe “ . Aber wenn das so weitergehe, wenn sie auch in anderer Hinsicht weder Gebot noch Verbot halten wollten, würde alle Obrigkeit und Ehrbarkeit verworfen und ihres Amtes entsetzt. Ja, wenn alle „ allein irem aigenen freien willen “ nachgingen, dann beträfe das nicht allein sein Fürstentum, sondern auch die benachbarten Herrschaften, sodass es den Anschein habe, „ als sölt oder wölte entlich ain pundschuch daraus werden “ . Wenn der anstehende Landtag die Ungehorsamen nicht von ihrem Vorhaben abbrächte, müssten deshalb weitere Maßnahmen ergriffen werden. Dafür bittet der Fürst seinen Kaiser um „ rat, hilf und beistand “ . 108 „ Bundschuh “ - offenkundig sollte der Rückgriff auf das vertraute Feind- und Schreckensbild die Dramatik der Situation deutlich machen. Herzog Ulrich war nicht der Einzige, der damals diese Charakterisierung benutzte. Tatsächlich gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Bundschuh-Verschwörungen und der hier aufscheinenden Bewegung des „ Armen Konrad “ - zu diesem Namen gleich mehr. Eine markante Eigenheit des Armen Konrad war jedoch seine fast exklusive Konzentration auf ein einziges, allerdings ziemlich großes Territorium, nämlich das Herzogtum Württemberg. Auch der Forschungsstand für beide Bewegungen unterscheidet sich markant. Zur Bewegung des Armen Konrad gibt es, anders als für den Bundschuh und den Bauernkrieg, keine übergreifenden Quelleneditionen. 109 Im Umfeld des Jubiläums entstanden allerdings zahlreiche Publikationen mit Quelleneditionen und Aufsätzen. 110 Grundlegend bleibt die Arbeit von Schmauder, dessen Annahme, es habe jenseits der öffentlichen 107 Vgl. Brandenburg, Wildschwein. 108 Ohr/ Kober, Württ. Landtagsakten, Nr. 48, S. 134 ff. 109 Einige wichtige Dokumente sind in den gerade zitierten Landtagsakten enthalten, die bäuerlichen Beschwerden bei Franz, Aktenband, S. 77 - 114. 110 Wichtig die Beiträge in Hirbodian u. a., Vergleich; Adriani/ Schmauder (Hg.), 1514; sowie die Kataloge 500 Jahre Armer Konrad und Rückert, Der Arme Konrad; zuletzt Kühnle, Städtewesen, S. 318 ff. sowie Köhler, „ Armer Konrad “ und Bauernkrieg; immer noch 4.4 Der Arme Konrad von 1514 93 <?page no="94"?> Massenbewegung einen konspirativ vorgehenden und radikalen Geheimbund gegeben, aber nicht recht überzeugen will. 111 4.4.1 Das Herzogtum Württemberg Herzog Ulrich hatte 1503 als gerade einmal Sechzehnjähriger die Macht im Herzogtum übernommen, nachdem sein unfähiger Onkel Eberhard der Jüngere einige Jahre zuvor als Herrscher abgesetzt worden war; für den unmündigen Ulrich hatte unterdessen ein landständisches Regiment die Regierung geführt. 112 Von Beginn an befand sich der jugendliche Fürst in starker Abhängigkeit nicht nur von den Landständen im Inneren seines Fürstentums, sondern auch vom Haus Habsburg, mit dem der Aufstieg des Hauses Württemberg ohnehin eng verbunden war. Kaiser Maximilian war es dann auch, der ein Heiratsprojekt mit seiner Nichte Herzogin Sabine von Bayern auf den Weg brachte. Die 1511 geschlossene Ehe stand unter einem höchst unglücklichen Stern. Der junge Ehemann versuchte, sich aus dem Sog Habsburgs zu befreien, verlängerte noch im Jahr der Hochzeit seine Mitgliedschaft im Schwäbischen Bund nicht und näherte sich stattdessen dem „ Kontrabund “ an, einem Bündnisgeflecht von Fürsten, die sich der kaiserlichen Einflusssphäre zu entziehen suchten. Vorerst aber standen innenpolitische Entwicklungen im Vordergrund, die sich mit den Stichworten „ Herrschaftsverdichtung “ , „ Finanzkrise “ und „ Agrarkrise “ kennzeichnen lassen. 113 Herrschaftsverdichtung steht für den langsamen Aufbau (proto-)staatlicher Strukturen, wie sie in Württemberg in Anschluss an die Landesordnung von 1495 zu beobachten ist. Diese Ordnung liest sich geradezu als „ Programm “ für stärkere Eingriffe in die ländliche Wirtschaft, in die bislang weitgehend autonome gemeindliche Selbstverwaltung und die Dorfgerichtsbarkeit. Im Zentrum stand vor allem die Waldnutzung. Die Vögte in den Amtsstädten und die herzoglichen Forstmeister versuchten in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts verstärkt, ein strafferes obrigkeitliches Regiment durchzusetzen und den ländlichen Wirtschaftsraum administrativ und fiskalisch stärker zu erfassen. Eine wichtige Voraussetzung für die Ausbildung einer einheitlichen Landesherrschaft war im Übrigen die Tatsache, dass der Fürst hier (keine Selbstverständlichkeit! ) meist zugleich wichtig die älteren Arbeiten von Hans-Martin Maurer, z. B. Maurer, Aufstand sowie der Katalog Wandel (Hg.), Der Arme Konrad. 111 Schmauder, Württemberg im Aufstand. 112 Brendle, Dynastie, S. 25 ff.; Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 40 f. 113 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 36 ff.; am Beispiel Schorndorf Wendt, Krisenkommunikation. 94 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="95"?> selbst Grundherr war und die Grundrenten zu seinen zentralen Einnahmequellen zählten. 114 Eng mit dem Prozess der Herrschaftsverdichtung verknüpft war die Herausbildung der sogenannten „ Ehrbarkeit “ zu einer württembergischen Funktionselite. 115 Die Amtsstädte als Sitz der regionalen Verwaltung stellten geradezu die Nervenzentren des württembergischen Territoriums dar. Am Anfang des 16. Jahrhunderts besaß Württemberg, anders als vergleichbare Territorien, eine voll ausgebildete Ämterorganisation. 116 Als Vogt oder als Keller (Finanzverwalter) amtierten seit dem 14. Jahrhundert nicht wie andernorts vorwiegend Mitglieder des niederen Adels, sondern Angehörige der städtischen Elite. Sie besetzten damit Schlüsselpositionen nicht nur in administrativer und gerichtlicher, sondern auch in militärischer und ökonomischer Hinsicht. Zunehmend vollzog sich der Dienst für den Landesherrn im Rahmen einer administrativen Laufbahn, die Prestige, Macht und wirtschaftlichen Erfolg versprach. Diese Laufbahn war allerdings nur für einen kleinen Kreis von Männern zugänglich, denn untereinander war die Elite eng versippt und verschwägert. Rund die Hälfte der 43 Vogteien waren in der Hand von nur neun Familienverbänden. Nicht genug damit, auch in der ständischen Vertretung dominierte die Ehrbarkeit. Die „ Landschaft “ , die als Gesamtheit der württembergischen Städte und Ämter den Herrschern als Verhandlungspartner entgegentrat und für finanzielle Leistungen Beratungs- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt bekam, setzte sich weitgehend aus der Funktionselite von Amt- und Gerichtsleuten zusammen. Im Aufstandsgeschehen des Armen Konrad sollte die Ehrbarkeit einen ganz eigenen Machtfaktor bilden, weil ihre Interessen weder mit denen des Fürsten noch mit denen des gemeinen Mannes identisch waren. Herrschaftsverdichtung kostete viel Geld, z. B. für die Bezahlung von Verwaltungspersonal. Dabei war das Herzogtum Württemberg bereits seit dem Regierungsantritt des jungen Herzogs hoch verschuldet. Durch einen missglückten Kriegszug gegen Burgund an der Seite Habsburgs, durch den hohen Aufwand für die fürstliche Hofhaltung und demonstrativen Luxuskonsum spitzte sich die Finanzkrise weiter zu. Im Rechnungsjahr 1513/ 14 erreichte das Defizit im Staatshaushalt schätzungsweise etwa 70 Prozent der ordentlichen Ausgaben. 117 Im Herbst 1513 schrieb Ulrich deshalb eine zwölfjährige Steuer aus. Eine solche direkte vermögensabhängige Abgabe musste den Interessen der Wohlhabenden zuwiderlaufen, und bei wichtigen Vertretern 114 Ebd., S. 19 ff. 115 Vgl. zum Folgenden konzise Kühnle, Funktionselite, S. 292 ff., dort auch weitere Literatur. 116 Hesse, „ Gemeiner Mann “ , S. 258 117 Ebd., S. 42. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 95 <?page no="96"?> der Landschaft regte sich daher Protest. Der Herzog gab nach. Sein neuer Plan sah für die Dauer von drei Jahren eine indirekte Steuer auf Fleisch, Wein und Getreide vor; das war, modern gesprochen, eine Mehrwertsteuer, die kleinere Haushalte überproportional belastete. Dieses „ Ungeld “ traf die Bevölkerung in einer Situation, in der feuchte Sommer, Unwetter und Hochwasser zu einigen Missernten geführt hatten und in der die wirtschaftlichen Spielräume der Bauern dramatisch geschrumpft waren. 118 Proteste und Warnungen aus einigen Ämtern wurden durch die informelle Zustimmung der einflussreichen Amtsstädte überspielt; die Einberufung eines Landtages wollte der Fürst vermeiden. Allerdings sollte sich schnell erweisen, wie groß die unterschwellige Unzufriedenheit war und wie schnell sie in offenen Protest umschlagen konnte. 4.4.2 Erste Phase: Initiierung und Ausweitung im Mai Zündfunke für die erste Phase der Unruhen war die Aktion des Tagelöhners Peter Gais im zum Amt Schorndorf gehörigen Ort Beutelsbach. 119 ‚ Gaispeter ‘ entwendete am 2. Mai 1514 einem Metzger seine Gewichte und warf sie in die Rems. Vom Schultheiß vor das Dorfgericht zitiert, sprach er zunächst von einem Scherz, erläuterte dann aber seine eigentlichen Beweggründe: Er sah mit der Einführung des neuen Ungelds das alte Herkommen verletzt und verlangte dessen Wiederherstellung. Dass die Gewichte zum Gegenstand des Protestes wurden, hatte einen einfachen Grund, denn die neue Steuer sollte auf sehr eigenwillige Weise umgesetzt werden: Man wollte die Preise scheinbar auf dem bisherigen Niveau belassen, die Gewichte und Maße aber verringern, und hatte zu diesem Zweck neu geeichte Gewichtssteine im Land verteilen lassen. „ Die Bevölkerung erfuhr mit Verblüffung, dass Pfund nicht mehr Pfund und Scheffel nicht mehr Scheffel war, dass alte autorisierte Maßeinheiten [ … ] plötzlich nicht mehr galten. Die Entrüstung war allgemein. “ 120 Ausdruck dieser Entrüstung war Gaispeters Aktion. Erst spätere Generationen verklärten die Versenkung der Gewichte im Fluss zur „ Wasserprobe “ und damit zum Gottesurteil. Weitere Aktivitäten folgten, die auf eine Ausweitung des Protestes zielten. Noch in der Nacht zog Gaispeter auf den nahe gelegenen Kappelberg und läutete in der alten Schlosskapelle Sturm. Einige Begleiter warben in der Umgebung um Unterstützung, sodass sich schon am Morgen des 4. Mai einige hundert - manche Quellen sprachen auch von tausenden - Männer versammelten und vor die Tore der Amtsstadt Schorndorf zogen. Herzog Ulrich reagierte schnell. 118 Kretzschmar/ Rückert, Der „ Arme Konrad “ , S. 36; Rückert, Umwelt und Klima, S. 75 f. 119 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 51 ff.; Breyvogel, Weinstadt, S. 41 f. 120 Maurer, Aufstand, S. 111. 96 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="97"?> Er begann von Stuttgart aus nicht nur die Verteidigung Schorndorfs zu organisieren, sondern auch militärische Unterstützung herbeizurufen. Allerdings zog sich der Protestzug Gaispeters schnell wieder zurück, sodass der Herzog schon ein, zwei Tage später die Unruhen für beendet und weitere Maßnahmen für überflüssig hielt. Das Gegenteil jedoch war der Fall, die Nachricht von den Vorgängen im Amt Schorndorf verbreitete sich im ganzen Land und führte zur Multiplikation von Unruheherden - vor allem im Süden, in Blaubeuren, Urach, Tübingen und Balingen, aber auch im Norden, etwa in Bietigheim, in Marbach oder in Weinsberg. Zu einem Zentrum der Proteste wurde die Amtsstadt Markgröningen, wo der Stadtpfarrer Dr. Reinhard Gaißlin das Geschehen nicht nur unterstützte, sondern sogar von der Kanzel herab anheizte. 121 Als gebürtiger Fellbacher war Gaißlin in der Region verankert. Er hatte sich 1490 an der Tübinger Universität immatrikuliert und es immerhin bis zum Rektor der Theologischen Fakultät und wohl auch zum Prediger an der Stiftskirche gebracht. 1514 dann finden wir ihn als Pfarrer in Markgröningen, für einen hochdekorierten Akademiker sicher kein logischer Karriereschritt, vielleicht sogar eine bewusste Wendung hin zur Seelsorge für die kleinen Leute. Sein Gegenspieler vor Ort war der Amtsvogt Philipp Volland, der mit seinem Bruder Ambrosius in Heidelberg studiert hatte; beide entstammten einer reichen Familie, und beide waren dezidierte Anhänger des Herzogs. 122 Volland verdanken wir einige Berichte über die Unruhen in Markgröningen, die die zentrale Rolle Gaißlins deutlich dokumentieren. 123 Sie sind allerdings deutlich subjektiv gefärbt, denn gerade der Vogt war in der ersten einschlägigen Predigt des Pfarrers vom 7. Mai heftig kritisiert worden. Unschwer war für alle Zuhörer erkennbar, auf wen sich die Predigt über die Hirten und ihre Schafe (im Anschluss an Mt 10,16 oder Joh 10) bezog, in der Gaißlin den unseligen Hirten anprangerte, der seine Schafe im Sumpf stecken lasse. 124 Es war der Vogt selbst, der zusammen mit seinem Bruder Ambrosius als jemand verrufen war, der hinter der neuen Steuer steckte. In den folgenden Wochen unterstützte der Pfarrer in weiteren Predigten den Protest gegen Herzog und Ehrbarkeit, indem er die Reichen und Mächtigen kritisierte und die armen einfältigen Bauern als Jünger Christi lobte. 125 Neuerdings ist in diesem Zusammenhang die Prägung 121 Zu ihm Schad, Markgröningen; Dietz, Weisheit; Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin. 122 Dietz, Weisheit, S. 141 f. 123 Edition der Texte bei Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 83 - 96. 124 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 89, 12; vgl. für einen Bezug zu einem aktuellen Weidekonflikt vor Ort Schad, Markgröningen, S. 38 f. 125 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 88 (25. Mai), eine sehr kryptische und kurze Passage; S. 90 f. (11. Juni); S. 94, 6 (30. Juli). 4.4 Der Arme Konrad von 1514 97 <?page no="98"?> Gaißlins durch die Tübinger Universitätslehrer Steinbach und Summenhart betont worden, die ebenfalls mit Kritik an den Feudallasten hervorgetreten waren. 126 Stärker noch als in der Kirche ließ der Pfarrer im Alltag keinen Zweifel an seiner Unterstützung für die Protestbewegung aufkommen. Vogt Volland beklagte, er sei am Tag nach der ersten Sonntagspredigt des Pfarrers in einer Zeche mit üblen Reden traktiert worden; eine Rotte von 200 Aufständischen habe sich später vor seinem Haus am Markt versammelt und Drohungen gegen die Reichen ausgestoßen. Sie nötigten den herzoglichen Kornmeister zur Herausgabe des Schlüssels zu den Kornvorräten, um diese dann zu plündern, erlangten aber weder über das Schloss noch über die Stadttore die Kontrolle. 127 Bald wurde der Pfarrer von den Aufständischen herbeigerufen, der nicht gezögert habe, sich auf ihre Seite zu stellen. Allgemein, so Volland, sei die „ gemaine red “ gewesen, der Aufruhr „ sy allain uß deß doctors bewegung entstanden “ . Gräßlin habe Verwandte im Remstal gehabt, die dort die Unruhen initiiert hätten, und diesen habe er helfen wollen. Öfter habe er die Rebellen in ihren Handlungen bestärkt „ und ain gefallen an diser uffrur gehapt “ , während er andere wegen ihrer Zögerlichkeit tadelte. 128 Ob Gaißlin allerdings alle ihm zugeschriebenen radikalen Äußerungen so getätigt hat, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Denn zugleich ist eine nächtliche Äußerung von ihm überliefert, nach der er gesagt haben soll, er würde gerne beim Armen Konrad mittun, „ wan er nit priester oder es nit wider got were “ . 129 Bei der Charakterisierung Gaißlins als dem Hauptverursacher des Aufstandes handelte es sich somit mit einiger Sicherheit um eine interessengeleitete Verzerrung des Vogtes. Ein „ Revolutionär “ war der Prediger wohl nicht, wie auch seine Haltung am Ende der Geschehnisse zeigt. 130 Was wir über die Predigten wissen, geht insgesamt kaum über ein gewisses Maß an Ständekritik hinaus, wie es bei engagierten Kanzelrednern nicht unüblich war. Klar ist, dass Gaißlin deutlich gegen die neue Steuer Stellung bezog; „ der doctor hab geredt “ , so ein Zeuge, „ es sy wider gaistlich und weltlich recht, solich 126 Dietz, Weisheit, S. 138. 127 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 84 f.; vgl. Schad, Markgröningen, S. 39 ff. 128 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 86 f. 129 Ebd., S. 93. Zu den zweifelhaften Äußerungen gehört z. B. jene, wenn „ man die Dörfer vergewaltige und brenne (? , im Original: begwaltig oder brenn), so wölle er der erst sein “ (ebd. S. 86). 130 Zu den möglichen akademischen Prägungen Gaißlins vgl. Dietz, Weisheit, S. 138; zu seinen radikalen Äußerungen Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 84 f., S. 86 f., S. 93; vgl. Schad, Markgröningen, S. 39 ff. Als „ Pfarrer und Revolutionär “ erscheint Gaißlin sowohl bei Dietze, Weisheit (Titel) als auch bei Schad, Markgröningen, S. 81. 98 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="99"?> schatzung uff die armen lüt zu legen “ . 131 Nicht nur in Markgröningen und im Remstal, auch an vielen anderen Orten des Landes bildete das Fleischungeld den Kristallisationspunkt des Protestes. So war es nur folgerichtig, dass der Herzog die Steuer Mitte Mai (der Zeitpunkt ist nicht ganz klar) kurzerhand zurückzog und allen an den Unruhen Beteiligten Straffreiheit versprach. Kurzfristig trat die erhoffte Ruhe tatsächlich ein, der Protest flaute ab, und einige Ämter fertigten Ergebenheitsadressen an den Herzog aus. 132 Der weitere Gang der Ereignisse zeigt aber, dass die Steuer höchstens der Anlass, nicht aber die alleinige Ursache der Proteste war. Denn diese gingen nun weiter, allerdings in anderer, zunächst verdeckter Form. 133 Fluchtpunkt für die nächste Etappe der Rebellion sollte das Kirchweihfest in Untertürkheim am 28. Mai bilden, zu dem alle Anhänger mobilisiert werden sollten. Zu diesem in Hauptstadtnähe stattfindenden Ereignis wurden ohnehin große Menschenmassen erwartet; es schien ein aussichtsreiches Sprungbrett für weitere Aktivitäten zu sein. Einmal mehr ging die Initialzündung für den kommenden Aufstand vom Remstal, speziell von Schorndorf und namentlich von Gaispeter aus. Der soll selbst öffentlich ausgeschrien haben, „ er sey der arm Conrat und er hab den armenconrad anfenglich ufbracht und erdacht “ . Der Beutelsbacher Magistrat berichtet, Gaispeter sei zeitweilig kaum zu Hause gewesen, sondern stattdessen im ganzen Land umhergezogen, um die Leute zur Kirchweih nach Untertürkheim zu mobilisieren. 134 Tatsächlich setzte sich nun der Name „ Armer Konrad “ als Selbstbezeichnung für die Bewegung durch. Die Beteiligten schworen ‚ in den ‘ Armen Konrad, sie leisteten ‚ dem ‘ Armen Konrad ihren Eid oder manche erklärten gleich, selbst den Armen Konrad zu verkörpern. In Pfaffenhofen stand etwa Conrad Metzler nach der Vesper auf dem Kirchhof und schrie: „ hie statt der Arm Conratt und ich bin der Arm Conratt, welcher mir globen wel in Armen Conratt der trett her zu mir und glob mir … ! “ 135 Ein ursprünglich abfälliger Begriff für den mittellosen armen Mann wurde hier positiv zu einer Kampfbezeichnung umgeprägt, die vielleicht sogar speziell den gemeinen Mann in Württemberg meinte. Mag sein, dass die Idee für eine solche Bezeichnung schon länger zuvor im Remstal erdacht worden war, wie ein Zeuge wissen wollte. 136 Im Reimspruch eines Sympathisanten der Aufständischen ( „ Wer wissen wöll, wie die sach stand “ ) 131 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 89. 132 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 58 f. 133 Ebd., S. 59 ff. 134 Ebd., S. 60, S. 62. 135 Ebd., S. 63; vgl. zur Interpretation Buszello, Bundschuh und Armer Konrad, S. 29; Weber, Rechtsverständnis, S. 24 ff. 136 Ebd., S. 60. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 99 <?page no="100"?> Abb. 7: „ Wer wissen will, wie die Sache steht “ (1514), Titelblatt 100 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="101"?> war es dagegen der Rat eines alten weisen Mannes, dem das Unternehmen seinen Namen verdankt. Dem hatten nämlich die Beutelsbacher ihren Unmut über die obrigkeitlich auferlegten Bürden geklagt, worauf er zunächst von Ungehorsam gegenüber der Herrschaft abgeraten habe und dazu als Negativbeispiel den Bundschuh ins Feld führte; dieser habe ‚ sein Leben lang ‘ keinen Fortschritt gebracht. Als die Unzufriedenen daraufhin versichern, sie wollten ihrer Herrschaft stets in allem willig und bereit sein, sofern diese sie bei ihrem alten Brauch und Herkommen lasse, änderte er seine Haltung und stimmte ihnen zu: „ Wol hyn ir gon rechten pfadt Nun volget meinem trewen radt Und halt euch vestiklich zsam und gebt dem bunt eyn andern nam Des bundschuoch ewer yder schweig Ir kumpt sunst auff kein grünen zwig Den armen Conrat heissen yn …“ 137 Demnach riet er ihnen also, ihrem „ Bund “ den Namen „ Armer Konrad “ zu geben, denn als ‚ Bundschuh ‘ kämen sie „ auf keinen grünen Zweig “ . Mit dieser phantasievollen Erzählung wurde ein Kernpunkt der eigenen Identität öffentlich befestigt, nämlich die Versicherung, dem Herrscher prinzipiell treu zu sein, allerdings unter der Bedingung, dass dieser das alte Herkommen respektierte. Zugleich versuchte sich die Bewegung demonstrativ von der bislang erfolglosen Bundschuh-Bewegung abzusetzen, die im Ruch des Landesverrats stand. Dass die Ausweitung der Bewegung des Armen Konrad im Laufe des Mai und bis Anfang Juni phasenweise heimlich, ja regelrecht konspirativ vor sich ging, widerspricht dieser Feststellung nicht. Eine Phase verborgener Absprachen und Vorbereitungen kennzeichnete vermutlich die meisten Bauernaufstände bis hin zu den Geschehnissen 1524/ 5, auch wenn wir darüber naturgemäß schlecht unterrichtet sind. Als Eigenheit des Armen Konrad zu betrachten ist eher die Tatsache, dass diese Phase sich an die öffentlichen Protestaktionen am Beginn anschloss. Diese hatten immerhin gezeigt, dass es potentiell eine breitere Anhängerschaft für den Untertanenprotest gab, ein „ Test “ , den es im Fall der Bundschuh-Verschwörungen nie gegeben hatte. In Württemberg kamen die Verschwörer des Armen Konrad in den Häusern führender Anhänger zum „ Ratschlag “ zusammen, wobei der an manchen Orten gebräuchliche Name „ Kanzlei “ den Anspruch auf Organisiertheit deutlich macht. Zugelassen waren ausschließlich solche Männer, die sich durch einen Schwur dazu verpflichtet 137 Steif/ Mehring, Geschichtliche Lieder, Nr. 26, S. 95 - 97 (= VD16 W 1964); vgl. Seibert, Aufstandsbewegungen, S. 331 ff. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 101 <?page no="102"?> hatten, dem Armen Konrad beizustehen. Dazu stachen sie mit einem Messer in einen auf einen Tisch gezeichneten Kreis oder stellten sich in ein auf der Erde markiertes Rund; dabei musste jeder formelhaft versichern, „ der Gerechtigkeit einen Beistand zu tun “ . Entscheidungen wurden gemeinsam per Handzeichen getroffen, wobei - wie stets in der Vormoderne - dem Ideal nachgestrebt wurde, eine „ einhellige Meinung “ hervorzubringen. Berichte über Fähnlein als Symbole der Vergemeinschaftung gibt es auch, aber sie kamen mit einer Ausnahme nicht über das Planungsstadium hinaus. Ein seltsamer Entwurf für eine Fahne stammte von Dr. Gaißlin, der diesen im Hause eines Zeugen mit Kreide auf den Tisch malte: Er zeigte „ ein Säckel mit einem langen Riemen “ und wurde vom Pfarrer mit den Worten kommentiert, die Fahne stehe dafür, dass man „ immerdar Geld genug habe “ . 138 Insgesamt lassen sich in den fragmentierten Quellen 337 Personen aus 25 verschiedenen Orten als Anhänger des Armen Konrad nachweisen, allein in Schorndorf und in Urach 65 bzw. 60, in Markgröningen dagegen nur sieben, darunter der Pfarrer persönlich. Sozial war die Schwurgemeinschaft breit zusammengesetzt. Einzelne Mitglieder der Ehrbarkeit unterstützten sie, aber die Masse dürfte aus etablierten Männern der Gemeinde mit kleinem oder mittlerem Vermögen bestanden haben. Gaispeter als einfacher Tagelöhner stellte innerhalb der Führungsschicht wohl eine Ausnahme dar; an anderen Orten waren es eher verheiratete und wohlhabende Männer wie Singerhans aus Würtingen im Amt Urach. 139 Im Übrigen darf man sich trotz der genannten Zahlen kein falsches Bild von der Geschlossenheit der Bewegung machen. Zwar wurden sicher viele überregionale Fäden gesponnen, aber eine regelrechte Koordination der Aktionen zwischen verschiedenen Orten gelang nicht - einer der Gründe für den letztlichen Misserfolg der Bewegung. 140 4.4.3 Zweite Phase: Proteste und Beschwerden Mochten die Ratschläge des Armen Konrad sich auch weitgehend im Verborgenen vollziehen, so blieb die Mobilisierung zur Untertürkheimer Kirchweih am 28. Mai den herzoglichen Vögten doch keineswegs verborgen - auch deswegen scheint es problematisch, eine klare Abgrenzung zwischen einer Phase konspirativer Planungen, die bis Anfang Juni reichte, und der darauf- 138 Bericht Volland, S. 88; vgl. aber Schad, Markgröningen, S. 42; weiterhin Breyvogel, Weinstadt, S. 50. 139 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 104; zu Singerhans Schmauder, Urach: vgl. insgesamt Ille-Kopp, Teilnehmer. 140 Kretzschmar/ Rückert, Der „ Arme Konrad “ , S. 56. 102 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="103"?> folgenden Phase des offenen Widerstands vorzunehmen. 141 Jedenfalls griff Herzog Ulrich zu Gegenmaßnahmen, um einer weiteren Eskalation vorzubeugen. 142 Auf der einen Seite verbot er am 26. Mai, also zwei Tage vor dem Fest, den Besuch der Kirchweih in Untertürkheim. Zum anderen berief er für den 26. Juni einen großen Landtag nach Stuttgart ein, auf dem auch der gemeine Mann in den Amtsstädten und auf dem Lande die Möglichkeit haben sollte, seine Beschwerden vorzubringen. Das war ein außergewöhnliches Zugeständnis, denn einen solchen allgemeinen Landtag hatte es schon seit langem nicht mehr gegeben; auf den bisher einberufenen Landtagen waren selbst die meisten Amtsstädte von der Mitsprache ausgeschlossen gewesen. Der Herzog, so zeigt das, war sich der ernsten Lage bewusst. Er musste die Unruhen eindämmen und zudem wirksam gegen die Staatsverschuldung angehen. Das fürstliche Vorgehen setzte nun allerdings auch die Angehörigen des Armen Konrad unter Druck und veranlasste sie, ihr weiteres Vorgehen zu bedenken. Die Orientierung auf ein landesweites Treffen anlässlich der Kirchweih am 28. Mai war hinfällig, denn das Verbot verfehlte offenbar seine Wirkung nicht. Andererseits war völlig unklar, was der Landtag bringen würde. Nur mündlich war er vom Herzog angekündigt worden, und wer genau dort was vorbringen oder verhandeln konnte, stand nicht fest. Würden sich, jenseits der kleinen Führungselite, die Vertreter der Gemeinden artikulieren dürfen? Überdies kursierten Gerüchte über die Rekrutierung auswärtiger Truppen und damit über eine gewaltsame „ Lösung “ des württembergischen Konfliktes. Das Misstrauen gegenüber dem Landesfürsten, aber auch gegenüber der Ehrbarkeit war groß. In dieser Situation suchten die Angehörigen des Armen Konrad und ihre Sympathisanten in vielen Amtsstädten die öffentliche Auseinandersetzung. Vielerorts begann eine Phase der Konfrontation mit den örtlichen Vertretern der Herrschaft. Der Brackenheimer Bürgermeister Sigmund Epp fühlte sich von den Protestierern derart herausgefordert, dass er ihnen entgegenhielt, der Teufel selbst sei ihr Bürgermeister. 143 Gemeinschaftliche Aktionen sind für 32 der 43 württembergischen Ämter überliefert, in fünf weiteren gab es immerhin vereinzelte Protestaktionen; nur in sechs Ämtern am Rande Württembergs blieb es ruhig. 144 Die Protestierer läuteten die Sturmglocken und beriefen eigenmächtig, ohne vorherige Verständigung mit dem Vogt, Gemeindeversammlungen ein. So geschah es etwa in Schorndorf am 7. Juni, nachdem zuvor im „ Ratschlag “ des Armen Konrad über das weitere Vorgehen abgestimmt 141 Wie es Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 70, suggeriert; er berichtet aber auch von öffentlichen Auseinandersetzungen bereits „ im ersten Drittel des Mai “ , ebd., S. 76. 142 Ebd., S. 64 ff. 143 Kühnle, Städtewesen, S. 325. 144 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 70. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 103 <?page no="104"?> worden war. 145 Von Vogt und Gericht wurde die Herausgabe der Stadtschlüssel verlangt. Nachdem die Gemeinde einige Vertrauensleute gewählt hatte, händigte die örtliche Ehrbarkeit diesen die Hälfte der Schlüssel aus. Auch in anderen Städten übernahm die Gemeinde ganz oder teilweise die Stadtverteidigung und koordinierte Sicherungsmaßnahmen gegen einen möglichen drohenden Angriff vonseiten der Herrschaft. Ein zweiter Brennpunkt der Auseinandersetzung in den Städten war die mangelnde Repräsentation der Gemeinde bzw. die Ausweitung der Partizipation über den Kreis der Ehrbarkeit hinaus. In Rosenfeld sprach Hans Steffen mit seiner Kritik an Amtleuten und Gericht sicher nicht nur für sich selbst: „ Der obervogt und Schulthais handle mit ain Gericht (aus), was minem gnedigen Herren [dem Herzog, GS] gut sy, und frags ain Gemaind nit. “ 146 Folgerichtig wurde häufiger die Forderung erhoben, Gemeindevertretungen als unabhängige Vertretungsorgane der Landschaft zu etablieren. Mancherorts bildeten sich derartige Vertretungen schon im Zuge der Sicherungs- und Verteidigungsanstrengungen, in anderen Fällen geschah das später während der Abfassung der Beschwerden. 147 Insgesamt erreichte der Protest in den Wochen vor dem Landtag eine beachtliche Breite, zumal er auch in landsässige Klosterterritorien wie Alpirsbach, Lorch oder Maulbronn hinüberschwappte. 148 Sogar bis in der Nachbarschaft, in die Markgrafschaft Baden, strahlte der Arme Konrad aus: Im Amt Bühl verweigerte der markgräfliche Leibeigene Bastian Gugel Anfang Juni einige Frondienste. Der drohenden Bestrafung suchte er sich dadurch zu entziehen, dass er versuchte, Anhänger um sich zu scharen, und erklärte, nun wolle er ihr „ Armer Kunz “ sein. 149 Der Versuch scheiterte allerdings bereits im Ansatz an der Weigerung der meisten Angesprochenen, dem selbst ernannten Führer zu folgen. Dennoch ließ der Markgraf Bühl am 15. Juni besetzen und einige Männer verhaften. Andere flüchteten, darunter Bastian Gugel, der aber im August in Freiburg ergriffen, peinlich verhört und später enthauptet wurde. 150 In Württemberg profilierte sich in den Wochen vor dem Landtag als Gegenpart zum „ Armen Konrad “ bzw. zu den städtischen Gemeindevertretern weniger der weitgehend defensiv agierende Herzog als die Ehrbarkeit. 151 Die 145 Ebd., S. 72. 146 Ebd., S. 77. 147 Ebd., S. 134 ff. 148 Ebd., S. 111 ff. 149 Rosenkranz II, Nr. 20, hier S. 263. 150 Ich folge der überzeugenden Interpretation von Rumpf, Bastian Gugel, vor allem S. 16 ff., dagegen Schmauder, Württemberg, S. 115, der von einer Verhinderung des Aufstands durch den Markgrafen ausgeht. 151 Zum Folgenden Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 118 ff. 104 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="105"?> Initiative ergriffen insbesondere die beiden Vögte Konrad Breuning aus Tübingen und Hans Gaisberg aus Stuttgart. Sie schlugen dem Fürsten vor, in öffentlichen Verlautbarungen das Landtagsprojekt zu bekräftigen und Gerüchte über eine gewaltsame Lösung zu dementieren. Dabei bekräftigten die Stuttgarter, dass - wie (angeblich) von alters her - jeweils der Amtmann, einer aus dem Gericht und einer aus der Gemeinde am Landtag teilnehmen sollten. Eine direkte und unabhängige Vertretung der jeweiligen Gemeinde, durch die der Einfluss der Ehrbarkeit beschnitten worden wäre, war danach weiterhin nicht vorgesehen; sie würde, wie es in dem Ausschreiben hieß, „ mer hinderung dann furderung “ bringen. Damit sich „ der gemeine Mann “ trotzdem nicht beklage, sollten etwaige Mängel und Gebrechen in jedem Dorf „ artikels wise “ verzeichnet und über die jeweiligen Gerichte und Gemeinden dem Landtag eingereicht werden. 152 Die beiden Städte schickten jeweils eigene Delegationen aus, die über Land reisten und die Texte in den jeweiligen Amtsstädten erläuterten. Zum Teil unabhängig davon bemühten sich die Amtleute vor Ort um einen Dialog mit den Protestierenden und um eine Beruhigung der Situation. Wie der ‚ Dialog ‘ zwischen Vögten und Ehrbarkeit einerseits, den Angehörigen des „ Armen Konrad “ und den jeweiligen Gemeinden andererseits im Einzelnen verlief, lässt sich quellenmäßig schwer fassen. Insgesamt wird man wohl von einem Erfolg der herrschaftlichen Kommunikationsoffensive sprechen können. 153 Einige Ämter und Gemeinden lieferten regelrechte Ergebenheitsadressen an den Herzog ab; in anderen Orten beschloss der Arme Konrad immerhin, sich bis zum Landtag ruhig zu verhalten. Allerdings kündigten sie an, den Widerstand wieder aufzunehmen, wenn die Beschwerden auf dem Landtag nicht abgestellt würden. In Schorndorf gelang es dem Vogt Georg Gaisberg, die ländlichen Gemeinden mit dem Angebot eines Schutz- und Sicherheitsbündnisses auf seine Seite zu ziehen. Unter der Bedingung der Straffreiheit für alle an der Besetzung der Stadttore Beteiligten wurden die Stadtschlüssel bereits nach zwei Tagen wieder an die Ehrbarkeit übergeben. Der Aufruhr der Gemeinde gegen ihn und das Gericht, so meldete Gaisberg am folgenden Tag nach Stuttgart, sei beendet. 154 In vergleichbarer Weise beruhigte sich die Situation auch andernorts. Nur in Tübingen gab es am 11. Juni eine größere Unruhe, in deren Folge einige der ‚ Rädelsführer ‘ sich in die Eidgenossenschaft absetzten. 155 152 Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 39, S. 125 f. und Nr. 41, S. 127 ff., Zitate S. 129. 153 So würde ich die Befunde bei Schmauder, Württemberg im Aufstand, vor allem S. 128 f. deuten, der das Ergebnis allerdings stärker als Erfolg der Aufständischen zu werten scheint. 154 Ebd., S. 131. 155 Ebd., S. 130 f.; vgl. Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 47, S. 148 ff. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 105 <?page no="106"?> In den Wochen vor dem Landtag wurden landesweit in den Ämtern die Beschwerden der Städte und Dorfgemeinden gesammelt. Vollständig erhalten sind Beschwerdehefte nur aus dem Amt Urach, einige Bruchstücke liegen aus vier weiteren Ämtern vor. 156 Zusammen mit anderen flankierenden Dokumenten bietet diese Überlieferung aber durchaus einen Zugang zu dem, was die Menschen damals bewegte. „ Dominierendes Thema [ … ] ist die Einschränkung der Wald- und Weidenutzung für die ländlichen Gemeinden durch die Herrschaft. “ 157 Sowohl in den herzoglichen Eigenwäldern als auch in den Gemeindewäldern war die Erlaubnis zum Schlagen von wertvollen Bauhölzern, ebenso aber auch von Brenn- und Zaunholz drastisch eingeschränkt worden. Die herzoglichen Forstleute hatten ihre Kontrolle über die Wälder und Wiesen drastisch verschärft; sie achteten z. B. darauf, dass die Schweine nicht mehr zur Mast hineingetrieben wurden, dass keine wildwachsenden Bäume geschlagen oder Fische gefangen wurden. Während nur wenige Beschwerden über grund- und leibherrliche Abgaben zu entdecken sind, bildete die Ausweitung von Frondiensten in Gestalt von Holzhauen oder Fuhrleistungen ein großes Thema. Geklagt wurde zudem häufig über die Schäden, die durch das für die herrschaftliche Jagd gehaltene Wild auf den Agrarflächen anrichtete. Viele Beschwerden hingen, anders gewendet, direkt mit der intensiveren Handhabung und wirtschaftlichen Ausbeutung von Hoheitsrechten über die Forste sowie die Allmenden zusammen. Einen weiteren Komplex bildeten Klagen über die Ausweitung der obrigkeitlichen Gerichtsbarkeit, die Erhöhung von Bußen oder unrechtmäßige Inhaftierungen. In all diesen Zusammenhängen rückten zu einem gewissen Grade die örtlichen Amtsträger aus der Ehrbarkeit in den Fokus der Beschwerden, die die fürstlichen Vorgaben umzusetzen hatten, von den Maßnahmen aber nicht selten auch persönlich profitierten und sich deshalb Korruptionsvorwürfe einhandelten. Sichtbar werden in den Quellen zudem auch Spannungen auf lokaler Ebene, etwa zwischen den größeren Amtsstädten und den ihnen zugeordneten Amtsdörfern. Neben den dörflichen Beschwerden existieren zwei weitere Artikelkataloge, die sich nicht verstreuter Sammeltätigkeit, sondern zielstrebiger politischer Beratung innerhalb einer bestimmten Gruppe von Akteuren verdanken, nämlich der Städtevertreter. 158 In der Amtsstadt Marbach berieten ab dem 6. Juni die Delegierten von 14 Städten der nördlichen Landeshälfte „ unter der Stuttgarter Steige “ und einigten sich auf 41 Gravamina. Diese griffen zentrale Themen der 156 Edition bei Franz, Aktenband, Nr. 15, S. 77 - 114; zur Überlieferung und Auswertung Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 147 ff. 157 Ebd., S. 154. 158 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 193 ff.; Kühnle, Städtewesen, S. 331 ff. 106 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="107"?> dörflichen Beschwerden auf, kritisierten darüber hinaus aber die herzogliche Hofhaltung und insbesondere die Dominanz einer miteinander versippten bürgerlichen Elite und der studierten „ Doctores “ in der fürstlichen Verwaltung. Die Forderung, die Räte „ mit geschickten personen vom adel und sunst, die nit einander mit fruntschaft verwandt “ , zu besetzen, wurde noch übertroffen vom allerersten Artikel: Auf dem kommenden Landtag sollten weder Amtleute noch Verwandte der herzoglichen Räte mitberaten dürfen - eine deutliche Spitze gegen die Ehrbarkeit. 159 Offenbar hatten die örtlichen Vögte, die ja in der Regel dieser Ehrbarkeit entstammten, keinen Einfluss auf die Marbacher Artikel. Wohl in Reaktion auf diese Forderungen ergriffen die führenden Städte der Landschaft, Stuttgart und Tübingen, die Initiative für ein Treffen der Amtsstädte. In Stuttgart trafen sich am 16. Juni Vertreter von 22 Amtsstädten und bereiteten ein Dokument vor, das als Verhandlungsgrundlage mit dem Herzog dienen sollte und zur Eröffnung des Landtages als Beschwerdeschrift der Landschaft vorgelegt wurde. Es klammerte die in Marbach ausgefertigten Beschwerden (und somit auch diejenigen der Gemeinden auf dem Land) keineswegs aus und bekräftigte das Verlangen, die studierten Doktoren von bestimmten Stellen auszuschließen sowie Rat und Kanzlei mit Personen „ vom adel der landsässen und sonst mit leuten us dem Land geborn “ zu besetzen. 160 Vom Ausschluss der Vögte und damit der untereinander eng verwandten Ehrbarkeit war nun allerdings keine Rede mehr. Indem die Stuttgarter Artikel weitergehende Ansprüche der Landschaft auf Kontrolle und Beteiligung erhoben, artikulierten sich hier vielmehr die Interessen gerade dieser Führungselite. Die urbanen Führungsschichten bereiteten sich, so zeigen diese Verhandlungen und Dokumente, intensiv und planmäßig auf den bevorstehenden Landtag vor. Auf der anderen Seite schwoll im Vorfeld des 26. Juni in den Städten und ländlichen Gemeinden wiederum der Protest an. In diesen Kontext gehört etwa die verstärkte Wilderei, die Herzog Ulrich in seinem eingangs zitierten Bericht an den Kaiser beklagt, ebenso die mancherorts zu registrierende Verweigerung von Frondiensten und Zöllen. Vielfach zogen größere Gruppen von Männern mit Fahnen zur Kirchweih in benachbarte Orte, um massenhaft die eigene Widerstandsbereitschaft zu demonstrieren. Wiederum taten sich hier das Amt Schorndorf und Markgröningen besonders hervor, wo Pfarrer Gaißlin den Protest von der Kanzel herab unterstützte. Der „ Arme Konrad “ machte also Druck und trug so sicherlich dazu bei, dass die Forderungen des gemeinen Mannes im Vorfeld des Landtages nicht vollkommen 159 Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 44, S. 139 ff., hier S. 140. 160 Ebd., Nr. 59, S. 167 ff., hier S. 172. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 107 <?page no="108"?> hintangesetzt wurden. Eine planvolle Vorbereitung gab es jedoch ebenso wenig wie ein koordiniertes Vorgehen. Bezeichnend ist ein Vorfall im Kirchspiel Würtingen. Der Uracher Forstmeister Stefan Weiler erschien dort mit einigen Berittenen, um Singerhans festzunehmen, den mutmaßlichen Anführer des örtlichen Armen Konrad, welcher herzoglichen Beamten Gewalt angedroht hatte. Bei einer gewaltsamen Konfrontation zwischen dem Trupp Weilers und einigen Protestierern wurde Singerhans mit einem weiteren Anhänger verletzt und schließlich festgenommen. Zwar löste die Festnahme einige Unruhe vor Ort aus und hatte hektische Beratungen zwischen Urach und Stuttgart zur Folge. Der Protest blieb jedoch lokal, ohnmächtig und folgenlos. Der Forstmeister hielt Singerhans bis zum Herbst in Haft und erzwang von ihm - wohl unter der Folter - ein umfangreiches Geständnis. Ein schließlich ausgefertigtes Todesurteil wurde nur deshalb nicht vollstreckt, weil Singerhans vorzeitig in Haft starb. 161 Wie lässt sich die Aufstandsbewegung des Armen Konrad vor diesem Hintergrund charakterisieren? Ihre öffentlich propagierten Ziele deckten sich im Wesentlichen mit den Anliegen, die in den verschiedenen Beschwerdeschriften formuliert waren: Ausweitung der politischen Mitbestimmung, Bekämpfung von Korruption bei den Amtsträgern und ganz generell die Wiederherstellung des alten Herkommens, das die Protestierer etwa durch die Intensivierung herrschaftlicher Nutzung von Wäldern und Wiesen verletzt sahen. 162 Folgt man der Darstellung von Andreas Schmauder, dann gab es aber jenseits der öffentlichen Bühne noch eine verborgene Wirklichkeit, wo sich der Arme Konrad als „ Geheimbund mit dem Ziel des Umsturzes der bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftsordnung “ gebildet hatte; gewaltsam sollte die landesherrliche Obrigkeit samt aller Amtsträger beseitigt und eine Gesellschaftsform geschaffen werden, die auf dem Prinzip von Gleichheit und Gerechtigkeit beruht - eine „ grundlegende Neugestaltung [ … ] zugunsten des gemeinen Mannes “ . 163 Hinter diese Thesen gehören allerdings gleich mehrere Fragezeichen. Wie bereits angedeutet, scheint die Kennzeichnung des Armen Konrad als konspirativer Geheimbund überzogen. Besondere Schwurformeln und Rituale sind kein hinreichender Beleg, während das öffentliche Auftreten des Armen Konrad fast von Beginn an in die Gegenrichtung deutet. Weiterhin beruht die Umsturz-These auf der systematischen Extrapolation von situativen Aussagen und Aktionen. Inwieweit eine solche 161 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 192 f., S. 257. 162 Ebd., S. 76 ff. 163 Ebd., S. 94, S. 85. 108 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="109"?> Zuspitzung angemessen ist, stellt eine zumindest offene Frage dar. 164 Ist es als ganz grundsätzliche Positionierung gegen die bestehende Herrschaftsordnung zu verstehen, wenn die Untertanen ihren Gehorsamseid aufkündigten, weil der Herzog seinerseits seine schuldigen Pflichten nicht erfüllte? 165 Oder sollte das nur so lange gelten, bis dieser wieder seine Aufgaben wahrnahm? Ist es mehr als eine der augenblicklichen Erregung geschuldete Drohung, wenn Jörg Ytelbös in Winnenden fordert, „ man sölt die Oberkait zum Laden (Fenster) hinus werffen “ , oder wenn ein Mann über den Herzog äußerte, „ m(ein) g(nädiger) h(err) sey ein Narr, … man soll in zu sein Vatter an ain Kettin. “ 166 Und steckt wirklich ein prinzipieller und alleiniger Herrschaftsanspruch des Geheimbundes dahinter, wenn Thomas Epplin aus Güglingen äußerte, er wolle noch erleben, dass der Arme Konrad regiere? 167 Parolen wie die, dass die Reichen mit den Armen teilen müssten oder dass das Gut gleich verteilt werden solle, spiegeln sicher das Gerechtigkeitsempfinden des gemeinen Mannes wider, aber sie sind kaum belastbar genug, um sie zu einem politischen Programm zu stilisieren. Misst man den Armen Konrad schließlich an seinen Taten, so lässt sich auch in dieser Hinsicht das Ziel eines gewaltsamen Vorgehens in Frage stellen. Drohungen, auch sehr martialische, gab es damals wie auch später im Bauernkrieg viele, und natürlich verteidigte man sich bei Angriffen, wie es in Urach Singerhans und seine Anhänger taten. Eine gewisse Gewaltbereitschaft war also durchaus vorhanden, doch war sie eher reaktiv angelegt und mündete - jenseits der öffentlichen Massendemonstrationen - nirgendwo in geplante Gewaltkampagnen. Das mag zu einem guten Teil an der mangelnden Fähigkeit zur überörtlichen Koordination gelegen haben. 168 Letztlich aber war es das Ziel des Widerstandes, die Herrschaft zum Einlenken, zur Anerkennung der eigenen konkreten Beschwerden bzw. zu deren Abstellung zu bewegen. Wenn das nicht gelang, wenn sich die Herren um eine deutliche Reaktion herumdrückten, wenn sie über einen längeren Zeitraum taktisch lavierten, die Anliegen der Untertanen nicht brüsk zurückwiesen, aber auch keine manifesten Zugeständnisse machten, dann war die Aufstandsbewegung hilflos, und zwar genau deshalb, weil sie weder ein explizites, über den Tag hinausreichendes Programm noch übergreifende Kommunikationsstrukturen besaß. Damit soll nun nicht das alte Klischee von der Rückwärtsgewandheit einer solchen Bewegung bedient 164 So auch, wenngleich sehr vorsichtig, Kretschmar/ Rückert, Der „ Arme Konrad “ , S. 53 f. sowie S. 62. 165 Ebd., S. 47 f. 166 Zitiert nach Schmauder, Württtemberg im Aufstand, S. 86. 167 Ebd., S. 88. 168 Kretzschmar/ Rückert, S. 46 ff. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 109 <?page no="110"?> werden. Es ist durchaus anzuerkennen, dass mit der Forderung nach mehr Mitbestimmung und einer Regulierung bedrückender feudaler Lasten „ zukunftsgewandte Perspektiven “ eröffnet, jedenfalls angemessenes Krisenmanagement betrieben wurde. 169 Aber ein Potenzial, die feudalen Verhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen, besaß der Arme Konrad weder in seinen Forderungen noch - und das ist wichtiger - in seinen Aktionen. 4.4.4 Ergebnisse und Fehlstellen des Landtages Vorbereitung und Durchführung des Württembergischen Landtages im Sommer des Jahres 1514 belegen deutlich die Grenzen gemeindlicher Partizipation. 170 Zwar gestand Herzog Ulrich auf Vorschlag von Marschall und Räten zu, dass jenseits der regulären Landschaftsvertreter aus jedem Amt zwei Männer aus der Gemeinde ausgewählt werden sollten, um die Beschwerden zu vertreten; diese Entscheidung trug im Vorfeld des Landtages merklich zum Abschwellen der Proteste bei. Allerdings sollten diese Delegierten erst acht Tage später zur Landtagsversammlung hinzustoßen, um deren ordnungsgemäßen Ablauf nicht zu gefährden. Damit wurde zugleich sinnfällig gemacht, dass diese zusätzliche Repräsentation keineswegs dem alten Herkommen entsprach. Wenig später entschloss sich der Fürst auf Betreiben des Vogts Konrad Breuning, den Landtag neu auszuschreiben, und zwar nicht mehr nach Stuttgart, sondern nach Tübingen. Diese Verlegung galt allerdings nicht für die Gemeindevertreter, die sich weiterhin in Stuttgart einzufinden hatten, eine sowohl zeitliche als auch räumliche Separation, die „ für ihr Anliegen nichts Gutes ahnen ließ “ . 171 So nahm der Landtag in Tübingen seinen Lauf, während in Stuttgart der „ Bauernlandtag “ ein ums andere Mal vertröstet wurde. Ganz ohne dessen Zutun wurde schließlich der Tübinger Vertrag vom 8. Juli verabschiedet. Was frühere Historikergenerationen als ‚ Magna Charta der Württemberger ‘ feierten, war in der Hauptsache ein Schiedsspruch kaiserlich-fürstlicher Vermittler zwischen dem Herzog und seiner Landschaft. Gegen das Versprechen der Landstände, den ungeheuren Betrag von fast einer Million Gulden zur Tilgung der herzoglichen Schulden aufzubringen, räumte der Herzog ihnen weitgehende Mitspracherechte im Kriegs- und Verteidigungsfall sowie bei Eingriffen in die territoriale Integrität des Fürstentums ein. Auch einige Zugeständnisse für den gemeinen Mann enthielt der Vertrag, so den Verzicht 169 Maurer, Armer Konrad, S. 120. 170 Vgl. vor dem Hintergrund älterer Literatur Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 210 ff.; wichtigste Dokumente bei Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 59 ff., S. 163 ff. 171 Kühnle, Funktionseliten, S. 314 f. 110 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="111"?> auf eine grundherrliche Abzugssteuer und die Zusicherung, in peinlichen Kriminalfällen nur „ mit urtail und recht “ zu strafen. Zugleich enthielt der Vertrag jedoch eine „ Satzung “ gegen „ uflöf und embörung “ , um das Land in Frieden und Gehorsam und „ ain ieder biderman bi hüslichen eren, wib und kinden “ zu halten; ebenso sollte „ sein fürstlich gnad und die erberkait sich vor ungehorsami, schmach und niderdruckung der ungehorsamen und (des) böfels ufenthalten mügen “ . Alle, die sich gegen die herrschaftlichen Autoritäten auflehnen bzw. einen gebotenen oder gelobten Frieden brechen, sollen danach ihr Leben verwirkt haben und mit gebührenden Strafen belegt werden, „ es si mit viertailen, radbrechen, ertrenken, enthoupten, mit dem strick richten, die hend abhouen und derglichen, wie sich das alles nach grössen und gelegenhait der übeltat zu tund gebürt. “ 172 Weniger der martialische Strafkatalog ist hier ungewöhnlich als die Verschwommenheit eines Straftatbestandes, mit dem potentiell alle Unbotsamkeit künftig als krimineller Landfriedensbruch sanktioniert werden konnte. Auf der Ebene des Territoriums wurde hier fortgeschrieben und konkretisiert, was König Maximilian 1502 mit seinem Heidelberger Empörermandat auf den Weg gebracht hatte. In einem zweiten Teil der vertraglichen Vereinbarungen von Tübingen wurden Nebenabschiede für einzelne Konfliktpunkte getroffen. Darin waren zahlreiche Anliegen der Städte berücksichtigt, die Beschwerden der ländlichen Gemeinde jedoch lediglich in wenigen Artikeln angesprochen, in der Hauptsache aber künftiger Regelung anheimgestellt. Als der Herzog am 13. Juli von Tübingen nach Stuttgart zurückkehrte, war von den früher in Aussicht gestellten direkten Verhandlungen mit den Gemeindevertretern nicht mehr die Rede. In einem Schreiben an einige Ämter vom gleichen Tag übersandte er den Vertrag und kommentierte, wegen der weiteren „ Gebrechen und Mängel “ würde er seine Räte zusammen mit Vertretern der Landschaft in die jeweiligen Ämter schicken. 173 Der Bauernlandtag ging zu Ende, ohne dass es zu Verhandlungen gekommen war. 4.4.5 Letzte Phase: Verweigerungen, Proteste und Niederlagen In den folgenden Tagen leisteten zahlreiche württembergische Ämter die geforderte Huldigung auf den Tübinger Vertrag. In einigen Ämtern allerdings (vor allem in Backnang, Leonberg, Schorndorf, Urach und Weinsberg) riefen Angehörige des Armen Konrad dazu auf, die Huldigung zunächst zu verweigern. Daraufhin formierte sich dort Widerstand in zum Teil bislang kaum 172 Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 72, S. 230 f. 173 Ebd. Nr. 74, S. 241 f. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 111 <?page no="112"?> gekannter Intensität. 174 Die letzte Phase des Aufstandes hatte begonnen. Zunächst wurde die Umgebung der Stadt Leonberg zu einem Brennpunkt der Unruhen. Der gemeine Mann besetzte die Tore und zog dann, militärisch nach dem Vorbild des Landesaufgebots organisiert, auf den nahe gelegenen Engelberg, wo ein Feldlager errichtet wurde. Herzog und Regierung reagierten überraschend konziliant. Haushofmeister Philipp von Nippenburg begann umgehend Verhandlungen mit den Rottmeistern des Armen Konrad, der Herzog sicherte in einer persönlichen Instruktion eingehende Prüfung der lokalen Beschwerden und Straffreiheit auch für die Hauptleute zu. Am 23./ 24. Juli leisteten die auf dem Engelberg Versammelten daraufhin dem persönlich erschienenen Herzog Ulrich die Huldigung und beendeten ihren Widerstand. 175 An anderen Orten weiteten sich zu diesem Zeitpunkt die Unruhen indessen weiter aus. Neben Urach war auch in dieser Schlussphase das Amt Schorndorf das wichtigste Zentrum der Unruhen. Um den 20. Juli herum kam es dort zu einem regelrechten Showdown zwischen dem Fürsten und dem Armen Konrad. 176 Die Mehrheit der umliegenden Gemeinden hatte in den Tagen zuvor bereits ihre Bereitschaft zur Huldigung bekundet, als bewaffnete Anhänger des Armen Konrad in Anwesenheit des Herzogs die zahlreich versammelte Menge bedrängten, die Huldigung nicht ohne weitere Bedingungen anzunehmen. Zusammen mit seinen Räten zog der Herzog aus der Stadt vor die Mauern, um „ im Ring “ mit der Menge zu verhandeln. Wer den Vertrag annehmen wolle, der solle zu ihm treten, so forderte er, aber niemand folgte - Drohungen der Aufständischen, wer hinzutrete, werde auf der Stelle „ erwürgt “ , hatten gewirkt. Als der Herzog den Ort der erfolglosen Versammlung verlassen wollte, wurde er überdies persönlich bedrängt und beleidigt. Selbst nach Schorndorf zurück war der Weg versperrt; die Stadttore blieben ihm verschlossen, sodass er schließlich unverrichteter Dinge nach Stuttgart abziehen musste - eine Demütigung, die sicher für das spätere Strafgericht mitverantwortlich war. Einige Tage später, just an jenem Datum, als die Versammlung auf dem Engelberg dem Herzog huldigte, bildete sich auf dem Kappelberg bei Beutelsbach, wohin bereits im Mai Gaispeter seinen Zug geführt hatte, ein neues Feldlager der Empörer. Auch dort wurden Hauptleute, Rottmeister, Feldwebel und Fähnriche gewählt, man versorgte sich mit Waffen, Munition und Verpflegung. In der Umgebung agitierten Angehörige des Armen Konrad um Unterstützung. Als eine herzogliche Gesandtschaft unter Dietrich von Weiler in 174 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 224 ff. 175 Ebd., S. 239 f. 176 Farbig bei Heyd, Ulrich I, S. 333 f.; vgl. Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 226. 112 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="113"?> Winnenden die Huldigung einforderte, riefen sie öffentlich dazu auf, die Huldigung zu verweigern und die Aufständischen auf dem Kappelberg zu unterstützen. 50 Männer folgten diesem Aufruf, während die Obrigkeit in der Amtsstadt selbst durch ein von den umliegenden Amtsdörfern gewähltes 24köpfiges Regiment abgelöst wurde, das die Bedingungen für die Huldigung neu aushandeln sollte. 177 Vergleichbarer Protest regte sich auch an anderen Orten. Die meisten derer, die im Feldlager auf dem Kappelberg ausharrten, kamen wohl aus dem Amt Schorndorf selbst, nach späteren Strafverzeichnissen 204 Personen aus der Amtsstadt, 470 aus den umliegenden Dörfern und Flecken. 178 Mindestens 1000 Mann hatten sich schließlich dort versammelt, um sich gegen drohende Angriffe zu verteidigen und weiter Druck auf die Obrigkeit auszuüben; von einer regelrechten „ Kriegführung “ der Untertanen gegen die eigene Herrschaft kann freilich keine Rede sein. 179 Einmal mehr ging es um Verteidigung gegen drohende Übergriffe der Herren. Allerdings war der Widerstand im Amt Leonberg, obwohl zahlenmäßig durchaus von imponierender Stärke, inzwischen weitgehend isoliert. Das zeigte sich politisch, als am 31. Juli ein vom Herzog hastig einberufener „ kleiner “ Landtag die Schorndorfer zur Huldigung verpflichtete und dem Fürsten das Recht zugestand, alle, die nach dem Tübinger Landtag noch Widerstand geleistet hatten, gemäß den Empörerartikeln gefangen zu nehmen und zu bestrafen. 180 Und es zeigte sich zugleich militärisch, indem das Aufgebot des Fürsten in den ersten Augusttagen allerorts den noch bestehenden Widerstand kampflos zusammenbrechen ließ. Dieses Aufgebot bestand aus Truppen aus den Reihen der Verbündeten des Kontrabundes, darunter des Pfalzgrafen, des Markgrafen von Baden und des Fürstbischofs von Würzburg. Persönlich führte Truchsess Georg von Waldburg, der spätere oberste Bundeshauptmann im Bauernkrieg, am 3. August 80 Berittene nach Urach, wo das Amt umgehend huldigte. 181 Neben adligen Dienern des Hauses Württemberg beteiligte sich an den Befriedungs- und Strafaktionen des Herzogs auch ein großes Landesaufgebot. Alle Proteste und Hinderungsversuche des Armen Konrad verhinderten die Mobilisierung derjenigen offenbar nicht, die die Aufständischen doch als ihre natürlichen Verbündeten betrachteten. Angesichts dieser Übermacht wirkte der Optimismus eines Dr. Gaißlin wie aus der Zeit gefallen: Dieser hatte gegenüber einigen Gesprächspartnern in Markgröningen noch kurz zuvor geäußert, die Bauern lägen fröhlich und unerschrocken auf dem Berg, seien gut 177 Ebd., S. 233 f. 178 Ebd., S. 230. 179 Gegen Weber, Rechtsverständnis, S. 29. 180 Schmauder, Württemberg, S. 242. 181 Ebd., S. 247; Schmauder, Urach, S. 109 f. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 113 <?page no="114"?> ausgerüstet und kaum zu schlagen, und ohnehin hätte ihnen der Herzog zugesichert, sie bei ihrem alten Herkommen zu belassen. Eine groteske Fehleinschätzung, denn Anfang August löste sich die Versammlung auf dem Kappelberg kampflos auf. Eine Woche später hatten alle Ämter auf den Tübinger Vertrag gehuldigt. Danach redete der Pfarrer, schnell ernüchtert, ganz anders: „ die armen lüt haben geirrt, syenn unwissend lüt und haben die sach nit verstanden. “ 182 Man darf daran zweifeln, ob er die Lage besser überblickte. 4.4.6 Strafen und Folgen Herzog Ulrich zog am 7. August an der Spitze seiner Truppen und flankiert von den Räten der Verbündeten auf die Wiesen vor der Amtsstadt Schorndorf. 183 Beinahe 1700 Mann aus der Stadt und den umliegenden Orten demütigten sich vor ihm, bekannten ihre Schuld, baten um Gnade und huldigten auf den Tübinger Vertrag. Unmittelbar im Anschluss an diesen Akt der Unterwerfung begann das Strafgericht über die Aufrührer. In den Tagen zuvor waren umfangreiche Verhaftungen vorgenommen und Verhöre durchgeführt worden, wie damals im Strafprozess üblich, zum Teil unter Anwendung der Folter. Auf dieser Grundlage wurden nun durch ein aus Landtagsmitgliedern gebildetes Gericht Urteile gesprochen und unmittelbar vor den Augen der versammelten Amtsangehörigen vollstreckt. Drei Männer wurden als Haupträdelsführer hingerichtet. Sie hätten durch das Land ziehen und dem Herzog, Mönchen, Pfaffen und Edelleute das Ihre nehmen wollen; wer sich ihnen widersetzt hätte, den wollten sie „ zu tod schlagen “ , so die Urteilsbegründung. 184 Sieben weitere Todesurteile sowie weitere Strafurteile folgten am nächsten Tag. In einem hochsymbolischen Akt sollte im Übrigen das Haus eines geflohenen Mannes in Schorndorf, das als Kanzlei des Armen Konrad galt, bis auf die Grundmauern abgetragen werden. Schließlich wurden die Waffen all derjenigen eingezogen, die sich am Feldlager auf dem Kappelberg beteiligt hatten. Sechs weitere Unterstützer dieses Feldlagers wurden wenige Tage später in Stuttgart öffentlich enthauptet. Auch in anderen Ämtern konzentrierten sich die Nachforschungen und anschließenden Strafmaßnahmen auf diesen Personenkreis bzw. auf diejenigen, die nach der Verabschiedung des Tübinger Vertrages noch Widerstand geleistet hatten. Allein in Urach wurden rund 100 Personen 182 Kretzschmar, Dr. Reinhard Gaißlin, S. 96; vgl. Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 249. 183 Vgl. zum Folgenden Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 250 ff. 184 Ohr/ Kober, Landtagsakten, Nr. 92, S. 274 Anm. 1. 114 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="115"?> vorübergehend verhaftet und später mindestens zu Geldbußen verurteilt. 14 von ihnen hatten sich in Stuttgart vor Gericht zu verantworten; an einigen wurde wiederum mit Auspeitschen oder Brandmarkung ein öffentliches Exempel statuiert. 185 Unbehelligt blieb dagegen - jenseits bischöflicher Ermahnungen - der Markgröninger Pfarrer Dr. Reinhard Gaißlin. Ihn schützte zum einen sein geistlicher Stand vor weltlichen Sanktionen, anders als später die evangelisch gesinnten Pfarrer im Bauernkrieg, die nicht nur als Aufrührer, sondern auch als lutherische Ketzer angeklagt werden konnten. Sein weiterer Lebensweg ist erstaunlich: Nachdem der Schwäbische Bund Herzog Ulrich als Landfriedensbrecher ins Exil getrieben hatte, verweigerte er 1520 zunächst das Kirchgebet für die neue österreichische Regierung, weshalb er nach Stuttgart zitiert wurde - offenbar lagen seine Sympathien aufseiten des vertriebenen Herzogs, der sechs Jahre zuvor den Armen Konrad niedergeschlagen hatte! 186 Im selben Jahr übernahm Gaißlin zusätzlich zu seiner Markgröninger Stelle überdies eine Pfründe in der Reichsstadt Esslingen. Dort sollte er dann 1531 gegen den Reformator Ambrosius Blarer in einer Disputation die altgläubige Sichtweise vertreten. 187 Nach 1514 war Gaißlin somit weder in weltlicher noch in religiöser Hinsicht besonders revolutionär gestimmt. Ein großer Teil derjenigen, die den inneren Kreis des Armen Konrad gebildet hatten und deswegen mit harten Strafen rechnen mussten, hatten beim Heranrücken des militärischen Aufgebots die Flucht ergriffen. 188 Diese „ Ausgetretenen “ machte der Herzog zum Ziel planmäßiger Verfolgung. Zum zentralen Instrument dafür wurde eine gedruckte „ Wahrhaftige Unterrichtung “ von Mitte August, die großräumig an die Reichsstände des süddeutschen Raumes verschickt wurde. 189 Darin informierte Ulrich über die Empörungen, die dem Tübinger Vertrag vorausgegangen waren, die er jedoch „ verziehen “ habe; als illegitimen Widerstand kennzeichnet er aber den Widerstand gegen die Landtagsbeschlüsse. Ohne den Armen Konrad ausdrücklich zu erwähnen, konzentriert er sich vor allem auf die Vorgänge im Amt Schorndorf und prangert die „ Ausgetretenen “ als Gefahr für die bestehende Ordnung an. Erfolgreich gelang es Herzog Ulrich damit, die benachbarten Obrigkeiten, insbesondere die Reichsstädte, gegen die Flüchtigen zu mobilisieren. Insbesondere, nachdem am 19. September Kaiser Maximilian auf Betreiben Ulrichs über die Ausgetretenen 185 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 256 f. 186 Dietz, Weisheit, S. 152. 187 Schad, Markgröningen, S. 52 f. 188 Zum Folgenden Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 260 ff.; Miegel, Widerstand. 189 Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 253 f.; Limbach, Propaganda. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 115 <?page no="116"?> die Reichsacht verhängt hatte, mussten die Flüchtigen aus Esslingen, Heilbronn, Schwäbisch Gmünd und anderen Reichsstädten weichen. Einzelnen gelang es dennoch für längere Zeit, sich versteckt zu halten. Erst im Juli 1515 wurde Gaispeter vom Schenken von Limpurg ergriffen, an Württemberg ausgeliefert und dort vermutlich hingerichtet. Die Mehrzahl der Ausgetretenen aber suchte Zuflucht in der Eidgenossenschaft. 190 Hier kam es insbesondere im Folgejahr zu einem intensiven Tauziehen zwischen Herzog Ulrich auf der einen und der Tagsatzung, der Delegiertenversammlung der eidgenössischen Orte, auf der anderen Seite, wobei sich die Schweizer Orte keineswegs einig waren, wie man mit den Flüchtigen umgehen sollte. Phasenweise schalteten sich die Geflüchteten selbst aktiv in die Verhandlungen ein. Für einen Teil der Flüchtlinge öffneten die diplomatischen Vermittlungsbemühungen der Eidgenossen einen Weg zurück nach Württemberg. Sogar für einige der als Führer des Aufstands gesuchten Personen wurden peinliche Strafen in Geld- oder Haftstrafen umgewandelt. Zurück blieb eine Gruppe, die entweder nicht begnadigt worden war oder die geforderten Geldbußen nicht zahlen konnte oder wollte. Zu ihnen gehörte mit Dr. Alexander Seitz ein zentraler Wortführer der Geflüchteten. Der Arzt aus Marbach hatte in Baden im Aargau Zuflucht gesucht, wo er im Herbst 1515 inhaftiert wurde, aber nicht zuletzt durch eine Supplik dankbarer Patientinnen vor Abschiebung bewahrt blieb. 191 Ein Grund für die Verhaftung dürfte eine Flugschrift gewesen sein, die unter dem Deckmantel einer Abhandlung über Schlaf und Traum allegorische, aber deutliche Kritik an Herzog Ulrich geübt hatte. Die Anprangerung eines pflichtvergessenen Herrschers, der seine Schafe nicht treulich hüte, sondern sich in einen reißenden Wolf verwandelt habe, erinnern an Gaißlins Predigten über den Guten Hirten. 192 Seitz fand später bei den mit Herzog Ulrich verfeindeten Herzögen von Bayern Aufnahme und wirkte als Stadtarzt in München. Nach Unruhen in Schaffhausen wurden die übrigen württembergischen Ausgetretenen auch aus der Eidgenossenschaft verwiesen bzw. mussten untertauchen. 190 Miegel, Widerstand, S. 176 ff. 191 Ebd., S. 183. 192 Alexander Seitz, Ein schoner tractat darjnnen begriffen ist Die art vnnd vrsach des Traümes [ … ], Landshut 1515 (VD16 S 5393); eine moderne Editionen in Seitz, Schriften, S. 1 - 55. Vgl. Miegel, Alexander Seitz; Miegel, Widerstand. 116 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="117"?> Abb. 8: Alexander Seitz, „ Ein schoner tractat …“ , Titelbild (1515) Gleichsam in Liquidation der Erbmasse des Armen Konrad hatte derweil der Herzog im Sommer und Frühherbst 1514 über die dörflichen Beschwerdeartikel 4.4 Der Arme Konrad von 1514 117 <?page no="118"?> im Einzelnen entschieden. 193 Jenseits weniger Zugeständnisse z. B. bei den Wildschäden wies Ulrich die Beschwerden in den zwei zentralen Punkten zurück, sowohl hinsichtlich der Wald- und Weidenutzung als auch hinsichtlich der gemeindlichen Selbstverwaltung; letztere wurde sogar noch weiter eingeschränkt. Mit der zweiten Landesordnung vom April 1515 wurde z. B. das jährlich einzuberufende Vogtgericht in den Ämtern aufgewertet. Bei diesem Anlass mussten künftig alle neuen Einwohner auf den Tübinger Vertrag und insbesondere die „ Empörerordnung “ huldigen, deren Bestimmungen in der Landesordnung ebenfalls bekräftigt und ausgeweitet wurden. Auch politisch gewannen die Amtleute ihr Gewicht zurück, indem ihnen die - zwischenzeitlich bestrittene - Landtagsfähigkeit ausdrücklich vom Landesherrn bestätigt wurde. Während Ritter und Prälaten an den Rand gedrängt wurden, gehörte die einem Beamtenadel gleichende Führungselite aus der Ehrbarkeit zu den Gewinnern des Konflikts. Die Mitbestimmungsbedürfnisse der ländlichen Gemeinden wurden dagegen abgewiesen. Während des Bauernkriegs sollten sie sich erneut machtvoll artikulieren. Der Herzog mochte sich vorläufig als Gewinner der Auseinandersetzung betrachten. Schon bald sollte er aber in persönliche und politische Turbulenzen geraten, die ihn für lange Jahre seine Herrschaft kosteten: Nach der Ermordung Hans von Huttens, des Ehemanns seiner Geliebten, und dem Überfall auf die Reichsstadt Reutlingen wurde der geächtete Herzog aus seinem Herrschaftsgebiet vertrieben; Zuflucht fand er ironischerweise gerade in jener Eidgenossenschaft, wohin 1514 seine Opfer geflüchtet waren. 194 4.4.7 Zur Einordnung Der Arme Konrad war ganz sicher kein Aufstand zum Sturz der feudalen Ordnung. Vielmehr lässt sich die Protestbewegung in vielen Aspekten, hinsichtlich ihrer Forderungen ebenso wie in ihren Aktionsformen, mit anderen Unruhen jener Jahrzehnte vergleichen. Seinen ganz eigenen Charakter gewinnt er vor allem in Hinblick auf die puren Zahlen: Zweifellos handelte es sich um die größte Massenbewegung im Reich vor dem Bauernkrieg, jedenfalls, wenn man von den tatsächlich nachweisbaren Aktionen ausgeht und nicht von phantastischen Planspielen der Bundschuhverschwörer. Geprägt wurde der Aufstand durch die Tatsache, dass es sich um eine weitgehend exklusiv württembergische Angelegenheit handelte. Das relativ große und geschlossene Territorium des Herzogtums bildet den zentralen Aktions- und Orientierungs- 193 Zum Folgenden Schmauder, Württemberg im Aufstand, S. 270 ff. 194 Vgl. Brendle, Dynastie. 118 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="119"?> rahmen des Armen Konrad, angefangen von der verdeckten Steuererhöhung des Landesherrn über den Tübinger Landtag bis hin zum Finale mit seinen Verträgen, Huldigungen und Strafaktionen. Brennpunkte waren die Amtsstädte und Amtsdörfer des Landes, wo die Honoratioren und herrschaftlichen Vertreter als Gegenspieler der Empörer auftraten, die jeweils für die ganze Gemeinde zu sprechen beanspruchten. Die Grenze zwischen Stadt und Land scheint hierbei einigermaßen fließend gewesen zu sein; obwohl Bauern in großer Zahl die Bewegung trugen, kamen viele Anhänger und manche Angehörige der Führungsschicht auch aus den Amtsstädten. 195 Von einem Bauernaufstand wird man deswegen nicht ohne weiteres sprechen können. Auch von den Konspirationen des Bundschuhs setzten sich die Aufständischen demonstrativ ab, selbst wenn einige wenige mit dem Bundschuh-Symbol kokettierten. 196 Ausdrückliche Verbindungslinien zu den vorausgegangenen Verschwörungen zog dagegen die Obrigkeit, wie der eingangs zitierte Brief Herzog Ulrichs an Kaiser Maximilian zeigt. In der publizistischen und propagandistischen Bewältigung durch den Herrscher und die städtische Ehrbarkeit nach dem Ende des Armen Konrad wurde diese Argumentationsfigur aufgegriffen. In einem gedruckten Rechenschaftsbericht des Herzogs, mit dem er seine Nachbarn zur Fahndung nach geflohenen Rädelsführern des Aufstandes aufrufen wollte und den er an zahlreiche Reichsstände versandte, kennzeichnete der Herzog deren „ Gemüt “ als „ pundschühisch “ . 197 Ein Spruchgedicht aus dem Umkreis des Tübinger Humanisten Heinrich Bebel, das den Aufstand ebenfalls bedingungslos verurteilt, stößt ins gleiche Horn und charakterisiert den Armen Konrad schon zu Beginn als ‚ Bundschuh im Württemberger Land ‘ . 198 Handschriftliche Nachträge auf dem einzigen erhaltenen Druckexemplar nehmen nicht nur ausdrücklich Bezug auf ansonsten unbekannte lateinische Verse über den Bundschuh aus der Feder des Schlettstadter Humanisten Jakob Wimpfeling, sondern erinnern in einem volkssprachlichen Nachtrag zum Druck überdies an einen anderen Bundschuh, jenen nämlich vom Ungersberg im Elsass 1493, und an das Schicksal des damaligen Rädelsführers Hans Ulmann, der in Basel gerichtet worden war. 199 Welche Eigenheiten den Armen Konrad von 1514 auch immer auszeichneten, für die Vertreter der etablierten 195 Ebd., S. 100 ff.; Ille-Kopp, Teilnehmer, S. 52. 196 Schmauder, Württemberg, S. 109. 197 Schmauder, Württemberg, S. 110; zur „ Wahrhaftigen Unterrichtung “ auch Limbach, Propaganda, S. 42 ff. 198 VD 16 W 2503, ediert bei Liliencron, Volkslieder III, Nr. 286, S. 141 - 153, hier S. 141; auch Steiff/ Mehring, Geschichtliche Lieder, Nr. 27, S. 98 - 110; vgl. Seibert, Aufstandsbewegungen, S. 346 ff. 199 Rückert/ Honemann, Ein neuer Spruch, S. 51. 4.4 Der Arme Konrad von 1514 119 <?page no="120"?> Ordnung reihte er sich nahtlos in die Kette bedrohlicher Umsturzversuche ein, denen ihre ganze Aufmerksamkeit und Vorsorge zu gelten hatte. Damit war ein Szenarium gegeben, das beim geringsten Anzeichen von Unruhe hektische Aktivitäten auslösen konnte. So geschah es dann wenige Jahre später. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? Bereits für die ersten drei Bundschuh-Aufstände ist die Quellenlage schwierig bzw. - in Bezug auf denjenigen von 1502 - desolat. Das gilt erst recht von der (angeblichen) Bundschuh-Verschwörung von 1517, nach herkömmlicher Erzählung Höhepunkt der Konspirationen unter dem Banner des göttlichen Rechts und zugleich Brücke zum Bauernkrieg. Neuere, noch zu wenig beachtete quellenkritische Überlegungen von Johannes Dillinger wecken ganz grundsätzliche Zweifel an diesem Narrativ. 200 Im Folgenden soll zunächst kurz diese herkömmliche Erzählung von einer weitgespannten überregionalen Konspiration, die unter Führung eines genialen Untergrundführers nichts weniger zum Ziel hatte als die Beseitigung der Grundpfeiler der gesellschaftlichen Ordnung, präsentiert werden. Danach erfolgt auf den Spuren von Dillinger die Destruktion dieser Geschichte, bei der es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen Verschwörungsmythos gehandelt haben dürfte. 4.5.1 Das alte Narrativ Zunächst zur heroischen Variante, wie sie seit fast 100 Jahren durch Albert Rosenkranz und Günther Franz fest etabliert ist. 201 Unstet, aber ungebrochen war Joß Fritz danach durch die Lande geirrt, nachdem der Lehener Bundschuh gescheitert war, stets in der Gefahr, durch die Obrigkeit enttarnt zu werden. Seine Frau Else führte unterdessen im Breisgau „ ein üppiges Leben mit fremden Männern “ , aber mit ihrem Mann stets Tuchfühlung haltend und so konspirative neue Fäden knüpfend. Aus dem Bauernehepaar waren im Laufe der Jahre Fahrende geworden, und den Männern aus dieser Bevölkerungsgruppe, umherziehenden Bettlern und Gauklern, gab der genialische Strippenzieher des 200 Dillinger, Der Bundschuh von 1517; ders., Freiburgs Bundschuh. Beide Aufsätze sind komplementär zueinander zu lesen; ders., Organized Arson vertieft den wichtigen Aspekt der angeblichen politischen Brandstiftung; vgl. die Rezeption durch Schilling, 1517, S. 51 ff. 201 Rosenkranz I, S. 446 ff.; Franz, Bauernkrieg, S. 124 ff.; in jüngerer Zeit noch Scott, Freiburg und der Bundschuh, S. 346 ff. 120 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="121"?> Bundschuh nun „ sein Werk in die Hand “ . 202 Denn Joß Fritz sann ungebrochen auf eine abermalige Verschwörung, entschied sich nun aber für eine neue strategische Ausrichtung. Damit sie diesmal erfolgreich war, sollte von vornherein in einem viel größeren Gebiet um Anhang geworben werden. Und tatsächlich scheinen weite Teile des Oberrheins von den geheimen Umtrieben des Bundschuhs erfasst worden zu sein: Allein ein einzelner gefangener Werber konnte nach seiner Gefangennahme „ mehrere hundert Anhänger aus nahezu 100 Dörfern auf beiden Seiten des Rheins aufzählen “ , die zu ganz unterschiedlichen Herrschaftsgebieten gehörten. 203 Hier deutet sich eine verschiedene Territorien übergreifende Aufstandsbewegung an, wie sie später im Bauernkrieg Wirklichkeit werden sollte. Dabei waren viele Anhänger offenbar durch das Versprechen einer reichen Belohnung mobilisiert worden. Allein der besagte Werber Michel von Dinkelsbühl sollte für die von ihm gewonnenen Verschwörer pro Kopf ein Drittel Gulden empfangen. Den Bettlern, die während der ersten Phase der Unruhen zur Steigerung der allgemeinen Unsicherheit an verschiedenen Orten Brände legen sollten, hatte Joß Fritz angeblich sogar 2000 Gulden zugesagt. Zusammengehalten worden sei die Bewegung aber auch „ durch ein ganz allgemeines Programm, das die geheimen Wünsche und Forderungen aller Bauern gleichmäßig befriedigte “ . So seien alle lokalen Forderungen fortgefallen, übrig blieben ebenso einfache wie radikale Ziele: „ Man wollte den Adel und die Ritterschaft verjagen, totschlagen und austilgen und keiner Obrigkeit mehr gehorsam sein. Alle Renten, Zinsen und Gülten wollte man abtun und niemandem außer Kaiser und Kirche mehr etwas geben. “ 204 Im Spätsommer 1517 war die Verschwörung des „ oberrheinischen Bundschuh “ , folgt man dieser Version, schon weit fortgeschritten. Bereits im April hatte sich Joß Fritz in einem Wirtshaus bei Bretten mit Anhängern getroffen, und im Juli war er zu Werbungen im Elsass gewesen. Losschlagen wollte er mit seinen Männern Anfang September in der kleinen Reichsstadt Rosheim während der Kirchweih im benachbarten Zabern. In einem anderen Verhör wird später, im Oktober, davon die Rede sein, dass zuerst die beiden Reichsstädte Hagenau und Weißenburg (Wissembourg) eingenommen werden sollten. Doch so weit kam es nicht. Die Verhaftung des Michel von Dinkelsbühl als einem Hauptwerber 202 Franz, Bauernkrieg, S. 126; vgl. Rosenkranz I, S. 462 f. Zu Elsa, der Frau von Joß Fritz, ebd., S. 125, die phantasievolle Beschreibung von Rosenkranz I, S. 468 bzw. 475 noch zuspitzend; alles beruht wohl auf den kargen Angaben bei Rosenkranz II, Nr. 37, S. 300 und Nr. 39, S. 301. 203 Franz, Bauernkrieg, S. 129; vgl. Rosenkranz I, S. 452 ff. 204 Franz, Bauernkrieg, S. 130. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? 121 <?page no="122"?> und seine - angeblich freiwilligen, ohne Foltereinwirkung gemachten - umfangreichen Aussagen elektrisierten die Obrigkeiten und lösten umfangreiche Ermittlungen aus. Erfolgreich waren diese freilich kaum, denn den Verschwörern, allen voran wiederum Joß Fritz, gelang es, unentdeckt zu bleiben und sich dem herrschaftlichen Zugriff zu entziehen. „ Auch diesmal wurde die Saat, die Joß Fritz gelegt hatte, vorzeitig niedergetreten. Aber der Same blieb in der Erde und wucherte so unter der Oberfläche weiter. “ 205 Dass Joß Fritz dann 1524, „ mit einem alten grauen Bart “ beim Ausbruch des Bauernkriegs im Hegau erneut zur Stelle war, und sich hören ließ, „ er könne oder möge nicht sterben, der Bundschuh habe denn zuvor seinen Fortgang erlangt “ , ist eine Pointe, die sich die ältere Historiographie nicht zu zitieren nehmen ließ, um die Brücke zwischen der Konspiration von 1517 und der großen Erhebung zu schlagen. 206 So stimmig diese Erzählung auch war, einige ungelöste Fragen stießen sogar denjenigen auf, die sie verbreiteten. Woher mochte Joß Fritz, dem es in Lehen kaum gelungen war, das Geld für eine Fahne aufzubringen, das viele den Werbern versprochene Geld haben? Und wohin war die religiöse Dimension entschwunden in einem Programm, in dem jegliche Spitze gegen den Klerus und geistliche Einrichtungen fehlte? 207 Grundlegendere Skepsis erwuchs aus derlei Ungereimtheiten lange nicht. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts verdichteten sich Zweifel am alten Narrativ, als Rolf Köhn die Angelegenheit erneut, und deutlich kritischer, Revue passieren ließ. Er ging von den überlieferten Textzeugnissen aus und stellte als erster heraus, wie schmal die überlieferte Quellenbasis war und wie problematisch die phantasievollen „ Vermutungen und Verallgemeinerungen “ daherkamen, mit denen vor allem Rosenkranz die Lücken gefüllt hatte. 208 Jenseits amtlicher Briefe und Akten sind es allein drei Geständnisse angeblicher Verschwörer, auf denen das skizzierte Erzählgebäude basiert: die umfangreiche Aussage des genannten Michels von Dinkelsbühl von Anfang September; ein ziemlich kurzes Geständnis Klaus Fleckensteins in Weißenburg von Mitte Oktober; und eine noch kürzere Paraphrase der Angaben des gefangenen Diebes Hans Metzger in Breisach aus der gleichen Zeit. 209 Dabei macht Michel vorwiegend umfangreiche Aussagen über Personen und Orte, während nur Fleckensteins Geständnis Angaben zur Programmatik zu entnehmen sind. Köhn konzentrierte sich insbesondere auf die Angaben zu den Orten mit Schwerpunkt im unteren Elsass sowie den - rund 270 - genannten Personen, deren nähere Identifikation er für äußerst 205 Ebd., S. 131. 206 Zitiert bei Franz, Bauernkrieg, S. 134. 207 Rosenkranz I, S. 471 f.; Franz, Bauernkrieg, S. 131. 208 Köhn, Der Bundschuh von 1517, hier S. 124. 209 Rosenkranz II, Nr. 28, S. 269 - 289; Nr. 48, S. 308 f.; Nr. 46, S. 306 f. 122 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="123"?> wünschenswert hält. 210 An vielen Details meldet er Zweifel an, auf viele Widersprüche und „ ungelöste Probleme “ weist er hin, ohne insgesamt aber die Existenz des Bundschuhs von 1517 in Frage zu stellen. 4.5.2 Dekonstruktion einer Geschichte Das unternahm dann kurz danach Johannes Dillinger, der als Erforscher von Hexenglauben und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit vertraut damit war, an der realen Existenz von Phänomenen zu zweifeln, die zeitgenössische Berichte als fraglose Wirklichkeit präsentieren. Er kam zu dem Schluss, dass es sich beim Bundschuh von 1517 insgesamt um eine „ Chimäre “ handelt, um eine Konstruktion „ nervöser Obrigkeiten “ , für deren tatsächliche Existenz es einfach nicht genügend belastbare Indizien gebe. 211 Dabei geht er konsequent von den Quellen aus und weist auf deren zahllose Merkwürdigkeiten hin. Wie konnte Michel von Dinkelsbühl in seinem angeblich „ freiwilligen “ Geständnis hunderte von Personen- und Ortsnamen aus dem Gedächtnis abrufen? Warum konnten die Obrigkeiten, die aufgrund mehrerer Abschriften seiner Aussagen nach den Betreffenden fahndeten, keinen einzigen von ihnen ergreifen? Und warum stimmen seine Angaben in keiner Hinsicht mit anderen Quellen überein? Zusammen mit weiteren Ungereimtheiten hinsichtlich der Chronologie der Planungen und hinsichtlich der Bezahlung legt das die Annahme nahe, die Aussage könnte weitgehend erfunden sein. Ohnehin ist die Tatsache, dass es vor allem Vaganten, Bettler und Gaukler gewesen sein sollen, die für den Bundschuh geworben hätten, in hohem Grade unplausibel. Schon Rosenkranz stand klar vor Augen, dass das fahrende Volk bei den sesshaften Bauern alles andere als beliebt oder auch nur angesehen war. Vielmehr stand es im Ruch der Unehrlichkeit: „ Jeder wusste, dass man sich vor ihnen hüten müsse. Und doch konnte weder Hoch noch Niedrig sie entbehren. “ 212 Aber wie hätten derartige zwielichtige Gestalten wirklich erfolgreich für eine - hochriskante! - konspirative Bewegung werben können - Personen, die wenige Jahre zuvor im berühmten Liber Vagatorum als Betrüger dargestellt worden waren, die als falsche Kranke oder Wallfahrer frommen Leuten das Geld aus der Tasche zogen? Tatsächlich scheinen manche der in Michels Aussage auftauchenden Bettlergestalten direkt aus dem Kompendium des Pforzheimer Spitalmeisters Mathias Hütlin entsprungen zu sein: So ging ein gewisser Heinrich von 210 Vgl. die Karte bei Köhn, Der Bundschuh von 1517, S. 128. 211 Dillinger, Der Bundschuh von 1517, S. 366, 372 f., und ders., Freiburgs Bundschuh, S. 433, 435. 212 Rosenkranz I, S. 465; vgl. Dillinger, Freiburgs Bundschuh, S. 418 ff. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? 123 <?page no="124"?> Straßburg in Sankt Valentins Namen betteln, gab also vor, an Epilepsie zu leiden; ein anderer benahm sich unter Anrufung von Sankt Ciliax ganz ungebärdig und trug am Arm eine offene Wunde zur Schau, die er nicht zuheilen ließ. 213 Ebenfalls wenig belastbar ist die zweite zentrale Aussage von Klaus Fleckenstein ( ‚ Anschlag und Vornehmen der Bundschuher ‘ ), die bislang als exklusive Informationsquelle über das Programm der Aufständischen herangezogen wurde: Zu pauschal und apodiktisch sind die kurzen Passagen über die Abschaffung aller Abgaben und über die Absicht, alle, die sich ihnen in den Weg stellten, „ tot zu schlagen “ . Fragen wirft allein die Chronologie auf, denn Fleckenstein wurde Mitte Oktober verhört und berichtete von einer geheimen Versammlung, die angeblich am 4. Oktober in der Nähe von Weißenburg stattgefunden habe, rund einen Monat also nach der Verhaftung Michels von Dinkelsbühl; diese hatte hektische Fahndungsaktivitäten in der gesamten Region ausgelöst, aber keinerlei Ergebnis gebracht. Und Wochen später sollen die Mitglieder des Bundschuh unverdrossen und ungestört zusammengekommen sein, um einen großangelegten Aufruhr zu planen? Das ist nur ein Aspekt unter vielen, bei dem die Aussagen der beiden Verhafteten überhaupt nicht zueinander passen. Insgesamt steht der angebliche Bundschuh von 1517 ausgesprochen erratisch im Niemandsland zwischen vergangenen und zukünftigen Unruhen, weder programmatisch noch personell wirklich angebunden - nur bei einer einzigen Person gab es angeblich eine Verbindung zum wenige Jahre zurückliegenden Armen Konrad, und das war Michel von Dinkelsbühl selbst! 214 Aber was ist mit dem hauptsächlichen Bindeglied zu früheren Konspirationen, dem geheimnisvollen Joß Fritz, der auch diesmal der „ Oberhauptmann “ des Bundschuhs gewesen sein soll? So gut wie alle konkreten Angaben über seine Person, seine Kleidung und seine geplanten Aktionen stammen allein von Michel von Dinkelsbühl und wurden von offiziellen Stellen, insbesondere von 213 Rosenkranz II, Nr. 28, S. 282, 280. Vgl. die Edition von Boehncke/ Johannsmeier, Vaganten, S. 79 ff., hier z. B. S. 86 f. Im Übrigen fügt Rosenkranz II, Nr. 33, S. 292 ff. der Aussage Michels eine Liste von „ Verrätern, die in Bettlerweise das Land besuchen “ hinzu, die merkwürdig elaborierte Zeichnungen als angebliche geheime Identifikationszeichen der Bettler auflistet. Dafür dass es sich um ein Verzeichnis von Bettlern handelt, „ die zum Bundschuh gehören “ , wie er behauptet, bleibt Rosenkranz den Beweis schuldig. Zum Liber Vagatorum gibt es wiederum offenkundige Querverbindungen, denn hier wie dort findet sich der Name des mehrfach im südwestdeutschen Raum als Straftäter nachweisbaren Hans von Straßburg, einem getauften Juden; sein angebliches Wahrzeichen war ein Naturhorn mit einer Eule darauf, vgl. Rosenkranz II, S. 293 sowie Robert Jütte über Hans von Straßburg in Boehncke/ Johannsmeier, Vaganten, S. 117 - 132. 214 Ebd. Nr. 28, S. 289, eine kurze Notiz am Ende der Aussage. 124 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="125"?> Freiburg, weiterverbreitet. 215 Ein Beleg für seine tatsächliche Beteiligung ist das nicht - zu sehr hatte sich seine Legende bereits von der wahren Person gelöst. Dass es sich für Michel von Dinkelsbühl anbot, ihn zum Rädelsführer zu stilisieren, um die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu erhöhen, lag auf der Hand. Um die vermeintliche Verschwörung von 1517 ins Reich der Legende zu verweisen, nimmt Dillinger schließlich auch die Obrigkeiten in den Blick und zeichnet nach, wie einige wenige Akteure an der Konstruktion dieses Mythos arbeiteten, während andere skeptisch waren und blieben. Die Angst vor einem neuen Bundschuh war in der Region insgesamt, besonders aber in der Stadt Freiburg, stets lebendig gewesen, sodass jedes entsprechende Gerücht auf fruchtbaren Boden fallen konnte. 216 Entsprechende Gerüchte hatte es in der Zeit zuvor einige gegeben. Aber erst die Verhaftung Michels von Dinkelsbühl durch den Landvogt des Markgrafen von Baden in Rötteln, Jakob Nagel, scheint die Angelegenheit so richtig ins Rollen gebracht zu haben. Nagel mochte bei der schnellen Bekanntmachung von Michels Aussagen an seine Vorgesetzten durchaus die eigene Karriere im Blick gehabt haben. Und als die vorderösterreichische Regierung in Ensisheim dann die Stadt Freiburg informierte, startete diese eine regelrechte Informationsoffensive, um vor den Gefahren des neuen Bundschuhs zu warnen. Die Stadt im Breisgau wurde damit zur Hauptunternehmerin des Narrativs von der neuen Bundschuh-Verschwörung. Nicht alle zeigten sich unmittelbar überzeugt. Straßburg wollte es genauer wissen und schickte einen Gesandten nach Südbaden, der nach einigem Hin und Her mit dem im Turm sitzenden Michel von Dinkelsbühl sprechen konnte. Der Gefangene verhielt sich zu seinen früheren Aussagen merkwürdig defensiv, wenngleich Dillingers Einschätzung, er habe einen Großteil seiner Angaben faktisch widerrufen, vielleicht etwas zu weit geht. 217 Michel korrigierte einige Namen und wusste über die betreffenden Personen ebenso wenig nähere Angaben zu machen wie über die angeblichen Mordbrandpläne. Wahrscheinlich seien die Verdächtigen durch seine Verhaftung gewarnt worden, sagt er aus, und wohl längst über alle Berge. Der Verdacht liegt nahe, dass er damit zu erklären suchte, warum von keinem der Genannten eine Spur zu finden war. In Rötteln musste der Straßburger Bote damit die Sache auf sich beruhen lassen, aber auf der Rückreise nach Straßburg machte er in Freiburg eine weitere interessante Erfahrung. Eigentlich wollte er bei einem alten Schul- 215 Rosenkranz II, S. 268, 269 f., 283 f., 291, 300, 301, 302, 303 und 304. Bei den Angaben zu seiner Frau Elsa verhält es sich vielleicht anders, vgl. oben Fn. 202. 216 Dillinger, Der Bundschuh von 1517, S. 358 ff. 217 So Dillinger, Der Bundschuh von 1517, S. 397; die Quelle bei Rosenkranz II, Nr. 36, S. 296 ff., hier S. 297. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? 125 <?page no="126"?> freund Station machen, aber überraschend komplimentierte ihn dieser zu einem Treffen, wo sich der Gesandte zu seinem großen Unbehagen mit hochrangigen Vertretern des Stadtregiments konfrontiert sah; diese bewirteten ihn reichlich und fragten ihn über seine Mission in Rötteln aus. Der Emissär erstattete bereitwillig Bericht und ließ dabei seine Skepsis über die Vagheit und die Widersprüche in der Aussage Michels durchblicken. Das wiederum rief entschiedenen Widerspruch der Freiburger hervor: Mochte der Gefangene auch einzelne Namen durcheinandergebracht haben, die Aussage insgesamt sei „ ganz wahr “ . Ihre Gewissheit gründete nach eigener Angabe darin, dass sie von der Verschwörung ursprünglich aus einer anderen Quelle erfahren hätten, weil nämlich einer der Bundschuher die Sache seinem Pfarrer gebeichtet habe. Die Erzählung der Ratsherren gegenüber dem Straßburger Gesandten ist unvollständig überliefert und in sich nicht wirklich kohärent. Das nährt, folgt man Dillinger, den Verdacht, die ganze Geschichte könnte konstruiert sein. 218 Diese Vermutung geht sicher zu weit, denn dass dem Freiburger Magistrat im August 1517 eine abenteuerliche Geschichte zu Ohren kam, ist auch aus weiteren Quellen gesichert. Danach war ein Bauer in einem Wäldchen vor den Toren der Stadt von drei Verschwörern angesprochen und genötigt worden, einen Verschwiegenheitseid abzulegen. Als er sich widerstrebend zeigte, hätten ihn die drei sogar mit dem Tode bedroht; bloß das zufällige Vorüberreiten einiger Leute habe ihn gerettet. Zunächst war er unschlüssig, wie er sich nun verhalten sollte, denn schließlich hatte er einen Eid geleistet; schließlich beichtete er die Angelegenheit einem Pfarrer. Dieser konnte die Information aufgrund des Beichtgeheimnisses der Obrigkeit nicht einfach offenbaren, sondern konsultierte wiederum den Freiburger Universitätslehrer Johannes Caesar. Dieser kontaktierte nun den Rat, ohne die Identität von Bauer und Pfarrer preiszugeben. Der Rat versuchte aus der Zwickmühle herauszukommen, indem er den Bischof von Konstanz bat, die Schweigepflicht des Priesters aufzuheben, damit er den Namen des Zeugen preisgebe; dieser solle seines Leibes, Lebens und Guts versichert sein, man wolle lediglich aufgrund seiner Angaben der (insbesondere für die Geistlichkeit! ) hochgefährlichen Verschwörung auf die Spur kommen. 219 Die Sache mag dann im Sande ver- 218 Dillinger, Der Bundschuh von 1517, S. 369; ders., Freiburgs Bundschuh, S. 427. 219 Rosenkranz II, Nr. 2, S. 129 f. datiert die Quelle auf 1513. In einer aufgrund seines abgelegenen Erscheinungsortes von Dillinger übersehenen Miszelle setzt sie Schaub, Der Bundschuh zu Lehen, aufgrund einer Parallelüberlieferung in den Senatsprotokollen vom 8. August 1517 in dieses spätere Jahr. Es gibt also jenseits der Erzählung der Freiburger gegenüber dem Straßburger Gesandten zwei frühere Dokumente, allerdings auch sie Freiburger Provenienz. Berücksichtigt hat diese Überlieferungslage Buszello, Joß Fritz, S. 45 Anm. 18 für seine Darstellung zum Jahr 1513. 126 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="127"?> laufen sein, zeigt aber jedenfalls, dass der Freiburger Bericht keine bloße Erfindung darstellte. So oder so blieb die Informationslage für die Verantwortlichen insgesamt dünn, was sich auch darin zeigt, dass die Stadtväter offenbar vor der Verhaftung Michels von Dinkelsbühl keinerlei konkretere Schritte unternahmen. Auch später besserte sich diese Informationslage nicht: Fast alle Fahndungen nach Verdächtigen verliefen im Sande. Mit Sicherheit bestraft wurden nur die drei unabhängig voneinander verhafteten und in ihren Aussagen stark divergierenden Michel von Dinkelsbühl in der Markgrafschaft Baden, Klaus Fleckenstein in der Reichsstadt Weißenburg und Hans Metzger im vorderösterreichischen Breisach. 220 Insgesamt scheint der Schluss nicht fernzuliegen, beim Bundschuh von 1517 habe es sich im Kern um einen obrigkeitlich konstruierten Konspirationsmythos gehandelt. Selbst wenn man dieser radikal skeptischen Linie nicht folgen mag, so steht es doch außer Frage, dass ein reales Konspirationsgeschehen kaum greifbar ist, sondern von einem Wust phantastisch anmutender Einzelheiten überwuchert wird - ein ernüchternder Befund, den zu akzeptieren uns in Zeiten populistischer Verschwörungserzählungen vielleicht leichter fällt als noch vor einigen Jahrzehnten. 4.5.3 Ausklang und Einordnung Dass der Bundschuh auch in den folgenden Jahren bis zum Bauernkrieg im Südwesten des Reiches nicht in Vergessenheit geriet, dass z. B. ein Arbeitskonflikt im Bergbau im südlichen Schwarzwald direkt die Angst keimen ließ, „ dass daraus ein Bundschuh entspringen möchte “ , erscheint angesichts der langjährigen Präsenz dieses Feindbildes wenig erstaunlich. 221 Verwunderlicher dagegen ist es, dass sich neben dem negativen Stereotyp der Bundschuh- Verschwörung durchaus weiterhin Spurenelemente einer älteren, durchaus positiven Konnotation finden lassen. So erschien in Augsburg 1519 „ Eine wahrhafte Historie von dem Kaiser Friedrich … und wie der Bundschuh aufgekommen ist in Baiern “ . 222 Dort wird die Legende entfaltet, wie auf dem 3. Kreuzzug am Ende des 12. Jahrhunderts eine fast verloren geglaubte Schlacht gegen die Mohammedaner doch noch zum Erfolg gewendet worden sei. Als das kaiserliche Feldzeichen im Gefecht verloren ging, habe ein einfacher Gefolgsmann des bayerischen Herzogs seinen Bundschuh ( „ der auf die bäuerische Art 220 Dillinger, Freiburgs Bundschuh, S. 373. 221 Rosenkranz II, Nr. 49, S. 309; vgl. Franz, Bauernkrieg, S. 131 f. 222 Ein warhafftige historij von dem Kayser Friderich der erst seines namens mit ainem langen rotten Bart [ … ], Augspurg 1519 [VD16 W 314], vgl. Adam, Neues von Joß Fritz, S. 484 ff. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? 127 <?page no="128"?> gemacht war “ ) ausgezogen, auf einen Spieß gesteckt und dem Herzog überreicht. Freudig habe der das christliche Volk ermahnt, im Zeichen des Bundschuhs zu kämpfen und so tatsächlich den Sieg erlangt, 24.000 Heiden erschlagen und Jerusalem erobert. Bis zum Erlöschen des Geschlechts hätten die Herzöge in der Folge den Bundschuh in ihrem Wappen getragen. Der Bundschuh wurde in dieser - im Übrigen völlig legendarischen - Erzählung tatsächlich ‚ bäuerisch ‘ konnotiert, allerdings keineswegs negativ bewertet, sondern umgekehrt gerade zum Zeichen der Vereinigung des gesamten christlichen Volkes im Kampf. Vor diesem Hintergrund erstaunt es dann weniger, wenn im Januar 1523 ein gewisser Hans Weck aus Gaugenwald im nördlichen Schwarzwald verhaftet wurde, weil er öffentlich geäußert hatte, er wette und wolle, dass der vertriebene Herzog Ulrich und der Bundschuh kämen, dann würden ihm alle zulaufen: In völliger Verkehrung der Geschehnisse von 1514, in denen der württembergische Herrscher den Bundschuh als Inbegriff kriminell-aufrührerischer Aktivitäten verurteilt hatte, wird der Bundschuh hier zum Symbol der erwarteten Restitution seiner Herrschaft, von der sich Weck offenbar auch eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse verspricht. 223 Am Beginn des Bauernkriegs sollte es dann tatsächlich Ansätze für eine strategische Allianz des exilierten Herzogs mit den aufständischen Bauern geben, die allerdings nicht sehr weit gediehen. Auch im Bauernkrieg trat der Bundschuh da und dort als Symbol in Erscheinung, wobei seine Bedeutung nicht überschätzt werden sollte. 224 Die Bedeutung der sog. Voraufstände im Zeichen des Bundschuhs erscheint rückblickend weit weniger imposant als bisher meist postuliert. Viele vermeintliche Gewissheiten haben sich als trügerisch erwiesen. Dass die Bundschuh-Verschwörungen z. B. von einem revolutionären Verständnis des ‚ göttlichen Rechts ‘ inspiriert gewesen sein sollen, während der württembergische Aufstand von 1514 nur am ‚ Alten Recht ‘ orientiert war, ist von der Forschung in Frage gestellt worden. 225 Ähnliches gilt auch für andere Aspekte. Der letzte Bundschuh-Aufstand von 1517 muss bei einer vergleichenden Betrachtung nach dem Gesagten ohnehin völlig ausgeklammert bleiben. Nicht nur deswegen schrumpft auch die Rolle von Joß Fritz als genialem Mastermind des Bundschuh erheblich - allein für 1513 ist seine tragende Rolle einigermaßen gesichert. Bemerkenswert bleibt der eigenständige Charakter der Aufstandsversuche von 1493, 1502 und 1513 als konspirative Bewegungen, bei denen sich selbst- 223 Kretzschmar/ Rückert, Der Arme Konrad, S. 34 f. 224 Schwerhoff, Der Bauernkrieg, S. 64, S. 77 u. ö. 225 Dazu einschlägig Buszello, Joß Fritz, S. 65 ff. 128 4 Bundschuh und Armer Konrad <?page no="129"?> ernannte Führer um einen kleinen Kreis entschlossener Anhänger bemühten. 226 Genau dieser Tatsache wird man letztlich den Misserfolg aller drei Verschwörungen zuschreiben müssen: Ohne ein gewisses Maß an öffentlicher Selbstvergewisserung und an öffentlichem Druck zur Solidarisierung blieb ihr Zirkel begrenzt und letztlich unverbindlich. Er fiel auseinander, bevor sich wirklich eine kritische Masse hätte bilden können. Eine viel größere öffentliche Resonanz entfaltete der Arme Konrad, der innerhalb der Grenzen eines vormodernen Großterritoriums einen regelrechten Reformprozess in Gang setzte, von dem seine Hauptakteure allerdings am Ende kaum profitierten. Das zentrale Verbindungsmoment aller behandelter Unruhen und Empörungen, welche tatsächliche Reichweite sie auch immer gehabt haben mögen, war jedoch die Tatsache, dass sie den Aufstandsängsten der Obrigkeiten im deutschen Südwesten stets neue Nahrung gaben und zur Verfestigung jenes düsteren Feindbildes von den landschädlichen Verschwörern führten, das dann im Bauernkrieg abgerufen werden konnte. 226 Formulierung nach Buszello, Joß Fritz, S. 60. 4.5 Ein Bundschuh am Oberrhein 1517? 129 <?page no="130"?> 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 Im Frühjahr 1510 protestierte ein gewisser Konrad Rosenmeiger in Schlettstadt gegen die Verhaftung einiger Unruhestifter, indem er auf dem Markplatz Flüche und Verwünschungen ausstieß, den Reichen den Tod androhte und - demonstrativ gen Himmel blickend - hinzufügte: „ Oh wo ist der Schuhmacher, der den Bundschuh gemacht hat “ ! 1 Der Schlettstadter Altbürgermeister Hans Ulmann war 1493 Hauptmann der ersten Bundschuh-Erhebung in der Umgebung der Stadt gewesen; von daher überrascht es wenig, 17 Jahre später vom Fortleben dieses Aufstandssymbols zu lesen. Aber auch in weiter entfernten Regionen wurde der Bundschuh im Kontext innerstädtischer Konflikte beschworen. 1498 waren in der fränkischen Stadt Kitzingen zwei besitzlose Bürger aus der Vorstadt verhaftet worden, weil sie frevelhafte und ungebührliche Reden getrieben hatten. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten mit einem Banner auf den Markt treten und einen „ Bundschuh aufwerfen “ wollen. 2 Mehr ist über diesen Vorfall leider nicht bekannt. Die Nachricht aber bildet ein Glied in der Kette von Hinweisen auf bürgerliche Unruhen in dem kleinen Städtchen am Main vor und nach 1500. Zu einem größeren Konflikt kam es in Kitzingen 1511, als der Stadtherr, Markgraf Friedrich V. von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, von der Stadt über die reguläre Steuer hinaus eine außerordentliche Kontribution für einen Kriegszug verlangte. Die Bürgerversammlung verlangte vom Rat für ihr Einverständnis im Gegenzug eine angemessene Vertretung der Gemeinde im Stadtregiment, insbesondere die Bildung von Stadtvierteln und deren Vertretung durch gewählte Viertelmeister. Der Rat setzte sich gegen diese „ Neuerungen “ zur Wehr und behauptete mit Hilfe des Stadtherren den Status Quo des „ alten Herkommens “ . 3 Vorläufig war der Versuch ökonomisch gut situierter, aber politisch unterprivilegierter Bürger gescheitert, mehr Teilhabe am Stadtregiment zu erlangen. 1525 sollte die Bürgeropposition einen neuen, diesmal gewaltsameren Anlauf machen, der sich dann aber bereits im Gravitationsfeld des Bauernkriegs abspielte. Die innerstädtische Unruhe in der fränkischen Weinstadt verdient aber auch deshalb Beachtung, weil sie sich in eine ganze Reihe gleichzeitiger Ereignisse in vielen deutschen Städten einfügt. 1 Gený, Schlettstadt, S. 85. 2 Arnold, Sozialstruktur, S. 183. 3 Ebd., S. 185 ff., S. 202. <?page no="131"?> 5.1 Ein kursorischer Überblick Seit der Ausbildung einer mitteleuropäischen Städtelandschaft im hohen Mittelalter gehörten innere und äußere Konflikte zumindest in Mittel- und Großstädten gleichsam zu ihrer DNA. 4 Seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts hatten sich viele Stadtgemeinden mehr oder minder erfolgreich von ihren Stadtherren emanzipiert und deren weiterbestehende Herrschaftsansprüche abgewehrt. Im ausgehenden 13. und im 14. Jahrhundert verlagerten sich die typischen Konflikte in die jeweiligen Städte selbst; die Zunfthandwerker, zum Teil in Allianz mit nachrückenden Kaufleutegruppen, rangen um Teilhabe am Stadtregiment mit den etablierten Führungseliten, die sich oft als eine Art städtischer Adel ( ‚ Patriziat ‘ ) sahen. Das Ergebnis war alles andere als einheitlich. Mancherorts konnte das Patriziat seine Machtpositionen behaupten wie in den norddeutschen Hansestädten, in Frankfurt am Main oder in Nürnberg, auch wenn sie das in den letzten beiden Fällen durch kleinere, eher kosmetische Zugeständnisse erkaufen mussten. An anderen Orten kam es zu einer Machtteilung zwischen den alten und neuen Eliten wie z. B. in Augsburg. Eher selten war die vollkommene politische Entmachtung der alten Geschlechter, wie es 1396 in Köln geschah. Mancherorts wechselten die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Parteien wiederholt. Auch nachdem diese - früher als ‚ Zunftkämpfe ‘ apostrophierten - Unruhen abgeflaut waren und die Verfassungsverhältnisse zunächst geklärt schienen, blieben Spannungen zwischen dem Stadtregiment und der Bürgergemeinde auf der Tagungsordnung: Unabgegoltene Partizipationsansprüche nachrückender Eliten blieben zwar ein Thema, doch rückte Kritik an Misswirtschaft und Korruption der Führungsschicht vor dem Hintergrund wachsender sozialer Polarisierung nun in den Vordergrund. Unter diesen Vorzeichen kam es am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer erneuten Welle von Aufständen in vielen Städten, die, aus der Vogelperspektive betrachtet, fast nahtlos in die Epoche der Reformation und des Bauernkriegs mündeten. In 19 Städten habe es allein zwischen 1509 und 1514 „ ernste Auseinandersetzungen “ gegeben, so Erich Maschke. 5 Ihr zeitlicher Höhepunkt lag in den Jahren um 1512; Schlettstadt und Kitzingen sind also lediglich Glieder in einer längeren und dichten Kette von Unruhen. 4 Zum Folgenden klassisch Maschke, Deutsche Städte, S. 75 ff.; zusammenfassend Isenmann, Stadt, S. 252 ff. Zur Entstehung im Hochmittelalter Schulz, Freiheit. 5 Maschke, Deutsche Städte, S. 76; vgl. seine Statistik in Anm. 206, S. 95, wo für 1501 - 1510 5, 1511 - 1520 18 Unruhen verzeichnet sind. 5.1 Ein kursorischer Überblick 131 <?page no="132"?> Der Forschung ist diese Protestkonjunktur keineswegs verborgen geblieben, und für verschiedene Einzelfälle wie Erfurt, Regensburg oder vor allem Köln liegen neuere Studien vor. Als zentrale Referenz für eine vergleichende Betrachtung muss jedoch heute immer noch das Werk des Lamprecht-Schülers Karl Kaser aus dem Jahr 1899 gelten, der eine Fallstudie zu Speyer mit weitgespannten Überblicken verband. Obwohl seine ideologischen Prämissen oft anachronistisch anmuten und seine Fahndung nach „ sozialistischen Tendenzen “ heute als überholt gelten darf, bleibt die Arbeit empirisch nach wie vor nützlich. 6 Im Übrigen wurde die Aufstandswelle an der Nahtstelle zwischen Mittelalter und Neuzeit in der neueren Literatur zwar gelegentlich erwähnt, bisher aber kaum vergleichend analysiert; sowohl die Mediävistik als auch die Reformationsgeschichte sparten sie aus. 7 Und auch die Bauernkriegsforschung erwähnte sie eher en passant. 8 Deshalb gibt es bislang keine zuverlässige Übersicht zu den Ereignissen. Ort Beginn (oder Zeitpunkt) Erfurt 1509, Juni Regensburg (Reichsstadt) 1512, Juni Speyer (Reichsstadt) 1512, Juni Köln (Reichsstadt) 1512, Dezember Aachen (Reichsstadt) 1513, Februar Braunschweig 1513, Juni Worms (Reichsstadt) 1513, August Schweinfurt (Reichsstadt) 1513, November Duisburg (1513) Neuss (1513) Höxter (1513) Göttingen 1514, März Tabelle: Innerstädtische Unruhen zwischen 1509 und 1514 6 Kaser, Bewegungen, hier S. 17; vgl. ders., Bewegung [b], S. 30 für eine Übersicht. 7 Hergemöller, Uplop - Seditio, hat sie nicht in seine systematisierende Zusammenschau aufgenommen, sondern schließt Ende des 15. Jahrhunderts. 8 Vgl. die kurzen Sätze bei Franz, Bauernkrieg, S. 138. 132 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="133"?> In dieser Aufstellung sind lediglich Städte vertreten, in denen es zu größeren Aufläufen und Rebellionen kam. 9 Sie repräsentiert insofern eine Art Spitze des Eisbergs, als die Zahl von leichteren Unruhen betroffener Städte wohl erheblich größer war. In diesen Horizont hinein gehört etwa die Haller Ratsverstörung zwischen 1509 und 1512 10 , wo der Ausschluss bürgerlicher Eliten aus der patrizischen Trinkstube die Stadt in Atem hielt; die bürgerlichen Proteste in Andernach 11 im Jahr 1511, wo der Kölner Fürstbischof die Proteste gegen das Finanzgebaren und die Willkür des Rates schlichten musste; oder die Steuerunruhen, die Ende 1512 bzw. Anfang 1513 in auffälliger Parallelität zu Köln in Lüttich zu verzeichnen sind. 12 „ Zwitracht und Conspiration “ gab es 1512 auch in Nördlingen und Aalen, ohne dass das „ murmeln “ sich hier zu einer offenen Revolte verdichtet hätte. 13 Ähnlich verhielt es sich in Augsburg, wo es 1513 zu Weingeldunruhen kam. 14 In Frankfurt erschollen im gleichen Jahr bei Protesten gegen das Ungeld Rufe nach Ausweisung der Geistlichkeit und der Juden. 15 Einen gewissen Sonderfall repräsentiert schließlich die Reichstadt Ulm mit ihrem ausgedehnten Landgebiet, wo es im Sommer 1513 zu großen Unruhen zwischen der Weberzunft, der Kaufmannschaft und dem Patriziat kam. Mehrere führende Politiker entwichen aus der Stadt und sahen sich genötigt, ihr Bürgerrecht aufzusagen; eine kaiserliche Kommission und später der Schwäbische Bund vermittelten. Zu einem veritablen Aufstand kam es dann im folgenden Jahr nicht in Ulm selbst, sondern in seiner Landstadt Geislingen, deren Bürgergemeinde gegen den rigorosen Zugriff der reichsstädtischen 9 Zentrale Informationsquellen für Erfurt: Burkhardt, Das tolle Jahr; Weiß, Das Tolle Jahr; Scribner, Civic Unity, S. 34 ff.; zum größeren Zusammenhang Weiß, Die frommen Bürger, S. 75 ff.; Regensburg: Kaser, Bewegung, S. 175 ff.; Panzer, Sozialer Protest, S. 39 ff.; Schmid, Freistadt, S. 43 ff.; Speyer: Kaser, Bewegung, S. 34ff, hier vor allem S. 61 ff.; Köln: Herborn/ Dietmar, Köln, S. 192 ff., Looz-Corswarem, Unruhen, S. 71 ff.; zuletzt Irsigler, Aufstand; Aachen: Kaser, Bewegung, S. 163 ff.; Redlich, Herzog Johann; Meuthen, Verfassungskämpfe, S. 339 ff.; Braunschweig: Blume, Schichtbuch, hier S. 56 f.; Worms: Kaser, Bewegung, S. 166 ff.; Boos, Franz von Sickingen, S. 398 ff.; Bönnen, Worms, S. 259; Schweinfurt: Kaser, Bewegungen, S. 158 ff. Stein, Geschichte, S. 97 ff.; Stein, Monumenta, S. 462 ff. und S. 518 ff.; Duisburg: Redlich, Herzog Johann, S. 340 f.; Looz-Corswarem, Unruhen, S. 93 f.; Neuss: Wisplinghoff, Neuss, S. 118 ff.; Höxter: Rüthing, Höxter, S. 113 f.; Göttingen: Mohnhaupt, Göttinger Ratsverfassung, S. 24 ff.; Postel, Sozialgeschichte, S. 85. 10 Wunder, Ratsverstörung. 11 Tille, Bürgerunruhen, bes. S.34 f.; Looz-Corswarem, Unruhen, S. 91 ff. 12 Kaser, S. Bewegungen, 165 f. 13 Rublack, Nördlingen, S. 40. 14 Panzer, Sozialer Protest, S. 137. 15 Ebd., S. 195. 5.1 Ein kursorischer Überblick 133 <?page no="134"?> Herrschaft aufbegehrte und der von dort mit harter Hand niedergeworfen und bestraft wurde. 16 Im Folgenden sollen aber die Aufstände i. e. S. im Mittelpunkt stehen. 1509 eröffnete das „ tolle Jahr “ in Erfurt diese Kette von Ereignissen. 17 Im Juni musste der patrizische Rat den Vertretern der Zünfte und der Stadtviertel die fatale Finanzlage der Stadt offenbaren. Eigentlich besaßen diese keine wirklich eigenständige Rolle im Verfassungsgefüge Erfurts, sondern sollten lediglich den inneren Zirkel der Macht gegenüber der Bürgergemeinde absichern. Nun emanzipierten sich jedoch die ‚ Gewählten ‘ von Vierteln und Zünften, forderten vom Rat Rechenschaft, Versammlungsfreiheit sowie Kontrolle über die Finanzen und die Befestigungsanlagen. Bei dem damit begonnenen Tauziehen mischten im Hintergrund der mainzische Landesherr ebenso kräftig mit wie der Kurfürst von Sachsen als städtischer Schutzherr. Es folgten Jahre innerer Parteienkämpfe und äußerer Einmischungen - nicht ein „ tolles Jahr “ , sondern derer sieben. Sie endeten erst 1516, als ein neuer Rat das erschöpfte Gemeinwesen befriedete und den Vertriebenen ihre Güter restituierte. Chronologisch gesehen war Erfurt eine Art Vorreiter, denn es war vor allem die Zeitspanne von 1512 bis 1514, in der die Hauptwelle städtischer Unruhen zu verzeichnen ist. In Regensburg begann der Aufruhr am 30. Juni 1512 beim Einzug des neuen kaiserlichen Reichshauptmanns. 18 Eigentlich reichte er aber zurück bis zur Übergabe der bankrotten Reichsstadt an den bayerischen Herzog 1485. Der Kaiser erzwang 1492 nicht nur deren Rückgabe, sondern installierte mit dem neuen Amt eines Reichshauptmanns überdies einen ebenso lästigen wie teuren Aufpasser in der Stadt. Nun wurde der Tod des bisherigen Amtsinhabers offenkundig zum Katalysator weiter ausgreifender innerstädtischer Unruhen. Die Bürgergemeinde und wohl auch eine Fraktion innerhalb des Rates lehnten einen neuen Hauptmann ab; seine Einkünfte belasteten die ohnehin überschuldete Stadtkasse. Überdies erregte er aber auch Widerstand als Symbol für die Einschränkung der städtischen Freiheiten. Für lange Monate riss ein Ausschuss von 80 Gemeindevertretern die Macht in der Stadt an sich. 1512 war auch in Köln das Jahr, in dem das Konfliktpotential langsam wuchs und sich dann Ende Dezember schlagartig im bedeutendsten der vielen städtischen Aufstände jener Zeit entladen sollte; dazu gleich mehr. In der benachbarten Reichsstadt Aachen zwang die Bürgerschaft einige Wochen 16 Kaser, Bewegungen, S. 178 f; Greiner, Ulm, S. 6f, 19, 20 f. Haug-Moritz, Geislinger Aufstand. 17 Burkhardt, Das tolle Jahr; Weiß, Das Tolle Jahr; Scribner, Civic Unity, S. 34 ff.; zum größeren Zusammenhang Weiß, Die frommen Bürger, S. 75 ff. 18 Kaser, Bewegung, S. 175 ff.; Panzer, Sozialer Protest, S. 39 ff.; Schmid, Freistadt, S. 43 ff. Hauptquelle für die Vorgänge ist Leonhart Widmanns Chronik, S. 16 ff. 134 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="135"?> später, wohl Mitte Februar 1513, den alten Rat zur Abdankung; dessen Mitgliedern wurde Bereicherung im Amt und Bestechung vorgeworfen. 19 Die Ratsherren flohen aus der Stadt, einige wurden vorübergehend verhaftet. Das Schicksal des Bürgermeisters Peter von Inden blieb längere Zeit Verhandlungsgegenstand zwischen den Parteien. Die Zünfte erzwangen schließlich nicht nur eine Neuwahl des Rates, sondern auch die Bekräftigung des Gaffelbriefes von 1450, der ihnen eine wirksamere Partizipation sichern sollte. Langwierige Verhandlungen zwischen Herzog Johann von Jülich als kaiserlichem Kommissar und dem neuen Rat führten schließlich im Sommer 1515 zu einem friedlichen Ausgleich, der den alten Eliten die Rückkehr an die Macht ebnete. Fünf Jahre später amtierte Peter von Inden wieder als Bürgermeister. 20 Mit Köln und Aachen ist die Reihe der unruhigen Städte am Niederrhein noch nicht erschöpft. In Duisburg erhob sich fast gleichzeitig mit Aachen die Bürgergemeinde gegen den Rat, und auch in Neuss strömte die Gemeinde unter dem Läuten der Sturmglocke zusammen und nötigte dem Rat einen neuen Verbundbrief mit Wahlrechtsreformen ab. Der genaue Zeitpunkt ist unbekannt, aber der Schiedsspruch des Erzbischofs, in dem er die meisten Reformen wieder zurücknimmt, datiert auf den 1. Dezember 1513. 21 Am Mittelrhein waren vor allem die beiden Reichsstädte Speyer und Worms betroffen. In Speyer war die Zunft der Zimmerleute Ausgangspunkt von Steuerprotesten, die sich am 27. Juni 1512 auf die ganze Stadt ausweiteten. 22 In Harnisch und mit fliegenden Fahnen stellte sich die große Masse der Bürger in der Auseinandersetzung zwischen Rat und Zimmerleuten auf die Seite des Handwerks und besetzte das Stadtzentrum ebenso wie Stadttore und Mauern. Am Tag danach wurde aus allen Zünften ein Gemeindeausschuss gewählt, der in den folgenden Monaten gegenüber dem Rat und kaiserlichen Gesandten die Forderungen der Bürgerschaft vertrat. In Worms kam es im August 1513 zu einer vergleichbaren Eskalation, wobei es hier der Opposition gelang, den alten Rat zu verdrängen. Er musste zeitweilig nach Oppenheim ausweichen, wurde dann aber vom Beauftragten des königlichen Stadtherrn wieder nach Worms zurückgeführt. 23 Auch weiter östlich, in der fränkischen Reichsstadt Schweinfurt, begannen Tumulte der Gemeinde gegen den Rat im Jahr 1513, und auch hier waren hohe Steuern und Schulden der Anlass. Die aufständischen Bürger bemächtigten sich am 19. November der Stadtmauern, Tore und Stadtschlüssel. Sieben Ratsherren flüchten in die Festung Mainberg. Eine kaiserliche Kommis- 19 Kaser, Bewegung, S. 163 ff.; Redlich, Herzog Johann. 20 Redlich, Herzog Johann, S. 361. 21 Redlich, Herzog Johann, S. 340 f.; Wisplinghoff, Neuss, S. 118 ff. 22 Kaser, Bewegung, S. 34ff, hier vor allem S. 61 ff. 23 Kaser, Bewegung, S. 166 ff.; Boos, Franz von Sickingen, S. 398 ff.; Bönnen, Worms, S. 259. 5.1 Ein kursorischer Überblick 135 <?page no="136"?> sion unter Graf Wilhelm von Henneberg untersuchte die Angelegenheit, erließ am 13. Juni 1514 ein Statut zur Regulierung der bürgerlichen Beschwerden und bestrafte im Herbst eine Reihe von Aufständischen. 24 Weiter im Norden war es Braunschweig, das nach zahlreichen früheren ‚ Schichten ‘ (mittelniederdeutsch für ‚ Aufstände ‘ ) im Jahr 1513 von einer blutigen Empörung erschüttert wurde. Hermann Bote, dessen ‚ Schichtbuch ‘ die Hauptquelle für das Aufstandsgeschehen in Braunschweig darstellt, charakterisiert ihn als ‚ Aufruhr wegen der zweifachen Schoß ‘ und lässt damit schon im Titel den Anlass anklingen: Der Rat hatte auf sechs Jahre eine zweimal jährlich zu erbringende direkte Vermögenssteuer (Schoß) für alle Einwohner beschlossen, um die städtischen Finanzen zu sanieren: ‚ Oh du vermaledeiter Schoß, vermengt mit altem Hass ‘ , so der Stoßseufzer Botes. 25 Am 5. Juni stürmten arme Handwerker und Tagelöhner das Rathaus, töteten ein Ratsmitglied, das sie zu beruhigen trachtete, und verletzten einen Bürgermeister schwer. Die Mitglieder der Ratsversammlung flohen. Zwei Männer wurden verhaftet und mit dem Tod bedroht, einer von ihnen war Zollschreiber Bote selbst; nur knapp entrannen sie der Lynchjustiz. Immerhin gelang es nach einigen Wochen zunächst, die Unruhe mit einem Kompromiss zu beenden, der den Protestierern weit entgegenkam. Steuern und Abgaben wurden gesenkt, neue Amtsträger gewählt und Straffreiheit für die Empörer zugesichert. Braunschweig stand in der Region nicht isoliert. In der weiteren Umgebung waren zumindest Göttingen und Höxter ebenfalls von Unruhen betroffen. In Göttingen kam es zu Unruhen, als der Rat den Gildevertretern neue Steuern abverlangte und bei dieser Gelegenheit die bislang sorgsam geheimgehaltene hohe Verschuldung der Stadt eingestehen musste. 26 Die Situation eskalierte, als vier Ratsherren, die als die Hauptschuldigen der Finanzmisere galten, aus der Stadt flohen. Vermutlich am 6. März 1514 drangen die gemeinen Bürger in das Rathaus ein, setzten den alten Rat ab und wählten neue Ratsherren. Auch in Höxter wurden „ Unwille, Zwietracht und Aufruhr “ durch bürgerlichen Unwillen über Finanzgebaren und Außenpolitik des Rates ausgelöst. 27 Insgesamt zeigen die Aufstände in den erwähnten Städten in Niedersachsen ebenso wie diejenigen am Niederrhein, wie weiträumig sich die Unruhen verteilten. Sie beschränkten sich keineswegs auf den Süden des Reiches, wo später der 24 Kaser, Bewegungen, S. 158 ff. Stein, Geschichte, S. 97 ff.; Stein, Monumenta, S. 462 ff. und S. 518 ff. 25 Blume, Schichtbuch, hier S. 56 f.; Blume bietet in dem Text Edition, moderne Übertragung (der ich nicht folge) und Interpretation zugleich. 26 Mohnhaupt, Göttinger Ratsverfassung, S. 24 ff.; Postel, Sozialgeschichte, S. 85. 27 Rüthing, Höxter, S. 113 f.; vgl. Kaser, Bewegungen, S. 162 f. 136 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="137"?> Bauernkrieg ausbrechen sollte. Das gilt auch und gerade für die spektakulärste Erhebung jener Zeit in der Reichsstadt Köln. 5.2 Das Beispiel Köln 1512/ 13 Die Kölner Verfassung repräsentierte einen gewissen Extremfall: Sie war zwar nicht (wie früher häufiger postuliert) ‚ demokratisch ‘ in einem modernen Sinn, aber sie räumte den Bürgern doch ein vergleichsweise hohes Maß an Teilhabe ein. Viel Partizipation bedeutete nicht nur im Kölner Fall zugleich viele innerstädtische Konflikte. 1396 war die bisherige politische Ordnung umgestürzt und ein neues Grundgesetz in Gestalt eines Verbundbriefes aufgerichtet worden, das über Jahrhunderte das Fundament der Stadtverfassung bilden sollte. 28 Die alten Geschlechter verloren damit ihre politische Stellung, während 36 der insgesamt 49 Ratsherren fortan nach einem bestimmten - keineswegs paritätischen - Schlüssel von 22 neugeschaffenen politischen Zünften gewählt wurden. Jeder Bürger sollte fortan auf einer dieser „ Gaffeln “ vereidigt sein. Die übrigen 13 Männer wurden vom Rat selbst in das Gremium kooptiert, der damit die Macht besaß, gleichsam an den Gaffeln vorbei fähige und/ oder angesehene Männer in seine Reihen aufzunehmen. Eine gleichmäßige Vertretung der Bürgergemeinde bedeutete die Installierung der sog. ‚ Vierundvierziger ‘ , jeweils zweier Delegierter aus jeder Gaffel, die schwerwiegende Entscheidungen wie Kriegserklärungen oder größere Kreditaufnahmen mittragen sollten. Eigenständige Bedeutung hatte dieses Gremium nicht, aber es stellte gleichsam die Blaupause dar für die Einrichtung außerordentlicher Gemeindevertretungen in Krisenzeiten. Zu einer solchen größeren Krise war es bereits zu Beginn der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts gekommen, als sich im September 1481 Streitigkeiten auf der Gürtelmachergaffel zu einer regelrechten Revolte gegen den Rat ausweiteten. 29 Die Forderungen lagen einerseits im wirtschaftlichen Bereich und umfassten die Rücknahme verschiedener indirekter Verbrauchsteuern ( „ Akzisen “ ) auf Wein, Bier und Brot ebenso wie die Rücknahme einer Münzordnung, die das Geld abgewertet hatte. Darüber hinaus gab es auch politische Forderungen nach der Abschaffung bestimmter informeller Machtstrukturen und nach Überprüfung des städtischen Rechnungswesens, um eventuelle Misswirtschaft abzuschaffen. Eine große Versammlung von Delegierten aus jeder Gaffel ( „ Schickung “ ) sollte die Umsetzung der Reformen überwachen. Als dann aber 28 Herborn/ Dietmar, Köln, S. 121 ff. bzw. S. 144 ff. 29 Herborn/ Dietmar, Köln, S. 187 ff. (neuere Literatur); Looz-Corswarem, Unruhen, S. 55 ff. 5.2 Das Beispiel Köln 1512/ 13 137 <?page no="138"?> am Fastnachtsmontag eine radikale Fraktion unter den Aufständischen das Rathaus stürmte, viele Ratsherren und einen Bürgermeister verhaftete und Werner von Lyskirchen, dem Vertreter eines alten Patriziergeschlechts, der hinter den Kulissen die Fäden gezogen hatte, symbolisch den Bürgermeisterstab überreichte, kippte die Stimmung in der Bürgerschaft. Die Gefangenen wurden befreit, die Führer der Aufständischen hingerichtet, darunter später auch Werner von Lyskirchen, mit dem der Anspruch der alten Geschlechter auf politische Führung endgültig erlosch. Die strukturellen Probleme der städtischen Finanzen blieben gleichwohl ungelöst. Insbesondere stieg die Verschuldung der Stadt in schwindelerregende Höhen; der Steuerdruck blieb hoch. 30 Zudem grassierten spätestens seit den 1490er Jahren Korruption und die Klüngelherrschaft einiger weniger großer Herren, in deren informellem „ Kränzchen “ die wichtigen Entscheidungen getroffen und Posten verschachert wurden. Dass sie ihre Machtposition zugleich demonstrativ in der Öffentlichkeit zur Schau stellten, trug zum Ärger der Bürgergemeinde bei. Diese explosive Mischung zündete im Dezember 1512, nachdem die Lunte bereits das gesamte Jahr hindurch bereits gebrannt hatte. Alle Gaffeln hatten gegen Pläne des Rates protestiert, eine direkte Steuer zur Verringerung der Schulden auszuschreiben, und eine Kontrolle der Rechnungsbücher gefordert. Aus Angst vor einer bewaffneten Erhebung hatte der Magistrat die Ausfahrt der Bürger vor die Stadt verboten, die traditionell am „ Holzfahrtag “ nach Pfingsten stattfand. Den Gaffelboten der Steinmetze, der dieses Verbot demonstrativ übertreten hatte, ließ er vorübergehend verhaften. Als genau dieser Mann dann am Ende des Jahres zum Amtsmeister der Gaffel gewählt werden sollte, kam es bei den Steinmetzen zu einer Schlägerei zwischen Anhängern und Gegnern des Rates. Am 26. Dezember wurden einige der Beteiligten im Auftrag des Rates verhaftet, während andere in die Immunität der Stiftskirche St. Maria im Kapitol flohen. Obwohl sie durch das Kirchenasyl eigentlich vor dem Zugriff der Obrigkeit geschützt sein sollten, drangen die städtischen Gewaltrichter dort ein und setzten auch sie fest. Einigen der Verhafteten drohte die unmittelbare Hinrichtung. Nicht nur bei den betroffenen Gaffeln und Zünften stieß dieses Vorgehen auf entschlossenen Widerstand; der Versuch des Rates, andere Korporationen auf seine Seite zu ziehen, misslang nicht nur, sondern führte zu deren Solidarisierung mit den Betroffenen. So wandten sich die Goldschmiede mit den Worten gegen die widerrechtlichen Verhaftungen, „ es wäre keine Freiheit, dass man einen aus seinem Haus in der Nacht und von der Freiheit [dem 30 Zum Folgenden mit weiterer Literatur Herborn/ Dietmar, Köln, S. 192 ff., Looz-Corswarem, Unruhen, S.71 ff.; zuletzt Irsigler, Aufstand in Köln, S. 102 ff. 138 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="139"?> Kirchenasyl, GS] zum Turm führe “ . 31 Nach einer eilig einberufenen Versammlung aller Gaffeln und Zünfte bewaffneten sich die Bürger, besetzten alle Türme und Stadttore und wählten - wie bereits 1481 - eine „ Große Schickung “ , die dem Rat einen umfangreichen Forderungskatalog präsentierte. Wie bereits 30 Jahre zuvor drohte eine gewaltsame Eskalation: Nur mit Mühe konnte der bewaffnete Sturm einer großen Menschenmenge auf das Rathaus durch Beschwichtigungen angesehener Männer abgewehrt werden. Häuser von verhassten Ratsherren und Beamten sowie einiger Geistlicher wurden geplündert. Weitere Ausschreitungen konnten jedoch durch weitreichende Zugeständnisse verhindert werden. Kurzfristig wurden Akzisen auf Lebensmittel und Wein herabgesetzt, um den wirtschaftlichen Druck auf die kleinen und mittleren Einkommen zu verringern. Zur Beruhigung der Lage gingen die neuen Machthaber vor allem entschlossen gegen die Drahtzieher des Kränzchens vor. Bereits am Dreikönigstag des Jahres 1513 wurde eine Reihe von Ratsherren und Amtsträgern verhaftet, denen Rechtsverletzung, Vetternwirtschaft und schlechte Finanzverwaltung vorgeworfen wurden. In schneller Folge wurden zehn z. T. hochrangige Mitglieder des städtischen Regiments ab dem 10. Januar abgeurteilt und hingerichtet, 15 weitere mit Geldstrafen und Verbannung belegt. Die Hinrichtungen der prominenten Delinquenten, darunter die beiden amtierenden Bürgermeister, auf dem zentralen Heumarkt wurden als großes Schauspiel und wie ein „ Volksfest “ gefeiert. 32 Einen vergleichbaren Blutzoll hatte in jener Epoche wohl kaum ein anderes städtisches Regiment im Anschluss an einen Aufstand zu entrichten. Die demonstrative Strafaktion erreichte ihr Ziel, die innerstädtischen Unruhen flauten ab. Ebenso spektakulär waren die langfristigen Folgen des Kölner Aufstands von 1512/ 13. Gleichzeitig mit den Strafprozessen war, neben einem vollkommen neu zusammengesetzten Rat, von den Gaffeln ein neuer Ausschuss, eine „ kleine Schickung “ gewählt worden, um die Forderungen der Gemeinde weiter zu bearbeiten. Mitte Juni erklärte der neue Rat die Forderungen der „ ehrbaren Gemeinde “ für erfüllt, und am 15. Dezember 1513, ein rundes Jahr nach Ausbruch der ‚ heißen ‘ Phase des Konflikts, wurde ein sog. ‚ Transfixbrief ‘ verabschiedet, der das städtische Grundgesetz des Verbundbriefes in wichtigen Punkten ergänzen und präzisieren sollte. 33 Bereits in der Präambel erinnert er indirekt an die vergangenen Ereignisse, an die „ boese(n) Mißbrauchinge etlicher Oversten “ im Stadtregiment, die Mitglieder der Gemeinde überfallen wollten. Die Freiheit aller Bürger sollte künftig durch die Bestimmung gesichert 31 Looz-Corswarem, Unruhen, S. 74. 32 Herborn/ Dietmar, Köln, S. 197. 33 Zuletzt Herborn/ Dietmar, Köln, S. 198 ff. Text bei Dreher, Texte, Nr. 8, S. 70 ff. 5.2 Das Beispiel Köln 1512/ 13 139 <?page no="140"?> werden, niemand, der nicht auf frischer Tat ertappt worden sei, dürfe von den städtischen Dienern gewaltsam aus seinem Haus ins Gefängnis geführt werden - ein bemerkenswert weitgehender Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der Obrigkeit! 34 Die meisten Bestimmungen des Transfixbriefes zielen aber auf die Festschreibung weitgehender zünftisch-korporativer Partizipationsrechte: Heimliche Kränzchen werden verboten, die Unabhängigkeit der Vierundvierziger dagegen gestärkt und regelmäßige Kontrollmechanismen für die Rechnungslegung fixiert. Tatsächlich wurde sogar ein regelrechtes Appellationsrecht an die Gaffel eingerichtet: Wer sich in seinem Recht vom Rat behindert fühlte und auch auf dem Weg der schriftlichen Eingabe keine Besserung erlangte, durfte diese Beschwerde danach in Zukunft seiner Gaffelgesellschaft kundtun, ohne Strafe befürchten zu müssen. Diese ihrerseits sei dann berechtigt, eine Delegation an den Rat zu schicken. Bliebe diese erfolglos, so habe sie das Recht, alle anderen Gaffeln der Stadt zu informieren, die dann nach Lage der Dinge Entschlüsse zu fassen und zu handeln hätten. 35 Damit hatte der Transfixbrief der Gemeindevertretung mächtige Instrumente an die Hand gegeben, um das Ratsregiment zu kontrollieren und es in seine Schranken zu weisen. Für die Kölner Stadtgeschichte, die immer wieder von inneren Unruhen erschüttert wurde, blieben sie jahrhundertelang eine wichtige Orientierungsmarke. Im Vergleich mit anderen Städten repräsentieren sie sicherlich einen Extremfall, der immerhin aber den Denk- und Handlungshorizont der Bürgergemeinde auch in anderen Orten erhellt. 5.3 Vergleichende Einordnungen Ein Vergleich der städtischen Aufstände im Jahrfünft von 1509 bis 1514 ist aufgrund der mangelhaften Erschließung der Fakten nur ansatzweise möglich. Unschwer zu erkennen sind viele Ähnlichkeiten hinsichtlich Anlass und Ablauf der Unruhen: Meist scheinen die städtischen Finanzen durch eine drückende Schuldenlast gekennzeichnet gewesen zu sein; überall stiegen infolge der dadurch provozierten Steuererhöhungen die Belastungen für die Bürger. Regelmäßig wiesen diese dafür der grassierenden Misswirtschaft und Korruption unter den Herrschenden die Verantwortung zu, was mancherorts - wie in Köln - offenkundig stimmte, anderswo eher einer ungerechtfertigten Suche nach Sündenböcken entspringen konnte. Berechtigt oder nicht, fast unausweichlich mündete die Erörterung der wirtschaftlichen Probleme schnell in 34 Dreher, Texte, S. 73 f. 35 Ebd., S. 74 f. 140 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="141"?> Forderungen nach mehr politischer Mitbestimmung und Kontrolle. Für das Verständnis etablierter Kräfte, selbst vollgültige Repräsentanten der Bürgergemeinde zu sein, steht der hochfahrende Spruch eines Achtherren in Erfurt gegenüber den Vertretern der Zünfte und Stadtviertel: „ Wißt ihr auch, wer die Gemeinde ist, hie stehet die Gemeinde “ , bei dem er sich an die Brust klopfte. 36 Derlei Arroganz provozierte das Gros der Bürger, die ihre eigenen Anliegen eben nicht mehr von den städtischen Führungsgruppen vertreten sah. Es folgten Proteste und Aufläufe, bei denen die Mächtigen mindestens mit Drohungen herausgefordert, ihre Bewegungsfreiheit oft durch die Besetzung öffentlicher Räume in der Stadt eingeengt und sie bisweilen sogar physisch attackiert wurden. Jenseits dieser situativen Eruptionen kam es aber stets bald zu Verhandlungen zwischen Rat und Gemeinde, die in diesen Fällen meist von außerordentlichen Ausschüssen vertreten wurde. Sie führten, oft unter Einbeziehung auswärtiger Vermittler, dann zu einer Befriedung der Situation, auch wenn diese nicht selten nur vorläufig war. Die soziale Zusammensetzung der Empörer bedürfte einer näheren vergleichenden Untersuchung. In der Regel waren es nicht die Ärmsten der Armen, die die Unruhen anzettelten. Wenn die Regensburger Aufrührer in der Chronistik als „ pöfl “ herabgewürdigt wurden, so sind damit nicht unbedingt unterbürgerliche Schichten gemeint, denn sowohl von den Forderungen als auch von den Organisationsformen her bildete die in Zünften und Wachtgedingen organisierte Gemeinde den Referenzpunkt des Protestes. 37 Wenn Karl Kaser „ die zügellosen Äußerungen des Pöbels “ als Signum der Aufstände am Anfang des 16. Jahrhunderts herausstellte und als deren radikale Losungen „ Tod und Plünderung der Reichen, Sturz des bestehenden Regiments “ benennt, und wenn er das analytisch mit der Beobachtung untersetzt, der spätmittelalterliche Gegensatz von Zünften und Geschlechtern habe sich Anfang des 16. Jahrhunderts zum Gegensatz zwischen Arm und Reich transformiert, so war das weniger als die halbe Wahrheit. 38 Denn aus seinen Ausführungen geht ebenso klar hervor, dass die korporativ organisierte Bürgergemeinde mit ihrem Streben nach „ Aufsichts- und Vetorecht in finanziellen Dingen “ Hauptträger von Bewegungen blieb, die im Ganzen einen „ maßvollen Charakter “ besaßen. 39 Vorläufig wird man wohl annehmen dürfen, dass die einfachen und armen, aber politisch partizipationsberechtigten Bürger in bestimmten zugespitzten Situationen der Konfrontation von Gesellen, Tagelöhnern und anderen unterbürger- 36 Burkhardt, Das tolle Jahr, S. 346. 37 Widmanns Chronik, S. 16; vgl. Panzer, Sozialer Protest, 80 f. 38 Kaser, Bewegungen, S. 181, S. 184. 39 Ebd., S. 183, S. 181. 5.3 Vergleichende Einordnungen 141 <?page no="142"?> lichen Schichten unterstützt wurden, etwa wenn in Braunschweig „ Ungenannte “ das Rathaus stürmten. 40 Warum aber kam es fast zur gleichen Zeit in so vielen Städten zu ähnlichen Erhebungen? Naheliegend ist die Suche nach übergreifenden Ursachen. Nähere vergleichende Untersuchung verdiente die Hypothese, dass die finanziellen Belastungen für die größeren Städte in Zeiten zahlreicher kriegerischer Konflikte und steigender ‚ staatlicher ‘ Kosten insgesamt zunahmen. Natürlich waren die Gründe für die Verschuldung von Fall zu Fall ein wenig anders gelagert. So war Erfurt vor allem durch die kostspieligen Knebelverträge in die Verschuldung getrieben worden, die der Stadt 1483 vom Mainzer Erzbischof und vom Kurfürsten von Sachsen nach einer Straßenblockade abgenötigt worden waren; der ferne „ rechte Erbherr “ und der benachbarte „ Schutzherr “ , normalerweise um Einfluss auf das reiche Erfurt konkurrierend, hatten hier ausnahmsweise einmal gemeinsam gehandelt. 41 In Köln hatte die Schuldenlast nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten des Neusser Krieges gegen Burgund 1474/ 75 bereits bei über 2 Mio. Mark kölnisch gelegen, was eine jährliche Zinslast von über 140.000 Mark bedeutete. Bis 1512 sollte sie auf rund 3,25 Mio. Mark kölnisch steigen. 42 Dass die Abwälzung dieser Last auf die einfachen Bürger durch indirekte oder direkte Steuern und Abgaben Konflikte provozierte, ist naheliegend. Hinzu mögen weitere Faktoren gekommen sein, die auf die Städte in verschiedenen Gebieten in gleicher oder ähnlicher Weise wirkten. So deuten Proteste gegen Münzverschlechterungen auf die übergreifende Deflation und die Abwertung gängiger Kleinmünzen hin, die nach einer neueren Untersuchung durch den Mangel bzw. den Abfluss von Edelmetallen bewirkt wurde. Geschädigt wurden dadurch vor allem mittlere und kleinere Haushalte, die mit diesen Kleinmünzen im Alltag bezahlen mussten. 43 Als ein weiterer Wirkfaktor trat das Klima hinzu. Obwohl die Jahre vor und nach 1500 geradezu als Erholungsphase innerhalb der längerfristig wirksamen ‚ Kleinen Eiszeit ‘ gelten, gibt es doch gerade für die Jahre zwischen 1511 und 1514 viele Hinweise auf ungünstige Witterungsverhältnisse und Naturkatastrophen, die die Ernteerträge bis hin zu Totalverlusten beeinträchtigten. 44 Der Chronist Leonhard Widmann in Regensburg, Gewährsmann für den Verlauf des dortigen Bürgeraufstandes, verzeichnet das „ große grausame “ Hagelwetter vom Juni 1511, das in der Donaustadt große Schäden anrichtete, ebenso wie den Frost von Mitte 40 Zu den „ Ungenannten “ Blume, Schichtbuch, S. 38 und S. 97 Anm. 54. 41 Weiß, Das Tolle Jahr, S. 27. 42 Irsigler, Aufstand, S. 100. 43 Rössner, Deflation; vgl. schon Mäkeler, Geldwertveränderungen. 44 Glaser, Klimageschichte, S. 98 f. 142 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="143"?> April 1513, der alles Weingewächs in Bayern erfrieren ließ, so dass überhaupt keine Lese mehr stattfand. 45 Gleichwohl wäre es voreilig, überall eine Art Krisenmechanik zu vermuten, wonach starke Außenreize überall die gleichen Ergebnisse hervorgebracht hätten. Insbesondere wäre im Hinblick auf das ja oft phasenverschobene Geschehen danach zu fragen, ob nicht das Vorbild benachbarter Städte innerhalb der Region anspornend gewirkt haben mochte; naheliegend wäre das im Fall von Speyer und Worms am Mittelrhein ebenso wie bei dem niedersächsischen ‚ Städtecluster ‘ Braunschweig, Göttingen und Höxter. Von einer weiten Ausstrahlung können wir jedenfalls im - zugegeben ungewöhnlich spektakulären - Kölner Fall ausgehen. Die „ große Uneinigkeit “ in der niederrheinischen Metropole wurde sogar eigens in zwei Flugschriften Straßburger und Augsburger Provenienz gewürdigt. 46 Vielfach wurden die Ereignisse von Köln in chronikalischen Erzählungen in Nah und Fern festgehalten und in einem lateinischen Merkvers verewigt, der als Chronogramm zugleich die Jahreszahl (1)513 enthielt und das denkwürdige Ergebnis resümierte: „ Siehe, so fielen durch das Schwert die obersten Kölner “ ( „ eCCe CaDVnt gLaDIo sVpremI CoLonIenses “ ). 47 Sicher war die Vorbildwirkung anderer städtischer Aufstände weniger markant, aber angesichts vielfältiger Kommunikationsnetzwerke zwischen den Städten gerade in einem bestimmten Gebiet doch wahrscheinlich. Strukturelle Voraussetzung für die Ähnlichkeiten der Aufstände, die sich in einem kurzen Zeitraum zusammenballten, bildet die Ähnlichkeit der städtischen Verfassung, jedenfalls aus der Vogelperspektive: Überall fungierte der Stadtrat formal als oberstes städtisches Regiment, überall existierte jenseits der geschriebenen Verfassung auf informeller Ebene ein engerer Machtzirkel mächtiger Familien, und überall formierte sich zumindest im Krisenfall eine Gemeindevertretung. Wechselt man die Flughöhe, so stechen zudem die mehr oder minder feinen Unterschiede ins Auge, die dazu führen, dass keine Ratswahlordnung einer Stadt der anderen wirklich gleicht. Und so ist bei näherer Betrachtung auch die Varianz der Geschehnisse im Fall der Unruhen erheblich. Auch hier war letztlich jede Stadt ein Unikat mit einer ausgeprägten Eigenlogik. 48 Drückende Schulden und hohe Steuern gab es vielerorts, aber meist kamen Sonderbedingungen hinzu wie die Reichshauptmannschaft in Regensburg oder die Verpfändung von Amt und Schloss Kapellendorf in Erfurt. Eine 45 Widmanns Chronik, S. 14 f., S. 20. 46 Man find in disem || büchlin beschaid võ der gross ẽ || vnainigkait die sich kurtzlich verloffen || hat/ z ů K[oe]ln in der hailigen stat.|| Straßburg : 1513 (VD16 ZV 1370); ähnlich in Augsburg aus der Offizin des Johann Schönsperger d. Ä. (VD 16 B 2206). 47 Rüthing, Die Chronik Bruder Göbels, S. 114. 48 Schwerhoff, Stadtgeschichte, S. 26 f. im Anschluss an Martina Löw. 5.3 Vergleichende Einordnungen 143 <?page no="144"?> Besonderheit in den mittelrheinischen Bischofsstädten Speyer und Worms war die spezifische Stoßrichtung des Aufstandes gegen die Privilegien der Geistlichkeit. Ausschreitungen gegen Häuser der Geistlichkeit in Köln zeugen ebenfalls von antiklerikalen Affekten. Wenige Jahre später, in der Reformation, sollten sie zu einem dominanten Motiv innerstädtischer Unruhen werden. Ähnlichkeiten und Unterschiede lassen sich auch hinsichtlich der Abläufe und Ergebnisse der jeweiligen Aufstände beobachten. Der Blutzoll der Kölner Führungselite war, wie gesagt, vergleichsweise hoch, aber auch andernorts gab es tödliche Gewalt. In Braunschweig war es ein Rathaustumult, der einen Bürgermeister das Leben kostete. In anderen Städten bemühte man eher die Strafjustiz. In Erfurt wurde der Obervierherr Heinrich Kellner für unrechtmäßige und geheime Finanztransaktionen verantwortlich gemacht und verhaftet. Trotz intensiver Versuche des sächsischen Kurfürsten, das zu verhindern, wurde Kellner nach langer Haft am 28. Juni 1510 am Galgen hingerichtet. 49 In Regensburg wurde der alte Ratsherr und Stadtkämmerer Wolfgang Lyskircher unter chaotischen Umständen aus dem Haus gezerrt, peinlich verhört und schließlich in einem zweifelhaften Verfahren zum Tode verurteilt; gegen den Befehl des Kaisers erlitt er am 4. April 1513 ebenfalls den Tod durch den Strang. 50 In der überwiegenden Zahl der Fälle aber blieb es bei Drohungen gegen Angehörige der alten Eliten und ihrer zeitweiligen Haft. Eskalierende Gewalt gehörte in der Regel nicht zu den Kennzeichen innerstädtischer Unruhen im Alten Reich. 51 Dabei übertraf die obrigkeitlich ausgeübte Strafgewalt am Ende der Aufstände regelmäßig das Maß an Gewalttätigkeit, das die Rebellen an den Tag gelegt hatten. So wurden in Regensburg zwei Dutzend Bürger mit Ruten „ ausgestrichen “ , d. h. verprügelt, „ ihro viele zu Tode “ . 52 Eine kaiserliche Kommission verurteilte sechs Rädelsführer zum Tode, rund 180 weitere zur Ausweisung oder hohen Geldstrafen. 53 In Schweinfurt wurden fünf Wortführer der Proteste im Anschluss an die Unruhen hingerichtet, 20 weitere mit anderen Strafen belegt. 54 Anderswo trafen die Strafaktionen diejenigen, die dem erlahmenden oder durch Kompromisse stillgestellten Protest neue Nahrung zu geben versucht hatten. In Braunschweig war es nach der vorläufigen Befriedung, folgt man der allerdings parteilichen Darstellung Hermann Botes, ein Mann namens Ludeke Rekeling, der die Beseitigung des amtierenden Rates vorbereitete. Als die Sache ans Licht kam, solidarisierte sich die Mehrheit der Gilden und der 49 Burkhardt, Das tolle Jahr, S. 378 f. 50 Schmid, Freistadt, S. 46. 51 Carl, Gewalt. 52 StrChr. S. 21. 53 Panzer, Sozialer Protest, S. 83 ff. 54 Stein, Schweinfurt, S. 105 f. 144 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="145"?> Stadtviertel sukzessive mit dem Magistrat und wandte sich gegen die Verschwörer. Hermann Bote, der alle Braunschweiger Schichten mit Tier-Allegorien belegt, vergleicht Braunschweig bzw. seine Einwohner in diesem Fall mit einem Pferd: Lang- und gutmütig hatten sie sich von den Empörern lenken lassen, nun aber wurden sie zornig und bissen um sich. 55 Abb. 9: „ Uployp van twen schoten “ (1513) im Schichtbuch Hermann Botes 55 Blume, Schichtbuch, S. 54 f., S. 78 ff. 5.3 Vergleichende Einordnungen 145 <?page no="146"?> Auf die Forderung der Gemeinde hin wurden zehn Unruhestifter, darunter Rekeling, hingerichtet. Wenig später war der Weg frei, wiederum die Steuern zu erhöhen. In Worms zeigt sich ein ähnlicher Verlauf: Nach einer Phase scheinbarer Befriedung kam es an Fastnacht 1514 zu einer Radikalisierung, als Aufständische die Häuser führender Ratsmitglieder stürmten und dabei auch Bettelordensklöster in Mitleidenschaft gezogen wurden. In dieser Situation schlugen sich die Zünfte allerdings auf die Seite des Rates und verbündeten sich mit Landvogt Hans Jakob von Mörsberg, der Mitte März mit 500 Bewaffneten in die Stadt einzog, dort zusammen mit den Gesandten verschiedener Städte Schiedsgericht hielt und eine neue Ratsverfassung festlegte; darin wurden die Rechte der Zünfte deutlich beschnitten. Wenig später wurde das Gericht über einige Aufrührer gehalten, fünf von ihnen hingerichtet, einige weitere am Leib gestraft. Rund zwei Dutzend weitere wurden auf ewig verbannt. 56 Was die Ergebnisse der Aufstände bzw. ihre (Miss-)Erfolge betrifft, so ist der Befund ebenso heterogen wie in Hinblick auf die Abläufe. Die Reichsstadt Köln mit der nachhaltigen Wirkung des Transfixbriefes erscheint auf den ersten Blick als Beispiel für einen durchschlagenden Erfolg. Allerdings wurden seine Regelungen bald wieder relativiert. In der Alltagspraxis frühneuzeitlichen Regierens und Verwaltens gaben auch am Niederrhein schnell wieder die Vertreter reicher und miteinander eng versippter Familienverbände mit ihren informellen Netzwerken den Ton an. Der Transfixbrief, obwohl nie gedruckt und eher als Geheimdokument gehandelt, blieb aber ein gelegentlicher Referenzpunkt für Kritiker. In der Regel erreichten die Aufständischen weniger. Wenn etwa die neuen Statuten der Stadt Schweinfurt festlegen, der Rat müsse jährlich acht Gemeindevertretern Rechnung legen, dann lässt sich das als Zugeständnis im Sinne des Protestes lesen; allerdings wählte der Rat diese Gemeindevertreter selbst aus, und deren Befugnisse waren eng begrenzt. 57 Auch in Göttingen und Höxter, wo mit dem Gemeinheitsbrief vom 20. Januar 1514 das Kollegium der „ Neuen Mahner “ geschaffen worden war, blieb die Einsetzung gemeindlicher Kontrollinstanzen, die den städtischen Kämmerern auf die Finger sehen sollten, wohl eine der wenigen dauerhaften Errungenschaften des Aufruhrs. 58 In Regensburg schließlich scheint es zu einer vollkommenen Restauration der alten Ordnung gekommen zu sein. 59 Ein derartiger Ausgang lag nicht zuletzt im Wirken externer Kräfte begründet, die den innerstädtischen Konflikt zu moderieren suchten und dabei 56 Boos, Franz von Sickingen, S. 405 ff. 57 Stein, Monumenta, S. 464. 58 Rüthing, Höxter, S. 113 f.; Monhaupt, Göttingen, S. 35. 59 Schmid, Freistadt, S. 47. 146 5 Städtische Protestkonjunktur um 1512/ 3 <?page no="147"?> naturgemäß eher auf Seiten der etablierten Kräfte standen: der Stadtherr bzw. seine Vertreter, wenn es sich um eine Landstadt wie Göttingen oder das fränkische Kitzingen handelte; oder auswärtige Große, die als Kommissare des kaiserlichen Stadtherrn in der jeweiligen Reichsstadt nach dem Rechten sahen. Letzteres gilt etwa für Herzog Johann von Jülich im Falle von Aachen oder für eine größere Delegation von Adligen und Juristen unter dem elsässischen Landvogt Hans Jakob von Mörsberg in Speyer oder Worms. 60 Ein besonderes Kräfteparallelogramm entwickelte sich in und um Erfurt mit den verdeckten oder offenen Interventionen des mainzischen Erb- und des sächsischen Schutzherrn. Gerade das Eingreifen von Vertretern benachbarter Mächte oder des jeweiligen Stadtherrn lässt aber deutlich hervortreten, wie sehr selbst diese sich während der Verhandlungen den innerstädtischen Kräfteverhältnissen zu fügen hatten. Zusammen mit den anderen Akteuren bewegten auch sie sich ganz überwiegend innerhalb des Koordinatensystems der jeweiligen Stadt, ihrer Institutionen und ihrer Verfassungstraditionen, wie sie sich in den Verbund- und Gaffelbriefen oder ‚ Rachtungen ‘ manifestierten. Damit haben wir ein Muster vor uns, das später im Bauernkrieg verstärkt wirken sollte. Viele Städte wurden gleichzeitig, offenkundig durch ähnliche Ursachen und Anstöße, von Unruhen erfasst. Zahlreiche strukturelle Ähnlichkeiten existierten auch hinsichtlich der Verlaufsformen und Ergebnisse. Zugleich aber agierte die Mehrzahl der Empörer erstaunlich selbstbezüglich innerhalb der eigenen Stadtmauern und orientierte sich an den speziellen politischen Spielregeln des eigenen Gemeinwesens. So ergibt sich aus der rückschauenden Betrachtung das Bild vieler städtischer Mikrokosmen, in denen die Akteure zwar fast zeitgleich, aber weitgehend getrennt voneinander protestierten. 60 Kaser, Bewegung, S. 86 f.; Bönnen, Worms, S. 259. 5.3 Vergleichende Einordnungen 147 <?page no="148"?> 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens Innerstädtische Konflikte konnten am Beginn des 16. Jahrhunderts ziemlich eng mit adliger Gewalt verknüpft sein. Am 25. März 1515 traf in der Reichsstadt Worms ein Brief ein, mit dem Franz von Sickingen der Stadt die Fehde ansagte. 1 Bereits drei Tage vor dieser förmlichen ‚ Absage ‘ hatte der mittelrheinische Ritter zwischen Oppenheim und Gernsheim ein Schiff mit Wormser Kaufleuten überfallen und die Gefangenen auf seine Ebernburg entführt. Erst nach Zahlung eines stattlichen Lösegeldes wurden sie später wieder freigelassen. Franz führte seine Fehde stellvertretend für den bischöflichen Notar Balthasar Schlör, der im Zuge des innerstädtischen Aufstandes im Frühjahr 1514 aus Worms vertrieben worden war und dessen Güter eingezogen worden waren. In den Augen des Ritters war das eine legitime ‚ Gönnerfehde ‘ , mit der er die Interessen eines Mannes vertrat, dem die Gerichte Hilfe verweigert hatten. Nach Wahrnehmung des Reichsoberhaupts und vieler anderer Reichsstände handelte es sich jedoch um einen eklatanten Rechtsbruch. Schon Mitte April setzte Maximilian Franz von Sickingen wegen widerrechtlicher Gewalt in die Reichsacht. Mit der Acht sollte der Adressierte auf den Rechtsweg gezwungen werden; der Idee nach verlor er jegliche Unterstützung, seine Güter konnten beschlagnahmt und er selbst konnte straflos verhaftet, ja im Extremfall sogar getötet werden. In der Praxis bedeutete die Reichsacht freilich kaum mehr als „ eine Art Haftbefehl “ 2 , noch dazu einen, der meist kaum vollstreckt werden konnte. Und auch in diesem Fall konnte ihre Verhängung weder die Aktivitäten des Ritters bremsen noch die Solidarität seiner Standesgenossen brechen. Ganz im Gegenteil wurde Franz in der Folge bereitwillig und massiv von anderen Rittern unterstützt. An vorderster Front der Unterstützer stand der fränkische Ritter Götz von Berlichingen, der Franz 70 oder 80 Reiter zuführte, nach eigener Darstellung auf eigene Kosten, ganz uneigennützig aus Standessolidarität mit einem anderen Ritter. 3 Halten wir kurz inne: Warum bedarf es im Kontext einer Studie über Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts eines kurzen Blickes auf den niederen Adel? Zum einen ist das sinnvoll, weil die Konjunktur ritterlicher Fehden am Beginn der 1520er Jahre in ein Ereignis mündete, das 1 Boos, Franz von Sickingen und Worms, S. 407 ff.; Scholten, Franz von Sickingen, S. 55 ff. 2 Press, Götz von Berlichingen, S. 342. 3 Berlichingen, Mein Fehd, S. 105; Scholten, Franz von Sickingen, S. 60; Ulmschneider, Götz von Berlichingen, S. 79. <?page no="149"?> mitunter plastisch als „ Aufstand der Reichsritter “ gefasst wird. 4 Diese Sichtweise wird zwar gegenwärtig kaum mehr vertreten, aber Tatsache ist immerhin, dass später im Bauernkrieg einzelne Niederadlige, am prominentesten Götz von Berlichingen, als Hauptleute der Aufständischen fungierten und zumindest manche Gegner ihnen unterstellten, diese Funktion nicht nur gezwungenermaßen, sondern durchaus mit Überzeugung auszuüben. Zum anderen nämlich hatten Ritterfehden und Bauernaufstände aus Sicht der jeweiligen Gegner eins gemeinsam: In beiden Fällen handelte es sich um verbrecherische Verletzungen des Landfriedens, deren Sanktionierung zugleich dazu benutzt werden konnte, seine keineswegs unangefochtene Geltung zu unterstreichen. Es versteht sich von selbst, dass die nachfolgende Schlaglichter keineswegs den Anspruch erheben, der Komplexität des Phänomens der Fehde und dem Selbstverständnis der Akteure gerecht zu werden. 5 6.1 Prototypen niederadliger Selbstbehauptung Zurück ins Lager der fehdeführenden Ritter vor Worms: Hier kreuzten sich die Wege von Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen nicht zum ersten und und nicht zum letzten Mal. Die Ähnlichkeiten in der Biographie dieser beiden Männer sind ebenso aufschlussreich wie die Unterschiede. 6 Beide waren Anfang der 1480er Jahre geboren, im Jahr 1515 mithin Mitte 30; während Franz allerdings nach einem geradezu kometenhaften Aufstieg 1523 mit seinem letzten Kampf zugleich sein Leben verlor, sollte Götz erst 1562 mit über 80 Jahren sterben, nachdem er fast alle Höhen und Tiefen des Ritterlebens ausgekostet hatte. Franz von Sickingen war von beiden sicher nach Besitz und Einfluss der wesentlich Bedeutendere. In enger Anlehnung an die pfälzischen Kurfürsten und nicht zuletzt durch günstige Heiraten hatten Großvater und Vater im Westen und Süden des Reiches große Besitzungen erworben und zugleich bedeutende Positionen am pfälzischen Hof und in der Territorialverwaltung eingenommen. Als einziger männlicher Erbe machte auch Franz von Sickingen zunächst Karriere in kurpfälzischen Diensten. Bis kurz vor der Wormser Fehde war er Amtmann von Kreuznach gewesen. Dann aber ent- 4 Goertz, Pfaffenkrieg, S. 103. 5 Vgl. für eine hervorragende Einführung in das Thema und die einschlägige Historiographie Zmora, Fehde; Reinle, Bauernfehden, S. 11 ff. 6 Zu Franz von Sickingen monographisch Scholten, Franz von Sickingen; prägnant Press, Ein Ritter; zuletzt verschiedene Beiträge in Breul, Ritter! Tod! Teufel? sowie Breul, Ritterschaft und Reformation. Zu Götz unüberholt Ulmschneider, Götz von Berlichingen; Andermann, Götz von Berlichingen. 6.1 Prototypen niederadliger Selbstbehauptung 149 <?page no="150"?> schied er sich für eine unabhängigere Form der Politik, bei der aktive Fehdeführung eine wichtige Rolle spielte. So sollte er reichspolitische Bedeutung gewinnen. Das Geschlecht derer von Berlichingen war bis dahin weniger in Herrendiensten zu finden gewesen. Umso intensiver gestaltete sich seine Vernetzung mit anderen Niederadelsfamilien; im fränkischen Ritteradel waren die von Berlichingen mit fast allen bedeutenden Familien verschwägert. Götz war das jüngste von zehn Kindern des reich begüterten Kilian von Berlichingen aus seiner Ehe mit Margarethe von Thüngen. Diese gehörte einer ebenfalls alteingesessenen Niederadelsfamilie an, der auch der Würzburger Fürstbischof Konrad von Thüngen entstammte. 7 Von Kindheit an weniger der Buchgelehrsamkeit als dem Kriegshandwerk zugetan, diente Götz zunächst einem Vetter seines Vaters als Knappe und wurde am brandenburgischen Hof in Ansbach eingeführt. Im Gefolge des Markgrafen nahm er an seinen ersten Kriegszügen in Burgund und gegen die Eidgenossen teil. In einem markgräflichen Handel mit der Reichsstadt Nürnberg verdiente er sich erstmals ritterliche Sporen als tapferer Kriegsmann. 1504 zog er gemeinsam mit seinem Onkel Neithard von Thüngen an der Seite des bayerischen Herzogs Albrecht IV. gegen den Pfalzgrafen Ruprecht in den Landshuter Erbfolgekrieg. Während der Belagerung von Landshut ereignete sich jener folgenschwere Vorfall, der sein Leben (und vielleicht mehr noch sein Nachleben) prägen sollte: Eine verirrte Kugel zerschmetterte ihm den Schwertknauf, dessen Trümmer ihm die Hand abschlugen. Die Kunde von der schweren Verletzung des offenbar bereits bekannten Ritters verbreitete sich rasch. „ Adliges Zusammengehörigkeitsgefühl überwand die Kriegsschranken “ , sodass der Verletzte am nächsten Tag mit ausdrücklicher Erlaubnis des bekriegten Pfalzgrafen ins belagerte Landshut gebracht wurde, wo er lange Monate seine Verwundung auskurieren konnte. 8 Zunächst niedergeschlagen bei dem Gedanken, seine Karriere als Kriegsmann sei vorbei, schöpfte er sodann neuen Lebensmut und ließ sich schließlich eine künstliche Hand fertigen, „ ein mechanisches Wunderwerk mit beweglichen Fingern “ , vermutlich aus der Werkstatt eines reichsstädtischen Kunstschmieds; in der Geschichte der Orthopädie gilt es als epochemachend. 9 Die Prothese erlaubte ihm nicht nur, wieder Kriege zu führen; sie sollte zu seinem Wahrzeichen werden und seinen Ruhm mehren, Sinnbild seiner Fähigkeit, sich erfolgreich durchzubeißen. 10 7 Vgl. Weiß/ Schneider (Hg.), Renaissancen. 8 Ulmschneider, Götz von Berlichingen, S. 44. 9 Andermann, Götz von Berlichingen, S. 20. 10 Press, Götz von Berlichingen, S. 339. 150 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="151"?> Seine Tatkraft sollte der nun sprichwörtliche ‚ Ritter mit der eisernen Hand ‘ , seit Mai 1506 in Diensten Herzog Ulrichs von Württemberg, in den folgenden Jahren in drei großen Fehden unter Beweis stellen, die einige Ähnlichkeit mit der Kampagne Franz von Sickingens gegen Worms hatten. Zunächst ging es ab 1508 gegen die Stadt Köln, die dem Stuttgarter Schneider Hans Sindelfinger nach dessen Auffassung einen Teil der Siegesprämie aus einem Schützenfest des Jahres 1505 schuldig geblieben war. Nach vielen vergeblichen Versuchen, die Summe beim Kölner Rat auf diplomatischem Wege einzutreiben, bat Sindelfinger auf Vermittlung württembergischer Adliger Götz von Berlichingen um Hilfe. Der nahm bei einem Überfall auf einen Kaufmannszug zwei Kölner Handelsleute gefangen und versuchte sie als Druckmittel gegen die Reichsstadt einzusetzen. Über zweieinhalb Jahre zog sich die Angelegenheit hin, in deren Verlauf er sich in Streitigkeiten mit weiteren Gegnern - den Herren von Hutten, dem Grafen Reinhard von Hanau und schließlich dem Bischof von Bamberg - verstrickte. Zahlen musste am Schluss aber die Reichsstadt Köln, um sich aus dem kostenträchtigen Konflikt zu lösen. Schrittweise steigerte Götz in den folgenden Jahren den politischen Einsatz; die Zahl seiner Feinde nahm zu, letztlich aber auch der Gewinn, den er aus den Fehden erlöste. 1511 zog er gegen die Reichsstadt Nürnberg zu Felde, was ihm vorübergehend die kaiserliche Acht, am Ende aber doch - trotz eigener Reparationszahlungen an geschädigte Kaufleute - wiederum einen satten Gewinn einbrachte. In einer dritten großen Fehde legte er sich schließlich sogar mit dem Kurfürsten von Mainz an, nur ein halbes Jahr, nachdem er Franz von Sickingen gegen Worms zu Hilfe geeilt war. Der Grund war belanglos (das mainzische Städtchen Buchen hatte den Acker eines Hintersassen Götzens durch Schafe abfressen lassen), der Verlauf demgegenüber mit einem „ Feuerwerk von Überfällen “ umso dramatischer. Damals kam es übrigens zu jenem von Goethe lyrisch verdichteten Vorfall, bei dem der Mainzer Amtmann Marx Stumpf aus dem Burgfenster zu Götz herabschrie und jener zurückbrüllte, er solle ihn „ hinden leckenn “ . 11 Faktisch bedeutsamer war die Gefangennahme bedeutender Männer wie des Mainzer Gesandten beim Schwäbischen Bund, Dr. Johann Küchenmeister, oder später des alten Grafen von Waldeck. Die Involvierung des Schwäbischen Bundes ließ es Götz ratsam erscheinen, eine Verhandlungslösung mit Kurmainz zu suchen, zumal er erneut in die Reichsacht gekommen war. Im Sommer 1516 erreichte er einen vorteilhaften und gewinnbringenden Vertrag - die Feindschaft des Bundes, die er sich damit zugezogen hatte, erwies sich allerdings langfristig als großer Nachteil. 11 Ulmschneider, Götz von Berlichingen, S. 81 f.; Zitat Berlichingen, Mein Fehd, S. 110. 6.1 Prototypen niederadliger Selbstbehauptung 151 <?page no="152"?> 6.2 ‚ Raubritter ‘ , Fehdeunternehmer oder politischer Akteur? Die Kriegszüge des Franz von Sickingen und des Götz von Berlichingen stehen beispielhaft für eine markante Eigenart der Epoche nämlich „ eine fast hektische Zunahme adeliger Fehden “ in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. 12 Die ältere Geschichtsforschung hatte für Männer wie die beiden ein wenig schmeichelhafte Bezeichnung: Sie sah in ihnen brutale ‚ Raubritter ‘ , die aufgrund ihres militärischen Funktionsverlusts und ihrer wirtschaftlich prekären Lage als Straßenräuber ihren Unterhalt fristeten. Nur notdürftig hätten sie ihr kriminelles und von niederen Instinkten geleitetes Tun mit der Behauptung zu bemänteln versucht, eine rechtmäßige Fehde zu führen. Das sei bereits im späten Mittelalter eine durchsichtige Schutzbehauptung gewesen, trotz der Tatsache, dass vor 1495 die Fehde als eine Form gewalttätiger Selbsthilfe noch legitim gewesen sein konnte. Für eine rechtmäßige Fehde hätten nämlich strenge Regeln gegolten: Es musste ein ‚ rechter Grund ‘ vorliegen, zuvor eine ‚ gütliche ‘ (also gewaltlose) Einigung vor (Schieds-)Gerichten angestrebt worden und vor allem eine ‚ rechte Absage ‘ , also eine frist- und formgerechte Fehdeansage, erfolgt sein. 13 All diese Regeln hätten die Strauchritter meist nicht eingehalten. Mit dem Verbot im Landfrieden von 1495 sei die Fehde vollends hinfällig geworden, was die Ritter über einige Jahrzehnte indes nicht daran hinderte, ihren entsprechenden ‚ Geschäften ‘ nachzugehen. Dieses überkommene Bild vom Raubritter - keineswegs der Zeit um 1500, sondern der Burgenromantik um 1800 entsprungen - ist mittlerweile obsolet geworden. 14 Zwischenzeitlich wurde stärker der rational-rechenhafte Zug der Fehdeführer betont, die gleichsam als Unternehmer mittels der Erpressung von Lösegeldern und Schadensersatz Gewinne zu erwirtschaften trachteten. Und tatsächlich lassen solche ‚ Gönnerfehden ‘ , wie sie Götz von Berlichingen gegen Köln als Patron des Hans Sindelfinger - und somit eben gerade nicht aufgrund der unmittelbaren Verletzung eigener Interessen - führte, den starken „ Verdacht dominanter Rechenhaftigkeit “ aufkommen. 15 Zum Kern des Phänomens stößt aber wohl auch diese Erklärung nicht vor. Unbestritten ist heute, dass es eher selten die nackte wirtschaftliche Not war, die Ritter um und nach 1500 zur Fehdeführung trieb. Das Beispiel der beiden wohlhabenden Protagonisten Franz und Götz mag nicht ohne Weiteres zu 12 Ulmschneider, Götz von Berlichingen, S. 49; vgl. die Graphik bei Zmora, The Feud, S. 78 bzw. die Aufstellung dort S. 169 ff. 13 Reinle, Fehdepraxis, S. 52. 14 Andermann, Raubritter. 15 Reinle, Fehdepraxis, S. 79. 152 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="153"?> verallgemeinern sein, aber es handelt sich keineswegs um Ausreißer; auch der gleich näher vorzustellende Hans Thomas von Absberg und seine Unterstützer können keineswegs als verarmt charakterisiert werden. 16 Das gilt ebenso in sozialer wie in politischer Hinsicht: Fehdeführer waren weder sozial isolierte Außenseiter, die einsam auf ihren Burgen schmollten, noch waren sie politischadministrativ freischwebend, denn die Übernahme von militärischen oder administrativen Funktionen für König oder Landesherrn und das Führen von Fehden auf eigene Rechnung schlossen sich prinzipiell nicht aus, im Gegenteil: „ the majority of the feuding nobles were closely associated with princes “ . 17 Dennoch liegt in der politischen Entwicklung der Epoche wahrscheinlich der wichtigste Schlüssel zur Erklärung der angesprochenen Fehdekonjunktur. Es war die intensive herrschaftliche Verdichtung, die allmähliche ‚ Staatswerdung ‘ der Landesherrschaften, durch die der Ritteradel unter Druck geriet. Überspitzt gesagt: Stand ein Ritter zuvor in einem Netz persönlicher Lehnssowie anderer Bindungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, oft zu mehreren Herren, so sah er sich nun der Gefahr ausgesetzt, ‚ mediatisiert ‘ zu werden. War dieser Prozess im Norden und Osten des Reiches im Spätmittelalter bereits weit fortgeschritten, so war die Situation im Süden und Westen offener. 18 Dort, in Franken, Schwaben und am Mittelrhein, wo sich auf längere Sicht eine politisch weitgehend einflusslose, aber doch autonome Reichsritterschaft herausbilden sollte, versuchten Angehörige des niederen Adels um und nach 1500, sich durch Zusammenschlüsse und Bündnisse mit Standesgenossen als aktive Akteure im Reich neben König und Fürsten zu behaupten. Franz von Sickingen verkörperte diesen Versuch (und dessen Scheitern) wie kein zweiter. Gegenüber der 1495 festgeschriebenen Verpflichtung, sich dem Spruch eines Reichskammergerichts zu unterwerfen, waren die streitbaren Ritter misstrauisch. Aktive Fehdeführung bedeutete zwar keineswegs die Verweigerung jeglichen Streitaustrags vor Gericht, aber doch das Beharren auf selbständige Handlungsmacht in Konfliktfällen. Dass Männer wie Götz von Berlichingen oder, mehr noch, der berüchtigte Hans Thomas von Absberg dabei - gelegentlich oder regelmäßig - durchaus lustvoll zur Gewalt griffen, hat wohl nicht nur mit persönlicher Brutalität zu tun, sondern auch mit der Pflege eines adligherrschaftlichen Habitus, bei dem die Androhung und Ausübung von Gewalt den eigenen Status verbürgte. 19 16 Ritzmann, Plackerey, S. 57 f. 17 Zmora, The Feud, S. 20. 18 Pars pro toto Schnettger, Kaiser, Reich und Ritterschaft, S. 90 ff.; ders., Kaiser und Reich, S. 275 ff. Für den Gegensatz zwischen fränkischer Ritterschaft und Territorialfürsten Ulrichs, Entstehung. 19 Schindler, Habitus und Herrschaft. 6.2 ‚ Raubritter ‘ , Fehdeunternehmer oder politischer Akteur? 153 <?page no="154"?> Im Übrigen muss man sich hüten, den Wormser Reichstag von 1495 als Zäsur auf dem Weg zu einem staatlichen Gewaltmonopol allzu sehr zu verklären. Aus der Rückschau ist eine solche Einschätzung zwar nicht falsch, aber für viele Zeitgenossen mochte sich dieser ‚ ewige ‘ Landfrieden einreihen in die zahlreichen Vorgänger, die - wenn auch befristet - seit dem hohen Mittelalter immer wieder verkündet worden waren. 20 Nicht nur die Ritter hielten an der Vorstellung einer ‚ rechten ‘ Fehde bis weit ins 16. Jahrhundert fest, sondern auch der Kaiser und andere Reichsstände. Noch die „ Peinliche Halsgerichtsordnung “ Kaiser Karls V. aus dem Jahr 1532 sollte im Artikel 129 zwischen ‚ böswilliger ‘ und ‚ rechtmäßiger ‘ Fehde unterscheiden. Sei es aus politischer Opportunität oder aus faktischer Machtlosigkeit, Fehdeführung ‚ an sich ‘ wurde lange nicht konsequent kriminalisiert. Für Götz von Berlichingen allerdings war die Zeit der autonomen Fehdeführung 1516 mit dem Ende des Konflikts gegen Kurmainz vorbei. Alles spricht dafür, dass er sein Leben in ruhigere Fahrwasser lenken wollte. Er heiratete die Erbtochter eines reichen Ritters, arrondierte seinen Besitz und trat als Amtmann in Möckmühl, nicht weit entfernt von seinem Stammsitz, in die Dienste des Herzogs von Württemberg. Dass er im Gefolge dieses Fürsten und eben nicht bei seinen Fehden auf eigene Rechnung in Gefangenschaft geriet, mutet aus der Rückschau ironisch an. Dabei hatte er sich sehr wohl aus dem Fahrwasser des geächteten Herzogs Ulrich zu lösen gesucht, aber es war zu spät. 21 Vor dem heranziehenden Heer des Schwäbischen Bundes verschanzte er sich im Jahr 1519 auf seinem Amtssitz Burg Möckmühl. Die Belagerer versuchten vergebens, ihn zur Übergabe zu überreden. 22 Stattdessen suchte der Belagerte sein Heil in einem Ausfallversuch, bei dem er jedoch gefangengenommen wurde. 23 Nun zeigte sich, wie viele Feinde sich Götz mit seinen Fehden gemacht hatte; viele Städtevertreter drängten auf Auslieferung und hätten ihn gerne tot gesehen. Jedoch bewahrten ihn adlige Standessolidarität und seine Netzwerke vor dem Schlimmsten. Das Tauziehen hinter den Kulissen endete damit, dass Götz von Berlichingen dreieinhalb Jahre in einigermaßen ehrenvoller Haft in der Reichsstadt Heilbronn gehalten wurde. Anfang Oktober 1522 beschwor er eine Urfehde, in der er versprechen musste, gegen kein Mitglied des Schwäbischen Bundes gewaltsam vorzugehen; danach wurde er aus der Haft entlassen. Mehrere Jahre war er zur Untätigkeit verdammt gewesen, so allerdings auch vor der Versuchung gefeit, sich seinem alten 20 Reinle, Fehden, S. 366. 21 Ulmschneider, Götz von Berlichingen, S. 103. 22 Unter ihnen befand sich im Übrigen auch Florian Geyer, 1525 wie Götz für kurze Zeit ein Hauptmann der aufständischen Bauern. 23 Vgl. zu den Vorgängen ebd., S. 105 ff. 154 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="155"?> Bundesgenossen Franz von Sickingen anzuschließen und mit ihm unterzugehen. 24 6.3 Karriere und Fall Sickingens Franz von Sickingen war seit Beginn der Fehde gegen Worms zunächst ein fast kometenhafter Aufstieg geglückt. Kurzfristig trat er zunächst in Dienste des Herzogs Anton von Lothringen und danach in diejenigen Herzogs Ulrich von Württemberg, von dem er sich allerdings rechtzeitig wieder löste. 25 Schließlich suchte Kaiser Maximilian selbst den Ausgleich mit dem umtriebigen Ritter. Er löste ihn nicht nur aus der Reichsacht und vermittelte eine für Franz vorteilhafte Versöhnung mit der Reichsstadt Worms, sondern nahm ihn im Frühjahr 1518 selbst unter Vertrag. Ein Jahr später half Franz von Sickingen dem Schwäbischen Bund, Herzog Ulrich von Württemberg aus seinem Herrschaftsgebiet zu vertreiben. Die kaiserliche Rückendeckung nutzte Franz für weitere Fehdeaktivitäten, zunächst gegen die Reichsstadt Metz, dann ab Anfang September gegen den jungen hessischen Landgrafen Philipp, der gerade erst im Alter von 14 Jahren die Herrschaft aus den Händen einer vormundschaftlichen Regentschaft übernommen hatte. Mit 1500 Reitern und 8000 Fußknechten, einer erstaunlich großen Streitmacht, die nicht zuletzt durch die Unterstützung adliger Standesgenossen zustandegekommen war, überschritt Franz von Sickingen den Rhein, belagerte Darmstadt und erzwang einen Vertrag, der dem Landgrafen neben einer Brandschatzung von 35.000 Gulden auch Eingriffe in seine Herrschaftsrechte abnötigte. Der Kaiser erkannte die Regelungen des Vertrages zwar zum größeren Teil nicht an, was den Konflikt in den nächsten Monaten weiter auf kleiner Flamme köcheln ließ; aber er entzog Franz von Sickingen auch nicht sein Wohlwollen. Im Gegenteil befand sich Franz in der Phase vom Tod Maximilians im Januar 1519 bis zur Kaiserwahl Ende Juni auf dem Zenit seiner Karriere. Umworben vom französischen König Franz I. wie vom Enkel Maximilians, entschied er sich für Karl V. und damit für das Haus Österreich. Zusammen mit Georg von Frundsberg sicherte er die Frankfurter Königswahl mit einer stattlichen Anzahl von Landsknechten vom nahegelegenen Höchst aus gegen einen möglichen französischen Überfall ab und wurde im Oktober 1519 in Brüssel zum königlichen Rat und Hauptmann ernannt, was ihn verpflichtete, dem König militärische Hilfestellung zu leisten. 24 So ebd., S. 131. 25 Press, Ein Ritter, S. 157 ff.; auch Breul, Sickingens Fehden. 6.3 Karriere und Fall Sickingens 155 <?page no="156"?> Seine Gefolgschaft zum neuen Herrscher Karl V. sollte Franz von Sickingen allerdings in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen kommen. Dass er in der Lage war, dem Kaiser einen Kredit von 20.000 Gulden ohne Zinsen und Sicherheiten zu gewähren, zeigt seine damalige gute wirtschaftliche Situation. Als er im Sommer 1521 von Karl V. . aufgefordert wurde, mit ihm ostwärts gegen den König von Frankreich zu ziehen, mobilisierte der Ritter 4000 Reiter und 15.000 Fußknechte. Der Feldzug wurde nicht nur ein militärisches Desaster, weil das Heer die Belagerung der Festung Mézières abbrechen und sich wieder zurückziehen musste; Franz von Sickingen blieb überdies auf den aus eigenen Mitteln aufgebrachten fast 100.000 Gulden für den Feldzug sitzen, obwohl der Kaiser eine Rückerstattung zugesichert hatte. 26 Von nun an war es der Ritter, der für künftige Unternehmungen auf Kredite angewiesen war. Seine Entscheidung für das Haus Habsburg hatte ein Ende seiner traditionell flexiblen ‚ Außenpolitik ‘ mit schnell wechselnden Bündnispartnern bedeutet; überdies hatte er sich dadurch die Kurpfalz, lange seine Schutzmacht, endgültig zum Feind gemacht. Insgesamt bedeutete das wohl einen schlechten Tausch in einer Zeit, in der der neue Kaiser seine Kraft stark auf den Konflikt mit Frankreich konzentrierte und kaum Energien in eine aktive Reichspolitik investierte. Die fürstlichen Landesherren, darunter einige der geschworenen Feinde Franz von Sickingens, hatten freie Bahn. In diese Zeit fiel die Gründung des Landauer Bundes. Während der habsburgisch dominierte Schwäbische Bund in dieser Zeit dramatisch an niederadligen Mitgliedern verlor, gründete sich im August 1522 in der Reichsstadt Landau eine „ Brüderliche Vereinigung “ von ca. 600 Rittern aus dem Westen und dem Süden des Reiches. 27 Dass sie Franz von Sickingen zu ihrem Hauptmann wählte, zeugt von dessen Renommee, bedeutet aber nicht, dass der rührige Fehdeunternehmer sich hier ein Kriegsbündnis zusammengezimmert hätte. Vielmehr diente das auf sechs Jahre geschlossene Bündnis allein der Defensive, insbesondere der Abwehr der Reichsjustiz, sowie dem friedlichen Konfliktaustrag unter Standesgenossen. Sickingen seinerseits aber wollte mehr. Um erneut in die Offensive zu kommen, startete er mit einigen Unterstützern und trotz seiner geschwächten finanziellen Ressourcen seine größte Fehde; es sollte seine letzte werden. Diesmal ging es gegen Richard von Greiffenklau, Kurfürst von Trier und damit einer der höchsten Reichsfürsten. Eine offene Geldforderung gegen zwei Trierer Bürger bot den formellen Fehdeanlass. Nach ersten Eroberungen kurtrierischer Befestigungen begannen die Angreifer mit 26 Scholten, Franz von Sickingen, S. 192. 27 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 65; Scholten, Franz von Sickingen, S. 201 ff.; Press, Ein Ritter, S. 168; Andermann, Das alte Herkommen. 156 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="157"?> der Belagerung der Stadt, die sich aber politisch wie militärisch schnell als Debakel erweisen sollte. Es mangelte Franz an Unterstützern; vielmehr machte das Reichsregiment gegen ihn mobil, und wieder einmal wurde die Reichsacht über ihn verhängt. War sie früher eher ein Papiertiger gewesen, so fand Kurtrier nun im hessischen Landgrafen, dem alten Gegner des Sickingers, und in der Kurpfalz starke Verbündete, um die Ächtung von Franz auch durchzusetzen. Die Bündnispartner schickten sich an, die Stadt Trier zu entsetzen, deren Verteidigung Kurfürst Richard erfolgreich organisierte. Die Belagerer mussten schließlich unverrichteter Dinge abziehen. Mit der Niederlage hatte Franz von Sickingen an finanziellem und politischem Kredit verloren, „ der gefährliche Condottiere war entzaubert “ . 28 Aus einer offensiv geführten Fehde wurde nun ein Abwehrkampf gegen eine übermächtige Fürstenkoalition. Bis zum Sommer 1523 gelang es dieser, den Aktionsradius des Ritters diplomatisch und militärisch Schritt für Schritt einzuschränken. Schließlich schloss sich im Frühjahr 1523 ein Belagerungsring der drei Fürsten um die Festung Nanstein hoch über der Stadt Landstuhl, wo Franz von Sickingen sich verschanzt hatte. Ihre Mauern hielten der schweren Artillerie der Angreifer nicht stand, und Franz wurde von herabfallendem Holz schwer verletzt. Am 7. Mai erfolgte die Übergabe der Burg. Die drei Fürsten gingen hinein und fanden den Burgherrn „ in einem finsteren Loch auf seinem Totenbett liegen “ . 29 Nach dem Tod Franz von Sickingens mussten sich zahlreiche seiner Unterstützer, darunter Graf Wilhelm von Fürstenberg oder Dietrich Spät, rechtfertigen; durch Erklärungen und Verträge wurden sie neutralisiert oder leisteten Ausgleichszahlungen. Götz von Berlichingen gehörte erstaunlicherweise nicht zu diesem Kreis; ganz im Gegenteil hatte er wohl im Gefolge des pfälzischen Kurfürsten an der Niederwerfung seines alten Freundes mitwirken müssen. Der gerade einmal ein halbes Jahr zuvor aus der langen Heilbronner Haft entlassene Götz hatte wohl keine andere Wahl, wollte er nicht als Urfehdebrecher erneut ins Fadenkreuz des Bundes geraten. 30 28 Press, Ein Ritter, S. 170. 29 Scholten, Franz von Sickingen, S. 267. 30 Götz hat seine Beteiligung am Zug gegen Franz in seiner Lebensbeschreibung schamhaft verschwiegen; sie lässt sich lediglich indirekt durch ein pfälzisches Rechnungsbuch nachweisen, vgl. Andermann, Götz von Berlichingen, S. 23 f., S. 33. 6.3 Karriere und Fall Sickingens 157 <?page no="158"?> 6.4 Die Absberg-Kampagne 1523 Mit Franz von Sickingen war ein prominenter Reichsritter der geballten Fürstenmacht zum Opfer gefallen und dessen Unterstützerkreis neutralisiert worden. Der „ Fall “ Sickingen war allerdings sehr speziell gelagert und kann kaum als Angriff auf die Autonomie der kleineren Ritter insgesamt interpretiert werden. Genau das aber geschah mit einiger Wucht im gleichen Jahr 1523 im Zuge der sog. ‚ Absberg-Fehde ‘ . 31 Begonnen hatte sie 1520 als eine typische Adelsfehde zwischen dem fränkischen Adligen Hans Thomas von Absberg und den Grafen von Oettingen. Diese war allerdings eskaliert, als Graf Joachim von Oettingen bei einem Überfall tödlich verletzt worden war. Der Getötete war eine hochadlige Schlüsselfigur auf der Adelsbank des Schwäbischen Bundes, der daraufhin schnell aktiv wurde. Er warf Absberg hier keineswegs den Bruch des Landfriedens per se, sondern die Verletzung der Fehderegeln vor. Und den Regeln der Fehde entsprechend ging der Bundeshauptmann Georg Truchseß von Waldburg gegen ihn vor, indem er im Oktober 1520 Schloss Absberg einnahm. Der entflohene Burgherr revanchierte sich, indem er prominente Personen aus dem Lager der Gegner in Geiselhaft nahm. Eigentlich war das eine gute Ausgangsposition für eine Schlichtung des Konfliktes, und tatsächlich schien durch Vermittlung des Markgrafen Kasimir von Brandenburg-Kulmbach Anfang 1522 ein Vertrag in greifbarer Nähe, auf dessen Grundlage der Kaiser Absberg sogar aus der Reichsacht entließ. Die gütliche Beilegung scheiterte jedoch am Widerstand nicht nur der Oettinger, sondern auch des Schwäbischen Bundes, insbesondere der Reichsstadt Nürnberg, die hier die Chance sah, der ‚ Plackerei ‘ (eine zeitgenössische Bezeichnung für die Aktivitäten der Raubritter) in ihrem Umfeld endlich Herr zu werden. Absberg, der sich um seinen Ausgleich gebracht sah, intensivierte und brutalisierte im Lauf der folgenden Monate seine Fehdeführung, wobei die verhassten Nürnberger vorrangige Ziele bildeten. Dadurch wurde der Ritter gleichsam zum Symbol des grausamen Strauchritters, der seine Gefangenen misshandelte; einigen ließ er die Schwurhand abhauen, weil andere Städter sich nicht an ihr eidliches Versprechen gehalten hatten, Lösegeld zu entrichten oder sich wieder in Haft zu begeben. Unabhängig davon, dass schon den Zeitgenossen diese Praxis als ungewöhnlich grausam erschien, muss dabei berücksichtigt werden, dass auch die Gegenseite ihren Beitrag zur Brutalisierung der Fehden leistete: Insbesondere der Schwäbische Bund und die Stadt Nürnberg gingen ohne Rücksicht auf Standesprivilegien vor; nicht nur Fehdegegner, 31 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 474 ff.; materialreich Ritzmann, Plackerey; Reinle, Fehden; aus der Perspektive der fränkischen Ritter Ulrichs, Entstehung, S. 323 ff. 158 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="159"?> sondern auch deren unbeteiligte Verwandte wurden in der Stadt gefoltert und exekutiert; Kopfgelder wurden ausgesetzt und Mordaufträge erteilt. Dabei trat der Schwäbische Bund, wie die fränkischen Ritter sinngemäß schon 1523 beklagten, als Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person auf. 32 Was sich hier gegenüber den fehdeführenden Rittern andeutete, sollte sich später im Bauernkrieg in weitaus größerem Stil gegenüber den aufständischen Bauern realisieren. Tatsächlich besaß der Schwäbische Bund seit spätestens 1516 das kaiserliche Privileg, Landfriedensbrecher und ihre Unterstützer vor die Bundesversammlung zu zitieren, um sich dort durch Eid von diesem Verdacht zu reinigen ( ‚ purgieren ‘ ). 33 Im Mai 1523 machte er von dieser Vollmacht reichlich Gebrauch: Rund drei Dutzend mutmaßliche Helfer Absbergs wurden auf einen großen Purgationstag zitiert und mussten sich dort rechtfertigen. Nur einer Minderheit gelang die problemlose Rechtfertigung, andere söhnten sich später unter harten Bedingungen mit dem Bund aus und schworen Urfehde. All das wurde vom Bund mit viel Aufwand medial inszeniert - ein Vorgehen, das auf die Spaltung der Gegner abzielte. 34 Mit großer Sorgfalt wurde auch die Strafexpedition gegen die Absberg-Unterstützer vorbereitet. Erneut unter dem Kommando von Georg Truchsess von Waldburg als Oberstem Feldhauptmann stehend, brach sie Anfang Juni 1523 von Dinkelsbühl aus auf, um die Feinde zu befehden. Der stattlichen Streitmacht von fast 1700 Reitern und über 10.000 Mann Fußvolk stellte sich kein nennenswerter Widerstand in den Weg. 35 Den detaillierten Instruktionen des Bundes für den Truchsess entsprechend wurde ein Schloss nach dem anderen erobert und dann zumeist „ verbrannt und eingeebnet “ , beginnend am 14. Juni mit der Burg Boxberg, die dem fehdefreudigen Geschlecht der Rosenberger gehörte, und endend Mitte Juli mit der Stammburg Absberg, wo der Vater des Hans Thomas residierte. Schon bevor die letzten Burgen abgebrannt waren, wurde am 17. Juli für die halbe Bundesarmee unter ihrem Hauptmann Georg Truchsess ein triumphaler Einzug in die Reichsstadt Nürnberg inszeniert. Wenig später kursierten bereits Druckwerke, vermutlich vom Schwäbischen Bund selbst in Umlauf gebracht, um den Sieg der Fürstenmacht über die niederadlige Fehdelust angemessen zu dokumentieren. Eine Flugschrift listete die im Bundesheer mitziehenden Adligen auf, ebenso die Namen und die Lage der niedergelegten Schlösser. Eindrucksvoller noch war eine Flugschrift, in der das Zerstörungswerk an jeder der 23 Burgen sorgsam 32 Reinle, Fehden, S. 375 ff., hier S. 381; vgl. Klüpfel, Urkunden 2, S. 237. 33 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 475 f. 34 Ebd., S. 478. 35 Ritzmann, Plackerey, S. 321 ff.; Blickle, Bauernjörg, S. 67 ff. 6.4 Die Absberg-Kampagne 1523 159 <?page no="160"?> und individuell ins Bild gesetzt wurde. Es war ein aufwändiges Werk, dessen Bilder ausweislich eines späteren Neudrucks auch dazu genutzt werden konnten, als Wandschmuck zu dienen; kein Wunder, dass sie mühsam mit Hand nachkoloriert wurden. Eindrucksvoll wurde hier die robuste Durchsetzung des Landfriedens durch die regionale Ordnungsmacht in Szene gesetzt. 36 Abb. 10: Zerstörung der Burg Boxberg am 15. Juni 1523 durch Truppen des Schwäbischen Bundes 36 Vgl. für die Liste „ Namen und Summa deren vom Adel …“ (VD 16 N 62). Das vollständige Bildwerk bildet den Kern des sog. „ Bamberger Burgenbuches “ , das am Ende auch Abbildungen aus dem Bauernkrieg enthält. Vgl. dazu Roßner, Holzschnitte, S. 82 ff. 160 6 Ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens <?page no="161"?> 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste 7.1 Reform oder radikaler Protest? Im März 1525 stellten die in Memmingen versammelten Bauern eine Liste mit „ Doctores “ zusammen, die über ihre Forderungen an die Obrigkeiten entscheiden sollten. Angeführt wurde sie von Dr. Martin Luther; es folgten Philipp Melanchthon und andere Anhänger des Wittenberger Reformators. Aber auch Ulrich Zwingli und seine ‚ Gesellen ‘ in Zürich fehlten nicht. Von all diesen Männern fühlten sich die aufständischen Bauern zu ihrem Tun inspiriert, und sie verkörperten ihre Hoffnung auf Legitimierung der angestrebten Veränderungen. Wenige Wochen später wurde diese Erwartung schmerzlich enttäuscht: Entschieden wandte sich Martin Luther gegen die Empörung der Untertanen. Sein Plädoyer für die Freiheit eines Christenmenschen hätten sie ganz falsch, nämlich ‚ fleischlich ‘ verstanden; es gehe ihm aber eben nicht um weltliche, sondern um spirituelle Freiheit. Der von Gott eingesetzten Obrigkeit müsse unbedingt Gehorsam geleistet werden. Reformation und Bauernkrieg, so zeigt sich hier, waren eng miteinander verknüpft, und so verhält es sich auch mit dem sozialen Protest zuvor. 1 Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen sozialem Protest und reformatorischer Bewegung bildete lange Zeit einen roten Faden der Reformationsforschung. 2 Bereits im 19. Jahrhundert wurde im Rahmen konfessioneller Deutungsschemata lebhaft die Frage diskutiert, ob und inwieweit die Reformation eine veritable Revolution dargestellt hat. 3 Später entwickelte die marxistische DDR-Forschung das Konzept der „ frühbürgerlichen Revolution “ , mit dem sie Reformation und Bauernkrieg zu einem einheitlichen revolutionären Prozess zu verklammern suchte und zur zentralen Epochensignatur stilisieren wollte. 4 Letztlich erwies sich der Ansatz als zu starr und dogmatisch, aber er hielt im Zeitalter deutsch-deutscher Deutungskonkurrenzen den Revolutionsbegriff im Spiel. Peter Blickle schloss hier mit seiner einflussreichen Interpretation des Bauernkriegs als „ Revolution des Gemeinen Mannes “ an. 5 1 Vgl. Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 131 ff., S. 351 ff. 2 Mörke, Reformation, S. 88 ff. 3 Vgl. Becker, Deutungsmöglichkeit; Gerber, Mutter aller Revolutionen. 4 Abwägende Gesamtbilanz bei Vogler, Konzept; vgl. Schwerhoff, Heroic Narrative, S. 106 f. 5 Blickle, Revolution, S. 293 ff. <?page no="162"?> Für die neuere Reformationsforschung in der „ Lutherdekade “ war sozialer Protest kaum mehr ein Thema. Nach einer Phase sozialgeschichtlicher Transformation erlebte sie eher eine „ Retheologisierung “ und war von „ einer gewissen kulturwissenschaftlich induzierten Skepsis gegenüber ‚ Ereignissen ‘ und ‚ politikgeschichtlichen Fragestellungen ‘“ gekennzeichnet. 6 Jenseits der jubiläumsbedingten Zentrierung auf die Person Martin Luthers gab es eine große thematische Pluralisierung. Große Erzählungen von der Modernität oder wenigstens den Modernisierungswirkungen der Reformation spielten - jedenfalls fachwissenschaftlich - kaum mehr eine Rolle, stattdessen wurde eher deren Fremdheit hervorgehoben, und das keineswegs zu Unrecht. 7 Die Frage nach der revolutionären Qualität der Reformation trat dagegen weitgehend in den Hintergrund. Wenn doch, dann wurde sie in der Regel nur für den „ linken Flügel der Reformation “ diskutiert bzw. bejaht, vor allem für die Täufer, die sich im Anschluss an den Bauernkrieg radikalisiert hätten. 8 Unangefochten ist eine solch schlicht-dichotome Sicht der Dinge allerdings nicht: Hans-Jürgen Goertz verschob bei der Diskussion um die Radikalität der lutherischen Reformation und ihres Wittenberger Frontmanns den Fokus von den handelnden Personen hin zu sachlichen Kriterien. Er betonte, dass Radikalität bis zu einem gewissen Grade alle Bewegungen auszeichne, die zentrale Grundsätze der römischen Kirche in Frage stellten. 9 In diesem Sinn hat Thomas Kaufmann apodiktisch festgestellt: „ With regard to its content, Luther ’ s most prominent Reformation programme was radical “ , indem es die führende Rolle des Klerus in der Kirche verneinte, das geistliche Auslegungsmonopol der Bibel in Frage stellte und das rechtliche System des kanonischen Rechts ablehnte. 10 Im historische Vorfeld des Bauernkriegs gewinnt diese Perspektive wieder an Gewicht. Natürlich wollte Luther mit seiner Reformation keine religiösen oder gar sozialen Innovationen im heutigen Sinne in Gang setzen, sondern es war ihm eher um die Wiederherstellung eines gedachten Idealzustandes zu tun. Nicht zufällig aber wurden seine Lehre und sein Agieren zum Referenzpunkt vielfältiger sozialer Proteste und schließlich für den Bauernkrieg von 1525. Martin Luther, seine Mitstreiter (und z. T. in wachsendem Maße: Antipoden) setzten tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse mit nachgerade „ revolutionärer “ Qualität in Gang, auch wenn der Wittenberger Reformator die Verantwortung für soziale Unruhen und den Aufstand von 1525 entschieden 6 Kaufmann, Sickingen, S. 235 f. 7 Pohlig, Jubiläumsliteratur, hier vor allem S. 223; vgl. auch Lehmann, 500 Jahre Reformation; Slenczka, Zum Reformationsjubiläum; Häberlein, Nachlese. 8 Etwa bei Dülmen, Reformation als Revolution. 9 Goertz, Radikalität der Reformation, S. 32, S. 41. Vgl. Schwerhoff, Radicalism, S. 36 f. 10 Kaufmann, Radical Political Thought, S. 29. 162 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="163"?> zurückwies. Im Grunde begannen diese Prozesse schon mit den berühmten 95 Thesen wider den Ablass von Ende Oktober 1517 und ihrer rasanten druckmedialen Verbreitung (zunächst in lateinischer, dann auch schnell in volkssprachlicher Fassung). Auch wenn die Anti-Ablass-Kampagne nicht unbedingt ursächlich mit der Entwicklung seiner Rechtfertigungslehre verknüpft gewesen sein muss, konturierte Luther in ihrem Kontext seine reformatorischen Positionen weiter und setzte sich immer stärker in Gegensatz zur Lehrmeinung der römischen Kirche. 11 Die Vorstellung, dass diese Kirche die Hüterin eines Gnadenschatzes war, aus dem sie den Gläubigen einen Nachlass ihrer zeitlichen Sündenstrafen versprechen konnte, widersprach seiner Position fundamental. Mit dem Ablass stand zugleich eine Praxis in der Kritik, die wie kaum eine andere die enge Verknüpfung von Kirche und Welt bzw. von spirituellen und materiellen Interessen zur Anschauung brachte und die Frage aufwarf, inwieweit Finanzmacht und Seelenheil zwei miteinander konvertierbare Währungen darstellten. Dass sich mit dem beim Ablasshandel eingenommenen Geld Papst, Kurie und hohe Geistlichkeit finanzierten, war den Gläubigen ja keineswegs verborgen, auch wenn die Öffentlichkeit (und mithin auch Luther) wohl nicht wusste, dass Albrecht von Brandenburg mit der Ablasskampagne in seinen Kirchenprovinzen hälftig seine Schulden bei den Fuggern begleichen wollte. 12 Die seit Generationen gerade im Reich virulente Kritik an Rom und am Primat des Papstes wurde von Luthers Lehre aktualisiert und radikalisiert. Dies zu betonen, bedeutet keineswegs, Luthers Botschaft zu enttheologisieren und damit gleichsam zu halbieren, denn seine Kirchenkritik erwuchs durchaus organisch aus dem, was stets als Kern seiner Lehre verstanden wird, nämlich aus seiner Rechtfertigungslehre, Frucht eines jahrelangen quälenden Ringens um die Frage des Seelenheils, das den Augustinermönch nach seiner Berufung zum Professor für Bibelauslegung an die Universität Wittenberg im Jahre 1512 mehr und mehr umgetrieben hatte. Je entschlossener er sein Leben in den Dienst der christlichen Verkündigung stellte, umso mehr steigerten sich das Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit und die Zweifel an der Wirksamkeit der traditionellen Gnadenmittel der Kirche in Gestalt der Sakramente. Wann war das eigene Leben christlich genug, um das ewige Seelenheil zu erringen? Wie vieler guter Werke bedurfte es dazu? Irgendwann während der ersten Jahre in Wittenberg kam der junge Theologieprofessor zu einer Antwort auf diese Frage, die zugleich einen Perspektivwechsel bedeutete: „ Nicht aufgrund dessen, was der Mensch aktiv tut, sondern allein aufgrund der Gnade, die ihm passiv von Gott zuteil wird, empfängt er jene Gerechtigkeit, die vor Gott ‚ gilt ‘ und die ihn 11 Vgl. zum Folgenden Schnabel-Schüle, Die Reformation, S. 60 ff. 12 Schilling, Luther, S. 162 ff. 7.1 Reform oder radikaler Protest? 163 <?page no="164"?> vor diesem als ‚ gerecht ‘ erscheinen lässt “ , so der Kern von Luthers Rechtfertigungslehre. 13 Dass das Heil allein durch die Gnade Gottes (sola gratia) geschenkt wird, ist eines der drei sola-Prinzipien, mit der der Kern der Lehre Luthers gemeinhin gefasst wird. 14 Der feste Glaube des Christenmenschen (sola fide) bildet gleichsam das Gegenstück zur geschenkten Gnade, nicht im Sinne einer kausalen Voraussetzung (im Sinne von: erst der Glaube, dann die Gnade), sondern im Sinn der von Gott geschenkten Zuversicht, trotz der Einsicht in die unweigerliche eigene Sündhaftigkeit des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Die Brücke zwischen den beiden genannten Prinzipien bildet die Heilige Schrift (sola scriptura), „ das geoffenbarte Wort Gottes in der Form des Evangeliums “ , deren Botschaft den Weg sowohl zur göttlichen Gnade als auch zum eigenen Glauben eröffnet. 15 Ob es sich bei Luthers Rechtfertigungslehre um einen dramatischen reformatorischen Durchbruch handelte, wie er selbst es darstellte, oder ob seine Position „ in einem breiteren Strom spätmittelalterlicher Gnadentheologie “ zu verorten ist, wie neuerdings stärker vertreten wird, muss hier nicht weiter diskutiert werden, denn für „ die Frage der historischen Wirkungen der Rechtfertigungslehre sind vor allem die Konsequenzen entscheidend, die Luther nach und nach aus ihr zog “ . 16 Bedeutsam sollte überdies werden, welche Konsequenzen andere aus Luthers Lehre ziehen würden, auch über den Reformator hinaus und schließlich gegen ihn. Sicher war „ das Geheimnis seines Erfolges “ , dass Luther sich bedingungslos „ auf die Frage des individuellen Seelenheils “ konzentrierte. Es waren also nicht politische oder soziale Parteiungen, die seine Ideen aufnahmen, sondern einzelne Menschen jedes Standes, „ Bauern ebenso wie Grundherren, Handwerker wie Patrizier, Fürsten wie Untertanen, Gelehrte wie Analphabeten “ , die die Frage nach ihrem ewigen Heil gleichermaßen bewegte. 17 Aber in diesem Urteil ist schon die Feststellung enthalten, dass die reformatorische Botschaft von Menschen aus den verschiedensten sozialen Strata rezipiert werden konnte. Und diese zogen daraus dann sehr spezifische Schlüsse für ihre jeweils konkreten Lebensumstände. Schon in der nächsten Umgebung Luthers entwickelten sich schnell abweichende Interpretationen und Differenzen, die für den weiteren Weg der Reformation zentral sein sollten. Paradigmatisch ist hier der Fall Andreas Bodenstein von Karlstadt, und wegweisend sind die Ereignisse in Wittenberg 13 Kaufmann, Erlöste und Verdammte, S. 103. 14 Prägnant Blickle, Die Reformation, S. 38 ff., vor allem S. 44; neuerdings Leppin, Sola fide. 15 Ebd., S. 41. 16 Kaufmann, Erlöste und Verdammte, S. 104. Mit dem Stichwort ‚ spätmittelalterliche Gnadentheologie ‘ spielt Kaufmann auf die Arbeiten von Volker Leppin an. 17 Schilling, Christentum, S. 94. 164 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="165"?> im Herbst und Winter 1521/ 22. 18 Karlstadt hatte 1512 Luther promoviert und an dessen Seite 1519 in Leipzig gegen Johannes Eck disputiert. Während Luthers Wartburgzeit ab Herbst 1521 war er es, der die liturgischen Umbrüche in Wittenberg gleichsam stellvertretend für diesen vorantrieb und der z. B. an Weihnachten anstatt einer römischen Messe spontan einen schlichten evangelischen Abendmahlsgottesdienst feierte. Auch wenn heute die Existenz von genuinen Unruhen in Wittenberg in Frage gestellt wird und ebenfalls von einer Rücknahme radikaler Neuerungen durch den vorübergehend nach Wittenberg zurückgekehrten Luther kaum die Rede sein kann, bilden dessen Invocavitpredigen vom März 1522 eine gerade rückschauend stark betonte Demarkationslinie zwischen gemäßigten Reformen und radikalen Neuerungen. 19 Es ging dabei weniger um Theologie als um Strategie, weniger um Inhalte als um den Stil, aber die Distinktion war nichtsdestotrotz tief und folgenreich. 20 Mit seinem Eintreten gegen überstürzte Neuerungen und der Ausgrenzung der „ unzeitigen Neuerer “ , also insbesondere von Karlstadt mit seiner radikalen Bilderkritik, bekannte Luther sich zum gemäßigten reformationspolitischen Kurs des sächsischen Landesherrn und profilierte sich als Haupt einer Ordnungspartei. 21 Andreas Bodenstein seinerseits, durch ein Predigt- und Publikationsverbot an den Rand gedrängt, änderte sein Leben tiefgreifend. Er zog sich aufs Land zurück und wurde nach einer Zwischenzeit Pfarrer in Orlamünde. Aus einem vornehmen, fast adelsgleichen Universitätsprofessor wurde ein einfacher Landgeistlicher, aus „ Dr. Karlstadt “ wurde „ Bruder Andreas “ mit grauem Rock und Filzhut, wie Luther in seiner Polemik „ Wider die himmlischen Propheten “ von 1525 spotten sollte. 22 Dass sich sein früherer Universitätskollege mit dem gemeinen Mann gemein machte, schien ihm offenbar grotesk. Karlstadt “ seinerseits orientierte sich nun an der bäuerlichen Existenz mit ihrer ehrlichen Arbeit und ihrem biederen Glauben als positivem Lebensmodell, wie es in der frühen Reformation häufiger artikuliert wurde. 23 Später im Bauernkrieg sollte man ihn in Rothenburg an der Seite der Aufständischen finden, die allerdings mit seiner quietistischen Position wenig anfangen konnten. 24 18 Jetzt vor allem Krentz, Ritualwandel, S. 141 ff.; vgl. aber bereits Kaufmann, Geschichte der Reformation, 380 ff. 19 Krentz, Ritualwandel, S. 393. Zum herkömmlichen Bild Goertz, Pfaffenhass, S. 92 ff. 20 Sider, Karlstadt, S. 25; vgl. insgesamt Roper, Der Mensch, S. 281 ff., S. 311 ff. 21 Kaufmann, Geschichte der Reformation, S. 388 f. 22 Luther, Werke WA 18, S. 100 - 102. 23 Roper, Der Mensch, S. 245. 24 Barge, Karlstadt, S. 352 f. 7.1 Reform oder radikaler Protest? 165 <?page no="166"?> 7.2 Resonanzen im Adel Die Reformation war ein vielgestaltiger und vielstimmiger Prozess, der eigentlich für alle Stände und gesellschaftlichen Gruppen Anknüpfungspunkte bot. Anders wäre ihr Erfolg auch gar nicht zu erklären. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass die Interessen dieser Gruppen keineswegs identisch waren, ja dass sie sich zum Teil sogar widersprechen mussten. Die Rezeption der evangelischen Botschaft durch die verschiedensten Teile der Gesellschaft brachte insofern notwendigerweise Spannungen hervor, auch und gerade zwischen Herrschenden und Herrschaftsunterworfenen. Grundsätzlich aber verdient zunächst festgehalten zu werden, dass die Erfolgsgeschichte der Reformation ohne ihre positive Aufnahme bei den Herrschenden nicht denkbar gewesen wäre. Kurfürst Friedrich der Weise und sein Bruder Johann oder der junge Landgraf Philipp von Hessen fühlten sich von Luthers Botschaft persönlich angesprochen. Zunehmend mögen auch konkrete territorialpolitische Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Die Übernahme der landesherrlichen Kirchenhoheit durch einen Territorialherren oder gar die Eingliederung geistlicher Besitztümer in weltliche Herrschaftsgebiete lagen ja seit dem Spätmittelalter gleichsam in der Luft. Vor Mitte der 1520er Jahre allerdings zog kein Landesherr systematische institutionelle Konsequenzen aus reformatorischem Gedankengut; und noch die Protestation von Speyer 1529, nach der später die Evangelischen das Etikett der ‚ Protestanten ‘ erhielten, sollten neben 14 Reichsstädten und einem einzelnen Grafen nur die fünf Territorien Kursachsen, Hessen, Braunschweig-Lüneburg, Brandenburg-Ansbach und Anhalt unterzeichnen. 25 Angehörige des niederen Adels zeigten sich bereits früh von Luther beeindruckt und unterstützten ihn öffentlich. Nicht nur in der weiteren Umgebung von Wittenberg und in Sachsen setzten adlige Patronatsherren in ihren Kirchen früh evangelische Prediger ein, z. B. die sächsischen Ritter Heinrich Hildebrand von Einsiedel auf Gnadenstein und Albrecht von Lindenau 1522 oder Matthias von der Schulenburg 1524. So mag das Maß der Unterstützung für Luther im Niederadel über „ spontane Einzelaktionen “ hinausgegangen sein, aber eine systematische reformatorische Bewegung innerhalb dieser gesellschaftlichen Gruppe ist bis 1525 noch nicht zu erkennen. 26 Nicht nur an der Mittelelbe muss man „ Anhänger der frühen Reformation … im … Adel mit der Lupe suchen “ . 27 25 Ziegler, Territorium, S. 54; vgl. Mörke, Reformation, S. 107 ff. 26 Wunder, Zur Rolle Niederadliger, S. 107 ff. in Auseinandersetzung mit dem Diktum von Volker Press, im Adel habe es vor 1530 nur „ spontane Einzelaktionen “ für Luther gegeben; Volkmar, Die Reformation der Junker, S. 15 ff. 27 Volkmar, Die Reformation der Junker, S. 251. 166 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="167"?> Das gilt wohl auch dann, wenn man die Begeisterung eines Franz von Sickingen für Luther in die Erörterung einbezieht. Seine Geschichte lässt sich, wie es Franz Scholten getan hat, ohne jeglichen Rekurs auf die frühe Reformationszeit erzählen. 28 Aber diese Erzählung ist doch unvollständig, als Franz ’ letzte Lebensphase deutlich von seiner Hinwendung zur evangelischen Bewegung gefärbt war. 29 Dabei ist Sickingen als Figur der Reformationsgeschichte zu einem guten Teil eine Kreation seines jüngeren Freundes Ulrich von Hutten, dessen Hauptwaffe nicht das Schwert, sondern die Feder war. 30 Schon früh hatte dieser seine ausgeprägten satirischen und polemischen Fähigkeiten - neben Herzog Ulrich von Württemberg, der seinen Vetter Hans von Hutten auf dem Gewissen hatte - in erster Linie gegen Geistlichkeit und Papsttum gerichtet, auch und gerade nachdem er den Betrieb an der Kurie in Italien selbst erlebt hatte. In den sog. ‚ Dunkelmännerbriefen ‘ nahm er mit beißendem Spott die Unbildung des traditionellen Klerus aufs Korn, und auch im Reuchlin-Streit um die Legitimität hebräischer Studien stand er im Konflikt mit orthodoxen Scholastikern. Seinem frühen Ruhm tat das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil wurde er im Jahr 1517 von Kaiser Maximilian I. zum ‚ lorbeerbekränzten Dichter ‘ gekrönt; offenbar gefiel dem Kaiser die Hochschätzung der deutschen Nation, die er von ‚ Rom ‘ erniedrigt sah. In diesem Punkt deutet sich aber auch bereits eine inhaltliche Affinität zu Martin Luther und dessen Papst- und Kirchenkritik an. Dementsprechend ergriff Hutten nach anfänglichem Zögern ab 1519 entschlossen die Partei des Wittenbergers. Von der Ebernburg aus, dem Sitz des Franz von Sickingen, wo er sich seit September 1520 häufig aufhielt, entfaltete er eine lebhafte publizistische Wirksamkeit. In seiner ersten volkssprachlichen Schrift, die dem Freund gewidmet war, apostrophierte der gewandte Lateiner Ulrich von Hutten die Ebernburg als „ Herberge der Gerechtigkeit “ . 31 Diese Zufluchtsstätte sollten in diesen Jahren auch andere Protagonisten der frühen Reformation aufsuchen wie z. B. Martin Bucer. Im Zuge der Bannandrohung gegen Luther hatte Ulrich von Hutten dem Wittenberger Reformator selbst mehrmals die Ebernburg als Refugium angeboten. Doch blieb die Bedeutung der Ebernburg als realer reformatorischer Zufluchtsort letztlich begrenzt. Wichtiger wurde sie als Zentrum adliger Flugschriftenpublizistik, wo nicht nur Ulrich von Hutten, sondern z. B. auch Hartmut von Cronberg wirkten. 32 28 So tut es Scholten, Franz von Sickingen. 29 Im Folgenden orientiere ich mich eng an Kaufmann, Sickingen, vor allem S. 244 ff., mit freilich inhaltlich etwas anderer Akzentsetzung. 30 Vgl. Press, Ulrich von Hutten; zuletzt Kraus, Ulrich von Hutten. 31 Breul, Ritterschaft und Reformation, S. 113 ff. 32 Kaufmann, Sickingen, S. 285 ff. 7.2 Resonanzen im Adel 167 <?page no="168"?> Um eine „ antiklerikal-reformatorische Bewegung … mit dem Ziel einer politischen und kirchlichen Neuordnung des Reiches “ 33 handelte es sich bei den Aktivitäten im Umfeld der Ebernburg sicher ebensowenig wie um einen „ Aufstand der Reichsritter “ . Die 1522 gegründete „ brüderliche Vereinigung “ der Ritterschaft unter Vorsitz Franz von Sickingens war zwar christlichen Verhaltensnormen wie dem Verbot von Gotteslästerung und Zutrinken verpflichtet, aber das machte sie noch nicht zu einer Bewegung für die Reformation. Signifikant ist immerhin, dass ein reformatorisch gesinnter Propagandist wie Ulrich von Hutten die Trierer Fehde zum Streit für das Evangelium stilisieren konnte. 34 Der Kampf gegen den Kurfürsten Richard von Greiffenklau wurde in seiner Sicht zum „ Pfaffenkrieg “ . Franz von Sickingen selbst, so wurde in einer Flugschrift Heinrich von Kettenbachs kolportiert, soll in einem Aufruf im Zuge des Feldzugs gegen den Trierer Prälaten proklamiert haben, dessen Untertanen vom schweren unchristlichen Joch und „ gesetz der pfaffhait “ erlösen und zu „ Evangelischen, liechten gesetzen und christlicher fraiheit “ führen zu wollen. 35 Die politische Fehde wird hier unter der Hand zu einem religiös begründeten Kampf gegen den Klerus, zu einem ersten großangelegten Versuch der Säkularisierung geistlicher Herrschaft. Relevant war ebenso, dass die auf der Ebernburg entstandenen Druckschriften gelegentlich den Brückenschlag zwischen Adel und Bauern erprobten. Hier ist insbesondere das Ende 1521 erschienene und Martin Bucer zugeschriebene „ Gesprächsbüchlein Neukarsthans “ zu erwähnen. 36 Darin wird Karsthans, die Personifikation des einfachen und ehrlichen Bauern, im Gespräch mit Franz von Sickingen inszeniert. Karsthans klagt gegenüber dem Junker über die List und die Bedrückungen durch die Pfaffen und äußert schon einmal zornig, er möchte „ mit Flegeln und Hacken dreinschlagen “ . Sein Gegenüber zeigt sich verständnisvoll, mahnt aber zugleich zur Geduld und erläutert ausführlich den wahren Christenglauben. Auf die erstaunte Frage, wo denn der Junker gelernt habe, so ausführlich aus der Heiligen Schrift zu zitieren, entgegnet Franz, seit Hutten auf der Ebernburg gewesen sei, habe er den Weg zur rechten Erkenntnis gefunden. Am Ende sind der Schrift 30 Artikel angefügt, auf die sich beide Seiten, Junker und Bauern, einigen können. In ihnen manifestiert sich in verschiedensten Wendungen die Verachtung für Mönche und „ Pfaffen “ . Überdies werden der Papst als Antichrist, die Kardinäle als des Teufels Apostel und der päpstliche Legat als Verräter an der deutschen Nation bezeichnet. Adlige 33 Goertz, Pfaffenhass, S. 103 ff., hier S. 108. 34 Kaufmann, Sickingen, S. 256 ff.; kurz ders., Geschichte der Reformation, S. 485 f. 35 Zitiert nach Kaufmann, Sickingen, S. 261. 36 Bucer, Schriften 1, S. 385 ff., S. 405 ff. (Text); Neukirchen, Karsthans, S. 72 ff. 168 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="169"?> und Bauern verpflichten sich gemeinsam, Ulrich von Huttens Helfer sein zu wollen gegen den Hofstaat des Papstes. 37 Formuliert wurde hier nicht weniger als die Vision einer gemeinsamen Front von Adel und Bauern zur Reformation der Kirche - eine Vision, die manche Ambivalenzen in der Einstellung einzelner Adligen gegenüber den aufrührerischen Bauern von 1525 verständlicher macht. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation Als entscheidende Zentren für die Entwicklung und Verbreitung der evangelischen Botschaft hat die Forschung vor allem die Städte identifiziert. In ihren ersten Jahren war die Reformation nach einem bekannten Diktum „ ein städtisches Ereignis “ . 38 In den Hochzeiten einer sozialhistorischen Reformationsforschung war die Stadtreformation folgerichtig ein zentraler Forschungsschwerpunkt. Nach den „ klassischen “ Schauplätzen in Oberdeutschland wurden nach und nach auch die Vorgänge jenseits der Reichsstädte und jenseits der urbanen Räume im Süden des Reiches unter die Lupe genommen, z. B. in den Hansestädten. Inzwischen ist dieser lange tragende Impuls erlahmt. Die Stadtreformationsforschung erscheine „ ausgeforscht “ bzw. „ eingeschlafen “ , wurde im Umfeld des Reformationsjubiläums konstatiert. 39 Geradezu als Sinnbild für den Stand der einschlägigen Forschung erscheint eine material- und gedankenreiche, konzeptionell aber verfehlte neuere Arbeit zur „ Typologisierbarkeit “ von Städtereformation. Sie entwickelt nahezu einhundert Fragen zu den Kriterien, auf deren Grundlage dann in ferner Zukunft eine empirisch gesättigte Klassifikation von Städtereformationen entstehen soll. 40 Die Prognose, dass eine solche Herangehensweise eher die Vermeidung von Selektionsentscheidungen repräsentiert, die für eine tragfähige (d. h. aussagekräftige und überschaubare) Typologie die unvermeidbare Voraussetzung wären, scheint nicht allzu gewagt. In unserem Zusammenhang allerdings steht ohnehin nicht die Typologie von Städtereformationen zur Diskussion, sondern die Verbindung zwischen städtischer Reformation und sozialem Protest. Denn was in reformationsgeschichtlicher Sicht als „ urban reformation “ erscheint, transformiert sich in der Sicht- 37 Neukirchen, Karsthans, S. 85, S. 90 und S. 146 ff. 38 Vgl. Mörke, Reformation, S. 29 ff. und S. 93 ff., hier S. 94; immer noch wichtig Greyerz, Stadt und Reformation, vor allem S. 47 f. zu möglichen Typologien des Verlaufs der städtischen Reformationen; für eine medien- und kommunikationsgeschichtliche Perspektive Schlögl, The Town. 39 Pohlig, Jubiläumsliteratur, S. 247. 40 Pabst, Typologisierbarkeit, S. 175 ff. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 169 <?page no="170"?> weise einer allgemeinen Stadt- und Unruhenforschung zum Thema „ städtische Unruhen im Zeitalter der Reformation “ . Über das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Perspektiven wäre m. E. erneut nachzudenken. 41 Angesichts der herkömmlichen Arbeitsteilung, nach der die eher neuzeitlich bestimmte Reformationsgeschichte primär die religiöse Dimension betrachtet, während die vorwiegend vom Mittelalter her kommende Stadtgeschichte stärker die sozial- und verfassungsgeschichtliche Seite betont und gleichsam die Fieberkurve innerstädtischer Unruhen vom Spätmittelalter in die Reformationszeit verlängert 42 , ist eine integrale Sicht der Dinge nicht ganz einfach. Die in der Forschung kursierenden Zahlen sind ebenso imposant wie uneinheitlich. Ein ursprünglich 1974 veröffentlichter quantitativer Überblick von Erich Maschke, einflussreich trotz seiner Platzierung in den Endnoten, kam für das Jahrzehnt von 1521 bis 1530 auf 45 Unruhen, eine deutliche Zunahme gegenüber den Jahrzehnten zuvor (1501 - 1510: 5; 1511 - 1520: 18). 43 Gerhard Brendler dagegen nennt allein für das Jahrfünft 1521 - 1525 über 200 Unruhen in aufsteigender Linie - eine Größenordnung, die durch die Arbeiten von Peter Blickle weiterverbreitet wurde. 44 Allein die Diskrepanz der Angaben verweist auf ihre Problematik: Kriterien für die Zählung und Gewichtung eines Ereignisses als „ Unruhe “ bleiben jeweils unklar. Sehr belastbar sind derartige Statistiken offenkundig nicht; naheliegend ist allenfalls der Schluss, „ dass die Reformation die Energien freisetzte, die die Städte erschütterten “ . 45 Inwieweit es sich dabei im Einzelfall um soziale oder reformatorische Erschütterungen handelte bzw. inwieweit beide Phänomene kombiniert auftraten, wäre näher zu ergründen. Eine solche systematische Analyse liegt jenseits des Horizontes der vorliegenden Darstellung. Sie hätte im Grunde wiederum bei den Erörterungen von Kurt Kaser anzusetzen. Dieser hat versucht, sein reichhaltiges Material durch eine grobe typologische Dreiteilung in Hinblick auf die Ziele der Aufstände zu ordnen. Dabei unterschied er zwischen antiklerikalen, gemäßigt-reformatorischen und „ radikal-kommunistischen “ Strömungen, die 41 Das gilt trotz der intensiven sozialhistorischen Debatten rund um Thomas Brady und Robert Scribner in den 1970er und 1980er Jahren, vgl. dazu immer noch den magistralen Forschungsbericht von Greyerz, Stadt und Reformation. 42 Klassisch in den Arbeiten von Ehbrecht, Konsens und Konflikt. 43 Maschke, Deutsche Städte, S. 95. 44 Brendler, Luther, S. 299; Blickle, Gemeindereformation, S. 91; Blickle, Unruhen, S. 25. Die Zahlen im Detail: 1521: 16; 1522: 52; 1523: 44; 1524: 40; 1525: 51. Laube u. a., Illustrierte Geschichte, S. 291, hatten 1974 von rund 180 städtischen Aufständen zwischen 1518 und 1525 gesprochen, vgl. dort auch die Karte S. 156 f. 45 Blickle, Unruhen, S. 25. 170 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="171"?> freilich oft miteinander verwoben gewesen seien. 46 Antiklerikale Bewegungen habe es auch jenseits der neuen Lehre des Luthertums gegeben, etwa in Köln oder westfälischen Städten. Mit ‚ gemäßigt-reformatorisch ‘ fasste er allerdings nicht (allein) solche Unruhen, die von einer evangelischen Bewegung getragen wurden, sondern jene „ Fülle von politischen und sozialen Reformbestrebungen “ , die im „ demokratischen Geist des 14. und 15. Jahrhunderts “ erneut um Stärkung der Partizipationschancen der Gemeinde gegenüber dem Rat gerungen hätten. Dabei sei nun aber das soziale sehr stark mit dem religiösen Moment verknüpft gewesen. 47 Behält diese Unterscheidung bis heute ihren Wert, so wird man Kasers Charakterisierung der dritten Strömung, bei der radikale Prediger bereits existierende „ radikalsozialistische “ Tendenzen geweckt und bestärkt hätten, heute als zeitbedingtes Interpretament des späten 19. Jahrhunderts sehr kritisch sehen. 48 Insgesamt hat es die Historiographie seither vorgezogen, an die Stelle einer solch allzu groben Typologie der Ziele eine strukturierende Analyse der Phasen und Abläufe der einschlägigen Unruhen zu setzen, wie hier in der Folge lediglich angedeutet werden kann. In mehrfacher Hinsicht war die alteuropäische Stadt prädestiniert dafür, am Beginn der evangelischen Bewegung zu deren Hauptarena zu werden. Seit dem Spätmittelalter verstanden die Einwohner ihre Stadt in besonderer Weise auch als eine Sakralgemeinschaft, die sich periodisch, vor allem an kirchlichen Feiertagen, in Gestalt von religiösen Umzügen und Prozessionen performativ inszenierte, die ihre christliche ‚ Caritas ‘ durch die Einrichtung von Hospitälern und anderen Einrichtungen für Bedürftige zum Ausdruck brachte und die gemeinschaftlich in Stiftungen und Bruderschaften für das Seelenheil Vorsorge zu treffen trachtete. Hinzu kam, dass die Städte für die damalige Gesellschaft als kommunikative Zentren fungierten und damit auch zum wichtigsten Resonanzraum für die reformatorische Verkündigung avancierten. Hier hatten die Druckwerkstätten ihren Sitz, in denen die zahlreichen Flugschriften produziert wurden. Auf den urbanen Marktplätzen und in den städtischen Tavernen wurden sie vorgelesen, hier redeten sich die Menschen über das Gelesene die Köpfe heiß und polemisierten gegeneinander über die Rolle der guten Werke, über die Heiligen oder darüber, wer der wirkliche Ketzer sei, Martin Luther oder doch eher der Papst in Rom. Es war schlechterdings kein Zufall, dass die Städte zu Bühnen eines immer verbissener ausgetragenen Meinungskampfes wurden - schon lange hatte hier eine gewisse Pluralität in Seelsorge und Heils- 46 Kaser, Bewegungen, S. 187. 47 Ebd., S. 192; S. 200 f., S. 214. 48 Ebd., S. 219. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 171 <?page no="172"?> vermittlung geherrscht. 49 Wer mit dem Prediger in seinem eigenen Pfarrsprengel nicht glücklich war, konnte es einmal mit demjenigen im Nachbarkirchspiel versuchen oder einem Prädikanten aus einem der Bettelorden sein Ohr schenken. Der Weg der einzelnen Städte zur Reformation war von ihrer jeweiligen „ Eigenlogik “ 50 bestimmt, d. h. von den lokalspezifischen sozialen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen. Dennoch existieren idealtypische Modelle, um den Ablauf des reformatorischen Prozesses und seine Phasen grob zu charakterisieren. 51 Am Beginn steht häufig die Predigttätigkeit früher Lutheranhänger, deren Auseinandersetzung mit altgläubigen Kontrahenten oder das - nur zum Teil in den Quellen greifbare - Wirken privater Lese- und Diskussionszirkel mehr oder weniger gelehrter Laien. Ein deutliches Ausrufezeichen setzte dann die Intervention von Laien im öffentlichen Raum, das deutlich machte, dass der religiöse Meinungskampf nicht mehr nur unter Geistlichen ausgetragen wurde. Nun begnügten sich die Laien nicht mehr mit der Rolle als passive Zuschauer. Wenn altgläubige Prediger auf der Kanzel Dinge verkündeten, mit denen Teile der Gemeinde nicht einverstanden waren, scheuten sich mutige Protagonisten nicht zu intervenieren. So wurden Konrad Grebel und drei Gesinnungsgenossen im Juli 1522 vor den kleinen Rat in Zürich geladen, weil sie eine Predigt von Ordensleuten über die Heiligenverehrung durch Zwischenrufe unterbrochen hatten. 52 Derartige Predigtstörungen waren vielerorts das erste Zeichen für das Veränderungsverlangen breiterer Bevölkerungskreise. Weitere Schritte konnten folgen, so die Unterbrechung der Messliturgie oder Störungen innerstädtischer Prozessionszüge. Eine weitere Eskalationsstufe konnten Anschläge auf Heiligenbilder oder Altartafeln darstellen, mit denen die Grenze vom Wort zur Tat überschritten wurde. All diese Provokationen dienten nicht zuletzt dazu, den städtischen Magistrat dazu zu zwingen, sich in der Religionsfrage zu positionieren. Dessen Agieren in der Anfangszeit zeichnet sich ebenfalls durch eine große Bandbreite von Möglichkeiten aus, von der entschiedenen Repression gegen Reformationsanhänger über unentschiedenes Lavieren bis hin zu vorsichtigen Schritten in Richtung Stadtreformation. Auf jeden Fall markiert das Eingreifen des Rates den Eintritt in eine neue Entwicklungsphase, die hier außer Betracht bleiben muss. Worauf es im vorliegenden Kontext ankommt, ist die Brücke, die den „ alten “ Protest mit den neuen, evangelisch inspirierten Unruhen verbindet. Die zahl- 49 Vgl. die Beiträge in Pohlig/ Steckel, Über Religion entscheiden. 50 Vgl. oben S. 143 Anm. 48. 51 Vgl. Greyerz, Stadt und Reformation, S. 47 f. Zuletzt kann dafür fruchtbar gemacht werden Pabst, Typologisierbarkeit, S. 136 ff., zusammenfassend S. 176 f. 52 Fast, Reformation durch Provokation, S. 80 f. 172 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="173"?> reichen innerstädtischen Aufstände der Jahre um 1512 hatten (erneut) bewiesen, dass die jeweilige Bürgergemeinde nach eigenem Selbstverständnis durchaus die Legitimation besaß, das städtische Gemeinwesen mitzugestalten, zumindest aber, ihren Protest zu artikulieren, wenn es um kommunale Missstände ging. Dabei war es bei den Unruhen zuvor vor allem um Korruption und Schuldenmacherei gegangen. Warum sollte das aber nicht ebenso für die als revisionsbedürftig angesehene kirchliche Ordnung gelten, deren Neuordnung im Übrigen durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse der städtischen Obrigkeit liegen mochte? Bereits in der Vergangenheit hatte sich bürgerlicher Protest immer wieder auch gegen die ungerechtfertigten Privilegien der Geistlichkeit gerichtet, gegen ihre Befreiung von Wehrdienst und Steuern, gegen ihre handwerklichen Tätigkeiten wie das Bierbrauen, mit denen sie den Bürgern unfair Konkurrenz machte, oder gegen ihren eigenen privilegierten Gerichtsstand, der ihnen in rechtlichen Auseinandersetzungen mit Laien Vorteile verschaffte. Bereits seit längerer Zeit hatten die Pfaffen und Mönche ein veritables Feindbild abgegeben. Mit Luthers Lehre fand dieses Feindbild nun gleichsam ein festes Fundament und verdichtete sich zu einem reformatorischen Antiklerikalismus, dem es prinzipiell um die Abschaffung des Klerus als Stand ging und der zugleich Anknüpfungspunkt für provozierende Aktionen wurde, mit denen die Reformation sich öffentliche Geltung verschaffen konnte. 53 Nach Wittenberg 54 und einigen sächsischen Landstädten wie der thüringischen Residenzstadt Altenburg und dem mittelsächsischen Leisnig, wo es mit der berühmten Kastenordnung zu einer ersten institutionellen Neuordnung kam, wurden ab 1522/ 23 mehr und mehr die größeren Reichsstädte zu Brennpunkten der Reformationsgeschichte. Eine Pionierrolle kommt dabei dem fränkischen Nürnberg zu. Hier schuf zunächst die Verknüpfung von Humanismus und Frömmigkeitstheologie einen günstigen Nährboden für eine „ stille Lesebewegung “ , getragen von Gelehrten wie dem Ratsschreiber Lazarus Spengler. 55 Als die Stadt dann von einer breiteren Gemeindereformation erfasst wurde, konnten diese Gelehrten zwischen den religiösen Bedürfnissen des gemeinen Volkes und der Ratselite, die fast exklusiv vom kleinen Kreis patrizischer Geschlechter dominiert war, vermitteln. In der Folge bemühte sich der Rat, Neuerungen auf legale Weise einzuführen, aber dabei das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und den Kaiser nicht zu brüskieren. Dieser Prozess mündete in ein vom Rat veranstaltetes Religionsgespräch Anfang März 1525, bei dem die Bibel als alleinige Entscheidungsgrundlage diente. 53 Vgl. Goertz, Antiklerikalismus. 54 Dazu vor allem Krenz, Ritualwandel. 55 Hamm, Reformation in Nürnberg; auch Goertz, Pfaffenhass, S. 127 ff. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 173 <?page no="174"?> Im Ergebnis war Nürnberg die erste Reichsstadt, in der die Reformation gleichsam offiziell eingeführt wurde. Dass diese Dynamik nicht allein von religiösen Faktoren vorangetrieben wurde, wird unten im Kontext der ländlichen Reformation näher zu betrachten sein. Als weitere Beispiele früher städtischer Reformationen können Straßburg, wo seit 1523 Martin Bucer wirkte, oder Schwäbisch-Hall, wo 1522 Johannes Brenz das Predigeramt übernommen hatte, ins Feld geführt werden. Wie bereits bei den städtischen Aufständen eine Dekade zuvor zeigt sich in diesen wie auch zahlreichen weiteren Fällen, dass bei allen Ähnlichkeiten jeder städtische Mikrokosmos seine markanten Besonderheiten hatte und keine städtische Reformation der anderen vollkommen glich. Gemeinsam war vielen Stadtreformationen jedoch, dass mit der jeweiligen evangelischen Bewegung vielfach soziale und politische Faktoren aufschienen, die bereits um 1512 eine Rolle gespielt hatten. 7.3.1 Das Beispiel Augsburg Im Sommer 1524 zeugen innere Unruhen in Augsburg, der neben Nürnberg und Ulm bedeutendsten Reichsstadt im Süden, vom Sprengstoff, den die evangelische Botschaft für die öffentliche Ordnung barg. Ein markanter Reimspruch aus jener Zeit rückt die Unruhe vielleicht nicht zu Unrecht in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bauernkrieg, dessen erste Vorboten sich in jener Zeit bereits am südlichen Saum des Schwarzwaldes zeigten. 56 Ausgelöst wurden die Vorgänge in Augsburg vom Franziskaner Johannes Schilling, seit dem Frühjahr 1524 Lesemeister der Minderbrüder. 57 Zu dieser Zeit war die Handelsmetropole am Lech bereits eine Stadt mit deutlich ausgeprägten Sympathien für die evangelische Sache. 58 Politisch verfolgte sie unter Federführung ihres Stadtschreibers Konrad Peutinger zwar eine vorsichtig abwägende Politik und stand im Zweifelsfall fest an der Seite des Kaisers. Aber im Inneren war die Reformation auf dem Vormarsch. Von den vier Netzwerken der führenden Familien stand bald nur noch eins fest an der Seite der römischen Kirche, und zwar dasjenige der Fugger, zu dem u. a. die Baumgartner und die Artzt gehörten; die drei anderen hielten es eher mit der lutherischen bzw. z. T. auch mit der zwinglischen Sache. Auch immer mehr Geistliche predigten im evangelischen Sinne, wie z. B. der Humanist Urbanus Rhegius. Ab Mitte 1523 56 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 249. 57 Zum Folgenden immer noch wichtig Vogt, Johann Schilling; Roth, Reformationsgeschichte, S. 156 ff. Neuere Arbeiten sind Panzer, Sozialer Protest, S. 128 ff.; Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 249 ff.; Amberg, A Real Presence, S. 43 ff. Überblick zuletzt bei Zelinsky-Hanson, The Urban Reformation. 58 Amberg, A Real Presence, S. 16 ff. 174 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="175"?> deuten Predigtstörungen, Schmähreden (der Bischof von Augsburg wurde als „ Hurenwirt “ herabgesetzt) und Drohgebärden auf eine wachsende religiöse Konfrontation hin. Erste ikonoklastische Impulse sind im April 1524 greifbar, als mehrere Männer nachts auf dem Friedhof Heiligenbilder mit Kuhblut übergossen. 59 In dieser Situation machte Johannes Schilling die Kanzel der Franziskanerkirche zu seiner Bühne und erwarb sich binnen kurzer Zeit einen Ruf als populärster Prädikant, der scharf geistliche, aber auch weltliche Missstände anprangerte. Er habe, so ein anonymer Berichterstatter, mit Worten „ dapfer darauff gehawen “ und deshalb großen Zulauf vom gemeinen Volk. Der patrizische Ratsherr Matthias Langenmantel erzählt, Schilling habe sich hören lassen, „ als obe alle ding gemain sein solten “ . Wenn der Rat nicht handle, so müsse die Gemeinde das tun. 60 Die Botschaft Schillings hatte mithin nicht zuletzt eine sozialpolitische Dimension. In einer Stadt mit fortschreitender Vermögenskonzentration bei einer kleinen Oberschicht, der eine zunehmend verarmende Unterschicht gegenüberstand, die in Krisensituationen existenziell bedroht war, traf sie auf großen Widerhall. 61 Am Sonntag, den 8. Mai 1524 bedrängte eine große Menge in der Barfüßerkirche einen Mönch, der Wasser weihen sollte; sie warf ihm vor, er wolle sie von der evangelischen Wahrheit abbringen und lästere Gott. Sein Gebetbuch wurde zerschnitten und ins Weihwasserbecken geworfen, er selbst bedroht. Auch gegen den Rat wurde öffentliche Kritik laut, weil er das Evangelium nicht fördere. Besonders alarmiert zeigte sich die Obrigkeit von Äußerungen wie derjenigen eines gewissen Hans Beringer: Der habe das Sprichwort zitiert, ein Konvent sei mehr als ein Abt, und danach rhetorisch gefragt, ob denn ein Bürgermeister mehr als die Gemeinde sei? 62 Der Prediger wiegele die Bürgergemeinde gegen die politische Führung auf, so die Schlussfolgerung der Obrigkeit. Sein Tun sei alles andere als eine christliche Unterweisung, sondern führe zu „ Frevel und Zerreißung der Liebe “ . 63 So erwirkte der Rat beim Guardian des Klosters die Abberufung Schillings aus Augsburg. Der Abzug des beliebten Prädikanten Anfang August blieb bei den Bürgern nicht unbemerkt und bewirkte das Gegenteil des Gewünschten. Gerüchte schwirrten durch die Stadt, auch die anderen evangelischen Prediger würden aus der Stadt gewiesen. Nachdem Bürgermeister Hieronymus Imhoff die Bitte um die Rückkehr Schillings barsch zurückgewiesen hatte, eskalierte die 59 Roth, Reformationsgeschichte, S. 123 ff., S. 156. 60 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 251, 253. 61 Ebd., S. 32 f. 62 Ebd., S. 251; Roth, Reformationsgeschichte, S. 158 f.; Amberg, A Real Presence, S. 51 f. 63 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 253. Zu anderen Themen seiner Predigt Amberg, A Real Presence, S. 62 ff. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 175 <?page no="176"?> Situation. 64 Während der kleine Rat, das wichtigste Entscheidungsgremium Augsburgs, auf dem Rathaus tagte, versammelte sich auf dem Platz davor eine Menschenmenge, die von Beobachtern auf 1000 oder sogar 2000 Köpfe gezählt wurde und die tumultuarisch die Rückkehr Schillings forderte. Die Menge beschloss, mit ‚ Leib, Gut und Blut ‘ beieinander zu bleiben, bis diese Forderung erfüllt sei. 65 Vereinzelte Stimmen wurden laut, den Mönch mit Gewalt zu holen, und die Vertreter der Obrigkeit wurden geschmäht. Auf dem Rathaus wurden sie regelrecht belagert und waren in höchster Sorge vor weiterer bewaffneter Eskalation. Der Rat hatte die Kontrolle über die Straßen der Stadt verloren. Schließlich sah er sich genötigt, einer Wiedereinsetzung Schillings zuzustimmen. Damit hatten zumindest die Gemäßigten unter den Protestierern ihr Ziel erreicht und gaben sich zufrieden. Mühsam erlangte der Augsburger Rat in den folgenden Tagen und Wochen die Kontrolle über seine Stadt zurück. 66 Die versprochene Amnestie wurde strikt auf die Vorgänge während des öffentlichen Tumults beschränkt und strenge Strafen für weitere Ausschreitungen angedroht. Innerstädtisch galt bis auf weiteres ein Versammlungsverbot, das durch ein umfangreiches Aufgebot an Söldnern überwacht werden sollte. Zudem rief die Obrigkeit zur Denunziation verdächtigen Verhaltens auf. Weitere Umtriebe der radikaleren Bürgeropposition wurden durch exemplarisch harte Sanktionen abgewürgt. Einige der profiliertesten Aufrührer vom 6. August wurden verhaftet, zwei von ihnen kurzerhand heimlich hingerichtet, andere der Stadt verwiesen. Der Schilling-Aufstand blieb nur ein kurzer Schockmoment der Augsburger Stadtgeschichte ohne nachhaltige Auswirkung. Aber er zeigte doch das Potential einer Verknüpfung von evangelischer Botschaft und Sozialkritik. Den Ruf nach brüderlicher Einigkeit und Liebe verstanden viele Bürger, die den großen Herren mit ihren Handelsgesellschaften skeptisch gegenüberstanden und die in wirtschaftlich prekären Verhältnissen lebten, als Stärkung eines politischen Gemeindegedankens, in der die Gleichheit aller Bürger einen wichtigen Platz einnahm. Dabei unterteilten sich die Protestierer in Gemäßigte, die durch die Erfüllung der Forderung nach Wiedereinsetzung Schillings beruhigt werden konnten, und Radikale. 67 Die Untersuchungen des Rates brachten zutage, dass es auch nach Schillings Rückkehr in manchen Kreisen weiterhin gärte, vor allem unter den Webern, die mit weitem Abstand größte Berufsgruppe in der Stadt bildeten. 64 Zum Aufstandsgeschehen vor allem Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 254 ff.; auch Roth, Reformationsgeschichte, S. 160 ff. 65 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 257. 66 Panzer, Sozialer Protest, S. 136. 67 Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 269 f., S. 283. 176 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="177"?> Die politischen Pläne einiger Konspirateure manifestierten sich in zwölf Artikeln, die nicht alle erhalten sind, aber größtenteils durch die Verhöre indirekt erschlossen werden können. 68 Wie nicht anders zu erwarten, haben sie ein deutliches evangelisches Profil, wenn etwa die Stadtverweisung „ papistischer “ Geistlicher und die allgemeine Steuerpflicht für den Klerus gefordert wurde. Aber bereits das Verlangen nach Freilassung eines Mannes, der wegen Beteiligung am Protest im August ‚ in Eisen lag ‘ , weist auf genuin politische Dimensionen hin. Der Ruf nach Wiederherstellung der alten Maße und nach Steuererleichterungen spiegelt die schwierigen ökonomischen Verhältnisse der kleinen Leute. Schließlich zielte das Plädoyer für die Abschaffung aller Handelsgesellschaften auf die Zerschlagung der großen Monopole, zugleich Quelle des Reichtums der großen Familien der Stadt wie Ärgernis für den Gemeinen Mann, insbesondere für die zahlreichen Angehörigen des Textilgewerbes. Dass Jakob Fugger während der Schilling-Unruhen vorübergehend die Stadt verließ, erscheint folgerichtig. 69 Mit dem letzten Punkt ist im Übrigen ein Thema angesprochen, das weiterer Vertiefung bedürfte: Im Zuge der evangelischen Bewegung hatte die Kritik an den Wucher- und Fürkaufprakiken der großen Handelshäuser an Durchschlagskraft gewonnen. Mehrfach standen auf den Reichstagen Antimonopolgesetze zur Debatte, und nur mühsam konnten mit Hilfe Karls V. die Klagen des Reichsfiskals gegen die wichtigsten Finanziers des Kaiserhauses niedergeschlagen werden. 70 Die reformatorische Wucherkritik eines Martin Luther bzw. - radikaler noch - eines Jakob Strauß untersetzte die traditionell skeptische Einstellung der christlichen Gesellschaft gegenüber dem Zinsnehmen und verlieh den Beschwerden des gemeinen Mannes über unerträgliche Belastungen durch Zinsen zusätzliches Gewicht. Im Bauernkrieg sollte diese wirtschaftliche Dimension vielerorts zu einem Bindeglied werden zwischen den Protesten auf dem Land und in der Stadt. 71 So kurze Zeit sie dauerten, so sehr wirkten die Schilling-Unruhen doch über die Stadt hinaus. Als weithin beachtetes Menetekel befeuerten sie die Aufstandsängste unter den Privilegierten: 68 Vogt, Johann Schilling, S. 19; Panzer, Sozialer Protest, S. 138 ff.; Rogge, Für den Gemeinen Nutzen, S. 270 ff. 69 Häberlein, Fugger, S. 214. 70 Ebd., S. 81 f. mit weiterer Literatur. 71 Diesen Hinweis verdanke ich Mark Häberlein. Vgl. zur Wucherkritik exemplarisch am Beispiel des Eisenacher Predigers Jakob Strauß, der zuvor in Tirol gewirkt hatte, die Beiträge in Bauer/ Haspel (Hg.), Jakob Strauß. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 177 <?page no="178"?> „ Am kaiserlichen Hof sprach man davon, an der päpstlichen Kurie, in Venedig, Antwerpen, Lissabon, Brügge - in allen großen Handelsemporien, die mit Augsburg in Verbindung standen. Von Seiten mehrerer Fürsten liefen Erkundigungen beim Rate ein, ebenso von vielen Reichsstädten. Die Losunger Ebner und Nützel in Nürnberg unterrichteten den Kurfürsten von Sachsen über das Geschehene, und durch Spalatin erfuhr Luther davon. “ 72 Gerüchte kursierten, nach denen das Augsburger Rathaus gestürmt und Ratsherren aus dem Fenster geschmissen worden seien. 73 Folgenreicher noch war, dass die Gesandten des Schwäbischen Bundes den Aufruhr fast hautnah miterlebten. Ulrich Artzt, Bürgermeister und zugleich langjähriger Bundeshautmann, hatte für den 10. August zu einem Bundestag nach Augsburg geladen. Mehrere angereiste Bundesräte sahen sich genötigt, ins Kloster Ursberg auszuweichen; sie konnten von Artzt erst nach Beendigung des Aufstands überredet werden, an den Tagungsort zurückzukehren. Unmittelbar darauf fasste die Versammlung den Beschluss, dass angesichts der überall aufscheinenden Empörungen und Gehorsamsverweigerungen „ auf dem nächsten Bundestag die Einrichtung einer Eilenden Hilfe gegen Landfriedensbrüche der Untertanen in Stadt und Land beschlossen werden sollte. “ 74 Der Gedanke liegt nahe, dass das eigene Erleben bei diesem Beschluss Pate gestanden hatte. 7.3.2 Das Beispiel Mühlhausen Wie kaum eine andere Stadt steht Mühlhausen in Thüringen bis heute für die enge Verbindung städtischer und ländlicher Bewegung vor und im Bauernkrieg, vor allem aufgrund des Wirkens von Thomas Müntzer. Dabei wirkte Müntzer insgesamt nur rund viereinhalb Monate in der Reichsstadt an der Unstrut. Und deren Reformationsgeschichte begann bereits anderthalb Jahre vor seinem ersten Aufenthalt in der Stadt. Mühlhausen war am Anfang des 16. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Städte im mitteldeutschen Raum. 75 In den Stadtvierteln und fünf Vorstädten lebten rund 7.500 Menschen, weitere 2.400 in den 18 Ratsdörfern des umfangreichen städtischen Territoriums von insgesamt ca. 220 km 2 . Die Bevölkerungszahl allerdings war seit einiger Zeit rückläufig, Indikator für eine abnehmende wirtschaftliche Bedeutung der Stadt. Ohnehin trug sie aufgrund ihres großen Landgebietes „ mehr das Gepräge einer 72 Roth, Reformationsgeschichte, S. 169. 73 Panzer, Sozialer Protest, S. 135. 74 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 492; Klüpfel, Urkunden, S. 279 f.; Elben, Vorderösterreich, S. 97 f.; Greiner Politik, S. 12. 75 Müller, Mörder, S. 123 ff.; Tode, Stadt, S. 143 ff. 178 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="179"?> Ackerbürgerstadt als das einer Handels- und Gewerbestadt “ 76 ; überregional orientiert war vor allem die Herstellung von und der Handel mit Tuchen. Regiert wurde die Reichsstadt von 120 Ratsherren, die im Kooptationsverfahren gewählt wurden und jährlich alternierend in vier Jahrgängen mit jeweils 30 Mann amtierten. Diese städtische Obrigkeit bestand aus Vertretern des städtischen Patriziats und aus wohlhabenden Zunftmitgliedern, wobei ein kleiner ‚ Senatus Seniorum ‘ das eigentliche Machtzentrum bildete. Außenpolitisch war die Lage trotz des Reichsstadtstatus eher prekär. Bis 1481 in einem Dreistädtebund mit der Reichstadt Nordhausen und dem weitgehend autonomen Erfurt noch auf Selbständigkeit bedacht, hatte sich Mühlhausen zuletzt durch Schutzverträge mit den wettinischen Fürsten und dem hessischen Landgrafen in größere Abhängigkeit begeben müssen. Im kirchlichen Bereich ergab sich eine starke Einschränkung des städtischen Handlungsspielraums aus der Tatsache, dass neben den beiden Hauptkirchen St. Blasius und St. Marien auch die meisten anderen Gotteshäuser dem Deutschen Orden zugehörten. Der Beginn der reformatorischen Botschaft in Mühlhausen lässt sich eindeutig datieren: Am 8. Februar 1523 bestieg Heinrich Schwertfeger, genannt Pfeiffer, einen Stein gegenüber der Marienkirche, von dem zuvor ein Bierrufer seine profanen Botschaften verkündet hatte, und begann der versammelten Menge das Evangelium auszulegen: „ Höret zu, ich wil euch ein anderes Bier verkundigen! “ 77 In seiner ‚ Bierpredigt ‘ kritisierte er Papst und Klerus; in einer zweiten Ansprache am selben Tag in der Marienkirche bezog er auch die weltliche Obrigkeit in seine Kritik ein. Schnell fand Pfeiffer, ein gebürtiger Sohn der Stadt und ehemaliger Zisterziensermönch, im Frühjahr 1523 Mitstreiter unter den anderen Geistlichen und Anhänger unter den Bürgern. Als er am Mittwoch vor Ostern (1. April 1523) aufs Rathaus zitiert wurde, versammelten sich seine Anhänger auf einem Kirchhof und schworen, ‚ bei dem Wort Gottes zu stehen und dasselbe erhalten zu helfen ‘ , eine Schwureinung, die als Vorbild des späteren Ewigen Rats fungiert haben könnte. 78 Als Sprecher der Gemeinde wählten die namentlich bekannten 40 Angehörigen dieser Einung sog. „ Achtmänner “ . Nachdem der Rat auf die gesammelten Beschwerden der Stadtviertel hinhaltend reagiert hatte, kam es am 3. Juli zu einem weiteren Eskalationsschritt: Die Protestierer versperrten den Zugang zum Rathaus, läuteten die Sturmglocke und riefen so die Bürger zu den Waffen. Unter dem Druck der Straße mussten die Ratsherren ihre Zustimmung zu einem Rezess geben, in dem die allermeisten Forderungen der Opposition aufgegriffen worden waren. 76 Lösche, Achtmänner, S. 137. 77 Müller, Mörder, S. 178. 78 Ebd., S. 186 f. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 179 <?page no="180"?> Danach wurden die Kontrollrechte der Bürgergemeinde gegenüber dem Rat gestärkt, u. a. dadurch, dass den Achtmännern einer von zwei Schlüsseln für das Behältnis mit dem Stadtsiegel ausgehändigt wurde. Auch viele andere Artikel betrafen die Stadtverfassung. Unter den zahlreichen wirtschaftlichen Forderungen ragt die große Aufmerksamkeit für die freie Jagd, Fischerei und Weide heraus, die den ackerbürgerlichen Charakter der Stadt unterstreicht. 79 Nur zwei der 55 Artikel betrafen religiöse Belange, aber diese hatten es in sich: Es sollte - vor allem gegen den Deutschen Orden - die Bestallung gut evangelisch gesinnter Prediger durchgesetzt werden; Mönchen und Nonnen sollte es zudem freigestellt werden, mit ihren eingebrachten Gütern aus dem Kloster zu ziehen. 80 Die weitere Durchsetzung der Reformation war kein geradliniger Prozess. Zwischendurch wurden sogar die beiden evangelischen Prediger Pfeiffer und Hisolidus aus der Stadt gewiesen, ein Hinweis auf tiefgreifende Konflikte innerhalb der Bürgerschaft. 81 Aber die Verkündigung des Evangeliums hatte bereits zu tiefe Wurzeln geschlagen; bald war Heinrich Pfeiffer in Mühlhausen zurück. Am Weihnachtsfest wurde er in tumultuarischer Form als Pfarrer der Vorstadtgemeinde St. Nikolaus installiert. Fast gleichzeitig entwand in der innerstädtischen Kilianikirche sein Gesinnungsgenosse Johann Koler dem altgläubigen Messzelebranten während des Gottesdienstes den Kelch und teilte die Kommunion in beiderlei Gestalt aus. Immer mehr Kirchen wurden dem Deutschen Orden nach und nach entrissen, und auch in den Ratsdörfern begann die Reformation in der Osterzeit 1524 Einzug zu halten. Unter dem Eindruck intensiver evangelischer Predigten kam es zu einem ersten Bildersturm. 82 Das war die Situation, als im August 1524 Thomas Müntzer nach seiner Flucht aus Allstedt in der thüringischen Reichsstadt eintraf. Dieser frühe Gefolgsmann Martin Luthers war inzwischen auf dem Weg, sich zu dessen stärkstem Antipoden zu entwickeln. Nach einem unsteten Wanderleben auf der Suche nach Brot und Erkenntnis war er seit dem Frühjahr 1523 Pfarrer an der Johanneskirche in Allstedt gewesen. 83 Durch die Neuordnung des Gottesdienstes, die konsequente Einführung einer deutschen Liturgie und das Singen muttersprachlicher Lieder machte er die kleine kursächsische Amtsstadt schnell zu einem Zentrum der Reformation. Ebenso schnell überwarf er sich jedoch mit dem altgläubigen Grafen Ernst von Mansfeld in der Nachbarschaft und machte 79 Ebd., S. 214. 80 Ebd., S. 222. 81 Günther, Die innerstädtische Bewegung, S. 93. 82 Müller, Mörder, S. 260. 83 Zu allen Aspekten seines Lebens jetzt Bräuer/ Vogler, Müntzer; vgl. immer noch Goertz, Müntzer. 180 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="181"?> sich auch bei der zunächst wohlmeinenden kursächsischen Obrigkeit verdächtig. In seiner berühmten Fürstenpredigt von Anfang Juli 1524 empfahl er sich dem späteren Kurfürsten Johann und seinem Sohn Johann Friedrich ziemlich unverblümt als neuer Prophet, der das Wort Gottes in der Seele verspüre und nicht allein dem Buchstaben des Evangeliums nachhänge - anders als Luther, der „ Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben “ 84 . Vor dem Hintergrund der festen Erwartung der nahenden Apokalypse rief der Allstedter Reformator die Fürsten auf, sich auf die richtige Seite der Auserwählten Gottes zu stellen und mit ihrem Schwert alle halsstarrigen Übeltäter zu vernichten: Denn „ ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen verhindert “ (Deut 13). 85 Widersetze sich aber die weltliche Obrigkeit diesem Auftrag, so würde ihr das Schwert genommen werden. Das waren nicht die Töne, die den Repräsentanten dieser Obrigkeit gefielen. Vor einer drohenden Untersuchung in Weimar wich Müntzer aus ‚ seiner ‘ Stadt und suchte in Mühlhausen einen neuen Wirkungskreis. Vergeblich hatte Martin Luther zuvor den Mühlhäuser Rat in einem gedruckten Sendbrief vor dem ‚ falschen Propheten ‘ gewarnt, dessen Wirken keine anderen Früchte als Mord, Aufruhr und Blutvergießen trüge. 86 Müntzer hatte dieser polemischen Breitseite in der Folge öffentlich kaum etwas entgegenzusetzen. Zwar kennen wir seine Antworten auf Luther, die beiden Schriften ‚ Ausgedrückte Entblößung ‘ und ‚ Hochverursachte Schutzrede ‘ ; letztere wandte sich schon im Titel gegen das „ geistlose sanftlebende Fleisch zu Wittenberg “ . Aber er sollte im Herbst 1524 mit dem Versuch scheitern, diese beiden Rechtfertigungen in Druck zu geben, weil der Nürnberger Rat die beiden Traktate noch in der Druckerei konfiszierte. 87 Umgekehrt gelang es Martin Luther jedoch nicht, mit seiner Invektive den Aufenthalt des Allstedters in Mühlhausen zu verhindern. Im Gegenteil, schnell nahm dieser dort eine herausragende öffentliche Position ein. Insgesamt blieb der in Mühlhausen geborene Heinrich Pfeiffer vor Ort weiterhin eine zentrale Gestalt; seine Rolle in den folgenden Ereignissen in der Reichsstadt ist wesentlich besser in den Quellen greifbar als diejenige des Neuankömmlings Müntzer. 88 Wie immer die Rollenverteilung zwischen beiden konkret aussah, nach der ältesten Mühlhäuser Chronik herrschte zwischen beiden jedenfalls bestes Einvernehmen. 84 TMGA 1, Nr. 6, S. 312 f. 85 Ebd., S. 317. 86 Fischer, Pamphlete, Nr. 2. 87 TMGA 1, Nr. 7 f. 88 Müller, Müntzers Werkzeug. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 181 <?page no="182"?> Müntzer habe sich zu Pfeiffer gesellt und so viel Anhang aus dem Volk um sich geschart, dass der Rat ihnen nicht wehren konnte. 89 Dass die beiden Prediger mit ihrem Anhang die städtische Politik keineswegs dominierten, zeigen die Vorgänge des sog. „ Septemberaufstands “ , dessen genaue Chronologie und Umstände allerdings unsicher sind. 90 Gleichsam als Vorspiel kam es am 18. September 1524 zu einem (erneuten) Bildersturm. 91 Der gut unterrichtete Amtmann Sittich von Berlepsch macht dafür direkt die Unterweisung des ‚ törichten Pfaffen von Allstedt ‘ an die Mühlhäuser Gemeinde verantwortlich. Müntzer habe verkündet, „… dass sie keiner Obrigkeit gehorsam, auch niemand Zinsen und Renten zu geben schuldig seien; und man solle alle geistlichen Stände verfolgen und austreiben. “ 92 Neben den Antiklerikalismus, den Müntzer seit seiner Zeit in Jüterbog (1519) entwickelt hatte, waren jetzt auch radikale politische und soziale Forderungen getreten. Der eigentliche Aufstand entzündete sich freilich am Tag darauf an der willkürlichen Verhaftung eines Kirchendieners durch den Bürgermeister Sebastian Rodemann, weil er sich von diesem während einer Feier im Wirtshaus persönlich beleidigt fühlte. Für die Bürgeropposition war das ein hochbedeutsamer symbolischer Akt obrigkeitlicher Willkür gegen einen privilegierten Bürger, mit dem der Bürgermeister gegen einen Artikel des Rezesses verstoßen hatte. Der drohenden Konfrontation entzogen sich Rodemann und sein Amtskollege Johann Wettich durch Flucht nach Langensalza; andere Ratsherren folgten ihrem Beispiel. Das städtische Banner, einen Torschlüssel und vor allem das Stadtsiegel nahmen sie kurzerhand mit und deponierten es später in Erfurt zu treuen Händen bei einem Domherrn. Offenkundig wollten sie damit dem verbleibenden Rat die Legitimität entziehen; immerhin gelang es ihnen, die Regierungskrise auf diesem Wege manifest zu machen und das Regiment, in den Worten Sittichs von Berlepsch als „ ganz irrig und wilde “ zu erweisen. Die Flucht der Bürgermeister setzte eine innerstädtische Polarisierung in Gang, bei der die „ Ratstreuen “ gegen die Anhänger von Pfeiffer und Müntzer standen; letztere rekrutierten sich vor allem aus der Leineweberinnung und aus mehreren Vorstadtgemeinden. 93 Müntzer wandte sich am 22. September über den Kopf der Ratsherren hinweg an die christliche Gemeinde von Mühlhausen und prangerte Missstände des alten Regiments an. Wahrscheinlich kurz darauf entstanden die „ Elf Artikel “ . Sie forderten im Kern die Einsetzung eines neuen, nicht zeitlich befristet amtierenden Rates, der sich am Wort Gottes, der 89 Jordan, Chronik Mühlhausen, S. 48. 90 Zentral Vogler, September 1524; Bräuer/ Vogler, Müntzer, S. 263 ff.; Tode, Stadt, S. 180 ff. 91 Müller, Mörder, S. 262 ff. 92 Gess, Akten 1, Nr. 738, S. 747 - 50, hier S. 749. 93 Müller, Mörder, S. 268. 182 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="183"?> Gerechtigkeit und dem Gemeinen Besten orientieren sollte und der angemessen zu alimentieren war, um aller Korruption vorzubeugen. 94 Von Heinrich Pfeiffer eigenhändig (ab-)geschrieben, waren die Artikel sicher inhaltlich von Müntzer inspiriert. Vielleicht waren auch die Ergebnisse der gemeinschaftlichen Beratung in das Dokument eingeflossen, an der nach dem Wortlaut der Artikel drei Vorstadtgemeinden, die innerstädtische Gemeinde St. Jakobi, die Leineweberzunft und viele Männer anderer Handwerke teilgenommen hatten. Versammelt hatte sich diese Gemeindeopposition am Felchtaer Tor; dort stand außerhalb der Stadtmauern die Kirche St. Nikolai, in der Pfeiffer tätig war. Gegenwind zur sich radikalisierenden Bürgeropposition kam zunächst - überraschend für das spätere Zentrum des Bauernkriegs in Thüringen - von den Bauern des Mühlhäuser Landgebiets: Nach einer Versammlung bei der nordöstlich vor der Stadt gelegenen Brückenmühle übermittelten sie der Gemeinde ihren Unwillen über deren Pläne für eine Regimentsveränderung. Offenbar waren die ratsuntertänigen Bauern - anders als die Untertanen des Deutschen Ordens und der Klöster - mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen zufrieden. 95 Auch im Rathaus blieb man nicht untätig. Nach einigen Tagen der Unsicherheit wurden zwei neue Bürgermeister gewählt und damit demonstrativ den Elf Artikeln eine Absage erteilt. Ein Brandanschlag auf das westlich von Mühlhausen gelegene Dorf Bollstedt heizte die Situation weiter an. Am Morgen des 26. September, einem Montag, drohte eine direkte gewaltsame Konfrontation: Der Rat ließ die Tore schließen und ausrufen, wer bei den Herren stehen wolle, solle zum Rathaus kommen. Außerdem wurden Bauern aus den Ratsdörfern zur Unterstützung herbeigerufen. Aber auch die Gegenseite ‚ derer zu St. Nikolai ‘ mobilisierte: Sie ließen ein Kruzifix durch die Stadt tragen und ausrufen, „ wer de bei dem wurt gots, bei den achteman, der gemein und Heinrichen Pfeiffer stehen wult, der solt mit seiner besten were vor das Felchtetor kome “ . 96 Die dort Versammelten suchten dann aber nicht die innerstädtische Auseinandersetzung, sondern zogen aufs Land hinaus. Die rund 200 Bewaffneten unter Führung der beiden radikalen Prediger Pfeiffer und Müntzer, denen ein rotes Kreuz und ein blankes Schwert als Zeichen des nahenden Gottesgerichts vorangetragen wurde, machten an der ca. sechs Kilometer von der Stadt entfernten Wallfahrtskapelle Eichen Halt und demolierten das dortige Kreuzigungstryptichon - der Sturm auf die Mallerbacher Kapelle bei Allstedt könnte hier als Vorbild fungiert haben. Auch der „ Ewige Bund “ , der wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit gestiftet wurde, 94 TMGA 2, Nr. 105, 1/ 2, S. 371 ff. 95 Vogler, September 1524, S. 206. 96 Jordan, Chronik Mühlhausen, S. 49 f.; ABGM 2, S. 714 Anm. 3. 7.3 Städtische Unruhen und Reformation 183 <?page no="184"?> könnte als Reminiszenz an den alten Allstedter Schutzbund gedeutet werden; anknüpfen konnte dieser Bund aber ebenso an ein Mühlhäuser Vorbild, den Schutzbund für Pfeiffer vom Frühjahr 1523. Im Mitgliederverzeichnis des „ Ewigen Bundes “ sind 219 Namen verzeichnet - überwiegend Zunfthandwerker mit Bürgerrecht aus Mühlhausen und seinen Vorstädten, keine Bauern. Außerdem trug das Schutzbündnis ein eindeutig militärisches Gepräge, denn eingangs werden elf militärische Ämter aufgeführt, vom Hauptmann über Fähnrich und Weibel bis zum Schreiber und zum Kaplan - ein Amt, das Heinrich Pfeiffer innehatte. Müntzers Name taucht hier nicht auf. 97 Einen unmittelbaren Effekt zeitigte der „ Ewige Bund “ nicht. Nach einer Nacht in Eichen außerhalb der Stadt kehrten die Ausgezogenen zurück und verhandelten am Stadttor mit dem Rat über einen Wiedereinzug. Dessen Machtposition hatte sich unterdessen konsolidiert. Nun leisteten auf dem Kornmarkt auch viele derjenigen Bürger den Gehorsamseid, die bislang noch gezögert hatten. Am gleichen Tag wurde eine Umfrage in den Stadtvierteln über das weitere Schicksal der beiden radikalen Prediger durchgeführt. Das Ergebnis scheint eindeutig gewesen zu sein: Die beiden mussten die Stadt räumen. Offenbar hoffte der Rat, dass nach dem Abzug der radikalen Wortführer der Opposition ein friedlicher Ausgleich zwischen den Parteien möglich würde. Folgerichtig wurde ein innerstädtischer Friede ausgerufen und ein Verbot, sich gegenseitig mit Worten zu beleidigen. 98 Heinrich Pfeiffer und Thomas Müntzer blieben wahrscheinlich noch einige Tage in Mühlhausen; spätestens Anfang Oktober aber mussten sie sich auf den Weg machen. 99 Die Stadt Mühlhausen erlebte indes nur eine kurze Atempause, bevor sie nicht nur erneut - und stärker als zuvor - von der reformatorischen Bewegung ergriffen wurde, sondern im Frühjahr 1525 auch zum überregional ausstrahlenden Aufstandszentrum wurde. Insgesamt zeigen die Vorgänge in Mühlhausen sehr gut das Gewicht traditioneller Mechanismen städtischer Politik, wie sie auch und gerade in Konfliktsituationen immer wieder in Erscheinung traten. Dem Rat gelang es nach der Flucht der beiden Bürgermeister im Herbst 1524, seine Herrschaft zu konsolidieren und die Bürgergemeinde bzw. die Stadtviertel mehrheitlich auf seine Seite zu bringen. Was die Gemüter erhitzte, waren zu einem großen Teil Probleme und Forderungen, die auch andernorts virulent waren, insbesondere die Themen Korruption und Machtmissbrauch, gegen die die Gemeinde ihre Partizipationsforderungen setzte. Unübersehbar brachten die radikalen Predi- 97 Bräuer/ Vogler, Müntzer, S. 272 ff. 98 Jordan, Chronik Mühlhausen, S. 50. 99 Vogler, September 1524, S. 209 f. 184 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="185"?> ger allerdings neue Elemente ein, die in der traditionellen Stadtverfassung kein Pedant hatten. Das war zum einen der „ Ewige Bund “ als eine voluntaristische Gemeinschaft auf der Basis des Evangeliums, der quer zu den herkömmlichen Vertretungsorganen der Gemeinde stand. Und das war zum anderen und vor allem die Forderung nach einem Ewigen Rat, der das städtische Prinzip der Herrschaft auf Zeit entschieden in Frage stellte. Im nächsten Frühjahr sollte es für eine kurze Zeit verwirklicht werden. 100 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land Die Reichsstadt Mühlhausen mit ihren zahlreichen Ratsdörfern ist ein gutes Beispiel für die enge Verklammerung von städtischer und ländlicher Reformation. In diesem wie in anderen, ähnlich gelagerten Fällen (etwa Rothenburg ob der Tauber) ist erkennbar, dass starke Impulse von der Stadt auf das platte Land ausstrahlten. 101 Das sollte nicht zu dem Fehlschluss verleiten, das reformatorische Geschehen auf dem Land sei vor allem von der Stadt aus bestimmt wurde. Allerdings lässt der Forschungsstand hier einiges zu wünschen übrig. 102 Immer noch wird das Bild sehr weitgehend vom Bild der Gemeindereformation bestimmt, das Peter Blickle bereits vor einigen Jahrzehnten entworfen hat und das durch die Fallstudien aus seinem Umfeld, vornehmlich zum oberdeutschen Raum, untersetzt wurde. 103 In jüngster Zeit hat die umfassende Arbeit von Martin Sladeczek über die die Entwicklung kirchlichen Lebens und bäuerlicher Frömmigkeit in Thüringen zwischen 1470 und 1570, basierend auf einem umfassenden Quellencorpus von Visitationsakten, Kirchenrechnungen, Supplikationen und materiellen Überresten, dieses Bild bereichert und differenziert. 104 Deutlich tritt hier die soziale Differenzierung in den Dörfern hervor, wo sich z. B. die Alterleute als Verwalter der Kirchenfabrik vornehmlich aus den reichen Familien rekrutierten. 105 Welche Schlüsse daraus in Hinblick auf Reichweite und Ausgestaltung des Konzeptes „ Gemeindereformation “ zu ziehen wären, scheint derzeit noch offen. 100 Vgl. Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 334 ff. 101 Ebd., S. 195 ff. 102 Vgl. das Plädoyer von Volkmar, Die Reformation der Junker, S. 303 für einen „ rural turn “ in der Reformationsforschung. 103 Blickle, Gemeindereformation, S. 24 ff.; Blickle, Die Reformation, S. 111 ff. Vgl. zu den Fallstudien, aber auch zur Kritik am Konzept Mörke, Reformation, S. 100 ff. 104 Sladeczek, Vorreformation; vgl. Häberlein, Nachlese, S. 73 ff. 105 Ebd., S. 58 f. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 185 <?page no="186"?> Ob in Ober- oder Niederdeutschland, die evangelische Bewegung auf dem Dorf wurde gerahmt durch eine traditionelle politisch-religiöse Kultur, die zwar anders aussehen mochte als diejenige in der Stadt, die die Bauern aber keineswegs auf den Status bloß passiver Untertanen reduzierte. Vielmehr besaßen, wie wir gesehen haben, die dörflichen Gemeinden eine gewisse Autonomie hinsichtlich ihrer Verwaltung und Rechtsprechung. Dabei orientierte sich das kommunale Leben an praktischen Gesichtspunkten für ein gedeihliches tägliches Miteinander, an nachbarschaftlicher Kooperation und friedlichem Ausgleich, mithin an Normen, die sich damals im Leitwert des ‚ Gemeinnutzes ‘ verdichteten. 106 An diesem bonum commune orientierten sich die ländlichen Gemeinden auch bei ihren theologischen Vorstellungen. Häufig hatten sie bereits im Spätmittelalter die Erfahrung gemacht, dass die vom Patronatsherrn eingesetzten Pfarrer ihre spirituellen Bedürfnisse nicht erfüllten. Gut dokumentiert sind Beschwerden von elsässischen Gemeinden darüber, dass ihre Pfarrer das Lesen der Messe versäumten oder sie aufgrund weiter Wege nicht mit der Kommunion versorgten. Orte ohne eigene Pfarrrechte strebten nicht selten nach der Unabhängigkeit von der Mutterpfarrei, um eine bessere spirituelle Versorgung zu erreichen. So hatte das Dorf Wanzenau, nördlich von Straßburg gelegen, Mitte des 15. Jahrhunderts lange um eigene pfarrherrliche Rechte gekämpft, bevor es dieses Ziel 1469 schließlich erreichte. Zuvor hatte es zur Pfarrei Honau auf der anderen Rheinseite gehört. Die Aussagen der Dorfbewohner machen deutlich, „ wie bedrückend sie es empfanden, dass die Alten manchmal wegen des schwierigen Transportwegs über den Rhein ohne Empfang der Sterbesakramente in den Tod gingen, dass Säuglinge ohne Taufe starben und dass man oftmals nur unter Lebensgefahr zur heiligen Messe gelangen konnte “ . 107 Vor diesem Hintergrund dürfte es für viele Mitglieder der Kirchgemeinde attraktiv erschienen sein, gemeinschaftlich das Patronatsrecht ausüben und den Pfarrer wählen (und ggf. absetzen) zu können. Diese Option konnte bereits vor der Reformation Realität werden, allerdings nur für wenige Dörfer wie Ehringen in der Nähe von Nördlingen, wo „ eine Gemeinde Macht hat einen Pfarrer zu wählen “ ; wenn dieser ihr nicht mehr gefalle, konnte sie ihn mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten entlassen. 108 Immerhin konnten die reformatorischen Diskussionen um das 106 Blickle, Der Gemeine Nutzen. Natürlich sollte man sich hüten, vor dem Hintergrund dieses Leitwertes die bäuerliche Lebenswelt allzusehr zu idealisieren. Aber das Spannungsfeld zwischen Norm und Wirklichkeit bzw. die sich durchaus auch aus diesem Leitwert ergebenen sozialen Zwänge (vgl. Schwerhoff, The Dark Side) müssen hier auf sich beruhen. 107 Conrad, Reformation, S. 24. 108 Blickle, Gemeindereformation, S. 181. 186 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="187"?> Priestertum aller Gläubigen an derartige Vorbilder anknüpfen, und das galt auch für die spätere Forderung nach freier Pfarrerwahl in den Zwölf Artikeln. Als markantes Zeugnis dafür, welche Rolle dem Pfarrer in den Augen seiner dörflichen Gemeinde zukam, gilt eine Flugschrift aus dem Herbst 1524. 109 Dorfmeister und Gemeinde zu Wendelstein bei Schwabach wenden sich in ihrer ‚ Vorhaltung ‘ an die Vertreter des markgräflich-ansbachischen Kirchenpatrons und an ihren neuen Geistlichen, die sie mit „ liebe Brüder “ anreden und damit gleich klarstellen, dass sie mit den Autoritäten gleichsam auf Augenhöhe zu verhandeln gedenken. Insgesamt atmet ihr Text den Geist der evangelischen Bewegung. Der Pfarrer sei auf Befehl des Markgrafen, aber „ von uns unberuft “ erschienen, so konstatieren die Gemeindevertreter. Wenn sie ihn schon nicht bestellt haben, so wollen sie doch unmissverständlich klarmachen, was nach ihrer Auffassung seine Aufgabe ist: „ Erstens werden wir dich für kain Herren, sunder allain für ein Knecht und Diener der Gemaind erkennen, das du nit uns, sunder wir dir zu gebieten haben, und bevelhen dir demnach, das du uns das Evangelion und Wort Gottes lauter und klar nach der Warheit (mit Menschenlere unverhenkt und unbefleckt) treulich vorsagest. “ Ähnlich entschieden diktiert die Gemeinde ihrem neuen Pfarrer andere Aufgaben ins Pflichtenheft, vor allem was die Austeilung der Sakramente betrifft oder das Verbot, sich der geistlichen Gerichtsbarkeit zu bedienen. Auch hinsichtlich der Alimentierung des Geistlichen gibt es klare Ansagen: Aller Zinsen, Hölzer, Wiesen und Äcker, deren der Pfarrer zu seiner „ Leibs Notturft “ bedürfe, könne er sich gerne weiter bedienen, aber unbillige Abgaben, mit denen die „ Scheflein Christi “ geschunden würden, lehne die Gemeinde ab. Explizit verworfen werden z. B. Stolgebühren, also Vergütungen, die ein Priester für die Taufen, Trauungen und Begräbnisse einforderte, denn das Neue Testament (Mt 10,8) berichte davon, „ das es der Herr umbsunst gibt “ . Der Pfarrer habe, so schließt der Text, zugestimmt, die gestellten Forderungen „ als ein getreuer Diener christlicher Gemain “ so gut wie möglich zu erfüllen. Diese „ dörfliche Wahlkapitulation “ 110 gehört unmittelbar hinein in die Vorgeschichte des Bauernkriegs und markiert sicherlich bereits einen Radikalisierungsschritt. Aber sie baut doch auf einer längeren spätmittelalterlichen Tradition auf. Spirituelle Bedürfnisse besaßen, so zeigt das Dokument aus Wendelstein, auch und gerade auf dem Land eine sehr konkrete materielle Dimension. Zum 109 Seebaß/ Wolgast, Kirchenordnungen Bd. 11.1, S. 77 ff.; verkürzt bei Franz, Quellen Nr. 97, S. 315 - 317; vgl. http: / / gateway-bayern.de/ VD16+W+ 1904. 110 Blickle, Gemeindereformation, S. 28. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 187 <?page no="188"?> markantesten Kristallisationspunkt wurde regelmäßig der Kirchenzehnt. 111 Nach biblischem Vorbild hatte die frühmittelalterliche Kirche von den Gläubigen verlangt, den zehnten Teil ihrer landwirtschaftlichen Produkte abzugeben, um damit den Klerus und die Pfarre zu unterhalten bzw. die Armen zu versorgen. Jenseits dessen aber hatten mehr und mehr auch die Angehörigen der hohen Geistlichkeit und die Klöster vom Zehnt profitiert. Zudem konnte diese Abgabe auch verpfändet werden und somit in weltliche Hände gelangen. So wurde sie immer mehr zu einer materiellen Leistung unter vielen anderen, zu der die Dorfbewohner verpflichtet waren und unter der sie mal weniger, mal mehr litten, zumal wenn diese Abgabe stetig ausgeweitet wurde. 112 Vor allem aber war bei den Bauern der ursprüngliche Zweck der Abgabe, die Versorgung des Pfarrers, nie in Vergessenheit geraten und konnte in der Reformationszeit aktualisiert und radikalisiert werden. Schon 1447 hatte die Gemeinde Ruprechtsau dem Patronatsherrn, dem Straßburger St. Stefansstift, den Zehnten verweigert, weil die Seelsorge in der Gemeinde vernachlässigt werde. 113 Auch in Ostthüringen wurde bereits im Mittelalter der Zehnt als Gegenleistung für spirituelle Versorgung verstanden und deshalb fallweise verweigert. Vermehrt war das dann seit 1522 der Fall. Dass den Vertretern der Kirche ein solches Verständnis keineswegs fremd war, zeigt umgekehrt die Weigerung des Vikars Konrad Glizsch, die Gemeinde Beutelsdorf südlich von Orlamünde seelsorgerisch zu betreuen, solange diese ihm nicht den Getreidezehnten leiste. 114 Nicht zufällig wurden mithin Zehntverweigerungen in verschiedenen Regionen des Reiches gleichzeitig zu einem zentralen Thema. Für Martin Luther stellte sich damit ein Problem, denn Zehntverweigerung war Ungehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit, mithin der erste Schritt hin zum Aufruhr. Dagegen hatte er jedoch bereits früh, im Januar 1522, in seiner Schrift ‚ Eine treue Vermahnung Martini Luther zu allen Christen, sich zu verhüten vor Aufruhr und Empörung ‘ Stellung bezogen. 115 „ Welche meine Lehre recht lesen und verstehen, die machen nicht Aufruhr. Sie habens nicht von mir gelernt. Das aber etliche solches tun und sich unseres Namens rühmen, was können wir dazu? Wie viel tun die Papisten unter dem Namen Christi, das nicht allein Christus verboten hat, sondern auch Christum verstöret? “ 116 111 Art. „ Zehnt “ (W.Troßbach), in EdN; Zimmermann, Zehntfrage, S. 20 ff. 112 Blickle, Gemeindereformation, S. 60 f. 113 Conrad, Reformation, S. 24. 114 Joestel, Ostthüringen, S. 66, insgesamt S. 62 ff. 115 Brecht, Luther 2, S. 38 ff.; Schilling, Luther, S. 279 f. 116 Luther, Werke WA 8, S. 670 - 687, hier S. 681; dazu Spehr, Obrigkeitspredigten. 188 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="189"?> Allein das Wort Gottes, Lehre und pastoraler Unterricht, werde die evangelische Wahrheit zum Sieg führen, so Luthers Maxime. Aufruhr gehe stets mit dem Vergießen unschuldigen Blutes und großen Schäden einher. Darum habe Gott nach dem Pauluswort (Röm 13) der Obrigkeit das Schwert verliehen, um Empörung zu verhüten. Und „ darum ist auch kein Aufruhr recht, wie rechte (Ur-)Sache er auch immer haben mag “ . Folgerichtig positioniert sich der Reformator schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt sehr eindeutig: „ Ich halte und werde allezeit halten mit dem Teil, der Aufruhr erleidet, wie unrechte Sache er immer habe, und wider sein dem Teil, der Aufruhr macht, wie rechte Sache er immer habe. “ 117 7.4.1 Von Forchheim nach Nürnberg Der reformatorische Umbruch auf dem Land musste sich keineswegs immer in spektakulärer Form vollziehen. Sladeczek hat für Thüringen einen deutlichen Umbruch des religiösen Lebens auf dem Land festgestellt: Das Stiftungs-, Wallfahrts- und Prozessionswesen kam weitgehend zum Erliegen, die geistlichen Gerichte wurden kaum noch angerufen. Damit verbunden war eine Welle von Zinsverweigerungen gegenüber geistlichen Einrichtungen, eine allerdings seit Generationen bekannte und angewandte Waffe, um Unzufriedenheit gegenüber der Geistlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Jenseits einer Zunahme von „ Pfaffenstürmen “ spielte „ laute “ reformatorische Handlungen auf den Dörfern allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Insgesamt habe es sich weniger um einen revolutionären Umbruch denn um einen „ fließenden “ Prozess gehandelt. 118 Das war nicht überall so. Welche Sprengkraft die Verkündung des Evangeliums in Verbindung mit der Zehntfrage und anderen sozialen Beschwerden entfalten konnte, zeigen die Unruhen, die im Frühling 1524 in Franken ausbrachen; sie werden gemeinhin als eine Art Wetterleuchten des Bauernkriegs aufgefasst, ohne dass sie mit den fast gleichzeitig entstehenden Protesten im Südwesten des Reiches erkennbar in Verbindung standen. Epizentrum bildete die kleine Ackerbürgerstadt Forchheim, eine ehemalige Königspfalz, die zum Hochstift Bamberg gehörte und ungefähr 2500 Einwohner zählte. 119 Seit Anfang des Jahres hatte dort der Prädikant Jörg Kreutzer das Wort Gottes im evangelischen Sinne verkündet. Offenbar heizte er kräftig die Stimmung 117 Luther, Werke WA 8, S. 680. 118 Sladeczek, Vorreformation, S. 247 ff. zur frühen Reformation, bündig S. 306, Zitat S. 308 und S. 544. 119 Vgl. Gückel, Forchheim, S. 20 ff.; Stolze, Der Deutsche Bauernkrieg, S. 161 ff.; Franz, Bauernkrieg, S. 152 ff.; Vogler Nürnberg 1524/ 25, S. 85 ff. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 189 <?page no="190"?> gegen den Klerus und seine Privilegien an; insbesondere der Kirchenzehnte stand in der Kritik, den die Forchheimer teils dem Bischof, teils dem Bamberger Domkapitel zu entrichten hatten. Zu Pfingsten fischten einige Einwohner im Teich des Domprobstes. Die Domherren antworteten mit einem Mandat, das vor heimlichen Unterredungen, Einungen und „ Bündnissen “ warnte, das Wildern und Fischen verbot sowie alle ermahnte, Zehnten und Abgaben nach altem Brauch ungeschmälert zu entrichten. 120 Als Reaktion auf die Bekanntmachung des Mandates durch den Schultheißen läuteten am Fronleichnamstag die Sturmglocken. Eine große Menge besetzte das Rathaus und zerstörte alte Dokumente. Der Rat wurden abgesetzt, der vom Bischof eingesetzte Schultheiß suchte das Weite. Gleichzeitig waren die Bauern der Umgegend auf den Beinen. Wohl noch in der Nacht zog ein Bauernhaufen, angeblich 500 Mann stark, mit zwei Fahnen in die Stadt. Die Menschen in der Stadt und in der ganzen Region seien gänzlich in Unruhe und Aufruhr, berichtete ein Amtmann. Die gemeinsamen Interessen von Bürgern und Bauern fanden ihren Ausdruck in fünf Artikeln, die die Aufständischen den Abgesandten des Bamberger Bischofs Weigand von Redwitz wenig später präsentierten. 121 Den Zehnt wollten die Forchheimer künftig nur in sehr geminderten Umfang (die 30. Garbe vom Getreide) entrichten, und zwar lediglich dem Bischof und nicht mehr dem Domkapitel; ähnlich sollte mit der Weihesteuer verfahren werden. Die Häuser der Geistlichen und die ‚ Freihäuser ‘ der Adligen, die bislang weitgehend befreit gewesen seien, sollten künftig besteuert werden. Außerdem sollten auch Geistliche ihre Rechtskonflikte um Zins und Schulden vor weltlichen Richtern austragen müssen, um gleichsam rechtliche Waffengleichheit mit den Laien zu erhalten. Noch vor der Zehntfrage bildete die Frage von Jagd, Fischfang und Wildnutzung ein zentrales Anliegen der Protestierer, ähnlich wie es etwa gleichzeitig im eichstättischen Dollnstein der Fall war, wo ein ‚ Jagdfrevel ‘ weitreichende Unruhen auslöste. 122 Alle Wasser, Vögel und Tiere, so hieß es in den Artikeln, sollten „ frei und gemein “ sein, womit sie nicht mehr Gegenstand ständischer Privilegierung wären. So plötzlich, wie der Aufstand in Forchheim ausgebrochen war, so schnell ging er dort zu Ende. Statt zu verhandeln, besetzte Bischof Weigand mit 200 Söldnern die Stadt. Über die Bestrafung der Aufständischen ist nichts Sicheres bekannt; überliefert ist lediglich, dass der Prediger Kreutzer über ein Jahr in Haft gehalten wurde. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit: Was aus der Nahperspektive als ein zeitlich wie räumlich begrenztes Geschehen im Süden 120 Vogler, Nürnberg 1524/ 25, S. 86. 121 Franz, Aktenband Nr. 164, S. 339; Scott/ Scribner, S. 81. 122 Seger, Eichstätt, S. 164 ff. 190 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="191"?> des Bamberger Territoriums erscheint, stellt sich aus der gut dokumentierten Sicht der Nürnberger Nachbarschaft anders dar, nämlich als Teil einer viel größeren Welle von Zehntverweigerungen, in die neben bambergischen und nürnbergischen Untertanen auch solche des Markgrafen von Ansbach involviert waren. 123 Scharf hatte sich der Nürnberger Rat bereits in einem Mandat vom 20. Mai gegen Verabredungen unter den ländlichen Untertanen gewandt, künftig den Zehnten und andere Abgaben zu verweigern. Besonders kritisiert wird die Tatsache, dass diese Weigerungen - fälschlicherweise, so der Rat - mit dem Evangelium begründet würden. 124 Der Aufruhr im Bamberger Gebiet ließ den Protest im Nachbarterritorium dann weiter erstarken. Am 29. Mai gab es zu Gründlach im Knoblauchsland, zwischen Nürnberg und Forchheim gelegen, eine erste Bauernversammlung. Bei einer zweiten Versammlung in Poppenreuth wenige Tage später wurden Beschwerdeartikel beraten und elf Delegierte gewählt. Angeblich waren an diesem „ Bündnis “ 66 Dörfer beteiligt. Überdies sollen „ etliche hundert “ Bürger und Handwerker aus der Reichsstadt zur Versammlung gestoßen sein. 125 Der Nürnberger Magistrat war alarmiert, umso mehr, als die elf Bauernvertreter aus dem einige Kilometer nordwestlich gelegenen Dorf bald in Nürnberg zusammenkamen und sich beim ‚ Bauernwirt ‘ in der Nähe von St. Jakob berieten. Sie wurden von den Ratsherren vorgeladen und befragt, kamen allerdings bewaffnet und begleitet von einer unruhigen Menge, unter der - wahrscheinlich nicht zu Unrecht - das Gerücht kursierte, die Bauern sollten verhaftet werden. Drohungen wurden ausgestoßen, nach denen die Bauern befreit und an ihrer statt die Ratsherren gefangen gesetzt werden sollten. Verhaftungen unterblieben, stattdessen ergriffen die Stadtoberen umfangreiche Sicherungsmaßnahmen. Dazu gehörte neben der Stärkung des militärischen Aufgebotes auch die politische Mobilisierung. Vor den Genannten des Großen Rates, einem Gremium von mehreren Hundert Nürnberger Honoratioren, das zur Legitimierung und Unterstützung wichtiger Beschlüsse diente, kritisierte der Erste Losunger (Bürgermeister) Hieronymus Ebner das „ ungeschickte Vorhaben der gemeinen Bauernschaft “ ebenso wie diejenigen Bürger und Einwohner, „ die dem Vorhaben der Bauern anhängig “ seien; in den Kirchen und auf den Plätzen der Stadt würden Schmähzettel verteilt, um „ Aufruhr, Widerwärtigkeit und Unwillen bei dem gemeinen Mann wider einen Rat als die Obrigkeit zu erwecken “ . 126 Wenige Tage später wiederholte sich die Szenerie in 123 Vgl. Buck, Opposition; detailliert Vogler, Nürnberg 1524/ 25, S. 88 ff. 124 Kamann, Nürnberg im Bauernkrieg, Beilage Nr. 1, S. 40 f. 125 Vogler, Nürnberg 1524/ 25, S. 94. 126 Ebd., S. 101 f. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 191 <?page no="192"?> größerem Maßstab vor dem Auditorium der gesamten Bürgerschaft. Eine hohe Belohnung wurde für Denunzianten ausgelobt, die Schmähredner oder Aufrührer namhaft machen könnten. Zu dieser harten Linie passt, dass einige nach Nürnberg geflohene Forchheimer Aufrührer verhaftet und hingerichtet wurden. 127 Nürnberg ist ein weiteres Beispiel dafür, wie eng die Zehntfrage mit der evangelischen Bewegung verknüpft war, die dort damals mehr und mehr an Boden gewann. Im Rat gab es wachsende Sympathien für Luther, und die fränkische Reichsstadt sollte die erste sein, die 1525 - im Jahr des Bauernkriegs! - die Reformation offiziell einführte. Dabei sah die patrizisch dominierte Nürnberger Obrigkeit klar und deutlich den sozialen Sprengstoff, den die Bewegung barg, und sie versuchte ihn konsequent einzuhegen. Den angeblichen ‚ Bauern ‘ Diepold Peringer (tatsächlich war er hochgelehrt), der seit Anfang 1524 in der Nürnberger Handwerkervorstadt Wöhrd gegen die Heiligen- und Bilderverehrung predigte, vertrieb er bald aus seinem Herrschaftsgebiet. 128 Besonders beunruhigend musste es aus Sicht des Rates erscheinen, wenn sich die Solidarisierung einiger Nürnberger Einwohner mit ländlichen Zehntverweigerern mit Protesten gegen das städtische Ungeld verknüpfte, eine Verbrauchssteuer auf Wein und Bier, die den gemeinen Mann besonders hart traf. Auf der Suche nach den Urhebern des Steuerprotestes stieß der Rat auf einige Männer, denen direkte Kontakte zu den Aufrührern auf dem Land nachgesagt wurden. Unter der Folter erpresste man von ihnen entsprechende Geständnisse. So gestand Ulrich Aberhan, er habe geäußert, wenn sich Bürger und Bauern zusammentäten, könnte man ihnen „ nichts Ungleiches “ tun und die Abschaffung des Ungeldes erreichen. Hans von Nürnberg soll gesagt haben, man müsse die Herren mit dem Geld fangen und töten: „… und wenn es dazu komme, so wollt er die Reichen auch helfen zu Tod schlagen. “ 129 Beide Männer verloren unter dem Schwert des Scharfrichters ihren Kopf. Bereits 1524 beschränkte sich der Nürnberger Rat aber keineswegs auf pure Repression, sondern verfolgte jene moderierende Linie, die er auch später in den Bauernkriegsmonaten beibehalten und mit der er im Großen und Ganzen auch erfolgreich sein sollte. Um den Protest zu kanalisieren, ermahnte er z. B. die Bauern zu förmlichen Beschwerdeschriften. Als die Bauerngemeinden um Zehntnachlass supplizierten, erklärte er allerdings, es stehe nicht in seiner Macht, diese alte und gesicherte Gewohnheit einfach in Frage zu stellen. 127 Ebd., S. 89 f. 128 Ebd., S. 135 ff.; Arnold, Vorgeschichte, S. 14 f.; vgl. zu seiner Charakterisierung Hamm, Lazarus Spengler, S. 141 ff. 129 Vogler, Nürnberg 1524/ 25, S. 114. 192 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="193"?> Insgesamt zeigte sich bei den kirchlichen und weltlichen Gelehrten der Stadt eine ambivalente Haltung. Nicht nur auf dem Land hatten einige Prädikanten gegen den Zehnten gepredigt; auch in Nürnberg durften sich die Protestierer von Predigern wie Andreas Osiander zu St. Lorenz ermutigt fühlen. 130 Und auch einige der Rechtskonsulenten des Rates fühlten sich unwohl angesichts der ungerechten Belastung, die der Zehnt für die Bauern darstellte. Aber für dessen Einschränkung oder gar völlige Aufhebung plädierte keiner von ihnen. Selbst der konziliante Johannes Hepstein konzedierte in einem Gutachten zwar, es gebe mehr als genug Ursachen für bäuerliche Beschwerden. Von einem Zehnterlass aber riet er ab, denn dieser könnte für Protestierer Anlass sein, „ sich auch andere Verpflichtungen wie Zins, Gült und weiterer Leistungen zu entledigen. “ 131 So sollte es bald in vielen Teilen des Reiches geschehen. 7.4.2 Zehntproteste im Zürcher Landgebiet Von bäuerlichen Beschwerden im Zeichen der Reformation wurde nicht nur die Reichsstadt Nürnberg herausgefordert, sondern auch die eidgenössische Stadtrepublik Zürich, in der sich unter Führung von Ulrich Zwingli eine ganz eigene Spielart der evangelischen Bewegung jenseits des Luthertums entwickelt hatte. Inhaltlich unterschieden sich Zwinglis theologische Auffassungen in einigen bedeutenden Punkten von denen Martin Luthers. Später sollte vor allem das Abendmahlsverständnis eine Verständigung beider Männer unmöglich machen. Für die Frühphase der Reformation sticht eher die Differenz in der Bilderfrage heraus. Luther rechnete die Bilder zu den theologisch per se eher neutralen Gegenständen ( „ Adiaphora “ ) und schloss die Möglichkeit eines legitimen Bildergebrauchs nicht aus; er opponierte damit nicht grundsätzlich gegen die altkirchliche Auffassung, dass Bilder zur Unterweisung der Laien nützlich sein können. Ulrich Zwingli betonte dagegen bereits Mitte 1523 die Gefahren des Bilderkultes, der den einfachen Mann dazu verführen könne, die Bildgötzen selbst anzubeten. Erstmals rief er zum Bildersturm auf, indem er einen unerschrockenen Mann herbeiwünschte, der - wie einst der Prophet Elias den Baalskult (1 Könige 18) - die Götzen vor den Augen der Gläubigen vernichtete. 132 Zwingli ahnte damals noch nicht, dass die Dynamik eines rituellen Bildersturms zu einer Radikalisierung führen konnte, die schnell über das von ihm selbst gewünschte und tolerierte Maß hinausgehen würde. 130 Buck, Opposition, S. 15. 131 Vogler, Nürnberg 1524/ 25, S. 120. 132 Dupeux, Bildersturm S. 298; vgl. insgesamt Schwerhoff, Bildersturm und Blasphemie. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 193 <?page no="194"?> Auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht unterschied sich der Zürcher Reformator deutlich von der Wittenberger Linie. Luther sah eine fundamentale Differenz zwischen weltlichem Gesetz und göttlichem Evangelium. Nach seiner Auffassung handelte es sich bei der christlichen Freiheit um eine rein spirituellgeistige Angelegenheit, die die weitgehende Unterwerfung unter die diesseitige Obrigkeit keineswegs in Frage stellte. Für Zwingli dagegen sollte die weltliche Ordnung in möglichst großer Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen stehen bzw. möglichst aktiv nach seinem Wort gestaltet werden. Er postulierte einerseits die Verpflichtung der christlichen Obrigkeit zur Erziehung ihrer Untertanen in diesem Sinne, räumte den Untergebenen aber auf der anderen Seite auch ein Widerstandsrecht ein, falls die Herrschenden ihren christlichen Maximen nicht gerecht würden. In einer Stadtrepublik wie Zürich, die bereits vor der Reformation deutliche Tendenzen einer aktiven Sitten- und Moralpolitik zeigte, fand Zwingli ein kongeniales Wirkungsfeld. 133 Als Abkömmling der bäuerlichen Oberschicht in der Landschaft Toggenburg, die zur Fürstabtei St. Gallen gehörte, pflegte Zwingli zugleich auch intensiven Umgang mit den Bauern. Seine Lehren fanden auf dem Land lebhaften Widerhall, und umgekehrt schätzte er den bäuerlichen Eifer für das Evangelium sehr. Kuh- und Gänsehirten, so stellte er im Dezember 1524 fest, seien gelehrter als ihre Theologen; ein jedes Bauernhaus sei eine Schule, wo man das Alte und Neue Testament lese. 134 Seine scharfe Kritik an der Geistlichkeit verband er zu Beginn seiner Reformationstätigkeit mit einer grundsätzlichen Infragestellung des Zehnten, dessen Ableistung er nicht durch das göttliche Recht gedeckt sah - eine Auffassung, die er allerdings lediglich im kleinen Kreis und in lateinischer Sprache äußerte, wie er selbst betonte. 135 Offenbar war er sich der Sprengkraft derartiger Behauptungen bewusst. Diese Sprengkraft wurde spätestens ab dem Herbst 1522 offenkundig, als im Zürcher Umland eine Kette von Zehntverweigerungen begann. Ausgelöst wurde sie durch die Predigten des Zwingli- Anhängers und späteren Täufers Simon Stumpff in Höngg nahe der Stadt; man sei keinen Zehnten schuldig, so hatte er postuliert. Mit einer gewissen Logik führte der Weg von der Grundsatzkritik am Zustand der Geistlichkeit hin zur Infragestellung jenes Zehnten, der - jedenfalls nach dem Verständnis der Landbevölkerung bereits weit vor der Reformation - einzig und allein dazu dienen sollte, die Seelsorger zu ernähren. Deutlich wurde das auch in der 133 Mörke, Reformation, S. 16 f.; Kamber, Reformation, S55 ff. 134 Zwingli, Wer Ursache gebe, S. 463: „ Die Christen fragend iren gesalbeten pfaffen nüts me nach, und sind kue- und genshirten yetz gelerter denn ire theologi. Und ist eins yeden puren huß ein schuol, darinn man nüws und alts testament, die höchsten kunst, läsen kan. “ Vgl. für das Folgende Kamber, Reformation, S. 77 ff. 135 Kamber, Reformation, S. 94. 194 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="195"?> Landgemeinde Witikon, die dem Großmünsterstift zugehörte, an dem Zwingli als Pfarrer wirkte. Gegen den Willen des Stifts gelang der dortigen Gemeinde um die Jahreswende 1522/ 23 die Einstellung des evangelisch gesinnten Wilhelm Reublin als Priester. Der Zürcher Rat approbierte diese Eigenmächtigkeit drei Monate später nicht nur, sondern er benutzte die Kritik der Gemeinde am zweckentfremdeten Gebrauch, den die Chorherren von ‚ ihrem ‘ Zehnten machten, sogar als Hebel für eine umfassende Reform des Großmünsterstifts in städtischer Regie. Auf der anderen Seite musste die Obrigkeit mit wachsendem Unbehagen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welle von Zehntverweigerungen, die im Sommer 1523 durch das bäuerliche Umland schwappte und von radikalen Predigern wie Reublin befördert wurde, mit sozialkritischen und aufrührerischen Reden paarte. So wurde ein gewisser Hans Klinger erst durch Gefängnis und Geldbußen dazu genötigt, dem Probst des Stiftes Embach den von alters her zustehenden Zehnten zu geben. Im Verhör erzählte er, die Prediger hätten verkündet, man sei verpflichtet, den Armen Almosen zu geben, nicht aber Abgaben an diejenigen zu entrichten, die ihre Säckel voll hätten. Da habe er in seinem Herzen bedacht, dass der Probst wohl kein Heu esse (von dem der Zehnte abgezweigt werden musste) und dass er keinen Mangel litte, anders als die Bauersleute, die „ mit surer Arbeit und bluotigem Schweiss früyg und spat “ sich unterhalten müssten. 136 War der bäuerliche Druck von unten Zwingli und den Stadtvätern willkommen gewesen, um die Reformation voranzutreiben, so drohte deren Radikalität nun die Autorität der Zürcher Obrigkeit insgesamt in Frage zu stellen. Das war nicht im Sinn des Münsterpredigers, der der menschlichen Freiheit dort eine Grenze setzen wollte, wo sie „ Ergernus oder Verbösrung, griechisch scandalon “ hervorriefen. 137 Auch die außenpolitische Isolierung Zürichs im Kreis der Eidgenossen schien bedrohlich: Zur traditionellen Rivalität zwischen den urschweizerischen Gründungskantonen und der spät zur Eidgenossenschaft gekommenen Stadtrepublik kamen nun der konfessionelle Gegensatz und die Zehntverweigerungen, von deren Übergreifen andere Herrschaften sich bedroht fühlten. Unter dem Eindruck der scharfen Kritik von außen und der bedrohlichen Radikalisierung im Inneren zog Ulrich Zwingli die Konsequenzen: Er schränkte seine Lehre vom Widerstandsrecht ein, betonte die Pflicht zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und erklärte Aufruhr kategorisch als illegitim. Gerade in der Zehntfrage vollzog er im Juli 1523 eine „ dramatische Kehrtwende “ und erklärte, jeder sei schuldig, den Zehnten zu entrichten, und die Obrigkeit sei berechtigt, solche zu bestrafen, die ihrer 136 Egli, Aktensammlung, Nr. 392, S. 143. Vgl. Kamber, Reformation, S. 102 ff. 137 Zitiert nach Kamber, Reformation, S. 86. 7.4 Reformation und sozialer Protest auf dem Land 195 <?page no="196"?> Verpflichtung nicht nachkämen. 138 Damit eröffnete sich eine Kluft zwischen den radikalen Predigern und Gemeinden in den Landgebieten, die die vorsichtigeren Reformatoren in der Stadt um Zwingli vor sich hertrieben. Zwischen dem Herbst 1523 und dem Frühsommer 1524 kam es in vielen Zürcher Landgemeinden zu Bilderstürmen, die in ihren wild-expressiven Formen den Einzug des Neuen sinnfällig machten. Mit den ikonoklastischen Aktionen verband sich heftige Kritik am herkömmlichen Opfergottesdienst und dem System geistlicher Dienstleistungen. Da ein guter Teil der Einkünfte des Klerus sich traditionell aus der Bezahlung der Gläubigen für seine rituellen Leistungen speiste, aus der Abhaltung von Seelenmessen etwa oder der Durchführung von Taufen und Beerdigungen, war mit dieser Kritik die Grundlage der Pfarrerbesoldung in Frage gestellt. Umso wichtiger wurde die Forderung nach Verwendung des Zehnten ausschließlich für die Alimentierung des örtlichen Predigers, bei dem es sich möglichst um den Wunschpriester der Gemeinde handeln sollte. Dabei beschränkte sich die Kritik keineswegs auf rein geistliche Angelegenheiten, sondern erstreckte sich auch auf soziale Tatbestände. Die Gemeinde Embrach z. B., Teil der alten, nun zu Zürich gehörenden Grafschaft Kyburg, setzte sich in acht Beschwerdeartikeln mit dem örtlichen Chorherrenstift als Grundherren auseinander und lehnte darin die Leibeigenschaft als nicht mit dem Evangelium vereinbar ab. Mühsam versuchte der Rat der Stadt Zürich, seine Autorität über die vorwärts drängenden Gemeinden auf dem Land zu bewahren, indem er radikale Aktionen sanktionierte; so wurde etwa der für die Bilderstürme in Höngg verantwortliche Simon Stumpff seines Amtes entsetzt. 139 Zum herausragenden Kampffeld sollte dann die Gemeinde Stammheim werden, eine kurze Wegstrecke südlich von Stein am Rhein gelegen, in der Nordostecke des Zürcher Gebietes an der Grenze zu Vorderösterreich. Dort markiert der Ittinger Klostersturm vom Juni 1524 eine neue Stufe der Eskalation, die direkt in die erste Phase des Bauernkriegs im Südwesten des Reiches mündete. 140 138 Ebd., S. 122, S. 127. 139 Das Panorama der bäuerlichen Aktionen ausführlich entfaltet bei Kamber, Reformation; dort S. 40 ff. bzw. S. 206 ff. zu den Priestereinkommen und S. 252 ff. zu den Vorgängen in Embrach. 140 Zum Ittinger Klostersturm Kamber, Reformation, S. 173 ff., S. 239 ff. und S. 282 ff. Vgl. Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 67 ff. 196 7 Die Reformation als Katalysator sozialer Proteste <?page no="197"?> 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs Im Sommer und Herbst 1524 verdichteten sich die Unruhen im Südwesten des Reiches. Aus vielen verstreuten Ereignissen entwickelte sich im nächsten Jahr ‚ der ‘ Bauernkrieg. Das Verhältnis seiner Teile zum großen Ganzen ist im Grunde bis heute ungeklärt. Auf der einen Seite erklärte Walther Peter Fuchs, der Bauernkrieg sei - wie die vorausgehenden Aufstände - „ als eine Summe von Einzelaktionen geführt worden “ . 1 Peter Blickles Konzept von der „ Revolution des Gemeinen Mannes “ dagegen zielte darauf ab, den Bauernkrieg als integrales Geschehen zu verstehen. Den Städten kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu: Wie stark waren sie in den Bauernkrieg eingebunden bzw. bestimmten das Geschehen mit? Diese komplexe Frage kann hier kaum wirklich vertieft werden. Aber in den Horizont der vorliegenden Darstellung hinein gehören doch die städtischen Unruhen, die am Rande oder vollkommen jenseits des Bauernkriegsgeschehens angesiedelt waren, aber doch eine zumindest zeitliche Koinzidenz aufweisen. Es handelt sich um jene Aufstände im Frühjahr und Sommer 1525, die Günter Franz einst als ein spezielles Phänomen gefasst hat: Im rheinisch-westfälischen Raum habe sich der „ Bauernkrieg “ in Form einer rein „ bürgerlichen Bewegung “ manifestiert, die nicht mehr auf das flache Land übergegriffen habe. „ Die Städte erhoben sich selbständig und vertraten Forderungen, die von denen der Bauern völlig unabhängig waren. “ 2 Bereits in der kurzen Paraphrase wird das hier angelegte denklogische Spannungsverhältnis deutlich: Transformierte sich der Bauernkrieg in einer bestimmten Region zu einer bürgerlich-städtischen Bewegung, oder entstand die städtische Bewegung selbständig jenseits des Bauernkriegs? Als bislang einziger hat sich vor rund 50 Jahren der historisch arbeitende Soziologe Otthein Rammstedt näher mit dieser Gruppe von „ Stadtunruhen 1525 “ beschäftigt, „ die nicht in unmittelbarer Beziehung zu bestimmten (Bauern)Haufen standen “ . 3 Viele seiner Beobachtungen bleiben wertvolle Ansatzpunkte für die weitere Forschungsarbeit, unbeschadet der Korrekturbedürftigkeit mancher empirischer Details. Konzeptuell problematisch ist aber seine vollkommene Ausblendung der spätmittelalterlichen Aufstandstraditionen in den einzelnen Städten. Vielmehr will er die heterogenen städtischen Aufstände als Teile einer übergreifenden sozialen Bewegung verstehen, wobei 1 Fuchs, Zeitalter, S. 59. 2 Franz, Bauernkrieg, S. 371. 3 Rammstedt, Stadtunruhen, S. 239. <?page no="198"?> Frankfurt als überregional ausstrahlendes Zentrum fungiert habe. 4 Allerdings konnte er sich bei dieser Einschätzung wiederum auf Franz berufen, der feststellte, die Frankfurter Artikel hätten „ in der städtischen Bewegung Nordwestdeutschlands eine ähnliche Stellung eingenommen wie die Zwölf Artikel der Oberschwaben im Bauernkrieg selbst “ . 5 Bevor das Verhältnis der städtischen Unruhen untereinander beleuchtet wird, bedarf es aber noch eines kurzen Blickes auf den Themenkreis Stadt und Bauernkrieg selbst. 6 Denn es ist ja keineswegs ausgemacht, an welchen Kriterien es festzumachen ist, ob eine Stadt, mit den Worten von Rammstedt, „ in unmittelbarer Beziehung “ zu einem Bauernhaufen stand. Jenseits bekannter Beispiele einer partiellen Kooperation zwischen innerstädtischen und ländlichbäuerlichen Aufstandsbewegungen wie z. B. in Mühlhausen, Rothenburg oder Heilbronn gab es viele Fälle städtischer Unruhen, die dennoch nicht dazu führten, dass sich die Tore für die heranrückenden oder benachbarten Bauernhaufen öffneten. Das elsässische Weißenburg etwa nutzte den äußeren Druck, um im Inneren Klöster und Stifte zu sequestrieren. Anfang Mai wurde sogar die Klosterkirche St. Stephan abgerissen, und schließlich mussten die Kleriker den Bürgereid ablegen. Obwohl auch einige ihrer Bürger zu den Bauern zogen, versagte sich die Stadt jedoch dem Werben der Haufen und hielt ihre Tore geschlossen, was sie allerdings nicht vor dem Strafgericht des pfälzischen Kurfürsten Ende Juni bewahrte. 7 Nun lag die Reichsstadt Weißenburg mitten in einem Kerngebiet des Aufstands, was eine unmittelbare Beziehung impliziert. Das trifft allerdings auch auf etliche der von Franz der „ bürgerlichen Bewegung “ zugeordneten Städte zu, etwa auf die Reichsstädte Speyer und Worms, die sich beide im Gravitationsfeld pfälzischer Bauernhaufen befanden. Stärker am Rand der direkten Ausstrahlungskraft des Bauernkriegs lagen andere mittelrheinische Städte, so vor allem Mainz und die Trierer Landstädte Oberwesel und Boppard. 8 Wahrscheinlich waren die dortigen Proteste durch den Aufruhr im Rheingau angeregt worden, der am ersten Sonntag nach Ostern, dem 23. April von Eltville aus seinen Anfang genommen, dann aber die ganze Landschaft erfasst hatte. 9 Zwei Tage später kam es in Mainz anlässlich der Markusprozession zu einem Zusammenlaufen der Gemeinde. Die wie üblich in Wehr und Waffen erschienenen Einwohner sammelten sich unter einem Fähnlein beim Stift Heiligenkreuz und beratschlagten über die Erstellung 4 Ebd., S. 243. 5 Franz, Bauernkrieg, S. 375. 6 Dazu bereitet der Verfasser eine eigene Veröffentlichung vor. 7 Boell, Weißenburg; Rott, Weißenburg; Alter, Pfalz, S. 29 ff., S. 62 ff. 8 Struck, Mittelrhein, S. 23 ff. bzw. S. 48 ff. 9 Struck, Mittelrhein, S. 29. 198 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs <?page no="199"?> von Artikeln, die von einer großen Einwohnerversammlung am nächsten Morgen bewilligt wurden. Nach kurzen Verhandlungen mit dem Domkapitel und dem Vitztum als Vertretern des kurfürstlichen Stadtherrn bewilligten beide die nunmehr 32 Artikel bis Anfang Mai. 10 Deren erster über die Wahl von ‚ tauglichen ‘ Pfarrern an den vier Hauptpfarrkirchen durch die Kirchengeschworenen scheint von den Zwölf Artikeln inspiriert, und auch die Forderung nach Freilassung gefangener evangelischer Pfarrer geht in diese Richtung. Ansonsten fehlt jedoch jeglicher evangelische Zungenschlag; die übrigen Forderungen in Richtung der Geistlichkeit bewegen sich ganz in traditionellen Bahnen: keine weltlichen Güter in geistlicher Hand, Ausdehnung der bürgerlichen Lasten auf den Klerus, keine Schuldensachen vor geistlichen Gerichten etc. Im Übrigen geht es um finanzielle Entlastungen für die Bürgerschaft und um einige sehr moderate Reformen zur Stärkung ihrer Rechte im Verfassungsgefüge. Sowohl vom Verlauf als auch von den Inhalten der Artikel her bewegte sich der Aufstand damit gleichsam an der Nahtstelle zwischen den bauernkriegsnahen Gebieten im Süden des Reiches und dem aufstandsfernen Norden. 8.1 Das Beispiel Frankfurt 1525 Das trifft in gesteigertem Maß auf den Paradefall Frankfurt am Main zu. 11 Wie in vielen anderen Städten hatte auch hier spätestens seit 1523 die evangelische Bewegung an Boden gewonnen. In den Vorstädten Bornheim und Sachsenhausen forderten die Menschen die Einsetzung eines evangelischen Pfarrers, und in der Stadt selbst gab es einen Kreis ähnlich gesinnter Aktivisten. Zum Mentor dieser vorwiegend aus der Handwerkerschaft stammenden christlichen Brüder wurde Anfang 1525 der Karlstadt-Vertraute Dr. Gerhard Westerburg. Sie präsentierten dem Rat vor Ostern zunächst elf Artikel und fordert diesen auf, binnen drei Tagen darauf zu reagieren. 12 Als dieser zögerte, kam es am Ostermontag zu Übergriffen auf geistliche Einrichtungen und zu einem bewaffneten Auflauf. Die zeitliche Koinzidenz mit dem übergreifenden Bauerkriegsgeschehen ist schlagend. Vor und während dem Osterfest erreichte der Massenaufstand neue Dimensionen, vom Elsass über die Pfalz und Württem- 10 Ebd. Quelle 5, S. 108 ff. 11 Immer noch unüberholt Kriegk, Bürgerzwiste, S. 137 ff.; neuere Überblicke bei Struck, Mittelrhein, S. 16 ff. und S. 92 ff.; Panzer, Sozialer Protest, S. 192 ff. Zuletzt Schnettger, Die frühneuzeitliche Reichsstadt, S. 143 ff. Die Hauptquellen sind ediert in Jung, Frankfurter Chroniken. 12 Vgl. Jung, Frankfurter Artikel. 8.1 Das Beispiel Frankfurt 1525 199 <?page no="200"?> berg bis nach Franken bildeten sich neue Bauernhaufen. Am Ostersonntag eroberten die fränkischen Bauern um Jäcklein Rohrbach die Amtsstadt Weinsberg und veranstalteten ihr notorisches Blutbad unter den adligen Verteidigern. Und ebenfalls über Ostern wurde bei Weingarten ein nachhaltiger Waffenstillstand zwischen den Seebauern und den Bundestruppen unter Georg von Waldburg geschlossen. Der Übergang von der moderaten evangelischen Bewegung zum innerstädtischen Aufruhr wurde sicherlich von dieser Aufstandswelle extern angeregt. Im weiteren Verlauf blieb die Empörung jedoch zunächst auf Frankfurt und sein unmittelbares Herrschaftsgebiet beschränkt. Ein sechzigköpfiger Gemeindeausschuss legte binnen weniger Tage einen wesentlich erweiterten Artikelkatalog vor und erzwang schließlich am 22. April dessen Annahme durch den Rat. In den nächsten zwei oder drei Wochen blieb der Gemeindeausschuss bzw. ein auf zehn Bürger verkleinerter Lenkungsausschuss das politische Kraftzentrum in der Stadt. Deutlich zeigte sich der Einfluss des auswärtigen Bauernkriegsgeschehens auf die Entwicklung in der Stadt vor allem Anfang Mai, als der Neckartal-Odenwälder Haufen in Miltenberg auf einem Gipfelpunkt seines Siegeszuges angekommen war und sogar der kurmainzische Statthalter einwilligen musste, pro forma Mitglied des Bauernbündnisses zu werden. Frankfurter Quellen berichten von - am Ende nicht realisierten - Plänen, nach Frankfurt zu ziehen und dort die Deutschordensherren und die Juden zu „ besuchen “ . Versuche des Rates, gegen eine drohende Invasion die Zünfte zu mobilisieren, waren nur zum Teil erfolgreich. Selbst die loyalen Hutmacher erklärten, sie wollten sich mit Leib und Gut an die Seite von Rat und Gemeinde stellen, „ aber die gaistlichen und Judden wollen sie … gar nit verantworten “ . 13 Mit seiner Judengasse, in der um 1500 200 Personen lebten (im Verlauf des Jahrunderts sollte ihre Zahl exponentiell ansteigen) gehörte Frankfurt zu den wenigen Städten im Reich, in deren Mauern damals noch jüdische Gemeinden existierten. Wenige Jahre zuvor war eine Vertreibungsinitiative des Rates am Widerstand des Kaisers gescheitert. 14 Bereits der Schlettstädter Bundschuh von 1493 hatte, wie gesehen, die Juden aufs Korn genommen, und auch 1525 hatte der Protest nicht nur am Main antijüdische Dimensionen. 15 Bemerkenswert jedenfalls ist hier die im Zitat aufscheinende Parallelisierung zwischen Geistlichkeit und Judenschaft - beide zugleich sollten als Fremdkörper aus der städtischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. 13 Jung, Frankfurter Chroniken, S. 89 und S. 193 f. 14 Treue, Judengasse. Dort S. 25 zum Vertreibungsversuch und S. 308 f. zur Unruhe von 1525. 15 Vgl. für Friedberg Struck, Mittelrhein, S. 44; für andere Beispiele Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 545. 200 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs <?page no="201"?> Über die Ziele der Aufständischen geben die 46 Artikel Auskunft, einer der bekanntesten Forderungskataloge des Jahres 1525. Neunmal wurden sie in mittel- und süddeutschen Offizinen gedruckt und erlangten dadurch überregionale Bedeutung. 16 Inhaltlich liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf der Einordnung der Geistlichkeit in die bürgerliche Gesellschaft und institutionellen Veränderungen im Sinne der evangelischen Bewegung. Einige Artikel fordern die Einschränkung der obrigkeitlichen Gewalt des Rates zugunsten der Handwerkszünfte oder den Schutz vor unrechtmäßiger Inhaftierung. Eine relative Mehrheit von Bestimmungen betrifft die Minderung von Belastungen für Bürger bzw. die Bewohner der reichsstädtischen Dörfer. Neben typisch städtischen Bestimmungen wie der Verringerung des Ungeldes finden sich dort überraschend viele Artikel zu ländlichen Angelegenheiten, etwa in Bezug auf die freie Nutzung von Hölzern, Allmenden und Gewässern oder die Einschränkung bzw. Einstellung von Zehntzahlungen. 17 Insgesamt bilden die 46 Artikel ein ziemlich unübersichtliches Konvolut von Forderungen mit sehr unterschiedlicher Reichweite, bei dem sehr allgemeine und grundlegende Bestimmungen neben Frankfurter Spezialangelegenheiten stehen. Mit Blick auf den Inhalt der Artikel versteht sich ihr überregionales Echo somit nicht ohne weiteres von selbst. Wichtig ist hier ihre Verwandtschaft mit den berühmten Zwölf Artikeln, der überragenden programmatischen Schrift des Bauernkriegs. Mindestens der erste Artikel über die Einsetzung eines Predigers durch Rat und Gemeinde, der „ das lauter Wort Gots … onvermengt menschlicher Satzung predigen “ solle, verrät deutliche Anklänge an diese Zwölf Artikel. Auf ein vergleichbares evangelisches Sendungsbewusstsein weist auch die einleitende Klage über die Umtriebe der Mönche und Pfaffen hin, durch die das Evangelium bisher verdunkelt worden sei, sowie der Leitsatz, man sei Gott mehr als den Menschen Gehorsam schuldig. 18 Mehr noch als die Langfassung der Artikel lässt sich in deren Urgestalt, dem Entwurf vom 13. April, erkennen, dass sie nach dem Memminger Vorbild geformt worden war. Rammstedt hat auf die auffällige Parallelität zwischen beiden im Textaufbau (Einleitung, elf Artikel, ein zwölfter als Beschluss) hingewiesen. 19 In 16 Im VD 16 sind Ausgaben aus Mainz (VD 16 F 2308), Regensburg (ZV 15892), Speyer (ZV 21036) und Erfurt (ZV 6053) zu finden. Claus, Druckschaffen, S. 55 f.) weist darüber hinaus noch eine Wormser (Nr. 52), eine Straßburger (Nr. 51) und eine Leipziger Ausgabe (Nr. 54) nach, sowie zwei gekürzte Ausburger Varianten (Nr. 55 f.). Edition bei Franz Q, Nr. 150, S. 455 ff. nach Jung, Johann Marstellers Aufruhrbuch S. 184 ff. Die Druckfassungen weichen ab. 17 Dabei reichten die Dörfer später eigene Artikel ein, vgl. Kriegk, Bürgerzwist, S. 169 f. 18 Franz, Quellen, S. 455 f. Die Einleitung allerdings findet sich in den Editionen nicht, nur im zeitgenössischen Druck. 19 Rammstedt, Stadtunruhen, S. 247 auf der Basis von Jung, Frankfurter Artikel. 8.1 Das Beispiel Frankfurt 1525 201 <?page no="202"?> einem gewissen Rahmen scheint das damit intendierte Kalkül aufgegangen zu sein, wie der mehrfache Nachdruck beweist. Unbeschadet der Tatsache, dass Leser jenseits von Main und Taunus mit vielen speziellen Passagen kaum etwas anzufangen gewusst haben dürften, erlangte der Text eine gleichsam ikonische Druckautorität und beglaubigte die Tatsache, dass auch andernorts viele Untertanen Forderungen erhoben - und von ihrer Obrigkeit bewilligt bekamen. In Frankfurt allerdings gelang es dem geschickt agierenden Rat, das Heft des Handelns allmählich wieder in die Hand zu bekommen. Zwar ersuchten noch Ende Mai einige Bürger den Rat, zum Bauernhaufen ziehen zu dürfen, was dieser ihnen weder erlauben noch verbieten wollte. 20 Aber bereits zuvor war ein Ausweisungsbeschluss gegen Dr. Westerburg als den intellektuellen Kopf des evangelisch inspirierten Protestes ergangen. Den Ratsherren gelang es, in steter Kommunikation mit den Gemeindevertretern, teils mit Zugeständnissen und teils mit Mahnungen und eidlichen Verpflichtungen, ihre Autorität Schritt für Schritt wiederherzustellen. Die sich allenthalben abzeichnenden Niederlagen der Bauernhaufen taten dabei ein Übriges. Dadurch ergab sich jedoch für die städtische Obrigkeit eine neue Konfliktlage, denn nun rückte sie wegen ihrer mangelnden Unterstützung und ihrer Nachgiebigkeit bei den Fürsten in das Fadenkreuz der Kritik. Delegierte der Stadt mussten sich im kurfürstlichen Lager zu Pfeddersheim einfinden, wo das Fürstenheer am 23. Juni einen pfälzischen Bauernhaufen aufgerieben hatte. Dort wurden ihnen heftig die Leviten gelesen, weil die Reichsstadt so vielen flüchtigen Empörern Zuflucht bot, vor allem aber wegen ihrer Artikel: Es wäre allenthalben bekannt, „ was zu Frankenfurt si gehandlet worden mit aufrichtung etlicher artickel, so kaiserlicher majestat … , dem lantfridden, auch allen rechten und der erbarkait zuwidder, die ein erbar rath versiegelt hett, die auch furter in die furstentumb und umbligende lantschaften geschickt, und in druck gebracht “ . Welchen anderen Schluss hätten die Untertanen daraus ziehen sollen als „ ob gesagt oder verstanden werden solt: ‚ hernach, lieben bruder, volgt uns nach, wir haben einen rechten Weg fur uns, wir haben euch die baen gmacht “ . 21 Die Fürsten forderten vom Frankfurter Rat eine Selbstverpflichtung, künftig eine konsequente Aufruhrprävention zu betreiben, vor allem aber die Auslieferung und damit die Abschaffung der Artikel. Tatsächlich konnte sich Frankfurt diesen Auflagen nicht entziehen, auch wenn es in der Zukunft seinen vorsichtig reformatorischen Kurs keineswegs aufgab. Unter stetem Hinweis auf die Opfer des Aufstands auf dem Land und das drohende Strafgericht des Schwäbischen Bundes wurden die städtischen Korporationen veranlasst, ihre Ausfertigungen 20 Kriegk, Bürgerzwiste, S. 138 Anm. 1. 21 Jung, Frankfurter Chroniken, S. 220. 202 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs <?page no="203"?> an den Rat zu übergeben, der sie Anfang Juli an den Pfalzgrafen übersandte. 22 Trotzdem versuchte der Rat, Geflüchtete und Kritiker des gewaltsamen Vorgehens der Fürsten so weit wie möglich von Sanktionen zu verschonen. 23 Und trotz des Endes der zünftischen Protestbewegung wurde das Frankfurter Kirchenwesen in den folgenden Jahren weiter im Sinne der Reformation umgebaut. Die Ausstrahlungskraft Frankfurts sollte nicht überschätzt werden. Chronologie und Netzwerkbildung legen es nahe, dass Impulse von dort die Aufstandsbereitschaft in den Reichsstädten Friedberg und Wetzlar bestärkt haben dürften. 24 Die Vorgänge in der Trierer Amtsstadt Limburg im Mai dagegen besaßen ein ganz eigenes Gepräge, indem es hier vornehmlich um stärkere Gemeindepartizipation ging und die kirchliche Dimension vollkommen fehlte. 25 Für niederrheinische und westfälische Städte war der Einfluss Frankfurts sicher begrenzter, als Rammstedt nahelegt. Der nach Ostern von Frankfurt nach Mainz geflohene Johannes Cochläus, Dekan des Liebfrauenstiftes, ist sicher als Betroffener kein zuverlässiger Kronzeuge mit seiner Behauptung, die Artikel der Aufständischen in Frankfurt seien nicht nur ins nahegelegene Mainz, sondern auch in zahlreichen Exemplaren in Köln verbreitet worden. 26 8.2 Das Beispiel Köln 1525 Tatsächlich ist das Beispiel der niederrheinischen Metropole Köln aufschlussreich. Anders als die bisher genannten Städte lag sie eindeutig jenseits des direkten Gravitationsfeldes des Bauernkriegs. Dennoch ist der Aufstand, der sich dort in den Pfingsttagen 1525 ereignete, ohne die Berücksichtigung äußerer Impulse wohl nur unzureichend zu erklären. 27 Das Zeugnis des Kölner Chronisten Hermann von Weinsberg ist dafür zwar von zweifelhaftem Wert, war er zu diesem Zeitpunkt doch gerade einmal acht Jahre alt. Seine mit einigen sachlichen Fehlern gespickte Rückschau auf den Bauernkrieg ist eine Melange aus späteren Lesefrüchten und eigenen Erinnerungen. Aber gerade dadurch 22 Struck, Mittelrhein, S. 93. 23 Kriegk, Bürgerzwiste, S. 138 f., 198 ff. 24 Vgl. Struck, Mittelrhein, S. 44 ff. 25 Ebd., S. 51 ff. 26 Zitiert nach Rammstedt, Stadtunruhen, S. 260 f. 27 Zentral Looz-Corswarem, Artikelserie; im Kontext der anderen Unruhen ders., Unruhen, S. 79 ff.; im Zusammenhang mit anderen hansestädtischen Unruhen Ehbrecht, Köln; neuerdings Chaix, Köln, S. 88 ff. Ergänzungen bei Schwerhoff, Kreuzverhör, S. 215 ff. 8.2 Das Beispiel Köln 1525 203 <?page no="204"?> besitzt sie eine gewisse Aussagekraft: Offensichtlich war der Bauernkrieg durchaus in der Stadt so präsent, dass der kleine Hermann etwas davon mitbekam ( „ Mich gedenkt disser baurensclacht seir wol “ ). Denkbar ist auch, dass die Erwachsenen in seiner Umgebung kolportierten, das Gesinde sei damals „ allenthalben widderspennich “ gewesen, habe öffentlich verlauten lassen, „ heut bis du her, morgen will ich her sin, heut ist es din, morgen min “ , und sei arbeitsunwillig gewesen. 28 Auffällig ist aber auf der anderen Seite, dass er den Aufstand zu Frankfurt (mit falscher Spätdatierung auf Pfingsten) und zu Mainz in einem separaten Abschnitt behandelt und erst danach (und ohne erneuten Rekurs auf die überörtlichen Geschehnisse) „ Von ufflauf zu Coln “ berichtet. 29 In den Akten des Kölner Rates haben eher die mittelrheinischen Ereignisse in Mainz und im Rheingau Spuren hinterlassen als diejenigen in Frankfurt. 30 Im Rheingau hatte er sogar einen eigenen Informanten in Gestalt des Kölner Bürgers Wilhelm von Kirspell bzw. Krieger, der angeblich versprochen hatte, ihn mit Nachrichten aus erster Hand zu versorgen. Tatsächlich ist ein an den Rat gerichteter Bericht vom 20. Mai über Verhandlungen und Forderungsartikel der vor dem Kloster Eberbach versammelten Rheingauer Gemeinden im Archiv erhalten. 31 Dumm nur, dass dieser Wilhelm Krieger wenig später zu einer der führenden Figuren des innerstädtischen Aufruhrs werden sollte. Ein anderer Protagonist des kommenden Aufruhrs verweist indes auf die dominante innerstädtische Traditionslinie des Protestes: Jakob von Biest war bereits als Vertreter der Fischmengergaffel an der Schickung von 1513 beteiligt gewesen und wurde in diesem Jahr erstmals in den Rat gewählt - ein persönlicher Aufstieg, der direkt mit dem Aufstand verbunden gewesen war. 32 Nun wurde er wieder aktiv, indem er Anfang Mai vierzig Artikel verfasste, die er vervielfältigen und verteilen ließ. Es begann in der Bürgerschaft zu rumoren, und erste Ausschreitungen gegen die Geistlichkeit waren zu verzeichnen. In dieser ersten Phase nutzte der Rat wie vielerorts die Unruhen dazu, Druck auf den Klerus auszuüben. Die widerstrebenden Kirchenmänner mussten am 30. Mai in einem Vertrag zusichern, für die nächsten sechs Jahre gleich den anderen Bürgern die Akzise von Wein, Bier und Brot zu entrichten. Dieses Zugeständnis verkündete der Rat am nächsten Tag in einer Morgensprache, 28 Höhlbaum, Weinsberg I, S.41 f. 29 Ebd., S. 42 f. 30 Looz-Corswarem, Artikelserie, S. 72 f. mit Fn. 51. 31 Ebd., Anlage I, S. 101 ff.; vgl. Struck, Mittelrhein, S. 31. 32 Looz-Corswarem, Artikelserie, S. 71. 204 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs <?page no="205"?> allerdings ohne Erwähnung der Befristung; zugleich drohte er Strafen für weitere Übergriffe auf den Klerus an. 33 Dieser Versuch, der Aufstandsbewegung durch Zugeständnisse die Spitze zu nehmen, misslang allerdings. Nach Pfingsten spitzte sich die Situation zu; es kam zu ‚ wilden ‘ Versammlungen, bei denen offenbar die weiteren Pläne besprochen wurden. Eine gute Gelegenheit für einen nächsten Schritt stellte der Holzfahrtag am 8. Juni dar, an dem die Bürger alljährlich einen Ausflug vor die Stadt unternahmen. Bewaffnet zogen viele Menschen zum Ossendorfer Wäldchen und verbanden sich dort „ im Felde “ zu gemeinsamem Vorgehen gegen den Rat. In der Folge besetzten die Gaffelmitglieder bewaffnet die Häuser ihrer Korporationen und wählten eine erneute Schickung zur Verhandlung mit dem Magistrat. Während dieser nächsten Phase des Aufstandes harrten viele zweieinhalb Wochen (vom 8. bis zum 26. Juni) auf den Gaffelhäusern aus. Unterdessen tagte der Ausschuss und stellte auf der Grundlage der umlaufenden Forderungen 184 Artikel zusammen, die dem Rat Mitte Juni präsentiert wurden. In ihrer Antwort signalisierte die städtische Obrigkeit Entgegenkommen, kritisierte aber zugleich das Vorgehen der Gaffelvertreter als verfassungswidrig. Mit der Übergabe dieser Verlautbarung an die Schickung scheint die Bewegung an ihr Ende gekommen zu sein, deren Stoßkraft ohnehin nur begrenzt war. 34 Bereits früher hatten Wilhelm Krieger und Jakob von Biest zusammen mit einigen Getreuen versucht, der Bewegung eine radikalere Wendung zu geben. Ultimativ starteten sie nun einen neuen Anlauf, indem sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen versuchten, auf den Gaffeln genügend Männer zu rekrutieren, um Tore und Türme der Stadt zu besetzen. Das misslang; viele winkten ab und informierten den Rat. Dieser brauchte noch nicht einmal direkte Gegenmaßnahmen einzuleiten und schritt erst später zur Verhaftung und Bestrafung einiger Verschwörer. Einige konnten sich rechtzeitig absetzen, darunter Jakob von Biest und zunächst auch Wilhelm Krieger, der aber später in Antwerpen verhaftet und hingerichtet wurde. Über das Anliegen der protestierenden Gemeinde gibt die eingehende Analyse der 184 Artikel von Clemens von Looz-Corswarem Aufschluss. 35 Das unübersichtliche und ungeordnete Konvolut lässt sich grob entlang dreier Themenkreise ordnen. Die (relativ gesehen) meisten Forderungen betreffen das städtische Wirtschaftsleben und kreisen um das Verbot von Handelsmonopolen und Fürkauf, die Verschärfung der Wirtschaftsaufsicht und den Ausschluss 33 Ebd., S. 75. 34 Ebd., S. 80 f. 35 Ebd., S. 84 ff. 8.2 Das Beispiel Köln 1525 205 <?page no="206"?> fremder Waren sowie Steuererleichterungen. Missstände in der Verwaltung und der Finanzaufsicht sowie Beschwerden über das Verhalten des Rates bilden einen zweiten inhaltlichen Schwerpunkt. Die schärfsten Bestimmungen richten sich schließlich gegen den Klerus, der mit Steuerfreiheit, der Ausübung von Gewerbetätigkeiten in seinen Einrichtungen, mit dem Ansammeln bürgerlicher Vermögen und rechtlichen Privilegien den Unmut der Bürger auf sich gezogen hatte. Was sich hier artikulierte, war der traditionelle städtische Antiklerikalismus, wie er bereits lange vor der Reformation existiert hatte. Selbstverständlich ist in Rechnung zu stellen, dass derartige Ressentiments durch lutherische Einflüsse, die es auch im notorisch katholischen Köln gab, noch weiter verstärkt und an die Oberfläche gebracht wurden. 36 Generell ist es wahrscheinlich, dass äußere Impulse für die Abfassung der Artikel verantwortlich waren, denn schließlich gehört ezu deren Initiatoren Wilhelm Krieger alias von Kirspell, der im Rheingau gerade erst beobachtet hatte, wie sich dort ähnlicher Protest formierte. Das Ergebnis jedoch, eben der Inhalt der umfangreichen Artikelserie, lag ganz auf der Linie dessen, was in Köln bereits früher im Kontext innerstädtischer Proteste formuliert worden war. Köln kann gewissermaßen als Modellfall dienen für eine Stadt an der Peripherie des überregionalen Aufstandsgeschehens, deren innere Unruhe von außen angeregt oder jedenfalls entscheidend verstärkt wurde, die aber diese Impulse zugleich auf jeweils sehr eigene Art verarbeitete. Ähnlich verhielt es sich mit den Unruhen in den westfälischen Bischofssitzen Münster und Osnabrück, die sich im Mai gegen die Privilegien der örtlichen Geistlichkeit richteten. 37 In Münster sollten mit dem Domstift und anderen Kollegien „ ordinatien “ nach Kölner Muster aufgerichtet werden, und in Osnabrück bezog man sich später auf die „ ordinantien, de tho Collen und Munster ordinarie dar up gemachen sein “ . 38 Nur mehrfach gebrochen gelangten die Impulse des Bauernkriegs mithin nach Westfalen. Dabei handelte es sich zugleich um generelle Impulse der Stadtreformation, auch wenn diese vorerst lediglich in Spurenelementen in den Artikelserien nachweisbar waren. 39 Dass diese Impulse auch vollkommen unabhängig von der Erschütterung des Bauernkriegs weiterwirken konnten, zeigen die fast zeitgleichen Unruhen in einigen Städten des wendischen Hansequartiers, vor allem in Wismar und Stralsund. 40 Hier war es 36 Vgl. Ehbrecht, Köln, S. 118 gegen Looz-Corswarem, Artikelserie, S. 100; zuletzt Chaix, Köln, S. 87. 37 Übergreifend Ehbrecht, Köln; speziell für Osnabrück ders., Oberg-Aufruhr; zu Münster Schilling, Aufstandsbewegungen, S. 200 ff. 38 Zitate nach Rammstedt, S. 261 und Ehbrecht, Oberg-Aufruhr, S. 338. 39 Vgl. die Analyse bei Freitag, Reformation in Westfalen, S. 67 ff. 40 Schildhauer, Auseinandersetzungen; Ehbrecht, Köln. 206 8 Stadtunruhen 1525: An der Peripherie des Bauernkriegs <?page no="207"?> schon vorher zur Einrichtung von Bürgerausschüssen gekommen, die für einige Zeit zu den zentralen innerstädtischen Machtfaktoren wurden. Bereits 1523 hatte Henning Budde in Stralsund vor Tausenden Zuhörern verkündet, „ die overicheit, regenten der stede “ seien ihren Bürgern und Untertanen über das eigene Handeln rechenschaftspflichtig, wie er es anderswo kennengelernt habe. Wenn „ de oversten “ dazu nicht in der Lage seien, würden sie dort durch andere Regenten ersetzt. 41 In der Karwoche 1525 - und damit zeitlich früher als alle bislang behandelten innerstädtischen Konflikte - kam es dann in Stralsund zu einem heftigen Bildersturm, der in einen völligen Sieg der reformationsfreundlichen Fraktion und eine kirchliche Neuordnung mündete. 42 41 Schildhauer, Auseinandersetzungen, S. 121. 42 Ehbrecht, Köln, S. 58 ff.; Schnitzler, Kirchenbruch. 8.2 Das Beispiel Köln 1525 207 <?page no="208"?> 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? Bei der Einordnung der „ Vorgeschichte “ des Bauernkriegs folgen die meisten Darstellungen bislang tendenziell einer kumulativen Logik: Die Vielzahl von Unruhen und Aufständen in den Jahrzehnten vor 1525 wird als Indiz für eine sich verdichtende Krise genommen, die sich schließlich in einer großen Revolution gleichsam entladen habe. Eine solche Sichtweise ist sicher nicht vollkommen falsch, bedarf aber in sachlicher wie in zeitlicher Hinsicht einer deutlichen Gewichtung und Differenzierung. Es gilt, Kontinuitätslinien, aber auch Zäsuren deutlich zu machen und zugleich, in systematisch-typologischer Hinsicht, Gemeinsamkeiten ebenso wie Unterschiede herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Darstellung sollen dazu einige Beobachtungen pointiert werden, ohne empirisch detaillierter auf den Bauernkrieg selbst einzugehen. 1 (I) Einige Unruhen um 1500, etwa jene in den Reichsabteien Kempten oder Ochsenhausen im Südwesten des Reiches, lassen sich problemlos als unmittelbare Vorgeschichte des Bauernkriegs verstehen, insofern diese Konflikte eine Generation später wiederum aufbrachen, diesmal eingebettet in den überregionalen Massenaufstand. Anders verhält es sich mit den Bundschuh-Aufständen, denen die Historiographie lange eine wichtige Rolle als Wegmarke hin zum Bauernkrieg zuwiesen hat. Bei nüchterner Betrachtung erweisen sich diese Konspirationen in mehrfacher Hinsicht als bisweilen grotesk überbewertet. Beim vierten und letzten Glied in der Kette von Aufstandsplanungen, jenem von 1517, gibt es sogar begründete Zweifel an deren purer Faktizität. Auch hinsichtlich der zweiten, nur schlecht dokumentierten Verschwörung des Jahres 1502 lassen sich begründete Einwände gegen manche traditionell als sicher gehandelte „ Fakten “ geltend machen. Auch wer die quellenkritische Skepsis nicht zu weit treiben will, muss doch anerkennen, dass der faktische Befund desillusionierend ist: Alle drei (oder vier) Verschwörungen wurden verraten, bevor die Beteiligten zur Tat schreiten konnten. Das spricht weder für die Sorgfalt der Planungen noch für die Entschlossenheit der Verschwörer. Ohnehin war die Zahl der Eingeweihten - jenseits mancher Phantasieangaben - eher begrenzt; realistisch ist mit wenigen Dutzend Eingeweihten zu rechnen. 1 In diesem Sinne ist komplementär und vertiefend Schwerhoff, Bauernkrieg, zu konsultieren. <?page no="209"?> Dass diese sich aus verschiedenen Herrschaftsgebieten rekrutierten, ist wohl richtig, bei Licht besehen allerdings kaum überraschend oder gar ein Merkmal für eine besondere Qualität bzw. Attraktivität der Bewegung. 2 Die Programmatik der Bundschuh-Verschwörungen ist, wo sie konkret ausformuliert wird wie 1493, durchaus begrenzt. Aussagen, die auf fundamentale und revolutionäre Ziele hindeuten, sind quellenmäßig i. d. R. zu schlecht belegt, als dass man daraus belastbare Schlüsse ziehen könnte. Gleiches trifft hinsichtlich der angeblichen Bedeutung des „ Göttlichen Rechts “ für den Bundschuh zu. Wesentlich konkreter greifbar ist die Bedeutung des Armen Konrad im Jahr 1514. Tatsächlich ist seine weitgehende Begrenzung auf ein Land in Gestalt des - freilich vergleichsweise großen - Herzogtums Württemberg bemerkenswert, doch schmälert das keineswegs seine prinzipielle Bedeutung. Auch im Konzert des überlokalen Bauernkriegsgeschehens orientierten sich einige Bauernhaufen später an den Grenzen des eigenen Landes, so wiederum in Württemberg, aber auch im Hochstift Bamberg oder in der Grafschaft Tirol. 3 Stärker ins Gewicht fällt die Tatsache, dass der Arme Konrad, zumindest phasenweise und in einzelnen Landesteilen, eine Massenbasis gewinnen konnte. Hier schlossen sich die Aufständischen wie später im Bauernkrieg (wohl auf der Basis der Landesdefension 4 ) zu Haufen mit militärischer Kommandostruktur zusammen. Dieses öffentliche und massenhafte Auftreten war entscheidend für die öffentliche Wirksamkeit. Dabei ist überdies bemerkenswert, welche wichtige Rolle 1514 die Amtsstädte und insgesamt die Beteiligung von Stadtbewohnern am Aufstand spielten. Dass es auch konspirative Seiten des Armen Konrad gab, ist unbestritten; phasenweise war das wohl schlicht überlebensnotwendig. Es scheint aber wenig plausibel, jenseits des öffentlichen Wirkens des Armen Konrad die Existenz eines konspirativen Geheimbundes mit einer radikal-revolutionären Agenda anzunehmen. Die Wirksamkeit des Armen Konrad liegt im öffentlichen Reformdruck, den die Bewegung auf die Landschaft ausübte und der sich dann auf dem Landtag mit dem Tübinger Vertrag umsetzte, der freilich nur die Interessen der Etablierten befriedigte und dem Herzog eine Grundlage bot, gegen weiterhin Unzufriedene gewaltsam vorzugehen. Trotzdem: Erfolge konnte der Protest vor allem da haben, wo er sich öffentlich und massenhaft artikulierte. (II) Die Überschätzung des Bundschuhs in der Forschung kommt nicht von ungefähr, sondern stellt einen Reflex der zeitgenössischen Aufstandsangst dar. 2 Vgl. Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 548. 3 Ebd., S. 273 ff., S. 416 ff., S. 435 ff. 4 Schnitter, Landesdefension. 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? 209 <?page no="210"?> Der „ Bundschuh “ mag für potentielle Empörer ein Symbol für die gemeinsame und gerechte Sache des armen Mannes gewesen sein - fast mehr noch wurde er für die Obrigkeiten zum Schreckenssymbol für den drohenden Aufruhr. Bereits 1502 hatte dieses Symbol einigermaßen feste Konturen angenommen, und 1513 war der ‚ böse Bundschuh ‘ schon sprichwörtlich geworden. Tatsächlich verdichtete sich ein Gutteil der Hysterie und der Aufstandsangst, die insbesondere den Freiburger Rat 1517 umtreiben sollten, im Schlagwort vom Bundschuh, wie Johannes Dillinger gezeigt hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang gerade das paradoxe Verhältnis zum Armen Konrad. Auf dem Höhepunkt der Bewegung im Juni 1514 fürchtete Herzog Ulrich von Württemberg, es möchte ein neuer Bundschuh entstehen. Umgekehrt erzählte eine öffentlich kolportierte Geschichte über die Entstehung des Armen Konrad davon, der Name sei in demonstrativer Absetzung vom Symbol des Bundschuh entstanden, weil man in diesem Zeichen eben ‚ auf keinen grünen Zweig ‘ komme. Die Angst und die Warnungen vor einem neuen Bundschuh bildeten sodann eine Konstante, die bis in die Frühphase des Bauernkriegs hineinreichte. 1522 warnte der Astrologe Johann Copp vor einem Bundschuh der Gemeinde wider alle Herrschaft, insbesondere gegen Bischöfe und Pfaffen. 5 Im Sommer 1524 sahen die katholischen Eidgenossen in einem Defensivbündnis evangelischer Gemeinden am Hochrhein einen „ Bundschuh “ , und zur gleichen Zeit warnte auch die österreichische Regierung in Stuttgart die Freiburger davor, aus den Empörungen im Südwesten könne ein neuer Bundschuh entstehen. 6 Wenig später unterstellte der Freiburger Rat dem exilierten Herzog Ulrich von Württemberg, der die aufständischen Bauern diplomatisch umgarnte, unverhohlen, „ einen Bundschuh aufzurichten “ 7 - eine erstaunliche Zuschreibung an jenen Mann, der zehn Jahre zuvor als regierender Herzog alles daran gesetzt hatte, den drohenden Bundschuh in Gestalt des Armen Konrad niederzuwerfen! Bundschuh, das war gleichsam der Objekt gewordene Schrecken der süddeutschen Obrigkeiten am Vorabend und in der Frühphase des Bauernkriegs. (III) Auf Seite der Obrigkeiten und weniger auf derjenigen der Empörer ist somit ein starker Kontinuitätsfaktor zwischen Bundschuh und Bauernkrieg zu verorten. Dieser Faktor verblieb keineswegs im luftigen Reich kollektiver Mentalitäten und Wahrnehmungen, sondern fand einen höchst wirkungsvollen Niederschlag in der beginnenden Aufstandsgesetzgebung, mit der der 1495 5 Johann Copp, Was auff diß || Dreyundzwayntzigest vnd zum tail vyer||vndzwayntzigest jar.Des himels lauff künfftig sein [ … ] Augsburg 1522, fol. B (VD16 C 5026). 6 Kamber, Reformation, S. 282; Schreiber UB I Nr. 6, S. 6. 7 Schreiber UB I Nr. 69, S. 105. Ähnlich später Erzherzog Ferdinand, vgl. Kretzschmar, Vorabend, S. 500. 210 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? <?page no="211"?> erlassene ewige Landfrieden untersetzt und konkretisiert wurde. Wegweisend war das Heidelberger Empörermandat vom 30. Mai 1502 von König Maximilian I., entstanden in unmittelbarer Reaktion auf die zweite Bundschuh-Verschwörung. Auf Landesebene fortgeschrieben wurde diese Linie der Gesetzgebung mit dem Tübinger Vertrag von 1514, speziell mit dem Abschnitt über die Sanktionierung von ‚ Aufruhr und Empörung ‘ . Während des Bauernkriegs sollten später, etwa in Tirol oder Salzburg, vergleichbare Bestimmungen erlassen werden. Einen gewissen Endpunkt dieer Entwicklung bildeten die einschlägigen Artikel der Carolina von 1532. 8 Im (negativen) Bezug auf die Landfriedensgesetzgebung liegt - jenseits der sozialen Kluft zwischen beiden ständischen Gruppen - auch ein verbindendes Element zwischen Bauern und Niederadel. Die Spätblüte adliger Fehden, verkörpert von Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen, indiziert nicht zuletzt den Widerstand der Ritter, sich neben anderen Ständen in den Untertanenverband einzufügen, auf die Möglichkeit der Selbsthilfe zu verzichten und sich allein auf den obrigkeitlich angebotenen Rechtsweg verpflichten zu lassen. Die rüde Niederlegung von Burgen durch den Schwäbischen Bund im Rahmen der Absberg-Kampagne kann in dieser Perspektive, überspitzt gesagt, als Generalprobe für den Feldzug gegen die aufständischen Bauern im Jahr 1525 gesehen werden. Hier lag bei aller ständischen Distanz zwischen Bauern und Rittern der Ansatz für eine Interessenkoinzidenz, der erklären kann, warum es die Zeitgenossen adligen Bauernhauptleuten wie Götz von Berlichingen zutrauten, aus freien Stücken mit den Bauern gemeinsame Sache zu machen. (IV) Im Konzert des Aufstandsgeschehens der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts ist die städtische Protestkonjunktur um 1512/ 13, in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Freiburger Bundschuh 1513 und zum Armen Konrad in Württemberg 1514, bislang zu wenig in den Fokus der Forschung geraten. Dabei lässt sich dieses städtische Aufstandsgeschehen zwanglos als Testlabor für die „ urban reformation “ wenige Jahre später verstehen. Getragen in der Regel von einem fallweisen Zusammenspiel des korporativ verfassten und partizipationsberechtigten Gemeindebürgertums mit unterbürgerlichen Schichten als „ Sturmtruppen “ der Empörung richteten sich die Unruhen zunächst gegen die Überschuldung der Finanzhaushalte und gegen die - vermutete oder tatsächliche - Korruption unter den städtischen Eliten. Schnell verbanden sich damit aber erweiterte Forderungen nach vermehrter Kontrolle der Finanzen bzw. des städtischen Regiments überhaupt durch die Gemeinde. Eine gewisse Rolle spielte in vielen Städten auch die Unzufriedenheit mit der privilegierten 8 Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 524 ff. 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? 211 <?page no="212"?> Rolle des Klerus, die sich in gewalttätigen Übergriffen auf geistliche Einrichtungen manifestierte. Die meisten der um 1512/ 13 aufscheinenden Motive sollten Anfang der 1520er Jahre in verändertem Kontext erneut virulent werden. (V) Aus der Sicht der Unruhen- und Protestforschung kommt dem Reformationsgeschehen seit Anfang der 1520er Jahre eine zentrale Funktion zu. Die evangelische Botschaft stieß bei allen sozialen Gruppen auf Resonanz und verstärkte bzw. transformierte das bereits zuvor vorhandene Protestpotential. Von einer regelrechten Ritterbewegung lässt sich allerdings, trotz des Ebernburg-Kreises und der Hutten-Propaganda im Kontext der Trierer Fehde, kaum sprechen. Auf dem Land jedoch wurde neben der Forderung nach geeigneten Predigern und Seelsorgern gemäß dem Evangelium der Kirchenzehnt zum Schlüsselproblem. Zehntverweigerungen bezeugten am Vorabend des Bauernkriegs in verschiedenen Gegenden Deutschlands und der benachbarten Schweiz gleichermaßen die reformatorische Gesinnung der Landbevölkerung wie ihre Bereitschaft, gegen ungerechte Lasten vorzugehen. Am intensivsten jedoch verband sich in vielen Städten jener Zeit religiöse Erneuerung mit sozialem Protest. War wenige Jahre zuvor das Finanzgebaren des Rates der Anlass gewesen, um eine stärkere Teilhabe der Bürgergemeinde einzufordern, so ging es nun vermehrt um religiöse Angelegenheiten, konkret etwa um die geforderte Ein- oder Absetzung von Pfarrern oder um Fragen der Messliturgie oder der Behandlung von Heiligenbildern. Auch was die Formen angeht, so verbanden sich alte städtische Traditionen des öffentlichen Protestes mit spezifischen Aktionen gegen die alte Kirche wie Predigtstörungen oder Bilderstürmen. Zudem intensivierte sich der herkömmliche bürgerliche Reflex gegen die Privilegien der Geistlichkeit und ihrer Einrichtungen zu einem grundsätzlichen Antiklerikalismus, der auf die generelle Abschaffung des Klerus zielte. Die Beispiele Nürnberg und Zürich zeigen schließlich, dass sich im Zeichen der Reformation ländliche und städtische Unruhen stärker verbanden, als es früher der Fall gewesen war. Bis heute ist in der Historiographie zum Bauernkrieg der Stellenwert der Reformation umstritten. Rudolf Endres bilanzierte als „ übereinstimmende Meinung “ der Forschung, dass „ die religiöse Frage weniger zu den eigentlichen Ursachen des Bauernkriegs gehörte, sondern mehr die Funktion eines Katalysators hatte “ . 9 Die in diesem Urteil aufscheinende Hierarchisierung von eigentlichen Ursachen und (bloßem) Katalysator erscheint auch vor dem 9 Endres, Ursachen, S. 249. 212 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? <?page no="213"?> Hintergrund der Beobachtungen der vorliegenden Darstellung irreführend. 10 Natürlich verweisen die vielfältigen Unruhen und Aufstände in den Jahrzehnten vor dem Bauernkrieg auf eine weit verbreitete Unzufriedenheit, ebenso auf ein großes Protestpotential in Stadt und Land, das sich immer einmal wieder (und zum Teil fast gleichzeitig an verschiedenen Orten) artikuliert hatte. Ebenso eindeutig aber war es die evangelische Bewegung, die dazu führte, dass sich dieses Potential in den 1520er Jahren machtvoll realisierte und dass überall die gleichen reformatorischen Themen verhandelt wurden. Dabei geht es keineswegs darum, soziale gegen religiöse Faktoren auszuspielen oder die Bedeutung spiritueller Impulse auf Kosten materieller Interessen herauszustellen, sondern vielmehr darum, die Verknüpfung beider Dimensionen miteinander zu betonen. (VI) Freilich blieb auch in Zeiten des „ großen “ Bauernkriegs das Verhältnis der Teile zum Ganzen kompliziert. Vor allem wurden die sozialkritischen Impulse der Reformation auf dem Land und in der Stadt ganz unterschiedlich aufgenommen und verarbeitet. Auf dem Land kam es schnell zu einer mächtigen Protestwelle, die fast von Beginn die Grenzen einzelner Herrschaftsgebiete und Territorien überschritt und die in der Bildung großer Bauernhaufen kulminierte. Ihnen zogen auch Menschen aus der Stadt zu. Innerhalb der Stadtmauern hingegen wurden die Impulse der reformatorischen Bewegung bzw. des beginnenden Bauernkriegs gemäß den lokalspezifischen Protesttraditionen jeweils in ganz eigener Weise aufgegriffen. Das trifft auch für viele Städte in den Kernzonen des Aufstandes zu, kann aber in besonderer Schärfe am Beispiel der Stadtunruhen an der Peripherie des Bauernkriegs oder gar in bauernkriegsfernen Gebieten beobachtet werden, wie die Erörterung der Geschehnisse in Frankfurt am Main und in Köln zeigte. Insgesamt ist für den Bauernkrieg die Bedeutung der Städte kaum zu überschätzen; zu wichtig waren sie als Kommunikationszentren und Multiplikatoren der reformatorischen Botschaft. 11 Das bedeutet freilich nicht, der Blickle-These das Wort zu reden, es habe eine Stadt und Land übergreifende Aktionsgemeinschaft im Sinne einer Revolution des gemeinen Mannes gegeben. Trotz vielfältiger Verflechtungen mit dem Land blieb die Stadt vor und während des Aufstandes von 1525 überwiegend eine vom Land getrennte Protestarena. 10 Vgl. näher zum Folgenden Schwerhoff, Bauernkrieg, S. 531 ff. 11 Ebd., S. 567 ff. 9 Auf dem Weg zum Bauernkrieg? 213 <?page no="214"?> Abbildungsverzeichnis 01 „ Ein Spiegel der naturlichen himlischen und prophetischen Sehungen aller Trübsalen, Angst und Not, die über alle Stende, Geschlechter und Gemaynden der Christenheyt, sunderbar so dem Krebsen undergeworffen sein in kurtzen Tagen geen werden. “ von Grünpeck, Josef, Nürnberg 1508, Titelbild München, Bayerische Staatsbibliothek - Rar. 2112 (CC BY-NC-SA 4.0 DEED) 02 Schedelsche Weltchronik, 1493, Blatt CCLV Wikimedia Commons (https: / / upload. wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 1/ 1d/ Schedel-Pfeifferhans3.jpg) 03 Narrenschiff vom Bundschuh (1513), Titelblatt München, Bayerische Staatsbibliothek - Res/ 4 P. o.germ. 230,4 (CC BY-NC-SA 4.0 DEED) 04 Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh, Titelbild Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Signatur: R 16 Gen 1 (http: / / digital.wlbstuttgart.de/ purl/ kxp1748611488) 05 Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh, Titelbild München, Bayerische Staatsbibliothek - 4 Germ.sp. 380,6 (https: / / www.digitalesammlungen.de/ de/ view/ bsb00005383? page=4,5) 06 Pamphilius Gengenbach, Büchlein vom Bundschuh (Nachdruck 1514) © akg-images 05 Wer wissen w œ ll wie die sach stand || Jtz in dem würtenbeger land || Der kauff vñ leß den spruch z°u h-d || Er ist der arm Conrad genandt || „ Wer wissen will, wie die Sache steht “ (Mainz 1514), Titelbild Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz - Yg 6719 (public domain) 06 Alexander Seitz, Ein schoner tractat darjnnen begriffen ist Die art vnnd vrsach des Traümes [ … ], Landshut 1515, Titelbild (1515) BSB (https: / / api.digitale-sammlungen. de/ iiif/ image/ v2/ bsb00012922_00005/ full/ full/ 0/ default.jpg) 07 „ Uployp van twen schoten “ (1513) im Schichtbuch Hermann Botes HAB (http: / / diglib.hab.de/ mss/ 120-extrav/ start.htm? image=00299) 08 Zerstörung der Burg Boxberg am 15. Juni 1523 durch Truppen des Schwäbischen Bundes Staatsbibliothek Bamberg, RB. H.bell. f.1, Bl. 9 (Fotos Gerald Raab) <?page no="215"?> Quellen- und Literaturverzeichnis 500 Jahre Armer Konrad. Der Gerechtigkeit einen Beistand thun. Katalog zur Ausstellung 10. Mai bis 28. September 2014, hg. von der Stadt Fellbach, Fellbach 2014 A DAM , Thomas: Neues von Joß Fritz? Begriffsbestimmungen an einem Rebellen: Der Untergrombacher Bundschuhführer zwischen Mythos, Politik und Geschichtswissenschaft, in: Badische Heimat 82 (2002), S.477 - 495 A DRIANI , Götz/ Andreas S CHMAUDER (Hg.): 1514. Macht - Gewalt - Freiheit. Der Vertrag von Tübingen in Zeiten des Umbruchs, Tübingen 2014 A GRICOLA , Johannes: Drey hundert Gemeyner Sprichworter, der wir Deutschen vns gebrauchen, vnd doch nicht wissen woher sie kommen, Hagenau 1529 A LTER , Wilhelm R: Der Aufstand der Bauern und Bürger im Jahre 1525 in der Pfalz, Speyer 1998 A MBERG , Joel van: A Real Presence. 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Brandenburg, Bf. 45 f., 163 Alexander VI., Papst 10, 116 f. Alpirsbach 60, 104 Altenburg 173 Andernach 133 Andlau 64 Artzt, Ulrich 174, 178 Augsburg 29, 31, 39, 61, 127, 131, 133, 143, 174 - 176, 178, 210 Aventin, Johannes 19 Baden 71, 73, 78, 104, 113, 116, 125, 127 Bakócz, Tamás 55 Balingen 97 Bamberg 151, 189, 209 Basel 50, 60, 66 - 68, 74, 80, 86, 89, 119 Bayern, Sabine v. 94 Bebel, Heinrich 119 Behem, Hans 46, 48 Berlepsch, Sittich v. 182 Berlichingen, Götz v. 148 - 154, 157, 211 Berlichingen, Kilian v. 150 Betzenhausen 80 f., 83 Beutelsbach 96, 112 Beutelsdorf 188 Biengen 78, 83 Biest, Jakob v. 204 f. Bietigheim 97 Blaubeuren 97 Blickle, Peter 161, 170, 185, 197, 213 Blienschweiler 63 Blienschweiler (Blienschwiller) 63 - 65, 69 Blum, Hans 67 Blumeneck, Balthasar v. 78 Blumeneck, Kaspar v. 79 Bodenstein v. Karlstadt, Andreas 164 f., 199 Bopfingen 31 Boppard 198 Bote, Hermann 136 Boxberg 159 f. Brant, Sebastian 86 Braunschweig 31, 132 f., 136, 142 - 144, 166 Breisach 84, 122, 127 Brendler, Gerhard 170 Brenz, Georg 70 - 72, 74, 79, 82, 174 Breuning, Konrad 105, 110 Bruchsal 70 f., 74, 78, 82 Bucer, Martin 167 f., 174 Buchen 151 Burgund 95, 142, 150 Bussi, Giovanni Andrea 11 Buszello, Horst 59, 78 - 85, 99, 126, 128 f. Caesar, Johannes 126 Calixt II., Papst 51 Calle, Guillaume 54 Cellarius, Christoph 10, 12 Champagne 54 Cochläus, Johannes 203 Colmar 65 Cornwall 54 Cronberg, Hartmut v. 167 Dambach 63, 65 - 70 Darmstadt 155 Dillinger, Johannes 120, 123, 125 - 127, 210 Dinkelsbühl 125, 159 Dinkelsbühl, Michel v. 121 - 125, 127 Dózsa, György 55 f. <?page no="236"?> Duisburg 132 f., 135 Dülmen, Richard van 17 f., 23, 162 Eberbach 204 Eberhard der Jüngere, Hz. v. Württemberg 94 Eberhard im Bart, Hz. v. Württemberg 35 Ebernburg 148, 167 f., 212 Ebner 178 Ebner, Hieronymus 191 Eck, Johannes 165 Edward III., Kg. v. England 54 Eidgenossenschaft 58, 61, 68, 105, 116, 118, 195 Einsiedel, Heinrich Hildebrand v. 166 Elsass 57, 62, 64 f., 70, 73 f., 119, 121 f., 199 Eltville 198 Embrach 196 Enderlin, Augustin 80 Enderlin, Hans 79 f. Endingen 84 Endres, Rudolf 212 Engen 61 England 33, 57 Epp, Sigmund 103 Epplin, Thomas 109 Erfurt 31, 132 - 134, 141 - 144, 147, 179, 182, 201 Essex 54 Esslingen 115 f. Fleckenstein, Klaus 122, 124, 127 Forchheim 189 - 191 Franken 21, 34, 36, 40, 153, 189, 200 Frankfurt am Main 131, 133, 198 - 200, 202 - 204, 213 Frankreich 33, 53, 57, 62, 156 Franz I., Kg. v. Frankreich 155 Franz, Günther 7, 59, 120, 197 f. Freiburg 78 - 82, 84 - 86, 104, 120, 125 Friedberg 200, 203 Friedrich der Weise, Kf. v. Sachsen 166 Friedrich I., Ks. 127 Friedrich III., Ks. 39, 48, 127 Friedrich V., Markgf. v. Brandenburg 130 Fritz, Joß 60, 71 f., 78 - 86, 91, 120 - 122, 124, 126 - 129 Fuchs, Walther Peter 197 Fugger 46, 56, 163, 174 Fugger, Jakob 177 Fürstenberg, Gf. Wilhelm v. 157 Fürstenberg, Wolfgang v. 77 Gais, Peter (Gaispeter) 96, 99, 102, 112, 116 Gaisberg, Georg 105 Gaisberg, Hans 105 Gaisslin, Reinhart 49, 97 f., 102, 107, 113, 115 Gaugenwald 128 Geislingen 133 Gengenbach, Pamphilus 53, 86, 88 - 92 Glizsch, Konrad 188 Goertz, Hans-Jürgen 162 Göttingen 132 f., 136, 143, 146 f. Graf, Urs 86 Grebel, Konrad 172 Greiffenklau, Kf. Richard v. 156 f., 168 Gründlach 191 Grünpeck, Johann 11, 13 Gugel, Bastian 104 Güglingen 109 Gutenberg, Johannes 14 Habsburg 61 f., 94 f., 156 Hagenau 121 Hales, Robert 54 Hanau, Reinhard v. 151 Hanser, Jakob 63 f., 68 Hegau 61 f., 122 Heidelberg 75, 97 Heilbronn 84, 116, 154, 198 Helmstedt, Bf. Ludwig v. 71 f. Henneberg, Gf. Wilhelm v. 136 Hewen 61 Heyden, Peter 67 f. Hisolidus 180 Honau 186 236 Register <?page no="237"?> Höngg 194, 196 Höxter 132 f., 136, 143, 146 Hubmaier, Balthasar 48 Humel, Hans 80 f. Hus, Jan 41 f. Huser, Jakob 80 - 82, 85 f., 89, 91 Hütlin, Mathias 123 Hutten, Hans v. 118, 167 Hutten, Ulrich v. 11, 167 - 169, 212 Imhoff, Hieronymus 175 Inden, Peter v. 135 Johann, Hz. v. Jülich 135, 147 Johann, Hz. v. Sachsen 166, 181 Jöhlingen 71 Kappelberg 96, 112, 114 Karl der Große 33 f. Karl V., Ks. 34, 39, 154 - 156, 177 Kärnten 57 Kaser, Kurt 9, 132 - 136, 141, 147, 170 f. Kasimir, Markgf. v. Brandenburg 158 Kaufmann, Thomas 162, 164 Kaysersberg, Johannes Geiler v. 49 Kellner, Heinrich 35, 144 Kempen, Thomas v. 45 Kempten 27, 36, 57, 208 Kent 54 Kenzingen 81 Kitzingen 130 f., 147 Klinger, Hans 195 Köhn, Rolf 61 f., 122 f. Koler, Johann 180 Köln 31, 33, 131 - 135, 137 - 140, 142 - 144, 146, 151 f., 171, 203, 206 f., 213 Kolumbus, Christoph 13 Konstantinopel 10 Konstanz 43, 50, 61, 79, 126 Krain 57 Kreuznach 149 Krieger (v. Kirspell), Wilhelm 16, 22, 33, 37, 40, 204 - 206 Küchenmeister, Johann 151 Kues, Nikolaus v. 11 Kyburg 196 Lancaster 54 Landau 156 Landau, Han 65 f. Landshut 116, 150 Landstuhl 157 Langenmantel, Matthias 175 Langensalza 182 Lehen 20, 35, 78 - 81, 83 - 86, 122, 126 Leisnig 173 Leo X., Papst 55 Leonberg 111 - 113 Lichtenberger, Johannes 11 Limburg 203 Lindenau, Albrecht v. 166 London 54 Looz-Corswarem, Clemens 133, 137 - 139, 203 - 206 Lorch 104 Lothringen, Hz. Anton v. 155 Lupfen, Gf. v. 61 Luther, Martin 12, 45 f., 49 f., 161 - 167, 170 f., 173, 177 f., 180 f., 188 f., 192 - 194 Lüttich 133 Lyskirchen, Werner v. 138 Lyskircher, Wolfgang 144 Mainz 14, 33, 46, 151, 198, 201, 203 f. Mansfeld, Gf. Ernst v. 180 Marbach 97, 106, 116 Marcel, Étienne 54 Markgröningen 49, 97 - 99, 102, 107, 113, 115 Marx, Karl 41, 79 - 81, 83, 151 Maschke, Erich 131, 170 Maulbronn 104 Maximilian I., Ks. 11 f., 14, 33 f., 37 f., 45, 63, 66, 70, 73, 75, 77, 93 f., 111, 115, 119, 148, 155, 167, 211 Mayr, Michael 50 Mehmed II., Sultan 12 Melanchthon, Philipp 161 Register 237 <?page no="238"?> Mello 54 Memmingen 58, 161 Mengen 79, 83 Menzingen, Philipp v. 22 Metzger, Hans 122, 127 Metzler, Conrad 99 Meyger, Kilius 79 - 81, 84, 89 Miltenberg 200 Mingolsheim 71 Möckmühl 154 Mörsberg, Hans Jakob v. 146 f. Mühlhausen i. Th. 66, 178 - 185, 198 Mühlhausen, Konrad v. 66 Muller, Thomas 80 Münster 206 Müntzer, Thomas 178, 180 - 184 Nagel, Jakob 125 Nanstein 157 Navarra, Karl v. 54 Nenzingen 82 Neuss 132 f., 135 Niklashausen 46 f., 49 Nördlingen 133, 186 Normandie 54 Nothalden 65 Nothalten 63 Nürnberg 30 f., 39, 131, 150 f., 158 f., 173 f., 178, 189 - 193, 212 Nützel 178 Oberehnheim 69, 73 Oberwesel 198 Ochsenhausen 26, 57, 208 Oettingen, Gf. Joachim v. 158 Oexle, Otto Gerhard 16 Ofen 55 Öglin, Erhard 92 Orlamünde 165, 188 Osiander, Andreas 193 Osnabrück 206 Ottobeuren 58 Paris 53 Peraudi, Raimund 10, 12, 45 Peringer, Diepold 192 Petrarca, Francesco 10 Pfaffenhofen 99 Pfeiffer, Heinrich (i. e. Schwertfeger) 179 - 184 Pforzheim 71 Philipp, Landgf. v. Hessen 155, 166 Philipp, Markgf. v. Baden 79 Picardie 54 Piccolomini, Enea Silvio (Papst Pius II.) 14, 50 Poitiers 53 Poppenreuth 191 Rammstedt, Otthein 197 f., 201, 203, 206 Rapp, Lux 71 - 74 Redwitz, Bf. Weigand v. 190 Regensburg 48, 132 - 134, 142 - 144, 146, 201 Rekeling, Ludeke 144, 146 Remstal 98 f. Renner, Jacob 67 Repgow, Eike v. 51 Rhegius, Urbanus 174 Rheingau 198, 204, 206 Richard II., Kg. v. England 55 Rodemann, Sebastian 182 Rohrbach, Jäcklein 200 Rom 34, 45, 47, 163, 167, 171 Rosenberger 159 Rosenfeld 104 Rosenkranz, Albert 59, 62 - 65, 67 - 73, 75 - 85, 104, 120 - 127 Rosenmeiger, Konrad 130 Rothenburg o. d. Tauber 165, 185, 198 Rötteln 125 f. Rottweil 64 f., 85 Rufach (Rouffach) 57 Ruprecht, Pfalzgf. 150 Ruprechtsau 188 Salem 25 Schaffhausen 61, 80, 116 238 Register <?page no="239"?> Schallstadt 78 f., 83 Schenken v. Limpurg 116 Schilling, Johannes 174 - 177 Schlettstadt 60, 63, 65 f., 68, 73 - 75, 77, 130 f. Schlör, Balthasar 148 Schmidin, Else 82 Scholten, Franz 148 f., 156 f., 167 Schorndorf 94, 96 f., 99, 102 f., 105, 107, 111 - 115 Schulenburg, Matthias v. der 166 Schütz, Ulrich 64, 68 Schwabach 187 Schwäbisch Gmünd 116 Schwäbisch Hall 133, 174 Schwarz, Hans 86 Schwarzwald 127 Schweden 55, 57 Schweinfurt 132 f., 135, 144, 146 Schweiz 74, 80, 84, 212 Seitz, Alexander 116 f. Sickingen, Franz v. 133, 135, 146, 148 f., 151 - 153, 155 - 158, 162, 167 f., 211 Sindelfinger, Hans 151 f. Singerhans 102, 108 f. Sladeczek, Martin 25, 185, 189 Smithfield 55 Spalatin, Georg 178 Spät, Dietrich 157 Spengler, Lazarus 173, 192 Speyer 70, 72 - 74, 79, 82, 84, 132 f., 135, 143 f., 147, 166, 198, 201 St. Gallen 194 Stammheim 196 Steffen, Hans 104 Steiermark 57 Steinbach 98 Stockach 82 Stolle, Konrad 46 Stotzheim 63 f., 70 Stralsund 206 f. Straßburg 49, 63 f., 66, 68, 70, 73, 86, 124 f., 143, 174, 186 Straßburg, Heinrich v. 124 Strauß, Jakob 177 Studlin, Marx 79 - 81, 83 Stumpf, Marx 151 Stumpff, Simon 194, 196 Stuttgart 43, 97, 103, 105, 107 f., 110 - 112, 114, 210 Sudbury, Simon 54 Summenhart, Konrad 98 Temesvár 56 Thatcher, Margret 18 Theobald 71 Thüngen, Bf. Konrad v. 150 Thüngen, Margarethe v. 150 Thüngen, Neithard v. 150 Thurzo 56 Toggenburg 194 Trier 33, 156 Trithemius, Johannes 70, 74, 82, 84 Tübingen 97, 105, 107, 110 f. Tyler, Wat 54 Udenheim (heute Philippsburg) 71, 74 Ulm 31, 133 f., 174 Ulmann, Hans 63 f., 67 - 69, 119, 130 Ulrich, Hz. v. Württemberg 11, 40, 64, 68, 93 - 96, 103, 107, 110, 112, 114 - 116, 118 f., 128, 151, 153 - 155, 158, 161, 167 - 169, 178, 192 f., 195, 210 Ungersberg 63 f., 66 - 68, 119 Untergrombach 71 f., 74, 78 f., 81 f., 84 Untertürkheim 99, 102 f. Urach 97, 102, 106, 108 f., 111, 113 f. Ursberg 178 Volland, Ambrosius 97 Volland, Philipp 97 f. Völtsch, Peter 69 Waldburg, Georg Truchsess v. 113, 158 f., 200 Waldeck, Gf. v. 151 Waldseemüller, Martin 14 Wanzenau 186 Register 239 <?page no="240"?> Weber, Max 38, 99, 113 Weck, Hans 128 Weiler, Dietrich v. 112 Weiler, Stefan 108 Weingarten 71, 200 Weinsberg 97, 111, 200, 203 f. Weinsberg, Hermann v. 97, 111, 200, 203 f. Weißenburg (Wissembourg) 121 f., 124, 127, 198 Wendelstein 187 Wertheim, Gf. v. 46 Westerburg, Gerhard 199, 202 Wettich, Johann 182 Wetzlar 203 Wilsnack 46 Wimpfeling, Jakob 65, 70, 119 Winnenden 109, 113 Wismar 206 Witikon 195 Wittenberg 163 f., 166, 173, 181 Worms 39, 132 f., 135, 143 f., 146 - 149, 151, 155, 198 Würtingen 102, 108 Württemberg 35 f., 59, 93 - 96, 99, 101 - 106, 108, 110, 112 - 116, 118 f., 151, 154 f., 167, 200, 209 - 211 Würzburg 46, 48, 113 Wynman, Matern 79 Yorkshire 54 Ytelbös, Jörg 109 Zápolya, Johann 56 Ziegler, Klaus 43, 64, 68 f., 166 Zürich 67, 161, 172, 193 f., 196, 212 Zwingli, Ulrich 161, 193 - 195 240 Register <?page no="241"?> Konflikte und Kultur herausgegeben von Carola Dietze, Joachim Eibach, Mark Häberlein, Gabriele Lingelbach, Ulrike Ludwig, Dirk Schumann, Gerd Schwerhoff Lieferbare Titel: 15 Falk Bretschneider Gefangene Gesellschaft Eine Geschichte der Einsperrung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert 2008, 636 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-86764-074-9 16 Ulrike Ludwig Das Herz der Justitia Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648 2008 €[D] 39,- ISBN 978-3-86764-074-9 17 Christian Hochmuth Globale Güter - lokale Aneignung Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden 2008 €[D] 34,- ISBN 978-3-86764-082-4 18 Mathis Leibetseder Die Hostie im Hals Eine ›schröckliche Bluttat‹ und der Dresdner Tumult des Jahres 1726 2009, 200 Seiten €[D] 24,- ISBN 978-3-86764-208-8 19 Sarah Bornhorst Selbstversorger Jugendkriminalität während des Ersten Weltkriegs im Landgerichtsbezirk Ulm 2010, 374 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-86764-249-1 20 Mark Häberlein, Christian Kuhn, Lina Hörl (Hg.) Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (ca. 1250-1750) 2011, 314 Seiten €[D] 29,- ISBN 978-3-86764-254-5 21 Päivi Räisänen Ketzer im Dorf Visitationsverfahren, Täuferbekämpfung und lokale Handlungsmuster im frühneuzeitlichen Württemberg 2011, 370 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-86764-255-2 23 Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richert, Gerd Schwerhoff (Hrsg.) Das Duell - Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne 2012, 372 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-86764-319-1 <?page no="242"?> 24 Alexander Kästner Tödliche Geschichte(n) Selbsttötungen in Kursachsen im Spannungsfeld von Normen und Praktiken (1547-1815) 2011, 60 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-86764-320-7 25 Albrecht Burkardt, Gerd Schwerhoff (Hg.) Tribunal der Barbaren? Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit 2012, 450 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-86764-371-9 26 Matthias Bähr Die Sprache der Zeugen Argumentationsstrategien bäuerlicher Gemeinden vor dem Reichskammergericht (1693-1806) 2012, 316 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-86764-397-9 27 Christina Gerstenmayer Spitzbuben und Erzbösewichter Räuberbanden in Sachsen zwischen Strafverfolgung und medialer Repräsentation 2013, 386 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-86764-403-7 28 Alexander Kästner, Gerd Schwerhoff (Hrsg.) Göttlicher Zorn und menschliches Maß Religiöse Abweichung in frühneuzeitlichen Stadtgemeinschaften 2013, 218 Seiten €[D] 29,- ISBN 978-3-86764-404-4 29 Andreas Flurschütz da Cruz Zwischen Füchsen und Wölfen Konfession, Klientel und Konflikte in der fränkischen Reichsritterschaft nach dem Westfälischen Frieden 2014, 460 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-86764-504-1 30 Nina Mackert Jugenddelinquenz Die Produktivität eines Problems in den USA der späten 1940er bis 1960er Jahre 2014, 338 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-86764-559-1 31 Maurice Cottier Fatale Gewalt Ehre, Subjekt und Kriminalität am Übergang zur Moderne. Das Beispiel Bern 1868-1941 2017, 246 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-86764-719-9 32 André Krischer, Tilman Haug (Hrsg.) Höllische Ingenieure Kriminalitätsgeschichte der Attentate und Verschwörungen zwischen Spätmittelalter und Moderne 2021, 263 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-7398-2770-4 33 Suphot Manalapanacharoen Selbstbehauptung und Modernisierung mit Zeremoniell und symbolischer Politik Zur Rezeption europäischer Orden und zu Strategien der Ordensverleihung in Siam 2017, 292 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-86764-809-7 <?page no="243"?> 34 Moritz Glaser Wandel durch Tourismus Spanien als Strand Europas, 1950-1983 2018, 396 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-86764-826-4 35 Eva Keller Auf Bewährung Die Straffälligenhilfe im Raum Basel im 19.-Jahrhundert 2019, 304 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-86764-892-9 36 Patrick Berendonk Diskursive Gerichtslandschaft Die jüdische Minderheit vor landesherrlichen Obergerichten im 18. Jahrhundert 2020, 268 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7398-3074-2 37 Sarah Masiak Teufelskinder Hexenverfolgung und gesellschaftliche Stigmatisierung im Hochstift Paderborn (1601-1703) 2020, 554 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7398-3095-7 38 Franz-Josef Arlinghaus, Peter Schuster (Hrsg.) Rang oder Ranking? Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne 2020, 114 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-86764-914-8 39 Arno Haldemann Prekäre Eheschließungen Eigensinnige Heiratsbegehren und Bevölkerungspolitik in Bern, 1742-1848 2021, 430 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7398-3173-2 41 Jan Siegemund Öffentlichkeit als Waffe Schmähschriften als Mittel des Konfliktaustrags in Kursachsen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 2024, 423 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7398-3203-6 42 Benjamin Seebröker Interpersonelle Gewalt und gesellschaftlicher Wandel Lancashire 1728-1830 2023, 299 Seiten €[D] 39,99 ISBN 978-3-7398-3225-8 43 Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Unruhen und Revolten am Beginn des 16.-Jahrhunderts 2024, 240 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-381-12181-6 <?page no="244"?> ISBN 978-3-381-12181-6 www.uvk.de Vor dem „großen“ Bauernkrieg von 1525 gab es im Alten Reiche eine Vielzahl von Unruhen, Aufständen und Revolten. Am bekanntesten sind die „Bundschuh“-Verschwörungen und die Bewegung des „Armen Konrad“ in Württemberg im Südwesten. Bis heute wird ihre Bedeutung oft falsch eingeschätzt. Auch in den Städten gab es damals eine regelrechte Aufstandskonjunktur, die bislang noch kaum vergleichend erforscht wurde. Das Buch gibt einen Überblick zu diesen Phänomenen und stellt die Verbindung zur Reformation her. Diese läutete eine neue Phase von Unruhen ein, indem sie den vormals fragmentierten Bewegungen eine gemeinsame Richtung gab. Schließlich wird der Bogen bis zum Beginn des Bauernkriegs geschlagen. Auf diese Weise werden Kontinuitäten und Brüche sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den „Voraufständen“ und dem Bauernkrieg sichtbar. Konflikte und Kultur Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Gerd Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts