Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre
Arbeitspapiere der 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts
0812
2024
978-3-3811-2292-9
978-3-3811-2291-2
Gunter Narr Verlag
Eva Burwitz-Melzer
Claudia Riemer
Lars Schmelter
10.24053/9783381122929
Die 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts beschäftigte sich mit Konzepten, Lehrveranstaltungsformaten und Tools der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre und diskutierte leitende Prinzipien ihrer Gestaltung sowie Kriterien, anhand derer die Qualität der Lehre in den Fremd- und Zweitsprachendidaktiken bemessen werden kann. Ebenfalls in den Blick genommen wurden die Fort- und Weiterbildung von bereits praxiserfahrenen Lehrpersonen bzw. Quer-/Seiteneinsteiger:innen sowie die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses und dessen Ausbildung. Der Band dokumentiert die überarbeiteten Stellungnahmen der Konferenz-Teilnehmer:innen.
<?page no="0"?> Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre Arbeitspapiere der 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts <?page no="1"?> Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre <?page no="2"?> G I E S S E N E R B E I T R ÄG E Z U R F R E M D S P R A C H E N D I DA K T I K Herausgegeben von Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Dietmar Rösler und Ivo Steininger. Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho <?page no="3"?> Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitspra‐ chendidaktischer Hochschullehre Arbeitspapiere der 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381122929 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-381-12291-2 (Print) ISBN 978-3-381-12292-9 (ePDF) ISBN 978-3-381-12293-6 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 19 29 37 47 57 69 81 93 103 111 123 Inhalt Eva Burwitz-Melzer Fostering the Continuum: Kompetenzentwicklung von Englisch-Lehrkräften in der hochschuldidaktischen Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Caspari „Teachers teach as they were taught“ - Überlegungen zur fremdsprachendidaktischen Lehre in der Hochschule und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Diehr Menschen, Sprachen, Inhalte - Bestandteile der Qualitätsentwicklung fremdsprachendidaktischer Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Freitag-Hild Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . David Gerlach Grundlagen einer Identity-orientierten Hochschullehre für angehende Fremdsprachenlehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Grünewald Die Rolle der universitären Lehrkräftebildung in der Ausbildung von Lehrer: innen, Fremdsprachenforscher: innen und in der Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friederike Klippel Fremdsprachendidaktische Lehre in der Lehramtsausbildung - früher, heute, morgen Uwe Koreik Zur Ausbildung von Kulturvermittlungskompetenz in den Fremdsprachenphilologien Jürgen Kurtz Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen. Die universitäre Fremdsprachenlehrkräftebildung im multiplen Krisenmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christiane Lütge Überlegungen zur Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre. Konzeptionen und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hélène Martinez Muss der fremdsprachendidaktische Hochschulunterricht etwa umkehren? . Nachdenken über eine nachhaltige fremdsprachendidaktische Hochschullehre . . . . . Nicole Marx Expert: innen braucht das Land! . Zur Bildung von Lehrenden für zugewanderte Schüler: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 133 143 153 163 173 185 195 205 215 221 229 237 241 Claudia Riemer DaF/ DaZ-Studiengänge mit internationaler und heterogener Studierendenschaft. Herausforderungen für die fachbezogene Hochschuldidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Rymarczyk Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Schädlich Hochschullehre als Problem der Hochschulforschung. Wissenspraktiken und Ethnographie im Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schart Unterrichtsnahe Elemente fremdsprachendidaktischer Hochschullehre . . . . . . . . . . . . . Lars Schmelter Subjektwissenschaftliche Perspektiven der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre. Das Verhältnis von Lehre und Phasen potenziell expansiven Lernens Torben Schmidt Studierende als Spiele-Entwickler*innen und Forscher*innen. Zur Integration von Produktdesign und forschendem Lernen in die Englisch-Lehrkräftebildung . . . . . . . . Julia Settinieri Curriculare Überlegungen zur Rolle der Forschungsmethodologie in fremdsprachendidaktischen Studiengängen (am Beispiel von DaF/ DaZ) . . . . . . . . . . . . Kathrin Siebold Professionelle Lerngemeinschaften in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ivo Steininger Spannungsfelder literatur- und kulturdidaktischer Hochschullehre in den Fremdsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Viebrock Kontexte, Prinzipien und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Wilden Zur Qualität fremdsprachendidaktischer Hochschullehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adressen der Beiträger: innen und Herausgeber: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> Vorwort Sprachlehr- und -lernforschung und Fremdsprachendidaktik einschließlich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sind wie die meisten Wissenschaftsdisziplinen, die sowohl einen Forschungsals auch konkret auf schulische Fächer oder außerschulische Bildungsfelder u. a. in der Erwachsenenbildung ausgerichteten Ausbildungsauftrag haben, in mehrfacher Weise herausgefordert, diesen durchaus verschiedenen Aufgaben, Funktionen und Zielen gerecht zu werden. Fragen der Gestaltung der Studienangebote und der Adressierung der Studierenden, der zukünftigen Zweit-/ Fremdsprachenlehrenden, sind daher inhärenter Teil der hochschulischen Fachaufgaben. Interessanterweise haben sich Sprachlehr- und -lernforschung und Fremdsprachendidaktik, obwohl doch das Lehren und Lernen von Sprachen im Zentrum ihrer Arbeit stehen und entsprechend eng mit dem disziplinären Selbstverständnis verbunden sind, bis vor kurzem kaum mit der Konzeption, den Gelin‐ gensbedingungen und der Qualität ihrer eigenen (Hochschul-)Lehre befasst. Fragen wie etwa die folgenden werden eher hochschulintern und weniger hochschulbzw. fachüber‐ greifend diskutiert: Welche Konzepte, Lehrveranstaltungsformate und Tools eignen sich für die fremd- und zweitsprachendidaktische Hochschullehre? Welche leitenden Prinzipien können für die Gestaltung der Lehre formuliert werden? Wie und anhand welcher Kriterien kann die Qualität der Lehre in den Fremd- und Zweitsprachendidaktiken bemessen werden? Müssen diese Fragen mit Blick auf die Fort- und Weiterbildung von praxiserfahrenen Lehrpersonen bzw. Quer-/ Seiteneinsteiger: innen anders beantwortet werden als für die grundständigen Studiengänge? Diese Fragen gilt es in größerem Kontext zu bearbeiten und auch mit Blick auf die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu beantworten. Vor diesem Hintergrund haben sich die Teilnehmer: innen der 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts anhand von Leitfragen mit dem oben be‐ schriebenen Komplex auseinandergesetzt und dabei auch Erfahrungen und Konzepte ausgetauscht, die fachübergreifend die Zweit-/ Fremdsprachenlehrendenbildung betreffen; vorhandene und erprobte Konzepte und Forschung wurden identifiziert und vielfältiger Forschungsbedarf festgestellt. In bewährter Manier waren die Leitfragen vorab zugesandt worden und die Teil‐ nehmer: innen hatten sich zu ihnen in einem Vorabstatement im Umfang von ca. acht Seiten schriftlich geäußert. Diese Statements lagen den Diskussionen vom 14. bis 16. Februar 2024 im Schloss Rauischholzhausen zugrunde. Die Leitfragen lauteten: 1. Welche Konzepte, Lehrveranstaltungsformate und ggf. Tools der fremd- und zweit‐ sprachendidaktischen Hochschullehre sind aus Ihrer Sicht besonders geeignet, ihren Funktionen, Aufgaben und Zielen gerecht zu werden? Welche leitenden Prinzipien lassen sich erkennen? Anhand welcher Kriterien lässt sich die Qualität der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre bemessen? 2. Die fremd- und zweitsprachendidaktische Hochschullehre zielt neben der Vorbe‐ reitung auf das Agieren in den typischen Feldern des Lehrens und Lernens von <?page no="8"?> Fremd- und Zweitsprachen (z. B. Unterricht, Lernberatung, Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien) in Teilen auch auf die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Welche Konzepte der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hoch‐ schullehre scheinen Ihnen mit Blick auf eine qualitätsvolle Ausbildung von Fremd‐ sprachenforscher: innen besonders geeignet? 3. Auch die Fort- und Weiterbildung von bereits praxiserfahrenen Lehrpersonen bzw. Quer-/ Seiteneinsteigern kann als Teil der sog. Third Mission trotz unterschiedlicher Regelungen und Möglichkeiten als Aufgabe der fremd- und zweitsprachendidakti‐ schen Hochschullehre betrachtet werden. Inwiefern unterscheiden sich hier die Konzepte und Qualitätskriterien von denen, die in der Ausbildung von Lehrpersonen an der Hochschule zum Tragen kommen? 4. Angesichts gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen stellt sich für die fremdsprachendidaktische Hochschullehre (wieder) die Frage nach den Zielen, Gelin‐ gensbedingungen und Formen des Wissenstransfers über hochschulische Bildung in relevante (vorrangig berufliche) Felder. In welchen Aspekten sehen sie Forschungs- und Entwicklungsbedarf ? Welche Forschungsdesigns halten Sie für angemessen? Für die Veröffentlichung in diesem Band haben die Teilnehmer: innen ihre Statements im Anschluss an die Konferenz überarbeitet. In den Beiträgen zeigt sich nicht nur das breite Spektrum der Perspektiven auf die fremd- und zweitsprachendidaktische Hochschullehre und deren Herausforderungen, sondern es werden vielfältige Forschungsergebnisse und weiterführende Fragestellungen diskutiert. Veranstalter: innen sowie Teilnehmer: innen der Frühjahrskonferenz sind den Verant‐ wortlichen vor Ort für die weiterhin gewährte Gastfreundschaft dankbar. Denn das Schloss Rauischholzhausen mit seinem besonderen Rahmen trägt jedes Jahr aufs Neue zum guten Gelingen der Konferenz bei. Gießen, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2024 Eva Burwitz-Melzer Claudia Riemer Lars Schmelter 8 Vorwort <?page no="9"?> Fostering the Continuum: Kompetenzentwicklung von Englisch-Lehrkräften in der hochschuldidaktischen Ausbildung Eva Burwitz-Melzer 1 Einleitung: Die Situation der Lehrkräfteausbildung an deutschen Hochschulen Viele Professionen befassen sich intensiv mit der Beforschung ihrer Ausbildung, für die Lehramtsausbildung hat dies bis vor wenigen Jahren nicht zugetroffen. Obwohl der Beruf einer Lehrkraft ausbildungsintensiv ist und hohe Anforderungen stellt an die kognitiven und affektiv-emotionalen Voraussetzungen der Studierenden sowie an ihr wissensbasiertes Handeln, stand eine systematische Erfassung oder Analyse des Kompetenzerwerbs bis vor etwa zehn Jahren nicht im Fokus des Interesses der Fremd- und Zweitsprachendidaktiken. Wichtige Ausnahmen, die im Kontext der Professionalisierungsprozesse zu nennen sind, stellen aber die Arbeiten von Roters (2012) zur Reflexion der Lehramtsstudierenden in der ersten Phase der Ausbildung dar sowie die Studie von Gerlach zur Ausbildungspraxis in der zweiten Phase (2020). Mit der großen quantitativen Studie von Blömeke et al. (TEDS-LT, 2011; 2013) wurde die Aufmerksamkeit auf die erfolgreiche Ausbildung von Kompetenzen der Lehramtsstudierenden gelenkt, zunächst im Fach Mathematik, dann in einer Erweiterung auf die beiden anderen Hauptfächer Deutsch und Englisch. Erstmals wurde versucht, in Orientierung an der kognitionspsychologischen Forschung und mit dem Bezugspunkt der Expertiseforschung (Blömeke et al. 2011, 13) zu ergründen, was „profes‐ sionelle Lehrerkompetenz“ (Blömeke et al. 2011, 15) in gering strukturierten Domänen umfasst und wie ein gemeinsamer Kern für die genannten Fächer herausgearbeitet und beforscht werden kann. Diese Forschungsarbeit stellt auch zehn Jahre nach Einführung des Bologna-Prozesses einen wichtigen Schritt für die Professionsforschung der Lehrkräfte dar, denn die Ausbildungslandschaft ist sehr uneinheitlich. Der in der Konferenz von Bologna vereinbarte Prozess zur Angleichung und Modularisierung der Studiengänge in Europa im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends hatte auch auf das Studium aller Lehrämter einen großen Einfluss gehabt. Angestrebt wurde damals eine größere Vergleichbarkeit der Studiengänge auf nationaler und internationaler Ebene, dieses Ziel wurde allerdings für die Lehramtsstudiengänge nicht erreicht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die neben‐ einander existierenden Systeme von Bachelor-/ Master- und Staatsexamen-Abschlüssen, unterschiedliche Praxisphasen, die erst sehr langsam auf ein gemeinsames Praxissemester einschwenken und variable Ausbildungssituationen in der zweiten Phase der Lehramts‐ ausbildung sorgen für eine starke Heterogenität in den Ausbildungsstrukturen. Diese <?page no="10"?> Situation wird durch eine stetig ansteigende Zahl von Quer- und Seiteneinsteigern in der Lehramtsausbildung noch verkompliziert (vgl. Caspari 2016). 2 Das erste Kern-Konzept der Lehramtsausbildung: die Entwicklung der professionellen Lehrkraftkompetenz Konzeptionell hat sich die Lehramtsausbildung in den letzten hundert Jahren in den meisten Ländern auf einige wenige pädagogische Modelle, das Craft-Modell, das Applied Science-Modell und das Konzept des reflective practitioner fokussiert (Grenfell 2012). Heu‐ tige bildungspolitische Konzepte des Lehramtsstudiums vereinen in der Regel das Konzept der Reflexion mit einem kompetenzorientierten Modell (CBTE, competency-based teacher education), indem eine Liste von Ziel-Kompetenzen als Maßstab für gutes Lehrerhandeln vorgegeben wird und diese Kompetenzen im Laufe der Ausbildung gefördert werden sollen (vgl. auch Krumm 2016). Dabei ist der Begriff der Kompetenz hier grundsätzlich der Weinert’sche Kompetenzbegriff der allerdings in diesem Zusammenhang der Lehr‐ kraftausbildung noch genauer gefasst wird (vgl. Weinert 2001, 54-66). Blömeke et al. (2015) unterstreichen die Konstituenten, die kognitiver, konativer, affektiv-emotionaler und motivationaler Natur sind: In contrast to common views of intelligence as a less malleable trait, competence and competency are regarded as learnable and can thus be improved through deliberate practice. […] Furthermore, […] a competence framework recognizes the importance of real-world situations typical for performance demands in a field as ‘the’ point of reference. The definition of competence therefore has to start from an analysis of authentic job or societal situations and enumerate the tasks as well as the cognition, conation, affect, and motivation involved (Blömeke et al. 2015, 5). Das Konzept der professionellen Lehrkraftkompetenz, das von konkreten Berufsanforde‐ rungen ausgeht, zentrale Teilkompetenzen offeriert und für die Ausbildung eine stringente Entwicklungslinie für den Erwerb dieser Teilkompetenzen vorgibt, stellt einen zentralen Kern der Lehramtsausbildung dar. Blömeke et al. gehen von einem Modell des Kom‐ petenzerwerbs als Kontinuum aus, wobei sie versuchen, die zahlreichen Dichotomien und Ambivalenzen der erziehungswissenschaftlichen Debatte in einem Konstrukt zu vereinen. Ihr Modell zeigt die professionelle Lehrkraftkompetenz als Konstrukt, das auf Dispositionen, situationsspezifischen Merkmalen und Performanz beruht (ibid.): die Dis‐ positionen vereinen Wissen und Affekt-Motivation, Einstellungen und Überzeugungen; die situationsspezifischen Fertigkeiten umfassen Wahrnehmung, Interpretation und Entschei‐ dungsfähigkeit und sind eine wichtige Voraussetzung zur Performanz als beobachtbare Kategorie des Lehrkrafthandelns. Blömeke et al. (2015) betonen, dass sie mit diesem Modell ein vertikales und longitudinales Konstrukt beschreiben, das viele der noch herrschenden Dichotomien über professionelle Lehrkraftkompetenz positiv und konstruktiv zu wenden sucht. Professionelle Lehrkraftkompetenz wird hier sowohl als vertikales Kontinuum verstanden, das höhere und niedrigere Kompetenzstufen umfassen soll, wie auch als longitudinales Konstrukt, in dem eine Entwicklungsperspektive abgebildet ist. Eine solche Auffassung ist auch ansatzweise in den meisten Lehramtsstudiengängen der Hochschulen 10 Eva Burwitz-Melzer <?page no="11"?> ablesbar, indem zunächst Wissen und verschiedene andere Dispositionen erworben werden müssen, bevor situationsspezifische Fertigkeiten ausgebildet werden. So schlüssig und attraktiv ein solches Modell auch erscheint, so weit sind wir heute - im Zeitalter der Modulbeschreibung mit pragmatischen „Regenschirm-Definitionen“ - doch noch davon entfernt. Denn der Vorteil, der durch ein kompetenzorientiertes Lernmodell für die Lehramtsausbildung entstehen sollte, nämlich die genaue, detaillierte und gestufte Beschreibung von Teilkompetenzen in der Fachwissenschaft und Fachdidaktik der Lehramtsausbildung mittels Deskriptoren, die eine Entwicklung über die verschiedenen Ausbildungsphasen hinweg vorgeben, existiert nicht. Die Kompetenzen für die Lehrkraft‐ ausbildung, die durch die verschiedenen Vorgaben der Kultusministerkonferenz eine Art „Orientierungsrahmen“ erhalten, zeigen für das Fach Englisch nur wenig Systematik in Bezug auf die unterschiedlichen Lehrämter: Zwar existieren in Deutschland die Standards für die Lehrerausbildung: Bildungswissenschaften (KMK 2004/ 2019), die ein grobes Raster von Ziel-Standards für die Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren anbieten, die aber ohne eine fachdidaktische Anbindung zu kurz greifen. Im zweiten großen bildungspolitischen Dokument zur Lehrerbildung, den Länderge‐ meinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2008/ 2019), zeigen sich in Hinblick auf ein klar strukturiertes Kompetenzmodell für die Lehramtsausbildung ebenfalls Defizite: Zunächst werden die Standards nur in sehr grob strukturierter Form für die Lehrämter der Sekundarstufen I und II angeboten (vgl. Burwitz-Melzer 2018). Es wird nur eine Niveaustufe erfasst, man geht hier also nicht von einem Lernprozess aus, der sich kontinuierlich fortsetzt, sondern formuliert eine Art Endresultat der Kompetenzbeschreibungen. Eine genauere Beschrei‐ bung von Kompetenzprofilen der berufsbildenden Gymnasien und der Sonderpädagogik erfolgt nicht, obwohl sich das Dokument explizit auch auf diese Lehrämter beziehen soll. Das Grundschullehramt wird gar nicht einbezogen. Eine Stufung der Kompetenzbereiche durch verschiedene aufeinander aufbauende Deskriptoren, die es ermöglichen würde, ein stringentes Curriculum aufzubauen, fehlt. Insgesamt bleibt die Fachdidaktik in den Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidak‐ tiken in der Lehrerbildung (KMK 2008/ 2019) eine zu gering strukturierte Domäne, da ihre Teilkompetenzen nicht ausführlich genug in ihrer Vielfalt, in ihrer Qualität und in ihrer Entwicklungsmöglichkeit beschrieben werden. Es wäre für die Studierenden eine gute Orientierungshilfe, wenn die genau umrissenen Kompetenzbereiche der Fachdidaktik Englisch, Literatur- und Sprach-, Medien- und Kulturdidaktik detaillierter in Deskriptoren gefasst würden, die longitudinal ausgerichtet sind. 3 Das zweite Kern-Konzept der Lehramtsausbildung: Reflexion als Professionalisierungselement Der Begriff der Reflexion ist bereits sehr lange mit dem Professionsbegriff des Lehrkraftbe‐ rufs verbunden; Dewey gilt (1933) als früher Vertreter eines reflexionsbezogenen Denkens, das, in konsekutiv aufgebauten Denkprozessen, Handlungen oder Gegenstände verstehen will, sowie auch problem- und lösungsorientiert arbeitet. Schoen (1983) stellt mit dem Kon‐ Fostering the Continuum: Kompetenzentwicklung von Englischlehrkräften 11 <?page no="12"?> zept des „reflective practioner“ an Vertreter professioneller Berufe, also auch an Lehrkräfte, ganz besonders hohe Erwartungen in Bezug auf Reflexionsbedarfe und -anforderungen. Die aktuelle erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Debatte um den Begriff der Reflexion zeigt ambivalente Positionen und Forschungsbefunde (te Poel/ Heinrich 2020, 1). Reflexionsformate, Reflexionsanlässe und auch die Grundlagen des Begriffes selbst werden vielschichtig und mit einer neuen Tiefe diskutiert (vgl. te Poel/ Heinrich2020). Nach Helsper (2001) bedingt der Professionsansatz für Lehrpersonen eine gesteigerte Reflexionsanforderung. Als professionell Handelnde müssen Lehrkräfte ihre Handlungen „begründen“ (Helsper 2001, 11) können; sie benötigen dafür ein „wissenschaftliches Reflexi‐ onswissen“ und spezifische „Reflexionsmöglichkeiten“ (ibid.). Normativ bringt Helsper dabei zum Ausdruck, dass Lehrpersonen „eines wissenschaftlich-reflexiven Habitus“ bedürfen, „den sie im Verlauf der Lehrerbildung erwerben müssen“ (2001, 11). Dieser Habitus wird von Helsper als „grundlegende kritisch-reflexive Haltung“ (2001, 12) und als „exzentrischer Blick auf die eigene professionelle Praxis“ (ebd.) näher definiert. Reflexion und Handeln sind somit einerseits getrennt voneinander, bedingen sich aber andererseits auch. Reflektieren, so sind sich fast alle Studien einig, muss aber sorgfältig erlernt werden. Roters zeigt Unterschiede zwischen Reflexionsgelegenheiten, -instrumenten und -niveaus in mehreren Ländern auf und offeriert eine empirisch begründete Typenbildung der Reflexionsleistungen von Lehramts-Novizen (Roters 2012, 256-270). Mithilfe von Reflexion können Lehramtsstudierende lernen, Verbindungen herzustellen zwischen Aspekten der Theorie und der Empirie, ihren Dispositionen und den Anforde‐ rungen des Lehrberufs, ihren Dispositionen und ihrem Handeln. Obwohl Blömeke et al. (2015) in ihrem Artikel zur professionellen Lehrkraftkompetenz nicht den Begriff der Reflexion ansprechen, ist es gerade das Paradigma der Reflexion, das als „super-glue“ eine starke Verbindung der verschiedenen Elemente des Modells der professionellen Lehrkraftkompetenz verbinden soll und verbinden kann. Von Aufschnaiter et al. (2019, 152 f.) legen mit dem Artikel „Reflexion und Reflexivität in der Lehrerbildung“ bereits ein solches Modell vor, indem sie das Kompetenzmodell von Blömeke et al. (2015) um den Faktor der Reflexion ergänzen und in ihr Modell einbauen. Reflexion erscheint hier als Kompetenz, die hilft, Dispositionen und situationsspezifische Fertigkeiten sowie Performanz jeweils durch reflexive Denkprozesse, die vor allem nach innen gerichtet sind, zueinander in Beziehung zu setzen. So kann Reflexion als Kompetenz und als Prozess bezeichnet werden, der strukturiertes Analysieren von eigenen Wissensbeständen sowie von Bereitschaften, Einstellungen und Überzeugungen sowie von situationsspezifischem Denken und Handeln verbindet. Sichtbar wird die Reflexion auch beim Kompetenzbestandteil der Performanz, entweder als Verbalisierung und Verschriftlichung der Performanz oder als Bestandteil des Handelns auf der Verhaltensebene (vgl. von Aufschnaiter et al. 2019, 153). Wird Reflexion als Kompetenz verstanden, ist es auch möglich, eine longitudinale Entwicklungslinie zu erwarten, auf der sich diese Kompetenz steigert. Außerdem kann man Qualitätskriterien aufstellen, die eine Entwicklung dieser Kompetenz indizieren; dazu zählen zum Beispiel der Grad des hergestellten Selbstbezugs, der Umgang mit den thematisierten Komponenten, der Grad der inhaltlichen Bezugnahme, und der Grad der Mehrperspektivität (ibid. 153 f.). Wenn Lehramtsstudiengänge also einerseits kompetenzausbildend und -fördernd sein sollen und andererseits die Reflexionskompetenz nutzen, um die professionelle Lehramts‐ 12 Eva Burwitz-Melzer <?page no="13"?> kompetenz herauszubilden, so steht der Reflexionskompetenz in dieser Systematik als verbindendem und analysierendem Element eine zentrale Stelle zu, die sich - bestenfalls - durch das gesamte Lehramtsstudium inklusive der Praxisphasen in der ersten Phase der Ausbildung in allen Fächern und noch darüber hinaus über die zweite Phase in die berufliche Karriere hinzieht (vgl. te Poel/ Heinrich 2020, 1-3). Es ist anzunehmen, dass sich eine solche Erwartung in der Kompetenzausbildung in den Veranstaltungsformaten und -inhalten, in den Unterrichtsmaterialien und -methoden wiederfinden lässt. 4 Multiple Lerngelegenheiten in der fachdidaktischen Ausbildung: Reflexionsinstrumente, Veranstaltungsformate, Methodik Nimmt man die professionelle Lehrkraftkompetenz mit breit aufgestellten Teilkompe‐ tenzen und die Reflexionskompetenz als Kern-Konzepte eines Lehramtsstudiums an den Hochschulen, so steigt die Qualität der Ausbildung in der ersten Phase mit einer stringenten Berücksichtigung dieser Konzepte im gesamten Studienverlauf. Was die Teilkompetenzen der Lehrkraftkompetenz angeht, so gibt es die bildungspolitischen Vorgaben, die allerdings ungestuft und in der Breite der Lehrämter und der fachdidaktischen Teilkompetenzen auch nicht ausgeglichen genug aufgestellt sind (s. o.). In Bezug auf die Entwicklung der professionellen Lehrkraftkompetenz ist es also von Vorteil, die bildungspolitischen Voraussetzungen so zu ergänzen, dass alle Teilkompetenzen ausreichend berücksichtigt werden. Sehr oft wurde und wird die Reflexionskompetenz vor allem mit den Praxisphasen des Studiums in Verbindung gebracht (z. B. Hinzke 2020). Reflexionsanlässe können aber grundsätzlich an allen fachdidaktischen Inhalten und Materialien festgemacht und geübt werden. Um eine allmählich sich entwickelnde professionelle Lehrkraftkompetenz zu fördern, müssten konsequenterweise die Veranstaltungen sich auch in regelmäßigem Rhythmus an der Entwicklung der Reflexionskompetenz ausrichten. In der Fachdidaktik der Justus-Liebig-Universität ( JLU) ist ein solcher Rhythmus zu finden. Er stellt einen Dreischritt dar, der sich durch das Studium aller fünf Lehramtsstu‐ diengänge zieht. Dieser Prozess beginnt im ersten Fachsemester für alle Studierenden mit zwei Pflichtveranstaltung, einer Einführung, die in ihrem Format zwischen einer Vorlesung und einem Seminar angesiedelt ist, also eine dialogische Unterrichtsform darstellt, und begleitet wird von einem Tutorium. Diese Doppelveranstaltung mit vier SWS ist ein zentraler Grundstein des fachdidaktischen Studiums, da sie inhaltlich nicht nur alle grund‐ legenden Kompetenzbereiche des Englischunterrichts, Lehrkraft- und Lernendenrollen sowie grundlegende Lehr- und Lerntheorien vorstellt, sondern auch methodisch - quasi als Spiegelung des Dozentenverhaltens im Hörsaal und im Tutorium - zahlreiche Vermitt‐ lungsansätze anbietet, die in der Doppelveranstaltung thematisiert und ausprobiert werden (z. B. Gruppenunterricht mit fest zugeschriebenen Rollen, Partnerarbeit, task-orientation, literaturdidaktische Verstehensübungen). Die Studierenden lernen Spiegelungen in der Hochschulveranstaltung als Didaktisierung des Stoffs zu verstehen und zu überdenken. Sie sehen Videoclips zu einzelnen Themen (z. B. zum Airport-Projekt von Michael Le‐ gutke) und werden angehalten, das Lehrkraft- und Lernenden-Verhalten zu beobachten und zu diskutieren. Das wichtigste Element dieser Doppelveranstaltung ist - neben der inhaltlichen Vermittlung ganz grundlegender fachdidaktischer Inhalte - aber auch das Fostering the Continuum: Kompetenzentwicklung von Englischlehrkräften 13 <?page no="14"?> 1 Dieser Schwerpunkt wird erst mit Einführung des Praxissemesters in Hessen Ende 2024 erstmalig unterrichtet. Einüben der Reflexionskompetenz. Mit Hilfe eines Reflexionsrasters, das nach Korthagen und Kohonen fachdidaktisch verändert wurde (vgl. Burwitz-Melzer 2018), reflektieren die Studierenden ihre Rollen und ihre individuellen Dispositionen in Hinblick auf den bildungs‐ politischen und den schulischen Rahmen, in dem sie agieren werden, sie reflektieren ihr vermutetes oder geplantes Lehrkraftverhalten, ihre bereits vorhandenen Teilkompetenzen in der Pädagogik, Fachwissenschaft und Fachdidaktik sowie ihre Einstellungen (vgl. hierzu Burwitz-Melzer 2018). Das Reflexionsinstrument möchte zwei grundlegende Ziele anstreben: Erstens sollen auszubildende Lehrkräfte, die dieses Modell betrachten und einsetzen, sich über die Multiperspektivität des angestrebten Berufs klarwerden. Es soll so schon frühzeitig eine deutliche Verortung der Lehrkraftpersönlichkeit innerhalb der bildungspolitischen, schulischen, pädagogischen und fachdidaktischen Systeme erfolgen. Zweitens sollen reflektierende Studierende erkennen, welche Strukturen und Schichten zu einer Lehrkraftpersönlichkeit gehören, so dass frühzeitig erkannt wird, dass neben pädagogischen Aspekten auch fachwissenschaftliche und fachdidaktische Seiten des Berufs professionell entwickelt bzw. weiterentwickelt werden müssen. Die Reflexionskompetenz wird am Ende des ersten Semesters in einem Portfolio dargestellt und evaluiert. Der zweite Schwerpunkt der Reflexion im Modulsystem der JLU liegt in den fachdidak‐ tischen Praxisphasen, in denen dann das eigene situationsspezifische Verhalten mit in den Blick genommen werden kann. Im fachdidaktischen Praktikum wird diese Art des Reflexi‐ onsansatzes mündlich in den Begleitseminaren und nach den eigenen Unterrichtsversuchen weitergeführt. Im Praktikumsbericht wird erwartet, dass die eigene Performanz nach den Kriterien des Reflexionsinstruments eingeordnet und überdacht wird. Wünschenswert sind dann auch Ausblicke auf die Entwicklung des eigenen Unterrichtsverhaltens oder auf Nachbesserungen bei den eigenen Einstellungen, dem Wissen, den Teilkompetenzen der professionellen Lehrkraftkompetenz. Da die Evaluation des Praxissemesters sich maßgeblich auf den Praktikumsbericht bezieht, wird auch hier die Reflexionskompetenz evaluiert, also die Rückschau auf die eigene Performanz, die eigenen Dispositionen und die situationsspezifischen Fertigkeiten (s.-o. Abschnitt 2). Der dritte Schwerpunkt liegt in der Fachdidaktik Englisch für alle Lehramtsstudiengänge nach dem Praxissemester und unmittelbar vor dem Ersten Staatsexamen. 1 In kleinen Kolloquiumsgruppen soll das inzwischen durch die Seminarveranstaltungen und die Praxisphasen erworbene Erfahrungswissen reflektiert, eigene Dispositionen in ihrer Ent‐ wicklung besprochen und ein Bezug zu situationsspezifischen Wahrnehmungen und Ent‐ scheidungen hergestellt werden. Das Modell der professionellen Lehrkraftkompetenz wird hier in der Rückschau und in Vorbereitung auf das Examen einen wichtigen Grundpfeiler des Kolloquiums darstellen. In einer mündlichen Gruppenprüfung, die auf die mündliche Prüfung im Ersten Staatsexamen vorbereiten soll, wird am Ende der Veranstaltung die Reflexionskompetenz und das Verständnis über die Entwicklung der professionellen Lehrkraftkompetenz evaluiert. Dieser Lerninhalt dient auch der Vorbereitung auf die zweite Phase der Ausbildung. 14 Eva Burwitz-Melzer <?page no="15"?> Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Entwicklung der Reflexionskompetenz auch als ein fester Bestandteil in alle fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Veranstaltungen integriert würde, um längerfristige, mehrperspektivische Lerngelegenheiten zu ermöglichen. Als Forschungsdesiderat wäre es wünschenswert, die Bedeutung von Erfahrungswissen und Studierenden-Dispositionen sowie von erstem professionellem Handeln für die Reflexionsgelegenheiten und die Reflexionsbereitschaft noch besser zu ergründen. Interessant wäre auch eine longitudinale Beforschung, in der die Entwicklung der Reflexionskompetenz von Studierenden berücksichtigt wird. Dabei sollten die oben genannten Gütekriterien wie Selbstbezug, Mehrperspektivität etc. beachtet werden. 5 Leitprinzipien für die erste Phase der Lehramtsausbildung In kompetenzorientierten Studiengängen sind die Inhalte variabel, solange die Kompe‐ tenzen ausreichend Berücksichtigung finden, dies kommt der Freiheit von Forschung und Lehre an den Hochschulen in den Lehramtsstudiengängen entgegen. Eine Aufzählung von bestimmten Inhalten scheint hier deshalb nicht angebracht. Allerdings sollten zwei Desiderata erfüllt werden: Von zentraler Bedeutung ist, dass alle Teilkompetenzen der pro‐ fessionellen Lehramtskompetenz (also Literatur- und Kultur-, Sprach- und Mediendidaktik) in den fachdidaktischen Veranstaltungen gleichermaßen beachtet werden. Gerade in Bezug auf literaturdidaktische Veranstaltungen scheint die Ausgewogenheit häufig zu fehlen. Der zweite wichtige Punkt ist die Aktualität der Unterrichtsinhalte, die in die erste Phase eingebracht werden; nur wenn die Unterrichtsinhalte stetig auf ihre Aktualität hin - auch in Hinblick auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen - überprüft werden, können die Lehramtsabsolventen neue Impulse in die Schulen tragen und den Kanon der Inhalte in ihrem Fach Englisch in angemessener Weise öffnen. Die Digitalisierung, die die Schulen in mehrfacher Hinsicht überrascht, inzwischen aber als „fremdsprachenspezifische digitale Kompetenz“ auch Eingang in die Bildungsstandards (KMK 2023) gefunden hat, sind ein gutes Beispiel dafür. Erwähnenswert sind hier aber noch einige zentrale Leitprinzipien, die in möglichst viele Veranstaltungstypen Eingang finden sollten, da sie maßgeblich dazu beitragen, dass das Lehren und Lernen erfolgreich stattfinden kann und eine solide professionelle Ausbildung begründet wird. Die nachfolgenden sechs Gütekriterien sind nicht nummeriert, um eine Hierarchisierung zu vermeiden: • Eine qualitätvolle Lehramtsausbildung in der Englischdidaktik verlangt, dass die Grundlagen des unterrichtlichen Geschehens auf soliden, wissenschaftlichen Analy‐ semethoden beruhen, die in den Teildisziplinen der Fachdidaktik und in den Fachwis‐ senschaften eingeübt werden. Nur so können die im Schulunterricht angebotenen Gegenstände und Inhalte von den Lehrkräften angemessen vorab ausgewählt und beurteilt werden in Hinblick auf spezifische Lerngruppen. Literaturdidaktische oder auch linguistische Analysen von Texten unterschiedlichster Art, Bild- und Medienanal‐ ysen bilden die Basis für angemessene Sachanalysen, die in der zweiten Phase auch von großer Bedeutung bei der Unterrichtsvorbereitung sind. Selbstständig Texte und Inhalte auswählen und beurteilen zu können in Hinblick auf ihr fremdsprachendidak‐ Fostering the Continuum: Kompetenzentwicklung von Englischlehrkräften 15 <?page no="16"?> tisches Potenzial ist eine Grundlage für späteres eigenes Unterrichten in wechselnden Lerngruppen. • Es zeichnet gerade die Ausbildung in der ersten Phase an den Hochschulen aus, dass sie forschungsorientiert und die Ergebnisse der aktuellen Forschungen unterschiedli‐ cher Art auch in ihre Veranstaltungen einfließen lässt. Dabei kann es sich sowohl um pädagogische, fachdidaktische oder fachwissenschaftliche Forschungsergebnisse handeln, die sinnvoll mit den jeweiligen Inhalten verknüpft werden können. In literaturdidaktischen Seminaren kann zum Beispiel über neue Roman- oder Rezept‐ ionstheorien diskutiert werden oder über die Berücksichtigung neuer Ansätze zur Heterogenitätsforschung beim Lesen fiktionaler Texte. Von zentraler Bedeutung ist, dass die angehenden Lehrkräfte die Forschungsergebnisse verstehen, diskutieren und sich selbst zu eigen machen können, indem sie auch darüber reflektieren, also die empirische Forschung auch in einen Selbstbezug und in ihr Erfahrungswissen integrieren. • Ein noch deutlicherer Praxisbezug kann - als ein weiteres Gütekriterium der Veran‐ staltungen in der ersten Phase - hergestellt werden, wenn Studierende gegen Ende des Semesters in Partnerschulen der Hochschule ihre Überlegungen, Projektarbeiten oder frisch erstellten Tasks im schulischen Kontext ausprobieren können. „The proof of the pudding is in the eating“ - das gilt auch für angehende Englischlehrkräfte, die zum Beispiel in einem Medienseminar zum Einsatz von Software im Unterricht von Lernenden im Unterricht Podcasts zu verschiedenen Themen erstellen lassen. Die zeit‐ nahe Umsetzung des Gelernten in unterrichtliche Kontexte möglichst verschiedener Klassen sorgt für einen raschen Transfer, der wertvolle Erfahrungswerte generiert und natürlich auch neue Fragen zur Seminarthematik aufwirft. Eine Reflexionsrunde der Studierenden am Ende des Seminars, in der im optimalen Fall auch die besuchten Lehrkräfte und einige Lernende zu Wort kommen, rundet die Praxiserfahrung ab. • Ein nicht zu unterschätzendes Prinzip der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachen‐ lehrkräften in der ersten Phase ist die Förderung ihrer Berufssprache. Es leuchtet ein, dass die wichtige professionelle Kernkompetenz der Berufssprache(n) sich nicht allein durch Wissen oder Erfahrung erwerben lässt, sondern prozessbezogen und für unterschiedliche Unterrichtsinhalte betrachtet und durch Reflexion gestützt gefördert werden muss (vgl. Legutke et al. 2022). Dabei sollte genau unterschieden werden, 1. welche Teilkompetenzen der Berufssprache(n) in der ersten Phase bzw. in der zweiten Phase ins Bewusstsein der auszubildenden Lehrkräfte gerückt und gefördert werden sollen und 2. mit welchen Methoden dies am besten bewerkstelligt werden kann. Microteaching und eine genaue Reflexion von zentralen Gelenkstellen im Unterrichts‐ diskurs wie zum Beispiel Aufgabenstellungen und Feedback sollten bereits in die erste Phase integriert werden (vgl. Burwitz-Melzer 2023, 19-23). Die Liste der Leitprinzipien ist nicht vollständig, sie zeigt nur die aus meiner Sicht zentralen Leitideen für Seminare oder andere Veranstaltungen für angehende Englischlehrkräfte auf als conditio sine qua non. Nur wenn diese Konzepte regelmäßig angeboten und eingesetzt werden, werden die Lehramtsstudierenden in ausreichender Qualität auf den weiteren Berufsweg vorbereitet. 16 Eva Burwitz-Melzer <?page no="17"?> Literatur Blömeke, Sigrid/ Bremerich-Vos, Albert/ Haudeck, Helga/ Kaiser, Gabriele/ Nold, Günter/ Schwippert, Knut/ Willenberg, Heiner (Hrsg.) (2011): Kompetenzen von Lehramtsstudierenden in gering struktu‐ rierten Domänen. Erste Ergebnisse aus TEDS-LT. Münster: Waxmann. Blömeke, Sigrid/ Bremerich-Vos, Albert/ Kaiser, Gabriele/ Nold, Günter/ Haudeck, Helga/ Keßler, Jörg-Uwe/ Schwippert, Knut (Hrsg.) (2013): Professionelle Kompetenzen im Studienverlauf: Weitere Ergebnisse zu Deutsch-, Englisch-, und Mathematiklehrerausbildung aus TEDS-LT. Münster, New York: Waxmann. Blömeke, Sigrid/ Gustafsson, Jan-Eric/ Shavelson, Richard J. (2015): „Beyond Dichotomies: Compe‐ tence Viewed as a Continuum“. In: Zeitschrift für Psychologie 223/ 1, 3-13. 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Generell gilt, dass das grundständige Studium für das Berufsziel „Lehrer: in einer Fremdsprache“ in hohem Maße durch die Wissenschafts- und Kultusbehörden bestimmt wird: inhaltlich durch die Vorgaben der KMK (2008/ 2019), zeitlich und strukturell durch die jeweils länderspezifischen Vorgaben in Hinblick auf die Anteile und die Verteilung der einzelnen Disziplinen innerhalb des Staatsexamens-Studiengangs bzw. der Bachelor- und konsekutiven Masterstudiengänge für Lehramtsstudierende. Die größte, nicht nur strukturelle, Veränderung des Lehramtsstudiums nach der Einführung von Bachelor und Master in den meisten Bundesländern in den 2000er Jahren erfolgte in den letzten Jahren durch die Einführung des Praxissemesters, das - je nach Ausgestaltung und Lesart - als besser strukturierter und erweiterter Praxisanteil oder als teilweise vorgezogener Vorbereitungsdienst betrachtet wird. So gibt es Bundeländer, in denen das Praxissemester ganz oder weitgehend in der, auch personellen, Verantwortung der Bildungsbehörden steht, und Bundesländer, in denen es in der Verantwortung der Hochschulen stattfindet. So obliegt die Betreuung der Studierenden im Praxissemester in Berlin den Hochschulen und nimmt einen großen Teil des fachdidaktischen Lehrdeputats ein. Eine weitere relevante Rahmenbedingung ist die Doppelfunktion fachdidaktischer Lehre als Wissenschafts- und Ausbildungsdisziplin. Diese Doppelfunktion trifft ebenfalls auf Disziplinen wie Jura oder Medizin zu, allerdings wird vom Lehramtsstudium bereits in der ersten Ausbildungsphase traditionell eine stärkere Vorbereitung auf berufliche Praxis erwartet. So fordern viele Studierende insbesondere von der Fachdidaktik eine dezidiert praxisvorbereitende Lehre (vgl. auch Doll et al. 2018), wobei nicht selten eine Vorstellung <?page no="20"?> von „Praxis“ vorherrscht, die im Wesentlichen auf Unterrichtsplanung und -durchführung reduziert ist. Die Erwartung unmittelbarer Praxisvorbereitung, die traditionell in der 2. Phase, dem Vorbereitungsdienst, stattfindet, wird in Folge des Lehrkräftemangels und der Verkürzung des Vorbereitungsdienstes inzwischen auch öffentlich sowie von „offizieller Stelle“, d. h. den Kultusbehörden und Schulen, geäußert. Besonders deutlich schlägt sie sich in der Schaffung „dualer Studiengänge“ in Brandenburg und Baden-Württemberg nieder (vgl. Hirt 2023). Ob und inwieweit die aktuell großen Anteile von Studierenden, die bereits parallel zum Studium mit teilweise hohen Deputaten und voller Klassenbzw. Fachlehrer-Verantwortung an Schulen unterrichten (bzw. parallel zur Berufstätigkeit weiter studieren), entsprechende Erwartungen an das fachdidaktische Studium entsprechend verstärken oder sie anderweitig verändern, wird aktuell erstmals erforscht (vgl. Scheidig/ Holmeier 2022). Eine weitere für unser Thema wichtige Besonderheit fachdidaktischer Lehre besteht in der Qualifikation der Lehrenden. Die allermeisten Professor: innen haben ein Lehramtsstu‐ dium absolviert, viele ebenfalls den Vorbereitungsdienst; darüber hinaus waren viele als Fremdsprachenlehrer: innen aktiv und sie erhalten durch die Begleitung des Praxissemes‐ ters, Forschungs- und Entwicklungsprojekte fortlaufend Einblick in die schulische Praxis. Meist sind in den Arbeitsgebieten weitere Lehrende mit unterrichtlicher Praxiserfahrung tätig (wissenschaftliche Mitarbeiter: innen, Lehrkräfte für besondere Aufgaben), so dass in den Teams sowohl das Wissen über die Notwendigkeit von als auch eine gute Wissensbasis für die Entwicklung adäquater hochschuldidaktischer Lehr-/ Lernformate vorhanden sein dürfte. Zudem sind die Professor: innen, zumal wenn sie an ihren Hochschulen dieses Fach alleine vertreten, für die Gestaltung der gesamten Lehre verantwortlich. Es ist erstaunlich, dass über das zweit- und fremdsprachendidaktische Kerngeschäft „Regel-Hochschullehre“ (d. h. die Lehre außerhalb spezifischer Projekte) bislang nur wenig Austausch stattfindet. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Aspekt „Lehre“ in besonderem Maße mit dem professionellen Selbstverständnis der Dozent: innen verbunden ist bzw. es auf den Prüfstand stellt. Nicht umsonst wurde in den Diskussionen während der Frühjahrskonferenz mehrfach die Frage nach dem beruflichen Ethos aufgeworfen, bis hin zur Frage, ob die eigene Lehre „besonders gut“ sein müsse. Daher ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass mit diesem Band ein durchaus mutiger Schritt der Öffnung der black box fachdidaktischer Lehre gewagt wird. Dass dieses Thema auf großes Interesse stößt und sogar zur Selbstvergewisserung unserer Disziplin beitragen kann, zeigt die erste große Umfrage zur Vermittlung von fachdidaktischem Basiswissen, die Andreas Grünewald und ich durchgeführt haben: Unter den Lehrenden bestand sowohl eine hohe Bereitschaft, zu dieser Frage Auskunft zu geben (wir erhielten insg. 169 vollständig ausgefüllte immerhin 16 Seiten lange Fragebögen aus dem deutschsprachigen Raum), als auch eine für uns uner‐ wartet hohe Einigkeit bezüglich der in einführenden Lehrveranstaltungen unterrichteten Inhalte und Zielsetzungen (vgl. Caspari/ Grünewald 2022 und 2024a). 2 Die Basis: Prinzipien fachdidaktischer Lehre Konzepte, Formate und Tools fachdidaktischer Lehre hängen stark von den konkreten Rahmenbedingungen vor Ort ab: Lehre kann (und sollte) anders aussehen, wenn im 20 Daniela Caspari <?page no="21"?> 2 1. Fremdsprache von Klasse 3-10 à 3 Wochenstunden = 720 Unterrichtsstunden, 2. Fremdsprache von Klasse 7-10 à 4 Wochenstunden = 360 Unterrichtsstunden, 4 Halbjahre Grundkurs à 3 Wochenstunden = 180 Unterrichtsstunden. 3 Dies gilt gleichermaßen für Studierende aus dem Ausland, die hier ihre Erstsprache unterrichten wollen, und ebenfalls von ihrem erlebten Fremdsprachenunterricht Englisch oder Deutsch als Fremdsprache geprägt sind. Bachelor eine eigenständige Einführungsphase vorgesehen ist, als wenn die Einführungs‐ veranstaltung gleichzeitig auf ein Praktikum mit eigener Unterrichtstätigkeit vorbereiten muss (wie ein/ e Befragte: r unserer Basiswissen-Umfrage angab). Und wenn die gesamte fachdidaktische Lehre in dem einen Fach im Bachelor und im anderen im Master absolviert werden muss, sollte man bei der Planung die deutlich unterschiedlichen Lernvorausset‐ zungen berücksichtigen. Dasselbe gilt für Gruppengrößen: Mit 30 Studierenden sind andere Formate möglich als mit 70 oder mit vier. Daher erscheint es mir vordringlich, sich unabhängig von den konkreten Bedingungen über generelle Prinzipien fremd- und zweitsprachendidaktischer Lehre zu verständigen (vgl. auch die Beiträge von Freitag-Hild und Siebold in diesem Band), zumal sie gleichzeitig als Qualitätskriterien dienen können. Wichtig erscheint mir dies nicht zuletzt, um zu verdeutlichen, was universitäre Lehrkräftebildung ausmacht - auch im Unterschied zur Ausbildung im Studienseminar oder in einem Vorbereitungskurs auf einen Seiteneinstieg. Ich plädiere dafür, dass diese Prinzipien auch bei der Gestaltung von spezifischen Lehr‐ formaten für Studierende, die bereits während des Studiums individuell oder in dualen Studiengängen eigenverantwortlich unterrichten, leitend sein sollten. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die bereits aus dem Jahr 1983 stammende, gleichwohl offenbar zeitlos gültige Beobachtung von Howard Altmann (1983, 19): „Tea‐ chers teach as they were taught, not as they were taught to teach“. Die mehr als 1.000 Stunden selbst erlebter Sprachunterricht während der Schulzeit 2 sind für Studierende außerordentlich wirkmächtig; nicht nur, weil sie dort ja zumeist erfolgreich gelernt haben dürften, sondern vor allem, weil das Erlebte maßgeblich ihre subjektive Überzeugung prägt, wie schulisches Fremdsprachenlernen „funktioniert“ bzw. dass es am besten auf diese Weise funktioniert. 3 Da selbst unangenehme Erinnerungen an den eigenen Fremd‐ sprachenunterricht oder positive Erinnerungen an andere Sprachlernerfahrungen wie bilinguales Aufwachsen oder Auslandsaufenthalte die eigenen Schulerfahrungen nicht automatisch relativieren, besteht ein zentrales Prinzip insbesondere in den einführenden Lehrveranstaltungen darin, die eigenen Lernerfahrungen zu thematisieren und sie mit den Erfahrungen der Kommiliton: innen sowie mit fachdidaktischer Literatur zu vergleichen. Auf diese Weise kann ein Prozess angestoßen werden, den meist unbewussten learning bzw. teaching beliefs auf die Spur zu kommen, sie kritisch auf ihre Funktionalität hin zu befragen und sie entsprechend zu erweitern, zu verändern oder ggf. zu verwerfen. In diesem 1. Prinzip wird bereits das 2. deutlich: Fachdidaktische Lehre ist wissenschafts‐ basiert und theoriegeleitet. Dies legt die Grundlage dafür, dass Studierende auf der Basis des aktuellen Erkenntnisstandes Lehr- und Lernprozesse strukturiert beschreiben und analy‐ sieren können, theoriegeleitet Materialien analysieren und eine gezielte, systematische Förderung in einzelnen (Kompetenz-)Bereichen planen können. Das dafür notwendige Orientierungswissen hilft ihnen gleichzeitig, die Komplexität fremdsprachunterrichtlicher „Teachers teach as they were taught“ 21 <?page no="22"?> Lehr-/ Lernprozesse zu strukturieren und Ansätze für Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen. Außerdem tragen diese Prinzipien dazu bei, die Fähigkeiten der Studierenden in wissenschaftlichem Denken und Arbeiten auszubauen. Eng verbunden mit diesem Prinzip ist das der Forschungsorientierung. Es bedeutet, dass von Beginn an dezidiert forschungsintensive Momente in die Lehre integriert sind, sei es als Thema (z. B. in einem thematisch ausgerichteten Seminar, in dem unterschiedliche Zugänge zur Erforschung eines Gegenstandes miteinander verglichen werden), als Prinzip (als forschende Herangehensweise an fachdidaktische Fragen, z. B. wenn die eigene Sprachlernbiographie mit inhaltsanalytischen Verfahren ausgewertet wird) und/ oder als Format (z. B. in einem Forschungspraktikum, als Praxis-Erkundungsprojekt oder als Teil des Praxissemesters, z. B. indem Unterrichtshospitationen für die systematische Erhebung und Auswertung bestimmter Unterrichtspraktiken genutzt werden). Als weiteres Prinzip gilt: Fachdidaktische Lehre konkretisiert allgemeindidaktische und -pädagogische Prinzipien wie Lernerorientierung, Prozessorientierung, Autonomie‐ förderung, Ganzheitlichkeit oder Kompetenzorientierung sowie Querschnittsthemen wie Inklusion, Digitalisierung oder Demokratiebildung in Hinblick auf fremdsprachliches Lernen. Dadurch werden die fremdsprachlichen Fächer im Kanon der anderen Fächer sowohl in ihrem allgemeinen Bildungsauftrag als auch in ihrer Spezifik erkennbar. Als Prinzipien für die methodische Gestaltung der Lehre schlage ich Ziel- und Produkt‐ orientierung, Funktionalität und Transparenz vor. Das bedeutet, dass am Beginn des Planungsprozesses die mit der jeweiligen Lehrveranstaltung angestrebten Ziele konkreti‐ siert und die Inhalte auf diese Zielsetzungen hin funktional ausgewählt und strukturiert werden. Das Gleiche gilt für die Wahl der Lehr- und Lernformen, auch sie sollten funktional auf die Zielsetzungen und die zu erbringenden Lernprodukte bzw. die Prüfungsform hin ausgewählt werden. Es zeichnet fachdidaktische Lehre aus, dass sie diese inhaltlichen und methodischen Planungsentscheidungen begründet und transparent macht und die Studie‐ renden im Verlauf des Studiums zunehmend daran beteiligt. Die Bewusstmachung auf der Meta-Ebene verfolgt das Ziel, dass die Studierenden die zugrundeliegenden Prinzipien er‐ kennen und die Lehrveranstaltung als ein Beispiel für die Planung von Lehr-/ Lernprozessen wahrnehmen. Zusätzlich integriere ich in die laufenden Seminarsitzungen punktuelle Reflexionen, in denen ich meine inhaltlichen oder methodischen Entscheidungen auf der Meta-Ebene erkläre, problematisiere und Handlungsalternativen reflektiere bzw. Möglich‐ keiten der Umsetzung des gerade erlebten Vorgehens im fremdsprachlichen Klassenzimmer skizziere. Ziel all dieser Maßnahmen ist es, (reflektiertes) Modellernen, auch im Sinne Altmanns (1983, 19), anzuregen („Teachers teach, as they were taught …“). Diese punktuellen Einschübe sind ebenfalls Bestandteil des durchgängigen Anwen‐ dungsbezugs fachdidaktischer Lehre. Da der Begriff Praxisbezug, wie ich oben angemerkt habe, von Studierenden oft stark verkürzt verstanden wird, bevorzuge ich den Begriff Anwendungsbezug, um die durchgängige Bezugnahme auf erinnerte und zukünftige, reale, aufgezeichnete und imaginierte (Fremdsprachen-)Lehr- und -lernsituationen zu charakte‐ risieren. Anwendungsbezug bedeutet insbesondere, dass Theorien, Konzepte und Ergeb‐ nisse aus Spracherwerbsforschung, Fremdsprachenforschung und Bezugswissenschaften nie „um ihrer selbst willen“ thematisiert werden, sondern stets verwendet werden, um Konzepte, Aspekte oder Methoden des Fremdsprachenlehrens- und -lernens zu analysieren, 22 Daniela Caspari <?page no="23"?> zu erklären, zu illustrieren, zu diskutieren etc. Wenn möglich, geschieht dies außerdem unter Rückbezug auf eigene Lehr- und Unterrichtserfahrungen (s. o.). Zum Anwendungs‐ bezug gehört ebenfalls, dass Studierende in den Lehrveranstaltungen für die Erarbeitung fachdidaktischer Themen didaktische Verfahren verwenden, die auch im Fremdsprachen‐ unterricht üblich sind, wie Podiumsdiskussion, Stationenlernen, Wandzeitungen mit gallery walk, Erstellen von Wikis etc. Dieses Prinzip kann auch auf die konzeptionelle Gestaltung einer ganzen Lehrveranstaltung angewendet werden: So gestalten wir das Vorbereitungs‐ seminar auf das Praxissemester nach dem Prinzip des pädagogischen Doppeldeckers als Lernaufgabe (vgl. Caspari/ Noack-Ziegler 2023). Damit das Ziel der Ausbildung zukünftiger Lehrpersonen als „reflective practicioners“ (Schön 1983) gelingen kann, ist es sinnvoll, ein durchgängiges fachdidaktisches Curriculum zu gestalten, das den entsprechenden Prinzipien folgt. Wie das in unserem Arbeitsbereich an der Freien Universität für die Ausbildung von Reflexionskompetenz konkretisiert wird, kann man in Caspari (2020) nachlesen. 3 Grundsteinlegung möglich: Die Gewinnung und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses In den Augen von Studierenden, Kolleg: innen anderer Disziplinen, der Bildungsverwal‐ tungen und nicht selten auch der Universitätsleitungen besteht unsere zentrale Aufgabe in der Ausbzw. Fortbildung von Lehrpersonen. Dass die Fachdidaktik bzw. Fremdsprachen‐ didaktik gleichzeitig eine eigenständige Forschungsdisziplin darstellt, dringt zumindest bei Letzteren inzwischen langsam ins Bewusstsein, nicht zuletzt durch die Qualitätsof‐ fensive Lehrerbildung, durch die erstmals flächendeckend größere Summen an Drittmit‐ teln für fachdidaktische Forschung ausgeschüttet wurden. Außerdem trug sie meiner Beobachtung nach nicht unerheblich dazu bei, dass durch die angestoßenen fächer- und universitätsübergreifenden Projekte fachdidaktische Forschung aus ihrer Vereinzelung („Nischenexistenz“? ) heraustreten konnte und, unabhängig von schon zuvor sichtbaren einzelnen Akteur: innen, sowohl innerhalb der Universitäten als auch in den Ministerien als eigenständige Fächergruppe wahrgenommen wurde. Deutlich wurde durch die Qualitäts‐ offensive ebenfalls, dass es gar nicht einfach war, die nun plötzlich vorhandenen zahlreichen fachdidaktischen Stellen adäquat zu besetzen, so dass endlich auch die strukturelle Dimen‐ sion fachdidaktischer Nachwuchsförderung über unsere individuellen Standorte hinaus in den Blick geriet. Wie können Studierende, die ihr Lehramtsstudium ja in aller Regel mit dem Ziel aufnehmen, als Lehrer: innen in Schulen tätig zu werden, für eine Tätigkeit in der Fremd‐ sprachenforschung interessiert werden? Dass es keine allgemeingültige Antwort gibt, zeigt eine Befragung von fachdidaktischen Kolleg: innen, die Andreas Grünewald und ich durchgeführt haben (vgl. Caspari/ Grünewald 2024b). Mit dieser Befragung verfolgten wir das Ziel, über unser Tätigkeitsfeld, das von Externen ja immer nur ausschnittweise wahrgenommen wird, zu informieren und - auch im Sinne der Nachwuchsgewinnung - zu informieren. Eine der Fragen lautete, wie die Befragten in den Beruf gefunden haben. In den Antworten (vgl. ebda., 37-39) wird deutlich, dass neben Zufällen prägende Begegnungen „Teachers teach as they were taught“ 23 <?page no="24"?> 4 https: / / refubium.fu-berlin.de/ z. B. mit Betreuer: innen oder Kolleg: innen sowie eine erfolgreiche Abschlussarbeit eine wichtige Rolle spielten. Daher sollte an Standorten, an denen eine fachdidaktische Staatsbzw. Masterarbeit möglich ist, diese gezielt für die Ansprache und Ausbildung interessierter Studierender genutzt werden. An der Freien Universität tun wir dies im Masterarbeitsmodul, in dem die Studierenden über ein Semester hinweg an einem stark strukturierten Kolloquium teilnehmen. Sie starten mit der Absicht „Ich möchte in Fachdidaktik Französisch/ Italie‐ nisch/ Spanisch schreiben, weiß aber noch nicht so genau, wozu und wie“ und werden dabei angeleitet und begleitet, nach zwölf Seminarsitzungen ein Exposé für das eigene Projekt erstellt zu haben. Durch den Seminarverband lernen die Studierenden die Themen ihrer Kommiliton: innen kennen und weiten dadurch ihren fachdidaktischen Horizont. Durch ihre enge Zusammenarbeit in Tandems/ Tridems über das Semester hinweg, verbunden mit der Verpflichtung zu gegenseitigen Rückmeldungen für die nach und nach zu verfassenden einzelnen Abschnitte des Exposés, wird die für einen Forschungsprozess notwendige kriteriengeleitete Beurteilung und Distanznahme auch gegenüber dem eigenen Projekt gefördert. Dank dieses Masterkolloquiums sind im Laufe der Jahre eine Reihe qualitativ hochwertiger Arbeiten entstanden, die im FU-Dokumentenserver refubium 4 oder als Artikel in Praxiszeitschriften veröffentlicht werden konnten. Für empirische Arbeiten wäre zusätzlich eine Arbeitsteilung mit den Erziehungswissenschaften wünschenswert, zumal die Studierenden im vorangehenden Praxissemester dort ein empirisch ausgerichtetes Lernforschungsprojekt durchführen. Da an unserer Universität in diesem Kontext jedoch keine qualitativen Forschungsmethoden gelehrt werden, müssen diese im Rahmen des fach‐ didaktischen Kolloquiums erworben werden. Der damit verbundene Paradigmenwechsel fällt Studierenden erfahrungsgemäß recht schwer. Dass die in Abschnitt 2 angeführten forschungsintensiven Momente in der Lehre eine wichtige Vorbereitung auf eine fachdidaktische Abschlussarbeit darstellen, versteht sich von selbst, ebenso die Darstellung der eigenen Tätigkeit der Dozent: in als Forscher: in. Hilfreich ist sicher auch die Einbindung von Studierenden bereits während des Studiums und für die Abschlussarbeit in laufende Forschungsprojekte des Arbeitsgebiets, nicht zuletzt durch eine Tätigkeit als studentische/ r Mitarbeiter: in. Wichtiger als die fachdidaktische Lehre dürfte für die Gewinnung und insbesondere für die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs jedoch die Schaffung eines Umfeldes sein, das es ermöglicht, interessierte Studierende und Lehrpersonen in professionelle Lerngemeinschaften einzubinden, seien es, auch standortübergreifende, Tandems/ Tridems, die zu ähnlichen Themen oder mit ähnlichen Methoden forschen, seien es Kolloquien, Sommerschulen und Nachwuchstagungen oder institutionenübergreifende Netzwerke. Sie unterstützen ebenfalls den für fremdsprachendidaktische Forschung notwendigen Rollen‐ wechsel von dem/ der Praktiker: in zur Wissenschaftler: in. Förderlich ist ebenfalls die, auch zeitlich begrenzte, Abordnung aus der Schule an die Hochschule oder die Möglichkeit einer „dualen Promotion“ in Verbindung mit dem Referendariat (bislang an den Universitäten Bremen und Kassel möglich). 24 Daniela Caspari <?page no="25"?> 4 Mehr als „nice to have“: Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen bzw. von Quer- und Seiteneinsteiger: innen An der Fort- und Weiterbildung sind zahlreiche Akteure beteiligt: Kultusministerien und Landesinstitute, Verbände und Verlage, Stiftungen und Kulturinstitute und nicht zuletzt die Schulen selbst, die ganz unterschiedliche Angebote von unterschiedlicher Dauer und mit unterschiedlichen Zielsetzungen anbieten. Universitäten als Institutionen und einzelne Lehrende werden meiner Beobachtung nach für die Beteiligung an der sog. 3. Phase eher unsystematisch angefragt, außer es bestehen, z. B. bei Verlagen durch die Mitwirkung an Lehrwerken oder bei Landesinstituten z. B. durch die Mitwirkung an Rahmenlehrplänen, bereits persönliche Kontakte. Aus meiner Sicht wäre es daher wünschenswert, wenn die pädagogische und fachdi‐ daktische Expertise der Universitäten systematisch für die sog. 3. Phase genutzt bzw. dort eingebracht werden würde. Dies gilt für Fortbildungen und die auf eine zusätzliche Qualifikation zielende Weiterbildung von Lehrpersonen genau wie für die Vorbereitung auf einen Querbzw. Seiteneinstieg. M.E. sollte die universitäre Lehrkräftebildung ein besonderes Interesse daran haben, regelmäßig mit Fachbzw. Seminarleitungen sowie mit Mentor: innen zusammenzuarbeiten, die an den Schulen Praktikant: innen und Refe‐ rendar: innen betreuen, außerdem mit den Personen, die im Auftrag der Landesinstitute regionale Fortbildungen veranstalten, und mit den Mitarbeiter: innen der Landesinstitute, die - je nach Bundesland - Rahmenlehrpläne, Abschlussprüfungen und die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und Handreichungen verantworten. Denn alle diese Personen wirken als Multiplikator: innen in die Aus- und Fortbildung und die Unterrichtsentwicklung hinein. Eine solche Zusammenarbeit ist an den einzelnen Standorten informell in Form von professionellen Lerngemeinschaften möglich, die durch die Fachdidaktiken initiiert und unterstützt werden. Ideal aber wäre es, wenn die Bundesländer die Aus- und Fortbildung zusammen mit den Universitäten konzipierten und die Universitätsdozent: innen regelmäßig als Lehrende be‐ teiligt würden. Eine solche systematische Zusammenarbeit könnte die Verständigung über gemeinsame Vorstellungen und Ziele in der Lehrkräftebildung im jeweiligen Bundesland unterstützen. Möglicherweise könnten dadurch sogar Absprachen über Schwerpunktset‐ zungen in den einzelnen Phasen getroffen werden, so dass Doppelungen vermieden und Synergieeffekte geschaffen würden. Ein Beispiel für die Entwicklung eines solchen pha‐ senübergreifenden Ausbildungskonzepts legten Jostes und Darsow (2017) für den damals in der 2./ 3. Phase neu zu verankernden Bereich „Sprachbildung/ Deutsch als Zweitsprache“ vor. Für die Realisierung einer solchen Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ sind jedoch der entsprechende politische Wille, eine faire finanzielle Regelung, viel Verständnis für die ganz unterschiedlichen Zwänge und Traditionen der beteiligten Institutionen sowie die Bereitschaft auf allen Seiten, unkonventionelle Lösungen zu finden, notwendig. Ein wichtiger Punkt der Zusammenarbeit bestünde auf jeden Fall darin, sich dar‐ über zu verständigen, inwiefern sich die Konzepte und Qualitätskriterien innerhalb der einzelnen Institutionen unterscheiden. Es liegt auf der Hand, dass für Querbzw. Seiteneinsteiger: innen der Erwerb unterrichtlicher Handlungskompetenz an erster Stelle steht. Allerdings sollte selbst das komprimierteste „Hilfe-zum-Überleben“-Programm keine Handlungsempfehlungen ohne - zumindest knappe - fachdidaktische Begründungen „Teachers teach as they were taught“ 25 <?page no="26"?> und Hinweise auf Alternativen aussprechen sowie Vertiefungs- und Entwicklungsmöglich‐ keiten zum jeweiligen Aspekt angeben. Denn gerade bei Quer- und Seiteneinsteiger: innen ohne fachdidaktische „Grundbildung“ ist die Gefahr besonders groß, dass sich, wie oben angesprochen, die eigene Schulerfahrung weitgehend unreflektiert im Unterrichten nie‐ derschlägt und sich dadurch auch dysfunktionale Routinen verfestigen. Daher ist es für diese Gruppe m. E. noch wichtiger als für regulär ausgebildete Lehrpersonen, dass eine systematische, langfristig angelegte fachdidaktische Fortbildung nach einer Phase des Hineinfindens in den Beruf verpflichtend gemacht wird. Besonders gut geeignet erscheinen mir für die 3. Phase der Lehrkräftebildung grundsätz‐ lich längerfristige, möglichst aufeinander aufbauende Module, die Anstöße zur Ausbildung einer reflektierten Haltung gegenüber dem eigenen Unterricht geben und Horizonte für Veränderungen eröffnen (vgl. auch die Zusammenstellung von Faktoren für wirksame Fortbildungen in Lipowsky/ Rzejak 2017). In diesem Zusammenhang erinnere ich an den seit Jahrzehnten bewährten, im Schulalltag ohne Unterstützung von außen jedoch nur sehr schwer umsetzbaren Ansatz der Aktionsforschung (vgl. Altrichter/ Posch/ Spann 2018). Der Grundgedanke dieses zyklischen Verfahrens besteht darin, dass Lehrpersonen veränderungsbedürftige Aspekte in ihrem Unterricht identifizieren, mithilfe von Fachliteratur den Gründen für die beobachteten Mängel auf die Spur kommen, sich auf dieser Basis für Ver‐ änderungsmöglichkeiten entscheiden und deren Gelingen überprüfen. In der Regel werden für die Durchführung von Aktionsforschungsprojekten Partner: innen aus der Schule oder der Universität empfohlen. Ich bin davon überzeugt, dass in Aktionsforschungsprojekten zusätzlich zu den bereits vielfach belegten Wirkungen in der Fort- und Weiterbildung von Lehrenden (vgl. auch die Konzepte in Bergfelder-Boos/ Caspari 2020) ebenfalls ein hohes Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen erster und dritter Ausbildungsphase steckt: Indem Studierende während ihres Praxissemesters Lehrer: innen bei der Konzep‐ tion und Durchführung eines Aktionsforschungsprojektes im Fremdsprachenunterricht unterstützen, könnten beide gemeinsam eine forschende Haltung gegenüber Unterricht entwickeln und Fremdsprachenunterricht als Entwicklungsaufgabe begreifen, für die die fachdidaktische Literatur vielfache Anregungen und Lösungsmöglichkeiten bereithält. Literatur Altmann, Howard B. (1983): „Training foreign language teachers for learner-centered instruction. Deep structures, surface structures and transformations“. In: Alatis, James E. et al. (Hrsg.): GURT ’83: Applied linguistics and the preparation of second language teachers; towards a rational. Washington, D.C.: Georgetown University Press, 19-26. Altrichter, Herbert/ Posch, Peter/ Spann, Harald (2018): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. 5. grundlegend überarbeitete Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Bergfelder-Boos, Gabriele/ Caspari, Daniela (2020): „Aktionsforschung als Instrument der Lehrkräfte‐ bildung: Erfahrungen aus Weiterbildungsprojekten - für die Hochschule neu gedacht“. In: Franke, Manuela/ Plötner, Kathleen (Hrsg.): Fremdsprachendidaktische Hochschullehre 3.0: Alte Methoden - neue Wege? Innovatives im Fokus und Bewährtes neu gedacht. Stuttgart: ibidem, 39-78. Caspari, Daniela (2020): „Ausbildung von Reflexionskompetenz im fachdidaktischen Studium am Beispiel der romanischen Sprachen an der Freien Universität Berlin“. In: Plötner, Kathleen/ Franke, 26 Daniela Caspari <?page no="27"?> Manuela (Hrsg.): Fremdsprachendidaktische Hochschullehre 3.0: Alte Methoden - neue Wege? Innovatives im Fokus und Bewährtes neu gedacht. Stuttgart: ibidem, 23-38. Caspari, Daniela/ Grünewald, Andreas (2022): „Auf dem Weg zur Bestimmung fachdidaktischen Wissens angehender Lehrkräfte - Ergebnisse einer Umfrage unter Lehrenden an Universitäten und Fachhochschulen“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 33/ 1, 97-122. Caspari, Daniela/ Grünewald, Andreas (2024a): „,Konkrete Unterrichtsplanung spielt noch keine Rolle (auch wenn das häufig der Wunsch der Studierenden ist).‘ - Zur Funktion fachdidaktischen Basis‐ wissens im Kontext der Fremdsprachendidaktik als Wissenschafts- und Ausbildungsdisziplin“. In: Gerlach, David (Hrsg.): Wissen, Können und Handeln von Fremdsprachenlehrpersonen. Professions- und Wissensforschung in den Fremdsprachendidaktiken. Lausanne: Lang, 15-30. Caspari, Daniela/ Grünewald, Andreas (2024b): „Professor: in für Didaktik der romanischen Sprachen sein: ,Es ist etwas ganz Besonderes, Studierende auf ihren zukünftigen Beruf, den ich selber so lange ausgeübt habe, vorbereiten zu dürfen.‘“ In: del Valle, Victoria/ Krogmeier, Lena/ Pachale, Helene/ Wengler, Jennifer (Hrsg.): Impulse setzen - neue Wege bereiten. Eine Festschrift für Andrea Rössler. Frankfurt a.M.: Lang, 27-40. Caspari, Daniela/ Noack-Ziegler, Sabrina (2023): „Kohärenz und Kohäsion schaffen: Ein Vergleich des Vorbereitungsseminars auf das Praxissemester als blended-learning- und als digitale Lehrver‐ anstaltung“. In: Bechtel, Mark/ Fricke, Johanna/ Dittmann, Lara (Hrsg.) (2023): Fremdsprachliche Lehrer*innenbildung digital? Lausanne: Lang, 15-32. Doll, Jörg/ Buchholtz, Nils/ Kaiser, Gabriele/ König, Johannes/ Bremerich-Vos, Albert (2018): „Nut‐ zungsverläufe für fachdidaktische Studieninhalte der Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik im Lehramtsstudium. Die Bedeutung der Lehrämter und der Zusammenhang mit Lehrinnovationen“. In: Zeitschrift für Pädagogik 64/ 4, 511-532. Freitag-Hild, Britta (in diesem Band): „Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre“, 37-46. Hirt, Leonie (2023): „Vergütet, praxisnah und kurz: Neue Lehramtsstudiengänge in Brandenburg und BaWü“. In: Lehrer News, 28.7.2023. https: / / www.lehrer-news.de/ blog-posts/ verguetet-praxisnah-u nd-kurz-neue-lehramtsstudiengaenge-in-brandenburg-und-bawue (23/ 05/ 2024). Jostes, Brigitte/ Darsow, Annkathrin (2017): „Entwicklung eines phasenübergreifenden Ausbildungs‐ konzepts für Sprachbildung/ Deutsch als Zweitsprache in der Berliner Lehrkräftebildung - Grund‐ legende Fragen und Vorgehen“. In: Jostes, Brigitte/ Caspari, Daniela/ Lütke, Beate (Hrsg.): Spra‐ chen-- Bilden - Chancen: Sprachbildung in Didaktik und Lehrkräftebildung. Münster: Waxmann, 289-306. KMK (2008/ 2019) = Sekretariat der Kultusministerkonferenz (2008/ 2019): Ländergemeinsame inhalt‐ liche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 i.d.F. vom 16.05.2019). https: / / www.kmk.org/ fileadmin / veroeffentlichungen_beschluesse/ 2008/ 2008_10_16-Fachprofile-Lehrerbildung.pdf (27/ 01/ 2024). Lipowsky, Frank/ Rzejak, Daniela (2017): „Fortbildungen für Lehrkräfte wirksam gestalten - erfolgs‐ verprechende Wege und Konzepte aus Sicht der empirischen Bildungsforschung“. In: Bildung und Erziehung 70/ 4, 379-399. Scheidig, Falk/ Holmeier, Monika (2022): „Unterrichten neben dem Studium - Implikationen für das Studium und Einfluss auf das Verlangen nach hochschulischen Praxisbezügen“. In: Zeitschrift für Bildungsforschung 12, 479-496. „Teachers teach as they were taught“ 27 <?page no="28"?> Schön, Donald (1983): The reflective practicioner: How professionals think in action. New York: Basic Books. Siebold, Kathrin (in diesem Band): „Professionelle Lerngemeinschaften in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen“, 205-214. 28 Daniela Caspari <?page no="29"?> Menschen, Sprachen, Inhalte - Bestandteile der Qualitätsentwicklung fremdsprachendidaktischer Lehre Bärbel Diehr 1 Sonderfall Lehre in der universitären Fremdsprachendidaktik Für eine gewisse Dringlichkeit, mit der die Fremd- und Zweitsprachendidaktik sich der Qualität ihrer universitären Lehre widmen sollte, sprechen eine Reihe von fachspezifischen Desideraten: • Fremdsprachen werden „in einer kompartmentalisierten Disziplin studiert […], die als inkohärent und gering strukturiert wahrgenommen wird“ (Diehr 2018b, 83 speziell für die Anglistik, vgl. auch Blömeke et al. 2011). Daraus erklärt sich ein von vielen Zufällen gesteuertes Lehrangebot. Aufgrund der Breite und Heterogenität des Lehrgebiets in den Philologien bei gleichzeitiger Spezialisierung in der Forschung mangelt es an Kohärenz in der Lehre. Auf dem Symposium Kohärenz und Korrespondenz in der universitären Englischlehrerbildung (Bergische Universität Wuppertal 19./ 20. Juni 2017) wurden bereits verschiedene Wege zu mehr fachlich-inhaltlicher Kohärenz im Englischstudium diskutiert (Diehr 2018a). Es zeigte sich u. a., dass zwischen verschiedenen Arten von Kohärenz differenziert werden sollte, und zwar synchroner Kohärenz auf der Ebene der universitären Lehrveranstaltungen in der Anglistik/ Amerikanistik, diachroner Kohärenz auf der Ebene der aufeinanderfolgenden Phasen der Lehrkräftebildung, curricularer Kohärenz der Prüfungsordnungen und Modulstrukturen und kognitiver Kohärenz im Denken der Studierenden (vgl. Diehr 2018b, 83 f.). Der Weg zu einem kohärenten Curriculum, wie es der Stifterverband (2023, 10) fordert, dürfte jedoch noch weit sein, da selbst die Standards der KMK (2019, 44 f.) im Bereich der fremdsprachen‐ spezifischen Studieninhalte und Kompetenzprofile recht vage bleiben (für eine Kritik vgl. SWK 2023, 11). Zudem erschwert das Prinzip „Freiheit der Lehre“ Absprachen zur Konkretisierung der Standards. • Die Verbindung zwischen der wissenschaftlichen Lehrkräftebildung und der schul‐ praktischen Lehrerausbildung bleibt trotz der Implementierung von Praxisphasen im Studium verbesserungsbedürftig. Insbesondere das Verhältnis der ersten und der zweiten Phase erfordert einen intensiven Austausch der beteiligten Personen und Institutionen, um herauszuarbeiten, wie diese Phasen distinkt, aber anschlussfähig gestalten werden können. • Mit Blick auf zwei Gruppen von Lehrenden (zum einen Lehrkräfte an Schulen, zum anderen Ausbilder*innen im Vorbereitungsdienst) zeigen zwei Studien, dass die Ziele des schulischen Fremdsprachenunterrichts (Caspari 2003) und die Ziele der <?page no="30"?> Ausbildung in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) (Gerlach 2020) „ganz entscheidend von den individuellen Konstruktionen und dem eigenen Unterrichtskonzept der Lehrkraft abhängen“ (Gerlach 2020, 369). Universitäre Lehr‐ angebote werden wahrscheinlich in noch höherem Maße von individualistischen Orientierungen geprägt als schulischer Unterricht und Ausbildung an ZfsL, da die Gruppe der Lehrenden an Hochschulen durch extreme Heterogenität gekennzeichnet ist. Lehrveranstaltungen werden teilweise von frisch qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ohne Unterrichtserfahrung, teilweise von abgeordneten Lehrkräften mit mehrjähriger Schulerfahrung angeboten, Lehrbeauftragte ohne wissenschaftliche Qualifizierung führen ihre Kurse neben Professor*innen mit langjähriger Forschungs‐ erfahrung durch. Da die Qualität der Lehre vermutlich in engem Zusammenhang zur Qualifikation der Lehrenden steht, sollte immer wieder neu überlegt werden, welche Einstellungsvoraussetzungen unverzichtbar sind (z. B. Staatsexamen, Schulerfahrung, erwachsenenpädagogische Qualifikation) für eine fremdsprachendidaktische Lehrtä‐ tigkeit. Ziel: Kompetenzen, um Sprachbildung in der Fremdsprache mithilfe fachlicher Phänomene vermitteln zu können Lernrelevante fachliche Gegenstände, in der Regel multimodale Texte aus Sprach-, Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften, auswählen Gegenstände mithilfe fachwissenschaftlicher Methoden analysieren und didaktisches Potenzial (inhaltlich-konzeptuell und fremdsprachlich) erörtern Didaktisierungen vornehmen v.a. Ziele begründen, Strukturen und Lernprozesse abgleichen, Lernwege aufzeigen, Hürden bedenken, digitale Formate verwenden; Unterricht planen (und in Praxisphasen unter Anleitung erproben) Prinzipien: Lehre im Medium der Fremdsprache Sprach- und Inhaltsorientierung Forschungsorientierung Erwachsenenpädagogik Ziel Gegenstände Fachliche Analyse Didaktisierung Hochschuldidaktische Prinzipien Abb. 1: Entwurf eines Rahmenkonzepts für die fremdsprachendidaktische Hochschullehre Dementsprechend sollte die Qualitätsentwicklung der Lehre an der Herstellung fachlich-in‐ haltlicher Kohärenz ansetzen. Genauso wichtig erscheint mir eine Personalpolitik mit verbindlichen Anforderungen bezüglich der Einstellung und Fortbildung der Lehrenden, 30 Bärbel Diehr <?page no="31"?> 1 Ein interessanter Diskussionsbeitrag stammt in diesem Zusammenhang vom Stifterverband, der eine verpflichtende schulische Tätigkeit von 3 bis 6 Stunden für Fachdidaktiker*innen vorschlägt, die auf das Lehrdeputat anzurechnen sei (Stifterverband 2023, 11). auf die ich im Weiteren aus Platzgründen nicht weiter eingehe. 1 Zudem sollte die Evaluation der Lehre neben standardisierten Items auch solche enthalten, welche die Fachspezifik berücksichtigen und einen wesentlichen Beitrag zur kontinuierlichen Entwicklung eines Fachcurriculums leisten. 2 Vom Ziel zum Konzept fremdsprachendidaktischer Hochschullehre Im Folgenden wird ein Verständnis von fremdsprachendidaktischer Hochschullehre skiz‐ ziert (vgl. Abb. 1), das zum einen an Legutke und Scharts Rahmenkonzept professioneller Kompetenz (2016, 18), zum anderen an die KMK-Standards für Neue Fremdsprachen (KMK 2019, 44 ff.) anknüpft. Im Zentrum steht das Ziel der fachdidaktischen Lehre, fundiertes Wissen über und Begeisterung für die Sprachbildung in der Fremdsprache an zukünftige Lehrkräfte zu ver‐ mitteln. Die Absolvent*innen fachdidaktischer Module sollen in die Lage versetzt werden, fachliche Phänomene unter Verwendung der Fremdsprache und mit fachwissenschaftlichen Methoden zu analysieren und nach fachdidaktischen Prinzipien zu didaktisieren. Zu den fachlichen Phänomenen zählen vor allem die systemischen Merkmale der Fremdsprache, ihr Gebrauch und Erwerb, in der Fremdsprache verfasste und auch multimodal repräsen‐ tierte Texte, kulturelle Produkte und Praktiken sowie die dazugehörigen Theorien und Modelle sowie die Theorien, Ansätze und Konzepte des Fremdsprachenlehrens und -ler‐ nens. Die einzelnen Lehrveranstaltungen sollen die Realisierung des Ziels in seiner Breite, Vielfältigkeit und Dynamik ermöglichen. Deshalb sollte das fachdidaktische Lehrangebot eines Instituts so abgestimmt werden, dass die anzustrebenden Kompetenzen - über die Lehrveranstaltungen des Studienverlaufs verteilt - kumulativ entwickelt werden. Die Qualität fachdidaktischer Lehre erwächst zunächst aus Gegenständen und Themen, welche die Disziplin (hier: Anglistik/ Amerikanistik) exemplarisch abbilden und über Relevanz für schulische Bildung verfügen. Die Verantwortung für die Auswahl obliegt zwar den Lehrenden, sollte jedoch aktuelle Entwicklungen und studentische Interessen berücksichtigen, die in Lehrevaluationen und Gesprächen (z. B. mit der Fachschaft, mit Lehrkräften in der Schule, in den Fachgesellschaften) ermittelt werden. Fachliche Kohärenz der Lehre kann hergestellt werden, wenn schulrelevante Gegenstände (z. B. zeitgenössische Romane, Kinderliteratur, Desinformation in sozialen Netzwerken, grammar for EFL lear‐ ners) ausgewählt werden und Lehrende aus der Sprach-, Literatur-, Kulturwissenschaft und der Didaktik semesterweise Absprachen zur inhaltlichen und organisatorischen Koordina‐ tion der Lehre treffen. Wenn derart abgestimmte Studienelemente in der Modulstruktur der Prüfungsordnungen verankert würden, ließe sich curriculare Kohärenz herstellen, die al‐ lerdings Kooperationsbereitschaft und intensiven Austausch unter den Lehrenden erfordert (Diehr 2018, 84). Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass innerhalb der fremdsprachen‐ didaktischen Community derzeit intensiv über ein nicht-essenzialistisches Verständnis von Kultur im Fremdsprachenunterricht debattiert wird (vgl. König/ Schädlich/ Surkamp 2022 Menschen, Sprachen, Inhalte - Bestandteile der Qualitätsentwicklung fremdsprachendidaktischer Lehre 31 <?page no="32"?> und Siepmann et al. 2023), das bei der Auswahl von Gegenständen bedacht werden muss, um den Erwerb von Orientierungswissen bei zukünftigen (Englisch-)Lehrkräften sowohl auf der Ebene von Zielsprachenkulturen und Nationalstaaten als auch auf der globalen Ebene und in hybriden Kontexten sicherzustellen (vgl. Koreik in diesem Band). Die sichere Anwendung grundlegender fachwissenschaftlicher Analysemethoden (z. B. aus der Literaturwissenschaft oder aus der Korpuslinguistik) kann ebenfalls als Kri‐ terium für die Qualität der Lehre gelten. Diese Methoden werden benötigt, um ein vertieftes Verständnis der sprachlichen, literarischen oder kulturellen Gegenstände zu entwickeln, um auf dieser Grundlage das Lernpotenzial der ausgewählten Gegenstände einzuschätzen: Was können Kinder und Jugendliche in fremdsprachlicher und konzeptueller Hinsicht an einem Text, einem Ereignis oder einem digitalen Phänomen entdecken? Was trägt es zur Sprach- und Persönlichkeitsbildung bei? Mit diesen Fragen wird bereits die Didaktisierung eingeleitet. Sie wird durch einen Abgleich von fachlichen Strukturen und potenziellen Lernwegen fortgesetzt: Wie kann der Lernprozess von Kindern und Jugendlichen an einem konkreten Gegenstand (z. B. einem von Jugendlichen auf Bali in englischer Sprache erstellten Videoclip zur Vermeidung von Plastikmüll) gestaltet und gestützt werden? Die Sprachbildung von zukünftigen Schülerinnen und Schülern ist dabei als Zielperspektive von Fremdsprachenunterricht in den Mittelpunkt zu rücken, während der Umfang des antizipierten Kontextes nach Schulform, Lerngruppe und zeitlicher Dauer variieren kann. Vermutlich zeigen viele Lehr‐ amtsstudierende zunächst größeres Interesse an allgemeinpädagogischen Fragestellungen und geringeres an fremdsprachendidaktischen Überlegungen (vgl. auch Gerlach 2020, 361 für Lehrkräfte in Ausbildung). Deshalb ist es wichtig, dass Studierende in fremdspra‐ chendidaktischen Lehrveranstaltungen erfahren, dass sprachliche Bildung in konkreten Lernsituationen durch ein beständiges Oszillieren zwischen konzeptuellem Verstehen (im genannten Beispiel etwa Wissen über die Beschaffenheit von Plastik und Auswirkungen von Plastik in den Meeren) und fremdsprachlichem Ausdruck (z. B. microplastics, to break down into microfibres) gefördert wird. Studierende sollten am Ende ihres Studiums in der Lage sein, die sprachlichen und konzeptuellen Voraussetzungen systematisch zu erfassen, die Schülerinnen und Schüler benötigen, um sich kritisch an relevanten Diskursen in der Fremdsprache zu beteiligen. Zudem sollten Studierende Gelegenheit haben, Unterricht probeweise zu planen (zur hervorgehobenen Bedeutung des antizipierten Unterrichts vgl. Legutke/ Schart 2016, 36). Geeignete Möglichkeiten zur praktischen Erprobung dialogisch erstellter Unterrichtskonzepte ergeben sich mit Unterstützung von Ausbilder*innen in Praxisphasen, insbesondere in Langzeitpraktika und Praxissemestern. Erprobungen dieser Art dienen allerdings nicht dazu, unterrichtspraktische Handlungsroutinen zu trainieren, denn „[d]ie Vermittlung mehr unterrichtspraktisch definierter Kompetenzen ist […] vor allem Aufgabe des Vorbereitungsdienstes“ (KMK 2019, 3). Vielmehr geht es im Studium darum, eine forschende Grundhaltung zu entwickeln und einen weiten Blick für die zahlreichen Bedingungen des Unterrichtens einzunehmen (vgl. Diehr 2018b). Mit Blick auf die Prinzipien für die Gestaltung universitärer Lehre möchte ich mich auf vier wesentliche Aspekte von Qualität beschränken. • Die Lehre soll in der Regel und überwiegend im Medium der Fremdsprache stattfinden und implizit auch zur sprachpraktischen Weiterentwicklung der Studierenden bei‐ 32 Bärbel Diehr <?page no="33"?> 2 Allerdings ist derzeit zu beobachten, dass angesichts des dramatischen Lehrkräftemangels die Anforderungen an die Lehrpersonen in vielen Schulen umgangen werden, z. B. wenn Studierende ohne Studienabschluss auf der Grundlage von befristeten Verträgen eigenständig Fremdsprachen‐ unterricht erteilen. tragen. Im Studium sollte die Fremdsprache dabei auch als Instrument zur Aushandlung von Interessenskonflikten und zur respektvollen Verständigung bei Meinungsverschie‐ denheiten erfahren und reflektiert werden (vgl. auch Burwitz-Melzer et al. 2023). • Die Sprach- und Inhaltsorientierung der universitären Lehre soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass schulischer Fremdsprachenunterricht Zugang zu gesellschaftlich relevanten Themen eröffnet, indem er die sprachlichen Voraussetzungen (insbesondere lexikalischer, grammatischer, genre-bezogener und pragmatischer Art) für die Teilhabe an Diskursen schafft. • Am Prinzip der Forschungsorientierung im Studium lässt sich nicht nur die wissen‐ schaftliche Fundierung der universitären Lehrkräftebildung festmachen, sondern auch die Auffassung, dass das Studium anschlussfähig an den Vorbereitungsdienst und gleichzeitig distinkt sein soll (vgl. KMK 2019, 3). Während Lehramtsanwärter*innen im Vorbereitungsdienst in ihrem Ausbildungsunterricht und in Lehrproben lernförderli‐ ches Lehrhandeln ausbilden und Unterrichtskonzepte umsetzen, die zum Lernerfolg der Schüler*innen führen sollen, zielen studentische Forschungsprojekte im Studium auf ein besseres Verständnis von Unterricht und seinen stetigen Veränderungen ab. Letztere werden daher mit mehr pädagogischer Distanz und ergebnisoffen durchge‐ führt. • Als fachunabhängiges Prinzip sei schließlich noch die Lehre nach erwachsenenpädago‐ gischen Grundsätzen genannt, ein Prinzip, das sowohl in der universitären Lehrkräfte‐ bildung als auch in der praktischen Lehrerausbildung Anwendung findet. Dazu zählen insbesondere Erfahrungsbezug, Selbstregulation, Mitsprache und Transparenz (vgl. z.-B. König 1986; Stangl 2012). 3 Transfer - der lange Atem qualitätsvoller Lehre Während der Zugang zum Lehren an öffentlichen Schulen durch Studienabschluss, Vor‐ bereitungsdienst und (beamtenrechtliche) Revisionen stark reglementiert ist, gelten für die Lehrtätigkeit in der universitären Fremd- und Zweitsprachendidaktik je nach Status‐ gruppe ungenau definierte Einstellungsvoraussetzungen, die zudem standortspezifisch verschiedene Auslegungen erfahren. 2 Auch die Tätigkeit als Ausbilderin oder Ausbilder im Vorbereitungsdienst ist an strenge Vorgaben gebunden. In der Regel werden ein (Zweites) Staatsexamen, mehrjährige Berufserfahrung, Teilnahme an einer sog. Fachleiterschulung und überdurchschnittliche Leistungen im Revisionsverfahren verlangt. Da Hatties (2009, 238) Erkenntnis, dass Lernerfolg in hohem Maße von der Lehrperson abhängt, in weiten Teilen auch auf den Kompetenzerwerb im Lehramtsstudium zutreffen dürfte, sollte der Zugang zur universitären Lehrkräftebildung nicht ausschließlich an fachwissenschaftli‐ chen Kompetenzen, sondern konsequent auch an Kriterien der pädagogisch-didaktischen Eignung und Vorerfahrung ausgerichtet werden. Gerade in den Fachdidaktiken ist dieser Menschen, Sprachen, Inhalte - Bestandteile der Qualitätsentwicklung fremdsprachendidaktischer Lehre 33 <?page no="34"?> Faktor aufgrund der didaktischen Vorbildfunktion der Lehrenden besonders ernst zu nehmen. Auf die Qualität der Lehre hat auch der Faktor Fremdsprache einen entscheidenden Einfluss, und zwar sowohl als Medium der Verständigung in der Lehrveranstaltung als auch als Gegenstand der Betrachtung von Vermittlungsansätzen und didaktischen Konzepten. In beiderlei Hinsicht ist die exzellente Fremdsprachenkompetenz der Lehrenden ein wichtiges Gütekriterium (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2023). Da Sprache stets Inhalte umfasst und auch grammatische Formen semantischen Gehalt transportieren, besteht die Kunst des Fremdsprachenlehrens darin, mit inspirierenden Themen die Ausdrucks- und Kritikfähigkeit junger Menschen zu fördern. Das oben genannte Grundprinzip des Oszillierens zwischen Sprache und Inhalte, verbunden mit Grundsätzen des lexikalischen Lernens und der Semantisierung, sollten Lehramtsstudierende theoretisch und praktisch frühzeitig kennenlernen. Durch systematische Erarbeitung einzelner konkreter Beispiele (z. B. Anleitung zum fremdsprachlichen Ausdruck von Meinungen zu einer tagespolitischen Meldung) werden im Studium die Grundlagen für einen Transfer auf neue Themen und neue Sprachmittel geschaffen, mit deren Hilfe angehende Lehrkräfte in der Ausbildung den sicheren Einsatz handwerklicher Fähigkeiten des Fremdsprachenlehrens einüben können. Das Gleiche gilt im Bereich der literatur- und kulturwissenschaftlichen Theorien. Durch einen konzeptuellen Transfer beispielsweise zwischen Erzähl- und Gattungstheorie in der Literaturwissenschaft einerseits und der Didaktisierung eines literarischen Textes in der Fachdidaktik andererseits (für nähere Ausführungen und konkrete Beispiele siehe Hallet 2018) erwerben Studierende „(…) Vertrautheit mit Kategorien, Konzepten und Theorien (…), [die] auf eine Vielzahl von Gegenständen und Phänomenen anwendbar sind“ (ebd., 125). Wenn im Vorbereitungsdienst neue Literaturen und Gattungen für den Unterricht aufbereitet werden, helfen die im Studium exemplarisch erworbenen Konzepte, die neuen Gegenstände für den Unterricht fruchtbar zu machen. Im Idealfall reicht der Transfer über die zweite Phase der Lehrkräftebildung hinaus und kommt dem lebenslangen Lernen zugute, wenn erfahrene Lehrkräfte Erkenntnisse aus dem fachdidaktischen Studium akti‐ vieren und für die eigene Weiterentwicklung und den Erhalt der beruflichen Zufriedenheit nutzen. Literatur Blömeke, Sigrid/ Bremerich-Vos, Albert/ Haudeck, Helga/ Kaiser, Gabriele/ Nold, Günter/ Schwippert, Knut/ Willenberg, Heiner (Hrsg.) (2011): Kompetenzen von Lehramtsstudierenden in gering struktu‐ rierten Domänen. Münster: Waxmann. Burwitz-Melzer, Eva/ Riemer, Claudia/ Schmelter, Lars (Hrsg.) (2023): Berufsbezogene Sprache der Lehrenden im Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Tübingen: Narr/ Francke/ Attempto. Caspari, Daniela (2003): Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrer. Studien zu ihrem beruf‐ lichen Selbstverständnis. Tübingen: Narr. Diehr, Bärbel (Hrsg.) (2018a): Universitäre Englischlehrerbildung. Wege zu mehr Kohärenz im Studium und Korrespondenz mit der Praxis. Berlin: Peter Lang. Diehr, Bärbel (2018b): „Wissenschaftliche Englischlehrerbildung - eine Herausforderung für Fach‐ wissenschaft und Fachdidaktik“. In: Diehr (Hrsg.), 75-101. 34 Bärbel Diehr <?page no="35"?> Gerlach, David (2020): Zur Professionalität der Professionalisierenden. Was machen Lehrerbildner*innen im fremdsprachendidaktischen Vorbereitungsdienst? Tübingen: Narr Francke Attempto. Hallet, Wolfgang (2018): „Konzeptueller Transfer. Interdisziplinäre Konzeptbildung in den Literatur- und Kulturwissenschaften und in der Englischdidaktik“. In: Diehr (Hrsg.), 123-142. Hattie, John (2009): Visible Learning. A Synthesis of over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement. Abingdon: Routledge. 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Ein Forschungsdesiderat in der Fremdsprachendidaktik Obwohl wir uns als Hochschullehrkräfte in der Fremdsprachendidaktik regelmäßig und in vielfältiger Weise mit der ersten Frage der diesjährigen Frühjahrskonferenz beschäf‐ tigen, hat sich unsere Disziplin erst in den letzten Jahren verstärkt mit der Frage nach Qualität und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Lehre auseinandergesetzt. Das ist insofern erstaunlich, als wir eigentlich ununterbrochen mit der Frage nach ‚guter‘ Hochschullehre konfrontiert sind: bei der didaktischen Konzeption und methodischen Ge‐ staltung unserer eigenen Lehrveranstaltungen, bei ihrer Evaluation durch die Studierenden, bei der Weiterentwicklung der lehramtsspezifischen Studiengänge, in fachspezifischen und -übergreifenden Studienkommissionen und Arbeitsgruppen, auch bei der Erstellung eines ‚Leitbild Lehre‘ an der eigenen Universität (z. B. Universität Potsdam 2020), und nicht zuletzt im Rahmen von Berufungsverfahren bei der Präsentation und Reflexion individueller Lehrkonzepte. Die forschende Begleitung der lehramtsbezogenen Lehre oder Studiengänge hat deutlich im Rahmen der BMBF-geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (QLB, 2015-2023) 1 Fahrt aufgenommen. In den hochschuldidaktischen Publikationen zur universitären Lehr‐ kräftebildung, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, stehen allerdings oftmals fächerübergreifende Themen, Konzepte oder aktuelle Herausforderungen der Lehrkräfte‐ bildung - wie z. B. Digitalisierung, Inklusion, Verzahnung von Theorie und Praxis sowie von Fachwissenschaft und Fachdidaktik - und weniger deren fachspezifische Ausdiffe‐ renzierung im Fokus. Dies lässt sich gewiss auch dadurch erklären, dass die Initiativen und Aktivitäten, die im Rahmen der QLB gefördert wurden, mehr auf die Profilierung der Lehrkräftebildung insgesamt an den jeweiligen Universitätsstandorten zielten als auf die standortübergreifende Vernetzung in den Disziplinen (wenngleich es für letztere über Tagungen und andere Austauschformate auch vielfältige Anregungen gab). Für die Fremdsprachendidaktik jedenfalls stellt die standortübergreifende Auseinandersetzung und Verständigung über die entwickelten und erprobten Konzepte aus der QLB noch ein Desiderat dar. <?page no="38"?> Wichtige Impulse für die fremdsprachenspezifische Diskussion bieten allerdings die vielfältigen Beiträge in dem Sammelband von Bärbel Diehr (2018) zur Universitären Englischlehrerbildung, im Band von Heike Niesen, Daniela Elsner und Britta Viebrock (2020) zu digitalen Formaten der fremdsprachlichen Hochschullehre in der Lehrerbildung sowie in dem von Daniela Caspari und Andreas Grünewald (2022a) koordinierten The‐ menheft der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung zum „Fachdidaktische[n] Wissen in der Fremdsprachenlehrkräftebildung“. Die hier erörterten Ansätze und Konzepte sowie die vorgestellten Praxisbeispiele, Methoden und Werkzeuge zur Ausbildung zukünftiger Fremdsprachenlehrkräfte zeigen z. B. aus fremdsprachendidaktischer Sicht diverse „Wege zu mehr Kohärenz im Studium und Korrespondenz mit der Praxis“ (Diehr 2018) auf, benennen relevante Inhalte fachdidaktischer (Einführungs-)Veranstaltungen (Caspari/ Grü‐ newald 2022b) und diskutieren Möglichkeiten der Verzahnung von Fachwissenschaften, Fachdidaktik sowie der Sprachpraxis in der Lehre. Zudem wird hier über den Nutzen spezifischer Lehrformate und erprobter Tools - wie z. B. von Lehr-Lern-Laboren, diversen Planungs-, Reflexions- und Feedbackinstrumenten, Videovignetten und der Fokussierung spezifischer Handlungsfelder bzw. Themen (u. a. digitale Medien, Inklusion, Mehrsprachig‐ keit) reflektiert. Trotz der Vielzahl relevanter Fragen, die dabei für die Gestaltung der Lehre in der Fremdsprachendidaktik zur Sprache kommen, lässt sich aber festhalten, dass Fragen nach der Qualität, Gelingensbedingungen und der Wirksamkeit fremdsprachendi‐ daktischer Lehre bislang noch zu selten Gegenstand fremdsprachendidaktischer Forschung waren und daher zu vielen Fragen keine empirischen Erkenntnisse vorliegen. Der vorliegende Beitrag nähert sich der Frage nach den Gestaltungsprinzipien ‚guter‘ fremdsprachendidaktischer Hochschullehre aus zwei Richtungen: Zunächst wird - ausge‐ hend von einem in der Lehrkräftebildung zentralen Ziel - aus theoretischer Sicht erörtert, welche Rolle der Ausbildung von Reflexionskompetenz im fremdsprachendidaktischen Lehramtsstudium zukommt und mit welchen Formaten sie im Rahmen der ersten Phase der Lehrkräftebildung gefördert werden kann (Abschnitt 2). Im Anschluss dient die Skizzierung zweier Lehrprojekte, die in Kooperation mit Kolleginnen aus der englischen Sprachwis‐ senschaft (Abschnitt 3) bzw. der Geschichtswissenschaft (Abschnitt 4) entstanden, der Reflexion über weitere Gestaltungsprinzipien, die ich für eine ‚gute‘ fremdsprachendidak‐ tische Hochschullehre für zentral halte. Ein Ausblick fasst die Überlegungen abschließend zusammen (Abschnitt 5). 2 Reflexionskompetenz als zentrales Konzept in der fremdsprachendidaktischen Lehrkräftebildung Trotz der festgestellten Forschungsdesiderate zu der Frage, was ‚gute‘ fremdsprachendi‐ daktische Hochschullehre kennzeichnet, scheint mir innerhalb der Fremdsprachendidaktik Einigkeit in einigen grundlegenden Fragen der Lehrkräftebildung zu bestehen: Dies betrifft in erster Linie die Orientierung am Modell des reflective practitioner (Schön 1983) als zentralem Bestandteil einer reflexiven Lehrkräftebildung (vgl. z. B. Viebrock 2018, 50 f.): Lehrkräfte als reflective practitioner verfügen über die Fähigkeit, eine kritisch-distanzierte Haltung zum eigenen Handeln in einer Situation einzunehmen, um über Herausforde‐ 38 Britta Freitag-Hild <?page no="39"?> rungen, Rahmenbedingungen des Handelns oder Handlungsalternativen zu reflektieren und so das eigene Handeln immer weiter zu professionalisieren. Wenngleich das Studium als erste Ausbildungsphase aufgrund seiner Inhalte und Struktur nicht in erster Linie auf die Entwicklung professioneller Handlungskompetenz, sondern zunächst auf den Erwerb fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Wissens sowie fachspezifischer Erkenntnis- und Arbeitsmethoden ausgerichtet ist (vgl. KMK 2024, 3 f.), stellt auch die Entwicklung von Reflexionskompetenz ein zentrales Ziel in der lehramtsspezifischen Hochschullehre dar, das oftmals mithilfe geeigneter Instrumente zur Reflexion gefördert wird (u.-a. Anwendungs- und Reflexionsaufgaben, Selbsteinschät‐ zungsbögen, Portfolio). Dem Ausbildungsmodell der reflective practice (Wallace 1991) zufolge kommt dabei (1) der Bewusstmachung vorhandener Überzeugungen und men‐ taler Konstrukte (u. a. zum Fremdsprachenlehren und -lernen), (2) der Verknüpfung von wissenschaftlichem (‚theoretischem‘) Wissen und erfahrungsbasiertem (‚praktischen‘) Handlungswissen sowie (3) der kontinuierlichen Reflexion über das eigene Handeln als Lehrkraft in der Praxis eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere in der ersten Phase der Lehrkräfteausbildung eignen sich dazu Ansätze des situierten, erfahrungsbezogenen Lernens, bei denen komplexitätsreduzierte Settings (z. B. Microteaching, Lehr-Lern-Labore, Videovignetten) einen Wechsel zwischen unter‐ richtspraktischem Handeln und angeleiteter Reflexion über getroffene Entscheidungen und Handlungsalternativen erleichtern. Auch die Schulpraktischen Studien, die je nach Uni‐ versitätsstandort ganz unterschiedlich konzipiert sind (Tagespraktika, Blockpraktika, For‐ schungspraktika, Praxissemester) und begleitet werden (von Lehrkräften als Mentor: innen und/ oder Fachdidaktiker: innen), sind natürlich für den Wechsel zwischen unterrichtlichem Handeln und angeleiteter Reflexion prädestiniert und schaffen vielfältige Lerngelegen‐ heiten zur Ausbildung von Reflexionskompetenz. 3 Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik: Kompetenzorientierung, Professionsbezug und forschendes Lernen in einem Lehrprojekt Bei der Konzeption des hier skizzierten Lehrprojekts arbeiteten zwei Hochschullehrerinnen der Universität Potsdam aus der englischen Sprachwissenschaft und der Didaktik des Englischen zusammen. Im Rahmen dieser Kooperation entstanden zwei miteinander verzahnte Seminare, die seit 2018 als wahlobligatorische Lehrveranstaltungen innerhalb der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik im lehramtsbezogenen Master (M.Ed.) für die Sekundarstufe im Fach Englisch regelmäßig belegt werden können. Die verzahnten Lehrveranstaltungen verfolgen die Zielsetzungen, einerseits fachwissenschaftliche Kom‐ petenzen der Studierenden zur Analyse interaktionaler Kompetenzen zu fördern sowie andererseits die angehenden Englischlehrkräfte zur Diagnose, Bewertung und Förderung von Sprechkompetenzen zu befähigen (zu einer detaillierten Vorstellung der Lehrveranstal‐ tungen vgl. Freitag-Hild/ Barth-Weingarten 2020; Freitag-Hild et al. 2023). Die Verzahnung sprachwissenschaftlicher und -didaktischer Inhalte sollte u. a. dazu dienen, die Relevanz fachwissenschaftlicher Konzepte und Methoden für ein besseres Verständnis interaktio‐ naler Prozesse zu verdeutlichen, mit fachdidaktischem Wissen zu vernetzen und dieses Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 39 <?page no="40"?> 2 Das hochschuldidaktische Konzept des Constructive Alignment lässt sich als output- und kompe‐ tenzorientiert auffassen: „Constructive alignment (CA) is a design for teaching in which what it is intended students should learn, and how they should express their learning, is clearly stated before teaching takes place. Teaching is then designed to engage students in learning activities that optimise their chances of achieving those outcomes, and assessment tasks are designed to enable clear judgments as to how well those outcomes have been attained“ (Biggs 2014). Wissen für den Schulkontext, also die Gestaltung von unterrichtlichen Lehr-Lern-Pro‐ zessen zu nutzen. Der Professionsbezug war dabei sowohl Ausgangspunkt für die Kooperation als auch zentrales Gestaltungsprinzip für die Lehrveranstaltung: Thematisch orientiert sich das Seminar an einem zentralen Unterrichtsgegenstand des Englischunterrichts (dem dia‐ logischen Sprechen) sowie einer Kernaufgabe von Englischlehrkräften (der Diagnose, Bewertung und Förderung der Sprechkompetenzen von Lernenden). Im Rahmen des sprachwissenschaftlichen Seminars lernen die Studierenden dafür die Charakteristika gesprochener Sprache erkennen, analysieren videografierte Rollenspiele aus dem Englisch‐ unterricht mit Methoden der Konversationsanalyse und beschreiben die interaktionalen Kompetenzen einzelner Schülerinnen und Schüler in einer informellen, argumentativen Gesprächssituation. Im fachdidaktischen Seminar liegt der Fokus auf Ansätzen und Auf‐ gaben zur Förderung von Sprechkompetenzen, der Reflexion von Möglichkeiten, Funk‐ tionen und Implikationen der Beurteilung von (Sprech-)kompetenzen und dem Üben von Lernstandsdiagnosen und -beurteilung anhand von Kriterien, Bewertungsrastern sowie der Formulierung eines lernförderlichen Feedbacks. Das Prinzip der Kompetenzorientierung wird zudem insofern eingelöst, als sich die gesamte Lehrveranstaltung an einer komplexen Kompetenzaufgabe (vgl. Hallet 2013) ausrichtet: Am Ende der Lehrveranstaltung sollen die Studierenden in der Lage sein, die Sprechkompetenzen (einschließlich der interaktionalen Kompetenzen) von Schülerinnen und Schülern in einem videografierten Rollenspiel kriterienorientiert zu beurteilen, eine individuelle lernförderliche Rückmeldung zu geben und auf der Grundlage der Beurtei‐ lung Implikationen für die weitere Förderung von Sprechkompetenzen im Unterricht zu reflektieren. Schrittweise erwerben die Studierenden das dafür erforderliche fachwis‐ senschaftliche und fachdidaktische Wissen und die erforderlichen Fähigkeiten, indem sie die videografierten Rollenspiele wiederholt unter neuen, zunehmend komplexeren Fragestellungen analysieren. Im Sinne des hochschuldidaktischen Konzepts des Constructive Alignment (vgl. Biggs 2014) sind Inhalte, Kompetenzziele und Prüfung eng aufeinander abgestimmt 2 : Der Kom‐ petenzerwerb wird dabei durch die Lernaufgabe vorstrukturiert und durch eine ähnlich strukturierte Prüfungsaufgabe evaluiert. Zudem wird bereits zu Beginn der Lehrveranstal‐ tung erläutert, wie die abschließende Prüfungsaufgabe aussehen wird und wie das Seminar die Studierenden dabei unterstützt, sie zur Bewältigung dieser Aufgabe zu befähigen. Die Lehrveranstaltung ist zudem forschungsorientiert ausgerichtet: Im Rahmen der Lehrveranstaltung wird gemeinsam an Forschungsdaten (den videografierten Rollen‐ spielen) und einer Forschungsfrage gearbeitet: Ziel ist es die interaktionalen Kompetenzen der Lernenden in den Rollenspielen so zu analysieren, zu beschreiben und miteinander zu vergleichen, dass unterschiedliche Niveaustufen definiert und die Kompetenzen der 40 Britta Freitag-Hild <?page no="41"?> 3 Vgl. https: / / www.uni-potsdam.de/ de/ zelb/ forschung-und-entwicklung/ daad-projekt. Lernenden damit besser erfasst werden können. Erkenntnisse zu den interaktionalen Kompetenzen der Lernenden, die im Umgang mit den Forschungsdaten entstehen, werden in dem Seminar diskutiert und für die Entwicklung eines gemeinsamen Bewertungsrasters genutzt, das auf den spezifischen Fokus im Seminar - die interaktionale Kompetenz - zugeschnitten ist (vgl. hierzu auch Barth-Weingarten/ Freitag-Hild 2021). Neben der Professionsorientierung des Seminars und der Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, von ‚Theorie‘ und ‚Praxis‘ wird dieser Aspekt von den Studierenden in den Evaluationen stets positiv hervorgehoben (vgl. Freitag-Hild/ Barth-Weingarten 2020). Aus Sicht der Lehrenden bewährt sich der Ansatz des forschenden Lernens im Seminar insbesondere deshalb, weil Studierende und Lehrende hier zusammen an einer Forschungs‐ frage arbeiten, Forschungsdaten auswerten, ihre Analysen und Interpretationen bzw. die reflektierten Implikationen für die Unterrichtspraxis austauschen und auf diese Weise gemeinsam neues Wissen geschaffen wird. Der prozessorientierte Charakter des Lernpro‐ zesses und der ergebnisoffene Austausch während des Forschungsprozesses führt allen Beteiligten vor Augen, dass wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung zumeist kein linearer Prozess ist und Wissen nicht einfach ‚da‘ ist, um von Studierenden konsumiert zu werden, sondern dass es Austausch und ein kritisches Hinterfragen von Vorannahmen, Ergebnissen, Konzepten und Methoden braucht, um am Ende ein ‚Problem‘ zu lösen (vgl. hierzu Nünning 2018). Gerade diese Erfahrung ist für die Ausbildung einer kritisch-reflexiven Grundhaltung wertvoll - und dies nicht nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sondern in gleicher Hinsicht für jede angehende Lehrkraft. 4 Interdisziplinarität und Internationalität: Das Seminar „US Migrations in History, Literature and the EFL Classroom“ Einen ganz anderen Ansatz, der fachliche Inhalte mit (globaler) politischer Bildung (global citizenship education) verknüpft und dabei Fragen der Werteorientierung und Persönlich‐ keitsbildung adressiert, verfolge ich mit einer Kollegin aus der Geschichtswissenschaft, die am Historischen Institut der State University of New York (SUNY) in Cortland unterrichtet (vgl. hierzu genauer Freitag-Hild/ Peterson 2024). Bereits aufgrund der unterschiedlichen Lehrkontexte ist unsere Kooperation durch Interdisziplinarität und Internationalität ge‐ prägt. Ausgangspunkt für die gemeinsamen Aktivitäten in der Lehre war ursprünglich die Idee zu einem Virtual Exchange Projekt/ COIL-Kurs zum Thema Flucht und Migration, das noch kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 startete und in dem unsere Studierenden aus Potsdam und Cortland mit weiteren Partnern aus Mexiko und Südafrika zusammenarbeiteten. Seitdem haben wir unsere bilaterale Kooperation zwischen Potsdam und Cortland in diversen Online- und Präsenzformaten (u. a. Online Student Conference, Summer School, Gastdozentur) weiterentwickelt, die in den letzten drei Jahren auch im Rahmen des DAAD-Projekts „UP Network for Sustainable Teacher Education“ 3 an der Universität Potsdam (2021-2024) gefördert wurden. Der Ansatz der Global Citizenship Education und die Zielsetzung der Ausbildung von critical literacy sind für unsere gemeinsamen Lehraktivitäten und -formate zentral: Im Kern Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 41 <?page no="42"?> geht es uns darum, Studierenden in der Auseinandersetzung mit relevanten und bedeut‐ samen Themen aus dem fachbezogenen Studium und der Gesellschaft Lerngelegenheiten zu bieten, in denen sie 1. das eigene Wissen zu diesen Themen erweitern, 2. wissenschaftliche Ansätze und Konzepte aus unterschiedlichen Disziplinen (u. a. Geschichtswissenschaft, Literatur- und Kulturwissenschaft, Migration Studies) zur Auseinandersetzung, Analyse und Reflexion dieser Themen nutzen, 3. sich zu diesen Themen grenzüberschreitend austauschen, dabei eigene Sichtweisen reflektieren, erweitern und 4. die gewonnenen Erkenntnisse für konkrete fachspezifische Fragestellungen nutzen bzw. in praxisbezogenen Situationen anwenden. In unserem Seminar „US Migrations in History, Literature and the EFL classroom“, das im Wintersemester 2023/ 24 an der Universität Potsdam im lehramtsbezogenen Masterstudium für das Fach Englisch angeboten wurde, unterrichteten wir z. B. einen Teil des Seminars gemeinsam, so dass sowohl geschichtswissenschaftliche Konzepte und Diskurse (u. a. zu Migration Studies, US migration (hi)stories, mythstories, migrant groups, their stories and identities) als auch literatur- und kulturdidaktische Ansätze (u. a. kulturelles Lernen, Potenziale von Literatur, Aufgabengestaltung, Lehrwerksanalyse) thematisiert werden konnten. In den abschließenden Projekten arbeiteten die Studierenden an einer selbstge‐ wählten fremdsprachendidaktischen Fragestellung und nutzten zur Bearbeitung die zuvor erarbeiteten Konzepte und Ansätze aus beiden Disziplinen. Insgesamt verfolgen wir mit diesen und ähnlichen interdisziplinären und internationalen Seminarformaten das übergeordnete Ziel, kritisches Denken und global citizenship zu fördern, indem wir kontroverse Themen und Inhalte auswählen (z.-B. zu aktuellen Migra‐ tionsdiskursen), über Forschungsaufgaben (z. B. zu Repräsentationen in gesellschaftlichen Diskursen, in den Medien, in Lehrwerken) die Anwendung wissenschaftlicher Methoden (z. B. zur Diskurs-, Text- oder Bildanalyse) einüben und so Studierende zum eigenständigen Explorieren und Forschen, zum Austausch und zur Diskussion ihrer Ergebnisse anregen. Auf diese Weise gestalten wir Lerngelegenheiten für Studierende beider Disziplinen, mit denen sie die erforderlichen Kompetenzen erwerben, um als verantwortungsbewusste (Lehr-)Persönlichkeiten, kritisch denkende Weltbürger („citizens of the world“, Nussbaum 2010) und sog. „critical agents of change“ (UN 2015) eine aktive Rolle in Gesellschaft, Schule und Bildungssystem einzunehmen. Die Fremdsprachendidaktik und die Geschichtswissenschaft legen besonderen Wert darauf, Studierenden fachbezogene Kompetenzen zu vermitteln, um kulturelle, gesell‐ schaftliche und historische Prozesse, Sachverhalte und Herausforderungen aus unter‐ schiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und eigene Sichtweisen kritisch zu reflektieren. Die Prinzipien der Multiperspektivität und des Perspektivenwechsels, die so zum Tragen kommen, leisten dabei einen wichtigen Beitrag, um universitäre Lehre aber nicht nur fachbezogen, sondern vor allem auch in sozialer und globaler Verantwortung zu denken. Gerade angesichts gesellschaftlicher Polarisierungen, die derzeit nicht nur an unseren Universitätsstandorten in Deutschland und den USA wahrzunehmen sind, erscheint mir daher die Idee einer Wertebasierten Hochschullehre (Reinmann 2022) unterstützenswert. 42 Britta Freitag-Hild <?page no="43"?> 5 Fazit Anhand der beiden Lehrprojekte lassen sich neben der Ausbildung von Reflexionskom‐ petenz also einige weitere Gestaltungsprinzipien identifizieren, die m. E. eine qualitativ hochwertige fremdsprachendidaktische Hochschullehre kennzeichnen. Dies sind - wie am Beispiel des Lehrprojekts zur Diagnose und Beurteilung von Sprechkompetenz exempla‐ risch deutlich wird - zunächst (1) die Kompetenz- und Professionsorientierung, (2) die Forschungsorientierung bzw. der Ansatz des forschenden Lernens sowie (3) die Verzahnung von Fachwissenschaften und Fachdidaktik. Es liegt auf der Hand, dass diese (fachübergrei‐ fenden) Gestaltungsprinzipien fachspezifisch ausdifferenziert werden müssen, um ‚gute‘ Lehre in der Englischlehrkräftebildung zu sichern: Es geht in der fremdsprachendidakti‐ schen Hochschullehre um die Entwicklung fachspezifischer professioneller Kompetenzen; außerdem zielt die Forschungsorientierung auf die Anwendung fachspezifischer Arbeits- und Erkenntnismethoden bei der Bearbeitung fachspezifischer Herausforderungen. Und nicht zuletzt muss es darum gehen, fachwissenschaftliche Inhalte mit fachdidaktischen so zu verzahnen, dass Lehrkräfte fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse von Lernenden professionell anregen, begleiten und steuern können. Das zweite Lehrprojekt hebt hingegen die Bedeutung von Prinzipien hervor, die in Fachdiskussionen häufig aus dem Blick geraten, aktuell aber von besonderer Bedeutung sind. Gerade in einer Zeit politischer Polarisierungen einschließlich antidemokratischer Strömungen und Tendenzen innerhalb unserer Gesellschaft, in der mit Begriffen wie „Remigration“ die Grundrechte für Bürger unseres Landes sowie Menschenrechte in Frage gestellt werden, muss universitäre Bildung ihrer gesellschaftlichen und globalen Verantwortung gerecht werden und entsprechend gestaltet werden. In der Fremdsprachen‐ didaktik heißt das u. a. über die Ausbildung von critical literacy und global citizenship einen wesentlichen Beitrag zu den wichtigsten Aufgaben universitärer Bildung überhaupt zu leisten: (4) Persönlichkeitsbildung verbunden mit Werteorientierung sowie (5) Interdis‐ ziplinarität und Internationalität sind daher ebenso zentrale Gestaltungsprinzipien. Die fachspezifischen Inhalte in den fremdsprachlichen Fächern - die Vielfalt von Literatur(en), Sprache(n), Kultur(en) - bieten zudem zahlreiche Anlässe und Lerngelegenheiten, sich wertschätzend und kritisch mit Multiperspektivität und Diversität auseinanderzusetzen, kommunikative Aushandlungen zu ermöglichen und Menschen miteinander zu verbinden. In diesem Sinne muss und kann auch die fremdsprachendidaktische Hochschullehre einen zentralen Beitrag zu einer werteorientierten Lehrkräftebildung leisten. Literatur Barth-Weingarten, Dagmar/ Freitag-Hild, Britta (2021): „Assessing Interactional Competence in Se‐ condary Schools“. In: Salaberry, Rafael/ Burch, Rue (Hrsg.): Assessing Speaking in Context. Clevedon: Multilingual Matters, 237-262. Biggs, John (2014): „Constructive Alignment in University Teaching“. In: HERDSA Review of Higher Education 1, 5-22. Caspari, Daniela/ Grünewald, Andreas (Hrsg.) (2022a): Themenheft „Fachdidaktisches Wissen in der Fremdsprachenlehrkräftebildung“. 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Auch das Praxissemester hat nicht notwendigerweise dazu geführt, dass fachdidaktische Prinzipien stärker modellhaft beobachtbar werden oder dass es gegenüber anderen Praxisformen hier einen entscheidenden Vorteil hätte (vgl. z. B. Ulrich et al. 2020). Konfrontiert sehen wir uns gleichzeitig in den späteren Phasen der fremdsprachlichen Lehrer*innenbildung und Schulpraxis mit der doppelten Anforderungspraxis in der Paral‐ lelität von Inhalts- und Sprachunterricht, die zum einen - zumindest in der Sekundarstufe I - zu einer starken, häufig unreflektierten „textbook-defined practice“ (vgl. Akbari 2008, 647; Gerlach/ Lüke 2024) führt. Während die in den Lehrwerkreihen angelegte Progression sprachlicher Mittel vielleicht noch dienlich ist, führt jedoch das Abarbeiten von (auch auf kulturelles Lernen angelegten) Inhalten ohne Prüfung auf Lebensweltbezug der Lernenden sowie das häufige Unverständnis über die Relevanz von aufgabenorientierten Settings (vgl. Gerlach 2023) zu keiner Bildungsrelevanz des Fremdsprachenunterrichts jenseits des schon von Breidenstein (2006) beschriebenen Schüler*innenjobs. Analog dazu ist somit ein „Lehrer*innenjob“ konstruierbar, bei dem devot die Inhalte des Lehrwerks abgearbeitet werden. Nicht überraschend belegt besonders rekonstruktive Fremdsprachenforschung der vergangenen Jahre, dass hiermit bestimmte traditionelle Normen im Unterricht weiterhin wirksam sind, wie z. B. diejenige einer Korrektheitsnorm (und zwar deutlich diametral zum Primat der Kommunikation), wie von Wilken (2021) sowie Tesch und Grein (2023) aufgezeigt, oder die Durchprozessierungslogik (vgl. Bonnet/ Hericks 2020), welche fachdi‐ daktische Innovation und fremdsprachliche Bildung zu verhindern bedroht. Diese Befunde sollen keinesfalls als „Lehrer*innenbashing“ verstanden werden oder vorwurfsvoll den Lehrenden gegenüber klingen. Diese können nichts dafür und sind sich dieser Praxis noch nicht einmal notwendigerweise bewusst. Lehrpersonen werden einsozialisiert in diese Praktiken, die systembedingt vorherrschen und habituell durch Überformungen von Schüler*innenhabitus zum Lehrer*innenhabitus perpetuiert werden <?page no="48"?> (vgl. Kramer/ Pallesen 2019; Gerlach 2022a). Man könnte nun einerseits argumentieren, dass es eine umfassende Systemänderung bräuchte, dass also das Bildungs-, Schul- und Ausbildungssystem kritisch beäugt und modernisiert werden müsste. Aber wie realistisch ist ein solches Vorhaben in unserem auf Erhalt gepolten föderalistischen System? Ich weigere mich jedoch auch, manch anderen fatalistischen Stimmen zu folgen, die eine Systemänderung als einzige Lösung propagieren. Denn auf die können wir lange warten. Mein Vorschlag, den ich in diesem Beitrag präsentieren möchte, basiert auf dem Grundsatz, dass wir einer später durch Dritte einsozialisierten Praxis etwas entgegensetzen sollten, was bislang eine an der Ausbildung eines „forschenden Habitus“ (KMK 2019) ori‐ entierte fremdsprachliche Lehrer*innenbildung möglicherweise nicht umfänglich geschafft hat. Wenn ein starres Habituskonzept in der schulpädagogischen Professionsforschung erklären kann, warum Lehrer*innen (auch gegen ihren Willen) handeln, wie sie handeln, könnte das in der (internationalen) Fremdsprachenforschung breit untersuchte Konstrukt der Language Teacher Identity (im Folgenden als LTI abgekürzt) einen Gegenpol entwickeln, der auf unterschiedlichen Ebenen hochschul- und ausbildungsdidaktisch zur Reflexion der je individuellen Rolle, (Berufs-)Biographie und der eigenen Prinzipien für die Ausgestaltung von Fremdsprachenunterricht wirksam werden könnte. 2 Eingrenzung des Konstrukts Language Teacher Identity Der Identitätsbegriff ist über die vergangenen Jahrzehnte hinweg verwässert und (auch aktuell wieder politisch) ideologisiert worden. Er steht dabei meist in der Tradition einer entweder stärker psychologischen oder soziologischen Schule (vgl. z. B. Mead 1934; Erikson 1968). Die Diskussion im deutschsprachigen Raum hat zu einer kaum methodisch greifbaren Psychologisierung des Begriffes geführt - sogar so weit, dass es Stimmen gibt, die die Abschaffung des Konstrukts fordern (vgl. Fischer-Rosenthal 1999). Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass wir im deutschsprachigen Raum nur wenige Arbeiten finden, die das Konstrukt nutzen (Ausnahmen in der Fremdsprachenforschung der letzten zehn Jahre: Valadez Vazquez 2014; Schultze 2018). International genießt Identity trotz seiner Komplexität und schweren Greifbarkeit wachsende Beliebtheit. Je nach Definition schließt es innere und äußere Faktoren der betrachteten Individuen mit ein, ebenso Über‐ zeugungen und berufsbiographische Hintergründe sowie erwünschte Zukunftsvisionen und Reflexionen zur eigenen Praxis innerhalb einer Institution: „Lehrer: innenidentität [im Sinne von Identity; D.G.] ist damit in besonderem Maße soziokulturell und institutionell kontextabhängig und von der eigenen Biographie der Lehrkraft beeinflusst“ (Gerlach 2023, 146). Ich benutze im Folgenden ganz ausdrücklich Identity bzw. LTI als Begrifflichkeiten, um zu zeigen, dass ich stärker die Konzeptualisierung aus der internationalen Literatur heranziehen möchte. Denn: Entgegen der einsozialisierten Praktiken eines Habitus im Bourdieuschen Sinne, bei dem implizites Wissen eine hochgradig handlungsleitende, dem Subjekt jedoch nicht unmittelbar zugängliche Rolle spielt, findet LTI auf einer stärker expliziten Ebene statt. Identity hat mit Positionierungen zu tun, d. h. wie Individuen sich gegenüber bestimmten Themen, Strukturen oder auch Dritten positionieren und sich diesen Positionierungen auch bewusst werden können (vgl. Gerlach 2023). Auf diese 48 David Gerlach <?page no="49"?> Positionierung weist auch Norton (2013) hin, wenn sie Identität beschreibt als „the way a person understands his or her relationship to the world, how that relationship is structured across time and space, and how the person understands possibilities for the future“ (Norton 2013, 4; vgl. auch De Costa/ Norton 2017 im Anschluss an die Rolle von LTI vor dem Hintergrund der Überlegungen der Douglas Fir Group). Hierzu „gehört beispielsweise, sich der eigenen Werte und Überzeugungen bewusst zu werden, die berufliche Motivation zu klären oder charakterliche Eigenheiten zu erkennen“ (Legutke/ Schart 2016, 27). Block (2022) hebt zusätzlich die zeitliche Dimension von Identity hervor als: • Vergangenes (eine individuelle Erinnerung, dabei auch gleichzeitig soziale Konstruk‐ tionen und Versionen von individuell Erlebtem), • Gegenwärtiges (lokale, politische, soziokulturelle Bedingungen, in denen das Indivi‐ duum handelt) und • Zukünftiges (in der je individuellen Antizipation von Handeln und Verhalten) (Über‐ setzt in Gerlach 2023, 150). Identitätsbildungsprozesse für (Fremdsprachen-)Lehrpersonen werden dann im zeitlichen Verlauf potenziell krisenhaft oder transformativ (vgl. Schultze 2018), im Rückblick oder in der Gegenwart reflektierbar, für die Zukunft wünschenswert und antizipierbar. Gleichzeitig ist im Sinne von Butlers Identitätskonstruktion (1990) und ihrer Theorie der Subjektivation nicht alles „Identitäre“ auch steuerbar. Das Subjekt unterwirft sich gewissermaßen auch latent bestimmten Strukturen, in die es eingebettet ist; aber - und das ist das Entscheidende - nicht in der fast völligen Aufgabe wie dies mit der Habitustheorie häufig verbunden wird. 3 Implikationen für Hochschullehre Die berufsbiographische Perspektive sowie die Positionierungstheorie (vgl. Block 2022; Gerlach 2023) sind für mich innerhalb des facettenreichen Konstrukts LTI entscheidend, wenn es um mögliche Anwendungsfelder in der fremdsprachendidaktischen Hochschul‐ lehre geht. Letztere soll bekanntermaßen u. a. dazu dienen, einen forschenden Habitus zu entwickeln (vgl. KMK 2019), welcher es auf Basis fremdsprachendidaktischen Wissens ermöglicht, Unterricht zu analysieren, zu reflektieren und zu planen. Dies geschieht entlang unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunkte, die sprach-, literatur-, kultur- oder medien‐ didaktischer Natur sein können, aber auch andere Kompetenzen und Wissensbereiche ein‐ beziehen. Eine Identity-orientierte Hochschullehre würde die Relevanz unterschiedlicher Modelle und Prinzipien in einer berufsbiographischen sowie positionierungstheoretischen Perspektive reflektierbar machen. Barkhuizen (2008; 2017) zeigt beispielsweise, wie er mittels Prinzipien von narrative inquiry, d. h. dem Provozieren narrativer (schriftlicher) Texte von Studierenden, stories dazu erstellen lässt, mit welchen Motiven die angehenden Fremdsprachenlehrer*innen bestimmte didaktische oder methodische Schwerpunkte um‐ setzen und inwiefern sie sich mit dieser Implementation z. B. von selbst erlebter Praxis in der Schule abgrenzen. Diese narrativen Texte dienen nicht nur der Rekonstruktion von LTI zum Zeitpunkt des Entstehens, sondern werden auch methodisch zu späteren Zeitpunkten von den Studierenden wiederum narrationsanalytisch betrachtet, um in der retrospektiven Reflexion ein stärkeres Bewusstsein über eigene Positionierungen zu erhalten. Grundlagen einer Identity-orientierten Hochschullehre für angehende Fremdsprachenlehrpersonen 49 <?page no="50"?> Nun mag man einwenden, dass zahlreiche Portfoliokonzepte, die in den vergangenen Jahren vorgeschlagen wurden, dies innerhalb der Lehrer*innenbildung ähnlich versuchen abzubilden. Dem würde ich widersprechen: Die (nötigen) Selbsteinschätzungen entlang unterschiedlicher Lehrkompetenzen (wie z. B. mittels des EPOSTL) oder die Skizzierung von Idealbildern guten (Fremdsprachen-)Unterrichts (um nur einige Aufgabenformate zu nennen) sind zwar eine bedeutende Basis, erzeugen aber häufig mehr soziale Erwünschtheit und Prüfungswissen, weniger reale Identitätskonstruktionen. Mir geht es um mehr als das Abfragen von (explizitem) Wissen - ich möchte angehenden Fremdsprachenlehrpersonen auch ein Stück weit ihre impliziten Wissensbestände zugänglich machen durch die Analyse der eigenen Verfasstheit ihrer Identität und Positionierung. Denn: In meinen Master-Semi‐ naren zu Inclusive Language Teaching kann ich noch so viel Wissen über differenzierende Aufgaben, „Lernen am gemeinsamen Gegenstand“ und Förderschwerpunkte vermitteln - wenn die Studierenden je individuell (bewusst oder unbewusst) die Relevanz dieser Konzepte auf der Grundlage eigener Vor- oder projizierter zukünftiger Erfahrungen nicht realisieren, läuft meine seminardidaktische Intervention ins Leere. Formate, die die Rele‐ vanz bestimmter Themen, Theorien und Modelle in einen soziokulturellen und individuell erfahrbaren Zusammenhang stellen, vermögen ein größeres Potenzial zu haben, nachhaltig zu wirken. Johnson und Kolleginnen (2023) geben Einblicke in eine solche Praxis (auch wenn sie nicht mit LTI grundlegend arbeiten). Sie übernehmen eine soziokulturelle, stark an Wygotski orientierte Perspektive und illustrieren in ihrem Buch (empirisch unterlegt), was sie unter Praxis-oriented Pedagogy for Novice L2 Teachers verstehen. Narrative Texte zu unterschiedlichen fremdsprachendidaktischen Szenarien, seien sie mündlich oder schriftlich, können also das Potenzial entwickeln, Reflexionen zu zeigen (bzw. analysierbar zu machen), die nachhaltiger auf Professionalisierungsprozesse wirken als andere Formate. Zwar bleibt der Moment erhalten, dass auch soziale Erwünschtheit in den Texten produziert ist, da die Studierenden diese Texte natürlich innerhalb eines Seminarsettings z. B. vor dem Hintergrund sprach- oder kulturdidaktischer Fragestellungen produzieren, allerdings erlaubt der rekonstruktive Ansatz das Analysieren der Texte hin‐ sichtlich darunterliegender Normen, Erzählungen gängiger Glaubenssätze (oder Vorurteile) und damit eine mögliche Veränderung bestehender Wissensbestände. 4 Die Rolle der Lehrerbildner*innen An anderer Stelle hatte ich bereits die Idee von „impliziter Reflexion“ vorgestellt (Gerlach 2022b): Wenn man voraussetzt, dass es in der Regel (und ganz besonders unter anspruchs‐ vollen Bedingungen wie dem Unterrichten) implizite Wissensbestände sind, die habituali‐ sierte Praxis dominieren und bestimmen, müssen wir Wege finden, dieses implizite Wissen „reflektierbar“ zu machen. Was zunächst nach einem Widerspruch in sich selbst klingt, ist methodisch durchaus einlösbar, wenn auch nicht ohne Umwege: Was Barkhuizen (2008) beispielsweise versucht, ist nichts weniger als die Qualität stärker narrativ (und weniger reflexiv) angelegter Texte zu nutzen, um an Identity heranzukommen. Implizite Reflexion könnte analog bedeuten, dass z. B. Lehrpersonenbildner*innen solche Narrationen in stärker interviewähnlichen Situationen evozieren und die dort relevanten Wissensaspekte (Normen, Orientierungen) offenlegen und mit den angehenden Lehrpersonen in einem 50 David Gerlach <?page no="51"?> zweiten Schritt analysieren. Der Aufwand dürfte sich lohnen, wenn man Beispiele aus rekonstruktiver bzw. Identity-orientierter Forschung betrachtet (vgl. Kayi-Adar 2019). Nun ist ein solches Vorgehen möglicherweise eine gute Option für konkrete Beratungsgespräche im Praxissemester oder auch in Unterrichtsnachbesprechungen im Vorbereitungsdienst; in solchen Situationen also, wenn man in face-to-face-, maximal in Kleingruppensituationen zusammenkommt. Mit ganzen Seminargruppen ist dies ungleich schwieriger umzusetzen, wenn auch nicht unmöglich: Barkhuizens (2008) Zugang ist eine seminardidaktische Intervention, die Studierende dazu anleitet, ihre eigenen Texte zu analysieren. Auch Peer-Reflexionen können, z. B. einem Reflexionsmodell wie dem onion model (vgl. Korthagen/ Vasalos 2005; Burwitz-Melzer 2018; Gerlach/ Leupold 2019) folgend, produktiv werden, wenn man den gesamten Professionalisierungsprozess (auch jenseits von Phasen) versteht „as a dynamic process of identity development alongside the development of a community of practice“ (Clarke 2008, 198). Das Anbahnen gemeinsamer Peerreflexionen ist damit ein bedeutendes Mittel auch für zukünftige Reflexionsprozesse, bei denen sich Lehrpersonen über ihre je individuellen Schwierigkeiten und Probleme austauschen. Daneben kann die gemeinsame Unterrichtsplanung (für Studienleistungen im Seminar oder für eigenen Unterricht im Praxissemester) ein Ort werden, an dem die vergangenen, bestehenden und prospektiven LTIs ausgehandelt werden (Gerlach 2023). Die in den Bildungswissenschaften breit disku‐ tierte Idee, auf Seiten von angehenden Lehrpersonen Meta-Reflexivität zu entwickeln (vgl. Cramer et al. 2019; Cramer 2023), d. h. ein Bewusstsein über unterschiedliche Deutungsan‐ sätze von Professionalität und Professionalisierung, ist hier ebenfalls anschlussfähig: Wenn verschiedene Deutungsansätze (wie eben auch LTI) situativ relevant(er) werden, muss für eine Professionalisierungsbzw. Reflexionsgelegenheit den Lehramtsstudierenden oder Lehrpersonen genau diese Brille als Analysetool an die Hand gegeben werden. Das heißt im Umkehrschluss auch: Nicht alle Deutungsansätze sind in allen hochschuldidakti‐ schen Interventionen gleichsam bedeutungsvoll. Mal mögen es berufsbiographische und LTI-Ansätze sein, mal kompetenz-, struktur- oder machttheoretische. Lehrerbildner*innen müssten an dieser Stelle entscheiden, welche Relevanz ein Deutungsansatz oder eine metareflexive Betrachtung situationsspezifisch einnehmen kann. Egal welches Setting oder welcher Gegenstand hier für die Narration und anschließende Reflexion gewählt wird, muss uns eines bei einem Identity-orientierten hochschuldidakti‐ schen Setting bewusst sein: Es geht nicht ohne die Lehrerbildner*innen und Dozierenden. Wenn sich nämlich Divergenzen zwischen den erzählten LTI, Überzeugungen, Positionie‐ rungen oder Selbstbeschreibungen zeigen, ist es an den Hochschullehrenden, diese im Seminar aufzugreifen, zu adressieren und Inhalte zu entwickeln, die Neupositionierungen, Reflexions- und damit Professionalisierungsgelegenheiten bieten. Solange insbesondere die zukünftigen Positionierungen, d. h. projizierte Praxis, nicht unmittelbar angewendet werden kann, sollten keine Überschätzungen des eigenen Handelns im Raum stehen bleiben. Dann würde sich eine solche Lehrer*innenbildung in utopischen Endlosdiskus‐ sionen und pädagogischen Stuhlkreisen verlieren. Ich würde eher argumentieren, dass eine „kritische Fremdsprachenlehrer*innenbildung“, die sich für soziale Gerechtigkeit und Transformation einsetzt (vgl. Gerlach/ Fasching-Varner 2020), es leicht(er) hat, LTI zu bespielen, da sie sich genuin schon mit kritischen Themen (wie Sexismus, Rassismus, In‐ Grundlagen einer Identity-orientierten Hochschullehre für angehende Fremdsprachenlehrpersonen 51 <?page no="52"?> tersektionalität etc.) beschäftigt, zu denen man sich positionieren muss. Wenn diese Themen dann - entgegen generischer „happy place topics“ in Lehrwerken - zur Förderung einer an den allgemeinen Menschenrechten orientierten kritischen Diskursfähigkeit bei Lernenden dienen sollen (vgl. Marxl/ Römhild 2023), kann LTI-Orientierung in der Hochschullehre vorab impulsgebend dafür sein, eine solche Diskursfähigkeit auch im hochschuldidakti‐ schen Setting seitens der angehenden Fremdsprachenlehrpersonen einzuholen. 5 Desiderata für Begleitforschung Auch wenn sich die internationale Forschung zu LTI als facettenreich erwiesen hat und zeigt, dass sie als Konstrukt für die Professionalisierung relevant ist, wissen wir wenig über ihre Bedeutung für den deutschen Kontext mit seinen Systemen, Strukturen und Phasen. Erste Einsichten geben die Daten von Valadez Vazquez (2014) sowie Schultze (2018). Von Elbwart und Keatinge (2023) haben gerade einen Bericht vorgelegt, in dem sie zeigen, wie ein interkulturelles Austauschprojekt (Deutschland - Kanada) ganz explizit auf Identitätskonstruktion als hochschuldidaktisches Prinzip setzt. Auch in Wuppertal entsteht aktuell eine Arbeit, die Identitätsbildungsprozesse (bzw. die Strukturiertheit von Identity) vor, während und nach einem Auslandsschulpraktikum angehender Englischlehrpersonen untersucht (vgl. Fischer 2024). Dieses Projekt ist dabei insofern spezifisch, als dass ein Auslandsschulpraktikum an sich bereits eine besondere Professionalisierungsgelegenheit darstellt. Wir wissen im Umkehrschluss bislang jedoch im Grunde nichts zu hochschuldi‐ daktischen Settings im deutschsprachigen Raum, in denen LTI und narrative inquiry als Formate eingesetzt werden, nichts über Akzeptanz und Produktivität dieser Formate und damit auch nichts über das empirisch untermauerte Potenzial, durch sie an LTI oder gar handlungsleitendes Wissen heranzukommen. Durch die Ausführungen oben sollte klar geworden sein, dass nicht nur die hochschuldi‐ daktischen Inhalte, sondern auch die methodische Umsetzung eine Rolle dafür spielt, ob sie LTI adressiert oder nicht (Yazan/ Lindahl 2022). Die vermeintlich noch größere Rolle spielen jedoch die Dozierenden, die diese Formate ein- und durchführen und wie sie mit den Ergeb‐ nissen umgehen. D.h. im Umkehrschluss, dass auch die Dozierenden selbst forschen bzw. (noch wichtiger) beforscht werden müssten, wenn wir mehr über Hochschullehre erfahren möchten. Nicht ohne Grund kann man - neben der steigenden Zahl an Aufsätzen zu LTI - auch immer mehr Beiträge wahrnehmen, die sich mit Language Teacher Educator Identity auseinandersetzen. Ansätze für Forschung mit dieser Zielgruppe sind breit vorhanden, die von (auto-)ethnographischen (als Beispiel: Banegas/ Gerlach 2021), rekonstruktiven oder aktionsforschenden/ inquiry-based Prinzipien getragen werden. Allein die Bereitschaft für die auch damit verbundene Öffnung der eigenen hochschuldidaktischen Praxis scheint mir noch nicht in allen Teilbereichen vorhanden zu sein. Literatur Akbari, Ramin (2008): „Postmethod discourse and practice“. In: TESOL Quarterly 42, 641-652. 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Mit dieser Erkenntnis steht Hattie nicht allein (vgl. z. B. Harker/ Nasch 1996; Sanders/ Rivers 1996; Kucklick 2011). Das ist insofern eine gute Nachricht, als die Lehrkräftebildung einen wichtigen Beitrag zum Gelingen von erfolgreichem Unterricht leisten könnte, wenn es gelänge, zu beschreiben und zu vermitteln, was die Qualität des Lehrerhandelns ausmacht. Die Lehrkräftebildung wird dadurch zwar aufgewertet, ihr wird damit aber auch eine enorme Verantwortung übertragen. Die Lehramtsausbildung wirkt sich nicht nur auf die Ausbildung von Lehrer: innen aus, sie legt auch den Grundstein für die Ausbildung von Fremdsprachenforscher: innen, und schließlich ergeben sich aus der Third Mission der universitären Lehramtsausbildung auch Konzepte für die Fortbildung von Lehrer: innen. Daher werde ich mich im ersten Abschnitt mit Lehrkonzepten in der ersten Phase der Lehramtsausbildung befassen und Kriterien für deren Qualität zusammenstellen. Der zweite Abschnitt ist der Rolle der Lehrkräftebildung in der Ausbildung von Fremdsprachenforscher: innen gewidmet und stellt das Prinzip des Forschenden Lernens in der Lehre und das Konzept der Dualen Promotion als elementare Bausteine vor. Im vierten Abschnitt werden Qualitätskriterien für eine wirksame Lehrer: innenfortbildung aus der Literatur zusammengetragen und ein konkretes Fortbildungskonzept für Fremdsprachenlehrer: innen vorgestellt. 1 Lehrkonzepte in der universitären Lehrkräftebildung 1.1 Funktionen, Aufgaben und Ziele der Hochschulbildung Zunächst grundsätzlich zu den Funktionen, Aufgaben und Zielen der Lehrkräftebildung: Diese drei Begriffe stehen in direkter Beziehung zueinander, lassen sich jedoch nicht in allen Bereichen trennscharf voneinander abgrenzen. Eine Funktion der Lehre in der Lehrkräftebildung liegt beispielsweise in der Vermittlung von fachwissenschaftlichem, <?page no="58"?> fachdidaktischem und bildungswissenschaftlichem Wissen (vgl. dazu auch Caspari/ Grü‐ newald 2020; 2022; im Druck). Eine Funktion liegt in der Entwicklung von fachlichen, fachdidaktischen, bildungswissenschaftlichen, sozialen und personalen Kompetenzen. Für die Fremdsprachenlehrkräftebildung ist auch die Vermittlung von Sprachkenntnissen in der zu unterrichtenden Sprache auf hohem Niveau zu ergänzen, die für Lehrkräfte unver‐ zichtbar sind. Aus diesen Funktionen ergeben sich als Aufgaben für die Hochschullehre in der Lehramtsausbildung die Vermittlung theoretischer Grundlagen in Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Pädagogik, Psychologie u. a., eine didaktisch-methodische Ausbildung, die Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten und zum kritischen Umgang mit Forschungs‐ literatur, die Begleitung und gemeinsame Reflexion von Praxisphasen sowie die Bildung von Lehrerpersönlichkeiten. Aus den genannten Funktionen und Aufgaben leiten sich folgende Ziele der universitären Lehrkräftebildung ab: die Qualifizierung der Lehrkräfte zu kompetenten, engagierten und reflektierten Persönlichkeiten, die wissenschaftliche Fun‐ dierung des unterrichtlichen Handelns, die Befähigung zum Weiterlernen (Referendariat, Fortbildung) und die Befähigung, sich auf gesellschaftliche Veränderungen und die daraus resultierenden Herausforderungen im Bildungswesen einzustellen bzw. diese zu gestalten. 1.2 Constructive Alignment als leitendes Prinzip der Veranstaltungsplanung Im vorausgehenden Abschnitt habe ich bereits Funktionen, Aufgaben und Ziele von Hochschullehre dargestellt. Welche Konzepte und Lehrveranstaltungsformate sind nun geeignet, um diese umzusetzen? Ein immer wiederkehrendes didaktisches Prinzip gelungener, erfolgreicher und quali‐ tativ hochwertiger Lehre ist (für mich) der Lehr- und Lernansatz constructive alignment, der in den 1990er Jahren von John Biggs entwickelt wurde (Biggs 1996; Biggs/ Tang 2007). Dem Ansatz liegt die Idee zugrunde, dass Lehrveranstaltungen von den Lernzielen über die Lehrmethoden bis hin zur Prüfung und Bewertung so aufeinander abgestimmt sind, dass die Studierenden aktiv neues Wissen aufbauen, indem sie es mit ihrem bereits vorhandenen Wissen vernetzen und in neuen Kontexten anwenden. Constructive alignment besteht aus drei Bausteinen: 1. Lern-/ Kompetenzziele (Learning Outcomes): Der erste Schritt ist die Definition klarer Lernbzw. Kompetenzziele. Diese Ziele beschreiben, was die Studierenden nach Abschluss des Kurses oder der Veranstaltung wissen, verstehen oder tun können sollen. 2. Lehraktivitäten: Die Lern-/ Kompetenzziele bestimmen die Auswahl und Gestaltung der Lehraktivitäten. Das bedeutet, dass die Art und Weise der Lehre (z. B. Diskussion, projektbasiertes Lernen, praktische Übungen, Seminar) darauf ausgerichtet sein sollte, die Studierenden dabei zu unterstützen, die festgelegten Lern-/ Kompetenzziele zu erreichen. 3. Bewertung und Prüfungen (Assessment Tasks): Die Bewertungsmethoden müssen ebenfalls mit den definierten Zielen übereinstimmen. Die Aufgaben sind so zu ge‐ stalten, dass sie die Studierenden dazu anregen, genau die Kompetenzen zu erwerben, die in den angestrebten Lernergebnissen definiert sind. 58 Andreas Grünewald <?page no="59"?> Als einen weiteren von Biggs nicht genannten Schritt ergänze ich (4) Feedback und Reflexion. Das Vorgehen ist ähnlich einer kompetenzorientierten Lehrplanung. Mögliche Formate in der Fremdsprachenlehrerausbildung, die nach diesem Prinzip gestaltet werden können, sind neben den etablierten Formaten interaktive Seminare, Praktika und Workshops, auch innovativere Formate wie projektbasiertes Lernen oder problembasiertes Lernen. Auch die Anreicherung der etablierten Formate durch Blended Learning, Flipped Classroom, Augmented Reality, kollaborative Tools, wie z. B. Conceptboard, GoogleDocs, Padlets oder Flash Tasks ist empfehlenswert, um möglichst abwechslungsreiche und interaktive Lerngelegenheiten zu schaffen und ein breites Spektrum an unterschied‐ lichen Lehrmethoden abzubilden. Das kommt der Diversität der Studierenden entgegen und dient als Inspirationsquelle für zukünftige Fremdsprachenlehrkräfte. Studierende beobachten und reflektieren oft, wie ihre Dozent: innen unterrichten, interagieren und kommunizieren (Schädlich 2009). Gute Unterrichtspraktiken in der Hochschullehre können daher als Vorbilder dienen. 1.3 Kriterien für die Qualität von Lehrveranstaltungen in der Lehrkräftebildung Ein zentrales Kriterium für die Qualität der Lehrkräftebildung ist die horizontale und ver‐ tikale Kohärenz der Studieninhalte. „Kohärenz in der Lehrerbildung beschreibt in diesem Zusammenhang eine systematische Verknüpfung von Strukturen, Inhalten und Phasen des Professionalisierungsprozesses“ (Hellmann 2019, 23). Die Lehrkräftebildung stellt die erste institutionelle Lerngelegenheit im Professionalisierungsprozess von Lehrkräften dar. Aufgrund der föderalen Struktur des Bildungssystems ist die Lehrkräftebildung an deut‐ schen Hochschulen heterogen. Unterschiede zeigen sich beispielsweise in der Anzahl der studierten Fächer, in der unterschiedlichen Gewichtung fachwissenschaftlicher, fachdidak‐ tischer oder pädagogischer Studienanteile sowie in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Praxisphasen (Hellmann 2019, 11). Die Fragmentierung und getrennte Vermittlung des lehramtsspezifischen Wissens in die drei Bereiche Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen stellen ein massives Problem dar. Wenn fachwissenschaftliche und bildungswissenschaftliche Kolleg: innen auf dem Standpunkt stehen, dass sie mit Lehrkräftebildung nichts zu tun haben, weil sie Fachwissenschaftler: innen oder Bildungs‐ wissenschaftler: innen sind, dann veranschaulicht das die Inkohärenz von Inhalten und Strukturen sehr deutlich. Durch diese Aufteilung der Studieninhalte in drei scheinbar von‐ einander unabhängige Domänen werden den Studierenden wenig bis keine Verknüpfungen zwischen den entsprechenden Wissensdomänen veranschaulicht. In der Folge steht das Wissen aus diesen Bereichen unverbunden nebeneinander und kann in entsprechenden Handlungssituationen nicht sinnvoll kombiniert werden (ebd., 13). Studierende bemängeln eben dieses Fehlen der horizontalen Kohärenz ihrer Ausbildung (Schwalbe et al. 2021, 17 ff.). Doch damit nicht genug: Auch die vertikale Kohärenz ist in der Lehrkräftebildung in mehrfacher Hinsicht defizitär. Das in der Schule erworbene Wissen spielt bei der Aufnahme des Lehramtsstudiums kaum eine Rolle, das an der Universität erworbene Wissen spielt wiederum im Referendariat eine untergeordnete Rolle, die Referendar: innen werden unter der Hand sogar aufgefordert, den theoretischen Ballast hinter sich zu lassen und sich auf Die Rolle der universitären Lehrkräftebildung in der Aus- und Fortbildung 59 <?page no="60"?> die praxisrelevanten Dinge zu konzentrieren. Schließlich wird auch in der dritten Phase der Lehrerbildung, der Fortbildung, kaum Bezug auf die vorhergehenden Phasen genommen. Die Verbesserung der horizontalen und vertikalen Kohärenz stellt also ein wichtiges Desiderat auf allgemeiner Ebene für die Verbesserung der Qualität der Lehrkräftebildung dar. Die Qualität der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre kann darüber hinaus anhand konkreter Kriterien beschrieben werden, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Lehr- und Lernprozesse beziehen. Es gibt keinen allgemein akzeptierten Kriterienkatalog für qualitativ hochwertige Lehre, die Aufzählungen haben vermutlich alle subjektiven Charakter. Aus dem oben geschilderten Prinzip leite ich z. B. das Kriterium ab, dass das Lehrangebot dem Prinzip des constructive alignment folgt, d. h. dass die intendierten Lernergebnisse handlungsleitend für den/ die Dozent: in sind. Es gibt etliche empirische Ar‐ beiten zur Frage, was gute Hochschullehre ausmacht. Diese sind meist hochschuldidaktisch angelegt und damit wenig fachspezifisch (z. B. Heiner et al. 2016; Schneider/ Mustafic 2015). Über das Prinzip des constructive alignments hinaus halte ich aus allgemeinen Überlegungen zu Lernprozessen die Orientierung an den Bedürfnissen der Lernenden und die Berück‐ sichtigung ihres Vorwissens für grundlegende Gelingensbedingung effektiver Lehre. Auch die Frage, ob das Lehrangebot kritisches Denken und Reflexionsprozesse anregt, ist für mich ein Kriterium für gute Lehre. Aufgrund des Modellcharakters der universitären Lehre für Lehramtsstudierende zählen für mich darüber hinaus didaktisch-methodische Vielfalt, eine ausgeprägte Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden sowie zwischen den Studierenden untereinander, ein erkennbarer Praxisbezug, der kompetente Umgang mit digitalen Medien, eine reichhaltige Lernumgebung, qualitativ hochwertige Materialien, Barrierefreiheit und transparente formative Evaluation, Feedback und Lernberatung zu den Kriterien für eine hohe Qualität universitärer Lehre in der Lehrkräftebildung. Die Überprüfung und Bewertung dieser Kriterien kann durch verschiedene Maßnahmen erfolgen, darunter Selbstberichte der Lehrenden, Peer Reviews, studentische Evaluationen, Absolventenbefragungen und die Evaluation durch externe Institutionen. Ein kontinuier‐ licher Prozess der Reflexion, Bewertung und Anpassung von Lehrmethoden und -inhalten ist für die Sicherung und Verbesserung der Qualität wichtig. Fragen nach einer möglichst adäquaten und wirksamen Ausgestaltung von Lehrkräftebildung an der Hochschule sind jedoch bisher nur unzureichend beantwortet (Hellmann 2019, 12). 2 2. Die Ausbildung von Fremdsprachenforscher: innen: Forschendes Lernen und Duale Promotion 2.1 2.1 Forschendes Lernen Im forschenden Lernen werden die Studierenden nicht nur als Wissenskonsumenten gesehen, sondern als Forschende, die eigenständig Fragestellungen entwickeln, Untersu‐ chungen planen und durchführen sowie Ergebnisse reflektieren und präsentieren. Dies fördert kritisches Denken, Selbstständigkeit und fachspezifische Kompetenzen, indem eine enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis hergestellt wird und die Studierenden direkt in die Generierung neuen Wissens einbezogen werden. 60 Andreas Grünewald <?page no="61"?> Die Universität Bremen hat das forschende Lernen zu einem ihrer Leitbilder gemacht und es als profilbildendes Merkmal in die Curricula integriert: Mit dem forschenden Lernen als Profilmerkmal hat die Universität das Projektstudium aus ihren Gründungszeiten neu interpretiert. Neugier, kritisches Fragen und methodisches Problemlösen sind die Kernelemente dieser Form der Persönlichkeitsbildung. […] Wir verankern das forschende Lernen als profilbildendes Merkmal in den Curricula, entwickeln disziplinenspezifisch passende Lehrprofile und machen das forschende Lernen zum Gegenstand hochschuldidaktischer Forschung (UHB Strategie 2018-2028, Ziel 4). Forschendes Lernen ist ein konstitutives Element aller fremdsprachendidaktischen Lehr‐ veranstaltungen an der Universität Bremen und wird flankiert durch Veranstaltungen zur Forschungsmethodik in der Fremdsprachendidaktik und in den Erziehungswissenschaften, in denen Grundlagen qualitativer und quantitativer Forschung vermittelt und praktische Erfahrungen in der Datenanalyse gesammelt werden können. Erweitert wird das Angebot im Masterstudiengang durch betreute fachübergreifende und fachspezifische wissenschaft‐ liche Schreibwerkstätten sowie durch geförderte studentische Konferenzen, die von den Studierenden selbst organisiert werden und ihnen die Möglichkeit geben, Expertinnen von anderen Standorten zur Diskussion und Beratung einzuladen. In diesem Rahmen werden auch wissenschaftliche Vorträge geübt. Regelmäßig werden gute studentische Forschungsarbeiten in Sammelbänden und Fachzeitschriften veröffentlicht (z.B.: Pachali 2018; Wolpers 2019; Siemann 2020; Schäfer 2020; Mehlmann 2020; Springer 2021). 2.2 Schule oder Wissenschaft? Die Duale Promotion als Qualifizierungskonzept Einige Studierende stehen am Ende ihres Studiums vor der Entscheidung, sich für das Referendariat zu bewerben oder eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Da die akade‐ mische Laufbahn mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist und Lehrkräfte in den Schulen dringend benötigt werden, entscheiden sich viele für diesen Weg, obwohl sie bereits gute Grundlagen für eine akademische Laufbahn erworben haben. Die Lehrkräftebildung braucht wissenschaftlichen Nachwuchs in den Fachdidaktiken und die Schulentwicklung braucht wissenschaftlich qualifizierte Lehrkräfte. Nach dem Referendariat verlieren junge Lehrkräfte jedoch häufig den Kontakt zu ihrer Universität. Die Universität Bremen hat deshalb gemeinsam mit der Wissenschaftsbehörde ein bundesweit einmaliges Qualifizie‐ rungskonzept entwickelt: die „Duale Promotion“ (Grünewald 2019). Die Kernidee ist, die beiden Ausbildungsabschnitte Vorbereitungsdienst und fachdidak‐ tische Promotion so miteinander zu kombinieren, dass Synergieeffekte entstehen. Dabei stellt der enge Kontakt mit der schulischen Praxis sicher, dass derzeit relevante Fragen der Unterrichtsentwicklung erforscht werden und die Ergebnisse wiederum in den schu‐ lischen Alltag einfließen. In diesem Sinne stellt das Programm auch einen Beitrag zur Theorie-Praxis-Relationierung dar. Die Duale Promotion dauert regulär vier Jahre. In den ersten zehn Monaten entwickeln die Stipendiat: innen das Konzept für ihr Forschungsvorhaben mit Unterstützung durch das Graduiertenprogramm und in enger Zusammenarbeit mit den Schulen. Danach absolvieren Die Rolle der universitären Lehrkräftebildung in der Aus- und Fortbildung 61 <?page no="62"?> sie ihr Referendariat an den Schulen, mit denen sie bereits zusammenarbeiten, und erheben gleichzeitig die Daten für ihre Dissertation. In der restlichen Promotionszeit werden die Forschungsergebnisse abschließend bearbeitet. Während der Dualen Promotion (vier Jahre) sind die Promovend: innen in ein Graduiertenprogramm eingebunden, das von der Universität und dem Studienseminar am Landesinstitut für Schule gemeinsam gestaltet wird. Bestimmte Kontingente an Ausbildungsanteilen während des Vorbereitungsdienstes stehen der Universität zur forschungsmethodischen Weiterqualifizierung der dual Promo‐ vierenden zur Verfügung (dual use) (Grünewald 2019). Die Duale Promotion fördert damit einerseits die Zusammenarbeit zwischen Schule und Universität bei der Erforschung und Gestaltung von Unterricht; sie wird mit Koope‐ rationsschulen durchgeführt, für die das Promotionsvorhaben einen Beitrag zur eigenen Schul- und Unterrichtsentwicklung leistet. Andererseits stärkt die Duale Promotion die phasenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Universität und Studienseminar. Durch die inhaltliche Verzahnung von fachdidaktischer Promotion und Vorbereitungsdienst werden Synergieeffekte erzeugt, die u. a. den Abschluss der Dualen Promotion in der vorgesehenen Dauer von vier Jahren ermöglichen soll. Zu schön, um wahr zu sein? Es treten Schwierigkeiten auf, die in Planungsprozessen nicht gut zu antizipieren sind: • Die Qualität von Kooperationen zwischen Disziplinen und Institutionen hängt zu einem beträchtlichen Teil von Personen ab. Wenn diese aus persönlichen Gründen nicht miteinander kooperieren können oder wollen, dann leidet darunter die Qualität der Kooperation immens. • Die Kooperation zwischen den Fachwissenschaften und der Fachdidaktik funktioniert an vielen Standorten nicht gut (zum Spannungsfeld der Fremdsprachendidaktik und ihrer Bezugswissenschaften siehe Schmenk 2019). Studierende nehmen die „horizon‐ tale Kohärenz“ im Studium als mangelhaft wahr (Schwalbe et al. 2021, 20). • Der Synergieeffekt, die Promotion und das Referendariat nach insgesamt 4 Jahren abzuschließen, tritt nicht ein. Das kann auch nicht sein, da eine durchschnittliche Promotion in den Geisteswissenschaften bereits 5,1 Jahre dauert ( Jaksztat et. al. 2012). Rechnet man darauf noch das 18-monatige Referendariat, dann landet man bei knapp über 6 ½ Jahren. Ein Abschluss der dualen Promotion nach 5 oder 5 ½ Jahren würde schon Synergieeffekte aufzeigen. 62 Andreas Grünewald <?page no="63"?> Abb. 1: Lehramtsstudium und was kommt dann? 3 Lehrkräftefortbildung Um einen lernförderlichen Fremdsprachenunterricht gestalten zu können, benötigen Lehr‐ kräfte ein breites Spektrum professioneller Kompetenzen. Studium und Referendariat sind zu kurz, um diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die Lehrkräfte benötigen, um ihre beruflichen Aufgaben erfolgreich zu bewältigen (Lipowsky/ Rzejak 2023, 126). Hinzu kommt, dass sich die beruflichen Anforderungen - nicht nur für Lehrkräfte - immer dynamischer entwickeln und sich die professionelle Handlungskompetenz von Lehrkräften nicht allein durch zunehmende Berufserfahrung entfaltet (ebd.). Die dritte Die Rolle der universitären Lehrkräftebildung in der Aus- und Fortbildung 63 <?page no="64"?> Phase der Lehrkräftebildung fokussiert die Erhaltung und/ oder Weiterentwicklung der Professionalität von Lehrkräften. 3.1 Wirksamkeit von Lehrkräftefortbildung Ausgehend von der Leitfrage, ob und wenn ja wie sich die Konzepte und Qualitätskriterien von Fortbildung von denen der Lehrkräftebildung an den Universitäten unterscheiden, ist eine klare Antwort zu geben: Ja, sie unterscheiden sich deutlich in den Inhalten und den Kontexten. Das bezieht sich z. B. auf den Status (Ausbildung versus Berufsleben), auf die Rahmenbedingungen (fester starrer Rahmen in der Erstausbildung vs. flexiblere Angebote hinsichtlich Dauer und Inhalte in der Fortbildung) oder auf eine unterschiedliche Fokus‐ sierung von Inhalten und Zielgruppen (die universitäre Lehrkräftebildung muss breiter ausgelegt sein, da unterschiedliche Zielgruppen bedient werden). Inhaltliche Unterschiede liegen besonders im Bereich des Praxisbezugs, der Aktualität von Inhalten und in der Art der Wissensvermittlung (Grundlagenwissen in der Erstausbildung versus Spezialisierung in der Fortbildung). Begleitstudien zur Lehrkräftefortbildung stellen insgesamt fest, dass die Wirkung der Fortbildungen deutlich hinter den an sie gestellten Erwartungen zurückbleibt (u. a. Li‐ powsky 2004; 2010; Wahl 2009). Lipowsky und Rzejak (2021, 28-62 und 2023, 126-140) arbeiten folgende Merkmale wirk‐ samer unterrichtsbezogener Fortbildungen anhand der Sichtung zahlreicher Metastudien heraus: 1. Inhaltliche und fachliche Fokussierung: Fortbildungen wirken positiv, wenn sie Lehr‐ kräfte dazu anregen, sich intensiv mit spezifischen fachlichen Schwierigkeiten und den Lernprozessen ihrer Schüler: innen auseinanderzusetzen. 2. Relevanz und Anwendbarkeit der Fortbildungsinhalte: Fortbildner: innen sollten den Nutzen und die Bedeutung der Inhalte verdeutlichen und die Umsetzbarkeit in der Praxis unterstützen. 3. Orientierung am aktuellen Stand der Unterrichtsforschung: Wirksame Fortbildungen setzen am aktuellen Stand der Unterrichtsforschung an und machen sich damit Erkenntnisse über Merkmale eines lernwirksamen und motivationsförderlichen Un‐ terrichts zunutze. Dazu gehören z. B. die kognitive Aktivierung von Lernenden, die Qualität des Feedbacks oder die Vermittlung von fach- und domänenspezifischen Lernstrategien. 4. Pädagogische Doppeldecker: Die Lehrkräfte erleben in der Fortbildung ähnliche Herausforderungen wie ihre Schüler: innen später im Unterricht, wodurch das fachdi‐ daktische Wissen und das Verständnis für die Lernprozesse der Schüler: innen vertieft werden (Förderung der kognitiven Empathie). 5. Verknüpfung von Input, Erprobung und Reflexion: Wirksame Fortbildungen bieten Gelegenheiten, neues Wissen im Unterricht zu erproben und die Erfahrungen in späteren Fortbildungsveranstaltungen zu reflektieren. 6. Förderung der unterrichtsbezogenen Kooperation und Stärkung der kollegialen Ko‐ operation: Für die Umsetzung der Fortbildungsinhalte und eine langfristig erfolgreiche 64 Andreas Grünewald <?page no="65"?> Schul- und Unterrichtsentwicklung ist eine intensive Zusammenarbeit der Lehrkräfte unerlässlich. 7. Coaching und Feedback: Wichtige Elemente wirksamer Fortbildungen beziehen sich auf das konkrete Handeln der Lehrkräfte, indem sie unterstützendes Feedback zur Optimierung ihrer Praxis erhalten. 8. Angemessene Fortbildungsdauer und Serialität: Einmalige Fortbildungen sind nach‐ weislich nicht nachhaltig, daher ist die mehrfache Anwendung und Übung im Rahmen der Fortbildung wichtig. 9. Format der Fortbildung: Bisherige Studien liefern kein eindeutiges Bild über die Wirk‐ samkeit von Präsenzgegenüber Online- oder Blended-Learning-Formaten. Wichtig ist, dass unabhängig vom Format die Merkmale wirksamer Fortbildung erhalten bleiben, wobei online besondere Anforderungen an Motivation und Engagement sowie Kooperation und Kommunikation zwischen den Teilnehmenden gestellt werden. 3.2 Entwicklung eines Fortbildungskonzeptes zum Einsatz von KI-Werkzeugen im Fremdsprachenunterricht Ausgehend von diesen 9 Merkmalen wurde für Lehrkräfte ein Fortbildungskonzept zum Einsatz von KI-basierten Werkzeugen im Fremdsprachenunterricht entworfen, das ich nun kurz vorstellen werde. Das Fortbildungskonzept wurde im Rahmen eines durch das BMBF geförderten Projekts zur Digitalen Souveränität als Ziel wegweisender Lehrkräfte‐ bildung für Sprachen, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften in der digitalen Welt entwickelt. Dabei verstehen wir unter digitaler Souveränität „die Summe aller Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen […], ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können“ (Goldacker 2017, 3). Die Fortbildung ist als blended-learning Format über einen Zeitraum von 5-6 Wochen geplant. Die Teilnehmer: innen kommen zu drei Präsenzsitzungen zusammen. Die Fort‐ bildung beginnt mit einer Auftaktsitzung, nach etwa zwei Wochen findet eine weitere Präsenzsitzung zur kollaborativen Entwicklung einer Unterrichtsaktivität statt und die Fortbildung endet mit einer Auswertungssitzung, in der die unterrichtliche Umsetzung und die Fortbildung vor Ort reflektiert werden. Vor Beginn der Fortbildung werden die Lehrkräfte gebeten, einen Online-Fragebogen auszufüllen, um ihr individuelles Vorwissen, ihre persönliche und berufliche digitale Souveränität und ihre Erwartungen an die Fortbildung zu ermitteln (Tabelle 1, Schritt 1). Die Informationen fließen dann in die Planung der folgenden Sitzungen ein. Die erste Fortbildungssitzung findet als Präsenzveranstaltung statt und dient der Vorstellung der Teilnehmenden, des Ablaufs und der angestrebten Kompetenzziele. Darüber hinaus wird der digitale Lernpfad und seine Realisierung auf der Plattform itslearning vorgestellt und ein Impulsvortrag zur allgemeinen Einführung in die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz im Fremdsprachenunterricht gehalten (Tabelle 1, Schritt 2). Die darauffolgenden drei Module werden asynchron online bearbeitet (Tabelle 1, Schritt 3). Das erste Modul behandelt rechtliche und ethische Aspekte des Einsatzes von KI-Werkzeugen in der Sekundarstufe, die Module zwei und drei behandeln die kostenfrei nutzbaren Werkzeuge DeepL und ChatGPT. Besonders im Vergleich zu den zahlreichen medientechnischen Fortbildungen zu diesem Die Rolle der universitären Lehrkräftebildung in der Aus- und Fortbildung 65 <?page no="66"?> Thema ist es, dass wir von den fachlichen Inhalten und den Handlungssituationen der Fremdsprachenlehrkraft ausgehen und den der KI-Werkzeuge von dort aus denken. Die Module sind so aufgebaut, dass zunächst eine kurze Darstellung der Inhalte erfolgt, wichtige unterrichtsbezogene Informationen gegeben werden und anhand von unterrichtsprakti‐ schen Beispielen der Einsatz im Fremdsprachenunterricht veranschaulicht und reflektiert wird. Begleitend stehen ein Diskussionsforum zum Austausch, ein Glossar mit Begriffser‐ klärungen, eine Bibliothek mit Steckbriefen zu mehr als 20 unterschiedlichen KI-basierten Werkzeugen mit Hinweisen zum Einsatz im Fremdsprachenunterricht zur Verfügung. Darauf folgt eine Präsenzveranstaltung, in der zunächst die Online-Module und die vorgeschlagenen Unterrichtsaktivitäten diskutiert werden. Anschließend finden sich die Teilnehmer: innen in Kleingruppen zusammen und entwerfen zu einem oder mehreren Werkzeugen kurze Unterrichtsaktivitäten (Tabelle 1, Schritt 4), die sie in den darauffol‐ genden Wochen im Unterricht erproben (Tabelle 1, Schritt 5) und im Diskussionsforum reflektieren (Tabelle 1, Schritt 6). Die Abschlussveranstaltung (Tabelle 1, Schritt 7) findet wiederum in Präsenz statt und dient der Auswertung und Reflexion der Unterrichtsak‐ tivität, der möglichen Weiterentwicklung, der Gruppendiskussion zur unterrichtlichen Umsetzung und dem Feedback zur Fortbildung. Dieses Konzept berücksichtigt alle oben genannten Kriterien aus der Forschungsliteratur und stellt eine gelungene Möglichkeit des Transfers von Konzepten aus der Hochschule in das Berufsfeld dar. Es wird ab Frühjahr 2024 wiederholt durchgeführt und evaluiert. - Inhalte Format 1 Eingangsbefragung vorab On‐ line 2 Auftaktsitzung: Kennenlernen, Vorstellung des Ablaufs, der Kompetenz‐ ziele und des digitalen Lernpfads, Einführung in das Arbeiten mit Künst‐ licher Intelligenz Präsenz 3 Online-Modul 1: rechtliche und ethische Aspekte bei der Arbeit mit KI in der Schule Online Online Modul 2: ChatGPT und Schul-KI (Prompting, Aufgaben für die Schuler: innen) Online Online-Modul 3: DeepL (Übersetzungen, sprachliche Alternativen, Sprach‐ lernbewusstheit, Schreibunterstützung Online 4 Kollaborative Planung von Unterrichtsaktivitäten mit KI-Werkzeugen Präsenz 5 Durchführung der Unterrichtsaktivitäten im Fremdsprachenunterricht Schule 6 Kurze Rückmeldung im Blog und Möglichkeiten zur Diskussion Online 7 Abschlusssitzung: Auswertung und Reflexion der Unterrichtsaktivität, Gruppendiskussion zur Fortbildung Präsenz Tab. 1: Struktur des Fortbildungskonzepts „Einsatz von KI-Werkzeugen im Fremdsprachenunterricht 66 Andreas Grünewald <?page no="67"?> Literatur Biggs, John (1996): „Enhancing teaching through constructive alignment”. 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Man muss also fragen: In welchem Schul-/ Bildungssystem und/ oder in welchen privatwirtschaftlichen oder staatlichen Institutionen werden zukünftige Fremdsprachen‐ lehrkräfte ausgebildet, werden sie arbeiten, sich fortbilden, Karriere machen? Das ist für Fächer wie Deutsch als Fremdsprache in der Welt oder Englisch bzw. Französisch als Fremdsprachen in Deutschland nicht dasselbe. Für Englisch als weltweit in vielen Kontexten unterrichtete Sprache stellt sich die Situation wiederum anders dar, weil auch zahlreiche kommerzielle Anbieter Englischlehrkräfte aus- und weiterbilden. Deutschland hat heute ein schulgeldfreies, gegliedertes, staatliches und föderales Schul‐ wesen, das etwa 90 % aller schulpflichtigen Kinder versorgt (Statistisches Bundesamt 2020, 5). Die Anfänge der institutionalisierten Lehrerbildung für dieses Schulsystem reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, als der Staat die Schulaufsicht von der Kirche übernahm, einen einheitlichen Bildungsabschluss der Gymnasien und weiterführenden Schulen (Ab‐ itur 1812) festlegte und auch eine staatliche Lehramtsprüfung (Bayern 1809, Preußen 1810) für die zukünftigen Lehrer (damals nur Männer) an höheren Schulen beschloss (Sandfuchs 2004, 18). Diese Prüfung erfolgte nach einem mindestens dreijährigen Universitätsstudium (Triennium) und umfasste zunächst vor allem altphilologische, theologische und mathe‐ matische Kenntnisbereiche, denn man erwartete von den damaligen Lehrern, dass sie alle Fächer unterrichten können sollten. Der wachsende Bedarf für Lehrer des Französischen und - in geringerem Maße - des Englischen für die steigende Zahl der vielerorts neu etablierten Realanstalten hatte sowohl die Einrichtung neuphilologischer Lehrstühle an den Universitäten zur Folge als auch die Modifikation der staatlichen Lehramtsprüfung. So konnten Absolventen ab 1866 zwischen vier Fächergruppen wählen: philologisch-his‐ torisch, mathematisch-naturwissenschaftlich, Religion und Hebräisch, neuere Sprachen (Sandfuchs 2004, 18). Französisch musste bis 1887 mit Englisch kombiniert werden, und diese Kombination ist noch bis in die Gegenwart populär. Im Anschluss an das Studium erfolgte die pädagogisch-didaktische Ausbildung in Schule und Seminar. Das im 19. Jahr‐ hundert damit schrittweise etablierte Grundmuster einer zweiphasigen Lehrkräftebildung für die weiterführenden Schulen - die Volksschullehrerbildung erfolgte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in anderem Format - ist cum grano salis bis heute unangefochten (vgl. Klippel 2022). <?page no="70"?> Wenn man diese historisch gewachsenen Strukturen und die Debatten der Vergangenheit kennt, lassen sich die aktuellen Fragen in einem breiteren Zusammenhang erörtern. Daher werde ich in den folgenden Abschnitten die historische Perspektive jeweils kurz skizzieren. 2 Ziele, Konzepte und Verfahren vor 130 Jahren und heute Im Idealfall harmonieren Ziele, Inhalte und Verfahren. Während man in der ersten großen Phase der Professionalisierung des Lehrberufs an höheren Schulen im 19. Jahrhundert in erster Linie inhaltliche Fragen des Studiums und somit die Ziele kontrovers diskutierte (vgl. z. B. Breymann 1885; Waetzoldt 1892; Viëtor 1903; Koschwitz 1907), wobei man davon ausging, dass Lehrkräfte der modernen Sprachen vor allem wissenschaftlich breit gebildet sein und über solide Kenntnisse in der historischen Entwicklung der Fremdsprache, ihrer Literaturgeschichte und Landeskunde verfügen sollten, gab es dennoch bereits erste hoch‐ schuldidaktische Überlegungen zu den Verfahren. So traten zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue Lehrformate wie Seminar und Proseminar ganz allmählich neben die bis dahin allein übliche Vorlesung des Professors, da man erkannte, dass studentisches Lernen nicht bloß auf der Rezeption des in der Vorlesung Gehörten basieren konnte, wie Klinghardts (1901) sarkastische Beschreibung illustriert: Der professor sitzt auf dem katheder und liest mehr oder weniger frei aus seinem hefte vor. Der student sitzt unten vor ihm und schreibt - um nicht zu sagen „schmiert“ - mehr oder weniger sklavisch und mechanisch in sein heft ein; alle worte des professors, die er hier nicht schwarz auf weiss zu fixieren vermag, sind für ihn verloren (Klinghardt 1901, 32). Daher forderten vor allem die Anhänger der Neusprachlichen Reformbewegung, die für eine Wende in Inhalten und Methoden des Fremdsprachenunterrichts eintraten, mehr Lehrpersonal und andere Formate der universitären Lehre unter anderem auch deshalb, weil sie zukünftige Lehrkräfte dadurch besser auf den Beruf vorbereitet sahen: Wie können ein professor und ein lektor für die ausbildung so vieler studierender sorgen! Zu dieser ausbildung gehören unbedingt seminarübungen, an denen jeder student teilzunehmen verpflichtet sein sollte! Solche übungen lassen sich aber nicht in massen vornehmen, sondern jeder kursus kann nur eine kleine zahl studierender umfassen. Wo bleibt also die gelegenheit zur gründlichen Durchbildung der einzelnen jungen leute! Wie sollen sie bei solchem massenbetriebe den aufgaben gerecht werden, die die schule an sie stellen muss! (Walter 1912, VII). Zudem tauchte der Gedanke auf, neuphilologische Vorlesungen in der Zielsprache zu halten, damit den Studenten „zusammenhängend gesprochenes Französisch und Englisch“ (Waetzoldt 1892, 33) geboten werde, wofür in einer Zeit vor Tonaufnahmen und Ra‐ diosendungen weder an den Universitäten noch im Alltag Gelegenheit bestand. Gute Sprachkenntnisse der Lehrkräfte waren nämlich für die von den Reformern propagierte direkte Methode unabdingbar. Auch für die unterrichtsorientierte Ausbildung - den Begriff der Fachdidaktik kannte man noch nicht - hatten die Neuphilologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bereits Vorschläge: 70 Friederike Klippel <?page no="71"?> Die Auswahl, Anordnung und schulgemäße Bearbeitung des Stoffes -, das wären die Hauptricht‐ punkte, welche die Universität dem angehenden Lehrer zur Orientierung mit auf den Lebensweg geben müßte. Es müßte dann die eine der beiden Seminarstunden zur Vorbereitung und zur theoretischen Erläuterung mit den Studierenden allein, die andere Stunde dagegen in der Schul‐ klasse selbst zur Teilnahme an dem Unterricht bestimmt sein. Diese Teilnahme hätte sich zunächst auf ein bloßes Zuhören zu beschränken, während späterhin, nach vorgängiger Vorbereitung, die Kandidaten selbst abwechselnd unter den Augen des Fachlehrers zu lehren hätten. (Breymann 1885, 15) Man sieht, dass einiges von dem, was uns heute in Deutschland im praxisorientierten, fachdidaktischen Teil der Lehrkräftebildung als selbstverständlich erscheint, nämlich Stun‐ denvorbereitung mit fachlicher und fachdidaktischer Vertiefung im Seminar, Hospitationen im realen Fremdsprachenunterricht sowie eigene Unterrichtsversuche der Studierenden, schon vor mehr als hundert Jahren angedacht wurde (dazu Klippel 2021). Das große Ziel der Lehrerbildung, nämlich Menschen in den Stand zu versetzen, damit sie mehrere Jahrzehnte erfolgreich und gern unterrichten, dabei den Lernenden Wissen, Einsichten, Fertigkeiten und Wertehaltungen vermitteln können, bleibt stets das gleiche, wobei jede Epoche etwas andere Schwerpunktsetzungen vornimmt. Wie man dieses Ziel und die damit verknüpften Teilziele für die Lehrkräftebildung, d. h. Wissensaufbau (Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und Denken, pädagogisches und psychologisches Wissen, professional vision), Vermittlung von (handwerklichen) Fertigkeiten in Bezug auf kompetente Unterrichtsführung (Methodik, classroom management, Leistungsbeurteilung, Lernhilfen, Umgang mit Diversität etc.) und Erarbeitung einer für lange Berufsjahre tragfähigen Einstellung zum Beruf (z. B. Lernbereitschaft, Reflexivität, Wertschätzung, Teamfähigkeit, Interesse an Fach und Beruf, wellbeing), während eines Hochschulstudiums anstreben sollte und kann, wird und wurde kontrovers diskutiert. Kontrovers gesehen werden dabei sowohl die Gewichtung der einzelnen Zieldimensionen und ihr Verhältnis zueinander als auch die jeweiligen Zuständigkeiten der an der Lehrkräftebildung beteiligten Wissenschaften und Institutionen. Es leuchtet sofort ein, dass unterschiedliche hochschul‐ didaktische Wege zur Erreichung der vielfältigen Ziele erforderlich sind, zumal die Phase des universitären Studiums nur eine sehr kurze im Vergleich zur späteren Berufstätigkeit und dem Lernen im Beruf darstellt (so auch Neuweg 2022, 269). Die ganze Breite an Erfahrungswissen erwerben Lehrkräfte erst im Laufe ihrer berufli‐ chen Tätigkeit. Appel (2000, 287) unterscheidet auf der Basis einer Interviewstudie mit erfahrenen Lehrkräften zwischen methodischem Wissen und Gegenstandswissen, wobei jeweils eine deklarative und prozedurale Komponente gegeben ist. Unbestritten erscheint es mir, dass Wissen als Grundlage zukünftigen Lehrerhandelns im Studium erworben werden muss. Denn erst auf einer vorhandenen Wissensbasis werden Handlungsoptionen erkennbar und verfügbar und Ansätze forschenden Lernens möglich (s. auch Kurtz in diesem Band). Eine erste Phase der Lehrerbildung, die dieses Wissen vermittelt, hat, wenn sie gut gemacht ist, „praktische Relevanz“ - nicht, weil dadurch unmittelbar „Anwendbares“ erworben würde, das hernach durch „Übung“ zur „Praxis“ und „Prozedur“ wird, sondern weil sich die Perspektiven verbreitern, in denen praktische Probleme ihre Rahmung erfahren, weil der Raum an Handlungs‐ Fremdsprachendidaktische Lehre in der Lehramtsausbildung - früher, heute, morgen 71 <?page no="72"?> alternativen sich vergrößert, den man sieht, und weil das praktische Denken sich am Möglichen und nicht nur am Vorfindlichen orientieren lernt (Neuweg 2011, 41). Der Lehrberuf ist kein Anlernberuf, bei dem es reicht, in gerade gängige Praktiken eingeführt zu werden. Und es geht auch nicht darum, die in einschlägigen Listen (vgl. etwa Newby et al. 2007; British Council 2015; Eaquals 2016) aufgeführten Teilkompetenzen lediglich einzuüben, ohne zu verstehen, warum man zu einem gewissen Zeitpunkt in einem bestimmten Kontext genau diese Handlungsoptionen wählen kann oder sollte. Schließlich sollten Fachlehrkräfte Experten und Expertinnen sein, und das nicht nur in den engen Grenzen des jeweils gültigen Lehrplans. Die traditionellen universitären Veranstaltungs‐ typen - Vorlesung, Proseminar, Übung -, in denen die Auseinandersetzung mit dem Forschungs- und Wissensstand, der Diskurs darüber und das eigene interessengeleitete Lernen einen Platz haben sollten, sind zum gezielten Wissenserwerb sowie zum Entdecken neuer Wissensgebiete durchaus geeignet. Die „Referate-Seminare“ sollten allerdings durch interaktive und aufgabenorientierte Konzepte ersetzt werden. Zudem erscheint es ganz wesentlich, den professionellen Blick zu schulen, um angehende Lehrkräfte darauf vorzubereiten, den eigenen Unterricht auf der Basis von wachsendem Wissen und zunehmender Erfahrung differenziert zu beobachten und zu reflektieren, um Unterricht und sich selbst weiterzuentwickeln - ganz im Sinne des „Möglichen“ nach Neuweg (2011, 41). Dabei kann während des Studiums der Einsatz von Videovignetten, Uni-Klassen oder Tagespraktika, sofern diese durch die Universität intensiv durch Auf‐ gaben, Vor- und Nachbesprechungen begleitet werden, den Perspektivenwechsel im Blick auf die differenzierte Analyse des Unterrichtsgeschehens einleiten. Gegenüber dem Hospitieren im realen Unterricht besitzen Videovignetten einige Vor‐ teile: Sie können mehrfach und auch jeweils mit anderer Aufgabenstellung oder anderem Fokus betrachtet werden; unterschiedliche Kameraeinstellungen erlauben Einblicke in Schülerreaktionen oder Nebenereignisse; zentrale Vermittlungssituationen im Fremdspra‐ chenunterricht können in der Realisierung durch unterschiedliche Lehrkräfte verglichen werden (vgl. Klippel 2016). In diesem Sinne findet fallbasiertes Lernen statt, das den Lehramtsstudierenden erlaubt zu erkennen, dass jede reale Unterrichtssituation einzigartig ist und abhängig von Kontext, Lernziel, Lehrerpersönlichkeit anders gesehen werden kann. Das bereitet Studierende darauf vor, „mit allem zu rechnen“ und sich nicht darauf zu verlassen, Standardsituationen nach Schema F bewältigen zu können (ähnlich auch Helleve et al. 2023). Bei der Arbeit mit Videovignetten geht es also nicht um spontane Reaktionen „aus dem Bauch heraus“, sondern um ein genaues, eventuell auch mehrfaches genaues Beobachten und Analysieren auf der Basis fachdidaktischen Denkens. In unserem Lehrexperiment vor einigen Jahren, als Teilnehmende an zwei Hauptseminaren Aufgaben für die Arbeit mit Videovignetten in einer weiteren Veranstaltung im englischdidaktischen Grundstu‐ dium entwickelt haben, waren die Studierenden in den Hauptseminaren sehr überrascht, wie intensiv sie sich mit den Vignetten befassen und wie viel sie doch noch in der fremdsprachendidaktischen Literatur recherchieren mussten, um sinnvolle Beobachtungs- und Analyse-Aufgaben für zentrale Unterrichtssituationen wie Vokabeleinführung oder mündliches Feedback zu entwickeln. Als Studierende, die kurz vor dem Examen stehen, hatten sie geglaubt, dazu bereits das meiste zu wissen (Klippel 2016, 163). 72 Friederike Klippel <?page no="73"?> Für den dritten Zielbereich, die Einstellung zum Lehrberuf, die Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Handelns und die Stimulierung von lebenslanger Lernbereitschaft, sind meiner Meinung nach Veranstaltungsformate oder tools weit weniger wichtig als die Menschen, die an Universität und Schule zukünftige Lehrkräfte ausbilden. Lehrende an der Universität, die selbst gerne Lehrer oder Lehrerin waren, sich für die Schule nicht nur als Forschungssondern auch als Handlungsfeld interessieren und Theorien oder Forschungsergebnisse an eigener Klassenzimmererfahrung illustrieren oder relativieren können, sind motivierend. Das gleiche gilt für Lehrkräftebildner in der zweiten Phase, deren Aufgabe es gerade nicht ist, lediglich ihre persönliche Auffassung von gelungenem Unterricht zu vertreten, sondern die den NovizInnen dabei helfen sollten, einen eigenen Weg zur Unterrichtskompetenz und beruflichen Identität zu finden. Auch Erwachsene lernen unbewusst an Modellen, so dass positive und negative Erfahrungen mit AusbilderInnen und Lehrenden an der Universität durchaus Wirkungen auf späteres Unterrichtshandeln und die Einstellung zum Beruf entfalten können. Im Positiven: Wer etwa gutes scaffolding, konstruktives Feedback oder verständnisvolle Beratung und Hilfe durch Lehrende im Studium erfahren hat, ist evtl. eher in der Lage, sich als Lehrkraft ebenso gegenüber den Schülerinnen und Schülern zu verhalten. Wer beobachten konnte, dass Lehrende an Universität und Hochschule stetig weiterlernen, mag sich dies für die eigene Berufspraxis merken. In den letzten Jahren haben sich die Bedingungen für die Besetzung von Professuren in den Fremdsprachendidaktiken insofern gewandelt, dass die früher fast unumstößlichen Erfordernisse einer vorangegangenen Lehramtsausbildung und mehrjährigen Tätigkeit in der Schule inzwischen in fast allen Bundesländern stark verwässert oder ganz abgeschafft sind. Auch ist es meinem - zugegebenermaßen beschränkten - Einblick zufolge immer weniger üblich, dass die Betreuung der studentischen Praktika mit Hospitation und aus‐ führlichen Nachbesprechungen durch Professorinnen und Professoren erfolgt. Insgesamt vergrößert sich somit die Kluft zwischen Schule und Universität. In einem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit (16. Mai 2024, 39) hat der Augsburger Schulpädagoge Klaus Zierer kürzlich ebenfalls gefordert, dass eigene Schulerfahrung Voraussetzung für eine Professur im Bereich der Lehrerbildung sein sollte. Darüber hinaus empfiehlt er ein regelmäßiges, verbindliches Praxissemester in der Schule für Hochschullehrende zur Auffrischung der Schulerfahrung. Das ist ein bedenkenswerter Vorschlag, der etwas aufgreift, was in anderen Professionen durchaus üblich ist: MedizinprofessorInnen sind oft ebenfalls in der Patientenversorgung tätig; IngenieurInnen und ArchitektInnen beschränken sich nicht auf das Lehren an Hochschulen, sondern verfolgen praktische Projekte im Feld. Es wäre daher für FremdsprachendidaktikerInnen lohnenswert, die Unterrichtspraxis nicht nur zu beforschen, sondern auch zu gestalten und praktisch weiterzuentwickeln. Auch die Wertschätzung des Lehrerberufs generell spielt eine Rolle. Es ist bedauerlich, dass sowohl Lehramtsstudierende als auch Vertreter lehramtsbezogener Fächer wie den Fachdidaktiken an einigen Universitäten weiterhin als weniger wichtig oder akademisch erachtet werden als andere Disziplinen. Das erinnert stark an die jahrzehntelange Debatte um die höhere Bildungskraft und damit den größeren Wert der altphilologischen Fächer im Gegensatz zu den neuphilologischen im 19.-Jahrhundert. Fremdsprachendidaktische Lehre in der Lehramtsausbildung - früher, heute, morgen 73 <?page no="74"?> 3 Forschen Vor 150 Jahren war es für Neuphilologen entscheidend, immer wieder darauf zu verweisen, dass ein Studium dieser Lehramts-Fächer ebenso wissenschaftlich sei wie das anderer Dis‐ ziplinen. Zudem war man dezidiert der Meinung, dass die höheren Schulen wissenschaftlich ausgebildete Lehrer erfordern. „Zum Lehrer eines Gymnasiums oder Realgymnasiums taugt nur, wer wissenschaftlich geschult ist und wissenschaftliches Verständnis der Materien besitzt, welche er lehren soll“ (Körting 1887, 40). Zu dieser wissenschaftlichen Ausbildung gehörte damals auch, dass viele angehende Lehrer das Studium mit einer Doktorarbeit abschlossen. Von den 2182 Mitgliedern - zumeist Lehrer (und einzelne wenige Lehrerinnen) - des Neuphilologenverbands, die der Konferenzbericht zur 14. Versammlung im Jahr 1910 in Zürich auflistet, tragen weitaus mehr als die Hälfte einen Doktortitel (Vorstand des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbands 1911, 137-173). Wenn man sich die gesamte Breite der Veröffentlichungen zum Fremdsprachenlernen und -lehren der damaligen Zeit ansieht, also selbstständige Publikationen, Zeitschrif‐ tenbeiträge, Konferenzvorträge und wissenschaftliche Abhandlungen in den seit 1824 verpflichtenden Schulprogrammen, so kann man konstatieren, dass viele Lehrer und einige Lehrerinnen der modernen Sprachen sich intensiv am Fach-Diskurs beteiligten. Darunter waren zahlreiche Arbeiten zu Sprach- und Literaturwissenschaft, so dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass Lehrer einen beträchtlichen Anteil an der frühen romanistischen, germanistischen und anglistischen Forschung hatten. Viele der als Professoren berufenen Neuphilologen der damaligen Zeit waren vor dem Wechsel an die Universität als Lehrer tätig gewesen, etwa Wilhelm Viëtor oder Arnold Schröer. Aber auch zu schul- und unterrichtsrelevanten Fragen wurde viel geschrieben. Allein zum Thema der Neusprachenreform in Unterricht und Lehrerbildung verzeichnet die Bibliographie von Breymann (1895 und 1900) für den Zeitraum von 1875 bis 1899 über 1200 Veröffentli‐ chungen, von denen ein Großteil von Lehrkräften verfasst wurde. Selbstverständlich waren diese Publikationen nur in seltenen Fällen in dem Sinne forschungsorientiert, wie man das heute definieren würde. Dennoch lassen sich mehrere Beispiele für frühe Formen handlungs- und unterrichtsorientierter Forschung von Lehrkräften in der Reformbewe‐ gung nachweisen (dazu Klippel 2023). Die starke Betonung der Wissenschaftlichkeit der damaligen Ausbildung gepaart mit dem Bestreben vieler Fremdsprachenlehrkräfte, sich für den Unterricht in den modernen Sprachen etwa durch Publikationen und Mitwirkung in Verbänden zu engagieren, etablierten für einige Jahrzehnte eine Diskursgemeinschaft, in der Professoren und Lehrkräfte auf Augenhöhe miteinander kommunizierten. Heute stellt sich die Situation anders dar. Die Ausbildung von Lehrkräften wird seit langem von der Diskussion um die anteilige Gewichtung von Theorie (=Wissenschaft) und Praxis (=Unterrichtserfahrung) bestimmt. Zwar gibt es immer wieder Versuche, Formen des forschenden Lernens in die Lehrkräftebildung zu integrieren (z. B. Schocker-von Ditfurth 2001; Bolland 2011; Brinkmann 2020), doch sind diese vor allem mit den Praxiserfahrungen der Lehramtsstudierenden in Praktika und den inzwischen fast überall institutionalisierten Praxissemestern verknüpft und dienen vorrangig der Reflexion und der Selbstfindung in der Lehrerrolle. Bellmann (2020, 13) gibt unter Verweis auf Hattie (2014, 247 f.) zu bedenken, dass forschendes Lernen einer Wissensbasis bedarf, die bei den Studierenden mit Blick auf die Gegenstände ihres forschendes Lernens noch nicht gegeben ist. Zugleich 74 Friederike Klippel <?page no="75"?> bestehe bei Studierenden erhebliche Skepsis gegenüber den mit dem Praxissemester verknüpften Forschungsarbeiten (ebd.). „Der Unterschied zwischen Forschung im Rahmen der Wissenschaft und ‚Forschung‘ im Rahmen des forschenden Lernens bleibt häufig unklar“ (Bellmann 2020, 19). Natürlich ist es wichtig, dass Studierende im Studium zum ersten dahin geführt werden, Forschungspublikationen mit Gewinn lesen und verstehen zu können. Zum zweiten ist es für die spätere autonome Gestaltung ihres Unterrichts wesentlich, dass sie beobachten lernen, Fragehaltungen aufbauen, die Fähigkeiten zu kritischer Reflexion und Analyse schulen, um eigene Erkenntnisinteressen zu wecken und unterschiedliche Ansätze und Verfahren des Forschens kennenzulernen. Wenn diese Ziele erreicht werden sollen, darf sich die Lehre nicht allein auf Kompendienliteratur stützen und sollte auch wissenschaft‐ liche Kontroversen - selbst solche in historischer Perspektive - einschließen. Nur so können Lehramtsstudierende erkennen, dass es nicht die eine, objektiv wahre und immer gültige Vorstellung von gelingendem Fremdsprachenlernen und -lehren gibt. Meiner Erfahrung nach kann man in Seminarsitzungen und anhand der von Studie‐ renden verfassten Hausarbeiten gut erkennen, wer forschungsorientiertes Interesse entwi‐ ckelt. Nachwuchsforschende kann man bei der Auswahl guter Studentinnen und Studenten für Stellen als studentische Hilfskräfte und durch deren individuelle Förderung rekrutieren, aber auch bei der intensiven Betreuung schriftlicher Abschlussarbeiten. Für letztere eignen sich Formate wie Examenskolloquien, in denen - analog zu Doktorandenseminaren - alle Aspekte wissenschaftlichen Arbeitens anhand konkreter Fragen der Beteiligten erörtert werden. Ob es angesichts des Zeitschriftensterbens in unseren Fächern, der sich verbreiternden Kluft zwischen Universität und Schule und der erhöhten Belastung im Schuldienst gelingen könnte, ähnlich wie vor 100 Jahren Lehrkräfte im aktiven Schuldienst in großer Zahl dafür zu gewinnen, sich forschend zu betätigen und mit Veröffentlichungen in den Diskurs zwischen Forschung und Praxis einzuschalten, ist zu bezweifeln. Es ist höchst bedauerlich, dass es heute fast nur noch Forschung über Lehrkräfte, gelegentlich mit Lehrkräften, aber nur selten Forschung von Lehrkräften gibt. 4 Fort- und Weiterbildung Es erscheint banal daran zu erinnern, dass jegliche Form von Unterricht im weitesten Sinne nur dann erfolgreich ist, wenn der Unterricht adressatenorientiert erfolgt. Das gilt für die Ausbildung und die Fortbildung in gleichem Maße. Allerdings sind die Ziele von Fortbildungsveranstaltungen oft weniger umfassend als die der Ausbildung. Doch auch hier geht es um die Vermittlung neuen Wissens. Daneben spielen auch Lehrfertigkeiten (z. B. Einsatz neuer Hilfsmittel, Mediation, Einsatz von Spielen) und Einstellungen eine Rolle. Da in Fortbildungsveranstaltungen in der Regel Lehrerinnen und Lehrer mit unterschiedlichem Erfahrungswissen, unterschiedlichen Erwartungen und Interessen und schwankenden Mo‐ tivationsgraden (bei verpflichtenden Fortbildungen) anwesend sind, ist - anders als an der Universität - immer eine Kennenlern- und Aufwärmphase angebracht. Lehrkräfte wollen verständlicherweise zu Beginn erfahren, was ihnen die Fortbildungsveranstaltung bringt. Fremdsprachendidaktische Lehre in der Lehramtsausbildung - früher, heute, morgen 75 <?page no="76"?> Dieser durchaus gerechtfertigte Anspruch auf Relevanz für die eigene Unterrichtstätigkeit schränkt Themen- und Methodenwahl ein. Während man im universitären Seminar theoretische Überlegungen oder empirische Forschungsergebnisse in das Zentrum der Arbeit stellen kann und unterrichtsbezogene Fragen eventuell nur im Anschluss erörtert, muss in Fortbildungsveranstaltungen der Bezug zum Unterricht von Anfang an gegeben sein. In meiner langjährigen Erfahrung wurden Fortbildungsveranstaltungen immer dann besonders positiv aufgenommen, wenn sich praktische Arbeitsphasen an themenbezogenen Aufgaben in Paaren oder Kleingruppen mit Plenumsphasen für Vortrag und Diskussion abgewechselt haben. Das Unterrichten ist ein einsames Geschäft, das in der Regel hinter der geschlossenen Klassenzimmertür erfolgt. Für NovizInnen im Lehrberuf kann dies eine frustrierende Erfahrung sein. Ansätze zu schulinterner Lehrerfortbildung bestehen seit geraumer Zeit; wenig erprobt sind bisher schulübergreifende Lehrernetzwerke, in denen erfahrene Lehr‐ kräfte mit jungen KollegInnen zusammenarbeiten. Das entsprechende Forschungsprojekt von Wipperfürth (2015) belegt, dass beide Gruppen in einem solchen Kontext vielfältige Anregungen erhalten und von der Kooperation profitieren. Es ist wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer ihr Erfahrungswissen einbringen können. Dazu zählt auch die Lehrersprache. Es ist zwar heute viel leichter geworden, die eigene Fremdsprachenkompetenz in Eigeninitiative zu erhalten und zu verbessern, doch besteht weiterhin die Gefahr der sprachlichen „Verkrustung“ zum classroom pidgin, wenn Lehr‐ kräfte außerhalb des Unterrichts keinerlei Berührung mit der Fremdsprache haben. Die Verbesserung der eigenen Sprachkenntnisse war für die Neusprachenlehrkräfte in der Zeit der Neusprachlichen Reformbewegung eines der Hauptmotive, an sog. Ferien‐ kursen oder Vortragsreihen teilzunehmen. Diese wurden in größeren Städten (z. B. Berlin vgl. Kabisch 1896), an Universitäten (z. B. Marburg, wo Viëtor lehrte), an Reformschulen (z. B. Frankfurt am Main, vgl. Wähmer 1895) oder im Ausland abgehalten. Der elftägige Ferienkurs für Französischlehrer und -lehrerinnen, den Wähmer (1895) ausführlich be‐ schreibt, umfasste neben mehrstündigen Vorträgen u. a. zu Phonetik von Viëtor und Förster oder zum Anfangsunterricht im Französischen von Max Walter, dem Direktor der Reformschule, viel Gelegenheit zur Verwendung der Fremdsprache in sog. Übungszirkeln mit französischen Muttersprachlern und ausgedehnte Unterrichtshospitationen auf allen Lernstufen des Fremdsprachenunterrichts in der Reformschule zu Frankfurt. Damit enthielt er wesentliche Elemente, die auch heute noch sinnvolle Bestandteile von Fortbildungen sein können: fachlicher Input, Beobachtungen zu und Diskussion über real gehaltenen Fremdsprachenunterricht, Sprachübung und kollegialer Austausch. 5 Was fehlt? Was wissen wir wirklich über die fremdsprachendidaktische Lehre an anderen Universi‐ täten als unserer eigenen? Kennen wir Inhalte und Lehrverfahren der KollegInnen in den Nachbarsprachen an unserer eigenen Hochschule? Was erfahren wir zu den Konzepten anderer, die so wie wir Lehrerfortbildungen durchführen? Wer teilt seine Erfahrungen in der Lehre und der Nachwuchsförderung offen mit Kolleginnen und Kollegen? Wir tragen die Ergebnisse von Forschungsvorhaben und von Lehrexperimenten bei Konferenzen 76 Friederike Klippel <?page no="77"?> vor, wir kooperieren eventuell mit einigen wenigen Kolleginnen oder Kollegen, aber es gibt keinen Austausch im großen Stil, kein Handbuch der fremdsprachendidaktischen Lehre, keine entsprechende Berücksichtigung durch eine Sektion oder einen Vortrag beim DGFF-Kongress. Die Personengruppe der Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner ist chronisch untererforscht. Erst neuerdings beginnt man sich für teacher educators in der internationalen Forschung zu interessieren, wobei jedoch häufig der institutionelle und bildungspolitische Kontext ausgeblendet wird. Vor etwa 15 Jahren hatten wir an der LMU München im Rahmen des damals bestehenden Arbeitskreises Fachdidaktik, dem FachdidaktikerInnen aus allen Disziplinen angehörten, damit begonnen, uns sukzessive im Detail mit den in den jeweiligen Fachdidaktiken üblichen Einführungsveranstaltungen zu befassen. Es schien den meisten Mitgliedern des Arbeitskreises geboten, dass wir uns gegenseitig informieren, welche zentralen Aspekte und Gebiete in Einführungen behandelt, welche Konzepte und Begriffe als grundlegend erachtet und wie diese verstanden werden. Da alle Lehramtsstudierenden solche Einfüh‐ rungen in mindestens zwei Fächern besuchen, ist es sinnvoll zu wissen, was (und wie) in anderen Fachdidaktiken gelehrt wird. Dieser Informationsaustausch war hochinteressant und führte zu intensiven Diskussionen und mehr gegenseitigem Verständnis. Zur Einführung in die einzelnen Fremdsprachendidaktiken liegen zahlreiche Handbü‐ cher vor, so dass es scheint, als ob die Hauptinhalte der Lehre heute weitgehend konsensuell festgelegt seien. In Bayern besteht zudem ein backwash effect durch die Themenbereiche des zentralen Staatsexamens. Was jedoch fehlt, ist eine breite Diskussion über die wirk‐ lich wesentlichen Inhalte fremdsprachendidaktischer Lehre (Gibt es so etwas wie „core practices“? ), deren Stufung und Verknüpfung mit einer ganzen Palette unterschiedlicher Lehrformate. Die modularisierten Studiengänge erleichtern und erschweren diese Aufgabe; sie entlasten bei der Studienplangestaltung, aber verhindern Freiräume - auch für die Lehrenden. Zugleich entheben sie die Studierenden der eigenen Planungstätigkeit im Studium und verbauen ihnen die Chance, eventuell ganz individuelle Interessen verfolgen zu können. Von einer völlig freien Studiengestaltung vor 120 Jahren, bei der lediglich die Abschlussprüfung verpflichtend war und Studierende ihre Studien autonom planen mussten, sind wir zu einem Stadium der Festschreibung von Inhalten und Strukturen gelangt. Ausbildung ja, aber wo bleibt die Bildung? Das sollte diskutiert werden. Aus einer solchen Diskussion könnten sinnvolle Forschungsprojekte und strukturelle Veränderungen erwachsen. Literatur Appel, Joachim (2000): Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München: Langen‐ scheidt-Longman. Bellmann, Johannes (2020): „‘Teacher as Researcher’? Forschendes Lernen und die Normalisierung des forschenden Blicks“. In: Brinkmann (Hrsg.), 11-37. Bolland, Angela (2011): Forschendes und biografisches Lernen: das Modellprojekt Forschungswerkstatt in der Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Breymann, Hermann (1885): Wünsche und Hoffnungen betreffend das Studium der neueren Sprachen an Schule und Universität. München und Leipzig: Oldenbourg. 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Fremdsprachendidaktische Lehre in der Lehramtsausbildung - früher, heute, morgen 79 <?page no="81"?> Zur Ausbildung von Kulturvermittlungskompetenz in den Fremdsprachenphilologien Uwe Koreik 1 Einleitung Das Thema „Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachen‐ didaktischer Hochschullehre“ ist in den letzten Jahren kaum beleuchtet worden, jedoch ein komplexes Feld, weswegen hier auf den Ausbildungsteil der Kulturvermittlung fokussiert werden soll. „Das kulturelle Lernen“, so einleitend zu einer Göttinger Tagung von 2019 „ist ein zentraler Gegenstandsbereich der Fremdsprachendidaktik, dessen Bedeutung gerade auch angesichts aktueller politischer, technischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann“ (König/ Schädlich/ Surkamp 2022, 3). Insbesondere der Artikel von Wolfgang Hallet verdeutlicht, in welchem Spannungsfeld kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht jeweils zeitaktuell angesiedelt ist. „Wir sind gegenwärtig Zeug*innen gewaltiger geopolitischer und europäischer Wandlungsprozesse“ (Hallet 2022, 41). Das hatte sich allerdings schon zuvor angedeutet und ist in der Fachdis‐ kussion nicht angemessen zur Kenntnis genommen worden, sondern man ist in den alt‐ hergebrachten Bahnen der etablierten Diskursthemen und -strategien verblieben oder hat neue Diskursthemen eröffnet. Bezeichnend ist eine der Kernaussagen: „Historisches Lernen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des fremdsprachlichen Kulturunterrichts“ (Hallet 2022, 49). Das passt nicht wirklich zur Fachdiskussion, in der fast ausschließlich Kompetenz- und Handlungsorientierung sowie das Ziel der kritischen Diskursfähigkeit zum Dogma erhoben wurde, Informationsvermittlung jedoch immer weiter in den Hintergrund geraten ist. Im Jahr 2012 erreichte die Zahl der liberalen Demokratien mit 42 Ländern einen Höhepunkt. Sie wurde jedoch in den vergangenen zehn Jahren deutlich auf 34 Länder dezimiert, den niedrigsten Stand seit 25 Jahren. In den 34 der demokratischen Nationen leben nur 13 Prozent der Weltbevöl‐ kerung (Braml/ Burrows 2023, 144). Die Zahlen sind abhängig von der Definition von Demokratie und der jeweiligen Umset‐ zung in den einzelnen Ländern. In dem renommierten „Demokratieindex“ der britischen Zeitschrift The Economist lautet es bereits einleitend für den Stand von 2023: According to our measure of democracy, almost half of the world’s population live in a democracy of some sort (45.4%). Only 7.8% reside in a “full democracy”, down from 8.9% in 2015; this percentage <?page no="82"?> 1 https: / / www.eiu.com/ n/ campaigns/ democracy-index-2023/ fell after the US was demoted from a “full democracy” to a “flawed democracy” in 2016 (Economist Intelligence 2024, 3). 1 Egal welcher Zahl man den Vorrang geben möchte, so ist klar, dass das Modell der Demokratie weltweit gesehen keineswegs den Vorrang hat, der ihm nach dem „Fall“ der Mauer beigemessen wurde. „183 bewaffnete Auseinandersetzungen zählte das International Institute for Strategic Studies für das Jahr 2023. So viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr“ (Bauer 2024), ohne dabei auf die ausufernde Zahl an „Cyber-Angriffen“ einzugehen. Das „westliche Modell“ ist weltweit gesehen allenfalls in Wunschvorstellungen mehrheitsfähig. 2 Lehrkräfteausbildung in DaF/ DaZ im Vergleich zu den anderen Philologien Die Situation der Hochschullehre ist im Fach DaF/ DaZ insofern ein wenig anders, als es keine zweite Phase, d. h. kein Referendariat, gibt. Es müssen verstärkt methodisch-didak‐ tische Aspekte integriert und die Lehre hinsichtlich der Themen auf die sehr heterogenen Zielgruppen ausgerichtet werden. Absolvent: innen eines DaF-/ DaZ-Studiengangs können ihr Wirkungsfeld im In- und Ausland finden. Sie unterrichten Schüler: innen verschiedener Altersstufen, Studierende oder auch ältere Erwachsene; und das an Schulen, Sprachschulen, Hochschulen oder Instituten wie dem Goethe-Institut. Der größte Teil der etwa 15,45 Millionen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache weltweit (Auswärtiges Amt 2020, 1) wird nie in ein deutschsprachiges Land kommen und zu einem überwiegenden Teil auch nur das A1/ A2-Niveau erreichen. Hingegen ist der Unterricht in Integrations- und Orientierungskursen dezidiert auf Integration ausgerichtet und soll zum B1-Niveau führen. Die Heterogenität von Inhalten ist offensichtlich. Michael Schart stellt zu einer damit verbundenen Problematik folgendes fest: Ein nicht unerheblicher Teil des Deutschunterrichts weltweit findet in Ländern statt, in denen es nicht erwünscht und sogar gesetzlich untersagt ist, in Bildungsinstitutionen die Diversität indivi‐ dueller Lebensentwürfe und Denkweisen zu thematisieren, gesellschaftliche Prozesse, Regeln und Moralvorstellungen in Frage zu stellen oder historische Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten […] (Schart 2020, 181). In nahezu allen DaF-/ DaZ-Studiengängen beträgt der Anteil internationaler Studierender inzwischen mehr als fünfzig Prozent; mit der Folge, dass aufgrund der gegebenen Multi‐ kulturalität das Vorwissen, die Erfahrungen und auch die damit verbundenen Einstellungen in der Regel sehr divergent sind. So lassen sich gehäufter spezielle Erfahrungen machen, als in der Fachdidaktik anderer Philologien: In einem MA-Seminar entsteht aufgrund eines intertextuellen Bezuges die Frage nach der Ringparabel in Lessings „Nathan der Weise“. Nur eine russische und eine ukrainische Studentin konnten die Frage beantworten. Gleiches passierte bei der Thematik von Goethes „Faust“. Man kann das als nicht mehr zeitgemäßes Bildungsgut abtun. Problematischer war es in einem BA-Seminar, als die Einwanderung der syrischen Flüchtlinge 2015 als bisher größte „Flüchtlingswelle“ nach Deutschland an‐ 82 Uwe Koreik <?page no="83"?> genommen wurde. Dann war es eine polnische Studentin, die vermutete, dass es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs eine vielleicht größere Flüchtlingswelle gegeben habe. Beim Thema „Auswanderung“ herrschte zunächst Ratlosigkeit, bis ein Teilnehmer vermutete, dass viele Deutsche in die USA ausgewandert seien und eine Teilnehmerin auf die vor den Nazis geflüchteten Juden hinwies. Kenntnisse über Auswanderungsbewegungen im 19. Jahrhundert waren nicht vorhanden. Dass Hunderttausende den deutschsprachigen Raum wegen Hungersnöten und fehlender Arbeit verlassen hatten, löste großes Erstaunen aus. In einem anderen BA-Seminar führte eine kurze Auseinandersetzung über die 1848er Revolution und ihre Folgen zu einer weiteren Erkenntnis, die vielleicht auch in anderen Philologien gewonnen werden kann: Es zeigte sich, dass die wenigen Studierenden aus Baden-Württemberg alle Fragen gut beantworten konnten, während die Studierenden aus NRW weitgehend passen mussten. Es waren z. T. länger zurück liegende Ereignisse, die für die Gegenwart nur bedingt von Bedeutung sind. Die Unkenntnis über die DDR wie vor allem aber die Tatsache, dass niemand in einer Seminargruppe die Bedeutung der Erst- und der Zweitstimme bei einer Bundestagswahl erklären konnte, auch wenn alle Deutschen schon mindestens einmal gewählt hatten, rundet das Bild allerdings ab. Zugleich ist völlig klar, dass sehr viele der DaF-/ DaZ-Studierenden bereits ab dem BA-Abschluss als Lehrpersonen in Integrationskursen „unterkommen“, wo sie u. a. das deutsche Wahlrecht und in den anschließenden Orientierungskursen im Modul II die Themen: „Geschichte und Verantwortung“, „Nationalsozialismus und seine Folgen“, „Wich‐ tige Stationen in der Geschichte Deutschlands nach 1945“ und „Leben im wiedervereinigten Deutschland und in Europa“ zu unterrichten haben. Andere suchen zunächst einen Berufseinstieg z. B. über den DAAD, um durch die Übernahme einer Lehrassistenz oder eines Lektorats an einer ausländischen Hochschule zunächst Auslandserfahrungen zu sammeln. Dort wird ihnen dann nicht selten die Aufgabe übertragen, in Seminaren auf höherem Sprachniveau Themen zum aktuellen Deutschland oder zu ausgewählten Themen der deutschen Geschichte zu übernehmen. Althaus stellte bereits vor fünfzehn Jahren folgendes fest: Die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache ist letztlich Teil einer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, jedenfalls von ihr durch Auftrag und Mittelzuwendung deutlich beeinflusst und organisiert über das Auslandsschulwesen, die Goethe-Institute und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (Althaus 2009, 135). Bauer hebt „die besondere Relevanz dieses Politik- und Handlungsfelds für die Lehr- und Forschungspraxis im akademischen Umfeld des Fachs Deutsch als Fremd- und Zweit‐ sprache und der internationalen Germanistik“ hervor (Bauer 2011, 58). „Auch wenn die vorrangige Aufgabe im Fach DaF/ DaZ die der Sprachvermittlung ist, werden wir uns auch den Fragestellungen, die durch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gegeben sind, stellen müssen“ (vgl. Koreik/ Fornoff 2023, 53). 3 Zur Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften Angesichts der Komplexität ist die Frage, welche Konzepte, Lehrveranstaltungsformate und ggf. Tools der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre besonders geeignet Zur Ausbildung von Kulturvermittlungskompetenz in den Fremdsprachenphilologien 83 <?page no="84"?> sind, ihren Funktionen, Aufgaben und Zielen gerecht zu werden, kaum zu beantworten. Es wird eine Variationsbreite von Vorteil sein. Und wie gut unsere Hochschullehre für die Ausbildung von Lehrkräften für den Fremdsprachenunterricht wirklich ist, lässt sich ohne größer angelegte Studien nicht beantworten, da es kaum möglich ist, die tatsächlichen Lehrangebote und Lehrinhalte zu evaluieren. Dabei ist es egal, ob die Frage für die Lehrangebote in den verschiedenen Philologien oder nur für DaF/ DaZ gestellt wird, ob generell oder für spezifische Bereiche wie hier für die Kulturvermittlung. Was so gut wie völlig fehlt, sind solide Untersuchungen, die das kulturelle Lernen und die Kulturvermittlung in der Lehrkräfteausbildung substantiell thematisieren. Und dabei dürfte dieser Bereich wegen der Multiplikatorenwirkung auch als zentral für unser Fach gesehen werden (Fornoff/ Koreik 2020, 635). Wie wenig wir über das Fachwissen unserer Studierenden, speziell das Weltwissen oder auch landesspezifische Kenntnisse wissen, verdeutlicht der zusammenfassende Bericht über entsprechende Untersuchungen von Gerlach (2022). Die Geschichte der Fremdspra‐ chendidaktik zeigt, dass bei der Frage, was Lehrkräfte wissen und können sollten, in den Philologien immer schon eher das Wissen über die fremde Sprache und die diesbezügliche Vermittlungskompetenz im Vordergrund stand. Allerdings ist die Diskussion um das notwendige Wissen über die Länder in der Geschichte der Fremdsprachenphilologien schon lange präsent. Friederike Klippel geht im Artikel über das Wissen und Können von Sprachlehrkräften auf ein Zitat von Viëtor von 1910 ein und schreibt: „Philologie ist ‚in Bezug auf ein bestimmtes Volk in einem verhältnismässig abgeschlossenen Zeitalter die geschichtlich wissenschaftliche Erkenntnis der gesamten Tätigkeit, des ganzen Lebens und Wirkens des Volkes‘“ (Klippel 2022, 81; Hervorhebung im Original), wobei auch Viëtor Begrenzungen einräumte (ebd.). Auch wenn wir heute nicht mehr von Volk sprechen würden, bleibt die Frage nach den gesellschaftspolitischen und historischen Kenntnissen bestehen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass angesichts der kolonialen Vergangenheit Großbritanniens, Frankreichs und auch Spaniens sowie der wirtschaftlichen und auch politischen Dominanz der USA in derart vielen Ländern der Welt Englisch, Französisch und Spanisch gesprochen wird, dass es schwer fällt, hier eine begründete Auswahl an Themen zu erstellen. Wir wissen sehr wenig über die tatsächlichen „landeskundlichen“ Kenntnisse ange‐ hender Sprachlehrkräfte. Was bleibt, ist letztlich die Auseinandersetzung mit dem veröf‐ fentlichten Fachdiskurs oder die hier bereits angedeutete eher anekdotische Berichterstat‐ tung gemachter Erfahrungen. Damit drängt sich die Frage auf, inwieweit der Fachdiskurs tatsächlich das widerspiegelt, was in den entsprechenden Lehrveranstaltungen vermittelt wird. Da davon auszugehen ist, dass in Lehrveranstaltungen zur Fachdidaktik in den Fremd‐ sprachenphilologien immer auch aktuelle Beiträge aus Fachzeitschriften, Tagungsbänden oder „Einführungen“ behandelt werden, erlaubt alleine das schon einen möglicherweise erhellenden Blick. Mit ihrem Beitrag „Lost in Discourse? Ein (selbst-)kritischer Blick auf transkulturelle und kulturrelativistische Diskurse“ haben Christiane Fäcke und Jochen Plikat (2022) eine Fachdiskussion eröffnet, die dringend der weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung bedarf. 84 Uwe Koreik <?page no="85"?> Fäcke und Plikat (2022, 182) konstatieren einen „Konformitätsdruck durch Main‐ stream-Diskurse […], der über bestehende Hierarchien hinausgeht“. Zunächst einmal benennen sie Postulate wie „bestimmte Positionierungen zu gender-Diskursen, die Zu‐ stimmung zu einem von weitestgehender Toleranz geprägten Wertesystem oder die uneingeschränkte Befürwortung von Diversität“ (ebd., 183), die oft in bestimmten Kreisen einfach zu vertreten seien, ohne auf Widersprüchlichkeiten zu achten, um anschließend das Konzept der „Transkulturalität“ kritisch zu beleuchten und resümierend festzustellen, dass „sich das Plädoyer für Transkulturalität nicht uneingeschränkt aufrechterhalten“ (ebd., 188) lasse. Bedeutsam ist ihre Feststellung: „Für Kulturwie Diskursrelativismus lässt sich somit ein bis heute nicht aufgelöster - und vermutlich nicht auflösbarer - innerer Widerspruch festhalten“ (ebd., 192). Christiane Fäckes und Jochen Plikats Plädoyer für eine offenere Diskussion in den Fachdidaktiken unserer Philologien, für mehr Plura‐ lität und eine „konsequente Orientierung an den Werten und Wertesystemen, die zur Abfassung der Menschenrechte und des Grundgesetzes geführt haben“ (ebd., 198 f.), gilt es nachdrücklich zu unterstützen, auch wenn die Themen „Werte“ und „Wertesystem“ ein weiteres komplexes Feld eröffnen (s. hierzu Altmayer 2023, 270-275; Fornoff 2018). Der Beitrag findet sich im Tagungsband der Göttinger Tagung mit dem Thema: „unter‐ richt_kultur_theorie: Kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht gemeinsam anders denken“ (König/ Schädlich/ Surkamp 2022). Bezeichnend ist allerdings bereits eine Passage aus dem die Publikationsreihe vorstellenden Text auf der dritten Innenseite: Mit Kulturdidaktik ist eine Verschiebung des Fokus im Fremdsprachenunterricht weg vom landeskundlichen Faktenwissen hin zur Förderung einer kultursensiblen Kommunikations- und Verstehensbereitschaft sowie der Fähigkeit zur Bedeutungsaushandlung gemeint (König/ Schäd‐ lich/ Surkamp 2022). Damit ist letztlich ein Prozess beschrieben, der bereits u. a. von Vera und Ansgar Nünning mit den Schlagworten zu einer Umorientierung „von der Lehrzur Handlungs- und Projektorientierung“ und „vom Wissenserwerb zur interkulturellen Kommunikationskom‐ petenz“ durch „Perspektivenvielfalt und Perspektivenwechsel“ (Nünning/ Nünning 2000, 7) eingeleitet wurde. Entsprechend teilt Wolfgang Hallet (2022) mit, dass Kulturunterricht […] in einem solchen Ansatz nicht der Erwerb vorgefertigten Wissens [sei], sondern ein Lernen, das mittels ethnografischer tools verlässliches, empirisch profundes, selbst erarbeitetes Wissen über Gesellschaften und Kulturen überhaupt erst generiert“ (Hallet 2022, 54; kursiv im Original). Auch wenn die Mehrheit der Artikel im Tagungsband in den von Fäcke und Plikat (2022) konstatierten „mainstream“ einzuordnen ist, finden sich klare Aussagen wie: „Der diskursive Charakter von Kultur kann nur erschlossen werden, wenn auch entsprechendes Wissen über kulturelle Phänomene und Themen vorhanden ist“ (Surkamp/ Freitag-Hild 2022, 270). Bärbel Diehr (2022, 363) stellt angesichts eines relativ niedrigen Anteils von Aussagen zum Orientierungswissen in einer Untersuchung fest, dass dies „auf einem unausgewogenen Verständnis von Kompetenzorientierung beruhen [könne], in dem das Wissen zugunsten von Können und Einstellungen vernachlässigt wird“. Und angesichts der „Komplexität der meisten unterrichtlich behandelten kulturellen Phänomene erscheint Zur Ausbildung von Kulturvermittlungskompetenz in den Fremdsprachenphilologien 85 <?page no="86"?> jedoch das Verstehen von Fakten gerade in ihrer spezifischen Perspektivierung ein drin‐ gendes Desiderat“ (Garcia/ Schädlich 2022, 68). Zusätzlich wurde auf der Konferenz auch das Thema der „fake news“, der „alternativen Fakten“ und der Einfluss sozialer Netzwerke berührt und die Frage aufgeworfen, welche Konsequenzen das für den Fremdsprachenunterricht habe. Und in der Tat lässt sich vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen die Frage stellen, wie angesichts einer mit TikTok groß gewordenen Generation zukünftig Unterricht und Lehre aussehen wird. „Ohne einen Begriff von Faktizität gibt es keine Möglichkeit, den Wahrheitsbezug von Diskursen zu beurteilen“ (Fornoff 2022, 113). 4 Schlagworte der Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht Einige seit längerem vorhandene Probleme im Rahmen der Kulturvermittlung sollen jetzt anhand von zwei fachrelevanten Schlagworten verdeutlicht werden. 4.1 Das „Eigene“ und das „Fremde“ Es ist inzwischen fast zum geflügelten Wort im Fachdiskurs der Fremdsprachendidak‐ tiker: innen geworden, dass man nicht mehr vom „Eigenen“ und „Fremden“ sprechen dürfe, weil damit künstliche Homogenisierungen geschaffen, die Gemeinsamkeiten vernachläs‐ sigen und Unterschiede zementieren würden. Adelheit Hu hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren folgendes festgehalten: […] die lange Zeit herrschende Vorstellung von Kulturen als kohärenten und voneinander abgrenzbaren Entitäten mit jeweils kulturspezifischen Charakteristika, die in Alltagstheorien auch durchaus immer noch lebendig ist, gilt weitgehend als obsolet (Hu 2003, 53; vgl. dazu Koreik 2011, 584). Dem ist fast ausnahmslos zugestimmt worden, auch wenn damit ein übertriebenes Feind‐ bild geschaffen wurde, das außer in vereinfachenden Darstellungen in Lehrwerken in der wissenschaftlichen Literatur nie so einfach bestanden hat und es trotz Globalisierung auch weiterhin kulturelle Unterschiede gibt. Zu den Auswirkungen einer kulturellen Globalisierung hat Samuel Huntington bereits 1996 in seinem zu Recht umstrittenen Buch mit dem Titel „The Clash of Cultures“ (unsauber mit „Kampf der Kulturen“ ins Deutsche übersetzt) jedoch schon folgendes festgestellt: Die jetzige These, daß die Verbreitung von Pop-Kultur und Konsumgütern über die ganze Welt den Triumph der westlichen Zivilisation darstelle, trivialisiert die westliche Kultur. Die Quintessenz der westlichen Zivilisation ist die Magna Charta, nicht der Big Mac. Die Tatsache, daß Nichtwestler in diesen beißen, sagt nichts darüber aus, ob sie jene akzeptieren (Huntington 1996; dt. Ausgabe 2006/ 2007, 80). Andreas Reckwitz schrieb bereits vor gut sieben Jahren, dass es manchen „dämmert“, „dass Huntington recht gehabt haben könnte: Befinden wir uns nicht mitten in einem globalen Kulturkampf zwischen dem Westen, dem Islam, Russland und anderen Kulturkreisen? “ (Reckwitz 2016), um dann allerdings zu konstatieren, dass Huntingtons Diagnose zwar 86 Uwe Koreik <?page no="87"?> verführerisch sei, allerdings „knapp - und entscheidend an der Realität vorbei“ (ebd.) ziele. Bereits in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Das Ende der Illusionen“ (Reckwitz 2019) klingt manches deutlich skeptischer als in seinen vorangegangenen Schriften, in denen eine Dichotomie von „Hyperkultur und Kulturessenzialismus“ herausgearbeitet wird, die angesichts der verstärkten Auswirkungen des Klimawandels, der weltweiten militärischen Aufrüstung, des Kampfes um Ressourcen (Wasser, Öl, seltene Erden), eines Rückgangs des Globalisierungsprozesses (Stichwort: Lieferketten) die Frage aufwirft, ob die so überzeugend beschriebene Hyperkultur nicht doch einer rein westlichen Sichtweise geschuldet und damit nicht wirklich als Erklärungsmodell auf die Weltentwicklung übertragbar ist und letztlich wiederum einen westlichen, theoretisch geprägten, kolonialistischen Anspruch hat (Koreik 2023, 62). Die Lebensweise in der Hyperkultur gilt jedenfalls „nicht in gleichem Maße z. B. für einen Ägypter, der nicht innerhalb des Schengen-Raums lebt und der Transkulturalität kaum in der Weise für sich umsetzen konnte, wie es EU-Bürgern und Nordamerikanern prinzipiell möglich ist“ (Fäcke/ Plikat 2022, 187). Die homogenisierende Sichtweise wird seit einigen Jahren immer wieder betont. Dabei wird immer wieder Herder als ein „Kronzeuge“ angeführt. So heißt es beispielsweise bei König et al. (2022): Gerade Herders neuhumanistisches Kugelmodell, in dem Kulturen als homogen und in sich geschlossene Gebilde begriffen werden, wird als nicht mehr geeignet charakterisiert, um moderne, postmoderne Gesellschaften angemessen zu beschreiben (vgl. Welsch, 2010, S. 40). Unterstützt wird dies durch die generelle Annahme einer zunehmenden Durchdringung und Hybridisierung von Kulturen, die mit Prozessen der Globalisierung einhergehen (vgl. Beck, 1998) (König et al. 2022, 12). Diesen verkürzten, wissenschaftlich nicht haltbaren und von vielen immer wieder wie ein Mantra in unserer Fachdiskussion wiederholten Bezug hat Siegfried Gehrmann (2022) mit einem Zitat aus einer anderen Textstelle aus Herders Schriften entlarvt: Wir Deutsche würden noch ruhig, wie die Amerikaner, in unseren Wäldern leben, oder vielmehr noch in ihren rauh kriegen und Helden sein, wenn die Kette fremder Cultur nicht so nah an uns gedrängt, und mit der Gewalt ganzer Jahrhunderte uns genötigt hätte, mit einzugreifen. Der Römer holte so seine Bildung aus Griechenland, der Grieche bekam sie aus Asien und Ägypten: Ägypten aus Asien, China vielleicht aus Ägypten. (Herder 1772, Pross 1987: 354) (Gehrmann 2022, 539). Gehrmann weist in seinem Artikel damit nach, wie z. T. kenntnislos Zitate immer wieder weitergegeben werden, um einer letztlich ideologisch geprägten Diskursstruktur auch noch einen historisch-philosophischen fundierten Gehalt beizusteuern. Wie auch immer man sich in der Fachdidaktik im Bereich Kulturvermittlung positionieren möchte, wird man nicht umhinkommen, sich etwas gründlicher mit „Basistexten“ zu befassen, egal ob es sich um eine „interkulturelle“, „transkulturelle“, „multikulturelle“, „globale“, „multiglobale“ Ausrichtung handelt - oder wie auch immer der nächste „Modegriff “ lauten wird. Ulrich Zeuner (2018) hat es für den „interkulturellen Ansatz“ folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Zur Ausbildung von Kulturvermittlungskompetenz in den Fremdsprachenphilologien 87 <?page no="88"?> Auch im interkulturellen Ansatz von Landeskunde ist Wissen über eine fremde Kultur wichtig; ohne Wissen kann man nichts begreifen (Zeuner 2018, 263). Und das ist das Problem: Was wollen wir vermitteln? Um welche Inhalte geht es? Und wie lässt sich das auf dem jeweiligen Sprachniveau der Lernenden auch vor dem Hintergrund des auch altersbedingten vorhandenen Weltwissens umsetzen? 4.2 Nation Seit seiner Habilitationsschrift hat Altmayer vielfach bis heute wiederholt, dass der Gegenstand der Kulturvermittlung nicht ein Land oder eine Nation sei, sondern die diskursiven Prozesse der Bedeutungsaushandlung vor dem Hintergrund der kulturellen Wissensordnungen und jeweiligen kulturellen Muster (Altmayer 2004, 458; 2023, 316 ff.). Bereits 2009 hatte Hans-Joachim Althaus angezweifelt, ob „Altmayers Ausweg gelingt, Kultur nicht primär auf Nationen bzw. Ethnien, sondern auf Sprach- und Kommunikati‐ onsgemeinschaften zu beziehen“ (Althaus 2009, 138). Obwohl offensichtlich ist, dass sich die Rolle der Nation nicht einfach wegdiskutieren lässt, verbleibt sie als eine zu überwindende Größe, die zu nichts anderem führe als zu Stereotypisierung und unangebrachter Homogenisierung. Auf die zahlreichen Argumente für eine Beibehaltung dieser Bezugsgröße, die Fornoff und Koreik (2020) vorgebracht haben, ist mit Ausnahme von Altmayer (zuletzt 2023) und Gehrmann (2022) in der Fachdiskussion bisher nicht eingegangen worden, wobei allerdings Aleida Assmann nicht nur zustimmend zitiert hat (Assmann 2020, 88 f), sondern auch die erwähnte empirische Analyse zum Geschichtsbewusstsein von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund (Kölbl 2009) hervorhebt, nach der von einem Bedeutungsverlust des Nationalen keineswegs die Rede sein könne. Alexander Grau konstatierte, dass es für viele der modernen westlichen Welt nur eine Perspektive gegeben habe: „weg vom Nationalstaat und hin zur Schaffung transnationaler Organisationen“ (Grau 2016, 1). Süffisant vermochte er dann festzustellen, dass die Ent‐ wicklungen diese „kalt erwischt“ hätten, da ihr Weltbild zumeist auf der Annahme beruhe, dass Nationen nichts als soziale und kulturelle Konstruktionen und daher beliebig und austauschbar seien (ebd.; vgl. Fornoff/ Koreik 2020, 43). Wir sollten dabei an den jetzt schon länger dauernden Krieg in der Ukraine, an die schwelenden Konflikte auf dem Balkan denken und uns vergegenwärtigen, dass die „Taiwan-Frage“ ungelöst ist und eine Übernahme durch China in den nächsten Jahren, auch angesichts einer möglicherweise zunehmend instabiler werdenden Demokratie in den USA, nicht unwahrscheinlich ist. Alle in dem die Philologien übergreifenden Göttinger Tagungsband zitierten Unter‐ richtsgespräche sind auf Deutsch. Liegt es etwa daran, dass in anderen Sprachen keine Diskussionsverläufe festgehalten werden? Oder daran, dass die Unterrichtsgespräche in Französisch, Spanisch oder auch Englisch mehrheitlich auf einem Sprachniveau stattfinden, auf dem sich keine thematisch substantiellen Diskurse realisieren lassen? Letzteres drängt sich auf, wenn man eine aktuelle Kolumne über den Englischunterricht in einer elften Klasse liest, in der die Schülerinnen und Schüler einer typischen AfD-Position nichts entgegen zu setzen haben bzw. nichts entgegensetzen können oder wollen. „Jetzt war ich fassungslos. Vielleicht lag es daran, dass ich die Frage auf Englisch gestellt hatte. Ich 88 Uwe Koreik <?page no="89"?> wechselte ins Deutsche: »Ein technisch höher entwickeltes Volk ist also mehr wert als die Ureinwohner? « Meine Schüler nickten zögernd“ (Arenz 2024). Auf die Frage, warum das so ist, lautet die Antwort des berichtenden Lehrers: „Weil wir in den Schulen kein präzises Denken lehren“ (ebd.). Aber das stammt ja nur von einem Praktiker aus einer Zeitungskolumne. 5 Schlussbetrachtung Fäcke und Plikat (2022) berichten, dass angesichts eines pointierten Statements eines älteren Wissenschaftlers eine jüngere Nachwuchswissenschaftlerin folgendes gesagt habe: „Vielen Dank für Ihre offenen Worte, ich habe das Gefühl, vieles nicht offen aussprechen zu können und mich zumindest in der Qualifikationsphase nach den angesagten Themen und Positionen richten zu müssen“ (Fäcke/ Plikat 2022, 182). Das dürfte generell für die Qualifikationsphase von Nachwuchswissenschaftler: innen gelten und allein schon Auswirkungen auf die Themen und Fragestellungen der Qualifikationsarbeiten haben. Ähnliches trifft allerdings wohl auch für bereits etablierte Wissenschaftler: innen zu, die ihren Stellenwert zu behaupten oder zu maximieren haben. Und da geht es offensichtlich nicht ohne z. T. höchst elaborierte poststrukturalistische Theorieanbindung oder dem Verfolgen der jeweils neuesten theoretischen Modetrends, auch wenn die offensichtlichen Defizite und Fehlentwicklungen im konkreten Fremdsprachenunterricht ganz andere Notwendigkeiten offenbaren. Schon vor Jahrzehnten wurde moniert, wie abgehoben und z. T. realitätsfern „die Wissenschaft“ von der tatsächlichen Alltagspraxis in Schulen und Bildungsorganisationen sei. Es wird herauszuarbeiten sein, inwieweit das weiterhin stimmt. Und das gilt insbesondere für das lange Zeit arg vernachlässigte Thema einer inhaltlich gut überlegten Informationsvermittlung, die auf die spezifischen Zielgruppen und das jeweilige Sprachniveau ausgerichtet ist. Dabei dürfte erneut eine Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus anstehen. Ist es wirklich so, dass es keine objektiven Wahrheiten gibt, also nur eine „vermeintlich objektive ‚Wirklichkeit‘ […] das [ist], worum es geht, sondern die unabschließbaren, immer wieder neu ausgehandelten und auch potenziell kontroversen Deutungen dieser Wirklichkeit, die wir in symbolischen Handlungen, in Texten, Gesprächen, Bildern, Diskursen usw. vornehmen“ Altmayer 2023, 10). Wird - um vereinfachend und polemisch zu enden - die in einem Studierendenwohn‐ heim in Kiew eingeschlagene Rakete erst objektiv real, wenn wir diskursiv die damit im Zusammenhang stehenden Bedeutungsmuster herausgearbeitet haben? Literatur Althaus, Hans-Joachim (2009): „Was müsste man nicht alles wissen! - Landeskunde als Teildisziplin im Studium Deutsch als Fremdsprache“. In: Joachimsthaler, Jürgen/ Kotte, Eugen (Hrsg.): Theorie ohne Praxis - Praxis ohne Theorie? Kulturwissenschaft(en) im Spannungsfeld zwischen Theorie, Didaktik und kultureller Praxis. München: Meidenbauer, 131-142. 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Stichworte: Weltwirtschafts-/ Finanzkrise, Energiekrise, Gesundheitskrise, Brexit-Krise, Migrationskrise (Kriege, Vertreibung, Flucht), Bildungskrise (‚PISA-Schock‘), Arbeits‐ marktkrise (demografischer Wandel; hier auch: Lehrkräftemangel), Rechtsstaatlichkeitskrise (vgl. hierzu Merkel 2021). Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen Die universitäre Fremdsprachenlehrkräftebildung im multiplen Krisenmodus Jürgen Kurtz 1 Einleitung Wenn mehrheitlich als wünschenswert und notwendig angesehene gesellschaftliche Re‐ formprojekte 1 , mit ihren jeweiligen, nicht immer deckungsgleichen Motiven, Zielen und Verwirklichungsvorstellungen innerhalb eines stark krisenbehafteten Vierteljahrhunderts aufeinandertreffen 2 , kann es zu Kollisionen mit unerwünschten, tendenziell destruktiven Nebeneffekten, mitunter auch zu paradoxalen Verkehrungen der jeweiligen ursprünglichen Absichten kommen. Am Frankfurter Institut für Sozialforschung wird dieses Phänomen in gesamtgesellschaftlicher und zeitenübergreifender Perspektivierung untersucht. Unlängst erschien hierzu ein Sammelband mit dem Titel „Normative Paradoxien. Verkehrungen des gesellschaftlichen Fortschritts“ (Honneth/ Maiwald/ Speck/ Trautmann 2022), in dem einige dieser paradoxalen Umschläge und zum Teil destruktiven Verläufe zusammengetragen, exemplarisch analysiert und als Impulse für eine Umorientierung in den betrachteten Bereichen konzeptualisiert werden. Im Folgenden werde ich versuchen, in vorsichtiger Annäherung an das Forschungspro‐ gramm ‚Normative Paradoxien‘ (vgl. Honneth/ Sutterlüty 2022), die vier Leitfragen der dies‐ jährigen Frühjahrkonferenz zum Thema ‚Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre‘ aus dieser in der Fremdsprachen‐ didaktik in Deutschland noch nicht berücksichtigten Perspektive in den Blick zu nehmen. <?page no="94"?> In den Mittelpunkt werde ich einige ambivalente, tendenziell destruktive Entwicklungen in der heutigen Praxis, in Teilen aber auch in der Theorie der Fremdsprachenlehrkräftebildung stellen, verbunden mit der schwierigen, hier nur im Anriss behandelbaren Frage, welche Impulse sich daraus für die künftige Forschung ergeben könnten. Ich werde in diesem Zusammenhang auch einen Blick auf die in den diesjährigen Leitfragen gänzlich unberücksichtigten, teils in hohem Maße besorgniserregenden, teils (vermeintlich) erfreulichen empirischen Befunde zur Situation und Qualität des Schulunter‐ richts in den Fächern Deutsch und Englisch sowie zur Lehrkräftebildung in der Germanistik und der Anglistik werfen (vgl. Stanat/ Schipolowski/ Schneider/ Weirich/ Henschel/ Sachse 2023). Aufgrund der angestrebten Gesamtperspektivierung werde ich die Gelingensbedin‐ gungen, die Konzepte und die Qualität der Fremdsprachenlehrkräftebildung nicht allein fremdsprachen- oder hochschuldidaktisch, sondern (so weit wie hier möglich) auch ge‐ samtgesellschaftlich-epochal-reflexiv zu betrachten versuchen. Dies beinhaltet, dass ich in Teilen Abstand nehmen muss von theoretischen Ansätzen und Modellierungen, die die Widersprüche, Ambivalenzen und Paradoxien bzw. die vielschichtigen Problemlagen und Spannungsfelder, die sich aus der Gegenüberstellung aktueller gesellschaftlicher, universitärer, bildungswissenschaftlicher und fremdsprachendidaktischer Entwicklungen ergeben, weitgehend an die Seite stellen, als gegeben hinnehmen und letztlich nicht als Gegenstand der Forschung bzw. als Teil der Theoriebildung näher in Betracht ziehen. Im Kern verbindet sich damit ein erst noch zu entwickelnder, im Sinne einer kritischen Theorie der Gegenläufigkeiten und Widersprüchlichkeiten dialektisch-rekonstruktiv-in‐ terpretativ anzulegender Forschungsansatz, der sowohl die heutigen Leitideen, Ansätze und Konzepte der Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften als auch die „zwei‐ schneidigen Effekte“ ihrer Implementierung und Institutionalisierung (Honneth et al. 2022, 10 f.) ganzheitlich und von unterschiedlichen Blickpunkten aus zeit- und gesellschaftskri‐ tisch in den Blick zu nehmen versucht. 2 Normative Paradoxien Da es im fremdsprachendidaktischen Diskurs bislang noch keine Betrachtung der Kon‐ zepte, der Gelingensbedingungen und der Qualität der Fremdsprachenlehrkräftebildung unter dem hier vorerst als Denkfigur bezeichneten Leitkonzept der normativen Paradoxie gegeben hat, erscheint es sinnvoll zu sein, das Konstrukt, so wie es sozialphilosophisch gegenwärtig konturiert wird, etwas näher zu erläutern. Honneth und Sutterlüty (2022, 16) führen hierzu aus: Normative Paradoxien verweisen auf „paradoxale Verkehrungen nor‐ mativer Errungenschaften“, i.e. auf „sozioökonomische, sozialstrukturelle oder kulturelle Parallelentwicklungen, denen es geschuldet ist, dass allgemein als Fortschritt gewürdigte Reformprojekte im Zuge ihrer gesellschaftlichen Verwirklichung eine selbstdestruktive Dynamik gewinnen können“. Von einer normativen Paradoxie kann in diesem Sinne allerdings nur dann gesprochen werden, wenn vier Bedingungen gegeben sind: Es müssen sich erstens die normativen Absichten rekonstruieren lassen, die soziale Gruppen oder Bewegungen […] geleitet haben, moralische Ansprüche und Verpflichtungen in bestimmten 94 Jürgen Kurtz <?page no="95"?> gesellschaftlichen Sphären durchzusetzen und institutionell zu verankern. Der Prozess einer erfolgreichen praktischen - wie auch immer unvollständigen - Umsetzung dieser Absichten in den Strukturen und Sozialbeziehungen der jeweiligen Sphäre muss zweitens nach einem gesellschaftlich breit geteilten Verständnis als normativer Fortschritt gedeutet werden können. Von einem paradoxalen Verlaufsmuster kann […] drittens erst dann gesprochen werden, wenn ein und derselbe Entwicklungsprozess gegenläufige Effekte hervorbringt - unbeabsichtigte, von sich wandelnden sozioökonomischen, sozialstrukturellen und kulturellen Kontextbedingungen ausgelöste Folgen also, die mit den ursprünglichen normativen Zielen nicht mehr vereinbar oder diesen sogar diametral entgegengesetzt sind. Viertens schließlich ist ein paradoxaler Verlauf im vollen Wortsinn nur dann gegeben, wenn die zunächst richtungsweisenden moralischen Ansprüche und Ideale ihre Geltung nicht verloren haben (Honneth/ Sutterlüty 2022, 22). Annäherung an die Fremdsprachenlehrkräftebildung Um das Konzept der normativen Paradoxie für den wissenschaftlichen Diskurs zur Fremdsprachenlehrkräftebildung fruchtbar zu machen, bedarf es einer gegenstandsbezo‐ genen Konturierung, Präzisierung und/ oder Modifizierung. Als ‚gesellschaftliche Sphäre‘ betrachte ich im Folgenden insbesondere den universitären Bildungssektor, in dem di‐ verse ‚Subjekte‘ und ‚Gruppen‘ mit jeweils eigenen, nicht immer deckungsgleichen Kennt‐ nissen, Fähigkeiten, Interessen, Zielsetzungen, Ansprüchen und Handlungsvorstellungen (inter-)agieren. In den Mittelpunkt des ‚sozialen Wandels‘ stelle ich die Frage nach den jüngeren Entwicklungen in der Theorie und Praxis der universitären Fremdsprachenlehr‐ kräftebildung, aktuelle empirische Befunde zum schulischen Sprachunterricht in den Fächern Deutsch und Englisch und zur Lehrkräftebildung in der Germanistik und der Anglistik mit einbeziehend. Das Konzept der Moral im Sinne ‚richtungsweisender morali‐ scher Ideale, Ansprüche und Verpflichtungen‘ werde ich in Ermangelung dahingehender Studien vorläufig hingegen ebenso ausklammern müssen wie die Frage, inwieweit sich die Umsetzung der seit dem Ende der 1990er Jahre forcierten Reformen im Bildungswesen mit einem ‚gesellschaftlich breit geteilten Verständnis‘ verbindet oder gar als ein ‚normativer Fortschritt‘ gedeutet werden kann. Ich gehe vorerst von der plausibel erscheinenden Annahme aus, dass die Reformbestrebungen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mehrheitlich als wünschenswert und notwendig erachtet worden sind. 3 Die Fremdsprachenlehrkräftebildung im Zeitalter multipler Krisen und forcierter Reformbestrebungen Ich werde mich nun einigen zentralen Entwicklungen, Problemlagen und Spannungsfel‐ dern zuwenden, vorläufig hier noch im Sinne einer vielschichtigen ‚Gemengelage‘, die es zu beschreiben und im Hinblick auf etwaige paradoxale Verschränkungen sowie destruktive Dynamiken zu untersuchen gilt. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine dialektische Beschäftigung mit den Funktionen, Aufgaben und Zielen sowie den Qualitätsmaßstäben fremdsprachendidaktischer Hochschullehre (vgl. Leitfrage 1), den Ermöglichungsbedin‐ gungen wissenschaftlicher Nachwuchsförderung (vgl. Leitfrage 2), dem Sinn und Zweck der Ausbildung von Quer-/ Seiteneinsteigern in den Lehrberuf (vgl. Leitfrage 3) sowie auch Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen 95 <?page no="96"?> den Möglichkeiten und Modalitäten des Wissenstransfers in relevante Berufsfelder (vgl. Leitfrage 4). Ich verweise an dieser Stelle insbesondere auf: • die weit fortgeschrittene Implementierung der instrumentellen Rationalität der Bo‐ logna-Reformen (rasche Berufsqualifizierung, konsekutive Modularisierung, Kompe‐ tenz-, Standard- und Outputorientierung, Qualitätssicherung durch Akkreditierung und Bildungsmonitoring, Transparenz, Internationalisierung, Studierendenmobilität in Europa und darüber hinaus), • die Etablierung von Markt- und Wettbewerbsmechanismen an den Universitäten (Fi‐ nanzierung über Studierendenzahlen, Drittmitteleinwerbung, etc.), mitsamt der damit verbundenen Wandlungsprozesse im Bereich der Hochschulgovernance (dezentrale Verantwortlichkeitszuweisung, Zielvereinbarungen, Rechenschaftslegung, etc.) sowie der veränderten Modi der Mittelzuweisung an die lehrerbildenden Einrichtungen und Abteilungen (nachfrageorientierte Mittelflüsse: Lehramtsstudierende als Glieder einer intellektuellen und materiellen ‚Wertschöpfungskette‘, ‚Kundenorientierung‘; ökonomische Verwertungslogik: Fokussierung auf eine kompetenzorientiert-zweck‐ gebundene Ausbildung im Sinne eines betriebswirtschaftlich gesteuerten ‚Wertschöp‐ fungsprozesses‘, ‚geringe Durchlaufzeiten‘, hohe Absolventenquoten), • den eklatanten Lehrkräftemangel in Deutschland, der auf das schwierige, anscheinend kaum in den Griff zu bekommende Problem der Lehrkräftebedarfsprognostik, aber auch die mangelnde Attraktivität bzw. Qualität (? ) der Lehramtsstudiengänge verweist, mitsamt der damit verbundenen Herausforderungen für die wissenschaftliche Nach‐ wuchsgewinnung, • die bildungswissenschaftliche Professionalisierungsdebatte, verbunden mit der These der ‚Professionalisierungsbedürftigkeit‘ der Lehrkräfte(-ausbildung), einhergehend mit einer starken Fokussierung auf das sog. Professionswissen (vgl. z. B. Baumert/ Kunter 2011), • die gegenwärtige, vorrangig „kompetenz- und expertisetheoretische Grundierung des Lehrerbildungsdiskurses“ (Neuweg 2022, 22), die einhergeht mit einer gewissen „Imagerie der Praxisbedeutsamkeit“ (Wernet 2021, 300), welche nicht selten legitimato‐ rische Züge trägt (einerseits zur Rechtfertigung des berufsfeldbezogenen Professions‐ anspruchs, andererseits zur Sicherung der kompetitiv verteilten Mittel für Forschung oder Nachwuchsförderung), • das von Neuweg (vgl. 2011, 33-37.) so bezeichnete ‚lehrerbildungsdidaktische Integ‐ rationssyndrom‘ in Bezug auf die Verknüpfung von Theorie und Praxis bzw. von Wissenschaft und „Könnerschaft“ (Neuweg 2022, 22), verbunden mit einem ‚nahezu hysterischen Praxisanspruch‘ in der Bildungspolitik (vgl. Wernet 2021, 301 f.), der mitt‐ lerweile auf den universitären Lehramtsstudiengängen lastet (Schulpraxissemester), • die pandemiebedingte Forcierung digitaler Lehrveranstaltungsangebote unter teil‐ weise abenteuerlich anmutenden, in jedem Fall stark fordernden Verwirklichungsbe‐ dingungen, • die Verwundbarkeit der digitalen Infrastruktur, die in Verbindung mit der aktuellen Datenschutzverordnung zu teilweise grotesk anmutenden Einschränkungen in Bezug auf die Nutzungsmöglichkeiten einiger digitaler Technologien und Medien geführt hat, 96 Jürgen Kurtz <?page no="97"?> • die mit dem Abklingen der Covid19-Pandemie vielfach zu beobachtende Rück‐ besinnung auf die vorpandemische Präsenzlehre, mitsamt der damit tendenziell einhergehenden Unterberücksichtigung wertvoller Erfahrungen und Erkenntnisse zur Implementierung eines reichhaltigen und breit aufgefächerten, auf diverse digi‐ tale Technologien und multimodale Ansätze gestützten Lehrveranstaltungsangebots (schlimmstenfalls als ‚Rolle rückwärts‘), • die Setzung hoher bzw. höchster kultusministerieller Qualitätsansprüche an die sog. Lehramtsausbildung in den fremdsprachlichen Fächern, bei gleichzeitigem Festhalten an niedrigschwelligen Studieneingangsvoraussetzungen, einem rigiden, aber sehr durchlässigen Prüfungsregime und dem weitgehenden Verzicht auf obligatorische Auslandsaufenthalte während des Studiums, • die zunehmend inklusiv gedachte schulische Bildung, die in der Implementierung auf der ideologischen Zuspitzung von Exklusion und Inklusion fußt und mit der ‚zwei‐ schneidigen‘ Etablierung des schulischen Zwei-Säulen-Modells sowie der Ausdünnung förderschulischer Angebote einhergegangen ist, • die ambivalenten Befunde zum sog. Outcome des schulischen Unterrichts in den Fächern Deutsch und Englisch auf der Sekundarstufe I sowie zur Qualität der germa‐ nistischen und anglistischen Lehrkräftebildung, • die voranschreitende Abwertung des Grundschulenglischunterrichts, verbunden mit der von Anfang an im Raum stehenden, wissenschaftlich jedoch fragwürdigen Auffas‐ sung, das Englischlehren und -lernen auf der Primarstufe sei insgesamt zu unergiebig und könne dem Lehren und Lernen der deutschen Sprache im Wege stehen (mit allen damit verbundenen Konsequenzen für die universitäre Fremdsprachenlehrkräf‐ tebildung im Primarbereich), • die in den letzten ca. 25 Jahren stark vorangetriebene qualitativ-empirische Forschung in der Fremdsprachendidaktik, die einerseits (aus wichtigen, nicht infrage gestellten erkenntnistheoretischen und forschungsmethodischen Gründen) überschaubare, em‐ pirisch bearbeitbare Fragen untersucht, die andererseits jedoch die Gesamtheit der hier skizzierten, hochgradig ambivalenten ‚Gemengelage‘ weitgehend ausblendet und in der Folge zwar einige vage Implikationen hinsichtlich des sog. Praxis-Transfers formuliert hat, in der Regel jedoch keine substanzielle Folgenabschätzung vornimmt. Ich gehe im Folgenden davon aus, dass diese und noch weitere Entwicklungen in teils richtungsweisenden, teils antagonistisch-destruktiven Wechselbeziehungen zueinander stehen, die Einfluss darauf genommen haben, was wir heute unter den Funktionen, Aufgaben, Zielen und Qualitätsmaßstäben fremdsprachendidaktischer Hochschullehre verstehen und warum wir erneut, nach dem massiven Lehrkräftemangel in den 1960er Jahren, über möglichst (noch) tragfähige, rasch greifende und bestenfalls kostenneutrale Maßnahmen zur Sicherung einer möglichst gehaltvollen Unterrichtsversorgung nachzu‐ denken gezwungen sind. 3.1 Paradoxale Gelingensbedingungen Die den Bologna-Reformen zugrunde liegenden normativen Inventare und Wertvorstel‐ lungen (Weltoffenheit, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Transparenz, Internationalisie‐ Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen 97 <?page no="98"?> rung) haben in der Zusammenführung mit sozio-ökonomisch motivierten Imperativen (Sicherung der Hochschulfinanzierung in einem krisenbehafteten und kostenintensiven Vierteljahrhundert über eine verstärkte Orientierung an Markt- und Wettbewerbsmecha‐ nismen) tiefe Spuren an den Universitäten und Hochschulen hinterlassen. In Bezug auf die fremdsprachendidaktische Forschung hat die kaum mehr hinreichende universitäre Grundfinanzierung, die heutzutage u. a. über die Einwerbung von Drittmitteln kompensiert werden soll, einerseits einen begrüßenswerten, jedoch immer schon gege‐ benen Wettbewerb der Ideen befeuert, andererseits zu Anpassungserscheinungen geführt, die die Unterscheidungslinien von evidence based policy making und policy based evidence making zunehmend verschwimmen lassen (vgl. Merkel 2021, 317). Die Tendenz, sich möglichst plakativ zu inszenieren und im diskursiven Mainstream zu verorten, um überhaupt eine Chance zu haben, an Drittmittel zu gelangen, wirft einige Fragen auf, beispielsweise: Inwieweit verzerrt der Drittmittelwettbewerb, hier speziell auf die Fremdsprachenlehrkräftebildungsforschung bezogen, den Blick auf theoretische und empirische Zugänge, die jenseits der Kompetenz-, Standard- und Outputorientierung, der gestuften Modularisierung sowie der Ausweitung der schulpraktischen Studien in Form eines Schulpraxissemesters liegen oder darüber hinausgehen? In Bezug auf Lehre und Studium hat die Unterfinanzierung der universitären Einrich‐ tungen, in denen die Fremdsprachenlehrkräftebildung verortet ist, zu einer erheblichen Ausweitung fachwissenschaftlicher Studienbzw. Qualifikationsangebote beigetragen. In der Folge sind zahllose (teils hanebüchen anmutende) BA-/ MA-Studiengänge auf den Weg gebracht worden, die nicht zuletzt auch aus Gründen der Sicherung der Grundfinanzierung für internationale Studienende geöffnet und an die Fremdsprachenlehrkräftebildung ‚an‐ gekoppelt‘ wurden. Dies hat einerseits zu einer wünschenswerten Diversifizierung der Studierendenpopulation, andererseits zu einer extremen Disparität der Studieneingangs‐ voraussetzungen sowie der studentischen Ziele, Erwartungen und Interessen geführt, mit gravierenden Folgen für die Bereitstellung zunehmend inklusiv und polyvalent anzulegender Studienangebote, die konkrete Gestaltung einzelner Lehrveranstaltungen, die Bewertung individueller Studienleistungen und letztlich auch die wissenschaftliche Nachwuchsgewinnung. 3.2 Paradoxale Konzepte In Anbetracht der gegenwärtigen Lehrkräftebildungsforschung in Deutschland, die dem Begriff des Professionswissens eine zentrale Bedeutung beimisst, hebt Neuweg (2022, 273), allerdings ohne Bezug auf den fremdsprachendidaktischen Diskurs, hervor: „Erziehen und Unterrichten wollen […] gekonnt und nicht gewusst sein“; und er führt weitergehend aus: „Die Verhältnisbestimmung von Wissenschaftlichkeit und Berufsfeldbezug, von Wissen und Können hat weitreichende Konsequenzen für die Ausgestaltung der Lehrkräftebildung“ (Neuweg 2022, 13). Im Kern verweist er damit auf das nach wie vor weitgehend ungelöste „Wissen-Können-Problem in der Lehrerbildung“ (2022, 11). Wie lässt sich das starke Inter‐ esse an dem, was Lehrkräfte wissen und - kompetenztheoretisch-instrumentell verkürzt - zur Bewältigung unterrichtlicher Aufgaben und Herausforderungen können sollen, erklären? 98 Jürgen Kurtz <?page no="99"?> Gesellschaftsbzw. ideologiekritisch betrachtet fällt der von Neuweg (2022) unter die Lupe genommene, kompetenz- und expertisetheoretisch geprägte Professionalisierungs‐ diskurs des letzten Vierteljahrhunderts mit einem gewandelten, vorrangig ökonomischen Verständnis von Wissen im Gesamtkontext der angestrebten Transformation hin zu einer globalisierten Informations- und Wissensgesellschaft zusammen. Wissen ist in diesem Sinne Humankapital, eine immaterielle Ressource, die es zweckgebunden und möglichst kostengünstig zu mehren und im Sinne eines Potenzials bzw. eines klar umrissenen Kompetenzspektrums dort zur Verfügung zu stellen gilt, wo es zur Bewältigung beruflicher Anforderungen und Probleme benötigt wird. Professionelles Wissen soll letztlich, im Ver‐ bund mit anderen Aspekten professioneller Kompetenz (Überzeugungen, Werthaltungen, motivationale Orientierungen, Selbstregulation), professionelles Handeln-Können ermög‐ lichen (vgl. Baumert/ Kunter 2011). Dies mag plausibel erscheinen, doch ist die Grundidee der Ermöglichung, in der Fokussierung auf die angedachte Bedeutung und Funktion des Professionswissen, denkbar ungeeignet, um den komplexen Implikationszusammenhang von lehrerseitigen Einstel‐ lungen (Haltungen, Ethos), Überzeugungen, Wissensbeständen, Wahrnehmungen, Ent‐ scheidungen, Handlungen, Erfahrungen und Emotionen zu fassen. Neuweg hebt hierzu hervor: Für die Bezeichnung dieses Komplexes […] verwende ich den Begriff der Könnerschaft (kursiv im Original, JK) […]. Ich bevorzuge ihn gegenüber neumodischeren Redeweisen (zum Beispiel ‚Kom‐ petenzen‘, ‚Expertise‘, ‚Standards‘), weil diese oft Wissen einschließen, ohne dessen Verhältnis zum Können aufzuklären, und die damit uns interessierenden Unterschiede und Brüche eher verdecken als klar konturieren (Neuweg 2022, 15). Allerdings hält auch Neuweg (vgl. 2022, 20) am Wissensbegriff (Können = ‚Wissen 3‘) fest. Den Dreh- und Angelpunkt des Unterrichten-Könnens (auch von Fremdsprachen) stellt jedoch nicht das Wissen in all seinen Facetten, sondern das situativ angemessene, zielgerichtete, in die Dynamik des Unterrichtsgeschehens möglichst optimal eingepasste Entscheiden in der konkreten Unterrichtssituation bzw. auch bereits im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung dar. Im Entscheiden ‚laufen alle Fäden zusammen‘. Hier verdichten sich lebensweltlich und lernbiografisch geprägte Haltungen, Überzeugungen, Motive, Motivationslagen, Emotionen, Wissensbestände, Könnensrepertoires, Erfahrungen, Wahr‐ nehmungs- und Handlungsmuster sowie normativ gesetzte und individuell verfolgte Zielsetzungen, bewusst oder unbewusst. Mit dem Entscheiden inhärent verbunden ist das begründete Wählen zwischen verschie‐ denen Optionen. Dies ist von großer Bedeutung, zumal das Unterrichten in Settings stattfindet, die sich als hoch komplex, multioptional und aufgrund ihrer interaktiven Dynamik als nur bedingt vorhersehbar charakterisieren lassen. Der Lehrberuf zeichnet sich durch eine hohe Frequenz bzw. Dichte an nur in Teilen planbaren oder vorherseh‐ baren, kurz-, mittel- oder langfristig aber mannigfach wirksamen Entscheidungen unter situativem Handlungsdruck aus, für die die Lehrkraft die Verantwortung zu tragen hat. Fremdsprachenlehrkräfte zu befähigen, fundierte Unterrichtsentscheidungen zu treffen, zu begründen, zu verantworten und in angemessene (zielgerechte, passgenaue, etc.) Handlungen überführen zu können, muss die übergreifende Zielperspektive für die Fremd‐ Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen 99 <?page no="100"?> sprachenlehrkräftebildung sein. Die Arbeit an den Haltungen, Kenntnissen, Fertigkeiten und (Reflexions-)Fähigkeiten der Studierendenden soll damit nicht infrage gestellt werden. Auf dem Wege der Anbahnung der von Neuweg (2022) so genannten Könnerschaft bedarf es in der Hochschullehre jedoch einer stärkeren Berücksichtigung der hier nur im Anriss skizzierten, multioptionalen Charakteristik des Unterrichtens, die sich nicht auf die kompetenzorientierte Aufgabenorientierung des Fremdsprachenunterrichts reduzieren lässt. Ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, an der tradierten, etappenartigen Organisa‐ tion des Studiums im Sinne eines längst noch nicht hinreichend harmonisierten Zusam‐ menspiels von ‚Distanz‘ (Vorlesungen, Tutorien, Seminare, Übungen) und ‚Einlassung‘ (Unterrichtspraktika, Schulpraxissemester) festzuhalten (vgl. Neuweg 2011), erscheint frag‐ würdig. In Anbetracht der schwierigen Bedingungen der Fremdsprachenlehrkräftebildung ist es an der Zeit, die Entwicklung von Lehrveranstaltungsformaten voranzutreiben, die unter Ausnutzung der heutigen digitalen Medien und Technologien geeignet sein könnten, der Komplexität des Zusammenhangs von Wissenschafts-, Berufsfeld- und (! ) Subjektbezug besser zu entsprechen. Ich möchte diesbezüglich auf meine ausführliche Schilderung einer dahingehend konzipierten und multiperspektivisch evaluierten Lehrveranstaltung zum Thema ‚EFL Teaching Methods‘ im Kontext des Gießener TEFLhybrid-Projekts verweisen (vgl. Kurtz 2022). Es bedarf darüber hinaus der Entwicklung und Erprobung weiterer, im Sinne des forschenden Lernens konturierter Berufsfeldbezüge, etwa in lernortübergreif‐ enden (Hochschule/ Schule), digital flankierten Lehrveranstaltungen, in denen die Studie‐ renden handlungsentlastet-reflexiv, aber auch - in einem geschützten Setting - zunehmend eigenverantwortlich unter Entscheidungs- und Handlungsdruck tätig werden können. Ich denke hier exemplarisch an die Arbeiten von Will und Blume (2022) sowie Blume, García López und Will (2022), die in Richtung eines digitally-mediated pedagogies-of-enactment approach to pre-service language teacher education gehen. 3.3 Paradoxale Qualität Nach etwa einem Vierteljahrhundert der Kompetenz-, Standard- und Outputorientierung, die einhergegangen ist mit einer radikalen Umgestaltung der Lehramtsstudiengänge und der schulischen Lehrpläne, muss die Frage gestattet sein, inwiefern sich die damit verbundenen Erwartungen und Hoffnungen in Richtung einer Verbesserung der Qualität der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung und letztlich auch des schulischen Fremdsprachenunterrichts erfüllt haben. In Anbetracht des IQB-Bildungstrends 2022 ergibt sich im Vergleich des Deutsch- und Englischunterrichts sowie auch der universitären Deutsch- und Englischlehrerausbildung ein ambivalentes Bild: In Bezug auf die jeweils gemessenen sprachlichen Kompetenzen fallen die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2022 in den Fächern Deutsch und Englisch nahezu spiegelbildlich aus: Für das Fach Deutsch sind sie in hohem Maße besorgniserregend, für das Fach Englisch hingegen äußerst erfreulich (vgl. Stanat et al. 2023, 462). Im Fach Englisch wird die Bedeutung, die den fachlichen Kompetenzen von Lehrkräften für die erfolgreiche Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen zukommt, durch die Ergeb‐ nisse der durchgeführten Analysen zum Zusammenhang zwischen der beruflichen Qualifi‐ 100 Jürgen Kurtz <?page no="101"?> kation der Lehrkräfte mit den von den Schüler: innen erreichten Kompetenzen im positiven Sinne unterstrichen (vgl. Stanat et al., 2023, 461). Gegensätzlich verhält es sich allerdings im Deutschunterricht. Im Hinblick auf die im Fach Deutsch getesteten Kompetenzbereiche zeigten sich keine statistisch signifikanten Leistungsunterschiede zwischen Lernenden, die von einer fachadäquat eingesetzten Lehrkraft unterrichtet wurden, und Lernenden aus Klassen, in denen eine fachfremd unterrichtende Lehrkraft eingesetzt wurde (vgl. Hoffmann/ Richter/ Weirich 2023, 402). Hinsichtlich dieser, hier nur grob skizzierten Befundlage kommt Stanat (vgl. Stanat/ Klitsch 2022, o.S.) an anderer Stelle zu dem Schluss: „Inwieweit die Bildungsstandards tatsächlich Auswirkungen auf den Unterricht haben, ist eine offene Frage.“ Gleichwohl vermutet sie, ganz im Sinne der zu Grunde liegenden normativen Imperative, denen sie sich unterworfen hat, allerdings ohne hinreichende empirische Evidenz: Ich glaube [sic! ], in manchen Bereichen hat die verstärkte Kompetenzorientierung, die mit den Bildungsstandards angestrebt wird, dazu geführt, den Blick tatsächlich stärker darauf zu lenken, inwieweit das angestrebte Wissen und Können vermittelt wird. Zum Beispiel in den Fremdsprachen, insbesondere im Fach Englisch, habe ich den Eindruck, dass die Entwicklung von Kompetenzen ein zentraler Fokus ist (Stanat/ Klitsch 2022, o.S.). Die Grenze zum policy based evidence making ist hier nicht mehr weit entfernt. 4 Schlussbemerkung und Ausblick Ich habe in meinem Statement darauf verzichtet, konkrete Ansätze, Veranstaltungsfor‐ mate oder Tools zu diskutieren, die der universitären Fremdsprachenlehrkräftebildung zuträglich sein könnten. Stattdessen habe ich versucht zu erläutern, warum es wichtig ist, eine auf das wissenschaftlich fundierte, tiefgreifend reflektierte und vielschichtig begründete Entscheiden-Können in multioptionalen Settings abhebende fremdsprachendi‐ daktische Hochschullehre zu entwickeln, die unter den paradoxalen und destruktiv wir‐ kenden Gelingensbedingungen einer neoliberalen Wettbewerbsuniversität (instrumentelle Verwertungslogik: Personalentwicklung, Kanonisierung der Studieninhalte, Compliance, Beschleunigung, modulare Fragmentierung, Nivellierung u. a. m.) noch einigermaßen greifen und zudem ggf. der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung dienlich sein kann. Prioritär erscheint die Abwendung von Professionalisierungsmodellen, denen eine wis‐ sensökonomische bzw. kompetenztheoretische Zweckrationalität und Ausbildungslogik ‚quasi normativ‘ eingeschrieben ist (vgl. hierzu das Rahmenthema der 58th SAMEO RELC Conference 2024 in Singapur, i.e. „Re-humanizing, Re-conceptualizing and Re-imagining Language Teaching and Learning for Education 5.0“, das die Dringlichkeit eines paradigma‐ tischen Umdenkens unterstreicht). Literatur Baumert, Jürgen/ Kunter, Mareike (2011): „Das Kompetenzmodell von COACTIV“. In: Kunter, Ma‐ reike/ Baumert, Jürgen/ Blum, Werner/ Klusmann, Uta/ Krauss, Stefan/ Neubrand, Michael (Hrsg.): Paradoxale Verschränkungen, destruktive Tendenzen 101 <?page no="102"?> Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster: Waxmann, 29-53. Blume, Carolyn/ García López, Raúl Enrique/ Will, Leo (2023): „Leveraging collaboration: A digi‐ tally-mediated pedagogies-of-enactment approach to pre-service language teacher education“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 34/ 1, 53-74. Hoffmann, Lars/ Richter, Dirk/ Weireich, Sebastian (2023): „Aspekte der Ausbildung von Deutsch- und Englischlehrkräften.“ In: Stanat et al. (Hrsg.), 389-407. Honneth, Axel/ Maiwald, Kai-Olaf/ Speck, Sarah/ Trautmann, Felix (Hrsg.) (2022): Normative Parado‐ xien. Verkehrungen des gesellschaftlichen Fortschritts. Frankfurt/ New York: Campus. Honneth, Axel/ Sutterlüty, Ferdinand (2022): „Normative Paradoxien der Gegenwart - Eine For‐ schungsperspektive.“ In: Honneth et al. (Hrsg.), 13-38. Kurtz, Jürgen (2022): „EFL Teaching Methods: Analyse einer vorwiegend asynchronen englischdi‐ daktischen Online-Lehrveranstaltung“. In: Will et al. (Hrsg.), 135-185. Neuweg, Hans Georg (2011): „Distanz und Einlassung. Skeptische Anmerkungen zum Ideal einer ‚Theorie-Praxis-Integration‘ in der Lehrerbildung.“ In: Erziehungswissenschaft 22/ 43, 33-45. Neuweg, Hans Georg (2022): Lehrerbildung. Zwölf Denkfiguren im Spannungsfeld von Wissen und Können. Münster: Waxmann. Merkel, Wolfgang (2021): „Neue Krisen Wissenschaft, Moralisierung und die Demokratie im 21. Jahr‐ hundert - Essay.“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte 71/ 26-27, 4-11 https: / / www.bpb.de/ shop/ zeitsc hriften/ apuz/ zustand-der-demokratie-2021/ 335433/ neue-krisen/ (11/ 01/ 2024). Stanat, Petra/ Schipolowski, Stefan/ Schneider, Rebecca/ Weirich, Sebastian/ Henschel, Sofie/ Sachse, Karoline A. (Hrsg.) (2023): IQB-Bildungstrend 2022. Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9.-Jahr‐ gangsstufe im dritten Ländervergleich. Münster: Waxmann. Stanat, Petra/ Klitsch, Michael (2022): „Manche Länder handeln konsequenter als andere. 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Tübingen: Narr. 102 Jürgen Kurtz <?page no="103"?> Überlegungen zur Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre Konzeptionen und Herausforderungen Christiane Lütge 1 Konzepte und Rahmenbedingungen fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre What should teachers do in the classroom in times of crisis, disaster, tragedy, sorrow, and panic? (Showalter 2003, 131). Elaine Showalters über zwanzig Jahre alter Debattenbeitrag mag heutzutage neue Bedeu‐ tung gewinnen, und er stellt auch für die Lehrerbildung und für die Fremd- und Zweit‐ sprachenforschung einen wichtigen Impuls dar. Showalter leitet im Weiteren dann auch zur hochschuldidaktischen Herausforderung über im Hinblick auf Inhalte, methodische Zugänge und das Selbstverständnis didaktischer Kontexte, das auch bildungspolitisch immer mehr Einfluss gewinnt. Hochschuldidaktische Lehre in den fremd- und zweitsprachdidaktischen Disziplinen wird einerseits immer Überschneidungen mit hochschuldidaktischen Prinzipien und Kon‐ zepten allgemein sowie auch mit generellen Prinzipien und Konzepten der Fremd- und Zweitsprachendidaktiken aufweisen (müssen), um sowohl in abstrakten als auch konkreten Kontexten realisiert werden zu können. Analog zu Birgit Schädlichs (2019) Hinweis darauf, dass die Unterscheidung zwischen schulischer und hochschulischer Literaturdidaktik nicht prinzipiell, sondern eher in Einzelheiten vorgenommen werden kann, würde ich dies durchaus zumindest teilweise auch auf weitere Bereiche fremd- und zweitsprachendi‐ daktischer Hochschullehre ausweiten, z. B. auf Bereiche des inter- und transkulturellen Lernens, kultur- und mediendidaktische, insbesondere digitale Lehr- und Lernkontexte. Die Entwicklung eines gelingenden, den jeweiligen Lehr- und Lernbedingungen angemessenen methodischen Zugangs setzt einen fundierten theoretischen Überblick, Professionswissen und die Reflexion der eigenen Lehrpersönlichkeit voraus (vgl. Showalter 2003, 38), und dies gilt auch für die universitäre Lehre in den Fremdsprachendidaktiken. Wichtig scheinen mir hier diese - eigentlich - allgemein bekannten Prinzipien für die Hochschullehre zu sein: • Wissenschaftsorientierte Metaebene: Der Ansatz, Aufgabenformate und Settings quasi-authentisch mit Studierenden auszuprobieren, sie in die Perspektive von Schüler: innen eintauchen zu lassen, ist häufig hilfreich, sollte aber nicht darüber <?page no="104"?> 1 https: / / www.ecml.at/ ECML-Programme/ Programme2012-2015/ ICT-REVandmoreDOTS/ ICT/ tabid/ 1906/ Default.aspx (29/ 05/ 2024). hinwegtäuschen, dass über Unterrichtsprozesse theoretisch reflektiert werden muss und die Fachlichkeit genauso wie pädagogische und didaktische Prinzipien eine wichtige Rolle spielen. Für den Hochschulkontext scheint mir die Verortung in einer wissenschaftsorientierten Fundierung, die sowohl empirische als auch wissenschafts‐ theoretische Aspekte umfasst, unverzichtbar. Beispielsweise kann aus fremd- und zweitsprachendidaktischer Perspektive der Einsatz und die Diskussion bekannter Modelle wie TPACK oder SAMR (vgl. Lütge 2019) einen wertvollen Beitrag dazu leisten, den Anwendungsbezug theoretisch zurückzubinden an eine konzeptionelle Überlegung. • (Fach)didaktische Exemplarizität: Nicht nur mit Blick auf die Überfülle an tools - besonders mit Blick auf digitale Angebote -, sondern auch auf deren Omnipräsenz und ständige Verfügbarkeit ist das eigentlich ja allgemein bekannte Prinzip der Exempla‐ rizität nochmal deutlich hervorzuheben. Auch der exemplarische Einsatz geeigneter Metaportale kann hier sinnvoll sein, mit Blick auf fremd- und zweitsprachendidakti‐ sche Perspektiven hier beispielsweise die Nutzung des Inventory of ICT tools and open educational resources 1 . Küchler (2019) weist darauf hin, dass die deutsche Triade aus Fachwissenschaft, Fachdi‐ daktik und Hochschuldidaktik im anglophonen Wissenschaftsraum so nicht bekannt ist: Stattdessen hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Scholarship of Teaching and Learning heraus‐ gebildet, das sich sowohl mit akademischer Lehre als auch mit der Erforschung von Lehrprozessen beschäftigt und explizit die Erforschung der Hochschullehre anregt (Küchler 2019, 204, nach Shulman 2000, 50). International ist die Forschung zur Wirksamkeit der Lehrerbildung und zu Kompetenzent‐ wicklungen in diesem Bereich sehr weit entwickelt. Unter dem programmatischen Titel Journal of Personal Evaluation in Education etwa widmet sich eine ganze Zeitschrift der Frage nach Auswahl und Beurteilung von Lehrkräften. Die deutsche Hochschuldidaktik, die in der Vergangenheit die „Herausbildung der Lehrkompetenz bei Dozierenden als vorausgesetzt angesehen, dem eigenen Erleben oder der Lektüre von Erfahrungsberichten überlassen hatte“ (Küchler 2019, 205), hat mittlerweile einen anderen Status erlangt (vgl. Huber et al. 2014), der sich in fachspezifischen Fortbildungs- und Zertifikatsprogrammen abbildet. Dennoch ist laut Küchler „die Konkurrenz zwischen prestigeträchtiger Forschung und vernachlässigter Hochschullehre (und ihrer Erforschung)“ damit noch nicht aufge‐ hoben (Küchler 2019, 205). Entwicklungen der jüngeren Hochschuldidaktik sind insbeson‐ dere durch das Paradigma der stärkeren Orientierung an den Belangen Studierender gekennzeichnet, die auch als shift from teaching to learning bezeichnet wird (Wildt 2006; Küchler 2019, 205). Im Zuge der Standardisierung der Lehrerbildung sind im Laufe der letzten 15 Jahre allerdings einheitliche Ansprüche formuliert worden, einerseits mit den Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (KMK 2004) und den Länderge‐ meinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2008), die 2009 durch das Positionspapier des Deutschen 104 Christiane Lütge <?page no="105"?> Anglistenverbands (2009) noch spezifisch für das Studienfach Englisch erweitert wurden. Die Wahrnehmung dieser Papiere, ihre systematische Umsetzung und konzeptionelle Weiterentwicklung der Hochschullehre in den Fremd- und Zweitsprachendidaktiken ist aus meiner Sicht aber nicht konsequent erfolgt. Blickt man spezifisch auf den Fach- und Fachdidaktikfaktor der Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen - unter Auslassung der sogenannten fachwissenschaftlichen Anteile des Studiums (vgl. Lütge 2012) -, so finden sich folgende Qualitätserwartungen, die offensichtlich ja in der Hochschullehre zu leisten sind: Die Studienabsolventinnen und -absolventen verfügen über Kompetenzen in der Fremdsprachen‐ praxis, der Sprachwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Kulturwissenschaft sowie in der Fachdidaktik. Der schulische Fremdsprachenunterricht erfordert, dass die Studienabsolventinnen und -absolventen das im Studium erworbene Wissen systematisch abrufen und ihre Kompetenzen unterrichtsbezogen einsetzen können (KMK 2008, 44). Konkretisiert wurde dies dann wie folgt: Sie [die Studienabsolventen und -absolventinnen] • verfügen über ein vertieftes Sprachwissen und „nativnahes“ Sprachkönnen in der Fremdsprache; • sind in der Lage, ihre fremdsprachliche und interkulturelle Kompetenz auf dem erworbenen Niveau zu erhalten und ständig zu aktualisieren, • können auf vertieftes, strukturiertes und anschlussfähiges Fachwissen in den Teil‐ gebieten der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft zu‐ greifen und grundlegende wie aktuelle Fragestellungen und Methoden erkennen und weiterentwickeln, • verfügen über Erkenntnis- und Arbeitsmethoden des jeweiligen Fachs sowie über einen Habitus des forschenden Lernens, • besitzen die Fähigkeit zur Analyse und Didaktisierung von Texten, insbesondere von literarischen, Sach- und Gebrauchstexten sowie von diskontinuierlichen Texten, • können fachliche und fachdidaktische Fragestellungen und Forschungsergebnisse wis‐ senschaftlich adäquat und reflektiert darstellen sowie die gesellschaftliche Bedeutung der Disziplin und des Fremdsprachenunterrichts in der Schule analytisch beschreiben, • kennen die wichtigsten Ansätze der Sprach-, Literatur-, Kultur- und Mediendidaktik und können diese für den Unterricht nutzen, • verfügen über ausbaufähiges Orientierungswissen und Reflexivität im Hinblick auf fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse auch unter dem Gesichtspunkt von Mehr‐ sprachigkeit • verfügen über vertieftes Wissen zur Entwicklung und Förderung von kommunikativer, interkultureller und textbezogener fremdsprachlicher Kompetenz, methodischer Kom‐ petenz und Sprachlernkompetenz von Schülerinnen und Schülern • verfügen über erste reflektierte Erfahrungen in der kompetenzorientierten Planung und Durchführung von Unterricht in modernen Fremdsprachen und kennen Grund‐ lagen der Leistungsdiagnose und -beurteilung im Fach (KMK 2008, 35). Überlegungen zur Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 105 <?page no="106"?> Ob die Konkretisierungen der Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen als Quali‐ tätsanforderungen an die fremd- und zweitsprachendidaktische Hochschullehre genügen, ist angesichts aktueller gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen allerdings fraglich. 2 Kompetenzentwicklung und Forschungsbezug: Hochschullehre und Lehrerbildung Einerseits sind für die fremdsprachendidaktische Lehre verschiedene Ziele anzustreben, so zum Beispiel die Vorbereitung auf das Agieren als Lehrkraft, was gesellschaftspolitisch vermutlich als die wichtigste oder wesentliche Aufgabe angesehen wird. Andererseits soll bzw. muss Nachwuchs für die Disziplin rekrutiert werden, was aber den Wissenschafts‐ bezug der Hochschullehre ja eher begünstigt. Die Vermittlung von Forschungsmethoden zu Datenerhebungen ist hier nur ein Beispiel. Wichtiger erscheint mir das Selbstverständnis der Disziplin, Forschungs- und Wissenschaftsorientierung auch angesichts immer wieder vorgebrachter Forderungen nach einer Erhöhung des Praxisbezugs überhaupt systematisch und klar zu fokussieren. Grundsätzlich sollte berücksichtigt werden, dass die fremdsprachendidaktische Hoch‐ schullehre immer nur ein Teil der Vorbereitung für eine Tätigkeit als Lehrperson ist und auch die Forschungsbezüge häufig transdisziplinär ausgeprägt sind, etwa im Bereich der Literaturdidaktik und Literaturtheorie mit Blick auf die Erforschung von Aspekten der Literaturvermittlung. Die Hochschullehre in Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften nimmt grundsätzlich - gemeinsam - einen größeren Teil ein als die fremd- oder zweitspra‐ chendidaktische Lehre und auch Forschung. Gleichzeitig scheinen die Erwartungen nach berufsrelevanten Inhalten sich ausschließlich auf die - knapp bemessenen - fachdidakti‐ schen Inhalte der Hochschullehre zu konzentrieren, was deren Anspruch auf Forschungs- und Wissenschaftsorientierung häufig konterkariert. Man mag einwenden, dass es sich um einen Scheinwiderspruch handelt, weil eine künstliche Trennung von Forschung und Lehre ohnehin nicht sinnvoll ist. Sämtliche Formate, die forschendes Lernen unterstützen, scheinen hier grundsätzlich sinnvoll zu sein. Einen forschenden Habitus auszubilden, der praktizistische Lehrformate vermeidet, ist eine der wichtigsten Aufgaben und zunächst einmal unabhängig davon, ob Studierende später an Schulen unterrichten oder sich für eine Promotion in fremd- und zweitsprachendidaktischen Fächern entscheiden. Grundsätzlich sind auch die eingangs beschriebenen Prinzipien, die eine wissenschaft‐ sorientierte Metaebene und die (fach)didaktische Exemplarizität austarieren, aus meiner Sicht Grundvoraussetzungen für eine qualitätsvolle Ausbildung allgemein, nicht nur für diejenigen, die eine Tätigkeit der fremdsprachendidaktischen Forschung (und Lehre ! ) anstreben. Die Entwicklung der Kompetenzen von Lehrkräften hat dabei auch mit der inhaltlichen Spezialisierung zu tun und hier sei daher auf zwei Beispiele hingewiesen, die digitale Bildung und die Literaturdidaktik. Wenn Hochschullehre „critical thinking“ und vielleicht auch etwas, das man Denken auf Vorrat nennen könnte, berücksichtigen soll, so scheint mir 106 Christiane Lütge <?page no="107"?> in der Fremd- und Zweisprachendidaktik der disziplinär schon angelegte Anwendungs‐ bezug selbst zum Objekt wissenschaftlicher Reflexion werden zu können. Mit Blick auf digitale Bildung finden sich beispielsweise auch gesellschaftlich viele Irritationen hinsichtlich aktueller Entwicklungen und manifestieren sich dabei in vielfäl‐ tigen Abwehrreflexen, die wiederum kritisch hinterfragt werden können und Herausfor‐ derungen für die Lehrerbildung beinhalten: „Für Bildung wird Digitalisierung zuweilen als eine neutrale Plattform zur Verteilung von Lernmaterialien verstanden, während gleich‐ zeitig für andere gesellschaftliche Bereiche erhebliche Transformationen erwartet werden“ (Allert/ Asmussen/ Richter 2017, 29). Daraus ergibt sich eine Reihe von Ansprüchen an die universitäre Lehrerbildung und hier insbesondere an die Fachdidaktiken der Philologien und für die Konzipierung der Hochschullehre (vgl. Lütge 2019): • Veränderungen des Fachlichen durch digitalen Wandel sollten stärker rezipiert werden (z. B. digitale Literatur). Die enge Verbindung der Fachlichkeit und Medialität über neue digitale Formate sollte konzeptionell begleitet werden, z. B. mit Blick auf die Entwicklung neuer Literatur-Apps, die systematisch in der Hochschullehre evaluiert werden. • Positivistischen Trends der Quantifizierbarkeit durch digitale Methoden sollte kritisch begegnet werden. Insbesondere der Rückfall in behavioristische Lernkontexte durch den Einsatz simplifizierender digitaler Formate sollte vermieden werden, was wie‐ derum in der Lehre kritisch diskutiert werden sollte. • Als Heuristik für die Weiterentwicklung literatur- und mediendidaktischer und auch allgemein fachdidaktischer Modelle der Kompetenzentwicklung kann der digitale Wandel mit seinen weitreichenden Folgen wichtige Anstöße für die Lehrerbildung geben. Hier sind z. B. Ansprüche an das literarische Lernen in der digitalen Welt zu formulieren, und zwar auch explizit mit Blick auf analoge Lernkontexte sowie Medienverbünde, die in Lehrveranstaltungen. Hier sei besonders auf die 19 Lehrkompetenzen für das Unterrichten in einer digitalisierten Welt (vgl. Schultz-Pernice et al. 2017) verwiesen. Hier werden die vier Kernbereiche „Planung und Entwicklung“, „Realisierung“, „Evaluation“, „Sharing“ vorgestellt, die sich in ihren Einzelkompetenzen sinnvoll ergänzen. Während die Einzelkompetenzen im Bereich „Planung und Entwicklung“ stärker - wenn auch nicht ausschließlich - für die universitäre Lehrerbildung relevant sind, können insbesondere die drei letzteren für die zweite und dritte Phase der Lehrerbildung besonders hilfreich sein: z. B. Strategien zum Umgang mit medienbezogenen Verhaltensproblemen, die Reflexion des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht oder die Kommunikation und Weitergabe digitaler Unterrichtsszenarien im jeweiligen Unterrichtsfach finden eher in der praktischen Anwendung im Schulkontext einen sinnvollen Anwendungsbezug. Mit Blick auf hochschuldidaktische Aspekte der Vermittlung von Literatur kommen eine klare Zielstellung, Besonderheiten der ausgewählten Literatur ebenso wie Theorien und Modelle zur Geltung (vgl. Küchler 2019, 210). Im Sinne eines hochschuldidaktischen Dreiecks (vgl. Wildt 2006) und in Anlehnung an Küchler (2019) und Showalter (2003) lassen sich Orientierungspunkte identifizieren, von denen hier nur auf einen Aspekt eingegangen werden soll. Mit Blick auf den sogenannten shift from teaching to learning Überlegungen zur Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 107 <?page no="108"?> wird der Fokus auf Studierende, Lernbedingungen und deren Textbegegnung in einem durch Interaktion und Kollaboration gekennzeichneten Lernprozess gerichtet. Indem die „Aufmerksamkeit sich auf die Interaktion der Studierenden mit dem Text richtet, können Gelingensbedingungen für das kognitive wie affektive Entdecken von Textstrukturen, die aktive Auseinandersetzung mit Literatur angeregt werden“ (Küchler 2019, 211). Das Interesse richtet sich somit auf die Frage, wie Studierende Literatur lernen und wie sie beim Erlernen literarischer Kompetenzen unterstützt werden können, schließlich aber auch, wie dieser Prozess erforscht und reflektiert werden kann. 3 Dilemmata der Lehrerbildung: Zwischen Qualitätsstandards und Pragmatismus Es stellt ein Dilemma für die Lehrerbildung insgesamt dar, wenn Konzepte und Qualitäts‐ kriterien für Quer- und Seiteneinsteiger: innen sich unterscheiden (könnten) von denen der regulären Lehrerkräftebildung. Man mag durchaus konstatieren, dass es ein Gebot des Pragmatismus ist, im Sinne eines funktionierenden Gesamtsystems hier auch Abstriche zu machen, nicht durch unerfüllbare Erwartungen Maximalstandards zu errichten, son‐ dern sich - zumindest übergangsweise - konstruktiv diesen wie auch anderen Heraus‐ forderung der Lehrkräfteausbildung zu stellen. Aus meiner Sicht ist die Formulierung unterschiedlicher Konzepte und Qualitätskriterien aber eigentlich doch immer kritisch zu sehen, da die Befürchtung besteht, dass eine „abgespeckte“ zweitbeste Variante Tür und Tor öffnen könnte zu einer Abwertung der ursprünglichen, die in der Folge dann weiteren Sparbemühungen zum Opfer fallen könnte, sei es durch kultusministerielle oder hochschulpolitische Maßnahmen. Vermeiden ließe sich dies vermutlich nur durch Konzepte, die für Quereinsteiger: innen Module der Weiter- und Fortbildung in anderer Weise verbindlich vorschreiben würden als bei den regulären Studierenden, um so für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. Das Papier des Wissenschaftsrats (2023) zum Fach Mathematik thematisiert genau diese Befürchtung und könnte zum Anlass genommen werden, die Auswirkungen für Fremd- und Zweitsprachendidaktiken zu reflektieren. Eine zentrale Aufgabe in der fremdsprachendidaktischen Lehrkräfteausbildung besteht auch darin, gesellschaftliche Dynamiken der Globalisierung und des digitalen Wandels nicht aus dem Blick zu verlieren und offen für technologische Neuerungen und Weiterent‐ wicklungen sowie deren gesellschaftlicher Reflexion zu bleiben. Dies erfordert von allen Beteiligten u. a. „digitale Flexibilität“ (Lütge/ Merse 2021), also die Fähigkeit zur „Reflexion und ein generelles Bewusstsein für die Notwendigkeit […], sich an rasch wechselnde Bedingungen im Sprachlern- und -lehrumfeld anzupassen“ (ebd.). Ebenso werden aber die Herausforderungen, die sich mit gesellschaftlichen und transkulturellen Entwicklungen beschäftigen, z. B. im Kontext von Global Citizenship Education vermutlich noch mehr an Bedeutung gewinnen. Auch an der Schnittstelle beider Bereiche bildet sich ein neues For‐ schungsfeld, das unter dem Dach des Digital Citizenship ganz neue Bezugsfelder eröffnet, die für die Fremd- und Zweitsprachenforschung, aber auch die hochschuldidaktische Lehre eine wichtige Rolle spielen sollte (Lütge/ Merse 2021). U.a. wurden im ERASMUS-Projekt DICE-Lang open educational resources entwickelt, die in der Hochschullehre - nicht nur an den fünf beteiligten Partnerinstitutionen - bereits regelmäßig eingesetzt werden. 108 Christiane Lütge <?page no="109"?> Auch das Potential von Virtual Reality (VR) und Künstliche Intelligenz (KI) ist hier zu nennen und liegt in diesem Kontext u. a. in der Multimodalität und Interaktivität, die mit den daraus resultierenden kommunikativen Praktiken innovative Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht versprechen. Die Anwendungsbereiche der Künstlichen Intelligenz, vor allem aber der Generativen KI-tools stellen möglicherweise etablierte Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts in Frage und ermutigen dazu, neue Perspektiven für die Zukunft des Sprachenlernens zu entwickeln. Diese Veränderungen stellen sowohl für im Schulbetrieb tätige als auch für künftige Lehrkräfte eine bisher nie dagewesene Herausforderung dar: Sie changieren zwischen bekannten und etablierten Unterrichtsroutinen und den neuen Anforderungen einer Bildung für eine digitale Gegenwart und Zukunft (Lütge/ Merse 2021). Es ist nicht zuletzt Aufgabe der fremdsprachendidaktischen Forschung und der Lehrkräfte‐ bildung im Angesicht dieses herausfordernden Entwicklungsprozesses Diskussionsräume, Orientierung und Unterstützung zu bieten und auf diesem Wege das Versprechen der digitalen Bildung nicht nur für einen innovativen und kommunikativen Fremdsprachen‐ unterricht umzusetzen, sondern auch systematisch in der Hochschullehre. Literatur Allert, Heidrun/ Asmussen, Michael/ Richter, Christoph (Hrsg.) (2017): Digitalität und Selbst. Interdis‐ ziplinäre Perspektiven auf Subjektivierungs- und Bildungsprozesse. Bielefeld: transcript. Burwitz-Melzer, Eva/ Riemer, Claudia/ Schmelter, Lars (Hrsg.) 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In einer ersten Phase setzen sie sich mit den theoretischen Grund‐ lagen des Konzepts auseinander und lernen Ziele von Sprachlernberatung, Rollen und Kompetenzen von Sprachlernberaterinnen und -beratern kennen, grenzen diese von den Rollen von Lehrkräften ab und reflektieren darüber. Neben dem theoretischen Input seitens der Dozierenden findet eine erste Praxisphase im Sinne der Verknüpfung von Theorie(-wissen) und Praxis(-erfahrung) statt: Die Studierenden nehmen als Ratsuchende an einer Sprachlernberatung im Rahmen der Selbst-Lern-Werkstatt Romanistik teil. An‐ schließend nehmen sie die Perspektive der Beratenden ein. Sie analysieren und disku‐ tieren zunächst theoriegestützt videographierte Sprachlernberatungen hinsichtlich der zu erwerbenden Beraterkompetenzen. Anknüpfend an diese Analysephase führen die Studierenden Simulationen durch, die ihnen ermöglichen, in einem „geschützten Raum“ die Praktiken und Handlungsschemata des Beraters zu erproben und verschiedene Ressourcen zu mobilisieren, um den Anforderungen der simulierten Situation gerecht zu werden (vgl. Le Boterf 2016, 85). In der letzten Phase lernen die Lehramtsstudierenden, ‚echte‘ Beratungsgespräche mit Französisch- oder Spanischschülerinnen und -schülern konkret zu planen und durchzuführen. So werden sie dazu angehalten, ihr theoretisches Wissen mit den Schülerinnen und Schülern in die Praxis umzusetzen und über die Entwicklung ihrer Beratungskompetenzen theoriegeleitet nachzudenken. Die Sprachlernberatungen werden per Audio oder Video dokumentiert und von den Studierenden zum Zweck <?page no="112"?> 1 Eine genauere Darstellung dieser Lehrveranstaltung findet sich in Martinez (2021; 2023). einer Analyse teilweise transkribiert. Die Daten bilden die Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit ihren im Laufe des Seminars erworbenen Beratungskompetenzen. 1 Bei dem angeführten Lernszenario handelt es sich um ein Beispiel für Lehr-/ Lerngele‐ genheiten, wie sie im Bereich der Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Gießen entwickelt und angeboten werden. Die Lerngelegenheiten beruhen auf der Relevanz der „theoretisch-konzeptuelle[n] Durchdringung und Analyse beobachteter oder selbst erfahrener Praxis“ (Expertenkommission 2006, 8; zit. nach Herzmann/ König 2016, 157) sowie auf den Prozessen des forschenden und (selbst-)reflexiven Lernens. Im Rahmen der Lernsettings werden Studierende angeregt, über professionsorientierte Handlungen zu lernen und zu reflektieren verschiedene, miteinander verbundene Perspektiven einzu‐ nehmen: die Perspektive der Lernenden, die Perspektive der Lehrenden und die Perspektive der Forschenden. Auf dieser Grundlage ergeben sich drei (Proto-)Typen von Lehr- und Lerngelegenheiten, die als Grundlage für das Lehrerbildungskonzept im Bereich der Didaktik der romanischen Sprachen dienen (siehe auch Martinez 2018; 2023). (Proto-)Typ 1: Fokus Lernen - Grundlage für reflektiertes Sprachenlernen Prototyp 1 fokussiert auf den Prozess des (Fremdsprachen-)Lernens. Lehramtsstudierende romanischer Sprachen sind in der Regel immer auch noch Fremdsprachenlernende - wenn auch fortgeschrittene. Als Lernende sollten sie im Rahmen von fremdsprachendidaktischen Lehrveranstaltungen angeregt werden, neben der Analyse und Bearbeitung ‚fremder‘ Lern- und Zweitsprachenerwerbsprozesse auch ihre eigenen Fremdsprachenerwerbsprozesse, ihre eigenen Lernervariablen sowie die eigenen subjektiven Lerntheorien auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse bewusst nachzuvollziehen und zu reflektieren. (Proto-)Typ 2: Fokus Lehren - Grundlage für kritisches und theoriegeleitetes Handeln Prototyp 2 fokussiert auf den Prozess des (Fremdsprachen-)Lehrens. Im Rahmen von schul‐ praktischen Studien und fachdidaktischen Seminaren werden Studierende als angehende Lehrkräfte mit der Unterstützung von Unterrichtsvideos, Micro-teaching und Besprechung von Unterrichtsstunden angeregt, ihre Lehrvorstellungen zu reflektieren, Unterricht zu beobachten, kritisch zu analysieren aber auch zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Sie werden dabei begleitend angeleitet, sich ihrer Lehrerrolle und ihres beruflichen Selbst‐ verständnisses bewusst zu werden (Redeanteil, Schüler-Lehrerbeziehung, Fehlerkorrektur, Gender awareness etc.) und sich damit kritisch auseinanderzusetzen. Im Rahmen der Schulpraktika werden sie ermutigt, begrenzte Aktionsforschungsprojekte zu planen, zu analysieren und zu reflektieren. In fachdidaktischen Lehrveranstaltungen sollten den angehenden Lehrern und Lehre‐ rinnen über den rein universitären Kontext hinaus Gelegenheiten ermöglicht werden, studentische Lehrprojekte oder selbst erstellte Aufgabenformate in einem schulischen Kontext zu erproben, sie mit Schülerinnen und Schülern und praktizierenden Lehrkräften zu diskutieren, zu evaluieren und die Erkenntnisse wieder in entsprechende Seminare einzubringen. 112 Hélène Martinez <?page no="113"?> (Proto-)Typ 3: Fokus Forschen---Grundlage für eine forschende Haltung Prototyp 3 fokussiert auf den Prozess des Forschens. Lehramtsstudierende sollten die Rolle von Forscherinnen und Forschern einnehmen und forschungsbezogene Projekte planen und durchführen, entstandene Daten analysieren und das gesamte Forschungsprojekt im Hinblick auf seine Relevanz für die fremdsprachliche Schulpraxis evaluieren. In der Auseinandersetzung mit einem konkreten Projekt - wie zum Beispiel der Entwicklung, Durchführung und Auswertung einer Fragebogenstudie zu Einstellungen von Schülerinnen und Schülern bezüglich „Mehrsprachigkeit“, „Übungen und Aufgaben“ oder „digitale Me‐ dien“ - sollten sie lernen, Fragen an die Praxis zu stellen, Antworten und Lösungsstrategien zu suchen, die Relevanz theoretischer Erkenntnis für die Praxis zu reflektieren und eine forschende und reflexive Haltung zu entwickeln. Die angebotenen Lehr-/ Lerngelegenheiten werden im Sinne von Le Boterf (2016, 84) ver‐ standen als „un ensemble d’opportunités [c’est-à-dire un ensemble de] situations diverses d’apprentissage, chacune d’entre elles pouvant apporter une contribution spécifique à un parcours de professionnalisation“. Sie beruhen auf der Verknüpfung wissenschaftlicher Reflexion und Praxiserfahrungen, basieren auf einer Kooperation mit Schulen und ermög‐ lichen so den Studierenden Rollenübernahme, Perspektivenwechsel sowie eine aktive Auseinandersetzung mit elementaren Professionalisierungsprozessen. Die Lernangebote orientieren sich an den folgenden relevanten und interdependenten Prinzipien der Lehrerbildung: • Forschendes Lernen (u.-a. Fichten 2010; Homt/ Bloh 2023) und damit Reflexivität (u.-a. Abendroth-Timmer 2017; Caspari 2020) • Lernerautonomie ( Jiménez Raya et al. 2007; Martinez 2008) bzw. self-regulation • Aktives Lernen und student engagement bzw. involvement Das Konzept des aktiven Lernens wird allgemein definiert als „anything that involves students in doing things and thinking about the things they are doing“ (Bonwell/ Eison 1991). Der Begriff wurde 1991 von Charles Bonwell und James Eison in ihrer wegwei‐ senden Publikation Active Learning: Creating excitement in the classroom geprägt. Aktives Lernen wird darin als pädagogisch und empirisch begründeter Gegenentwurf zu einer traditionellen und instruktivistisch geprägten Hochschullehre - überwiegend in Form von Vorlesungen - dargestellt. Die Autoren weisen darauf hin, dass das Konzept weder einen erkennbaren Ursprung noch eine einheitliche Definition zu haben scheint. Diesbe‐ züglich wird zwar auf Vygotzky verwiesen, allerdings lässt sich kein eindeutiger Bezug herstellen. Kennzeichnend für das Konzept ist „a method of learning in which students are actively or experientially involved in the learning process and where there are different levels of active learning, depending on student involvement“ (Weltman 2008, 8; s. auch Bonwell/ Eison 1991). Aktives Lernen basiert demnach auf einer expliziten Beteiligung der Lernenden am Lehr- und Lernprozess (Stichwort: partizipatives Lernen). Es steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept des experiential learning (Kohonen 1992), bei dem die Lernenden durch Handeln und Reflexion von Erfahrungen lernen, sowie mit dem Konzept des Projektlernens (Legutke/ Thomas 1991). Weitere verwandte Begriffe sind selbstständiges Lernen und Lernerautonomie bzw. self-regulation, die durchweg auf dem Prinzip der aktiven und reflexiven Gestaltung des Lernprozesses durch das Individuum Muss der fremdsprachendidaktische Hochschulunterricht etwa umkehren? 113 <?page no="114"?> beruhen. Allen Konzepten ist gemein, dass sie das lernende Subjekt in deutlich stärkerem Maße in die Gestaltung des Lehr-/ Lerngeschehens einbinden. Eng mit dem Konzept der studentischen Aktivierung verbunden und gleichfalls als Erfolgsfaktor in der Hochschulbildung gesehen ist das Konzept des student engagement oder student involvement (vgl. Astin 1999). Es wird als „the amount of physical and psychological energy that the student devotes to the academic experience“ (ebd., 558) beschrieben. In der aktuellen Diskussion um digitale Lehre schlagen Redmond et al. (2018) einen um‐ fassenden und wegweisenden konzeptuellen Rahmen - das Online Engagement Framework for Higher Education - vor, mit insgesamt fünf Dimensionen für das online engagement - welche ebenso Gültigkeit für eine Präsenzlehre beanspruchen können: die soziale, kognitive, verhaltensbezogene, emotionale und kollaborative Dimension. • Soziales Engagement bezieht sich auf die Beziehungen der Studierenden zu anderen (Kommilitonen und Lehrpersonen), ihr Gefühl von Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Beziehung, Vertrauen und Respekt. „Social engagement involves building rapport, respect, and trust to create a sense of belonging and group cohesion within a learning community“ (Sinha et al. 2015; Wright et al. 2013; zitiert nach Redmon et el. 2018, 191). • Kognitives Engagement beinhaltet die psychologische Investition der Studierenden in den Lernprozess. Es bezieht sich auf das, was Lernende tun und denken, um das Lernen zu fördern. Es ist gekennzeichnet durch das Bemühen der Lernenden, das Gelernte zu verstehen und ein möglichst hohes Verständnisniveau in einem bestimmten Lernbereich zu erreichen (vgl. da Rocha Seixas et al. 2016). „Learners who are deeply cognitively engaged self-regulate or use metacognitive strategies to plan, monitor, and evaluate their cognition when accomplishing tasks“ (Fredricks et al. 2004, 64). • Verhaltensbezogenes Engagement umfasst die Teilnahme und das Engagement der Studierenden an universitären und außeruniversitären Aktivitäten und die positiven Einstellungen der Studierenden bei der Durchführung dieser Aktivitäten. „Students who are behaviorally engaged are characterized by [their] positive conduct, class participation, involvement in the learning task, high effort and persistence, positive attitudes, and self-regulation of their learning“ (Young 2010, 2 zitiert nach Redmond et al. 2018, 193). • Kollaboratives Engagement bezeichnet die Einbindung der Studierenden in einen (Online-)Kurs durch gemeinsame Aufgaben, Diskussionen und kooperatives Arbeiten miteinander. • Emotionales Engagement umfasst die affektiven und emotionalen Beziehungen der Studierenden zu den Aktivitäten der Fächer sowie die positiven und negativen emotionalen Reaktionen der Studierenden auf das Lernen, einschließlich Interesse, Langeweile, Freude, Traurigkeit und Angst. Die verschiedenen Dimensionen verdeutlichen die Komplexität des Konzepts, das ver‐ schiedene Konstrukte umfasst und auf unterschiedliche Forschungsfelder verweist (vgl. Fredricks et al. 2004). Die Studierendenzentrierung stellt eine weitere theoretische Grundlage für das Konzept des student engagement bzw. involvement dar. Im Konzept der Studierendenzentrierung 114 Hélène Martinez <?page no="115"?> werden Studierende und deren Aktivitäten als für den Lernprozess zentral betrachtet. Die Lehrenden sehen es hierbei als ihre Aufgabe, die Eigenaktivität der Studierenden anzuregen und so den Wissens- und Kompetenzerwerb zu unterstützen (vgl. Müller/ Braun 2018, 653). Aus der Perspektive des student engagement bzw. involvement ist im Hinblick auf die Qua‐ litätsentwicklung der Lehre an Hochschulen daher die Frage bedeutsam, wie Studierende in lernförderliche Aktivitäten einbezogen werden. D.h. die Qualität der Hochschullehre wird daran gemessen, inwieweit Studierende aktiv beteiligt werden und wie diese Beteiligung gefördert wird. Bei diesem Ansatz steht nicht das Curriculum im Vordergrund, sondern vielmehr die aktive Teilnahme der Studierenden. Nicht allein die Ausstattung, sondern die effektive Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten wird als entscheidend erachtet (vgl. Müller/ Braun 2018, 652). Studentisches Engagement setzt dementsprechend die Entwick‐ lung aktivierender Lerngelegenheiten und Strategien voraus (Camacho/ Legare 2015). Dies geht einher mit der Qualität der Didaktik und Methodik der Hochschullehre und nicht zuletzt auch mit der Fähigkeit der jeweiligen Hochschullehrenden, sich zu hinterfragen und die eigene Lehrtätigkeit kritisch zu reflektieren. Das Online Engagement Framework for Higher Education von Redmond et al. (2018) ist ein klar definierter Leitfaden zur Unterstützung von Lehrenden bei der Reflexion und Planung von Lehr- und Lernaktivitäten. Der Rahmen enthält eine Reihe von sehr konkreten Indikatoren zur Illustration der jeweiligen Dimensionen studentischen Engagements. Die Indikatoren bieten sich durchaus als Orientierung für die Analyse und Gestaltung adäquater Lehr- und Lernformate an. 2 Zur Frage der Nachwuchsförderung: Studentisches Engagement und Elemente forschenden Lernens Forschendes Lernen bzw. Elemente forschenden Lernens sind aktivierende Ansätze par excellence, denn „das bildende Moment manifestiert sich in aus wissenschaftsimmanenten Merkmalen gespeisten Handlungen, also im „Suchen und Finden, Problematisieren und Verstehen, ‚Staunen’ und Erfinden, Untersuchen und Darstellen“ (vgl. Huber 2003, 18; zitiert nach Fichten 2010). Forschungsorientierte Lehrveranstaltungen (vgl. (Proto-)Typ 3) erscheinen demnach geeignet, nicht nur eine forschende Haltung bei Studierenden zu fördern, sondern Stu‐ dierende auch im Hinblick auf eine wissenschaftliche Karriere zu sensibilisieren. Im Rahmen von Lehrveranstaltungen zur Sprachlernberatung bzw. zum Sprachlerncoaching (siehe Eingangsszenario) werden eigenständig durchgeführte Sprachlernberatungen mit Schülerinnen und Schülern per Video oder Audio dokumentiert, transkribiert und liefern so eine umfangreiche Datenbasis für anschließende Analyse- und Lernprozesse. Der Umgang mit empirischen Daten kann dabei sinnvoll z. B. mit videographierten Beratungssequenzen, ihrer Transkription und ihrer Analyse erlernt werden. Solche Lehrveranstaltungen mit einem forschungsorientierten Schwerpunkt ermöglichen einen Einblick in die Forschungs‐ methoden der Fremd- und Zweitsprachendidaktik und erlauben Studierenden, sich mit grundlegenden forschungsbezogenen Fragestellungen und Werkzeugen vertraut zu ma‐ chen. Muss der fremdsprachendidaktische Hochschulunterricht etwa umkehren? 115 <?page no="116"?> 2 Im Rahmen des Gießener Projekts „Sprachlernberatung macht Schule“ haben Studierende eigenver‐ antwortlich mitgearbeitet. Die selbstständige Generierung, Aufbereitung, Analyse von (eigenen) empirischen Daten kann darüber hinaus zu einer wissenschaftlichen Qualifikation beitragen. Die Studierenden werden in der Rolle als „Forschende und sich selbst Beforschende“ angeregt, eigene videographierte Unterrichtssequenzen oder dokumentierte Sprachlernberatungen unter unterschiedlichen Blickwinkeln zu analysieren, z. B. im Hinblick auf die Erstellung von Lernmaterialien (in Form von aufbereiteten interaktiven Lernvideos) für andere Stu‐ dierende. Dies unterstützt die Förderung einer Fülle analytischer und weiterer Fertigkeiten und trägt zur Entwicklung didaktischer, digitaler und forschungsbezogener Kompetenzen bei. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden die Materialien und die Ergebnisse in zukünftige Lehrveranstaltungen integriert bzw. auf andere Lehr-/ Lernkontexte (Fort- und Weiterbil‐ dung) transferiert. Über die o. g. Lehraspekte hinaus kann die Durchführung von (begrenzten) Forschungs‐ projekten im Rahmen von wissenschaftlichen Hausarbeiten ein erster Grundstein für eine Qualifikationsarbeit sein. So sind in den letzten Jahren im Rahmen fachdidakti‐ scher Seminare zur Sprachlernberatung Master- und Staatsexamensarbeiten entstanden, die sich mit der Analyse von Beratungskompetenzen auf der Basis videographierter Beratungssequenzen oder mit der Frage des Transfers von Sprachlernberatung in den schulischen Kontext beschäftigen (u. a. Schwarz 2022). Darüber hinaus ermöglicht die Teilnahme an Konferenzen oder Drittmittelprojekten 2 sowie an Doktorandenkolloquien den Studierenden, den Blick über den eigenen Horizont hinaus zu lenken und sie für mögliche Forschungsfragen zu sensibilisieren. Nicht zuletzt erscheint die Einbindung von Studierenden in Forschungsprojekte mit Potenzial für anschließende Veröffentlichungen sinnvoll. 3 Zur Frage der Lehrerfort- und Weiterbildung: Engagement der Lehrpersonen und Elemente forschenden Lernens Lehrerfort- und Weiterbildungen gelten als wesentliche Interventionen zur Steigerung der Qualität des Unterrichts und der Professionalisierung von Lehrkräften. Punktuelle kurze Fortbildungsmaßnahmen sind dabei die häufigsten durchgeführten Formate. Aller‐ dings stellt sich die Frage nach ihrer langfristigen Zielführung und ihrer tatsächlichen Wirksamkeit auf die Unterrichtspraxis (Lipowsky/ Rzejak 2019, 42). Wirksame Fortbildung erfordert eine Verschränkung von Input-, Erprobungs-, Feedback- und Reflexionsphasen (ebd.). Die Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung machen deutlich, dass alternative Formate gefordert sind, die - ebenso wie für die 1. Phase der Lehrerbildung - auf einer Verknüpfung von Theorie(-wissen) und Praxis(-Erfahrung) basieren und die teilnehmenden Lehrkräfte aktiv einbinden und somit eine (hoffentlich) nachhaltigere Professionalisierung ermöglichen. Konzepte des Forschenden Lernens bzw. der Aktionsforschung sind bereits seit langem in der Hochschullehre und -didaktik etabliert (u. a. Bechtel 2015; Benitt 2015). Es gilt allerdings, 116 Hélène Martinez <?page no="117"?> 3 Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Universitäten hat eine lange Tradition in Deutschland, wenn auch nicht im Rahmen der Fremdsprachendidaktik. Alternativ zu fest an Universitäten institutionalisierten Schulen zeigen sich Bewegungen zur Initiierung universitätsbezogener Schul‐ netzwerke und sogenannter „Campusschulen“ (Kauertz et al. 2019). diese Formate auch für die Fort- und Weiterbildung bewusster zu implementieren unter der Anleitung und Begleitung unserer fachdidaktischen Disziplin. Eng mit dem Konzept des Forschenden Lernens und der Aktionsforschung verbunden ist das Konzept der Partnerschulen als professioneller Arbeits- und Lerngemeinschaft 3 , in der alle Akteure - Studierende, Lehrpersonen und Dozierende - intensiv kommunizieren und kooperieren, im Sinne der Erreichung der Ziele sowohl der Ausbildung als auch der Schule. Das betrifft Lernprozesse und Entwicklung der Studierenden, der Schülerinnen und Schüler wie auch der beteiligten Lehrpersonen und der Dozierenden (vgl. Fraefel/ Haunerger 2012, 188). Kennzeichnend dafür sind nach Fraefel/ Haunerger (2012, 186): 1. Eine optimale Nutzung und Integration von Wissensbeständen aus Theorie und Praxis, d. h. Rückgriff auf alle verfügbaren Ressourcen theoretischen und praktischen Wissens, die zur konkreten Problemlösung beitragen können, und damit kein „Aus‐ blenden“ insbesondere wissenschaftlichen Wissens und keine Deprofessionalisierung gerade unter Stressbedingungen; 2. Kooperation in Communities of Practice (Lave/ Wenger 1991; Wenger 1998), d. h. durch die Schule legitimierte und mitverantwortliche Partizipation an Aktivitäten und Entscheidungen in Schule und Unterricht und damit Kooperationen „auf Augenhöhe“. Auch das kooperative Forschen von Lehrkräften und Wissenschaftlerinnen und Wissen‐ schaftlern im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten (Stichwort: collabora‐ tive research) dient als anerkanntes Instrument der Professionalisierung. Dieses kooperative Forschen soll nicht nur durch praxisnahe Forschungsergebnisse eine spezifische Form der Schulforschung vorantreiben, sondern auch seit jeher eine praxisnahe Professionalisierung von Lehrkräften über Forschungstätigkeiten intendieren. Solche Kooperationen könnten jedoch sicher durch die aktive Einbeziehung von Studierenden an Relevanz gewinnen (vgl. Punkt 1 und 2). Die Ausgestaltung alternativer Fort- und Weiterbildungsangebote bedarf selbstverständ‐ lich einer unterstützenden Begleitung. Erste Studien zu Coaching-Elementen in der Leh‐ rerfortbildung zeigen positive Ergebnisse (vgl. Lipowsky/ Rzejak 2019). Sie betonen u. a. die Notwendigkeit eines Feedbacks für die Anregung von Reflexionsprozessen und das Empo‐ werment von Lehrpersonen. Zurzeit existieren diverse Konzeptionen mit unterschiedlichen Zielen und der Einbeziehung unterschiedlicher Instrumente (siehe Lipowsky/ Rzejak 2019, 28 ff.). Auch das Coaching unter Peers wird aktuell als zielführende lernbegleitende Maßnahme in der Lehrerbildung betrachtet (vgl. Schnebel 2019). Es gilt, alle diese scaf‐ folding-Angebote systematisch in den unterschiedlichen Phasen der Lehrerbildung im Hinblick auf ihre Wirksamkeit zu analysieren und wirksame Coaching-Elemente in die fremdsprachendidaktische Hochschullehre zu integrieren. Muss der fremdsprachendidaktische Hochschulunterricht etwa umkehren? 117 <?page no="118"?> 4 Fazit und Ausblick Die oben beschriebenen Lehr-/ Lernformate (Punkt 1) wurden im Rahmen von Fallanalysen auf deren Mehrwert hin untersucht (vgl. Martinez 2021; 2023). Die Ergebnisse der punktu‐ ellen Fallanalysen verdeutlichen, dass die Studierenden nach eigener Aussage • sich kognitiv aber auch emotional und subjektiv mit der Thematik der jeweiligen Seminare auseinandersetzen; • dem erlebten (partizipativen, kooperativen, projektund/ oder forschungsbezogenen) Lernarrangement eine große Bedeutung für die persönliche Entwicklung beimessen; • greifbar, erfahrbar und nachvollziehbar gewordene theoretische Erkenntnisse in die eigene Lehrkonzeption integrieren; • eigene Lernstände und Fortschritte evaluieren und ihr Handeln (z. B. als Sprachlern‐ beraterinnen und -berater) kritisch reflektieren; • ihre Erfahrungen auf den schulischen Fremdsprachenunterricht transferieren und unmittelbare Verbindungen zu ihrer zukünftigen Praxis herstellen. Darüber hinaus fördert diese Form von projektorientierten Lehr-/ Lernformaten wesentlich die Entwicklung von Motivation und nicht zuletzt von Selbstständigkeit. Studierende entwickeln einen eigenständigen, selbstbestimmten Bezug zum Gegenstand des jeweiligen Seminars im Sinne eines rapport au savoir. Das Konzept von rapport au savoir ist in den 1970er Jahren entstanden und verweist prinzipiell auf „l’attitude de possédants que les enseignants et les enseignés peuvent avoir vis-à-vis du savoir“ (Giordan 1977; zitiert nach Hatchuel 2007, 25). Das Konzept betont „la relation de sens, donc de valeur entre un individu (ou un groupe) et les processus ou produits du savoir“ (Charlot 1997; cité par Carré 2005, 111). Bezogen auf die Durchführung von lehr- oder forschungsbezogenen Projekten im Rahmen von fachdidaktischen Seminaren betont rapport au savoir die Sinnhaftigkeit und die Relevanz, die Studierende dem Lernprozess und dem Lernprodukt zuweisen. Studierende sind dabei in der Regel intrinsisch motiviert bzw. können ihre Motivation selbst regulieren und authentifizieren (z. B. indem sie fremdgesteuerte Ziele als relevant und somit als letztlich ihre eigenen betrachten). Das gemeinsam durchgeführte Projekt wird als ihr eigenes angesehen und sie entfalten vielfältige Lösungsstrategien. Die erfolgreiche Regulierung der Lernmotivation scheint von den positiven Einstellungen gegenüber dem Projekt, von dem Gefühl von Selbstwirksamkeit und von der Authentizität und Relevanz von Lernhandlungen abzuhängen. Im Sinne der Selbstbestimmungstheorie erfahren die Studierenden sich als „an agent, the ‚locus of causality’ of one’s behavior“ (Ryan 1991, 210; zitiert nach Littlewood 1999, 74) - ganz im Sinne studentischen Engagements. Considerable research, for example, suggests that students’ degree of involvement in learning tasks can be influenced by whether they believe that their behaviour is controlled by internal or by external factors. Weiner (1979) argued that even if students tend to view their locus of control as internal, involvement may be further contingent on whether the internal factors are controllable (e.g., dependent on effort) or uncontrollable (e.g., dependent on ability). It seems clear that the effectiveness of any attempt to increase student involvement is highly contingent on the student’s perceived locus of control and attributional inclinations (Astin 1999, 528). 118 Hélène Martinez <?page no="119"?> Diese im Rahmen von Fallanalysen erhobenen Ergebnisse sind allerdings punktuell und begrenzt. Im Sinne des forschenden Lernens auch für Dozierende müssten also alle diese Ansätze systematischer wissenschaftlich begleitet werden. Die Statements sind als Plädoyer zu verstehen für eine verstärkte Förderung studen‐ tischen Engagements und die damit einhergehende Übernahme der Verantwortung für die eigene Professionalisierung durch die Entwicklung adäquater Lehr-/ Lernsettings in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden. Es wird davon ausgegangen, dass die beschriebenen Maßnahmen unreflektierten Praktiken angehender sowie praktizierender Lehrpersonen entgegenwirken könnten. Dies klingt plausibel, und erste Fallstudien (vgl. Martinez 2021; 2022; 2023) sind ermutigend, allerdings nicht ausreichend. Wir benötigen longitudinale Studien, die die nachhaltige Wirksamkeit solcher Ansätze von der ersten bis zur dritten Phase der Lehrerbildung empirisch erforschen. Denkbar wäre das Erar‐ beiten eines gemeinsamen Forschungsprojekts im Rahmen der Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, mit der Erhebung unterschiedlicher Facetten des Forschungsgegenstands. Entsprechende Ergebnisse könnten den Mehrwert und das Inno‐ vationspotenzial der Fremdsprachendidaktiken an Hochschulen anschaulicher machen und belegen sowie manche fremdsprachendidaktischen hochschulischen Ausbildungsgänge der Republik zu einem zukunftsorientierteren und nachhaltigeren Umdenken bewegen. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2017): „Reflexive Lehrerbildung und Lehrerforschung in der Fremd‐ sprachendidaktik: Ein Modell zur Definition und Rahmung von Reflexion“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 28/ 1, 101-126. 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Zur Bildung von Lehrenden für zugewanderte Schüler: innen Nicole Marx 1 Herausforderungen der Lehrer: innenbildung für DaZ Die Professionalisierung, d. h. die Aus- und Weiterbildung von Studierenden der Fremd‐ sprachenfächer mit der Zielperspektive Fremdsprachenlehre, ist eine zentrale Frage der zweit- und fremdsprachendidaktischen Fächer, wie die Beiträge der 44. Frühjahrskonferenz belegen. Wie alle Fächer sind auch unsere von sozialen und politischen Entwicklungen stark betroffen. Globale Fragen wie Migration stellen uns vor vielfältige Herausforderungen - es ergeben sich dadurch aber auch Chancen, die Aktualität laufender Studiengänge zu hinterfragen. Im Folgenden greife ich ein spezifisches, oft vernachlässigtes und gleichzeitig alle Hochschulen mit Lehramtsstudiengängen betreffendes Thema auf. Es handelt sich um die (Aus-)Bildung - genauer gesagt, um die fehlende Ausbildung - zukünftiger Lehrender für neu zugewanderte Schüler: innen, und die Frage, welche Probleme sich daraus ergeben, aber auch welche Lösungspotentiale die Hochschulen bieten. Dabei fokussiere ich v. a. die strukturellen Bedürfnisse an den Hochschulen, die sich aus der steigenden Zahl neu Zugewanderter an Schulen ergeben. 2 Lehrer: innenausbildung für neu zugewanderte Schüler: innen Die Fremdsprachenlehrer: innenbildung hat in Deutschland eine lange und dynamische Tradition (vgl. u. a. Klippel 2022). Ausschlaggebend hierfür ist, wie für sonstige Schulfächer, eine feste Verankerung in allen Phasen der Lehrer: innenbildung. Ausnahmen bilden sog. Seiteneinsteiger: innen, die fachfremd einem (vermeintlich) kurzfristig andauernden Lehrendenmangel entgegenwirken sollen, und die ca. 8,4% der schulischen Fremdsprachenlehrkräfte ausmachen (DGFF 2018). Fachverbände verurteilen diese Lösung dezidiert als wenig aussichtsreich; „es erscheint kaum möglich, mit den bisher implementierten berufsbegleitenden Maßnahmen die Einhaltung der KMK-Standards für die Lehrerbildung in den modernen Fremdsprachen zu gewährleisten“ (ebd., 3; s.a. Caspari in diesem Band). In einem Bereich des schulischen Sprachenunterrichts sind fast ausschließlich nicht fachspezifisch ausgebildete Lehrkräfte tätig: Deutsch für neu zugewanderte Schüler: innen. Das liegt an den beinahe vollständig fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten. Denn die Fächer <?page no="124"?> 1 So wurde z. B. der erste Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache bereits 1964 an der Universität Leipzig mit Gerhard Helbig besetzt, erst 1986 der erste für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Essen mit Rupprecht Baur. 2 Das Modul wird in den Bundesländern unterschiedlich benannt, der Einfachheit halber greife ich hier auf die Bezeichnung „DaZ-Modul“ zurück. Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache blicken nicht wie die anderen fremdsprachendidaktischen Fächer auf eine lange und verankerte Tradition für Lehrkräfte in der schulischen Praxis in Deutschland zurück. Das Fach Deutsch als Fremdsprache ent‐ stand v.-a. für die Ausbildung von Deutschlehrkräften in nichtdeutschsprachigen Ländern (vgl. u. a. Altmayer, 2022), und der Großteil der Studiengänge behielt bis in die 2000er-Jahre hinein diesen auslandsorientierten Fokus. 1 Mit dem ersten „PISA-Schock“ und den weiteren Diskussionen zur hiesigen Bildungslandschaft wurden Fragen der sprachlichen Bildung von lebensweltlich mehrsprachigen Schüler: innen in Deutschland präsenter. Damit rückte der inlandsorientierte Fokus, der zwar bereits einen festen, jedoch vergleichsweise kleinen Platz innehatte, immer mehr ins Zentrum. Diese verstärkte mediale und (bildungs-)politische Aufmerksamkeit führte in vielen Bundesländern zu verpflichtenden Studienanteilen im Lehramtsstudium, die allgemein als „DaZ-Modul“ 2 bekannt sind. Das Modul soll Studierende auf die spätere schulische Praxis mit einer (sprachlich) heterogenen Schüler: innenschaft vorbereiten. Kern des Moduls ist die Bestrebung, einen in allen Fächern integrativen Sprachunterricht mitzudenken, denn „auch Fachunterricht ist Sprachunterricht[; ] gerade auch die Fachlehrerinnen und Fachlehrer, und nicht nur die Deutschlehrerinnen und -lehrer, [müssen] linguistisch fundiert auf die Spracharbeit in DaZ vorbereitet sein“ (Apeltauer et al. 2010, 36). Es ging somit nicht primär um das Unterrichten einer (neuen) Sprache und Begegnung mit neuen Kulturkreisen, sondern v. a. um den Weiterausbau schulisch relevanter Deutschkompetenzen bei in Deutschland aufwachsenden (und meist geborenen) Schüler: innen. Ein verpflichtendes, auf die Sprachbildung fokussierendes DaZ-Modul geht diverse Pro‐ bleme an, die mit einer fehlenden Anbindung sprachlicher Themen in den Fachunterricht einhergehen. Sie ist aber keinesfalls unproblematisch. Allen voran betrifft dies den Ertrag: Das DaZ-Modul kann (muss aber nicht) eine erste Auseinandersetzung mit Fragen der sprachlichen Bildung in allen Fächern und für alle Schüler: innen ermöglichen, viel mehr ist in der Kürze der Zeit (so umfasst das Modul z. B. in NRW nur sechs Leistungspunkte (LP) und somit 2-% des Studiums) nicht möglich. Ein sehr breit angelegtes und mit kleinem Umfang ausgestattetes Modul muss Schwer‐ punkte setzen. Eine allgemeine Fokussierung auf Deutsch in allen Fächern, insbesondere - aber nicht nur - mit einem Blick auf lebensweltlich Mehrsprachige, ist unbestreitbar sinnvoll. Gleichzeitig rückt das Modul die Aufmerksamkeit z. T. von einer wichtigen Subpopulation ab, nämlich von Schüler: innen, die im Laufe der regulären Schulzeit nach Deutschland einwandern und Deutsch ab initio lernen müssen. Das hat Konsequenzen für die Lehrendenbildung. Das Gros neu zugewanderter Schüler: innen wird in Deutschlernklassen (im Folgenden: Vorbereitungsklassen) mit je nach Schulmodell bis zu 25 Stunden pro Woche (s.a. Marx 2024) von Personen unterrichtet, die dafür keine grundständige Ausbildung genossen haben. Das bestätigt auch eine kürzlich durchgeführte Befragung mit einer Gelegenheitsstichprobe von 178 Lehrenden 124 Nicole Marx <?page no="125"?> 3 Hierzu gibt es nach wie vor keine genauen Zahlen. Die hier berichtete Zahl basiert auf den vorläufigen Ergebnissen des Mikrozensus 2023 für die Alterskategorie 5-20 (Statistisches Bundesamt 2024). in Vorbereitungsklassen: Nur 82 % haben ein Lehramtsstudium (1. Phase) absolviert, 20 % der Lehrenden unterrichten ohne jegliche (Weiter-)Qualifikation in DaZ/ DaF. Lediglich 16 % weisen einen Hochschulabschluss in DaZ/ DaF auf (Schröter et al. 2024). Da viele Schulen sich nicht einmal solche Vorbereitungsklassen leisten können, werden viele neu zugewanderte Schüler: innen vollständig integrativ im Regelunterricht und oft ohne zusätzliche Deutschförderung beschult - von Lehrenden, die nicht einmal Praxiserfahrung mit der Zielgruppe mitbringen. So unterrichten Lehrkräfte nach wie vor fachfremd und ohne Unterstützung durch cur‐ riculare Richtlinien, Lehrmaterialien oder ein ausgewiesenes, unterstützendes Kollegium. Diese in allen Schulformen gut belegten Probleme (u. a. Decker-Ernst 2017; Gamper et al. 2020; Begon 2023) haben sich in den letzten 40 Jahren nicht geändert (vgl. Liebe‐Harkort 1981). Dass eine unbekannte Anzahl von Lehrenden inzwischen 1,36 Millionen 3 zugewan‐ derte Kinder und Jugendliche in Deutschland unterrichtet und damit 13,3% der Population zwischen 5 und 18 Jahren, zeugt von der Brisanz der Situation. Erstaunlich scheint, dass nötige Ausbildungsstandards gerade im Lehrbetrieb an Schulen fehlen, wenn sogar Lehrende in Sprachkursen für zugewanderte Erwachsene (Integrati‐ onskurse, Berufssprachkurse) DaFbzw. DaZ-Ausbildungsinhalte oder erhebliche Lehr‐ erfahrung in Integrationskursen nachweisen müssen (BAMF 2023). Für Lehrende von Vorbereitungsklassen oder unterstützendem Deutschförderunterricht an Schulen gilt dies nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass es für angehende Lehrkräfte kaum Möglichkeiten gibt, sich während, aber auch nach dem Studium auf diese Situation vorzubereiten. Ein Grund ist die fehlende Anerkennung von Deutsch als Zweitsprache als Schulfach (Ausnahme hierzu ist Bayern, vgl. § 43a LPO I, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2009/ 2021). Als solches darf es im Studium, wenn überhaupt, höchstens als Drittfach oder Ergänzungsfach oder in einem Zusatzstudium belegt werden; und auch dann muss der Fokus nicht zwingend auf der Lehre an und mit zugewanderten Schüler: innen liegen. Das Fehlen einer Verortung als Schulfach schließt die Einrichtung umfangreicherer universitärer Angebote für Lehramtsstudierende aus. Weiter: Das Fehlen von Expert: innen an den Schulen geht Hand in Hand mit dem Fehlen von Expert: innen an den Hochschulen. Denn nur wer ein grundständiges Studium im Fach absolvieren durfte, hat entsprechende Grundlagen, um diese Themen ausreichend in der Hochschullehre und in der eigenen Forschung zu bearbeiten. Um diesen Zustand zu verdeutlichen: Lehrende in den DaZ-Mo‐ dulen setzen sich oft erst im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Weiterqualifikation über‐ haupt mit Fragen der sprachlichen Bildung für Schüler: innen mit Migrationshintergrund auseinander, entsprechend erfolgt die Ausbildung der Lehrenden parallel zu der ihrer Studierenden. Nachwuchswissenschaftler: innen erforschen Themen, denen sie - im Kon‐ trast zu Promovierenden der Fremdsprachendidaktiken - überhaupt neu begegnen. Dies mündet in erschwerten Bedingungen für die Promotionsphase. Der von Apeltauer et al. (2009, 39) benannte „eklatante Mangel an wissenschaftlichem Nachwuchs“ besteht m. E. trotz einer Erhöhung der Anzahl promovierter Personen weiterhin; denn durch den Qualifikationsschnelldurchlauf (nur Promotion anstatt grundständigen Studiums mit Expert: innen braucht das Land! 125 <?page no="126"?> anschließender Promotion) kann relevanten Themen oft nicht in der für ein wissenschaft‐ liches Fach notwendigen Tiefe nachgegangen werden. Dies trifft insbesondere auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich Deutsch für neu zugewan‐ derte Schüler: innen zu. 3 Optionen für die Lehrer: innenausbildung Wie kann vor diesem Hintergrund - fehlende Fokussierung relevanter Themen in allen Phasen der Lehrer: innenbildung sowie in der Gewinnung und Qualifikation von wissen‐ schaftlichem Nachwuchs - die Hochschullehre gestärkt werden? Im Folgenden werden vier potentielle Optionen für die Stärkung der Ausbildung für eine „Sprach(en)lehre für neu zugewanderte Schüler: innen“ vorgestellt und diskutiert. Diese werden in einen Vergleich zur derzeitigen Lage gesetzt. 3.1 Keine Option: Erhalt des Status quo - das DaZ-Modul Diese Option bezieht sich auf den Erhalt eines in zehn Bundesländern zu findenden, z. T. fakultativen, z. T. obligatorischen DaZ-Moduls für Lehramtsstudierende, in dem i. d. R. sprachliche Bildung für Schüler: innen mit Migrationshintergrund (s. o.) thematisiert wird und - je nach Interessensschwerpunkt und Kapazitäten der Dozierenden - vereinzelt Seminare oder Seminarschwerpunkte die Neuzuwanderung in den Fokus nehmen. Je nach Bundesland mit 6 bis 12 LP belegt, soll das Modul eine erste Sensibilisierung für diverse Themen ermöglichen, die mit generationenübergreifender Migration zusammenhängen. Auch wenn die thematische Ergänzung im Lehramtsstudium zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung (zu Recht) als deutliche Verbesserung gefeiert wurde (Baur et al. 2010) - in NRW trat z. B. die Novellierung 2009 in Kraft -, sind die o. g. Konsequenzen deutlich: Eine Fokussierung auf Personen mit Migrationshintergrund führt zu einer Konzentration auf die zahlenmäßig größere Gruppe der hier geborenen Schüler: innen und vernachlässigt gleich‐ zeitig die sehr besondere Situation neu Zugewanderter. Wie die neueste Zusammenfassung zu den DaF- und DaZ-Studienangeboten an deutschen Hochschulen zeigt: „Bei diesen Modulen handelt [sic! ] sich i. d. R. nicht um Qualifizierungen für die unmittelbare Deutsch‐ vermittlung in Willkommens-, Vorbereitungsbzw. Förderklassen“ ( Jung et al. 2017, 4). Weiter bedenklich ist, dass auch dieses Spezifikum allgemeineren Anliegen bezüglich der sprachlichen Bildung weichen muss; beispielhaft gilt für Berlin, dass das ursprünglich für den Unterricht an Schüler: innen mit Zuwanderungsgeschichte konzipierte DaZ-Modul „eine inhaltliche Erweiterung von DaZ zu Sprachbildung für alle Schüler: innen“ (Lütke 2021, 81) erfuhr. Dieser thematische Fokus auf Sprachbildung für alle ist zwar unbestreitbar ein wichtiger Bestandteil des Lehramtsstudiums - ist aber nicht im (engeren) Sinne des DaZ-Moduls zielführend. Neben dieser weitgehenden Vernachlässigung der Zielgruppe neu zugewanderter Schüler: innen in der Lehrer: innenbildung bleiben zwei weitere damit verbundene Probleme bestehen: Erstens profitieren Lehrende, die bereits ihr Studium absolviert haben, nicht von 126 Nicole Marx <?page no="127"?> 4 Dass das derzeitige Modul den allerseitigen Bedarf nicht deckt, ist deutlich und mitunter ein Grund dafür, dass auch in NRW seit dem Frühjahr 2024 koordinierte Bestrebungen zur Novellierung des Moduls durchgeführt werden. 5 https: / / ideall.uni-koeln.de (14/ 01/ 2024); s.a. Begon et al. (2023). den DaZ-Modulen, und zweitens ist die Ausbildung und das Heranziehen wissenschaftli‐ chen Nachwuchses unter den gegebenen Umständen wenig erfolgsversprechend. 4 3.2 Option 1: DaZ-Modul mit Schwerpunktsetzungsoption Die gröbsten Defizite eines sehr breit angelegten DaZ-Moduls sind mit Schwerpunktset‐ zungen anzugehen. Hierbei leisten fächerübergreifende Kooperationen Abhilfe. Ein Beispiel hierfür ist die an der Universität zu Köln seit 2021 bestehende Möglichkeit für Studierende des Masterstudiengangs Lehramt für Sonderpädagogische Förderung mit dem Förderschwerpunkt „Hören und Kommunikation“ (FSP HK, d. h. für die Lehre mit Schüler: innen mit einer Hörbehinderung), den Schwerpunkt „Neuzuwanderung“ zu setzen. Eingebunden werden die vom Fach HK geleiteten Praxisvorbereitungsseminare (1. Semester) sowie das Praxissemester (2. Semester), anschließend belegen Studierende ein für den FSP HK thematisch ausgerichtetes Seminar im DaZ-Modul (3. Semester). Schließlich können sie ihre Masterarbeit interdisziplinär in der Schnittstelle FSP HK und DaZ verorten (4. Semester). 5 Auch fächerübergreifende Schwerpunktsetzungen könnten dazu beitragen, die Auf‐ merksamkeit für die Zielgruppe Zugewanderter zu stärken und erste Forschungsergebnisse mit damit verbundenen Unterrichtsansätzen zu bearbeiten. So bietet sich an, neben den allgemeinen Angeboten zu sprachlicher Bildung im DaZ-Modul (d. h. mit einem traditio‐ nellen DaZ-/ Sprachbildungsschwerpunkt) auch eine Spezifizierung für das Thema Deutsch für Zugewanderte (also ein eher DaF-/ Neuzuwanderungsschwerpunkt) zu verankern. Insbesondere an größeren Standorten dürfte diese Option problemlos möglich sein. An der Universität zu Köln besteht z. B. seit dem Wintersemester 2024/ 2025 der Schwerpunkt „Neuzuwanderung“, der alle Anteile des (noch kleinen) DaZ-Moduls umfasst. Schwerpunktsetzungen im DaZ-Modul eröffnen Möglichkeiten, einen Bezug zur Sprach(en)lehre für neuzugewanderte Schüler: innen ohne Eingriff in bestehende Studi‐ enstrukturen und ohne Änderung von curricularen Rahmenbedingungen herzustellen. Besonders sinnvoll sind derartige Schwerpunktsetzungen, wenn dadurch auch ein spezifi‐ sches Angebot für Studierende mit Bezug zu den zentralen Themen des studierten Faches geschaffen werden kann. Dass diese Option dennoch das Gros der mit der fehlenden Ausbildung verbundenen Probleme nicht löst, dürfte deutlich sein: Eine Schwerpunktset‐ zung in (je nach Umfang des DaZ-Moduls) zwei bis maximal vier Veranstaltungen ersetzt kein fehlendes Studium bzw. Studienschwerpunkt. Es bedarf weiterer Optionen für die Lehrer: innenausbildung für neu zugewanderte Schüler: innen. 3.3 Option 2: Integrierte Zusatzqualifikation Die erste Option bleibt fachintern, d. h. es bedarf nur einer Entscheidung innerhalb des Faches DaZ/ DaF, oder bezieht höchstens ein weiteres Fach ein. Eine zweite Option, die Expert: innen braucht das Land! 127 <?page no="128"?> 6 Auch andere Hochschulen bieten Zusatzqualifikationen an, u. a. die PH Freiburg. M.W. hat aber bislang kein Standort einen Schwerpunkt in Neuzuwanderung. 7 In Bayern kann DaZ in allen Lehrämtern als Erweiterungsfach mit 45 LP oder als Zusatzausbildung mit 38 LP sowie im Rahmen eines anderen Fachs der Mittelstufe mit 21 LP oder der Grundschule mit 13 LP studiert werden. 8 Ein sog. „Teilstudiengang“ (vgl. Drittfach) „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwande‐ rungsgeschichte“ im Grundschullehramt ist in NRW zwar nach der Lehramtszugangsverordnung von 2009, § 2, Abs. 2 möglich, bislang wird er nur von der Universität Duisburg-Essen angeboten; ab dem Wintersemester 2026/ 2027 ist er an der Universität Bielefeld ebenfalls geplant. Für weitere Lehramtsstudiengänge besteht diese Möglichkeit nicht. Kooperationen auf universitärer Ebene, jedoch keine Änderung von Studienstrukturen erforderlich macht, ist die Zusatzqualifikation. Solche Angebote sind nach gültigen Lehr‐ amtszugangsverordnungen zugelassen, sind ohne zusätzliche LP-Belastung in den Studien‐ verlauf interessierter Studierender zu integrieren und haben zudem eine längere Tradition im Fach. Sie müssen allerdings auf Hochschulebene verankert werden, bedürfen somit einer erweiterten Organisationsstruktur. Beispiele hierfür sind die an der Universität Duis‐ burg-Essen 6 schon seit 2014 erfolgreich angebotene Zusatzqualifikation „Sprachbildung in mehrsprachiger Gesellschaft“ mit 20 LP, die im regulären Fachstudium fast vollständig integrativ belegt werden kann (zzgl. das DaZ-Modul sowie eine Themenschwerpunktset‐ zung in Bachelor- und Masterarbeit) sowie das 30 LP umfassende Zertifikatsstudium „Deutsch im Mehrsprachigkeitskontext (DiM)“ für Studierende sprachlicher Fächer an der Humboldt-Universität zu Berlin. Eine solche Zusatzqualifikation ermöglicht das Einbinden interessierter Dozierender aus anderen Lehramtsfächern; gleichzeitig erfordert sie eine Bereitschaft aller Fächer, thematisch passende Veranstaltungen nachhaltig einzurichten. Die Vorteile dieser Option sind zahlreich: Studierende haben die Gelegenheit, sich in ihren jeweiligen Fächern für den Unterricht mit neu zugewanderten Schüler: innen auszu‐ bilden; es entsteht keine zusätzliche LP-Belastung im Studium; eine möglichst interdiszipli‐ näre (DaF/ DaZ + Studienfach) Betreuung der Abschlussarbeit ermöglicht eine individuelle Kenntnisvertiefung; auch Praxisanteile können zielgerichtet ausgerichtet werden. Gleich‐ zeitig wird ein Fundament für Forschung und insbesondere Nachwuchsförderung gelegt. Aber auch hier gilt zu bedenken: Eine solche Schwerpunktsetzung umfasst nur ca. die Hälfte der LPs eines regulären Lehramtsfaches; zudem ist die curriculare (inhaltliche) Progression nicht zwingend gegeben, insbesondere, wenn die Schwerpunktsetzung nicht zwischen den Teilangeboten koordiniert werden kann (z. B., weil sie anteilig von unterschiedlichen Studienfächern verantwortet wird). Dennoch wäre damit eine Basis geschaffen, auf der neugierige Absolvent: innen weiter aufbauen könnten. 3.4 Option 3: Fach „Deutsch als Zweitsprache/ Deutsch für Zugewanderte“ Wo bleibt aber das Fach „Deutsch als Zweitsprache“ in der Lehramtsausbildung? Wie oben problematisiert, ermöglicht nur das Bundesland Bayern ein Lehramtsfachstudium „Deutsch als Zweitsprache“; alle bayerischen Universitäten haben entsprechende Studien‐ gänge eingerichtet 7 . Weitere (wenige) Universitäten, darunter Chemnitz, Dresden, Jena, Leipzig und Marburg, die PHs Weingarten und Ludwigsburg und seit dem Wintersemester 2023/ 2024 auch Duisburg-Essen 8 , bieten für bestimmte Schulformen ein Drittfach bzw. 128 Nicole Marx <?page no="129"?> 9 Die Anzahl solcher Ergänzungsfächer steigt stetig, allerdings werden Angebote auch gestrichen - wie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. einen Erweiterungsstudiengang Deutsch als Zweitsprache an. 9 An diesen Universitäten kann alternativ eine Zusatzqualifikation im Lehramtsstudium und/ oder ein Fachmaster DaF/ DaZ studiert werden. Wohl gemerkt: Es handelt sich auch hier bei allen bestehenden Angeboten um den Unterricht für Schüler: innen mit Migrationshintergrund, nicht um den für die besondere Zielgruppe der neu Zugewanderten. Dennoch bietet ein Fach DaZ, ob als Haupt- oder Drittbzw. Ergänzungsfach, mehrere Vorteile: DaZ erscheint gleichberechtigt neben den wei‐ teren Unterrichtsfächern, Studierende bleiben durch ihre weiteren Studienfächer Schulen gegenüber mindestens genauso attraktiv. Die Ausbildung ist über das jeweilige B.A.bzw. M. A.-Studium hinweg curricular eingebettet, die Koordination von Lehrangeboten durch für das Fach qualifizierte Hochschullehrende wird ermöglicht. Die Option kommt auch der Anforderung deutlich näher, dringend benötigte Lehrkräfte für Schulen auszubilden, denn „[n]eben allgemeinen grundlegenden Kenntnissen und Fähigkeiten in DaZ, über die alle Lehrkräfte verfügen sollen, bedarf es an den deutschen Schulen auch der Expertinnen und Experten für Sprach- und Kulturkontakte und Integra‐ tionsförderung - also der Expertinnen und Experten für DaZ“ (Apeltauer et al. 2010, 36). Neben der Übernahme des Lehrangebots in Vorbereitungsklassen können Absolvent: innen mit fachlicher Expertise auch fächerübergreifend schulische Sprachförderangebote koor‐ dinieren und Empfehlungen für die Eingliederung neu zugewanderter Schüler: innen aussprechen - eine Last, die derzeit i. d. R. nicht qualifizierten Lehrkräften ad hoc auferlegt wird. Für das Fach DaF/ DaZ besonders verlockend ist darüber hinaus die Tatsache, dass durch diese Option fachspezifische Studienabschlüsse möglich sind. Das bedeutet wiederum eine sichere(re) Basis für die Aufnahme eines Promotionsstudiums - mit durchgehender Vor‐ bereitung auf inhaltliche, aber auch auf forschungsmethodische und forschungsmethodo‐ logische Fragestellungen und Diskurse. Diese Aspekte, die ansonsten im Schnelldurchgang zu Beginn der Promotionstätigkeit angegangen werden, sind dann bereits Bestandteil des Studiums, der Einstieg in eine selbstständige wissenschaftliche Tätigkeit nach dem Studienabschluss wird erleichtert. Gleichzeitig ist die Chance, überhaupt das Interesse potentieller Nachwuchswissenschaftler: innen im Rahmen eines vollwertigen Studiums zu wecken, deutlich höher als im Rahmen eines Zusatzzertifikats oder gar eines mit wenigen LPs zu belegenden DaZ-Moduls. Das stärkt auch die Zukunft des Faches - und somit auch die Zukunft einer qualitativ hochwertigen universitären Lehre. Mit der Einrichtung von Studienfächern gehen neben erhöhter finanzieller Belastung der Hochschulen (Koordination des Studienfachs, Lehrangebot) auch erweiterte Koordina‐ tionsmaßnahmen einher, die über die erste Phase der Lehrer: innenbildung hinausgehen. Um diese Option sinnvoll zu realisieren, muss daher auch insbesondere die zweite Phase - das Referendariat - eingebunden werden, das Fach DaZ muss auch hier zu belegen und abzuschließen sein. Expert: innen braucht das Land! 129 <?page no="130"?> 10 An den Universitäten in Bochum, Köln, Paderborn und Wuppertal wird dieses Angebot bis 2027 in reduzierter Form voraussichtlich weiter bestehen. 3.5 Option 4: Fort- und Weiterbildung Die letzte Option beinhaltet den Einbezug von (koordinierten und umfangreicheren) Fort- und Weiterbildungen nach Studienabschluss. Diese Möglichkeit bieten die meisten Bundesländer an; in NRW trat z. B. schon 2000 eine „Zusatzqualifikation ‚Deutsch als Zweitsprache/ Interkulturelle Pädagogik‘“ für Personen mit absolviertem Erstem Staatsex‐ amen in Kraft (und ersetzte dabei eine ältere Verordnung über eine Zusatzqualifikation „Interkulturelle Pädagogik“ vom 29. Oktober 1991 (GV. NRW. S. 440)). Als Antwort auf die ruckartig steigende Zahl neu Zugewanderter finanzierte von 2016 bis 2023 das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes eine Weiterbildungsinitiative Deutsch als Zweit‐ sprache, bei der in der Praxis tätige Lehrkräfte in kleinerem (6 LP) oder größerem (30 LP) Umfang eine Qualifikation für den Unterricht in Klassen mit (nicht nur) zugewanderten Schüler: innen erlangen konnten. Die Weiterbildung erfreute sich großer Beliebtheit - gleichwohl erfuhr sie die gleichen Nachteile, die generell solche Angebote betreffen. Denn Weiterbildungsangebote unterliegen, mehr als feste Studienangebote, finanziellen Bedingungen und sind somit stets zeitlich begrenzt; das Auslaufen einer Finanzierung bedeutet meist das Einstellen des Angebots, wie in NRW nun erfolgt. 10 Die Befristung hat weitere Konsequenzen; Mitarbeitende haben oft kurze Verträge, die Fluktuation unter den Lehrenden ist entsprechend stark. Für die Teilnehmenden ist die Weiterbildung stets in den laufenden Schulbetrieb zu integrieren. Und schließlich wird damit das Problem der fehlenden Nachwuchsförderung nicht gelöst; denn ohne eine Basisausbildung während der Studienzeit ist es unwahrscheinlich, dass auch eine wissenschaftliche Weiterqualifikation hierdurch aufgenommen wird. Die Vorteile der Weiterbildungsangebote liegen in der Unterstützung konkreter, punktueller Bedarfe in der Praxis, zu einer Verbesserung des Zustands im Fach können (und müssen) sie eher nicht beitragen. 4 Eine unerfreuliche Bilanz? Welche Konsequenzen haben diese Optionen für die „Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre“ (s. Leitfragen der 44. Frühjahrskonferenz)? Anders als die in den bundeslandspezifischen Lehrer: innenausbildungsgesetzen ver‐ ankerten Fremdsprachenfächer ist der Bereich Sprachlehre für neu zugewanderte Schüler: innen stark von der fehlenden Verankerung des Faches überschattet. Die 2015 an vielen Schulen ad hoc eingerichteten und bis dato bestehenden Vorbereitungsklassen für neu zugewanderte Schüler: innen werden weiterhin von hierfür ad hoc ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet. Echte, nachhaltige und fachlich verankerte Abhilfe ist kaum in Sicht: Die für die Aus- und Weiterbildung entstandenen Zusatzangebote an den Hochschulen sind weder langfristig geplant, noch erfüllen sie den Kern der Aufgabe eines Hochschulstudiums - eine vertiefte Auseinandersetzung mit und Reflexion von Lernprozessen, von Lehrprozessen und von der Didaktik und Methodik für den Unterricht eines spezifischen Faches mit spezifischen Zielgruppen. 130 Nicole Marx <?page no="131"?> Von innerhalb des wissenschaftlichen Faches (bzw. der Fächer) DaZ und DaF ist gerade dieses Problem nicht zu lösen. Dem Land fehlen Expert: innen, die sich explizit und vertieft der Lern- und Lehrsituation neu zugewanderter Schüler: innen widmen, und zwar nicht nur in der schulischen Praxis, sondern auch in der Hochschullehre und in der Forschung. In Deutschland dringend benötigt ist eine allgemeine Akzeptanz seitens der Bildungspolitik, dass auch neu zugewanderte Schüler: innen ausgebildete Lehrkräfte benö‐ tigen, die Einrichtung eines Schulfaches DaZ, um insbesondere die Sprache zielgerichtet zu lehren, und entsprechend die Einrichtung eines Studienfaches, das auch die Situation der Zuwanderung eng in den Blick nimmt. Denn trotz immer weiter zunehmender Zahlen von minderjährigen Zugewanderten fehlen für diese Situation ausgebildete Fachexpert: innen auf allen Bildungsebenen - höchste Zeit also, dieses Problem verstärkt anzugehen. Literatur Altmayer, Claus (2022): „Deutsch als Fremdsprache vs. Deutsch als Zweit-sprache: Überlegungen zu einer bislang ausgebliebenen, aber notwendigen Debatte“. In: Deutsch als Fremdsprache 1/ 2022, 15-26 (DOI 10.37307/ j.2198-2430.2022.01.03). Apeltauer, Ernst/ Baur, Rupprecht/ Roche, Jörg (2010): „Resolution zum Status und zur Entwicklung des Fachs Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in Deutschland“. 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Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2009/ 2021): Ausgestaltung der inhaltlichen Prüfungsanforderungen für die Erste Staatsprüfung nach Kapitel II der Lehramtsprüfungsordnung I zu den einzelnen Fächern (Kerncurricula) vom 2. Januar 2009 (KWMBI. S.-34), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 17. Juni 2021 (BayMBl. Nr.-478) geändert worden ist. www.gesetze-bayern.d e/ Content/ Document/ BayVwV159082-NN9 (14/ 01/ 2024). Begon, Sophie (2023): „Sprachliche Bildung im Kontext von Neuzuwanderung und Hörbehinderung - Ergebnisse einer Interviewstudie“. In: Das Zeichen 37/ 121, 67-90. Begon, Sophie/ Beyer, Maike/ Marx, Nicole/ Wessel, Jürgen (2023): „Sprachliche Entwicklung und sprachliche Bildung neu zugewanderter gehörloser und schwerhöriger Schüler*innen - For‐ schungs- und Lehrprojekte an der Universität zu Köln“. In: Das Zeichen 37/ 120, 51-56. 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Dieser interne Raum, gefüllt von persön‐ lichem Austausch, Erfahrungen und kollegialen Abstimmungen, mitunter angereichert durch hochschuldidaktische Impulse, verbleibt in der Regel im engeren Fachkollegium von Studienfächern. Schaufensterartig wird dann im Verlauf von Akkreditierungs- und Qualitätssicherungsverfahren dieser Raum für zunächst hochschulinterne Akteure des Qualitätsmanagements (QM) und dann externe Gutachter: innen und/ oder Peers so weit geöffnet, wie es angesichts von Kennzahlen (Einschreibungen, Studienerfolgsdaten, Studie‐ rendenzufriedenheit etc.) und Begutachtungsthemen erforderlich ist und den Weiterbetrieb der Studiengänge nicht gefährdet. Neben allgemeinen Erkenntnissen aus der empirischen Hochschulforschung sowie aus Zertifizierungsverfahren können Studiengänge und Lehrende Qualifizierungsangebote und Impulse der an den Universitäten zentral angesiedelten fachübergreifenden Hochschuldi‐ daktik nutzen. Dies geschah zuletzt besonders intensiv zu Beginn der Covid-19-Pandemie, als blitzschnell auf digitale Lehrangebote umgestellt werden musste. Die fachübergreifende Hochschuldidaktik bietet v. a. Empfehlungen für die Ausgestaltung von Lehr-/ Lernformen inkl. Online- und Hybridlehre, für Prüfungsformen, zur Förderung von Schlüsselqualifika‐ tionen der Studierenden - sowie Modelle sog. „guter Lehre“ und Lehrkompetenzmodelle zur Professionalisierung der Hochschullehre (vgl. exemplarisch Paetz et al. 2011; Kordts-Freu‐ dinger et al. 2021). Fachbezogene Hochschuldidaktik im Feld der Fremdsprachendidaktik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sowie die Erforschung der Gelingensbedingungen fremd‐ sprachendidaktischer Kompetenzentwicklung der Studierenden auf der Mikroebene von Lehrveranstaltungen ist hingegen deutlich seltener und nur unsystematisch vertreten (vgl. jedoch neuere Ansätze im Umfeld der pandemiebedingten technologischen Anpas‐ <?page no="134"?> sungen in Studium und Lehre, fachbezogene hochschuldidaktische Prozesse und Gelin‐ gensbedingungen zu reflektieren und zu erforschen, z. B. Wulff/ Häusler 2023). Solche Untersuchungen sind dünn gesät und reflektieren und evaluieren in der Regel eigene Lehrprojekte. Ein breiter hochschuldidaktischer Diskurs in unseren Disziplinen fehlt - und dies erstaunt insofern, als gängige hochschuldidaktische Diskurse, z. B. zum Shift from Teaching to Learning (vgl. exemplarisch Merkt 2021), Projekt-, Handlungs- und Kompetenzorientierung große Nähe mit dem fachbezogenen Diskurs zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts aufweisen. Methoden- und Fachexpertise könnten vielseitiger genutzt werden, d.-h. konsequenter für die (eigene) Hochschullehre. 2 Besonderheiten der DaF/ DaZ-Studiengänge Meine Überlegungen fokussieren im Folgenden fachwissenschaftliche DaF/ DaZ-Studien‐ gänge, die von einer eigenständigen akademischen Einheit verantwortet werden. Diese Studiengänge weisen grundlegende strukturelle Unterschiede zum fremdsprachendidakti‐ schen Studium in deutschen Fremdsprachenlehramtsstudiengängen auf. Im Lehramtsstu‐ dium findet das fachdidaktische Studium in spezifischen Modulen statt und wird durch eine Lehreinheit verantwortet, die in der Regel stark ausdifferenziert ist hinsichtlich der Spreizung, ob Personal (zumindest vorrangig) im „fachlichen“ oder im „fachdidaktischen“ Bereich tätig ist, wobei gern den fachdidaktischen Kolleg: innen allein die Anwendungsori‐ entierung sowie Begleitung der anwendungsorientierten Kompetenzentwicklung der Stu‐ dierenden (v. a. in den Praxisphasen) überantwortet wird. In BA- und MA-Studiengängen DaF/ DaZ wird in der Regel ein Gesamtcurriculum mit im Kollegium geteilter Verantwor‐ tung für die theorie-, forschungs- und anwendungsbezogene Kompetenzentwicklung der Studierenden verfolgt. Eine weitere Besonderheit ist, dass es derzeit nur wenige Möglichkeiten gibt, in Deutsch‐ land in der Bachelorphase DaF/ DaZ zu studieren; seit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge überwiegen Masterstudiengänge mit unterschiedlicher Profilierung hinsichtlich Anwendungs- und Forschungsorientierung (s. ausführlicher Riemer 2019). Ein Merkmal unterscheidet die DaF/ DaZ-Studiengänge auffällig von deutschen Fremd‐ sprachenlehramtsstudiengängen: die Studierendenschaft. Seit dem Auf- und Ausbau von DaF-Studiengängen in den 1980er Jahren ist es ein konstitutives Merkmal der grund‐ ständigen DaF/ DaZ-Studienangebote, in besonderer Weise von internationalen Studien‐ interessierten nachgefragt zu werden, die mittel- und langfristig im Berufsfeld von DaF/ DaZ-Lehrer: innen und Germanist: innen zu arbeiten beabsichtigen und/ oder eine wissen‐ schaftliche Vertiefung sowie Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse anstreben. Mitunter wollen sie sich während des Studiums und im Anschluss daran beruflich in Deutschland orientieren, d. h. Beschäftigungsverhältnisse eingehen - bis hin zum Ziel der dauerhaften Niederlassung in Deutschland. In der Studierendenschaft vertretene ausgeprägte Hetero‐ genität hinsichtlich (regionaler) Herkunft, Mehrsprachigkeit, vorhandener akademischer und fachlicher Vorkenntnisse, Sprachlern- und teils auch Sprachlehrerfahrungen und ausgebauter Deutschkompetenz ist seit jeher für DaF/ DaZ-Hochschullehrende Alltag. Regelungen zur Anerkennung von ausländischen Hochschulzugangsberechtigungen und ersten Studienabschlüssen sowie Zugangsbestimmungen bezüglich der nachzuweisenden 134 Claudia Riemer <?page no="135"?> 1 An der Universität Bielefeld wird als Grundlage für die Kennzahl „internationale Studierende“ flä‐ chendeckend die Information der Erst-Hochschulzugangsberechtigung berücksichtigt; dies gilt auch für internationale Masterstudierende, die einen Bachelorabschluss an einer deutschen Universität absolviert haben. Deutschkompetenz (z. B. DSH2, TestDaF/ Niveau4444) betreffen daher im Kern die Ein- und Ausrichtung sowie Durchführung von DaF/ DaZ-Studiengängen. - WiSe 17/ 18 SoSe 18 WiSe 18/ 19 SoSe 19 WiSe 19/ 20 SoSe 20 WiSe 20/ 21 BA DaF/ DaZ im Kern‐ fach 20-% 22-% 19-% 18-% 20-% 19-% 18-% BA DaF/ DaZ im Nebenfach 10-% 11-% 11-% 12-% 13-% 10-% 12-% MA DaF und Germanistik 46-% 49-% 51-% 51-% 52-% 55-% 55-% - SoSe 21 WiSe 21/ 22 SoSe 22 WiSe 22/ 23 SoSe 23 WiSe 23/ 24 - BA DaF/ DaZ im Kern‐ fach 19-% 20-% 21-% 21-% 20-% 22-% - BA DaF/ DaZ im Nebenfach 13-% 12-% 13-% 15-% 17-% 19-% - MA DaF und Germanistik 56-% 61-% 59-% 60-% 60-% 65-% - Tab. 1: Prozentualer Anteil eingeschriebener Studierender mit ausländischer Hochschulzugangsbe‐ rechtigung in den Bielefelder DaF/ DaZ-Studiengängen im zeitlichen Verlauf (eigene Darstellung auf der Basis durch das Dezernat Studium und Lehre, Qualitätsmanagement der Universität Bielefeld zur Verfügung gestellter Studierendenzahlen; Abruf Januar 2024). Deutschland gilt derzeit als stark nachgefragter internationaler Studienstandort insbeson‐ dere für Masterstudiengänge, auch aufgrund geringer Studiengebühren (Semesterbeiträge) und der Zunahme englischsprachiger Studienangebote. Allerdings sind Berichte über die steigenden Zahlen internationaler Studierender an deutschen Hochschulen (s. exempla‐ risch DAAD/ DZHW 2023, 8 f.; berichtet wird dort ein Anteil internationaler Studierender von insgesamt 13,5 % an den Universitäten) mittels hochschulinterner Studierendenzahlen zu hinterfragen. Denn die Trends betreffen nicht die Fremdsprachenlehramtsstudiengänge und oft sind die Trends für DaF/ DaZ-Studiengänge andere. So liegt der Anteil der Studie‐ renden mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung 1 in den DaF/ DaZ-Bachelorvari‐ anten (Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Kern- oder Nebenfach) an der Universität Bielefeld seit vielen Jahren bei ca. 20 % im Kernfach und zuletzt ähnlich im Nebenfach; hingegen überwiegen Studierende mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung seit 2019 und in weiter steigender Tendenz im Masterstudiengang DaF und Germanistik; zuletzt betrug ihr Anteil dort 65 % (s. Tab. 1). Davon stammte im Wintersemester 2023/ 24 ca. die DaF/ DaZ-Studiengänge mit internationaler und heterogener Studierendenschaft 135 <?page no="136"?> 2 SeSaBa steht für: Studienerfolg und Studienabbruch bei Bildungsausländerinnen und Bildungsaus‐ ländern in Deutschland im Bachelor- und Masterstudium; s. Hinweise und Publikationen unter https: / / www.daad.de/ de/ der-daad/ was-wir-tun/ fortbildung-expertise-und-beratung/ sesaba/ (23/ 05/ 2024). Hälfte aus Asien (ergänzt durch persönliche Wahrnehmung: v. a. Iran, Vietnam und China) sowie jeweils ca. ein Viertel aus Europa (ergänzt durch persönliche Wahrnehmung: v. a. Ost- und Südosteuropa) und Afrika (ergänzt durch persönliche Wahrnehmung: v. a. Nordafrika). Nicht erfasst in den Zahlen ist der Anteil an mehrsprachigen Studierenden mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung, die eine ausländische, deutsche oder doppelte Staatsan‐ gehörigkeit und familiäre Migrationsgeschichte aufweisen. Nach internen Beobachtungen im Studienfach ist der Anteil dieser Studierenden in den letzten Jahren stark gestiegen und bildet eine Hauptgruppe der Bachelorstudierenden. Mehrsprachigkeit und Vielfalt in jeglicher Hinsicht sowie familiale oder eigene Migrations- und Fluchterfahrungen sind daher Merkmale, die für die DaF/ DaZ-Studierendenschaft in besonderer Weise zutreffen. 3 Exkurs: Sprachkompetenz und Studienerfolg internationaler Studierender Die Nachfrage nach Studienangeboten bedeutet nicht gleichermaßen, dass diese auch erfolgreich abgeschlossen werden: „Eine zentrale Herausforderung in Bezug auf die internationalen Studierenden stellt beispielsweise der nach wie vor überdurchschnittlich hohe Anteil dieser Studierenden dar, der das Studium in Deutschland nicht erfolgreich abschließt“ (DAAD 2022, 7). Die jüngst abgeschlossene, unter Leitung und Koordination des DAAD durchgeführte SeSaBa-Studie 2 hat das breite Feld der Möglichkeiten und auch Herausforderungen beleuchtet, internationale Studierende besser in ihrem Studium zu unterstützen. Zusammenfassend ermittelt die Studie, dass viele Universitäten bemüht sind, die bekanntermaßen schlechten Studienerfolgsquoten internationaler Studierender zu verbessern, indem Unterstützungsangebote für diese Gruppe bereitgestellt werden. Diese würden allerdings oft in der Studienvorbereitung und zu selten in der Studieneingangs‐ phase angesiedelt bzw. von den betroffenen Studierenden als wenig relevant eingeschätzt und dementsprechend zu wenig nachgefragt (vgl. Falk et al. 2021; Pineda/ Rech 2020; Pineda et al. 2022). Welch große Rolle die Sprachkompetenz im Deutschen bzw. der Sprachgebrauch im Studium für den Studienerfolg internationaler Studierender spielt, wird im Rahmen des Projekts Sprache und Studienerfolg bei Bildungsausländer/ -innen (SpraStu) mit einer Stich‐ probe mit internationalen Bachelorstudierenden bestätigt und genauer beleuchtet (vgl. Wisniewski et al. 2022). Die Studie zeigt, dass die untersuchten internationalen Studie‐ renden der Stichprobe in der Studieneingangsphase über schwächere Sprachkompetenzen verfügten, als ihre bestandenen Sprachprüfungen für den Hochschulzugang erwarten lassen: Bei einem erheblichen Anteil der Studierenden (30 % der Stichprobe) wurden Deutschkenntnisse im Bereich Lesen und Hören unterhalb B2 ermittelt; die Hälfte der Untersuchungsteilnehmenden erreichte beim Schreiben nicht das Niveau von TestDaF 4. Die Studie kommt zum Schluss, „dass ein bemerkenswerter Anteil der Studierenden in un‐ abhängigen Testverfahren nicht die Eingangsschwelle zum sprachlichen Hochschulzugang 136 Claudia Riemer <?page no="137"?> 3 Wisniewski/ Lenhard (2021, 214) berichten, dass sprachliche Selbsteinschätzungen internationaler Studierender unbrauchbar seien, tatsächlich vorhandene Sprachkompetenzen zu operationalisieren. Dieses Ergebnis ist mehr als bemerkenswert, da Studierende gerade in der Studieneingangsphase zumeist ihre Selbsteinschätzung an kurz zuvor abgelegten standardisierten Deutschtests orien‐ tieren und viele Sozialerhebungen lediglich Selbsteinschätzungen erheben. Weiteres Ergebnis: „Die sprachlichen Fähigkeiten haben erwartungsgemäß einen massiven Einfluss auf den Studienerfolg und bedingen für sich alleine 17,4 % der Varianz in den erworbenen Leistungspunkten […]. Als besonders bedeutsam erweisen sich unter diesen sprachlichen Prädiktoren das Leseverständnis und die Schreibfertigkeiten, die unabhängig voneinander zum Punkterwerb beitragen“ (Wisniewski/ Lenhard 2021, 221; Hervorheb. im Original). von in der Regel B2+/ C1 erreicht“ (Wisniewski/ Lenhard 2021, 215). 3 Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass Deutschkenntnisse ein wichtiger Prädiktor des Studienerfolgs sind, die Gruppe der internationalen Studierenden aber auch sehr leistungsheterogen ist: Bildungsausländer: innen waren im Projekt hinsichtlich der erbrachten Studienleistungen konstant signifikant weniger erfolgreich als ihre L1-Kommiliton: innen […]. Gleichzeitig ließen sich enorme Unterschiede innerhalb der Gruppe der L2-Studierenden finden: Viele von ihnen schnitten durchaus auch besser ab als die deutsche Vergleichsgruppe, während andere ganz gravierende Schwierigkeiten hatten. Auch hinsichtlich subjektiver Erfolgsvariablen unterschieden sich L1- und L2-Studierende teils erheblich. Letztere fühlten sich häufiger durch das Studium belastet, studierten aber gleichzeitig zielgebundener als ihre deutschen Kommiliton: innen (Wisniewski 2022, 424). 4 DaF/ DaZ-Masterstudiengänge: hochschuldidaktische Herausforderungen Wichtig für das Verständnis der hochschuldidaktischen Herausforderungen insbesondere in Masterstudiengängen ist die sog. „Eigenquote“, die den Anteil der Fachanfänger: innen angibt, die nach abgeschlossenem Bachelorstudium an derselben Universität im Master weiterstudieren. Über einen längeren Zeitraum gerechnet (WiSe 2017/ 18 bis einschließlich WiSe 2022/ 23) beträgt die Eigenquote der Fachanfänger: innen im Masterstudiengang Deutsch als Fremdsprache und Germanistik, die zuvor bereits im Bachelorstudium an der Universität Bielefeld akademisch sozialisiert wurden, im Sommersemester 45 % und im Wintersemester 22 %. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dieser Masterstudien‐ gang überwiegend Studierende attrahiert, die ihren ersten Studienabschluss an einer anderen deutschen oder ausländischen Universität absolviert haben; derzeit beträgt die „Fremdquote“ im Wintersemester durchschnittlich 78 % (Quelle: Dezernat Studium und Lehre/ QM Universität Bielefeld, Abruf Januar 2024). Die oben im Zitat auch berichteten Vorteile internationaler Studierender - der Großteil dieser „Fremdquote“ - können auf Basis vorhandener Erfahrungen ergänzt werden: Alle mussten ein Auswahlverfahren durchlaufen, das neben den sprachlichen v. a. auch fachliche Voraussetzungen anhand der Studientranskripte im Detail prüft. Sie bringen Fachprofile der jeweiligen Ausrichtungen ihrer absolvierten Germanistik-/ DaF-Studiengänge mit, vertieftes sprachliches Wissen über die Zielsprache und häufig auch umfangreiche Lehrerfahrungen. Viele internationale DaF/ DaZ-Masterstudierende gehören zu den erfolgreichsten Absolvent: innen ihrer jeweiligen DaF/ DaZ-Studiengänge mit internationaler und heterogener Studierendenschaft 137 <?page no="138"?> Bachelorkohorten. Viele starten ihr Masterstudium in Deutschland selbstbewusst und mit hohen Ambitionen, weisen im Studienverlauf teils schnelle und steile Lernkurven auf, während andere viel mehr Zeit benötigen und/ oder zurückbleiben. Die Vielfalt der vorhandenen Kompetenzen ist trotz Auswahlverfahren immens - und bleibt es auch im weiteren Studienverlauf. Anders als zu Magister-/ Diplomzeiten sind neu in Deutschland angekommene Masterstudierende konfrontiert mit der Erwartung des Mastersystems (und davon abgeleiteten aufenthaltsrechtlichen Regelungen der Ausländerbehörden), innerhalb von drei Fachseme‐ stern fachlich fortgeschrittene und forschungsorientierte Kompetenzen zu erwerben, die sie zur eigenständigen Durchführung eines anspruchsvollen (i.-d.-R. empirischen) Masterarbeitsprojekts schon im vierten Fachsemester befähigen. Das erste Hochschulsemester in Deutschland konfrontiert viele mit großen Herausforderungen, die mit Problemen verspäteter Visavergabe und Ankommen in einem fremden Land, oft verzweifelter Woh‐ nungssuche und Erledigung vielfältiger unbekannter administrativer Anforderungen in den ersten Wochen und Monaten beginnen und bei neuartigen Studienbedingungen lange nicht enden (z. B. Fehlen fester Stundenpläne, fremde Formen der Überprüfung von Studien- und Prüfungsleistungen, Eigenverantwortlichkeit, Eigenständigkeitserwartung, Diskussionskultur in Seminaren, Projekt- und Gruppenarbeit, ungewohnte Formen und Regeln der Hochschulkommunikation, Interpretation von und Umgang mit unbekannten Hierarchien, Lernen und Zusammenarbeiten in heterogenen Gruppen), die zu begreifen und anzunehmen vielfältige Lern- und Anpassungsprozesse impliziert. Fachliches und fremdsprachendidaktisches Vorwissen, wissenschaftssprachliche münd‐ liche und schriftliche Kompetenz und Erfahrungen mit akademischen Textsorten und Arbeitstechniken sind Felder, in denen sich die DaF/ DaZ-Masterstudierenden teils massiv voneinander unterscheiden. In ein und derselben Lehrveranstaltung gerade in der Stu‐ dieneingangsphase treffen Studierende, die erst begleitend in ihrem Heimatland im Ba‐ chelorstudium die deutsche Sprache gelernt haben und nicht oder nur wenige eigene wissenschaftsbezogene Texte auf Deutsch verfasst haben, auf Kommiliton: innen, die nicht nur die Bachelorarbeit, sondern auch mehrfach Referate, Hausarbeiten und andere Studien- und Prüfungsleistungen auf Deutsch absolviert haben und über fortgeschrittene akademische Textkompetenz und umfangreiche Erfahrungen in der Fachrecherche und kritischen Rezeption anspruchsvoller Fachtexte verfügen. Studierende unterscheiden sich damit erheblich in puncto Vertrautheit mit fachlichen Methoden, Scripts und Frames der deutschen Wissenschaftskultur sowie deren spezifischer Ausprägung in der Fachkultur. Es überrascht daher nicht, dass die Regelstudienzeit allein aus diesem Grund von einem großen Teil der Studierenden überschritten wird. Allerdings berücksichtigen kennzahleno‐ rientierte QM-Systeme im Bereich Studium und Lehre, leistungsorientierte Mittelverteilung von Land und Universität, Studienerfolgs- und Auslastungsberechnungen und der vielen Kapazitätsfragen unterliegende Curricularnormwert nicht den Aufwand, der für eine erfolgversprechende Integration insbesondere neu eingereister Masterstudierender in das deutsche Studiensystem auf Ebene der Lehrveranstaltungen sowie der studienbegleitenden Betreuung (z. B. in Form intensiven Textfeedbacks), Beratung und Orientierung notwendig ist. 138 Claudia Riemer <?page no="139"?> 4 s. http: / / tinyurl.com/ richtigdurchstarten (19.5.2024); Programm „Richtig durchstarten“ mit dem Ziel der fachinternen Förderung wissenschaftssprachlicher Kompetenzen und Techniken wissenschaft‐ lichen Arbeitens und Studienorientierung. Der Blick auf die Zahlen von Fremd- und Eigenquote sowie die oben geschilderten Er‐ fahrungen zeigen, dass ursprünglich stark konsekutiv gedachte Studiengangs-, Modul- und Lehrveranstaltungskonzeptionen auf Masterebene, die sich vorrangig an eigene BA-Fach‐ absolvent: innen richten, von der Realität eingeholt wurden und werden. Neu attrahierte Masterstudierende, um deren gute Integration ins Studium man sich besonders bemühen müsse, waren bei der ursprünglichen Konzeption eher als willkommene Bereicherung mitgedacht worden. An der Universität Bielefeld konnten solche Studierende zunächst mit Zugangsbescheid zu einem sogenannten obligatorischen „Angleichungsstudium“ ver‐ pflichtet werden (additiv zu den 120 ECTS-Punkten in Form studienbegleiteter Nachquali‐ fikationen mittels Bachelorseminaren). Dieser mit Sonderregelung bedachte Fall war dann zum Regelfall geworden; die Regelungen zum Angleichungsstudium konnten aus adminis‐ trativen und juristischen Gründen nicht aufrechterhalten werden. Zentrale Grundlagen des Fachs und die Förderung bzw. der Nachweis ausgebauter Sprachkompetenzen (in deutscher Wissenschaftssprache) wurden daher in der Folge im Bielefelder Mastermodell verstärkt in die Masterpflichtmodule integriert, ohne die Forschungsorientierung des Studiengangs aufzugeben. Hieraus folgt für alle Lehrenden die Herausforderung, eine ausgeprägt fach-, kompetenz- und erfahrungsheterogene Studierendenschaft zu adressieren. Propädeutische und Grundlagenmodule im ersten Fachsemester zielen auf einen abgefederten, wenngleich herausfordernd bleibenden Studieneinstieg. Studienbegleitend stellt das Studienfach besondere Unterstützungsangebote bereit. Seit 2021 werden systematisch Mittel aus dem Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken für das fachinterne Entwicklungs- und Forschungsprojekt „Richtig durchstarten“ eingesetzt zur Organisation und Durchführung optionaler, aber teilweise auf das Studium anrechen‐ barer studienbegleitender fachlicher Unterstützungs- und Orientierungsangebote, die sich gezielt an DaF/ DaZ-Studierende richten. Das Projekt umfasst Mentoring-Programme, Beratung zu akademischen Arbeitstechniken, Schreib-Treffs, Lese-Zirkel, Workshop-, Peer Learning- und Übungsangebote sowie eigenentwickelte Online-Materialien. 4 Durch nieder‐ schwelligen Zugang, direkte Anbindung an das Fachstudium, gezielte und engmaschige Kommunikation sowie persönliche Hinweise auf diese Angebote wird zunächst mit einer engen Anbindung an im Studiengang verankerte Studien- und Prüfungsleistungen auf eine Nachfrage derjenigen Studierenden gezielt, an die sich die Angebote in besonderer Weise richten. Projektbegleitende Educational Design Research ist wesentlicher Teil des Programms (vgl. Introna et al. 2022; Introna 2023). Neben solchen Zusatzangeboten bleibt die studienintegrierte Förderung der Fach- und Studienkompetenzen im Rahmen des grundständigen Modulangebots ein Kernpunkt für den Studienerfolg. Unverzichtbar hierfür sind persönliche und professionelle Kompetenzen und Merkmale auf Seiten der Lehrenden der DaF/ DaZ-Studiengänge, zu denen neben Fach- und Vermittlungskompetenz in großem Maße auch interkulturelle und Beratungskompe‐ tenz, Empathie, das Respektieren von Vielfalt, Umgang mit Heterogenität u. v. a. m. gehören. DaF/ DaZ-Studiengänge mit internationaler und heterogener Studierendenschaft 139 <?page no="140"?> 5 Fremd-/ zweitsprachendidaktisches Studium als prospektiver Erfahrungsraum Das realistischste Berufsziel für die meisten Bachelor- und Masterabsolvent: innen DaF/ DaZ ist und bleibt der DaF-/ DaZ-Unterricht im In- und Ausland. In Deutschland werden die Kompetenzen der DaF/ DaZ-Absolvent: innen am häufigsten nachgefragt im Bereich der Erwachsenenbildung/ Integrationskurse mit sehr heterogenen Gruppen und vielfältiger Sprachfördermaßnahmen im Umfeld von Schule und Erwachsenenbildung. Die derzeit durch das BAMF abgesenkten Qualifikationsanforderungen für Lehrkräfte im Integrati‐ onskurssystem spiegeln den Fachkräftemangel in diesem Feld. So können z. B. Masterstu‐ dierende bereits ab dem 3. Fachsemester von einer Ausnahmeregelung profitieren und die BAMF-Zulassung als Lehrkraft erhalten (also auch die oben beschriebene Studieren‐ dengruppe). Viele Bachelor- und Masterstudierende DaF/ DaZ arbeiten studienbegleitend als Lehrkräfte - und Ähnliches wird für die Lehramtsstudierenden berichtet, die als Aushilfslehrer an deutschen Schulen arbeiten. So treten neben die Herausforderungen des Studiums für viele - aus ganz unterschiedlichen Gründen und sehr häufig aus der Notwendigkeit der Absicherung des Lebensunterhalts und mitunter der Anbahnung von Bleibechancen in Deutschland - berufliche Tätigkeiten auf der Basis unterschiedlicher fachlicher Qualifikationen und mal mehr und mal weniger vorhandener Unterrichtserfah‐ rungen. Die Erfahrungen, die Studierende im Berufsfeld der Sprachvermittlung und Sprachför‐ derung sammeln und die sie in die Lehrveranstaltungen wieder einbringen, entsprechen häufig nicht ihren Erwartungen oder dem Bild, das ihnen an der Universität von „gutem“ Fremdsprachenunterricht vermittelt wird (Originaltöne sind z. B. Ich bin überrascht, dass die Lernenden so wenig Motivation haben; es wird meistens nur mit einem Lehrwerk und den dort vorhandenen Übungen gearbeitet). Hinzu kommt die Wirkmächtigkeit eigener Sprach‐ lernerfahrungen über viele Lebensjahre und daraus resultierende Normalitätserwartungen, die das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften beeinflussen. Erfahrungen aus selbst erlebtem Fremdsprachenunterricht an Schule und Hochschule (z. T. der Herkunftsregion, in der Grammatikorientierung und Frontalunterricht oft dominierten) konfligieren mit Prinzipien der Kompetenz-, Interaktions- und Handlungsorientierung etc., die durch Hoch‐ schulstudium und Fachliteratur vermittelt werden und nicht mit dem übereinstimmen, was viele unter „normalem“ Unterricht verstehen. Und auch das bisherige (und aktuelle) Studium bestand und besteht für viele vorrangig aus vorlesungsartigen Lehrveranstaltungen, Lektüren und Prüfungen. Hochschullehre sollte die vertretenen Fachinhalte auf methodischer Ebene stärker spiegeln. Hochschulische Lehrveranstaltungen stellen Studierenden in der Regel zu wenig Möglichkeiten zur Verfü‐ gung, die methodisch-didaktischen Prinzipien für das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen sowie lernförderliche Lehr-Lern-Formate nicht nur (als wissenschaftlich begründete Empfehlung für unterrichtliches Handeln) kennenzulernen und zu reflektieren, sondern deren Effekte am eigenen Leibe zumindest modellhaft zu erfahren. Handlungs‐ orientierung und Interaktionsorientierung sowie deren lernwirksame Effekte können z. B. schlecht verstanden werden, wenn die Hochschuldozent: innen v. a. Präsentationen geben, Texte darüber rezipiert und referiert werden oder (Schein-)Diskussionen in kurzen Gruppenarbeiten verordnet werden. Ein alternatives Vorgehen, das z. B. Prinzipien des 140 Claudia Riemer <?page no="141"?> sog. „pädagogischen Doppeldeckers“ und „Sandwich-Prinzips“ (vgl. exemplarisch Wahl 2020) berücksichtigt, würde Studierenden möglichst autonomiefördernde Handlungsräume eröffnen, in denen sie fachliches Wissen durch Reflexion, Zusammenarbeit, Diskussion, die Erstellung eines Produkts (vgl. Schmidt in diesem Band) u. a. erwerben und erproben (zum „Anwendungsbezug“ fremdsprachendidaktischer Lehre vgl. Caspari in diesem Band; vgl. auch skeptischere Einschätzungen dazu von Schart in diesem Band). Wem z. B. Erfahrungen in effektiver themenbezogener Zusammenarbeit fehlen, sollte selbst erfahren, also am eigenen Leib erlebt haben, welche Möglichkeiten und Herausforderungen Partner- und Gruppenarbeit vorhalten, um daraus prospektiv reflektierte Haltungen zu entwickeln, die dem Umgang mit Sozialformen im Fremd-/ Zweitsprachenunterricht unterliegen. Fremd‐ sprachendidaktische Hochschullehre würde dabei v. a. aus Sicht der Studierenden nicht nur glaubwürdiger und kohärenter, sie würde Studierende besser abholen und ihnen Raum geben, eigene Vorstellungen zum Lehren und Lernen zu reflektieren - und sie könnte ihrem eigenen Anspruch auf Transfer und Nachhaltigkeit besser gerecht werden. Anders gesagt: Hochschullehrenden in fremd-/ zweitsprachendidaktischen Disziplinen inkl. DaF/ DaZ kommt hinsichtlich ihrer Vorbildfunktion für (zukünftige) Sprachlehrkräfte eine besondere Verantwortung zu. Und mit Blick auf diese Vorbildfunktion sollte gerade der methodisch-didaktischen Ebene der Ausgestaltung der akademischen Lehrveranstaltungen (inkl. Beratung und Prüfungen) sowie deren Weiterentwicklung und Erforschung, z. B. im Rahmen von Educational Design Research, stärkere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Literatur Caspari, Daniela (in diesem Band): „‚Teacher teach as they were taught‘ - Überlegungen zur fremdsprachendidaktischen Lehre in der Hochschule und darüber hinaus“, 19-28. DAAD (2022) = Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.) (2022): Internationale Studierende in Deutschland. Perspektiven aus Hochschulforschung und Hochschulpraxis. Bonn: DAAD. DOI: 10.46685/ DAADStudien.2022.05 (23/ 05/ 2024). DAAD/ DZHW (2023) = Deutscher Akademischer Austauschdienst/ Deutsches Zentrum für Hoch‐ schul- und Wissenschaftsforschung (2023): Wissenschaft weltoffen. Daten und Fakten zur Interna‐ tionalität von Studium und Forschung in Deutschland und weltweit. Bielefeld: wbv Publikationen. h ttps: / / www.wissenschaft-weltoffen.de/ de/ publikation (23/ 05/ 2024). Falk, Susanne/ Helmkamp, Michelle/ Thies, Theresa (2021): „Die Studieneingangsphase internatio‐ naler Studierender: Hochschulzugangswege und die Vorbereitung auf studienspezifische Anfor‐ derungen“. 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Es ist mir aber wichtig, den folgenden Ausführungen ein wissenschaftliches Verständnis von Hochschullehre zugrunde zu legen. So verstehe ich mit Wildt (2002) und Reinmann (2019) Hochschullehre als einen Gegenstand von Hochschuldidaktik, dessen Wissenschaftlichkeit zu unterstreichen ist: Die Suche nach wissenschaftlichen Perspektiven auf Lehren und Lernen wird [.] zur Daueraufgabe einer wissenschaftlich fundierten und als wissenschaftliche Praxis betriebenen Hochschullehre ‒ und diese wiederum verstärkt zum Gegenstand der Hochschuldidaktik als wissenschaftlicher Disziplin (Reinmann 2019, 9). Hochschuldidaktik bildet folglich den theoretischen wissenschaftlichen Rahmen, der sich mit Lehr- und Lernprozessen an Hochschulen beschäftigt und dazu beiträgt qualitätsvolle, nämlich wissenschaftliche Hochschullehre zu gestalten. Die Notwendigkeit eines verstärkt auf die Lehre gerichteten wissenschaftlichen Fokus erklärt sich durch die Bologna-Reform, durch deren Studienreformen und weitere Folgen wie dem Hochschulpakt 2020 nicht nur ein höherer Lehrbedarf entstand (Franz/ La‐ than/ Schuster 2011), sondern zeitgleich ein erhöhter Anspruch an die Qualität der Lehre im Tertiärbereich. Empirische Untersuchungen zur Struktur akademischer Lehre an deutschen Hochschulen, der Lehrpraxis und der Lehrbedingungen schauten beispielsweise auf As‐ pekte wie die Einschätzung der Lehrqualifikation und die Unterstützung der Lehrtätigkeit durch die Hochschule, aber auch auf Lehrautonomie sowie Motivationen und Zufriedenheit in der Lehre (ebd.). Die in der Kapitelüberschrift vorgenommene Fokussierung auf das Arbeitsgebiet der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre erfordert eine Differenzierung der institutionalisierten Bildungsräume im Hochschulsektor. Konkret ist hier der Unter‐ schied zwischen den Studiengangskonzeptionen an Pädagogischen Hochschulen und an Universitäten gemeint. Während Studierende der Fremdsprachen und von Deutsch als Zweitsprache zwar auch an Universitäten überwiegend Lehramtsabschlüsse anstreben, so steht dort dennoch die Fachdidaktik lediglich ‚neben‘ Sprach-, Literatur-, Kulturwis‐ senschaft. Anders sieht es an den Pädagogischen Hochschulen aus, deren Lehre fast <?page no="144"?> durchgängig mit Fachdidaktik verknüpft ist. Die von Diehr (2018, 84) prinzipiell zu Recht geforderte curriculare Kohärenz muss also nicht durch Absprachen und Kooperation von Fachdidaktiker: innen und Fachwissenschaftler: innen herbeigeführt werden, sondern ist der Lehre der fremdsprachlichen Fächer sowie von Deutsch als Zweitsprache an Pädagogischen Hochschulen inhärent: Unterrichtet werden Sprachdidaktik, Literaturdidaktik, Kulturdi‐ daktik und Fachdidaktik ohne weitere fachwissenschaftliche Spezifizierung, im Bereich Englisch also beispielsweise Teaching English as a Foreign Language (TEFL). Anzumerken ist in diesem Kontext, dass in der fremdsprachendidaktischen Auseinan‐ dersetzung mit fachwissenschaftlichen Themen keine Reduktion an Komplexität gesehen wird, sondern die Perspektive und der Handlungsraum einer angewandten, professionsori‐ entierten wissenschaftlichen Disziplin eingenommen wird, so wie sie sich im einschlägigen Theoriediskurs auf internationaler Ebene sowie im deutschsprachigen Raum in den letzten Dekaden etabliert haben (vgl. z. B. Kirchhoff 2017; Legutke/ Schart 2016). Auf Bundesebene weist die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) in ihrem Gutachten „Lehrkräf‐ tegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“ vom Dezember 2023 allerdings darauf hin, dass der Stellenwert der Lehrkräftebildung an den Universitäten insgesamt anzuheben sei. Zentren für Lehrkräftebildung und Schools of Education seien zu stärken und „eine gemeinsame Anstrengung von Ländern und Universitäten (auf Leitungs- und auf Lehrenden-Ebene)“ vorzunehmen (SWK 2023, 10). Die in dem Gutachten angestrebte Zielvorstellung eines ‚hochwertigen Unterrichts‘ lässt sich u. a. durch Unterrichtsprinzipien realisieren, die sowohl für die hochschuldidaktische als auch für die schulische Ebene gelten und die sowohl allgemeinpädagogischen bzw. interdisziplinären als auch fachspezifischen bzw. fremd- und zweitsprachendidaktischen Charakter haben. In einschlägigen Publikationen finden sich neben dem übergeordneten Paradigma der Wissenschaftlichkeit handlungsanleitende Aspekte für die Lehrenden wie beispielsweise das Gewähren von Autonomie (Appel 2018, 49), die Förderung von Eigen‐ verantwortung und die Verdeutlichung von Authentizität (Diener 2016, 129) sowie diesen Prinzipien entsprechende Lernformen wie selbstorganisiertes und -gesteuertes Lernen (Schmohl et al. 2019), forschendes und autonomes Lernen. Allerdings gibt es auch Gegenpositionen aus der allgemeinen Hochschuldidaktik, die vor einer zu einseitigen Ausrichtung des akademischen Lernens auf Wissenschaft warnen: „[Es] geht die Selbstreflexion der Hochschulbildung an den hochschulpolitischen Bedarfen und Entwicklungslinien einerseits sowie an der sich verändernden Praxis der Hochschulbildung hin zu transdisziplinären Lernformen andererseits vorbei“ (Schmohl 2021, 43). Eine re‐ flektierte Hochschulbildungsforschung benötige „eine theoretische Reflexion und ein[en] Austausch darüber, welche Referenzkonzepte einer erfahrungsbasierten Hochschullehre programmatisch zugrunde gelegt werden könnten“ und damit statt eines „shift from teaching to learning“ einen „shift from research to experience“ (ebd.). Vor dem Hintergrund der aktuell an verschiedenen Orten höchst kritisch diskutierten Dualen bzw. Integrierten Lehramtsstudiengänge, die konzipiert werden, um das Lehramt wieder attraktiver werden zu lassen und so dem Lehrkräftemangel zu begegnen, sollte die Relevanz einer theoriebezogenen Reflexionsfähigkeit m.-E. jedoch auf jeden Fall vor einer erfahrungsbasierten Reflexionsfähigkeit stehen. In einem offenen internen Positionspapier gegen die Einrichtung Dualer bzw. Integrierter Lehramtsstudiengänge verfasst 2023 von 144 Jutta Rymarczyk <?page no="145"?> Professor: innen der Pädagogischen Heidelberg wird unter anderem das Problemfeld „Ent‐ akademisierung der Lehrer*innenbildung“ angesprochen. Es wird zum einen befürchtet, dass der damit einhergehende Qualitätsverlust in der Lehrer: innenbildung das Signal an die Politik setze, dass die Lehrer: innenbildung auch auf insgesamt geringerem Niveau möglich sei. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass eine verkürzte Studiendauer an der Hochschule nicht zur Promotionsbefähigung führe und damit Folgeprobleme für die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses erzeuge. Sofern aber die Reflexionskompetenz angehender Fremdsprachenlehrkräfte in wissen‐ schaftlichen Kontexten und einer grundständigen fremdsprachendidaktischen Ausbildung in etablierten Lehramtsstudiengängen befördert wird, wird ihr ein hoher Stellenwert zugeordnet. So stellt etwa Roters (2018, 151 f.) in ihrer Untersuchung von Reflexionsprozessen im Rahmen der Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften heraus, dass die Reflexionsbereiche in Abhängigkeit zum Reflexionsniveau variieren und dass das Reflexionsniveau die Stufen der studentischen Professionalisierung widerspiegelt. Diehr (2021, 197) zeigt in ihrem ProPlan-Modell, das sie als „Orientierungs- und Reflexionsin‐ strument“ versteht, auf, dass Reflexion bereits im Kontext professioneller Planung von Fremdsprachenunterricht zum Tragen kommen sollte und nicht erst und ausschließlich nach erteiltem Unterricht. Das Kompetenzstrukturmodell regt zu systematischer und wissenschaftlicher Reflexion bei der Planung in allen bislang ausgearbeiteten Dimensionen an (fünf von insg. sechs) (vgl. Abb. 1 und für das gesamte Modell Diehr/ Bryan/ Steinkuhle/ Ziegler 2020). Sprachlernprozesse fördern Inhalte und Themen gestalten Kulturbezogenes Lernen fördern Sprachbewusstheit entwickeln Umgang mit Texten und Medien anleiten Kommunikationsangebote schaffen Abb. 1: Pro Plan Englisch. Ein Kompetenzstrukturmodell zur Unterrichtsplanung (Diehr/ Bryan/ Steinkuhle/ Ziegler2020). Es gilt also, Studierende in Hochschullehrveranstaltungen zu Reflexionskompetenz durch entsprechende, gleichermaßen wissenschaftsbasierte und praxisorientierte, Formate an‐ zuleiten. Hierzu zählen vorrangig alle Formen von Schulpraktika, in erster Linie das Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 145 <?page no="146"?> aktuelle integrierte Semesterpraktikum (ISP), aber auch Professionalisierungspraktika, die mit Beobachtungs- oder gar Forschungsaufgaben verbunden sind. Weitere Möglichkeiten zur Ausbildung von Reflexionskompetenz liegen in der Implementierung von Unterrichts‐ videos in der Hochschullehre, Simulationen sowie dem Lernen an Fallbeispielen, aber auch in der probeweisen Planung und Durchführung von Unterricht in Schulklassen (zur hervorgehobenen Bedeutung des sog. ‚antizipierten Unterrichts‘ vgl. Legutke/ Schart 2016, 36). Im Rahmen meiner Seminarveranstaltungen zu Content and Language Integrated Lear‐ ning (CLIL) haben Studierende in der Regel die Möglichkeit, ihr neu erworbenes Wissen in die Praxis umzusetzen, indem sie Unterricht in einer Grund- oder Realschule planen, un‐ terrichten und im Anschluss (angeleitet) gemeinsam reflektieren können. Eine begleitende Aktionsforschung (zuletzt in den Klassen 7 und 9) zielte sowohl auf die Reaktionen der Schüler: innen als auch der Lehramtsstudent: innen auf ihren ersten bilingualen Unterricht ab, um zukünftiges CLIL-Lehren und -Lernen zu optimieren. Die Studierenden gaben dabei einstimmig (n=15) an, es als positiv empfunden zu haben, im Rahmen des CLIL-Seminars die Gelegenheit gehabt zu haben, selbst zu unterrichten. Ein ähnlich positives Ergebnis, das ebenfalls die Relevanz probeweiser Planung und Durchführung von Unterricht für Studierende unter Beweis stellt, findet sich in der Stellungnahme zu der Aussage „Die praktischen Erfahrungen im CLIL-Seminar haben zu meiner Professionalisierung als Lehrkraft beigetragen“. Mit einem Durchschnitt von 1,2 auf einer 5-teiligen Likert-Skala (1 = stimme zu) gab eine große Mehrheit der Studierenden an, der Aussage zuzustimmen. Dieses Ergebnis ist insofern beachtlich, als über die Hälfte der Studierenden nicht in einem ihrer Studienfächer unterrichten konnte. Die Wertschätzung der Studierenden an dem Unterrichtsprojekt im Rahmen des Seminars spiegelt sich aber m. E. am klarsten in einer Antwort auf die Frage „Was hat Ihnen besonders gut an den bilingualen Unterrichtsstunden gefallen? Warum? “ Sie lautete „Erfahrungen zu sammeln und letztlich daran zu wachsen“ (Rymarczyk 2023). Diese Aussage unterstreicht die Relevanz der Vorschläge der SWK, durch Coaching-An‐ sätze, Reflexionen etc. die Praxisphasen im Studium aufzuwerten, um der Kritik, das Lehramtsstudium sei zu praxisfern, zu begegnen. Ob hierzu allerdings - wie ebenfalls vorgeschlagen - eine stärkere Einbindung der Seminarleitungen der zweiten Phase vorge‐ nommen werden sollte (SWK 2023, 81), ist m. E. kritisch zu hinterfragen. Forschungsergeb‐ nisse werden von den Seminarleitungen der zweiten Phase mitunter nur mit erheblicher Verzögerung wahrgenommen, sodass es zielführender sein mag, die Praxisphasen der Hochschullehre weiterhin von Forschenden gestalten und betreuen zu lassen. 2 Konzepte der fremd- und zweitsprachendidaktischen Hochschullehre in der Ausbildung von Fremdsprachenforscher: innen Die Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses gestaltet sich bekanntermaßen in un‐ serer Disziplin als vergleichsweise schwierig, da Absolvent: innen eines Lehramtsstudiums oftmals das Referendariat einer Dissertation vorziehen, um ihre Ausbildung abschließen zu können. Es sollte folglich die Aufgabe der Lehrenden sein, zunächst einmal Lust auf 146 Jutta Rymarczyk <?page no="147"?> 1 „Scholarship of Teaching and Learning ist die wissenschaftliche Befassung von Hochschullehrenden in den Fachwissenschaften mit der eigenen Lehre und/ oder dem Lernen der Studierenden im institutionellen Umfeld durch Untersuchungen und systematische Reflexionen mit der Absicht, die Erkenntnisse und Ergebnisse der interessierten Öffentlichkeit bekannt und damit dem Erfahrungs‐ austausch und der Diskussion zugänglich zu machen“ (Huber 2014, 21). Irritierend an dieser Definition ist der Umstand, dass Huber SoTL lediglich in den Fachwissen‐ schaften, nicht aber in der Fachdidaktik ansiedelt. Es ist aber davon auszugehen, dass Huber lediglich die Fachwissenschaften inkl. der Fachdidaktik in Abgrenzung zu den Bildungswissenschaften verstanden sehen will. 2 https: / / catnip-kryptops-5b2.notion.site/ Scholarly-teaching-in-linguistics-e4e7082ce98e45d7bdd6fa1 efb9c0181#c7b1d41e29fa46799c68d0150347f91c Forschung und Neugier auf unbekannte Handlungsfelder zu wecken. Die Einbindung in Forschungsprojekte, Kongresse und kleinere Symposien oder auch nur Diskussionsrunden mit interessierten Studierenden (oft Hilfskräften) stellen m. E. eine gute Gelegenheit dazu dar, da dort erste Erfahrungen gesammelt und reflektiert werden können - von Studierenden, die sich zu wissenschaftlichem Nachwuchs entwickeln können. In diesem Kontext lassen sich Konzepte der erfahrungsbasierten Hochschullehre bzw. konkret des situierten Lernens aus der pädagogischen Psychologie sowie auch aus der kognitionspsychologisch orientierten Bildungsphilosophie wiederfinden, die ‚Situierung‘ von Lernen in professionsspezifischen Handlungsfeldern betonen (vgl. Schmohl 2021, 47). Lernen wird als sozial-konstruktiver Interaktionsprozess konzeptualisiert, da es darin gesehen wird, „konkrete Erfahrungen in der praktischen Auseinandersetzung mit anderen zu machen und aufgrund dieser Auseinandersetzung Wissen in Form eines wechselseitigen Konstruktionsprozesses aufzubauen“ (ebd.). Die sog. „community of practice“ wird zur zentralen Größe, wenn es um die „Teilnahme an Reflexions- und Diskurspraktiken mit dem Ziel einer wechselseitigen Sinnkonstruktion“ geht (ebd.) Die unmittelbare Zusammenarbeit mit Studierenden wird ebenso als eins von fünf Good Practice-Prinzipien des ursprünglich aus dem angloamerikanischen Hochschulbildungs‐ system stammenden Scholarship of Teaching und Learning (SoTL) 1 genannt: While honoring the diversity of SoTL in its many forms across the globe, such principles can serve as a heuristic for assessing work in our field. These principles include (1) inquiry into student learning, (2) grounded in context, (3) methodologically sound, (4) conducted in partnership with students, and (5) appropriately public (Felten 2013, 122). Was als „a commitment to more shared responsibility for learning among students and teachers, a more democratic intellectual community, and more authentic co-inquiry“ (Hut‐ chings/ Huber in Felten, 2013, 123) beschrieben wird, entspricht dem Partizipationsanspruch in situationssensibler Lehre. Das Gleiche gilt für die als „Resources for scholarly teaching“ beschriebenen Best Practice-Komponenten der Linguistic Society of America (LSA) 2 , von denen die ersten beiden Nennungen die Relevanz des Diskurses mit Studierenden herausstellen: 1. Engaging Students 2. Building Community 3. Fostering Wellness Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 147 <?page no="148"?> 4. Creating an Inclusive Learning Environment 5. Creating Accessible Content Das Einbinden von Studierenden in die Hochschullehre, das sich nicht nur in der Ver‐ gabe von Referatsthemen erschöpft, sondern auch die Aufnahme in Forschungsprojekte einbezieht, optimiert nicht nur die Hochschullehre, sondern kann darüber hinaus weiter‐ gehendes Interesse für die Gegenstände der Fremdsprachendidaktik wecken und letztlich in der Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses münden. 3 Unterschiede in Konzepten und Qualitätskriterien der Fort- und Weiterbildung von Quer-/ Seiteneinsteigern und bereits praxiserfahrenen Lehrpersonen und denen, die in der Ausbildung von Lehrpersonen an der Hochschule zum Tragen kommen Die in den Ausführungen des ersten Kapitels angesprochene Skepsis gegenüber Dualen Studiengängen zur Abhilfe bei dem aktuellen Lehrermangel gilt in gleichem Maße gegen‐ über den (neuen) Wegen, die per Beschluss der KMK zu Sondermaßnahmen aus dem Jahr 2013 ermöglicht und für den Quer-/ Seiteneinstieg in den Lehrer: innenberuf konzipiert wurden und werden. Die SWK kritisiert, dass sich die Weiterbildungsmöglichkeiten der einzelnen Bundesländer für Personen ohne grundständige Lehramtsausbildung in Umfang, Inhalt, Zugangsvoraussetzungen und bei den Anbietern bzw. der Art der Zertifizierung stark unterscheiden (SWK 2023, 10) Die Kritik fällt ungewohnt harsch aus, wenn festgestellt wird, dass die Qualifikations‐ maßnahmen häufig die auf der Grundlage wissenschaftlicher Befunde definierten Stan‐ dards der Lehrerbildung unterlaufen: „Unter dem akuten Handlungsdruck vollzieht sich in einem schleichenden Prozess […] eine Aufweichung des Leitbilds einer wissenschaftlich qualifizierten professionellen Lehrkraft“ (SWK 2023, 11). Die Empfehlung der Kommission, Ein-Fach-Masterstudiengänge als wissenschaftlich fundierten Weg ins Lehramt einzurichten, kann seitens der Fremdsprachendidaktik m. E. auch nur mit größter Vorsicht in Betracht gezogen werden. Studierende mit einem fach‐ wissenschaftlichen Bachelor- oder Masterabschluss sollen damit ebenso wie Berufstätige in den Lehrberuf wechseln können (SWK 2023, 87 f.). Die Studiengänge, die ab dem dritten Semester Praxisphasen von bis zu 25 ECTS beinhalten sollen, stellen letztlich mit vier Semestern und insg. 120 ECTS auch nur eine extrem kurze Lehrgangsdauer dar. Es erscheint äußerst fragwürdig, dass in dieser kurzen Zeit das Spezifikum der fremdsprachlichen Fächer, nämlich den Gegenstand Fremdsprache im Medium Fremdsprache zu unterrichten, in all seinen Facetten vermittelt und erfasst werden kann. 4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Rahmen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen In der Diskussion des Forschungs- und Entwicklungsbedarfs im Rahmen fremdsprachen‐ didaktischer Hochschullehre klammere ich technische Entwicklungen im Folgenden aus, obwohl die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz mit textbasierten Dialogsystemen 148 Jutta Rymarczyk <?page no="149"?> 3 https: / / catnip-kryptops-5b2.notion.site/ Scholarly-teaching-in-linguistics-e4e7082ce98e45d7bdd6fa1 efb9c0181#f92523a6e6434212b36d46e483ebc7ad 4 Laut Forschung und Lehre, dem Organ des Deutschen Hochschulverbands, begannen im Durchschnitt der Studienjahre 2017 bis 2021 52.500 Menschen ein Lehramtsstudium, aber nur 28.300 schlossen mit dem Referendariat ab (Krapp 2023). 5 Die ursprüngliche Frage lautete: „How can teachers of linguistics advance justice, equity, diversity, and inclusion in their classrooms and in the discipline? “. wie beispielsweise dem Chatbot ChatGPT für unser Feld zweifellos weitreichende Konse‐ quenzen hat. Ich konzentriere mich stattdessen auf Forschungs- und Entwicklungsbedarf vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen, weil diesem Bereich angesichts der aktuellen Brisanz der Weiterentwicklung und Handhabung von künstlicher Intelligenz insgesamt weniger Aufmerksamkeit zukommt, ich ihn aber durchaus für wesentlich erachte. In den USA scheinen aktuell vermehrt Schwerpunkte sowohl in der Hochschullehre als auch im wissenschaftlichen Diskurs, beispielsweise im Rahmen von Konferenzen, mit Blick auf soziale Gerechtigkeit gesetzt zu werden. Die Linguistic Society of America regt beispielsweise an, linguistische Ausbildungsanteile daraufhin zu beleuchten, wie die Auswahl und Präsentation von Sprachen Rassismus, Kolonialismus, Sexismus „and a host of additional -isms“ reproduzieren und/ oder entgegenwirken kann. 3 Die Empfehlungen der Gesellschaft für die linguistische Hochschullehre „Scholarly Tea‐ ching in Linguistics“ reichen von der Aufforderung, den sprachlichen Hintergrund und die Familiensprachen der Studierenden aufzugreifen, die an unsere Arbeit zu Mehrsprachigkeit erinnert, bis hin zu dem Aufruf, den Gebrauch des Begriffs „speaker“ zu überdenken, was in unserem Kontext vermutlich doch zunächst eher erstaunt. Es wird davor gewarnt, „speaker“ nur auf Erstsprachler: innen zu beziehen, die die Sprache fließend beherrschen, um Menschen nicht zu entlegitimieren, die die Sprache erst später erworben oder gelernt haben, und um die Benutzer: innen von Zeichensprache nicht auszuschließen (zur Quelle s. Fußnote 3). Angesichts der beständig ansteigenden Heterogenität unserer Studierendenschaft, die zunehmend junge Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen aufweisen wird, sollten wir m. E. jedoch durchaus überdenken, inwiefern wir auf die Sprachen bezogene bildungspolitische, fremdsprachendidaktische und -methodische Gestaltungsräume ähn‐ lich oder zumindest anders angehen können. Vielleicht wird dann der Studienverlauf des Lehramts (in den fremd- und zweitsprachlichen Fächern) nicht mehr mit einem Trichter verglichen werden können, weil die Lehrkräfteausbildung nur noch eine geringere Zahl an Studienabbrüchen zu verzeichnen hat. 4 Ich möchte schließen mit einer adaptierten Version einer der drei Leitfragen der letztjährigen „Conference on Scholarly Teaching and Scholarship of Teaching and Learning SoTL in Linguistics“ an der University of Massachusetts, Amherst: „How can teachers of [foreign and second language teacher education courses] advance justice, equity, diversity, and inclusion in their classrooms and in the discipline? “ 5 Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre 149 <?page no="150"?> Literatur Appel, Joachim (2018): „Fachlichkeit, Fachdaktik und das Wissen von Fremdsprachenlehrkräften“. In: Diehr (Hrsg.), 35-54. 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Zwei Arbeitsstränge aktueller Fremdsprachenforschung fließen in diesen Text ein: 2018 hat sich die Frühjahrskonferenz bereits mit „Rolle und Professionalität von Fremdsprachen‐ lehrpersonen“ (Burwitz-Melzer et al. 2018) befasst, die zweite Schnittstelle besteht zur Frage nach Inhalten und Themen der fremd- und zweitsprachenbezogenen Hochschullehre, der sich Caspari und Grünewald (2022) widmen. Beide Stränge werfen die Frage nach der Professionalität der Professionalisierenden auf: Welche Rollen und welche Professionalität kennzeichnet diese Berufsgruppe? Auf welches Wissen wird zugegriffen und vor welchen Annahmen über die Wirksamkeit wird es hochschuldidaktisch bearbeitet? Für die Arbeit an diesen Fragen soll erstens eine praxistheoretische Perspektive einge‐ nommen und (Auto-)Ethnographie als forschungsmethodologischer Zugriff der Hochschul‐ forschung diskutiert werden. Zweitens sollen exemplarische Arbeiten dieser Ausrichtung aus der Fremdsprachenforschung vorgestellt werden. 2 Praxistheoretische und ethnographische Perspektiven auf die Hochschuldidaktik in der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre der Lehrer: innenbildung Die Akteure der Lehrer: innenbildung bewegen sich in dem Dilemma, einerseits Forschende zu sein, andererseits Studierende für einen Beruf auszubilden, was mit der „Unhintergeh‐ barkeit von Nützlichkeitserwartungen“ (Herzmann 2021, 50) verbunden ist. Vielfach sind zur Bearbeitung dieses Dilemmas Ziele wie Ausbildung eines Forschenden Habitus formu‐ liert worden. Eine generelle Erhöhung von Praxisanteilen wurde mit Ansätzen wie dem Forschenden Lernen oder kritisch-emanzipatorischen Formaten wie Aktionsforschung und mit entsprechenden selbstreflexiven Instrumenten wie Portfolios zu tragenden Elementen der Hochschullehre gemacht. Diese können auch als die in Leitfrage 1 angesprochenen Konzepte, Lehrveranstaltungsformate und Tools gelten, die für die Hochschullehre in den <?page no="154"?> 1 Die Beschäftigung mit Wissenspraktiken wurde unter anderem durch Mitarbeit in einer so ge‐ nannten Special Interest Group der „Zentralen wissenschaftlichen Einrichtung für Lehrer: innenbil‐ dung“ der Universität Göttingen intensiviert, deren Anliegen es ist, schulische Innovationsprozesse aus der Binnenperspektive am Beispiel einer Gesamtschule zu rekonstruieren. Grundannahmen des Projekts sind zum einen die Nicht-Linearität von Transfer- und damit auch Innovationsprozessen sowie zum anderen das Interesse dafür, Innovationsprozesse lokal und aus der Praxis heraus zu verstehen. Zweit- und Fremdsprachen geeignet erscheinen. Einige ihrer Elemente sollen im Folgenden diskutiert werden. 2.1 Praxistheorie - Wissenspraktiken als Erkenntnisinteresse der Hochschulforschung Die in Leitfrage 4 angesprochene Problematik des Wissenstranfers berührt die Frage nach den Konzepten und Formaten fremd- und zweitsprachendidaktischer Lehre und ihrer Qualitätskriterien insofern, als hier auch zu klären ist, auf welche Wissens-, Könnensund/ oder Kompetenzbegriffe sie rekurriert oder rekurrieren will. Für die Diskussion dieser Frage erscheinen praxistheoretische Perspektivierungen sinnvoll 1 : Füssel (2021) beispielsweise definiert Wissen als an Praktiken gebunden, in denen es sich - immer wieder neu - aktualisiert und materialisiert. Wissenspraktiken sind beispielsweise das Evaluieren, Weitergeben oder Notieren. Gängige Praktiken in der akademischen Lehre der Fremd- und Zweitsprachendidaktik sind beispielsweise das Herstellen tabellarischer Verlaufspläne, das ‚Sammeln‘ von Dokumenten für Portfolios, das Schreiben von Hausar‐ beiten oder die Herstellung von Unterrichtsmaterialien, Tafelbildern o.ä. Praktiken sind „in Raum und Zeit situierte sich wiederholende Vollzüge von Sprech‐ akten und Handlungen im Zusammenspiel von Dingen und körperlichen Routinen von Akteuren“ (Füssel 2021, 92). Ins Interesse gerät damit die Mikroebene menschlichen Tuns, die jedoch nicht als individueller Einzelfall interessiert, sondern als Verhandlungsraum übergeordneter Diskurse, deren Verbreitung und Durchsetzung die Praktiken erkennen lassen können (vgl. Füssel 2021, 10-12 mit Bezug auf Foucaults Wissens- und Machtbegriff). Der Ansatz, Wissen als Praxis zu betrachten, erlaubt eine Abkehr von linear gedachten Transformationsprozessen und stellt Metaphern wie ‚Anwendung‘ oder ‚Umsetzung‘ in Frage. Was in strukturtheoretischen Ansätzen der Lehrer: innenbildung (Helsper 2016) und Hochschulforschung (z. B. Herzmann 2021) als verschiedene Wissensarten ausgearbeitet wird, wird durch das Verständnis von Wissen als Praxis insofern kurzgeschlossen, als sich hier Dichotomien wie Theorie und Praxis, Buchwissen und Handlungswissen, deklaratives und prozedurales, implizites und explizites Wissen etc. als nicht hilfreich erweisen und sich das Interesse aus der Dichotomisierung heraus und auf den Nachvollzug der „sich wiederholenden Vollzüge“ (Füssel 2021, 92) verlagert. Als Wissenspraxis wird Wissen also nicht als Voraussetzung, Folge oder in irgendeiner anderen Art vom Können oder seiner ‚praktischen Umsetzung‘ abgegrenzt verstanden. Im Gegenteil ist jedes Wissen grundsätzlich an ein praktisches Tun (z. B. Schreiben, Erklären, im Seminar diskutieren, eine Aufgabe bearbeiten etc.) sowie an eine bestimmte Materialität (z. B. einen Aufsatz, einen Vortrag, eine Stundenplanung, einen Evaluations‐ 154 Birgit Schädlich <?page no="155"?> 2 Die ‚Interessen‘, die Cassin und Büttgen (2010) sowie Cassin (2014) nachzeichnen, beziehen sich auf die zunehmend neoliberale Orientierung des Bildungswesens, die sie in der Allgegenwart von Evaluationsrastern materialisiert sehen. Für die Fremdsprachenforschung hat beispielsweise Huver (2017) die Entstehung des Begleitbandes zum GER im Rückgriff auf Cassin kritisiert. bogen) gebunden, die ihrerseits bestimmte Arten der Äußerung von Wissen möglich oder auch unmöglich machen. Ein „Ankreuz-Evaluationsbogen“ macht beispielsweise eine Entwicklungsnarration unmöglich, in einem reflexiven Portfolio wird fachdidaktisches Wissen anders ver- und bearbeitet als in einer Klausur, in einem kollaborativen Wiki anders als in einem Forschungstagebuch. Wissen ist in wissenspraktischer Perspektivierung also keine Frage des Was, dem ein Wie irgendwie folgen würde, sondern grundsätzlich nur als Wie überhaupt existent. Für die Praxis des Lehrberufs, die Praxis der Lehrer: innenbildung und Hochschulforschung erlaubt es der Ansatz beispielsweise, die Erscheinungsformen von Wissen situativ, textsorten- und materialitätsgebunden zu beschreiben und dadurch verhandelbar zu machen. 2.2 Wie bekommen wir Zugang zu den Wissenspraktiken der Hochschullehre? Ethnographie und Autoethnographie als Habitusreflexion Der Anspruch, Wissen als Praxis in der Lehre zum Thema und Anliegen von Aushand‐ lungsprozessen zu machen, ist eng mit der Frage verbunden, wie es - auch im Sinne der in Leitfrage 1 aufgerufenen „Gelingensbedingungen“ - zu erforschen wäre. Der Forderung von Herzmann (2021, 55-56), Lehrer: innenbildung als Hochschulforschung zu betreiben, ist daher unbedingt zuzustimmen, bleibt allerdings eng mit dem Problem verknüpft, das Wilkesmann für die Hochschulforschung generell beschreibt: die sich selbst Beforschenden haben Distanz weder zum Feld noch zu sich selbst und drohen daher leicht in die Fallen von „Selbstobjektivierung und Selbstüberschätzung“ (Wilkesmann 2019, 39 f.) zu tappen. Die Akteure sind einerseits Expert: innen, andererseits verfügen sie über (zu) wenig Selbstdistanz. Um diesem Problem zu begegnen, schlägt Wilkesmann paradoxerweise (oder konsequenterweise? ) ausgerechnet Autoethnographie als Forschungsansatz vor. Gegenstück wäre eine Fremdevaluation durch externe Akteure, die sich allerdings dem Feld auch nicht interessenlos nähern dürften (vgl. z.-B. Cassin/ Büttgen 2010 2 ). Die Beschäftigung mit und (selbst-)kritische Infragestellung von eigenen Prägungen ist ein durchgängiges Motiv der Lehrer: innenbildung und betrifft somit auch die Lehrer der Lehrer, denn Dozierende sind immer auch Modell: Sie ‚führen vor‘ bzw. ‚auf ‘, was sie sich in ihrer eigenen (hochschuldidaktischen und fachdisziplinären) Sozialisierung angeeignet haben (vgl. Wolf et al. 2021, 6). Dies geht als Habitus nicht nur weit über das Wissen (fremdsprachendidaktischer, bezugswissenschaftlicher, forschungsmethodischer Art) hinaus, sondern reflektiert auch habitualisierte, reflexiv unzugängliche Anteile der jeweils aktualisierten hochschuldidaktischen Praxis. Den Habitus als Hochschullehrer: in offenzulegen und zu reflektieren (vgl. Jenert 2021, 83), wird in jüngeren Arbeiten zur Lehrer- und Lehrerbildner: innenforschung als „Habi‐ tusreflexion“ gefordert und erscheint - wenn wir unsere Modellfunktion ernst nehmen und vielleicht sogar selbstkritisch mit Leben füllen wollen - als Notwendigkeit. Dass Hochschullehre als Problem der Hochschulforschung 155 <?page no="156"?> 3 Laut Bourdieu stößt ein solcher Anspruch allerdings - vielleicht wegen der notwendig selbstkriti‐ schen Positionierung - auf Widerstand. Tatsächlich liegt in ihr die Möglichkeit, aus dem (vermeint‐ lichen) nicht-Gelingen hochschuldidaktischer Interventionen Genaueres über deren strukturelle Verankerung zu erfahren: Einen Ansatz zur Entwicklung von Lehrpersonen in einem Universitäts‐ seminar, bei welchem der intendierte „conceptual change“ (vgl. Kubanyiova 2021) ausbleibt, lässt die Verfasserin auf die makrostrukturellen Kontexte der Fremdsprachenlehrer: innenbildung im slowakischen Bildungssystem blicken und das - eben nur vermeintlich individuelle - Scheitern des hochschuldidaktischen Konzepts kontextualisiert verstehen. Schädlich (2021, 62) zeichnet ähnlich die als problematisch wahrgenommene Bearbeitung von Aufgaben in einem digitalen Setting der Lehrer: innenbildung nach und beobachtet vergleichbare Problembeschreibungen in affinen Studien, die auf typische Dilemmata der Hochschullehre und kollaborativen Lernens verweisen. sich jedoch weite Teile der beteiligten Akteursgruppen überhaupt nicht für die Lehrer: in‐ nenbildung zuständig fühlen (vgl. Schrittesser 2020, 843) und Studierende immer wieder massive Diskrepanzerfahrungen äußern (vgl. Roters 2012, 273; Bergmann et al. 2021, 133) zeigt umso deutlicher, dass in den „kompartmentalisierten Disziplinen“ (Diehr 2018, 83 und in diesem Band) nicht nur Wissensarten konkurrieren, sondern auch Logiken der Wissenschaftskommunikation und der Wissenschaftsvermittlung (vgl. Herzmann 2021, 52). Der Selbstwiderspruch, der dem Anliegen einer Habitusreflexion anhaftet - kenn‐ zeichnet doch der Habitus im Bourdieuschen Sinne sich gerade durch Bewusstsein‐ sunzugänglichkeit aus - kann jedoch produktiv gewendet werden dadurch, dass hier Schnittstellen zu Auseinandersetzungen mit Reflexivität liegen, die bereits fremdsprachen‐ didaktisch perspektiviert sind (z. B. Bechtel/ Rudolph 2022). Gleichzeitig erlaubt es die soziologische Orientierung, Aspekte von Wissenspraktiken in größeren Kontexten der Wissensproduktion und ihrer machtvollen Durchsetzung besser in den Blick zu rücken als dies für psychologische Sichtweisen, die stark auf der individuellen Ebene verbleiben, der Fall ist. Anspruch an eine Selbstbeforschung wäre also, aus der Subjektperspektive a) den eigenen Selbstverständlichkeiten auf die Schliche zu kommen und dies b) in einer „an‐ tinarzißtischen“ (Bourdieu 1993, 368) Art und Weise zu tun, die über Anekdotisches hinaus Verallgemeinerbares am emblematischen Einzelfall, der auf seine eigenen Verstrickungen in das allgemein Strukturelle verweisen kann, hervorbringt 3 . Das Selbstreflexionsgebot ethnographischer Forschung führt in seiner Konsequenz also beinahe zwangsläufig in die Autoethnographie (vgl. auch Ellis 2004, die dies in ihrer biographischen forschungsmetho‐ dologischen Entwicklung nachzeichnet; sowie Massmünster 2014). 3 Beispiele aus der Fremdsprachenforschung und selbstreflektierende Präsentation des Projekts SimLit Der folgende Abschnitt stellt exemplarisch einige Arbeiten der Fremdsprachenforschung vor, die selbst zwischen Hochschuldidaktik und -forschung oszillieren und die einleitend aufgeworfenen Fragen nach der Professionalität der Hochschullehrenden, den gewählten Formaten sowie Inhalten bearbeiten. Zur Erforschung der hochschuldidaktischen Wissenspraktiken erscheinen (auto-)ethno‐ graphische und biographische Herangehensweisen und Methoden sinnvoll, die Lehrver‐ anstaltungen rekonstruieren, welche situative Wissenstransformationen erkennen lassen 156 Birgit Schädlich <?page no="157"?> (vgl. Schädlich 2018, 171) und dabei habitusreflexive Konstruktionsprozesse aller Akteure zum Gegenstand machen: Autoethnographische Verfahren werden in jüngster Zeit als lehrerbildendes Konzept eingesetzt, so beispielsweise in den Veranstaltungen, die Mihan (2022) oder Heidt (2022) zur rassismuskritischen Lehrer: innenbildung gestalten (vgl. auch Rymarczyks Verweis auf die Leitlinien der Linguistic Society of America in diesem Band). Heidt (2022) bezieht sich auf Gerlachs Kritische Fremdsprachenforschung (Gerlach 2020), Gerlach selbst arbeitet in diesem Kontext ebenfalls duoethnographisch (vgl. Banegas/ Ge‐ rlach 2021). Aus der Perspektive fremdsprachendidaktischer Lehrerbildner: innen (vgl. Kraler 2015) interessiert sich die Arbeitsgruppe Teacher Educators as Professionals (TEaP) in struktur‐ theoretischer und biographischer Orientierung für professionelle Identitäten. Die Gruppe arbeitet im Sinne der community autoethnography (vgl. Toyosaki et al. 2009) und trifft sich als community of practice in regelmäßigen Abständen (vgl. Abendroth-Timmer et al. 2022). Autoethnographische Essays zur Professionsbiographie der Gruppenmitglieder werden kollaborativ ausgewertet und weitergeschrieben. Die Arbeiten der Gruppe können dazu beitragen, die „Fragen nach den individuellen Prämissen vorgelagerten biographischen Herstellungs- und Aneignungslogiken“ (Wolf et al. 2021, 2) zu erhellen. Abschließend expliziere ich einige Elemente meiner lehrerbildenden Praxis, die sich in den letzten beiden Jahren im Projekt SimLIt (= „Globale Simulation und Literaturarbeit. For‐ schendes Lernen zur Implementierung handlungsorientierter Methoden im Schülerlabor“) verdichtet haben. Es handelt sich um ein Format im Kontext des Göttinger Master of Education Französisch, das sowohl ein typisches Element so genannter Praxisorientierung darstellt, wie auch eine Sensibilisierung für empirische Unterrichtsforschung leisten soll. Ziel ist - im Sinne einer doppelten Professionalisierung (vgl. Helsper 2001) - die Gestaltung und distanzierend-forschende Reflexion von Unterricht, die von den bereits vorfindbaren Realitäten ausgeht (vgl. Schädlich 2022, 62-64) und das Wissen für die Praxis als weiterzu‐ schreibendes und zu erforschendes Wissen der Praxis versteht. Die Methode der simulation globale erscheint dafür als fachdidaktischer Wissensinhalt ebenso geeignet wie es verwunderlich bleibt, dass sie - zumindest nicht in der Reinform ihres Entstehungskontextes in den 1990er Jahren (vgl. Débyser/ Yaiche 1996) - den Weg in den Fremdsprachenunterricht nie recht ‚geschafft‘ hat. Es handelt sich also um einen der typischen Fälle so genannten Scheiterns einer innovativen Idee an der Praxis, das wir im Projekt SimLit durch praktische Weiterentwicklung besser verstehen wollen. Die Studierenden konstruieren und rekonstruieren die Planung und Durchführung einer simulation globale über ethnographische Methoden. Vor dem Anspruch einer handelnden Einübung in grundlegende Prinzipien rekonstruktiver Unterrichtsforschung werden Beob‐ achtung als Methode (vgl. De Boer/ Reh 2012), offen kodierende Verfahren sowie Ansätze gegenstandsverankerter Theoriebildung (vgl. Braun/ Clarke 2012) vorgestellt und eingeübt. Das Modul wurde zweimal gemeinsam mit Laura-Joanna Schröter (Doktorandin am Arbeitsbereich Didaktik der Romanischen Sprachen/ Göttingen) gestaltet und folgt der Idee des Teamteaching (und damit der in Leitfrage 3 angesprochenen Förderung des so Hochschullehre als Problem der Hochschulforschung 157 <?page no="158"?> 4 Das Konzept lehnt sich an das ‚Hetarios-Programm‘ an, das die Hochschuldidaktik der Uni Göttingen in Kooperation mit der Graduiertenschule Geisteswissenschaften zur hochschuldidaktischen Förde‐ rung des so genannten wissenschaftlichen Nachwuchses über viele Jahre hinweg angeboten hat (vgl. https: / / www.uni-goettingen.de/ de/ 127353.html). 5 Vgl. zu ähnlichen Arrangements und Konzepten wie Professionelle Lerngemeinschaften, Communities of Practice oder Networked Improvement Communities die Beiträge von Siebold, Martinez und Viebrock in diesem Band. genannten wissenschaftlichen Nachwuchses 4 ). In Analogie zu dem Forschungsansatz, den wir mit den Studierenden eingeübt haben, haben wir unsere Gespräche über Planung und Wahrnehmung des Lehr-/ Lerngeschehens als Autobzw. Duoethnographie (vgl. Anderson 2006; Lowe/ Lawrence 2020) reflexiv begleitet und dabei auch unser empirisches Material (Beobachtungsprotokolle, Feldnotizen, Kodierungen, Memos) in die Seminardiskussionen eingebracht. Die Auflösung chronologischer Linearität von Wissensanwendung zeigt sich bei SimLit auch daran, dass alle Beteiligten das gleiche tun - eine simulation globale (re-)konstruieren - dabei aber jeweils ihre spezifischen Interessen, ihr Vorwissen bzw. aktuelle Expertise einspielen und durch Schreibpraktiken (vgl. Reh 2012) verändern. 5 Es kann an dieser Stelle nicht umfassend auf die Ergebnisse der Rekonstruktionsarbeit eingegangen werden (vgl. z. B. Schädlich/ Schröter erscheint). In wissenspraktischer und habitusreflexiver Perspektivierung möchte ich beispielhaft das prominente Interesse der Studierenden an Mehrsprachigkeit in der simulation globale skizzieren, die sich dafür interessiert haben, wie Sprachwechsel realisiert, bewertet und analysiert werden. Die Empirie liefert zu dieser Frage reichhaltiges Material: Es werden klare monolinguale Positionierungen evident. Praktiziert wird eine Orientierung an Einsprachigkeit, die die meisten Teilnehmenden ‚theoretisch‘ überwunden zu haben glauben, die aber als monolin‐ gualer Habitus sich in Kleinstpraktiken wieder und wieder aktualisiert, bisweilen aber auch durchbrochen oder umgedeutet wird. Das professionalisierende Moment sehe ich an genau dieser Stelle, wo eine Praktik sich auf der Mikroebene aus einer Situation heraus überraschend anders vollzieht und die Akteure dadurch auf das sonst Habitualisierte aufmerksam macht und es somit zur Weiterbearbeitung verfügbar gemacht wird. Dies zu beobachten (zu lernen) erscheint mir ein sinnvolles Anliegen hochschuldidaktischer Szenarien, weil sie Linearität und Intentionalität didaktischer Handlungen nicht gänzlich negiert, aber aus der Praxis heraus bereits Fragen an sie gestellt werden. 4 Weiterführende Fragen und Forschungsdesiderate Ausgehend von der wissenspraktischen Perspektive sowie der Forderung nach Habitusre‐ flexion möchte ich zwei Forschungsdesiderate formulieren: Die Förderung des sog. wissenschaftlichen Nachwuchses hängt eng mit der in Leitfrage 3 aufgeworfenen Problematik zusammen, nämlich der Fort- und Weiterbildung - die sog. dritte Phase - sowie mit Quer- und Seiteneinstiegen in den Lehrberuf. Vor der Problematisierung von linear gedachten Wissenstransfers erscheint bereits die Struktur der Lehrer: innenbildung problematisch: ihre Chronologie mit drei Phasen, in denen sich das Wissen von der Uni in die Praxis bewegen soll, hat das hierarchisierende ‚erst die Theorie, dann die Praxis‘ gleichsam zu ihrer unterliegenden Orientierung gemacht. Der 158 Birgit Schädlich <?page no="159"?> Versuch, diese Chronologisierung zu problematisieren, führt von der Frage, wer von einem defizitären Zustand didaktischen Könnens aus professionalisiert werden könne, hin zu der Frage, wer in einer spezifischen biographischen Situation über welche Art von Wissen und professionsrelevanter Expertise verfügt und wie dieses zur Praxis des Fremdsprachenunterrichts beitragen kann: Wo werden (gegebenenfalls problematische) Strukturen zementiert? Wo liegen Potenziale der Kritik und Veränderung? Hochschullehrende und Lehrerbildner: innen sind einerseits frei in Forschung und Lehre, können aber andererseits auf die strukturellen Rahmungen selbst nur bedingt Einfluss nehmen. Vor allem die zunehmend ökonomische Ausrichtung von Bildungsangeboten, verbunden mit Performanz-Erwartungen (vgl. Cassin 2014) zwingen zu Positionierungen, die in Widerspruch geraten können mit den (Selbst-)Erwartungen und kritisch-transfor‐ matorisch orientierten Bildungsbegriffen vieler Lehrerbildner: innen. Für die Lehrer: in‐ nenbildung wurde dieses Dilemma bereits mehrfach ausbuchstabiert (z. B. Brinkmann 2020, 3; Schädlich 2022, 56). Ein Desiderat habitusreflexiver Hochschulforschung besteht daher sicherlich auch darin, die potenzielle Doppelgesichtigkeit kritisch-emanzipatorischer Ansätze der Hochschuldidaktik forschend unter die Lupe zu nehmen. 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Aufgrund des Rahmenthemas kommen wir diesmal jedoch nicht umhin, uns selbst den Spiegel vorzuhalten. Denn im Kern geht es um die Frage, inwiefern unsere Entscheidungen und unser Handeln als Akteurinnen und Akteure in der Lehrendenbildung den hohen Anforderungen gerecht werden, die wir in konzeptionellen Überlegungen oder als Konsequenz aus empirischen Studien an die Praxis des Fremdsprachenunterrichts und das Handeln von Lehrenden herantragen. Wir kommen dabei meines Erachtens nicht umhin, unser berufliches Selbstbild als Forscherinnen und Lehrer zu thematisieren. In der Fremdsprachendidaktik zeigt sich seit einigen Jahren ein zunehmendes Interesse an der Identität von Lehrenden (Barkhuizen 2017) und Lernenden (Block 2014). Das Erlernen einer Fremdsprache wird auch als „identity work“ (Douglas Fire Group 2016, 31) beschrieben (vgl. Gerlach in diesem Band). Vor dieser Folie betrachtet, erscheinen die Prozesse der universitären Lehrendenbildung in einem anderen Licht. Denn es drängt sich die Frage auf, wie sich unsere berufliche Selbstwahrnehmung - als Forschende und (ehemalige? ) Fremdsprachenlehrende - auf die universitäre Lehre auswirkt, auf unsere Seminarkonzepte und nicht zuletzt auf das Bild, das wir den Studierenden vom Fremdsprachenunterricht, vom Lehrberuf und auch von Forschung vermitteln. Mit dem folgenden Beitrag unternehme ich den Versuch, mögliche Antworten auf diese Frage zu umreißen. 2 Handlungsfelder der Fremdsprachendidaktik Grundlegend für meine Argumentation ist die Überlegung, dass wir es in der Fremdspra‐ chendidaktik mit mindestens drei, deutlich voneinander abgrenzbaren Handlungsfeldern zu tun haben: der Praxis des Fremdsprachenunterrichts (Praxis I), den Forschungen rund um <?page no="164"?> das Lehren und Lernen von Fremdsprachen (Praxis II) sowie die Aus- und Fortbildung von Lehrenden (Praxis III). Diese Ausdifferenzierung ergibt sich als notwendige Konsequenz, wenn man anerkennt, dass sich die drei Handlungsfelder sowohl mit Blick auf die jeweiligen Zielsetzungen als auch die typischen Handlungen der Beteiligten erheblich voneinander unterscheiden (vgl. die Beschreibung eines „doppelten Praxisverständnisses“ bei Meister/ Hericks 2021). Handlungsfelder der Fremdsprachendidaktik Praxis I Fremdsprachenunterricht Praxis II fremdsprachendidaktische Forschung Praxis III Aus- und Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden Methodologie Methoden Ergebnisse Didaktik der Aus- und Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden Didaktik des Fremdsprachenunterrichts Abb. 1: Handlungsfelder der Fremdsprachendidaktik (Feicke u.-a. 2023, 3) Weshalb die drei Formen von Praxis, wie sie Abbildung 1 darstellt, jeweils eigenen Hand‐ lungslogiken folgen und mithin in ihrer spezifischen Dynamik betrachtet werden müssen, lässt sich an konkreten Beispielen veranschaulichen: Das Gestalten einer interaktiven Unterrichtseinheit (Praxis I) stellt uns vor vollkommen andere Herausforderungen als die Planung und Durchführung eines Forschungsprojekts zur unterrichtlichen Interaktion (Praxis II). Und beide Praxisfelder unterscheiden sich wiederum von der Aufgabe, zukünf‐ tige Lehrende in einem universitären Seminar auf die Gestaltung interaktionsförderlicher Lehr- und Lernumgebungen vorzubereiten (Praxis III). Trotz vielfältiger Berührungspunkte und Überschneidungen erscheint es daher sinnvoll, die Eigenständigkeit der drei Hand‐ lungsfelder zu betonen und anzuerkennen, dass sie sich nicht ohne weiteres aufeinander beziehen lassen. Die Verbindungen zwischen Praxis I, II und III entstehen zum einen durch die handelnden Personen, etwa wenn es zu den beruflichen Aufgaben von Professorinnen zählt, auch Fremdsprachenunterricht auf Niveaustufe A zu erteilen, was im Bereich Deutsch als Fremdsprache außerhalb der deutschsprachigen Länder eine weit verbreitete Situation ist. Zum anderen ergeben sich Berührungspunkte über die theoretischen Grundlagen, die alle drei Handlungsfelder in jeweils spezifischer Ausformung begleiten. Abbildung 1 soll veranschaulichen, dass es auch bei den theoretischen Grundlagen weite Bereiche 164 Michael Schart <?page no="165"?> gibt, die voneinander unabhängig sind. Jede Unterrichtsstunde wird beispielsweise von den individuellen Überzeugungen und Wertvorstellungen der Lehrenden stark geprägt. Sie bilden somit ein zentrales Element der Theorie zu Praxis I, stehen jedoch, wie die vielfältigen Forschungen zu Kognitionen von Lehrenden zeigen, in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu den theoretischen Konstrukten, die aus Praxis II hervorgehen (vgl. Freeman et al. 2019). Auch das Zitat von VanPatten (2020) zu Beginn dieses Beitrags weist darauf hin, dass sich die Theorien von Praxis I und Praxis II zu einem großen Teil in anderen Welten abspielen. Abbildung 1 erinnert uns deshalb daran, die Bedeutung der Produkte von Forschungspraxis für die Unterrichtspraxis realistischer, zuweilen sicher auch mit etwas mehr Demut zu bewerten. 3 Forschung als „Meta-Praxis“ Zum gängigen Sprachgebrauch unserer Disziplin gehört es, von „Theorie-Praxis-Bezie‐ hung“ zu sprechen, wenn wir auf das Verhältnis von akademischer Fremdsprachendidaktik und Fremdsprachenunterricht verweisen wollen. Wie Abbildung 1 verdeutlicht, greift diese Formulierung deutlich zu kurz. Sie blendet die klaren Grenzen aus, die es zwischen den Handlungsfeldern gibt (vgl. Cramer 2014; Patry 2014), vor allem aber suggeriert sie, dass eine hierarchische Beziehung zwischen der Forschungspraxis und der Praxis des Fremdsprachenunterrichts bestünde. Das führt auf Seiten von Lehrenden leicht zu unerfüllbaren Erwartungen an den Wert wissenschaftlicher Erkenntnis und verleitet uns dazu, die Bedeutung der Forschungsarbeit für unterrichtliches Handeln zu überschätzen. Mit Blick auf die Professionalisierung des Lehrberufs muss es sicher als ein großer Fort‐ schritt gewertet werden, dass sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts die Lehrendenbildung zunehmend akademisierte. Denn eine wissenschaftsbasierte Ausbildung kann Lehrenden dabei helfen, den „Praxiszwängen nicht mehr oder weniger blind zu unterliegen“ (Helsper 2016, 104; siehe auch Cramer/ Rothland 2021). Tiefgründiges Wissen über Lehr- und Lernprozesse kann das Verstehen für die Abläufe im Lernraum fördern und zugleich die Handlungsmöglichkeiten von Lehrenden erweitern. Grundlage dafür ist, dass Studierende die Möglichkeit erhalten, sich eingehend mit den Inhalten, Methoden und Konzepten ihres Faches auseinanderzusetzen. Das Ziel besteht in einer „reflektierten Fachlichkeit“, wie Meister und Hericks (2021, 149) es bezeichnen. Aber auch die negative Begleiterscheinung der Akademisierung ist offensichtlich: Sie geht mit der Idee einher, Forschung sei eine Art „Meta-Praxis“ für die beiden anderen Handlungsfelder und Unterricht gleichsam der „Zweck von Theorie“ (Hedtke 2000, 4). Die nach wie vor starke Stellung des sogenannten „Transfermodells“ in der universitären Lehrendenbildung ist ein Ergebnis dieser Sichtweise. Es beruht auf der Annahme, Erkennt‐ nisse und Ergebnisse von Forschung ließen sich in den Unterricht „integrieren“ oder von Lehrenden „anwenden“. Rothland (2020, 138) spricht in diesem Zusammenhang von „Verwendungsoptimismus“, Neuweg (2011, 33) bezeichnet diese Vorstellung als „Integrati‐ onssyndrom“. Beim Transfermodell werden Lehrveranstaltungen nicht vom Wesen des Unterrichts her gedacht, sondern von der Systematik der Fachwissenschaft. Dieses Prinzip der Gestal‐ tung von Aus- und Fortbildung muss als problematisch betrachtet werden, weil es die Unterrichtsnahe Elemente fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 165 <?page no="166"?> Unterschiede zwischen den Handlungsfeldern von Abbildung 1 nicht ernst nimmt. Unter‐ richtliches Geschehen ist komplex, unvorhersehbar und zuweilen chaotisch. Unterricht ist stets in spezifische lokale Gegebenheiten eingebunden und wird in hohem Maße von den Motiven und Vorstellungen der beteiligten Individuen beeinflusst. Die Fachwissenschaft hingegen strebt nach Eindeutigkeit und Übersichtlichkeit, nach Generalisierung und dem Beschreiben von Kausalbeziehungen. Darin liegt der besondere Wert wissenschaftlicher Er‐ kenntnisse. Diese passen aber nur sehr eingeschränkt zu den Wissensformen, die Lehrende in ihrem Alltag benötigen, um die komplexen sozialen Prozesse in Klassenräumen zu be‐ wältigen. Reusser (2019) verweist daher auf das grundlegende Problem des Transfermodells, wenn er schreibt: „Auch hochwertiges pädagogisch-psychologisches Forschungswissen verwandelt sich durch dessen Vermittlung in der Lehrpersonenbildung nicht automatisch in Kompetenzen des professionellen Sehens (professional vision), Denkens und Handelns“ (Reusser 2019, 130; vgl. auch Gerlach 2022; Neuweg 2022). Das Transfermodell läuft Gefahr, der Unterrichtspraxis ein „Theoriegebäude ohne hinreichende Bodenhaftung über‐ zustülpen“, das der Komplexität und Individualität unterrichtlichen Handelns zuwider läuft und letztlich eine „Selbstentfremdung“ (Fraefel 2021, 125) der angehenden Lehrenden von ihrem künftigen Beruf begünstigen kann. Wenn sich aber pädagogisches Theoriewissen nicht naturwüchsig in pädagogisches Können verwandelt, stehen wir vor der Frage, auf welche Weise sich die Handlungsfelder der Fremdsprachendidaktik dennoch verknüpfen lassen. Ich möchte im Folgenden zwei mögliche Antworten zur Diskussion stellen. 4 Handlungsorientierte Lehrendenbildung In aktuellen curricularen Richtlinien zum Fremdsprachenunterricht ist die Idee der Handlungsorientierung omnipräsent. Lernende sollen „im Rahmen authentischer, d. h. unmittelbar-realer oder als lebensecht akzeptierbarer Situationen inhaltlich engagiert sowie ziel- und partnerorientiert zu kommunizieren, um auf diese Weise fremdsprachliche Handlungskompetenz(en) zu entwickeln.“ (Bach/ Timm 2013, 12). Es drängt sich die Frage auf, inwiefern wir bei der Gestaltung von Seminaren diesem Anspruch gerecht werden und es uns im Sinne des „pädagogischen Doppeldeckers“ (Wahl 2013, 64) gelingt, die Stu‐ dierenden handlungsorientiert auf ihre zukünftigen beruflichen Aufgaben vorzubereiten. Meines Erachtens liegt es auf der Hand, dass das Transfermodell hier an enge Grenzen stößt. In seinen Prinzipien ähnelt es eher einem Fremdsprachenunterricht, der einer formorientierten Systematik folgt. Es zeigen sich also auffällige Parallelen zwischen der dominierenden Rolle, die morpho-syntaktische oder funktional-pragmatische Strukturen in früheren Konzeptionen des Fremdsprachenunterrichts spielten, und der Art und Weise, wie wir Modelle, Theorien und Hypothesen aus der Fremdsprachenforschung unseren Studierenden in Seminaren präsentieren. Gegen diese Sichtweise lässt sich einwenden, dass universitäre Bildung mehr sein kann und auch muss, als eine unmittelbare Vorbereitung auf den Beruf. Ein Studium an einer Universität zielt auf reflexive Welt- und Selbsterkenntnis. Es sollte uns daher immer auch um Aspekte der Persönlichkeitsbildung gehen, Fähigkeiten wie Ambiguitätstoleranz und Dialogkompetenz. Studium bedeutet, sich in komplexe Fragestellungen zu vertiefen und 166 Michael Schart <?page no="167"?> neue Perspektiven kennenzulernen. Eine Voraussetzung dafür, solche Ziele zu erreichen, ist eine gewisse „Praxisdiät“, wie Sommer (2018) es formuliert. Und auch Idel (2021, 252) erinnert daran, dass das Studium mehr sein sollte als ein „Durchlauferhitzer“. Es ist „nicht bloß eine Übergangsphase, sondern eine eigenständige Professionalisierungsphase, die ihren Sinn eben nicht aus einer unmittelbaren berufspraktischen Bezogenheit gewinnt.“ Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die intensive Beschäftigung mit Modellen, Theorien und Hypothesen sinnvoll und zielführend. Einen anderen Ansatz braucht es hingegen für Lehrveranstaltungen, die für sich in Anspruch nehmen, tatsächlich auf die Gestaltung von Lehr- und Lernumgebungen vorzu‐ bereiten. Ihnen kann die handlungsorientierte Praxis des Fremdsprachenunterrichts als ein Vorbild dienen. Vor allem im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaFZ) kommt solchen unterrichtsnahen Elementen im Studium eine besondere Bedeutung zu, weil es keine zweite Phase der Lehrendenbildung gibt, an die sich Aufgaben delegieren ließen. Für den Bereich DaFZ erscheint es daher problematisch, wenn sich Lehrveranstaltungen vor allem an der Systematik von Forschungspraxis bzw. an fachinternen Diskursen der akademischen Fremdsprachendidaktik orientieren, anstatt nach Möglichkeiten zu suchen, die Unterrichtspraxis ins Zentrum zu stellen. Vor diesem Hintergrund sehe ich insbesondere Lehrveranstaltungen kritisch, die sich hauptsächlich mit Modellen und Theorien beschäftigen, um erst ganz am Ende - in einer kurzen „Anwendungsphase“ - auf didaktische Implikationen einzugehen. Wer sich in „Praxisdiät“ übt, sollte diesem Prinzip treu bleiben und nicht den Eindruck vermitteln, es ließe sich dabei etwas Konkretes über unterrichtliches Handeln lernen. Für Seminare hingegen, die auf Entwicklung von Lehrkompetenz zielen, wäre es notwendig, an der Praxis des Fremdsprachenunterrichts anzusetzen. Die angehenden Lehrkräfte sollten - der Idee der Handlungsorientierung folgend - erleben können, was es bedeutet, unterrichtliche Prozesse selbst zu planen und anzuleiten. Das kann in Form von Micro-Teaching erfolgen. Noch deutlich größeres Potenzial liegt in Lehrveranstaltungen, die in enger Verbindung zu einem unterrichtlichen Kontext durchgeführt werden. Es braucht demnach Räume, in denen die Studierenden individuelle Erfahrungen mit dem Unterrichten sammeln können (vgl. Fraefel 2021). Wie Meister und Hericks (2021, 155) beschreiben, sind dabei Irritationen und das Erleben von Krisen unausweichlich. Für den Professionalisierungsprozess erwächst aus solchen Erfahrungen wertvolles Potenzial, wenn sie eingehend reflektiert und vor der Folie relevanter Fachinhalte betrachtet werden. Diesem Konzept folgend bekommen die Studierenden in den DaFZ-Studiengängen der Universität Jena beispielsweise seit 2022 die Möglichkeit, weitgehend selbstständig einen dreiwöchigen Sommerkurs für Lernende von ostasiatischen Partner-Universitäten zu planen und durchzuführen. Der Prozess wird flankiert von täglichen Reflexionsphasen, die an den Erfahrungen der Studierenden mit ihrer Lehrtätigkeit sowie ihren Beobachtungen des Unterrichts von Kommilitoninnen und Kommilitonen ansetzen. Dieses handlungsorientierte Prinzip führt dazu, dass sich das Nachdenken über Unter‐ richt immer unmittelbar auf selbst erlebte Handlungen bezieht. Im Anschluss an den Unterricht besprechen die Studierenden jene Situationen, die sie als bemerkenswert, über‐ raschend oder irritierend empfunden haben. Sie bringen ihre unterschiedlichen Ressourcen ein, um gemeinsam ein besseres Verständnis für das Gesehene oder Erlebte zu entwickeln. Unterrichtsnahe Elemente fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 167 <?page no="168"?> Diese Einbettung des Gesprächs in einen konkreten unterrichtlichen Kontext erhöht die Chance, dass isoliert gelernte Studieninhalte tatsächlich verstanden werden, wie sich an folgender Aussage einer Studentin in einer der Reflexionssitzungen illustrieren lässt: Für mich am wichtigsten ist, dass ich sehe, wie man aufgabenbasierten Unterricht in der Praxis nutzen kann. Weil ich habe das nie erlebt und nur vom Seminar gelernt. (…) Und da wundere ich mich immer: Wie kann man das wirklich umsetzen? Ich habe immer ein Fragezeichen im Kopf. (…) Ich weiß jetzt mehr oder weniger den Sinn von dieser Form des Unterrichts (Ziyuan, China). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Prinzip der Handlungsorientierung in der Lehrendenbildung auf ein reflektiertes Lernen in komplexen Handlungssituationen zielt. Ein Gedanke, der sich auch im Konzept der „deliberate practice“ findet (vgl. Bronk‐ horst et al. 2011). Studierende erhalten auf diese Weise bereits während ihres Studiums kontinuierlich Möglichkeiten, Unterricht in seiner Unplanbarkeit und Unvorhersehbarkeit zu erleben und durch „produktives Scheitern“ (Sinha/ Kapur 2021) in einer geschützten Umgebung zu lernen. Grossman et al. (2018) beschreiben, welche Konsequenzen sich aus diesem „turn towards practice“ ergeben: Bei der Gestaltung der Curricula in der universi‐ tären Lehrendenbildung verschiebt sich der Fokus weg von den fachwissenschaftlichen Inhalten hin zu der Frage, welche „zentralen Praktiken“ (Fraefel 2020) den Lehrberuf bestimmen. Damit sind ausdrücklich nicht das Einüben einzelner Techniken oder das Anwenden von vermeintlichen Rezepten für erfolgreiches Lehren gemeint, sondern die unmittelbare Konfrontation mit den komplexen Anforderungen des beruflichen Alltags. Zu solchen zentralen Praktiken gehören beispielsweise die Orchestrierung von unterricht‐ licher Interaktion oder die Planung von Unterrichtseinheiten, bei der verschiedene (und sich teilweise widersprechende) Lehrziele mit relevanten, anspruchsvollen Inhalten und abwechslungsreichen Arbeitsformen in eine Balance gebracht werden müssen. Für uns stellt sich in solchen Lehrveranstaltungen die Frage, in welcher Rolle wir den Studierenden gegenübertreten: als Vertreterinnen und Vertreter unserer wissenschaftlichen Disziplin oder als Berufskolleginnen und -kollegen, denen es möglicherweise auch nicht immer gelingt, solche „zentralen Praktiken“ effektiv umzusetzen. 5 Unterrichtsnahe Forschung Auch mit Blick auf die Forschung stehen wir vor der Herausforderung, die universitäre Ausbildungsphase enger auf die Praxis des Unterrichtens zu beziehen. Dass angehende Lehrende im Verlauf ihres Studiums einen „forschenden Habitus“ entwickeln sollten, gehört spätestens seit der Jahrtausendwende zu den Zielsetzungen der Lehrendenbildung an deutschen Universitäten (vgl. Wissenschaftsrat 2001). Diese Forderung lässt sehr große Interpretationsspielräume. Was bedeutet sie konkret für die Gestaltung von Seminaren? Sollen die Studierenden akademische Diskurse kennenlernen, sich mit wissenschaftlichen Arbeitsweisen vertraut machen und vielleicht sogar selbst als Forschende tätig werden? Die Matrix forschenden Lernens von Rueß et al. (2016) veranschaulicht, wie vielfältig dieser Begriff ausgelegt werden kann. Wir müssen uns demnach fragen, wie die Schnittstelle zwi‐ schen Forschungspraxis und Unterrichtspraxis, auf die der Begriff „forschender Habitus“ zielt, im Sinne des Lehrberufs gestaltet werden kann. 168 Michael Schart <?page no="169"?> Der Hinweis auf das zukünftige Arbeitsfeld der Lehrenden ist dabei wichtig, denn wir brauchen in den Schulen keine professionell Forschende, sondern professionell Lehrende. In den Leitfragen zur 44. Frühjahrskonferenz wird zurecht erwähnt, dass uns auch die Aufgabe zufällt, den Fortbestand unserer wissenschaftlichen Disziplin zu sichern. Daraus ergibt sich allerdings meiner Ansicht nach nicht die Notwendigkeit, einen erheblichen Anteil der Lehrveranstaltungen auf dieses Ziel auszurichten. Um Expertise im akademischen Forschen anzubahnen, braucht es ein weiteres Hand‐ lungsfeld, das in Abbildung 1 offensichtlich fehlt: die Praxis der wissenschaftlichen Nach‐ wuchsförderung. Den Besonderheiten und Herausforderungen dieser „Praxis IV“ kann ich mich an dieser Stelle nicht ausführlich widmen, da es mir im Kern um den Lehrberuf geht. Es steht für mich jedoch außer Frage, dass es auch für Studierende in den Fremdsprachen‐ didaktiken eine wertvolle Erfahrung sein kann, sich in die akademische Forschungspraxis hineinzudenken, zu verstehen und durch aktive Beteiligung an Forschungsprozessen auch selbst mitzuerleben, wie durch systematisches Vorgehen neue Erkenntnisse geschaffen werden können. Wie im Fall des wissenschaftlichen Theoriewissens liegt auch hier der Fehlschluss nahe, dass die Begegnung mit akademischer Praxis ausreichend sei, um bei angehenden Leh‐ renden einen „forschenden Habitus“ zu wecken. Diesen Eindruck vermitteln beispielsweise Herzmann und König (2023) mit ihrem Band „Forschungsmethoden im Lehramtsstudium“. Das Buch bietet einen wertvollen Überblick zu akademischen Forschungsmethoden. Es geht aber der entscheidenden Frage aus dem Weg, was Studierende aus der Beschäftigung mit Themen wie Objektiver Hermeneutik und univarianter Deskriptivstatistik konkret für ihren künftigen beruflichen Arbeitsalltag mitnehmen sollen. Der Band enthält kein Beispiel dafür, wie sich solche standardisierten Forschungsverfahren mit dem Schulalltag verbinden lassen bzw. so stark verschlankt werden können, dass sie für Lehrende angesichts vielfältiger anderer Aufgaben handhabbar werden. Das gesamte Buch beruht somit auf der problematischen Annahme, Praxis II ließe sich ohne Weiteres in Praxis I überführen. Meines Erachtens müssen wir gerade diese Vorstellung von „Lehrendenforschung“ hinterfragen, wenn wir einen „forschenden Habitus“ anbahnen möchten. Für Praxis I benötigen wir ein Verständnis von Forschung, das aus akademischer Perspektive naiv und dilettantisch erscheinen mag. Es widerspricht somit möglicherweise unserem beruflichen Selbstverständnis und unseren Ansprüchen als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Handlungsfeldes „Unterricht“ ist es ange‐ messen. Lehrende haben weder die zeitlichen noch die finanziellen Ressourcen, um sich vor der Untersuchung eines Aspekts ihres Arbeitsumfeldes ausgiebig mit der Forschungslage zu beschäftigen. Sie können auch das ausgefeilte Methodenrepertoire der empirischen Sozial‐ forschung nicht so umsetzen, dass der Prozess den hohen Qualitätskriterien akademischer Forschung entspricht. Wenn wir das Forschen als Profession und das Forschen von Lehrenden (und Lernenden) als zwei unterschiedliche Handlungsfelder betrachten, lässt sich diesen Problemen entge‐ genwirken (vgl. Schart 2023). Lehrenden geht es beispielsweise nicht um die Erweiterung des Forschungsstandes, sondern um neues lokales, kontextsensitives Wissen. Ihr zentrales Motiv ist ein besseres Verständnis für das eigene Handeln und die Abläufe im Unterricht. In Lehrveranstaltungen, die in diesem Sinne auf das Erforschen der eigenen Praxis vorbe‐ Unterrichtsnahe Elemente fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 169 <?page no="170"?> reiten, ist es daher nicht notwendig, dass die Studierenden sich in die methodologischen Debatten der Fachdisziplin vertiefen und sich mit hochkomplexen Forschungssettings beschäftigen. Wichtiger wäre es für sie, Möglichkeiten kennenzulernen, wie sich alltägliche Situationen und Aktivitäten im Lernraum zur Datenerhebung nutzen lassen. Studierende sollten Verfahren der Analyse kennenlernen und auch selbst entwickeln, die ohne übermä‐ ßigen Aufwand (und auch gemeinsam mit Lernenden) eingesetzt werden können, um sich neue Perspektiven auf Gewohntes zu erschließen. Entscheidender als Methodenexpertise ist die Entwicklung einer kritischen Einstellung, das Hinterfragen von Gewissheiten, Interpretationen und Routinen. Elliott (2004, 22) fordert daher zurecht eine „radikale Neukonzeptualisierung“ des Forschungsbegriffs im Rahmen der Lehrendenprofessionalisierung. Das Ziel besteht darin, niedrigschwellige, kreative und vor allem unterrichtsnahe Zugänge zum Forschen im Un‐ terricht zu entwickeln. Zugleich soll damit aber auch das professionelle Selbstbewusstsein von (angehenden) Lehrenden gestärkt werden. Sie erlangen dadurch Teilhabe an und Kontrolle über das Wissen zu Lehr- und Lernprozessen. 6 Fazit Zu einem Studium, das auf unterrichtliche Handlungspraxis vorbereiten soll, gehören zwingend auch unterrichtsnahe Lehrveranstaltungen. Vor allem für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sind sie von eminenter Bedeutung, da in vielen Fällen eine zweite Phase der Lehrendenbildung fehlt. Der Beitrag verdeutlicht an zwei Beispielen, welche Konsequenzen sich daraus für die Hochschullehre ergeben. Dabei plädiere ich ausdrücklich nicht für eine einseitige Ausrichtung des Studiums auf die Unterrichtspraxis. Die momentane Schieflage zugunsten der akademischen Perspektive gerade im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache erscheint mir jedoch ebenso wenig ein zukunftsträchtiges Konzept darzustellen. Es bedarf einer besseren Balance zwischen verschiedenen didaktischen Konzepten in der Hochschullehre. Zahlreiche Ansatzpunkte dafür ergeben sich, wenn wir die Besonderheiten der unterschiedlichen Handlungsfelder der Fremdsprachendidaktik ernstnehmen. Der Beitrag erinnert zugleich daran, dass wir uns darüber bewusst sein sollten, wie sich unser Selbstbild als Forschende und Lehrende auf die Gestaltung von Curricula in der Lehrendenbildung auswirkt. Literatur Bach, Gerhard/ Timm, Johannes-Peter (2013): „Handlungsorientierung als Ziel und als Methode“. 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Vor diesem Hintergrund können die Funktionen, Aufgaben und Ziele der fremdsprachen‐ didaktischen Hochschullehre sowie die Kriterien, die daraus für die Evaluation ihrer Qualität abgeleitet werden, nicht unabhängig von ihrem gesamtgesellschaftlichen Kontext, den objektiv gegebenen situativen Bedingungen sowie - und dies ist entscheidend - deren Wahrnehmung und Bewertung durch die Handelnden betrachtet werden; d. h., das Handeln der an einer Hochschule in der Fremdsprachendidaktik Lehrenden und der Studierenden sowie das von den Lehrenden anvisierte Lernen der Studentinnen und Studenten ist zwar vermittelt durch die gegebenen Bedingungen, die sich aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext ergeben, aber es beruht auf der Grundlage der subjektiv wahrgenommenen Bedarfe, Bedürfnisse und Möglichkeiten persönlicher Zielsetzungen. Entsprechend orientieren Lehrende und Studierende ihre Zielsetzungen und ihr Handeln an Kosten-Nutzen-Kalkülen, die auf ihrer Wahrnehmung und subjektiven Bewertung der ge‐ gebenen Handlungsbedingungen beruhen. Lernen, als eine besondere Form des Handelns, zielt in diesem Verständnis darauf ab, Handlungsproblematiken, die sich durch Routinen auf der Grundlage vorhandener Weltverfügung nicht bewältigen lassen, durch das Auslagern von sogenannten Lernschleifen zu überwinden. Der eigentliche Lerngegenstand kann dabei defensiv, d. h. als Abwehr subjektiv empfundener bzw. drohender Einschränkungen von Weltverfügung, oder expansiv, d. h. zum Erreichen einer subjektiv als wünschenswert empfundenen erweiterten Weltverfügung, gefasst und begründet werden. Ob und in welchem Umfang dabei das Lehren bzw. - in der aus subjektwissenschaftlicher Perspektive angemesseneren Begrifflichkeit - das Vermitteln von Wissen und Kompetenzen tatsächlich zu den von den Lehrenden anvisierten Aneignungen von Wissen und Können seitens der Lernenden und damit in der gewünschten Form zur erweiterten Weltverfügung beitragen kann, ist in den subjektwissenschaftlichen Konzepten und Ansätzen weiterhin nicht abschließend geklärt. <?page no="174"?> 2 Ziele, Funktionen und Aufgaben und daraus ableitbare Lehr-Prinzipien Die institutionell verfolgten Ziele der fremdsprachendidaktischen Lehre an Hochschulen sind - insbesondere in den Lehramtsstudiengängen - durch die von der KMK (2008/ 2019) verabschiedeten „ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen“, deren länderspezifi‐ schen Umsetzungen in Lehrerbildungsgesetzen und -verordnungen sowie durch die darauf basierenden hochschulinternen Prüfungsordnungen weitgehend vorbestimmt. Nicht nur die Curricula, sondern auch die Lehrenden in der Fremdsprachendidaktik scheinen sich stark daran zu orientieren. Dies schließt individuelle Schwerpunktsetzungen der jeweils Lehrenden - trotz eines gewissen Konsenses bei den Inhalten (vgl. u. a. die Beiträge von Caspari und Grünewald in diesem Band) - nicht aus. Im Kern kann als allgemein von Institutionen und Lehrenden akzeptiert gelten, dass die fremdsprachendidaktischen Lehrveranstaltungen an den Hochschulen darauf abzielen, dass die Absolventinnen und Absolventen zumindest auf einem gewissen, durchaus ausbaufähigen Niveau in der Lage sind, Fremdsprachenunterricht wissens-, forschungs- und reflexionsbasiert zu beobachten, zu beschreiben, zu analysieren und zu bewerten sowie in geringerem Maße auch (ei‐ genständig) zu planen und zu gestalten. Dabei gilt Reflexivität gegenüber den eigenen Kompetenzen und dem eigenen Lern- und Lehrhandeln als ein wichtiger Baustein der Professionalität. Dennoch spielen die Bereiche des eigenständigen Planens und Gestaltens von Fremdsprachenunterricht in der Hochschullehre eine im Vergleich zum Vorbereitungs‐ dienst und zum späteren Agieren in der sog. dritten Phase der Lehrerbildung bislang eine zumeist untergeordnete Rolle; vermutlich auch, weil jenseits der verschiedenen, z. T. mit nur wenigen zeitlichen Ressourcen für die Lehre versehenen Formen der Praktikums-/ Praxisvorbereitung, -begleitung und -nachbereitung die eigene Praxis des Fremdsprachenlehrens kaum Eingang finden kann (siehe hingegen unten die Überlegungen zu Studierenden als Vertretungslehrpersonen sowie zu Fort- und Weiterbildungen). In‐ sofern kann die fremdsprachendidaktische Hochschullehre hinsichtlich vieler der von ihr verfolgten Teilziele nur sehr bedingt und vor allem kaum zeitnah und bezogen auf die individuellen Studierenden diagnostizieren, ob ihre Lehre jenseits der Wissens- und Reflexionskomponenten professionellen Handelns von Fremdsprachenlehrpersonen auch die lehrpraktische Kompetenz und die Reflexion und ggf. Neugestaltung eigenen unterrichtlichen Handelns tatsächlich ermöglicht hat oder nicht. Als Prinzipien der - nicht nur fremdsprachendidaktischen - Hochschullehre lassen sich daraus der hohe Anteil an Reflexion eigener (Fremdsprachen-)Lehr- und Lernerfahrungen, Einstellungen, Haltungen sowie des eigenen (Fremdsprachen-)Lehr- und Lernhandelns und schließlich das „forschende Lernen“ ableiten. Inwiefern Reflexivität im Sinne professio‐ neller Kompetenz von Fremdsprachenlehrpersonen durch die (fremdsprachendidaktische) Lehre an der Hochschule tatsächlich vermittelt und ausgebaut werden kann - und zwar so, dass sie auch im weiteren Verlauf zur Reflexion des eigenen unterrichtlichen Handels, i.S. von Evaluation und Verbesserung genutzt wird -, kann kaum mit Sicherheit gesagt werden. Auch das „forschende Lernen“ wird sowohl hinsichtlich seiner allgemeinen Erreichbarkeit durch die Hochschullehre und hinsichtlich seiner Wirksamkeit in der professionellen Praxis von Lehrpersonen in der Schule kritisch diskutiert. 174 Lars Schmelter <?page no="175"?> Ein wichtiges und eventuell vernachlässigtes Ziel der fremdsprachendidaktischen Lehre ist m. E. die Vermittlung einer kritischen Distanz zu vorgefundenen Strukturen, aber auch zu Widersprüchen zwischen eigenen Erfahrungen und Überzeugungen sowie Rück‐ meldungen und neuen Anforderungen (z. B. durch curriculare Veränderungen). Zukünf‐ tige Lehrpersonen sollten befähigt werden, wissens-, forschungs- und reflexionsbasiert gelingende Lehr-Lern-Arrangements aufrechtzuerhalten bzw. zu entwickeln; allein, ins‐ besondere aber in Kooperation mit anderen Akteuren. Dies setzt ein hohes Maß an persönlicher und fachlicher Kompetenz sowie Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit voraus; Kompetenz, aus der heraus sich die notwendige Reflexivität und damit Flexibilität im Handeln ergeben kann, und Kooperationsfähigkeit, weil Lehr-Lern-Arrangements in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen bestehen, die nur selten von Einzelpersonen verändert werden können. Insofern kann dieses Ziel in die Nähe zu einem reflektierten Verständnis von Autonomie der Lehrenden und Lernenden gebracht werden (vgl. u. a. Schmenk 2008). Als ein möglicher Weg dorthin wird die Vermittlung von fremdsprachen(lehr-/ -lern-)spe‐ zifischer Reflexionsfähigkeit, durch das Reflektieren eigener Erfahrungen als Fremdspra‐ chenlerner und -nutzerin, aber auch durch die Reflexion eigener Erfahrungen als (ange‐ hender) Lehrperson vorgeschlagen (vgl. u. a. Bechtel/ Rudolph 2022). Das Einüben der Reflexion des eigenen und fremden Fremdsprachenlernens und -unterrichtens, ihrer jeweiligen (Missbzw. Gelingens-)Bedingungen, der Bedingungen des eigenen Handels in den gesamtgesellschaftlichen, institutionellen und kontextuellen Zusammenhängen des Fremdsprachenunterrichts und der eigenen Rolle und Möglichkeiten in diesem Gefüge scheinen mir auch mit Blick auf ethische Gesichtspunkte, denen die Lehre an Schulen und Hochschulen gerecht werden sollte (vgl. DGFF 2019), und Ziele der nachhaltigen Entwicklung (vgl. Schmelter 2021) ein bedeutsames und zentrales Ziel und zugleich Prinzip fremdsprachendidaktischer Lehre. Die Funktion der Fremdsprachendidaktik im Gefüge der Lehramtsstudiengänge wird u. a. darin gesehen, dass sie mit ihren Lehrveranstaltungen den Studentinnen und Stu‐ denten hilft, die verschiedenen, jenseits der Fachdidaktik liegenden fachlichen Inhalte und Kompetenzen (u. a. aus den Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaften, aber auch aus den Bildungswissenschaften) für die Beantwortung konkreter Fragen und Problemstellungen des Fremdsprachenunterrichts adäquat zu nutzen, indem sie in den fremdsprachendidaktischen Lehrveranstaltungen zusammengedacht werden. Denn dieses Zusammendenken ist notwendig, wenn der Fremdsprachenunterricht nicht auf die Vermitt‐ lung funktional-kommunikativer Kompetenzen reduziert werden soll, sondern wenn er - über die Befähigung zum (fremdsprachigen) Diskurs hinaus - die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern machen soll, indem er u. a. durch seine spezifischen fachlichen Inhalte zur Vermittlung von Querschnittskompetenzen, die Schule zu vermitteln anstrebt, beiträgt. Dies setzt voraus, dass Lehrpersonen ihr Wissen aus verschiedenen fachlichen und überfachlichen Domänen didaktisch reflektieren und für die Unterrichtsgestaltung nutzen können. Die Funktion der fremdsprachendidaktischen Lehre kann folglich u. a. in dieser Verknüpfung verschiedener fachlicher Wissens- und Kompetenzbereiche gesehen werden (vgl. Diehr in diesem Band). Dass dies auch in der Fremdsprachendidaktik (u. a. mit Blick auf die berufsspezifische Sprachkompetenz; vgl. Burwitz-Melzer u. a. 2023) idealerweise Subjektwissenschaftliche Perspektiven der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre 175 <?page no="176"?> überwiegend oder gänzlich in der später unterrichteten Fremdsprache erfolgt, ist kein leicht zu erreichendes Qualitätskriterium, das von Sprache zu Sprache und von Standort zu Standort sicherlich in unterschiedlichem Maße erreicht wird bzw. werden kann. Zugleich trägt die Fachdidaktik ihren Teil zur berechtigungszuweisenden Funktion der jeweiligen Studiengänge bei; im Falle der Lehramtsstudiengänge entscheidet sie im Rahmen von Prüfungen und Kompetenzbescheinigungen mit darüber, ob Student: innen einen Master of Education-Studiengang belegen und erfolgreich abschließen können oder nicht. Die Fremdsprachendidaktik entscheidet folglich mit ihren Lehrveranstaltungen und den dazugehörenden Prüfungen - wenn auch nur minimal - mit darüber, ob die für den Vorbereitungsdienst notwendigen Qualifikationen in Form von entsprechenden Kompe‐ tenzen vorliegen; d. h., dass sie indirekt auch mit darüber befindet, ob den Studierenden hinreichende fachliche Kompetenzen in den Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaften verfügbar sind, um fremdsprachendidaktische Fragestellungen bearbeiten zu können. Bewertet werden diese Kompetenzen mit einer mehr oder weniger qualifikations- und karriererelevanten Note. Dieser Zusammenhang ist subjektwissenschaftlich betrachtet für die Wahrnehmung, die die Studierenden von der fremdsprachendidaktischen Lehre haben, nicht unwichtig. Die Aufgaben der fremdsprachendidaktischen Lehre ergeben sich aus ihren oben knapp skizzierten Zielen und Funktionen. Darüber hinaus dürfte die Fremdsprachendidaktik im Gefüge ihrer jeweiligen Fächer/ Institute, Fakultäten und Hochschulen die Aufgabe haben, die Interessen der fremdsprachigen Lehrämter sowie der dazugehörigen Studiengänge und ihrer Student: innen in den entsprechenden Gremien zu vertreten. Hinzukommen, dort wo dies zutrifft, die Kontakte zu anderen Einrichtungen der Lehrerbildung (z. B. Zentren für schulpraktische Lehrerbildung und Schulen) sowie zu den sprachlich-kulturellen Mittlerorganisationen (z. B. Institut Français, Instituto Cervantes, Deutsch-französisches Jugendwerk). Sieht man von den konkreten Inhalten und der eventuellen Verwendung der Fremd‐ sprache als Lehrsprache in den didaktischen Veranstaltungen ab, so ergeben sich folglich im Vergleich zu anderen Didaktiken m. E. nur wenige Spezifika der fremdsprachendidak‐ tischen Hochschullehre. 3 (Gesamtgesellschaftliche) Rahmenbedingungen der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre Wie in den beiden vorangegangenen Abschnitten deutlich geworden ist, können Ziele, Funktionen und Aufgaben der Fremdsprachendidaktik und ihrer Lehre nicht aus den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen herausgelöst werden, da sowohl die Leh‐ renden als auch die an der Lehre Teilhabenden, vermittelt durch diese Rahmenbedingungen bzw. ihrer Wahrnehmung und Bewertung derselben, den Lehr-Lern-Kontext gemeinsam gestalten. Daher soll hier zumindest stichwortartig ein Überblick über institutionelle und gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen gegeben werden, unter denen die fremdspra‐ chendidaktische Lehre an den Hochschulen erfolgt und genutzt wird und die u. a. auch ihre Qualität beeinflussen: 176 Lars Schmelter <?page no="177"?> • Die Lehre ist nur ein Teil der professoralen Aufgaben. Aus der subjektiven Per‐ spektive der professoralen Vertreter: innen der Fremdsprachendidaktik kann sie im Verhältnis zur Forschung, Drittmittelakquise, dem öffentlichkeitswirksamen Transfer von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft und selbst mit Blick auf die bisweilen sichtbarere und fast immer notwendige Tätigkeit in den Hochschulgremien in den Kosten-Nutzen-Kalkülen der Professor: innen einen geringeren Wert haben als die an‐ deren Dienstpflichten. Diese Bewertung der Lehre wird eventuell durch entsprechende Signale von Drittmittelgebern, Hochschulleitungen, Rankings, leistungsbezogenen Mittelzuweisungen etc. noch bestärkt. • Die fremdsprachendidaktische Lehre wird dort, wo sie nicht allein von Lehrenden auf der professoralen Ebene durchgeführt wird, von Personen mitgestaltet, die auf sehr unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen zurückgreifen können. Lehrpersonen aus der schulischen Praxis, die über einen Lehrauftrag fremdsprachendidaktische Lehrveranstaltungen sicherstellen, arbeiten nicht nur unter anderen finanziellen Be‐ dingungen. Für sie dürfte sich auch die Distanzierung von der eigenen unterrichtlichen Praxis im Lichte fremdsprachendidaktischer Konzepte und Publikationen deutlich schwieriger gestalten, als für wissenschaftliche Mitarbeiter: innen, die direkt nach dem Master-Studium eine Promotion anstreben. Auch die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Lehrenden und den letztlich formal für die Lehre verantwortlichen Professor: innen sind unterschiedlich. • Die Zahl der Lehrenden an einem Standort beeinflusst in Teilen auch die inhaltliche Breite der angebotenen Lehrveranstaltungen. Während große Standorte möglichweise über Schwerpunktprofessuren (z. B. Literaturbzw. Sprachdidaktik) verfügen, werden sich an kleinen Standorten möglicherweise die Forschungsschwerpunkte der Leh‐ renden an den Themen des vergleichsweise kleineren Lehrangebots ablesen lassen. • Je nach Größe der Hochschule und je nach Zahl der Studierenden lehren mehr oder weniger Personen in der jeweiligen Fremdsprachendidaktik. In den romanischen und slawischen Sprachen (und z. T. auch in Fakultäten, die für das Lehramt in vergleichs‐ weise wenig gelernten Sprachen qualifizieren) wird zum Teil gewollt (vgl. z. B. zu Innsbruck Hinger et al. 2020; vgl. auch das ehemals sprachenübergreifende Lehrkon‐ zept der Bochumer Sprachlehrforschung), sehr häufig aber auch zwangsweise, weil keine anderen Ressourcen zur Verfügung stehen, sprachenübergreifend gelehrt. Dies hat an unterschiedlichen Stellen Einfluss auf die Lehre: Inhalte müssen einerseits für alle Sprachen relevant sein, andererseits können integrativ-mehrsprachige Konzepte auch in der Lehrveranstaltung nachvollzogen werden; die Verständigungssprache der Lehrveranstaltung kann nicht die später unterrichtete Fremdsprache sein, Beispiele aus anderen Sprachen können den Blick auf die studierte Sprache, ihre Inhalte, Herausforderungen, Materialien etc. neuausrichten und bereichern. • In Nordrhein-Westfalen wurde mit der Einführung des Praxissemester ein institu‐ tioneller Rahmen geschaffen, der eine engere Kooperation der drei zentralen Leh‐ rerbildungsorte (Hochschulen, Zentren für schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL), Schulen) ermöglichen sollte. Entsprechend wurden von Arbeitsgruppen, in denen Vertreter: innen der verschiedenen Institutionen zusammenkommen, gemeinsame Curricula formuliert, die die Hochschullehre, die Veranstaltungen der ZfsL und die Subjektwissenschaftliche Perspektiven der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre 177 <?page no="178"?> Anforderungen der Praxis miteinander koordinieren sollten. In Abhängigkeit der jeweils vor Ort gegebenen zeitlichen und personellen Ressourcen und Gegebenheiten funktioniert die Umsetzung der Curricula in konkretes Lehr-Lern-Geschehen mal mehr, mal weniger gut (vgl. Grünewald in diesem Band mit Bezug auf die duale Promotion). Wenn z. B. Studierende im Praxissemester de facto bedarfsdeckenden Unterricht erteilen, dann wird der Lehrermangel nicht nur für Schülerinnen und Schüler und deren Familien greifbar. • Aus dem Versuch, dem Lehrermangel pragmatisch zu begegnen, ergibt sich eine weitere Bedingung der fremdsprachendidaktischen Lehre. Nach meinen Beobachtungen an der Bergischen Universität kann ein wachsender Teil der Studierenden z. T. schon während des BA-Studiums als Vertretungslehrkraft Praxiserfahrungen im schulischen Fremdsprachenunterricht sammeln (und für den Lebensunterhalt sorgen; s. u.). Auf ihre praktische Tätigkeit werden sie aber in NRW zumeist weder von den erfah‐ renen Lehrpersonen in den Schulen, noch von den Zentren für schulpraktische Lehrerbildung, noch von den Hochschulen in adäquater Weise vorbereitet. Auch eine auf die spezifischen Bedarfe abgestimmte Begleitung der Studierenden als Vertre‐ tungslehrkräfte findet nicht statt. Etwas anders gelagert sind die Erfahrungen, die Studierende beim Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache z. B. im Rahmen einer durch den Pädagogischen Austauschdienst vermittelten Sprachassistententätigkeit an einer nicht-deutschen Schule machen. Zwar fehlt es auch hier weitestgehend an der unter Professionalisierungsgesichtspunkten wünschenswerten Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der gemachten Erfahrungen. Aber da die Lehrerfah‐ rungen in der Regel in einem anderen schulkulturellen Rahmen als die der eigenen Schulzeit gesammelt werden, können vorerfahrungsbedingte methodisch-didaktische Gewissheiten möglicherweise leichter verunsichert und einer Reflexion zugänglich gemacht werden. In jedem Fall aber müssen die in der Praxis gemachten Erfahrungen einerseits in den regulären, unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Zielen geplanten fremdsprachendidaktischen Lehrveranstaltungen aufgegriffen werden, weil sie erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Veranstaltungen und ihrer Inhalte durch die studierenden Vertretungslehrkräfte im bedarfsdeckenden Unterricht haben. Andererseits tragen sie nicht unerheblich zu der großen Heterogenität der Studierenden bei, die auf unterschiedliche Faktoren zurückgehen und die es in der Gestaltung der Lehrveranstaltungen zu berücksichtigen gilt (siehe z. B. auch den Beitrag von Riemer in diesem Band). • Lehrpersonen, die in ihren Herkunftsländern nach einem Hochschulstudium bereits langjährige Lehrerfahrungen gesammelt haben, welche jedoch in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen nicht anerkannt werden, stellen eine besondere Form von Quereinsteigern in die Tätigkeit als Lehrperson und das fremdsprachendidaktische Studium dar. Da die Lehr- und Ausbildungstraditionen und auch die Vorstellungen guten schulischen Fremdsprachenunterrichts zumindest in einem Teil dieser Länder (persönlich habe ich zuletzt entsprechende Erfahrungen mit Lehrpersonen/ Studie‐ renden aus Marokko und Tunesien gemacht) sehr verschieden sind von denen, die in Deutschland als Standard gelten können, kann standardisierte fremdsprachendi‐ 178 Lars Schmelter <?page no="179"?> daktische Lehre Gefahr laufen, diese Studierenden in krisenhafte Zweifel an ihrer beruflichen Kompetenz zu führen. • Die Einführung der gestuften Studiengänge bzw. der Zuweisung von Leistungspunkten (1 LP ≈ 25-30h Arbeitsaufwand) für bestimmte Lehrveranstaltungen und Studienele‐ mente ging einher mit der Vorstellung, Lern- und Studienzeiten ließen sich bis ins Detail berechnen. Ob dies tatsächlich möglich ist, will ich hier nicht diskutieren. Festhalten möchte ich lediglich die Erfahrung, dass durch die Prozesse der Akkreditierung von Studiengängen, die internen und externen (Lehr-)Evaluationen und deren Instrumente bei Studierenden die Erwartung geweckt wurde, dass eine bestimmte und vorhersag‐ bare Dauer der Auseinandersetzung mit einem beliebigen Lerngegenstand zu einem vorhersagbaren Ergebnis bei allen Lernenden führt. Dieses Verständnis von Lernen führt z. B. dann zu Frustrationen in den Lehrveranstaltungen, wenn die Lesedauer für einen durchschnittlich langen wissenschaftlichen Text innerhalb einer Seminargruppe zwischen 20 und 60 Minuten schwankt. • Ein je nach Standort variabler, aber zumeist nicht zu vernachlässigender Anteil der Studierenden ist gezwungen, neben dem Studium in erheblichem Umfang für den Lebensunterhalt durch Lohnarbeit zu sorgen. Dies kann in den aktuellen Erhebungen zur wirtschaftlichen und sozialen Situation der Studierenden nachvollzogen werden (BMBF 2023). Entsprechend kann von einem Vollzeitstudium kaum mehr ausgegangen werden. Dort, wo keine Präsenzpflichten mehr bestehen, ist die regelmäßige Anwe‐ senheit und eine sorgfältige Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltungen für die Studierenden eine Herausforderung, bei der sie nach mehr oder weniger unmittelbaren Kosten-Nutzen-Kalkülen (siehe oben) entscheiden (siehe auch Weßeler/ van Ophuysen 2021). Die fremdsprachendidaktische Lehre erfolgt zwar mit einigermaßen klaren Zielvorgaben. Sie übernimmt mehr oder weniger offen bestimmte Funktionen, die über die Vermittlung professioneller Kompetenzen der zukünftigen Fremdsprachenlehrenden hinausgehen. Und diese Lehre wird von sehr unterschiedlich qualifizierten und in sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen operierenden Personen erteilt. Sie erfolgt aber vor allem mit Studen‐ tinnen und Studenten, die über einen sehr heterogenen Erfahrungs- und Kompetenzhin‐ tergrund verfügen und die vor allem unter sehr unterschiedlichen sozio-ökonomischen Lebensbedingungen studieren. Daher hat - nicht nur für die fremdsprachendidaktische Lehre - die Frage nach dem Verhältnis von Präsenz-Lehre und deren Vor- und Nachberei‐ tung durch die Studierenden sowie den Phasen selbstgesteuerten, potenziell expansiven Lernens, die als zeit- und ortflexible Lehr-Lern-Arrangements gedacht werden können, für mich an Bedeutung gewonnen. Denn: Insgesamt ist zu konstatieren, dass anstelle einer Diskussion um das Pro und Contra einer Anwesenheitspflicht die vertiefte Beleuchtung der Gründe für Anbzw. Abwesenheit sowie die Ableitung (und Evaluierung) von Handlungsmöglichkeiten sinnvoller erscheint. Letztlich schafft eine freiwillige - und damit hoffentlich motivierte - Anwesenheit der Studierenden in universitären Lehrveranstaltungen für Lehrende und Lernende eine gute Ausgangssituation für erfolgreiche Lehr-Lern-Prozesse. (Weßeler/ van Ophuysen 2021, 222 f.). Subjektwissenschaftliche Perspektiven der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre 179 <?page no="180"?> 4 Das Verhältnis von Lehre und Phasen selbstgesteuerten bzw. potenziell expansiven Lernens Fremdsprachendidaktische Lehre, die dem ethischen Anspruch gerecht werden will, fair gegenüber den Studierenden zu sein und in diesem Zusammenhang auch mit den gege‐ benen Ressourcen (nicht nur der Studierenden) verantwortungsvoll umzugehen, kann m. E. nicht anders als inklusiv verstanden werden; wobei ich von einem sehr weiten Inklu‐ sionsbegriff ausgehe (vgl. Burwitz-Melzer u. a. 2017). Sie muss auf sehr unterschiedliche Lebens- und damit Lernbedingungen der Studierenden eingehen; d. h. sie muss sowohl die unterschiedlichen Ausgangslagen bei zentralen Kompetenzgrundlagen (z. B. eine Zusammenfassung schreiben zu können) als auch z. B. die sozio-ökonomisch reduzierten zeitlichen Lernressourcen der Studierenden im Blick haben. Das Verhältnis zwischen Präsenzlehre, angeleitetem Lesen und Arbeiten zur Vor- und Nachbereitung der Lehre einerseits und Phasen des selbstgesteuerten, potenziell expansiven Lernens andererseits gilt es an dieser Stelle zu überdenken; zumal die digitalen Lehr-, Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten hier Wege eröffnen, die vor gut 20 bis 30 Jahren noch nicht umsetzbar waren. Zu überdenken wäre beispielsweise, wie die vor- und nachbereitende Lektüre ggf. auch außerhalb der Präsenzveranstaltung begleitet werden kann, sodass das einsame Lesen auch dann zu einem dia- oder polylogischen Sprechen (und Schreiben) führt, wenn Studierende - warum auch immer - nicht an der Lehrver‐ anstaltung teilnehmen können. Denn oft ist auch ein hybrides Lehrangebot angesichts sich überschneidender Verpflichtungen aus Studium, Familie und Lebensunterhalt keine gangbare Alternative. Das Verhältnis der verschiedenen Lernmöglichkeiten zur fremdsprachendidaktischen Lehre ist aber auch inhaltlich zu überdenken. Denn trotz mehr oder weniger deutlicher Bemühungen und erkennbarer Fortschritte, die Kohäsion und Korrespondenz (vgl. Diehr in diesem Band) universitär und phasenübergreifend zu verbessern, bleibt die Professio‐ nalisierung als Lehrperson noch immer ein individueller Bildungsprozess, bei dem der Einzelne die verschiedenen Fäden der von ihm besuchten Lehrveranstaltungen und der gelesenen Publikationen mit den eigenen Erfahrungen in den verschiedenen Phasen der Professionalisierung koordinieren muss. Damit dies nicht unsystematisch und in unge‐ lenken Suchprozessen geschieht, sondern in einer angeleiteten, idealerweise verschiedene Perspektiven verschränkenden Reflexion, dazu können die fremdsprachendidaktischen Lehrveranstaltungen beitragen. Ein Instrument, das dabei zunächst geeignet scheint, hat Burwitz-Melzer (2018, 24) mit dem „Zwiebelmodell“ vorgeschlagen. Dieses bildet verschiedene Ebenen der Lehrerpersönlichkeit ab, die ich jedoch mittlerweile in meinen Lehrveranstaltungen um eine subjektwissenschaftliche Perspektive erweitere. Im Modell, das Burwitz-Melzer (2018) bei Korthagen (2004) und in der Bearbeitung von Kohonen (2012) übernimmt, scheinen mir die Lehrperson und ihre Identität(en) zu sehr auf den schulischen Kontext ausgerichtet und durch die bildungspolitischen Vorgaben gerahmt. Dies negiert aber m. E. zum einen die Veränderbarkeit auch dieser Rahmen durch die handelnden Subjekte (einschließlich der Lehrpersonen) und zum anderen gerät dabei zu sehr aus dem Blick, dass die Lehrpersonen auch außerhalb dieses spezifischen Kontextes ein Leben zu gestalten haben. Erst wenn folglich die Reflexionsinstrumente, die in der Lehre eingesetzt werden, auch den gesamtgesellschaftlichen Rahmen (in der Wahrnehmung der 180 Lars Schmelter <?page no="181"?> Studierenden) in den Blick nehmen, erst dann kann eine Reflexion erfolgen, bei der die zukünftigen Lehrpersonen nicht im Laufe des Praxissemesters, des Vorbereitungsdienstes und der späteren Festanstellung zunehmend und trotz ursprünglich entgegengesetzter Intentionen den Eindruck gewinnen, dass das System ‚Schule‘ sie quasi dazu zwingt, einen Unterricht zu gestalten, von dem sie zurecht annehmen, dass er nur in seltenen „Sternstunden“ (Holzkamp 1995) zu expansivem Lernen und damit transformativen Bil‐ dungsprozessen führt (vgl. u.-a. Bonnet/ Hericks 2020). Das Hinsehen auf den eigenen Lern- und Lebensprozess erweitert die Freiheit zu gestalten. Was als Zwang erschienen, kann auf Offenheit geprüft werden und so erweiterte Entfaltung ermöglichen. Reflexivität wird so zum Merkmal des Lernens selbst (Faulstich/ Bracker 2015, 159). Damit greift die Fremdsprachendidaktik aber auch über den engeren Bereich ihres Gebiets hinaus und muss sich fragen, wo die Grenze zwischen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und ihrem genuinen Zuständigkeitsbereich verläuft. Vor dem Hintergrund des hier Gesagten unterscheiden sich die fremdsprachendidakti‐ schen Lehrkonzepte für die Fort- und Weiterbildung sowie für Quer- und Seiteneinsteiger nur graduell von denen, die (mittlerweile) in den grundständigen Lehramtsstudiengängen sinnvoll erscheinen. Der Erfahrungshintergrund, die sozio-ökonomischen Bedingungen mögen sich unterscheiden, sicherlich mehrheitlich auch das Alter der Lehrpersonen. Aber alle kommen mit mehr oder weniger umfangreichen Sprachlern- und -lehrerfahrungen in die Veranstaltungen der Fremdsprachendidaktik. Die Dauer und Intensität der systematisch gestützten und begleiteten Reflexion nicht nur eigenen Handelns als Fremdsprachenlehr‐ person, sondern auch ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedingungen werden auch hier über den Erfolg der Lehre mitentscheiden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Fortbzw. Weiterbildung sich nicht auf die bloße Vermittlung von Informationen beschränken will, sondern verhaltenswirksam an der Kompetenz und Professionalisierung der Lehrpersonen arbeiten, d. h. die domänenspezifische Weltverfügung der Lehrpersonen erweitern will. Dann scheinen langfristig angelegte professionelle Lerngemeinschaften, wie Siebold (in diesem Band) sie skizziert, angemessen. Literatur Allespach, Martin/ Held, Josef (Hrsg.) (2015): Handbuch Subjektwissenschaft. Ein emanzipatorischer Ansatz in Forschung und Praxis. Frankfurt a.M.: Bund-Verlag. Bechtel, Mark/ Rudolph, Tom (Hrsg.) (2022): Reflexionskompetenz in der Fremdsprachenlehrer*innen‐ bildung. Theorien - Konzepte - Empirie. 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Subjektwissenschaftliche Perspektiven der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre 183 <?page no="185"?> Studierende als Spiele-Entwickler*innen und Forscher*innen Zur Integration von Produktdesign und forschendem Lernen in die Englisch-Lehrkräftebildung Torben Schmidt 1 Einleitung Im Zuge der Einführung von Langzeitpraktika im Rahmen der Lehrkräftebildung in zahl‐ reichen Bundesländern hat durch die parallele Einführung von (länder- und standortspe‐ zifisch teilweise sehr unterschiedlich gestalteten) Modulen und Lehrveranstaltungen zum Forschenden Lernen (FL) dieses Rahmenkonzept in Forschung und hochschuldidaktischen Diskursen um eine gelingende (Fremdsprachen-)Lehrkräftebildung wieder verstärkt an Aufmerksamkeit gewonnen. Mit dem häufig formulierten übergeordneten Anspruch, dass (angehende) Lehrkräfte Herausforderungen im Beruf mit einer forschenden Grundhaltung gegenübertreten sollen, differenzieren etwa Sonntag et al. (2018) bezüglich zentraler Ziele von FL nach „kognitiven“ (z. B. forschungsmethodisches Wissen, unterrichtspraktisches Wissen, Fähigkeit zur kritischen Reflexion von Forschungsergebnissen), „affektiv-motivati‐ onalen“ (z. B. Freude an Forschungstätigkeit, Frustrations- und Unsicherheitstoleranz) und „sozialen“ (z. B. Kommunikationsfähigkeiten) Zielen. Forschendes Lernen zielt dabei auf die „Herausbildung einer kritischen, fragend-entwickelnden Haltung gegenüber der Praxis und auf die Einübung der für ihre Weiterentwicklung und die eigene Professionalisierung zentralen Reflexionskompetenz“ (Fichten 2017, 30). Weitaus weniger Aufmerksamkeit wird im Vergleich zu Ansätzen FLs im Kontext von Lehrkräftebildung bisher den an Design- und Produktenwicklungsmethoden angelehnten Ansätzen geschenkt, die den Fokus auf den kreativen Prozess des Entwickelns, Testens und forschungsgestützten Implementierens innovativer Lernmaterialien, -umgebungen und -produkte legen (vgl. McKenney/ Reeves 2019). Von Lehrwerken bis zu technologieba‐ sierten Lösungen spielt das Design von Bildungsprodukten eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Art und Weise, wie Wissen vermittelt und Kompetenzen entwickelt werden. Lehrkräftebildung heutzutage ist jedoch aus Sicht des Verfassers deutlich zu wenig design- und produktorientiert, bildet die entsprechenden Kompetenzen der Lehrkräfte zu wenig systematisch aus und nutzt zu selten die Verbindungen von FL und Designorientierung. Wie kann es also gelingen, (angehende) Lehrkräfte stärker als Designer*innen und Pro‐ duktentwickler*innen zu sehen und sie beispielsweise im Rahmen der Produktion von Lernspielen prototypisch Prozesse durchlaufen zu lassen, die ihre Professionalität stärken, <?page no="186"?> ihre Kreativität und ihr fachliches Wissen fördern und sie als zukünftige, reflektierte Innovator*innen und Gestalter*innen im Bildungssystem ernst nehmen? Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die beiden Ansätze des FL und des Produktdesigns stärker integriert zu denken. Dabei soll zunächst basierend auf einer Diskussion des Ansatzes des FL (Kap. 2) sowie von Erkenntnissen zur Integration von Ansätzen des Produktdesigns- und exemplarisch der Spiele-Entwicklung (Kap. 3) in die Aus- und Weiterbildungen von (angehenden) Lehrkräften erfolgen. Basierend hierauf soll dann ein mehrfach durchgeführtes Seminarkonzept auf Masterebene aus der Englischdidaktik der Leuphana Universität Lüneburg vorgestellt und somit ein für design- und produktorien‐ tiertes Arbeiten exemplarischer, hochschuldidaktischer FL-Realisierungsrahmen diskutiert werden (Kap. 4). Abschließend sollen Schlussfolgerungen zu diesem Ansatz für die Aus- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrkräften und insgesamt für die Profession gezogen werden (Kap. 5). 2 Forschendes Lernen als didaktischer Zugang in der Fremdsprachenlehrkräftebildung Die Methode des FL verfolgt das Ziel, eine kritische, fragend-entwickelnde forschende Haltung bei zukünftigen Lehrkräften aufzubauen, im Rahmen derer die volitionalen, ko‐ gnitiven, sozialen und ethischen Grundlagen einer selbstreflexiven Begleitung der eigenen Berufsarbeit eine zentrale Rolle spielen. Dies lässt sich aus bildungstheoretischer, lernthe‐ oretischer, professionstheoretischer und hochschuldidaktischer Perspektive als sinnvolles Ausbildungsmerkmal und -format einer zeitgemäßen Lehrkräftebildung identifizieren (vgl. Fichten 2017). Insbesondere im Rahmen der Einführung der Langzeitpraktika an vielen Hochschulstandorten hat dieses seit den 70er Jahren bereits diskutierte und auch in der Fremdsprachendidaktik bestens etablierte Konzept (vgl. Schocker v. Ditfurth 2004; Benitt 2014), einen Aufschwung erfahren. Es steht nun im Fokus verschiedenster theoretischer Diskurse (für eine Sichtung und Aufarbeitung bestehender Rahmenkonzeptionen und Sys‐ tematisierungen siehe Cammann et al. 2018; Koch-Priewe et al. 2022), aber auch verstärkt - wenn auch immer noch nur in geringer Zahl - von Forschungsarbeiten zur Wirkung auf (angehende) Lehrkräfte (z. B. Schildhauer/ Zehe 2018; Winkel et al. 2020; Beckmann et al. 2022). Als Maßnahme zur Verbesserung der Theorie-Praxis-Verzahnung und Angleichung zwischen Ansprüchen eines (Hochschul-)Studiums und denen einer sehr praxisnahen Berufsausbildung wird FL einerseits als Bestandteil einer professionellen Schul- und Un‐ terrichtsentwicklung gesehen (vgl. dazu Dirks/ Hansmann 2002). Andererseits soll durch die Stärkung der forschenden Grundhaltung und die Nutzung von Wissen, Forschungserkennt‐ nissen und -methoden aber auch die Wissenschaftsorientierung gestärkt und die Relevanz des FL für Studierende und Lehrkräfte als Mittel der reflektierten Qualitätsentwicklung des (zukünftigen) professionellen Handelns herausgestellt werden. So unterschiedlich die Realisierungsformen von FL im Rahmen der Lehrkräftebildung je nach Bundesland, Standort und einzelnem Seminarkonzept auch sein mögen (vgl. Koch-Priewe et al. 2022, 46 f.), so vergleichbar sind doch in der Regel die Prinzipien und Kernelemente: Forschendes Lernen […] ist ein offenes, teilnehmeraktivierendes Lehr-Lernkonzept, (1) in dem an ‚authentischen‘ Forschungsproblemen im Praxisfeld Schule gearbeitet wird, (2) in dem die 186 Torben Schmidt <?page no="187"?> 1 Im Projektmanagement ist ein Proof of Concept (PoC) ein Meilenstein, an dem die prinzipielle Durchführbarkeit eines Vorhabens belegt ist. Lernenden in wesentlichen Phasen des Forschungsprozesses selbständig arbeiten, (3) in dem von Lehrenden und Lernenden ein Theoriebezug hergestellt und vorhandenes empirisches Wissen […] einbezogen wird, (4) in dem die Lernenden angehalten werden, reflexive Distanz zum Praxisfeld Schule und zur eigenen Forschungsarbeit herzustellen (5) und in dem ethische Grundlagen von Forschungspraxis bewusst gemacht werden (Fichten/ Meyer 2014, 21). 3 Produktdesign- und Spiele-Entwicklungs-Kompetenzen für (angehende) Lehrkräfte? Auch wenn die Integration partizipativer Produktdesign-Methodologie in die Lehrkräfte‐ bildung bereits seit mehreren Jahrzenten immer wieder - wenn auch insgesamt in recht kleinem Umfang - in der internationalen Forschung beschrieben und verschiedentlich positive Einflüsse auf die Entwicklung professioneller Kompetenzen von angehenden Lehr‐ kräften (z. B. deren pedagogical content knowledge) beschrieben werden (für einen Überblick vgl. z. B. Cober et al. 2015; Chapman et al. 2016; Nilsson/ Lund 2023), sind entsprechende Methoden, Seminarkonzepte und insgesamt hochschuldidaktische Ansätze in der Fremd‐ sprachendidaktik an deutschen Universitäten bisher kaum anzutreffen. Das Entwickeln und Entwerfen von Bildungsprodukten (z. B. Lernmaterialien, Lernumgebungen, Lern-Apps, Lernspielen) als komplexer, interdisziplinärer kreativer, Theorie und Praxis verbindender Problemlöseprozess, der fachliches, fachdidaktisches, psychologisches und pädagogisches Wissen mit Design Thinking verknüpft, ist bisher in der Lehrkräftebildung als Zugang nur vereinzelt angekommen. Kreative Produktentwicklungsprozesse, bei denen Studierende ausgehend von z. B. Problemen, Herausforderungen oder Bedarfen in der (eigenen) Unter‐ richtspraxis diese identifizieren und davon ausgehend nutzer- und nutzungsorientierte Designlösungen entwickeln, Prototypen konzipieren und forschungsgestützt iterativ in Form von User Testing erproben, Feedback einholen und Produkte so kontinuierlich verfeinern, gehören deutlich seltener zum Alltag in der Lehrkräftebildung als das Schreiben von Unterrichtsentwürfen und das Ausfüllen von Stundenverlaufsplänen. Obwohl in der Bildungsindustrie im Rahmen von (Lern-)Produktentwicklung und Projektmanagement etablierte Prozesse und zu berücksichtigende Aspekte wie das Anfertigen von Bedarfsanal‐ ysen, Design Thinking, Lernzieldefinition, Personalisierung, multimodales Lernen, proof of concept 1 , User Experience und User Interface-Entwicklung, Barrierefreiheit, Gamification, datengestützte Nutzungsanalysen sowie Qualitätskontrolle grundsätzlich sehr relevant für zukünftige Innovator*innen und Gestalter*innen von Lernumgebungen scheinen, wird der Transfer entsprechender Arbeitsweisen und Methoden auf die Lehrkräftebildung bisher noch nicht einmal ansatzweise vollzogen. Eine besonders geeignete Möglichkeit, die Entwicklung von educational products als Methode stärker in die Lehrkräftebildung zu integrieren, könnte die Produktion von (Lern-)Spielen darstellen. Dabei können Studierende in einer agilen, projektorientierten Arbeitsweise fachwissenschaftliche, fremdsprachendidaktische, pädagogische und psycho‐ logische Konstrukte mit Produkt-Design-Methoden von der Theorie hin zu voll funktions‐ Studierende als Spiele-Entwickler*innen und Forscher*innen 187 <?page no="188"?> fähigen und für konkrete Lerngruppen lernförderlichen Materialien führen. Während es hierbei auf hochschuldidaktischer Ebene allgemein (zur Lehrkräftebildung siehe unten) bisher nur sehr vereinzelte Forschung und Ansätze gibt, existiert für den Bereich der Spiele-Entwicklung als Methode im schulischen Unterricht verschiedener Fächer bereits ein beachtlicher Forschungskorpus mit vielversprechenden Ergebnissen: Vos et al. (2011) zeigen etwa, dass Schüler*innen, die aktiv an der Entwicklung ihrer eigenen Spiele arbei‐ teten, ein höheres Maß an intrinsischer Motivation und tiefgreifenderen Strategieeinsatz aufwiesen als ihre Mitschüler*innen, die nur von anderen entwickelte Spiele spielten. Akcaoglu und Koehler (2014) betonen, dass sich die Fähigkeiten der Schüler*innen in den Bereichen Systemanalyse und -design, Fehlerbehebung und Entscheidungsfindung deutlich verbesserten und sich solche Entwicklungsprojekte als sehr guter Rahmen für die Entwicklung von Problemlösekompetenzen und relevanten fachlichen Kompetenzen eignen. Mit Blick auf die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften stellt Li (2012) fest, dass die Forschung vor allem im Hinblick auf das Verständnis und die Analyse der Erfahrungen von Lehrkräften während ihres Spielentwicklungsprozesses noch sehr begrenzt sei. Becker (2007) merkt an, dass Spiel-Entwicklung als Methode nur in den wenigsten Aus- und Weiterbildungskontexten von Lehrkräften Spiel-Entwicklung als Methode überhaupt an‐ gekommen, geschweige denn curricular verankert sei. Studien speziell mit Blick auf die Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften konnten keine gefunden werden. Dennoch zeigen erste Arbeiten, die sich mit Spiele-Design in der Lehrkräftebildung allgemein beschäftigen, sehr eindeutig Potenziale auf: Zapušek und Rugelj (2021) etwa beschreiben mit Bezug auf ein Projekt zur Entwicklung digitaler Lernspiele durch Studierende den besonders positiven Einfluss der vielfältigen Aktivitäten (Spezifikation, Analyse, Design, Entwicklung von Regelwerk, Umsetzung und Evaluation, Produktiterationen) auf deren Lernmotivation und ihre Fähigkeiten, Fachwissen und fachdidaktisches Wissen in be‐ gründete Designentscheidungen umzusetzen. Jonassen (2011) betont ergänzend, dass das Gestalten von spielerischen Lernumgebungen in hohem Maße ein problemorientiertes Identifizieren von fachbezogenen Lernzielen, Kompetenzen und Fähigkeiten sowie ein Generieren, Begründen und Evaluieren von Lösungen und Lernmethoden in Kombination mit Gestaltungsfragen, Ästhetik, klarem Regelwerk und Spaßvermittlung verlangt. Es kann somit einen hervorragenden, Kreativität fördernden Anwendungskontext für angehende Lehrkräfte in Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle als Gestalter*innen von Lernumge‐ bungen darstellen. 4 Ein „Projektband“-Seminar zur Entwicklung von Englisch-Lernspielen - Inhalte, Prozesse, Produkte Im Zuge der Reform der Lehrkräftebildung erfolgte in Niedersachsen 2014 für das Lehramt an Grundschulen sowie an Haupt- und Realschulen die verbindliche Einführung eines sogenannten „Projektbandes“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2014). Hiermit wurde ein struktureller Rahmen für die Einbindung studentischer Forschung im viersemestrigen Masterstudium in Kombination mit dem „Praxisblock“ (18 Wochen drei bis vier Tage pro Woche in der Schule) geschaffen. Das „Projektband“ findet dabei als sich 188 Torben Schmidt <?page no="189"?> über drei Semester streckende Veranstaltung zeitlich vor, während und nach dem „Praxis‐ block“ (dessen Beginn jeweils im Januar liegt) statt, startet jeweils direkt im ersten der vier Mastersemester und wird mit insgesamt 15 Credit Points angerechnet. Dabei werden jähr‐ lich von den Lehrenden der Fachdidaktiken, der Bildungswissenschaften, der Psychologie und der Fachwissenschaften (auch teilweise als interdisziplinäre Lehrenden-Tandems) in‐ novative Angebote entwickelt, aus denen die Studierenden dann ein für sie ansprechendes Seminar nach einem Besuch der „Projektmesse“ wählen können. Diese knüpfen häufig an bestehende Forschungsschwerpunkte und -interessen an und sind in den meisten Fällen eng mit der Schulpraxis (und den Lehrkräften der Praktikumsschulen) verbunden. Insgesamt zeigt sich in der Zusammenschau der bisher weit über 100 Angebote im Projektband, dass hierbei besonders häufig Ansätze der Entwicklungsforschung (Prediger et al. 2012) sowie der Handlungsforschung (Altrichter 2003) zum Einsatz kommen. Auch wenn die Lehrenden in der Ausgestaltung inhaltlich wie methodisch große Freiheiten haben, gibt es bezüglich des Aufbaus Gemeinsamkeiten zwischen den meisten Seminaren: Angelehnt an einen typischen Forschungszyklus dient so das erste Semester häufig zum Eintauchen in das Thema, dem Studium der Forschungslage, dem Erlernen und Vertiefen von Forschungsme‐ thoden und der Entwicklung von Forschungsfragen und -designs. In zahlreichen Seminaren spielt darüber hinaus die Entwicklung von Lernmaterialien eine besondere Rolle. Im zweiten Semester, das die Studierenden größtenteils in ihrer Praktikumsschule verbringen, werden dann, angeleitet von den Betreuenden im „Projektband“, die Forschungsprojekte im Detail vorbereitet, Datenerhebungen realisiert und Forschungsberichte erstellt. Letztere werden schließlich im dritten Semester weiter verdichtet, reflektiert und im Rahmen einer Abschlusskonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auch ist zu beobachten, dass sich aus diesen Forschungsarbeiten dann häufig Anknüpfungspunkte für Masterarbeiten der Studierenden ergeben, die im Anschluss erstellt werden. Koch-Priewe et al. (2022, 57 f.) stellen mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Projektbandes an der Leuphana Universität fest, dass hierbei durch die „Einbindung in das Curriculum“ und das Qualitäts‐ sicherungssystem der Universität, die „Vernetzung der Fragstellungen mit der Schulpraxis“, die „Sinnhaftigkeit (auch) durch eigenständige Themenwahl“, die „(k)ontinuierliche Beglei‐ tung“ durch Forschende und Mentor*innen im Praktikum und schließlich die „Entlastung von unterrichtlichem Handlungsdruck- und Performanzdruck durch Förderung der Refle‐ xion“ die von ihnen herausgearbeiteten fünf Gelingensbedingungen forschenden Lernens in der Lehrkräftebildung realisiert werden. Im Rahmen der Ausbildung angehender Englischlehrkräfte wurde zwischen 2019 und 2022 solch ein „Projektband“-Seminar insgesamt in drei Durchläufen mit leichten Va‐ riationen zum Thema „Vom Brettspiel zum digitalen Lernspiel - Spielerische Zugänge zum Fremdsprachenlernen entwickeln und erforschen“ vom Verfasser angeboten und von jeweils ca. 15 Studierenden besucht. Im ersten Semester wurden dabei in den 14 wöchentlichen Sitzungen und der begleitenden Arbeit über eine Lernplattform inhaltlich zunächst verschiedene theoretische und disziplinäre Ansätze zu Spielen und Spielen zum Lernen (psychologisch, pädagogisch, kulturell, Fremdsprachenlernen) thematisiert sowie durch intensive, kriteriengeleitete Tests verschiedene Spielmechaniken und (zumeist kom‐ merzielle Unterhaltungsaber auch für Lernen konzipierte) Spieltypen kennengelernt (von Brett- und Kartenspielen über Konsolenspiele bis Virtual Reality und dem gemeinsamen Studierende als Spiele-Entwickler*innen und Forscher*innen 189 <?page no="190"?> Besuch eines Escape Rooms). In Kooperation mit Vertretern aus der Spiele- und Ed-Tech‐ nology-Branche (z. B. ein professioneller Spieledesigner und ein Lern-App-Entwickler) wurden darüber hinaus in Workshops Themen wie „Spielentwicklung als Projekt - Schritte und Methoden“, „Wir bauen ein Escape Game“, „Rätsel-Design“, „Design Thinking“ oder „UX Design“ angeboten, um die Studierenden mit typischen Schritten und Verfahren der Entwicklung neuartiger Lernprodukte vertraut zu machen, die sie dann auch für die kommenden Schritte selbst anwenden konnten. Zentral war dabei stets der Bezug zum Einsatzkontext Englischunterricht und die Frage, wie fremdsprachliche Kompetenzen mit Hilfe eines selbst entwickelten Spiels gezielt gefördert werden können, so dass Design- und Produktenwicklungsfragen mit fremdsprachendidaktischen Fragestellungen stets interagierten. Die Entwicklung erster prototypischer Spielelemente und -ansätze in Gruppen, mit den Expert*innen aus der Spiel- und Ed-Tech-Industrie als Critical Friends und Entwicklungspartner, stellte dann für dieses erste Semester das wichtigste Produkt dar. Hinzu kam damit verbunden die Entwicklung erster Forschungsfragen und das für die Beforschung des Spieleinsatz wichtige Kennenlernen, Auffrischen und Anwenden verschiedener relevanter Forschungsmethoden (Fokus auf Unterrichts-Videografie, Inter‐ views, Umfragen, linguistische Analysen z. B. verbale Sprachproduktion beim Spiel) im Rahmen des Seminars - stets in Bezug auf die Erfahrungen im Schulpraktikum und die Bedarfe einer speziellen Lerngruppe und/ oder Herausforderung. Abb. 1: Ausschnitt aus dem Regelwerk zum Lernspiel „Escape the Zoo“ (Möbus et al. 2021). 190 Torben Schmidt <?page no="191"?> 2 Beispiele für solche entwickelte Spiele-Prototypen können unter https: / / tefl.web.leuphana.de/ ? pag e_ id=1391 eingesehen werden (vgl. auch Abb. 1). Im zweiten Semester traf sich die Seminargruppe nur noch zweiwöchentlich, jedoch fand außerhalb der Seminarzeit ein Großteil der Kreativarbeit statt. Viel stärker als Entwick‐ lungswerkstatt und Forschungskolloquium konzipiert, entwickelten die Studierenden an‐ geleitet einerseits ihren funktionsfähigen Spiele-Prototyp (einschließlich Dokumentation, Regeln usw., benotet, 20 % der Gesamtnote). Andererseits wurde aber auch das komplette Forschungsdesign konzipiert, um dann in der Regel bis zum Beginn der Sommerferien die Datenerhebung abgeschlossen zu haben. Die Analyse der Daten und die Erstellung eines 12-seitigen Forschungsberichts (benotet, 60 % der Gesamtnote, Abgabe Ende September) schlossen das zweite Semester ab. Insgesamt wurden von den drei Seminargruppen 12 verschiedene Spiele entwickelt. 2 Das abschließende Semester, gestaltet als zwei Blockseminare, kombiniert mit einer individuellen Vorbereitungsphase mit Beratungsterminen durch den Lehrenden, diente der Aufbereitung der Forschungsergebnisse, der Erweiterung der Analysen und der Vor‐ bereitung und Durchführung einer wissenschaftlichen Abschlusspräsentation im Rahmen der „Projektband“-Konferenz (Ende Januar). Hierbei sollten die Studierenden in Form von wissenschaftlichen Postern kombiniert mit Produktpräsentationen zum entwickelten Spiel ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren (20 Min., benotet, 20-% der Gesamtnote). The Escape-Game We♥NY Crime Story: A Mixed Methods Analysis of Verbal Interaction of 9th Graders in Game-Based English Learning In-Game Scaffolding vs. Pre-Game-Focus-on-Form Practice - Complexity and Correctness of Board-Game-Related English as a Foreign Language Usage in Fourth Grade of a German Primary School Developing a Gamified Reading Comprehension Task For a Year Six Secondary EFL Classroom to Foster Reading Motivation: A Design Based Research Approach Win the Game---Support the Skills: Investigating Scaffolding in a 4th Grade EFL Escape Game Setting. A Mixed Method Study About the Usage of Different Ways of Scaffolding in-Escape the Zoo-with Focus on Supporting Speaking Skills Escaping Conventional EFL Teaching Methods: A Qualitative Video-Based Analysis of Verbal Learner Interactions in Relation to Different Task Designs in an Educational Escape Room Setting Tabelle 1: Exemplarische Titel von entstandenen Masterarbeiten Abschließend bleibt festzuhalten, dass von den Teilnehmer*innen des Seminars sich ca. 75 % dazu entschieden haben, auch ihre Masterarbeit im Bereich der Englischdidaktik und mit Bezug zu ihrer Forschung im „Projektband“ zu schreiben. Tabelle 1 liefert einen exemplarischen Einblick in typische Themen und verdeutlicht gleichzeitig die Methoden‐ vielfalt, den Praxisbezug und den Fokus auf den Einsatz und die Wirkung der entwickelten Lernspiele. Insgesamt lässt sich beobachten, dass sich durch die Intensität des Austauschs und die Vielzahl der entstehenden Arbeiten in einem Themenbereich im Sinne eines Forschungs- und Entwicklungskolloquiums eine Arbeits- und Diskursstruktur entwickelt hat, von der nicht nur die Studierenden, sondern auch die Forschenden und Lehrkräfte Studierende als Spiele-Entwickler*innen und Forscher*innen 191 <?page no="192"?> sowie die externen Partner*innen aus der Spiele- und Ed-Tech-Industrie im Sinne einer Community of Practice in hohem Maße profitieren und aus der innovative Lernprodukte und Beiträge zur Fachdiskussion entstehen. In einem Fall entsteht derzeit eine Promotion zum Einsatz von Escape Games im Englischunterricht. Gespräche mit Verlagen finden außerdem zur Produktion einzelner Spiele statt. 5 Ausblick und Fazit Forschendes Lernen im Kontext der Fremdsprachenlehrkräftebildung (hier vor allem im Zusammenhang mit den Langzeitpraktika) sollte eine praxisgeleitete Forschung sein, die im Sinne der Stärkung einer wechselseitigen Theorie-Praxis-Verzahnung beispielsweise in Form von Communities of Practice „in collaboration with, not solely for or on practice“ (McKenney/ Reeves, 2019, 14) realisiert wird. Dies kann dazu beitragen, Grenzen zwischen schulpraktischer Unterrichtsentwicklung und der forschungsgeleiteten Konzeption neuer didaktischer Konzepte und Lernmaterialien abzubauen. Dabei erweist es sich als sinnvoll, (zukünftige) Lehrkräfte deutlich stärker als Lern-Designer*innen oder Entwickler*innen von innovativen Lernumgebungen zu verstehen, die bereits im Studium - wie im konkreten Fall gezeigt z. B. anhand von Lernspielkonzeptions- und -beforschungsprozessen - lernen, ihr kreatives Potenzial in Verbindung mit ihrem Fachwissen, fachdidaktischen Kompe‐ tenzen, Design- und Produktentwicklungstechniken und geeigneten Forschungsmethoden zusammenzubringen, um schulisches Lernen evidenzbasiert motivierender und effektiver gestalten zu können. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass es bisher noch deutlich zu wenig Forschung zur Ausgestaltung und zum Beitrag solcher hochschuldidaktischer Konzepte zur Professionalisierung von Lehrkräften gibt. Auch gibt es bisher zu wenig systematischen Austausch zu Seminarkonzepten und Zusammenarbeit über Hochschulstandorte hinweg. Außerdem erblicken die Ergebnisse der studentischen Forschung und Entwicklungen bisher noch nicht das Licht der breiten Öffentlichkeit und werden in wissenschaftlichen Diskursen nur höchst selten aufgegriffen. Innovative Produkte werden nach Einreichung als Prüfungsleistung in der Regel - wenn überhaupt - nur von einzelnen beteiligten Lehrkräften eingesetzt. Potenziale bleiben hier folglich bisher weitestgehend ungenutzt und Ideen ‚verpuffen‘. Hier braucht es geeignete Formate, um die enorme Innovationskraft besser zu nutzen, wie eine Transferstelle für studentische Lernprodukte, systematischere Kooperation mit Schulbuchverlagen für eine professionelle Produktion, OER-Plattformen sowie Fort- und Weiterbildungskonzepte, um eine schnellere und breitere Übertragung lernwirksamer Ansätze in die Praxis zu gewährleisten. Literatur Akcaoglu, Mete/ Koehler, Matthew J. (2014): „Cognitive outcomes from the game design and le‐ arning (GDL) after-school program“. In: Computers & Education 75, 72-81 DOI: 10.1016/ j.com‐ pedu.2014.02.003. Altrichter, Herbert (2003): „Forschende Lehrerbildung. Begründungen und Konsequenzen des Akti‐ onsforschungsansatzes für die Erstausbildung von LehrerInnen“. 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(Diese werden allerdings im Unterschied zu den anderen genannten in der Regel nicht von Fremdsprachen‐ didaktiker*innen selbst, sondern von Pädagog*innen, Psycholog*innen oder Bildungswis‐ senschaftler*innen verantwortet und liegen damit außerhalb unserer Betrachtung.) Davon abgesehen, ist die studierte Fremdsprachendidaktik nur eins von je nach Studiengang zwei oder drei gewählten Fächern. Zudem soll die Hochschulausbildung auf aktuellen For‐ schungsergebnissen beruhen, diese auch zum Gegenstand von Lehre machen sowie für die Forschung ausbilden. Es stellt sich folglich die Frage, wie diese vielfältigen Anforderungen in Einklang gebracht werden können. Im Folgenden sollen einige Vorschläge zur Diskussion gestellt werden, wie eine durchgängige Forschungsorientierung in der Lehre bzw. in allen Phasen der wissenschaftlichen Qualifikation erreicht werden kann. Der Fokus liegt dabei auf empirischer Forschung, die im Laufe der universitären Ausbildung zunächst rezipiert, dann repliziert und schließlich zunehmend eigenständig durchgeführt wird. 2 Grundsätzliche Überlegungen Angesichts der oben skizzierten Ausgangslage liegt auf der Hand, dass forschungsmethodo‐ logische Inhalte am besten mit weiteren fachlichen Inhalten verknüpft, d. h. integriert ge‐ lehrt und gelernt werden sollten, um Synergieeffekte zu erzielen und das Curriculum nicht umfangreicher als unbedingt nötig werden zu lassen. Wann immer möglich sollten folglich linguistische, sprachpraktische, spracherwerbstheoretische und didaktische Inhalte mit forschungsmethodologischen verknüpft werden (vgl. auch die erste der fünf Thesen zur Lehre qualitativer Methoden bei Knoblauch 2007). In begrenztem Umfang wird dies auch in der Vermittlung literatur- und kulturwissenschaftlicher Gegenstände möglich sein, <?page no="196"?> 1 Vgl. https: / / www.dgff.de/ veranstaltungen/ dgff-kolleg/ . wenngleich diese Bereiche traditionell stärker historisch und theoretisch denn empirisch beforscht werden. Ein zweiter grundsätzlich zielführender Ansatz der Implementierung forschungsmetho‐ dologischer Gegenstände in das Studium kann das Lernen am Modell darstellen (Bandura 1965). In empirischen Studien beschriebene Vorgehensweisen können erprobt und kritisch evaluiert werden, z. B. indem Kodierschemata eigenständig auf Daten angewandt werden oder publizierte Fragebögen von den Studierenden selbst ausgefüllt und ausgewertet werden. Auf Masterniveau können auch ganze Studien repliziert werden. Neben vorlie‐ genden Studien kann auch die Dozentin/ der Dozent als Modell fungieren. Von den Leh‐ renden durchgeführte empirische Studien können im Seminar gelesen, mit üblicherweise nicht publizierten Hintergrundmaterialien (wie Einverständniserklärungen, Vorläuferver‐ sionen der eingesetzten Forschungsinstrumente, Daten usw.) angereichert und kritisch diskutiert werden. So können vertiefte Einblicke in die dem Produkt einer publizierten Studie vorangehenden Forschungsprozesse gewonnen werden, die die Fehleranfälligkeit von Forschung sowie die Relativität ihrer Ergebnisse verdeutlichen. Schließlich kennt wohl häufig niemand die Schwächen einer durchgeführten Studie besser als die Forscher*innen selbst. Gleichzeitig wird so eine positive Fehlerkultur befördert, die Einschränkungen der Validität von Studien als selbstverständlich und offenzulegen markiert (vgl. exemplarisch auch Brown 2014). Nicht zuletzt kann auch im Kontext der vorliegenden Fragestellung die Digitalisierung als Potenzialbereich in den Blick genommen werden. Über zahlreiche digitale Inhalte hat sich nicht nur der Zugang zu forschungsmethodologischer Fachliteratur sowie darüber hinaus gehenden digitalen Lehrlernangeboten deutlich verbessert (vgl. die Beispiele quali‐ tativer Online-Lehrangebote bei Schreier/ Breuer 2020, 277-278). Auch digitale Beratungs‐ angebote sowie Möglichkeiten der Vernetzung untereinander haben zugenommen. Durch die Arbeit mit digitalen Lernplattformen können Lehrlerninhalte des Weiteren gespeichert und somit auch längerfristig zugänglich gemacht werden (vgl. z. B. das DGFF-Kolleg 1 ). Vertiefende Selbstlernangebote erlauben ferner eine individuelle Spezialisierung über Grundlageninhalte hinaus. Gleichzeitig wirft der Prozess der Digitalisierung auch die Frage nach einschlägigen Tools empirischer Forschung auf, die im Laufe der Ausbildung auf den einzelnen Qualifikationsstufen erworben werden sollten. 3 Zielsetzungen Der Aufbau forschungsmethodologischer Kompetenzen beginnt damit, zweifeln zu lernen. Dazu gehört einerseits die Einsicht, dass nicht alles, was in einem Fachbuch geschrieben steht, automatisch richtig sein muss, sondern dass es vielmehr empirische Belege für etwas braucht, um eine Behauptung so zu belegen (nicht zu „beweisen“), dass sie als ausreichend gesichert gelten kann. Eine gute Grundlage bietet hier z. B. der einführende Text von Seliger und Shohamy (1989, 13-17), die zwischen knowledge as belief, knowledge as authority, a priori knowledge und schließlich empirical knowledge unterscheiden. Auch ein Blick in die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (z. B. in Bezug auf die Frage, 196 Julia Settinieri <?page no="197"?> was die Fachwissenschaft zu unterschiedlichen Zeiten für „guten Unterricht“ gehalten hat), einander widersprechende empirische Studien zu derselben Fragestellung oder auf klassische Fragen der Erkenntnistheorie wie z. B. Poppers (1959) weiße Schwäne zur Erläuterung des Anspruchs der Falsifizierbarkeit einer These einzugehen, können dazu beitragen, ein gesundes Misstrauen jeglichen „Wissens“ gegenüber zu sähen. Zudem können im Bachelorstudium an unterschiedlichen Beispielen die Situiertheit und die nicht zuletzt mit der Faktorenkomplexion verbundene Fehleranfälligkeit empirischer Forschung verdeutlicht werden. Darüber hinaus sollten in dieser ersten Studienphase m. E. ein Überblick über Forschungsparadigmen und -methoden gewonnen sowie Arbeitstechniken der Recherche und Rezeption empirischer Studien eingeübt werden. Sowohl die kritische Reflexion als auch das Grundlagenwissen im Bereich der empiri‐ schen Forschungsmethoden werden im Masterstudium vertieft. Entlang der Gütekriterien sowohl qualitativer als auch quantitativer Forschung können Studierende lernen, die Aussagekraft von Studien kritisch einschätzen zu können. Sie lernen Forschungslücken zu identifizieren und eigene Forschungsfragen zu formulieren sowie nun exemplarisch auch selbst mit ausgewählten empirischen Methoden zu arbeiten. Die Planung und Durchfüh‐ rung erster empirischer Arbeiten wird jedoch eng angeleitet und Kompetenzen schrittweise aufbauend erfolgen. Während die Lehrenden zu Beginn des Masterstudiums noch sehr viel vorgeben, wandelt sich ihre Rolle im Laufe des Studiums zu einer eher beratenden bzw. coachenden. Mit Abschluss des Masterstudiums sollten Absolvent*innen grundsätzlich in der Lage sein, eine empirische Studie zu planen und durchzuführen. Was ihnen noch fehlt, ist Erfahrung in der Breite der Methoden. Diese kann dann auf Promotionsebene gewonnen werden. Hier wird umfassende Expertise in einem Forschungsbereich und den damit verbundenen Forschungsmethoden aufgebaut. Sie ist in der Regel so umfangreich, dass in dem Gebiet nicht nur geforscht, sondern nun auch selbst gelehrt und publiziert werden kann. Darüber hinaus kann ein zweites Ziel der Promotionsphase darin bestehen, den eigenen methodologischen Hori‐ zont fortlaufend zu erweitern und sich auch mit forschungsmethodologischen Fragen zu befassen, die über das Feld der eigenen Doktorarbeit hinausgehen. Diese können dann nach der Promotion im Falle einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne lebenslangen Lernens kontinuierlich aktualisiert und weiter ausgebaut werden. 4 Lehrangebot 4.1 Bachelorstudium Die allermeisten unserer Bachelorstudiengänge bieten im ersten oder zweiten Semester eine Einführung in die Zweitsprachenerwerbsforschung an, in deren Rahmen zwei oder drei Sitzungen der Einführung in die Forschungsmethodologie gewidmet sein können. So können Studierende einen ersten Überblick über theoretische, historische und empirische Ansätze der Fremdsprachenforschung gewinnen. Später im Studienverlauf erscheint mindestens ein Seminar zur Rezeption empirischer Studien sinnvoll, im dem einerseits die Recherche einschlägiger empirischer Studien eingeübt wird, andererseits die Studien gemeinsam inhaltlich erschlossen und im Anschluss einer Methodenkritik unterzogen werden. Besonders interessant ist die Rezeption von Curriculare Überlegungen zur Rolle der Forschungsmethodologie 197 <?page no="198"?> Studien, die denselben Gegenstand mit unterschiedlichen Methoden erforschen oder die ähnlich vorgehen, aber (aus zu diskutierenden möglichen Gründen) zu ganz unterschied‐ lichen Ergebnissen kommen (s.-o.). Ein weiteres wichtiges Lernziel eines solchen Seminars kann darin bestehen zu lernen, wie empirische Studien aufgebaut sind (vgl. z. B. Bitchener 2010 zur Funktionalität der Textbausteine empirischer Studien) und welche zentralen Informationen wo zu finden sind (sofern sie nicht fehlen, was natürlich auch vorkommt). Auf dieser Grundlage können auch Zusammenfassungen von Studien für den Forschungsüberblick in Qualifikationsarbeiten eingeübt werden. Darüber hinaus kann die Integration kleinerer forschungsbezogener Aktivitäten in ganz unterschiedlichen Seminarkontexten weitere Gelegenheiten zu inzidentellem Lernen schaffen, wie z.B.: • in einem Didaktikseminar auf Grundlage des Transkripts einer Unterrichtsinteraktion und unter Rückgriff auf konversationsanalytische Analysekategorien Mikro-Scaffol‐ ding untersuchen; • in einem Seminar zur Zweitsprachenerwerbsforschung eigene Sprachlernbiographien verfassen und sie auf Motivationsarten untersuchen; • in einem Seminar zu Landes- und Kulturwissenschaft Fragen aus dem Einbürgerungs‐ test bearbeiten; • in einem Seminar zu Testen und Prüfen den Delfin-4-Test mit Teilnehmer*innen in den Rollen von vier Kindern, einer Grundschullehrperson und weiteren Rater*innen nachstellen; • in einem Seminar zu Lernersprachenanalyse z. B. mittels eines profilanalytischen Instruments wie Der Sturz ins Tulpenbeet (Gantefort/ Roth 2008) oder Fast Catch Bumerang (Reich/ Roth/ Döll 2009) lernersprachliche Texte elizitieren und analysieren; • in der Ausspracheschulung Diagnoseaufnahmen (z. B. durch Vorlesen eines Textes wie Nordwind und Sonne) anfertigen und auf Grundlage eines Analysebogens (vgl. für das Deutsche als L2 z.-B. Dieling/ Hirschfeld 2000, 198; Mehlhorn 2019) analysieren; • in der Universität nach Aushängen suchen und an diversen Studien teilnehmen, um einen Eindruck von unterschiedlichen organisatorischen Rahmenbedingungen zu erhalten (Psychologiestudierende erhalten für die Teilnahme an Studien sogar gängig Leistungspunkte.) usw. Ungefähr auf dieser Kompetenzstufe siedeln sich m. E. auch die ins Lehramt eingeführten Studienprojekte, die im Rahmen Forschenden Lernens (Huber 2009) im Praxissemester angefertigt werden, an, da sie i. d. R. ohne vorhergehende systematische forschungsme‐ thodologische Einführung durchgeführt werden. So erläutert der Kölner Leitfaden zu Forschendem Lernen im Praxissemester (ZfL Universität zu Köln o.-J.): Dem Prinzip des Forschenden Lernens liegt demnach ein (Forschungs-)Verständnis zu Grunde, das zwar an wissenschaftlichen Kriterien orientiert, aber nicht mit professionell betriebener Forschung gleichzusetzen ist; denn im Fokus des Forschenden Lernens stehen nicht nur die erarbeiteten Forschungsergebnisse, sondern vor allem die Weiterentwicklung der professionsspezifischen Kompetenzen des ‚forschenden Lerners‘ (ZfL Universität zu Köln o.-J., 6). 198 Julia Settinieri <?page no="199"?> Daher könnten neben „klassischen Forschungsmethoden der empirischen Sozialforschung […] auch ‚alternative Methoden‘“ (Universität Bielefeld 2011, 9) in Betracht gezogen werden. Ähnlich spricht Schöning (2019, 14) in diesem Zusammenhang von „weniger standardisierte[n] Methoden der Praxisforschung in pädagogischen Feldern“. Die Studie‐ renden werden zudem in einer „doppelten Noviz*innenrolle […], zugleich Forschungs- und Unterrichtsanfänger*innen zu sein“ (Schöning 2019, 12), gesehen. Wenngleich dieses Studiengangselement somit aus Perspektive der Praxisreflexion durchaus nachvollziehbar angelegt erscheint, lässt sich aus forschungsmethodologischer Perspektive kritisch hin‐ terfragen, ob hier nicht ein problematisches Verständnis von „Forschung“ bei den Studie‐ renden entstehen könnte (vgl. auch Brinkmann 2020, 63 zur Gefahr der Trivialisierung von Forschung). 4.2 Masterstudium Im Masterstudium sollte dann grundlegend und systematisch in die empirische Forschung eingeführt werden, da das Studium nicht nur auf eine Tätigkeit in der Praxis, sondern auch in der Forschung vorbereiten kann. Ein entsprechendes Seminar könnte bspw. dem in Tabelle-1 skizzierten Ablauf folgen. Woche Seminarthemen 1 Organisatorisches und Einstieg 2 Quantitative und qualitative Forschung 3 Gütekriterien und Triangulation 4 Elizitierung von Lernersprache und Lernerkorpora 5 Test und (Quasi-)Experiment 6 Fragebogen 7 Interview 8 Transkription und Annotation 9 Qualitative Datenanalyse (z. B. Qualitative Inhaltsanalyse, Grounded Theory, Konver‐ sationsanalyse, Dokumentarische Methode) 10 Beobachtung (Videographie) und Introspektion 11 Quantitative Datenanalyse I (Grundlagen, Deskriptive Statistik) 12 Quantitative Datenanalyse II (Inferenzstatistik, SPSS, Excel oder R) 13 Aktionsforschung und Design-Based Research 14 Planung einer empirischen Studie 15 Abschluss und Evaluation Tab. 1: Seminarplan „Einführung in empirische Methoden der Fremdsprachenforschung“ (Masterni‐ veau) Curriculare Überlegungen zur Rolle der Forschungsmethodologie 199 <?page no="200"?> 2 Vgl. https: / / ekvv.uni-bielefeld.de/ sinfo/ publ/ modul/ 322928543. Die skizzierten Inhalte sind sicherlich tendenziell etwas zu umfangreich, und man wird nicht in jedem Semester schaffen, auf alle Aspekte einzugehen. Darüber hinaus wird die Planung eines solchen Seminars immer auch von den Kompetenzen und Arbeitsschwer‐ punkten der/ des jeweiligen Dozierenden geprägt sein, was es ja aber auch durchaus interessanter macht. Wenn im Fachbereich bspw. ein aktuelles Projekt zu Lernerkorpora läuft, wäre es schade, nicht besonders ausführlich darauf einzugehen. Eine gewisse Passung zu den Arbeitsschwerpunkten des Fachbereichs kann zudem eine gute Vorbereitung auf mögliche SHK-Tätigkeiten darstellen. Gleichwohl müssen wir uns als Dozent*innen manchmal überwinden, auch Methoden zu lehren, die uns weniger nahe liegen, die aber für die Fremdsprachenforschung unstrittig relevant sind. Das bedeutet zum Beispiel, grundsätzlich sowohl qualitative als auch quantitative Methoden zu lehren. Selbstverständlich werden auch auf Masterniveau in den unterschiedlichen Seminaren weiterhin empirische Studien recherchiert und rezipiert werden. Darüber hinaus gilt es nun aber, von der Rezeption in die Produktion zu gelangen. Dazu sollten ein oder zwei Zwischenschritte erfolgen, bevor es in die abschließende, bereits relativ eigenständig geplante und durchgeführte empirische Masterarbeit geht. Diese Zwischenschritte können Projektseminare darstellen, in denen entweder gemeinsam in der Großgruppe oder in mehreren kleineren Arbeitsgruppen angeleitet empirisch geforscht wird. Denkbar wäre auch, im Rahmen von zwei unterschiedlichen Projektseminaren zunächst in der Gesamt‐ gruppe unter klarer Anleitung einer/ eines Lehrenden und im Anschluss in Kleingruppen und bereits etwas eigenständiger an Forschungsprojekten zu arbeiten. Im Masterstudium „Deutsch als Fremdsprache und Germanistik“ an der Universität Bie‐ lefeld liegt zwischen der Einführung in empirische Forschungsmethoden und empirischer Masterarbeit obligatorisch ein benotetes Projektseminar, in dem in Gruppen aus i. d. R. 3-5 Studierenden Forschungsprojekte durchgeführt werden. 2 Projektseminare folgen dabei in der Regel grob dem in Tabelle-2 skizzierten Ablauf. Anknüpfend an methodisches Vorwissen aus der Einführung können zunächst zwei oder drei Studien zum ausgewählten Forschungsgegenstand bzw. zur ausgewählten Forschungs‐ methode gelesen werden, um Ideen für die eigenen Projekte zu generieren. Dieser Teil kann aber auch übersprungen werden, wenn mit so universalen Methoden wie Interview oder Fragebogen gearbeitet werden soll. Im Folgenden werden im Seminar gemeinsam alle Phasen der Planung, Durchführung, Auswertung und Evaluation eines Forschungsprojekts durchlaufen. 200 Julia Settinieri <?page no="201"?> Woche Seminarthemen 1 Organisatorisches und Einstieg 2 Forschungsmethode (Wiederholung zentraler Aspekte aus der Einführung; vgl. Tab. 1) 3 Studie I 4 Studie II 5 Studie III Entwicklung einer Forschungsfrage 6 Forschungsdesign und -instrumente 7 Überarbeitung 8 Pilotierung 9 Finalisierung 10 Stichprobe und Datenerhebung 11 Datenaufbereitung 12 Datenauswertung 13 Vorbereitung der Projektpräsentationen 14 Projektpräsentationen I 15 Projektpräsentationen II Abschluss und Evaluation Tab. 2: Seminarplan eines Projektseminars zu einem ausgewählten thematischen oder methodischen Schwerpunkt (Masterniveau) Dieses Vorgehen bringt zahlreiche Vorteile mit sich: Zum einen ermöglicht das gemein‐ same Forschen in der Großgruppe oder in Kleingruppen, unterschiedliche Kompetenzen einzubringen und Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Jemand aus der Gruppe hat vielleicht schon einmal ein thematisch passendes Seminar besucht, Interviews durch‐ geführt, spricht eine erforderliche Kontrastsprache, unterrichtet gerade in einem Kurs und kann Feldzugang herstellen usw. Fünf Gruppen können jeweils ein Interview durchführen, transkribieren und annotieren und einander als Interrater dienen, bevor gemeinsam analysiert wird, und wenn 15 Seminarteilnehmer*innen einen Online-Fragebogen im Rahmen eines (methodisch nicht unproblematischen, in der Fremdsprachenforschung aber häufig eingesetzten) Convenience Samplings an jeweils 10 Bekannte weiterleiten, werden bereits 150 potenzielle Proband*innen erreicht. Arbeitet die Gesamtgruppe unter enger Anleitung einer/ eines Lehrenden an einem Forschungsprojekt, kann die/ der Lehrende zudem gut modellieren, bspw. Einverständniserklärungen bereitstellen, zeigen, wie Daten‐ dateien sinnvoll benannt werden können, Analyseverfahren vorgeben und erläutern usw. So können Findungsprozesse, die bei Forschungsnovizen teilweise durch Umwege stark verlängert werden können, beschleunigt werden. Zudem bieten sich viele Gelegenheiten für inzidentelles Lernen. Führt man z. B. eine Pilotierung gemeinsam im Seminar durch, Curriculare Überlegungen zur Rolle der Forschungsmethodologie 201 <?page no="202"?> 3 Ebenfalls existierende quantitativ ausgerichtete Methodenzentren sparen Kalkstein/ Mey (2021) leider aus der Betrachtung aus. beobachten die Teilnehmer*innen ganz nebenbei ein Bitte-nicht-stören-Schild an der Tür, eine freundliche Begrüßung und gegenseitige Vorstellung der Teilnehmenden, die Relevanz von Raumanordnung, standardisiertem Wortlaut zentraler Erläuterungen usw. Im Falle mehrerer Projekte in Kleingruppen können die Gruppen darüber hinaus nicht nur aus ihren eigenen Herausforderungen und gelungenen Problemlösungen, sondern auch aus denen der anderen Projekte lernen. Gleichzeitig fordern diese kooperativen Lernformen eine hohe Verbindlichkeit und ein großes Engagement aller Beteiligten. Absprachen müssen eingehalten werden, damit sich aufbauende Folgearbeiten nicht verschieben, und in der Regel wird Anwesenheit im Seminar erforderlich sein, um ein regelmäßiges gemeinsames Arbeiten zu ermöglichen. Den letzten Qualifikationsschritt im Bereich der empirischen Methoden stellt dann, wie bereits erwähnt, die (fakultativ oder obligatorisch) empirische Masterarbeit dar, die von den Betreuer*innen nicht mehr angeleitet, sondern primär beratend begleitet wird. 4.3 Promotion und Habilitation, Fort- und Weiterbildung Postgraduierte können sich im Rahmen von Doktorandenkolloquien, anderen universi‐ tären Lehrangeboten, durch selbst angebotene Methodenlehre, aber auch Sommerschulen, Preconference-Workshops, kommerzielle sowie nicht-kommerzielle Online-Angebote u.Ä. forschungsmethodologisch weiterbilden (vgl. genauer Settinieri 2014, 64-66; 2015, 65-68). Sehr wünschenswert wäre, universitäre Beratungsangebote auszubauen und bspw. analog zu den in der Fläche etablierten Schreibzentren auch Methodenzentren aufzubauen (vgl. genauer Settinieri 2015, 70). In der qualitativen Sozialforschung werden diese für die Methodenausbildung schon länger gefordert und sind in steigender Anzahl an bislang neun deutschen und zwei österreichischen Universitäten eingerichtet worden (Kalkstein/ Mey 2021). 3 Neben Projektberatung, curricularen sowie extracurricularen Lehrlernangeboten (im Rahmen von Workshops und Summer Schools, aber auch digitaler Selbstlernangebote) gehören auch die Mitarbeit in Ethikkommissionen sowie eigene Forschung zu den Auf‐ gaben dieser Zentren (Miko-Schefzig 2023, 42). Ein strukturelles Problem unserer Disziplin besteht jedoch darin, dass die meisten Wissenschaftler*innen an ihren Standorten zu Themen und mit Methoden forschen, mit denen sich in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht auch mehrere andere Kolleg*innen beschäftigen. Das macht es schwierig, kontinuierlich besser zu werden. Im Unterschied dazu arbeiten in der Linguistik bspw. ganze Arbeitsgruppen „nur“ zu Phonetik oder ganze Sonderforschungsbereiche mit 80-100 Personen zu einem ausgewählten Forschungsthema. Die in solch größeren Arbeitseinheiten entstehenden Synergieeffekte sind nicht zu unter‐ schätzen. 202 Julia Settinieri <?page no="203"?> 5 Schlussfolgerungen und Ausblick Die letzten Überlegungen führen unmittelbar zum Ausgangsproblem der eierlegenden Wollmilchsäue zurück: Solange das Studium so multidisziplinär angelegt bleibt, wie es aktuell ist, und auch die Lehrenden immer mehrere dieser Bereiche abdecken müssen, wird es schwierig bleiben, vertiefte Expertise aufzubauen. Ob eine Verschlankung bei gleichzeitiger Profilierung unserer Studiengänge kapazitär realistisch wäre, ist fraglich. Aber wenn wir in den Studiengängen auch daran festhalten, so könnten wir doch zu‐ mindest versuchen, uns als Hochschullehrende und Forschende zu spezialisieren. Einige Professor*innen sammeln bspw. Doktorand*innen um sich, die ausschließlich in demselben relativ engen thematischen Feld mit denselben Kernmethoden arbeiten, und bilden so forschungsstärkere Arbeitsgruppen. Eine andere strukturelle Möglichkeit bestünde darin, zwischen den Philologien stärker zu kooperieren und dadurch forschungsmethodologische Profilierungen zu ermöglichen. Und eine dritte Möglichkeit kann die Mitarbeit in größeren interdisziplinären Verbundprojekten darstellen, in denen die Tiefe nicht durch einzelne Personen, sondern in Kooperation erreicht werden kann. Alles irgendwie ein bisschen zu machen, stellt hingegen einen zunehmend schwieriger werdenden Spagat dar. Literatur Bandura, Albert (1965): „Influence of models’ reinforcement contingencies on the acquisition of imitative responses“. 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Im Folgenden sollen zunächst einige didaktische Grundsätze für die Lehrkräftebil‐ dung skizziert und anschließend deren Umsetzungsmöglichkeiten im Rahmen von PLGs dargelegt werden. 1.1 Didaktische Prinzipien der Lehrkräftebildung Didaktische Leitlinien für gute Hochschullehre in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen sind im deutschsprachigen Hochschulraum ebenso vielfältig und unterschiedlich ausgeprägt wie die Standorte, Studiengänge und verantwortlichen Hochschullehrer: innen mit ihren individuellen Lehrstilen; ein allgemeingültiger und um‐ fassender Prinzipienkatalog liegt nicht vor. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, unter Rückgriff auf gegenwärtige Fachdiskurse einige didaktische Grundsätze zu formu‐ lieren, die in enger Wechselwirkung zu zentralen Lernzielen fremd- und zweitsprachendi‐ daktischer Studiengänge stehen. Sie legen den Fokus auf den anvisierten Lernprozess der Studierenden und können bei der Planung, Gestaltung und Auswertung von Lehrveran‐ staltungen als Diskussionsgrundlage dienen, ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Praxisbezogenes, erfahrungsbasiertes und situiertes Lernen Die fremd- und zweitsprachendidaktische Lehrkräftebildung zeichnet sich im Gegensatz zu anderen Studienbereichen durch ihren genuinen Anwendungsbezug aus. Sie bereitet die Studierenden auf ein konkretes Berufsfeld vor, nämlich die soziale Praxis des fremd- und zweitsprachlichen Lehrens und Lernens, und zielt in Forschung und Lehre darauf ab, den gesteuerten Spracherwerb weiterzuentwickeln und zu optimieren. Daher ist es sinnvoll, behandelte Fragestellungen stets auf die unterrichtliche Praxis zu beziehen, Bezüge durch Beispiele aus konkreten Anwendungskontexten zu veranschaulichen und Raum für die Diskussion der Praxisrelevanz der Lerngegenstände zu bieten. <?page no="206"?> Zudem spielt die Ermöglichung direkter und diverser Lehrerfahrungen in unterschied‐ lichen Formaten, bei denen die Studierenden als verantwortliche Akteur: innen selbständig unterrichten (wie z. B. Microteaching, internationale Lehrprojekte oder Unterrichtsprak‐ tika) eine zentrale Rolle, denn die unmittelbare, selbst erlebte Komplexität des Unterrichts führt zu einer besonders tiefen, sinnstiftenden Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lerngegenständen. Situierte Lernbedingungen, in denen die Lernsituationen den realen Anwendungssituationen möglichst nahekommen, tragen zudem dazu bei, die oft beklagte Kluft zwischen Theorie und Praxis (theory-practice gap) zu verringern, somit trägem Wissen (inert knowlegde) entgegenzuwirken und theoretische Konzepte besser mit dem (zukünftigen) Berufsfeld verknüpfen zu können (vgl. Fölling-Albers et al 2004). Berufsbiografisches Lernen Im engen Zusammenhang mit dem Prinzip des erfahrungsbasierten Lernens steht die Berücksichtigung berufsbiografischer Prägungen. Zum einen ist es empirisch gut belegt, dass Lehrpersonen häufig auf eigene Schul‐ eindrücke sowie andere Unterrichtserfahrungen zurückgreifen, die sie in der Rolle der Lernenden selbst erlebt haben und die mitunter andersartige Ausbildungspraktiken kor‐ rigieren und transformieren. Daher sollte es gerade in didaktisch ausgerichteten Studien‐ gängen selbstverständlich sein, den relevanten Einflussfaktor des (von den Studierenden selbst erlebten) Unterrichts so zu gestalten, dass er möglichst modellhaft mit den gesteckten Lernzielen zusammenwirkt. So können etwa Lernarrangements in Form didaktischer Doppeldecker (Wahl 2013) geschaffen werden, in denen die Studierenden gleichzeitig erleben und reflektieren können, womit sie sich im Seminar inhaltlich beschäftigen. Zum anderen werden die eigenen Erfahrungen als verantwortliche Lehrperson, insbe‐ sondere in der Berufseinstiegsphase, in den unterschiedlichen berufsbiografischen Mo‐ dellen als zentraler Entwicklungsbereich für die Professionalisierung beschrieben. Die Gefahr, dass sich in diesem oft als problembehaftet und überfordernd empfundenen Sta‐ dium persönliche Herangehensweisen, die zur erfolgreichen Bewältigung der beruflichen Anforderungen eingesetzt werden, als Routinen und subjektive Theorien sedimentieren, ist groß. Daher ist es gerade in dieser so prägenden Zeit besonders wichtig, dass Lehr‐ noviz: innen in ihrer beruflichen Erstsozialisation nicht auf sich selbst gestellt sind, sondern im systematischen Austausch mit Lernpartner: innen, Kolleg: innen, Mentor: innen stehen und Lernprozesse ko-konstruktiv gestalten können. Das verhilft ihnen dazu, angewandte Handlungskonzepte zu reflektieren, sich mit ihren Alltagstheorien auseinanderzusetzen und sich subjektive Überzeugungen bewusst zu machen. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Berufsanfänger: innen und die Beratung mit erfahrenen Kolleg: innen relativieren zudem viele Schwierigkeiten, denn Probleme werden auf diese Weise nicht mehr nur selbstbezogen wahrgenommen (vgl. Messner/ Reusser 2000, 167). Gerade im Fach DaFZ in Deutschland spielt eine stärkere Integration der ersten Berufs‐ erfahrungen in das Studium eine wichtige Rolle, da zum einen die lehrkräftebildenden DaFZ-Studiengänge in der Regel keinen begleiteten Berufseinstieg wie den Vorbereitungs‐ dienst im Lehramt vorsehen und zum anderen viele Studierende bedingt durch den großen Bedarf auf dem Arbeitsmarkt schon während des Studiums eine Stelle als DaFZ-Lehrperson innehaben und somit den Berufseinstieg parallel zum Studium vollziehen. 206 Kathrin Siebold <?page no="207"?> Forschungsorientiertes Lernen Dem Humboldtschen Bildungsideal der Verschränkung von Forschung und Lehre folgend, können fremd- und zweitsprachendidaktische Lehrveranstaltungen wissenskonservative und wissensinnovative Lehr- und Lernformate fruchtbar miteinander verbinden und Studierende sukzessive dazu befähigen, sich selbst forschungsbezogen an der Weiterent‐ wicklung des Fachdiskurses zu beteiligen. Neben der Vermittlung kanonisierter Lerninhalte bestimmt auch deren Hinterfragung, Diskussion und Expansion den Aneignungsprozess wissenschaftlichen Wissens. So können die Studierenden in forschungsorientierten Lehr- und Lernformaten die bedeutende Rolle der konstruktiven Kritik als wertvolles Korrektiv erfahren, einen analytischen Blick für Desiderate bezüglich bereits beforschter Wirklich‐ keitsausschnitte entwickeln, kooperativ unterschiedliche Methoden der Wissensfindung erproben und die Möglichkeiten neuer Erkenntnisgenerierung ausloten (vgl. Kap. 2). Reflexives Lernen Voraussetzung für die ständige Weiterentwicklung von Wissen und Kompetenzen, auch über die Studienzeit hinaus und mit Blick auf eine reflexive Unterrichtspraxis, sind fundierte Analysen des eigenen Lernprozesses, durch die sowohl kritische, zu verändernde Aspekte identifiziert werden können, als auch zu stabilisierende Ansätze. Dabei kann Reflexions‐ kompetenz, als die Fähigkeit, zwischen neuen Kenntnissen, Einstellungen, Überzeugungen und dem eigenen Denken und Verhalten eine Beziehung herzustellen (Aufschnaiter et al. 2019, 148), durch Formate wie Gruppendiskussionen, Portfolios oder Lerntagebücher systematisch angeleitet und gefördert werden. Autonomes Lernen Ausgehend von den vielfältigen Rollen und Aufgaben, die Lehrkräfte im Fremd- und Zweitsprachenunterricht in den unterschiedlichen Bildungsbereichen einnehmen, ist es selbstverständlich, dass Expertise in der Lehre nicht als etwas Statisches, sondern als konstanter Professionalisierungsprozess zu begreifen ist, in dem erworbene Kenntnisse und Kompetenzen eigenverantwortlich und autonom aktualisiert, ausgebaut und den sich ändernden beruflichen Herausforderungen angepasst werden (vgl. Legutke/ Schart 2016, 32). Autonomiefördernde Lernarrangements, in denen die Fähigkeit der Studierenden entwickelt wird, den Lernprozess bewusst zu steuern und selbstbestimmt Entscheidungen hinsichtlich der angestrebten Lernziele, des zu erschließenden Lernstoffes, der anzuwen‐ denden Strategien und Methoden zu treffen, lassen sich z. B. in unterschiedlichen Formaten der Projektarbeit oder des Forschenden Lernens gestalten. Kooperatives Lernen Gemeinsames Handeln und kommunikativer Austausch im Lernprozess bieten wertvolle Lerngelegenheiten durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Perspektiven und er‐ möglichen die intersubjektive Verständigung durch die Aushandlung und Abstimmung individueller Sichtweisen. Die sozialen Interaktionen der Studierenden untereinander - sowie ggf. die mit Wissenschaftler: innen und außeruniversitären Akteur: innen - fördern zudem fächerübergreifende soziale und kommunikative Kompetenzen, steigern die Moti‐ vation und das Selbstwirksamkeitsgefühl und können als wichtige Vorbereitung auf die Professionelle Lerngemeinschaften in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen 207 <?page no="208"?> spätere kollegiale (unterrichtsbezogene) Kooperation im Berufsalltag dienen. Kooperative, ko-konstruktive Lernumgebungen lassen sich beispielsweise in kleineren Formaten wie dem Reziproken Lesen eines Textes in einer Gruppenarbeit oder in längerfristig angelegten Lerngemeinschaften wie der semester- und seminarbegleitenden intraprofessionellen Zu‐ sammenarbeit zwischen Lehramtsstudierenden unterschiedlicher Fächer arrangieren. Kritisches Lernen Im Sinne einer Kritischen Fremdsprachendidaktik (vgl. Gerlach 2020) können Lehrpersonen und Lernende sich selbst als kritische Ressourcen verstehen, die immanente Machtstruk‐ turen und Ungerechtigkeit problematisieren und sozialen Wandel herbeiführen, indem sie im Fremd- und Zweitsprachenunterricht zur Demokratiebildung und gesellschaftli‐ chen Partizipation beitragen. Voraussetzung dafür sind die Ausbildung eines kritischen Habitus und eine entsprechende Identitätsentwicklung unter angehenden Lehrkräften. Diese können u. a. durch die Auswahl geeigneter Themen und Materialien in verschiedenen literatur- und kulturdidaktischen Lehrformaten gefördert werden (vgl. Leonhardt/ Viebrock 2020) oder etwa durch dramapädagogisch aufgearbeitete Fallanalysen (vgl. Abend‐ roth-Timmer 2020). Medienkritisches (digitales) Lernen In engem Zusammenhang dazu steht die Ermöglichung medienkritischer und digital gestützter Lernprozesse, denn aus der Vielzahl von medialen Angeboten eine bewusste, kriterienbasierte Auswahl für den Unterricht zu treffen und diesen medienkundig und lernzielgerecht zu gestalten, gehört zu den zentralen Kompetenzen von Fremd- und Zweit‐ sprachenlehrpersonen. Angehende Lehrkräfte zu einer kritischen Analyse und Beurteilung von Medienangeboten, zur reflexiven Auseinandersetzung mit der eigenen Mediennutzung und zum souveränen, selbstbestimmten und sozial partizipativen Einsatz von Medien zu befähigen, gehört daher zu den Leitlinien hochschulischer Lehre. Lehrveranstaltungsformate, die neben (digitaler) Medienkunde, -nutzung und -gestal‐ tung auch Medienkritik als einen der vier grundlegenden Medienkompetenzbereiche (vgl. Baacke 1997) fördern, integrieren nicht nur die Verwendung vielfältiger aktueller (digitaler) Materialien und Medien, sondern auch deren kritische Potenzialanalyse hinsichtlich beste‐ hender Lernziele. Kulturelles Lernen Es ist unumstritten, dass sprachliches und kulturelles Lernen vielschichtig zusammen‐ hängen und Sprachlehrkräfte auch als kulturelle Mittler: innen fungieren, die zur sozialen Partizipation an Diskursen und Prozessen der diskursiven Aushandlung und Bedeutungs‐ zuschreibung in den Zielsprachenkulturen befähigen können. Dazu diskutieren sie in ihrer Ausbildung in der Regel unterschiedliche kulturwissenschaftliche Forschungsansätze, Kul‐ turmodelle und Konzepte kulturellen Lernens. Wichtig erscheint in diesem Kontext, für das persönliche kulturelle Lernen angehender Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen im Pro‐ fessionalisierungsprozess genügend Raum zu schaffen, um eigene normative Ordnungen, Handlungs- und Deutungsmuster sowie damit verbundene diskursive Verortungen bewusst zu machen. So kann in heterogen zusammengesetzten Studierendengruppen, wie sie gerade 208 Kathrin Siebold <?page no="209"?> im Bereich der Fremd- und Zweitsprachendidaktik gewöhnlich sind, durch bewusstes Von- und Miteinanderlernen im gleichberechtigten Austausch ein komplexes und dynamisches Verständnis von Kultur entwickelt werden. Insbesondere kooperative, internationale Lehr- und Lernformate wie COIL (Collaborative Online International Learning), Tandem oder Projektseminare bieten geeignete Kontexte für kulturreflexive Lernprozesse. Fach- und sprachintegriertes Lernen Da viele der Studierenden fremd- und zweitsprachendidaktischer Fächer sich selbst noch im fremdsprachlichen Erwerbsprozess befinden, kann über die Integration fachlicher und sprachlicher Lernziele im Sinne eines Sprachsensiblen Fachunterrichts bzw. des CLIL-An‐ satzes (Content and Language Integrated Learning) neben dem fachlichen auch der sprach‐ liche Lernprozess der Studierenden in allen Seminaren systematisch begleitet und durch besondere Maßnahmen gefördert werden. Dazu gehören ein bewusster Umgang mit der Modellfunktion der eigenen Sprache der Hochschullehrer: innen, fach- und sprachbezogene Lernmaterialien und Evaluationstechniken sowie differenzierte, ggf. ausgangssprachenbe‐ zogene Unterstützungsmechanismen. 1.2 Professionelle Lerngemeinschaften PLGs sind lernorientierte Kooperationen, die im Bildungsbereich vor allem auf dem Gebiet der Unterrichts- und Organisationsentwicklung verbreitet sind. Meiner Ansicht nach lassen sie sich auch zielführend in der Professionalisierung von Lehrenden und Forschenden einsetzen, wobei viele der oben beschriebenen didaktischen Prinzipien umgesetzt werden und insbesondere situierte, reflexive, forschungsorientierte, sprach- und kulturbezogene sowie kooperative Lernformate Anwendung finden können. In den folgenden Absätzen werden PLGs näher beschrieben und deren Verortung im hochschuldidaktischen Kontext der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrkräften vorgenommen. 1.2.1 Merkmale von Professionellen Lerngemeinschaften Professionell (P) bezieht sich auf die problemorientierte Weiterentwicklung von Kompe‐ tenzen im Kontext der beruflichen Praxis, sowohl für Personen, die nach einer Ausbildung bereits als professionell gelten (z. B. Lehrende oder Forschende im Beruf), als auch für solche, die sich im Professionalisierungsprozess befinden (z.-B. angehende Lehrkräfte und Nachwuchswissenschaftler: innen). Lernen (L) wird als lebenslanger Prozess und wesentli‐ ches Mittel der Qualitätssteigerung begriffen. Zentral ist die Einbettung des Lernprozesses in eine Gemeinschaft (G), die gemeinsam reflektiert, sich gegenseitig unterstützt, zu Verbesserungen anregt und somit Lernen als soziales Geschehen im kollegialen Austausch vollzieht. Voraussetzungen dafür sind eine reflexive, forschende, kooperative Haltung, die Öffnung der eigenen Praxis, gegenseitiges Vertrauen sowie ein ganzheitlicher Blick auf Lernprozesse. Kontextbezogene Gelingensfaktoren sind vor allem supportive Arbeits‐ bedingungen, die institutionell und strukturell Räume für die Partizipation in solchen Lerngemeinschaften bieten (vgl. Kansteiner et al. 2023). Professionelle Lerngemeinschaften in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen 209 <?page no="210"?> 1.2.2 Hochschuldidaktische Verortung von Professionellen Lerngemeinschaften Im weiten Professionsfeld fremd- und zweitsprachlicher Lehre ist ein gemeinschaftliches Lernen in PLGs nicht nur unter angehenden Lehrpersonen im Ausbildungskontext oder zwischen bereits berufstätigen Lehrkräften im Fort- und Weiterbildungskontext möglich, sondern auch in unterschiedlichen Kooperationsformaten zwischen lehrkräftebildenden Institutionen und dem beruflichen Anwendungsfeld. Auch universitäre Studiengänge können einen geeigneten Rahmen für die Entwicklung von PLGs bilden, die sich auf verschiedensten interinstitutionellen und multiprofessionellen Ebenen mit ihren (außer‐ universitären) Kooperationspartnern austauschen, um mit- und voneinander zu lernen. In der Lehrkräftebildung im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaFZ) exis‐ tieren bereits vielfältige PLGs oder PLG-ähnliche Formen der Zusammenarbeit, in denen mit Blick auf die Kompetenzentwicklung und die (anvisierte) berufliche Praxis qualitäts‐ volle Arbeit geleistet wird, so etwa die systematisch angelegten und empirisch teils bereits gut untersuchten Kooperationen • unter DaFZ-Studierenden unterschiedlicher internationaler Universitäten in virtuellen und präsenziellen Austausch- und Begegnungsseminaren (Virtual Exchangebzw. COIL-Seminare), in denen Studierendengruppen interinstitutionell über einen län‐ geren Projektzeitraum zu unterschiedlichen Themen zusammenarbeiten (vgl. z. B. Hoshii/ Schumacher 2021) • unter DaFZ-Studierenden, die in Gruppen oder Tandems videobasierte Fallarbeit durchführen - z.-B. mit digitalen Tools zur kooperativen Unterrichtsbeobachtung wie VEO (videoenhanced observation), indem sie in Praktikumsphasen oder Microteachings ihren eigenen Unterricht aufnehmen und kooperativ analysieren oder indem sie fremden Unterricht kollegial beobachten und besprechen (vgl. Bechtel/ Schramm 2019; Siebold/ Obornik 2023) • unter DaFZ-Studierenden und -Lehrkräften im Beruf in curricularen oder extracurri‐ cularen Praktikumsphasen, die den Mentoringprozess als gemeinsamen Lernprozess konzipieren und sich in einem strukturierten Format über die Hospitations- und Praxiserfahrungen austauschen (vgl. Zankel et al. 2021) • unter DaFZ-Studierenden und -Lehrkräften im Beruf in Formaten Forschenden Ler‐ nens, in denen kooperativ Forschungsfragen aus der Praxis heraus entwickelt und bearbeitet werden (vgl. Baumbach 2023) • unter DaFZ-Studierenden und -Wissenschaftler: innen, die im Rahmen partizipativer Forschung z. B. Professionalisierungsprozesse empirisch untersuchen und beidseitig vom kooperativen Forschungsprozess profitieren (vgl. Thaller/ Obornik 2022) • unter Wissenschaftler: innen vergleichbarer oder verschiedener Karrierestufen, die sich über Prozesse ihrer wissenschaftlichen Professionalisierung austauschen, wie z. B. in angeleiteten Mentorings in der Nachwuchsförderung zwischen etablierten und jüngeren Wissenschaftler: innen oder in strukturierten Austauschformaten zum Kompetenzerwerb bei Auslandsaufenthalten. Die eigene Ausbildung bzw. Berufspraxis als lebenslanges, offenes Lernfeld zu begreifen und für die gemeinschaftliche, reflektierte Weiterentwicklung zu „deprivatisieren“ (Kan‐ steiner et al. 2023, 16), kann maßgeblich dazu beitragen, alltägliche Herausforderungen 210 Kathrin Siebold <?page no="211"?> im kollegialen Kreis zu bewältigen und innovative Praktiken zu implementieren. Der persönliche Austausch in einer professionellen Lerngemeinschaft und die gemeinsame Entwicklung von Problemlösungsstrategien, neuen Konzepten und beruflichen Kompe‐ tenzen tragen darüber hinaus dazu bei, das fachliche Selbstverständnis der Berufsgruppe zu stärken. Dies ist insbesondere im sehr heterogenen Tätigkeitsfeld der Fremd- und Zweit‐ sprachendidaktik, in dem Studierende und Lehrkräfte mit vielfältigen Bildungsbiografien, Qualifikationen und Professionsverständnissen beschäftigt sind, sinnvoll. Hinsichtlich der systematischen Integration von PLGs in fremd- und zweitsprachendi‐ daktische Studiengänge eröffnet sich ein weites Feld an konzeptionellen Möglichkeiten für die Curriculumsgestaltung. Dies gilt gleichermaßen für die Implementierung von Prüfungsformen, welche Reflexionsprozesse anbahnen und Lernzuwächse in PLGs ange‐ messen reflektieren. Kompetenz-, reflexions- und kooperationsorientierte Formate wie Fallanalysen, Lerntagebücher, Portfolios, Foreneinträge, Reflexionsgespräche oder Grup‐ pendiskussionen haben teilweise Eingang in Evaluationsverfahren gefunden, aber auch hier besteht noch vielfältiger Entwicklungs- und Handlungsbedarf. 2 Nachwuchsförderung in Professionellen Lerngemeinschaften Professionelle Lerngemeinschaften eröffnen auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses interessante Entwicklungsräume. So entsprechen unterschiedliche Formate des Forschenden Lernens, das häufig als Königsweg gegen die universitäre Verschulung nach der Bologna-Reform propagiert wird (vgl. Wulf et al. 2020, IX), durchaus dem charakteristischen Verständnis von PLGs. Dieses sieht ein systematisches Hinterfragen der Praxis in forschender Haltung vor, um einem Anliegen der beruflichen Praxis gedanklich geordnet nachzugehen, es hinsichtlich seiner (problematischen) Zusammenhänge zu durchdringen, dann ausgehend vom vertieften Verstehen neue Handlungsoptionen herauszuarbeiten und die Wirkung der infolgedessen unternommenen Veränderungen wieder geordnet zu bilanzieren (Kansteiner et al. 2023, 19). Die oben beschriebenen PLG-Formate, wie etwa die Zusammenarbeit von Wissen‐ schaftler: innen mit Studierenden im Rahmen partizipativer Forschungsprojekte, struktu‐ rierte Mentorings zwischen Wissenschaftler: innen unterschiedlicher Karrierestufen oder die Kooperation zwischen Studierenden und berufstätigen Lehrkräften im Bereich der Unterrichts- und Schulentwicklung, ermöglichen es den Studierenden, bereits während des Studiums Forschungsprozesse in ihren wesentlichen Phasen mitzugestalten, zu er‐ fahren und zu reflektieren. In forschungsorientierten PLGs stehen die Nachwuchswis‐ senschaftler: innen von der Entwicklung einer Forschungsfrage und Aufstellung von Hypothesen über die Auswahl der Methoden bis zur Darstellung und Diskussion der Ergebnisse im strukturierten Austausch mit ihren Forschungspartner: innen und erleben Wissenschaft als sozialen Prozess. Dabei spielen besonders die vielschichtigen Funktionen der Kooperation für die theoretische Begründung und Diskussion des PLG-Konzepts eine bedeutende Rolle. So wird die in PLGs entstehende Sozialität, ebenso wie Siegfried und Wiemer (2020) es für Gemeinschaftsbildungsprozesse im Forschenden Lernen beschreiben, Professionelle Lerngemeinschaften in der Ausbildung von Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen 211 <?page no="212"?> nicht nur als Impuls für ko-konstruktives und nachhaltiges Lernen verstanden, sondern auch als persönliches Bildungsziel und Ermöglichungsbedingung von Wissenschaft. Durch die Gelegenheit, erzielte Forschungsergebnisse in unterschiedlichen Formaten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (z. B. durch wissenschaftliche Publikationen studentischer Projekte, die Organisation von Studierenden-Tagungen oder die Beteiligung Studierender an Nachwuchstagungen) können schon frühzeitig wissenschaftliche Partizi‐ pationsmöglichkeiten und Grundlagen für die eigene Forschung geboten werden. Auf diese Weise erfahren die Studierenden als potenzielle zukünftige Wissenschaftler: innen nicht nur Bildung durch Wissenschaft, sondern auch Teilhabe an Wissenschaft und Prozessen der Wissensgenerierung (vgl. Huber 2009, 11; Siegfried/ Wiemer 2020, 82). 3 Professionelle Lerngemeinschaften in der Fort- und Weiterbildung Die unter 1 und 2 beschriebenen PLGs mit studentischer Beteiligung beziehen sich zwar in vielen Fällen auf Kooperationen mit praxiserfahrenen Lehrkräften, fokussieren allerdings insbesondere den Kompetenzerwerb von angehenden Lehrkräften bzw. Lehrnoviz: innen im Laufe ihres Hochschulstudiums. PLGs im Bildungssektor sind jedoch originär im Kontext der beruflichen Fort- und Weiterbildung verortet und vor allem im Bereich der Unterrichts- und Schulentwicklung sehr verbreitet. Dies erscheint umso sinnvoller, wenn Lehrpersonen ihre Berufstätigkeit als lebenslanges Lernen auffassen und sich selbst als reflexive Praktiker: innen verstehen, wie es auch in gängigen Rollenbeschreibungen und Kompetenzmodellen der Zweit- und Fremdsprachendidaktik dargestellt wird. So sehen Legutke und Schart (2016) „Kooperation und Entwicklung“ als eine von vier zentralen Kompetenzdimensionen vor und unterstreichen - durchaus im Sinne des Konzepts von PLGs - die Bedeutung systematischer kollegialer Zusammenarbeit in der kontinuierlichen beruflichen Weiterentwicklung. Eine groß angelegte, im Programm Erasmus+ durchgeführte PLG im Fortbildungsbereich ist das sogenannte LEELU-Projekt (vgl. Schramm/ Hofmann 2023), in dem vielschichtige Ko‐ operationsstrukturen unter forschungsinteressierten Lehrpersonen und praxisorientierten Forscher: innen aufgebaut wurden, die an unterschiedlichen Schulen in mehreren Ländern innovative Unterrichtsformate etablierten und dabei im strukturierten Austausch standen. In diesem internationalen und interinstitutionellen PLG-Netzwerk wurden Handlungs‐ muster gemeinschaftlich reflektiert, wissenschaftliche Erklärungsansätze diskutiert und ko-konstruktiv Problemlösungsstrategien entwickelt. Erste Ergebnisse der empirischen Begleitstudie zum Projekt deuten darauf hin, dass den beteiligten Lehrpersonen die Umset‐ zung der neuen Unterrichtsformate im Rahmen der PLG besonders gut gelang. Ein weiteres PLG-artiges Fortbildungsformat sind die sogenannten Videoclubs (vgl. Hoffmann/ Kasper 2021), in denen Lehrkräfte in kollegialer Unterrichtsbeobachtung eigene und fremde Unterrichtssequenzen analysieren und diskutieren. Die empirische Wirksamkeitsforschung im Bereich der fremd- und zweitsprachlichen Lehrkräftefort- und -weiterbildung steht zwar noch in den Anfängen. Die bislang durch‐ geführten Studien zeigen aber auf, dass die Zusammenarbeit in PLGs es Lehrkräften ermöglicht, sich zielgerichtet mit ihrer Berufspraxis auseinanderzusetzen, (wissenschaft‐ 212 Kathrin Siebold <?page no="213"?> liche) Konzepte für den eigenen Erkenntnisgewinn zu nutzen bzw. zu entwickeln und die komplexe Dynamik des unterrichtlichen Geschehens leichter zu bewältigen. 4 Desiderate und Potenziale der Forschung zu Professionellen Lerngemeinschaften Trotz vielfältiger internationaler und interinstitutioneller Zusammenarbeit und PLG-ähn‐ licher Kooperationsaktivitäten, die die Fremd- und Zweitsprachendidaktik in der Regel stark prägen, ist das Konzept der PLGs im deutschsprachigen Raum in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften bislang noch nicht fest etabliert und nur vereinzelt an Hochschulen bekannt. Die wenigen empirischen Studien, die zu Lernprozessen und Kom‐ petenzerwerb innerhalb von PLGs vorliegen, weisen aber darauf hin, dass die systematische Implementierung und curriculare Verankerung von PLGs in der Lehrkräftebildung ein breites Qualifikationsspektrum abdeckt und ein Forschungsfeld mit einem beträchtlichem Erkenntnispotenzial für die Weiterentwicklung der Disziplin eröffnet. Forschungsdesiderate bestehen sowohl hinsichtlich der theoretischen Systematisierung und weiteren Modellierung des PLG-Konzepts zur wissenschaftlichen Einordnung in die Fremd- und Zweitsprachenforschung als auch hinsichtlich empirischer Arbeiten, die durch strukturierte Datenerhebung und -auswertung die Interaktionsgestaltung in PLGs und ihren Zusammenhang mit dem Erwerb professionsbezogener Kompetenzen herausarbeiten. Interessante Forschungsfragen betreffen etwa vergleichende Untersuchungen des Kom‐ petenzerwerbs in PLGs unterschiedlicher Statusgruppen. Auch wenn davon auszugehen ist, dass kooperativ und ko-konstruktiv gestaltete Lernprozesse in PLGs immer auf ähnlichen Wirkungsprinzipien beruhen, gibt es bislang meines Wissens keine empirischen Befunde dazu, wie sich diverse Gruppen in PLGs (z. B. Studierende, Forschende, Lehrkräfte) unter den jeweils spezifischen Voraussetzungen und Bedingungen weiterentwickeln und zusammenwirken. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2020): „Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehr‐ enden: Ein dramapädagogisch-hochschuldidaktischer Ansatz“. In: Gerlach (Hrsg.), 199-216. Aufschnaiter, Claudia von/ Fraij, Amina/ Kost, Daniel (2019): „Reflexion und Reflexivität in der Lehrerbildung“. In: Herausforderung Lehrer*innenbildung. Zeitschrift zur Konzeption, Gestaltung und Diskussion 2/ 1, 144-159. Baacke, Dieter (1997): Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer. Baumbach, Stefan (2023): „Forschendes Lernen in Schul-Universitätspartnerschaften am Beispiel des Projekts FLinKUS“. 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Weinheim; Basel: Beltz Juventa. 214 Kathrin Siebold <?page no="215"?> Spannungsfelder literatur- und kulturdidaktischer Hochschullehre in den Fremdsprachen Ivo Steininger 1 Erfahrungsbasiertes Lernen: Perspektivenkoordination und Vermittlung in der literaturdidaktischen Ausbildung Dass es sich beim Fremdsprachenunterricht und damit auch bei den Fremdsprachendidak‐ tiken um sogenannte gering strukturierte Domänen (vgl. Blömeke et al. 2011) handelt, ist zunächst einmal anzuerkennen. Diese geringe Strukturiertheit ist bereits beim ersten Blick auf das Kompetenzprofil „Neue Fremdsprachen“ in den Ländergemeinsamen inhalt‐ lichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2019, 44) auszumachen, das neben spezifisch fachdidaktischen Kenntnissen und Kompetenzen auch solche „der Fremdsprachenpraxis, der Sprachwissenschaft, der Lite‐ raturwissenschaft, der Kulturwissenschaft“ umfasst (ebd.). Interessanterweise wird im Dokument die Fachdidaktik als letzte aufgezählt. Positiv gewendet deutet dies auf den transformativen Stellenwert der Fremdsprachendidaktiken für die Inhaltsbereiche der Bezugswissenschaften im Sinne der unterrichtlichen Auseinandersetzung im Kontext des Lernens und Lehrens im schulischen Fremdsprachenunterricht. Und diese Lesart soll als Perspektive hier eingenommen und auf literatur- und kulturdidaktische Fragestellungen gewendet werden. Die geringe Strukturiertheit ist so gesehen nicht nur als Herausforde‐ rung, sondern auch als Chance zu werten, beinhaltet sie doch eine Offenheit der Domäne für Neues und eine Vielzahl von Perspektiven. Damit geht allerdings unausweichlich die Frage einher, welche Zielbereiche innerhalb der Domäne zu welchem Ausbildungszeitpunkt als wesentlich erachtet werden: In your first year class, are you targeting declarative knowledge, or functioning knowledge, or both? What levels of understanding do you require, and or what topics: knowledge of terminology, description, application to new problems …? (Biggs 2003, 1 f.). Mit Blick auf die Outcome-Beschreibung sind diese Fragen literaturdidaktisch gewendet auf die Fähigkeiten der angehenden Englischlehrpersonen zur „Analyse und Didaktisierung von Texten, insbesondere von literarischen“ Texten (KMK 2019, 44), zu beziehen. Denn wenn die Struktur der Disziplin nicht ‚eingeschrieben‘ ist, dann muss sie konstruiert und im didaktischen Handeln aktualisiert werden. Dazu gehört neben einer Orientierung an den Bildungs- und Lernzielen des Faches eine genuin fachdidaktische Terminologie, die mit Trennschärfe literaturdidaktische Zielbereiche kategorisiert und damit handhabbar macht. Denn didaktisches Handeln und unterrichtliche Entscheidungen sind theoriebasiert (entweder beruhen sie auf Alltagstheorien über schulischen Fremdsprachenunterricht <?page no="216"?> oder auf dem akademischen Diskurs); und diese theoretischen Grundlagen zu explizieren, kritisch zu hinterfragen und synthetisierend zu verbinden, macht Lehrende im Unterricht zu reflektiert und emanzipiert Handelnden: One obvious advantage in […] making explicit the theoretical implications of practice is that teachers are less prey to persuasion, less ready to accept approaches to teaching on somebody else’s authority, whether this be supposedly based on linguistic expertise or pedagogic experience. If teachers can raise critical questions about theoretical assumptions that underlie the approaches that are proposed, they are in a position to establish their relevance to their own local circumstances and adapt rather than just adopt them (Widdowson 2012, 4; Hervorhebung im Original). Dieses Adaptieren ist eng mit den Perspektiven der Lernenden im Fremdsprachenunterricht mit literarischen Texten verknüpft und geht über den Fokus auf literarische Texte als Gegenstände hinaus. Die Herausforderung liegt darin begründet, authentische literarische Texte möglichst vielfältiger Gattungen und Genres zum Unterrichtsthema und zum Unter‐ richtsinhalt werden zu lassen. Dazu gehört die Fähigkeit, Erfahrungen auf unterschiedliche Perspektiven zu beziehen und Lernbereiche kommunikativ miteinander zu verbinden, sodass literarisches Lernen im Fremdsprachenunterricht mit sprachlichem und kulturellem Lernen sowie Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung in Zusammenhang gebracht wird. Ein Bestandteil des Konzeptes des decoding the disciplines (Middendorf/ Pace 2004, 3), auf das in der allgemeinen Hochschuldidaktik häufig rekurriert wird, umfasst das Identifizieren und gezielte Adressieren von sogenannten bottle necks (ebd., 5) in Lehrveranstaltungen und die damit einhergehenden Zusammenhänge der Disziplin. Auf literaturdidaktische Kontexte gewendet stellen aus meiner Sicht für Studierenden sowohl die eigene Inter‐ pretation von Texten, Textstellen und Leerstellen solche bottle necks dar, als auch die Initiierung von Interpretationsleistungen in didaktischen Kontexten - seien sie projizierter oder konkreter Natur. Ein Problembereich ist dabei die Integration fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Aspekte. Denn die Studierenden bringen als ehemalige Schülerinnen und Schüler ihre jeweiligen Erfahrungen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch mit literarischen Texten mit. Diese Perspektive gilt es in ihrer Absolutheit über den Verlauf der universitären Ausbildungsphase entlang der (inter-)disziplinären Theorien und Modelle zu reflektieren, zu relativieren und neu zu justieren. Hinzukommt, dass Theorien, Modelle und Bestandteile literarischer Texte in einem anwendungsorientierten Kontext auf die Perspektiven der (potenziellen) Lernenden bezogen werden müssen, denn „die Leistung der Wissenschaft besteht nicht darin, das Ding der gewöhnlichen Erfahrung zu korrigieren, indem sie es durch ein anderes ersetzt, sondern es zu erklären (Dewey 2004, 386 f.; Hervorhebung im Original). Perspektivenkoordination im literaturdidaktischen Kontext beinhaltet das unablässige Mitdenken der Perspektiven der Adressaten. Erfahrungsbasiertes universitäres Lernen beinhaltet dann Interpretationserfahrungen in den literaturdidaktischen Veranstaltungen, die auf unterrichtliche Kontexte bezogen werden, indem Zielbereiche identifiziert, Normorientierungen kritisch konstruiert und literaturdidaktische Zielbereiche mit sprachlichen und persönlichkeitsbildenden kombiniert in fremdsprachliche Handlungs- und Kommu‐ nikationsanlässe überführt werden. Ein zentraler Bestandteil ist dafür die didaktische Reduktion der oben erwähnten bottle necks, mit dem Ziel, diese in handhabbare Einzelbe‐ 216 Ivo Steininger <?page no="217"?> standteile zu untergliedern. Interpretation bedeutet dann nicht, einen großen deutenden Wurf zu formulieren, sondern die eigene Reaktion auf das Gelesene fremdsprachlich zu verbalisieren, zu kommunizieren und die darin enthaltenen Unbestimmtheitsaspekte durch Assoziationen, symbolisches Verstehen und den Bezug unterschiedlicher Textelemente auszugestalten. Erfahrungsbasiertes Lernen im literaturdidaktischen fremdsprachlichen hochschuldi‐ daktischen Kontext beinhaltet, die zum jeweiligen Ausbildungszeitpunkt verfügbaren Er‐ fahrungsstränge zu reflektieren und zu projizieren, um sie dahingehend zu transformieren, dass sie zu Erfahrungsbündeln im Fremdsprachenunterricht mit literarischen Texten zusammengeführt werden können. Erfahrung ist so gesehen das Resultat der Interaktion lebender Geschöpfe mit ihrer Umwelt; wobei die menschliche Erfahrung das ist, was sie ist, weil Menschen den Einflüssen der Kultur, einschließlich der Verwendung bestimmter Mittel der wechselseitigen Kommunikation, ausgesetzt […] sind (Dewey 2004, 376; Hervorhebung im Original). Wobei im Sinne der universitären Ausbildung Lernen als Erfahrung zu werten ist, die auf das individuelle Verhaltensrepertoire rückwirkt und dieses (potenziell) erweitert, sodass die gemachte Erfahrung für neue Erfahrungen (heuristisch) genutzt werden kann (vgl. Krüger/ Helsper 2002, 97). Dabei kann in Lehrveranstaltungen die Rolle der Unterrichtsplanung als Bündelung von erfahrungsbezogenen Perspektiven gar nicht unterschätzt werden, beinhaltet sie doch Perspektiven der Bezugswissenschaften (im Sinne der Unterrichtsge‐ genstände Sprache, Literatur und Kultur) und die Perspektiven der am Englischunterricht beteiligten Lernenden und Lehrenden. Unterrichtsplanung als fachdidaktische Handlung, die über die Ebenen der Professionalisierung in ihrer Tiefe und Breite immer mehr Erfah‐ rungsstränge bündelt, ist in diesem Sinne ein Konglomerat an fachdidaktischem Wissen, Fachwissen, Anwendungsbezug und „strukturtheoretisch angenommene Unsicherheiten, Antinomien und Krisen“ (Gerlach et al 2020, 49). 2 Unmittelbare Erfahrung und Praxisanteile in der fremdsprachendidaktischen Ausbildung Erfahrungsbasiertes Lernen ist in der literaturdidaktischen Ausbildung im besten Fall verbunden mit dem direkten Erleben im unterrichtlichen Kontext. Gemeinsam mit einer sogenannten Campus-Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zum Universitätsgelände führen Studierende der JLU Gießen ein Projekt zu graphic literature im Englischunterricht durch. Aufbauend auf die theoretische Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich werden die Perspektiven der Lernenden unterschiedlicher Jahrgangsstufen zunächst anti‐ zipiert und auf die Gestaltung von Handlungs- und Kommunikationsanlässen projiziert. Gemeinsam mit den konkreten Lehrpersonen aus der Partnerschule werden in einem weiteren Schritt Lernvoraussetzungen der teilnehmenden Lerngruppen ( Jahrgang 6, 8 und 11) auf den Gegenstandsbereich graphic literature bezogen. Dafür kommen die Kolleginnen und Kollegen in das Seminar und bieten den Studierenden anhand von vorab erarbeiteten Leitfragen Orientierung hinsichtlich der zu erwartenden Leistungen. Darauf aufbauend planen die Studierenden konkrete Einheiten von drei Sitzungen à 90 Minuten für kleine Spannungsfelder literatur- und kulturdidaktischer Hochschullehre in den Fremdsprachen 217 <?page no="218"?> Gruppen (max. 10), die es als Bündel fachdidaktischer Erfahrung reflektorisch hinsichtlich der darin enthaltenen Erfahrungsstränge zu untersuchen gilt. Dazu gehören: 1. Die mittelbare Erfahrung als literar-ästhetische: ○ enthalten in den Perspektiven der literarisch Handelnden (Charaktere und Erzäh‐ lende), ○ transportiert vermittels literarischer Konstituenten und Bauformen, ○ akkumuliert im zentralen Konflikt und den kulturellen Codes. 2. Die unmittelbare Erfahrung des Erlebens: ○ realisiert als intersubjektive Auseinandersetzung in der Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden, ○ bezogen auf die Bildungsziele des Faches und die konkreten zielsprachlich kommunikativen Situationen. 3. Die im Professionalisierungsprozess vermittelbare Erfahrung: ○ reflektiert entlang der Inhaltsbereiche der Bezugswissenschaften und der spezi‐ fisch fachdidaktischen Theorien und Modelle, ○ projiziert auf Bildungs- und Lernprozesse in einem Kontinuum des Lernens und Lehrens fremder Sprachen. 3 Literaturdidaktische Forschungsdesiderata, Wissenstransfer und Weiterbildung An den Fremdsprachenunterricht mit literarischen Texten besonders in der gymnasialen Oberstufe wurden über die Jahre verschiedene Konzepte herangetragen, die ihrerseits als relevante Inhalte mit Bildungspotenzial erachtet wurden und werden und als Themenbe‐ reiche literarische Gegenstände darstellen (als aktuelles Beispiel sei hier climate fiction im Bereich der sustainability genannt). Weniger Repräsentation finden allerdings die Perspektiven der Lernenden in den unteren Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I (interme‐ diate learners) oder der Primarstufe (beginner). Literaturdidaktische Grundlagenforschung bedeutet hier, die Perspektiven der Lernenden zu elizitieren und daraufhin zu untersuchen, welche Verstehensleistungen im fremdsprachlichen System zu welchem Zeitpunkt welche Deutungen zulassen und wie individuelle Sinnentwürfe kommunikativ im Klassen- oder Kursverband als interpretative community geteilt werden und wie dabei intrapersonale Aspekte von interpersonalen beeinflusst und geformt werden. Literarische Verstehensleistungen im Fremdsprachenunterricht sind bislang von dieser Warte aus betrachtet nicht hinreichend hinsichtlich der zugrundeliegenden Progression untersucht worden. Die in der Novellierung der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (vgl. KMK 2023) vorgenommene Einbeziehung literar-ästhetischer Kompo‐ nenten der Lesekompetenz ist in dieser Hinsicht auch wenig erhellend, denn wie diese einigen wenigen Normierungen im Fremdsprachenunterricht mit authentischen Texten und konkreten Lernenden auf die einzelnen Doppeljahrgänge hinsichtlich spezifischer Lese- und Verstehensleistungen mit konkreten literarischen Texten zu wenden sind, bleibt weiterhin eine black box. Gleiches gilt im Übrigen für den Übergang von Primarzu 218 Ivo Steininger <?page no="219"?> Sekundarstufe I und von dort zu II und betrifft damit die Anschlussfähigkeit zwischen den Schulstufen. Damit Forschungsfelder und dazugehörige Forschungsfragen der fremdsprachlichen Literaturdidaktik nicht nur in Lehrveranstaltungen der institutionalisierten Aus-, Weiter- und Fortbildung eine Rolle spielen, kann der Wissenstransfer in die Schulen und damit den konkret realisierten Fremdsprachenunterricht m. E. gar nicht überschätzt werden. Die fremdsprachliche Literaturdidaktik ist gut daran beraten, die eigenen Entwicklungslinien niederschwellig und im Sinne einer unterrichtlichen Anwendbarkeit zu kommunizieren und dabei den kommerziellen Angeboten der etablierten und den Markt dominierenden Verlagshäuser eine nicht am Profit orientierte Alternative gegenüberzustellen. An der JLU Gießen sollen in literaturdidaktischen Veranstaltungen entstandene studen‐ tische Arbeiten als Ausgangspunkt für den Wissenstransfer an Schulen, Studienseminare und Schulämter der Region genutzt werden. Besonders gelungene Unterrichtsvorschläge, die sich auf die Arbeit mit verschiedenartigen literarischen Texten (graphic literature, E-lit, cli-fi) in unterschiedlichen Jahrgangsstufen im Englischunterricht beziehen, werden von den Studierenden selbst unter redaktioneller Betreuung der Professur für einen literatur‐ didaktischen Newsletter im Stile eines digitalen Magazins aufbereitet. Dieser multimodale Newsletter enthält Unterrichtsvorschläge zu konkreten literarischen Texten, die vor einem literaturdidaktischen Hintergrund thematisch-inhaltlich besprochen werden und im Sinne der fachwissenschaftlich orientierten Sachanalyse Informationen zur Struktur und die ästhetischen Wirkmechanismen der Texte enthalten. Darauf aufbauend werden Vorschläge für die unterrichtliche Anbahnung von Verstehensleistungen der Schülerinnen und Schüler entlang fremdsprachlicher Handlungs- und Kommunikationsanlässen unterbreitet. Mit einer solchen Publikation werden zum einen die Perspektiven der Studierenden da‐ hingehend aufgewertet, dass die als Leistungsnachweis entstandenen literaturdidaktischen Überlegungen in Form von Unterrichtsvorschlägen (zumindest) potenziell Einbindung in den unterrichtspraktischen Diskurs erfahren und von Lehrperson als Anregung für die Unterrichtsplanung genutzt werden. Womit für die Studierenden als Autorinnen und Autoren von Unterrichtsvorschlägen die Erfahrung einhergeht, Unterrichtsideen nicht nur zu reproduzieren, sondern durch die eigene synthetisierende Leistung an der Innovation der Teildomäne fremdsprachliche Literaturdidaktik und analog der Unterrichtsentwicklung teilzuhaben (siehe zu diesen Anforderungsbereichen des Lehrberufs KMK 2022, 14 f.). Zum anderen wird die potenziell zugängliche literaturdidaktische Erfahrung für die‐ jenigen erweitert, die als Lehrerinnen und Lehrer in der schulischen Praxis auf die Vermittlung von Entwicklungslinien der forschenden Teildisziplin angewiesen sind. Durch Wissenstransfer, der Entwicklungslinien hinsichtlich (aktueller) literarischer Texttypen in ihrer medialen Breite und damit verbundene Ansätze zur Gestaltung der literar-äs‐ thetischen Erfahrung von Lernenden, die in multimodalen Kontexten sozialisiert sind, kommuniziert und in Kontexte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen einbindet, wird Weiterbildung im Beruf im Sinne einer Relation von experiental knowledge der eigenen unterrichtspraktischen Erfahrung und received knowledge (vgl. Wallace 1991, 15) des fachdidaktischen Diskurses angeregt. Spannungsfelder literatur- und kulturdidaktischer Hochschullehre in den Fremdsprachen 219 <?page no="220"?> Literatur Biggs, John (2003): Teaching for Quality Learning at University. Buckingham: The Society for Research into Higher Education and Open University Press. Blömeke, Sigrid/ Bremerich-Vos, Albert/ Haudeck, Helga/ Kaiser, Gabriele/ Nold, Günter/ Schwippert, Knut/ Willenberg, Heiner (Hrsg.) 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KMK (2023) = Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepu‐ blik Deutschland (2023): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Ersten Schulabschluss und den Mittleren Schulabschluss. https: / / www.kmk.org/ filead min/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2023/ 2023_06_22-Bista-ESA-MSA-ErsteFremdsprache.pdf (03/ 05/ 2024). Wallace, Michael J. (1991): Training Foreign Language Teachers: A Reflective Approach. Cambridge: Cambridge University Press. Widdowson, Henry G. (2012): „Closing the Gap, Changing the Subject“. In: Hüttner, Julia/ Mehl‐ mauer-Larcher, Barbara/ Reichl, Susanne/ Schiftner, Barbara (Hrsg.): Theory and Practice in EFL Teacher Education. Bridging the Gap. Bristol et al.: Multilingual Matters, 3-15. 220 Ivo Steininger <?page no="221"?> Kontexte, Prinzipien und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre Britta Viebrock 1 Einleitung Die Konzeption der Frühjahrkonferenz von 2024 geht von der Annahme aus, dass sich Sprachlehr- und -lernforschung sowie Fremdsprachendidaktik bisher kaum mit „der Kon‐ zeption, den Gelingensbedingungen und der Qualität ihrer eigenen (Hochschul-)Lehre“ auseinandergesetzt haben (vgl. auch Wilden in diesem Band) Wenngleich eine selbstre‐ flexive Beschäftigung mit dem eigenen Inhaltsbereich und Tätigkeitsfeld immens wichtig ist, stimme ich der Beschreibung der Ausgangslage nicht vollumfänglich zu. Besonders seit der ersten Förderphase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung sind die benannten Themenbereiche unter dem übergeordneten Ziel einer verbesserten (ersten Phase der) Lehrkräftebildung verstärkt in den Blick genommen und sowohl konzeptionell als auch empirisch bearbeitet worden (für die Fremdsprachen vgl. z. B. die Beiträge in Diehr 2018; Elsner/ Niesen/ Viebrock 2020 und Delius/ Surkamp/ Wierag 2021). Zuvor gab es bereits hinführende Arbeiten zu notwendigen Kompetenzbereichen für zukünftige Fremdspra‐ chenlehrkräfte (vgl. Burwitz-Melzer in diesem Band). In den folgenden QLB-Förderphasen sind die Fragen auf die zweite und dritte Phase der Lehrkräftebildung bzw. phasenüber‐ greifende Konzepte ausgeweitet und ebenfalls konzeptionell als auch empirisch bearbeitet worden. Mit einem besonderen Fokus auf Digitalisierungsanforderungen an Schule und Unterricht werden Projekte der Qualitätsoffensive aktuell im Rahmen der Förderung digitaler Kompetenzzentren weitergeführt (vgl. https: / / lernen.digital/ ). Vor diesem Hintergrund stelle ich in den folgenden Abschnitten Kontexte, Prinzipien und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre mit Blick auf die unterschiedlichen Anwendungsfelder (universitäre Lehrerbildung in Abschnitt 2, zukünf‐ tige Fremdsprachenforschende in Abschnitt 3 sowie Lehrkräftefort- und -weiterbildung in Abschnitt 4) vor und beziehe mich dabei überwiegend auf die Erfahrungen der Projekte LEVEL, The Next Level, Digi_Gap (alle Qualitätsoffensive Lehrerbildung) sowie DigiNICs und ViFoNet (Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten), die an der Goethe-Universität Frankfurt durchgeführt wurden und werden. 2 Konzepte fremdsprachendidaktischer Hochschullehre für die erste Phase der Lehrkräftebildung Ein wichtiges Leitkonzept fremdsprachendidaktischer Bildung ist seit Jahrzehnten Schöns reflective practitioner (ursprünglich 1983), d. h. eine Lehrperson, die ihr unterrichtliches <?page no="222"?> Handeln basierend auf der Reflexion ihrer alltäglichen Praxis und ihres Erfahrungswissens im Lichte ihres akademischen Wissens gestaltet und weiterentwickelt. Das Streben nach einem solchen reflexiven Handeln beinhaltet eine forschende Haltung, die darauf abzielt, Probleme in der beruflichen Praxis zu definieren sowie mögliche Lösungen zu entwickeln und zu bewerten (vgl. Abschnitt 4). Zur Förderung der Reflexionsfähigkeit eignet sich ein fünfschrittiges Modell (siehe Tab. 1, vgl. Elsner/ Kreft/ Niesen/ Viebrock 2020, 284), das sich gut an die Bedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre anpassen lässt. Es kann in großen Lerngruppen angewandt werden und nutzt Unterrichtsvideographie zur Praxisanschauung. Ausgangs‐ punkt für die Reflexion ist also zunächst nicht das eigene Handeln, sondern das ikonische Erleben fremder Unterrichtssituationen. Da angehende Lehrkräfte im Gegensatz zu bereits praktizierenden dazu tendieren, sich primär in deskriptiver Weise mit Unterrichtssitua‐ tionen auseinanderzusetzen (Weger 2019), sind also eine Komplexitätsreduktion sowie Fokussierung nötig. In der Phase des „Erkennens“ sind reflexionswürdige Unterrichtssi‐ tuationen gezielt zu identifizieren, bevor sie systematisch beschrieben werden können („Darstellen“). Die Analyse beinhaltet eine theoriebasierte Interpretation der dargestellten Unterrichtssituation. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich alternative Handlungen und Szenarien entwickeln und begründen. Phase: Inhalt: Studierende … 1 - Erleben erleben fremdsprachliche Unterrichtsszenarien auf ikonischer Ebene (Unterrichtsvideos) 2 - Erkennen identifizieren Unterrichtsszenen, die hinsichtlich ausgewählter fremd‐ sprachendidaktischer Themenschwerpunkte relevant sind 3 - Darstellen beschreiben die zuvor identifizierten Unterrichtsszenen 4 - Analysieren analysieren und interpretieren theoriebasiert die Unterrichtsszenen unter Verwendung relevanter Fachtermini 5 - alternative Szena‐ rien entwickeln entwickeln, basierend auf den in Phase 4 vorgenommenen Analysen, alternative didaktische und methodische Szenarien Tab. 1: Phasen professioneller Reflexion im Lehramtsstudium Moderne Fremdsprachen (vgl. Elsner/ Kreft/ Niesen/ Viebrock 2020: 284) Ein Verständnis vom Fremdsprachendidaktik als anwendungsbezogener Wissenschaft bedeutet, dass sich vor allem Lehrveranstaltungsformate eignen, die das Spannungsfeld von akademischen Konzepten und Unterrichtspraxis/ -erfahrung in den Blick nehmen und Reflexionsfähigkeiten im beschriebenen Sinne fördern (vgl. auch Wahbe/ Riemer 2020). Deren Qualität lässt sich nicht notwendigerweise mit Instrumenten bestimmen, die in erster Linie auf das Professionswissen von (zukünftigen) Fremdsprachenlehrkräften abzielen (König et. al 2016; Kirchhoff 2017), sondern beispielsweise mithilfe von Fallvignetten (Niesen 2018, 124), die Handlungssituationen ganzheitlicher beschreiben und darstellen können. Fallvignetten eignen sich dazu, den Sinn wahrgenommener Situationen aus einer gewissen Distanzierung heraus zu verstehen, situationsspezifische Handlungsoptionen zu erfassen und diese theorie- und konzeptgeleitet zu begründen. 222 Britta Viebrock <?page no="223"?> Eine fallund/ oder vignetten-basierte Arbeit scheint auch geeignet, der wahrgenom‐ menen mangelnden Kohärenz der (fremdsprachlichen) Lehrkräftebildung entgegen zu wirken (vgl. hierzu Diehr sowie Grünewald in diesem Band), da sie das Potenzial hat, die als disparat und unzusammenhängend wahrgenommenen Studienanteile systematisch auf ihren Beitrag zur Analyse von Fallvignetten zu befragen und so deren Relevanz herauszustellen. Idealerweise lässt sich so zumindest punktuell eine stärkere Kohärenz herstellen. Ob allerdings die von Diehr (in diesem Band) geforderte Standardisierung der Bildungsinhalte in einer Disziplin, die für ihre geringe Strukturierung bekannt ist, möglich und wünschenswert ist, wage ich zu bezweifeln. 3 Ausbildung von Fremdsprachenforscher: innen Die Aufgabe fremdsprachendidaktischer Hochschullehre umfasst nicht nur die Vorberei‐ tung zukünftiger Lehrkräfte auf zentrale Bereiche des Lehrens und Lernens fremder Sprachen (z. B. Unterrichtsplanung, Materialerstellung, Sprachlernberatung und derglei‐ chen), sondern auch die Ausbildung zukünftiger Fremdsprachenforscher: innen. Beide Zielbereiche lassen sich besonders gut im Ansatz des forschenden Lernens verbinden, das bereits vor über zwanzig Jahren auch von Fremdsprachenforscher: innen (wenn auch mit einem stärker erziehungswissenschaftlichen Fokus) eingebracht worden ist (vgl. Dirks/ Hansmann 2002) und seither auch innerhalb des fremdsprachendidaktischen Diskurses weiterentwickelt wurde (z.-B. Elsner 2017). Grundsätzlich beschreibt forschendes Lernen den Prozess des aktiven wissenschaftli‐ chen Arbeitens während des Studiums mit dem Ziel der selbstständigen Gewinnung neuer Einsichten und Erkenntnisse. Es wird durch konstruktivistische Lerntheorien gestützt, die Lernen als einen aktiven mentalen Prozess verstehen. Forschendes Lernen lässt sich im Hinblick auf die Betrachtung von Forschungsarbeiten (ergebnisorientiert versus prozessorientiert) sowie die Formen der Studierendenbeteiligung (passive Rezeption vs. aktive Gestaltung) in vier Dimensionen ausdifferenzieren, die teilweise mit unterschiedli‐ chen Begriffen genauer bezeichnet werden und jeweils unterschiedliche Fokussierungen und Aktivitäten nach sich ziehen: Forschungsbasiertes Lernen beispielsweise stellt die Entwicklung einer Forschungsfrage in den Mittelpunkt sowie die Unterschiede zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Vorgehen (einschließlich der genauen Problemde‐ finition). Forschungsorientiertes Lernen fokussiert das methodische Vorgehen während des Forschungsprozesses. Es schließt methodologische Überlegungen, die Ausführung von Methoden sowie deren kritische Reflexion ein. In dieser Systematik ist Forschendes Lernen der übergeordnete Begriff, der beschreibt, wie der gesamte Forschungsprozess, d. h. die Beschäftigung mit grundlegenden theoretischen Konzepten, die Entwicklung von Forschungsfragen und ggf. Hypothesen, die (zumindest überblicksartige) Aufarbeitung des Forschungsstandes sowie die Wahl von, konzeptionelle Auseinandersetzung mit und praktische Anwendung von Forschungsmethoden, ggf. zerlegt in die zuvor benannten Teil‐ schritte von Studierenden selbstständig durchgeführt wird (vgl. Wulf/ Haberstroh/ Petersen 2020). Darüber hinaus kann Forschendes Lernen auch die (öffentlichkeitswirksame) Prä‐ sentation oder gar Veröffentlichung von Ergebnissen umfassen, um so alle Prozessformen eines Forschungszyklus ins Studium zu integrieren. Kontexte, Prinzipien und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 223 <?page no="224"?> Empirische Einblicke in Bedingungen und Wirksamkeit Forschenden Lernens liegen ebenfalls vor, die sich einerseits auf Forschungskompetenzen beziehen (vgl. Bock/ Graebel/ Gold 2020; Wulf/ Thiem/ Gess 2020), anderseits auf die Lehrpraxis (vgl. Saunders/ Gess/ Lehmann 2020; Spies/ Knapp 2020). Beide Dimensionen nähern sich an, wenn eine for‐ schende Haltung als Grundlage der Professionalisierung von Lehrkräften verstanden wird (vgl. Ohm/ Zörner 2019). Zentrale Befunde der genannten Studien sind zum einen die Notwendigkeit des Ausbaus forschungsmethodischer Kompetenzen während des Studiums, zum anderen die Arbeit an Einstellungen mit dem Ziel der Entwicklung einer „quasi-expe‐ rimentelle[n] Einstellung zur eigenen Unterrichtspraxis“ (Weinert/ Helmke 1996, 232), die Grundlage einer kontinuierlichen Reflexion eigener Praxen und Handlungen ist. Einen formalen Strukturierungsvorschlag für die Verbindung unterrichtspraktischer und forschungsmethodischer Kompetenzen macht Grünewald (in diesem Band). Die Grundidee des Ansatzes der sogenannten ‚dualen Promotion‘ ist es, die praktischen Ausbildungsanteile des Referendariats mit Qualifizierungsanteilen an der Universität zu vereinen und nach dem Ablauf von vier Jahren sowohl die schulische Lehrbefähigung als auch die Promotion zu erwerben. Angesichts der recht langen Promotionszeiten in der Fremdsprachendidaktik (vgl. Viebrock 2015, Kap. 5.4.1) und möglicherweise grundlegend unterschiedlicher Sys‐ temlogiken stellt allerdings auch Grünewald fest, dass der zeitliche Rahmen des Konzepts zu eng ist und spezifische Unterstützungsstrukturen nötig sind, um ein solches Vorhaben erfolgreich abschließen zu können. 4 Fort- und Weiterbildung als Aufgabe fremdsprachendidaktischer Hochschullehre und zukünftige Forschungsbedarfe Neben grundständiger Lehrkräftebildung und der Gewinnung zukünftiger Fremdsprachen‐ forscher: innen gehört auch die Lehrkräftefort- und -weiterbildung zu den Aufgaben fremdsprachendidaktischer Hochschullehre. Diese unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den Konzepten und Qualitätskriterien der ersten Phase der Lehrkräftebildung, setzt aber auf unterschiedlichen Voraussetzungen auf: Teilnehmende an Fort- und Weiterbil‐ dungen können in dem Sinne als berufsroutiniert gelten, als dass sie (als Lehrkraft) in die Praktiken der Institution Schule einsozialisiert worden sind, über ein erhebliches Maß an Unterrichtserfahrung und Institutionenwissen verfügen, der Wissenschaft teilweise skep‐ tisch gegenüberstehen bzw. Fort- und Weiterbildungsangebote relativ streng nach einem Angebot-Nutzen-Modell (auch was den zeitlichen Aufwand betrifft) prüfen (vgl. Hetfleisch 2015). Zugleich ergeben sich aus gesellschaftlichen Entwicklungen (z. B. der Heterogenität der Lernenden in Einwanderungsgesellschaften oder den technischen Entwicklungen der Digitalisierung) Fort- und Weiterbildungsbedarfe, in denen auch berufsroutinierte Lehr‐ kräfte sich professionalisieren und neue Kompetenzen ausbilden müssen (vgl. Leonhardt 2023). In Bereichen, wo grundständige Studierende, beispielsweise durch umfangreicheres technisches Wissen, einen Kompetenzvorsprung haben, lohnen sich Kooperationsprojekte, in denen dieses Wissen mit dem umfangreicheren didaktischen Wissen bzw. Erfahrungs‐ wissen berufsroutinierter Lehrkräfte produktiv zusammengebracht werden kann (vgl. Bündgens-Kosten et al. 2023). 224 Britta Viebrock <?page no="225"?> Darüber hinaus sind neben Kriterien guter Fortbildungen (vgl. Lipowsky/ Rzejak 2019) vor allem die Implementationsprozesse unterrichtlicher Innovationen auf allen Ebenen zu betrachten. Um es anders auszudrücken: Unterrichtsqualität verbessert sich nicht nur durch (einzelne) motivierte Lehrkräfte sowie eine innovative Idee, sondern insbesondere durch verlässliche Unterstützungsstrukturen auf allen Ebenen. Diese nehmen wir im Projekt „Digital gestützte Networked Improvement Communities zur Stärkung digitaler Souverä‐ nität in den Fächern sprachlicher Bildung (DigiNICs)“ in den Blick (https: / / lernen.digital/ v erbuende/ diginics/ ). Für eine praxisbezogene Implementation von Forschungsergebnissen durch Fortbildungsangebote sind „Strukturen der Kooperation und Orte der systematischen Begegnung“ (Bieber et al. 2018, 7) institutionell zu verankern, z. B. durch eine Vernetzung zwischen Bildungsakteur: innen auf allen Ebenen in Networked Improvement Communities (NIC) (Bryk 2015; Schrader et al. 2020). Damit wird eine Organisationsform beschrieben, in der die beteiligten Akteur: innen (Schulleitungen, Lehrpersonen, Fachberatende der Landesinstitute und Medienzentren) theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte Unterrichtsinnovationen implementieren und zugleich auf ihre systemischen Bedingungen hin reflektieren. Die Professionalisierung von Lehrkräften findet nicht durch punktuelle Maßnahmen, sondern als fortlaufender Prozess in enger Kooperation der Beteiligten und unter Einbeziehung der jeweils spezifischen Rahmenbedingungen statt. Darüber hinaus findet durch die Berücksichtigung vielfältiger Perspektiven eine Abkehr von einem Transferparadigma hin zu einem Transformationsparadigma statt (vgl. hierzu auch die Überlegungen von Schädlich in diesem Band): Wissenschaftliche Konzepte durchlaufen mit Blick auf die unterrichtliche Praxis vielfältige Transformationen, die nicht an jeder Institution gleichförmig sind und daher eine angemessene Einbindung der beteiligten fachlichen Akteur: innen verlangen (Will/ Blume 2022). Es werden pädagogische Haltungen und fachstrukturelle Bedingungen reflektiert, geteilte Problemdefinitionen und Ursachenhypothesen erarbeitet, Entwicklungsziele gemeinsam vereinbart, Entscheidungen für Interventionen und deren Evaluation getroffen sowie die gewonnenen Erkenntnisse in die Netzwerkarbeit zurückgespiegelt (Bryk 2015; Penuel 2019). Indem institutionelle, organisatorische und interaktionale Bedingungen fremdsprachendidaktischer Praxis struk‐ turell und forschungslogisch von Anfang an berücksichtigt werden, wird wissenschaftliche Evidenz ‚erfahrbarer‘ gemacht. Möglicherweise lässt sich damit auch den im vorigen Abschnitt beschriebenen Befunden zu den Herausforderungen Forschenden Lernens (vor allem bei berufsroutinierten Lehrkräften) begegnen. Ergänzend zu den NIC auf der Makroebene unterstützen insbesondere Professionelle Lerngemeinschaften (PLGs) als Formen der Kooperation und Professionalisierung auf der Mikroebene kollaboratives Arbeiten und Lernen innerhalb einer Schule bzw. eines Fachkollegiums (vgl. zu dieser Organisationsform in Hochschulkontexten auch Siebold in diesem Band). Sie bestehen aus etwa drei bis fünf Lehrkräften, die schultintern an einer ge‐ meinsamen Problemstellung arbeiten, und wirken als Motor für organisationsstrukturelle und fachliche Verbesserungen (Bonsen/ Rolff 2006; Vescio/ Adams 2015). Zudem bilden sie das Bindeglied zu Multiplikator: innen der Landesinstitute, Schulämter und Medienzentren. Wie Implementationsprozesse von (digitalen) Bildungsinnovationen über die unter‐ schiedlichen Ebenen hinweg insgesamt gelingen, halte ich für die zentrale Frage zukünf‐ tiger Forschungsbemühungen. Aufgrund der Komplexität eines Mehrebenenmodells (vgl. Kontexte, Prinzipien und Gelingensbedingungen fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 225 <?page no="226"?> Hetfleisch 2015), das Makro-, Meso- und Mikrobene in den Blick nimmt, kann nur ein ebenfalls komplexes Forschungsdesign sinnvoll sein, das mithilfe standardisierter quantitativer Erhebungen (Fragebögen) übergeordnete Tendenzen einer möglichst großen Zahl an Teilnehmenden erhebt und zugleich mithilfe qualitativer Beobachtungs- und Interviewstudien Tiefbohrungen an einzelnen Stellen des Modells, z. B. im Hinblick auf einzelne Akteursgruppen oder spezifische Unterrichtskontexte, vornimmt. Literatur Bieber, Götz/ Egyptien, Eugen L./ Klein, Günter/ Oechslein, Karin/ Pikowsky, Birgit (Hrsg.). (2018): Positionspapier der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder zum Transfer von For‐ schungswissen. https: / / www.bildungsserver.de/ onlineressource.html? onlineressourcen_id=60021 (25/ 05/ 2024). 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Auch im Neuen Handbuch Hochschullehre findet sich eine verengte Perspektive, Hinweise zu „Qualität“ werden vorrangig im Kontext von Evaluation sowie Qualitätsmanagement behandelt (z. B. Pohlenz ohne Jahr). Der von Caspari und Grünewald (2022, 120) verwendete Begriff der black box der Hochschullehre erscheint in diesem Zusammenhang sehr passend. 2 Zur Qualität fremdsprachendidaktischer Hochschullehre Zur Beschäftigung mit der Frage, wie sich Qualität der Hochschullehre für angehende Fremdsprachenlehrkräfte bemessen lässt, wurde im November 2023 im Fachportal Päd‐ agogik eine systematische Datenbankrecherche durchgeführt, die hier kurz skizziert werden soll. Die Kombination der Suchbegriffe „Qualität“ und „Lehrerbildung“ führte infolge der BMBF-Qualitätsoffensive Lehrerbildung zu der erwartbar hohen Zahl von über 900 Treffern, die sich in Kombination mit dem weiteren Schlagwort „Fremdsprachenun‐ terricht“ auf 24 reduzierten. Die Schlagwortkombination „Hochschullehre“ und „Qualität“ führte dagegen zu 140 Treffern, die sich auf 11 reduzierten bei Kombination mit dem wei‐ teren Suchbegriff „Lehrerbildung“. Die Suchkombination Lehramtsstudium und Qualität führte zu 33 Treffern, in Kombination mit dem weiteren Suchbegriff „Fremdsprachen“ gab es keinen Treffer. Dieses Kombinationsspiel wurde mit verwandten Schlagworten weiter‐ geführt, die alle zu einem ähnlichen Überblicksergebnis führten: Die Frage der Qualität der Hochschullehre für angehende Fremdsprachenlehrkräfte scheint in der Literatur keine sehr prominente Rolle zu spielen. Die Funde der Datenbankrecherche wurden gesichtet und es wurden 116 Texte ausge‐ wählt, die inhaltlich zum Gegenstand der hier diskutierten Leitfrage der Qualität in der (fremdsprachen-)didaktischen Hochschullehre passten. Davon waren 59 theoretisch-kon‐ <?page no="230"?> zeptioneller Art, 31 empirisch und die übrigen wurden unter Verschiedenes eingeordnet. Des Weiteren wurden die Beiträge kategorisiert auf Basis des zugrundeliegenden Verständ‐ nisses von Qualität in der lehrkräftebildenden Hochschullehre. Der Übersicht halber werden hier nur die am häufigsten besetzten Kategorien benannt, wobei einige Beiträge auch zwei Kategorien zugeordnet wurden: Qualität als Wissenschaftlichkeit (13), Profes‐ sionalisierung (11), Reflexion (10), Kompetenzorientierung (9), Praxisanteil/ Praxisbezug (9), Wissensvermittlung (8) oder interdisziplinäre Zusammenarbeit (8). Beispielhaft seien einige Kategorien hier genauer vorstellt, etwa die Kategorie „Wissenschaftlichkeit“, der solche Beiträge zugeordnet wurden, die Qualität in der lehrkräftebildenden Hochschullehre z. B. als Vermittlung von Wissenschaftlichkeit als Wert oder forschendes Lernen diskutieren (z. B. Diehr 2018b; Legutke 2016). Der Kategorie „Kompetenzorientierung“ wurden solche Beiträge zugeordnet, die Qualität im priorisierten Ziel der Kompetenzentwicklung der Studierenden diskutierten (z. B. Gödecke 2022; Marks 2023) und dies deutlich spezifischer benannten als die Beiträge der Kategorie „Professionalisierung“, welche allgemeiner die Wirksamkeit von Lehrveranstaltungen behandelten (z. B. Enever 2017; Roters 2018). Der Kategorie „interdisziplinäre Zusammenarbeit“ wurden solche Beiträge zugeordnet, die Qualität in der Vernetzung verschiedener Disziplinen wie den Fachdidaktiken, Fachwis‐ senschaften und Bildungswissenschaften diskutierten (z.-B. Hallet 2018; Surkamp 2018). An dieser Stelle will dieser Beitrag der Frage nachgehen, ob sich zur Einschätzung der Qualität fremdsprachendidaktischer Hochschullehre nicht das bildungswissenschaft‐ liche Konstrukt der Unterrichtsqualität bzw. teaching quality heranziehen lässt. In der Forschung zu educational effectiveness beschreibt Unterrichtsqualität die „Gesamtheit der empirisch beobachtbaren Merkmale des Unterrichtsgeschehens, die nachweislich mit einer Entwicklung der Lernenden im Sinne der Realisierung von Bildungs- und Erziehungszielen einhergehen“ (Klieme 2022, 414). So verstanden nimmt Unterrichtsqualität Angebots-Nut‐ zungs-Modellen schulischer Lehr-Lernprozesse folgend eine vermittelnde Rolle zwischen dem Professionswissen von Lehrkräften und den Schüler: innenoutcomes ein (Krauss et al. 2020). Dieser Ansatz sollte sich auch auf die Hochschullehre übertragen lassen und damit zudem entsprechenden empirischen Untersuchungsformen zugänglich machen. Ausgangspunkt dieser Erörterung ist das grundlegende Problem, dass die Zielsetzung der Hochschullehre bzw. des Studiums für angehende Fremdsprachenlehrkräfte deutlich diffuser ist, als dies für den schulischen Unterricht der Fall ist. Einiges ist festgelegt, wie z. B. eine „vertieftes Sprachwissen und ‚nativnahes‘ Sprachkönnen in der Fremdsprache“ (KMK 2019, 44) in den KMK-Anforderungen für die Lehrerbildung. Doch illustriert schon dieses Beispiel wie unklar, wenn nicht gar umstritten, diese Zielsetzung ist. Der Begriff „nativnah“ dürfte von weiten Teilen der wissenschaftlichen Community mittlerweile als überholt bis problematisch abgelehnt werden (Schmenk 2022) und stattdessen Niveau C2 (Council of Europe 2018) als Zielmarke am Ende des Studiums favorisiert werden, wenngleich auch dieses Vorgehen Kritik hervorrufen wird (vgl. Vogt/ Quetz 2021). Zudem ist zu bedenken, dass das Erreichen dieser Zielsetzung am Ende des Studiums in Deutschland derzeit nicht flächendeckend und standardisiert geprüft wird, obgleich die zielsprachliche Kompetenz als wesentlicher Teil der professionellen Kompetenz der angehenden Fremdsprachenlehrkräfte zu sehen ist (Gödecke 2022). 230 Eva Wilden <?page no="231"?> Neben dem wenigen, was zentral festgelegt ist, illustriert vor allem die standortspezifi‐ sche Ausgestaltung des Studiums die diffuse Zielsetzung der Fremdsprachenlehrkräftebil‐ dung bzw. „die geringe Strukturiertheit der Domäne ‚fremdsprachendidaktisches Wissen‘“ (Gerlach 2022, 38). So mahnte bereits Blömeke (2014, 52): „Zur Sicherung von Chancen‐ gleichheit und sozialer Gerechtigkeit ist eine stärkere Obligatorik in Kernbereichen der […] Englischlehrerausbildung unverzichtbar, um vergleichbare Lehrerkompetenzen über die Schulen hinweg zu sichern - optimalerweise deutschlandweit abgestimmt.“ Auch Hollen‐ stein et al. (2020, 327) resümieren in einem Überblick zur Lehrkräftebildung an Universi‐ täten und Pädagogischen Hochschulen, dass sich eine Varianz in den Leistungsergebnissen eher auf unterschiedliche Studiengänge bzw. institutsspezifische Rahmenbedingungen zurückführen lassen. Dahingegen hegen Caspari und Grünewald (2022) auf Basis einer Befragungsstudie unter Lehrenden von Einführungskursen in die Fremdsprachendidaktik Zweifel am Fehlen kanonisierter bzw. kodifizierter Studieninhalte für angehende Fremd‐ sprachenlehrkräfte, zumindest was das fachdidaktische Basiswissen betrifft. Festzuhalten bleibt, dass die Zielsetzung der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre nicht in Gänze klar definiert ist, was wiederum Auswirkungen auf die nun folgende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Qualität der Hochschullehre haben wird. Um das Konstrukt der Unterrichtsqualität - oder eben: Lehrqualität - so zu untersuchen, werden lernförderliche Unterrichtsmerkmale in Unterrichtsqualitätsmodellen systemati‐ siert. Im deutschsprachigen Raum sind die drei Basisdimensionen wohl das etablierteste generische Modell, welches mit der Klassenführung, der konstruktiven Unterstützung und der kognitiven Aktivierung drei lern- und motivationsförderliche Basisdimensionen des Unterrichts unterscheidet und empirisch wiederholt geprüft wurde (Praetorius et al. 2018). Sowohl Klassenführung, also z. B. das monitoring, classroom discipline oder der effiziente Umgang mit Störungen, als auch konstruktive Unterstützung, also z. B. die Wahrnehmung individueller Unterstützungsbedarfe durch die Lehrkraft, scheinen genauso relevant für die Hochschullehre für angehende Lehrkräfte wie für den schulischen Unter‐ richt. Bezüglich der kognitiven Aktivierung erscheint auch in Bezug auf die Hochschullehre eine fachspezifische Ausdifferenzierung notwendig, wie sie bereits für unterschiedliche Schulfächer diskutiert wird (z. B. Praetorius et al. 2020a; Praetorius et al. 2020b). Etwa entzündete sich Kritik an einer generischen Betrachtung von kognitiver Aktivierung im Englischunterricht aufgrund ihrer Fokussierung auf fachliche Inhalte (Fauth et al. 2014) bzw. fachlich gehaltvolle Aufgaben (Praetorius et al. 2020b), wie sie z. B. für den natur‐ wissenschaftlichen Unterricht äußerst relevant ist, jedoch im Fremdsprachenunterricht die zentrale kommunikative Zielsetzung außer Acht lässt (Wilden 2021; Guttke 2023). Ähnliches wird für die Hochschullehre angehender Fremdsprachenlehrkräfte gelten, die neben fachlichen, fachdidaktischen und sprachlichen Zielsetzungen auch das professionelle Können sowie Einstellungen adressiert. Zur Weiterentwicklung des Gedankens, das Konstrukt der Unterrichtsqualität auf die fremdsprachendidaktische Hochschullehre zu beziehen wird nun das MAIN-TEACH-Mo‐ dell (Charalambous/ Praetorius 2020; Praetorius/ Gräsel 2021) betrachtet, welches sich eine fachspezifische Ausdifferenzierung generischer Ansätze zur Systematisierung von Merkmalen der Unterrichtsqualität zum Ziel gesetzt hat und zudem eine stärkere Verknüp‐ fung zwischen dem Unterrichtsangebot, dessen Nutzung sowie den erreichten Outcomes Zur Qualität fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 231 <?page no="232"?> durch die Lernenden berücksichtigt. Anhand dieses Modells ließe sich die Qualität der Hochschulehre für angehende Fremdsprachenlehrkräfte einschätzen, wenn es auch einer fachlichen Operationalisierung der jeweiligen Kriterien bedürfe (vgl. hierzu die Beiträge des Themenhefts ‚Fachdidaktisches Wissen von Lehrkräften als Teil des Professionswis‐ sens‘ der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (2022) Band 33, Heft 1). Etwa ist auf Ebene des Unterrichtsangebots denkbar, die „Auswahl & Thematisierung von Inhalten & Fachmethoden“ sowie die „Unterstützung des Übens“ fachlich zu konkretisieren. Dies würde zudem die „Kognitive Aktivierung“ mit Blick auf die professionelle Zielsetzung des Lehrangebots sinnvoll ergänzen. Ähnlich ließe sich mit Hilfe des Modells die „Differenzie‐ rung & Adaptivität“ des Lehrangebots einschätzen, z. B. mit Blick auf den Fremdsprachen‐ unterricht in verschiedenen Schulformen oder das heterogene Vorwissen und Können sowie in Relation zur tatsächlichen Nutzung durch die teilnehmenden Studierenden. Auch bei diesem Modell, welches sich weiter in der Entwicklung befindet (Praetorius/ Gräsel 2021, 183), bedürfte es einer weiteren fachlichen Anpassung für den hier diskutierten Gegenstand. Etwa scheint auf der Ebene der Outcomes die Dimension des ‚Könnens‘ zu fehlen, welche gerade für die Hochschullehre angehender (Fremdsprachen-)Lehrkräfte bzw. den gesamten Prozess des professional development von zentraler Bedeutung ist. Eine solche Adaption des Modells ließe sich etwa mittels Synthese der in der oben beschriebenen Datenbankrecherche zusammengetragenen Publikationen vornehmen, die das Potenzial zur fachlichen Konkretisierung des MAIN-TEACH-Modells zu haben scheinen, um damit die Qualität der fremdsprachendidaktischen Hochschullehre empirisch erfassen zu können. 3 Zum wissenschaftlichen Nachwuchs und Hochschullehre Die zweite Leitfrage der Frühjahrskonferenz 2024 widmet sich im Kontext der Hoch‐ schullehre der Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Autorin bekennt sich dazu, dies als deutlich nachrangiges Ziel der fremdsprachendidaktischen Lehre im Lehramtsstudium zu sehen, insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit an einer sogenannten Massenuniversität mit großen Zahlen von Lehramtsstudierenden in einer bevölkerungsreichen urbanen Region. Zwei Aspekte seien hier dennoch genannt, die nach Erfahrung der Autorin Gewinnung, Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zuträglich sind: Einerseits praktiziert die Autorin bzw. die Abteilung für Didaktik des Englischen am Standort Essen in der Lehre durchgängig ab dem ersten Semester über die erste Hausarbeit und das Studienprojekt im Praxissemester bis zur Masterarbeit den Ansatz des forschenden Lernens. Danach entwickeln die Studierenden jeweils eine Frage, die sie im Rahmen der jeweiligen Prüfungsleistungen untersuchen und beantworten. Dieser Ansatz wird in erster Linie im Sinne des forschenden Lernens bzw. des reflective practitioner verfolgt; im wissenschaftspropädeutischen Sinne hat diese Praxis zudem bereits häufiger zur Identifikation von Studierenden mit Potenzial für wissenschaftliche Qualifikationen geführt. Anderseits sei an dieser Stelle auf die gute Erfahrung in der frühzeitigen Einbindung des wissenschaftlichen Nachwuchses in inter‐ disziplinäre Netzwerke verwiesen, insbesondere in der Kooperation mit Kolleg: innen der Bildungswissenschaften. 232 Eva Wilden <?page no="233"?> 4 Zur Fort- und Weiterbildung praxiserfahrener Lehrkräfte Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeiten hat die Autorin vor allem im Kontext des Englisch‐ unterrichts an Grundschulen (Porsch/ Wilden 2022) und Berufskollegs (Damitsch in Vorbe‐ reitung) Berührung mit quer- oder seiteneingestiegenen Lehrpersonen bzw. out-of-field teachers (Hobbs/ Porsch 2022), die in diesen Schulformen ein recht verbreitetes Phänomen sind. Die bisherige fachübergreifende Befundlage widerlegt insgesamt Annahmen, diese Lehrkräfte verfügten über ein geringeres berufliches Wissen bzw. geringere Kompetenzen (Porsch 2024). Jedoch deuten empirische Befunde etwa darauf hin, dass Grundschullehr‐ kräfte ohne fachspezifische Ausbildung weniger Enthusiasmus für das Schulfach Englisch aufweisen und über eine schlechtere zielsprachliche Kompetenz verfügen (Porsch/ Wilden 2022, 130). In diesem Kontext wurden auch Vorschläge für das continuous professional development dieser Lehrpersonen gemacht, wie z.-B. neben fachlichen Fortbildungen auch unterrichtsbegleitende Beratungs- und Coachingangebote mit konstruktivem Feedback durch Expert: innen. Neben der Arbeit mit praxiserfahrenen Lehrkräften in der Fort- und Weiterbildung erscheint das Phänomen praxiserfahrener Lehramtsstudierender relevant. Nach Erfahrung der Autorin finanziert sich an ihrem Hochschulstandort eine erhebliche Anzahl Studie‐ render ihr Studium durch Vertretungsstellen. Dies ist einerseits erfreulich, da diese Stu‐ dierenden oft die fremdsprachendidaktische Hochschullehre mit tagesaktuellen Praxisbe‐ richten bereichern. Andererseits ist in Einzelfällen zu beobachten, dass diese Studierenden einen Habitus an den Tag legen, der für die Lern- und Reflexionsgelegenheiten des Studiums nicht mehr offen zu sein scheint. Ähnliche Erfahrungen wurden der Autorin kürzlich im Austausch mit Fachleiter: innen für den Haupt-, Real- und Gesamtschulbereich über Quer- und Seiteneinsteiger: innen in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung berichtet. Auch in der Zusammenarbeit mit solchen praxiserfahrenen Lehrpersonen erscheint der folgende Vorschlag passend, um eine Irritation des professionellen Selbstverständnisses zu erreichen und somit hoffentlich den Prozess des lebenslangen Lernens auch bei diesen Personen wieder in Gang zu bringen: Enever (2017, 95; vgl. auch 104 f.) schlägt die Entwick‐ lung und Implementierung berufsbegleitender Weiterbildungskonzepte vor, „addressing the complex challenge of becoming a teacher, proposing that the addition of consecutive, postqualification courses may offer an important framework for continuing professional development and the consolidation of quality in the field of primary EFL“. 5 Zum Wissenstransfer in die Schulpraxis Die vierte Leitfrage fokussiert den Transfer des wie auch immer definierten Wissens aus der Hochschullehre in die schulische Praxis. Die Autorin schließt sich dem von Gerlach (2022, 44 f.) formulierten Forschungs- und vor allem Entwicklungsbedarf an: „Grundlagenfor‐ schend müsste so stärker in den Blick genommen werden, wie überhaupt an Hochschulen die Praxis der Fremdsprachenlehrkräftebildung gestaltet wird und wie Lehrerbildner/ innen in ihrem Selbstverständnis diese Praxis ausgestalten.“ Neben einer Selbstreflexion wie sie durch Vertreter: innen der Fremd- und Zweitsprachendidaktiken etwa in diesem Sammel‐ band stattfindet, erkennt die Autorin einen erheblichen Entwicklungsbedarf (Wilden 2020) darin, dass sich alle an der Lehrkräftebildung beteiligten Hochschullehrenden in die Pflicht Zur Qualität fremdsprachendidaktischer Hochschullehre 233 <?page no="234"?> nehmen und sich für Lehrkräftebildung verantwortlich ‚fühlen‘ sollten, um somit letztlich auch die Kohärenz der Studieninhalte sicherzustellen (vgl. Grünewald in diesem Band). Im institutionellen Austausch entsteht zuweilen der Eindruck, dass dies nicht immer der Fall ist, sondern dafür ja allein die ‚Didaktik‘ zuständig sei, einer Haltung der sich die Autorin nicht anschließen will (vgl. Schmenk 2019). Zudem berichten Studierende auch von Diskrepanzerfahrungen, etwa wenn sie in sprachpraktischen Kursen Erfahrungen sammeln, die im Widerspruch zur fremdsprachendidaktischen Lehre stehen, wie z. B. das isolierte Unterrichten sprachlicher Mittel oder Kompetenzbereiche ohne erkennbare übergeordnete kommunikative Zielsetzung. Wie von Gerlach (2020) formuliert scheint hier das jeweilige professionelle Selbstverständnis ausschlaggebend und es handelt sich um eine institutionelle bzw. systematische Prüfaufgabe, wie denn Lehrkräftebildung ausgestaltet werden soll, die letztlich auch mit der Berufungspraxis an Universitäten zusammenhängt. 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Dr. Bärbel Diehr Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Anglistik / Amerikanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Freitag-Hild Universität Potsdam Didaktik Anglistik/ Amerikanistik Am Neuen Palais 10 14469 Potsdam Prof. Dr. David Gerlach Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Anglistik / Amerikanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Andreas Grünewald Universität Bremen Fachbereich 10 Didaktik der romanischen Sprachen Postfach 33 04 40 28334 Bremen <?page no="238"?> Prof. em. Dr. Dr. h.-c. Friederike Klippel Department für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität München Schellingstr. 3 80799 München Prof. Dr. Uwe Koreik Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Department Deutsch als Fremd- und Zweitsprache/ Mehrsprachigkeit Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Prof. Dr. Jürgen Kurtz Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Christiane Lütge Lehrstuhl für Didaktik der englischen Sprache und Literatur Departement für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität München Schellingstr. 3 80799 München Prof. Dr. Hélène Martinez Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik Didaktik der romanischen Sprachen Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Nicole Marx Universität zu Köln Philosophische Fakultät Institut für Deutsche Sprache und Literatur II Albertus-Magnus-Platz 50923 Köln 238 Adressen der Beiträger: innen und Herausgeber: innen <?page no="239"?> Prof. Dr. Claudia Riemer Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Department Deutsch als Fremd- und Zweitsprache/ Mehrsprachigkeit Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Prof. Dr. Jutta Rymarczyk Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen - Englisch Keplerstr. 87 69120 Heidelberg Prof. Dr. Birgit Schädlich Georg-August-Universität Göttingen Seminar für Romanische Philologie Didaktik der Romanischen Sprachen und Literaturen Humboldtallee 19 37073 Göttingen Prof. Dr. Michael Schart Friedrich-Schiller-Universität Institut für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache & Interkulturelle Studien Ernst-Abbe-Platz 8 07743 Jena Prof. Dr. Lars Schmelter Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Romanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Torben Schmidt Leuphana Universität Lüneburg Fakultät Bildung: Institute of English Studies Universitätsallee 1 21335 Lüneburg Adressen der Beiträger: innen und Herausgeber: innen 239 <?page no="240"?> Prof. Dr. Julia Settinieri Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Department Deutsch als Fremd- und Zweitsprache/ Mehrsprachigkeit Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Prof. Dr. Kathrin Siebold Philipps-Universität Marburg Institut für Germanistische Sprachwissenschaft Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Deutschhausstr. 3 35032 Marburg Prof. Dr. Ivo Steininger Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik Didaktik der englischsprachigen Literaturen und Kulturen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Britta Viebrock Goethe-Universität Frankfurt Fachbereich Neuere Philologien Institut für England- und Amerikastudien Nobert-Wollheim-Platz 1 60629 Frankfurt a.M. Prof. Dr. Eva Wilden Universität Duisburg Essen Fakultät für Geisteswissenschaften Universitätsstr. 12 45141 Essen 240 Adressen der Beiträger: innen und Herausgeber: innen <?page no="241"?> Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Arbeitspapiere der 1. Frühjahrskon‐ ferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1981. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Das Postulat der Lernerzentriertheit: Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrs‐ konferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1982. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Inhalte im Fremd-sprachenunterricht oder Fremdsprachenunterricht als Inhalt? Arbeitspapiere der 3. Frühjahrskonferenz zur Erfor‐ schung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1983. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Empirie und Fremdsprachenunter‐ richt. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1984. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Forschungsgegenstand Richtlinien. Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Lehrperspektive, Methodik und Methoden. Arbeitspapiere der 6. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenun‐ terrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1986. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachbegriffe im Fremdsprachen‐ unterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenun‐ terrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1987. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fortschritt und Fortschritte im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 8. 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Quer-/ Seiteneinsteiger: innen sowie die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses und dessen Ausbildung. Der Band dokumentiert die überarbeiteten Stellungnahmen der Konferenz-Teilnehmer: innen. ISBN 978-3-381-12291-2
