Gastfreundschaft – Pilgerherbergen – Hospitalwesen
0923
2024
978-3-3811-2542-5
978-3-3811-2541-8
Gunter Narr Verlag
Javier Gómez-Montero
Florian Weber
10.24053/9783381125425
Dieser Tagungsband untersucht Konzepte und Praktiken christlicher Mildtätigkeit sowie der Armen- und Krankenfürsorge im Zusammenhang mit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Vorgestellt werden historische Ausprägungen von Gastfreundschaft am Jakobsweg, wie etwa die monastische (bzw. benediktinische) Aufnahme von Kranken und Fremden oder das Aufkommen von Spitälern und Herbergen in den Randgebieten europäischer Städte im Hochmittelalter. Zudem werden literarische und kunsthistorische Quellen, die diese Thematik behandeln, zusammengestellt und aus ästhetischer wie aus anthropologischer Sicht analysiert.
Reichlich bebildert und mit einer Vielzahl an Quellenauszügen unterstützt, wird hier die bis in unsere Zeit währende Bedeutung der Gastfreundschaft am Jakobsweg eindrücklich illustriert.
<?page no="0"?> - GASTFREUNDSCHAFT - PILGERHERBERGEN - HOSPITALWESEN Javier Gómez-Montero, Florian Weber (Hrsg.) <?page no="1"?> Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen <?page no="2"?> Jakobus-Studien 22 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Peter Rückert 26 <?page no="3"?> Javier Gómez-Montero / Florian Weber (Hrsg.) Gastfreundschaft - Pilgerherbergen-- Hospitalwesen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381125425 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Elanders Waiblingen GmbH ISSN 0934-8611 ISBN 978-3-381-12541-8 (Print) ISBN 978-3-381-12542-5 (ePDF) ISBN 978-3-381-12543-2 (ePub) Umschlagabbildung: Ausschnitt Fischeraltar in der Hauptkirche St. Jacobi Hamburg, ©-Denkmalschutzamt Bildarchiv/ Nikolai Wieckmann Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 7 17 31 61 79 107 125 149 163 177 195 203 Inhalt Javier Gómez-Montero Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen. Zur Einführung . . . Klaus Herbers Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi . . . . . . . . . . . . . Andreas Sohn Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern . . . . . . . . . . . . . Volker Honemann (†) Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Catherine Geleyn Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Weber Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Sitt Jakobus auf dem Weg - Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und Krankenfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Scholz-Hänsel Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miguel Ángel González García Zur Ikonographie der Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Javier Gómez-Montero Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resúmenes / Abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 205 213 Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungs- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen Zur Einführung Javier Gómez-Montero Paradigmatische Szenen der Gastfreundschaft und des Pilgerns finden wir schon in der Bibel. Vielleicht ist Abraham, der jene drei Fremden in sein Zelt aufnahm (Gen 18,1-16), so etwas wie der Urvater der Gastfreundschaft. In der Apostelgeschichte zum anderen wird von den Emmausjüngern berichtet, die Jesus unterwegs als ihren Begleiter nicht erkannten (Lk 24,13-35). Doch entscheidend für die christliche Vormoderne sollten die verschiedenen Regulie‐ rungsschübe sein, die die Schutzwürdigkeit des Pilgers und den besonderen Wert der Gastfreundschaft unterstreichen, und zwar im Sinne sowohl einer moralischen Übung als auch einer kulturellen Praxis, die auf dem Land ebenso wie in den Städten verbreitet ist. Mit dieser Regulierung in moralphilosophi‐ scher, liturgischer oder juristischer Hinsicht beschäftigen sich in diesem Band vor allem Klaus Herbers anhand der Predigt Veneranda dies aus dem Codex Calixtinus und ich selbst am Beispiel der Siete Partidas, der Gesetzbücher des kastilischen Königs Alfons X. des Weisen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Nicht zuletzt aber wird Gastfreundschaft in den verschiedensten Schriften auch als ganz pragmatische Angelegenheit im Hinblick auf die materielle, mithin wirtschaftliche Komponente der Versorgung von Pilgern und Fremden thematisiert und natürlich als Quelle von Konflikten (Raub, Betrug usw.), wie Florian Weber in seinem Beitrag u. a. an der Figur des malus hospes, des bösen Gastwirtes, im Codex Calixtinus illustriert. Bezeichnend ist, dass das Mönchtum des Frühen Mittelalters die erste kirch‐ liche Institution war, die sich dank der Regel des hl. Benedikt, aber auch derjenigen des hl. Fructuosus und des hl. Isidor bis in die Frühe Neuzeit der Aufgabe einer kostenlosen Versorgung von Pilgern, Armen und Kranken im Zeichen christlicher caritas annahm. Erst später, im Zuge der zunehmenden Urbanisierung Westeuropas, entstand im christlichen Raum, häufig im Zusam‐ <?page no="8"?> 1 Vgl. Juan U R Í A R Í U , La hospitalidad con los peregrinos y el hospedaje, in: D E R S ./ Luis V Á Z Q U E Z D E P A R G A / José María L A C A R R A , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, Bd.-1, Madrid 1948, S.-281-399. 2 Vgl. María Josefa S A N Z F U E N T E S / Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , El hospedaje y la ali‐ mentación en los caminos Jacobeos, in: Crónica de un peregrino singular, hg. von Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E / Jesús P A L M O U L O R E N Z O / Ulises B É R T O L O G A R C Í A , Santiago de Compostela 2021, S.-129-156. 3 Vgl. Horacio S A N T I A G O -O T E R O (Hg.), El Camino de Santiago. La hospitalidad monástica y las peregrinaciones, Valladolid 1992; Luis M A R T Í N E Z G A R C Í A , Comer y beber en el Camino de Santiago. La alimentación en el Hospital del Rey de Burgos a finales de la Edad Media, in: IV Congreso internacional de Asociaciones Jacobeas: actas, Carrión de los Condes (Palencia), 19-22 de septiembre de 1996, Valladolid 1997, S. 153-160; José Manuel G A R C Í A I G L E S I A S (Hg.), El Hospital Real de Santiago de Compostela y la hospitalidad en el Camino de Peregrinación, Santiago de Compostela 2004; Alfredo M A R T Í N G A R C Í A / María José P É R E Z Á L V A R E Z , Hospitalidad y asistencia en la provincia de León a finales del Antiguo Régimen (1728-1896), in: Dynamis. Acta Hispanica ad Medicinae Scientiarumque Historiam Illustrandam 27 (2007), S. 157-185; Laureano R U B I O P É R E Z (Hg.), Pobreza, marginación y asistencia en la Península Ibérica (siglos XVI-XIX), León 2009, darin insb. Alfredo M A R T Í N G A R C Í A , Pobres y enfermos en el León de la Edad Moderna: la asistencia hospitalaria en la ciudad de Astorga, S. 65-97; María José P É R E Z Á L V A R E Z , Enfermedad y caridad en la provincia de León durante la Edad menhang mit Pilgerwegen, ein dichtes Netz von Institutionen und Strukturen auch weltlicher Natur, die sich ebenfalls der Versorgung dieser bedürftigen Gruppen widmeten 1 . Insofern waren neben Städten auch Bischofssitze, auf dem Land gelegene Klöster und Kirchen (oft unter dem Patronat des hl. Jakobus) Orte der Pilgeraufnahme, ebenso wie der Adel, Bruderschaften, Gilden und sonstige bürgerliche Mäzene als Stifter solcher Anstalten fungierten. Im Geiste christlicher Barmherzigkeit entstand im Mittelalter also für die materielle und spirituelle Versorgung der Pilger ein dichtes Netz an Betreuungs‐ stellen, die oftmals in Städten angesiedelt waren, aber auch - darauf geht Volker Honemann in diesem Band ein - bei der Vorbereitung auf einen beschwerli‐ chen Wegabschnitt mit besonders schwierigen geographischen Bedingungen (Bergpässe, Flüsse usw.) oder bei der Erholung davon eine Rolle spielten. Auf dem Camino Francés haben sich gerade dort häufig große Spitäler, aber auch kleinere von Ritterorden wie dem Santiago-Orden, dem Templerorden, dem Jo‐ hanniterorden und dem Altopascio-Orden niedergelassen, wie Gregoria Cavero Domínguez und María Josefa Sanz Fuentes insbesondere für den Nordwesten Spaniens hinlänglich untersucht und anschaulich dargestellt haben 2 . Auch weitere Studien zur Baugeschichte bzw. Verwaltungs- und Versor‐ gungsgeschichte, d. h. zur Sozial-, Wirtschafts- und Medizingeschichte liefern uns gesicherte Erkenntnisse über Alltagsleben und Strukturen solcher karita‐ tiven Einrichtungen bis in die Frühe Neuzeit 3 . In unserem Zusammenhang 8 Javier Gómez-Montero <?page no="9"?> Moderna: el Hospital de las Cinco Llagas de la ciudad de Astorga, in: Hispania Sacra 63 (2011), S. 75-102; Jürgen W E N Z E L , Armut und Armenfürsorge in Spanien in der Frühen Neuzeit. Studien zur Sozialgeschichte Pamplonas im 16.-Jahrhundert, Kiel 2012. 4 Vgl. Catherine G E L E Y N , La grande hospitalité médiévale. Hôpitaux et hôtels-Dieu du Moyen Âge central, Arles 2023. 5 Vgl. Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E / Jesús P A L M O U L O R E N Z O (Hg.), Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, Vigo 2017. 6 Vgl. Maria Luísa P O R T O C A R R E R O F E R R E I R A D A S I L V A , Balizas del camino hermenéutico en un mundo cambiante, in: Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, hg. von Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E / Jesús P A L M O U L O R E N Z O , Vigo 2017, S.-285-298. spielen diese Arbeiten eine wichtige Rolle, weil sie sich mit den ersten Spital‐ gründungen in Asturien, etwa in Oviedo oder in Cerredo de Tineo am Camino Primitivo (das sogenannte Hospital de la Espina, das 883 von Alfons III. dem Großen gegründet wurde), mit dem Hospital de Santa María in Roncesvalles, das 1127 von Sancho de Larrosa, Bischof von Pamplona (1122-1142), gegründet wurde, oder auch mit anderen bischöflichen Stiftungen wie dem in der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Kloster und Hospital von Benevívere befassen. Exemplarisch sei auch auf das für uns besonders interessante feinmaschige Netz der Pilgerversorgung in der Provinz León hingewiesen, beispielsweise in Hospital de Órbigo zwischen León und Astorga, wo sich im Mittelalter die genannten Orden niedergelassen und Spitäler betrieben haben. Zur Armen- und Krankenversorgung, die nicht zuletzt auch Pilgern offenstand, hat Catherine Geleyn zuletzt interessante Erkenntnisse vorgelegt 4 , die sie auch in diesem Band dokumentiert. *** In jüngster Zeit sind nicht nur aus der Religionssoziologie, sondern auch aus der Philosophie und insbesondere aus der philosophischen Hermeneutik in der Nachfolge Paul Ricœurs originelle Ansätze zur Weiterführung unserer Fragestellung, auch im Zusammenhang mit dem Jakobsweg, entwickelt worden. Ich beziehe mich vor allem auf den von Marcelino Agís Villaverde und Jesús Palmou Lorenzo herausgegebenen Band Camino, luego existo. Die Konzeptua‐ lisierung des Symbols im Sinne der Ricœurschen Heidegger-Lektüre erlaubt hier, einen Begriff des Camino als fusión de horizontes zu profilieren; der Weg bildet demnach einen Rahmen für die Konvergenz verschiedener Sichtweisen, insbesondere des Selbst und des Anderen 5 . Maria Luísa Portocarrero Ferreira da Silva weist auf kommunikative Möglichkeiten der Begegnung hin, die zweifellos auch für den Jakobsweg nutzbar gemacht werden können 6 . Eingedenk dessen, dass dem Camino m. E. der Status einer Heterotopie bzw. Heterochronie Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen 9 <?page no="10"?> 7 Vgl. Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , El Camino de Santiago hoy, territorio metropolitano y espacio antropológico (Conceptos. Relatos testimoniales y ficciones), in: D E R S ./ Antonio C O L I N A S / Miguel Ángel G O N Z Á L E Z G A R C Í A / José Luis P U E R T O / John R U T H E R F O R D (Hg.), El Camino de Santiago en la literatura (Lecciones jacobeas 2010), Astorga 2011, S. 81-120; D E R S ., Le chemin de Saint-Jacques, territoire métropolitain, in: Urbes Europaeae II. Ciudades europeas: Imaginarios culturales ante la globalización/ Europäische Städte im Zeichen der Globalisierung, hg. von D E M S ./ Christina B I S C H O F F / Anxo A B U I N , Kiel 2012, S.-149-172. 8 Vgl. Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E , El diálogo como hospitalidad lingüística, in: Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, hg. von D E M S ./ Jesús P A L M O U L O R E N Z O , Vigo 2017, S.-299-321. 9 Vgl. Paul R I CŒU R , Parcours de la reconnaissance. Trois études, Paris 2004. 10 Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E , No sin el otro: caminos del reconocimiento, in: Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, hg. von D E M S ./ Jesús P A L M O U L O R E N Z O , Vigo 2017, S.-131-142, hier S.-141. zugesprochen werden kann 7 , besitzt er ein ganz besonderes Potenzial zur Vermittlung bei Konflikten und Krisen in Bezug zum Selbst oder zur Welt bzw. zum Anderen. Einer Haltung des Argwohns (sospecha) könne dadurch, wie Portocarrero Ferreira da Silva unterstreicht, eine Haltung des Vertrauens (confianza) entgegengestellt, Vorurteile in der Kommunikation überwunden werden. So lassen sich die Konzepte der Gastfreundschaft und Feindseligkeit, hospita‐ lidad und hostilidad, in eine produktive Gegenüberstellung setzen, die Marcelino Agís ebendort durch die Strategie des Dialogs zwischen konträren Haltungen in die Dynamik eines Verwandlungsprozesses überführt 8 . Zweifellos lassen sich die vorangehenden Überlegungen mit Paul Ricœurs Schrift Parcours de la reconnaissance weiterführen 9 . Ricœur situiert die angesprochene Begegnung in einem Spannungsverhältnis zwischen der reconnaissance à soi-même und der reconnaissance mutuelle, also zwischen einer Wiedererkennung des Selbst und einer Wiedererkennung des Anderen bzw. einer gegenseitigen Wiedererken‐ nung. So hat im Anschluss daran Marcelino Agís im selben Band die Dynamik innerweltlicher und zwischenmenschlicher Begegnungen auf dem Jakobsweg in einer dreifachen Hinsicht folgendermaßen zugespitzt: „En el Camino se produce un triple encuentro con uno mismo, con el otro con el que compartimos un tramo del camino y con Dios, finalidad última de toda peregrinación religiosa.“ 10 Dies ist für uns ein äußerst interessanter Ansatz, denn der Jakobsweg profiliert sich auf diese Weise als Medium, in dem sich die hospitalidad auch als eine virtud cívica, also als eine staatsbürgerliche Tugend, erfassen lässt, die es erlaubt, die razones del otro im eigenen Denken mit einzubeziehen, d. h. das Kulturelle und den Denkhorizont des Anderen im Selbst zu beherbergen. Daraus ergibt sich der besondere Status dessen, was Agís vocación peregrina, Pilgerberufung, 10 Javier Gómez-Montero <?page no="11"?> 11 Vgl. A G Í S V I L L A V E R D E , Diálogo (wie Anm. 8), S.-301. 12 Vgl. Gonzalo T O R R E N T E B A L L E S T E R , Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch, hg. von Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , Kiel 2007, S.-153-188. nennt, was ich aber anderswo auch als identidad peregrina bezeichnet habe und was nun im Lichte der angeführten Überlegungen philosophisch auch als razón compartida begriffen werden könnte, wenn man Agís’ Konzept eines logos vagabundo unter dem Eindruck dieses dialogischen Dispositivs der Vernunft erfassen darf 11 . In jedem Falle erlauben mir solche philosophischen Überlegungen auch zu unterstreichen, dass diese dialektische Überwindung der hostilidad, der Fremdenfeindlichkeit, durch praktizierte Gastfreundschaft auf dem Jakobsweg es ermöglicht, eine Wiedervereinigung von Selbst- und Welterkenntnis in diesem Erlebnis der Kommunikation und Einheit mit Selbst und Welt beim Pilgern zu erfahren, wovon insbesondere viele zeitgenössische Pilgerberichte und Autofiktionen, auf die ich auch in meinem eigenen Beitrag eingehe, künden. *** Ein weiterer für uns maßgeblicher Aspekt ist die Bedeutung der Gastfreund‐ schaft und des Pilgerns für die Stadtgestaltung und das Stadtleben sowohl ma‐ teriell, d. h. städtebaulich, als auch performativ im Sinne der Lebensgestaltung im Jahresverlauf. Dies betrifft sowohl Sakrales wie auch Profanes, denn beides kann als Ausdruck von Urbanität verstanden werden. Die reich bebilderten Bei‐ träge zur ikonographischen Darstellung der Gastfreundschaft von Martina Sitt, Michael Scholz-Hänsel und Miguel Ángel González García veranschaulichen diese Verknüpfung geradezu exemplarisch anhand unterschiedlicher Orte und Zeiten. Interessant dabei ist für uns, dass die Imagination beide Ebenen, Sakral und Profan, Weltliches und Transzendentales der Pilgerfahrt, miteinander verbindet. Insbesondere ist die Verknüpfung im Stadtraum zu betonen, die die rituelle Struktur liturgischer Handlungen und die Stationen im Ablauf der Tagesgestaltung eines Pilgers am Pilgerziel oder auf dem Weg dorthin grundiert und die man auch ohne Weiteres in Santiago de Compostela darstellen könnte, wie z. B. Gonzalo Torrente Ballester im fünften Kapitel von Compostela y su ángel zeigt, einem Essay, der anlässlich des Heiligen Compostelanischen Jahres 1948 erschien und für den Kieler Verlag Ludwig unter dem Titel Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch ins Deutsche übersetzt wurde 12 . Insofern ist Pilgern in einer doppelten Hinsicht eine Kulturpraxis, die als urban bezeichnet werden kann: einerseits als Kulturpraxis in der Stadt, aber andererseits auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Pilgerweg verschiedene heilige Stätten verbindet und darunter oftmals auch Städte, die ein Grab im Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen 11 <?page no="12"?> 13 Dies hat zuletzt Jörg Rüpke begründet. Siehe Jörg R Ü P K E , Urban Religion. A Historical Approach to Urban Growth and Religious Change, Berlin/ Boston 2020, darin insb. Kapitel 5: Crafting complex place: Religion and urban development, S.-77-87. Mittelpunkt bergen oder sogar um ein Grab herum entstanden sind. Der Aspekt der Urbanität betrifft dabei auch die Konzepte der Gastfreundschaft, seien sie religiös inspiriert, zwischenmenschlich artikuliert oder sogar kommerziell be‐ gründet, weil die sozialen Praktiken rund um Gastfreundschaft an Pilgerwegen sowohl auf die Gestaltung des äußeren Raumes, d. h. des heiligen Ortes, als auch auf die innerweltliche Gestaltung des Pilgers Einfluss haben. Deshalb kann das Pilgern heute als ein urbanes Phänomen betrachtet werden, das immer noch auf Transzendenz ausgerichtet ist. Auf der anderen Seite kann darüber hinaus die kollektive Identität des Pilgerortes nicht nur konstitutiv für die Stadtgemeinschaft wirken, sondern auch ein Dispositiv urbaner Resilienz in sich bergen - Resilienz im Sinne einer immer wieder aufs Neue sich erfindenden Selbstbehauptungs- und Selbstgestaltungskraft und Resilienz auch im Sinne eines Vermögens, Katastrophen, Schwierigkeiten und Konflikten (Pest, Krieg, Wirtschaftskrisen usw.) zu trotzen 13 . Vielleicht könnte man dieses Konzept sogar ganz besonders auf Santiago de Compostela und auf die Höhen und Tiefen der historisch unterschiedlichen Akzeptanz bzw. Nutzung des Jakobsweges übertragen. *** Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Urbanität an Pilgerstätten in einer doppelten Dimension von Sakral und Profan eingebettet ist, dass sie an die sakralen Bauten und die damit verbundenen liturgischen Handlungen ange‐ bunden ist und sich zugleich in einer technisch-profanen Dimension äußert. Zugleich existiert auch ein religiös-symbolisch strukturiertes Imaginarium, das in der Transzendenz verankert ist und nicht nur von Theologen oder kirchlichen Amtsträgern getragen wird, sondern auch von Moralphilosophen, Literaten und schreibenden Pilgern. Dabei ist besonders die systematische Orientierung von Handlung und Reflexion auf eine symbolische Totalität hin maßgeblich. Andererseits ist diese profane materielle Achse, die auf Funktionalität bzw. Nutzen ausgerichtet ist, aber eng mit der sakralen symbolischen Ebene ver‐ bunden. Man könnte sagen, dass Reflexion und Handlung in dieser besonderen Form an Pilgerorten städtischen Ausmaßes geradezu strukturbildend wirken, und zwar früher ebenso wie heute. Sowohl in theologischer oder religions‐ wissenschaftlicher Hinsicht als auch in anthropologischer und soziologischer Hinsicht geben sich diese beiden Ebenen die Hand und sind für die diskursive Beschreibung von Pilgerorten und die Rolle, die der Gastfreundschaft dabei 12 Javier Gómez-Montero <?page no="13"?> 14 Javier G Ó M E Z -M O N T E R O (Hg.), Topografías culturales del Camino de Santiago/ Kulturelle Topographien des Jakobsweges, Frankfurt a.-M. 2016. zukommt, konstitutiv. Denn spirituelle Aspekte und natürlich ein moralisches und von christlichen Überzeugungen getragenes Fundament einerseits und materielle, funktionale Aspekte, etwa in der Beurteilung der Herbergen und der materiellen Versorgung oder in der Bereitstellung medizinischer Mittel, andererseits hängen oft miteinander zusammen. In diesem Sinne fügt sich der vorliegende Band in die Reihe von Arbeiten ein, die die Jakobswege als eine eminent anthropologisch ausgerichtete Kulturtopografie beschreiben, wie beispielsweise der 2016 erschienene Band Topografías culturales del Camino de Santiago/ Kulturelle Topographien des Jakobsweges 14 . Dies alles macht die Fragestellung dieses Bandes, die Gastfreundschaft in einem breit erfassten Sinne, so interessant für den Wissenschaftler wie auch für den Pilger bzw. Reisenden. Und zum Schluss darf man aus gegebenem Anlass die Aktualität der Frage noch einmal dadurch bestätigt sehen, dass die groß angelegten Ausstellungen der Landesstiftung von Kastilien und León Las Edades del Hombre in diesem Jahr unserem Thema gewidmet sind: „Hospitalitas“, kuriert von Miguel Ángel González García. Sie finden von Mitte Juni bis Ende November an zwei Veranstaltungsorten statt, einerseits in Villafranca del Bierzo im westlichen León, andererseits aber auch in Santiago de Compostela. Und nicht zuletzt hat im vorigen Jahr 2023 das spanische Kulturministerium die acogida tradicional, also die historischen Formen der Pilgeraufnahmen auf dem Jakobsweg und darüber hinaus, als immaterielles Kulturerbe (patrimonio inmaterial) anerkannt. Damit ist auch die wichtige ehrenamtliche Arbeit der hos‐ pitaleros auf dem Jakobsweg gesellschaftlich und kulturell gewürdigt worden. Die meisten der in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf die Jahres‐ tagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft in Essen-Werden im Herbst 2018 zurück, auf der Andreas Sohn, Klaus Herbers, Michael Scholz-Hänsel und Javier Gómez-Montero ihre Beiträge vorstellten. Später vertieften weitere Aufsätze, wie die von Mitherausgeber Florian Weber, von Martina Sitt, Volker Honemann, Catherine Geleyn und Miguel Ángel González García, die entworfenen Flucht‐ linien. Allen Beteiligten sei herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt dabei Florian Weber, der sowohl die editorische Vorbereitung des Bandes als auch die Koredaktion dieses Einleitungsbeitrages übernommen hat. Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen 13 <?page no="14"?> Literaturverzeichnis Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E / Jesús P A L M O U L O R E N Z O (Hg.), Camino, luego existo. Pensar el camino en clave cosmopolita, Vigo 2017; darin: Maria Luísa P O R T O C A R R E R O F E R R E I R A D A S I L V A , Balizas del camino hermenéutico en un mundo cambiante, S.-285-298. Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E , El diálogo como hospitalidad lingüística, S.-299-321. Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E , No sin el otro: caminos del reconocimiento, S.-131-142. César Á L V A R E Z Á L V A R E Z / Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , Peregrinación y hospitalidad, in: Los constructores de catedrales. El Camino de Santiago, Bd. 1, hg. von Manuel Abilio R A B A N A L A L O N S O , León 1993, S.-127-152. José Manuel G A R C Í A I G L E S I A S (Hg.), El Hospital Real de Santiago de Compostela y la hospitalidad en el Camino de Peregrinación, Santiago de Compostela 2004. Catherine G E L E Y N , La grande hospitalité médiévale. Hôpitaux et hôtels-Dieu du Moyen Âge central, Arles 2023. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O , El Camino de Santiago hoy, territorio metropolitano y espacio antropológico (Conceptos. Relatos testimoniales y ficciones), in: D E R S ./ Antonio C O ‐ L I N A S / Miguel Ángel G O N ZÁL E Z G A R C Í A / José Luis P U E R T O / John R U T H E R F O R D (Hg.), El Camino de Santiago en la literatura (Lecciones jacobeas 2010), Astorga 2011, S. 81-120. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O , Le chemin de Saint-Jacques, territoire métropolitain, in: Urbes Europaeae II. Ciudades europeas: Imaginarios culturales ante la globalización/ Eu‐ ropäische Städte im Zeichen der Globalisierung, hg. von Javier G ÓM E Z -M O N T E R O / Christina B I S C H O F F / Anxo A B U I N , Kiel 2012, S.-149-172. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O (Hg.), Topografías culturales del Camino de Santiago/ Kulturelle Topographien des Jakobsweges, Frankfurt a.-M. 2016. Luciano H U I D O B R O Y S E R N A , Las peregrinaciones jacobeas, Madrid 1950. 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Laureano R U B I O P É R E Z (Hg.), Pobreza, marginación y asistencia en la Península Ibérica (siglos XVI-XIX), León 2009. 14 Javier Gómez-Montero <?page no="15"?> Juan Ignacio R U I Z D E L A P E ÑA S O L A R , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, cauce de transformaciones sociales y reactivación económica en la Edad Media peninsular, in: Cuadernos del CEMYR 6 (1998), S.-13-26. Jörg R Ü P K E , Urban Religion. A Historical Approach to Urban Growth and Religious Change, Berlin/ Boston 2020. Horacio S A N T I A G O -O T E R O (Hg.), El Camino de Santiago. La hospitalidad monástica y las peregrinaciones, Valladolid 1992. María Josefa S A N Z F U E N T E S / Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , El hospedaje y la alimentación en los caminos Jacobeos, in: Crónica de un peregrino singular, hg. von Marcelino A G Í S V I L L A V E R D E / Jesús P A L M O U L O R E N Z O / Ulises B É R T O L O G A R C Í A , Santiago de Compostela 2021, S.-129-156. 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Jakobus aufgenommen werden müssen Folgendes: Die Pilger, seien sie nun arm oder reich, die vom Grab des hl. Jakobus zurückkehren oder dorthin unterwegs sind, müssen von allen Menschen barmherzig aufgenommen und hochgeachtet werden. Denn wer jene aufnimmt und mit Eifer beherbergt, wird nicht nur den hl. Jakobus, sondern den Herrn selbst als Gast haben, wie es der Herr selbst im Evangelium sagt: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf.“ Es gab einst viele, die sich den Zorn Gottes zuzogen, weil sie Pilger des hl. Jakobus und Bedürftige nicht aufnehmen wollten. In Nantua, einer Stadt zwischen Genf und Lyon, verweigerte ein Weber einem Pilger des hl. Jakobus das Brot, das dieser für sich erbat; plötzlich fiel der Webstoff, in der Mitte entzweigerissen, auf den Boden. In Villeneuve bat ein armer Pilger des hl. Jakobus eine Frau, die unter heißer Asche Brot hatte, um ein Almosen aus Liebe zu Gott und dem seligen Jakobus. Sie antwortete, daß sie kein Brot habe; darauf sprach der Pilger: Wolle Gott, das Brot, das du hast, werde zu Stein! Als der Pilger jenes Haus verlassen hatte und schon weit entfernt war, ging die nichtswürdige Frau zur Asche in der Absicht, das Brot zu holen; an Stelle des Brotes fand sie einen runden Stein. Mit reumütigem Herzen eilte sie sofort dem Pilger nach, fand ihn aber nicht. Bei der Stadt Poitiers baten zwei französische Herren, die einst ohne jede Habe vom hl. Jakobus zurückkehrten, vom Hause des Johannes Gautier bis zur Kirche St-Porchaire um Gastfreundschaft aus Liebe zu Gott und dem hl. Jakobus, fanden jedoch keine. Als sie im letzten Haus jener Straße, neben der Basilika des hl. Porcarius, schließlich bei <?page no="18"?> 1 Liber Sancti Jacobi, hg. von Klaus H E R B E R S / Manuel S A N T O S N O I A , Santiago de Compos‐ tela 1998, S. 257; deutsch: Klaus H E R B E R S , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12.-Jahrhundert, Stuttgart 2008, S.-145-147. 2 Statt eines Zitates der unübersehbaren Literatur zum Liber Sancti Jacobi vgl. allgemein die Einleitungen in der Edition und Übersetzung (wie Anm. 1) sowie die allgemeine Orientierung bei Klaus H E R B E R S , Liber Sancti Jacobi, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991), Sp. 1948. 3 Vgl. hierzu Andreas S O H N , Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern, in diesem Band, S. 31-60; vgl. auch zum Thema Barmherzigkeit im Liber Sancti Jacobi Klaus H E R B E R S , Misericordia en los textos jacobeos del siglo XII, in: Ad limina. Revista de investigación del Camino de Santiago y las peregrinaciones 10 (2019), S.-139-152. einem Armen Aufnahme fanden, trat die Strafe Gottes ein: Ein rasendes Feuer brannte die ganze Straße in jener Nacht nieder, beginnend bei jenem Haus, in dem sie zuerst um Gastfreundschaft gebeten hatten; bis zu dem Haus, in dem sie bewirtet worden waren. Es waren ungefähr tausend Häuser. Jenes Haus aber, in dem die Diener Gottes aufgenommen worden waren, blieb durch Gottes Gnade unversehrt. Deshalb sollte man wissen, daß die Jakobspilger, seien sie arm oder reich, zu Recht aufgenommen und gewissenhaft umsorgt werden müssen 1 . Es ist das letzte Kapitel dieses Schlüsseldokumentes zum Jakobuskult, das insgesamt aus fünf Teilen besteht 2 . Die Ermahnung steht wohl nicht ganz ohne Absicht am Ende des gesamten Buches aus dem 12. Jahrhundert, denn damit wird ein zentrales Thema dieser Zeit angeschlagen. Auf welche Gastfreundschaft konnten denn die Pilger dieser Zeit bauen? Gab es gleichsam so etwas wie einen Anspruch darauf, angemessen beherbergt zu werden? In jedem Fall besteht eine enge Beziehung zwischen Gastfreundschaft und Barmherzigkeit 3 . Weitere Facetten des Themas spielen in den anderen Beiträgen dieses Bandes eine Rolle. Ich möchte mich deshalb zunächst auf eine kurze Skizze zur christlichen Gastlichkeit beschränken (II), dann weitere Belege des Jakobsbuches in den Mittelpunkt rücken (III), um schließlich nach dem Verhältnis von Gastlichkeit und allgemeiner Pilgerfürsorge zu fragen (IV). II. Zur Entwicklung christlicher Gastlichkeit Gastlichkeit, Armen- und Fremdenfürsorge gehören zu den christlichen Grund‐ tugenden, denn: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40), oder - das schon aus dem Jakobusbuch evozierte Zitat -: Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf (Mt 10,40) - dieser Christusbezug dürfte christliche Gastlichkeit durchaus von Vorstellungen zur Gastlichkeit in anderen Religionen unterscheiden. 18 Klaus Herbers <?page no="19"?> 4 Vgl. Bernhard S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Eine Geschichte des Helfens und seiner Grenzen, Freiburg i. Br. 2017. 5 Vgl. Klaus H E R B E R S , Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751-918 (926/ 962), Band 4: Papstregesten 800-911, Teil 2: 844-872, Lieferung 2: 858-867 ( Johann Friedrich B Ö H M E R , Regesta Imperii 1), Köln/ Weimar/ Wien 2012, Nr. 647 mit weiterer Literatur. 6 Thomas S T E R N B E R G , Orientalium more secutus. Räume und Institutionen der Caritas des 5. bis 7. Jahrhunderts in Gallien, Münster 1991, S. 152; vgl. S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge (wie Anm. 4), S.-124. 7 Vgl. S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge (wie Anm. 4), S. 126. Vgl. auch allgemein zur Entwicklung im Westen im frühen Mittelalter: Egon B O S H O F , Untersuchungen zur Armenfürsorge im fränkischen Reich des 9. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturge‐ schichte 58 (1976), S. 265-339, bes. S. 270-282 zur Unterscheidung von Xenodochium und hospitale in den Kapitularien und den erzählenden Quellen. Trotz dieser häufig wiederholten Grundforderung der christlichen Lehre gab es spezielle Ausprägungen. Zentral ist der enge Zusammenhang mit der Armen‐ fürsorge. Bernhard Schneider hat die Vielschichtigkeit des Helfens insgesamt in ihrer historischen Tiefendimension zusammengefasst 4 . Ich möchte drei Aspekte in den Vordergrund rücken, die sich mit den Begriffen Xenodochium, Kloster und Hospital verbinden. 1. Besonders im oströmischen Reich hatten sich die aus der Spätantike bekannten Formen der Armenfürsorge weiterentwickelt. Auch im Westen waren die staatlichen Aufgaben wie die Armenspeisung an kirchliche Institutionen und Bischöfe übergegangen. Eine Möglichkeit war es, Arme in Listen zu erfassen (Matrikel), die häufig beim Kirchgang versorgt wurden. So wissen wir davon, dass es auch bei den römischen Päpsten Matrikel gab, um Arme zu speisen, die beispielsweise im 9. Jahrhundert belegt sind 5 . Im Osten werden die Institutionen der Armenfürsorge meist als Xenodochium bezeichnet. Was ist aber darunter zu verstehen? „Der Begriff Xenodochium wird als Sammelbegriff für Institutionen verwendet, die, in der Gastfreundschaft wurzelnd, Armen und Pilgern jedweder Art Obdach boten und sich zu Armenfürsorgeeinrichtungen entwickelten, die mit der Versorgung Notleidender ebenso wie mit der Pflege Kranker beschäftigt waren“ 6 . Hospitäler sind im Westen in Gallien und Italien häufig nachgewiesen, besonders an kritischen Stellen der Wege, so in den Alpen (Großer Sankt Bernhard). In diesen Institutionen wurden Fremde beherbergt, Pilger gehörten dazu. Ein Beleg aus Lucca von 720 besagt, dass dort peregrini, Arme, Witwen und Waisen aufgenommen wurden 7 . Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 19 <?page no="20"?> 8 Siehe oben Anm. 5 sowie B O S H O F , Untersuchungen (wie Anm. 7). 9 S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge (wie Anm. 4), S.-128. 10 Vgl. S T E R N B E R G , Orientalium more secutus (wie Anm. 6), S. 288-290 (Tabelle) und S. 291 (Kartierung). 11 Vgl. S O H N , Gastfreundschaft (wie Anm. 3), S. 34-36. 12 Die Benediktsregel. Lateinisch/ Deutsch, hg. von Ulrich F A U S T , Stuttgart 2009, S.-124 f. 13 Siehe oben S. 17 f. 14 Vgl. B O S H O F , Untersuchungen (wie Anm. 7), S. 288-303 mit Präsentation des Materials und dessen Interpretation. 15 Benediktsregel (wie Anm. 12) S.-126 f. Diese Hilfe war aber temporär, also zeitlich befristet, ganz anders als bei‐ spielsweise die Armenspeisung, die wir aus den Armenmatrikeln kennen 8 . Und es gab manchmal Beschränkungen durch die Stifter, gerne begrenzte man zum Beispiel die Zahl der Begünstigten auf zwölf nach dem Beispiel der Apostelzahl. Alles dies hatte auch einen theologischen Hintergrund, der nicht nur in gelehrten Abhandlungen, sondern auch räumlich ausgedrückt wurde: Xenodochium und das Oratorium im Kirchenraum lagen oft beieinander oder das Xenodochium war mit dem Oratorium verbunden: „Letzteres diente der religiösen ‚Versorgung‘ der Pilger, Armen und Kranken, war aber auch umgekehrt der Ort, wo diese für ihre Wohltäter beten und deren Gedächtnis (memoria) fürbittend pflegen konnten“ 9 . Die Verbreitung dieser Institutionen in Gallien und Italien ist inzwischen aufgearbeitet; für Gallien sind bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts Belege für 34 Orte gesichert worden 10 . 2. Inwieweit waren aber die Klöster im lateinischen Westen zur Beherbergung Fremder verpflichtet? 11 Ohne die verschiedenen Mönchsregeln einzeln sichten zu können, sei nur kurz der erste Satz aus der im Westen prägenden Benediktsregel, Kapitel 53 zitiert: Alle Fremden, die kommen, sollen aufge‐ nommen werden wie Christus, denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“ 12 . Die Anspielung auf das Neue Testament (Mt 10,40) verwies offensichtlich auf das zentrale Zitat, das ja auch im Pilgerführer aus dem Liber Sancti Jacobi erscheint 13 . Das Kapitel schildert dann eingehend, wie die Aufnahme vonstattengehen soll: gemeinsames Gebet, Friedenskuss, Essen, Fußwaschung und weiteres mehr 14 . Wie sehr aber das Bibelzitat prägend war, zeigt der 15. Abschnitt, in dem es nochmals heißt: Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Pilgern zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen 15 . Andere Regeln und Regelkommentar sowie Synodalbeschlüsse haben das weiterentwickelt und differenziert. Ob dabei die häufige Wiederholung der 20 Klaus Herbers <?page no="21"?> 16 Vgl. Michel P A U L Y , Peregrinorum, pauperum et aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter, Stuttgart 2007, S.-212. 17 Vgl. Holger R. S T U N Z , Hospitäler im deutschsprachigen Raum im Spätmittelalter als Unternehmen für die caritas - Typen und Phasen der Finanzierung, in: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, hg. von Michael M A T T H E U S , Stuttgart 2005, S. 129-159, hier S. 139 f.; vgl. S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge (wie Anm. 4), S.-273 f. Bestimmungen darauf deutet, dass die Bestimmungen nicht eingehalten wurden, könnte zumindest teilweise zutreffen. Im Kloster war Gastfreundschaft gefordert, aber es gab auch Grenzen: So schrieb Theodulf von Orléans, ein bedeutender Gelehrter aus dem Westgotenreich am Hof Karls des Großen im frühen 9. Jahrhundert von Andrang und Überforderung: Bei Gott, wenn der heilige Benedikt heute da wäre, er würde sie [gemeint: die Pförtner] heißen die Pforten zu schließen 16 . 3. Neben den Xenodochien und Klöstern sei kurz die dritte Säule der christ‐ lichen Gastfreundschaft genannt, die Hospitäler. Dabei ist die Terminologie von Hospiz zu Hospital unscharf. Bernhard Schneider unterscheidet in Anlehnung an Holger Stunz vier Typen, vor allem nach Größe und Finan‐ zierung. Zunächst gab es Kleinhospitäler mit etwa 15 bis 20 Personen, die Pfründner aufnehmen konnten, aber nicht mussten. Insgesamt reichte ein relativ geringes Stiftungsaufkommen. Der zweite Typus war ähnlich, rechnete aber mit einer höheren Zahl von Pfründnern und hatte ein höheres Vermögen. Der dritte Typus mit etwa 30 bis 60 Personen wurde meist in Mittelstädten angetroffen, auch hier stellten die Pfründner mit ihrem eingebrachten Kapital eine wichtige ökonomische Basis sicher. Unter dem Einfluss von Kommunen ist diese Form des Hospitals erst ab dem 14. Jahrhundert häufiger anzutreffen. Der letzte Typus betrifft Großspitäler, die meist durch eine Großstiftung ins Leben gerufen wurden, die zwar ähnlich arbeiteten, nun aber auch wichtige ökonomische Ver‐ pflichtungen eingehen konnten 17 . Großinstitutionen wie das in Santiago seit dem 15./ 16. Jahrhundert bedeutsame Hostal de los Reyes Católicos seien hier ausgespart. Wie es zu diesen Hospitalgründungen kam, ist unterschiedlich. Ab dem 12./ 13. Jahrhundert waren vielfach Klöster und Kirchen verantwortlich, aber nicht nur, denn dazu traten ab dem 13. Jahrhundert Bruderschaften, die eben‐ falls Hospitäler gründeten und oft auch über einen längeren Zeitraum verwal‐ teten. Manche Bruderschaften übernahmen hingegen die Betreuung schon Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 21 <?page no="22"?> 18 Vgl. Thomas F R A N K , Bruderschaften und Hospitäler. Spätmittelalterliche Beispiele aus Italien und Deutschland, in: Formen der Armenfürsorge in hoch- und spätmittelalter‐ lichen Zentren nördlich und südlich der Alpen, hg. von Lukas C L E M E N u. a., Trier 2011, S.-167-183, hier S.-167 f. 19 Zu dieser frühen Form des Wunders vom gehängten Pilger, aus dessen Motiv sich später das sogenannte „Hühnerwunder“ entwickelte vgl. Robert P L Ö T Z , res est nova et adhuc inaudita. Motivindex und literarisch-orale Evolution der Mirakelerzählung vom Pilger, der vom Galgen gerettet wurde, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999), S. 9-39; unter dem Aspekt von Mündlichkeit und Schriftlichkeit Friederike H A S S A U E R , Santiago. Schrift. Körper. Raum. Reise. Eine medienhistorische Rekonstruktion mit beigefügter Microfiche: Dokumentation der Quellen, München 1992, Microfiche 11; sowie Robert P L Ö T Z in: Klaus H E R B E R S / Robert P L Ö T Z , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“, München 1996, S.-53-59. 20 Nicht völlig sicher ist, ob der lateinische Text „Toulouse“ oder „Tolosa“ in Spanien bezeichnet. Bedenkt man aber, dass wenig später von 36 Tagesetappen für den Hin- und Rückweg gesprochen wird und vergleicht dies mit den in der vorhergehenden Erzählung angegebenen Etappen, so dürfte die Lokalisierung in Toulouse fast sicher sein. bestehender Institutionen oder sie unterstützten die Insassen von Hospitälern, die in der Obhut anderer Institutionen lagen 18 . Mit dem Hospital wurden die anderen Formen der Gastfreundschaft und -pflege nicht überflüssig. Es gab offensichtlich eine Vielfalt. Auch die per‐ sönliche Verantwortung - wie das Eingangszitat belegt - war nicht einfach abgeschafft. In die Umbruchszeit des 12. Jahrhunderts gehören aber auch die weiteren Bemerkungen des Liber Sancti Jacobi, zu dem ich nun in meinem dritten Abschnitt zurückkehre. III. Mirakel und Predigt - gegen böse und unrechte Wirte Das Jakobusbuch bietet nicht nur in dem zitierten Abschlusskapitel Bemer‐ kungen zur Gastlichkeit. Allerdings werden die Fragen in anderen Teilen des Buches anders eingeführt. Denken wir nur an das berühmte Galgen- oder Hühnerwunder, das in der deutschen Fassung folgendermaßen lautet: Von dem gehängten Pilger, den der selige Apostel nach dreißig Tagen am Galgen vom Tode erlöste. Ein Exemplum vom hl. Jacobus, aufgezeichnet durch Papst Calixtus. Es ist zu berichten, daß im Jahre 1090 nach Christi Geburt einige Deutsche im Pilgergewand zum Grabe des seligen Jacobus unterwegs waren 19 . Sie kamen mit großen Reichtümern bis zur Stadt Toulouse 20 und fanden dort bei einem reichen Manne Unterkunft. Dieser aber heuchelte hinterlistig, wie ein Wolf im Schafspelz, große Harmlosigkeit, nahm sie geziemend auf, machte sie dann jedoch, scheinbar 22 Klaus Herbers <?page no="23"?> 21 Klaus H E R B E R S , Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhun‐ derts, Tübingen 2 2018, S.-79 f. als Zeichen der Gastfreundschaft, mit verschiedenen Getränken in betrügerischer Ab‐ sicht betrunken. Welch blinde Habgier, welch nichtswürdige Neigung des Menschen zum Bösen! Schließlich waren die Pilger von Schlaf und Rausch völlig übermannt. Der falsche Gastgeber aber, von Habgier angestachelt, steckte heimlich einen silbernen Becher in das Gepäck der Schlafenden. Er wollte sie damit als des Diebstahls schuldig überführen und dann ihr Geld einheimsen. Nach dem ersten Hahnenschrei verfolgte der ungetreue Gastgeber mit einer Handvoll bewaffneter Männer die Pilger, mit dem Ruf: „Gebt mir meine gestohlene Habe wieder! “ Darauf erhielt er von ihnen als Antwort: „Wenn du das Gestohlene bei einem findest, soll er nach deinem Gutdünken verurteilt werden.“ Es fand also eine Durchsuchung statt, und bei zweien, Vater und Sohn, fand er in ihrem Gepäck den Becher. Widerrechtlich beschlagnahmte er ihre Habe und schleppte sie vor das öffentliche Gericht. Der Richter aber war von Mitleid gerührt und verurteilte einen zur Todesstrafe, der andere sollte frei sein. O ergreifende Vater- und Kindesliebe! Der Vater wollte, daß sein Sohn freigesprochen werde und daß man ihm das Todesurteil zuspreche. Der Sohn dagegen sagte: „Es ist unbillig, daß der Vater an Stelle des Sohnes dem Tode ausgeliefert wird. Vielmehr muß der Sohn für den Vater die verhängte Strafe erleiden.“ Ein bewundernswertes Beispiel gegenseitiger Hingabe! Schließlich wurde der Sohn nach seinem Wunsch, zur Befreiung des geliebten Vaters, erhängt. Der Vater aber setzte weinend und trauernd seinen Weg zum hl. Jacobus fort. Nachdem er den ehrwürdigen Altar des Apostels besucht hatte, kehrte der Vater nach 36 Tagen zurück und machte einen Umweg zu dem noch immer am Galgen hängenden Leichnam seines Sohnes. Er rief unter Tränen und Seufzern und mitleiderregendem Stöhnen: „Weh mir, mein Sohn, wozu habe ich dich gezeugt, warum dich aufgezogen, den ich jetzt dort hängen sehe? “ Aber wie großartig sind deine Werke, o Herr! Der Gehängte tröstete seinen Vater und sprach: „Trauere nicht, herzgeliebter Vater, über meine Qual, die keine ist, sondern freue dich lieber, denn es geht mir jetzt besser als bisher in meinem vergangenen Leben. Der selige Jacobus hat mich mit seinen Händen gestützt und wärmt mich voller Milde.“ Auf diese Worte hin eilte der Vater in die Stadt und rief das Volk auf, dieses Gotteswunder zu schauen. Sie kamen herbei, sahen, daß der Gehängte nach so langer Zeit noch lebte und erkannten jetzt, daß er wegen der unersättlichen Gier des Wirtes angeklagt worden war, durch Gottes Erbarmen aber gerettet. Dieses ist vom Herrn geschehen und ist ein Wunder in unseren Augen. Sie nahmen ihn also unter großem Jubel vom Galgen ab. Den Wirt aber verurteilten sie verdientermaßen zum Tode und hängten ihn auf der Stelle auf 21 . Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 23 <?page no="24"?> 22 H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 21), S.-79 f. Auffällig ist, dass erst ganz am Schluss, in einer Art Moralisierung, deutlich wird, worauf es dem Autor ankommt: Demzufolge sollen alle, die als Christen gelten wollen, mit großer Sorgfalt darauf bedacht sein, niemals ihren Gästen oder überhaupt ihren Nächsten gegenüber einen solchen Betrug zu begehen. Sie sollen vielmehr den Pilgern Mitgefühl und freundliche Zuneigung erweisen, auf daß sie den Lohn der ewigen Glorie von dem empfangen, der als Gott lebt und regiert in alle Ewigkeit. Amen 22 . Hier ist von misericordia („Mitgefühl“ oder „Barmherzigkeit“) die Rede. Auch in der bekannten Predigt Veneranda dies, in Kapitel 17 des ersten Buches, wird ähnlich argumentiert: Was soll ich aber von den schlechten Wirten erzählen, welche die Pilger mit zahllosen Betrügereien täuschen? Wie Judas die Strafe seiner Schuld und der Schächer den Lohn für sein Bekenntnis vom Herrn Jesus Christus während seiner Passion empfing, so werden die schlechten Gastgeber die Strafen für ihre Missetaten in der Hölle, die wahren Pilger jedoch den Lohn ihrer Werke und Mühen im Himmel ernten. Verdammt sind also die bösartigen Wirte des Jakobsweges, die durch zahllose Betrügereien die Pilger ausnehmen. Manche gehen ihnen am Stadtrand entgegen und küssen sie, so als ob sie ihre von weit angereisten Verwandten seien. Was tun sie weiterhin? Sie führen sie in ihre Häuser, versprechen ihnen alle guten Dinge und handeln schlecht. Wem gleichen sie, wenn nicht Judas, der den Herrn mit einem Kuß verriet (Mt 26,49)? Sie reichen ihnen zuerst zum Kosten den besten Wein und verkaufen dann, wenn sie können, den schlechten. Manche verkaufen Apfelwein als Wein, wieder andere verdorbenen als guten Wein. Weitere verkaufen Fische oder gegartes Fleisch, die zwei oder drei Tage alt sind und die die Pilger krank machen. Wieder andere zeigen ein großes Maß und messen, wenn möglich, mit einem kleinen. Einer hat betrügerische Wein- und Hafermaße: außen riesig, innen jedoch klein, schmal und unzureichend ausgehöhlt, man nennt sie volkssprachlich marsiciae. Über solch unrechten Wirt klagt Jesaja mit den Worten: „Die Waffen des Arglistigen sind schlecht, denn er schmiedet schlimme Pläne, die Armen durch Lügenreden zu verderben.“ Ein anderer gibt, wenn möglich, Wasser ins Glas, während er den Wein vom Faß zapft. Andere versprechen den Pilgern beste Betten und geben schlechte. Manche lassen beim Eintreffen neuer Gäste die alten bezahlen und vertreiben sie dann. Der schlechte Wirt macht seinen Pilgergästen kein gutes Bett, wenn diese ihm nicht Nahrung oder eine Münze geben. Wenn das Geldstück des Pilgers in der Stadt, wo er essen möchte, zwei Geldstücke wert ist, so wertet es der schlechte Wirt nur wie ein einziges oder ist es nur eines wert, nimmt er es nur als einen Obolus. Der schlechte Wirt gibt seinen Gästen besten 24 Klaus Herbers <?page no="25"?> Wein, um sie betrunken zu machen und um dann während ihres Schlafes von ihnen Geldbeutel, Tasche oder etwas anderes zu stehlen. Der schlechte Wirt reicht ihnen todbringende Getränke, um sich ihrer Habe zu bemächtigen. Ebenso werden jene bestraft werden, die ein Faß unterteilen und es mit zwei verschiedenen Weinen füllen, von denen sie zunächst den besseren den Pilgern zur Probe anbieten, dann jedoch nach dem Essen den schlechteren aus dem zweiten Teil des Fasses servieren. Andere haben Gerste- oder Hafermaße, die auf Spanisch cafhit oder aroa heißen und die etwa einen Inhalt im ortsüblichen Wert von sechs Münzen fassen, jedoch verkaufen sie diesen den Pilgern wenn nicht für zwölf, so doch mindestens für zehn Münzen. Bei einem üblichen Preis von zwölf Geldstücken nehmen sie von Pilgern 20 oder gar zwei Schillinge. Ebenso wird der sextarius Wein, wenn er im Ort normalerweise für zwölf Münzen verkauft wird, jenen für zwei Schillinge feilgeboten. Was soll ich jedoch von der Dienerin sagen, die auf Geheiß der Herrin abends das Wasser im Haus vergießt, damit die dürstenden Pilger in der Nacht kein Wasser zum Trinken finden und den Wein des Wirtes kaufen? Was ist mit jener, die nachts mit Zustimmung des Wirtes Hafer oder Gerste aus den Futterkrippen stiehlt? Sie sind verdammt! Ebenso treffe der Bann die Wirtsmägde, die sich aus Hurerei und Geldgier auf teuflisches Geheiß nachts den Pilgerbetten zu nähern pflegen. Die Dirnen, die aus diesem Grund zwischen der Miñobrücke und Palas del Rey in waldreicher Gegend den Pilgern häufig entgegentreten, müssen nicht nur exkommuniziert, sondern von allen geplündert und durch Rümpfen der Nase öffentlich geächtet werden. Einzeln pflegen sie sich immer einem einzelnen darzubieten. Geliebte Brüder! Auf welche Art der Teufel seine unrechten Netze auswirft und den Jakobspilgern die Höhle des Verderbens öffnet, vermag ich nicht zu beschreiben. Was soll ich andererseits über die schlechten Wirte sagen, die das Geld der Pilger, die in ihrem Haus sterben, begierig behalten, anstatt es den Klerikern und Armen als Almosen pflichtgemäß zu geben; sie seien wahrhaft verdammt! Die schlechten Gastgeber der Stadt Santiago geben den Gästen die erste Mahlzeit gratis und verkaufen ihnen dafür Kerzen oder Wachs. Welch vorgetäuschte Barmherzigkeit, welch falsche Frömmigkeit und welch vollkommen betrügerische Großzügigkeit! Wenn an einem Datum zwölf Pilger da sind, spendiert der unfreundliche Wirt als erstes ein Fleisch- oder Fischgericht, das auf dem städtischen Fleischmarkt acht Münzen kostet, um ihnen dann zwölf Kerzen, die er auf dem städtischen Markt für insgesamt vier Schillinge - jede einzelne für vier Geldstücke - erworben hat, zum Preis von sechs Schillingen zu verkaufen, also jede für sechs Geldstücke. So gibt er das Wachs, das vier Geldstücke wert ist, für sechs Münzen ab und Wachs im Wert von vier Schillingen für sechs Schillinge, damit hat er ihnen heimtückisch das Essen verkauft. Was noch? Fleisch und Fisch im Wert von acht Münzen, die er ihnen zum Essen „schenkte“ verkauft er Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 25 <?page no="26"?> 23 H E R B E R S , Jakobsweg (wie Anm. 1), S.-31-36. 24 Vgl. Hans C. P E Y E R , Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter (MGH Schriften 31), Hannover 1987, S.-57. 25 Vgl. Ludwig S C H M U G G E , Zu den Anfängen des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unterbringung und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter, in: Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter, hg. von H. C. P E Y E R (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 3), München 1983, S. 37-60; D E R S ., Die Anfänge des organisierten Pilgerverkehrs im Mittelalter, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 64 (1984), S.-1-83. ihnen in Wirklichkeit betrügerisch zu einem Preis von zwei Schillingen. Oh, welch ruchlose Macht, welch verächtlicher Wucher! […] Andere erzählen auf die Fragen der Pilger hin die erwähnten Lügenmärchen statt der wahren und ehrbaren Taten des hl. Jakobus. Ein anderer schlauer Wirt schickt seinen Gefolgsmann von Santiago de Compostela bis zur Miñobrücke den Pilgern entgegen, der diese dann folgendermaßen anspricht: „Meine Brüder und Freunde: Ich bin Bürger der Stadt des hl. Jakobus; ich bin nicht wegen der Beherbergung hierhergekommen, sondern hüte ein krankes Maultier meines Herrn aus jener Stadt; geht zu dessen Haus und meldet jenem bitte, sein Maultier werde schnell geheilt werden. Nehmt auch dort Quartier, denn mir zuliebe gewährt er euch als Boten dieser Nachricht alles Gute.“ Jedoch finden die Pilger, wenn sie dorthin gelangen, alles Schlechte. Ein anderer geht ihnen nach Barbadelo oder Triacastela entgegen, und wenn er Pilger trifft, grüßt er und redet schlau zunächst über andere Dinge, um ihnen schließlich zu sagen: „Meine Brüder, die ihr nach Santiago unterwegs seid, ich bin ein glücklicher Bürger dieser Stadt und bin nicht gekommen, um mir Kunden zu verschaffen, sondern um mit einem meiner Brüder zu sprechen, der in dieser Stadt wohnt. Wenn ihr eine gute Herberge in Santiago haben wollt, quartiert euch in meinem Haus ein. Sagt meiner Frau und meiner Familie, sie mögen euch mir zuliebe gut versorgen. Ich gebe euch ein Erkennungszeichen mit, das ihr ihnen zeigen sollt.“ Mit diesen Worten gibt er als Symbol einigen sein Messer, anderen einen Gürtel, wieder anderen einen Schlüssel, weiteren einen Riemen, einen Ring, einen Hut oder einen Handschuh und schickt sie zu seinem Haus. Nachdem jene zu dessen Haus gekommen sind, sich einquartiert haben und ihnen die Frau dieses Wirtes das erste Gericht gebracht hat, verkauft sie Wachs im Wert von vier Münzen zu einem Preis von acht oder zehn. So werden die Jakobspilger von den Wirten betrogen 23 . Diese Zitate sind vielen bekannt und zeichnen ein negatives Bild. Die Kritik un‐ terstreicht aber, was erwünscht ist. Der Liber Sancti Jacobi erschließt aber etwas Weiteres. Die Pilger nahmen nicht nur die Infrastruktur von Klöstern, Hospizen oder anderen Einrichtungen in Anspruch. Nicht zuletzt mit den Beispielen aus dem Jakobsbuch haben Hans Conrad Peyer 24 und Ludwig Schmugge 25 von der 26 Klaus Herbers <?page no="27"?> 26 Siehe Klaus H E R B E R S / Robert P L Ö T Z , Die Strass zu Sankt Jakob. Der älteste deutsche Pilgerführer nach Santiago de Compostela, Lindenberg 2021, S. 82-83. Der gesamte Text legt jedoch großen Wert auf die Beschreibung guter und schlechter Gastlichkeit. 27 Vgl. den Text bei Klaus H E R B E R S , „Wol auf sant Jacobs straßen“. Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskultes in Süddeutschland, Ostfildern 2002, S.-64 f. 28 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 1), S.-133. 29 Vgl. Elisardo T E M P E R Á N V I L L A V E R D E , La liturgia propia de Santiago en el Códice Calixtino, Santiago de Compostela 1997, S.-82. 30 Vgl. Jean D E S H U S S E S , Le sacramentaire grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits 1 (Spicilegium Fribourgense 16), Freiburg 1971, n. 272, S. 157; vgl. auch T E M P E R Á N V I L L A V E R D E , Liturgia (wie Anm. 29), S.-82 mit Anm. 228. Entstehung der kommerziellen Gastlichkeit an den Pilgerwegen gesprochen: Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Und in der Tat: Wir treffen in der Zukunft beides an: Noch bei Hermann Künig von Vach werden christliche Gastungseinrichtungen ebenso genannt wie die Gasthäuser, von denen manche empfohlen, vor manchen gewarnt wird. Dieser deutsche Pilgerführer kritisiert vor allem den Spitalmeister von Burgos, der den Deutschen nicht zugetan sei 26 , eine Kritik, die auch das Pilgerlied Wer das elent bawen will aufgreift 27 . IV. Gastfreundschaft und Barmherzigkeit Der Liber Sancti Jacobi bietet also vor allem im Pilgerführer, in den Mirakeln sowie in der Predigt Veneranda dies wichtige Hinweise zur Gastfreundschaft bezüglich der Pilger. Vielfach werden aber die Missstände einer nicht angemes‐ senen Gastfreundschaft gegeißelt; auch das Kapitel 11 am Schluss erhebt ja den Zeigefinger. Will man es positiv formulieren, so müssen wir in die liturgischen Teile des Liber Sancti Jacobi schauen und den Blick weiten und nicht nur die materielle, sondern auch die spirituelle Achtsamkeit für die Pilgerbedürfnisse in den Blick rücken. Im Einleitungsbrief wird auf eine Oration verwiesen, die im 27. Kapitel erneut erscheint: Pateant aures misericordie tue, quesumus, Domine, precibus supplicantum beati Iacobi peregrinorum, et ut petentibus desiderata concedas, fac tibi eos que sunt placita postulare, per … 28 . („Die Ohren Deiner Barmherzigkeit mögen, so bitten wir, Herr, offenstehen für die Bitten der Pilger zum seligen Jakobus-…“) Dieser Text ist seit der Karolingerzeit bekannt 29 und findet sich bereits im gregorianischen Sakramentar: als oratio super populum an der feria quarta der vierten Fastenwoche 30 . Hier fehlt nur der Zusatz beati Iacobi peregrinorum. Dies zeigt deutlich, wie eine spezielle Pilgerliturgie im Liber Sancti Jacobi zu‐ sammengestellt wurde, es verweist aber auch darauf - und hier ist nicht nur die Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 27 <?page no="28"?> 31 Thomas V O N A Q U I N , Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII, Bd. 4, Rom 1888, quaestio 21,4, S.-262. 32 H E R B E R S , Jakobsweg (wie Anm. 1), S.-90. materielle Barmherzigkeit gemeint -, dass letztlich die göttliche Barmherzigkeit hinter den menschlichen Bitten steht. Barmherzigkeit bleibt aber keine Einbahnstraße, sondern brauchte auch den aktiven Geist der Pilgerschaft, das heißt die Buße. Obwohl Barmherzigkeit als Gnade gewährt wird, so sind Reue und Buße notwendig. Pilgern bleibt eben auch im Liber Sancti Jacobi ein Weg der Buße. Thomas von Aquin sollte hundert Jahre später als der Liber Sancti Jacobi in seiner Summa in einer quaestio davon handeln, dass misericordia an die justitia gebunden ist, denn beides wird hier zusammen abgehandelt, wie Artikel 4 erkennen lässt. Dort unterscheidet er, dass manche Werke dem Recht, der justitia, manche der Barmherzigkeit, der misericordia, zugerechnet werden. Ad primum ergo dicendum quod quaedam opera attribuuntur iustitiae, et quaedam misericordiae, quia in quibusdam vehementius apparet iustitia, in qui‐ busdam misericordia. Das wichtigste Beispiel der Barmherzigkeit ist für Thomas von Aquin aber das Handeln der Maria Magdalena (Lk 7,47): dimissa sunt ei peccata multa, quoniam dilexit multum: ihr wurden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat 31 . Maria Magdalena wird ganz ähnlich schon im Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi bei der Beschreibung von Vézelay, ihrer Ruhestätte, hervorgehoben: Ihr wurden zahlreiche Sünden vergeben, weil sie Jesus Christus, ihren Retter, der alle Menschen liebt, so sehr liebte 32 . Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und Buße sowie die Liebe kommen hier zusammen. V. Schluss Die im Jakobsbuch immer wieder geforderte christliche Gastfreundschaft und die Barmherzigkeit blieben auch - was heute zuweilen übersehen wird - an Buße und Bußgesinnung des Pilgers gebunden. Insofern schuf der Bezug zu Christus, der hinter dem Pilger steht, eine Form von Geben und Nehmen. Das Thema besitzt nicht nur eine historische Dimension. Es bleibt zu diskutieren, was dies auch für heutige Pilger, Herbergseltern und Refugios bedeuten könnte. 28 Klaus Herbers <?page no="29"?> Quellen- und Literaturverzeichnis Egon B O S H O F , Untersuchungen zur Armenfürsorge im fränkischen Reich des 9. Jahrhun‐ derts, in: Archiv für Kulturgeschichte 58 (1976), S.-265-339. Jean D E S H U S S E S , Le sacramentaire grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits 1 (Spicilegium Fribourgense 16), Freiburg 1971. Die Benediktsregel. Lateinisch/ Deutsch, hg. von Ulrich F A U S T , Stuttgart 2009. Thomas F R A N K , Bruderschaften und Hospitäler. Spätmittelalterliche Beispiele aus Italien und Deutschland, in: Formen der Armenfürsorge in hoch- und spätmittelalterlichen Zentren nördlich und südlich der Alpen, hg. von Lukas C L E M E N u.-a., Trier 2011, S.-167-183. Liber Sancti Jacobi, hg. von Klaus H E R B E R S / Manuel S A N T O S N O I A , Santiago de Compostela 1998. Klaus H E R B E R S , „Wol auf sant Jacobs straßen“. Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobus‐ kultes in Süddeutschland, Ostfildern 2002. Klaus H E R B E R S , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008. Klaus H E R B E R S , Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751-918 (926/ 962), Band 4: Papstregesten 800-911, Teil 2: 844-872, Lieferung 2: 858-867 ( Johann Friedrich B ÖH M E R , Regesta Imperii 1), Köln/ Weimar/ Wien 2012. Klaus H E R B E R S / Robert P LÖT Z , Die Strass zu Sankt Jakob. Der älteste deutsche Pilgerführer nach Santiago de Compostela, Lindenberg 2021. Michel P A U L Y , Peregrinorum, pauperum et aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter, Stuttgart 2007. Hans C. P E Y E R , Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter (MGH Schriften 31), Hannover 1987. Robert P LÖT Z , res est nova et adhuc inaudita. Motivindex und literarisch-orale Evolution der Mirakelerzählung vom Pilger, der vom Galgen gerettet wurde, in: Rheinisch-west‐ fälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999), S.-9-39. Thomas V O N A Q U I N , Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII, Bd.-4, Rom 1888. Ludwig S C H M U G G E , Zu den Anfängen des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unter‐ bringung und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter, in: Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter, hg. von Hans C. P E Y E R (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 3), München 1983, S.-37-60. Ludwig S C H M U G G E , Die Anfänge des organisierten Pilgerverkehrs im Mittelalter, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 64 (1984), S.-1-83. Bernhard S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Eine Geschichte des Helfens und seiner Grenzen, Freiburg i. Br. 2017. Andreas S O H N , Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern, in diesem Band, S. 31-60. Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi 29 <?page no="30"?> Thomas S T E R N B E R G , Orientalium more secutus. Räume und Institutionen der Caritas des 5. bis 7.-Jahrhunderts in Gallien, Münster 1991. Holger R. S T U N Z , Hospitäler im deutschsprachigen Raum im Spätmittelalter als Unter‐ nehmen für die caritas - Typen und Phasen der Finanzierung, in: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, hg. von Michael M A T T H E U S , Stuttgart 2005, S.-129-159. Elisardo T E M P E R ÁN V I L L A V E R D E , La liturgia propia de Santiago en el Códice Calixtino, Santiago de Compostela 1997. 30 Klaus Herbers <?page no="31"?> * Der Vortragsstil ist für die schriftliche Ausarbeitung des Beitrages beibehalten worden. 1 Kloster Andechs, Wallfahrer und Pilger [Website]; https: / / andechs.de/ weitere-bereich e/ service/ besuchergruppen/ wallfahrer-und-pilger/ (10.10.2020). 2 Siehe hier nur Stephan H A E R I N G , Andechs, in: Lexikon für Theologie und Kirche [künftig LThK abgekürzt] 1 ( 3 1993), Sp. 617 f. Heute ist das Kloster Andechs als Priorat der Münchner Abtei Sankt Bonifaz unterstellt. 3 Jakobsweg-Lebensweg, Münchener Jakobsweg: Von München zum Bodensee in 11 Tagen [Website]; https: / / jakobsweg-lebensweg.de/ deutschland/ muenchner-jakobsweg/ (10.10.2020). Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern * Andreas Sohn I. Hinführung Für Pilger und Besucher, die sich zum Wallfahrtsort Andechs in Bayern aufma‐ chen, findet sich im Internet der Hinweis: Zur benediktinischen Gastfreundschaft gehört das Andechser Bräustüberl. Auf seinen großen Terrassen lädt es zu einer zünftigen Brotzeit ein. Hier erhalten Sie Schmankerl aus der Klostermetzgerei, unsere Frischkäse-Zubereitungen und natürlich dazu ein frischgezapftes süffiges Andechser Klosterbier, aber auch die Andechser alkoholfreien Getränke 1 . Damit wird Bezug genommen auf das benediktinische Kloster, das hier oberhalb des Ammersees im Jahre 1455 von Herzog Albrecht III. von Bayern (mit Mönchen aus der Abtei Tegernsee) gegründet worden ist 2 . Stärkeren Zuspruches erfreute sich in den letzten Jahren der „Heilige Berg“ (mons sanctus) bei den Jakobspil‐ gern, die sich von München aus auf den Wallfahrtsweg nach Lindau und weiter gen Santiago de Compostela begaben. Der Münchner Jakobsweg besteht indes erst seit 2003 3 . Im Heiligen Land ziehen die benediktinische Abtei „Dormitio“ (seit 1926) auf dem Jerusalemer Zionsberg, die aus einer 1898 vollzogenen Landschenkung Kaiser Wilhelms II. und einem aus Beuroner Mönchen zusammengesetzten Gründungskonvent - die Besiedlung erfolgte 1906 - hervorgegangen ist, und <?page no="32"?> 4 Erwin G A T Z , Katholische Auslandsarbeit und deutsche Weltpolitik unter Wilhelm II. Zur Stiftung der Dormition in Jerusalem (1898), in: Römische Quartalschrift für christ‐ liche Altertumskunde und Kirchengeschichte 73 (1978), S. 23-46; Oliver K O H L E R , Das Kloster „Dormitio“ in Jerusalem. Beuron zwischen christlicher Zions-Sehnsucht und kaiserlicher Politik, in: Mittelalterliches Mönchtum in der Moderne? Die Neugründung der Benediktinerabtei Beuron 1863 und deren kulturelle Ausstrahlung im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Karl-Heinz B R A U N / Hugo O T T / Wilfried S C H Ö N T A G (Veröffent‐ lichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 205), Stuttgart 2015, S. 45-64; Robert W E N N I N G , Tabgha, in: LThK 9 ( 3 2000), Sp. 1223 f.; Tabgha 2012. Festschrift zur Einweihung der neuen Klostergebäude am 17. Mai 2012, hg. von den Benediktinern der Abtei Dormitio und des Priorats Tabgha, Jerusalem 2012. 5 Christoph S T R A C K , Ökumene im Lernen, Lernen in der Ökumene. 40 Jahre Theologi‐ sches Studienjahr der Jerusalemer Dormitio-Abtei, in: Herder Korrespondenz 68,1 (2014), S.-20-24. 6 Ausstellungskatalog: Glaube und Politik. Konrad Adenauer und die Abtei Maria Laach, Maria Laach 2019. 7 Sabine R E N A R D -D A R S O N : Robert Schuman à Poitiers et à Ligugé [Online-Artikel]; das Priorat Tabgha am See Genesareth Pilger und Gäste an 4 . Dort hat die wun‐ derbare Brotvermehrung stattgefunden. Das Jerusalemer Patrozinium bezieht sich auf Mariä Heimgang. Beide monastischen Stätten sind in jüngerer Zeit von Brandanschlägen aus extremistischen jüdischen Kreisen betroffen gewesen. Unter den Theologiestudierenden in Deutschland ist die „Dormitio“ bekannter, weil hier ein theologisches Studienjahr in ökumenischer Perspektive verbracht werden kann, das gerne nachgefragt wird 5 . Abt Laurentius Klein, verstorben im Jahre 2002, hat dieses 1973 ins Leben gerufen; die akademische Schirmherrschaft liegt bei der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo in Rom. In schwierigen Jahren, als das nationalsozialistische Gewaltregime Angst und Schrecken in Deutschland und Europa brachte, fanden zwei Gründerge‐ stalten der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg Schutz und Sicherheit hinter Klostermauern. Konrad Adenauer (1876-1967), der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 zunächst als Oberbürgermeister von Köln - etwas später auch als Präsident des Preußischen Staatsrates - abgesetzt worden war, fand heimlich Aufnahme im Eifelkloster Maria Laach, bei seinem Schulfreund Abt Ildefons Herwegen (1913-1946) 6 . Beide hatten das Kölner Apostelgymnasium besucht. Konrad Adenauer verbrachte mehr als ein Jahr in Maria Laach, nahm am monastischen Leben teil und konnte nur einmal während dieser Zeit mit seiner Ehefrau und seinen Kindern in Maria Laach zusammentreffen. Es war zu Weihnachten 1933. Auf der Flucht konnte Robert Schuman (1886-1963) im August des Jahres 1942 Unterschlupf im altehrwürdigen Kloster Ligugé bei Poitiers finden, das vom heiligen Martin von Tours 361 gegründet worden war 7 . Abt Pierre Basset 32 Andreas Sohn <?page no="33"?> https: / / www.vrid-memorial.com/ robert-schuman-a-poitiers-et-a-liguge/ (10.10.2020). 8 Corine D E F R A N C E / Ulrich P F E I L , Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963 (Deutsch-Französische Geschichte 10), Darmstadt 2011, ad indicem. 9 Zu Joseph Ratzinger beziehungsweise Benedikt XVI. (2005-2013): B E N E D I K T XVI., Letzte Gespräche. Mit Peter Seewald, München 2016, S. 93 f.; Peter S E E W A L D , Benedikt XVI. Ein Leben, München 2020, S. 616 und 700; siehe auch Elio G U E R R I E R O , Benedikt XVI. Die Biographie, Freiburg/ Basel/ Wien 2018, S. 388-392. Zu Paul VI., Giovanni Battista Montini: Jörg E R N E S T I , Paul VI. Der vergessene Papst, Freiburg-Basel-Wien 2 2012, S. 31 f.; Mariano D E L L ’ O M O , Genesi e novità del breve Pacis nuntius di Paolo VI nella Chiesa del ‘900, in: Benedictina 61 (2014) S.-193-208. 10 Zisterzienserkloster Bochum-Stiepel, hg. vom Zisterzienserkloster Stiepel, Bochum 2008 (Text von Maximilian Heim). (1937-1954) nahm ihn auf und verhalf ihm so dazu, die Demarkationslinie zum nicht von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs zu überwinden. Robert Schuman als französischer Ministerpräsident und Außenminister und Konrad Adenauer als Bundeskanzler trieben in den Nachkriegsjahren das europäische Einigungswerk energisch voran 8 . Die benediktinische Gastfreundschaft entdecken auch stressgeplagte Ma‐ nager und Politiker, die sich gerne zu „Klausurtagungen“ - ein schönes Wort - in Klöster zurückziehen. Und selbst Päpste zog es an die Quellgründe benedik‐ tinischer Spiritualität: Joseph Ratzinger schon als Priester, Theologieprofessor, Münchner Erzbischof und Kardinal in die bayerische Abtei Scheyern, Paul VI. (1963-1978) - am 14. Oktober 2018 von Papst Franziskus heiliggesprochen - in das schweizerische Kloster Engelberg und nach Montecassino (ebenfalls Benedikt XVI.), der Benedikt von Nursia am 24. Oktober 1964 ebendort zum Patron Europas erhob 9 . Um den Blick auf das Kardinal-Hengsbach-Haus in Essen-Werden, wo diese Tagung stattfindet, und seinen Namensgeber zu richten: Kardinal Franz Hengs‐ bach, der erste Bischof des ‚Ruhrbistums‘ Essen (1958-1991), hat 1988 ein nicht weit von hier entferntes Kloster im Marienwallfahrtsort Stiepel gegründet, wo er in der Folgezeit gerne einkehrte. Dorthin hat er zisterziensische Mönche aus Heiligenkreuz im Wienerwald gerufen, die bekanntlich die Benediktsregel befolgen 10 . Das Kloster Stiepel ist ein Priorat der Abtei Heiligenkreuz. Wenn Sie mir noch eine persönliche Bemerkung in diesem Zusammenhang gestatten, die ich hier in aller Bescheidenheit vortragen möchte: Ich selbst durfte die Gastfreundschaft des Konvents in Ligugé erfahren, als mich die dortigen Benediktiner dankenswerterweise mehrmals in der Abtei aufnahmen und mich so bei meinen wissenschaftlichen Forschungen und der Vorbereitung meiner Dissertation über die cluniacensische Reformbewegung im Limousin unter‐ Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 33 <?page no="34"?> 11 Andreas S O H N , Der Abbatiat Ademars von Saint-Martial de Limoges (1063-1114). Ein Beitrag zur Geschichte des cluniacensischen Klösterverbandes (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 37), Münster 1989. 12 Andreas S O H N , Jean Becquet (1917-2003): ein benediktinisches Gelehrtenleben im Dienst der Geschichtsforschung und der Revue Mabillon, in: Francia 31/ 1 (2004), S.-217-231. 13 Luigi S A L V A T O R E L L I / Silvana S I M O N E T T I , Benedetto, in: Dizionario biografico degli Italiani 8 (1966), S.-279-294; Rudolf H A N S L I K , Benedikt von Nursia, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980), Sp. 1867 f.; Adalbert D E V O G ÜÉ , Benedikt von Nurisa, in: Theologische Realen‐ zyklopädie 5 (1980), S. 538-549; Pius E N G E L B E R T , Benedikt von Nursia, in: LThK 2 ( 3 1994), Sp. 203 f. 14 Im Folgenden als Ausgabe benutzt (lateinisch-deutsche Fassung): Regula Benedicti. Die Benediktusregel, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 2 1996. Zur Geschichte und Memoria von Montecassino: Gert M E L V I L L E , Montecassino, in: Erinne‐ rungsorte des Christentums, hg. von Christoph M A R K S C H I E S / Hubert W O L F , München 2010, S.-322-344. 15 Mariano D E L L ’ O M O , Geschichte des abendländischen Mönchtums vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Das Charisma des hl. Benedikt zwischen dem 6. und 20. Jahrhundert (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Ergänzungsband 51), Sankt Ottilien 2017. stützten 11 . Die Klosterbibliothek ist damals - in den 80er Jahren - auch dank des Einsatzes von Dom Jean Becquet (1917-2003), des langjährigen Schriftleiters der Revue Mabillon, die am besten ausgestattete Bibliothek zur monastischen und regionalen Geschichte des mittelalterlichen Limousin, der Region um Limoges, gewesen 12 . II. Die Gastfreundschaft nach der Benediktsregel Ohne die Beispiele benediktinischer Gastfreundschaft weiter zu verlängern, was ein Leichtes wäre, ist nach dem Verständnis derselbigen in der benediktinischen Ordensfamilie zu fragen. Das führt uns zur Regula Benedicti, die Benedikt von Nursia (Norcia im Apenninengebirge) im sechsten Jahrhundert verfasst und damit dem aus bescheidenen Anfängen gewachsenen monastischen Leben in Italien Weg und Ziel gewiesen hat 13 . Benedikt hat diese Regel zuvörderst für das von ihm 529 gegründete Kloster Montecassino geschrieben, also für das gemeinschaftliche, sprich koinobitische Leben des Mönchtums 14 . Montecassino, auf einem 516 m hohen felsigen Hügel gelegen, befindet sich zwischen Rom und Neapel. Angesichts des benediktinischen Mönchtums, das sich seit dem frühen Mittelalter in überaus zahlreichen Klöstern für Männer und Frauen in ganz Europa ausgebreitet hat, gilt die Benediktsregel als die bedeutendste monastische regula in der Geschichte 15 . 34 Andreas Sohn <?page no="35"?> 16 Regula Benedicti (wie Anm. 14), S. 193. Siehe auch Michaela P U Z I C H A , Gastfreundschaft. Zum Verständnis von RB 53, in: Erbe und Auftrag 58 (1982), S. 33-46; ferner D I E S ., Christus peregrinus. Die Fremdenaufnahme (Mt 25,35) als Werk der privaten Wohltä‐ tigkeit im Urteil der Alten Kirche (Münsterische Beiträge zur Theologie 47), Münster 1980. 17 Vgl. Otto H I L T B R U N N E R / Denys G O R C E / Hans W E H R , Gastfreundschaft, in: Reallexikon für Antike und Christentum 8 (1972), Sp. 1061-1123; Christoph A U F F A R T H / Arnold S T I G L ‐ M A I R / Günter V I R T / Rolf Z E R F A S S , Gastfreundschaft, in: LThK 4 ( 3 1995), Sp. 299-301; Otto H I L T B R U N N E R , Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum, Darmstadt 2005. 18 Walter Kardinal K A S P E R , Barmherzigkeit. Grundbegriff des Evangeliums - Schlüssel christlichen Lebens, Freiburg/ Basel/ Wien 2012, S.-149. 19 Hierzu Pius E N G E L B E R T , Die Welt in der Regel des hl. Benedikt, in: Saeculum. Zeit und Welt. 100 Jahre Abtei Gerleve, hg. von D E M S ., Münster 2004, S.-134-157. 20 Regula Benedicti (wie Anm. 14), S.-93. 21 Ebd., S.-204 f. In der Benediktsregel wird in mehreren der insgesamt 73 Kapitel Bezug auf die Aufnahme von Gästen im Kloster genommen. Das 53. Kapitel stellt den Kern und die umfassendste Darlegung hierzu im Regelwerk dar. Dieses Kapitel trägt den Titel De hospitibus suscipiendis, „Die Aufnahme der Gäste“. Ich zitiere den Anfang: Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“ Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüden im Glauben und den Pilgern 16 . Die in der Antike und im Mittelmeerraum allgemein geschätzte Gastfreundschaft findet hier ihre genuin christliche Fundierung, Sinnprägung und eschatologische Ausrichtung 17 . Mit der Identitätsaussage nach dem Mat‐ thäusevangelium 25,35 (innerhalb der großen Gerichtsrede Jesu) wird die Gastfreundschaft christologisch begründet und akzentuiert sowie ins Ekklesi‐ ologische und Eschatologische gewendet. Damit erfährt die Gastfreundschaft ihre unüberbietbare Wertschätzung. Jene ist eingebettet in die Barmherzigkeit, die - um Walter Kardinal Kasper zu zitieren - „nicht in erster Linie eine Frage der Moral [ist], sondern des Christusglaubens, der Christusnachfolge und der Christusbegegnung“ 18 . Das Leben im Kloster, mag es auch eine fuga mundi sein, heißt keine undurchdringliche Abschließung von der Welt 19 . Die guten Werke, die sieben leiblichen wie die sieben geistlichen, hat Benedikt im vierten Kapitel um den Zusatz erweitert: Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln 20 . Zur Unterkunft der Gäste heißt es nur recht allgemein, dass es eine cella hospitum im Kloster gibt, angegeben im Kapitel 58, wo von den eintretenden Brüdern die Rede ist, die ebendort zunächst unterzubringen sind - für einige Tage 21 . Zu den Gästen im Kloster können auch fremde Mönche von weither Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 35 <?page no="36"?> 22 Ebd., S. 213 (in der lateinischen Fassung des Kapitels 61: Si quis monachus peregrinus de longinquis provinciis-…, S.-212). 23 Ebd., S.-152 f. (Kapitel 31). 24 Ebd. 25 Ebd., S.-175 (Kapitel 42). 26 Ebd., S.-202 f. (Kapitel 56). 27 Ebd., S.-193. 28 Ebd., S.-195. 29 Ebd. (der Bibelvers nach dem Psalmisten 48,10). 30 Ebd., S.-194 f. gehören 22 . Von den Mönchen soll sich der cellararius, der Cellerar, um die Kranken, Kinder, Gäste und Armen kümmern, und zwar mit großer Sorgfalt (cum omni sollicitudine) 23 . Hierfür muss er, davon ist Benedikt überzeugt, am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen 24 . Vom Schweigegebot nach der Komplet kann abgesehen werden, wenn es wegen der Gäste nötig ist 25 . Welch hoher Stellenwert der Gastfreundschaft im Kloster eingeräumt wird, geht auch daraus hervor, dass dem Abt aufgetragen wird, immer an seinen Tisch Gäste und Pilger zu bitten: Mensa abbatis cum hospitibus et peregrinis sit semper 26 . Für die Aufnahme der Gäste gibt Benedikt im Kapitel 53 genauere Anwei‐ sungen: Wenn ein Gast im Kloster eintrifft, sollen der Obere oder einer der Brüder ihm entgegeneilen, mit ihm beten und den Friedenskuss austauschen 27 . Benedikt schärft seinen Mitbrüdern ein: Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird 28 . Zuwendung und eine erbauliche Lesung der Weisung Gottes sind zudem vorgesehen. Zum Ritus der Aufnahme gehören Hände- und Fußwaschung. Um Benedikt direkt zu Wort kommen zu lassen: Der Abt gieße den Gästen Wasser über die Hände; Abt und Brüder zusammen sollen allen Gästen die Füße waschen. Nach der Fußwaschung beten sie den Psalmvers: Wir haben, o Gott, deine Barmherzigkeit aufgenommen inmitten deines Tempels 29 . Daran anschließend heißt es, was nochmals die Bedeutung der Gastfreundschaft unterstreicht: Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge [maxime susceptioni cura sollicite], denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen 30 . 36 Andreas Sohn <?page no="37"?> 31 Grundlegend Joachim W O L L A S C H , Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt (Münstersche Mittelalter-Schriften 7), München 1973; D E R S ., Cluny - „Licht der Welt“. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft, Zürich/ Düsseldorf 1996. Siehe ferner Guy D E V A L O U S , Cluny, in: Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques [künftig DHGE abgekürzt] 13 (1956), Sp. 35-174; Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, hg. von Helmut R I C H T E R (Wege der Forschung 241), Darmstadt 1975; Marcel P A C A U T , L’Ordre de Cluny, Paris 1986 (Erstveröffentlichung); Dietrich W. P O E C K , Cluniacensis Ecclesia. Der cluniacensische Klosterverband (10.-12. Jahrhundert) (Münstersche Mittelalter-Schriften 71), München 1998; Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld, hg. von Giles C O N S T A B L E / Gert M E L V I L L E / Jörg O B E R S T E (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 7), Münster 1988; Gert M E L V I L L E , Cluny après »Cluny«. Le treizième siècle: un champ de recherches, in: Francia 17 (1990), S. 91-124, und D E R S ., Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012, S. 56-83; Dominique I O G N A -P R A T , Études clunisiennes (Les médiévistes français 2), Paris 2002; Pius E N G E L B E R T , Hundert Jahre Forschungen zur Geschichte des benediktinischen Mönchtums, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 119 (2008), S. 479-495, hier S. 489-493; Odon H U R E L / Denyse R I C H E , Cluny - De l’abbaye à l’ordre clunisien X e -XVIII e siècle, Paris 2010; Cluny après Cluny. Constructions, reconstructions et commémorations, 1790-2010. Actes du colloque de Cluny, 13-15 mai 2010, hg. von Didier M É H U , Rennes 2013. 32 Siehe: Benediktiner als Historiker, hg. von Andreas S O H N (Aufbrüche. Interkulturelle Perspektiven auf Geschichte, Politik und Religion 5), Bochum 2016; Benediktiner als Gelehrte, hg. von D E M S ., Sankt Ottilien 2023; ferner Kultur und Memoria. Die steirische Abtei Admont und das europäische Benediktinertum, hg. von D E M S ., (Drucklegung in Vorbereitung; es handelt sich um die Akten der gleichnamigen Tagung in der Abtei Admont vom 18. bis 20. Mai 2022). 33 Christine H O B E R , Taizé, in: LThK 9 ( 3 2000), Sp. 1244; Christian A L B R E C H T , Taizé, in: M A R K S C H I E S / W O L F (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums (wie Anm. 14), S.-380-394. III. Benediktinertum in der Entfaltung und Aufgipfelung: Cluny und der Klösterverband Als Beispiel und Konkretisierung monastischen Lebens nach der Benediktsregel möchte ich den cluniacensischen Klösterverband wählen 31 . Dieser trug wesent‐ lich dazu bei, dass sich im Laufe der Jahrhunderte ein europaweites Netz von benediktinischen Klöstern entwickelte, das sich sogar auf andere Kontinente ausdehnte. Diese Klöster wurden auch zu Trägern und Vermittlern von Kultur und Wissenschaft, wovon noch beeindruckende architektonische Anlagen und wertvolle Bibliotheken zeugen 32 . Zunächst sei in der gebotenen Kürze das Mönchtum vorgestellt, das mit dem Namen der burgundischen Abtei Cluny bei Mâcon, fast 100 km nördlich von Lyon gelegen, verbunden ist. Ganz in der Nähe befindet sich übrigens Taizé, von wo die ökumenische Gemeinschaft nicht nur mit ihren Jugendtreffen in viele Teile der Welt ausstrahlt 33 . Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 37 <?page no="38"?> 34 Zur Gründung Clunys und zum Hintergrund: W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S. 19-29. Die Gründungsurkunde vom 11. September 910, ausgestellt in Bourges (mit Faksimile-Edition): Les plus anciens documents originaux de l’abbaye de Cluny 1 (Monumenta Palaeographica Medii Aevi, Series Gallica), hg. von Hartmut A T S M A / Jean V E Z I N , Turnhout 1997, S.-33-39. 35 Ulrich W I N Z E R , Gerhard II., in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), Sp. 1311; Luciano R O S S I , Girart de Roussillon, in: Ebd., Sp. 1461. Zu Vézelay, anfangs ein Frauenkloster: Jean R I C H A R D , Vézelay, in: Lexikon des Mittelalters 8 (1997), Sp. 1609 f. 36 Les plus anciens documents originaux de l’abbaye de Cluny (wie Anm. 34), S.-34. 37 Ebd., S.-35. Im Jahre 910 gründete der Herzog Wilhelm I. von Aquitanien - mit dem Beinamen der Fromme - das Kloster Cluny 34 . Aquitanien bezeichnet in etwa den Raum zwischen Loire, Rhône, Pyrenäen und Atlantik. Der Herzog stattete die Abtei mit Besitztümern aus und verzichtete für sich und seine Erben auf jeglichen Anspruch. Die freie Abtswahl war möglich. Der Gründer stellte Cluny in den Schutz der Apostelfürsten Petrus und Paulus und des Papstes. Dies war nicht gänzlich neu, wie das Beispiel des Klosters Vézelay zeigt, das Graf Gerhard II. von Paris, dux von Vienne, - bekannt als Girard von Roussillon in der altfranzösischen Epik, im Chanson de geste aus dem 12. Jahrhundert - im Jahre 859 gegründet hatte und das zu einer Wallfahrtsstätte an einem der französischen Jakobswege, der sogenannten Via Lemovicensis, wurde 35 . Somit war Cluny seiner Freiheit überlassen, zugleich bedeutete dies jedoch auch Schutzlosigkeit. Mehreres lässt außerdem in der Gründungsurkunde aufhorchen. Relativ herkömmlich mag noch die Bestimmung klingen, dass der Herzog das Kloster für sein eigenes Seelenheil, wie das seiner Eltern, seiner Ehefrau, seiner Brüder und Schwestern und weiterer Verwandter vollzog. Aufhorchen lassen zwei Bestimmungen: Die Stiftung erfolgte für den Bestand und die Unversehrtheit der katholischen Religion (pro statu etiam ac integritate catholicae religionis), für alle Christgläubigen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die durch die Klammer einer Liebe und eines Glaubens zusammengefügt werden (omnes crhystiani unius compage caritatis ac fidei) 36 . Die Gründung geschah, um täglich die Werke der Barmherzigkeit den Armen, Bedürftigen, Fremden, die des Weges daherkämen, und Pilgern mit höchster Aufmerksamkeit zu erweisen (cotidie misericordiae opera pauperibus indigentibus aduenis peregrinantib[us] summa intencione ibidem exhibeatur) 37 . Interessanterweise beließ es der Herzog nicht dabei, einfach nur auf die Regel des hl. Benedikt von Nursia hinzuweisen, so auf das Kapitel 53. Die Privilegierung Clunys schritt weiter voran: Im März 931 gewährte Papst Johannes XI. (931-936) das Vorrecht, fremde Mönche aufzunehmen, die ihr 38 Andreas Sohn <?page no="39"?> 38 Zum päpstlichen Privileg des Jahres 931: W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm.-31), S.-49 f. 39 Siehe W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S. 50-52. Ferner zu den Klöstern Déols (oder Bourg-Dieu) und Fleury (oder Saint-Benoît-sur-Loire): Paul C A L E N D I N I , Bourg-Dieu, in: DHGE 10 (1938), Sp. 159-163; J. L A P O R T E , Fleury, in: Ebd., Bd.-17, Paris 1971, Sp. 441-476. 40 Zu den Bezeichnungen Ecclesia Cluniacensis und Ordo Cluniacensis: Joachim W O L L A S C H , Reform und Adel in Burgund, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. von Josef F L E C K E N S T E I N (Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 277-293, hier S.-277-279. Siehe auch P O E C K , Cluniacensis Ecclesia (wie Anm. 31). 41 Odonis abbatis Cluniacensis vita s. Geraldi, in: Bibliotheca Cluniacensis, hg. von Martin M A R R I E R / André D U C H E S N E , Paris 1614, Sp. 67-114 (ND Mâcon 1915). Zu dieser Vita: W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S.-39-41 und 55. 42 W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S.-191. eigenes Professkloster verlassen hatten, und - bedeutsamer - Übertragungen von Klöstern entgegenzunehmen, um sie zu reformieren, das Einverständnis des Eigenklosterherrn vorausgesetzt 38 . Das war folgenreich. Die Benediktsregel sah nur ein einzelnes Kloster vor, jedoch keinen Verband. Infolge des päpstli‐ chen Privilegs kam es dazu, dass wenige Jahre später Cluny bereits für die Erneuerung des monastischen Lebens in Déols und in Fleury beziehungsweise Saint-Benoît-sur-Loire zu sorgen hatte 39 . So war der Weg vorgezeichnet, auf dem Cluny sich zum Haupt eines klös‐ terlichen Verbandes entwickelte. Damit war der Anspruch verbunden, selbst Kirche abzubilden: Ecclesia Cluniacensis hieß der rechtliche Verband, an dessen Spitze Cluny stand und sich aus Mitgliedern, membra, Abteien und Prioraten, zusammensetzte. Es konnte indes auch der Abt von Cluny nur gebeten werden, das monastische Leben zu erneuern, ohne dass damit eine rechtliche Bindung oder Unterordnung verbunden war. Wie mönchisches Dasein in Cluny gelebt und gestaltet wurde, fasste die Bezeichnung Ordo Cluniacensis 40 . Es gab auch ein individuelles Modell für die Nachfolge Christi, das sich an Adelige richtete: Der Abt Odo von Cluny (927-942) verfasste eine Vita des adeligen Klostergründers Gerald von Aurillac, der wie ein Mönch in der Welt lebte, ohne freilich die Profess abgelegt zu haben 41 . Dieser zeichnete sich dadurch aus, dass er ein besonderes Augenmerk auf die Unterstützung der Bedürftigen richtete und häufig Almosen spendete, auch bei seinen Rombesuchen. Mit „der ersten Vita eines heiligen Laien“ 42 wiesen die Cluniacenser Adeligen den Weg zu einem gottgefälligen Leben. Wie von der Benediktsregel im Kapitel 66 vorgesehen, dass sich alles Not‐ wendige … [id est aqua, molendinum, hortum vel artes diversas] innerhalb des Klosters befindet und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 39 <?page no="40"?> 43 Regula Benedicti (wie Anm. 14), S.-230 f. 44 Armin K O H N L E , Abt Hugo von Cluny (1049-1109) (Beihefte der Francia 32), Sigmaringen 1993. 45 Joachim W O L L A S C H , Toten- und Armensorge, in: D E R S ., Wege zur Erforschung der Erin‐ nerungskultur. Ausgewählte Aufsätze (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 47), hg. von Mechthild S A N D M A N N / Angelus A. H Ä U S S L I N G / Mechthild B L A C K -V E L D T R U P , Münster 2011 (Erstveröffentlichung 1985), S. 348-375, hier S.-369. 46 Kenneth J. C O N A N T , Cluny. Les églises et la maison du chef d’ordre (The Mediaeval Academy of America publication 77), Mâcon 1968. Zur virtuellen Rekonstruktion von „Cluny III“: Cluny ou la gloire retrouvée, Dourdan 1992 (mit Unterstützung von IBM France), Vorwort von Alain E R L A N D E -B R A N D E N B U R G , S.-3-5. können 43 , bemühte sich Cluny, in einem umfassenden Sinn wirtschaftlich autark zu sein. IV. Cluny als europäischer Reformmittelpunkt im 11.-Jahrhundert Unter Abt Hugo von Semur (1049-1109) erreichte Cluny den Höhepunkt seiner Entwicklung und Ausstrahlung 44 . Als er starb, gehörten zum Konvent - wohlge‐ merkt allein in Cluny - zwischen 300 und 400 Mönche, eine unvorstellbar große Zahl 45 . Das Netz der rechtlich zu Cluny gehörenden Klöster beziehungsweise der nach cluniacensischer Art lebenden Konvente erstreckte sich von England bis zur Iberischen Halbinsel und bis nach Italien. Sichtbaren Ausdruck fand diese Bedeutung in der Architektur. Weithin gilt immer noch die Peterskirche, die Konstantin der Große († 337) erbauen ließ, als das größte Gotteshaus der Christenheit im Mittelalter. Doch gebührt dieser Spitzenplatz Cluny. Als dritte Klosterkirche im romanischen Stil entstand dort der größte Sakralbau Europas (von den amerikanischen Ausgräbern der Mediaeval Academy unter Conant [1894-1984], die von 1928 bis 1950 vor Ort geforscht haben, als „Cluny III“ bezeichnet), womit zugleich die Ambitionen und Ansprüche der Cluniacenser in der Sprache der Architektur ausgedrückt wurden 46 : Die fünfschiffige Kirche mit einem großen und kleinen Querhaus hatte eine Länge von mehr als 187 m Länge, die Spannweite der Gewölbe übertraf 12 m und die Höhe erreichte 32 m. Allein das größere Querhaus in seiner lichten Länge maß ca. 77-m. Es war bezeichnenderweise ein Cluniacenser, der erste auf dem Papststuhl, der den Hochaltar dieser Kirche am 25. Oktober 1095 auf seiner Frankreichreise einweihte: Urban II. (1088-1099), vormals Odo von Châtillon und Großprior von 40 Andreas Sohn <?page no="41"?> 47 Alfons B E C K E R , Papst Urban II. (1088-1099) (Schriften der Monumenta Germaniae historica 19,1-3), Stuttgart/ Hannover 1964-2012; Denyse R I C H E , Urbain II (1088-1099). Du cloître à la direction de la Chrétienté, in: Benediktiner als Päpste, hg. von Andreas S O H N , Regensburg 2018, S.-97-116. 48 Abgebildet in R I C H E , Urbain II (wie Anm. 47), S. 106, zur Altarweihe S. 105 und 107. Es handelt sich um die folgende Handschrift: Bibliothèque nationale de France, ms. latin 17.716, fol. 91. 49 Le concile de Clermont de 1095 et l’appel à la croisade. Actes du Colloque Universitaire International de Clermont-Ferrand (23-25 juin 1995), organisé et publié avec le concours du Conseil Régional d’Auvergne (Collection de l’École française de Rome 236), Rom 1997. 50 W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S.-161, 196 und 241. 51 Vgl. ebd., S. 172, 226 f., 282 und 284; Agostino P A R A V I C I N I B A G L I A N I , Die römische Kirche vom ersten Laterankonzil bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, in: Machtfülle des Papsttums (1054-1274), hg. von André V A U C H E Z , deutsche Ausgabe bearbeitet und hg. von Odilo E N G E L S (Die Geschichte des Christentums 5), Freiburg 1994, S. 190-198; Umberto L O N G O , Anacleto II (1130-1138). Formazione ed elezione, in: S O H N (Hg.), Benediktiner als Päpste (wie Anm. 47), S.-161-172. 52 W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), ad indicem; Andreas S O H N , Die Kapetinger und das Pariser Priorat Saint-Martin-des-Champs im 11. und 12. Jahrhun‐ dert. Mit Ausblicken auf die Beziehungen zwischen dem Konvent und den englischen Königen, in: Francia 25/ 1 (1998), S. 77-121, hier S. 87-89, 97, 108 f., 111, 116 und 119; D E L L ’ O M O , Geschichte des abendländischen Mönchtums (wie Anm. 15), S.-284-287. Cluny 47 . 1078 war er von Gregor VII. (1073-1085) zum Kardinalbischof von Ostia erhoben worden. In einer Miniatur einer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert ist die Weihe des Hochaltares festgehalten worden 48 . Wenige Wochen später sollte Urban II. von Clermont(-Ferrand) aus zum Ersten Kreuzzug aufrufen 49 . Dieser sollte im Übrigen nach dem Vorbild Clunys in Rom das Amt des päpstlichen Kämmerers einrichten. Erster Amtsträger wurde ein Mönch Clunys, Petrus von Glocester (Glocensis) 50 . Die dritte Klosterkirche wurde 1130 abgeschlossen. Die Kirchweihe nahm Papst Innozenz II. (1130-1143) am 25. Oktober dieses Jahres vor, der sich im Ringen um die cathedra Petri - mit Unterstützung Clunys - gegen den Cluniacenser Anaklet II. (1130-1138), Petrus Pierleone, durchsetzen sollte 51 . Bemerkenswerterweise war es eine stattliche Zahl von cluniacensischen Mönchen, die in der Zeit des Reformmönchtums im 11. und 12. Jahrhundert zu Kardinälen bestellt wurden. Hier sei als Beispiel nur auf drei Mönche des Pariser Priorats Saint-Martin-des-Champs verwiesen, die zu Kardinalbischöfen aufstiegen: Matthäus († 1135) in Albano, welcher als Prior dieses Kloster von 1116 oder 1117 bis 1126 geleitet hatte, Albericus († 1148), zuvor Abt von Vézelay, in Ostia und Imarus († 1161) in Tusculum, der Prior in La Charité-sur-Loire gewesen war und die Abtswürde in Montierneuf innegehabt hatte 52 . Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 41 <?page no="42"?> 53 Bullarium Sacri Ordinis Cluniacensis, Lyon 1680, S.-30 f. 54 Ebd., S. 30. Joachim Wollasch wählte dieses Zitat als Titel für sein Buch, welches die Bilanz seiner jahrzehntelangen Forschungen zu Cluny und den Cluniacensern darbietet (Cluny - „Licht der Welt“ [wie Anm. 31]), zur Urkunde von Papst Urban II. S.-12 f. 55 Bullarium Sacri Ordinis Cluniacensis (wie Anm. 53), S.-30. 56 Statt vieler Titel: Caritas. Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn, hg. von Christoph S T I E G E M A N N , Petersberg 2015, siehe hier besonders Arnold A N G E N E N D T , Die Geburt der christlichen Caritas, S. 40-51; Otto Gerhard O E X L E , Zwischen Armut und Arbeit. Epochen der Armenfürsorge im europäischen Westen, S. 52-73; Rudolf S C H I E F F E R , Bischöfliche und monastische Caritas im Mittelalter, S.-138-145. 57 Siehe hier unter anderem Lieux d’hospitalité. Hospices, hôpital, hostellerie, hg. von Alain M O N T A N D O N , Clermont-Ferrand 2001; Hôpitaux et maladreries au Moyen Âge. Espace et environnement (Histoire médiévale et archéologie 17), hg. von Pascal M O N ‐ T A U B I N , Amiens 2004; Formen der Armenfürsorge in hoch- und spätmittelalterlichen Zentren nördlich und südlich der Alpen (Trierer historische Forschungen 66), hg. von Lukas C L E M E N S / Alfred H A V E R K A M P / Romy K U N E R T , Trier 2011; Bernhard S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Eine Geschichte des Helfens und seiner Grenzen, Freiburg/ Basel/ Wien 2017. 58 Statt vieler Titel: Armut im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 58), hg. von Otto Gerhard O E X L E , Ostfildern 2004. Papst Urban II. richtete nach seiner Rückkehr aus Frankreich - am 9. Januar 1097 - eine große Urkunde an die Abtei Cluny 53 . Darin bezeichnete er den Abt und die Mönche mit einem Wort Jesu aus dem Matthäusevangelium (Mt 5,14): Ihr seid das Licht der Welt (vos estis lux mundi) 54 . Die Gemeinschaft von Cluny erstrahle wie eine zweite Sonne auf Erden (ut alter sol enitet in terris), wie Urban-II. hervorhob 55 . V. Verzahnung von Armensorge und Liturgie Seit den Anfängen durchzieht die Sorge um die Armen (pauperes), um die in vielfacher Weise Bedürftigen, die Geschichte des Christentums 56 . Die prakti‐ zierte Nächstenliebe als zentrales christliches Gebot fand institutionelle Gestalt beispielsweise in Hospizen und Hospitälern und wurde ansichtig in Gestalten wie Elisabeth von Thüringen (1207-1231), Vinzenz von Paul (1581-1660) und Mutter Teresa von Kalkutta (1910-1997) 57 . Die Armut war ein ständiger Begleiter der Gesellschaft im Mittelalter; der ra‐ pide Bevölkerungsanstieg ab dem 11. und 12. Jahrhundert - mit der allenthalben voranschreitenden Urbanisierung und dem Wachsen der Städte in Europa - trug zur Verschärfung des Phänomens bei 58 . Eine „staatliche Sozialfürsorge“ gab es noch nicht. Die Not der Armut und der Armen zu lindern blieb in einer wesentlichen Weise monastischen und kirchlichen Einrichtungen, Initiativen 42 Andreas Sohn <?page no="43"?> 59 Joachim W O L L A S C H , Eleemosynarius. Eine Skizze, in: D E R S ., Wege zur Erforschung der Erinnerungskultur (wie Anm. 45), S.-376-397. 60 Joachim W O L L A S C H , Gemeinschaftsbewußtsein und soziale Leistung im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 9 (1975), S. 268-286, zu Cluny ab S. 280; D E R S ., Kon‐ ventsstärke und Armensorge in mittelalterlichen Klöstern. Zeugnisse und Fragen, in: Saeculum 39 (1988), S.-184-199; D E R S ., Les moines et la mémoire des morts, in: Religion et culture autour de l’an mil. Royaume capétien et Lotharingie, hg. von Dominique I O G N A -P R A T / Jean-Charles P I C A R D , Paris 1990, S. 47-54; Dominique I O G N A -P R A T , Les morts dans la comptabilité céleste des Clunisiens de l’an Mil, in: ebd., S. 55-69; Andreas S O H N , Grundzüge der mittelalterlichen Gedenkkultur in Europa. Mit Anmerkungen zur Memoria von Päpsten, Kardinälen, Bischöfen, Äbten und geistlichen Gemeinschaften, in: Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten. Strukturen, Regionen und Salzburgs Beispiel in Mittelalter und Neuzeit (Residenzenforschung 24), hg. von Gerhard A M ‐ M E R E R / Ingonda H A N N E S S C H L Ä G E R / Jan Paul N I E D E R K O R N / Wolfgang W Ü S T , Ostfildern 2010, S. 39-55, hier S. 42-47. Mit weiten Perspektiven zu Memoria und Liturgie: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften 48), hg. von Karl S C H M I D / Joachim W O L L A S C H , München 1984. Sammlungen cluniacensischer Gewohnheiten, welche die Benediktsregel ergänzten, sind neben Chartularen, Urkunden, Statuten, Memorialquellen und anderen Zeugnissen heranzuziehen. Siehe zu den cluniacensischen consuetudines: W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), passim; From Dead of Night to End of Day. The Medieval Customs of Cluny/ Du cœur de la nuit à la fin du jour. Les coutumes clunisiennes au Moyen Âge (Disciplina Monastica 3), hg. von Susan B O Y N T O N / Isabelle C O C H E L I N , Turnhout 2005; Pius E N G E L B E R T , Kassius Hallinger (1911-1991) und das Corpus Consu‐ etudinum Monasticarum, in: S O H N (Hg.), Benediktiner als Historiker (wie Anm. 32), S.-235-242. von Einzelpersonen und Gemeinschaften überlassen, die aus dem christlichen Glauben heraus handelten. Wie wichtig die Sorge für Arme und Bedürftige in Cluny und den abhängigen Klöstern genommen wurde, zeigt das Amt des Eleemosinars, das noch nicht in der Benediktsregel begegnet 59 . Das Wort ist dem Griechischen entlehnt, eleemosyna, und meint mehr, als mit dem deutschen Wort Almosen wiederge‐ geben wird: nämlich die umfassende barmherzige Sorge um Bedürftige. Dieser Amtsträger sollte Brot und Wein für die Armen bereithalten. Die in Cluny und den cluniacensischen Klöstern vielfältig praktizierte Sorge um die Armen hatte verschiedene Anlässe und Formen und war in besonderer Weise mit dem Totengedenken in liturgischen Vollzügen verbunden 60 . Im Folgenden sollen anhand von Beispielen Einblicke in Intensität und Umfang, Art und Organisation dieser Armensorge ermöglicht werden - außerhalb der Zeiten von Hungersnöten, in denen die Mönche zusätzliche Anstrengungen zur Versorgung der pauperes unternahmen. Der Mediävist Joachim Wollasch hat den ‚einfachen Schlüssel‘ für die litur‐ gischen und sozial-karitativen Leistungen, die Cluniacenser ihren verstorbenen Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 43 <?page no="44"?> 61 W O L L A S C H , Konventsstärke und Armensorge in mittelalterlichen Klöstern (wie Anm. 60), S.-193 f. 62 Vgl. ebd., S.-194. 63 Vgl. K O H N L E , Abt Hugo von Cluny (wie Anm. 44), S.-242 f. 64 Johannes R A M A C K E R S , Analekten zur Geschichte des Reformpapsttums und der Cluni‐ azenser, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 23 (1931/ 32), S.-22-52, hier S.-49-52. 65 Ebd., S. 51. Zur Dependenz (damals) in der Diözese Besançon: Paul S É J O U R N É , Baume-les-Messieurs, in: DHGE 6 (1932) Sp. 1464-1468. 66 R A M A C K E R S , Analekten (wie Anm. 64), S.-51. 67 Ebd. Mitbrüdern zuwendeten, prägnant angegeben: „Starb ein Bruder, so erhielt dessen freigewordene tägliche Essens- und Getränkeration, die praebenda, ein Armer, der sie im Gedenken an den Toten empfangen sollte. Diese Armenspei‐ sung erfolgte am Todestag eines Mönchs, die 30 Tage, die auf den Todestag folgten, und bei jeder Wiederkehr des Todestages“ 61 . Beim Tode eines Abtes von Cluny fielen die liturgischen Gedenkleistungen und sozial-karitativen Dienste noch umfangreicher aus 62 . Besondere Anniver‐ sarstiftungen konnten das allgemein vorgesehene Totengedenken für einen Abt von Cluny ergänzen 63 . Petrus Venerabilis, welcher die burgundische Abtei von 1122 bis 1156 leitete, vollzog am 1. Januar 1151 eine Stiftung für seine Memoria 64 . Vom Prior der Dependenz in Baume-les-Messieurs sollte nach der Anordnung des Abtes das Nötige geliefert werden, damit an dessen Todestag ein Essen den Mitbrüdern im Refektorium und in der Krankenabteilung von Cluny gereicht würde: bestehend aus gutem Brot und Bohnen, gutem Wein, besten und größten Fischen oder anderem, was der Jahreszeit entspräche (de bono pane et fabis, vino bono, optimis et magnis piscibus vel si congruum tempus fuerit) 65 . Die Kranken sollten in üp‐ piger Weise Fleisch erhalten, wie eigens vermerkt wurde (quantum ad infirmos splendide de carnibus) 66 . In besonderer Weise bedachte Abt Petrus Venerabilis die Armen: An seinem Todestag - jährlich, wie zuvor schon bei den anderen Bestimmungen angegeben - sollten 100 Arme mit Brot, Wein und Fleisch gespeist werden (eadem die centum pauperes de pane, vino et carnibus); fiele das Totengedenken auf einen öffentlich Fastentag, wären die Armen mit den dieser Zeit angemessenen Nahrungsmitteln sehr reichlich zu versorgen (publicae abstinentiae diebus de cibis tempori competentibus plenissime reficiantur) 67 . Zu Lebzeiten des Abtes wurde diese refectio - ohne irgendeine Verringerung im Umfang für die Mitbrüder und die Armen (absque aliqua imminutione fratribus et pauperibus) - auf die Vigil des Weihetages der dritten Klosterkirche festgelegt, 44 Andreas Sohn <?page no="45"?> 68 Ebd. 69 Ebd., S.-52. 70 W O L L A S C H , Konventsstärke und Armensorge in mittelalterlichen Klöstern (wie Anm. 60), S.-196. 71 Udalricus Cluniacensis monachus, Antiquiores consuetudines Cluniacensis monasterii, in: Patrologia Latina 149, hg. von Jacques-Paul M I G N E , Paris 1853, Sp. 635-778, hier Sp. 753: […] illi qui pauperes recensuerunt testati sunt septemdecim millia fuisse, quibus et in Christi nomine ducenti quinquaginta baccones divisi sunt. Siehe zu Ulrich von Zell (oder von Cluny): Barbara H E N Z E , Ulrich von Zell, in: LThK 10 ( 3 2001), Sp. 360; ferner Burkhardt T U T S C H , Studien zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines Ulrichs von Cluny (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 6), Münster 1998. also auf den 24. Oktober 68 . Der Text dieser Bestimmungen zum Seelenheil des Abtes (pro anima mea) wurde im Kapitelssaal von Cluny vorgelesen, alle anwesenden Mitbrüder bejahten und bestätigten diese 69 . Ständig zu versorgen waren in Cluny 12 Arme 70 - eine heilige Zahl, man denke nur an die 12 Apostel und die 12 Stämme Israels. Diese ortsansässigen Armen wurden auch als praebendarii bezeichnet, nach der praebenda, der täglichen Ration eines Mönches, die auch ihnen zustand. Die Armensorge wurde an Hochfesten des Kirchenjahres intensiviert und stärker akzentuiert. Dies galt in besonderer Weise für die Karwoche, die Fasten‐ zeit beschließend und dem Höhepunkt des Kirchenjahres, Ostern, dem Fest der Auferstehung Jesu Christi, vorangehend. Von einem Beginn der Fastenzeit, also von einem Aschermittwoch, wusste übrigens Ulrich von Zell (1029-1093) in seinen überlieferten, nach 1079 entstandenen cluniacensischen Consuetudines, die er auf Bitten des Abtes Wilhelm von Hirsau (1069-1091) verfasst hatte, zu berichten, dass 250 geräucherte Speckseiten Armen in Cluny gereicht worden waren, und zwar 17.000 an der Zahl 71 . Wie stark Armensorge und Liturgie bei den Cluniacensern miteinander verzahnt waren, wurde am augenfälligsten und deutlichsten, wenn der Grün‐ donnerstag - nach dem Vorbild der biblischen Abendmahlsszene gestaltet - begangen wurde. Gemäß dem Johannesevangelium im Neuen Testament hatte Jesus Christus seinen Jüngern die Füße gewaschen ( Joh 13,1-20). Von ihm erhielten sie einen neuen Auftrag ( Joh 13,34-35), lateinisch mandatum: Einen neuen Auftrag gebe ich Euch, dass Ihr einander liebt, wie ich Euch geliebt habe, so sollt auch Ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass Ihr meine Jünger seid, wenn Ihr einander liebt. Die Fußwaschung wurde daher als mandatum Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 45 <?page no="46"?> 72 Bernhard K Ö T T I N G , Fußwaschung, in: Reallexikon für Antike und Christentum 8 (1972), Sp. 743-777, im Christentum und Mönchtum ab Sp. 759. Siehe ferner Thomas S C H Ä F E R , Die Fußwaschung im monastischen Brauchtum und in der lateinischen Liturgie. Liturgiegeschichtliche Untersuchung (Texte und Arbeiten. Abteilung 1, Beiträge zur Ergründung des älteren lateinischen christlichen Schrifttums und Gottesdienstes 47), Beuron 1956. 73 Zur Fußwaschung in Cluny, zu den Riten und den damit verbundenen sozial-karitativen Leistungen: Eliana M A G N A N I S O A R E S , Le pauvre, le Christ et le moine: la correspondance de rôles et les cérémonies du mandatum à travers les coutumiers clunisiens du XI e siècle, in: Les clercs, les fidèles et les saints en Bourgogne médiévale (XI e -XV e siècles), hg. von Vincent T A B B A G H , Dijon 2005, S.-11-26. 74 W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S.-118 f. 75 R A M A C K E R S , Analekten (wie Anm. 64), 47 f. (Zitat S. 47). Gleichfalls ediert (ohne wesent‐ liche Unterschiede) von Herbert Edward John C O W D R E Y , Two Studies in Cluniac History 1049-1126, in: Studi Gregoriani 11 (1978), S. 5-298, hier S. 166-168 (Zitat entsprechend S. 167). Wann die Anordnung Hugos von Cluny in seinem Abbatiat (1049-1109) erfolgte, lässt sich bislang nicht angeben (vgl. ebd.). 76 R A M A C K E R S , Analekten (wie Anm. 64), S.-47. 77 Ebd., S. 47 f. Siehe auch Udalricus Cluniacensis monachus, Antiquiores consuetudines Cluniacensis monasterii (wie Anm. 71), Sp. 673; Bernardus, Ordo Cluniacensis, in: Vetus bezeichnet 72 . Diese wurde am Gründonnerstag an allen Armen, die in Cluny waren oder dort vorbeikamen, vollzogen 73 . Interessanterweise gab es in Cluny vor der eigentlichen Festmesse einen Gottesdienst, an dem alle Armen teilnehmen sollten 74 . Diese Messe war übervoll. Die Armen erhielten von der Abtei Wein und Nahrung sowie Geld zur Wegzeh‐ rung. An Pfingsten, einem hohen Kirchenfest 50 Tage nach Ostern, kam es zu einer weiteren Akzentuierung in Liturgie und Armensorge. Mit dem Pfingstsonntag, an welchem der Aussendung des Heiligen Geistes und der Konstituierung der Kirche gedacht wurde (und wird), war für die Mönche die Erinnerung an die Lebensweise der Jerusalemer Urkirche verbunden. Abt Hugo von Cluny setzte fest, am Pfingstsonntag (in die sancto Pentecosten) den Armen in reichlichem Umfang Brot, Wein und Fleisch (abundans refectio […] de pane, vino et carne) zu reichen - dessen Genuss war den Mönchen selbst verboten 75 . Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Zahl der zu versorgenden Armen derjenigen der zu Pfingsten im Refektorium anwesenden Mönche entsprechen sollte (quantus in ipsa festivitate fuerit numerus fratrum, tot etiam pauperes reficiantur) 76 . Zugleich ordnete Abt Hugo von Cluny an, am Montag nach der Pfingstoktav, dem Sonntag Trinitatis (Dreifaltigkeitssonntag), aller zu gedenken, die auf den Friedhöfen der Cluniacenser bestattet waren. Die Priestermönche sollten die Messe Deus, cuius miseratione feiern, die übrigen Mönche sollten sieben Bußpsalmen singen, und 12 Arme sollten gespeist werden 77 . Was von dem 46 Andreas Sohn <?page no="47"?> Disciplina Monastica, hg. von Marquard H E R R G O T T , Paris 1726, S. 133-364, hier S. 334. Der Mönch Bernhard hat seine Fassung der cluniacensischen Gewohnheiten vermutlich in den 70er Jahren des 11. Jahrhunderts in der Abtei Cluny niedergeschrieben. Siehe W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), ad indicem. 78 R A M A C K E R S , Analekten (wie Anm. 64), S.-48. 79 Liber tramitis aevi Odilonis abbatis (Corpus Consuetudinum Monasticarum 10), hg. von Peter D I N T E R , Siegburg 1980, S. 199, siehe auch S. 186 f. Es handelt sich beim Liber tramitis um eine in mehreren Textstufen entstandene Fassung cluniacensischer Gewohnheiten aus dem Abbatiat Odilos. Zum Fest Allerseelen: Theodor S C H N I T Z L E R , Allerseelen, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980), Sp. 428; Balthasar F I S C H E R / Walter H A R T I N G E R , Allerseelen, in: LThK 1 ( 3 1993), Sp. 407 f. Eine eingehende Untersuchung und Darstellung des Festes im Kirchenjahr von Jürgen B Ä R S C H , Allerseelen. Studien zu Liturgie und Brauchtum eines Totengedenktages in der abendländischen Kirche (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 90), Münster 2004, zur Entstehung der Feier von Allerseelen und zu Cluny S. 64-135 (mit den entsprechenden Hinweisen zur Quellenlage). 80 Vgl. zur Datierung B Ä R S C H , Allerseelen (wie Anm. 79), S.-107-109. 81 Liber tramitis (wie Anm. 79), S.-199. 82 Ebd. 83 Ebd. Essen im Refektorium übrig blieb, wurde der Armenversorgung (elemosinae) zugewiesen 78 . Wo monastische Niederlassungen nur zwei oder drei Mönche zählten, sollte die Zahl der Armenspeisungen entsprechend sein. Eine Steigerung und eine spezifisch cluniacensische Ausweitung erfuhr das Totengedenken im November eines jeden Jahres. Abt Odilo von Cluny (994-1049) hat während seines Abbatiats - mit Zustimmung und auf Bitten aller seiner Mitbrüder (cum consensu et rogatu omnium fratrum Cluniacensium) - verfügt, am Tag nach Allerheiligen, also am 2. November, in festlicher Weise des Festes Allerseelen (Commemoratio Omnium Fidelium Defunctorum) zu gedenken 79 . Wann dieses Fest von ihm eingeführt beziehungsweise das erste Mal in Cluny begangen worden ist, lässt sich bislang nicht genau bestimmen 80 . Wie schon die Klostergründung dem Seelenheil aller verstorbenen und lebenden Christen dienen sollte, so galt das neue Fest allen Toten - nicht nur den eigenen Mönchen. Dieses sollte in der Abtei Cluny und allen Dependenzen gefeiert werden (tam in hoc loco quam in cunctis locis ad istum locum pertinentibus) 81 . Es umfasste ein Totenoffizium, eine Messfeier und eine Armenspeisung für die 12 wohl ortsansässigen praebendarii und alle pauperes, die sich damals einfanden 82 . Nach dem Kapitel sollten der Dekan und der Cellerar eine Speisung allen Armen gewähren, welche des Weges daherkamen (refectionem tribuant omnibus supervenientibus pauperibus), so wie es bereits Sitte am Gründonnerstag war (sicut mos est agi in Caena Domini) 83 . Vom cluniacensischen Klösterverband Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 47 <?page no="48"?> 84 Vgl. zur Ausbreitung des Allerseelenfestes B Ä R S C H , Allerseelen (wie Anm. 79), S. 132 ff., in der römischen Kirche S. 133 f. (die Datierung hängt danach vom Aufkommen der Festbezeichnung beziehungsweise der liturgischen Ausführungsbestimmungen ab). 85 Vgl. W O L L A S C H , Toten- und Armensorge (wie Anm. 45), S. 367-371; Arnold A N G E N E N D T , Charisma und Eucharistie - oder: Das System Cluny, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. von Franz J. F E L T E N / Annette K E H N E L / Stefan W E I N F U R T E R , Köln/ Weimar/ Wien 2009, S. 331-339. Die hierin angekün‐ digte, weit ausgreifende Darstellung zum Messopfer im Mittelalter erschien vier Jahre später: Arnold A N G E N E N D T , Offertorium. Das mittelalterliche Messopfer (Liturgiewis‐ senschaftliche Quellen und Forschungen 101), Münster 2013, zu Cluny S.-286-292. 86 Dietrich P O E C K , Laienbegräbnisse in Cluny, in: Frühmittelalterliche Studien 15 (1981), S.-68-179. 87 Siehe über Cluny hinausreichend: Joachim W O L L A S C H , Die mittelalterliche Lebensform der Verbrüderung, in: Wege zur Erforschung der Erinnerungskultur, hg. von D E M S . (wie Anm. 45), S.-307-328. 88 Andreas S O H N , Von der Residenz zur Hauptstadt. Paris im hohen Mittelalter, Ostfildern 2012. aus setzte sich das neue Fest allmählich durch und wurde ab dem 13. oder 14.-Jahrhundert auch in der römischen Kirche gefeiert 84 . Die Abtei Cluny - und mit ihr alle Klöster, die rechtlich zu ihr gehörten - standen im Ruf, mit ihrem monastischen Leben und dem Totengedenken, das mit sozial-karitativen Diensten verbunden war, auf sehr wirksame Weise dazu beizutragen, den Verstorbenen im Feuer der Läuterung („Fegefeuer“) Erleichterung zu verschaffen und ihnen den Weg zum ewigen Heil zu ebnen 85 . Dies führte auch zum vielfachen Wunsch, in Cluny bestattet zu werden 86 . Die schichtenübergreifende Anziehungskraft übten cluniacensische Klöster auf Könige und Dynastien, Adel und Bürgertum, Kaufleute und Handwerker, Kleriker und Laien aus. Es kam überaus häufig zu im Kapitelssaal abgeschlos‐ senen Gebetsverbrüderungen (in Form von societas et fraternitas), worin materi‐ elle Gaben und monastische Gegenleistungen wie Gebete, Messen, Armenspei‐ sungen und anderes fixiert wurden 87 . Anhand der Memorialüberlieferung aus dem blühenden Priorat Saint-Martin-des-Champs, seit 1079 der Cluniacensis Ecclesia zugehörig, lässt sich dieses verfolgen und zugleich beobachten, wie Stiftungen und Schenkungen miteinander konkurrierender kapetingischer und englischer Könige - wohlgemerkt in Paris, das zur Hauptstadt des französischen Königreiches aufstieg 88 - demselben Kloster zukommen ließen, um der memoria 48 Andreas Sohn <?page no="49"?> 89 D E R S ., Die Kapetinger (wie Anm. 52), hier besonders ab S. 93; siehe zu Saint-Martin-des-Champs auch D E R S ., Vom Kanonikerstift zum Kloster und Kloster‐ verband. Saint-Martin-des-Champs in Paris, in: Vom Kloster zum Klosterverband. Das Werkzeug der Schriftlichkeit. Akten des Internationalen Kolloquiums des Projekts L 2 im SFB 231 (22.-23. Februar 1996) (Münstersche Mittelalter-Schriften 74), hg. von Hagen K E L L E R / Franz N E I S K E , München 1997, S. 206-238; Beobachtungen zu memoria und caritas vornehmlich im späten Mittelalter bei Jörg O B E R S T E , Die Geburt der Metropole. Städtische Räume und soziale Praktiken im mittelalterlichen Paris (Forum Mittelalter. Studien 12), Regensburg 2018, S.-230-242. 90 Synopse der cluniacensischen Necrologien (Münstersche Mittelalter-Schriften 39,1-2), hg. von Joachim W O L L A S C H unter Mitwirkung von Wolf-Dieter H E I M , Joachim M E H N E , Franz N E I S K E und Dietrich P O E C K , München 1982. Siehe auch Joachim W O L L A S C H , Les obituaires, témoins de la vie clunisienne, in: Cahiers de civilisation médiévale 22 (1979), S. 139-171; Dietrich P O E C K , La synopse des nécrologes clunisiens. Un instrument de recherche, in: Revue Mabillon 60 (1981-1984), S. 315-329; Jean-Loup L E M A I T R E , La commémoration des defunts et les obituaires dans l’occident chrétien, in: Revue d’histoire de l’Église de France 71 (1985), S. 131-145; D E R S ., De Léopold Delisle à Joachim Wollasch. 150 ans de travaux et de recherches sur les nécrologes et les obituaires, in: Wege der Erinnerung im und an das Mittelalter. Festschrift für Joachim Wollasch zum 80. Geburtstag (Aufbrüche. Interkulturelle Perspektiven auf Geschichte, Politik und Religion 3), hg. von Andreas S O H N , Bochum 2011, S. 3-17; Jean-Loup L E M A I T R E , Precamur fraternitatem vestram. Autour des livres, du nécrologe au martyrologe. Choix d’articles publiés de 1984 à 2009 (École pratique des Hautes Études. Sciences historiques et philologiques V, Hautes Études médiévales et modernes 112), Textauswahl von Patrick H E N R I E T , Genf 2019. 91 Synopse der cluniacensischen Necrologien (wie Anm. 90), Bd. 2, S. 677 (LEMO I, II); auch im dritten Necrolog aus der Martialisabtei verzeichnet: Bibliothèque nationale de France, Paris, ms. lat. 5.245, fol. 161v° (LEMO III). - S O H N , Der Abbatiat Ademars (wie Anm. 11), S.-203, 212 und 311. der cluniacensischen Mönche teilhaftig zu werden, auch mit den Zuwendungen an die Armen 89 . In der cluniacensischen Memorialüberlieferung finden sich Spuren eines europaweiten Beziehungsnetzes. Nach den erhaltenen Totenbüchern, Necrolo‐ gien genannt, die in Kapiteloffiziumsbüchern überliefert sind und auf Heili‐ genfestkalender oder Martyrologien folgen, - leider ist dasjenige aus Cluny verlorengegangen - sind rund 48.000 Personen eingetragen (insgesamt mehr als 90.000 Namen verzeichnet) 90 . Am 4. Dezember ist dort beispielsweise unter den familiares Osmundus episcopus eingetragen, der als Bischof Osmund von Salisbury (1078-1099) zu identifizieren ist 91 . Dieser Oberhirte aus England ist wohl im Verlauf einer Wallfahrt nach Limoges gekommen. Interessanterweise stieg die Martialisabtei mit dem Grab des namengebenden Heiligen aus dem dritten Jahrhundert zu einem Pilgerort auf, der bis nach Italien ausstrahlte. Damit ging das Bemühen von Mönchen einher, aus dem Gründerbischof des Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 49 <?page no="50"?> 92 Zur Hagiographie und Verehrung von Martialis in der nach ihm benannten Abtei und im Limousin: S O H N , Der Abbatiat Ademars (wie Anm. 11), passim. 93 Ebd., S.-286 f. 94 Bibliothèque nationale de France, Paris, ms. latin 5.257, fol. 69v°. Ein Facsimile in Prosopographie als Sozialgeschichte? Methoden personengeschichtlicher Erforschung des Mittelalters, Sektionsbeiträge zum 32. Deutschen Historikertag Hamburg 1978, München 1978, Abb. 4. Mit der Anlage des Necrologs wurde im Frühjahr oder Sommer des Jahres 1065 oder 1066 begonnen; jenes wurde zumindest bis zum 23. November 1115 benutzt (S O H N , Der Abbatiat Ademars [wie Anm. 11], S.-124 f.). 95 Bibliothèque nationale de France, Paris, ms. latin 5.257, fol. 69v°. 96 Zu den consuetudines helemosinaris beati Martialis: S O H N , Der Abbatiat Ademars (wie Anm. 11), S.-222-227. 97 Die beiden Chartulare des Almoseninstituts, die in den Archives départementales de la Haute-Vienne in Limoges aufbewahrt werden, liegen ediert vor: Premier et second cartulaires de l’aumônerie de S. Martial, hg. von Alfred L E R O U X , in: Documents historiques bas-latins, provençaux et français concernant principalement la Marche et Bistums Limoges einen Apostel zur Zeit Jesu zu machen 92 . Die römische Kirche hat sich diesen Bemühungen verweigert und im 19. Jahrhundert nur zugelassen, dass Martialis wie ein Apostel, aber nicht als Apostel verehrt werden darf - so nach dem Dekret des Papstes Pius IX. vom 18. Mai 1854 93 . In der Handschrift der Abtei Saint-Martial de Limoges, worin das ältesterhal‐ tene Necrolog des Konvents überliefert ist, findet sich der folgende Vertragstext, der sich auf eine Gebetsverbrüderung zwischen diesem und süditalienischen Pilgern aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert bezieht: Quidam nobiles viri a partibus Sicilie et Calabrie oracionis causa venientes ad beatum Marcialem karitative suscepti sunt a domno Ademaro abbate concessitque eis huius loci beneficium omne, qui etiam nomina sua in hoc libro scribi petierunt, ut cum eorum obitum fratres huius loci audierunt aliquod beneficium pro animabus eorum persolvant 94 . Es folgen die Namen der Pilger aus Sizilien und Kalabrien, die von Abt Ademar (1063-1114), dem ersten Cluniacenser auf dem Abtsstuhl nach der traditio des Klosters an Cluny, aufgenommen worden sind: Aquinus Brito, Gilduinus et Elorinus filii eius, Adalaidis uxor eius, Anfridus de Brecei et Beatrix uxor eius, Bernardus comes, Mabilia uxor eius, Guoscellinus del Manei, Ema uxor eius, Estormilus 95 . Es ist noch nicht möglich, diese Personen zu identifizieren. Ein eigenes Urkundenbuch für das Almoseninstitut, die Aumônerie, in Saint-Martial de Limoges führte ein Mönch der Abtei, der eleemosynarius 96 . Er war der Almosen- oder Armenpfleger. Das älteste Chartular der Aumônerie hatte der erste cluniacensische Abt des Martialisklosters, Ademar (1063-1114), anlegen lassen; das zweite Chartular, dessen Anlage vermutlich in den 80er Jahren des 11. Jahrhunderts anzusetzen ist, wurde bis zum Tode Ademars benutzt 97 . 50 Andreas Sohn <?page no="51"?> le Limousin 2, hg. von D E M S ./ Emile M O L I N I E R / Antoine T H O M A S , Limoges 1885, S. 1-25. Siehe zu beiden Chartularen S O H N , Der Abbatiat Ademars (wie Anm. 11), S.-213-217. 98 Siehe die Reformstatuten des Abtes Petrus Venerabilis von 1146/ 47 (Statuta Petri Vene‐ rabilis Abbatis Cluniacensis) in der Edition von Giles C O N S T A B L E (Hg.), Consuetudines Benedictinae variae (Saec. XI - Saec. XIV) (Corpus Consuetudinum Monasticarum 6), Siegburg 1975, S. 66: Statutum est, ut defunctis fratribus nostris, universis scilicet professis, die anniversarii quo recitari nomina eorum a lectore, sicuti mos est in capitulo, solent, quinquaginta praebendae dentur, tali conditione, ut sive plura sint, sive minus, quam quinquaginta, ultra numerum iam dictum nec augeantur praebendae nec minuantur. Dies bezog sich also auf das Anniversargedenken der verstorbenen cluniacensischen Mönche. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Zahl der 50 praebendae nicht unter‐ schritten werden soll. Zur Begründung der Maßnahme ebd., S. 67. Hinsichtlich der Reformmaßnahmen von Petrus Venerabilis: W O L L A S C H , Les obituaires (wie Anm. 90), S. 161-166; D E R S ., Cluny - „Licht der Welt“ (wie Anm. 31), S. 115, 209 f. und 234-241. - Die wirtschaftliche und finanzielle Notlage Clunys hatten weitere Faktoren verschärft: „Der Bau der größten Kirche des damaligen Abendlandes, Probleme der Umstellung von der Agrarzur Finanzwirtschaft, die Inanspruchnahme für die päpstliche Kammer und noch manche Gründe wirkten hier zusammen.“ (W O L L A S C H , Toten- und Armensorge [wie Anm. 45], S.-370). 99 Jutta Maria B E R G E R , Die Geschichte der Gastfreundschaft im hochmittelalterlichen Mönchtum. Die Cistercienser, Berlin 1999. Doch Cluny konnte das so gesteigerte System von Armensorge und liturgi‐ schen Diensten nicht aufrechterhalten. Zu schwer wogen die gewaltigen, stetig wachsenden finanziellen Lasten. Diese drohten, die burgundische Abtei und die membra ihres Klösterverbandes in den Ruin zu treiben. Abt Petrus Venerabilis begrenzte deshalb vor der Mitte des 12. Jahrhunderts die Armenspeisungen auf maximal 50 pro Tag 98 . Multipliziert mit 365, macht dies 18.250 Armenspeisungen aus - immer noch eine beträchtliche Zahl. Der Reformorden der Zisterzienser, die ebenfalls nach der Benediktsregel lebten, diese um die Charta caritatis ergänzten und eine neue zentralistische Ordensstruktur im 12. Jahrhundert aufbauten, beschritt seit den Anfängen andere Wege als die Cluniacenser in Totengedenken und sozial-karitativen Diensten 99 . So kam es diesbezüglich bei den Zisterziensern von vornherein nicht zu ähnlich gearteten finanziellen und wirtschaftlichen Krisenlagen. VI. Schlussbemerkungen Wer der Gastfreundschaft in der Geschichte des Christentums nachspürt, findet vielfältige Ausdrucksformen im Leben des Mönchtums - hier am Beispiel des cluniacensischen Reformmönchtums näher dargelegt. Die Frage nach der Gast‐ freundschaft hat nichts an Aktualität eingebüßt, wie die lebhaften Diskussionen um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika und dem Orient und anderen Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern 51 <?page no="52"?> 100 Walter Kardinal K A S P E R , Papst Franziskus - Revolution der Zärtlichkeit und der Liebe. Theologische Wurzeln und pastorale Perspektiven, Stuttgart 2015, hier ist das fünfte Kapitel (S.-45-52) überschrieben: „Barmherzigkeit - Schlüsselwort des Pontifikats“. 101 Einem solchen Diskurs könnte auch dienlich sein: Benediktiner als Bischöfe, hg. von Andreas S O H N , (Drucklegung in Vorbereitung). Es handelt sich um die Akten der gleichnamigen Tagung, die vom 27. bis 29. Oktober 2021 in der Salzburger Erzabtei Sankt Peter stattgefunden hat. 102 W O L L A S C H , Cluny - „Licht der Welt (wie Anm. 31), ad indicem. Siehe ferner Rombaut V A N D O R E N , Charité-sur-Loire, in: DHGE 12 (1953), Sp. 419-421; Robert-Henri B A U T I E R , La Charité-sur-Loire, in: Lexikon des Mittelalters 2 (1983), Sp. 1724-1726; K O H N L E , Abt Hugo von Cluny (wie Anm. 44), S.-176 f. 103 B A U T I E R , La Charité-sur-Loire (wie Anm. 102), Sp. 1726, siehe auch Sp. 1725 („Die Tradition, welche Paschalis die Weihe der neuen Kirche zuschreibt, ist irrig! “). Teilen der Welt in Europa zeigen. Mit dem Wort der Barmherzigkeit ist das ‚Schlüsselwort des Pontifikats‘ von Franziskus genannt, der seine spezifischen, vornehmlich in Lateinamerika gemachten Erfahrungen als Jesuit, Erzbischof von Buenos Aires und Kardinal in sein Amt als Papst einbringt und die theologi‐ schen und pastoralen Perspektiven seines Vorgängers Benedikt XVI. (2005-2013) - wie in dessen Enzyklika Deus caritas est aus dem Jahre 2005 - erweitert und um eigene Akzentsetzungen in seinem konkreten Wirken an der Spitze der Welt‐ kirche ergänzt 100 . Mit dem semantischen Beziehungsfeld von Barmherzigkeit und Gastfreundschaft ließen sich weiterführende Reflexionen und Perspektiven im Rekurs auf das Reformmönchtum benediktinischer bzw. cluniacensischer Provenienz verbinden, um bischöfliches und päpstliches Agieren zu erhellen und in den jeweiligen Zeitläuften auszurichten 101 . Welchen Stellenwert die caritas in Cluny und im cluniacensischen Klöster‐ verband der burgundischen Abtei besaß, zeigt eindrücklich an, dass das seit 1059 bestehende Kloster der Cluniacenser am Ufer der Loire, bei Nevers in der Diözese Auxerre gelegen, nach dem christlichen Liebesdienst der caritas benannt worden ist: La Charité-sur-Loire, Caritas ad Ligerim 102 . Dort kamen Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela vorbei und hofften wohl auf Aufnahme oder Pflege. Das als ‚die älteste Tochter Clunys‘ geltende Kloster, das in der Mitte des 12. Jahrhunderts etwa 200 Mönche zählte und zu dem mehr als 50 Priorate in Frankreich, England, Italien und auf der Iberischen Halbinsel gehörten, wurde im Jahre 1790 aufgehoben. Papst Paschalis II. weihte 1107 den Altar des um 1150 vollendeten Gotteshauses, das, „nächst Cluny III, die größte romanische Kirche in Europa (Länge: 132 m; Breite 27 m Hauptschiff/ 37m Querschiffe, Turmhöhe: 67-m) war“ 103 . Die genannten cluniacensischen Klöster, die zum bedeutenden monastischen Kulturerbe Europas gehören, bestehen nicht mehr. Doch die Erinnerung an 52 Andreas Sohn <?page no="53"?> Cluny, an die Cluniacensis Ecclesia wie an den Ordo Cluniacensis, lebt weiter - im kollektiven Gedächtnis Frankreichs und Europas. Quellen- und Literaturverzeichnis Christian A L B R E C H T , Taizé, in: Erinnerungsorte des Christentums, hg. von Christoph M A R K S C H I E S / Hubert W O L F , München 2010, S.-380-394. Arnold A N G E N E N D T , Charisma und Eucharistie - oder: Das System Cluny, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. von Franz J. F E L T E N / Annette K E H N E L / Stefan W E I N F U R T E R , Köln/ Weimar/ Wien 2009, S.-331-339. Arnold A N G E N E N D T , Offertorium. Das mittelalterliche Messopfer (Liturgiewissenschaft‐ liche Quellen und Forschungen 101), Münster 2013. Les plus anciens documents originaux de l’abbaye de Cluny 1 (Monumenta Palaeogra‐ phica Medii Aevi, Series Gallica), hg. von Hartmut A T S M A / Jean V E Z I N , Turnhout 1997. Christoph A U F F A R T H / Arnold S T I G L M A I R / Günter V I R T / Rolf Z E R F A S S , Gastfreundschaft, in: Lexikon für Theologie und Kirche 4 ( 3 1995), Sp. 299-301. Ausstellungskatalog: Glaube und Politik. Konrad Adenauer und die Abtei Maria Laach, Maria Laach 2019. Jürgen B Ä R S C H , Allerseelen. 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In diesen Versen des bekannten, zuerst im 15. Jahrhundert bezeugten San‐ tiago-Pilgerliedes 1 sind in knapper Form wesentliche Bestandteile der Vorberei‐ tung auf eine Reise zusammengestellt: Die Kleidung (ein breitkrempiger Hut, ein Ledermantel, zwei Paar Schuhe, das alles in solider Qualität, damit weder Schnee, Regen noch Sturm dem Reisenden etwas anhaben können), weiterhin die für die Selbstversorgung und - wenn nötig - Selbstverteidigung erforderli‐ chen Ausrüstungsgegenstände (ein Vorratssack, eine Schüssel, eine Flasche, ein <?page no="62"?> 2 Siehe die Textausgabe: Klaus H E R B E R S / Robert P L Ö T Z (Hg.), Die Strass zu Sankt Jakob. Der älteste deutsche Pilgerführer nach Compostela, Ostfildern 2004 (Faksimile des ältesten Frühdruckes mit Übersetzung und Kommentar). An Reisevorbereitungen erwähnt Künig nur, dass man vor dem Aufbruch Gott und Maria um Hilfe auf dem Wege bitten und dass man römische Gnade und Ablaß erwerben solle, damit man vor den Qualen der Hölle verschont werde (Verse 19-25). langer Stab). Nur kurz und geradezu ‚pragmatisch‘ wird die geistig-geistliche Vorbereitung angesprochen: Der Reisende soll darauf achten, dass er die Beichte abgelegt und die ihm zudikierte Buße geleistet hat; im Welschland werde er keinen Priester finden, dem er sich in Todesnot verständlich machen und so die Gefahr eines unbereiteten, das eigene Seelenheil aufs Spiel setzenden Todes vermeiden könne - damit ist dann auch schon die Sprachbzw. Kommunikati‐ onsproblematik einer Fernreise artikuliert. Die oben zitierten Strophen des Liedes, das im 15. und 16.-Jahrhundert wohl häufig und vielleicht auch auf dem Wege zum Grab des heiligen Apostels Jakobus im fernen Santiago de Compostela gesungen wurde, enthalten so in knapper Form wesentliche Elemente der Vorbereitungen, die im Spätmittelalter für eine längere, in weit entfernte Länder gerichtete Reise zu treffen waren. Das hohe Maß an Gefährdung von Leib und Leben, dem sich der Reisende aussetzte, machte es nötig, für die Bewahrung des eigenen Seelenheiles die nötigen Vorkehrungen zu treffen; hinzu traten die materiellen Vorbereitungen, so z. B. die Anschaffung stabiler Reisekleidung. Knapp, wie die eingangs zitierten Verse sind, lassen sie natürlich vieles außer Acht: Wir erfahren nichts darüber, ob der Pilger vor der Abreise sein Testament machen sollte, ob er sich um Anschluss an eine Reisegesellschaft bemühen oder zur Vorbereitung einen Pilgerführer lesen sollte, wie etwa die seit 1495 mehrfach gedruckte Broschüre des Hermann Künig von Vach mit dem Titel: Die walfart und straß zu sant Jacob 2 . Gleichwohl: Zentrale Elemente spätmittelalterlicher Reisevorbereitung führt das Pilgerlied auf - weitere, die man leicht hinzufügen könnte, waren vielfach abhängig vom Stand des Reisenden und von seinem Ziel. Was nun bieten die deutschen Pilgerberichte des 15. und frühen 16. Jahr‐ hunderts über die Reisevorbereitungen? Die Erwartungen, die ich in Bezug auf eine mehr oder minder ausführliche Darstellung der Vorbereitungen auf die jeweilige Pilgerfahrt hegte, wurden bei einer ersten Durchsicht der Texte zunächst rundweg enttäuscht: Weder Wilhelm von Boldensele 1336 noch - im gleichen Jahr - Odorico von Pordenone, weder Sebastian Ilsung 1446 noch Georg von Ehingen 1459, weder Gabriel Tetzel noch Šašek 1467, weder Friedrich Steigerwallder noch Ulrich Brunner 1470, weder Bernhard von Brei‐ denbach 1483 noch Konrad Grünemberg 1486, weder Heinrich von Zedlitz 1493 62 Volker Honemann (†) <?page no="63"?> 3 Siehe allgemein Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, hg. von Werner P A R A V I C I N I . Teil 1: Deutsche Reiseberichte, bearb. von Christian Halm, Frankfurt a.-M. u.-a. 1994. 4 Zitiert nach Volker H O N E M A N N , Sebastian Ilsung als Spanienreisender und Santiago‐ pilger (mit Textedition), in: Jakobus-Studien 1, Tübingen 1988, S. 61-95, hier S. 82. Die Vorbemerkung (S. 81 f.) äußert sich zu Reiseziel, Begleiter (reitender Bote des Herzogs von Savoyen), zu er und zucht, die Ilsung unterwegs zuteilwurden, zur Beschränkung auf das Wesentliche im folgenden Bericht (es wuerd sonst zu lanng), zur Wahrheit des im folgenden Text samt seinen Bildern Dargestellten, schließlich zu Reisejahr (1446) und Dauer (1/ 2 Jahr). 5 Zitiert nach Werner K R E U E R (Bearb.), Tagebuch der Heilig Land-Reise des Grafen Gaudenz von Kirchberg, Vogt von Matsch/ Südtirol im Jahre 1470. Bearbeitung und Kommentierung des von seinem Diener Friderich Steigerwallder verfaßten Reisebe‐ richts (Essener Geographische Arbeiten 20), Paderborn 1990, S. 78 f. Knapp 100 Jahre zuvor, im Jahre 1385, fuhr Lorenz Egen von Venedig ins Heilige Land. Auch sein Bericht über seine Pilgerreise setzt unvermittelt und ohne Erwähnung von Reisevorbereitungen mit der Abfahrt aus Venedig ein. noch Hans Schürpff 1497 bringen am Anfang ihrer Pilgerreiseberichte bzw. Reiseführer irgendwelche Informationen über materielle oder geistig-geistliche Vorbereitungen, die sie vor ihrem Aufbruch ins Heilige Land bzw. nach Santiago de Compostela trafen. 3 Sie alle erwecken in ihren Berichten den Eindruck, als seien sie ohne weiteres Bedenken, geradezu von einem auf den anderen Augenblick, aufgebrochen. Hier einige Beispiele: Hie soll man wissen wen [ich] Sebastian Ilsung bin zu Augspurg ausgeritten an dem nechsten montag nach dem palmtag des jars da man zalt 1446 jar. Da ritt ich zum ersten gein Memingen […] - so beginnt, abgesehen von einer knappen Vorbemerkung über seine spanische Pilger- und Ritterreise, der Augsburger Pa‐ trizier Ilsung den Bericht, den er darüber verfertigt hat; von Reisevorbereitungen irgendwelcher Art ist an keiner Stelle des kurzen Textes die Rede 4 . Ähnlich Friedrich Steigerwallder: Jhs [= Jhesus]. Anno domini 1470 an phinsstag vor den heyligen pfingsten bin Ich Friderich: Staigerwallder: Alls ain Diener des Wolgebornen Herren: Gaudenntzen Grafen Zu Kirchperg Unnd Vogt zu Mätsch, meines lieben genädigen herren, mitsampt anndern Hörtzogen, Freyen, Ritter Unnd Knechten Zu Venödig auf die Galee, Anndres Conturin Alls Batron gesessen Unnd Im willen gehabt, Das heilig Grab Unnd Lanndt mit Pegrination Zue besuechen. Und fueren guetlich Auß der Porten Zue Venödig […] 5 . Auch er enthält sich also jeglicher Bemerkung über irgendwelche Reisevorbe‐ reitungen; selbst die für die lange Seefahrt nötigen Zurüstungen bleiben bei Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 63 <?page no="64"?> 6 Reinhold R Ö H R I C H T , Die Jerusalemfahrt des Heinrich von Zedlitz (1493), in: Zeitschrift des deutschen Palästinavereins 17 (1894), S.-98-114, 185-220 und 277-301, hier S.-99-f. 7 Textausgabe: Reinhold R Ö H R I C H T / Heinrich M E I S N E R , Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, Berlin 1880, S. 120-145, hier S. 123 und 124 - Siehe jetzt auch Bernhard ihm unerwähnt. Ein drittes und letztes Beispiel entnehme ich dem Bericht des Heinrich von Zedlitz: Als man geschrieben hot noch Christi Vnnsers herrn geburt tausend Vierhundert vnd Neunzigk vnnd In den dritten Johr hab ich Heinrich Czedlitz Ritter etc. vom Buchwaldt mir fürgenohmen gegen Jherusalem zum heilig grabe zu zihenn vnnd habe angefangen, alle tage vnnd tage Reyss zu schreyben auff wasser vnnd auf dem lande vnnd die hailig stets [! ] vnnd aplas, als vnns Pilgram von den Barfusir Brüdern vorkundiget ward, vnnd habe das geschrieben darumb, ab Imande dohin zu dem hailigen lande zihen walde, das er sich wüsst dester bas dornach zu [S. 100] richten, den er alle meylen hernoch geschrieben auf landt vnnd aufm Wasser findet. Wo eyner magk gutts geselschafft gehabenn, so zeucht er dester bas, wan ich Keyne geselschafft aus der Schlesie nicht gehabt habe dan Christof List, den ich mit mir genohmen habe, vnnd habe mich erhaben zu Lignitz am Montage noch dem Palmtage, das ist der erste tag des Monden Aprilis, vnnd bin denselben tagk gerithenn von Lignitz gegen Buchwaldt zu meynen Bruder vnnd habe do meine Mutter vnnd Schwester gesegnet, vnnd sindt VII Meilen. Item am dinstage bin ich gerithenn von Buchwaldt kein Trautenaw vnd sinndt IIII Meilen 6 . Auch der schlesische Ritter verzichtet also darauf, seine Reisevorbereitungen zu schildern; nur der Abschied von Mutter und Schwester wird knapp erwähnt. Die Zahl der Beispiele und die oben gegebene Liste der Reisenden, die ihre Reisevorbereitungen unerwähnt lassen, ließe sich leicht verlängern; deutlich wird jedoch auch schon jetzt, dass sowohl Berichte, die über eine Pilgerreise und deren ganz besondere Umstände berichten, wie auch Reiseinstruktionen, die künftigen Reisenden als Reiseführer dienen sollten (wie etwa die des Heinrich von Zedlitz oder die des Arnold von Harff) auf eine Darstellung der Reisevorbereitungen verzichten. Geringfügige Ausnahmen scheinen diese Feststellung eher zu bestätigen: Bernhard von Breidenbach gibt in seiner bekannten Reiseinstruktion von 1483 für Ludwig von Hanau-Lichtenberg zwar eine Reihe von Hinweisen über das Verhalten im Heiligen Land (so z. B. : keyne gezengk aiber uffrüre zu machenn), beschränkt sich für die tatsächlichen Reisevorbereitungen aber auf Hinweise zur Kleidung: Uwer gnade sail sich nit ubberlaidenn mit kleydernn […] Auch laist uch machen eyn lyprock mit kortzenn ermelyne […] 7 . 64 Volker Honemann (†) <?page no="65"?> von Breydenbach, Peregrinatio in terram sanctam. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung, hg. von Isolde M O Z E R , Berlin u.-a. 2010. 8 Auch die jeweils mehrere Aufbrüche zu Reisen enthaltenden Autobiographien des Johannes Butzbach und des Thomas Platter sagen nichts zu den Reisevorbereitungen dieser (gelehrten! ) Autoren. 9 Siehe die Übersetzung des Textes in: Rom - Jerusalem - Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496-1498), nach dem Text der Ausgabe von Eberhard von G R O O T E , übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Helmut B R A L L -T U C H E L / Folker R E I C H E R T , Köln/ Weimar/ Wien 2007, S. 34; maßgebliche Edition: Die Pilgerreise des Ritters Arnold von Harff von Cöln durch Italien, Syrien, Aegypten, Arabien, Aethiopien, Nubien, Palästina, die Türkei, Frankreich und Spanien, hg. von Eberhard von G R O O T E , Köln 1860, S.-2. Insgesamt jedoch scheint das Bild eindeutig zu sein: Die Masse der deutschen Pilgerreiseberichte des Spätmittelalters äußert sich nicht zu den konkreten Reisevorbereitungen. Man könnte sich deshalb fragen, ob die Pilgerberichte nicht einfach die ‚falsche‘ Quellengattung für die Beantwortung der Frage nach den Reisevorbereitungen sind, ob also die im Thema dieses Beitrages enthaltene Frage nicht einfach unangemessen ist und die Texte sie weder beantworten wollten noch sollten 8 . Anders verhält es sich, wenn man die Texte nach der Motivation befragt, die ihre Verfasser dazu veranlasste, sich auf eine ebenso kostspielige wie möglicherweise existenzgefährdende Reise zu begeben. Sie wird, wenn auch knapp, in aller Regel angesprochen, und dabei herrscht fast absolute Einigkeit: Soweit es sich um Pilgerreisen handelt, werden sie, wie Arnold von Harff formuliert, zum Trost und zum Heil der Seligkeit meiner Seele unternommen 9 . Um das Heil ihrer Seele also geht es den Pilgern, damit auch um den Erwerb von Ablässen zum Erlass ihrer zeitlichen Sündenstrafen - ich verzichte hier auf weitere Beispiele, weil dies für den spätmittelalterlichen Pilger, und damit auch den Verfasser eines Pilgerberichtes, unfraglich war. Ausführlich formulieren mussten sie dies ebendeshalb nicht, genau wie sie auf die Darstellung ihrer religiösen Empfindungen am Ziel ihrer Reise verzichteten. Auch hier verhalten sich die Berichte - cum grano salis - abstinent. Man könnte nun erwägen, ob es nicht sinnvoller (und ertragreicher) wäre, für die Frage nach den Reisevorbereitungen anstelle der Reiseberichte ganz andere Quellengattungen, so z. B. die Rechnungsbücher und Testamente der Reisenden in den Blick zu nehmen. Auskunft über die ‚materiellen‘ Vorbereitungen auf eine Reise würden wir so sicherlich erhalten; dass aber auch die psychische Di‐ mension des Aufbruchs in die Fremde in den Blick geriete, darf man bezweifeln. In Situationen wie dieser ist es nicht selten sinnvoll, das Quellenmaterial, hier also die Reiseberichte und Reiseinstruktionen erneut unter die Lupe zu Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 65 <?page no="66"?> 10 Walfartt zum heilgen Grab Peter Rindfleischs Sehligen 1496, in: Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Lande, hg. von Reinhold R Ö H R I C H T / Heinrich M E I S N E R , Berlin 1880, S.-315-348, hier S.-319. 11 Ebd., S.-320. 12 Ebd., S.-321. 13 Ebd., S.-320. 14 Darf man an ein gedrucktes Büchlein, das spezielle Gebete für eine Jerusalem-Pilger‐ fahrt enthielt, denken? Bekannt geworden ist mir derartiges bisher nicht. nehmen, dies vor allem deshalb, weil ich mich bisher auf die Textanfänge beschränkt hatte. Es ist ja nicht auszuschließen, dass auch im Innern der Texte Informationen über Reisevorbereitungen verborgen sind, so z. B. beim Wechsel des Verkehrsmittels, wie etwa dem Übergang von der Landzur Seereise; letztere stellte ja völlig veränderte Anforderungen an den Reisenden. Zu bedenken ist weiterhin, dass keineswegs alle Aufzeichnungen über die eigene Reise in ihrer Darstellungstechnik dem Prinzip des ordo naturalis folgen: Sehr viele Verfasser mittelalterlicher Reiseberichte griffen bei der Abfassung zum ersten und oft auch zum letzten Mal in ihrem Leben zur Feder - und das führte dazu, dass sie zu Beginn Vergessenes an anderer Stelle nachtrugen. Ein Beispiel hierfür bietet der Bericht, den der Breslauer Kaufmann Peter Rindfleisch 1496 nach der Rückkehr von einer Reise ins Heilige Land nieder‐ schrieb. Rindfleisch beginnt umstandslos mit einem Verzeichnis von Dingen, die er unterwegs gekauft hat, so z. B. ein gebund gestickte schnurre […] die sein kaufft [„sind gekauft“] zue Jerusalem und sind die lenge des Heiligen Grabes 10 . - Daran schließt sich mit den Worten Item Ich Peter Rindfleisch bin ausgeritten von Breslaw am 3. Ostertage nach Nurmbergk nach Christi geburt 1496 der Beginn seines Berichtes, den er dann bis zur Ausfahrt aus dem Hafen von Venedig weiterführt. 11 Danach aber folgt eine Liste von Dingen, die recht genauen Aufschluss über Rindfleischs materielle Reisevorbereitungen geben: Hier geht es um einen Wechsel, den er in Nürnberg einlösen will, um den Verkauf seines Pferdes in Padua, um den Erwerb von Hemden, eines Handtuchs, Taschentüchern, eines haupttuch und marhelon [wohl von malhelon, „Koffer“? ], Hosen, Stiefel und Schuhe, um Wein und Brot für die Seereise, schließlich fünf Dukaten in die Apoteck für Syrop und andere Artzney 12 . In Venedig erwarb der Breslauer Kaufmann weiterhin ein Betbuchle […] umb 1 ortt floren, das han ich mitt im Heilig Landt gehabt. Noch 1 Buchl umb 1 ortt, da seind die heilig stellen Inne verzeichnett 13 : Rindfleisch kaufte sich also - was auch andere Pilger erwähnen - einen Pilgerbzw. Reiseführer für die Heiligen Stätten Palästinas (Broschüren dieser Art waren in Venedig bei den Franziskanern erhältlich) und konnte sich mit diesem und dem Gebetbuch 14 auf den Besuch des Heiligen Landes vorbereiten. 66 Volker Honemann (†) <?page no="67"?> 15 August B E R N O U L L I , Hans und Peter Rot’s Pilgerreisen 1440 und 1453, in: Beiträge zur vaterländischen Geschichte NF 1 (1882), S. 329-408; Text: S. 343-392 (Hans Rot) und S.-393-408 (Peter Rot). 16 Arnold schreibt (G R O O T E : Arnold von Harff, wie Anm. 9): Item van stunt an [als nämlich der Abfahrtstermin feststeht] hulffen sij [die Herren des Fondaco dei Tedeschi] mir an eynen trutzselman, dat is eyn geleytzman kunnende vil spraichen, her hiesch myschier Vyncent eyn hyspaneoler, he was eyn verlueckener krist, des wyst ich auer nyet. hee kunt gar vyllerleye spraiche, as latijn lumbartz hyspanioils wyndichs greex turcks ind guet arabs. des was ich seir vro (S. 57). Der Trutzelmann kauft dann für Arnold alles für die Seereise Nötige ein - die Aufzählung der Gegenstände umfasst rund zwei Druckseiten. Unter ihnen findet sich auch - neben vielen, genau spezifizierten Lebensmitteln - eyn heydensch kleyt, dar zoe eynen blaewen sleuwer vmb off dat heufft zo wynden, as die cristen in heydenschaff gaynt (S. 57). Ein weiterer Teil der Reisevorbereitungen besteht für Arnold in Venedig darin, dass ich […] all mijn gelt verwesselen vur neuwe venecianer ducaeten, die heyschen de zeca as die gelden in Grecia Turckijen ind in heytenschaff, anders geyne cristen munze me die in desen landen geslagen wyrt. Gegen den Diebstahl seiner Barschaft schützt sich Arnold, indem er im Fondaco dei Tedeschi wessel brieue erwirbt, die er in Alexandria, Damiette, Damaskus, Beirut, Antiochia, Konstantinopel und anderen Städten einlösen kann (was dann im Detail beschrieben wird, S.-59). 17 Siehe Das Reisebuch der Familie Rieter, hg. von Reinhold R Ö H R I C H T / Heinrich M E I S N E R (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 168), Tübingen 1884, S.-138-143. 18 Zu Tucher siehe Jacob K L I N G N E R , Tucher, Hans VI. (d. Ä.), in: Deutsches Literaturlexikon. Das Mittelalter 3: Reiseberichte und Geschichtsdichtung, hg. von Wolfgang A C H N I T Z , Berlin/ Boston 2012, Sp. 910-915; der handschriftlich wie seit 1482 in mehreren Druck‐ ausgaben tradierte Text seines Reisebuchs ediert durch Randall H E R T Z , Die ‹Reise ins Gelobte Land› Hans Tuchers des Älteren 1479-80. Untersuchungen zur Überlieferung und kritische Edition eines spätmittelalterlichen Reiseberichts (Wissensliteratur im Mittelalter 38), Wiesbaden 2002, S.-327-794. Deutlich wird schon hier, dass Rindfleisch den Beginn seiner Seereise als einen zweiten Aufbruch begriff, als Start in eine völlig fremde Welt mittels eines ganz unvertrauten Transportmittels - und darauf musste er sich materiell vorbereiten. Peter Rindfleisch ist natürlich keineswegs der einzige Autor, der seine ‚materiellen‘ Reisevorbereitungen aufschreibt. Neben ihn treten Autoren wie der Basler Hans Rot 15 , der bereits erwähnte niederrheinische Ritter Arnold von Harff (der uns detailliert die Vorbereitungen auf die Seereise ab Venedig einschließlich der Anheuerung eines Dolmetschers schildert 16 ), besonders aber die Nürnberger Peter Rieter 17 und Hans Tucher 18 . Hans Tucher, der im Jahre 1479 im Alter von 51 Jahren zusammen mit Sebald Rieter ins Heilige Land aufbricht in dem namen des almechtigen gotes in willen vnd meinung allein vmb gotes ere vnd meiner sel selikeit vnd keines rumes, fürbiczes noch ander leichtfer[t]ikeit willen Die heiligen Stete vnd besunder die ende do cristus Iesus […] gewandelt zu besuchen, berichtet besonders detailliert über seine materiellen Reisevorbereitungen - aber nur über die für die Seereise Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 67 <?page no="68"?> 19 Das Reisebuch des Hans Tucher, hg. von Erhard P A S C H E R (Armarium. Beiträge zur Kodikologie und zu den Historischen Hilfswissenschaften 3), Klagenfurt 1978, S. 3. - Faksimile des Druckes der Reisebeschreibung: Straßburg, Heinrich Knoblochzer, 1484; GW M47728. Seitenzahlen nach dem paginierten Abdruck. 20 Ebd., S.-55. 21 Ebd., S.-59. 22 Vgl. ebd., S.-60. 23 Ebd., S.-57 f. 24 Ebd., S.-56. 25 Ebd., S.-59. 26 Ebd., S.-16 f. ab Venedig 19 . Deshalb stellt er diese Ausführungen nicht etwa an die Spitze seines Pilgerführers, sondern seltsamerweise erst hinter den Bericht über seinen Jerusalemaufenthalt, auf den er eine kurze Chronik der Kreuzzüge hat folgen lassen. Seinen Ausführungen geht unter dem Titel ein gemeine ler nach der sich ein yeder der über mer faren wil noturfftiklich zuo richten hat voraus 20 , darauf folgt eine Beschreibung der - möglichen - Landroute ins Heilige Land, und danach werden dann wieder Ausrüstungsgegenstände - z. B. eine stromazen - genannt 21 , danach die Umstände der Anheuerung eines Dolmetschers für den Weg zum Katharinenkloster 22 . Tuchers ler enthält eine Vielzahl medizinischer Ratschläge, darunter ein Rezept des doctor Hermann Schedel. 23 Die Medikamente sollen großenteils bereits in Nürnberg in der apotecken gekauft werden. 24 Gegen schlimme Formen der Seekrankheit wird das folgende empfohlen: Item wem das brechen überhandt nemen wolt. So ist auch guot Apium samen oder epich samen ein halbs quintin vngeferlichen auf ein mol auch mit einem malfasier getruncken zuo welicher zit einer wil. Der hier schon genannte Wein spielt dann eine zentrale Rolle bei der Reise im Heiligen Land selbst: Tucher beschreibt genau, welches - beträchtliche - Quantum Weines man mitnehmen und wie er transportiert werden soll: keinesfalls in Schläuchen oder Fellen, sondern in parillen, kleinen Fässchen - nur so bewahrt der Wein seinen Geschmack. Als Tuchers Reisegruppe zwischen Gaza und Kairo der Wein ausgeht, da mochten wir kaum unser notvrfft gehaben bis gen Alkayro, wann der wein ist eins manns leben auff der reyse 25 . Mit zu den Reisevorbereitungen des zweiten bzw. hier, nach der Ankunft im Heiligen Land, sogar dritten Aufbruchs sind dann Tuchers Hinweise zu zählen, die er im Zusammenhang mit einer Predigt aufführt, die der Guardian des Fran‐ ziskanerklosters in Jerusalem den Pilgern bei deren Ankunft hält. Im Einzelnen werden fünf Punkte erwähnt 26 : Pilger, die noch keine päpstliche Genehmigung für die Pilgerfahrt haben, können eine solche bei den Franziskanern in Jerusalem nachträglich erhalten; jeder Pilger sol haben ein rechten cristenlichen gelauben, 68 Volker Honemann (†) <?page no="69"?> 27 Ebd., S.-17. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Weitere allgemeine Verhaltensbzw. Vorbereitungsmaßregeln finden sich am Ende von Tuchers Bericht: ebd., S.-108 f. er soll weiter haben ein lautere gewissen vnd rechte reu vmb die vergangen sunde und einen guten fursacz sich zuo hüten vor den zuokünfftigen dingen (Hier fragt man sich, warum dies erst jetzt erwähnt wird) 27 . Zum vierten schließlich sol er haben gantze andacht zů sehen vnd zů geen an solch heylig stet; 28 zum fünften und letzten folgt ein praktischer Hinweis: Sehet euch für vnd hütet euch das jr nicht auff der heyden greber geet oder darauff trett / wann sy es gar für übel haben. 29 Deutlich wird hieraus, dass eine (weitere oder neuerliche? ) geistliche Vorbereitung der Pilger auf den Besuch der heiligen Stätten nach ihrer Ankunft im Heiligen Land, unmittelbar nach der - den Pilger ebenso leiblichen wie seelischen Gefährdungen aussetzenden - Seefahrt stattfand 30 . Neben einer Gruppe von Reiseberichten, deren Autoren sich überhaupt nicht über irgendwelche Reisevorbereitungen äußern, tritt also eine zweite, weit weniger umfangreiche, deren Verfasser in der Regel die materielle Seite einer Pilgerfahrt dann in den Blick nehmen, wenn die Grenze zu einer fremden Welt überschritten wird: also den Beginn einer Seereise oder die Ankunft im Heiligen Land. Dass auch dies nicht ohne Ausnahme gilt, zeigt der oben zitierte Bericht des Heinrich von Zedlitz, der zu den Vorbereitungen für die Seefahrt und die Reise im Orient nichts sagt. Für die anderen Berichte, wie diejenigen Tuchers und Rieters erscheint es sinnvoll, von einem zweiten Aufbruch (zur Seereise ab Venedig) und einem dritten (nach der Ankunft im Heiligen Land) zu sprechen. Eine Beschreibung der Vorbereitungen, die vor dem ersten Aufbruch grundsätzlich und überhaupt für eine längere Reise zu treffen waren, fehlt jedoch in diesen Berichten durchweg. Ganz anders nun eine dritte Gruppe von Berichten, die noch geringer an Zahl ist. Sie beschränkt sich auf die geistlichen Vorbereitungen. Prominen‐ testes Beispiel ist hier das berühmte Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem des Ulmer Dominikaners Felix Fabri (1438-1502), niedergeschrieben im Anschluss an seine beiden Pilgerreisen in den Jahren Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 69 <?page no="70"?> 31 Zu Fabri siehe allgemein Jacob K L I N G N E R , Fabri, Felix, in: Deutsches Literaturlexikon. Das Mittelalter 3: Reiseberichte und Geschichtsdichtung, hg. von Wolfgang A C H N I T Z , Berlin/ Boston 2012, Sp. 922-936, zum ‚Evagatorium‘ dort 924 f. und 927 f., sowie vor allem die Monographie von Stefan S C H R Ö D E R , Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri (Orbis mediaevalis 11), Berlin 2009. Textausgabe: Fratris Felicis Fabri evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Aegypti peregrinationem 1-3, hg. von Konrad Dieterich H Aẞ L E R (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 2-4), Stuttgart 1843 (Bd. 1 und 2) und 1849 (Bd. 3); die ‚Pilgertheologie‘ steht in Bd. 1 der Ausgabe, hier S. 9-19. - Siehe jetzt auch allgemein: Die Welt des Frater Felix Fabri, hg. von Folker R E I C H E R T / Alexander R O S E N S T O C K (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Ulm 25), Ulm 2018. 32 Vgl. H Aẞ L E R (wie Anm. 31), Bd.-1, S.-19-24. 1484-1488. Fabri bringt im ersten Traktat des ersten Teils als Vorwort eine veritable Theologie des Pilgerns 31 . Er geht dabei aus von Vers 6 und 7 des ersten Kapitels des Hohen Liedes, wo es heißt: Vagari incipiam post greges sodalium tuarum. Egredere et abi post vestigia gregum, et pasce hoedos tuos juxta tabernaculis pastorum. Diese Worte, so Fabri, kongruierten aufs Beste mit der Empfehlung der heiligen Pilgerfahrt nach Jeru‐ salem, die ein actus nobilissimae virtutis sei, den die Heiligen als latria, also als Verehrung Gottes bezeichneten. Insgesamt aber seien es sechs Voraussetzungen (conditiones), die ein Pilger für die Umsetzung seines Vorhabens erfüllen müsse. Diese werden zunächst in einer Liste mit Kurzdefinitionen geboten, worauf jede von ihnen ausführlich erläutert wird. Es sind im Einzelnen: der Vorsatz, pilgernd ein gutes Werk zu tun (nicht nur der Absicht bedarf es, sondern des festen Vorsatzes); der geordnete Wunsch, auf eine Pilgerfahrt zu gehen (der Pilger darf kein vagus oder vagabundus sein); drittens die Freiheit und die Fähigkeit, zu pilgern (er braucht also eine Erlaubnis [des Papstes] und muß über die äußeren Voraussetzungen verfügen); viertens die Bereitschaft, sich aufzumachen, wenn ihm gesagt wird: „Nun gehe! “ (Viele verfügten über die in den Punkten 1-3 genannten Voraussetzungen, machten sich dann aber doch nicht auf, z. B. der Strapazen wegen); fünftens die rechte Art, die Pilgerfahrt durchzustehen (was sich auf die Besetzung des Heiligen Landes durch die Muslime bezieht); sechstens die Pilgerfahrt gut zu vollbringen (z. B. sich richtig zu verhalten, wenn man die Heiligen Stätten besucht). Fabri lässt darauf eine Commendatio terrae sanctae folgen 32 und schildert danach ganz knapp seine persönliche Motivation und die Beweggründe für seine 70 Volker Honemann (†) <?page no="71"?> 33 Vgl. ebd., S. 24-28. In seinem deutschen Pilgerbuch (Eigentliche beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem vnd furter durch die grosse Wüsteney zu dem Heiligen Berg Horeb, Drucke 1556 und 1557, siehe VD 16 F 136 und 137), das sich als deutsche Version des Evagatoriums ausgibt, sagt Fabri fast nichts zu seinen Reisevorbereitungen, siehe Bl. 5 v des Druckes von 1557 (Digitalisat): Er erwähnt nur die päpstliche Genehmigung zur Pilgerfahrt, weiter die seines Ulmer Priors Ludwig Fuchs und dass er notturfft zerung vnd gelts von seinen gutten freunden erhalten habe. Jegliche Bemerkung zur geistlichen Vorbereitung fehlt. 34 Vgl. H Aẞ L E R (wie Anm. 31), Bd. 1, S. 25. Ebd., S. 27: Päpstliche Erlaubnis zur Pilgerfahrt, S. 28: Der Basler Konvent stellt in wenigen Tagen (lat.: in paucis diebus) alles zur Pilgerfahrt Nötige bereit, S.-65: Fünf Zeichen eines wahren Pilgers. Reise ins Heilige Land (die z. B. die Aufforderung durch eine Fabri vertraute Nonne einschließt) 33 . Während alle bisher behandelten Texte vor allem über die geistig-geistliche Vorbereitung auf eine Pilgerreise nur recht dürftige Auskunft gaben und auch derjenige des Felix Fabri nur pauschal über des Verfassers desiderium et propositum videndi loca illa spricht 34 , gewährt uns - und damit komme ich zu einem, wie ich meine, exzeptionellen Zeugnis - der Bericht, den der Franziskaner Paul Walther aus Guglingen über seine Heiliglandreise (auf der er Fabri und Bernhard von Breidenbach begegnet ist) im Jahre 1483 verfasst hat. Hier erhalten wir einen sehr genauen Einblick in die persönliche geistliche Vorbereitung eines klerikalen Pilgers. Walthers Bericht, vor allem dessen ersten Teil (bis zum Aufbruch aus Venedig), den er im Alter von etwa 60 Jahren abfasste, wird man allerdings weit eher als eine Autobiographie bezeichnen denn als Reisebeschreibung. Er setzt nämlich ein mit einer Schilderung seiner bisherigen Lebensumstände: Geboren um das Jahr 1422 sei er mit 18 Jahren in den Orden vom Heiligen Grabe ein-, nach weiteren 18 Jahren aber zu den Franziskanern übergetreten, in deren Orden er 22 Jahre gearbeitet habe. In seinem 23. Ordensjahre aber habe er - ich übersetze - seine Jahre und Tage in der Bitterkeit seines Herzens erwogen: Da sei plötzlich ein Licht in der Wohnstatt seines Herzens erschienen, der Herr stand mir barmherzig bei und trieb mich durch seine Inspiration an, all meine Sorgen hintanzustellen und ihm ruhigen Geistes zu dienen, und seiner Kirche „in partibus infidelium“, also bei den Heiden beizustehen. Als aber dies mich ohne Unterbrechung Tag und Nacht umtrieb, betete ich demütig und inständig zu unserem Herrn Jesus und sprach: „Herr Jhesus Christus, wenn du dies in deiner göttlichen Weisheit vorgesehen hast, und es zu deinem Lob und deinem Ruhme geschehen soll, dann bitte ich dich, mir, deinem unwürdigen Diener, alle nötigen Mittel für dieses Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 71 <?page no="72"?> 35 Fratris Pauli Waltheri Guglingensis itinerarium in Terram Sanctam et ad Sanctam Ca‐ tharinam, hg. von Matthias S O L L W E C K (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 192), Tübingen 1892, S. 3. - Zu Paul Walther siehe auch Ursula G A N Z -B L Ä T T L E R , Andacht und Abenteuer. Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520), Tübingen 1991 ( Jakobus-Studien 4), S. 79 und S. 389, sowie Kristian B O S S E L M A N N -C Y R A N , Walther, Paul (von Guglingen) OFM, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 10, hg. von Kurt Ruh u.-a., Berlin 1999, Sp. 655-657. 36 S O L L W E C K (wie Anm. 35)., S. 13 f. In ähnlicher Weise, aber mit deutlich weniger autobiographischen Details beschreibt Fabri seinen Aufbruch (H Aẞ L E R , wie Anm. 31, Bd. 1, S. 28 f.): Am 9. April 1480 besteigt er die Kanzel, predigt dem Volk und verkündet diesem vor der den Gottesdienst beschließenden Generalabsolution, dass er sich nun auf eine Pilgerfahrt ins Heilige Land begebe. Er bittet die Gläubigen, für ihn und für seine gute Rückkehr zu beten. Das Volk singt darauf das carmen dominicae resurrectionis, dessen Initium Fabri auf Deutsch wiedergibt (Christ ist erstanden etc.), danach stimmt er selbst das carmen marinae peregrinationis an: In gotes namen fahren wir seiner Gnaden etc. Das Volk stimmt sogleich herzhaft ein; viele Gläubige brechen in Tränen oder Seufzer aus. Unternehmen zur Verfügung zu stellen, denn die Kreatur vermag ohne ihren Schöpfer nichts 35 . Was dann im Weiteren mit Paul Walther geschieht, liest sich wie ein Abenteu‐ erroman und mit hoher Spannung: Kaum hat er seine Fürbitte getan, da ist schon eine hochgestellte Persönlichkeit zur Stelle, die die nötige Supplikation für eine Pilgerreise erwirkt. Der Widerstand des Provinzialkapitels seines Ordens, das Walther die Leitung des Klosters Fremersberg anvertrauen will, wird - wunderbarerweise, durch Gottes Hilfe (die Walther immer wieder in direkter Anrede erfleht) -, überwunden, und er kann sogleich nach Venedig aufbrechen. Vorher aber bietet er viele Einzelheiten über die geistlichen Vorbereitungen zur Reise: Er gibt z. B. im Detail die Gebete wieder, die von ihm und seinen Mitbrüdern bei dem endgültigen Aufbruch zur Pilgerfahrt im Basler Franziska‐ nerkonvent gesprochen werden. Nach einem privaten Gebet Walthers, in dem er Jesus bittet, mit ihm zu wandeln, mit ihm zu stehen, mit ihm die Mühen der Reise zu ertragen, ihm zu helfen, ihn zu schützen, ihm den Weg zu zeigen und ihm alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, legt er beim Prior des Basler Konvents die Beichte ab. Zu Ehren der Jungfrau Maria, seiner mater specialissima wird eine Messe gefeiert, Walther nimmt eine larga refectio, also ein umfängliches Mahl ein, verabschiedet sich von seinen Mitbrüdern und macht sich zusammen mit seinem Begleiter und einem Hund auf den Weg, nachdem er sich bekreuzigt und mehrere Antiphonen gesprochen hat, deren Initien und Versikel er in vollem Wortlaut wiedergibt 36 . Insgesamt bietet Walthers Bericht einen ungewöhnlich tiefen und differenzierten Einblick in die spirituellen (aber kaum die säkularen) Reisevorbereitungen eines Ordensbruders im späten 15.-Jahrhundert. 72 Volker Honemann (†) <?page no="73"?> 37 Siehe dazu: Volker H O N E M A N N , Geiler von Kaysersberg und das Pilgern, in: Pilgerhei‐ lige und ihre Memoria, hg. von Klaus H E R B E R S / Peter R Ü C K E R T ( Jakobus-Studien 19), Tübingen 2012, S.-165-203. 38 Volker H O N E M A N N , Pilgerfahrt des träumenden Mönchs, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 7, hg. von Kurt R U H u. a., Berlin 1989, Sp. 683-687; es existieren zwei Versübersetzungen (Berleburger Handschrift, Übersetzung des Peter von Merode) und eine Prosaübersetzung; siehe D E R S ., Das Leben als Pilgerfahrt zum Himmlischen Jerusalem in der Pèlerinage de la vie humaine des Guillaume de Digulle‐ ville, in: Himmel auf Erden/ Heaven on Earth, hg. von Rudolf S U N T R U P / Jan V E E N S T R A (Medieval to Early Modern Culture, 12), Frankfurt a.-M. 2009, S.-107-122. 39 Verzeichnis der verschiedenen Pilger-Texte Geilers bei H O N E M A N N , Geiler (wie Anm. 37), S. 178-180. Der mich hier beschäftigende Text ist dort als Pilger II bezeichnet (S. 178); er beruht auf Predigtnotizen, die Geiler selbst überarbeitet hatte. Die Drucke sind im Gesamtkatalog der Wiegendrucke beschrieben (GW 10587 und 10588; dort auch die Digitalisate der beiden Drucke). Edition des Textes: Johannes Geiler von Kaysersberg. Sämtliche Werke 1, hg. von Gerhard B A U E R , Berlin 1989, S.-27-95. Eine vierte und letzte Spielart der Darstellung von Reisevorbereitungen, die materielle und geistliche Vorbereitung vereint, findet sich dann, ganz am Ende des Mittelalters, bei Geiler von Kaysersberg. Er hat sich, wie bekannt, ausgehend von Schriften Johannes Gersons, über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit dem Thema des Pilgerns befasst, das für ihn, ausgehend von Hebr 11,13: Pilger und Gäste sind wir auf Erden, die Existenz des Menschen überhaupt bezeichnete: Das Leben des Menschen besteht für ihn in der - schwierigen - Pilgerfahrt hin zum Himmlischen Jerusalem 37 . Lange vor Geiler hatte bereits der französische Zisterzienser Guillaume de Digulleville (1295-nach 1358) die gleiche Grundidee in seiner riesigen Pèlerinage de la vie humaine behandelt, die auch ins Deutsche übersetzt wurde 38 . Unter den Predigtreihen Geilers zum Pilgern sind von besonderem Interesse die verschiedenen Fassungen seines Pilgers mit seinen Eigenschaften 39 . Zwei Augsburger Drucke dieser Predigtreihe aus den Jahren 1494 und 1499 sind mit Holzschnitten ausgestattet, die uns Geilers Vorstellungen vom Weg des Pilgers besonders deutlich erkennen lassen. Er hat hier, in der Form einer Allegorie, auch die vor dem Aufbruch zu einer Pilgerfahrt nötigen Vorbereitungen dargestellt. Diese Allegorie beschreibt in exemplarischer Weise und besonders ausführlich (10 von 18 ‚Stationen‘) sowohl die materielle wie die spirituelle Vorbereitung. Geiler beginnt mit dem Begleichen materieller wie geistlicher ‚Schulden‘, der Rückzahlung von Geldschulden und der Beichte. Nächster Schritt ist die Abfassung eines Testaments - dass dies häufig dem Aufbruch zu einer Reise vorausging, wissen wir aus etlichen Pilgerreiseberichten. Dritter Schritt ist der Abschied von Ehefrau und Haus, den Geiler als den Verzicht auf körperliche wie geistige Freuden deutet. Es folgen Allegorien einzelner Aspekte der spirituellen Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 73 <?page no="74"?> 40 G R O O T E , Arnold von Harff (wie Anm. 9), S. 259 f.; ich folge hier der Übersetzung des Textes von B R A L L -T U C H E L / R E I C H E R T (wie Anm. 9), hier S. 274; die Übersetzung habe ich da, wo es mir nötig schien, geändert. Vorbereitung, die teils so gestaltet sind, dass materielle Ausstattungsstücke für eine Pilgerfahrt (so, wie sie das Lied Wer das elent bawen will aufgezählt hatte) geistlich gedeutet werden: Der Ledersack, den der Pilger kauft, steht für seinen lebendigen Glauben (4.), die gut eingelaufenen Schuhe für gut eingeübte Tugenden (5.), der breite Hut für die Geduld, die der Pilger auf seinem Weg wird aufbringen müssen (6.), der gute weite Mantel für die Nächstenliebe, die eine weitere zentrale Voraussetzung für ein rechtes christliches Pilgern ist (7.). Der Pilger muss sich des Weiteren mit Geld versehen: Er erwirbt Münzen bei einem Wechsler (8.), die Leid und Widerwärtigkeit bezeichnen, auf die sich der Pilger auf seinem Wege einstellen muss. Letztes Ausstattungsstück ist der Pilgerstab (9.), der die starke Hoffnung auf Gott bezeichnet, die der Pilger besitzen muß. Einen letzten Aspekt der Vorbereitung konnte der Illustrator offenbar nicht ins Bild umsetzen (10.): Der Pilger darf sich nicht mit zu viel irdischem Besitz überladen - dafür steht, dass er nicht zu viele Lebensmittel und Kleidung mitnehmen darf. Geiler verknüpft so in eindrucksvoller Weise die materiellen Aspekte der Reisevorbereitungen eines Pilgers mit geistlichen. Wohin die Allegorisierung der Reise wie der Reisevorbereitungen um 1500 führen kann, sei an einem letzten Fall gezeigt, der mir mehr Rätsel aufgibt, als dass er Fragen beantwortet. Der mehrfach erwähnte Arnold von Harff hat seinem Reisebericht, der zugleich Reiseinstruktion sein wollte, ganz am Ende, nach dem ausführlichen Verzeichnis der von ihm besuchten Städte, Dörfer und Landschaften, eine Art Beschluss angefügt, der folgendermaßen lautet: Ich will einem jeden Herzog, Grafen, Freiherrn, Ritter, Knappen [Or.: Knecht] und allen geistlichen und weltlichen Ständen, die diese Pilgerfahrt unternehmen wollen, raten, dass sie umsichtig [Or.: Vorsicht] sind und zwei aus Menschenhaut gefertigte Beutel und einen aus Hirschleder geschnittenen mit sich nehmen, die alle drei wohl gefüllt sind, unten mit Gold und oben mit weißem Geld, damit Du in allen Städten und Dörfern nicht wechseln mußt [Or.: brauchst]. So sollst Du von den beiden aus Menschenhaut gemachten Beuteln einen unten mit Gold füllen, das soll Umsicht [Or.: Vorsicht] sein, und darauf Weißgeld, das soll Weisheit sein, und [auch] den anderen unten mit Gold füllen, das soll Geduld [paciencia] sein, und darüber Silbermünzen, das soll Demut sein 40 . Den dritten, hirschledernen Beutel legt Arnold nicht allegorisch aus. Er fährt dann aber fort: 74 Volker Honemann (†) <?page no="75"?> 41 Ebd. 42 Silva allegoriarum des Hieronymus L A U R E T U S , Barcelona 1570, hier zitiert nach der 10. Ausgabe, Köln 1681 (siehe den photomechanischen Nachdruck, München 1971, eingel. von Friedrich Ohly), S.-785, hat im Stichwort pellis (unter cutis wird lediglich auf pellis verwiesen) mit Verweis auf Leviticus 7,8 nur einen Hinweis auf die Geduld: Pellis verò pro qua omnia dantur, est patientia, quae confortatur et excrescit in tribulationibus. Im Buch Hiob heißt es (16,16): Saccum consui super cutem meam, Et operui cinere carnem meam, womit ein Zusammenhang zwischen Menschenhaut und Sack hergestellt ist. - Lauretus bringt des Weiteren im Anschluss an Exodus 35,23 und Leviticus 13, 18, 24, 38 und 48 (cutis bzw. pellis im Zusammenhang mit lepra) auf der Basis der Exodus-Homilie 13 des Origines die Deutung: Pelles quoque mortificationem irae, aut etiam aliorum affectuum significare possunt. Unter Verweis auf Genesis 3,21 und Leviticus 25 (hier kann ich keine Stelle mit pellis nachweisen), deutet Lauretus des Weiteren die Haut als symbolum mortalitatis, ut pelliceae tunicae datae primis parentibus, indicium fuerunt mortalitatis et fragilitatis humanae ac originalis miseriae, in quam inciderunt per peccatum; verwiesen wird dazu auf die sechste Homilie des Origines über das Buch Leviticus. dann mußt Du Dir drei starke Riemen kaufen, um die Beutel fest zuzubinden [Or.: stramm zuzuziehen]. Das soll Sehen, Hören und Schweigen sein. Binde die beiden Beutel [aus Menschenhaut] ganz nahe an das Herz und den dritten unten an den Nabel, damit sie Dir nicht gestohlen werden. Wahrhaftig, Bruder, wenn Du das nicht tust, wirst Du diese Pilgerfahrt nicht mit Freude und ohne Sorge vollbringen 41 . Ich bin, was die Deutung dieser Stelle angeht, einigermaßen ratlos 42 ; zu be‐ denken ist, dass Arnold ja an der Universität Köln studiert hatte, also wohl mit den Methoden der geistlichen Textauslegung nicht unvertraut war. Damit zum Ende und zu einem Fazit. Folgendes lässt sich festhalten: 1. Auf die Darstellung der Reisevorbereitungen zum ersten Aufbruch inner‐ halb des Heimatlandes wird in den deutschen Pilgerreiseberichten des Spät‐ mittelalters in der Regel, und das heißt in der Masse der Texte, verzichtet. Anscheinend hielten die Autoren die Darstellung der Reisevorbereitungen für überflüssig, weil jeder Leser ohnehin wusste, was man für eine Reise im eigenen Lande brauchte. Dafür spricht, dass die Texte recht ausführlich auf die nötigen Vorbereitungen immer dann eingehen, wenn der Reisende in eine für ihn wirklich ‚fremde‘ Welt, also zum zweiten oder dritten Mal innerhalb seines gesamten Unternehmens aufbricht: zu einer langen Seefahrt, zum Besuch zivilisatorisch ‚fremder‘ Orte, wie etwa der Stätten von Christi Erdenwandeln im Heiligen Land oder zu einer Durchquerung der arabischen Wüste auf dem Weg zum Katharinenkloster. 2. Die Masse der Texte beschränkt sich in diesem Falle aber darauf, die materiellen Vorbereitungen zu beschreiben - den Erwerb von Kleidung, Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters 75 <?page no="76"?> Lebensmitteln und anderem, so, wie dies etwa Peter Rindfleisch und Hans Tucher tun. 3. Über die geistigen und geistlichen Vorbereitungen zu einer Pilgerreise erfahren wir nur bei gebildeten geistlichen Autoren wie etwa dem Domini‐ kaner Felix Fabri oder dem Franziskaner Paul Walther etwas. Fabri entwirft als spirituelle Vorbereitung eine veritable Theologie des Pilgerns, Walther lässt uns, ganz praktisch, an einer Art Pilgerabschieds-Liturgie teilhaben, die die Brüder seines Konvents für ihn feiern. 4. Die Verbindung von materieller und geistlicher Vorbereitung wird an‐ scheinend erst auf dem Wege der Allegorisierung geleistet: Geiler von Kaysersberg etwa deutet die gängigen Pilgeraccessoires (z. B. Pilgertasche, -schuhe und -stab) auf Tugenden aus, über die der Pilger verfügen muß, bevor er aufbricht. 5. Was hier geboten werden konnte, ist natürlich nur eine Skizze; zahlreiche Texte, wie z. B. die umfangreiche Sionspilgerin des Felix Fabri und über‐ haupt das Phänomen der Pilgerschaft im Geiste, wären in eine umfassende Darstellung dessen einzubeziehen, was sich über das Thema ‚Vor der Reise‘ anhand der spätmittelalterlichen Pilgerreiseberichte sagen lässt. Quellen- und Literaturverzeichnis August B E R N O U L L I , Hans und Peter Rot’s Pilgerreisen 1440 und 1453, in: Beiträge zur vaterländischen Geschichte NF 1 (1882), S.-329-408. Kristian B O S S E L M A N N -C Y R A N , Walther, Paul (von Guglingen) OFM, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 10, hg. von Kurt Ruh u. a., Berlin 1999, Sp. 655-657. Rom - Jerusalem - Santiago. Das Pilgertagebuch des Ritters Arnold von Harff (1496-1498), nach dem Text der Ausgabe von Eberhard von G R O O T E , übersetzt, kom‐ mentiert und eingeleitet von Helmut B R A L L -T U C H E L / Folker R E I C H E R T , Köln/ Weimar/ Wien 2007. Bernhard von B R E Y D E N B A C H , Peregrinatio in terram sanctam. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung, hg. von Isolde M O Z E R , Berlin u.-a. 2010. Ursula G A N Z -B LÄT T L E R , Andacht und Abenteuer. Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520), Tübingen 1991 ( Jakobus-Studien 4). 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Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu * Catherine Geleyn Denkt man an mittelalterliche Gastfreundschaft, so kommen zuallererst die Pilger auf dem Weg zu einem der berühmten Pilgerziele in den Sinn, fromme Menschen, die unterwegs in den christlichen Herbergen haltmachen, die so zahlreich entlang der bekannten Pilgerwege entstanden sind. Natürlich sind die verschiedenen Pilgerstätten unterschiedlich weit von den Wohnorten der Men‐ schen entfernt, die auf Pilgerschaft gehen. Bekanntlich sind die berühmtesten unter ihnen auch gleichzeitig die abgelegensten, so beispielsweise Santiago de Compostela, Bari, Rom oder gar Jerusalem in Palästina … unzählige Pilger sind auf den markierten Pilgerrouten dorthin unterwegs und kehren in den Pilgerherbergen ein, deren Existenz die weite Wanderschaft überhaupt erst möglich macht. Aber es gibt damals noch andere Gründe für Menschen, sich auf den Weg zu machen. Vor allem die Landbevölkerung zieht es in die Städte, die seit der Jahrtausendwende im Abendland einen Aufschwung erleben. Sie kommen oft direkt aus der unmittelbaren Umgebung und profitieren gleich von der Ankunft an von den Einrichtungen christlicher Gastfreundschaft. Diese sind im Hochmittalter nicht nur darauf ausgerichtet, durchreisende Pilger aufzunehmen, sondern vor allem die Neuankömmlinge vom Land zu empfangen, das oft weitaus weniger christlich geprägt ist als die Stadt, in die sie nun kommen, um ihr Glück zu suchen. Die für die Stadt typischen Spitäler und Hôtels-Dieu fungieren für diese als Ort des Übergangs: die in die Stadt strömenden, oftmals sehr armen Neu‐ ankömmlinge erhalten dort die Möglichkeit, für eine Weile in eine fromme Atmosphäre einzutauchen, in der das Heil der Seele wichtiger ist als das körperliche Wohl. Der Aufenthalt im Spital kommt einem Übergangsritus am Stadttor gleich, einer Einführung in die in der Stadt geltenden christlichen <?page no="80"?> 1 Geographischer Bezugspunkt der folgenden Ausführungen sind Frankreich sowie Flandern und Okzitanien. 2 Vgl. Dominique B A R T H É L E M Y , L’ordre seigneurial (XI e -XII e siècle), Paris 1990, S.-108. Werte und die christliche Liturgie, die Zeichen von Macht und Einfluss in diesen Zeiten des Aufschwungs und der engen Verbundenheit von städtischer Kultur und Christentum. Der Raum, den die Spitäler einnehmen, aber auch die Dimensionen der Einrichtungen selbst entwickeln sich im gleichen Maße wie die mittelalterlichen Städte, auch deren Wirtschaftskraft nimmt seit 1150 stetig zu 1 . Eben dieser Prozess soll im Folgenden beschrieben werden. Aus dem Blickwinkel der Soziologie und der Ethnologie soll gezeigt werden, wie sich das Christentum im sich entfaltenden städtischen Raum ausgebreitet hat und welche Rolle das christliche Gebot der Gastfreundschaft sowie der weltliche und geistliche Herrschaftsanspruch der abendländischen Kirche dabei spielen. Nach der ersten Jahrtausendwende nimmt die Anzahl der Städte im Abend‐ land zu. Schuld daran waren zunächst einzelne Adelsfamilien, die ihre lokale Macht durch den Bau befestigter Städte am Fuße ihrer Burgen ausbauen wollen. Auf diese Weise entwickeln sich die sogenannten Burgstädte: Viele örtliche Landesherrn versuchen, die in der Nähe wohnenden Menschen intra muros zusammenzuhalten und eine handwerkliche und kaufmännische Wirtschaft zu entwickeln, die ihnen Steuern einbringt. Unterstützung erhalten sie von den Geistlichen, mit ihnen zusammen zwingen sie die Bevölkerung der näheren und weiteren Umgebung, sich in unmittelbarer Nähe der Burg und damit in der neuen Stadt anzusiedeln. Auf diese Weise gelingt es den Herren der Burgstädte 2 zwischen 1080 und 1130 die von ihnen benötigte Bevölkerung an sich zu binden - allerdings nur gegen das Versprechen, den Einwohnern durch die Befestigungsanlagen Schutz vor Kriegen zu gewähren, die es ohne diese Umsiedlungsmaßnahmen gar nicht gegeben hätte. Auch wenn die Landesherren zum Ausbau ihrer Macht zu Gewalt und Zwang gegriffen haben, lässt sich nicht leugnen, dass ihr lokaler Machtanspruch deutlich zum Aufschwung der Städte und damit zur Entwicklung einer städtischen Kultur mit wichtigen Neuerungen beitrug. Die Kirche wird sich an der Entwicklung der Städte und deren Bevölkerung konsequent und von Anfang an beteiligen, stets darauf bedacht, sie gleich zu Beginn christlich zu prägen. Um dies zu ermöglichen, setzt sie sich für die Einrichtung eines Kapitels ein, um neben dem christlichen Gottesdienst in der Kirche auch die Barmherzigkeit gegenüber den Armen zu etablieren, was auch die christliche Gastfreundlichkeit gegenüber armen Neuankömmlingen einschloss. Dies war möglich, weil die städtische Kirche von jeher mächtiger und einflussreicher war als jede Gottesdienstgemeinschaft kleiner Dorfkirchen. 80 Catherine Geleyn <?page no="81"?> Abb. 1: Stadtbevölkerung um das Jahr 1000 (Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern). Im nördlichen Abendland wuchsen die Städte stark, aber nur die sehr großen islamischen Städte im Süden Europas zählten 450.000 (Córdoba) oder 350.000 (Palermo) Einwohner. Die Karte wurde auf Grundlage der demographischen Daten bei Bairoch et al. erstellt. Ab 1150 entwickelt sich unter der Herrschaft von Grafen, Fürsten und Bischöfen eine große Anzahl neuer Städte in gerade erst urbar gemachten oder eroberten Gebieten an den äußersten Enden des christlichen Abendlands, so zum Beispiel die spanischen nuevas ciudades oder die planted towns in Wales. Das Errichten neuer christlicher Städte dient vor allem dazu, die örtliche fürstliche oder königliche Macht zu unterstreichen. Auch werden sie oft an Achsen- und Knotenpunkten des Land-, Fluss- oder Seeverkehrs erbaut, weil nur dort die Chance besteht, durch blühenden Handel so reich zu werden, dass man sich als mächtige christliche Stadt im Abendland würde behaupten können. Städte, die solche Ziele erreichen und auf eine bessere Zukunft blicken wollen als die genannten Burgstädte, müssen aber auch eine entsprechend wirksamere Siedlungspolitik betreiben, zu der auch das Anwerben von neuen Einwohnern zählt, denen man attraktive städtische Privilegien bietet - wie zum Beispiel den Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 81 <?page no="82"?> 3 Vgl. Claude G A U V A R D , La France au Moyen-Âge du V e au XV e siècle, Paris 3 2014, S. 241-244 (dort in Bezug auf geltende Sonderrechte für Bürger hinsichtlich Zöllen, Steuern und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen). Schutz der Bürger vor jedem willkürlichen Zugriff auf Personen und Güter ‒ wie in frühen städtischen Leitbildern belegt 3 . Der augenfällige Unterschied zwischen den beiden Karten zeigt den deut‐ lichen, von Kirche und Adelsfamilien gleichermaßen forcierten Anstieg der Stadtbevölkerung zwischen 1000 und 1300 vor allem im nördlichen Abendland. Abb. 2: Stadtbevölkerung um das Jahr 1300 (Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern). Die Karte wurde auf Grundlage der demographischen Daten bei Bairoch et al. erstellt. Dabei verfolgen beide Parteien die gleichen, eng miteinander verwobenen Inter‐ essen. Während Grafen und Fürsten ab und um 1150 ihre Expansionsansprüche geltend machen und so das Wachstum der Städte unterstützen, sehen die Vertreter der Kirche die besten Möglichkeiten, die Stellung des Christentums im Abendland eben durch dessen Implementierung in den neu gegründeten Städten zu festigen. Dies geschieht vorrangig durch ein nun neu entstehendes Netz von Einrichtungen christlicher Gastfreundschaft, in denen man sich nicht nur der Pilger in den Her‐ 82 Catherine Geleyn <?page no="83"?> bergen längs der Pilgerrouten annimmt, sondern seit dem Erblühen der Städte auch die Aufgabe übernimmt, die zahlreichen dort eintreffenden Neuankömmlinge zu empfangen. Vorangetrieben durch die Kirche und die christlichen Gemeinschaften, dient diese christliche Kampagne der Gastfreundschaft auch dazu, die städtische Entwicklung zu unterstützen, um der sich entwickelnden städtischen Kultur von vorneherein einen christlichen Stempel aufzudrücken. In Bischofsstädten sowie in Städten, die vor den Toren eines Klosters gegründet worden waren, werden diese Aufgaben von Bischof und Abt übernommen, die es beide gewohnt waren, administrative und religiöse Strukturen selbstständig zu organisieren. Vor allem den Mönchsorden ist es gelungen, die Entwicklung von Städten zu beeinflussen, die entweder auf eben urbar gemachten Territorien oder teils oder vollständig auf dem klösterlichen Landbesitz liegen, der sich intra muros der Städte erstrecken kann. Diese wachsenden Städte sind den Klöstern eng verbunden, da sie vom Handel der Mönche mit den exteriora, die auf den Landgütern der Klöster produziert werden, profitieren. Der Warenhandel hat jedoch nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle Seite, durch ihn werden auch Bräuche und Vorstellungen transportiert, erst recht, wenn die Klöster durch die Ausbreitung der städtischen Siedlung allmählich in die Stadt integriert werden. Ob nun durch die Gegenwart der Mönche oder die seit der Gründung in der Stadt vorhandenen christlichen Symbole: Die Kirche zeigt, dass sie für die Stadt wichtig ist. Besonders deutlich wird dies während der Hochzeit mittelalterlichen Städtewachstums, beginnt doch jede Stadt mit dem Bau einer Kirche, zum göttlichen Schutz für ihre Einwohner und zur Feier des Gottesdienstes als Zeugnis ihrer christlichen Gesinnung. Zu jeder Kirche gehört zudem ein Friedhof, der die Bewohner spirituell an ihre Stadt bindet, denn dort können sie an den Gräbern ihrer Toten gedenken und für die ewige Ruhe ihrer Seele beten. An der Kirche ist auch ein Kapitel tätig, zuständig für die Organisation des religiösen Lebens und das Ausüben der Werke der Barmherzigkeit, zu denen auch die Gastfreundschaft gegenüber den Neuankömmlingen in einer Stadt als eines der wichtigsten zählt. Es sind demnach oft Kleriker, die die Menschen dazu bringen, ihr Dorf zu verlassen und in eine der von Landesherrn oder Kloster neu gegründeten Städte umzusiedeln, bietet ihnen dies doch eine gute Möglichkeit, den neuen Ort von Beginn an christlich zu prägen. Eine solche Vorgehensweise lässt sich beispielsweise bei den Gottesdörfern, sauvetés, erkennen, die man zu Beginn des 11. Jahrhunderts, in der Periode des Gottesfriedens, gründete: Zunächst entsteht eine zentrale Kirche, anschließend werden Kreuze an den Rändern des neuen Territoriums aufgestellt um den hier virtuellen Schutz der Einwohner zu garantieren. Wenn eine von den Türmen ihrer Kirchen und Kathedralen beherrschte Stadt zum gängigen Bild der abendländischen Landschaft wird, macht dies sehr deutlich, wie wichtig den Städten in dieser Zeit des Aufschwungs Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 83 <?page no="84"?> 4 Vgl. Paul B A I R O C H / Jean B A T O U T / Pierre C H È V R E , La population des villes européennes de 800 à 1850. Banque de données et analyse sommaire des résultats, Centre d’histoire économique internationale de l’Université de Genève, Genf 1988, S.-46. ihre Präsentation nach außen war ‒ und wie untrennbar dieses äußere Bild mit der Religion verbunden war. Die Silhouette der Stadt mit ihren Kirchen wird gar zum Symbol der städtischen christlichen Kultur, die sich von der weniger christlichen ländlichen Welt unterscheidet, in der sich die Pfarrer scheinbar lange Zeit mit einem religiösen Kult zufriedengeben, der von heidnischen Gebräuchen der Vorfahren durchsetzt war, gebunden an den Zyklus der Natur und den Mythos von Mutter Erde. Der durch das Christentum zumindest im gleichen Maße wie durch die welt‐ lichen Gründer geförderte Aufschwung der Städte bietet der Kirche also eine gute Gelegenheit, ihre Macht über die Gläubigen ebenso wie über Königtümer und Reich zu zeigen. Ausgehend von Rom, wo der Papst umgeben von der Kurie residiert, versucht die Kirche über alle Staaten hinweg, ihre Macht und ihren Einflussbereich auszudehnen, so geschehen beispielsweise im Laufe der langen Phase der Reconquista, die dazu dient, die Muslime zurückzudrängen, die sich auf der Iberischen Halbinsel ausgebreitet hatten, um dort das Christentum wieder zu verbreiten. Die Entwicklung der christlichen Städte im Abendland läuft somit umgekehrt proportional zur Verkleinerung der islamischen Städte, die, einmal von den Christen zurückerobert, deutlich schrumpfen und damit allgemein den Einfluss der religiösen Kultur auf die städtische Welt belegen. Dieser Zusammenhang zeigt sich beispielhaft in Palermo auf Sizilien und Córdoba in Südspanien: Dessen Einwohnerzahl wird auf +/ - 450.000 im Jahr 1000 unter dem Kalifat von Córdoba geschätzt, im Jahr 1300 aber, also nach der christlichen Rückeroberung, sinkt sie auf +/ - 50.000 Einwohner 4 . Eine große Rolle für die erneute Verbreitung des Christentums spielen auch die Pilger. So werden beispielsweise von der Stadt Santiago de Compostela im spanischen Galicien nicht nur Pilger aus dem gesamten Abendland angezogen, die vor der Reliquie des hl. Jakobus beten wollen; der Aufschwung der Stadt steht auch für den Erfolg der langen, im Norden der Iberischen Halbinsel beginnenden christlichen Rückeroberung. Ein anderes Beispiel für diese Zusammenhänge kommt aus einem Gebiet einige Kilometer weiter nördlich: Die als häretisch angesehenen, vor allem in Okzitanien verbreiteten Katharer werden nicht nur durch den Aufruf zum Kreuzzug im Jahr 1209 infolge des Mordes an Petrus von Castelnau, Legat des Papstes, bekämpft, sondern auch durch die im 13. Jahrhundert zunehmend erstarkende Inquisition, jene kirchliche Einrichtung, die in den Folgejahren zahlreiche Ketzer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilen wird. Aufgrund 84 Catherine Geleyn <?page no="85"?> der Verfolgung und Vertreibung der sogenannten katharischen Albigenser, irren viele von ihnen auf der Suche nach neuem Lebensraum durch das Land, denn die Grafschaft Toulouse, die ihnen bisher Unterstützung gewährt hat, verstrickt sich in dieser Zeit immer stärker in Konflikte mit dem Papst und der französischen Krone und wird 1271 endgültig an Frankreich fallen. Und es ist sicher kein Zufall, dass die zweite christliche Universität Frank‐ reichs, nach Paris, in Toulouse eröffnet wird, mitten im von den Katharern zurückeroberten Gebiet. Schon im Hochmittelalter ist der große Einfluss des Christentums gerade in den Städten offensichtlich. Dies liegt zu einem großen Teil an der Präsenz der Bischöfe, die in der Stadt eine sehr wichtige, aber auch sehr weitreichende Rolle spielen, die über ihre ursprüngliche Aufgabe als Hirte weit hinausgeht. Zweifellos sind sie schon seit Beginn der Stadtentwicklung dort vertreten und haben in der städtischen Welt großen Einfluss; oft sind sie es gar, die auch in den schwierigen Zeiten des Hochmittelalters, als das Interesse an den Städten deutlich abgenommen hatte, deren Fortbestand garantieren. In den ehemals islamischen Städten der Iberischen Halbinsel verstehen sie sich als Bastionen des Christentums, sie zeigen in den Städten Präsenz und halten die Zeichen christlichen Gottesdienstes aufrecht. Das Bild des Bischofs als Stadtgründer und -erbauer, der in seiner Stadt nicht nur religiöse, sondern auch zivile Aufgaben erledigt, ist auch deshalb so gut vermittelbar, weil die Gründung vieler Städte eben an deren Bischöfe, Märtyrer oder heilige Bekenner geknüpft ist. So handelt es sich bei den christlichen Reliquien der Stadtheiligen, zu denen die Gläubigen kommen, um beispielsweise in der Krypta der Kathedrale zu beten, oft um die Überreste der ersten Bischöfe der Stadt, etwa von Sankt Hubertus und Sankt Amandus, den ehemaligen Bischöfen von Tongern-Maastricht im Norden, oder von Sankt Caesarius, Sankt Genesius, Sankt Honoratus und Sankt Hilarius, Heilige der Stadt Arles im Süden. Sie werden von dieser Stadt, aber auch von zahlreichen anderen christlichen Städten, deren Bischöfe sie waren, hoch verehrt. Die Kirche gab ihren Bischöfen lange Zeit auch administrative Machtbefugnisse: Ausgehend von der Bischofstadt als Hauptort der Diözese, sind sie verantwortlich für die Ordnung in Stadt und Umland, dessen territoriale Grenzen im Rahmen von Prozessionen abgeschritten werden, die damit nicht mehr nur dazu dienen, die heiligen Reliquien der Stadt zur Schau zu stellen, sondern auch die geistliche Macht des Bischofs ‒ die gleichfalls weltliche Macht sein konnte. Und oft genug sind es eben die Bischöfe, traditionell gekennzeichnet durch die Insignien ihres Amtes, Mitra und Bischofsstab, die als Garant des Kampfes gegen alles Böse, seien es Epidemien oder Eroberer, fungieren. Präsentiert werden diese entweder als sanfte Thaumaturgen, die eine Heilung durch Handauflegung herbeiführen Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 85 <?page no="86"?> oder im Kampf für den Frieden und gegen das Böse im Allgemeinen, so wie beispielsweise Sankt Marcellus, Bischof von Paris, oder der Erzengel Michael, Sinnbild von Brüssel: Beide werden als Bezwinger eines Drachens dargestellt, der für jede Form von realem oder geistigem Übel steht. Wie gezeigt ist die Ausbreitung des Christentums im Abendland wesentlich an die Entwicklung der städtischen christlichen Welt gebunden, die dem weitaus weniger christlich geprägten ländlichen Hinterland gegenübersteht. Verstärkt wird diese Tendenz in den Städten durch die Zunahme von Orten christlicher Gastfreundschaft, Zeichen christlicher Kultur par excellence. Tatsächlich kommt es im ersten Drittel des zweiten Jahrtausends zu einer wahren Welle der Gastfreundschaft: Man beherbergt die Christen den religiösen Vorgaben ent‐ sprechend und verbreitet auf diese Weise auch die christlichen Werte und Riten. Die Gastfreundschaft gegenüber den Armen als Akt der Barmherzigkeit wird fortan als Zeugnis der Teilhabe an der christlichen Gesellschaft gesehen, jede noch so kleine Hilfe für die Bedürftigen auf diese Weise überhöht. Etwa im 11. Jahrhundert liegen die Anfänge anstaltlicher Wohlfahrtspflege, manifest zunächst in Form von kleinen Hospitälern, von Häusern der Barmherzigkeit, von Gasträumen in Klöstern und Konventen oder auch nur von einfachen Versorgungsstationen entlang der Wege, die oft genug identisch sind mit den Wegen der Pilger. Ab dem 12. Jahrhundert und mit der zahlenmäßigen Zunahme der großen Städte gewinnt diese Bewegung an Bedeutung; nun entstehen zahlreiche Hospitäler, große Hôtels-Dieu und klösterliche Hospize, die mit und für die großen Städte zu wachsen scheinen. Die Hospitäler und Hôtels-Dieu befinden sich an für die Neuankömmlinge bestens erreichbaren Orten innerhalb der Stadt: Sie liegen in der Nähe der Stadttore, an stark frequentierten Straßen und Brücken oder just neben dem viel benutzten Eingang der Kathedrale, für jeden gut sichtbar. Die meist über die Stadt hinaus bekannten und anhand ihrer religiösen Zeichen gut erkennbaren Hospitäler sind oft an eine Gemeindekirche oder ein Konvent gebunden und widmen sich hauptsächlich der Aufnahme und seelischen Betreuung von Christen. Selbstverständlich wird auch Kranken‐ pflege gewährleistet, diese Aufgabe scheint aber sekundär im Verhältnis zur pastoralen Mission gegenüber den Gästen. Die Hospitalgemeinschaft zeigt vor allem christliche Nächstenliebe gegenüber christlichen Armen, so wie es die christliche Lehre empfiehlt. Diese Haltung ist bereits im vierten Jahrhundert in den ersten christlichen Hospitälern Konstantinopels nachweisbar, die das Ziel hatten, Reisenden und Pilgern Herberge und Hilfe zu geben. Die Unterscheidung der beiden Aufgabenbereiche wird auch durch die ursprüngliche Terminologie bestätigt, wonach xenodochia (hervorgegangen aus dem Griechischen ksenos, das die Wurzel xenofür „fremd“ liefert, und dekhomai für „empfangen“) 86 Catherine Geleyn <?page no="87"?> für einen Ort christlicher Gastfreundschaft verwendet wird, im Gegensatz zu nosocomia, das einen Ort der Pflege für Kranke und Schwache bezeichnet. Demgegenüber wird das Adjektiv hospitalis des siebten Jahrhunderts (abgeleitet von hospes, „Gast“) immer häufiger zur Bezeichnung eines Hospitals verwendet, allerdings immer noch im Sinne der ursprünglichen Bedeutung von Hospitalität ‒ Gastfreundschaft. Die Bezeichnung ändert sich erst im zwölften Jahrhundert, als die Pflege der Seele durch das Gebet wichtiger war als die Pflege des Körpers, erkennbar auch in den verschiedenen romanischen und germanischen Sprachen, so ospedale im Italienischen oder ‚Spital‘ im Deutschen. Die hochmittelalterlichen Städte hätten sich in der kurzen Zeitspanne des 12. und 13. Jahrhunderts ohne einen demographischen Zuwachs bedeutenden Ausmaßes nicht in bekannter Weise entwickeln können. Sie verdanken diese Tatsache unter anderem dem dichtgespannten Netz von Gasthäusern. Denn diese Häuser verbinden in optimaler Weise das christliche Gebot der Gast‐ freundschaft mit dem Bedürfnis der wachsenden Städte, neue Einwohner zu gewinnen. Sie starteten sogar Aufrufe, um ‚Gäste‘ zu gewinnen. Zwar sind in den Kirchengemeinden der großen Städte schon überall Orte der Gastfreund‐ schaft vorhanden, dennoch entstehen viele weitere gerade in den eher auf den Handel ausgerichteten Vierteln der Stadt, also genau dort, wo man auf viele Arbeitskräfte angewiesen ist. Diese Verteilung kann man sehr gut am Beispiel von Paris erkennen. In dieser christlichen ‚Megastadt‘ des Mittelalters, entfalten sich zahlreiche Orte und Institutionen der Gastfreundschaft und man sieht sehr gut, dass, abgesehen vom riesigen Hôtel-Dieu auf der Ile de la Cité im Herzen der Stadt, die größten Pariser Spitäler mehrheitlich auf dem rechten Ufer der Seine angesiedelt sind, in der Stadtzone also, die wirtschaft‐ lich am aktivsten und am dichtesten bevölkert ist. Dies gilt für die größten Spitäler der Stadt, also für das St. Gervin-, St. Eligius-, St. Katharinen-, und St. Jakobus-Hospital, die Häuser zum Heiligen Grab und zum Heiligen Geist, das Jean-Chesnard-Hospital und die Maisons-Dieu Imbert-von-Lyon und St. Eustachius: Sie alle befinden sich in den Kaufmannsvierteln der Stadt und liegen entweder entlang der stark frequentierten Achsen der Straßen Saint-Denis und Saint-Martin, die zu den Stadttoren gleichen Namens im Norden führen oder auf der Achse, die in Richtung Saint-Antoine-Stadttor im Osten läuft. Dort haben die neuankommenden Gäste auch einen direkten Zugang zum Hafen, wo Weizen, Wein, Holz und Salz gelagert werden, und zur Place de Grève, wo immer viele Arbeitskräfte gesucht werden, ebenso zu den Markthallen und den Vierteln der Kleinkrämer, die gleichfalls Menschenmengen anziehen, und damit einen Markt zur Rekrutierung von Arbeitskräften bieten … Die hohe Zahl der Menschen, die in die städtischen Zentren streben und dort auch bleiben wollen, ist auch eine Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 87 <?page no="88"?> Folge der christlichen Prägung der Stadt. Nur dort sind nämlich eine Vielzahl äußerer Zeichen dieser Religion auf so geringem Raum konzentriert und für jedermann zugänglich: Das sind an erster Stelle die Kathedralen, in denen alle Gäste der Stadt und auch die sehr Armen vor den Reliquien beten können und sogar den bischöflichen Segen erhalten, der besonders in Zeiten von Plagen wie zum Beispiel Hungersnöten sehr begehrt ist. Demgegenüber sind Spitäler im Quartier Latin am linken Seineufer sehr viel seltener. Dies ist das Viertel des Klerus, der Mendikanten und der Studenten der Universität und anderer Schulen, die die intellektuelle Funktion der Stadt sichern. Abb. 3: Ausschnitt vom rechten Pariser Seineufer aus einem Stadtplan von Truschet und Hoyaux, genannt Plan von Basel, 1551-1552, Musée Carnavalet, Paris. Die Dichte der Hospitäler, die in einer mittelalterlichen, sehr christlichen Stadt in der Regel an eine Gemeindekirche angegliedert sind, ist hier deutlich zu erkennen. Der Plan umfasst allein für dieses Viertel, Vergleichbares gilt für andere, Lospital St. Julian, das ehemalige Hos‐ pital St. Julian, geführt vom Orden der Ménétriers, das früher in der Rue Saint-Martin lag; in der Mitte die ehemalige Abtei St. Maglorius, die ein Hospiz an der Rue Quincampoix unterhielt; in der Rue Saint-Denis die Kirche St. Lupus-St. Aegidius (S. Leu S. Gille) und die Kirche vom Heiligen Grab; unten links Lospital St. Jakobus, das ehemalige Pilgerspital St. Jakobus, gleichfalls in der Rue Saint-Denis gelegen, und rechts unten einen Teil des Friedhofs des Innocents (= der Unschuldigen). 88 Catherine Geleyn <?page no="89"?> 5 Mt, 25, 35/ 36, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, hg. vom Katholischen Bibel‐ werk, Stuttgart 3 2017. Außerhalb der Stadtmauern und auf ihren weiten Landgütern ist die seit jeher anerkannte Gastfreundschaft der Klöster mit der so attraktiven Form der Gastfreundschaft in den wachsenden Städten kaum zu vergleichen, was wahrscheinlich mit der Tatsache zusammenhängt, dass die Klöster anders als die Städte nicht wirtschaftliche und religiöse Bedürfnisse gleichermaßen bedienen. Die in diesem Ausmaß bisher unbekannte mittelalterliche Gastfreundschaft scheint damals also in doppelter Weise gestärkt zu werden, einerseits durch die pragmatische Notwendigkeit der Handelswelt in den wachsenden Städten, andererseits durch religiöse Bedürfnisse. Letztere nehmen in einer Zeit, in der das Christentum allgemein an Bedeutung gewinnt und viele Menschen zu einer Pilgerreise oder zum Kreuzzug aufbrechen, stetig zu: Man ist bestrebt, Gastfreundschaft zu üben und auf diese Weise Zeugnis seines christlichen Glaubens abzulegen, ganz gleich ob man dabei den Armen oder Pilger in einer schlichten Herberge am Wegesrand oder in einem institutionalisierten Hôtel-Dieu empfängt. Die Umsetzung barmherziger Gastfreundschaft geht zurück auf das Leben Christi und das christliche Gebot, das im Evangelium nach Matthäus wie folgt formuliert ist: Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen, ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben, ich war krank und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen 5 . Den Fremden empfangen, so wie Jesus es getan hat, ist ein wahres Zeugnis christlicher Gesinnung und kann für jeden Christen, der darum bemüht ist, die religiösen Gebote im Himmel wie auf Erden in die Praxis umzusetzen, von Bedeutung sein. Unterstützt und verbreitet wird diese neue Haltung gegenüber den Armen im zwölften Jahrhundert durch die Armutsbewegung, ausgelöst unter anderem durch Bernhard von Clairvaux. Die pauperes christi, so genannt mit Bezug auf die Armut Christi, werden als Empfänger der Barmherzigkeit verstanden, weshalb ihnen auch in den zahlreichen Hospitälern und Hôtels-Dieu besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Gastfreundschaft wird also in der mittelalterlichen Stadt in vielen verschie‐ denen Formen geübt. In dieser Hochzeit des Christentums ist sie vor allem deshalb allgegenwärtig, weil sie zu den Werken der Barmherzigkeit zählt und damit Zeugnis von Nächstenliebe ist. Eben diese ist Ausgangspunkt und Daseinsberechtigung der Institutionen, die sie praktizieren: ganz gleich, ob es Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 89 <?page no="90"?> 6 Vgl. Sylvie L E C L E C H -C H A R T O N , L’hôtel-Dieu de Tonnerre, Métamorphose d’un patri‐ moine hospitalier XIII e -XX e siècle, hg. von Dominique G U É N I O T , Langres 2012, S. 25, 29 und 31. sich dabei um Hospitäler, Hospize in Konventen, Maisons-Dieu oder Hôtels-Dieu handelt, stets zeugen sie von einer christlichen Haltung, auf die sich Bischöfe, Stifter und Gemeinschaften, die dort leben und arbeiten, vor Gottes Angesicht berufen können. Im christlichen Sinne etwas Gutes zu tun, bedeutet etwas aus Nächstenliebe zu tun und ist idealisierter Ausdruck einer religiösen Gesinnung. Und die Gründung eines Armenhospitals gilt als eine der besten Formen, diese auszudrücken. Diese frommen Einrichtungen müssen deshalb notwendig an gut sichtbaren Orten platziert werden, denn nur dort können sie viele christliche Gäste empfangen und den Stiftern den Ruf einbringen, gute Christen zu sein, die mit dem Aufbau solcher Institutionen ein Lebenswerk geschaffen haben, das ihren Tod überdauern soll. Entsprechende Einrichtungen sind in den großen Städten meist unweit der Kathedrale angesiedelt, zumindest wenn es sich um ein zentrales und gut frequentiertes Hôtel-Dieu handelt. Andere sind, wie bereits erwähnt, direkt an eine Gemeindekirche gebunden oder befinden sich auf dem Landbesitz ihres Gründers, so dass der Stifterbischof, -graf oder -fürst dort regelmäßige Besuche machen kann. Als Beispiel sei hier das Hôtel-Dieu von Tonnerre in Burgund, angeführt. Gegründet 1295 durch Margarete von Burgund, Gräfin von Tonnerre und Witwe Karls I. von Anjou, König von Sizilien, Neapel und Jerusalem, wurde es unmittelbar an den Stadttoren, sogar direkt am Fuß der Stadtmauer, auf dem Landgut der Gräfin zum Zeichen ihrer karitativen Gesinnung erbaut. Das Hôtel-Dieu erfährt auf diese Weise den Schutz seiner großzügigen Stifterin, im Gegenzug kann diese von ihrem benachbarten Wohnsitz aus jederzeit durch einen unscheinbaren Hintereingang in der Nähe des Hauptaltars mit seinen vier kleinen Kapellen direkt ins Gebäude gelangen und dort zusammen mit der Spitalgemeinschaft, die in einem großen Saal von 100 auf 21 Metern mit einigen Dutzend Betten in Alkoven ihren Dienst tut, am Bett der Armen beten 6 . Demütiges Handeln für die Ärmsten als Zeugnis der Frömmigkeit und Nächstenliebe zeigt sich auch in den von Bischöfen und/ oder ihren Domkapi‐ teln gegründeten Hôtels-Dieu, die meist unmittelbar neben dem Domviertel angesiedelt werden, oft gar direkt vor den Toren der Kathedrale, den Kirch‐ platz säumend, so wie in Reims, Chartres, Lyon, Laon, Soissons, Amiens, Paris, Toulouse … alle diese Hôtels-Dieu stehen unmittelbar in der Verant‐ wortung des Bischofs, der sie regelmäßig besuchen kann. Ausgerichtet auf die gottesdienstliche Praxis, die fromme Mission der Geistlichen und der aufopferungsvollen Stifter, verfügen diese großen Einrichtungen meist über 90 Catherine Geleyn <?page no="91"?> 7 Vgl. Jean I M B E R T , Les hôpitaux en France, Paris 1996, S.-11. 8 Vgl. Jean-Louis G O G L I N , Les misérables dans l’Occident médiéval, Paris 1976, S.-155 f. eine oder mehrere Kapellen in denen sich eventuell die Gräber der Stifter finden, so wie in den Hôtels-Dieu von Paris und Orléans. Auf diese Weise ist es den Insassen möglich, den Gottesdiensten zu folgen und gleichzeitig an den Gräbern der Stifter deren Fürsprache zu erbitten. Es scheint gängige Praxis zu sein, den Stiftern, die durch ihre Spenden, regelmäßigen Zahlungen und Vermächtnisse den Bau religiöser Gebäude ermöglichen, Grabplatten, Reliefs oder Erinnerungsfenster zu widmen und regelmäßig Messen für sie zu lesen. Die Nächstenliebe der einen und das Gebet der anderen bilden also ein geschlossenes Kreissystem: So werden die Insassen von Spitälern durch die dort herrschende Atmosphäre der Andacht dazu angeregt, aus Dankbarkeit für die empfangene Barmherzigkeit an den Gräbern und in den Gottesdiensten der Spitalkirchen um göttliche Gnade für die Seelen ihrer Wohltäter zu beten. Die Stifter wiederum unterstützen aus Nächstenliebe die Einrichtung christlicher Spitäler, hoffend, dass eben deren fromm gewordene Insassen eines Tages für ihre Seele beten werden. Die betont christliche Ausrichtung der mittelalterlichen Gastfreundschaft wird auch anhand der in den Gasthäusern praktizierten Selektion erkennbar: So werden damals nur Christen aufgenommen, ‚Ungläubige‘ hingegen abgelehnt. Im Allgemeinen unter dem Patronat eines christlichen Heiligen stehend ‒ man denke an das St. Johannes-Hospital in Brügge, das St. Jakobus-Hospital in Toulouse, auch an das Heiligen-Geist-Hospital in Lübeck und viele andere ‒ und oft von religiösen Gemeinschaften wie den nach der Augustinus-Regel lebenden Schwestern geführt und unter der Verantwortung eines Bischofs stehend, unter‐ streichen die Einrichtungen ihre christliche Gesinnung, indem sie die Auswahl der Gäste an fromme Kriterien knüpfen. Zu diesen gehören beispielsweise reli‐ giöse Rituale, denen sich potentielle Gäste gleich bei ihrer Ankunft unterziehen müssen, wie die in der Mehrzahl der Statuten festgeschriebene Pflicht zu Beichte und Kommunionempfang beim Kaplan des Hospitals vor der Aufnahme 7 . Ketzer, Juden, Muslime … sind damit von vorneherein ausgeschlossen, aber auch Diebe, Räuber, demeurant partout (= besitz- und wohnungslose Bettler), die zwar Christen sind, aber dennoch den moralischen Ansprüchen der Kirche nicht entsprechen. Im Hôtel-Dieu in Paris, aufgrund seiner Größe und Bedeutung von anderen Einrichtungen oft als Vorbild genommen, wurde aus diesem Grund absichtlich auf einen Eingang an der Rue du Sablon verzichtet, da dort sich bekanntlich besonders viele Diebe, Mörder und Schurken herumtreiben 8 und anderes Gesindel herumlungert, das die Geistlichen auf keinen Fall aufnehmen Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 91 <?page no="92"?> 9 Vgl. I M B E R T , Les hôpitaux (wie Anm. 7), S.-12. 10 Alain S A I N T -D E N I S , La pratique de la charité en France au XIII e siècle, in: Lieux d’hospi‐ talité, hospices, hôpital, hostellerie. Actes du colloque international, Semur-en-Auxois, 02-05 Mai 2000, hg. von Alain M O N T A N D O N , Clermont-Ferrand 2001, S. 51-71, hier S. 54. wollen, da es sich den Lehren des Christentums in der Regel widersetzt. Der Grundsatz, nur guten Christen Einlass zu gewähren, führt auch zum Ausschluss anderer Personengruppen mit moralisch zweifelhaftem Verhalten. Wer damals nicht nach den gängigen religiösen Regeln lebt, wie beispielsweise unverheira‐ tete Mütter oder uneheliche Kinder, ist unerwünscht. Vergleichbares ist auch in den Statuten des Heilig-Geist-Hospitals an der Place de Grève festgelegt: Gegründet wurde es allgemein zur Unterstützung von Waisen, deren Eltern im Hôtel-Dieu verstarben, allerdings wurden nur Kinder aufgenommen, deren Geburt im Rahmen einer rechtmäßig geschlossenen Ehe bestätigt ist 9 . Das Pariser Konvent der Filles-Dieu (= Töchter Gottes) wurde gegründet, um Frauen mit fragwürdiger Moral zu Gott zurückzuführen. Diese Schwarzweißmalerei der Kirche führte zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei deutlich voneinander getrennte Gruppen, auf der einen Seite standen die guten Christen, auf der anderen Seite das ungläubige Volk, bestehend aus den Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und anderen Verbannten sowie den Anhängern eines anderen Glaubens, Juden und Muslim. Diese Logik der Trennung ist tief in der christlichen Moral verankert: Bereits im Hochmittelalter existieren deshalb Listen von matricularii 10 zur Registrierung der als gute Christen anerkannten Armen. Nur diese haben nämlich ein Anrecht darauf, von den durch den Bischof organisierten barmherzigen Werken zu profitieren und beispielsweise bei der Verteilung von Essen oder Kleidung für die Ärmsten bedacht zu werden oder Zutritt zum bischöflichen Armensaal zu erhalten. Diese Praxis wurde bereits auf der Synode von Aachen 816/ 817 festgelegt, indem man den Bischöfen den Bau eines kleinen Gebäudes namens receptaculum vorschrieb, in dem anfangs sie selbst, später ein receptor pauperum die Armen empfangen und Spreu von Weizen trennen sollte, was bedeutete, die guten Armen und die Pilger zu erkennen, alle anderen aber weder den Empfang von Almosen noch den Zutritt zum Gasthaus zu gewähren. Die mittelalterliche Gastfreundschaft ist damit weit mehr als ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber denjenigen, die sie wirklich nötig haben, denn sie bietet den Akteuren, die Möglichkeit, ihre wahrhaft christliche Gesinnung durch eine selektive, an religiösen Vorgaben ausgerichtete Nächstenliebe unter Beweis zu stellen. Eine auf diese Weise organisierte Gastfreundschaft kommt damit nicht nur den Stiftern sowie bestimmten Kategorien von Armen zugute, sondern auch den Städten. Die städtischen Gasthäuser übernehmen vermehrt die Aufgabe, Neu‐ 92 Catherine Geleyn <?page no="93"?> 11 Christine J É H A N N O , Pauvreté et assistance à Paris au Moyen Âge, in: Le Paris du Moyen Âge, hg. von Boris B O V E und Claude G A U V A R D , Paris 2014, S.-137-156, hier S.-139. 12 Vgl. S A I N T -D E N I S , La pratique (wie Anm. 10), S.-60 f. ankömmlinge in der Stadt als potentielle neue Einwohner, die die Stadt vor allem im 12. Jahrhundert dringend benötigt, für längere Zeit zu beherbergen. Einrich‐ tungen von ausreichender Größe um diesen Dienst zu übernehmen, werden ihre interne Arbeitsweise so organisieren, dass sie sich mit ihrer frommen Mission vornehmlich an die über einen längeren Zeitraum beherbergten Gäste wenden, weniger an die Durchreisenden. Mit spürbar steigenden Gästezahlen werden die Hospitäler beginnen, die pauvres-gisants (= die liegenden Armen) 11 , also die für einen längeren Zeitraum beherbergten Gäste und potentiellen zukünftigen Bürger von den pauvres-passants (= durchreisenden Armen) oder transeuntes, die nur einen kurzen Halt machen, bevor sie, gesättigt und ausge‐ ruht weitergehen, zu trennen. Eine solche funktionale Separation innerhalb einer Einrichtung erlaubt es, Gäste mit einer längeren Verweildauer anders zu behandeln als Durchreisende, sie in Betten in komfortableren Sälen unterzu‐ bringen und ihnen direkten Zugang zur angrenzenden Kirche zu geben, damit Hospitalschwestern, Kapläne und Almosenier sich stärker um die Seele denn um den Körper der gisants kümmern können. So werden die oftmals aus dem Hinterland kommenden Gäste während ihres gesamten Aufenthalts im Hospital religiös betreut und erhalten die Möglichkeit, sich mit den Riten und Werten der Religion vertraut zu machen, bevor sie sich in der Stadt niederlassen. Arme und Kranke werden somit zu idealen Adressaten der Evangelisierungsmission der Hospitalgemeinschaften, die ihnen ihre Pflege in einer Atmosphäre des Gebets, der Reue und des Gottesdienstes zuteilwerden lassen. Den Durchreisenden hingegen werden bei einer rituellen Fußwaschung die Füße gereinigt, was für die Wanderer und Pilger unter ihnen sicher sehr angenehm ist. Dieser an die Gründonnerstagszeremonie angelehnte Ritus offenbart ein besonders hohes Maß an christlicher Demut. Er wird bereits im 11. Jahrhundert durch Kleriker am Bischofshof ausgeführt, im 12. Jahrhundert wird er als fast übersteigertes Zeugnis der Liebe zu Christus, dem Armen unter den Armen, begangen. Die Un‐ terscheidung zwischen den beiden Gästekategorien wird sehr gut im Hôtel-Dieu von Laon in der Champagne deutlich. Von vorneherein als zweistöckiges Gebäude errichtet (1167) 12 ist die erste Etage für die Durchreisenden, Pilger oder Bettler, vorgesehen, die dort in einem recht schlichten Saal einquartiert werden, der trotzdem über einen Altar für die Messe sowie über Nebenräume verfügt. Der zweite Stock ist den gisants vorbehalten. Sie werden dort in einem weitaus größeren und besser ausgestatteten Saal untergebracht, der dank eines Kamins sogar heizbar ist und direkt an die Kirche angrenzt. Die täglich an der Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 93 <?page no="94"?> 13 Vgl. ebd., S.-62. 14 Vgl. ebd., S.-66. 15 Vgl. I M B E R T , Les hôpitaux (wie Anm. 7), S.-11. Pforte empfangenen Gäste werden im Empfangsbereich zunächst entsprechend ihrer Bedürfnisse sortiert: Die Bettler erhalten Nahrung und Kleidung, die Pilger Fußpflege, einen gefüllten Proviantbeutel und einen Stab, um ihren Weg fortsetzen zu können. Die Armen, krank und/ oder unterernährt, werden hingegen in den Bettensaal gebracht, wo sie in einer frommen Atmosphäre Nahrung und weitreichende Pflege erhalten. Nach einer erfolgreichen Spenden‐ sammlung wird das Hôtel-Dieu in Laon 1273 neu gebaut und kann nun etwa 200 Gäste 13 gleichzeitig aufnehmen. Erneut wird auf die Trennung der beiden Bereiche geachtet und das Haus wird weiterhin direkt mit dem Konvent der Hospitalgemeinschaft verbunden. Das Haus in Laon ist nur eines von vielen Beispielen, an denen sich die in den Einrichtungen vorherrschende Tendenz aufzeigen lässt, sich die Begleitung der gisants nouveaux arrivants (der armen Neuankömmlinge) in den Städten zur Hauptaufgabe zu machen, ja, dies als Daseinsberechtigung zu sehen. In der Tat geht es den Verantwortlichen dieser Einrichtungen darum, die Hospitalinsassen zu evangelisieren, indem sie sie während ihres gesamten Aufenthalts an christliche Frömmigkeitspraktiken heranführen. Während der Zeit in der Herberge vollzieht sich der Übergang vom ländlichen, noch durch mythische und heidnische Vorstellungen geprägten christlichen Glauben, den der Dorfpfarrer auf dem Land aus Bequemlichkeit akzeptiert hatte, hin zum reineren christlichen Glauben, der in der Stadt praktiziert wird. Die gisants leben im Hospital wie in einer Blase, wie eingehüllt in die christliche Frömmigkeit. Begleitet wird dieser Übergang durch einen Initiationsritus: Jeder Neuankömm‐ ling, der eine Zeitlang in der frommen Gemeinschaft leben wird, wird gleich nach dem Empfang an der Pforte, seiner Kleider entledigt, gewaschen und von der Hospitalgemeinschaft mit der Tracht des Hospitals 14 ausgestattet. Dies entspricht einem Übergangsritus, der den inneren wie äußeren Übertritt von der weniger christlichen Welt draußen hin zur christlichen Welt des Hospitals markiert, die umso christlicher ist, da sie Teil der christlichen Stadt ist, die sich wiederum von der weniger christlichen ländlichen Welt abhebt. Der Neu‐ ankömmling wird aber erst dann vollständig als christlicher Gast einer frommen Einrichtung anerkannt, wenn er gebeichtet hat, wenn er angehalten wurde, für die begangenen Sünden Buße zu tun und anschließend zu kommunizieren, denn: nul n’est reçeu si ne se confesse à l’entrée 15 . Hier liegt also ein Geflecht verschiedener Übergänge vor, die alle dazu führen sollen, Körper und Seele der von außen kommenden Gäste zu reinigen und ihnen eine neue Identität 94 Catherine Geleyn <?page no="95"?> zu geben: als Sünder sollen sie sich fortan begreifen und auf diese Weise den Weg zum Bußsakrament finden, zu dem sie bisher keinen Zugang hatten. Angehalten von den Stiftern, dem Bistum und der Kirche allgemein, sollen die Hospitalgemeinschaften in ihrer Funktion als Seelsorger den Insassen ihrer Häuser die christliche Lehre von der Sühne von Verfehlungen durch Gebete und Gott dargebrachtem Leid ans Herz legen. Denn die von Gott durch die Gebete der nun anerkannten Gäste-Sünder erbetene Erlösung der Menschen führt nicht nur zur Vergebung der individuell begangenen Sünden, sondern bezieht sich auf die Sünden aller Christen, die per se arme Sünder sind. Damit schließen die Gebete der Gäste die Bitte um die Vergebung der Erbsünde ein, was auch bedeutet, dass sie indirekt um die Vergebung der Sünden von Stiftern und reichen Wohltätern bitten, von denen sie als Gäste in den Spitälern profitieren. Darüber hinaus hängt das christliche Schicksal der Städte von den großen wie kleinen Stifterpersön‐ lichkeiten ab, die aus ihnen kommen und deren Unterstützung und christliche Nächstenliebe gegenüber den Armen auf dem Prinzip basiert: Der Weg zu Gott führt über die Liebe zu den Armen. Von Kirche und Diözesen durch Kollekte und Prozessionen finanziert, wird karitative Gastfreundschaft verbunden mit einer intensiven seelsorgerischen Mission gegenüber den Neuankömmlingen aus dem städtischen Umland damit zu einem für die Stadt unschätzbar wertvollen Ritual. Ein solcher Umgang mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe wurde bereits von Augustinus (354-430) gelobt, dem Patron christlicher Gastfreundschaft im späten Römischen Reich, das sich im fünften Jahrhundert gegenüber verfolgten Flüchtlingen außerordentlich unbarmherzig erweist. Ebenfalls von Augustinus her rührt der Gedanke, Almosen besser der Kirche als direkt den Armen zu geben; er wird im Hochmittelalter wieder brandaktuell, als die städtischen Hospitäler so ausreichende Finanzierung erhalten, dass sie sich im gleichen Maße entfalten können wie die Städte selbst. Von diesem Moment an liegt es auch in der Verantwortung der Bischöfe, die Zahl der christlichen Herbergen in der Stadt zu vervielfachen, die gewissermaßen als christliche Schleuse im Zustrom armer Migranten zur Stadt fungieren. Besonders am Höhepunkt von Hungersnöten und Gewalttaten streben diese in die Stadt und wenden sich dann direkt ans Hospital, das auf Gäste angewiesen ist, allerdings nur auf christliche Gäste. Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 95 <?page no="96"?> Abb. 4: Detail des den Männern vorbehaltenen Thomas-Saals im Hôtel-Dieu in Paris. Im Hintergrund links die Schwerkranken, von denen einer gerade die heilige Kommunion von einem Priester empfängt, im Vordergrund links sieht man Nonnen Betttücher nähen, in der Mitte und in der Verlängerung hin zur Christophorus-Kapelle einige Personen, darunter der König, im Gebet, rechts weitere Schwestern, die Genesenden geistliche und körperliche Nahrung zukommen lassen. Titel des Manuskripts: Die dem Erzbischof und Patriarchen von Bourges und Primat von Aquitanien bewilltigte Vergebung, Gnade und Lohn für die Wohltäter des Hôtel-Dieu von Paris, um 1500. Faksimile eines Holzschnitts, Musée de l’Assistance publique, Paris. Im Folgenden sei der Blick noch einmal auf das Leben im Hospital gerichtet. Die privaten Räume der Hospitalgemeinschaft sind deutlich getrennt von den öffentlichen Bereichen, in denen auch diejenigen Gäste beherbergt werden, die seelsorgerisch begleitet werden, aber keiner körperlichen Pflege bedürfen. Ihr Wohnbereich liegt unmittelbar neben dem Krankensaal. Auf diese Weise wird die Unterscheidung verschiedener Gästekategorien noch offensichtli‐ cher: Die Armen werden als separate Gruppe gesehen, als Empfänger der Evangelisierungsmission und nicht in gleichem Maße ins Hospital integriert wie die Mitglieder der religiösen Gemeinschaften, die sie empfangen und pflegen. Der Bereich der Hospitalinsassen mit Altar oder Kapelle sowie anliegenden Räumen ist vom Konvent der Hospitalbrüder oder -schwestern deutlich getrennt. Als dauerhafte Wohnstätte umfasst dieser üblicherweise 96 Catherine Geleyn <?page no="97"?> 16 Dies ist beispielsweise im Hospital Notre Dame à la Rose, gestiftet 1242 in Lessines (damals Grafschaft Flandern), erkennbar, dessen Architektur noch immer die Trennung zwischen dem Bereich für die Armen (Krankensaal und Fremdensaal) und demjenigen für die Schwestern des Konvents, mit Schlafaal, Refektorium, Bibliothek und Infirmarium, zeigt. Im Zentrum des Komplexes liegt der den Hospitalschwestern vorbehaltene Kreuz‐ gang. Die Beschreibung beruht auf einem Besuch der Autorin vor Ort; entsprechende Informationen bietet auch die Internetseite www.hopitalalarose.com. 17 Die deutliche Abgrenzung des Lebensbereichs der Ordensgemeinschaft, ausgerichtet auf das Allerheiligste, vom Bereich der vorübergehend beherbergten Gäste, die im Westen untergebracht sind und auf diese Weise die verdorbene Welt jenseits der Klosterpforte symbolisieren, wird beispielhaft am oft nachgeahmten Basisplan der Abtei von Cluny II von 1050 (sowie erneut 1088) deutlich. Die Originalpläne wurden von Kenneth J. Conant im Maßstab 1: 500 rekonstruiert und basieren auf den von ihm geleiteten Ausgrabungen (1928-1950), vgl. Philippe A R I È S / Georges D U B Y , Histoire de la vie privée 2. De l’Europe féodale à la Renaissance, Paris 2 1999, S.-55 f. eine Kirche oder Kapelle, einen Kreuzgang, sowie einen Ess- und Schlafsaal 16 , oft auch ein Infirmarium und sogar ein Noviziat. Die Gebäude sind meist so konstruiert, dass die Bereiche, die den Gott näherstehenden Mitgliedern der religiösen Gemeinschaften vorbehalten sind, den Gästen nicht zugänglich sind, sie werden auf diese Weise ausgegrenzt. Die hier beschriebene Auftei‐ lung findet man in Hospitälern ebenso wie in Stadtklöstern, wenn diese über eine Pflegestation oder eine Herberge für Durchreisende verfügen. Am deutlichsten wird diese Struktur ‒ weil sie dort entstanden ist ‒ in Klöstern, mit einer klaren Trennung zwischen dem Gastbereich und dem geschlossenen Bereich, in denen die Mönche leben, die das Ordensgelübde abgelegt haben und unter der Autorität eines Abtes oder Priors stehen. Sie spiegelt eine Hierarchie der Heiligkeit wider: Die weniger christlichen Gäste, die aus der unreineren Welt draußen kommen und wieder dahin zurückkehren, sind weiter von Gott entfernt als die religiöse Gemeinschaft, die gelobte, ihr Leben Gott zu weihen, wobei das Gebet dieser Gemeinschaft für das Heil eben dieser armen Gäste sie Gott noch näherbringt. Das Hospiz eines Klosters befindet sich deshalb in der Regel außerhalb der Stadt ‒ es sei denn, diese hat es durch ihre Ausbreitung gewissermaßen eingeholt ‒, was sehr deutlich zeigt, in welchem Maße diese Trennung Teil der klösterlichen Regeln geworden ist 17 . Das Hospiz für die Armen, aber auch das Gästehaus für die von Äbtissin oder Abt eingeladenen Reichen liegen direkt am Eingang des Klosters, im äußeren Bereich, gleich hinter der Pforte, wo der Gästebruder sich um den Empfang und die, wenn nötig, tägliche Verteilung von Lebensmitteln kümmert. Die Gäste des Klosters werden damit in einem genau abgesteckten Bereich beherbergt und umsorgt, von dicken Mauern umgeben und getrennt vom Lebensraum der Mönche und ihren Gebetsstätten. Im Westen, auf der Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 97 <?page no="98"?> Seite für die weniger reinen Christen und damit weit entfernt vom Chorraum der Abteikirche, die sich in der Mitte des Klosters befindet, wo nur die Mönche und deren privilegierte Besucher Zugang haben, liegt das Hospiz ‒ ganz der gängigen West-Ost Symbolik entsprechend: Kirchen öffnen ihre Portale näm‐ lich in der Regel gen Westen, von dort kommen die ‚normalen‘ Menschen, die Gläubigen aus der verdorbenen Welt, zur Messe. Die Mitglieder der religiösen Gemeinschaft und die Priester, die die Messe zelebrieren, hingegen befinden sich im Chorraum der Kirche, im Osten, dem Symbol für die Präsenz Gottes. Die Seite der aufgehenden Sonne im Osten steht für die Auferstehung und die Erlösung durch die Gebete für die armen Seelen, damit diese wieder zu Gott zurückfinden mögen. Die Seite der untergehenden Sonne im Westen aber führt hinaus in die verdorbene(re) Welt. Diese Vorstellung spiegelt sich im Idealplan des Klosters von St. Gallen wider, entworfen um 820 und umgesetzt in dem seit dem 12.-Jahrhundert anzutreffenden Klostertypus: in der Platzierung des Abts und der Mönche in der Mitte, so nahe wie möglich am Allerheiligsten, der Situierung von Friedhof und Infirmarium mit den Kranken im Osten, dem Sinnbild der Auferstehung, der Unterbringung der Durchreisenden, Invaliden, Kinder und Alten im Hospiz im Westen, dem Sinnbild der korrumpierten Welt. Dies entspricht einem der großen Prinzipien christlicher Baukunst, die christliche Lehre räumlich darzustellen, je nach Intensitätsgrad des Glaubens, der die Christen mehr oder weniger eng mit der Gemeinschaft der Gläubigen verbunden sein lässt. Im vom Herdenprinzip geprägten Mittelalter kommt eine solche Teilhabe an der christlichen Gemeinschaft der allgemeinen Integration in die Gesellschaft gleich. Indem die Hospitäler den gisants die religiösen Riten und Verhaltensre‐ geln nahebringen, schaffen sie eine wesentliche Voraussetzung für die Inte‐ gration ins städtische Leben, vor allem für ihre Eingliederung in soziale Körperschaften, denen im Mittelalter, vor allem in der Stadt, jeder Mensch zugeordnet ist. Solche im hohen Maße christlich geprägten und in der Regel dem Schutz eines Heiligen unterstehenden Körperschaften gibt es in der komplexen Welt der Stadt sehr viel häufiger als auf dem Land, sie bilden die Grundlage für alle sozialen Gruppierungen. In ihnen herrscht ein Ideal interner Solidarität, das die Mitglieder im Geist des Friedens und der gegenseitigen Hilfe zusammenschweißt, bekräftigt durch den von jedem Mitglied geleisteten Eid. All diese Körperschaften, Bruderschaften, Zünfte, Gilden, Kongregationen, universitas, Kirchengemeinden und andere Arten von Vereinigungen zielen darauf ab, die Identität des Einzelnen auszulöschen und durch eine Gruppenidentität zu ersetzen. Wie die Mitglieder religiöser Gemeinschaften stehen die Einwohner der Städte in ihrem corpus, ihrer 98 Catherine Geleyn <?page no="99"?> Körperschaft zusammen, die gewissermaßen ihr Privatim wird, in der sie sich in der gemeinsamen Feier des heiligen Patrons, bei dem es sich oft um den Schutzheiligen der Stadt oder des Berufsstandes handelt, verbunden fühlen, so wie man sich dem Patron eines Ordens verpflichtet fühlt, vor dem man sein Gelübde ablegte. Die Körperschaften bieten nicht nur eine soziale Identität, sondern auch eine grundlegende Solidarität unter ihren Mitgliedern. Das dort herrschende Prinzip der gegenseitigen Hilfe, zum Beispiel durch die in einigen Berufsgruppen üblichen Sicherheitskassen und die gemeinsame Verteidigung gegenüber Feinden von außen unterscheidet sie grundlegend von der sozialen Organisation auf dem Land: Diese untersteht gewöhnlich der vom Vater auf den Sohn vererbbaren Autorität eines Agnaten, der über die Familie und weitere Mitglieder eines Haushalts herrscht, über den domus, Bezeichnung für das Haus ebenso wie für die Familienlinie. Auch ist dort der sinnbild‐ liche Kreislauf des Lebens an den Jahreslauf der Natur, den bäuerlichen Rhythmus der Jahreszeiten und die Stätten immer noch lebendigen paganen Brauchtums gebunden, die die Kirche lange Zeit übernehmen und sich zu eigen machen will. Dieser Prozess der Anverwandlung ländlicher Bräuche wird im Hospital auch an die gisants weitergegeben, die in der frommen Atmosphäre des Hospitals leben und sich auf diese Weise an eine neue Dimension sozialer Integration gewöhnen sollen, die nicht mehr agnatisch familiär, sondern korporativ organisiert ist. Das Hospital fungiert also erneut als Übergangsraum, im vorliegenden Kontext zwischen der ländlichen, noch stark dem paganen Zyklus der Natur verhafteten Welt und der städtischen schon von der Religion geprägten Welt. Die Hospitalgemeinschaft vermittelt also an die Gäste nicht nur den christlichen Glauben, sondern auch die auf christlicher Treue basierenden Lebensregeln, die dazu anregen, sich durch gemeinsames Gebet Gott zu nähern ‒ allerdings als Gemeinschaft, nicht allein, wie es von der Gesellschaft ausgeschlossene, Verbannte, aber auch christliche Eremiten tun. Durch ihre absichtsvolle Isolierung widersetzen sie sich nämlich der christlichen Forderung nach gemeinschaftlichem Leben, die individualistischem Stolz und mangelnder Unterwürfigkeit keinen Raum lässt. Körperschaften, die dazu dienen, aus vielen Einzelpersonen eine im Glauben an Gott geeinigte Gemeinschaft zu bilden, existieren bereits in Form von Hospitalbruderschaften und Ordensgemeinschaften; diese beiden durch Gebet und gemeinsamen Glauben zusammengehaltenen Gemeinschaften können den Körperschaften ohne Zweifel als Vorbild dienen. Das Gemeinschaftsideal des corpus oder der familia nach dem Modell der Mönche oder mönchisch lebender Laien, die zusammen mit ihrem Abt oder ihrer Äbtissin leben und mit ihm oder ihr ein Privatim bilden, steht im Gegensatz zum öffentlichen Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 99 <?page no="100"?> Recht, das außerhalb des Klosters oder analog dazu außerhalb einer zivilen Körperschaft, beispielsweise einer Berufsgemeinschaft, gilt. Dem internen Recht der Körperschaft unterliegen hingegen alle ihre Mitglieder, auch wenn sich diese außerhalb der Klostermauern befinden. Deutlich wird dies durch das gemeinsame Tragen sichtbarer Zeichen der Zugehörigkeit: die gleichen Kleider, Accessoires oder Schuhe, identisches Werkzeug oder das gleiche Berufskennzeichen, Rosenkränze … auch die gleiche Tonsur, die gleiche Mütze oder der gleiche Hut (bei Mönchen) bzw. die gleiche Flügelhaube (bei Nonnen). Das Mittelalter hat nie aufgehört, nach dem Herdenprinzip funktionierende Körperschaften zu bilden. Diese konnten in der christlichen Stadt besonders gut Fuß fassen, da sie dort auf die ohnehin gemeinschaftlich organisierten Hospitalgemeinschaften und die quirlige Welt der Zünfte treffen. Und da die Religion im Mittelalter alle Lebensbereiche beeinflusst, ist dies auch mit Blick auf die mystischen Symbole der Gewerbe der Fall. So stehen die beruflichen Gruppen, in die nur Einlass erhält, wer Gott einen Eid geschworen hat, ebenfalls unter dem Segen eines Patrons; St. Blasius beispielsweise ist für die Weber, St. Nikolaus für die Fleischer, St. Eligius für die Goldschmiede und Münzer, St. Petrus für die Maurer zuständig. Die religiöse Dimension spielt für diese Gemeinschaften eine große Rolle, da in ihnen ein korporativer Geist herrscht: Meister und Gesellen befolgen strikte Regeln, wenn es um die Aufnahme, die Beförderung einzelner Mitglieder oder die innere Organisation der Gemeinschaft geht, und schützen diese durch Privilegien, die von den Zunftvorstehern einer Stadt oder einer mehrere Städte übergreifenden Gilde genauestens überwacht werden. Das gleiche gilt auch für die großen Messen, die jährlich oder halbjährlich zum Beispiel in Troyes, Provins oder Lagny in der Champagne stattfinden oder für den Markt in Lendit nördlich von Paris: Sie alle sollen den Handel an den Kreuzungen der verschiedenen Wege in Okzident und Orient aufleben lassen, sind deshalb Gott geweiht und werden üblicherweise mit dem Segen des Bischofs eröffnet. In diesem Kontext erhält die christliche Prägung der städtischen Wertvorstellungen, die wesentlich durch die Arbeit in den Hospitälern vorangebracht wurde, im Moment des Städtewachstums mit bisher unbekanntem demographischen und ökonomi‐ schen Ausmaß im 12. und 13. Jahrhundert eine neue Dimension. In dieser Zeit erlebt auch das städtische Christentum einen merklichen Aufschwung, was sich sicher auch mit der Herausbildung der neuen, lichten gotischen Kathedralbaukunst und der Einführung des Universitätsfachs Theologie und des Beichtgebots erklären lässt. Alle drei Aspekte unterstützen die Macht der Kirche über ihre Gläubigen und die gesamte Gesellschaft. Im gleichen Maße wie die christlichen Städte im Abendland immer mehr zunehmen und immer 100 Catherine Geleyn <?page no="101"?> größere Bevölkerungsgruppen anziehen, sollte sich nun auch das Netz der sehr christlichen Hospitäler entwickeln. Die Zahl der Hospitäler, Hôtels-Dieu und anderer karitativer Einrichtungen in den neu gegründeten Städten steigt, die Häuser werden auch immer größer, um den Neuankömmlingen logistische wie religiöse Unterstützung anbieten zu können. Dabei orientieren sie sich an den christlichen Werten, eben jenen, die es auch in der städtischen Welt zu verbreiten gilt, die sich als sehr empfänglich erweist: Treue, Selbstverleug‐ nung, Mäßigung, Demut, Frömmigkeit und Schuldempfinden ‒ diese Werte werden nicht nur in den Hospitälern vermittelt, sondern auch von den Be‐ rufsgemeinschaften propagiert; dabei stehen Treue und Gehorsam gegenüber dem Meister in den sehr hierarchisch organisierten Zünften und Gilden an erster Stelle. Als man sich in den Hospitälern im Zusammenhang mit der Entwicklung der sehr großen Städte darauf einstellte, eine steigende Zahl von Armen, die von der städtischen Expansion angelockt wurden, aufzunehmen, bildet sich das bereits erwähnte Kreissystem heraus, das die Nächstenliebe der reichen Kaufleute mit den christlichen Werten verbindet, die in den Hospitälern vermittelt werden. So machen beispielsweise die Verantwortli‐ chen der Berufsgemeinschaften, bevor sie sich um die Herrschaft in den stadtübergreifenden Gemeinschaften bemühen, Schenkungen an die Kirche um ihren Glauben unter Beweis zu stellen und ihre Schuldgefühle infolge ihres Reichtums zu dämpfen. Das gestiftete Vermögen wird wiederum von der Kirche verwendet, um Werke der Barmherzigkeit in die Tat umzusetzen, dar‐ unter den Bau von Hospitälern zur Aufnahme armer Neuankömmlinge in der Stadt. In diesen Einrichtungen werden die zukünftigen Stadtbewohner in eine Atmosphäre christlicher Andacht gehüllt und angehalten, für die Erlösung ihrer reichen Wohltäter zu beten. Auf diese Weise werden die von der Kirche organisierten Akte der Nächstenliebe, vor allem die Gastfreundschaft, von den reichen Kaufleuten und Bürgern finanziert, die über die Hospitäler an fromme und demütige Arbeitskräfte gelangen können. Innerhalb des beschriebenen Kreissystems behalten allerdings die Beteiligten die Rollen immer bei, da weder die Kirche noch die Stifter davon ausgehen, dass die Armen eines Tages nicht mehr arm sein können, sie also gleichfalls zu Wohltätern werden könnten. Dies zeigt, dass sich die karitative Gastfreundschaft im Kontext wirtschaftlicher und politischer Zufälligkeiten als nützlich erweist und im Mittelalter stets eng mit dem religiösen Bereich verbunden ist. Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 101 <?page no="102"?> Abb.-5: Detail 9/ 2M des Apostelfensters der gotischen Kathedrale von Chartres, frühes 13. Jh., Gabe der Bäckerzunft, die auf diese Weise zum Bau der Kathedrale beitragen und damit Zeugnis ihrer christlichen Frömmigkeit ablegen wollte. Die Finanzierung des Fensters erlaubt es ihr nicht nur, ihr Handwerk und ihre Zunft gut präsentieren und sich dabei gleichzeitig Gott nähern zu können, sondern auch ihren wirtschaftlichen Erfolg zu demonstrieren, der es ihr ermöglicht, eine so bedeutende Zuwendung zu machen. Unterhalb der Fensterflächen, die den Beginn der Apostelmission illustrieren, sieht man einen Bäcker, der einem Mann für ein Geldstück runde Brötchen verkauft. Dass das Fenster in der zentralen Kapelle des Chorumgangs ganz im Osten liegt und damit bei Sonne besonders hell aufscheint, unterstreicht die Szene und die Glaskunst, die im typischen Blauton der Kathedrale von Chartres gestaltet ist. 102 Catherine Geleyn <?page no="103"?> Um ihre im doppelten Sinne charismatische Frömmigkeit unter Beweis zu stellen, machen einige Berufsgemeinschaften Zuwendungen an die Kirche ihrer Stadt. Diese müssen allerdings keineswegs nur finanzieller Natur sein, sie können auch in materieller Form übermittelt werden, beispielsweise als Kir‐ chenfenster, so wie das von der Bäckerzunft in Chartres gestiftete Apostelfenster der Kathedrale oder auch jenes der Tuchmacher, gestiftet aus Anlass des Baus der St. Blasius-Kapelle, begonnen 1389 in Semur-en-Auxois in Burgund. Kirche und Stadt, die beide durch das Tuchgewerbe reich geworden waren, ließen ge‐ meinsam eine Kapelle unmittelbar angrenzend an die Stiftskirche Notre-Dame de Semur-en-Auxois errichten, um auf diese Weise der reichen und karitativen Tuchmachergemeinschaft ebenso Ehre zu erweisen wie ihrem heiligen Patron. Der Bau eines Gebäudes wird üblicherweise durch die Kirchbauhütte einer Stadt organisiert, deren Auftrag es ist, die Schenkungen, Stiftungen und Sammlungen, die für Bau und Erhalt der Kirche nötig sind, zu organisieren, ganz gleich, ob es sich dabei um eine kirchliche karitative Einrichtung oder um eine Kapelle, eine Kirche oder eine Kathedrale zur Ehre Gottes handelt. Der Bau eines Hospitals, bei dem es sich per se um ein kirchliches Gebäude handelt, da es in den meisten Fällen ohnehin an eine Gemeinde oder, so es sich um ein Hôtel-Dieu handelt, eine Kathedrale angeschlossen ist, und zusätzlich die offensichtliche Aufgabe hat, christliche Barmherzigkeit gegenüber den Armen zu üben, fällt damit in doppelter Hinsicht in die Zuständigkeit der Kirchbauhütten. In der Tat stehen die Grafen, Fürsten und Bischöfe, also die bald durch reiche Bürger und ihren Berufsgemeinschaften ersetzte Elite, nunmehr an der Spitze einer wachsenden Wirtschaft, die der Entwicklung der Berufe vieles verdankt, die aber wiederum auf das Wachstum der Stadtbevölkerung angewiesen ist. Abgesichert durch ihr stadtübergreifendes Netz an Bekanntschaften und Kunden, werden diese reich gewordenen Bürger eines Tages neue Macht in den Städten erlangen, sie als Stadträte oder Konsuln organisieren und vor allem das Steuerwesen in ihrem Interesse gestalten ‒ dies alles geprägt von christlichem Geist, wovon auch ihre karitativen Gaben für die Kirche und die Armen zeugen. Auf diese Weise führen die durch den Handel und ihre zahlreichen neuen Aktivitäten und Produkte reich gewordenen Bürger einen in diesem Ausmaß noch nie dagewesenen Aufschwung des Handels im christlichen Abendland und darüber hinaus herbei. Die Religion spielt auch und besonders bei den Wanderberufen der Gemein‐ schaft der Bauleute für außergewöhnliche Bauwerke eine große Rolle. Zu diesen Gebäuden gehören die Kirchen, vor allem die Kathedralen, in Auftrag gegeben von den Bischöfen als besonderes Zeugnis für den christlichen Glauben ihrer Stadt und ihren ewigen Ruhm; Kathedralen, in denen Platz für alle Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu 103 <?page no="104"?> 18 Zitiert nach François I C H E R , Les œuvriers des cathédrales, Paris 2012, S.-177. Gläubigen der Stadt sein wird, die dank der gotischen Kunst in bisher unmöglich geglaubte Höhen hinaufwachsen, um die Stimmen der tiefgläubigen Bürger der Stadt zu Gott emporzutragen. Wie das Beispiel der Steinmetzgilde der Großen Straßburger Loge zeigt, verlangt die Bruderschaft der Bauhandwerker auch innerhalb ihrer Gemeinschaft religiöse Hingabe. In ihren Statuten ist festgelegt: Kein Handwerker oder Meister wird in die Gilde aufgenommen, wenn er nicht einmal im Jahr die Kommunion empfängt, nicht die Regeln der christlichen Lehre respektiert oder sein Hab und Gut im Spiel verschwendet. Wenn aber jemand fälschlich in die Gilde aufgenommen wurde, da er die oben aufgeführten Regeln nicht beachtet, wird kein Meister mit ihm Kontakt aufnehmen, kein Geselle wird bei ihm bleiben, bis er dieses Missverhalten eingestellt hat und von den Gildeoberen dafür bestraft wurde 18 . Schlussendlich florierte die mittelalterliche Gastfreundschaft, die in so großem Maße zur Bevölkerung der Städte beigetragen hat, nur zu einer Zeit, als wirtschaftlicher Aufschwung mit Bevölkerungszuwachs zusammenging. Sie ist damit eng an die Machtansprüche der Kirche und des wirtschaftlichen Sektors gebunden, die in dieser Zeit wiederum eng mit der städtischen Welt verknüpft sind. Sie begann recht bescheiden im Zusammenhang mit dem Wachstum der adligen Städte im 11. und 12. Jahrhundert, profitierte von Bevölkerungs‐ wachstum und technischen Neuerungen, die die Lebensqualität verbessern und die Mortalität am Ende des ersten Jahrtausends verringern. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entwickelt sich die mittelalterliche Gastfreundschaft deutlich weiter, fortan ist sie durch zahlreiche Einrichtungen in den großen Städten der Grafen, Fürsten und Bischöfe ‒ die bald von den Bürgern abgelöst wurden ‒ präsent. Die Hospitäler, die großen Hôtels-Dieu und die zahlreichen anderen Orte der Gastfreundschaft für ‚Reisende‘ knüpfen an das wachsende Bedürfnis der Städte nach neuen Einwohnern an, indem sie Aufrufe starten, um neue ‚Gäste‘ in die Stadt zu locken. Die Zeit des städtischen Aufschwungs, in der die wachsende Wirtschaftskraft und der damit einhergehende Bedarf an Arbeitskräften durch die Früchte der seelsorgerischen Arbeit der Kirche in den Hospitälern ‒ eine Vielzahl christlicher neuer Einwohner ‒ gestillt werden kann, endet jäh mit den im 14. Jahrhundert aufziehenden Plagen. Denn der Niedergang der Städte zieht unweigerlich das Ende der gelebten Gastfreundschaft nach sich und damit verbunden auch eine drastische Veränderung der Einstellung gegenüber den Armen. Hatte man sie in Zeiten des Aufschwungs ersucht, in die Städte zu kommen, weist man sie in schlechten Zeiten zurück. Der im 12. und 13. Jahrhundert so umworbene Arme wird nun zum Sündenbock und 104 Catherine Geleyn <?page no="105"?> für die großen Plagen des ausgehenden Mittelalters verantwortlich gemacht, die von den Christen als göttliches Strafgericht für die auf Erden begangenen Sünden verstanden wurden. Dies macht die untrennbare Verknüpfung zwischen Städtewachstum und Kirche deutlich: Solange die strikten Regeln folgenden Bruderschaften, Berufsgemeinschaften und Gilden Arbeitskräfte suchen, die mit den christlichen Regeln und Zeichen vertraut sind, werden Neuankömmlinge in den christlichen Hospitälern der Stadt gerne empfangen, teils sogar explizit herbeigerufen. Es besteht also eine unterschwellige Verknüpfung zwischen gelebter Gastfreundschaft und pragmatischen Interessen der Eliten der Städte, in denen reiche, angesehene Bürger für das politische, wirtschaftliche und religiöse Schicksal der Stadt gleichermaßen verantwortlich sind. Gastfreundschaft, ob nun durch karitatives Engagement in Zeiten des Aufschwungs gefördert oder in Zeiten des Niedergangs auf ein Mindestmaß reduziert, kann also immer nur im engen Kontext der Stadtkultur und der Länder verstanden werden, deren moralische wie gesellschaftliche Werte sie repräsentiert. 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Actes du colloque international d’Amiens-Beauvais (22-24 novembre 2002), hg. von Pascal M O N T A U B I N , Amiens 2004, S.-255-270. 106 Catherine Geleyn <?page no="107"?> 1 Pontifikat von 1119 bis 1124. In dem angeblich von ihm verfassten Eingangsbrief zeichnet Papst Calixt II. als Kompilator der Textsammlung und Autor zahlreicher Passagen. Nach ihm, als Codex Calixtinus, ist auch die älteste und wichtigste erhaltene Handschrift des Liber Sancti Jacobi benannt, die heute im Archiv der Kathedrale von Santiago de Compostela aufbewahrt wird. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Zuschreibung - darüber besteht Konsens - um eine Erfindung, deren sich der An‐ onymus wohl bediente, um seinem Werk die nötige Legitimation zu verleihen. Vgl. Klaus H E R B E R S , Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“. Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1984, S. 16, und Friederike H A S S A U E R , Santiago. Schrift, Körper, Raum, Reise. Eine medienhistorische Rekonstruktion, München 1993, S.-218 f. 2 Der Titel Liber Sancti Jacobi ebenso wie der differenzierende Gebrauch - Liber Sancti Jacobi für das Werk, Codex Calixtinus für die Compostellaner Handschrift - gehen auf Joseph B É D I E R zurück: Les légendes épiques. Recherches sur la formation des chansons de geste 3, Paris 3 1929, S. 75 f., Anm. 1. Die vollständige Transkription des lateinischen Originaltextes, auf die ich mich im Fortgang beziehen werde, ist von Klaus H E R B E R S und Manuel S A N T O S N O I A erstellt worden: Liber Sancti Jacobi, Santiago de Compostela 1998. 3 Jeanne V I E L L I A R D , Le Guide du Pèlerin de Saint-Jacques de Compostelle. Texte latin du XII e siècle, édité et traduit en français d’après les manuscrits de Compostelle et de Ripoll, Paris 5 2004. Dies ist der mir vorliegende fünfte Nachdruck. Die Erstausgabe erschien 1938 bei Protat (Macon). Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi Florian Weber Der traditionell Papst Calixt II. 1 zugeschriebene Liber Sancti Jacobi 2 aus der Mitte des 12. Jahrhunderts bietet vielerlei praktische Hinweise für die Vorbereitung und Durchführung einer Pilgerfahrt zum Grab des hl. Jakobus im äußersten Nordwesten Spaniens. Insbesondere das fünfte und letzte Buch der Textsamm‐ lung - seit der Ausgabe Vielliards 3 bekannt als Pilgerführer - bildet mit seinen präzisen Routenbeschreibungen, seinen Angaben zu Völkern, Landschaften, Flüssen und loca sancta sowie seiner eingehenden Darstellung der Stadt Com‐ postela und der Apostelbasilika eine reiche Quelle an landeskundlichem Wissen. Überraschend wenig steht im Pilgerführer jedoch über Beherbergungseinrich‐ <?page no="108"?> 4 Richard S E N N E T T , Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Frankfurt a.-M. 1991. 5 Ebd., S.-12. tungen zu lesen. Sieht man von vier nur beiläufig erwähnten Hospizen auf dem Camino Francés und in Compostela ab, so bleibt die Frage, wo Jakobspilger auf der Wochen und Monate dauernden Reise unterkamen, völlig offen. Andere Teile des Liber Sancti Jacobi erscheinen unter diesem Aspekt ergiebiger, vor allem manche Exempelgeschichten und der berühmte Sermon Veneranda dies (Kapitel 17 des ersten Buches), mit denen sich auch der Aufsatz von Klaus Herbers in diesem Sammelband befasst. Zwar fehlt es in diesen Texten ebenfalls an konkreten Quartierempfehlungen, doch werden Gastfreundschaft, der rechte (und unrechte) Umgang mit Pilgern und das (gewerbliche) Herbergswesen darin an diversen Typen und Beispielen thematisiert. Schauplatz oder Bezugsraum ist dabei immer wieder die Stadt - hier nehmen Pilger, um sich von den Mühsalen der Reise zu erholen, Unterkunft in einem Wirtshaus oder bitten um gastliche Aufnahme amore Dei et beati Jacobi. Stadtbewohnern kommt im Gegenzug die Rolle derjenigen zu, die Beherbergung und Verköstigung gewähren - sei es in guter oder in böser, abusiver Absicht - oder auch verweigern. Gastlichkeit und insbesondere das kommerzielle Herbergswesen erscheinen im Liber Sancti Jacobi folglich als primär urbane Phänomene. Im Folgenden möchte ich daher in zwei Schritten vorgehen: zunächst herausarbeiten, wie Städte und städtische Orte in der mittelalterlichen Sammelhandschrift - erst im Pilgerführer, dann in weiteren ausgewählten Texten - im Allgemeinen wahrgenommen werden, und anschließend den Fokus auf Herbergen, den Typus des (bösen) Gastwirtes und Szenen der Hospitalität in städtischen Kontexten legen, die leicht umschlagen in Szenen der Hostilität. Als theoretische Fundierung sei vorab auf die urbane Raumopposition von (sakralem) Innen und (profanem) Außen verwiesen, die Richard Sennett in Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, dem letzten Band seiner viel beachteten Trilogie zur Stadtkultur, für die mittelalterliche Stadt beschreibt 4 . Sennett geht von der These aus, dass die abendländische Kultur seit der Spät‐ antike durch eine „Spaltung zwischen der inneren, subjektiven Erfahrung und dem äußeren, materiellen Leben“ bestimmt sei, deren Ursprung in der christ‐ lichen Religion liege 5 . Die frühen Traumata der Entwurzelung, der Heimat- und Ortlosigkeit hätten dem kollektiven Bewusstsein der jüdisch-christlichen Glaubensgemeinschaft eine bis heute fortwirkende Angst vor dem ‚Preisgege‐ bensein‘ eingeschrieben, die sich in einer Sehnsucht nach Rückzug ins Innere und Abkehr von dem als trügerisch und gefährlich wahrgenommenen Äußeren 108 Florian Weber <?page no="109"?> 6 Vgl. ebd., S.-20-24. 7 Ebd., S.-13. 8 Vgl. ebd., S. 27-32. Ähnlich beschreibt auch Mircea E L I A D E den Unterschied zwischen dem sakralen und dem profanen Raum in der Stadt: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Frankfurt a. M./ Leipzig 1998, S.-23. 9 S E N N E T T , Civitas (wie Anm. 4), S. 33. Vgl. auch Manfred R U S S O , Projekt Stadt. Eine Geschichte der Urbanität, Basel 2016, S.-29. 10 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 251. Zwischen zwei Flüssen, von denen einer Sar heißt und der andere Sarela, liegt die Stadt Compostela. Der Sar fließt im Osten, kundtue 6 . Die so errichtete psychische „Mauer zwischen Innerlichkeit und Außenwelt“ spiegele sich als wesentliches Strukturmoment in sämtlichen Be‐ reichen der Kultur wider, nicht zuletzt in der Architektur und im Städtebau 7 . In der europäischen Stadt des Mittelalters - dem ersten historischen Stadtmodell, das Sennett in seiner Studie analysiert - manifestiere sie sich ästhetisch in der baulichen Diskontinuität zwischen einem gegliederten sakralen Innen und einem ungegliederten profanen Außen: Die zentral platzierte Kirche als planvoll und mit mathematischer Genauigkeit konzipierter heiliger Raum, in dessen Ord‐ nung, Klarheit und harmonischen Proportionen der Wille des Höchsten offenbar werde, stehe in scharfem Kontrast zum amorphen, regellos wuchernden Chaos des Irdisch-Diesseitigen 8 . Das Haus Gottes stellt in dieser binären Konzeption eine Zuflucht dar, ein „Bollwerk gegen die Welt“, eine geschützte Sphäre, die sich vom verworrenen und gefährlichen Raum des Außen absetzt 9 . Was Sennett für real existierende mittelalterliche Stadtkörper beschreibt, lässt sich auch für literarische Stadtdarstellungen der Zeit geltend machen. Auch im Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi erkennt man die charakteristische Gliederung der Stadt in Innen und Außen, Sakral und Profan unschwer wieder: Die in Kapitel 9 enthaltene Beschreibung von Compostela privilegiert - wie nun zu zeigen sein wird - die sakralen Elemente des Raumes und stellt mit eingehender Genauigkeit die Ordnung und vollendete Schönheit der Basilika im Stadtzentrum heraus, während alles andere - die weltlichen Orte, der urbane Außenraum - weitgehend unbeachtet bleibt. In der Wahrnehmungswirkung ergibt sich eine synekdochische Verengung auf den heiligen nucleus der Stadt, d. h. auf die Basilika und letztlich auf die Reliquien des Apostels Jakobus, die durch verschiedene weitere Darstellungsmittel noch unterstützt wird. Ganz im Einklang mit Gattungskonventionen der descriptio urbis werden in Kapitel 9 zunächst - unter Bezugnahme auf topographische Besonderheiten, den mythischen Monte do Gozo und die Flüsse Sar und Sarela - die Lage der Stadt und ihre natürliche Umgebung konturiert: Inter duos flu[v]ios quorum unus vocatur Sar et alter Sarela, urbs Compostella sita est. Sar est ad orientem inter montem Gaudii et urbem, Sarela ad ocasum 10 . Anschließend werden durch die Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 109 <?page no="110"?> zwischen dem ‚Berg der Freude‘ und der Stadt, der Sarela im Westen. Übersetzung: Klaus H E R B E R S , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008, S.-110. 11 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-251. 12 Vgl. Fernando L Ó P E Z A L S I N A , Santiago de Compostela, in: Pilgerziele der Christenheit. Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela, hg. von Paolo G. C A U C C I V O N S A U C K E N , Stuttgart 2010, S.-293-320, hier S.-317. 13 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 251. In dieser Stadt gibt es zehn Kirchen, deren erste, die des ruhmreichen Apostels Jakobus Zebedäus, inmitten der Stadt gelegen, in ihrer Herrlichkeit erstrahlt. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S. 113. 14 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-254 f. 15 Dies erreicht der Text, (1.) indem er wiederholt eine Korrespondenzbeziehung zwi‐ schen Compostela und den wichtigsten Kultstätten im Südwesten Frankreichs (v. a. St-Gilles, St-Léonard und St-Martin) herstellt, (2.) indem er die loca sancta entlang der Pilgerwege nicht als eigenständige Wallfahrtsorte begreift, sondern als obligatorische Stationen dem eigentlichen Ziel, Santiago de Compostela, hierarchisch unterordnet, sie gewissermaßen in die Jakobuswallfahrt integriert (vgl. Klaus H E R B E R S , Il Cammino di Santiago come spazio sacro, in: Pellegrino e nuovo apostolo. San Francesco nel Cammino di Santiago, Santiago de Compostela 2013, S. 30-47, hier S. 41-43; Klaus stichpunktartige Aufzählung der sieben Tore ihre Grenzen abgesteckt 11 , bemer‐ kenswerterweise, ohne dabei die knapp hundert Jahre vor Abfassungszeit des Textes von Bischof Cresconius (1036-1066) errichtete Stadtmauer zu erwähnen - López Alsina zufolge eine gezielte Aussparung, um die Pilgerstadt möglichst offen und zugänglich erscheinen zu lassen, gleichsam als Einladung an Pilger, sie zu betreten 12 . Abgesehen von diesen nur vage umrissenen Elementen - ein Berg, zwei Flüsse, sieben Tore - stellt sich Compostela als ein Kranz aus zehn Kirchen dar, in dessen Mitte sich die Basilika des hl. Jakobus als erste und wichtigste von allen erhebt: Hac in urbe decem ecclesie solent esse, quarum prima gloriosissimi apostoli Jacobi Zebedei in medio sita refulget gloriosa 13 . In deren symbolischer Mitte wiederum, im Chorraum, am Kopf des Kirchenkreuzes, umgeben von einem Halbkreis aus fünf Nebenaltären im Chorumgang und flankiert von vier weiteren im Querhaus, zweien zu beiden Seiten, befindet sich der Hauptaltar und darunter schließlich der marmorne, rubinbesetzte Sarg des Heiligen 14 . Die Stadtbeschreibung operiert unverkennbar mit mehrfacher Zentralset‐ zung und einer fortschreitenden Bewegung nach innen. Als Höhepunkt und Mittelzäsur der Wallfahrt ad limina Sancti Jacobi ist Compostela ohnehin eine gewisse Konnotation von Zentralität eingeschrieben. In Kapitel 1 bis 8 des Pilgerführers wird die denkbar peripher - nahe dem Kap Finisterre, nach den Vorstellungen der Zeit an den Grenzen des Erdkreises - gelegene Stadt zudem durch verschiedene Darstellungsmittel an das zentralere Frankreich angebunden und symbolisch in den Mittelpunkt der westeuropäischen Sakral‐ topografie gestellt 15 . Hier nun, in Kapitel 9, wird Zentralität konstruiert, indem 110 Florian Weber <?page no="111"?> H E R B E R S , Via peregrinalis, in: Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt, hg. von Robert P L Ö T Z , Tübingen 1990, S. 1-25, hier S. 11; Manuel C. D Í A Z Y D Í A Z , El Códice Calixtino de la Catedral de Santiago. Estudio codicológico y de contenido, Santiago de Compostela 1988, S. 30) und schließlich (3.) indem er die Hauptroute durch den Norden Spaniens mit nur 13 Tagesetappen deutlich kürzer erscheinen lässt, als sie in Wahrheit ist (vgl. José Miguel A N D R A D E C E R N A D A S , ¿Viajeros o Peregrinos? Algunas notas críticas sobre la peregrinación a Santiago en la Edad Media, in: Minius. Revista do Departamento de Historia, Arte e Xeografía 22 (2014), S. 11-31, hier S. 21 f.; Klaus H E R B E R S , Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München 2 2007, S. 44). So rücken Jakobus, sein Kult und seine Stadt gedanklich näher an Frankreich heran und erscheinen symbolisch in den Mittelpunkt der westeuropäischen Sakraltopografie gestellt. Den Eindruck der Nähe unterstützen im Liber Sancti Jacobi überdies einige Passagen, die die Wirkungssphäre des wundermächtigen Apostels maximal ausdehnen. So illustrieren zahlreiche Mirakelerzählungen des zweiten Teiles, dass Jakobus nicht bloß in Compostela, im Umkreis seiner Gebeine, Wunder vollbringt, sondern überall dort, wo ein frommer Christ ihn um Hilfe anruft, auch und insbesondere in Frankreich, Italien oder Deutschland, in den Tiefen des Meeres ebenso wie in den Höhen der Berge. Und der Predigt Veneranda dies zufolge müsse er, allgegenwärtig, in der Ferne sogar umso größere Wunder wirken, weil Gläubige gerade dort am meisten geneigt seien, an seinem Beistand zu zweifeln (vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-90). 16 Der Osten bildet immer wieder den Ausgangs- und zum Teil auch den Endpunkt der kreisenden Bewegung durch die Stadt: Die Beschreibung der Umgebung beginnt mit dem östlich von Compostela gelegenen Sar, die Aufzählung der Tore mit der Porta Francigena, dem (nördlichen) Osteingang, und die Aufzählung der Nebenkirchen schließlich mit der Kirche des hl. Apostels Petrus, die sich extra muros nahe der Porta Francigena, also wiederum im Osten, befand (vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 251). Dieses wiederkehrende Muster könnte mit der besonderen symbolischen Bedeutung des Ostens im christlichen Kontext, wesentlich assoziiert mit Anfang und Wiederkehr, zusammenhängen, derentwegen mittelalterliche Landkarten auch zumeist geostet waren - im Osten anfangen hieße insofern nichts anderes als oben anfangen. Speziell bei einer Compostela-Beschreibung ist der Grund aber vielleicht eher in der persönlichen Erlebnisweise der meisten Pilger zu suchen, die sich der im äußersten Westen der damals bekannten Welt gelegenen Stadt von Osten näherten, sie durch die Porta Francigena betraten - die deshalb nach den Franci benannt ist - und auch auf die Basilika von Nordosten zukamen, bevor sie schließlich durch das Nordportal - im Pilgerführer ebenfalls als Porta Francigena bezeichnet - eintraten. 17 Fernando L Ó P E Z A L S I N A , Compostelle, ville de Saint Jacques, in: Santiago de Compos‐ tela. 1000 ans de Pèlerinage Européen, Gent 1985, S.-53-60, hier S.-53. wiederholt ein Äußeres markiert wird, das nach innen und letztlich auf die apostolische Präsenz in der Mitte weist: zwei Flüsse - einer im Osten, der andere im Westen -, dazwischen ein ‚Kreis‘ aus sieben Toren, darin ein ‚Kreis‘ aus neun Nebenkirchen, in dessen Mitte die Basilika und darin schließlich der Hauptaltar mit den Apostelreliquien. Der Blick vollzieht die ‚verschachtelte‘ Struktur dieses „lieu géométrisé“ in seiner Bewegung nach; er nimmt jenseits der Stadt - im Osten 16 - seinen Ausgang und dringt sukzessive bis in ihr Innerstes vor 17 . Die Elemente des Raumes werden mithin durch ihre Selektion und Anordnung im Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 111 <?page no="112"?> 18 Vgl. L Ó P E Z A L S I N A , Compostelle, ville de Saint Jacques (wie Anm. 17), S. 53. Vgl. zudem Francisco M Á R Q U E Z V I L L A N U E V A , Santiago. Trayectoria de un mito, Barcelona 2004, S.-171. 19 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-252. 20 Vgl. ebd., S.-252. 21 Vgl. ebd., S.-251. 22 Vgl. L Ó P E Z A L S I N A , Santiago de Compostela (wie Anm. 12), S.-317 f. Text gezielt so funktionalisiert, dass Jakobus - seine Basilika, seine Grabstätte, seine Gebeine - in absolute Mittelposition gerät und die Darstellung zentripetal auf ihn zuläuft. Werden zunächst die natürliche Umgebung und die städtische Sakraltopo‐ grafie umrissen und als Trennlinie zwischen beiden Bereichen implizit, durch die enumeratio der Tore, die Stadtmauer eingezeichnet, liegt das Hauptaugen‐ merk anschließend auf der herrlichen Kathedrale im Stadtzentrum - alles andere verschwindet weitgehend aus dem Blick. Welchen Vorrang der Autor ihr einräumt oder, anders gesagt, wie sehr er Compostela auf die Präsenz des Apostels und deren bauliche Evidenz reduziert, lassen schon die Mengen‐ verhältnisse im Text erkennen: Nur ein geringer Teil der descriptio urbis ist der Umgebung, den Toren und den Nebenkirchen gewidmet, der Rest - etwa 95 % - der Apostelbasilika und mit ihr in Verbindung stehenden Orten wie dem Paradies (dem Vorhof auf der Nordseite) und dem dortigen Brunnen 18 . Auf andere Elemente der Stadt wird allenfalls mit einem flüchtigen Fingerzeig gewiesen. Das Hospital der armen Pilger des hl. Jakobus, die Via Francigena und die Via Petroni - die einzigen namentlich erwähnten profanen Orte im Stadtinneren - werden jeweils mit kaum mehr als einem knappen Halbsatz bedacht: Das Hospital befinde sich vor dem Nordportal der Kathedrale 19 ; in der Via Francigena seien allerlei Gewerbetreibende wie Wechsler, Wirte und Händler zu finden 20 , und an der Via Petroni, der Straße nach Padrón, liege die Kirche der hl. Susanna 21 - wenige praktische Hinweise, konzis und funktional, die entweder der Orientierung in der Stadt dienen oder die Relevanz eines Ortes speziell für Pilger aufzeigen; mehr teilt der Text über sie nicht mit 22 . Somit lässt sich konstatieren, dass der Raum intra muros weitgehend unbestimmt bleibt. Er tritt, wie gesagt, vor allem in einer geometrischen Konstellation aus Toren und Kirchen hervor, die konzentrisch nach innen weist auf die Basilika des hl. Jakobus, die ihrerseits - in scharfem Kontrast dazu - mit akribischer Genauigkeit beschrieben wird. Unverkennbar differenziert der Pilgerführer trennscharf zwischen heiligen und weltlichen Orten der Stadt, und in seiner religiösen Sichtweise erscheinen nur erstere der Behandlung oder zumindest der Erwähnung würdig. Bezogen auf die urbane Raumopposition nach Sennett, 112 Florian Weber <?page no="113"?> 23 Vgl. V I E L L I A R D , Guide (wie Anm. 3), S. 3, Anm. 4, ebenso wie H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-51, Anm. zu Z. 6. 24 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 235. Vier Wege führen nach Santiago, die sich zu einem einzigen in Puente la Reina in Spanien vereinen; einer geht über St-Gilles, Montpellier, Toulouse und den Somportpass, ein anderer über Notre-Dame in Le Puy, Ste-Foy in Conques und St-Pierre in Moissac, ein weiterer über Ste-Marie-Madeleine in Vézelay, St-Léonard im Limousin und die Stadt Périgueux, ein letzter über St-Martin in Tours, St-Hilaire in Poitiers, St-Jean in Angély, St-Eutrope in Saintes und die Stadt Bordeaux. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-50 f. 25 Vgl. Gérard G R O S , Les instructions d’Aymeri pour viatique. Étude sur le Liber V (et dernier) du Codex Calixtinus. Par voies et chemins : géographie hagiographique, in: Le Livre de saint Jacques et la tradition du Pseudo-Turpin. Sacralité et littérature, hg. von Jean-Claude V A L L E C A L L E , Lyon 2011, online unter https: / / books.openedition.org/ pul/ 5 507 (15.8.2021), Abs. 12 und 26. ließe sich schließen, dass die Sphäre des Sakralen - das Innen - deutlich überfokussiert, die Sphäre des Profanen - das Außen - weitgehend ausgeblendet wird. Darin bestätigt sich, was insbesondere in Kapitel 1 bis 3 und 8 wiederholt auch an anderen Stellen erkennbar wird, nämlich, dass Städte im Pilgerführer ausschließlich in religiöser Funktion von Belang sind, als Orte der Reliquien‐ verehrung. Im Fokus stehen die loca sancta und die Heiligenleiber, die sie bergen - alles andere bleibt mehr oder minder unbeachtet. Die Verengung des Blicks auf das sakrale Zentrum geht so weit, dass Stadt und Heiliger vielfach sogar als gleichsam identisch wahrgenommen zu werden scheinen 23 . Sprachlich findet dies Ausdruck durch synekdochische Substitution, wie sich musterhaft bereits in Kapitel 1 an der Beschreibung der vier von Südwestfrankreich ausgehenden vie Sancti Jacobi beobachten lässt: Quatuor vie sunt que ad Sanctum Iacobum tendentes, in unum ad Pontem Regine, in horis Yspanie, coadunantur: alia per Sanctum Egidium et Montem Pessulanum et Thosolam et portus Asperi tendit; alia per Sanctam Mariam Podii et Sanctam Fidem de Conquis et Sanctum Petrum de Moyssaco incedit; alia per Sanctam Mariam Magdalenam Viziliaci et Sanctum Leonardum Lemovicensem et urbem Petragoricensem pergit; alia per Sanctum Martinum Turonensem et Sanctum Ylarium Pictavensem et Sanctum Iohannem Angeliacensem et Sanctum Eu‐ tropium Sanctonensem et urbem Burdegalensem vadit 24 . [Herv. d. Verf.] Die Stadt verschwindet hinter dem Heiligen, das Toponym wird ersetzt durch das Anthroponym, der Heiligenname umfunktioniert zur Ortsbestimmung - so, wie bei Santiago de Compostela bezeichnenderweise bis heute gebräuchlich 25 . Während es in Kapitel 1 bis 3 zunächst bei solch einem Itinerar, einer bloßen Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 113 <?page no="114"?> 26 Lediglich in Kapitel 3 steht über vier so hervorgehobene Städte (Estella, Carrión de los Condes, Sahagún und León) etwas mehr als bloß ihre Namen zu lesen, doch handelt es sich auch dabei eher um flüchtig eingestreute Topoi und praktische Hinweise. Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-236. 27 Vgl. ebd., S.-241-250. 28 Vgl. ebd., S.-242 f. und 245-247. 29 V I E L L I A R D , Guide (wie Anm. 3), S.-3, Anm. 4. 30 L Ó P E Z A L S I N A , Compostelle, ville de Saint Jacques (wie Anm. 17), S.-53. 31 Je weiter der Blick sich den Apostelreliquien nähert, desto schärfer nimmt er alles wahr. Die natürliche Umgebung und die Tore der Stadt werden in gerade einmal drei Sätzen nur rasch überflogen; die Nebenkirchen werden kaum genauer erfasst, jedoch in einem eigenen Kapitel, und ihnen sind einige praktische Hinweise beigegeben; die Basilika wird dann sehr ausführlich beschrieben, und doch lässt sich auch hier eine Steigerung zur Mitte hin erkennen; denn schließlich, beim Hochaltar - in der Aufzählung von Namen, bleibt 26 , wird in Kapitel 8 einzelnen Städten zwar eine genauere Behandlung zuteil, doch auch dies wiederum völlig reduziert auf die Person des dort jeweils ruhenden Heiligen: Seine Vita, die Wunder, die er vollbracht hat, sein Martyrium, seine Translation, seine ‚Wirksamkeit‘ bei Hil‐ ferufen, sein Festtag oder auch tadelnswerte konkurrierende Kultorte, die seine Gebeine in betrügerischer Absicht zu besitzen vorgeben, sind die hier themati‐ sierten Elemente 27 . Bei manchen Heiligen werden auch der Reliquienschrein (hl. Ägidius, hl. Fronto, hl. Martin) und das Kirchengebäude (hl. Martin, hl. Hilarius, hl. Eutropius) gewürdigt, doch geht die künstlerisch-bauliche Beschreibung der loca sancta kaum jemals über ein spärliches Lob von Schönheit, Größe und handwerklicher Leistung hinaus 28 . Was die Städte sonst noch ausmacht, jenseits ihrer heiligen Mitte, interessiert nicht: „[P]our le pèlerin, la ville ne vaut que par le saint“, merkt Vielliard in ihrer Ausgabe des Guide du Pèlerin treffend an 29 . In ähnlicher Weise verfährt der Pilgerführer in Kapitel 9 mit Compostela: Die Stadt selbst wird so knapp und detailarm behandelt, dass sie hinter der minutiösen Ekphrasis des Kirchengebäudes fast gänzlich verschwindet. So entsteht auch hier der Eindruck, dieses trete pars pro toto an ihre Stelle, Compostela sei nichts weiter als die Basilika mit der Krypta des hl. Jakobus. López Alsina bestätigt die gezielte Stilisierung zur ‚Apostelstadt‘; ihm zufolge beabsichtige der Verfasser, durch das beschriebene „déséquilibre volontaire“ zwischen Stadt und heiliger Stätte just deren gedankliche Gleichsetzung hervorzuheben, er wolle „mettre en évidence une notion qu’il tient pour fondamentale : Compostelle est la demeure de l’apôtre Jacques“ 30 . Die Überbelichtung des Sakralen, insbesondere der Basilika, bei weitgehender Ausblendung des Profanen steht folglich als ein wesentliches Verfahren unter anderen - wie der wiederholten Herstellung von Zentralität oder der fortschreitenden Bewegung nach innen, die überdies mit einer sukzessive zunehmenden Detaildichte einhergeht 31 - im Dienst der 114 Florian Weber <?page no="115"?> innersten symbolischen Mitte -, treten noch kleinste bauliche und gestalterische Einzelheiten in den Blick und werden mit eingehender Genauigkeit reproduziert: etwa die Figurendarstellungen auf der silbernen Vorsatztafel und dem Ziborium, ja selbst die davorhängenden drei Lampen und deren Gefäße. Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-251-256. 32 Darauf deuten zumindest einige sprachliche und inhaltliche Parallelen hin: Beispiels‐ weise werden die Navarresen in beiden Texten mit dem Epitheton impii versehen (vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 89 und 240), und die bösen Zöllner nahe des Cisapasses in den Orten Ostabat, St-Jean-Pied-de-Port und St-Michel-Pied-de-Port, vor denen der Pilgerführer in Kapitel 7 so eindringlich warnt, finden sich auch am Schluss der Predigt Veneranda dies wieder (vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-101 und 239). 33 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-95-99. 34 Ebd., S. 96. Ich vermag nicht niederzuschreiben, liebe Brüder, auf wie vielerlei Weise der Teufel den Pilgern seine verruchten Netze und welchen Abgrund an Verderbnis er bereithält. Übersetzung: Klaus H E R B E R S , Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12.-Jahrhunderts, Tübingen 2 2018, S.-56. 35 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 96. Böse Wirte in der Stadt des hl. Jacobus. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-56. 36 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 252. Wechsler, Wirte und weitere Händler sind an der via Francigena zu finden. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-124. übergeordneten Darstellungsabsicht, alle Aufmerksamkeit auf den Apostel Jakobus zu lenken. Im Pilgerführer werden Städte, wie deutlich geworden ist, weitgehend auf ihre loca sancta reduziert; öffnet man den Blick jedoch auf andere Teile des Liber Sancti Jacobi, so lassen sich verschiedentlich Elemente identifizieren, v. a. bestimmte soziale Gruppen, die explizit oder implizit dem (profanen) Stadtkon‐ text zugeordnet sind. In der bereits erwähnten Predigt Veneranda dies etwa, die vermutlich aus derselben Feder stammt wie der Pilgerführer 32 , wird eine regelrechte Typologie all der Übeltäter entfaltet, vor denen sich Jakobspilger auf dem Weg nach Compostela in Acht nehmen müssen: Räuber und Mörder, simonische Kleriker, Heuchler, böse Wirte und Herbergsvermittler, lüsterne Dirnen, betrügerische Kaufleute und Gewürzhändler, unredliche Geldwechsler, diebische Küster - und dergleichen noch viele mehr 33 : Quot modis, fratres, retia sua prava antrumque perdicionis peregrinis sancti Iacobi demon aperit, scribere nequeo, bekundet der Verfasser sein Unvermögen, sie erschöpfend aufzuzählen 34 . Gastwirte, Herbergsvermittler und Küster werden ausdrücklich auch in Compostela verortet - den Betrügereien der [m]ali hospites urbis sancti Iacobi ist sogar ein eigener Passus gewidmet 35 -, im Pilgerführer ist von cambiatores […] et hospitales, ceterique mercatores die Rede, die in der Via Francigena zu finden seien 36 , und in der Wundersammlung des zweiten Teiles Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 115 <?page no="116"?> 37 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-164-166. 38 Ebd., S. 99. O falsche Gastwirte, betrügerische Geldwechsler und unehrliche Kaufleute, bekehrt euch zu eurem Gott, gebt eure Missetaten auf! Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-63. 39 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 99. Diejenigen, die wollen, daß aus ihren Lehrlingen Schüler des Betruges werden, schicken sie nach Le Puy, St-Gilles, Tours, Piacenza oder Lucca oder Rom oder Bari oder Barletta. Besonders diese Städte nämlich sind Ausbildungsstätten für jeden Betrug. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S. 63. Bei dieser Textstelle handelt es sich allerdings um eine in der Compostellaner Handschrift des Liber Sancti Jacobi nachträglich ergänzte Randnotiz. treten böse Wirte etwa in Toulouse und Pamplona auf 37 . Insofern erscheint dieses Personeninventar als ein ausdrücklich städtisches markiert, und in der Tat handelt es sich zum großen Teil um soziale Gruppen, die für den Urbanisierungsprozess des Hohen Mittelalters von zentraler Bedeutung waren: Spezialisierte Händler und Kaufleute indizieren die zunehmende soziofunkti‐ onale Differenzierung (‚Arbeitsteilung‘), Geldwechsler die sich vornehmlich in der Stadt durchsetzende Geldwirtschaft und Gastwirte die Präsenz von Fremden. Ausgerechnet gegen diese drei Berufsgruppen bzw. Betrügertypen, die so eng mit dem urbanen Kontext assoziiert sind, richtet sich der Zorn des Autors mit besonderer Vehemenz; ihnen gilt in der Predigt Veneranda dies der größte Teil seiner Ausführungen über Frevel und Betrug auf dem Jakobsweg, auf ihre Tricks und Schliche geht er am genauesten ein, und namentlich an sie adressiert er auch seine finale exhortatio und Verwünschung: O vos falsi hospites et subdoli nummularii et negociatores iniqui, convertimini ad Dominum Deum nostrum, postponite nequicias vestras! 38 Positive Gegenfiguren treten im profanen Stadtzusammenhang nicht auf (im Pilgerführer allenfalls eine, auf die noch einzugehen sein wird). So erscheint die Stadt als ein Ort der Sünde und der Gefahr, bevölkert von Gaunern und lasterhaften Gestalten, und es verwundert daher auch nicht, dass in derselben Predigtpassage verschiedene Städte - allesamt Pilgerstädte - als Ausbildungsstätten für jeden Betrug getadelt werden, wobei Compostela aber bezeichnenderweise unerwähnt bleibt: Qui ex pueris suis fraudis didascolos efficere curant, aut Podium aut villam sancti Egidii aut Turoni aut Placentiam aut Lucam aut Romam aut Barium aut Barletum illos mittunt. His enim villis scola maxime solet esse tocius fraudis 39 . Aus dem Vorhergehenden lässt sich bereits schließen, dass der Liber Sancti Jacobi von der Stadt, jedenfalls von der profanen Sphäre der Stadt - dem Außen - und den dort auftretenden sozialen Typen ein durchweg negatives Bild zeichnet. Im Folgenden sei der Fokus nun auf Herbergen und Gastwirte gelegt. Wie eingangs bereits erwähnt, nennt der Pilgerführer bloß vier Beherbergungsein‐ richtungen, von denen sich drei an Bergübergängen - dem Somport-, dem 116 Florian Weber <?page no="117"?> 40 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 236 und 252. Die ersteren drei sind in Kapitel 3 Teil eines Itinerars, das insgesamt 52 Stationen auf dem Jakobsweg - vom Somportpass bis nach Compostela - umfasst; das letztere wird in Kapitel 9 zu Beginn des Abschnitts über den Brunnen des hl. Jakobus erwähnt. 41 Ebd., S. 237. Sie werden gelobt als die drei Hospize der Welt, heilige Orte, Häuser Gottes, [d]rei unabdingbare Säulen […], um die Armen zu unterstützen. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-55 f. 42 Vgl. Klaus H E R B E R S , Nachwort, in: Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahr‐ hundert, hg. von Klaus H E R B E R S , Stuttgart 2008, S.-150-204, hier S.-172. 43 Vgl. H E R B E R S , Jakobuskult (wie Anm. 1), S.-187. Cisa- und dem Cebreropass - auf dem Camino Francés befinden und eines, das Hospital der armen Pilger des hl. Jakobus, in Compostela vor dem Nordportal der Kathedrale 40 . Ihre Behandlung im Text erscheint beiläufig und geht kaum über die (vage) geographische Lokalisierung hinaus. Nichts Wertendes, weder Positives noch Negatives, wird über sie mitgeteilt, auch wenn die Tatsache, dass sie überhaupt Erwähnung finden und in die Hauptroute durch den Norden Spaniens integriert sind, zweifellos als implizite Empfehlung an Pilger gedeutet werden kann, dort um Unterkunft zu bitten. Allein das Hospital de Santa Cristina auf dem Somportpass, dem Pyrenäenübergang vor Puente la Reina am Anfang des Camino Francés, wird in Kapitel 4 noch einmal gesondert behandelt. Es wird hier in einen engen Zusammenhang gebracht mit dem Hospital zu Jerusalem und demjenigen auf dem Großen St. Bernhard in den Walliser Alpen als zen‐ tralem Anlaufpunkt für Rompilger. Gleich einer zusammengehörenden Einheit werden sie zu den tribus hospitalibus cosmi, zu loca sancta, ja loca sacrosancta und bildhaft zu von Gott selbst erschaffenen [t]res columnas valde necessarias ad sustinendos pauperes suos maxime überhöht 41 . Eine metonymische Übertragung auf die entsprechenden Pilgerziele drängt sich geradezu auf: Parallelisiert der Text die drei Pilgerhospitäler in genannter Weise, so postuliert er indirekt eine Gleichrangigkeit zwischen der Jakobsstadt und den wichtigsten Kultzentren der Christenheit, Rom und Jerusalem 42 . Dass sie jedenfalls nicht primär um ihrer selbst willen bzw. aus reisepraktischen Erwägungen thematisiert werden, sondern Verweisfunktion besitzen, ist offenkundig - denn was interessiert den (von Frankreich nach Compostela reisenden) Jakobspilger schon das Hospital auf dem Großen St. Bernhard oder dasjenige zu Jerusalem? Auffällig ist, dass im Pilgerführer ausschließlich von Ordensgemeinschaften geführte kirchliche Einrichtungen erwähnt werden, die im Dienst der von der Bibel vorgeschriebenen Armen- und Pilgerpflege standen 43 . Die meisten von ihnen befanden sich nicht in Städten, sondern im Gebirge. Was hingegen von Gastwirten betriebene, kommerzielle Herbergen betrifft, so findet sich, obwohl dieser Wirtschaftszweig entlang der Pilgerwege im Hohen Mittelalter nach Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 117 <?page no="118"?> 44 Vgl. H E R B E R S , Jakobuskult (wie Anm. 1), S.-187 f. 45 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 252. Wirte […] sind an der via Francigena zu finden. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-124. 46 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-95 f. Sind sie nicht wie der Verräter Judas, der den Herrn durch einen Kuß verriet? Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-55. Zum Judaskuss vgl. Mt 26,47-50; Mk 14,43-46; Lk 22,47-48. 47 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 97. Zu Dathan und Abiron vgl. Num 16,31-32. 48 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 99. Zu Jesu Tempelreinigung vgl. Mt 21,12-17; Mk 11,15-19; Lk 19,45-48; Joh 2,13-16. 49 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 96. Es werden daher die bösen Wirte am Jakobsweg verdammt, die den Pilgern durch ihre unzähligen Betrügereien schweres Unrecht tun, oder: Sie alle sind verflucht, oder: Sie sind wahrlich verdammt. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-55 f. 50 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S. 99. Die falsche[n] Gastwirte bilden das erste Element der Anrede. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-63. allem, was man weiß, prächtig florierte 44 , lediglich ein knapper Hinweis auf die Via Francigena in Compostela: hospitales […] habentur, wobei streng genommen auch hier unklar bleibt, auf welche Art von hospitales Bezug genommen wird, und allein der Kontext - im selben Satz ist von Händlern und Bankiers die Rede - auf einen gewerblichen Charakter hindeutet 45 . Es lohnt sich daher, den Blick noch einmal auf andere Teile des Liber Sancti Jacobi zu wenden. In der Predigt Veneranda dies werden, wie gezeigt, verschiedene Betrügertypen profiliert, darunter auch der böse Gastwirt. Ihm ist die eingehendste Behandlung gewidmet, und er erscheint insgesamt als der schlimmste und verworfenste von allen. Zweimal wird er mit Judas und dem Schächer am Kreuz (Gestas) verglichen, seine Missetaten mit dem Judaskuss: Cui illos similes dicam nisi Iude proditori qui Dominum tradidit osculando? 46 Zwar werden auch andere Betrügertypen mit biblischen ‚Vorgängern‘ assoziiert - die volkstümlich als cinnatores bekannten Räuber etwa mit Dathan und Abiron 47 , die Geldwechsler mit den von Jesus aus dem Tempel Vertriebenen 48 -, jedoch darf der Vergleich mit Judas, dem Verräter par excellence, in diesem Zusammenhang wohl als Su‐ perlativ gelten, als Hinweis auf kaum überbietbare Verderbtheit. Nicht zufällig werden die bösen Wirte öfter und eindringlicher verflucht als jeder andere Gauner: Dampnantur ergo mali hospites sancti Iacobi itineris innumeris fraudibus peregrinos violando, oder: Omnino anatematizatur, oder: Profecto dampnantur 49 , und auch in der abschließenden Verwünschung werden bezeichnenderweise an allererster Stelle vos falsi hospites adressiert 50 . Außerdem sind sie die Einzigen, deren Schlechtigkeit sprachlich durch ein festes Epitheton markiert wird: Ist von hospites die Rede, so stets von mali oder falsi hospites. 118 Florian Weber <?page no="119"?> 51 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-96 f. 52 Ebd., S. 96. Sie versprechen ihnen lauter gute Dinge und geben nur Schlechtes. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-55. 53 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-96. Der böse Gastwirt bietet seinen Gästen den besten Wein an, um sie damit betrunken zu machen. Wenn sie dann eingeschlafen sind, stiehlt er ihnen die Börse oder den Beutel. Der böse Wirt tötet sie gar mit giftigen Getränken, um sie auszurauben. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-55 f. 54 Vgl. H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-97. Das Hauptaugenmerk legt der Sermon auf die betrügerischen Schliche der bösen Wirte: Sie geben Pilgern zunächst den besten Wein zu kosten und verkaufen ihnen dann einen möglichst schlechten, mit Wasser verdünnten oder schon umgeschlagenen, zeigen ihnen ein großes Maß, schenken Getränke und Hafer jedoch nach einem kleineren aus, setzen ihnen verdorbene oder gestreckte Nahrung als gute und reine vor oder lassen sie Wucherpreise für eine Wachs‐ kerze oder einen Scheffel Gerste bezahlen - um nur einige Beispiele zu nennen 51 . In diesen Betrügereien ähnelt der böse Wirt den meisten anderen Übeltätern wie etwa dem Geldwechsler, dem Kaufmann oder dem Gewürzkrämer: Getrieben von Habgier, suchen sie die Pilger zu täuschen, ihnen wenig als viel und Schlechtes als Gutes zu verkaufen - promittunt illis omnia bona et faciunt mala - und sich so einen ungerechten Gewinn zu verschaffen 52 . Nur dem bösen Wirt jedoch traut der Text noch schlimmere Verbrechen zu, bis hin zu Mord: Malus hospes hospitibus suis vinum optimum prebet, ut possit illos inebriare atque cum dormierint ab eis marsupium vel gurlum vel aliquid furari. Malus hospes pocionibus suis letiferis illos extinguit, ut illorum spolia queat habere 53 . Und während das unrechte Tun der anderen Gauner jeweils auf ihr enges Berufsfeld beschränkt bleibt, wirkt der böse Wirt, um seinen Profit noch zu mehren, aktiv an den Missetaten seiner Komplizen in anderen Bereichen mit. Zusammen mit dem Küster raubt er die Opfergaben von den Kirchenaltären, welche der Pilger zuvor auf sein Zureden hin dort niedergelegt hat, und beim Geldwechsler rät er ihm zu einem nachteiligen Umtausch seiner heimatlichen Währung oder zum Verkauf eines wertvollen Gutes zu einem möglichst niedrigen Preis; an dem so erzielten Gewinn erhält er dann einen Anteil 54 . In der Predigt Veneranda dies eingehend charakterisiert, findet sich der Typus des malus hospes anschließend in manchen Wunderberichten aus dem zweiten Teil des Liber Sancti Jacobi wieder. Zu nennen ist vor allem das berühmte Galgenmirakel in Kapitel 5: Ein habgieriger Wirt in der Stadt Toulouse steckt zwei nach Compostela ziehenden deutschen Pilgern - Vater und Sohn - einen silbernen Becher ins Gepäck und bezichtigt sie zu Unrecht des Diebstahls, um ihr mitgeführtes Vermögen an sich zu bringen. Daraufhin wird der Sohn zum Tode durch Erhängen verurteilt. Jakobus aber ruft ihn durch seine Wunderkraft Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 119 <?page no="120"?> 55 Vgl. ebd., S.-164 f. 56 Vgl. ebd., S.-165 f. 57 Ebd., S. 165. Demzufolge sollen alle, die als Christen gelten wollen, mit großer Sorgfalt darauf bedacht sein, niemals ihren Gästen oder überhaupt ihren Nächsten gegenüber einen solchen Betrug zu begehen. Sie sollen vielmehr den Pilgern Mitgefühl und freundliche Zuneigung erweisen, auf daß sie den Lohn der ewigen Glorie von dem empfangen, der als Gott lebt und regiert in alle Ewigkeit. Übersetzung: H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 34), S.-80. nach 36 Tagen, als der Vater auf seinem Heimweg wieder in die Stadt kommt, ins Leben zurück, und statt seiner wird gerechterweise der Wirt an den Galgen gehängt 55 . Das darauffolgende Mirakel in Kapitel 6 berichtet von einem nicht minder hinterhältigen Wirt in der Stadt Pamplona, der einen Ritter aus Poitiers seiner gesamten Habe beraubt, sodass dieser mittellos und ohne Reittier nach Compostela weiterziehen muss, wobei er mit seinen beiden kleinen Knaben nur mühsam vorankommt. Wiederum greift Jakobus ein, er sendet seinem Pilger einen Engel in Gestalt eines Esels zu Hilfe und bestraft den Missetäter mit Tod und ewiger Verdammnis 56 . Diese Wunderberichte ‚bezeugen‘ die Existenz böser Wirte in den Städten entlang des Jakobsweges - hier Toulouse und Pamplona - und untermauern so die warnenden Ausführungen über sie in der Predigt Veneranda dies. Andererseits lässt sich ihnen beruhigenderweise entnehmen, dass Pilger unter dem mächtigen Schutz des Apostels stehen und diejenigen, die sich auf unlauterem Wege an ihnen zu bereichern suchen, am Ende ihre gerechte Strafe erhalten. Gleichsam als Moral artikulieren sie vor der Folie dieser Negativexempel abschließend auch, wie sich demgegenüber der gute Wirt verhalten soll und ein jeder, der als Christ gelten möchte: Quapropter quicumque Christiano nomine censentur cum magna sollicitudine debent adtendere, ne in hospites vel in quoslibet proximos huiusmodi fraudem vel consimilem moliantur facere, sed misericordiam et benignam pietatem peregrinis studeant im‐ pendere, quatinus inde premia eterne glorie mereantur ab eo accipere, qui vivit et regnat Deus per infinita secula seculorum 57 . Verfügten Pilger nicht über das nötige Geld, um Quartier in einer gewerblichen Herberge zu nehmen, und fehlte es zugleich an kirchlichen Einrichtungen der Armen- und Pilgerpflege, so blieb ihnen oftmals nichts anderes übrig, als Einheimische um Gastfreundschaft amore Dei et beati Jacobi zu ersuchen. Dies illustrieren einige im Pilgerführer enthaltene Mirakelerzählungen, die in gewisser Hinsicht komplementär zu denjenigen aus dem zweiten Teil des Liber Sancti Jacobi gelesen werden können: Handeln diese nämlich von frommen Pil‐ gern, die durch die Wunderkraft des Apostels aus Not und Bedrängnis gerettet werden, so legen jene in moralisierender Absicht - als Warnung - den Fokus auf 120 Florian Weber <?page no="121"?> 58 H E R B E R S / S A N T O S N O I A , Liber (wie Anm. 2), S.-257. 59 Ebd., S. 257. Von ungefähr tausend Häuser[n] ist die Rede. Übersetzung: H E R B E R S , Pilgerführer (wie Anm. 10), S.-147. 60 1. Mose 19,24-25: Igitur Dominus pluit super Sodomam et Gomorram sulphur et ignem a Domino de caelo/ et subvertit civitates has et omnem circa regionem universos habitatores urbium et cuncta terrae virentia. Zitiert nach Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. von Robert W E B E R / Roger G R Y S O N , Stuttgart 2007. Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra/ und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Übersetzung: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Standardausgabe mit Apokryphen, Stuttgart 1999. Menschen - Stadtbewohner -, die für ihr unrechtes Verhalten gegenüber Pilgern auf wundersame Weise bestraft werden. Konkret werden im Pilgerführer, in Kapitel 11, drei Szenen von Hartherzigkeit und verweigerter Gastfreundschaft dargeboten, die sich in den Städten Nantua, Villeneuve und Poitiers zugetragen haben sollen 58 . Das Muster ist jeweils das gleiche: Stadtbewohner lassen bedürf‐ tige Pilger auf der Straße stehen oder versagen ihnen das erbetene Almosen und ziehen so den Zorn Gottes auf sich. Besonders eindrücklich erscheint das in Poitiers lokalisierte Exemplum: Von Haus zu Haus gehend, bitten zwei mittellose französische Jakobspilger die Bürger der Stadt um Gastfreundschaft, doch niemand will sie ihnen gewähren. Als sie schließlich neben der Basilika des hl. Porcarius bei einem Armen unterkommen, vernichtet Gott durch ein rasendes Feuer die Häuser all derer, die ihnen die Aufnahme zuvor verweigert haben. Von edes circiter mille ist die Rede 59 . Durch die hyperbolisch große Zahl entsteht der Eindruck, es gebe unter den hier lebenden Menschen - mit Ausnahme jenes Armen, der im Stadtraum gewiss nicht zufällig direkt neben der Kirche, nahe am sakralen Innen, verortet ist - nicht einen guten, barmherzigen Christen, und das Motivzitat der durch göttlichen Zorn brennenden Stadt rückt Poitiers in die Nähe der biblischen Sündenstädte Sodom und Gomorra, die Gott wegen der Unzucht und Lasterhaftigkeit ihrer Bewohner ebenfalls den Flammen preisgab 60 . Insgesamt wird die Stadt, jedenfalls ihr weltlicher Außenraum, in den Exem‐ pelgeschichten des zweiten und fünften Teiles des Liber Sancti Jacobi sowie in der Predigt Veneranda dies wiederholt zum Schauplatz von Betrug und Verbrechen, von verweigerter Gastlichkeit und mangelnder Nächstenliebe, sie erscheint negativ besetzt als ein Raum der Sünde und der Gefahr, wo allerlei Gauner und Betrüger dem arglosen Pilger nach der Habe oder gar dem Leben trachten und nur herzlose Menschen wohnen, denen jedes Mitgefühl fremd ist. Wer Vermögen bei sich führt, muss hier die Schliche des Habgierigen fürchten; wer mittellos ist, darf nicht auf Almosen und Gastfreundschaft rechnen. Urbane Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 121 <?page no="122"?> Erscheinungen wie Handel, Geld und Fremdenverkehr sowie damit verbundene soziale Gruppen wie Kaufleute, Geldwechsler und Gastwirte betrachten die Autoren des Liber Sancti Jacobi mit tiefem Misstrauen und erkennen in ihnen eine zentrale Quelle von Gefahren für den Pilger. Besonders verwerflich und tadelnswert erscheint der Typus des malus hospes, der in der Predigt Veneranda dies von allen Übeltätern nicht bloß am genauesten, sondern durch Judasver‐ gleiche, vielmalige Verwünschung, die Zuschreibung schwerster Sünden und das feste Epitheton malus (oder falsus) auch als der schlimmste charakterisiert wird und der sich anschließend in manchen Wunderberichten des liber miracu‐ lorum exemplarisch wiederfindet. Die Grundintention in diesen Teilen des Liber Sancti Jacobi ist unverkennbar eine moralisierende: Den Jakobspilger einerseits warnen die Predigt und die Exempla vor den Gefahren des Weges; an einen jeden Christen andererseits richten sie eindringlich die exhortatio, keinen Frevel oder Betrug an Pilgern zu verüben, sondern ihnen - darin besteht das positive Gegenideal, das sich den Texten entnehmen lässt - mit Barmherzigkeit zu begegnen und freundliche Aufnahme zu gewähren, schon aus Rücksicht auf das eigene Seelenheil, drohen doch anderenfalls Tod und Verdammnis. Der Pilgerführer dagegen blendet dies alles in seinen Routenbeschreibungen aus. In den Städten entlang der Jakobswege fokussiert er fast ausschließlich auf das jeweilige sakrale Zentrum - das Innen - und lässt die profanen Orte - das Außen - weitgehend unbeachtet. So scheint es, urbs und (locus) sanctus würden als gleichsam identisch wahrgenommen, ein Eindruck, der sprachlich durch die vielfach erkennbare synekdochische Substitution von Ortsdurch Heiligennamen noch verstärkt wird. Dies gilt auch für die Compostela-Darstel‐ lung in Kapitel 9, wobei die Engführung auf den heiligen nucleus der Stadt - die Basilika und letztlich die Jakobusreliquien - hier zusätzlich durch andere Darstellungsmittel wie die wiederholte Herstellung von Zentralität und die sukzessive Bewegung nach innen unterstützt wird. Auf das Hospizwesen geht der Pilgerführer kaum ein, und die vier Beherbergungseinrichtungen auf dem Camino Francés und in Compostela, die immerhin erwähnt werden, wenn auch bloß als ein Stichpunkt, eine Station unter vielen anderen, sind allesamt kirchliche, keine gewerblichen. Drei im europäischen Wegenetz besonders wichtigen Pilgerhospizen ist zwar ein eigenes Kapitel - das vierte - gewidmet, sie werden jedoch nicht unter reisepraktischen Aspekten beleuchtet, sondern kirchenideologisch funktionalisiert, um eine Gleichrangigkeit zwischen den drei peregrinationes maiores und letztlich den Kultorten Jerusalem, Rom und Compostela zu behaupten. Im Liber Sancti Jacobi steht somit der moralisie‐ renden negativen Sicht auf den profanen Stadtraum und dessen Bewohner, insbesondere auf Gastwirte und gewerbliches Herbergswesen, wie sie in der 122 Florian Weber <?page no="123"?> Predigt Veneranda dies und manchen Exempelgeschichten manifest wird, eine weitestgehende Ausblendung dieses Bereiches im Pilgerführer gegenüber. Quellen- und Literaturverzeichnis José Miguel A N D R A D E C E R N A D A S , ¿Viajeros o Peregrinos? Algunas notas críticas sobre la peregrinación a Santiago en la Edad Media, in: Minius. Revista do Departamento de Historia, Arte e Xeografía 22 (2014), S.-11-31. Joseph B É D I E R , Les légendes épiques. Recherches sur la formation des chansons de geste 3, Paris 3 1929. Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. von Robert W E B E R / Roger G R Y S O N , Stuttgart 2007. Manuel C. D Í A Z Y D Í A Z , El Códice Calixtino de la Catedral de Santiago. Estudio codicológico y de contenido, Santiago de Compostela 1988. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Standardausgabe mit Apokryphen, Stuttgart 1999. Mircea E L I A D E , Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Frankfurt a. M./ Leipzig 1998. Gérard G R O S , Les instructions d’Aymeri pour viatique. Étude sur le Liber V (et dernier) du Codex Calixtinus. Par voies et chemins : géographie hagiographique, in: Le Livre de saint Jacques et la tradition du Pseudo-Turpin. Sacralité et littérature, hg. von Jean-Claude V A L L E C A L L E , Lyon 2011, online unter https: / / books.openedition.org/ pul/ 5507 (15.8.2021). Friederike H A S S A U E R , Santiago. Schrift, Körper, Raum, Reise. Eine medienhistorische Rekonstruktion, München 1993. Klaus H E R B E R S , Der Jakobuskult des 12.-Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“. Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1984. Klaus H E R B E R S , Via peregrinalis, in: Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt, hg. von Robert P LÖT Z , Tübingen 1990, S.-1-25. Klaus H E R B E R S , Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München 2 2007. Klaus H E R B E R S , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008. Klaus H E R B E R S , Il Cammino di Santiago come spazio sacro, in: Pellegrino e nuovo apostolo. San Francesco nel Cammino di Santiago, Santiago de Compostela 2013, S.-30-47. Klaus H E R B E R S , Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts, Tübingen 2 2018. Liber Sancti Jacobi, hg. von Klaus H E R B E R S / Manuel S A N T O S N O I A , Santiago de Compostela 1998. Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi 123 <?page no="124"?> Fernando L Ó P E Z A L S I N A , Compostelle, ville de Saint Jacques, in: Santiago de Compostela. 1000 ans de Pèlerinage Européen, Gent 1985, S.-53-60. Fernando L Ó P E Z A L S I N A , Santiago de Compostela, in: Pilgerziele der Christenheit. Jerusalem, Rom, Santiago de Compostela, hg. von Paolo G. C A U C C I V O N S A U C K E N , Stuttgart 2010, S.-293-320. Francisco M Á R Q U E Z V I L L A N U E V A , Santiago. Trayectoria de un mito, Barcelona 2004. Manfred R U S S O , Projekt Stadt. Eine Geschichte der Urbanität, Basel 2016. Richard S E N N E T T , Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Frankfurt a. M. 1991. 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Sicherer Transport, freies Geleit und weitreichende Gastfreundschaft oder auch Fürsorge in der Not sind weitere Aspekte, die den Alltag eines Pilgers erleichtern konnten. Drei Gemälde aus dem norddeutschen Raum (in Lübeck und Hamburg), die diese Aspekte des Pilgerns aufzeigen, seien hier näher vorgestellt. Hier ist es bedeutsam, dass es sich bei den gestifteten Altären um Aufträge der Bruderschaften der Zünfte in den Hansestädten handelt. Die dort beschäftigten Künstler waren über die Stadtgrenzen hinweg tätig und kooperierten bei grö‐ ßeren Aufträgen. In Hamburg arbeiteten in den drei überlieferten Werkstätten um 1500 sogar fünf Malerpersönlichkeiten. Nachweislich beim Maleramt ein‐ getragen sind Hinrik Borneman (Meister 1496-1499), Absolon Stumme (Meister 1486-1506) und Wilm Dedecke (Meister 1500-1528). Für die Themenstellung und die Konzeption der Altarprogramme zieht man zu Recht die Mitarbeit von theologisch versierten Persönlichkeiten in Betracht. Bisher wurde vor allem der Priester Nicolaus Sartoris in diesem Zusammenhang besonders erwähnt, da er 1479 zusammen mit drei anderen Priestern an den Dom berufen worden war, wo er, wie es in der Notiz über seine Berufung ausdrücklich heißt, bei S. Lucas Altar in besagter Kirche eine Commende gehabt habe 1 . Zudem mag man hier auch an das Wirken des zu jener Zeit in Hamburg wohl wichtigsten <?page no="126"?> 2 Ulrich A N D E R M A N N , Albert Krantz, Berlin 1999. 3 Karl-Günther P E T T E R S , Der Hamburger Lukasaltar und die Heilsgewissheit im Wider‐ streit seiner Meister. Ein Beitrag zum Dialog zwischen Kunstgeschichte und Theologie, Hamburg/ Berlin 2016. 4 Liber Sancti Jacobi, hg. von Klaus H E R B E R S / Manuel S A N T O S N O I A , Santiago de Com‐ postela 1998; das sechste und siebte Kapitel sind den Gefahren gewidmet, die am Wege lauern, das sechste speziell der Wasserqualität der Flüsse, ob trinkbar oder todbringend. 5 1499 ging Dedecke nach Hamburg. Theologen denken, Albert Krantz (1448-1517), der in vielerlei Hinsicht auch in diplomatischer Mission auf weiten Reisen unterwegs gewesen war. Eine beson‐ ders fruchtbare Zeit seines Lebens, in der er wichtige Schriften verfasste, fällt mit der Entstehungszeit dieser Altäre für den Hamburger Dom zusammen, an dem er dann von 1500 bis 1504 wirkte und ab 1508 auch als Domdekan bestellt war. Sein Biograph Ulrich Andermann erörtert zu Recht, inwiefern sein Ge‐ schichtsverständnis und seine Gelehrsamkeit sowie die entsprechenden Impulse für die Kirche und eventuell auch ihre Ausstattung sogar humanistisch orientiert gewesen sein könnten 2 . Der Hamburger Hauptpastor an St. Jacobi Karl-Günther Petters hatte sich 2016 intensiv mit der Lesart dieser hier zu behandelnden Kunstwerke auseinandergesetzt. Er ging dabei auch der Fragestellung nach, was für Interpretationsansätze sich über Ikonographie und Ikonologie hinaus er‐ öffnen, um Elemente der liturgischen oder glaubensrelevanten Leistung eines Bildes erkennbar werden zu lassen 3 . Besonders ist in den nun zu betrachtenden Gemälden, in welcher Form und mit welchem Narrativ der hl. Jakobus mit wei‐ teren Heiligen zusammengedacht wurde. I. Pilgern und in die Fußstapfen des Christophorus treten-… Auf dem Pilgerweg wird man mit einigen Flussläufen konfrontiert, wo nicht immer eine Furt die Überquerung erleichtert. Der Liber Sancti Jacobi aus der Mitte des 12. Jahrhunderts hatte im fünften Kapitel des Buches V (Iter pro peregrinis ad Compostellam) Schilderungen von Fährnissen der Reise zusam‐ mengestellt. Dort werden auch Flussüberquerungen angesprochen oder die ganz wesentliche Frage, wie man an Flüssen an sauberes Trinkwasser gelangen könnte 4 . Ein Gemälde aus dem St. Annen-Museum in Lübeck (Abb. 1), das Wilm De‐ decke zugeschrieben und um 1499 datiert wird 5 , zeigt auf der Altarrückwand des Schreins der Valentinsbruderschaft zum Rosenkranz, wie der hl. Christo‐ 126 Martina Sitt <?page no="127"?> Abb. 1: Wilm Dedecke: Jakobus Maior, Christophorus, (seitlich beschnitten, dort evtl. ehemals Bischof Valentin), Schreinrückwand vom Retabel der Valentinsbruderschaft zum Rosenkranz, St. Annen-Museum, Lübeck, Inv. 11. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 127 <?page no="128"?> 6 Die Tafel Inventar 11b ist (rechts) seitlich beschnitten; eine solche Altarrückwand wurde eher selten geschmückt. 7 In der Stadtkirche in Zierenberg findet sich hierzu die typische Inschrift: Cristofori faciem die quacumque tueris, illa nempe die morte mala non morieris (An welchem Tag auch immer du das Gesicht des Christophorus ansiehst, du wirst an jenem Tag nicht eines schlimmen Todes sterben.) - dies wurde auch in Fuhrmannsliedern beschworen. 8 Sog. Genter Altar in der Kathedrale St. Bavo, Gent, 1432 vollendet, Innenseite, rechter Flügel, auf Holz, Tafel: 149 x 54-cm. 9 Eine weitere, später (auf 1520? ) zu datierende Tafel im Lübecker St. Annen-Museum (Inventar 22) zeigt als Schutzpatron der Stifterin auf der rechten Innenseite ebenfalls den hl. Jakobus. Außen ist in Grisaille der hl. Christophorus abgebildet. Vgl. Lübeck 1500. Kunstmetropole im Ostseeraum, hg. von Jan Friedrich R I C H T E R , Petersberg 2015, S.-222-225. 10 Uwe A L B R E C H T , Jakobus Maior in der mittelalterlichen kirchlichen Kunst der Hansestadt Lübeck, in: Der Jakobsweg und Santiago de Compostela in den Hansestädten und im Ostseeraum. Akten des Symposiums an der Universität Kiel (23.-25.4.2007), hg. von Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , Kiel 2007, S.-181-192, hier S.-182. phorus den Herrn auf der Schulter durch das Wasser trägt 6 . Dieses Bildthema ist um 1500 weit verbreitet. Seine häufig übergroße Figur wird insbesondere in Wandfresken im Kirchenschiff meist dem Südportal gegenüber ange‐ bracht. Sein Anblick, so die verbreitete Meinung, bewahre an diesem Tag vor einem plötzlichen Tod 7 . Die heutzutage wohl populärste in Öl gemalte Dar‐ stellung eines ganzen Pilgerzuges, der dem hl. Christophorus mit dem hl. Ja‐ kobus in seinem Rücken zügig nachfolgt, dürfte die rechte Flügelinnenseite des Genter Altars der Brüder Hubert und Jan van Eyck von ca. 1432 aus der Kathedrale St. Bavo sein 8 . Wie in einer Jakobuskirche erforderlich, ist auch der hl. Jakobus in dem Altar der Valentinsbruderschaft zum Rosenkranz in Lübeck ins Bild gesetzt 9 . Uwe Albrecht hatte schon 2007 auf dessen Abbildung in der Predella des Altars hingewiesen, wo er vor allem mariologischen Ereignissen zugeordnet wird 10 . Die eher seltenere Kombination der beiden Heiligen Jakobus und Christophorus auf der bemalten Rückseite zeigt nun, dass man bei der Überquerung eines Flusses am besten dem Riesen auf dem Fuß folgt, auch wenn sich der Jakobus hier geradezu erst ein Herz fassen muss. 128 Martina Sitt <?page no="129"?> 11 Für Erläuterung und weitere Anmerkungen danke ich Jürgen Bärsch von der Katholi‐ schen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der die Recherche kritisch begleitet hat. 12 Vgl. Jacobus D E V O R A G I N E , Legenda aurea. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kom‐ mentar von Bruno W. H Ä U P T L I (Fontes Christiani. Sonderband), Freiburg/ Basel/ Wien 2014, S.-1295-1305; Hans-Friedrich R O S E N F E L D , Der hl. Christophorus: seine Verehrung und seine Legende (Acta Academica Aboensis 10,3), Leipzig 1937. Abb.-2: Genter Altar, um 1432, Jan und Hubert van Eyck, geöffneter Zustand, Festtagsseite, Öl auf Holz, Maße geöffnet, ohne Rahmen: 375x520 cm, St. Bavo-Kathedrale, Gent (Belgien), rechts außen, unteres Register. Die Koppelung des Jakobus an die Figur des Christophorus in seiner riesenhaften Anmutung ist mit einer gewissen Ambi‐ valenz versehen, wie Jürgen Bärsch zu Recht hervorhebt 11 . Denn mit der (westli‐ chen) Christophorus-Legende, wie sie vor allem durch die Legenda aurea verbreitet wurde, verknüpften sich verschiedene Motive (ritterliche Ideale, germanisches Vasallentum, Christusträgermotiv). Als Offerus (Christofferus) wird Christo‐ phorus zum Diener Gottes, der seine Stärke als Riese nutzt, um Pilger über einen reißenden Fluss zu tragen. Dabei be‐ gegnet ihm Christus in der Gestalt eines Kindes. Beim Hinübertragen offenbart er sich dem unter der Last fast zusammen‐ brechenden Christophorus als Herr der Welt. Diese Motivverknüpfung macht ihn im Westen zu einem der vierzehn Not‐ helfer und zum Patron der Pilger und Rei‐ senden 12 . Als solcher erhält er aber seit dem 12./ 13. Jahrhundert gewissermaßen Konkurrenz durch die aufstrebende Jakobus-Verehrung und die zunehmende Wallfahrt zu dessen Grab. Jakobus steigt zu einem besonders wirkmächtigen Reise- und Pilgerpatron auf. Zwar sind beide Hei‐ ligen durch die direkte Christusbegeg‐ nung ausgezeichnet, aber Jakobus genießt als Apostel und damit als unmittelbarer Zeuge des Christusereignisses eine beson‐ dere Nähe zum Heil. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 129 <?page no="130"?> 13 Vgl. P E T T E R S , Lukasaltar (wie Anm. 3), S.-63 und 189, Anm. 212. 14 Vgl. Klaus H E R B E R S , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008, S.-26. Nicht nur behandelt ein ganzes Kapitel des Liber Sancti Jacobi weitere Fährnisse des Pilgerns, auch viele Legendensammlungen schließen Geschichten der Ungewissheiten einer Pilgerschaft ein. Denn, so Petters, „[d]ie Legenda aurea kennzeichnet die ‚Zeit der Pilgerschaft‘ im vierten Zeitalter der Heilsgeschichte als die Zeit des gegenwärtigen Lebens, darin wir pilgern, die ist voll Kampf und Widerwärtigkeit“, wie in der Textsammlung des Jacobus de Voragine berichtet. 13 In diesen und anderen Quellen wird Christus selbst zum Pilger: So war unser Herr Jesus nach seiner Auferstehung von den Toten, bei seiner Rückkehr nach Jerusalem, der erste Pilger, sodass die entgegenkommenden Jünger ihm sagten: „Bist du denn der einzige Fremdling (Pilger) in Jerusalem? “ 14 . Abb. 3: Lukas als Bettler, Fischeraltar der Kirche St. Jacobi, Hamburg, um 1500, Skulp‐ turenschrein, Innenseite, außen Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln. 130 Martina Sitt <?page no="131"?> 15 Das Bildarchiv Foto Marburg führt u. a. eine Reliquienbüste von 1330 an. Anlehnungen an die römische Caritas lassen sich bildlich nicht belegen. https: / / www.bildindex.de/ m edia/ obj20076365/ fm1503317&; medium=fm1503317? part=0 (13.3.2022). 16 Bildarchiv Foto Marburg, https: / / www.bildindex.de/ document/ obj05072389/ mi11963b 11/ ? part=0 (13.3.2022). Zu den historischen Hintergründen vgl. Eva S C H L O T H E U B E R , Pilgrims, the Poor, and the Powerful. The Long History of the Women of Nivelles, in: The Liber ordinarius of Nivelles (Houghton Library, MS Lat 422). Liturgy as Interdisciplinary Intersection (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 111), hg. von D E R S ./ Jeffrey F. H A M B U R G E R , Tübingen 2020, S.-35-96. 17 Der Liber ordinarius führt den Jakobus-Tag als Neun-Lektionen-Fest, wobei der hl. Christophorus kommemoriert wird. Vgl. Thomas Forrest K E L L Y , The Liber Ordinarius of the Abbey of Saint Gertrude at Nivelles: Harvard University, Houghton Library MS Lat. 422, hg. von Thomas Forrest K E L L Y (Spicilegium Friburgense 48), Münster 2020 S.-286 f. II. Pilgern und von Gertrud beherbergt werden Bei dem Petri-Altar des Fischeramtes in St. Jacobi in Hamburg von 1508 (kurz Fischeraltar) sieht man im Mittelschrein als Skulptur in ganzer Figur die Hamburger Stadtpatronin Maria flankiert von Petrus mit den Schlüsseln links und Gertrud von Nivelles (626-659) als die Heilige der Pilger rechts. Gertrud aus der heute belgischen Stadt Nivelles stammte aus gutem Hause und führte zunächst ein adeliges Leben. Eine Heirat lehnte sie ab - ein häufig inszenierter Moment ihres Lebens - und trat 652 als Äbtissin in die Fußstapfen ihrer Mutter, der Gründerin des Klosters in Nivelles, bis sie mit nur 33 Jahren 659 starb. Daher wird Gertrud gelegentlich ohne Nonnentracht nur als jüngere Frau mit wallenden, langen Haaren dargestellt 15 . Ihre Aufnahme in das Kloster schildert die Szene des unteren rechten Bildfelds des Fischeraltars. Eine Verbundenheit von Jakobus mit ihr als Beschützerin der Pilger ist auch auf Gertruds Reliquienschrein im Kloster in Nivelles um 1272/ 78 in Silber festgehalten 16 . Dem entspricht die herausgehobene Feier des Jakobusfestes in der spätmittelalterlichen Gottesdienstordnung der Abtei von Nivelles 17 . Der bereits angesprochene hl. Bavo von Gent soll ihr Bruder gewesen sein, der ebenso wie sie aus adeligem Hause stammend meist in kostbaren Gewändern gezeigt wird, es sei denn, er widmet sich der Mildtätigkeit. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 131 <?page no="132"?> Abb. 4: Hieronymus Bosch, Weltgerichtsaltar, Akademie der bildenden Künste, Wien, Grisaille der Außenseite, hl. Bavo, Detail. 132 Martina Sitt <?page no="133"?> 18 Vgl. Hieronymus Boschs Weltgerichts-Triptychon in seiner Zeit. Publikation zur gleichnamigen internationalen Konferenz vom 21. bis 23. November 2019 in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien, hg. von Julia M. N A U H A U S , Wien 2019, https: / / www.uni-goettingen.de/ de/ document/ download/ eab0d011d5d1d65 ce55f3f73d1d2baac.pdf/ Herrmann%20Hieronymus%20Bosch.pdf (13.3.2022). Dies zeigt Hieronymus Boschs Weltgerichts-Altar, der sich heute in der Wiener Akademie befindet. Bavo und Jakobus sind als eindrucksvolle Grisaillen auf der Außenseite des Altars in ganzer Figur abgebildet. Der hl. Bavo wird in einer Art Innenraum gezeigt, wie er gerade aus seiner Umhängetasche Geld an die Bedürftigen und Kranken verteilt, die ihn umlagern. Ein gebeugter Jakobus befindet sich auf der Wanderschaft in einer bergigen Landschaft. Im Hintergrund erkennt man, wie ein Wegelagerer einen Pilger überfällt 18 . Abb. 5: Hieronymus Bosch: Weltgerichtsaltar, Akademie der bildenden Künste, Wien, Grisaille der Außenseite, hl. Jakobus, Detail. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 133 <?page no="134"?> Abb.-6: Fischeraltar der Kirche St. Jacobi, Wilm Dedecke, Szenen aus dem Leben der hl. Gertrud von Nivelles, um 1500, Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln, oben: Begrüßung der Pilger. Auf dem gemalten rechten Innenflügel des Hamburger Fischeraltars, der von dem 1499 aus Lübeck zugezogenen Wilm Dedecke stammt, wird Gertruds Gastfreundschaft für Pilger ins Bild gesetzt. In dem Gemälde erreicht ein Pilger auf einem mit Steinen belegten Weg ein Haus, aus dem eine Frau heraustritt, um ihn mit einem veritablen Handschlag zu begrüßen. Eine solche Geste so explizit auf der linken Tafelseite zu zentrieren, verdient zumindest einen Moment der Betrachtung. Hier begegnen sich ein Mann in Pilgerkleidung und eine auffallend gutgekleidete Frau. Sie verweist während der Begrüßung mit ihrer linken Hand in das Innere des Hauses; er kommt von außen hinzu. „Die Hand handelt nicht nur, sie spricht auch. Und das in mehreren Sprachen oder besser gesagt: in der universellen Sprache der Symbole, die im gesamten europäischen Kulturkreis verstanden wird.“ So beginnt Thomas Ahbe seine Überlegungen zum Handschlag, die er dann aber besonders in der Gegenwart 134 Martina Sitt <?page no="135"?> 19 Thomas A H B E , Der Handschlag als Symbol in der politischen Kommunikation Deutsch‐ lands, in: Die Hand. Elemente einer Medizin- und Kulturgeschichte, hg. von Mariacarla G A D E B U S C H B O N D I O , Münster 2010, S.-357-368, hier S.-357. Online-Version: http: / / www .thomas-ahbe.de/ der_handschlag_als_symbol.pdf (13.3.2022). des politischen Lebens verortet 19 . Diese Begegnung des Mannes Jakobus und der Frau Gertrud erfolgt in dem Moment des Handschlags „auf Augenhöhe“ und bei „Gleichrangigkeit“, denn beide sind auch isokephal dargestellt. In Bezug auf das mit der Geste verbundene Zeichen der concordia, der Verbundenheit, kommt für den damaligen Betrachter durch den gut sichtbaren und auffällig punzierten Heiligenschein der Frau die gesellschaftliche Berechtigung wieder ins Lot. Sie steht für eine Haltung, sie ist Vorbild und Symbol zugleich. Als Äbtissin des Klosters von Nivelles verfügte Gertrud über einen eigenen Ort mit entsprechendem Hausrecht und sogar ein Pilgerhaus, das Reisenden offenstand. Abb.-6a/ b: Fischeraltar der Kirche St. Jacobi, Wilm Dedecke, Szenen aus dem Leben der hl. Gertrud von Nivelles, um 1500, Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln, Details aus der Szene der Begrüßung der Pilger. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 135 <?page no="136"?> 20 Kapitel 11 in Buch V; hier im Buch auf S. 17. Abb. 7: Leonhard Beck (1475/ 80-1542), hl. Gertrud, Holzschnitt, Blatt 419 x 291 mm, Wien 1510; Nachdruck 1799 unter Verwendung der Originalholzstöcke von 1510, Drucker Anna Albrecht; Braunschweig, Bibliothek des Herzog Anton Ulrich-Museums, HAB Xd 2° 100 (45), Detail: Links hinten betritt ein Pilger das Kloster von Nivelles. Klaus Herbers zitiert in seiner Beschäftigung mit dem Liber Sancti Jacobi eine Textpartie aus dessen letztem Kapitel unter der Überschrift: Weshalb die Pilger des hl. Jakobus aufgenommen werden müssen. Dort verweist man darauf, wie es der Herr selbst im Evangelium sagt: „Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf “ (Mt 10,40) 20 . Diese Forderung hat sich diese blonde Frau in einem Gewand aus golddurchwirktem Brokat unter einem leuchtend roten Umhang mit einer kostbaren Agraffe zu Herzen genommen und so dürfen die Pilger sich in ihrem Haus aufhalten. Hier herrscht Transparenz und damit Sicherheit statt der Undurchsichtigkeit einer düsteren Herberge, Durchblick im wahrsten Sinne des Wortes. Denn auch im Innern des Hauses sind zwei Pilger im lebhaften Gespräch zu sehen. Sie scheinen sich allerdings vor einer Art Bettstatt (grüne Decke und 136 Martina Sitt <?page no="137"?> weiße aufgehäufte Kissen) zu befinden. Die Bogenfenster geben dennoch den Blick in die Landschaft frei. Worüber sie miteinander verhandeln, erschließt sich nicht und ebenso wenig, ob der Pilger mit dem nach oben gerichteten Blick, der rechts vor dem Haus sitzt, ihnen nicht vielleicht doch angestrengt zuhört. Dort auf der Bank wärmen sich zwei Männer im Schein der Mittagssonne, wie die harten Schattenkanten ihrer Gestalten auf dem Boden nahelegen. Sie tragen blaue und rote, vermutlich wollene Beinlinge etwa aus Scharlach, also lange, enganliegende Strümpfe und an den Füßen schwarze Schlupfschuhe. Auch haben sie einen Mantel aus viereckigem Tuch umgehängt, der wie üblich mit einer Fibel auf der rechten Schulter zusammengehalten wurde. Ihre Kleidung lässt Aussagen zu ihrem eher gehobenen sozialen Status zu. Offenbar haben diese Pilger sich nicht in der Tradition der Jünger gesehen, denen laut Mt 10,10 weder Schuhe noch Stecken zugebilligt wurden. Abb.-8a/ b: Fischeraltar der Kirche St. Jacobi, Hamburg, Wilm Dedecke, Szenen aus dem Leben der hl. Getrud von Nivelles, um 1500, Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln, oben: Pilgerhaus. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 137 <?page no="138"?> 21 Vgl. hierzu den Beitrag von Andreas S O H N in diesem Band, S. 31-60. Vgl. auch zum Thema Barmherzigkeit im Liber Sancti Jacobi Klaus H E R B E R S , Misericordia en los textos jacobeos del siglo XII, in: Ad limina. Revista de investigación del Camino de Santiago y las peregrinaciones 10 (2019), S.-139-152. 22 Die Benediktsregel. Lateinisch/ Deutsch, hg. von Ulrich F A U S T , Stuttgart 2009, S. 124-127. Zitiert nach Klaus H E R B E R S in diesem Band, S. 20. 23 Vgl. den Beitrag von Klaus H E R B E R S in diesem Band, S. 17-30. 24 Frank H A T J E , Das Gast- und Krankenhaus in Hamburg 1248-1998, Hamburg 1998, S. 17 (über das heutige Hospital zum Heiligen Geist). 25 Zum verstärkten Auftreten der Bettler im späten Mittelalter und ihrem Zustrom in die Städte siehe Robert J Ü T T E , Abbild und soziale Wirklichkeit des Bettler- und Gaunertums zu Beginn der Neuzeit (Beihefte zur Kulturgeschichte 27), Köln 1988, S.-30. 26 Heinrich R E I N C K E , Hamburg am Vorabend der Reformation, Hamburg 1966, S.-17. 27 Zu Bruderschaften auf europäischer Vergleichsebene: Monika E S C H E R -A P S N E R , Mittel‐ alterliche Bruderschaften in europäischen Städten. Funktionen, Formen, Akteure (In‐ klusion/ Exklusion: Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart 12), Frankfurt a.-M. u.-a. 2009. In jedem Fall besteht hier eine enge Beziehung zwischen Gastfreundschaft und Barmherzigkeit, wie Herbers in anderem Kontext ausführt und was sich hier ebenso optisch bewahrheitet 21 . Wie sehr aber das Zitat aus dem Matthäusevan‐ gelium prägend war, „zeigt der 15. Abschnitt des Liber Sancti Jacobi, in dem es nochmals heißt: Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Pilgern zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen“ 22 . Auch dieser Pilger links im Bild muss nicht bitten, kommt nicht aus Not, sondern wird begrüßt wie ein Partner, als Mit-Mensch. Insofern der Bezug zu Christus, der „hinter dem Pilger steht“, hier mitzudenken ist, entsteht eine Form von Geben und Nehmen 23 . Hinter einer solchen Darstellung steht allerdings auch der Armutsdiskurs, der ab 1500 im Allgemeinen über die Pflege und Fürsorge zum Ausdruck kam, die zu jener Zeit etwa in Hamburg zunehmend durch die Hospitäler „abgeleistet“ wurde. Das älteste domus hospitum in Hamburg war als ein „Gastfreies Einkehr Hause für walfarende Pilger und arme Reisende angelegt“ worden 24 . Das soziale Engagement war um 1500 auch dringend erfor‐ derlich. Dazu hatte die enorme Häufung an bettelnden Menschen in den Städten beigetragen wie auch der Zuwachs an Bettelorden, deren Lebensgestaltung und Arbeitsweise ja auf dem Erhalt von entsprechenden Gaben beruhte 25 . Immerhin war kurz vor der Reformation in der Hansestadt nach einer Schätzung von Heinrich Reincke „mindestens jeder 30. Bewohner der Stadt […] geistlichen Standes“ 26 . Aber auch die Bruderschaften, etwa die des Heiligen Lukas, fühlten sich für ihre Mitglieder verantwortlich 27 . Das kommt heute noch in ihrem Zunftaltar in St. Jacobi zum Ausdruck. 138 Martina Sitt <?page no="139"?> Abb. 9: Linker Innenflügel des Lukas-Altars in der Kirche St. Jacobi, Hamburg, um 1495, Absolon Stumme zugeschrieben, Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln, 181-x-148-cm (Schrein) bzw. 74-cm (Flügel), vor der Restaurierung. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 139 <?page no="140"?> Abb. 9a: Linker Innenflügel des Lukas-Altars in der Kirche St. Jacobi, Hamburg, um 1495, Absolon Stumme zugeschrieben, Eichenholzschrein mit beidseitig bemalten Flügeln, 181 x 148 cm (Schrein) bzw. 74 cm (Flügel), vor der Restaurierung. Detail: Gruppe mit Christus und seinen Jüngern vor einem Stadttor. III. Pilgern und mit Lukas das Brot brechen - Christus als Pilger In der Hamburger Jacobikirche ist seit dem 11. Januar 1805 ein Altar der Lukas‐ bruderschaft des Amtes der Maler und Glaser, ehemals aus dem Hamburger Marien-Dom, zu sehen, in dem eine eher seltene Szene visualisiert wurde. Auf der linken Seite des Triptychons der Hamburger Malerzunft sieht man einen durch verschiedene Wappen als profan markierten Raum. In den farbigen Fens‐ terscheiben des gezeigten Innenraumes sind auf drei Wappenschilden ein Löwe, ein Doppeladler und ein Sparren erkennbar. Unterhalb dieser Wappenschilder sehen wir mehrere Personen an einem gedeckten Tisch beim Essen sitzen. Unter ihnen ist der hl. Lukas, der ganz vorne rechts sitzt, leicht an seinen Malutensilien und seinem Symboltier ihm zu Füßen, dem Stier, erkennbar. Links davon erblickt man einen anderen jungen Mann mit einem Nimbus, in der Mitte des Tisches einen gutgekleideten weißhaarigen Gast, in dem man Nicolaus Sartoris, jenen bereits erwähnten Priester, erkennen möchte, und zum rückwärtigen Fenster hin sitzt Christus; denn diese Person wird sowohl von einem deutlichen Fensterkreuz hin‐ 140 Martina Sitt <?page no="141"?> 28 Siehe hierzu P E T T E R S , Lukasaltar (wie Anm. 3), S.-165-167. 29 Zum eucharistischen Aufbewahrungsgefäß vgl. Otto N U ẞ B A U M , Die Aufbewahrung der Eucharistie (Theophaneia 29), Bonn 1979, S.-351-359. 30 Vgl. Martina S I T T , Der Hamburger Lukasaltar, das Menschenbild und die Rolle der Zünfte um 1500, in: Menschenbilder. Beiträge zur altdeutschen Kunst, hg. von Andreas T A C K E / Stefan H E I N Z , Petersberg 2010, S.-177-194, hier S.-183. 31 P E T T E R S , Lukasaltar (wie Anm. 3), S.-82. 32 Vgl. Arnold A N G E N E N D T , Offertorium. Das mittelalterliche Meßopfer (Liturgiewissen‐ schaftliche Quellen und Forschungen 101), Münster 3 2014. terfangen als auch von einem weithin leuchtenden Heiligenschein ausgezeichnet. Als man zu Tische saß, so die biblische Erzählung, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen, wie es in Anspielung auf die Worte beim letzten Mahl (Lk 22,19) heißt. Daraufhin erkannten sie ihn. Lukas sei, so die Legenda aurea, selbst einer der beiden Emmaus-Jünger gewesen. Er habe, so die Legende weiter, den Fremden mit den nackten Füßen für einen Pilger gehalten. Der Maler dieser Szene, vermutlich Absolon Stumme, scheint diese Passage umzudeuten auf die Darbringung der Hostie in der eucharistischen Messe: Christus hebt nicht ein Brotstück, sondern eine Hostie empor. 28 In seiner linken Hand hält er die Pyxis und nicht einen beliebigen Becher. In der Pyxis werden konsekrierte Hostien aufbewahrt 29 . Die Szene erinnert an Mt 18,20: wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Sie verweist damit auf die Evidenz des Ewigen: Sehet, der Leib Christi. Das gemeinsame Mahl ist eucharistisch und Lukas wird ein Zeuge des Erkennens 30 . Petters sieht in den Tafelnden, zumindest in dem Priester Sartoris und dem Evangelisten Lukas, geradezu „Gewährsleute“ der Heilsgegenwart des sakramentalen Christus im Leben der Bruderschaft. Lukas wird hier zwar wie in den anderen Szenen der Tafel in Malerkleidung dargestellt, doch über dem Stier unter seinem Stuhl ist ein Spruchband mit der Aufschrift Lucas zu sehen. Damit kennzeichnet Stumme wie mit der Nebenszene und der Mose-Analogie diesen Lukas ausdrücklich als Evangelisten, denn als Maler spielt er hier - im Unterschied zu den übrigen Szenen des Altars - keine Rolle. Wie Petters betont, „nicht sein Bild, […] sondern die wöchentliche Selbstdarbietung Christi im Messopfer eröffnet den Zugang zu ›der Seelen Seligkeit‹, wie es in der Commenden-Stiftung heißt. Der persönlichen und privaten Frömmigkeit der Gottesschau in der unio mystica stellt Stumme damit die Heilsvermittlung der priesterlichen Kirche in der Darbringung des sakramentalen Christus gegenüber“ 31 . Überdies ist zu bedenken, dass die Messe in der Frömmigkeit des Mittelalters als die am meisten Schutz und Segen verheißende Liturgie galt. Sie war für das Seelenheil der Lebenden und Verstorbenen unabdingbar und bildete das geistliche Zentrum des gesamten Bruderschaftslebens 32 . Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 141 <?page no="142"?> 33 Lk 24,13-35. 34 Zum Beischlag siehe Wolfgang R U D H A R D , Das Bürgerhaus in Hamburg (Das deutsche Bürgerhaus 21), Tübingen 1974, S.-36. 35 Im Laufe des 15. Jahrhunderts sprach man allmählich von einer Bettelplage und versuchte, dem in Hamburg wie in vielen anderen Städten mit einer Bettelordnung entgegenzuwirken. Ausführlicher zu den ‚wahren Armen‘ Martin R H E I N H E I M E R , Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450-1850, Frankfurt a. M. 2000, S. 91, bzgl. der ‚falschen‘ Bettler S.-135-174. An das Emmaus-Mahl wird hier ein karitativer Aspekt gekoppelt, indem eine Szene vor der Tür des Hauses gezeigt wird 33 . Es ist durch den sogenannten Ham‐ burger Beischlag, einen eigenen Treppenvorbau, als Bürgerhaus der Hansestadt gekennzeichnet 34 . Dort sitzt ein Bettler, dessen Wanderstab an der Wand lehnt. Er hat auch seine Beinkrücke abgelegt und ist an Kopf und Unterschenkel frisch verbunden; allerdings leidet er am Unterarm an einer schwärenden Wunde, die er deutlich vorzeigt, um auch nachvollziehbar zu begründen, dass er tatsächlich hilfsbedürftig ist. Ein weiterer Mann nähert sich von hinten, möglicherweise ebenfalls bedürftig. Bis dato war Betteln weder verboten noch ehrenrührig. Allerdings veränderte sich schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Einstellung Bettlern gegenüber, was auch in den Darstellungen seinen Niederschlag fand. So gab es zunehmend auch schwarze Schafe, die das Betteln als ihr Gewerbe ansahen 35 . Hier hat der Sitzende auf einem kleinen weißen Tuch schon eine Schüssel mit Nahrung vor sich gestellt bekommen, die ihm ein in ein leuchtend rotes Gewand gutgekleideter Bediensteter (oder auch ein Mitglied des Hauses) gerade gebracht hat. Dieser hält auch einen Krug in der Hand, auf dem das Wort deo zu erkennen ist. Abb. 10a/ b/ c: Linker Innenflügel des Lukas-Altars der Kirche St. Jacobi, Hamburg, Absolon Stumme zugeschrieben, Detail: Bettler. Die hochformatige Szene bringt noch einen anderen Aspekt in die Deutungs‐ überlegungen ein: Im Hof vor dem Haus rechterhand, wohin der Blick in 142 Martina Sitt <?page no="143"?> 36 P E T T E R S , Lukasaltar (wie Anm. 3), S.-107. 37 Gertrud B R A N D E S , Die geistlichen Bruderschaften in Hamburg während des Mittelalters, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 34 (1934), S. 75-176, hier S . 125. 38 Settinge von 1375 abgedruckt in: Erich L Ü T H , 600 Jahre Maler in Hamburg, Hamburg 1975, S.-285 ff. die Bildtiefe schweift und wo einige Wolken die Abendröte anzeigen, sieht man den auferstandenen Christus mit bloßen Füßen, in Pilgerwams und mit Pilgerhut, wie er mit zwei Männern im Gespräch ist. Die Gruppe befindet sich vor einem Stadttor, hinter dem Türme und Zinnen nach bekannter Ikonographie auf die Stadt Jerusalem verweisen. Petters hatte in seiner Dissertation darauf abgehoben, dass man hier an Lk 24,13-27 denken müsse. Dort wird erzählt, dass der Auferstandene als ein Unbekannter den Jüngern auf ihrem Heimweg von Jerusalem nach Emmaus begegnet. Als sie ihm von dem Geschehen berichten, reagiert der Unbekannte auf ihre Klage mit der Frage: Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? (Lk 24,26), und ihnen die Heiligen Schriften seit Mose auf ihn hingerichtet auszulegen. Petters sieht darin das Thema dieser Tafel, die Selbstauslegung Christi 36 . Petters verbindet unter diesem Oberthema der Selbstauslegung Christi nun als Zielpunkt der Heilsgeschichte auch die Szene in dem kleinen Nebenraum links hinter der Tischszene. Im Hintergrund sitzt hier Lukas vor einem Pult mit aufgeschlagenem Buch und scheint unmittelbar seine Lektüre, vermeintlich der Thora, und seine Beobachtung zusammen zu denken. Auffällig ist, dass der auferstandene Christus in dieser Nebenszene in ein graues Gewand gekleidet ist; anknüpfend an die Kleidung Christi als Pilger auf dem Hof und am Mahltisch. Da das vierte Zeitalter der Heilsgeschichte als Zeit der Pilgerschaft bezeichnet wird, spielt die Darstellung des Auferstandenen als Pilger darauf an, dass er selbst die Gläubigen durch diese Zeit begleitet. So wird die Mahlszene mit Christus als Pilger als Ausdruck der „Köstigung von Pilgern“, „Pilgerspeisung“ oder als Beispiel für „die gemeinsamen Mahlzeiten“ der Bruderschaft gedeutet 37 . Es gehe letztlich um den „karitativen Zweck“ der Bruderschaft und die „Armenfürsorge“ als „karitativ organisierte Organisation“, wird in der auslegenden Literatur ge‐ schlussfolgert. Auch wenn dies sicher ein zutreffender Aspekt ist, darf dennoch nicht die besondere Bedeutung der Eucharistie, der Nahrung auf der irdischen Pilgerreise, für das Leben der Bruderschaft übersehen werden. Da die linke Flügelinnenseite des Lukasaltars das Geschehen eindeutig in die Obhut des Hauses des Maleramtes verlegt, mag ein Blick auf die Satzung des Maleramtes, die sogenannte Settinge des Jahres 1375, noch weitere Aufschlüsse über das künstlerische Selbstverständnis bieten, das hier in sehr eindrücklicher Art zum Ausdruck kommt 38 . Die besprochene Tafel des Lukasaltars wurde Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 143 <?page no="144"?> 39 Vgl. Carl Georg H E I S E , Norddeutsche Malerei. Studien zu ihrer Entwicklungsgeschichte im 15.-Jahrhundert von Köln bis Hamburg, Leipzig 1918, S.-115. 40 P E T T E R S , Lukasaltar (wie Anm. 3), S. 35. Zu den Zitaten aus der Stiftungsurkunde von 1469 siehe ebenda, S.-184, Anm. 35. 41 Heinrich R E I N C K E , Beiträge zur Mittelalterlichen Geschichte der Malerei in Hamburg, in: Zeitschrift für Hamburgische Geschichte 21 (1916), S. 112-154, hier S. 124-126 über die Vielfalt der in dem Amt zusammengefassten Maler um 1400. - Transkriptionen der Satzungen in: Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen und Bruderschaftsstatuten, hg. von Otto R Ü D I G E R , Hamburg 1874, S.-90-96. 42 Hierzu siehe B R A N D E S , Bruderschaften (wie Anm. 37), S.-87 ff. 43 Karl K O P P M A N N , Hamburgs kirchliche und Wohltätigkeitsanstalten im Mittelalter, Hamburg 1870, S.-28. 44 B R A N D E S , Bruderschaften (wie Anm. 37), S.-80. aufgrund eines Unterzeichnungs-Typus bestimmt als von der Hand Absolon Stummes in der Nachfolge von Hans Bornemann. Die Witwe Hans Bornemanns, Berteke, wurde vom Nachfolger im Maleramt geehelicht und wurde folglich die Frau von Absolon Stumme 39 . Der Altar der Maler und Glaser soll, so seine Widmung bzw. ursprüngliche Commenden-Stiftung von 1469, der Mehrung des Gottesdienstes des allmächtigen Gottes, seiner werten Mutter Maria und unseres Patrons des Evangelisten Sanct Lukas dienen. 40 Einer seiner acht Stifter ist Sartoris, ein anderer der Maler Hans Bornemann. Die erste Satzung von 1375 des Maleramtes galt zugleich für Maler, Glaser, Sattler, Riemenschneider, Taschenmacher, Beutelmacher und Plattenschläger 41 . Wie in jener Zeit üblich, taten sich die Gewerke mitunter zusammen, um ein Amt zu bilden. Die Satzung sieht aber keinerlei Wohltätigkeit vor, nicht einmal für die eigenen Mitglieder und deren Angehörige im Falle der Bedürftigkeit. Es war tatsächlich eher Aufgabe der Bruderschaften, Almosen zu verteilen 42 . Man muss davon ausgehen, dass es um 1400 bereits ca. 100 Bruderschaften in Hamburg gab 43 . Die meisten waren am Dom angesiedelt, an St. Jacobi waren es achtzehn, an der Klosterkirche St. Johannis fünfzehn und das Maria-Magda‐ lenen-Kloster hatte sechzehn 44 . Gemeinsame Ziele der Bruderschaft waren die Durchführung von Bestattungen und das Totengedächtnis für die verstorbenen Mitglieder, aber auch die Ausübung der caritas, der Wohltätigkeit für Not leidende Mitglieder sowie für Dritte. Tatsächlich sind in der Außenwirkung die geistlichen Laienbruderschaften, d. h. Bruderschaften eines Berufskreises, und die Zünfte kaum zu trennen. Im Grundsatz sind sie allerdings voneinander zu unterscheiden. Die Bruderschaften dürften die älteren Zusammenschlüsse sein. Die Lukas-Bruderschaft bestand im Prinzip also neben dem Amt der Maler. Der Lukasaltar ist der einzige bekannte Altar, der die Geschichte des Lukas aus der Erzählung der Legenda aurea derart deutlich mit der Wohltätigkeit verbindet. Das mag in der Art der Personalunion der Maler von Zunft und Bruderschaft 144 Martina Sitt <?page no="145"?> 45 Ausführlich hierzu S I T T , Lukasaltar (wie Anm. 30), S.-189. 46 Ausführlich hierzu Bernhard S C H N E I D E R , Christliche Armenfürsorge. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, Freiburg/ Basel/ Wien 2017. begründet sein 45 . Hier wird somit Hilfsbereitschaft inszeniert; in vielen Fällen bildlicher Darstellung, so Bernhard Schneider, ist „Christliche Armenfürsorge“, sind aber auch die Grenzen der Hilfsbereitschaft gut erkennbar 46 . Heute bilden vor allem die zwei in der Hamburger Jacobikirche angesprochenen Altäre aus der Zeit um 1500 mit ihren eindrucksvollen und ungewöhnlichen Darstellungen geradezu auch eine historisch sinnvolle Verdichtung von Haltungen gegenüber Menschen ab, die sich in vielfältiger Weise auf einem Weg befinden. 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Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. H Ä U P T L I (Fontes Christiani. Sonderband), Freiburg/ Basel/ Wien 2014. Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 147 <?page no="149"?> 1 Vgl. Nix wie weg! , in: D E R S P I E G E L 33 (11.8.2018), S.-12-21. 2 Vgl. Ralf van B Ü H R E N , Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12.-18. Jahrhun‐ derts, Hildesheim 1998; Sebastian S C H M I D T , Religiöse Bildprogramme als Ausdruck kollektiver Einstellungen? , in: Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft, hg. von Herbert U E R L I N G S / Nina T R A U T H / Lucas C L E M E N S , Darmstadt 2011, S.-206-214. 3 Vgl. zur genauen Analyse dieses Bildes: Michael S C H O L Z -H Ä N S E L , Neapolitanische Malerei und Konfessionalisierung: Veränderungen im Bild der Armen von Caravaggio zu Ribera, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002), S.-339-368. Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller Medien Michael Scholz-Hänsel Die Fußballweltmeisterschaft 2006 stand unter dem Leitspruch Zu Gast bei Freunden. Ist es das, was wir heute unter Gastfreundschaft verstehen? Airbnb andererseits zeigt, wie unterschiedlich Reaktionen auf ein günstiges Beherbergungsangebot ausfallen können: Was die einen gerne als billige Reiseunterkunft nutzen, ist inzwischen für viele Einheimische in den großen Touristenzielen zu einem Albtraum geworden 1 . Gastfreundschaft, die Bereitschaft, andere Menschen zu beherbergen, gehörte einst zu den sieben leiblichen Werken der Barmherzigkeit, die ein klassisches Thema der Kunstgeschichte bis ins 18. Jahrhundert bilden 2 . Sechs Werke finden sich bei Matthäus (25,31-46) im Neuen Testament genannt: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen. Mittelalterliche Autoren fügten dem Tote begraben hinzu. In seinem berühmten Gemälde dieses Themas von 1606 setzt Caravaggio den zu Beher‐ bergenden ganz selbstverständlich mit dem Santiago-Pilger gleich (Abb. 1) 3 . Denn es ist ein Mann mit Pilgerstab und einer Muschel am Hut, der am linken Bildrand von einem anderen in Empfang genommen wird. Mit dem Zeigefinger seiner linken Hand weist der Gastgeber aus dem Bild hinaus, gemeint ist wahrscheinlich die Herberge. Für weitere Werke der Barmherzigkeit stehen von rechts nach links die Caritas Romana für die Sorge um die Gefangenen <?page no="150"?> und die Speisung der Hungrigen, der Priester mit dem Toten, der fortgetragen wird, für die Bestattung der Verstorbenen, der heilige Martin mit dem Bettler zu seinen Füßen für die Bekleidung der Armen und schließlich Samson, der aus den Kinnbacken eines Esels trinkt, für das Tränken der Dürstenden. Für den Besuch bei den Kranken existiert keine klare Referenz. Abb. 1: Caravaggio: Die sieben Werke der Barmherzigkeit, 1606, Kirche Pio Monte della Misericordia, Neapel. 150 Michael Scholz-Hänsel <?page no="151"?> 4 Vgl. Jana G L O R I U S -R Ü E D I : Erlösung durch Barmherzigkeit. Bildausstattung und Bau‐ geschichte der Kirche San Jorge und des Hospital de la Santa Caridad in Sevilla (Ars Iberica et Americana, 22), Frankfurt a.-M. 2021. 5 Vgl. Reindert L. F A L K E N B U R G / Joachim P A T I N I R : Landscape as an Image of Pilgrimage, Amsterdam 1988. Abb.-2: Hieronymus Bosch: Der Hausierer, ohne Datierung, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam. Das Bild befindet sich noch heute an seinem ursprünglichen Bestimmungsort, der Armeneinrichtung des Pio Monte della Misericordia in Neapel. Und natürlich ist es kein Wunder, dass das Thema gerade im Kontext von Hospitälern eine besondere Verbreitung erfuhr. In Spanien wäre das Hospital de la Caridad in Sevilla zu nennen, das wie der Pio Monte della Misericordia bis heute seine Funktion als Residenz besonders Bedürftiger erfüllt. Hier sind es sechs Gemälde von Bartolomé Esteban Murillo und eine Skulpturengruppe von Pedro Roldán, die dem Betrachter die sieben Werke der Barmherzig‐ keit veranschaulichen 4 . Das Beherbergen wird durch das christliche Thema Abraham und die drei Engel (1670-74) verbildlicht. Der Stammvater aller monotheistischen Religionen kniet vor den Engeln und bittet sie inständig, seine Gäste zu sein. Reindert L. Fal‐ kenburg hat gezeigt, dass im 16. Jahrhun‐ dert das Leben gene‐ rell als Pilgerschaft verstanden wurde 5 . Der Mensch tauchte in die Welt ein, war verschiedenen Versuchungen aus‐ gesetzt und musste jeweils die richtige Wahl treffen, um schließlich ins Para‐ dies zu gelangen. Herbergen bildeten dabei eher gefähr‐ liche Orte, die es zu meiden galt. Diesen Eindruck zumindest vermittelt ein Bild von Hieronymus Bosch, Der Hausierer (Abb. 2). Der Tondo aus Rotterdam wird gern im Zusammenhang mit den äußeren Flügeln des Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 151 <?page no="152"?> 6 Roger H. M A R I J N I S S E N , Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk, Antwerpen 1999, S.-414. 7 Vgl. zur Analyse dieses Bildes S C H O L Z -H Ä N S E L , Neapolitanische Malerei (wie Anm. 3). Heuwagen-Triptychons interpretiert. Allerdings findet sich nur im Rotter‐ damer Bild die verfallene Herberge am linken Bildrand mit ihren absto‐ ßenden Gästen. Unter Verweis auf zeitgenössische Texte sieht Roger H. Ma‐ rijnissen hier den Pilger dargestellt, der über sein Leben reflektiert. So heißt es in einem Brüsseler Text um 1512: Wer richtig erkennt, was der Menschen Leben ist, kann es mit nichts besser als mit einem Pilger vergleichen, der seine Herberge verläßt und sich auf die Reise macht und endet, wenn er zu dem Ort zurückkommt, von dem er ausgegangen war 6 . Luther riet einst seinen christlichen Zeitgenossen von einer Reise nach San‐ tiago Abstand zu nehmen: laß reisen wer da wil, bleib du dahaim. Hinter diesem recht derben Urteil stand die Erfahrung, dass sich viele unter dem Vorwand der Pilgerschaft Vergünstigungen, eben auch die Unterkunft erschlichen. Doch wenn die Fürsorge um 1500 eine weitreichende Reform erfuhr, so haben doch alle christlichen Konfessionen an der Forderung nach Werken der Barmherzig‐ keit festgehalten, nur wurden die Akzente unterschiedlich gesetzt. Mit den modernen Arbeits- und Reisenomaden ist die Frage nach einem angemessenen Umgang mit der Gastfreundschaft neu ins Blickfeld gerückt. Der vorliegende Artikel nennt einige visuelle Beispiele für den Umgang mit dem Thema von Caravaggio bis in die Moderne und zeichnet auf diese Weise charakteristische Entwicklungslinien nach. Abschließend steht die Frage: Wie gehen wir heute mit der Gastfreundschaft um? Kann eine visuelle Interpretation der sieben Werke der Barmherzigkeit heute noch verstanden werden? Bevor narrative Darstellungen immer üblicher wurden, bevorzugte man allegorische Frauengestalten, die z. B. Tugenden und Laster verkörpern sollten. Sie blieben auch in der Barockzeit üblich, um etwa die Wissenschaften oder die Erdteile zu veranschaulichen. Von Pieter Bruegel d. J. stammt ein interessantes Beispiel, bei dem er eine allegorische Darstellung der Caritas mit den Sieben Werken der Barmherzigkeit von Pieter Bruegel d. Ä. in eine narrative Form über‐ führt (Abb.-3) 7 . Dabei ersetzt der Maler die zeitlose allegorische Zeichnung der Caritas (1559; mit Beschriftung) im Bildzentrum seiner Vorlage in seinem nach 1616 entstandenen Ölbild durch eine ältere Frauenfigur, deren Flickengewand sie als zeitgenössisch ausweist. Die neue Fassung bewahrt von den symbolisch auf das soziale Elend verweisenden Objekten in der Zeichnung - dem Schüssel (für Armut), dem Gürtel (für Askese) und dem Reisigbund (für Disziplin und Schmerzen) - in der vorderen Ebene nur die Schüssel. Die Beherbergung erfolgt oberhalb der Frauenfigur im Bildhintergrund. Die Unterkunft präsentiert 152 Michael Scholz-Hänsel <?page no="153"?> sich als besonders solides Backsteingebäude aus dem der Wirt unterwürfig heraustritt um mehrere Pilger (mit Stab) und vielleicht auch einen Hund zu empfangen. Die Entwicklung geht bei diesen zwei niederländischen Beispielen deutlich von einer teilweise noch allegorischen Behandlung des Themas der sieben Werke der Barmherzigkeit zu einer Darstellungsform, bei der die in naturalistischer Weise gemalten Betroffenen ganz allein selbst für ihre Sache werben. Ihre Aufgabe ist es, beim Publikum Affekte zu wecken, die nach dem Vorbild der Wohltäter im Bild zu konkreten Werken der Barmherzigkeit führen sollen. Abb.-3: Pieter Bruegel d. J.: Caritas, nach 1616, Museum Brot und Kunst, Ulm. Im 20. Jahrhundert begegnen uns nun zwei Beispiele, die genau den umge‐ kehrten Weg gehen. Es sind wieder einzelne allegorische Figuren, die für die sieben Werke der Barmherzigkeit stehen. Und da, wo es um das Beherbergen geht, tritt nun ein Mann an die Stelle der früher üblichen weiblichen Personifi‐ kationen. Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 153 <?page no="154"?> 8 Fanny S T O Y E , Visualisierung einer Topographie der Armut, in: Armut in der Kunst der Moderne, hg. von Franziska E Iẞ N E R / Michael S C H O L Z -H Ä N S E L , Marburg 2011, S.-180-f. 9 Vgl. Christin R I C H T E R , Armut in der Street Art mit christlichen Aspekten, Masterarbeit, Universität Leipzig 2012. Abb.-4: Various & Gould: St. Gentrifizian, Siebdruck, 2010. Im ersten Fall handelt es sich um Glasfenster, die der Künstler Koloman Moser (1868-1918) 1907 für den Wiener Steinhof, Landes-Heil- und Pflege-Anstalten für Geistes- und Nervenkranke, geschaffen hat 8 . Dem westlichen Fenster mit den sieben leiblichen Werken steht das östliche Fenster mit den sieben geistigen Werken der Barmherzigkeit gegenüber. Das Beher‐ bergen wird hier durch den hl. Bernhard mit einem in Miniatur dargestellten Haus verkörpert. Im zweiten Fall erfährt die allegorische Figur eine ironische Wendung. Denn der vermeintliche Heilige St. Gentrifizian von Various & Gould (Künstlername eines Duos) verkörpert genau das Gegenteil des für‐ sorglichen Herbergsvaters (Abb. 4) 9 . Dafür steht nicht nur der Name, sondern auch die Art der wi‐ dersprüchlichen Gestaltung. Der steile hochforma‐ tige Siebdruck präsentiert die frontale Ganzfigur eines Hausbesetzers (dies suggeriert das Hemd mit dem Aufdruck eines Mietshauses) mit Espressotasse und Golfschläger, der auf einem umgedrehten Mer‐ cedes steht, aus dem Flammen schlagen. Als Rahmen dient unten das klassische Namensschild „St. Gentri‐ fizian“ und oben ein von einem Mercedesstern ge‐ bildeter Heiligenschein. Das provokative Werk ge‐ hört zu einer Plakatserie Moderner Heiliger, die Inhalt von Goulds 2010 vorgelegter Diplomarbeit Sankt Nimmerlein in der Kunsthochschule Berlin-Wei‐ ßensee war. Die zehn fiktiven Heiligen thematisieren aktuelle gesellschaftliche Probleme wie Globalisie‐ rung, Gentrifizierung, Klimawandel oder Finanz‐ krise. Darin sehe ich einen provokativen Umgang mit der christlichen Ikonographie der sieben Werke der Barmherzigkeit, bei dem visuelle Codes der Pop‐ kultur zum Einsatz kommen. 154 Michael Scholz-Hänsel <?page no="155"?> Man kann sich aber auch ohne Rückgriff auf die christliche Bildfolge dem Thema der Gastfreundschaft verschreiben und dabei zudem ganz moderne Me‐ dien zum Einsatz bringen. Aus einer großen Zahl möglicher Beispiele habe ich Fotos von Albrecht Wild und Jacob Holdt sowie den sehr erfolgreichen Film weit von Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier ausgewählt, zu dem auch ein opu‐ lent gestaltetes Fotobuch existiert. Abb.-5: Albrecht Wild: Boatpeople vor der Kulisse von New York, Fotomontage, 2009. Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 155 <?page no="156"?> 10 Vgl. Nina T R A U T H , Flagupy. Literatur der Armut, Wiesbaden 2013. 11 Jacob H O L D T , Bilder aus Amerika, Berlin 1977/ 80. 12 Vgl. zu Holdt: Stephanie B R E M E R I C H : Umblättern und Aufdecken, in: Armut in der Kunst der Moderne, hg. von Franziska E Iẞ N E R / Michael S C H O L Z -H Ä N S E L , Marburg 2011, S.-96-106. 13 Ebd., S.-10. Albrecht Wild (geb. 1959 Weinheim) hat über Jahre den Fokus seiner künstle‐ rischen Arbeit auf das Armutsthema gelegt 10 . Eine Fotomontage von ihm aus dem Jahr 2009 zeigt Flüchtlinge auf einem Floß vor der Skyline von New York (Abb. 5). In anderen Werken hat er immer wieder das harte Schicksal von Obdachlosen thematisiert. So war in der Trierer Ausstellung Armut (2011) die Installation Sitzender (2008) zu sehen. Dem verhüllten Bettler ist eine moderne Leuchtschrift beigegeben, auf der das Wort Danke! erscheint. Wild hat erkannt, dass die häufig mit Bittgesuchen versehenen Kartons der Bettler ihre persönlichsten Ausdrucksformen sind, und sie teilweise für Geld erworben, um sie in Ausstellungen zu zeigen. Im vorliegenden Fall geht es aber um den Widerspruch zwischen der ärmlichen Gestalt und dem modernen Werbemittel der Leuchtschrift, das uns zum Nachdenken provozieren soll. Während Wild weiter von außen auf den Armen blickt (auch wenn er ihm mit den Bittzetteln eine eigene Sprache zuweist), begegnen wir bei Holdt und Weisser/ Allgaier dem nun selbstbewusst agierenden modernen Nomaden, der seine ganz eigenen Reiseerfahrungen, d. h. seine Erlebnisse mit der Gastfreund‐ schaft, zum Thema macht. Der Däne Jacob Holdt (geb. 1947) publizierte 1977/ 80 das in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen erfolgreiche Buch Bilder aus Amerika 11 auf der Grundlage einer Diaschau 12 . Darin dokumentiert der Pfarrerssohn mit eigenen Bildern eine bewegte Reise durch die USA, bei der er gleichermaßen Gast der Reichen und der Armen war. Der radikale Ansatz zeigt sich schon in den letzten Sätzen des Vorwortes, in denen der Autor als beste Therapie gegenüber der Angst vor anderen Menschen empfiehlt, vorbehaltlos alle ins eigene Haus einzuladen: „Gleichzeitig werdet ihr feststellen, dass das eine wesentlich bessere Form der Unterhaltung ist als das tägliche Fernsehprogramm oder Bücher wie dieses hier. Und sollte euer Fußboden bereits belegt sein oder solltet ihr aus dem einen oder anderen Grunde nicht imstande sein, sie aufzunehmen, so seid so freundlich und schickt sie zu mir“ 13 . Zu dem Text gibt es auf derselben Seite vier Schwarzweiß-Fotos in der für das Werk generell üblichen schlechten Druckqualität (nach Dias, wie uns der Autor wissen lässt) (Abb. 6). Zwei zeigen den Autor drinnen in einem offensichtlich begüterten Kontext mit weißen Gastgebern, zwei draußen mit schwarzhäutigen Kindern. 156 Michael Scholz-Hänsel <?page no="157"?> 14 Gwendolin W E I S S E R / Patrick A L L G A I E R , weit. Ein Reisemagazin, 2019. 15 Ebd., S.-45. Abb.-6: Jacob Holdt: Bilder aus Amerika, Berlin 1977, S.-10. Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier reisten 2013 vom Schwarzwald aus Richtung Osten einmal um die Welt und dokumentierten dies in einem Film, der 2017 unter dem Titel weit in die Kinos kam. 2019 erschien dazu auch ein Foto‐ buch: weit. Ein Reisemagazin 14 . Ziel war es, die Reise fast ohne Geldausgaben zu realisieren und somit die Gastfreundschaft auf eine harte Probe zu stellen. Es gibt dazu viele berührende Bilder, doch besonders eins blieb mir aus Film und Buch in Erinnerung. Es zeigt den Gastgeber Husseinby und seine Familie, die sie in Tadschikistan zu sich nach Hause einluden; zu Tee mit gebratenen Schafinnereien (Abb.-7) 15 . Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 157 <?page no="158"?> 16 Hape K E R K E L I N G , Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg, München 2006. - In seiner Beschreibung der Ereignisse in Santo Domingo de la Calzada fand ich vor Ort viel Phantasie verwoben mit Realität. Abb.-7: Gwendolin Weisser/ Patrick Allgaier: weit. Ein Reisemagazin, 2019, S.-45. Anders als in dem eingangs behandelten Bild von Caravaggio folgt der zeitge‐ nössische Weltenpilger nicht mehr einfach dem Fingerzeig seines Gastgebers, sondern liefert uns ein Urteil über die Art seiner Behandlung. Dem Buchautor Hape Kerkeling müssen wir glauben, was er in den Pilgerherbergen des Camino Francés erlebte 16 , aber im Falle von Holdt und Weisser/ Allgaier bekommen wir visuelles Material, das uns zumindest in gewissem Maße ein eigenes Urteil zu bilden erlaubt. Für unsere Fragestellung von Interesse dürfte sein, dass die Positionen in den beiden Werken nicht unterschiedlicher ausfallen könnten. Während Holdt den Gegensatz zwischen Arm und Reich in den USA so zuspitzt, dass wir eigentlich weder von den einen (wegen ihres zur Schau gestellten Reichtums) noch von den anderen (wegen des brutalen Elends) beherbergt werden wollen, scheint bei Weisser/ Allgaier alles so harmonisch aufzugehen, dass wir uns fragen, ob sie wirklich nichts Negatives erlebt haben oder das entsprechende Material vielleicht im Papierkorb landete. Tatsächlich wäre dann das Buch ehrlicher als der Film. Eine Kapitelüberschrift lautet: „Und dann passiert es doch aus [sic] Nicaragua“. Es gibt einen Diebstahl, den die beiden folgendermaßen kommentieren: „Und irgendwann sollte es eben passieren, 158 Michael Scholz-Hänsel <?page no="159"?> 17 W E I S S E R / A L L G A I E R , weit (wie Anm. 14), S.-221. 18 Martin S C H M I D T , https: / / www.rpz-heilsbronn.de/ Dateien/ Tagungshaus/ Kunst/ 7xbarmhe rzigkeit_2019.pdf (4.5.2021). nach drei Jahren haben wir nun doch eine Geschichte auf die Frage, was uns Schlimmes passiert sei“ 17 . 2010 hat der Münchner Künstler Martin Schmidt (geb. 1963 München) noch einmal an die Bildtradition der sieben Werke der Barmherzigkeit anzuknüpfen gesucht 18 . Er scheint bewusst sowohl auf narrative wie figurative Darstellung zu verzichten und zeigt uns stattdessen in ausgefeilten und großformatigen Zeichnungen Alltagsgegenstände und Orte als Symbole der Barmherzigkeit. Die Werkserie entstand anlässlich des ökumenischen Kirchentages in München 2010. Hier steht für das Beherbergen eine zusammengeklappte Matratze (Abb. 8). Dabei dürfte die Wahl des scheinbar banalen Objektes inhaltlich zu verstehen sein. Auch das einfache handwerkliche Medium der Darstellung symbolisiert gut die Grundbedürfnisse, die es mit den Werken der Barmherzigkeit zu erfüllen gilt. Das liebste Werkzeug von Schmidt ist angeblich der Bleistift B8. Abb. 8: Martin Schmidt: Fremde beherbergen, Fotografie aus der Werkserie 7 x Barm‐ herzigkeit, 2010. Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 159 <?page no="160"?> Ich wollte immer wieder von meinem Publikum wissen, ob sie in Darstellungen der sieben Werke der Barmherzigkeit noch den Inhalt erkennen. Sind die Objekte von Schmidt heute verständlicher als das figurenreiche Bild von Caravaggio? Eine Antwort lässt sich vielleicht dort finden, wo fast unverändert Gastfreundschaft praktiziert wird, in den Herbergen des Pilgerweges. Wie wird dort das großzügige Angebot beworben? Ein Beispiel liefert der Pilgerausweis, credencial del peregrino, in dem die Reisestationen durch einen Stempel dokumentiert werden. Folgt man der Vía de la Plata und zweigt vor dem Camino Francés nach Santiago ab - manche nennen diesen auch den mozarabischen Pilgerweg - erhält man gleich in mehreren Herbergen einen Stempel, der den jeweiligen Ort nennt und dazu das immer gleiche Symbol verwendet. Es handelt sich um die schematische Zeichnung eines Hauses, dessen aufgeschnittener Innenraum durch eine Muschel gefüllt wird (Abb. 9). Beispielhaft kann hier der Stempel der historischen Herberge von Verín stehen. Scheinbar ist es dieses Logo, das von der langen Bildtradition geblieben ist? Abb.-9: Pilgerausweis, 2011. Während der Zyklus von Murillo noch in klassischer Weise jedem der sieben Werke der Barmherzigkeit ein einzelnes Gemälde widmet, hat Caravaggio alle in einem einzigen Bild zu vereinen gesucht. Darin wollen einige eine bahnbre‐ chende Innovation sehen (Abb. 1). Tatsächlich aber beginnt mit diesem, seinem neapolitanischen Hauptwerk, eine Verunklärung der christlichen Botschaft und dies nicht nur, weil Samson selbst trinkt, statt anderen ein Getränk zu geben, 160 Michael Scholz-Hänsel <?page no="161"?> und das Siebente Werk der Barmherzigkeit, der Krankenbesuch fehlt. Vielmehr ist auch die Geste des Wirtes gegenüber dem Pilger wenig einladend, weist er doch, wie schon in der Einleitung bemerkt, aus dem Bild hinaus. In den figurativen Allegorien von Moser schließlich wirkt das Thema zur Formel erstarrt. Kaum einer wird heute verstehen, warum der hl. Bernhard für Gastfreundschaft steht. Schmidt dagegen könnte, so legt das simple Logo vom Pilgerweg nahe, noch einmal eine Bildsprache gefunden haben, um ein zeitge‐ nössisches Publikum zu erreichen (Abb. 8). Auch wenn die zusammengeklappte Matratze für sich unverständlich bleibt, so erschließt sich ihr Sinn vielleicht in der vollständigen Serie der Sieben Werke der Barmherzigkeit. So steht etwa für Kranke besuchen (das von Caravaggio ausgelassene Werk der Barmherzigkeit) eine Ansammlung von Lampen über dem Operationstisch. Wichtiger aber scheint mir, dass im 20. Jahrhundert endlich auch die zur respektvollen Anschauung kommen, die keine Herberge finden (die Flüchtlinge und die Obdachlosen bei Wild; die Gentrifizierten bei Gould), und die, die glauben, kritisch auswählen zu müssen, wem sie das Gastrecht gewähren (Holdt). Vor allem aber melden sich nun die potentiellen Gäste zu Wort und beurteilen, wie mit ihnen umgegangen wurde (Holdt sowie Weisser/ Allgaier). Das querformatige Farbbild im Fotobuch von Weisser/ Allgaier zeigt die beiden scheinbar vollkommen integriert in ihre Gastfamilie (Abb. 7). Alle gemeinsam, alt und jung, sitzen auf dem Boden und ein tadschikischer Knabe hat sogar zwischen den beiden Protagonisten Platz genommen. Die Gäste haben sich offensichtlich den Lebensgewohnheiten ihrer Gastgeber angeglichen. Dazu passt auch, wenn im Film erzählt wird, dass Gwendolin Weisser von den Schafinnereien gegessen hat, obwohl sie eigentlich vegetarisch lebt. Alle vier Bilder von Holdt zeichnen sich dagegen durch eine gewisse Distanz aus (Abb. 6). Der Gast wirkt wie ein hineinmontierter Fremdkörper, der so nur seine Anwesenheit dokumentieren möchte. Bei den Weißen geht es um Essen und Trinken (Holdt schenkt sogar den Wein ein), bei den Schwarzen eher ums gemeinsame Spielen. In allen Fotografien ist der dänische Gast der eigentliche Exot, sei es durch seine Größe oder durch seine langen Haare und den Vollbart. Psychologen haben festgestellt, dass ein Geschenk zu geben glücklicher macht, als es zu empfangen, vorausgesetzt natürlich, dass es positiv aufge‐ nommen wird. Vielleicht ist dies eine wichtige Erkenntnis auch für den aktuellen Umgang mit der Gastfreundschaft. Im 17. Jahrhundert sahen wir zwei Beispiele (von Bruegel und Murillo), bei denen die Wirte vor ihren Gästen niederknien und sie inständig in ihr Haus einladen (Abb. 3). Auch jetzt scheinen im Fokus verstärkt wieder jene zu stehen, die eine Herberge gewähren, und die Motivation, mit der sie es tun. Das wäre keine schlechte Entwicklung. Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit 161 <?page no="162"?> Quellen- und Literaturverzeichnis Stephanie B R E M E R I C H , Umblättern und Aufdecken, in: Armut in der Kunst der Moderne, hg. von Franziska E IẞN E R / Michael S C H O L Z -H ÄN S E L , Marburg 2011, S.-96-106. Ralf van B ÜH R E N , Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12.-18.-Jahrhunderts, Hildesheim 1998. Nix wie weg! , in: D E R S P I E G E L 33 (11.8.2018), S.-12- 21. Reindert L. F A L K E N B U R G / Joachim P A T I N I R , Landscape as an Image of Pilgrimage, Ams‐ terdam 1988. Jana G L O R I U S -R Ü E D I , Erlösung durch Barmherzigkeit. Bildausstattung und Baugeschichte der Kirche San Jorge und des Hospital de la Santa Caridad in Sevilla (Ars Iberica et Americana, 22), Frankfurt a.-M. 2021. Jacob H O L D T , Bilder aus Amerika, Berlin 1977/ 80. Hape K E R K E L I N G , Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg, München 2006. Roger H. M A R I J N I S S E N , Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk, Antwerpen 1999. Christin R I C H T E R , Armut in der Street Art mit christlichen Aspekten, Masterarbeit, Universität Leipzig 2012. Sebastian S C H M I D T , Religiöse Bildprogramme als Ausdruck kollektiver Einstellungen? , in: Armut. Perspektiven in Kunst und Gesellschaft, hg. von Herbert U E R L I N G S / Nina T R A U T H / Lucas C L E M E N S , Darmstadt 2011, S.-206-214. Martin S C H M I D T , https: / / www.rpz-heilsbronn.de/ Dateien/ Tagungshaus/ Kunst/ 7xbarmhe rzigkeit_2019.pdf (4.5.2021). Michael S C H O L Z -H ÄN S E L , Neapolitanische Malerei und Konfessionalisierung: Verände‐ rungen im Bild der Armen von Caravaggio zu Ribera, in: Archiv für Reformationsge‐ schichte 93 (2002), S.-339-368. Fanny S T O Y E , Visualisierung einer Topographie der Armut, in: Armut in der Kunst der Moderne, hg. von Franziska E IẞN E R / Michael S C H O L Z -H ÄN S E L , Marburg 2011, S.-180-181. Nina T R A U T H , Flagupy. Literatur der Armut. Wiesbaden 2013. Gwendolin W E I S S E R / Patrick A L L G A I E R , weit. Ein Reisemagazin, 2019. 162 Michael Scholz-Hänsel <?page no="163"?> * Die deutsche Fassung des spanischen Originalbeitrags wurde von Florian Weber erstellt. 1 Vgl. Diccionario de la lengua española, hg. von der R E A L A C A D E M I A E S P AÑ O L A , https: / / dle.rae.es/ hospitalidad (20.3.2023). Zur Ikonographie der Gastfreundschaft * Miguel Ángel González García Das Wörterbuch der Real Academia Española verzeichnet unter dem Lemma hospitalidad, dt. „Gastfreundschaft“, drei Bedeutungsdefinitionen: 1. die Tugend desjenigen, der Bedürftige, Mittellose und Pilger bei sich aufnimmt und ihnen den nötigen Beistand leistet; 2. freundliches Verhalten gegenüber Fremden und Besuchern; 3. Krankenhausaufenthalt 1 . Im weitesten Sinne versteht man unter hospitalidad demnach jede Form der Unterbringung und Versorgung von Fremden. Heutzutage ist daraus ein rentables Geschäft geworden: Der Tourismus bildet für viele Städte und Ortschaften eine wichtige Einnahmequelle. Hotels und Reiseveranstalter locken Urlauber mit ausgeklügelter Werbung und geschönten Fotos von komfortablen Zimmern, von Freizeit- und Gastronomieangeboten, vom freundlich lächelnden Personal. Inzwischen sind es vor allem Online-Rei‐ seagenturen wie Booking.com, die potenziellen Kunden die Annehmlichkeiten der schier unzähligen Unterkunftsmöglichkeiten - Luxushotels, Pensionen, Ferienapartments, Landhäuser-… - auf einen Klick näherbringen. Natürlich interessiert uns hier nicht diese kommerzielle Form der Gastfreund‐ schaft, sondern hospitalidad im Sinne der ersten Bedeutungsdefinition, d. h. eine tugendhafte und selbstlose, nicht auf den wirtschaftlichen Profit zielende Gastfreundschaft, wie sie in den westlichen Gesellschaften - (noch) nicht aber in vielen anderen Kulturen - weitgehend verlorengegangen ist. Ohne hier eine erschöpfende Darstellung des Themas bieten zu können, möchte ich nun die Ursprünge dieser uneigennützigen und sogar ehrenvollen Gastfreundschaft in der jüdisch-christlichen Kultur beleuchten. Noch bis in die jüngere Vergangenheit waren Reisende oftmals Flüchtlinge, Prediger oder Pilger, also Bedürftige, die man bei sich aufnahm, weil die heiligen Gebote des <?page no="164"?> 2 Sämtliche Bibelverweise in diesem Beitrag beziehen sich auf die revidierte deutsche Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, hg. vom K A T H O L I S C H E N B I B E L W E R K , Stuttgart 3 2017. 3 Vgl. Victor H. M A T T H E W S , Hospitality and Hostility in Judges 4, in: Biblical Theology Bulletin 21/ 1 (1991), S.-13-21, hier S.-13-15. Glaubens es verlangten. Belohnt wurden die damit verbundenen Mühen und Kosten durch die Aussicht auf ewige Glückseligkeit. Im Folgenden gehe ich auf drei Beispiele für eine Ikonographie der Gast‐ freundschaft ein, die nicht Werbung für ein gewinnträchtiges Geschäft sein will, sondern Anregung zu einer Tugend, deren Lohn gewiss ist, denn Geben ist seliger als Nehmen (Apg 20,35), und die zur ewigen Erlösung führt: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen (Mt 25,34-35) 2 . I. Die Gastfreundschaft Abrahams und Saras im Alten Testament Die Gastfreundschaft, die Abraham und seine Frau Sara Gott erwiesen, der ihnen in Gestalt dreier Männer erschienen war (1 Mose 18,1-15), ist exemplarisch nicht nur für das Judentum, sondern auch für die anderen semitischen Völker. Victor H. Matthew identifizierte für diesen spezifischen Kontext sieben Verhaltensre‐ geln, die gute Gastfreundschaft definieren 3 : 1. Grundsätzlich waren im näheren Umkreis einer Siedlung sowohl Indivi‐ duen als auch die Dorfgemeinschaft als Ganzes dazu verpflichtet, Gast‐ freundschaft zu gewähren. 2. Durch die ihm erwiesene Gastfreundschaft sollte der Fremde von einer potenziellen Bedrohung zu einem Verbündeten werden. 3. Nur männliche Einwohner des Dorfes oder der Region durften einem Fremden Aufenthalt gewähren. 4. Die Einladung konnte eine feste Aufenthaltsdauer beinhalten, die jedoch verlängert werden konnte, wenn der Gastgeber eine erneute Einladung aussprach und beide Seiten damit einverstanden waren. 5. Der Fremde hatte das Recht, die Einladung abzulehnen, doch konnte dies als Ehrbeleidigung des Gastgebers angesehen werden und augenblicklich zu Feindseligkeiten oder Konflikten führen. 6. Hatte der Gast die Einladung angenommen, galt es, die traditionellen Regeln zu befolgen. Der Gast durfte von sich aus um nichts bitten. Der 164 Miguel Ángel González García <?page no="165"?> Gastgeber, der sich anfänglich, als er ihm die Gastfreundschaft angeboten hatte, weniger großzügig gezeigt hatte, bewirtete ihn nun mit dem Besten, was er hatte. Der Gast sollte unverzüglich seinen Dank zum Ausdruck bringen und die Großherzigkeit und Ehre des Gastgebers loben. Persönli‐ ches sollte der Gast nur von sich aus preisgeben, der Gastgeber sollte sich nicht danach erkundigen. 7. Der Besucher blieb unter dem Schutz des Gastgebers, bis er dessen Verant‐ wortungsbereich verließ. Abb.-1: Abraham und Sara bewirten die drei an einem Tisch sitzenden Engel. Ikone aus dem 15.-Jahrhundert. Byzantinisches Museum, Athen. Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 165 <?page no="166"?> Abraham, der jene drei Männer bei sich aufnahm, die in der christlichen Glaubenslehre als eine Verkörperung der Heiligen Dreifaltigkeit betrachtet werden, wurde mit dem Segen einer schon für unmöglich geglaubten Nachkom‐ menschaft belohnt. Er gibt ein immerwährendes Beispiel dafür, dass derjenige nicht enttäuscht wird, der großzügig einen jeden, der an seine Tür klopft, bei sich aufnimmt und bewirtet, insbesondere, wenn es sich um einen Pilger handelt, dem stets so zu begegnen ist, als sei er Christus selbst. Abb. 2: Besuch der drei Engel bei Abraham. Gemälde von Giovanni Battista Tiepolo (1770). Museo del Prado, Madrid. 166 Miguel Ángel González García <?page no="167"?> 4 In diesem Zusammenhang sei auf zwei einschlägige Monographien verwiesen: Augusto Q U I N T A N A P R I E T O , Hospitales astorganos. Beneficencia de la ciudad en la antigüedad, Astorga 1993, und Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , Cofradías y hospitales de Astorga (siglos XI-XVI), Oviedo, 1978. II. Die Gastfreundschaft im Evangelium nach Matthäus Der im Folgenden behandelte Text, das Evangelium nach Matthäus, bildet die Grundlage für die Gastfreundschaft, die Pilgern auf den Wegen insbesondere nach Santiago de Compostela, Rom und Jerusalem, aber auch zu anderen Wallfahrtszielen zuteilwird. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang vor allem die Gründung von Pilgerhospizen, ein weites und schon vielerforschtes Thema, das ich hier nicht umfassend behandeln kann. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es gerade in der am Jakobsweg gelegenen Stadt Astorga (wo ich diese Zeilen schreibe) ungemein viele dieser unverzichtbaren Beherbergungseinrichtungen gibt, was umso mehr überrascht, als Astorga nie eine besonders große Stadt war 4 . Da diese Hospize ihre frommen Dienste jedoch nicht in Text oder Bild dokumentiert haben, erübrigt sich die Frage nach einer Ikonographie ihrer Gastfreundschaft. Ich möchte stattdessen auf den durch das Evangelium nach Matthäus inspirierten Verhaltenskodex für Christen eingehen, der seine schrift‐ liche Fixierung in den Werken der Barmherzigkeit fand. Bekanntlich gibt es sieben geistige und sieben leibliche Werke. Unter den letzteren mahnt eines, das vierte, ganz ausdrücklich zu Gastfreundschaft: Fremde aufnehmen. Damit eng verbunden sind das erste und das zweite: Hungernde speisen und Dürstenden zu trinken geben. In der Kunst sind die Werke der Barmherzigkeit durchaus präsent, denn ihre v. a. malerische Darstellung diente in gewisser Weise als ein ‚Katechismus in Bildern‘ für die vielen Ungebildeten, die sich durch anschauliche Gemälde eher zu einer christlichen Lebensweise anregen ließen als durch Texte. Exemplarisch möchte ich nur auf zwei berühmte Darstellungen verweisen. Der 1525 von Santi Buglioni auf glasierter Terrakotta verfertigte Fries des Ospedale del Ceppo in Pistoia stellt die Werke der Barmherzigkeit in sieben nebeneinander angeordneten Szenen dar. Die vierte Szene zeigt einen Mann mit Aureole und den Zügen Christi, der einen Pilgerstab in seiner Rechten hält. Ein anderer Mann wäscht ihm sorgfältig die Füße (Abb. 3). Bei der zweiten Darstellung handelt es sich um Caravaggios großes Gemälde Sette opere di Mi‐ sericordia (1606) in der Kirche Pio Monte della Misericordia in Neapel. Das vierte Werk der Barmherzigkeit veranschaulichen auch hier zwei Männer, Gast und Gastgeber, von denen sich ersterer bezeichnenderweise als der Apostel Jakobus Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 167 <?page no="168"?> 5 Siehe Abb.-1 im Beitrag von Michael Scholz-Hänsel in diesem Band, S.-150. (mit der charakteristischen Muschel am Hut und dem Pilgerstab in der Hand) identifizieren lässt. Insofern verbindet das Bild das Thema der Gastfreundschaft eindeutig mit der Jakobuspilgerfahrt nach Santiago de Compostela 5 . Abb. 3: Das vierte Werk der Barmherzigkeit: Fremde aufnehmen. Fries von Santi Buglioni (1525). Ospedale del Ceppo, Pistoia. III. Die Regel des heiligen Benedikt von Nursia Es gibt ein weiteres Dokument, das für die Geschichte der Gastfreundschaft von zentraler Bedeutung ist, nämlich die Ordensregel des hl. Benedikt von Nursia, die in Kapitel 53 über die Aufnahme von Fremden im Kloster handelt. Wie andernorts schon vielfach betont wurde, stellt das Kloster ein Modell für Gastfreundschaft dar, und es sind in erster Linie die Klöster, die Pilgern auf dem Jakobsweg seit jeher ihre Gastfreundschaft bieten. Ich verweise nur auf das vorbildliche Zisterzienserkloster Oseira (bei Ourense), das Pilger, die auf dem Camino Mozárabe unterwegs sind, heute wie gestern zu einem Umweg einlädt. In Kapitel 53 seiner Regel legt der hl. Benedikt Folgendes fest: 168 Miguel Ángel González García <?page no="169"?> 6 Zitiert aus dem offiziellen Regeltext, der dem Copyright der Salzburger Äbtekonferenz unterliegt: http: / / benediktiner.benediktiner.de/ / index.php/ beziehungen-des-klosters-n ach-aussen-2/ aufnahme-der-gaeste/ 345-regula-benedicti-kapitel-53.html (20.3.2023). 7 Die Handschrift wird mit der Katalognummer MS 376 in der Bibliothèque nationale de France verwahrt. Die Miniatur befindet sich auf fol. 224. Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus: denn er wird sagen: Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen. Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern. Sobald ein Gast gemeldet wird, sollen ihm daher der Obere und die Brüder voll dienstbereiter Liebe entgegeneilen. Zuerst sollen sie miteinander beten und dann als Zeichen der Gemeinschaft den Friedenskuss austauschen. Diesen Friedenskuss darf man wegen der Täuschung des Teufels erst nach dem Gebet geben. Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird. Hat man die Gäste aufgenommen, nehme man sie mit zum Gebet; dann setze der Obere sich zu ihnen oder ein Bruder, dem er es aufträgt. Man lese dem Gast die Weisung Gottes vor, um ihn im Glauben zu erbauen; dann nehme man sich mit aller Aufmerksamkeit gastfreundlich seiner an. Das Fasten breche der Obere dem Gast zu liebe, nur nicht an einem allgemein vorgeschriebenen Fasttag, der eingehalten werden muss. Die Brüder aber fasten wie gewohnt. Der Abt gieße den Gästen Wasser über die Hände; Abt und Brüder zusammen sollen allen Gästen die Füße waschen. Nach der Fußwaschung beten sie den Psalmvers: Wir haben, o Gott, deine Barmherzigkeit aufgenommen inmitten deines Tempels. Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen. Das Auftreten der Reichen verschafft sich ja von selbst Beachtung 6 . Vielleicht ist diese Klostervorschrift auch der Grund für die Darstellung des vierten Werkes der Barmherzigkeit im Ospedale del Ceppo in Pistoia, die im Pilger bereits Christus erkennt (Abb. 3). Diese für die Ikonographie der Gastfreundschaft so grundlegende Identifikation geht auf die Szene der Emma‐ usjünger zurück, die auf ihrem Weg von Jerusalem nach Emmaus dem auferstan‐ denen Jesus begegneten. Der begleitete sie und erbaute sie durch seine Reden. In Emmaus angekommen, luden sie ihn schließlich ein, die Nacht bei ihnen zu verbringen (Lk 24,13-35) - eine klare Lektion in Sachen Gastfreundschaft. Als Beispiel für die ikonographische Darstellung dieser Szene füge ich hier eine wundervolle Miniatur ein, die Hugos von St. Viktor Liber de sacramentis, einer lateinischen Handschrift des 12.-Jahrhunderts, entnommen ist (Abb.-4) 7 . Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 169 <?page no="170"?> Abb. 4: Jesus und die Emmausjünger. Miniatur aus Hugos von St. Viktor Liber de sacramentis (12. Jh.). Bibliothèque nationale de France, Paris. Abschließend sei noch auf einige Episoden aus Heiligenviten verwiesen, die zeigen, dass, wer einen Armen bei sich aufnimmt und versorgt, ein Werk der Barmherzigkeit an Christus selbst verrichtet. Solche Erzählungen und ihre ikonographische Verarbeitung, die v. a. in Klöstern reichlich belegt ist, sollten den Menschen als Beispiel für das eigene Leben dienen. So ist etwa im Palacio de los Guzmanes, dem Sitz der leonesischen Pro‐ vinzregierung, ein ursprünglich aus dem Augustinerinnenkloster der Stadt León stammendes Steinrelief aus dem 17. Jahrhundert erhalten, auf dem eine entsprechende Szene aus der Vita des hl. Augustinus abgebildet ist. Tatsächlich finden sich Darstellungen dieser Art relativ häufig in den Klöstern des Augus‐ tinerordens. Ein weiteres Beispiel bietet ein im Museo de Bellas Artes in Valencia verwahrtes Gemälde von Murillo aus den 1650er Jahren, auf dem Christus mit allen Attributen eines Pilgers versehen ist (Abb.-5). 170 Miguel Ángel González García <?page no="171"?> Abb.-5: Der hl. Augustinus wäscht Christus die Füße. Gemälde von Bartolomé Esteban Murillo (ca. 1650). Museo de Bellas Artes, Valencia. Auf einem Gemälde von Fra Angelico aus dem Jahr 1441, das sich im Museo Nazionale di San Marco in Florenz befindet, hält der von zwei Dominikaner‐ mönchen empfangene Christus ebenfalls den bezeichnenden Pilgerstab in seiner Rechten (Abb. 6). Ähnliche Darstellungen gibt es von der hl. Katharina von Siena, dem hl. Gregor dem Großen und dem hl. Johannes von Gott, um nur einige zu nennen. Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 171 <?page no="172"?> Abb. 6: Christus wird von zwei Dominikanermönchen empfangen. Gemälde von Fra Angelico (1441). Museo Nazionale di San Marco, Florenz. Dass die Szene der Fußwaschung des hl. Augustinus so weit verbreitet ist, lässt sich möglicherweise auf einen Stich von Boëthius a Bolswert aus dem 17.-Jahrhundert zurückführen (Abb.-7). Abb. 7: Der hl. Augustinus wäscht Christus die Füße. Stich von Boëthius a Bolswert (1624). 172 Miguel Ángel González García <?page no="173"?> Ein letztes Beispiel für das Motiv des Christus peregrinus bietet der arme Mann, mit dem der hl. Martin seinen Mantel teilte und der sich anschließend als Christus selbst erwies bzw. mit dem Christus sich identifizierte. Eine interes‐ sante Darstellung dieser Szene auf einem 1445 von Blasco de Grañén gemalten Altarbild aus Puebla de Albortón zeigt die Figur des Armen mit Stab und muschelbesetztem Hut, den charakteristischen Pilgerattributen (Abb.-8). Abb. 8: Der hl. Martin teilt seinen Mantel mit einem Armen. Altarbild von Blasco de Grañén (1445). Museo Diocesano, Saragossa. Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 173 <?page no="174"?> 8 Vgl. Robert P L Ö T Z , San Domingo de la Calzada - der heilige Dominikus von der Straße und die Rioja. Ein Panorama, in: Pilgerheilige und ihre Memoria, hg. von Klaus H E R B E R S und Peter R Ü C K E R T , Tübingen 2012, S.-205-225. 9 Die Handschrift ist als MS Latin 8846 in der Bibliothèque nationale de France katalogi‐ siert. Die Illustration befindet sich auf Folio 106. Zweifellos könnte man noch weitere Text- und Bildbelege für die gastliche Aufnahme und Bewirtung von Pilgern hinzufügen, die in ikonografischen Programmen von Heiligen (wie z. B. des hl. Dominikus von der Straße, des Lokalpatrons von Santo Domingo de la Calzada 8 ) enthalten sind oder auch in Mi‐ niaturen, die interessante Aspekte des Pilgerns aufgreifen und von denen einige die Rolle der Frau in vielen Hospizen v. a. auf dem Lande aufzeigen, einfachen Unterkünften mit minimaler Versorgung, die aber doch von unschätzbarem Wert waren. Als Beispiel möge eine Illustration aus dem Psalterium Cantuari‐ ense, einer lateinischen Handschrift des 12.-Jahrhunderts, dienen (Abb.-9) 9 . Abb. 9: Fürsorgliche Frauen im Pilgerhospiz. Illustration aus dem Psalterium Cantuari‐ ense (12. Jh.). Bibliothèque nationale de France, Paris. Abschließend lässt sich festhalten, dass uns - wie ich hier nur exemplarisch zeigen konnte - eine reiche christliche Ikonographie überliefert ist, die lehrt, dass man Fremde freundlich aufnehmen soll, sei es nun ein Pilger, der seines Glaubens wegen zu einer heiligen Stätte zieht, oder ein Wanderer, der aus welchem Grund auch immer sein Haus oder gar seine Heimat verlassen musste, oder einer von jenen vielen, die einst von Ort zu Ort zogen und von der 174 Miguel Ángel González García <?page no="175"?> Barmherzigkeit lebten und denen täglich Brot und Unterkunft gegeben wurde, denn dem christlichen Bewusstsein (oder Unterbewusstsein) ist unauslöschlich der Ausspruch Jesu eingeschrieben: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40). Und in den heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments, die von der Kunst auf so vielfältige Weise rezipiert worden sind, finden sich zahlreiche Figuren und Szenen, die vom Segen der Nächstenliebe künden, die darin besteht, Quartier und Speise denen zu gewähren, die ihrer bedürfen. Die Klöster waren seit jeher Orte der Gastfreundschaft, und insbesondere entlang der Pilgerwege boten sie Vorbeiziehenden ihre unabdingbare Hilfe in ganz alltäglichen Dingen an, sofern es sich nur um (tatsächliche oder scheinbare) Bedürftige handelte. Bevor Gastfreundschaft zu einem Geschäft wurde, das nur mehr die Nach‐ frage von Touristen befriedigt, die ihre Reise - im Gegensatz zu Pilgern - weder aus Bedürfnis noch aus Frömmigkeit unternehmen, sondern aus bloßem Ver‐ gnügen, waren die alten Vorbilder aus der Heiligen Schrift und dem Mönchtum noch eine starke Stütze für diesen selbstlosen Dienst am Nächsten, diese Barmherzigkeit, die nichts in Rechnung stellt und keinen anderen Lohn verlangt als den, den allein der Himmel zu geben vermag. Quellen- und Literaturverzeichnis Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , Cofradías y hospitales de Astorga (siglos XI-XVI), Oviedo, 1978. Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , Fundaciones hospitalarias del clero regular en la diócesis de Astorga (siglos XII-XV), in: El Camino de Santiago. La hospitalidad monástica y las peregrinaciones, hg. von Horacio S A N T I A G O O T E R O , Salamanca 1992, S.-135-149. Gregoria C A V E R O D O M Í N G U E Z , De huéspedes y hospederías. Los modelos monásticos, in: El monacato en los reinos de León y Castilla (siglos VII-XIII), hg. von Juan Ignacio R U I Z D E L A P E ÑA S O L A R , León 2007, S.-213-236. Diccionario de la lengua española, hg. von der R E A L A C A D E M I A E S P AÑ O L A , https: / / dle.rae .es/ hospitalidad (20.3.2023). Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, hg. vom K A T H O L I S C H E N B I B E L ‐ W E R K , Stuttgart 3 2017. Miguel Ángel G O N ZÁL E Z G A R C Í A , Pequeña y variopinta historia de la peregrinación jacobea, in: Boletín del Seminario Fontán-Sarmiento 5 (1983), Sonderdruck. Miguel Ángel G O N ZÁL E Z G A R C Í A , Los otros hospedajes de peregrinos de Astorga, in: Astorga Jacobea, hg. vom Centro de Estudios Astorganos Marcelo Macías, Astorga 1996, S.-113-139. Zur Ikonographie der Gastfreundschaft 175 <?page no="176"?> Miguel Ángel G O N ZÁL E Z G A R C Í A , Las grandes peregrinaciones de la cristiandad. Jerusalén, Roma, Santiago y los Archivos de la Iglesia (sugerencias y reflexiones), in: Memoria ecclesiae 19 (2001), S.-85-107. Victor H. M A T T H E W S , Hospitality and Hostility in Judges 4, in: Biblical Theology Bulletin 21/ 1 (1991), S.-13-21. Robert P LÖT Z , San Domingo de la Calzada - der heilige Dominikus von der Straße und die Rioja. Ein Panorama, in: Pilgerheilige und ihre Memoria, hg. von Klaus H E R B E R S und Peter R Ü C K E R T , Tübingen 2012, S.-205-225. Augusto Q U I N T A N A P R I E T O , Acogida en Astorga a los peregrinos de Compostela, in: El Camino de Santiago. La hospitalidad monástica y las peregrinaciones, hg. von Horacio S A N T I A G O O T E R O , Salamanca 1992, S.-107-127. Augusto Q U I N T A N A P R I E T O , Hospitales astorganos. Beneficencia de la ciudad en la antigüedad, Astorga 1993. Die Regel des heiligen Benedikt. Normalausgabe, hg. von der S A L Z B U R G E R Ä B T E K O N F E ‐ R E N Z , http: / / benediktiner.benediktiner.de/ / index.php/ beziehungen-des-klosters-nach -aussen-2/ aufnahme-der-gaeste/ 345-regula-benedicti-kapitel-53.html (20.3.2023). 176 Miguel Ángel González García <?page no="177"?> Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte Javier Gómez-Montero Es steht wohl außer Frage, dass die Einbildungskraft mit ihren ikonographischen und fiktionalen Hervorbringungen erheblich dazu beigetragen hat, dass der Ja‐ kobsweg von seiner Entstehung bis heute zu einem in hohem Grade anthropolo‐ gischen und symbolischen Raum geworden ist, dessen zahlreiche wirkmächtige Bilder über die Jahrhunderte hinweg stetig neu transformiert worden sind. Sie stellten immer wieder eine Bestätigung, eine Korrektur oder sogar eine Subver‐ sion normativer Schriften dar, mit denen kirchliche und weltliche Institutionen der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela einen Rahmen gaben. Allerdings steht eine genaue kritische Würdigung der sukzessiven Herausbildung dieser jakobinischen Wahrnehmungsbilder, die uns in literarischen Texten wie auch in anderen künstlerischen Medien entgegentreten, in ihren konkreten historischen Figuren und Ausprägungen noch aus. Zweifellos war und ist der Jakobsweg ein Kulturweg, ein Raum der Erinnerung und der Identität, der Sprachen und der Imagination, wie nicht zuletzt die Gegenwartsliteratur zeigt. Zeitgenössische und historische Texte oder Bilder, die am Jakobsweg und in seinem Umfeld entstanden sind, auch und insbesondere im Zusammenhang mit Gastlichkeit und Gastfreundschaft, bilden ein umfassendes kulturelles Reservoir, dessen länder- und kulturübergreifende Verflechtungen uns daran erinnern, dass der Jakobsweg zu einem dichtem Wegenetz im Sinne einer via peregrinationis in ganz Europa und inzwischen sogar weltweit geworden ist. In diesem Beitrag werde ich zunächst den Bogen der normativen Schriften, die bereits im Aufsatz von Klaus Herbers erwähnt worden sind, etwas erweitern, indem ich juristische Texte und Auszüge aus Chroniken des spanischen Mittel‐ alters heranziehe, die die regulative Kraft der kirchlichen Texte (Predigten) und monastischen Regeln ergänzen. Anschließend werde ich kurz beleuchten, welchen Niederschlag moralische und juristische Vorgaben in der Literatur fanden. In einem dritten Schritt wird der Schwerpunkt schließlich auf der Fikti‐ onalisierung solcher Verhaltensweisen oder Praktiken im Rahmen einer Pilger‐ <?page no="178"?> fahrt nach Santiago (insbesondere in der unterhaltenden Gegenwartsliteratur) liegen. Zu guter Letzt werden Selbstfindung und das persönliche Verhältnis zur Gastfreundschaft am Beispiel eines Textes insbesondere thematisiert, nämlich des Pilgerberichts der Kanadierin Laurie Dennett, die den Jakobsweg 1987 absolvierte. I. Hospitalitas: Gastlichkeit und Beherbergung - einige mittelalterliche Regulierungsansätze Dass Gastfreundschaft als Maßstab zwischenmenschlichen Bezugs sowie Un‐ terkunfts- und Versorgungsfragen unterwegs die Praxis der Pilgerfahrt seit jeher maßgeblich bestimmen, bestätigt schon die Predigt Veneranda dies aus dem Codex Calixtinus, die diesen beiden Themen einen großen Raum einräumt. Der Text aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stellt die Notwendigkeit der Beherbergung in den Kontext moralischer Wertung menschlichen und zwischenmenschlichen Verhaltens. In diesem Sinne rückt die Figur des Wirtes bzw. die Rolle des Personals in den Vordergrund der Betrachtung und später entsprechend auch in den Mittelpunkt der literarischen Darstellung. Prinzipien, Umgangsformen, Frömmigkeit auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite vorwiegend Aspekte der Bewirtung (Essen, Trinken, Lagerqua‐ lität etc.) und bestimmte Auffälligkeiten wie Betrügereien, Gewalttätigkeit, lasterhaftes Spiel, Sex etc. werden von da an immer wieder thematisiert. Insofern seien noch einmal kurz die wesentlichen Punkte der Predigt Veneranda dies in Erinnerung gerufen, die im Codex Calixtinus als Predigt von Papst Calixt II. zum Fest der translatio des Apostels Jakobus, dem 30. Dezember, überliefert ist. Klaus Herbers geht in seinem Beitrag zu diesem Band ausführlich auf die entsprechenden Predigtstellen ein. Der Text stellt eine Art Matrix späterer Erzählungen dar, wobei hier zunächst religiös begründetes moralisches Verhalten im Spannungsverhältnis zur praktischen Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse der Pilger (auch Gesundheit, Sauberkeit etc.) steht. Klaus Herbers behandelt auch die Ausführungen der Veneranda dies über die (unredlichen) Wirte, die in den Kontext mittelalterlicher Satire einzuordnen sind; ich zitiere hier deshalb nur wenige Zeilen: Aber was soll ich über die bösen Wirte sagen, die mit zahllosen Betrügereien die Pilger täuschen? […] Einige nämlich kommen ihnen bis zum Ortseingang entgegen und küssen sie zur Begrüßung, als seien sie Verwandte, die von weither kommen. Was treiben sie noch? Sie führen sie in ihre Häuser, versprechen ihnen lauter gute Dinge und geben nur Schlechtes. […] Sie geben nämlich den Pilgern zunächst den besten Wein zu kosten und verkaufen ihnen einen möglichst schlechten. Die einen 178 Javier Gómez-Montero <?page no="179"?> 1 Klaus H E R B E R S , Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhun‐ derts, Tübingen 2 2018, S.-55 f. 2 Rodrigo J I M É N E Z D E R A D A , Historia de rebus Hispanie sive historia Gothica, Turnhout 1987, S.-256. Übersetzung: Florian Weber. verkaufen Apfelwein als Wein, andere verkaufen umgeschlagenen Wein als guten. Andere verkaufen Fische oder drei oder zwei Tage altes abgekochtes Fleisch, woran dann die Pilger erkranken. […] Ein anderer schüttet beim Abfüllen des Weines aus dem Faß in betrügerischer Absicht Wasser in das Trinkgefäß. Andere versprechen dem Pilger beste Betten und bieten dann nur schlechte. Kommen neue Pilger an, so setzen einige die zuerst gekommenen vor die Tür, nachdem sie von ihnen schon den verabredeten Lohn bekommen haben. […] Der böse Gastwirt bietet seinen Gästen den besten Wein an, um sie damit betrunken zu machen. Wenn sie dann eingeschlafen sind, stiehlt er ihnen die Börse oder den Beutel. Der böse Wirt tötet sie gar mit giftigen Getränken, um sie auszurauben 1 . Explizite Vorgaben hinsichtlich der Herbergsstätten gelten sowohl dem Wunschzustand als auch den realen Aufenthaltsbedingungen. Daher verwun‐ dert es einerseits nicht, dass die Warnung und Schelte der Wirte im Codex Calixtinus mit der Handlung zweier Strafwunder des zweiten Buches, deren Opfer Wirte sind, korreliert, worauf Florian Weber in seinem Beitrag zu diesem Band näher eingegangen ist. Aber andererseits verwundert es ebenso wenig, dass in der Historiografie die Gründung von Spitälern gefeiert wird und manche Chroniken ihnen einen geradezu paradiesischen Status zubilligen, so etwa die Historia Gothica o de los Hechos de España von Rodrigo Jiménez de Rada. Die Stiftung des Hospital del Rey in Burgos durch König Alfons VIII. gegen Ende des 12.-Jahrhunderts lobt der einstige Bischof von Toledo folgendermaßen: Kap. XXXIIII: Über den Bau des Hospital del Rey [in Burgos] Auch baute er [König Alfons VIII.] nahe dem Kloster ein Pilgerspital - das in Bauweise und Räumlichkeiten vortrefflich gestaltete Hospital del Rey - und stattete es so gut aus, dass alle Pilger zu jeder Tageszeit mit dem Nötigsten versorgt werden [können] und keiner zurückgewiesen werden muss. Darüber hinaus werden für alle, die dort die Nacht verbringen wollen, unverzüglich überraschend gute Betten hergerichtet. Die Kranken ihrerseits werden von mildtätigen Frauen und Männern gepflegt, bis sie sterben oder gänzlich genesen; so kann jeder die Werke der Barmherzigkeit in diesem Kloster wie in einem Spiegel betrachten […] 2 . Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 179 <?page no="180"?> 3 Vgl. José María L A C A R R A , Kapitel 8: De Nájera a Burgos, in: D E R S ./ Luis V Á Z Q U E Z D E P A R G A / Juan U R Í A R Í U , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, Bd. 2, Madrid 1949, S.-188-190. 4 H E R B E R S , Libellus (wie Anm. 1), S.-52. Übrigens geht José María Lacarra auf den Bau des Gebäudes ausführlich ein 3 . Bemerkenswert sind auch die Passagen aus der Predigt Veneranda dies, in denen Höhepunkte des Sündenkatalogs der Wirte und von deren Personal sowie weiterer Personen, denen Pilger auf der Reise begegneten, aufgezählt sind, ohne die üblichen Missstände in Spitälern und Wirtshäusern und die häufigen Praktiken des Ausnutzens und Betrügens zu vergessen. Darauf ist Klaus Herbers in seinem Beitrag bereits eingegangen. Hier sei lediglich auf die moralische und christologische Begründung der Gastlichkeit und der besonderen Achtung hingewiesen, die es dem Pilger entgegenzubringen gilt: Auch die Apostel, die der Herr ohne Geld und ohne Schuhwerk aussandte, waren demnach Pilger. Es darf daher den Pilgern keinesfalls die Mitnahme von Geld gestattet werden, es sei denn, sie teilen dieses Geld mit den Armen. Wenn Christus jene ohne Geld aussandte, was soll dann aus denen werden, die heute mit Gold und Silber reisen, sich satt essen und trinken und nichts den Armen zukommen lassen? Wahrlich, sie sind keine wahren Pilger, sondern Diebe und Räuber an Gott. Ja, aus der Gemeinschaft der Apostel sind diejenigen ausgeschieden und ziehen eine andere Straße, die Geld mitnehmen, aber Pilger und Bedürftige nicht daran teilhaben lassen. Sie sollten daran denken, was der Herr seinen ausziehenden Pilgern sagte: „Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Geld in euren Gürteln haben, auch keine Tasche zu eurer Reise, auch nicht zwei Röcke, noch Schuhe, auch keinen Stab“ (Mt 10,9-10). Bei solcher Aussendung der Apostel wird zu verstehen gegeben, daß der Pilger keinen Besitz mitnehmen darf, es sei denn, er wolle ihn den Armen geben. Er soll also entweder kein Geld mitnehmen oder in der Absicht, es mit den Armen zu teilen. (…) So soll allen Pilgern alles gemeinsam sein; sie seien ein Herz und eine Seele 4 . Auch Rechtsbücher der Landesherren kodifizieren das zu erwartende oder zu bestrafende Verhalten der Beteiligten. Auf den Punkt bringen dies die Siete Partidas, die sieben Rechtsbücher König Alfons’ X. aus dem zweiten Drittel des 13.-Jahrhunderts: Zweites Gesetz: Wie eine Pilgerfahrt ablaufen soll und wie Pilger und die Güter, die sie bei sich führen, sein sollen Sie sollen darauf achten, früh zu den Herbergen zu kommen und in Gesellschaft zu reisen, so dass ihnen kein Leid widerfahren kann. Sie sollen von den Orten, die auf ihrer Route liegen, geehrt werden und Schutz erhalten; und wir befehlen, dass sie 180 Javier Gómez-Montero <?page no="181"?> 5 A L F O N S O X el Sabio, Las Siete Partidas del Sabio Rey D. Alonso estractadas por el licenciado D. Ignacio Velasco Pérez y una sociedad de abogados del ilustre colegio de esta corte, Valladolid 2011 (1843), S.-121 f. Übersetzung: Florian Weber. 6 Klaus H E R B E R S / Robert P L Ö T Z , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“, München 1996. und ihr Besitz sicher sein sollen und dass keiner Gewichte und Maße an den Gütern verändern soll, die sie auf ihrer Pilgerschaft erwarben; Verstöße gegen diesen Befehl werden mit der Strafe geahndet, die der Richter für angemessen erachtet. Drittes Gesetz: Welche Vorrechte Pilger und ihre Güter während der Pilger‐ fahrt genießen Die Güter, die sie in ihrer Heimat zurücklassen, sollen geschützt werden, sodass niemand ihnen den Besitz dessen nehmen kann, was sie zurücklassen, und auch keine andere Sache, und wenn ihnen mit Gewalt einige Güter genommen werden, so können ihre Verwandten, Freunde, Diener, Nachbarn und andere sie einfordern und wiedererlangen, ohne dass jene sie dazu bevollmächtigt haben müssen. Dazu bedarf es nicht der Erlaubnis des Königs oder des Bürgermeisters; und für die Tiere und Güter, die sie bei sich führen, zahlen sie weder Wegezoll noch andere Abgaben, um sie aus dem Königreich zu bringen 5 . Die Gesetze formulieren jeweils konkrete Hinweise im Spannungsfeld von Norm und Praxis der Pilgerfahrt. Sowohl juristische Satzung als auch All‐ tagsbewältigung werden berücksichtigt, einschließlich möglicher Strafen bei Nichtbeachtung sowie sonstiger Empfehlungen und Vorgehensweisen. Insofern illustrieren diese Texte aus einer anderen Perspektive dieselben Phänomene, die in die Itinerare und Predigten, aber auch in die fiktionale Literatur Eingang gefunden haben. II. Mittelalterliche Unterkünfte und Herbergen im Spiegel der unterhaltenden Erzählliteratur der Gegenwart Zweifellos könnte man nun die nach wie vor grundlegende Textsammlung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Pilgerberichte Nach Santiago zogen sie, die Robert Plötz und Klaus Herbers zusammengestellt haben, durchgehen, um Einzelfälle von Raub und Gewalt, Missstände und kuriose Anekdoten zu beleuchten und zu systematisieren 6 . Vielfach sind diese Berichte bereits untersucht worden; gleichwohl habe ich in verschiedenen Publikationen ein Korpus literarisch wertvoller Texte der letzten etwa sechzig Jahre erschlossen, die inzwischen eine Art moderne Tradition solcher Erzählungen bilden, so wie sie der gelehrte Geistliche und Journalist aus Astorga Esteban Carro Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 181 <?page no="182"?> 7 Esteban C A R R O C E L A D A , Picaresca, milagrería y milandanzas en la Vía Láctea, León 2004. 8 C A R R O C E L A D A , Vía Láctea (wie Anm. 7), S.-25. Übersetzung: Florian Weber. Celada im Heiligen Compostelanischen Jahr 1971 (kurz vor seinem Tod 1974) zusammengestellt hat 7 . Zwei solcher Kurzberichte greifen Themen und Motive auf, die im voraus‐ gehenden Abschnitt bereits erwähnt worden sind. Die Fiktion steigert die Dramatik der beschriebenen Zustände und Einzelfälle, die Alfons den Weisen festzulegen veranlassten, wie mit den Hinterlassenschaften des Pilgers im Falle seines Todes in einer Herberge umzugehen sei: Den besten Anzug für den Herbergsvater Die Könige Spaniens haben seit jeher versucht, gegen die Betrügereien vorzugehen, die an Pilgern verübt wurden. Es geschah immer wieder, dass ein Wirt oder Herbergs‐ vater, wenn er bemerkte, dass ein Pilger schlechter Gesundheit war, ihm keinen Schreiber herbeirief, mit dessen Hilfe er seinen letzten Willen in einem Testament hätte festlegen können. [Wenn der Pilger schließlich verstorben war,] behielt der Herbergsvater die Dinge, die jener bei sich trug. Dies ging so weit, dass häufig Zweifel darüber angebracht wurden, ob der Tod auf eine natürliche Ursache zurückgehe oder vom Herbergsvater [mutwillig] herbeigeführt worden sei, um sich des Besitzes seines Gastes zu bemächtigen. Einst musste, wer einen Pilger davon abhielt, ein Testament aufzusetzen, fünfzig maravedíes Strafe zahlen. Alfons IX. [von León] schaffte um das Jahr 1226 Klarheit. Er erlaubte Herbergsvätern - in deren Haus ein Pilger verstirbt -, den besten Anzug des Mannes zu behalten, aber nicht mehr, es sei denn, es taucht eine vom Sterbenden un‐ terzeichnete Vermächtnisurkunde auf. Für das Testament von Ausländern, ebenso wie für das von Kriegern in der Heeresausbildung, war lediglich das Beisein zweier Zeugen notwendig. Wenn ein Pilger in Kastilien verstarb, ohne ein Testament aufgesetzt zu haben, und er in einer Gruppe von Landsleuten reiste, so übernahmen diese sowohl die Beerdigung als auch die anfallenden Kosten und brachten die Hinterlassenschaften des Pilgers in seine Heimat zurück. Im libro de los fueros von Kastilien steht, dass der Herbergsvater den Besitz eines [verstorbenen] Wallfahrers nur dann behalten durfte, wenn dieser ohne Begleitung reiste oder wenn sich in einer angemessenen Frist keine Verwandten meldeten, um dessen Hinterlassenschaften einzufordern. Wie viele wanderten doch auf dem Jakobsweg und werden nie zurückkehren, und keiner wird je die Nachricht ihres Todes in ihre Heimat tragen! 8 Der Text zielt auf eine historische Konstruktion der Verhältnisse mit den Mitteln des Erzählens; einerseits werden dadurch das Geschehen und die möglichen 182 Javier Gómez-Montero <?page no="183"?> 9 C A R R O C E L A D A , Vía Láctea (wie Anm. 7), S.-26. Übersetzung: Florian Weber. Konflikte für den heutigen Leser nachvollziehbar, andererseits - wie am zweiten Beispiel deutlich wird - auch spannend und anschaulich vermittelt: Der doppelte Wert ist im Falle von Unterschlagung zu erstatten Als der gute König Alfons IX. [von León], ein höchst umstrittener und nahezu legendärer Herrscher, befahl, dem Herbergsvater den besten Anzug zu überlassen, wusste er wohl, wie sie waren; wenn es keine Reisegefährten gab, war die Beerdigung Aufgabe des Herbergsvaters und des Kaplans. Beide verdienten daran je ein Drittel dessen, was der Pilger bei sich trug, und das letzte Drittel gaben sie an den König ab. Der Bischof von Sabina, Kardinal Legado Juan, hatte wohl großen Einfluss auf Alfons IX., denn bald schon wurde dieses Gesetz geändert, und statt sich selbst ein Drittel der Güter vorzubehalten, die ein Pilger bei sich trug, spendete er sie der Kirche. Nun gut! Nicht ganz. Statt an den Herbergsvater ging das Geld nun an den Bischof. Nachdem ein Jahr seit dem Tod des Testamentlosen vergangen war, erhielten die Kleriker ein Drittel, und die anderen zwei Drittel wurden für den Krieg gegen die Mauren an der Reichsgrenze ausgegeben. Da er Gaunereien und böse Absichten voraussah, geht Alfons X. [von Kastilien], genannt der Weise, in seiner Gesetzgebung mit harter Hand gegen jene vor, die sich am Tod des Wallfahrers bereichern wollen: „Und wenn irgendein Herbergsvater dem zuwiderhandelt, indem er irgendetwas für sich behält oder unterschlägt, so befehlen wir, dass er alles, was er für sich behalten oder unterschlagen hat, [zur Strafe] den gesamten Wert verdoppelt zahlen muss und dass der Bischof oder sein Vikar mit dem Geld so umgehen soll, wie es oben ausgeführt wird 9 . Indes sind Missstände und aufgedecktes schelmenhaftes Verhalten ein gefun‐ denes Fressen für den packenden Stil des unterhaltsamen Journalisten Carro Celada, der bekannte Geschichten neu erzählt. So etwa die Geschichte des Spitalmeisters von Burgos, die genau in jenem von Alfons VIII. gegründeten Hospital del Rey spielt. In dem Band Im Jakobsland. Eine literarische Kartographie des Jakobsweges im Nordwesten Spaniens habe ich die Erzählung vor einigen Jahren auf Deutsch herausgebracht: In Burgos wurde der Spitalmeister mitten auf dem Marktplatz von einem Pfeil getötet. Was für eine Schande! Er schlug deutsche Pilger. Einige starben an den Misshand‐ lungen. Vierzig Morde, häufig durch Vergiften, konnten ihm nachgewiesen werden. Der Fürst von Sachsen hatte es mit eigenen Augen gesehen. Er schickte einen Brief an den „König von Spanien“. Ein Pilger kehrte in die Herberge ein, nach seiner Tracht zu urteilen, ein Deutscher. Er kam zusammen mit anderen. Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 183 <?page no="184"?> 10 Carro C E L A D A , Vía Láctea (wie Anm. 7), S. 83 f. Übersetzung: Johanna Vocht in: Javier G Ó M E Z -M O N T E R O (Hg.), Im Jakobsland. Eine literarische Kartographie des Jakobsweges im Nordwesten Spaniens, Kiel 2012, S.-102 f. „Wirt, in meiner Suppe schwimmen Fliegen, das Wasser schmeckt schlecht, und das Brot wurde von Mäusen angenagt.“ Was willst du, du deutsches Schwein? Du bekommst doch alles kostenlos. Du Teufelssohn, du Hund, ich lasse die Hunde raus, damit sie dein Aas fressen. Der deutsche Pilger, der übrigens ziemlich perfekt Spanisch sprach, zog sich kurze Zeit später zurück, um ins Bett zu gehen. Er schlug es auf. Dann ging er zum Wirt: „Du hast die Laken nicht gewechselt. Und in dem Bett, das du mir zugewiesen hast, liegt schon ein anderer Mann. Ich habe ein Bett für mich allein bezahlt. Ich bin ein Jakobspilger und habe Rechte.“ „Du bist ein Schwachkopf und ein deutscher Hund.“ Der Wirt versetzt ihm einen Stoß und verletzte ihn dabei. Der Pilger rannte schreiend aus der Herberge, während der Wirt vom Flur aus seine Hunde, die riesige alte Stachelhalsbänder trugen, auf ihn hetzte. Am nächsten Tag erschienen gleich am frühen Morgen mehrere bewaffnete Männer in der Herberge. „Wir kommen mit der Erlaubnis und dem Befehl des Königs, dich festzunehmen.“ „Warum? Ich bin doch unschuldig.“ „Unschuldig, du? Der Pilger, den du gestern verletzt hast und den du für einen Deutschen gehalten hast, war der König von Spanien höchst persönlich 10 . Wie man sieht, kommt es Carro Celada auf eine lustige, unterhaltsame Erzäh‐ lung an, die uns das mittelalterliche Szenario sehr anschaulich vor Augen führt. Pilger, Wirt und König sind hier Protagonisten eines spannenden Ge‐ schehens, das mit Witz und Humor und unter Einbindung aller Mittel der Spannungserzeugung und der emotionalen Zuspitzung als lebendige Narration für Jedermann taugt. Wir finden in den Geschichten Carro Celadas, seien es Wundererzählungen oder Abenteuer des Pilgeralltags, einschließlich solcher Episoden in Herbergen oder Spitälern (Nahrungsaufnahme, Schlaf, Betrüge‐ reien etc.), genau die Motive wieder, die bereits in der Predigt Veneranda dies angesprochen werden. All dies bildet das Gerüst der für den heutigen Leser aufbereiteten mittelalterlichen Pilgerberichte, Chroniken und Predigten, die wir anfangs vorgestellt haben. Anzumerken ist auch, dass Carro Celada interessanterweise nicht nur den Camino Francés in den Blick nimmt, sondern viele Erzählungen auch in andere Länder Europas verlegt bzw. auf Wunderberichte, etwa auf diejenigen des Caesarius von Heisterbach, zurückgreift; und es wäre auch ein Leichtes, Erzäh‐ 184 Javier Gómez-Montero <?page no="185"?> 11 Vgl. Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , Literature and linguistic diversity on the Way of St. James - A contribution to categorising the Camino de Santiago as an anthropological region (particulary considering the North Sea and Baltic Sea area), in: Wilhelm S T E I N G R U B E / Gabriel G A C H (Hg.), The Pomeranian Way of St. James - Culture, Religion and Tourism, Greifswald 2013, S.-40-62. 12 Vgl. Gonzalo T O R R E N T E B A L L E S T E R , Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch, hg. von Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , Kiel 2007. 13 Laurie D E N N E T T , A Hug for the Apostle, Toronto 1987. lungen zusammenzustellen, die in Deutschland, im heutigen Baltikum etwa oder an der Nordsee verortet sind und in denen z.-B. Händler aus Lübeck, Ritter aus Vorpommern oder gefräßige Domherren aus Bremen zu Protagonisten werden können 11 . Diese kurzen Erzählungen kommen oftmals als naive Märchen daher, doch fällt die Genauigkeit auf, mit der Namen und Beruf der Protagonisten sowie ihre Herkunftsorte genannt werden; die Toponyme verweisen auf real existierende Orte, und auch die Atmosphäre der maritimen Pilgerfahrt wird anschaulich geschildert, ebenso wie die Gefahren und Beschwerlichkeiten des Weges oder das ausschweifende Leben mancher Pilger. Man kann also sagen, dass die Fiktion heute den Jakobsweg - den Camino Francés ebenso wie etwa die maritime Pilgerfahrt des hohen und späten Mit‐ telalters - überhöht und ihn zugleich (so z. B. auch in Gonzalo Torrente Ballesters Compostela y su ángel 12 ) auf heitere Weise schildert, sei es mit Rücksicht auf den volkstümlichen Geschmack oder mit erbaulicher Absicht. Diese fiktionalen, immer unterhaltsamen Erzählungen bilden ein bisher wenig erforschtes Textkorpus, das eine äußerst vielfältige literarische Landkarte des Jakobsweges entstehen lässt. III. Gastfreundschaft und Unterkünfte im Spiegel heutiger Pilgerberichte: Laurie Dennetts Unha aperta ó Apóstolo (1987/ 1995) Laurie Dennett hält in ihrem Reisejournal Einträge zwischen dem 29. März und dem 12. Juni 1986 fest 13 . Dabei erstreckt sich ihr parcours von Chartres bis Santiago de Compostela. Sie erfasst somit einen europäischen Zusammenhang, der auch in ihren abschließenden Betrachtungen zur Ausrichtung und zum sinnstiftenden Charakter oder Format des Textes präsent ist. Dieses Reisejournal wurde für die Veröffentlichung entsprechend überarbeitet, die im Jahr 1987 auf Englisch erfolgte. Das Buch beinhaltet auch einige Zeichnungen und kurze narrative, kom‐ mentierende und essayistische Texte wie z. B. eine kulturgeschichtliche Skizze zum Jakobsweg, die die Tageseinträge ergänzen; die entscheidende Komponente Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 185 <?page no="186"?> 14 Laurie D E N N E T T , Unha aperta ó Apóstolo, Santiago de Compostela 1995. 15 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-82. stellt jedoch der Bericht der eigenen Erlebnisse auf der Pilgerfahrt dar. Eine galicische Übersetzung des englischen Textes, erstellt von Rosa Rutherford, wurde im Jahr 1995 publiziert; die kurze Skizze zur Kulturgeschichte des Jakobsweges ist dort auf den Seiten 9-14 zu lesen, anschließend folgen auf den Seiten 15-21 (sowie zum Schluss auf den Seiten 221-223) Erklärungen zum Projekt und zur Entstehung des Buches 14 . Im Folgenden werde ich eine kursorische Lektüre vornehmen und dabei insbesondere auf Episoden eingehen, die Momente der Gastlichkeit bzw. erlebte Gastfreundschaft in den verschiedenen Unterkünften bzw. bei der Suche danach in den Mittelpunkt stellen. Die Pilgerfahrt wurde 1986 in Absprache mit der kanadischen Multiple-Skle‐ rose-Gesellschaft und in Verbindung mit den Partnergesellschaften in Spanien, London und Frankreich durchgeführt. Ziel war es, ca. 25.000 US-Dollar zu sammeln und die Gründung einer Multiple-Sklerose-Gesellschaft in Galicien anzustoßen. Durch ihre Pilgerfahrt gelang es Laurie Dennett, Spenden in Höhe von insgesamt 60.000 US-Dollar aus England und 30.000 US-Dollar aus Kanada zu sammeln. Die erste bemerkenswerte Begegnung auf der Pilgerfahrt erfolgte in Gra‐ dignan, wo Laurie Dennett der Familie Lutard kennenlernte, die, wie sie betont, nach dem Jakobsweg ganz verrückt sei 15 . Damit meint sie ausdrücklich den Ehemann von Odile, der am Anfang eines ganzen Reigens unvergesslicher Begegnungen mit Menschen steht: Madame Debrille in Saint-Jean-Pied-de-Port oder Teo Jaurietta in Puente la Reina, ein Junge in Nájera, eine junge Oberin in Sahagún, Pater José María, ein junger Hirte und viele, viele freundliche Her‐ bergsväter. Dennoch sind nicht alle Erfahrungen in den Herbergen erfreulich verlaufen. Ausführlich geht Laurie auf ein besonders markantes Erlebnis in Pissos ein, wo sie aus dem Hôtel L’Oasis geworfen wurde, anschließend aber freundliche Aufnahme im Hôtel du Commerce fand; die entsprechenden Zeilen seien hier wiedergegeben: Zu meiner Schande brach ich in Tränen aus. Der Depp brüllte mich an, ich solle gehen und woanders weinen und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich zog das Bündel aus dem schlammigen Schlagloch, in das es gefallen war, und überquerte die Straße zum Hôtel du Commerce. Ich würde die Besitzer dieser Einrichtung bis an mein Lebensende segnen. Obwohl sie noch nicht geöffnet hatten für die Saison, schauten sie mich an und schwangen die Tür weit auf. Es gebe keine Heizung im ersten Stock, sagten sie, aber wenn ich mich umzuziehen wünschte und ihnen meine nasse Kleidung gäbe, könnte diese an der offenen Feuerstelle bei der 186 Javier Gómez-Montero <?page no="187"?> 16 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-88. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. 17 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-106. 18 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-106. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. 19 Vgl. Klaus H E R B E R S (Hg.), Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008, S.-69-73. Bar getrocknet werden, wo ich mich auch aufwärmen könnte. Die Geschichte meines Empfangs auf der anderen Straßenseite ließ und Mutter und Sohn Blicke austauschen. Sie bekamen einen guten Teil der Gepflogenheit ihres mürrischen Nachbarn mit, aber so viel Unhöflichkeit hatten sie noch nicht erlebt. Vielleicht hatte er schließlich ganz den Verstand verloren, so wie sie es schon vor Jahren vorhergesagt hatten? 16 Dem entgegen stellt Laurie die glücklichen Erlebnisse am Fuße der Pyrenäen, wo sie auf Madame Debrille traf, die, wie so manche Herbergsväter und -mütter bzw. Pilgerbetreuer am Jakobsweg, im Laufe der Jahre zum Mythos avanciert ist 17 . Dabei ist auch auffällig, wie Laurie immer wieder einen Zusammenhang zwischen der eigenen Pilgerfahrt und vorangehenden Beschreibungen des Jakobsweges in historischen Schriften herstellt; im folgenden Zitat etwa findet sich eine klare Bezugnahme auf Aimery Picaud, den mutmaßlichen Autor des als Pilgerführer bekannten fünften Teiles des Codex Calixtinus: „Weißt du eigentlich, dass du Teil der Legende des Jakobsweges bist? “, wagte ich zu fragen. „Alle Pilger hören von dir, bevor sie St. Jean erreichen. Hättest du in Aimery Picauds Zeit gelebt, hätte er dich in seinen Pilgerführer aufgenommen! “ 18 Aber der Bezug zur Tradition früherer Berichte erfolgt auch, um Stereotypen gelegentlich zu korrigieren. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich Laurie die Begeg‐ nung mit Teo in Erinnerung ruft und dabei auf Aimery Picauds Schelte des navarresischen Volkes Bezug nimmt 19 : Doch auch das war nicht das Ende der Gastfreundschaft der Navarresen. Puente la Reina markiert eine bedeutende Station der Pilgerroute. An einem Punkt kurz vor der Stadt treffen sich die beiden Wege, der über Roncesvalles und der über den Somportpass und Jaca, um in einen einzigen Weg überzugehen, der nach Compostela führt. Vielleicht sind sich die Bewohner wegen dieser Straßenkreuzung der alten Traditionen doppelt so bewusst; vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück. Von einem Rotarier aus Pamplona war ich eingeladen worden, die Nacht in Señora Teo Jauriettas Haus zu verbringen. Es stellte sich heraus, dass Teo die netteste Frau diesseits von Santiago war. Ich hatte das Gefühl, sie muss einzigartig sein; der besagte Rotarier hatte in der Bank angerufen, in der Teo arbeitete, um einem Hinweis nachzugehen, und fragte nebenbei, ob es einen Ort in Puente la Reina gebe, an dem ein Pilger unterkommen Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 187 <?page no="188"?> 20 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-110. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. 21 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-131. 22 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-138. 23 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-152. 24 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-166. 25 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-152. 26 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-154 f. 27 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-154 f. 28 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-156. könne. Teo bot sich sofort an, mich aufzunehmen, ohne mich vorher gesehen zu haben und ohne vorher etwas über mich zu wissen. Eine halbe Stunde nachdem ich an der Tür ihres Appartements geklingelt hatte, saß ich auf dem Balkon, ein Getränk in der Hand, geduscht und mit gewaschenem Haar. Meine Kleidung, die in der Waschmaschine geschleudert worden war, flatterte nun an der Leine, und meine neue Bekanntschaft nickte mir lächelnd von dem Stuhl gegenüber zu. Sie hatte angefangen zu verstehen, dass mein Spanisch durch lautes Auffordern nicht plötzlich zum Leben erweckt wurde 20 . Wir sehen also, dass die Auswahl der Unterkunft meistens nicht systematisch erfolgte, vielmehr handelt es sich manchmal um spontane Entscheidungen, nur selten sind diese im Voraus geplant. Auch die Art der Unterkunft variiert: Manchmal sind es private Unterkünfte, häufiger aber kirchliche oder auch weltliche, also zivile Institutionen, wie z. B. Dorfschulen, die Pilgern immerhin ein Dach für die Nacht bieten. In jedem Falle werden Erlebnisse der Gastfreund‐ schaft festgehalten, gelegentlich auch erschwerte Rahmenbedingungen und andere Einzelheiten herausgestrichen, wie z. B. eine kostenlose Aufnahme oder die Möglichkeit, eine Spende zu hinterlassen. Im Allgemeinen achtet Dennett, wenn sie auf Hotels oder Schenken zurückgreifen muss, auf möglichst geringe Geldausgaben - Bescheidenheit ist an der Tagesordnung. Hier ließen sich unterschiedliche Stationen erwähnen, z. B. La Casa Santa in Santo Domingo de la Calzada 21 oder eine Hospedería in San Juan de Ortega 22 . Pittoreske Erlebnisse bleiben ihr nicht vorenthalten: In der Bar Antonio z. B. wurde sie freundlich behandelt und kam auch günstig weg 23 ; sie verbrachte wunderbare Nächte mit Musik von Bach, Beethoven, Verdi und Mozart, die sie auf einem Walkman hörte 24 , oder mit der Lektüre von Romanen Joseph Conrads 25 ; in Frómista, in der Fonda Marisa, war sie umgeben von Hühnern und einem besonders lauten Hahn 26 . Und wenige Meilen weiter, in Villalcázar de Sirga, bot der Gastwirt Payo ein Beispiel für Gastfreundschaft 27 . Ferner greift Laurie gerne auf kirchliche Unterkünfte zurück, die weitgehend kostenlos sind, z. B. in Carrión de los Condes bei Pater Mariscal 28 , bei den 188 Javier Gómez-Montero <?page no="189"?> 29 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-172. 30 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-196. 31 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-199. 32 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-166. 33 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-147 f. 34 Ebenso in Villafranca del Bierzo und O Cebreiro. Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-181 und 189. Dominikanern in Virgen del Camino 29 , bei den Mercedariern in Sarria 30 oder in der Pfarrkirche Portomaríns, wo sie auch verköstigt wurde 31 . Ein gutes Beispiel für den Versuch, in einer Dorfschule untergebracht zu werden, liefert die Episode in Mansilla de las Mulas: Sie hätte dort gern in der Dorfschule geschlafen; da es aber viel zu unbequem war, entschied sie sich am Ende doch für ein Hostal 32 . Die vorausgehende Aufstellung verdeutlicht, dass das Netz der Herbergen, seien sie von der jeweiligen Landesregierung bzw. Gemeinde oder privat-kom‐ merziell betrieben, im Jahr 1986 noch gar nicht aufgebaut war. Insofern hat Lauries Bericht den Charme einer Erzählung aus den Pionierzeiten der beginnenden Jakobsweg-Renaissance. Ferner ist anzumerken, dass Laurie auch gerne Bezug nimmt auf historische Spitäler wie z. B. das Hospital del Rey in Burgos, wo sie den Ausdruck einer lebendigen Erinnerung der Pilgerfahrt (memoria viva) angesichts der Pilgerdarstellung an der Hospitalpforte und auch in der Behandlungsweise erlebt 33 . Insofern kommt darin eine communio viatorum zum Ausdruck, die vor allem im Zusammenhang mit ihrer Darstellung der Übernachtungen in den bereits von Aimery Picaud erwähnten Ortschaften zwischen Astorga und Rabanal del Camino stetig wiederkehrt, in Santa Catalina, El Ganso und Rabanal, wo kaum angemessene Unterbringungsmöglichkeiten zu finden sind und nur der Glanz der Namen erhalten geblieben ist. In Rabanal etwa verbrachte sie eine kalte Nacht in der erbärmlichen Dorfschule, erlebte allerding in der Bar Chonina auch eine erinnerungswürdige Gastfreundschaftserfahrung 34 . Indes können wir als Höhepunkt der Reflexionsarbeit und Selbstfindungsdy‐ namik in diesem Pilgerbericht ein Erlebnis bei Tagesanbruch in Portomarín wenige Tage vor Santiago bewerten. Ihren Eintrag zum Freitag, den 6. Juli, beginnt Laurie mit einer Naturbetrachtung, die ihr zur Beschreibung des Weges im Sinne einer Veränderung des eigenen Leben Anlass gibt. Die Ankunft in Santiago feiert sie demnach nicht (nur) als Erreichen eines besonderen Lebensbzw. Wegziels, sondern als Neubeginn der eigenen Lebensreise: Als ich an diesem Morgen auf den See schaute, hatte ich zwei Gedanken. Der erste war ein Rückfall in die Angewohnheit, Geschehnissen vorauszueilen, die Neigung, von der ich mich in den letzten Wochen so frei gefühlt hatte: Der Gedanke, dass diese Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 189 <?page no="190"?> 35 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-202 f. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. schönen Morgen mit Vogelgezwitscher gezählt waren. Es waren noch fünf Tage bis Santiago. Zehn Wochen lang, und schon die sechs Monate davor, hatte ich sehnlich auf den Moment gewartet, mein Ziel zu erreichen. Jetzt, da es fast zum Greifen nah war, bemerkte ich, dass ich, während mich meine Erfolge glücklich machten, doch viel mehr Glück durch den Weg zum Erfolg empfand. Dann der zweite Gedanke: dass diese glücklichen Tage, die so reich an Zufriedenheit waren, der Ausdruck eines Gleichgewichts waren, das nicht an den Tag meiner Ankunft am Schrein gebunden war - und gewiss auch nicht sein würde, da die Reise eine persönliche Bedeutung hatte. Die Anzahl der Tage würde nur durch eine Sache festgelegt sein, solange ich gesund und entschlossen war: inwieweit ich in der Lage war, mein Leben zu verändern, um mein Gleichgewicht zu kräftigen. Und das hatte nichts damit zu tun, wo ich aufwachte oder wo ich meine Tage verbrachte, aber sehr viel mit der Art, wie ich sie verbrachte - mit welchem Maß an Empathie und Offenheit, an Aufmerksamkeit und Mitgefühl, mit wie viel Energie und Selbstsicherheit. Die tiefe Zufriedenheit, die ich durch meine eigene Belastbarkeit empfand, die Freude über meine Lebenskraft, die Faszination, die ich in dem Beobachten der Natur sah - all dies konnte nicht von dem Verweilen an einer Stelle oder dem Weg in mein persönliches Leben abhängen. Wenn die Reise etwas bedeutete, so, dass die letzten Schritte nach Santiago die ersten einer neuen Reise sein würden. Es ist wichtig, jeden Schritt so anzunehmen, wie er ist, genauso wie ich jeden Schritt auf der Straße tat. Odile und all die anderen hatten Recht. Was hatte sie gesagt? „Und wenn du es einmal getan hast, verändert es dein Leben … Wenn du dort ankommst, dann denkst du: ‚Was soll ich tun, jetzt, da es vorbei ist? ‘ Und dann realisierst du, dass der Weg nach Compostela ein Anfang ist und nicht das Ende.“ 35 Offensichtlich empfand Laurie Glück im Moment der Ankunft, sie erreichte ein Gleichgewicht, ein Leben in Empathie, in der Offenheit des Selbst zur Natur hin und zu Anderen. Der Jakobsweg steht somit als Symbol für einen Lebensweg voller Begegnungen, sozusagen für einen Chronotopos im Einklang nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit der Umwelt und mit Anderen. Zugleich wird das Erlebnispotenzial des Jakobweges im Zeichen seiner Fähigkeit, das Leben zu verändern, d. h. das Bewusstsein für einen Neubeginn zu schärfen, deutlich. Dieser Absatz ist umso bemerkenswerter, als darin eine Totalität zwischen Bewusstsein und Körper erreicht und eine Synthese von innerer Zeit und objektiver linearer Chronologie zum Ausdruck gebracht wird. Dabei spielt die erlebte Gastfreundschaft auch eine zentrale Rolle, wie Laurie wenig später ausführt, wenn sie Nordspanien angesichts der insbesondere in Navarra und Galicien gemachten positiven Erfahrungen als Paradies der Gastfreundschaft preist. Hierbei schwingt natürlich eine bewusste Korrektur 190 Javier Gómez-Montero <?page no="191"?> 36 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S. 208 f. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. 37 Vgl. D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-149. 38 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-82 f. der warnenden, negativen Ausführungen des Liber Sancti Jacobi mit, wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht: Antonio freute sich wie ein Schneekönig, dass die Besucher die spanische Gastfreund‐ lichkeit aus erster Hand erlebten. So ging es auch mir. Als ich das letzte Mal mit der Multiple-Sklerose-Gesellschaft in Toronto sprach, sagte mir dort jemand, dass meine Übertragungen den Norden Spaniens wie ein Paradies klingen ließen. Ich antwortete, dass ich keineswegs übertriebe, dass der Zuhörer allerdings selbst entscheiden müsse, ob das, was ich beschrieben habe, ein Paradies ausmache. Indes könnten wir sehr wohl genügend Gründe dafür anführen! 36 Dies sind keine großen Worte der Gefühlsäußerung, doch umso kraftvoller scheint hier der Bewusstseinsakt durch. Denn, so könnte man anfügen, das Ge‐ heimnis des Weges liegt in den vielen schlichten Momenten, die eine elementare Erfahrung des Selbst, der Welt und der Anderen in sich bergen. Vor diesem Hintergrund entfaltet auch der Titel des Buches seine Bedeutung: A Hug for the Apostle/ Unha aperta ó Apóstolo - diese Worte rief ihr ein junger Hirte zwischen San Juan de Ortega und Burgos zum Gruß entgegen 37 . Kommen wir nun zu einem Fazit: Welches sind die wesentlichen Themen dieser Tagebucherzählung? Besonders wichtig ist sicherlich die Landschaftser‐ fahrung, die immer wieder als Rahmen für eine Begegnung mit sich selbst und mit anderen Menschen dient. Auch der Kontakt mit denen, die die Beherbergungsinfrastruktur bereitstellen, spielt eine zentrale Rolle, seien es Privatpersonen oder kirchliche Träger. Gewiss fehlen auch nicht Kommentare, Reflexionen und Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Jakobsweges; sie werden hier aber überlagert von der Dringlichkeit der Erfüllung des eigenen sozialen Auftrages, nämlich, Mittel für die Multiple-Sklerose-Gesellschaft von Kanada zu sammeln, wozu die Pilgerin auch gekonnt die Medien (TV und Presse) nutzt. Sozialer Auftrag und persönliche Selbstfindung gehen hier Hand in Hand. Schließlich kann man sagen, und dies zeigt sich insbesondere in der Erlebnisweise der posadas, fondas und albergues, also der Unterkunftsmög‐ lichkeiten, dass die Gastfreundschaft auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl der Pilger und aller Personen gründet, die Infrastruktur auf dem Jakobsweg bereitstellen. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, dieser, wie Laurie es nennt, compañeirismo do camiño wirkt sinnstiftend für die Gemeinschaft der Pilger und für den Jakobsweg an sich 38 . Nicht zuletzt erscheint Laurie als Kanadierin auch von der Idee Europas beseelt, und ihre Ausführungen lassen für den heutigen Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 191 <?page no="192"?> 39 D E N N E T T , Unha aperta (wie Anm. 14), S.-214. Übersetzung: Lehrstuhl Gómez-Montero. 40 John R U T H E R F O R D , As frechas de ouro, Vigo 2004; spanische Übersetzung: Las flechas de oro, León 2013. 41 Vgl. Javier G Ó M E Z -M O N T E R O , Notizen zur literarischen Projektion des Camino de Santiago und der Stadt Compostela, in: D E R S . (Hg.), Der Jakobsweg und Santiago de Compostela in den Hansestädten und im Ostseeraum. Akten des Symposiums an der Universität Kiel (23.-25.4.2007), Kiel 2011, S.-139-159. Leser den Charme der Einsamkeit und der Entbehrung jener frühen Zeit der Jakobsweg-Renaissance (seit dem Heiligen Jahr 1976) wieder aufleben. Diese Ursprünglichkeit, diese Angewiesenheit auf Andere, diese Spontaneität bildet eine Matrix für durchweg positive Erfahrungen: Zwar sind Flexibilität und Wachsamkeit nötig, aber ‚Reinfälle‘ etwa bei den Unterkünften sind eher die Ausnahme. Die Begegnung mit sich selbst verläuft dabei parallel zur Begegnung mit vielen anderen Menschen, von denen einzelne Gestalten dauerhaft in Erinnerung bleiben, wie Laurie am Schluss ihres Buches vermerkt: Verschiedene Gesichter drehten sich in meinem Kopf: Odile, die netten Herbergsväter, Madame Debrille, Teo, der Weinjunge in Nájera, die junge Oberin in Sahagún, Pater José María, der junge Hirte-… 39 Das Pilgertagebuch von Laurie Dennett ist aus vielerlei Gründen bemerkens‐ wert: Nicht nur führt es eine authentische Form vor und nimmt somit den Leser mit zu den Wurzeln der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela unter den heutigen Bedingungen der Mediengesellschaft; es nimmt ihn zugleich mit zu den Quellen ihres Geistes, und zwar nicht nur in spiritueller Hinsicht, sondern ebenfalls - möchte man hinzufügen - im Geiste einer sozial engagierten Zivilgesellschaft. Den Wert der gegenwärtigen Jakobswegliteratur kann man mit Sicherheit insbesondere am Profil ihrer symbolischen Aussagen und an der Wirkungskraft ihrer narrativen Umsetzungen ablesen. Gerade diese beiden Aspekte sind in Laurie Dennetts Tagebuch auf Schritt und Tritt anzutreffen. Dieses Buch steht keineswegs allein dar; erwähnt sei etwa, dass der Oxforder Professor John Rutherford im Jahr 2004 einen Pilgerroman verfasst hat, der im Zeichen von Laurie Dennetts Tagebuch steht, wie der Autor selbst betont hat. Denn in As frechas de ouro 40 geht es um Identitätskonstruktion, um die Selbstsuche eines Großstadtbewohners im Laufe mehrerer Pilgerfahrten nach Santiago, die er in der literarischen Fiktion zu einem einzigen parcours verschmelzen ließ 41 . Auch dieses Buch zeugt auch von der Vitalität und vom sinnstiftenden Potenzial fik‐ tionaler Literatur im Zusammenhang mit Pilgererfahrungen, bei denen immer wieder der Aspekt der Gastfreundschaft, sogar der Selbstfreundschaft und 192 Javier Gómez-Montero <?page no="193"?> natürlich auch der Bezugssetzung zum und zu den Anderen in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. Quellen- und Literaturverzeichnis A L F O N S O X el Sabio, Las Siete Partidas del Sabio Rey D. Alonso estractadas por el licenciado D. Ignacio Velasco Pérez y una sociedad de abogados del ilustre colegio de esta corte, Valladolid 2011 (1843). Esteban C A R R O C E L A D A , Picaresca, milagrería y milandanzas en la Vía Láctea, León 2004. Laurie D E N N E T T , A Hug for the Apostle, Toronto 1987. Laurie D E N N E T T , Unha aperta ó Apóstolo, Santiago de Compostela 1995. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O , Notizen zur literarischen Projektion des Camino de Santiago und der Stadt Compostela, in: D E R S . (Hg.), Der Jakobsweg und Santiago de Compostela in den Hansestädten und im Ostseeraum. Akten des Symposiums an der Universität Kiel (23.-25.4.2007), Kiel 2011, S.-139-159. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O (Hg.), Im Jakobsland. Eine literarische Kartographie des Jakobs‐ weges im Nordwesten Spaniens, Kiel 2012. Javier G ÓM E Z -M O N T E R O , Literature and linguistic diversity on the Way of St. James - A contribution to categorising the Camino de Santiago as an anthropological region (particulary considering the North Sea and Baltic Sea area), in: Wilhelm S T E I N G R U B E / Gabriel G A C H (Hg.), The Pomeranian Way of St. James - Culture, Religion and Tourism, Greifswald 2013, S.-40-62. Rodrigo J I M É N E Z D E R A D A , Historia de rebus Hispanie sive historia Gothica, Turnhout 1987. Klaus H E R B E R S / Robert P LÖT Z , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“, München 1996. Klaus H E R B E R S (Hg.), Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert, Stuttgart 2008. Klaus H E R B E R S , Libellus Sancti Jacobi. Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts, Tübingen 2 2018. José María L A C A R R A , De Nájera a Burgos, in: D E R S ./ Luis V ÁZ Q U E Z D E P A R G A / Juan U R Í A R Í U , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela, Bd.-2, Madrid 1949, S.-188-190. John R U T H E R F O R D , As frechas de ouro, Vigo 2004; spanische Übersetzung: Las flechas de oro, León 2013. Gonzalo T O R R E N T E B A L L E S T E R , Santiago de Compostela. Ein Pilgerlesebuch, hg. von Javier G ÓM E Z -M O N T E R O , Kiel 2007. Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte 193 <?page no="195"?> Resúmenes / Abstracts Klaus Herbers: Gastfreundschaft und Pilgerfürsorge im Liber Sancti Jacobi El artículo aborda el horizonte de la hospitalidad medieval y analiza momentos básicos en sus estructuras y práctica. Con ello, se estudia cuáles podrían ser las expectativas al buscar o encontrar un alojamiento o ser atendidos. Básicamente se da una íntima relación entre hospitalidad y misericordia. Dado que otras facetas del tema se analizan en otros artículos del volumen, este estudio se centra primeramente en bosquejar la hospitalidad cristiana para a continuación abordar fragmentos representativos del Liber Sancti Jacobi y finalmente aus‐ cultar las relaciones entre hospitalidad y la atención a los peregrinos en términos generales o la beneficiencia. The article explores the horizon of medieval hospitality and analyses basic moments in its structures and practice. In doing so, it examines what the expectations might be when seeking or finding accommodation or being served. Basically, there is a close relationship between hospitality and mercy. Since other facets of the subject are discussed in other articles of this volume, this study focuses first on outlining Christian hospitality, then on representative passages from the Liber Sancti Jacobi, and finally on the relationship between hospitality and the care of pilgrims in general terms, or beneficence. Andreas Sohn: Zur monastischen Gastfreundschaft bei den Benediktinern El artículo se centra en la hospitalidad de los benedictinos. El punto de partida son las reglas de San Benito de Nursia que datan del siglo VI. Siguiendo el ejemplo de la abadía de Cluny y los monasterios pendientes de ella se estudian la relevancia y las características de la caridad y atención a los pobres, así como también se ejemplifican diversas ceremonias litúrgicas, entre otras, memoriales que las acompañaban. This article deals with monastic hospitality among the Benedictines. Its starting point is the Rule of Saint Benedict of Nursia from the 6 th century. Using specific examples from the Burgundian Abbey of Cluny and its subordinate monastic <?page no="196"?> network, the significance and concrete manifestations of charity and care for the poor among the Cluniacs are examined and the various liturgical ceremonies associated with them, including memorial services, are exemplified. Volker Honemann: Die Darstellung der Reisevorbereitungen in deutschen Pilgerberichten des Spätmittelalters Siguiendo la pista de la célebre canción jacobea Wer das elent bawen will que retiene de forma sucinta los momentos básicos de la preparación de toda peregrinación a Santiago (ropa, alimentos, equipo), el artículo aborda la cuestión de si los peregrinos y viajeros estaban realmente preparados espiritual, física y económicamente para afrontar la partida. Una primera valoración muestra que numerosos relatos de viaje, guías e itinerarios entre 1336 y 1497 (Wilhelm von Boldensele, Odorico de Pordenone, Sebastian Ilsung, Georg von Ehingen, Gabriel Tetzel, Šašek, Friedrich Steigerwallder, Ulrich Brunner, Bernhard von Breidenbach, Konrad Grünemberg, Heinrich von Zedlitz, Hans Schürpff) no tienen en cuenta informaciones a este respecto antes de partir hacia Tierra Santa o hacia Santiago. En todos estos casos parece que se emprendió la marcha sin mayor planificación, incluso casi de forma espontánea. No obstante, en un segundo momento, teniendo en cuenta otros autores de la misma época (Peter Rindfleisch, Hans Rot, Arnold von Harff, Peter Rieter, Hans Tucher), sí que se constata que en sus relatos se anotan compras de todo tipo de productos (alimentos, medicina, etc.), pero en general dependientes de ciertos imprevistos en el viaje, como, p. ej., estancias más dilatadas para esperar a un grupo o antes de una travesía por el mar; esta particularidad supone, por así decirlo, la segunda partida en tierras del extranjero. Hans Tucher, p. ej., incluye consejos sobre cómo comportarse en Tierra Santa. Una preparación espiritual o mental es patente solo en algunos célebres relatos, como, p. ej., el de Felix Fabri, el de Paul Walther y el de Geiler von Kaysersberg. Every journey is preceded by its preparation, as much today as hundreds of years ago. Based on the well-known Santiago pilgrimage song Wer das elent bawen will, which briefly summarizes the essential elements of the preparation for a journey (clothing, provisions, equipment), this article examines pilgrimage reports to determine whether and how the authors prepared for the upcoming pilgrimage in spiritual, physical, financial, and material terms. An initial review of the beginnings of various pilgrimage reports or travel guides between 1336 and 1497 (Wilhelm von Boldensele, Odorico von Pordenone, Sebastian Ilsung, Georg von Ehingen, Gabriel Tetzel, Šašek, Friedrich Steigerwallder and Ulrich Brunner, Bernhard von Breidenbach, Konrad Grünemberg, Heinrich von Zedlitz, 196 Resúmenes / Abstracts <?page no="197"?> and Hans Schürpff) reveals that none of them provide any information about the material or spiritual preparations they made before setting off for the Holy Land or Santiago de Compostela. In their reports, they all give the impression of having set out without further thought, almost spontaneously. A second, more intensive examination, however, shows that a number of authors (Peter Rindfleisch, Hans Rot, Arnold von Harff, Peter Rieter, Hans Tucher) did record notes on purchases of all kinds (provisions, medicine, etc.) in the further course of their reports, but mostly in connection with changes during the journey (a longer stay due to waiting for a traveling party or before the start of the sea voyage in Venice), thus to a certain extent before the second departure into a foreign world. Hans Tucher, for example, gives his readers additional behavioral advice for the Holy Land. Mental or spiritual preparations can only be found in a few famous reports: Felix Fabri, Paul Walther, and Geiler von Kaysersberg are particularly worthy of mention here. Catherine Geleyn: Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu En la Edad Media, entre 1150 y 1350, surgió una amplia red de hospitales y otras instituciones caritativas que se extendieron por las ciudades de Occidente. La iglesia asumió bajo sus auspicios la hospitalidad en general destinada a gente pobre, a peregrinos y a todo tipo de migrantes periurbanos que estaban seguros de poder encontrar un lugar donde ser acogidos, alimentados y recibir los cuidados precisos en caso de necesidad. Los huéspedes pobres en el más amplio sentido eran muchas veces campesinos llegados de las partes más recónditas y menos cristianizadas. Para estos solían propiciarse fórmulas para pasar los ritos religiosos de aceptación centrados en los sacramentos de la confesión y la eucaristía. Todo ello permite ilustrar en este ensayo cómo la densa red hospitalaria basada en la caridad cristiana pudo asegurar el cumplimiento de sus objetivos tanto religiosos y sociales como económicos en un territorio cada vez más urbano y en constante crecimiento. In the Middle Ages, between 1150 and 1350, a vast network of hospitals and other charitable institutions spread throughout western cities. The church took under its patronage the hospitality generally designated for poor people, pilgrims, and all kinds of peri-urban migrants, who thus were sure to find a place where they would be welcomed, fed, and cared for in case of need. The poor guests, in the broadest sense, were often peasants from the most remote and least Christianised parts of the country. For them, formulas were often provided for the religious rites of acceptance centred on the sacraments of confession and Resúmenes / Abstracts 197 <?page no="198"?> Eucharist. All this allows this essay to illustrate how the dense hospital network, based on Christian charity, was able to ensure the fulfillment of its religious, social, and economic objectives in an environment of increasing urbanity and constant growth. Florian Weber: Von heiligen Orten und bösen Wirten. Städte und Gastlichkeit im Liber Sancti Jacobi Este artículo estudia cómo se perciben en el famoso Liber Sancti Jacobi del siglo XII las ciudades y, en particular, los albergues y posaderos ubicados en ellas. Sorprende que en la denominada “Guía del peregrino” (Lib. V) no se hable casi en absoluto de las opciones de alojamiento que tenían los viajeros piadosos en su camino a Santiago. Su descripción del Camino privilegia sistemáticamente los núcleos sagrados de las ciudades e ignora por completo el espacio profano circundante, donde tenía lugar esa hospitalidad privada. Otras partes del códice, como el sermón Veneranda dies (Lib. I, Cap. 17) y algunos relatos de milagro (Lib. II, Cap. 5 y 6), sí muestran el lado mundano de la ciudad: un antro de inquina y crimen lleno de estafadores y malhechores de todo tipo. Fenómenos urbanos como el comercio, el dinero y la presencia de extranjeros y, por tanto, grupos profesionales como mercaderes, cambistas y posaderos son vistos con profunda sospecha y como fuente de peligros para los peregrinos. La figura del malus hospes ocupa aquí un lugar destacado: el sermón le reprende con vehemencia utilizando un eficaz arsenal retórico (comparaciones con Judas, repetidas maldiciones, epítetos como malus y falsus, etc.); los relatos de milagro ejemplifican tanto su maldad como el castigo divino que le espera. Básicamente, la intención de estos textos es moralizante: por un lado, advierten al peregrino de los peligros del Camino, especialmente de la falsa hospitalidad; por otro, dirigen la exhortatio a todo cristiano a no aprovecharse del peregrino, sino más bien —este es el ejemplo ex negativo que proponen— a tratarle con misericordia y ofrecerle verdadera hospitalidad. This article examines how cities and, in particular, the inns and innkeepers located there are perceived in the famous 12 th century Liber Sancti Jacobi. It turns out that in the so-called “Pilgrims Guide” (Lib. V), where one would most likely expect to find such references, surprisingly little can be read about possible accommodation. In his description of the Camino, the author favors systematically the sacred nuclei of the cities and completely ignores the surrounding profane space where this private hospitality took place. Other parts of the Liber Sancti Jacobi, such as the sermon Veneranda dies (Lib. I, Cap. 17) and some miracle reports (Lib. II, Cap. 5 and 6), show the worldly side of the 198 Resúmenes / Abstracts <?page no="199"?> city: a den of iniquity and crime populated by crooks and evildoers of all kinds. Urban phenomena such as trade, money, and the presence of foreigners, and thus social groups such as merchants, money changers, and innkeepers, are viewed with deep suspicion and identified as a source of danger for pilgrims. The figure of the malus hospes occupies a prominent position here: the sermon vehemently rebukes him using an effective rhetorical arsenal (comparisons with Judas, repeated curses, epithets such as malus and falsus, etc.), while the miracle reports exemplify both his wickedness and the divine punishment that awaits him. The basic intention of these texts is to moralise: on the one hand, they warn the pilgrim of the dangers of the journey, in particular of false hospitality; on the other hand, they address the exhortatio to every Christian not to take advantage of the pilgrim, but rather - this is the positive counter-ideal they convey - to treat him with mercy and offer him true hospitality. Martina Sitt: Jakobus auf dem Weg - Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und Krankenfürsorge Son estudiados tres cuadros procedentes del norte de Alemania que ilustran singulares aspectos de las peregrinaciones. En concreto, cabe mencionar, hacia el 1500, tres talleres en los que trabajaron hasta cinco personalidades como los artistas Hans Bornemann, Absolon Stumme und Wilm Dedecke. Estos desarrollan su trabajo en un contexto intelectual y erudito y reciben encargos tanto de las instituciones eclesiásticas como de la Cofradía de San Lucas. A este respecto se plantea la siguiente cuestión: ¿De qué forma y en qué contexto es situado Santiago al lado de otros santos como Cristóbal y la propia Gertrudis de Nivelles? Es de reseñar la respetuosa acogida y atención dedicada a los peregrinos, así como todo lo referente tanto a su salvación como a su bienestar corporal, pues ambos aspectos forman parte de los rituales y servicios con que les acogen los cofrades de San Lucas. Incluso las escenas muestran que Jesucristo se representa como peregrino. Three paintings from northern Germany that vividly illustrate the special aspects of pilgrimage are examined in this article. As many as five painters, such as Hans Bornemann, Absolon Stumme, and Wilm Dedecke, worked on them in the three known workshops in Hamburg around 1500. They carried out their work in a well-read intellectual circle and served not only ecclesiastical patrons but also the Brotherhood of St. Luke. This raises the question of the form and narrative in which St. James was associated with other saints such as St. Christopher or Gertrude of Nivelles. It is worth noting the respectful Resúmenes / Abstracts 199 <?page no="200"?> welcome and attention given to the pilgrims, as well as everything related to both their salvation and their physical well-being, since both aspects form part of the rituals and services with which the Brotherhood of St. Luke receive them. After all, Christ himself is understood and staged as a pilgrim in the examined paintings. Michael Scholz-Hänsel: Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller Medien El artículo aporta unas reflexiones contrastadas sobre la hospitalidad en cuanto que uno de las siete obras de misericordia relativas a las necesidades elementales de la existencia corporal de los hombres. Los ejemplos presentados en orden cronológico la ilustran en medios diferentes a partir del célebre cuadro de Caravaggio conservado en Nápoles para terminar con una serie de fotografías que Martin Schmidt en el año 2010 presentó en la convención anual de la Iglesia (en su confesión tanto católica como evangélica luterana) en Alemania. Durante el siglo XVI se continuaba entendiendo con toda naturalidad la vida como peregrinación en la que correspondían al anfitrión cometidos plenos de dignidad y reconocimiento. Bajo el título weit (“lejos”) queda reflejado en un documental del año 2017 un viaje alrededor del mundo que también podría conceptualizarse con el término ‘sostenible’, en el que huéspedes y anfitriones entablan un diálogo intercultural que les ennoblece. ¿Y acaso no es el dar (en este caso la donación de hospitalidad) en el sentido que postulaba Jesucristo algo más bien aventurado que el recibir? The article discusses hospitality as one of the seven corporal works of mercy. The series of chronologically presented examples from a wide range of media begins with the famous painting by Caravaggio in Naples and ends with a photo series created by Martin Schmidt for the Ecumenical Church Congress in Munich in 2010. During the 16 th century, life was generally understood as a kind of pilgrimage in which the host had an honorable task. The film (2017) and photo book (2019) entitled weit (“far”) document a ‘sustainable’ journey around the world, in which guests and hosts engage in an enriching intercultural dialogue. And isn’t giving (in this case hospitality) more blessed than receiving, according to Jesus? 200 Resúmenes / Abstracts <?page no="201"?> Miguel Ángel González García: Zur Ikonographie der Gastfreundschaft En este artículo el canónigo archivero de la catedral de Ourense Miguel Ángel González García propone un recorrido por la iconografía sacra de la hospita‐ lidad desde la Edad Media hasta la temprana Edad Moderna. Repasa ejemplos novotestamentarios, apostólicos y monásticos en diversas iglesias, capillas y monasterios europeos, donde quedan de manifiesto aspectos cristológicos de la devoción a Santiago peregrino tanto para peregrinos como para representantes institucionales de la hospitalidad. También incide en aspectos de la devoción vinculados al tratamiento de la enfermedad en hospitales o casas de caridad. In this article, the archivist of Ourense Cathedral, Miguel Ángel González García, presents a journey through the sacred iconography of hospitality from the Middle Ages to the Early Modern period. He examines examples from the New Testament, as well as apostolic and monastic ones in various European churches, chapels and monasteries in which Christological aspects of the veneration of St. James the Pilgrim are evident both to pilgrims and to the institutional representatives of hospitality. Another focus is on aspects of veneration in connection with the treatment of illnesses in hospitals or charitable institutions. Javier Gómez-Montero: Zur Kultur der Gastfreundschaft am Jakobsweg im Spiegel normativer und narrativer Texte El artículo incide en la línea de los escritos de carácter jurídico que menta Klaus Herbers en el primer estudio del volumen para a continuación profundizar con algunos ejemplos de textos normativos y de crónicas históricas medievales en España, puesto que complementan la función normativa de otros textos como homilías y reglas monásticas. La parte central del estudio aborda el rastro del marco jurídico y moral para la vida cotidiana que estos textos esbozan en la literatura ficcional. Aunque se intuyan referencias a textos contemporáneos, el enfoque se centra en formas y ejemplos de ficcionalización de las conductas apuntadas en tales textos y en prácticas colectivas que determinan la peregri‐ nación a Santiago, sobre todo en el contexto de la literatura contemporánea de entretenimiento. Igualmente, por último, se profundiza particularmente la importancia simbólica y se analiza el proceso de construcción identitaria y encuentro consigo mismo relacionándolo con la experiencia de hospitalidad a partir del relato de la peregrina canadiense Laurie Dennett (A Hug for the Apostle/ Unha aperta ó Apóstolo, 1987/ 1995), quien hizo el Camino de Santiago en 1986. Resúmenes / Abstracts 201 <?page no="202"?> This article extends the range of legal writings already mentioned by Klaus Herbers in the first study of this volume and then goes on to examine some examples of normative texts and medieval historical chronicles from Spain, as they complement the normative function of other texts such as homilies and monastic rules. The main part of the study deals with the trace of the legal and moral framework for everyday life described by these texts in fictional literature. Although references to contemporary texts can be sensed, the focus is on forms and examples of fictionalisation of the behaviours pointed out in these texts and on collective practices that determine the pilgrimage to Santiago, especially in the context of contemporary entertainment literature. Finally, the symbolic importance is particularly explored and the process of identity construction and encounter with oneself is analysed in relation to the experience of hospitality using the example of the pilgrimage report by the Canadian Laurie Dennett (A Hug for the Apostle/ Unha aperta ó Apóstolo, 1987/ 1995), who made the Way of St. James in 1986. 202 Resúmenes / Abstracts <?page no="203"?> Abbildungsverzeichnis Catherine Geleyn: Die christliche Prägung mittelalterlicher Städte durch Hospitäler und Hôtels-Dieu Abb. 1 und 2: Die Karten wurden von der Verfasserin mit Unterstützung von Alice Romainville erstellt. Die Daten basieren auf den Angaben bei Paul Bairoch/ Jean Batout/ Pierre Chèvre, La population des villes européennes de 800 à 1850. Banque de données et analyse sommaire des résultats, Genf 1988. Abb. 3: Musée Carnavalet, Paris, gemeinfrei, via Wikimedia Commons: https: / / common s.wikimedia.org/ wiki/ File: Saint_Malgloire_(_abbaye).jpg. Abb. 4: Musée de l’Assistance publique, Paris, I, Clio, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons: https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Hotel_Dieu_-_Gravure.jpg. Abb. 5: Kathedrale von Chartres, https: / / www.cathedrale-chartres.org/ wp-content/ uplo ads/ 2024/ 04/ CSM-2021-Fig-7-detail.jpg. Martina Sitt: Jakobus auf dem Weg - Hamburger und Lübecker Pilgeransichten um 1500 und die Ikonographie der Armen- und Krankenfürsorge Abb. 1: St. Annen-Museum, Lübeck, Inv. 11, Foto: Martina Sitt. Abb. 2: St. Bavo-Kathedrale, Gent, Foto: Martina Sitt. Abb. 3: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 4: Akademie der bildenden Künste, Wien, Foto: Martina Sitt. Abb. 5: Akademie der bildenden Künste, Wien, Foto: Martina Sitt. Abb. 6: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 6a/ b: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 7: Bibliothek des Herzog Anton Ulrich-Museums, Braunschweig, HAB Xd 2° 100 (45). Abb. 8a/ b: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 9: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 9a: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 10a: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 10b: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. Abb. 10c: Hauptkirche St. Jacobi, Hamburg, Foto: Martina Sitt. <?page no="204"?> Michael Scholz-Hänsel: Die Gastfreundschaft als eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit im Wandel der Jahrhunderte und verschiedener visueller Medien Abb. 1: Pio Monte della Misericordia, Neapel. Abb. 2: Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam. Abb. 3: Museum Brot und Kunst, Ulm. Abb. 4: Various & Gould, Siebdruck, 2010. Abb. 5: Albrecht Wild, Fotomontage, 2009. Abb. 6: Jacob Holdt, Bilder aus Amerika, Berlin 1977, S.-10. Abb. 7: Gwendolin Weisser/ Patrick Allgaier, weit. Ein Reisemagazin, 2019, S.-45. Abb. 8: Martin Schmidt, Fotografie aus der Werkserie 7 x Barmherzigkeit, 2010. Abb. 9: Foto: Michael Scholz-Hänsel. Miguel Ángel González García: Zur Ikonographie der Gastfreundschaft Abb. 1: Byzantinisches Museum, Athen. Abb. 2: Museo del Prado, Madrid. Abb. 3: Ospedale del Ceppo, Pistoia. Abb. 4: Kirche Pio Monte della Misericordia, Neapel. Abb. 5: Hugo von St. Viktor, Liber de sacramentis, ms. 376, fol. 224, Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 6: Museo de Bellas Artes, Valencia. Abb. 7: Museo Nazionale di San Marco, Florenz. Abb. 8: Archiv von Miguel Ángel González García. Abb. 9: Museo Diocesano, Saragossa. Abb. 10: Psalterium Cantuariense, Latin 8846, fol. 106, Bibliothèque nationale de France, Paris. 204 Abbildungsverzeichnis <?page no="205"?> Register der Orts- und Personennamen Bearbeitet von Florian Weber Das Register erfasst die Orts- und Personennamen des Haupttextes und der Anmerkungen. Nicht berücksichtigt wurden Namen in den bibliografischen Angaben, auf Abbildungen (einschließlich Karten) und in den spanischen Zu‐ sammenfassungen. Bei Namensvarianten und alternativen Schreibweisen wird auf ein Hauptstichwort verwiesen. Bei Personen wird in der Regel die Amts‐ zeit bzw. das Todesdatum (gekennzeichnet mit †) vermerkt. Mittelalterliche Personen (bis ins 16. Jahrhundert) finden sich unter dem jeweiligen Vornamen verzeichnet. Nicht sinnvoll erschien es, durchgehend vorkommende Lemmata wie ‚Jakobus‘ und ‚Jesus Christus‘ aufzunehmen. Aachen (Deutschland)-92 Abiron, bibl. Gestalt-118 Abraham, bibl. Gestalt-7, 151, 164 ff. Absolon Stumme, Maler († 1510) 125, 139, 141 f., 144 Ademar, Abt von St-Martial de Limoges (1063-1114)-50 Adenauer, Konrad, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949-1963)-32 f. Ägidius, hl. (†-ca. 720)-114 Aimery Picaud, Priester († 12. Jh.) 187, 189 Albano (Italien)-41 Alberic, Bf. von Ostia (1138-1148)-41 Albert Krantz, Theologe (†-1517)-126 Albrecht III. der Fromme, Hzg. von Bayern (1438-1460)-31 Alexandria (Ägypten)-67 Alfons III. der Große, Kg. von Asturien (866-910)-9 Alfons IX., Kg. von León (1188-1230)-182 Alfons VIII. der Edle, Kg. von Kastilien (1158-1214)-179, 183 Alfons X. der Weise, Kg. von Kastilien und León (1252-1284)-7, 180, 182 f. Allgaier, Patrick, Regisseur (* 1983)-155- 158, 161 Amandus von Maastricht, Bf. von Tongern-Maastricht (647-649)-85 Amiens (Frankreich)-90 Ammersee-31 Anaklet II., Gegenpapst (1130-1138)-41 Andechs (Deutschland)-31 Antiochia am Orontes / Antakya (Türkei)-67 Aquitanien-38 Arnold von Harff, Ritter († 1505)-64 f., 67, 74 f. Astorga (Spanien)-9, 167, 189 Asturien-9 Augsburg (Deutschland)-63, 73 Augustinus von Hippo, hl. (†-430)-91, 95, <?page no="206"?> 170 ff. Auxerre (Frankreich)-52 Bach, Johann Sebastian, Komponist (†-1750)-188 Barbadelo (Spanien)-26 Bari (Italien)-79, 116 Barletta (Italien)-116 Basel (Schweiz)-71 f. Franziskanerkloster-72 Basset, Pierre, Abt von St-Martin de Ligugé (1936-1953)-32 Baume-les-Messieurs (Frankreich)-44 Bavo von Gent, hl. (†-655)-131, 133 Bayern (Deutschland)-31 Becquet, Jean, Benediktiner und Historiker (†-2003)-34 Beethoven, Ludwig van, Komponist (†-1827)-188 Beirut (Libanon)-67 Benedikt von Nursia, Ordensgründer (†-547)-7, 20 f., 33-39, 43, 51, 168 Benedikt XVI., Papst (2005-2013)-33, 52 Benevívere (Spanien)-9 Hospital-9 Bernhard, Abt von Clairvaux (1115-1153)-89 Bernhard von Breidenbach, Jurist (†-1497)-62, 64, 71 Bernhard von Nursia, Ordensgründer (†-547)-154, 161 Beuron (Deutschland)-31 Blasco de Grañén, Maler (†-1459)-173 Blasius von Sebaste, hl. (†-316)-100, 103 Boëthius a Bolswert, Kupferstecher (†-1633)-172 Bordeaux (Frankreich)-113 Bourges (Frankreich)-38 Bremen (Deutschland)-185 Breslau / Wrocław (Polen)-66 Bruegel, Pieter d. Ä., Maler (†-1569)-152 Bruegel, Pieter d.-J., Maler (†-1638)-152 f., 161 Brügge (Belgien)-91 Sint-Janshospitaal-91 Brüssel (Belgien)-86 Buchwald / Bukowiec (Polen)-64 Buenos Aires (Argentinien)-52 Burgos (Spanien)-27, 179, 183, 189, 191 Hospital del Rey-179, 183, 189 Burgund (Frankreich)-90, 103 Caesarius, Bf. von Arles (502-542)-85 Caesarius von Heisterbach, Zisterzienser (†-nach 1240)-184 Calixt II., Papst (1119-1124)-22, 107, 178 Caravaggio, Michelangelo Merisi da, Maler (†-1610)-149 f., 152, 158, 160 f., 167 Carrión de los Condes (Spanien)-114, 188 Carro Celada, Esteban, Theologe und Journalist (†-1974)-182 ff. Cebreropass, Gebirgsübergang-117 Cerredo de Tineo (Spanien)-9 Hospital de la Espina-9 Champagne (Frankreich)-93, 100 Chartres (Frankreich)-90, 102 f., 185 Kathedrale-102 f. Christophorus, hl. († ca. 250)-96, 127, 126, 128 f., 131 Cisapass, Pyrenäenübergang-115, 117 Clermont-Ferrand (Frankreich)-41 Cluny (Frankreich)-37, 97 Benediktinerabtei-37-53, 97 Conant, Kenneth John, Kunsthistoriker (†-1984)-40 Conques (Frankreich)-113 Ste-Foy, Kirche-113 Conrad, Joseph, Schriftsteller († 1924) 188 Córdoba (Spanien)-81, 84 206 Register der Orts- und Personennamen <?page no="207"?> Cresconius, Bf. von Santiago de Compostela (1036-1066)-110 Damaskus (Syrien)-67 Damiette (Ägypten)-67 Dathan, bibl. Gestalt-118 Dennett, Laurie, Autorin (* 1946)-178, 185-192, 201 Déols (Frankreich)-39 Deutschland-32, 111, 185 Dismas, bibl. Gestalt-24 Dominikus von der Straße, hl. († 1109) 174 El Ganso (Spanien)-189 Eligius von Noyon, hl. (†-660)-100 Elisabeth von Thüringen, hl. (†-1231)-42 Emmaus, bibl. Ort-7, 141 ff., 169 Engelberg, Franziskanerkloster-33 England-40, 52, 186 Essen (Deutschland)-33 Kardinal-Hengsbach-Haus-33 Werden, Stadtteil-33 Estella (Spanien)-114 Eutropius von Saintes, hl. (†-ca. 250)-114 Felix Fabri, Dominikaner (†-1502)-69-72, 76 Finisterre (Spanien)-110 Flandern-80, 97 Fleury (Frankreich)-39 Florenz (Italien)-171 Museo Nazionale di San Marco-171 Fra Angelico, Maler (†-1455)-171 f. Frankreich-33, 40, 52 f., 80, 110 f., 113, 117, 186 Franziskus, Papst (seit 2013)-33, 52 Friedrich Steigerwallder, Chronist († nach 1470)-62 Friedrich Steigerwallder, Chronist (nach † 1470)-63 Frómista (Spanien)-188 Fronto von Périgueux, hl. (†-ca. 100)-114 Fructuosus von Braga, hl. (†-665)-7 Gabriel Tetzel, Patrizier aus Nürnberg (†-1479)-62 Galicien (Spanien)-190 Gallien-19 f. Gaza (Palästina)-68 Genesareth, See-32 Genesius von Arles, hl. (†-303/ 308)-85 Genf (Schweiz)-17 Gent (Belgien)-128 f., 131 St. Bavo, Kathedrale-128 f. Georg von Ehingen, Reichsritter und Diplomat (†-1508)-62 Gerald von Aurillac, hl. (†-909)-39 Gerhard II., Gf. von Paris (837-843), Gf. von Vienne (844-870)-38 Gertrud von Nivelles, hl. (†-659)-131, 134 ff. Gestas, bibl. Gestalt-118 Getrud von Nivelles, hl. (†-659)-137 Giovanni Battista Tiepolo, Maler (†-1770)-166 Glees (Deutschland)- Maria Laach, Benediktinerabtei-32 Gomorra, bibl. Stadt-121 Gradignan (Frankreich)-186 Gregor der Große, Papst (590-604)-171 Gregor VII., Papst (1073-1085)-41 Großer Sankt Bernhard, Berg-19, 117 Guillaume de Digulleville, Zisterzienser (†-nach 1358)-73 Hamburg (Deutschland)-125 f., 130 f., 134, 137-140, 142, 144 f. Dom-125 f., 140, 144 Hospital zum Heiligen Geist-138 Maria-Magdalenen-Kloster-144 St. Jacobi, Hauptkirche-126, 130 f., 134 f., 137-140, 142, 144 f. St. Johannis, Klosterkirche-144 Register der Orts- und Personennamen 207 <?page no="208"?> Hans Bornemann, Maler (†-ca. 1474)-144 Hans Rot, Patrizier aus Basel (†-1452)-67 Hans Schürpff, Patrizier aus Luzern (†-1501)-63 Hans Tucher, Patrizier aus Nürnberg (†-1491)-67 ff., 76 Heidegger, Martin, Philosoph (†-1976)-9 Heiligenkreuz im Wienerwald (Österreich)-33 Zisterzienserabtei-33 Heinrich von Zedlitz, Ritter (†-1510)-62, 64, 69 Hengsbach, Franz, Bf. von Essen (1958-1991)-33 Hermann Künig von Vach, Servitenmönch (†-nach 1495)-27, 62 Hermann Schedel, Arzt (†-1485)-68 Herwegen, Ildefons, Abt von Maria Laach (1913-1946)-32 Hieronymus Bosch, Maler (†-1516)-132 f., 151 Hilarius, Bf. von Arles (430-449)-85 Hilarius von Poitiers, hl. (†-367)-114 Hinrik Borneman, Maler (†-nach 1499)-125 Holdt, Jacob, Fotograf (* 1947)-155-158, 161 Honoratus, Bf. von Arles (426-429/ 430) 85 Hospital de Órbigo (Spanien)-9 Hubertus von Lüttich, Bf. von Tongern-Maastricht (705-727)-85 Hubert van Eyck, Maler (†-1426)-128 f. Hugo, Abt von Cluny (1049-1109)-40, 46 Hugo von St. Viktor, Theologe (†-1141)-169 f. Imar, Bf. von Tusculum (1142-1161)-41 Innozenz II., Papst (1130-1143)-41 Isidor, Ebf. von Sevilla (600-636)-7 Israel-45 Italien-19 f., 22, 34, 40, 49, 52, 111 Jaca (Spanien)-187 Jacobus de Voragine, Ebf. von Genua (1292-1298)-130 Jan van Eyck, Maler (†-1441)-128 f. Jerusalem-32, 110, 117 Jerusalem (Palästina)-31 f., 46, 64, 66, 68, 70, 79, 90, 117, 122, 130, 143, 167, 169 Dormitio-Benediktinerabtei-31 Franziskanerkloster-68 Zionsberg-31 Jesaja, Prophet (8. Jh. v.-Chr.)-24 Johannes Butzbach, Prior von Laach (1507-1516)-65 Johannes Gerson, Theologe und Mystiker (†-1429)-73 Johannes von Gott, hl. (†-1550)-171 Johannes XI., Papst (931-936)-38 Johann Geiler von Kaysersberg, Theologe und Prediger (†-1510)-73 f., 76 Judas Iskariot, Apostel (†-ca. 30)-24, 118 Kairo (Ägypten)-68 Kalabrien (Italien)-50 Kanada-186, 191 Karl der Große, Kg. des Fränkischen Reichs (768-814)-21 Karl I. von Anjou, Kg. von Sizilien (1266-1285)-90 Kastilien (Spanien)-13, 182 Katharina von Siena, hl. (†-1380)-171 Kerkeling, Hape, Entertainer (* 1964)-158 Kiel (Deutschland)-11 Klein, Laurentius, Abt der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg (1969-1979)-32 Köln (Deutschland)-32 Konrad Grünemberg, Patrizier aus Konstanz (†-1494)-62 Konstantin der Große, römischer Ks. (306-337)-40 208 Register der Orts- und Personennamen <?page no="209"?> Konstantinopel / Istanbul (Türkei)-67 La Charité-sur-Loire (Frankreich)-41, 52 Lagny (Frankreich)-100 Laon (Frankreich)-90, 93 f. Hôtel-Dieu-93 f. Lendit (Frankreich)-100 León (Spanien)-9, 13, 114, 170 Monasterio de la Encarnación, Augustinerinnenkloster-170 Palacio de los Guzmanes-170 Leonhard Beck, Maler (†-1542)-136 Le Puy-en-Velay (Frankreich)-113, 116 Kathedrale-113 Lessines (Belgien)-97 Hôpital Notre-Dame à la Rose-97 Liegnitz / Legnica (Polen)-64 Ligugé (Frankreich)-32 f. St-Martin, Benediktinerabtei-32 f. Limoges (Frankreich)-34, 49 f. St-Martial, Benediktinerabtei-49 f. Limousin (Frankreich)-33 f., 50, 113 Lindau (Deutschland)-31 Loire, Fluss-38, 52 London (England)-186 Lorenz Egen, Kaufmann aus Augsburg (†-1418)-63 Lübeck (Deutschland)-91, 125 f., 128, 134, 185 Heiligen-Geist-Hospital-91 St. Annen-Museum-126, 128 Lucca (Italien)-19, 116 Ludwig Fuchs, Dominikaner (†-1497)-71 Ludwig von Hanau-Lichtenberg (†-1484)-64 Lukas, Evangelist (†-63)-141 Lukas, Evangelist (†-ca. 63)-140 f., 143 f. Lyon (Frankreich)-17, 37, 90 Mâcon (Frankreich)-37 Mansilla de las Mulas (Spanien)-189 Marcellus, Bf. von Paris (417-430/ 436)-86 Margarete von Burgund, Gfn. von Tonnerre (1262-1308)-90 Maria, Mutter Jesu-72, 131, 144 Maria Magdalena, bibl. Gestalt-28 Martial von Limoges, hl. (†-3. Jh.)-50 Martin Luther, Reformator (†-1546)-152 Martin von Tours, hl. († 397)-32, 114, 150, 173 Matthäus, Bf. von Albano (1126-1135)-41 Michael, Erzengel-86 Miño, Fluss-25 f. Moissac (Frankreich)-113 St-Pierre, Abtei-113 Montecassino, Benediktinerabtei-33 f. Monte do Gozo, Anhöhe-109 Montpellier (Frankreich)-113 Mose, bibl. Gestalt-141, 143 Moser, Koloman, Künstler (†-1918)-154, 161 Mozart, Wolfgang Amadeus, Komponist (†-1791)-188 München (Deutschland)-31, 159 Murillo, Bartolomé Esteban, Maler (†-1682)-151, 160 f., 170 f. Nájera (Spanien)-186, 192 Nantua (Frankreich)-17, 121 Navarra (Spanien)-190 Neapel (Italien)-34, 90, 150 f., 167 Pio Monte della Misericordia, Kirche-150 f., 167 Nevers (Frankreich)-52 New York (Vereinigte Staaten)-155 f. Nicolaus Sartoris, Priester im Hamburger Dom (ab 1479)-125, 140 f., 144 Nikolaus von Myra, hl. (†-zwischen 326 und 365)-100 Nivelles (Belgien)-131, 135 Augustinerinnenkloster-131, 135 Register der Orts- und Personennamen 209 <?page no="210"?> Norcia (Italien)-34 Nordsee-185 Nürnberg (Deutschland)-66 ff. Odilo, Abt von Cluny (994-1049)-47 Odo, Abt von Cluny (927-942)-39 Odorico von Pordenone, Franziskaner (†-1331)-62 Okzitanien-80, 84 Orléans (Frankreich)-91 Oseira, Zisterzienserkloster-168 Osmund, Bf. von Salisbury (1078-1099)-49 Ostabat (Frankreich)-115 Ostia (Italien)-41 Ourense (Spanien)-168 Oviedo (Spanien)-9 Padua (Italien)-66 Palas de Rei (Spanien)-25 Palästina-31, 63 f., 66-72, 75, 79 Palermo (Italien)-81, 84 Pamplona (Spanien)-116, 120, 187 Paris (Frankreich)-41, 48, 85-88, 90 ff., 96, 100 Cimetière des Innocents-88 Couvent des Filles-Dieu-92 Église du St-Sépulcre-88 Hôpital du St-Esprit-87, 92 Hôpital du St-Sépulcre-87 Hôpital Ste-Catherine-87 Hôpital St-Éloi-87 Hôpital St-Gervin-87 Hôpital St-Jacques aux Pèlerins-87 f. Hôpital St-Julien-le-Pauvre-88 Île de la Cité-87 Maison-Dieu Imbert de Lyon-87 Maison-Dieu St-Eustache-87 Place de Grève-87, 92 Porte de St-Antoine-87 Quartier Latin-88 Rue du Sablon-91 Rue Quincampoix-88 Rue St-Denis-87 f. Rue St-Martin-87 f. Saint-Martin-des-Champs, Priorat-41, 48 f. St-Leu-St-Gilles, Kirche-88 St-Magloire, Abtei-88 Paschalis II., Papst (1099-1118)-52 Paulus von Tarsus, Apostel († nach 60) 38 Paul VI., Papst (1963-1978)-33 Paul Walther, Franziskaner (†-nach 1484)-71 f., 76 Périgueux (Frankreich)-113 Peter Rieter, Patrizier aus Nürnberg (†-1462)-67, 69 Peter Rindfleisch, Kaufmann aus Breslau (†-1535)-66 f., 76 Petrus, Apostel († zwischen 65 und 67) 38, 100, 131 Petrus Venerabilis, Abt von Cluny (1122-1156)-44, 51 Petrus von Castelnau, päpstl. Legat (1202-1208)-84 Piacenza (Italien)-116 Pissos (Frankreich)-186 Pistoia (Italien)-167 ff. Ospedale del Ceppo, Hospital-167 ff. Pius IX., Papst (1846-1878)-50 Poitiers (Frankreich)-17, 32, 113, 120 f. St-Hilaire-le-Grand, Basilika-113 St-Jean-de-Montierneuf, Benediktinerabtei-41 St-Porchaire, Kirche-17, 121 Porcarius, hl. (†-ca. 600)-17, 121 Portomarín (Spanien)-189 Provins (Frankreich)-100 Puebla de Albortón (Spanien)-173 Puente la Reina (Spanien)-113, 117, 186 f. Pyrenäen-38, 187 210 Register der Orts- und Personennamen <?page no="211"?> Rabanal del Camino (Spanien)-189 Reims (Frankreich)-90 Rhône, Fluss-38 Ricœur, Paul, Philosoph (†-2005)-9 f. Rodrigo Jiménez de Rada, Ebf. von Toledo (1209-1247)-179 Roldán, Pedro, Bildhauer (†-1699)-151 Rom (Italien)-28, 32, 34, 39, 41, 79, 84, 110, 116 f., 122, 167 Sant’Anselmo, päpstl. Athenaeum-32 Roncesvalles (Spanien)-9, 187 Hospital de Santa María-9 Rotterdam (Niederlande)-151 Rutherford, John, Autor (* 1941)-192 Sachsen (Deutschland)-183 Sahagún (Spanien)-114, 186, 192 Saint-Benoît-sur-Loire (Frankreich)-39 Saintes (Frankreich)-113 St-Eutrope, Kirche-113 Saint-Jean-d’Angély (Frankreich)-113 Kirche-113 Saint-Jean-Pied-de-Port (Frankreich)-186 Samson, bibl. Gestalt-150, 160 Sancho de Larrosa, Bf. von Pamplona (1122-1142)-9 San Juan de Ortega (Spanien)-188, 191 Santa Catalina (Spanien)-189 Santiago de Compostela (Spanien)-11 ff., 18, 21, 26, 31, 52, 62 f., 79, 84, 107-120, 122, 152, 160, 167 f., 177 f., 185, 187, 189 f., 192 Hostal de los Reyes Católicos, Hospital-21 Kathedrale-107, 109-112, 117, 122 Puerta del Camino (Porta Francigena)-111 Santa Susana, Kirche-112 Santi Buglioni, Bildhauer (†-1576)-167 f. Santo Domingo de la Calzada (Spanien)-158, 174, 188 Sar, Fluss-109, 111 Sara, bibl. Gestalt-164 f. Sarela, Fluss-109 f. Sarria (Spanien)-189 Scheyern (Deutschland)-33 Benediktinerabtei-33 Schlesien-64 Schmidt, Martin, Künstler (* 1963)-159 ff. Schuman, Robert, frz. Politiker und Mitbegründer der Europäischen Union (†-1963)-32 f. Sebald Rieter d. J., Patrizier aus Nürnberg (†-1488)-67 Sebastian Ilsung, Patrizier und Diplomat aus Augsburg (†-1468)-62 f. Seine, Fluss-87 f. Semur-en-Auxois (Frankreich)-92, 103 Stiftskirche-103 Sevilla (Spanien)-151 Hospital de la Caridad-151 Sizilien-50, 84, 90 Sodom, bibl. Stadt-121 Soissons (Frankreich)-90 Somportpass, Pyrenäenübergang-113, 116 f., 187 Hospital de Santa Cristina-117 Spanien-8, 22, 107, 113, 183 f., 186, 190 f. St. Gallen (Schweiz)-98 Benediktinerabtei-98 St-Gilles (Frankreich)-113, 116 Kirche-110, 113 Stiepel (Deutschland)-33 Zisterzienserkloster-33 St-Jean-Pied-de-Port (Frankreich)-115 St-Léonard-de-Noblat (Frankreich)-110, 113 Kirche-, 113 St-Michel-Pied-de-Port (Frankreich)-115 Register der Orts- und Personennamen 211 <?page no="212"?> Straßburg (Frankreich)-104 Tabgha (Palästina)-32 Priorat-32 Taizé (Frankreich)-37 Tegernsee (Deutschland)-31 Benediktinerabtei-31 Teresa von Kalkutta, hl. (†-1997)-42 Theodulf, Bf. von Orléans (798-813)-21 Thomas Platter d. Ä., Humanist (†-1582)-65 Thomas von Aquin, Theologe († 1274)-28 Tolosa (Spanien)-22 Tonnerre (Frankreich)-90 Torrente Ballester, Gonzalo, Schriftsteller (†-1999)-11, 185 Toulouse (Frankreich)-22, 85, 90 f., 113, 116, 119 f. Hôtel-Dieu St-Jacques-91 Tours (Frankreich)-32, 113, 116 St-Martin, Basilika-110, 113 Trautenau / Trutnov (Polen)-64 Triacastela (Spanien)-26 Trier (Deutschland)-156 Troyes (Frankreich)-100 Tusculum (Italien)-41 Ulrich Brunner, Kanoniker (†-nach 1487)-62 Ulrich von Zell, Benediktiner und Klostergründer (†-1093)-45 Urban II., Papst (1088-1099)-40 ff. Václav Šašek z Bířkova, Junker und Diplomat (†-nach 1467)-62 Valencia (Spanien)-170 Museo de Bellas Artes-170 Valentin von Terni, hl. (†-269)-127 Venedig (Italien)-63, 66-69, 71 f. Verdi, Giuseppe Fortunino Francesco, Komponist (†-1901)-188 Vereinigte Staaten von Amerika-156, 158 Verín (Spanien)-160 Vézelay (Frankreich)-28, 38, 41, 113 Benediktinerabtei-38 Ste-Marie-Madeleine, Basilika-113 Vienne (Frankreich)-38 Villafranca del Bierzo (Spanien)-13 Villalcázar de Sirga (Spanien)-188 Villeneuve (Frankreich)-17, 121 Vinzenz von Paul, hl. (†-1660)-42 Virgen del Camino (Spanien)-189 Vorpommern (Deutschland)-185 Weisser, Gwendolin, Regisseurin (* 1992)-155-158, 161 Wien (Österreich)-154 Steinhof, Heil- und Pflegeanstalt-154 Wild, Albrecht, Künstler (* 1959)-155 f., 161 Wilhelm, Abt von Hirsau (1069-1091)-45 Wilhelm I. der Fromme, Hzg. von Aquitanien (886-918)-38 Wilhelm II., Kaiser des Deutschen Reiches (1888-1918)-31 Wilhelm von Boldensele (†-1339)-62 Wilm Dedecke, Maler (†-1528)-125, 127, 126, 134 f., 137 Zierenberg (Deutschland)-128 Stadtkirche-128 212 Register der Orts- und Personennamen <?page no="213"?> Abkürzungs- und Siglenverzeichnis bibl. biblischer/ e/ es Jh. Jahrhundert Bf. Bischof Kg. König Ebf. Erzbischof Kgn. Königin frz. französischer/ e/ es Ks. Kaiser Gf. Graf n. Chr. nach Christus Gfn. Gräfin päpstl. päpstlicher/ e/ es hl. heiliger/ e/ es v. Chr. vor Christus Hzg. Herzog * Geburtsdatum Hzgn. Herzogin † Todesdatum <?page no="214"?> Jakobus-Studien im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Peter Rückert Bisher sind erschienen: Band 1 Klaus Herbers (Hrsg.) Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte 1988, 175 Seiten, zahlr. Abb. €[D] 19,- ISBN 978-3-8233-4000-3 Band 2 Robert Plötz (Hrsg.) Europäische Wege der Santiago-Pilgerfahrt 2. durchges. Auflage 1993, VIII, 232 Seiten €[D] 23,- ISBN 978-3-8233-4001-0 Band 3 John Williams / Alison Stones (eds.) The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James 1992, XIV, 262 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-4004-1 Band 4 Ursula Ganz-Blättler Andacht und Abenteuer Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320-1520) 3. Auflage 2000, VII, 425 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-8233-4003-4 Band 5 Klaus Herbers / Robert Plötz (Hrsg.) Spiritualität des Pilgerns Kontinuität und Wandel 1993, 152 Seiten €[D] 19,- ISBN 978-3-8233-4005-8 Band 6 Thomas Igor C. Becker Eunate (Navarra): Zwischen Santiago und Jerusalem Eine spätromanische Marienkirche am Jakobsweg 1995, 135 Seiten, zahlr. Abb. €[D] 19,- ISBN 978-3-8233-4006-5 Band 7 Klaus Herbers / Dieter R. Bauer (Hrsg.) Der Jakobuskult in Süddeutschland Kultgeschichte in regionaler und europäischer Perspektive 1995, XIV, 401 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-4007-2 Band 8 Klaus Herbers (Hrsg.) Libellus Sancti Jacobi Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts Ins Deutsche übertragen und kommentiert von Hans-Wilhelm Klein (†) und Klaus Herbers 1997, 150 Seiten, 2., durchges. Aufl. 2018 €[D] 24,90 ISBN 978-3-8233-8215-7 Band 9 Klaus Herbers / Robert Plötz (Hrsg.) Der Jakobuskult in »Kunst« und »Literatur« Zeugnisse in Bild, Monument, Schrift und Ton 1998, XII, 303 Seiten, zahlr. Abb. €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-4009-6 <?page no="215"?> Band 10 Klaus Herbers (Hrsg.) Stadt und Pilger Soziale Gemeinschaften und Heiligenkult 1999, XIV, 248 Seiten, zahlr. Abb. €[D] 24,- ISBN 978-3-8233-4010-2 Band 11 Luís M. Calvo Salgado Die Wunder der Bettlerinnen Krankheits- und Heilungsgeschichten in Burgos und Santo Domingo de la Calzada (1554-1559) 2000, X, 500 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-4011-9 Band 12 Klaus Herbers / Dieter R. Bauer (Hrsg.) Der Jakobuskult in Ostmitteleuropa Austausch - Einflüsse - Wirkungen 2003, X, 387 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-4012-6 Band 13 Robert Plötz / Peter Rückert (Hrsg.) Jakobuskult im Rheinland 2004, VI, 279 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-6038-4 Band 14 Klaus Herbers (Hrsg.) Jakobus und Karl der Große Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin 2003, XVI, 246 Seiten €[D] 29,90 ISBN 978-3-8233-6018-6 Band 15 Hedwig Röckelein (Hrsg.) Der Kult des Apostels Jakobus d.Ä. in norddeutschen Hansestädten 2005, 261 Seiten €[D] 42,- ISBN 978-3-8233-6039-1 Band 16 Klaus Herbers (Hrsg.) Die oberdeutschen Reichsstädte und ihre Heiligenkulte Tradition und Ausprägung zwischen Stadt, Ritterorden und Reich 2005, XII, 232 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-6192-3 Band 17 Klaus Herbers / Enno Bünz (Hrsg.) Der Jakobuskult in Sachsen 2007, VI, 340 Seiten, zahlr. Abb. €[D] 42,- ISBN 978-3-8233-6332-3 Band 18 Klaus Herbers / Peter Rückert (Hrsg.) Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit Wirtschaft, Kultur und Pilgerfahrten 2009, VI, 256 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 42,- ISBN 978-3-8233-6447-4 Band 19 Klaus Herbers / Peter Rückert (Hrsg.) Pilgerheilige und ihre Memoria 2012, 277 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 42,- ISBN 978-3-8233-6684-3 Band 20 Klaus Herbers / Hartmut Kühne (Hrsg.) Pilgerzeichen - „Pilgerstraßen“ 2013, 212 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 34,- ISBN 978-3-8233-6779-6 Band 21 Volker Honemann / Hedwig Röckelein (Hrsg.) Jakobus und die Anderen Mirakel, Lieder und Reliquien 2015, 258 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 42,- ISBN 978-3-8233-6981-3 <?page no="216"?> Band 22 Robert Plötz / Peter Rückert (Hrsg.) Jakobus in Franken Kult, Kunst und Pilgerverkehr 2018, 244 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-8159-4 Band 23 Hartmut Kühne / Gunhild Roth (Hrsg.) Andacht oder Abenteuer Von der Wilsnackfahrt im Spätmittelalter zu Reiselust und Reisefrust in der Frühen Neuzeit 2020, 376 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8388-8 Band 24 Hartmut Kühne / Christian Popp (Hrsg.) Pilgern zu Wasser und zu Lande 2022, 502 Seiten, zahlr., teils farbige Abb. €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8541-7 Band 25 Klaus Herbers / Peter Rückert (Hrsg.) Pilgern - Heil - Heilung 2023, 221 Seiten, zahlr., farbige Abb. €[D] 38,- ISBN 978-3-381-10131-3 Band 26 Javier Gómez-Montero / Florian Weber (Hrsg.) Gastfreundschaft - Pilgerherbergen - Hospitalwesen 2024, 213 Seiten, zahlr., farbige Abb. €[D] 38,- ISBN 978-3-381-12541-8 <?page no="217"?> ISBN 978-3-381-12541-8 www.narr.de Dieser Tagungsband untersucht Konzepte und Praktiken christlicher Mildtätigkeit sowie der Armen- und Krankenfürsorge im Zusammenhang mit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Vorgestellt werden historische Ausprägungen von Gastfreundschaft am Jakobsweg, wie etwa die monastische (bzw. benediktinische) Aufnahme von Kranken und Fremden oder das Aufkommen von Spitälern und Herbergen in den Randgebieten europäischer Städte im Hochmittelalter. Zudem werden literarische und kunsthistorische Quellen, die diese Thematik behandeln, zusammengestellt und aus ästhetischer wie aus anthropologischer Sicht analysiert. Reichlich bebildert und mit einer Vielzahl an Quellenauszügen unterstützt, wird hier die bis in unsere Zeit währende Bedeutung der Gastfreundschaft am Jakobsweg eindrücklich illustriert. Javier Gómez-Montero, Florian Weber (Hrsg.)