Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch
0512
2025
978-3-3811-2812-9
978-3-3811-2811-2
Gunter Narr Verlag
Zsófia Lelkeshttps://orcid.org/0009-0005-0388-5320
Anna Maja Misiakhttps://orcid.org/0000-0003-2181-2721
10.24053/9783381128129
Das Buch beruht auf dem Unterrichtsalltag in Alphabetisierungskursen mit erwachsenen Migrant:innen und bietet Lehrkräften eine fundierte Einführung in die Fachliteratur. Der theoretische Teil wird mit einer Handreichung für die Praxis erweitert und durch eine Materialiensammlung ergänzt. Die Materialien des neuen Konzeptes basieren auf bewährten Forschungsergebnissen und eigener Unterrichtspraxis. Gedacht als Kopiervorlagen für den Unterricht, eignen sie sich für die Arbeit mit Zweitsprachlernenden auf allen Alphabetisierungsstufen. Die Materialien können lehrwerksunabhängig eingesetzt werden.
https://files.narr.digital/9783381128112/Zusatzmaterial.zip
<?page no="0"?> ISBN 978-3-381-12811-2 aus der Praxis für die Praxis mit Online-Materialien als Kopiervorlagen lehrwerksunabhängig einsetzbar Das Buch beruht auf dem Unterrichtsalltag in Alphabetisierungskursen mit erwachsenen Migrant: innen und bietet Lehrkräften eine fundierte Einführung in die Fachliteratur. Der theoretische Teil wird mit einer Handreichung für die Praxis erweitert und durch eine Materialiensammlung ergänzt. Die Materialien des neuen Konzeptes basieren auf Forschungsergebnissen und eigener Unterrichtspraxis. Gedacht als Kopiervorlagen für den Unterricht, eignen sie sich für die Arbeit mit Zweitsprachlernenden auf allen Alphabetisierungsstufen. Die Materialien können lehrwerksunabhängig eingesetzt werden. Lelkes / Misiak Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch Zsófia Lelkes / Anna Maja Misiak Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch mit Unterrichtsmaterialien online <?page no="1"?> Zusatzmaterial Zu diesem Band gibt es Zusatzmaterialien, die Sie kostenfrei online abrufen können. Erstellen Sie gleich einen persönlichen Account auf unserer eLibrary und erhalten Sie mit Ihrem Gutscheincode kostenfreien Zugriff auf das eBook und die Zusatzmaterialien zum Buch. So geht’s gutschein.narr.digital besuchen den Schritten zum Aktivieren des Gutscheincodes folgen Zusatzmaterialien kostenfrei herunterladen Ihr Gutscheincode zum Zusatzmaterial Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch gRKE-hmxb-K3tT <?page no="3"?> Zsófia Lelkes / Anna Maja Misiak Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch mit Illustrationen von Zofia Laura Misiak <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381128129 © 2025 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Lektorat und Korrektorat: Wulfhard Stahl Druck: Elanders Waiblingen GmbH ISSN 2509-6036 ISBN 978-3-381-12811-2 (Print) ISBN 978-3-381-12812-9 (ePDF) ISBN 978-3-381-12813-6 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Dr. Zsófia Lelkes ist Germanistin und Theaterwissenschaftlerin, Kurslei‐ terin DaF / DaZ und Alphabetisierung. Sie leitet die Sprachschule LernPunkt der Heilsarmee in Bern. Dr. Anna Maja Misiak ist Germanistin und Kunsthistorikerin. Sie unter‐ richtet DaF / DaZ, Alphabetisierung und Grundkompetenzen im LernPunkt der Heilsarmee in Bern. <?page no="7"?> 9 1 11 1.1 11 1.2 13 2 23 2.1 23 2.2 30 3 41 3.1 41 3.2 44 4 51 4.1 51 4.2 60 5 65 5.1 65 5.2 70 6 77 6.1 77 6.2 80 7 85 7.1 85 7.2 92 Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ebenen des Nicht-Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterrichtssituation in der DaZ-Alphabetisierung . . . . . . . Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedächtnis und Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lese- und Schreibmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das deutsche Schriftsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden des Schriftspracherwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Tlfn zu Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen . . Fehlerkorrektur und Portfolioarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen in der Alphabetisierungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernerautonomie und Lerntechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivation und Emotionen: lernen wollen versus lernen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Curricula und Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materialien für die DaZ-Alphabetisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen zu den Online-Materialien . . . . . . . . . . . . . . Handreichungen für die Unterrichtspraxis- . . . . . . . . . . . . . <?page no="8"?> 121 123 132 135 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Einführung Dieses Starter-Buch richtet sich an alle Personen, die in die DaZ-Alphabe‐ tisierung mit Erwachsenen einsteigen möchten, und an Lehrkräfte, die Lernende mit Leseund/ oder Schreibschwierigkeiten fördern oder Personen mit Lese- und Schreibblockaden gezielt methodisch begleiten. Lesen und Schreiben zu lernen ermöglicht Erwachsenen die soziale und kulturelle Teilhabe am schriftdominierten Alltag. Für viele, die diese Kompetenzen erstmals erwerben, bedeutet die Alphabetisierung zudem den Übergang zu einer neuen Art der Wahrnehmung. Lesenlernen erfordert, abstrakte visuelle Zeichen miteinander und mit Lauten zu kombinieren sowie diese Fähigkeit als notwendige Basis fürs Denken und Verstehen zu automatisieren. Schreibenlernen erfordert dasselbe sowie feinmotorische Fertigkeiten, die das sinnstiftende Festhalten von Strichen, Kreisen und Halbkreisen in einem linearen Ablauf auf einem Blatt ermöglichen. Der Schriftspracherwerb in einer Fremdsprache ist für Erst- und Zweit‐ schriftlernende eine Herausforderung, da sie ihre auditiven und, je nach Muttersprache, visuellen Wahrnehmungskanäle neu ausrichten müssen. Nicht nur Laute, die sie ihrem muttersprachlichen Muster getreu bisher auszublenden lernten, gewinnen plötzlich an Wichtigkeit; geprägt werden müssen neue grammatische und semantische Paradigmen wie auch ein aktiver Wortschatz als Basis aller Lernprozesse. Erläuterungen zu hermeneutischen Schichten des Nicht-Verstehens in der DaZ-Alphabetisierung (Kapitel 1) sowie zu neurobiologischen und kog‐ nitionspsychologischen Grundlagen der Schriftsprachaneignung (Kapitel 2) gehen dem praxisorientierten Überblick zu den Eigenschaften und Metho‐ den des DaZ-Schrifterwerbs (Kapitel 3) voraus. Einen alltagsnahen und mit Tipps versehenen Einblick in den DaZ-Alphabetisierungsunterricht geben Kapitel 4 und 5; Kapitel 6 skizziert einen größeren curricular bestimmten Rahmen. Online-Materialiensammlung Auf https: / / files.narr.digital/ 9783381128112/ Zusatzmaterial.pdf finden Sie Kopiervorlagen, die lehrwerkunabhängig auf allen Stufen der DaZ-Alphabetisierung eingesetzt werden können. Die Materialien wer‐ <?page no="10"?> den in zwei unterschiedlichen Fassungen für Deutschland / Österreich und für die Schweiz zur Verfügung gestellt. Einer Beschreibung der Online-Materialien (Kapitel 7.1) folgen Handreichungen zu einzelnen Kopiervorlagen für Aufgabenset 1 der Stufe 1 (Kapitel 7.2), konzipiert als Einstieg in die Unterrichtspraxis. 10 Einführung <?page no="11"?> 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens 1.1 Unterrichtssituation in der DaZ-Alphabetisierung In einer fremden Sprache eine unbekannte Schriftsprache zu erlernen gleicht dem Betreten und Erforschen von Neuland ohne Vorbereitung und geeigne‐ tes Werkzeug. Einerseits können die Teilnehmenden in Alphabetisierungs‐ kursen in der Regel Deutsch nicht verstehen und sprechen, andererseits sind sie mit dem Medium Schrift ungenügend oder gar nicht vertraut (fehlendes technisches Wissen), zudem kennen sie kulturbedingte sprachliche Situatio‐ nen nicht (fehlendes Handlungswissen). Sie sind gehalten, gleichzeitig zwei miteinander verwobene Sprachsysteme zu entschlüsseln: das mündliche und das schriftliche Deutsch. Das Lernen einer Fremdsprache bedeutet die Aneignung einer stark normgeleiteten Schriftsprache. Der Unterschied zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch ist herausfordernd, da das Gesprochene viele Varietäten aufweist, die sich in Syntax und Morphologie sowie auf der Phonemebene von der normgeleiteten Standardsprache unterscheiden. Im Schrifterwerb werden Lernende damit konfrontiert, dass das dialektal und umgangssprachlich gefärbte Gehörte dem Geschriebenen nicht entspricht. Sie müssen Ausdrücke der Alltagssprache revidieren und durch schrift‐ sprachliche ersetzen. Sprachenlernen kann, im Sinne von Dietrich Krusches hermeneutischer Erklärung, als das Erfahren von Unbekanntem und Unüb‐ lichem gedeutet werden (Krusche 1985, 44). Laut Pakos und Akhmadeeva (2016, 91) determiniert die Herkunft der Lernenden die Fähigkeit, bestimmte Phoneme zu differenzieren und zu erkennen. Im Fremdsprachenunterricht vergleichen sie fremde Phoneme mit muttersprachlich ähnlichen - ähnlich <?page no="12"?> heißt aber nicht gleich. Solche Vergleiche führen oft zu falschen Hypothesen und Generalisierungen. In der Klassensituation der Alphabetisierung erwachsener Zweitsprach‐ lernender (in der Fachsprache als L2-Lernende bezeichnet) sind im besten Fall mehrere Sprachen vertreten, ohne dass Personen mit derselben Mutter‐ sprache dominieren. In dieser für die Lernsituation günstigen Konstellation fehlt den Lehrkräften die Kenntnis der in der Klasse vertretenen verschie‐ denen Sprach- und Schriftkonventionen. Im Alphabetisierungsunterricht entsteht oft der Eindruck, dass Kursteilnehmende das Medium Schrift unter wesensverschiedenen Konditionen zu gebrauchen gewohnt sind: Ihre Textnachrichten sind häufig konzeptionell mündlich oder Mischformen mündlicher und schriftlicher Kommunikation (siehe Kapitel 1.2). In der Regel sind ihnen Prinzipien der Textgestaltung (Planen, Schreiben, Revi‐ dieren) unbekannt. Die meisten L2-Lernenden greifen bevorzugt auf das ihnen Bekannte zurück, d. h. auf muttersprachliche Normen, Textstruktu‐ ren und Textkohäsion konstruierende Sprachmittel, ohne sich näher mit dem Fremden zu beschäftigen. So entstehen der Lehrkraft unverständliche Produkte - Texte oder Dialoge, die einen Versuch darstellen, sich auf Deutsch mit Hilfe vertrauter, abrufbarer Muster auszudrücken. Wer in den Alphabetisierungskursen für erwachsene Migrantinnen und Migranten unterrichtet, muss sich daher die Unmöglichkeit des Verstehens anderer Kulturen bewusst machen. Man hat in einer gewöhnlichen Kurssituation mit Menschen zu tun, die in unterschiedlichen Sprachen sozialisiert wurden, aus einem breiten Spektrum soziokultureller Umgebungen kommen und in für die Lehrperson fremden kulturellen Praktiken geübt sind. Der Kursraum ist der Ort des Nicht-Verstehens, im besten Fall des zwischen Kursteilnehmen‐ den und -leitenden gemeinsamen Verstehen-Wollens. Er ist zugleich aber ein Ort, an dem Missverständnisse so weit wie möglich der Klärung bedürfen, in einem Lernprozess, der in einer den meisten Beteiligten unbekannten Sprache verläuft. Bevor man mit der praktischen Alphabetisierungsarbeit beginnt, ist es daher ratsam, sich mit der Komplexität des (Nicht-)Verstehens auseinanderzusetzen. Hermeneutiker wie Bernhard Waldenfels definieren das Fremde aus so‐ ziologischer Sicht als die Nicht-Zugehörigkeit, als Distanz zu einer Gruppe; kulturelle Fremdheit bedeute daher Handlungssituationen, denen unser Wissensstand nicht gewachsen sei (Waldenfels 1998, 14). Der Fremdspra‐ chenunterricht lässt sich demnach als Transfer für Wissen auffassen, das nötig ist, um handlungsorientiert zu agieren. Wie kommt aber der Transfer 12 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="13"?> zustande: durch Vermittlung oder Übersetzung? Letztere bezieht sich nicht nur auf Wörter in der Fremd- und Muttersprache, sondern auch auf die jeweilige Situation, auf Artikulationsprobleme und Kulturtechniken. Nach Homi K. Bhabha (2010, 234 f., 244 f.) ist Übersetzung als Eins-zu-eins-Repro‐ duktion einer originalen Idee unmöglich, denn bei jeder Übersetzung gebe es Fehler, Missinterpretationen oder nichtoptimale Lösungen. Übersetzen ist nach Bhabha die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur und mit Interpretationen. Abb. 1: Umfang der Alphabetisierungsarbeit mit fremdsprachigen Erwachsenen 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens L2-Lernende haben in Alphabetisierungskursen mit einem vielschichtigen hermeneutischen Problem des Fremden zu tun: Schriftsprachaneignung in einer fremden Sprache. Meist fehlt die Erfahrung vom Ent‐ decken des Fremden (Schriftsprache) in der Muttersprache. 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens 13 <?page no="14"?> Lateinische Schriftsprache als unbe‐ kannte Kulturtechnik. Was höre ich? Wie schreibe ich es? Deutsch als das Unbekannte im konzep‐ tionell mündlichen Bereich (Sprachregis‐ ter). Wie spreche ich angemessen in der gegebenen Situation? Deutsch als das Unbekannte im konzep‐ tionell schriftlichen Bereich (Textkon‐ ventionen, Textkohäsion). Wofür benutze ich die Schrift? Fremde Textschemata als gedankliche Herausforderung. Unkenntnis des Hand‐ lungsablaufs. Was soll ich in einer gegebenen Si‐ tuation tun? Fremdes Lernsetting (fehlende Kennt‐ nisse der Metasprache, andere Vorstel‐ lung von der Aufgabenaufteilung zwi‐ schen Lernenden und Lehrenden und von der Evaluation eines Lernprozesses). Lernsituation und vorausgesetzte Lernkonzepte entsprechen nicht dem, womit ich umzugehen weiß oder ggf. bereits Schulerfolge er‐ zielte. Unterschiedliche Auffassungen der Lehrkräfte und der Lernenden von dem, was Schule ist, führen oft zu Kategorisierungen wie „lern(un)gewohnt“ oder „schul(un)gewohnt“. Missverstehen resultiert laut kulturwissenschaftlichen Theorien aus dem Verstehen-Wollen von etwas Unbekanntem, dem Interpretieren. Das reicht jedoch zur Erklärung des Miss- oder Nicht-Verständnisses in einer Unter‐ richtssituation nicht aus. Lernende und Lehrende einer (Zweit-)Schriftspra‐ che haben die Aufgabe, ihr Wissen über die jeweils eigenen Herkunfts- und Ankunftskulturen zu reflektieren und, wenn nötig, zu korrigieren. Dies setzt ein bewusstes Wahrnehmen von fremden Phänomenen voraus. Unklar bleibt dabei, warum manche Phänomene einer Fremdsprache oft nicht einmal wahrgenommen werden. Ein gängiges Beispiel für das Nicht-Verstehen bzw. Nicht-Wahrneh‐ men-Können aus der Praxis der Alphabetisierung sind Artikulations- und Unterscheidungsprobleme vokalischer Phoneme. Für die meisten Deutsch‐ lernenden bereitet die Unterscheidung zwischen / ø/ und / o/ wie in den Worten „schön“ [ʃøːn] und „schon“ [ˈʃoːn]; bzw. zwischen <u> / u/ und <ü> / ʏ/ wie in den Worten „Kuchen“ [ˈkuːxn̩] und „Küche“ [ˈkʏçə] Probleme. Einerseits verleitet das Schriftbild zu falschen Folgerungen, andererseits fehlen diese Laute in vielen Sprachen wie im Italienischen, Portugiesischen oder im Persischen. Je nach Herkunftsland verschieben sich die Ausspra‐ 14 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="15"?> cheprobleme. Kursteilnehmende z. B. mit kurdischer Muttersprache können nur mit Mühe und trotz intensiven visuellen und auditiven Trainings / o/ in „kochen“ und / u/ in „Kuchen“ bzw. / e/ „essen“ und / i/ „isst“ nur dann unter‐ scheiden, wenn sie Wortbilder im Gedächtnis im Detail speichern können. Auch in der Muttersprache alphabetisierte Lernende können trotz visueller Anleitung (unterschiedliche Buchstaben; Abbildung von Mund- und Lip‐ penartikulation) die Lautbildung von / o/ und / u/ nicht mit Sicherheit und intuitiv unterscheiden. Eine mögliche Erklärung dafür lautet: Das unbekannte Phonem wird durch ein bekanntes oder/ und ähnliches ersetzt - ein Akt der sogenannten Substitution. In unserem Beispiel sind / o/ und / u/ bzw. / e/ und / i/ jeweils zwei sehr ähnlich klingende Phoneme, die ähnlich gebildet werden und wo‐ von jeweils eines den Lernenden bereits bekannt ist. Laut strukturalistischer Linguistik gibt es auf der phonologischen Ebene Regelmäßigkeiten bei Sub‐ stitutionen, d. h. ein phonologisches Merkmal oder mehrere entfallen, an‐ dere bleiben. Genauer gesagt: In unserem Beispiel wird die Unterscheidung „close“ - „close-mid“ - „open“ zwischen den velaren, gerundeten hinteren Vokalen / o/ (back, close-mid) und / u/ (back, close) bewusst oder unbewusst zwar wahrgenommen, kann jedoch mündlich nicht reproduziert werden; folglich wird sie jeweils mit dem bekannten gerundetem / o/ wiedergegeben. Wenn die Artikulationsunterschiede doch in unserer unbewussten Wahr‐ nehmung existieren, warum hapert es dann in der Unterrichtspraxis? Die Antwort aus didaktischer Sicht heißt: Weil man unterscheidende phonologi‐ sche Merkmale (hier close - close-mid - open) nicht ausmachen kann. Daher sollten diese auf dem Papier oder anhand der Mundbewegungen hervorge‐ hoben werden. Grundsätzlich bleibt aber das Wesentliche ungeklärt: Wird der Vokal / u/ als fremd oder als unbekannt oder gar nicht wahrgenommen? Ist die Wahrnehmung von Unbekanntem nur dank der Vermittlung im Fremdsprachunterricht möglich? Viele der methodischen Grundideen zur Schulung der Wahrnehmung, wie z. B. die Anlautmethode, stützen sich auf Erfahrungen und Forschungs‐ ergebnisse mit Kindern. Letztere zeigen (z. B. Pakos/ Akhmadeeva 2016, 91), dass Alter und Herkunft der Lernenden eine wesentliche Rolle beim Ausspracheunterricht in jeder Fremdsprache spielen; sie determinieren den Prozess der Distinktion fremder Laute (d. h. solcher, die im muttersprachli‐ chen Lautsystem nicht vorkommen) und des Generierens, d. h. der Fähigkeit, diese Laute zu reproduzieren. Mehrsprachige Kinder können zunächst nur die phonologischen Elemente in der Zweitsprache wahrnehmen, die auch 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens 15 <?page no="16"?> in ihrer Muttersprache vorhanden sind (vgl. Jeuk 2018, 53). Mit anderen Worten: Im Spracherwerbsprozess der Kinder soll in der ersten Phase die Identifizierung des Bekannten im Vordergrund stehen, erst dann folgt die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten. In der gesprochenen Sprache lassen sich Laute, Melodie, Prosodie nicht assoziationsfrei wahrnehmen. Eine unbekannte Sprache nimmt man zu‐ nächst als abstrakten Lautstrom wahr. Um diesen zu segmentieren und zu entschlüsseln, hat man weder ein geschultes Ohr noch ein minimales Wissen über die sprachlichen Regelmäßigkeiten (vgl. Beller/ Bender 2010, 178-181). Dazu kommt, dass sich aus bloßen Lauten und Regeln keine oder nur wenige Bedeutungen erschließen lassen; man muss gleichzeitig über einen minimalen Wortschatz verfügen und diesen aktiv und gekonnt in diversen Situationen anwenden. Im optimalen Fall werden Laute von geübten Zuhö‐ renden aus demselben Sprachraum automatisch im Kontext entziffert und rufen die intendierte Vorstellung hervor. Die ideale in Abb. 2a gezeichnete Sprechsituation ist im Alphabetisierungsunterricht mit Erwachsenen ohne Sprachkenntnisse kaum möglich. Abb. 2: Situationen des Verstehens im Sprachkurs (nach Schnitzler 2008, S.-8) Lernende haben auch kein implizites Wissen über die unterrichtete Schrift‐ sprache. Die laut Fachpersonen für die Schriftsprachenaneignung nötige phonologische Bewusstheit (dazu mehr im Kapitel 4.1) muss am Anfang mit geringstem Sprachmaterial aufgebaut werden. Eine im Sinne der phonolo‐ gischen Bewusstheit ideale, in Abb. 2b gezeigte Reaktion auf das Gehörte findet daher in der DaZ-Alphabetisierung nie oder nur sehr selten statt. Um die Lautstrukturen zu fokussieren, braucht man hier einen Quereinstieg, eine Balance zwischen empirischem Erkunden und theoretischem Wissen. 16 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="17"?> Neue Zugänge zum Formalen der Sprache, die auch das Inhaltliche mittra‐ gen, sind vonnöten. Die Unterrichtsrealität in der DaZ-Alphabetisierung besteht wesentlich aus Situationen des Nicht-Verstehens. Auch wenn Wörter korrekt herausge‐ hört werden, fehlt den Lernenden die Kenntnis der Kontexte und Konven‐ tionen, um den vermittelten Sinn zu entschlüsseln. Bis die transportierten Inhalte erklärt werden, bleibt das Gehörte ein Klangknäuel (Abb. 3a). Oft kommt es auch vor, dass die Lernenden aus dem für ihre Ohren fremden Lautstrom nicht das entziffern, was sie hören, sondern das, was sie zu hören glauben (Abb. 3b). Das ergibt sich aus dem, was und wie sie wahrnehmen können. Wer „Hut“ als „gut“ verstanden hat, bleibt bei diesem Inhalt und fragt nicht mehr nach. Daher ist es im DaZ-Alphabetisierungsunterricht äußerst wichtig, dass die Lehrperson immer mitbedenkt, dass sie a priori nicht verstanden wird. Daraus folgt in der Praxis die Notwendigkeit, das (Nicht-)Verständnis immer wieder zu überprüfen. Erstens: Es gibt keine „einfachen“, international gebräuchlichen Wörter, die alle verstehen. Auch „Situation“ oder „sympathisch“ müssen kontextuell geklärt werden. Zweitens: Viele neue Wörter enthalten einen „vertrauten“ Kern, was zu Missverständnissen geradezu einlädt, wie im Fall von „gehören“ vs. „hören“. Abb. 3: Situationen des Nicht-Verstehens im Sprachkurs Sprachen zu unterrichten heißt, die Grenzen der Sprache, die Wittgenstein (2003, 86) so markant mit den Grenzen der jedem Individuum eigenen Welt gleichsetzte, auszudehnen und zu überschreiten. Lehrkräfte sind gehalten, die phonetischen Grenzen der Lernenden nicht zu akzeptieren und sie dadurch zur Wahrnehmung und (aktiven) Anwendung des Unbekannten zu zwingen. Dazu gehören nebst unbekannten Phonemen, Morphemen, syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen der Sprache auch 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens 17 <?page no="18"?> neue Lerntechniken oder Methoden des Spracherwerbs sowie fremde Kon‐ zepte von Sprachhandlungen. Die meisten Lehrwerke, die sich an die im Deutschen zu alphabetisierenden Erwachsenen richten, gehen von den häufigsten Graphemen des Deutschen aus und sollen durch unterschiedliche methodische Konzepte (siehe Kapitel 3.2) zur Erweiterung des zielsprach‐ lichen Lautinventars führen. Für L2-Lernende ist dabei eine Erkenntnis wichtig: Die Beherrschung der Schrift allein genügt nicht zum Textverständ‐ nis; es braucht eine Übersetzung aus dem Schriftlichen ins Mündliche und eine Beschäftigung mit Unbekanntem. Fremdsprachige Erwachsene lernen mit unterschiedlichen Kompetenz- und Kenntnisprofilen in einer Gruppe oder Klasse. Die Rahmenbedingungen in der fremdsprachlichen Alphabetisierung erlauben in den allermeisten Fällen nicht, primäre und sekundäre Analphabeten, Erst- und Zweitschrift‐ lernende in getrennten Gruppen zu fördern. Auch ist keine gemeinsame Vermittlungs- oder Unterrichtssprache gegeben, auf die Lehrkräfte zurück‐ greifen können, um vorhandene Schriftkenntnisse, Lese- und Schreibstra‐ tegien und Kenntnisse von Konventionen zu erkennen. Sowohl die Unter‐ richtssprache als auch die Kompetenzprofile müssen im Unterricht, d. h. während der Alphabetisierungsprozesse mit den Lernenden erarbeitet wer‐ den. Die Alphabetisierungsklasse ist nie homogen. Zaghaftes Vorankommen im Schrifterwerb der Zielsprache kann oft darauf zurückgeführt werden, dass Lernende aus soziokulturellen Kontexten mit vorherrschender Münd‐ lichkeit kommen, weshalb sie bisher nur wenig oder keine Berührung mit dem Medium Schrift hatten. Grundsätzlich bildet daher, methoden- und lehrwerkunabhängig, die gesprochene Sprache die Ausgangsbasis für den Lernprozess (vgl. Bachtsevanidis 2022, 119). Auf der Mündlichkeit aufbau‐ end, sollte der Alphabetisierungsunterricht Lernende in die Komplexität der Schriftlichkeit einführen. In der Geschichte der Sprachwissenschaften änderte sich die Auffassung über das Verhältnis von Schrift- und gesprochener Sprache. Die Schrift‐ sprache wurde nicht selten priorisiert, auch weil in ihr Regelmäßigkeiten ausgeprägt sind. Dank der Forschung zu angewandter Linguistik und So‐ ziolinguistik rückte der mündliche Charakter der Sprache wieder in den Vordergrund. Eine sehr gute Analyse dieser Neubewertung lieferte Walther J. Ong (1987, 13-17). Sein Vergleich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, der sowohl für die Literaturals auch für die linguistische Forschung maßgebend war, lässt sich wie folgt zusammenfassen: 18 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="19"?> Mündlichkeit Schriftlichkeit flüchtig in Raum und Zeit dauerhaft in Raum und Zeit zyklisch wiederkehrend linear - je nach Kulturkreis von links nach rechts, von rechts nach links, von oben nach unten paralleler Klang möglich Paralleles kann visuell nicht gleichzeitig wiedergegeben werden aggregativ - Formeln, Bündel von Einheiten und additiv - Teile werden z. B. häufig mit „und“ verbunden analytisch und subordinierend; Schrift ermöglicht: • Zurückblicken (zurückblättern im Buch) • Zerlegen (von Sätzen und ihrer Be‐ deutung) • Strukturieren (zeitlich und logisch) wiederholend und nachahmend, Kontinuität voraussetzend individuell (Original vs. Plagiat) situativ und nah, unmittelbar mit dem Publikum interagierend abstrakt und distanziert entfernt vom Publikum subjektiv und einfühlend objektiv Gegenwartsirrelevantes entfällt Wissen, auch irrelevantes, wird bewahrt Auch wenn Mündlichkeit in der heutigen Sprachförderung Priorität genießt, fällt es Lehrpersonen, die selbst versierte Lesende sind, besonders am Anfang ihrer Unterrichtspraxis schwer, sich vorzustellen, wie eine primär mündliche Kultur funktioniert; eine Kultur, in der man sich nur auf Klang verlässt, keine visuellen Zeichen (auch keine Piktogramme oder die im Evaluationsprozess so beliebten Emoticons) kennt und weder digital noch analog etwas nachschlägt. Sprachliche Handlungen sind flüchtig, denn Laute existieren nur im Moment, in dem sie entstehen, Schrift hingegen überdauert diesen und kann Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte später gelesen werden. Mündliche Kulturen besitzen keine Textarchive (Wörterbücher, Regelwerke, Tabellen oder Inserate). Sie bedürfen der Kommunikation und setzen mnemotechnische Muster voraus für ihre Wissensvermittlung und -überlieferung sowie für das Konstruieren eines kollektiven Gedächtnisses (vgl. Assmann 2011, 62-66). Solche Muster können Reime (Alliteration, Assonanz), formelhafte Ausdrücke („es war einmal“), Wiederholungen (z. B. 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens 19 <?page no="20"?> Refrains in Liedern, wiederkehrende Beschreibungen in Erzählungen) und standardisierte thematische Anordnungen sein. Seit den 1990er Jahren geht man in der Forschung weniger von der Gegenüberstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und mehr von epochenspezifischen Mischformen aus. Auch die Praxis unterstützt die Annahme von Mischformen. Die an den DaZ-Alphabetisierungskursen Teil‐ nehmenden stammen meistens aus mündlich dominierten soziokulturellen Umgebungen. Nicht selten handelt es sich um Personen, die bereits in ihrer ersten Sprache alphabetisiert wurden, aber Schrift nicht für sprachliche Handlungen benutzen, oder um solche, die noch in keiner Sprache alphabeti‐ siert wurden, obwohl ihre Muttersprachen eine Schriftsprache vorweisen. In diesem Sinne entsprechen die Kulturen der Heimatländer nicht vollständig den bei Ong so plastisch beschriebenen primär mündlichen oder schriftli‐ chen Kulturen. Sprache und Schrift stehen im Umfeld der L2-Lernenden in einem bestimmten Verhältnis zueinander, das ihnen aber im Wesentlichen fremd geblieben ist. Das heißt, dass solche Lernende Schwierigkeiten haben werden, wenn sie sich Sprache als lineares Kontinuum (von regelgetreu aneinandergereihten Worten und Sätzen sowie von Lauten) vorstellen müs‐ sen. Trotz phonologischer Sensibilisierung (Anlaut- und Auslauttraining) werden sie sich wohl erst im Akt des Schreibens die Linearität der Schrift‐ sprache verbildlichen können. Ohne Zweifel sind auch die mnemotechni‐ schen und sprachstrukturellen Unterschiede von Bedeutung, vor allem, wenn wir im hermeneutischen Sinne davon ausgehen, dass Schriftlernende beim Verstehen auf bereits eingeübte Konzepte zurückgreifen. Wenn die hermeneutische Annahme und Ongs Beschreibung mündlicher Kulturen zutreffend sind, können Anlaut- und Auslautreime (Alliteration in Form von Leseteppichen; Assonanzen in Form von Wortketten wie Fisch-Tisch, oder Hose-Dose-Rose) den Schrifterwerb mnemotechnisch tatsächlich entlasten. Schriftlichkeit und Mündlichkeit lassen sich als Kontinuum auffassen, denn es ist durchaus möglich, dass ein Mensch mündliche Formen in der Schriftlichkeit verwendet. Dieser Gedanke liegt dem Modell von konzep‐ tionellerSchriftlichkeit bzw. Mündlichkeit zugrunde (Koch/ Oesterreicher 1985). Schriftlichkeit wird hier in Ongs Sinne als Sprache der Distanz, Mündlichkeit als die der Nähe charakterisiert. Demnach unterscheiden sich sprachliche Äußerungen je nachdem, wie sie realisiert werden: lautlich (phonisch), d. h. medial mündlich (Reklamation am Schalter), oder visuell (graphisch), d. h. medial schriftlich (Reklamationsbrief), oder danach, ob 20 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="21"?> den sprachlichen Äußerungen auch verschiedene Konzepte (Vortrag eines Juristen über Reklamation; Beratung eines Nachbarn) zugrunde liegen. Die Buchstabensynthese ist die technische, die Kenntnis der Sprachre‐ gister die soziale Annäherung an Schriftlichkeit. Versierte Lesende und Schreibende können nicht nur die Technik der Buchstabensynthese anwen‐ den, sondern benutzen souverän ein der Situation und dem verwendeten Medium angemessenes Register schriftlicher und mündlicher Kommunika‐ tion. Die Überforderung mit schriftsprachlichen Konzepten zeigt sich oft im fehlenden Verständnis der Aufgabenstellung. Lernende produzieren zwar Schriftstücke, in denen sich jedoch nur ihre eigene inhaltliche Orientie‐ rungslosigkeit offenbart (Abb. 4). Das geforderte Agieren in einer Als-ob- Situation, auf dem jeder Fremdsprachenunterricht basiert, wird hier nicht erfüllt, da die/ der Schreibende nicht imstande ist, sich in eine imaginierte Situation hineinzuversetzen und nach vorgegebenem Schema zu handeln oder das Vorgegebene zu variieren. Abb. 4: Fehlende Konzeptkenntnisse der Schriftsprache Die anfängliche Auffassung der Sprachwissenschaften, dass Schrift die einfa‐ che visuelle Wiedergabe der mündlichen Kommunikation sei, also zwischen 1.2 Individuelle Ebenen des Nicht-Verstehens 21 <?page no="22"?> Schrift und mündlicher Sprache eine bloß abbildende Beziehung vorherrsche, ist nicht zu halten. Wir schreiben nicht, wie wir sprechen. Einerseits kann ein Laut auf verschiedene Weise abgebildet werden („Mai“, „mein“, „Mayer“), andererseits greift Schriftdeutsch oft auf andere Lexiken und normgeleitete grammatische Lösungen zurück als Gesprochenes (additiv vs. subordinierend). Was Schrift kann bzw. nicht kann, wird erst vor dem Hintergrund traditioneller Gedächtniskulturen sichtbar. Mit ihr geht einerseits das Sinnliche verloren. Körperliche Mnemotechniken werden durch eine unsinnliche Schriftsprache abgelöst: Rhythmik, Tempo, Lautstärke, Frequenzen, körperlich vermittelte Eindrücke und Gefühle werden auf einen visuellen Reiz reduziert und müssen wieder mit Inhalten gefüllt werden. Der schriftlich fixierte Text ist unabhängig von seiner Aufführung und muss nicht wiederholt vorgetragen werden, damit man sich an ihn erinnert. Sofern das Gesprochene als Text materiell fixiert ist, kann es aus dem Archiv zurückgeholt und wiedergelesen werden. Das Mediale der Schrift, die Konzepte der Schriftsprache wirken sich auch auf die Sprachhandlung aus: „Medien übertragen nicht einfach Botschaften, sondern entfalten eine Wirkkraft, welche die Modalitäten unseres Denkens, Wahr‐ nehmens, Erfahrens, Erinnerns und Kommunizierens prägt.“ (Krämer 1998, 14). Der Übergang von der gesprochenen zur Schriftsprache bedeutet einen Systemwechsel. Die Benutzung der Schriftsprache erfordert neue Zugänge zu Situationen, andere als die, die Lernende dank ihrer oralen Erfahrung kennen. Sprechend befinden sie sich in einer dynamischen Situation, von der sie mitgetragen werden; schreibend hingegen müssen sie die Situation aus intellektueller Kraft von Anfang an selbst erschaffen. Dieser Wechsel bedeutet den Gewinn einer neuen Autonomie: Anhand einfacher graphischer Zeichen materialisiert und fixiert man Äußerungen zu Wörtern, Sätzen und Texten, die später eine autorunabhängige Existenz führen können (vgl. Wygotski 1972, 226; Stetter 2003, 16, 19f.). Leseempfehlung Dehaene 2010 ist eine fesselnde Studie über das Lesen als Kulturtechnik und darüber, wie das Lesenlernen die menschliche Wahrnehmung verändert. Ong 1987 gilt als Basis für moderne Diskurse über Oralität vs. Literalität und erweitert grundlegend den Horizont für angehende Alphabetisierungslehrkräfte. Koch/ Oesterreicher 1985 ist betreffend Nähe-Distanz-Modell Pflichtlektüre. 22 1 Die Ebenen des Nicht-Verstehens <?page no="23"?> 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Gedächtnis und Aufmerksamkeit Lernende, die sich eine auf der lateinischen Schrift basierende Schriftsprache aneignen, beschäftigen sich zuerst intensiv mit den kleinen und großen Buchstaben; für das ungeübte Auge sehen sie sehr ähnlich aus, denn diese geometrischen Figuren bestehen aus bestimmten Kombinationen von Linie, Kreis und Halbkreis. Sind die Buchstaben bereits gespeichert und können einzeln erkannt und mit einem Laut verbunden werden, ist der erste wichtige, aber zugleich kleinste Schritt auf dem Literarisierungsweg gemacht. Literarisiert ist man nämlich nicht, wenn man die Buchstaben benennen kann, sondern, wenn man Strategien der Buchstabensynthese entwickelt und internalisiert und die Figuren so schnell und gekonnt multisensorisch (d. h. Graphem und Phonem verbindend) kombiniert, dass aus dem Gelesenen Inhalte erschlossen werden können. Das passiert erst dann, wenn die Lernenden einen hohen Grad an Routine erreichen und ihr Arbeitsgedächtnis dank stark automatisierter Abläufe entlastet wird (vgl. Andresen 1985, 2-5). Bis die Kompetenz von Lesen und Schreiben als angeeignet bezeichnet werden kann, ist es wichtig, kognitive Prozesse beim Lernen vielschichtig zu verstärken, d. h. Informationen durch haptische, vi‐ suelle, auditive, graphomotorische und kinästhetisch-artikulatorische Ver‐ arbeitungskanäle aufzunehmen und zu verinnerlichen. Der Lehrperson in den DaZ-Alphabetisierungskursen sollte bewusst sein, dass Literarisierung das Umgestalten neuronaler Verbindungen und Hirnfunktionen bedeutet, insbesondere bei den Primäranalphabeten. Die Schriftaneignung löst jah‐ relange psychophysiologische Prozesse aus, für deren Bezeichnung Stani‐ <?page no="24"?> las Dehaene die Hypothese vom neuronalen Recycling entwickelte. Die ursprünglich für visuelle Wahrnehmung und für die Sprachverarbeitung zuständigen Gehirnareale werden teilweise für die neue Kompetenz gewon‐ nen und spezialisieren sich u. a. auf das Buchstabenerkennen und auf deren Zuordnung zu entsprechenden Lauten (vgl. Dehaene 2010, 16, 162-165, 341; Dehaene 2020, 119-142). Neurowissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass sich die Gehirne von erwachsenen nichtalphabetisierten Menschen von denen der Lesefähigen physiologisch und fähigkeitsbezogen unterscheiden. Nichtalphabetisierte nehmen die Laute ihrer Muttersprache weniger prä‐ zise wahr und haben Schwierigkeiten, Spiegelbilder zu differenzieren oder die Fragmente eines ganzen Bildes (z. B. eines Gesichts) zu fokussieren (Dehaene 2020, 120). Im Leselernprozess verändert sich nicht nur die Funktionsweise des Gehirns im visuellen Cortex, sondern auch in den für die auditorischen und phonologischen Operationen zuständigen Regionen der Hirnrinde. Das Gehirn passt sich dabei an die Sondermerkmale der jeweili‐ gen Alphabetisierungssprache an. Auf neuronaler Ebene nutzen Personen, die Chinesisch, Japanisch oder Arabisch lesen, andere Gruppen neuronaler Verbindungen als diejenigen, die Deutsch oder Englisch lesen (Wolf 2010, 5; Max-Planck-Gesellschaft 2017; Ewert 2023). Bei nichtalphabetisierten Erwachsenen wurden im Vergleich zu Lesekundigen insbesondere bei ge‐ zielter phonologischer Hörleistung abweichende Hirnaktivierungsmuster festgestellt und als problemlösendes Kompensationsverhalten gedeutet. Bewiesen wurde weiterhin, dass bei nichtalphabetisierten Menschen keine funktionelle Spezialisierung im Areal für visuelle Wortformen stattfindet; das ändert sich erst nach intensivem Lesetraining (Landau 2016, 51-53). Das Gehirn entwickelt im Literarisierungsprozess nicht nur neue Quali‐ täten, sondern nimmt am Unterricht teil; je gezielter und umfassender es dabei aktiviert wird, desto besser sind die Aussichten auf Lernfortschritte. Die zunehmende Leseerfahrung spielt eine große Rolle sowohl für das Lesetempo als auch für das Leseverständnis. Die phonologische Strategie hilft, das Gelesene zu fragmentieren und Annahmen zu kontrollieren; die Leseerfahrung und die Vertrautheit mit den gelesenen Begriffen und Informationsinhalten bestimmen die eingesetzte Strategie. Kompetent lesen wird man erst, wenn man mehrere Strategien zu synthetisieren vermag (Cromley 2005, 189). Auch Gedächtnis- und Aufmerksamkeitskapazitäten steigen im Leselernprozess. Eine alphabetisierte erwachsene Person ist imstande, doppelt so viele Silben für eine kurze Zeit zu behalten wie eine nichtalphabetisierte (Dehaene 2020, XIX). 24 2 Theoretische Grundlagen <?page no="25"?> Die Gehirnforschung unterteilt das Gedächtnis in drei Bereiche: sensori‐ sche Speicher, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis. Durch sensori‐ sche Organe aufgenommene Informationen werden sofort vergessen, wenn sie nicht in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Bewusst wahrgenom‐ men, gelangen sie ins Kurzzeitgedächtnis, und nur dank der Wiederholung werden sie im Langzeitgedächtnis gespeichert. Abb. 5: Klassische Dreiteilung des Gedächtnisses (nach Heidler 2013, 4) Das Langzeitgedächtnis wird in der Forschung unterteilt in das deklarative relationale Gedächtnis und das nichtdeklarative prozedurale Gedächtnis. Das erste ist explizit ausgerichtet und für bewusstes Erinnern verantwort‐ lich; das zweite zeigt sich im Verhalten und ist an keine Erinnerungen gebunden - es ist ein implizites Wahrnehmungs- und Repräsentationssys‐ tem. Das deklarative Gedächtnis ist insbesondere in der Anfangsphase des Lernens wichtig, wenn das Vorwissen aktiviert werden soll. Es wird u. a. in einen semantischen und einen episodischen Speicher unterteilt: Ersterer ist für unser Weltwissen zuständig, dank letzterem haben wir einen situati‐ onsbezogenen Zugriff auf Erinnerungen und Ereignisse. Das prozedurale Gedächtnis hingegen unterstützt das Erlernen motorischer und kognitiver Fertigkeiten, bei denen das Wiederholen zum Verstehen bzw. zum Können führt, wie z. B. Fahrradfahren oder Lesen. Das Langzeitgedächtnis enthält unser linguistisches Wissen als wichtige Ressource für Schreibprozesse: 2.1 Gedächtnis und Aufmerksamkeit 25 <?page no="26"?> Grammatik, Syntax, Rechtschreibung und Wortschatz. Weiterhin sind im Langzeitgedächtnis die Aufgabenschemata, das Wissen über Textsorten und ihre spezifischen Merkmale sowie das für die kommunikative Ange‐ messenheit von Texten wichtige Wissen über Adressaten gespeichert. Das Speichervermögen des Langzeitgedächtnisses wird als sehr groß und als uns unbewusst bezeichnet (vgl. Theodorou 2016, 43-45; Philipp 2019, 25 f.; Rey/ Nieding 2010, 67). Erst die kompetent Lesenden gewinnen Zeit, um im Langzeitgedächtnis gespeichertes Wissen, Lesestrategien, Weltwissen und textinhaltliches Vorwissen zu aktivieren und dadurch Wörter direkt zu erkennen (Gold 2018, 28). Das Kurzzeitgedächtnis, verstärkt durch die kontrollierte Aufmerksam‐ keit, fungiert in der kognitiven Psychologie als Arbeitsgedächtnis. Seine Wichtigkeit ist für das sinnentnehmende Lesen zentral, denn hier muss die erste visuelle Identifikation eines Wortes so lange präsent bleiben, bis alle nötigen Informationen aus dem Langzeitgedächtnis geholt werden. Im Gegensatz zum letzteren funktioniert das Arbeitsgedächtnis bewusst und kann nur eine begrenzte Menge an Informationen gleichzeitig verarbeiten. Auch zeitlich ist es begrenzt: Informationen, die nicht wiederholt werden, verschwinden vom Arbeitsspeicher. Aufgenommen und geliefert werden Informationen durch zwei sogenannte Sklavensysteme: Der visuell-räumliche Notizblock ist für das Aufbewahren und Manipulieren visueller und räumlicher Informationen zuständig; die phonologische Schleife übernimmt das Speichern und Verarbeiten des verbalen Materials und ist zuständig für die zentrale Kontrolle des Sprechens wie auch für die Strukturierung der Handlungen via Verbalisierungen (Heidler 2013, 29; Theodorou 2016, 11; Rey/ Nieding 2010, 68; Wolf 2010, 174). Die Beobachtung, dass sich die Merkspanne der Probanden vergrößert, wenn die Wörter in einer Beziehung zueinanderstehen - also z. B. einen Satz bilden -, führte zur Erweiterung des Arbeitsgedächtnismodells um den episodischen Speicher. Hier werden visuelle und phonologische Infor‐ mationen aufgenommen und zu einem multimodalen Code verarbeitet. Das Arbeitsgedächtnis spielt die Schlüsselrolle in den Schreibprozessen: Die phonologische Schleife ist besonders wichtig für das Verschriftlichen und Revidieren, und der visuell-räumliche Notitzblock stützt die Schreibenden beim Strukturieren ihrer Ideen und beim Planen der Texte (Philipp 2019, 25). 26 2 Theoretische Grundlagen <?page no="27"?> Abb. 6: Das neue Arbeitsgedächtnismodell (nach Baddeley 2002, 421) In einem alternativen Modell wird das Arbeitsgedächtnis als System betrach‐ tet, das sich als Arbeitsraum aktiviert, nachdem der Zugriff auf das Langzeit‐ gedächtnis erfolgte (Oberauer 2002). Die phonologischen Repräsentationen werden im Langzeitgedächtnis als vertraute Muster „erkannt“, bevor sie Zugang zum phonologischen Speicher erhalten. Wiederholen des Gelernten und gezieltes Üben basaler Fertigkeiten be‐ einflussen positiv die neuronale Plastizität. Die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, durch Tätigwerden seine synaptischen Verschaltungen zu verän‐ dern und damit seine eigene Feinstruktur umzubauen, wird grundlegend mit der Lernfähigkeit verbunden (Dehaene 2010, 162 f.). Die Funktion des Arbeitsgedächtnisses wird mit der Lernfähigkeit verknüpft, denn es stellt einen Arbeitsraum für das Empfangen von Informationen zur Verfügung, während andere mentale Aktivitäten ausgeführt werden (Bauer 2015, 59; Bundschuh 2003, 82; Heidler 2013, 101). Im DaZ-Alphabetisierungsunterricht ist eine besonders intensive Ge‐ dächtnisarbeit gefordert. Primäre Analphabeten müssen hier nicht nur den Systemwechsel bewältigen, sondern auch sprachliche Defizite kompen‐ sieren, da sie in der Regel über ein nur geringes aktives L2-Vokabular verfügen, das für das Lesen von großer Bedeutung ist. Nicht nur das lautliche Dekodieren, sondern auch das Hintergrundwissen beeinflussen das Lesetempo und die Klarheit des Entzifferns. Maryanne Wolf beschreibt 2.1 Gedächtnis und Aufmerksamkeit 27 <?page no="28"?> den Alphabetisierungsbeginn wie folgt: „Lesen ergibt sich nie einfach nur so. Kein Wort, keine Idee, keine soziale Routine ist umsonst in den 2000 Tagen, die das Gehirn eines kleinen Kindes auf das Lesenlernen vorbereiten. Es ist alles von Anfang an da - oder auch nicht - und das hat Folgen für die weitere Leseentwicklung“ (Wolf 2010, 128). Im DaZ-Alphabetisierungsunterricht ist von Anfang an vieles nicht da. Abb. 7: Implementierung des Modells von Baddeley (2002) in das konzentrische Arbeits‐ gedächtnismodell von Oberauer (2002) (nach Heidler 2013, 64) Auch für die Zweitschriftlernenden erweist sich die Fremdsprachenschwelle in der Anfangsphase der Schriftaneignung als Hürde, die sie nur mit Mühe und nach langem Training nehmen können. Abb. 8 belegt die Kapazitätsein‐ schränkung des mentalen Arbeitsraums. Gehäufte Fehler ab dem neunten Wort im Diktat sind ein deutliches Erschöpfungszeichen. 28 2 Theoretische Grundlagen <?page no="29"?> 1/ mors e.n 'fj: kre,e • 1 flir�a.g e 1-l J ' tf o.ntwoyteh ' ! , B u yote • puyof te Abb. 8: Fehler als Zeichen für Kapazitätseinschränkung des mentalen Arbeitsraums Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei Menschen, die das Lesen‐ lernen beginnen, erst im Alphabetisierungsprozess die Arbeitsgedächtniska‐ pazität vergrößert und die Aufmerksamkeit auf bestimmte visuelle und auditive Reize stärkt und fokussiert. Entziffernd Lesende brauchen viel mehr Energie und Zeit als flüssig Lesende, denn sie nutzen den indirekten Weg (dorsale Route), um Wörter zu erkennen. Aktiviert werden bei ihnen in beiden Hirnhälften drei große Bereiche. Bei fortschreitendem Lesetraining verschiebt sich der Dekodierungsweg in die linke Hirnhälfte. Bei flüssig Lesenden werden die nötigen Informationen schließlich blitzschnell und unbewusst auf einem direkten Weg abgerufen (ventrale Route). 2.1 Gedächtnis und Aufmerksamkeit 29 <?page no="30"?> Abb. 9: Dorsale und ventrale Route bei versiertem Lesen (nach Wolf 2010, 168) Erst diese spezialisierte Hirnaktivierung und völlig automatisierte Entzif‐ ferungsprozesse ermöglichen den Zugriff auf die im Langzeitgedächtnis gespeicherten Erinnerungen, Erfahrungen, Assoziationen und Begriffe - erst jetzt verfügen Lesende über genügend Zeit und Energie, um das Gelesene sinngemäß zu entschlüsseln und zu interpretieren. Denn beim flüssigen Lesen geht es nicht um die Geschwindigkeit an sich, sondern um die Fähigkeit, das Wortwissen so schnell zu nutzen, dass noch Zeit bleibt, um Hintergrundinformationen und Erfahrungswissen abzurufen. Erst wenn visuelle, phonologische, grammatische und semantische Entzifferungspro‐ zesse automatisch ablaufen, gewinnt man Zeit für das Denken und Verstehen (vgl. Wolf 2010, 155). 2.2 Lese- und Schreibmodelle Die Literatur zur Modellierung von Lese- und Schreibprozessen ist umfang‐ reich. Vereinfachend lässt sich sagen, dass die Modelle entweder den Lese- 30 2 Theoretische Grundlagen <?page no="31"?> oder den Schreibprozess oder deren Interaktion zu erfassen versuchen. Die folgende tabellarische Übersicht fasst die bekanntesten Modelle zusammen. Lesemodelle Kenneth S. Goodman (1967, Lesen als guessing game) John A. Morton (1969, Logogen-Modell, kontextuelles Lesen) Max Coltheart (1978, Zwei-Wege-Modell/ DR: dual route model) Max Coltheart und Kathleen Rastle (2001, DRC: dual route cascade) Philip B. Gough und William E. Tunmer (1986, SVR: Simple View of Reading: decoding and comprehension) Schreibmodelle Linda Flower und John Hayes (1980/ 1996/ 2012, expert writers) Carl Bereiter (1980, Schreibentwicklung) Carl Bereiter und Marlene Scardamalia (1987, Wissen-Wiedergeben-Modell) Maik Philipp (2019, Meta-Modell) Interaktive Modelle Young-Suk Kim (2020, Wechselwirkung zwischen Lesen und Schreiben) Kognitive Modelle Alan Baddeley (1986/ 2000, Arbeitsgedächtnismodell) Entwicklungsu. Fördermodelle (Phasenmodelle) George Marsh, Morton Friedman, Veronica Welch und Peter Desberg (1981, Vier-Phasen-Modell des Lesens) Uta Frith (1985, Lese- und Schreibentwicklung) Klaus B. Günther (1986/ 1995, Entwicklungsmodell, Lese- und Schreibstrategien) Renate Valtin (1997, Schriftspracherwerb) Cornelia Rosebrock und Daniel Nix (2008, Leseförde‐ rung) Die Anfänge der Schriftsprachenforschung sind in der Psychologiefor‐ schung und im Interesse am Leseprozess zu suchen. Edmund Burke Huey stellte bereits 1908 fest, dass das Lesen, entgegen gängigen Vorstellungen, kein linearer Prozess sein kann, da unsere Augen dabei vor- und zurück‐ springen. Diese Erkenntnis, die auf die Entdeckung des französischen Augenarztes Louis-Émile Javals zurückging, dass sich die Augen beim Lesen nicht kontinuierlich bewegen, stellte das buchstabierende Lesen in Frage. James McKeen Cattell kam zum Schluss, dass Lesende einzelne Buchsta‐ ben langsamer entzifferten als Buchstaben in einem Wortkontext. Allem Anschein nach konnten versiert Lesende Wörter erkennen, auch wenn nicht alle Buchstaben richtig waren oder graphisch anders organisiert waren. Die 2.2 Lese- und Schreibmodelle 31 <?page no="32"?> sogenannte Ganzwortmethode im Leseerwerb griff diese Erkenntnis auf: Das Tempo des Lesens lässt sich demnach verbessern, wenn nicht einzelne Buchstaben erkannt werden, sondern ganze Wörter (Günther/ Otto 1994, 919; Huey 1979, 72-74). In der Pädagogik herrschte anfangs die Vorstellung eines bottom-up- oder inside-out-Prozesses vor: Zuerst kodiert der Lesende schriftliche Symbole in mündliche um und entwickelt daraus die Bedeutung des Textes. Als Kritik an dieser vereinfachenden Beschreibung betonten die ersten kognitiv untermauerten Lesemodelle der 1960er, dass das Lesen konzeptgeleitet sei (top-down): Lesende stellen anhand von Textteilen oder Mustern Hy‐ pothesen auf, daher sei das Textverständnis ein konstruktiver Prozess. Kenneth S. Goodman (1967) fasste das Lesen als psycholinguistisches guessing game auf. Goodmans holistisches Leseförderungskonzept ging davon aus, dass das Verstehen des Ganzen dem Verstehen der Teile vorausgeht. Während des Lesens stellt unser Bewusstsein Annahmen auf und sucht im Text nach Worten, die diese bestätigen oder widerlegen. Goodmans Hypothese inspirierte eine Reihe von Studien in der angelsächsischen Leseforschung und wurde teilweise dort widerlegt, wo Goodman annahm, dass der Leseerwerb rein intuitiv sei, vereinfacht gesagt, dass Kinder aus dem Kontext die Wörter und damit die Buchstaben erratend lesen lernen könnten. Goodmans Denkansatz wurde in den USA sehr beliebt und führte zum pädagogischen Umdenken. Als Gegenreaktion auf die weitverbreitete top-down-Lesedidaktik nach Goodman schlugen die Psychologen Philipp Gough und William Tunmer in den 1980ern vor, statt sich erratend im Lesen voranzutasten, sollten sich Schrifterwerbende im genauen Erlesen üben (bottom-up) und das Erlesene in Bezug auf den Kontext kontrollieren. Laut ihrem Ansatz (Simple View of Reading, SVR; 1986) sei genaues Lesever‐ stehen bei fehlenden Dekodierungsfertigkeiten, fehlenden Kenntnissen der Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK) und fehlendem Sprachverständnis nicht möglich. Man muss dementsprechend das Wort buchstabenweise erlesen können und die Bedeutung des Wortes kennen. Goodmans Ansatz setzt voraus, dass Lesende bereits mit einem ausge‐ prägten mentalen Wörterbuch arbeiten und Hypothesen zu Sprachregistern aufstellen können. Kontextuelles Verstehen setzt nämlich lexikalisches Wissen und den Zugriff auf dieses Wissen voraus. Der Psycholinguist John Morton führte 1969 für die Abbildung des kontextuellen Verstehens den Begriff des Logogens für die lexikalische Repräsentation eines Wortes im mentalen Lexikon ein. Erfolgreiche Leser greifen auf ein gut ausgebautes 32 2 Theoretische Grundlagen <?page no="33"?> mentales Lexikon mit Informationen über Schreibweise, Aussprache und Bedeutung während des Lesens zu, was das Leseverstehen ermöglicht. Die Darstellung eines mentalen Lexikons ebnete für die Forschung den Weg, die Rolle diverser kognitiver Komponenten, darunter die des Arbeits- und Langzeitgedächtnisses, im Lese- und Schreibprozess zu modellieren. Für die Unterrichtspraxis bedeutet dies, dass der erfolgreich Lesende verschiedene Fähigkeiten und das Wissen über Teilprozesse des Lesens für das Textver‐ ständnis vereinen muss. Ein wichtiges kombiniertes Modell, das die Darstellung des Leseprozesses bei erfolgreichen Lesern prägte, ist das dual route model (Zwei-Wege-Modell) des Neurowissenschaftlers Max Coltheart (1978). Demnach sei der erste, direkte Weg der Zugriff auf das mentale Lexikon, in dem Wortbilder gespeichert sind; der zweite, indirekte Weg sei das buchstabenweise Erlesen. Wenn erwachsene L2-Lernende alle Wörter, die mit „R-a-d“ beginnen als „Radio“ lesen, und mit „Radio“ zwar richtig, mit „Rad“ und „Radier(gummi)“ aber falsch liegen, zeigt das erstens, dass ihr mentales semantisches Lexikon nicht ausreichend ist, um zu erkennen, dass mehrere Wörter mit „R-a-d“ anfangen. Zweitens zeigt es, dass sie „Radio“ in einer kürzeren, weniger komplexen abstrakten Einheit als „Rad“ gespeichert haben und die Strategie des guessing game zwar anwenden, aber die Richtigkeit des Erlesenen nicht durch das buchstabenweise Erlesen kontrollieren können und daher letztendlich wegen ihres eingeschränkten Repertoires an Techniken und Strategien scheitern. Das guessing game als Strategie führt beim Erlesen von einfachen, weitverbreiteten Schriftbildern zu schnellem Erfolg, führt aber allem Anschein nach zu vielen Fehlern, wenn die Lesenden der Sprache nicht mächtig sind, d. h. auf kein etabliertes mentales Lexikon zugreifen, zudem buchstabenweise Wörter nicht erlesen und ihre Hypothesen daher nicht kontrollieren können. Die hier beschriebenen Zwei-Wege-Lesemodelle (spä‐ ter DRC: dual route cascade) wurden sowohl durch neurologische als auch durch psychologische Forschungen empirisch belegt. Die heutzutage in der Lesedidaktik und der fremdsprachlichen Alpha‐ betisierung verbreiteten Phasen- und Entwicklungsmodelle der Schrift‐ sprachaneignung sind einerseits auf das kognitiv-psycholinguistische Zwei-Wege-Modell von Coltheart und Rastle (1978, 2001), andererseits auf Jean Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung zurückzuführen (Piaget 1936; Bereiter 1980, 82). Im anglo-amerikanischen Raum wurden zahlreiche kognitive Modelle zur Informationsverarbeitung vorgelegt. Auf Marshs et al. (1981) Vier-Phasen-Modell folgend, bestimmten u. a. Uta Frith (1985) und 2.2 Lese- und Schreibmodelle 33 <?page no="34"?> später im deutschen Sprachraum Klaus B. Günther (1986, 1995) die Stadien der Leseentwicklung von Kindern. Laut diesen Modellen können in der ersten Phase (1) des direkten Worterkennens nur gelernte Wörter mit einzelnen Buchstaben und anderen visuellen Merkmalen sowie der Kontext identifiziert werden. Das phono‐ logische Erkennen folgt in der nächsten Entwicklungsphase (2), die ein Übergangsstadium zwischen der ersten logographischen und der zweiten phonologischen Stufe ist. In der darauffolgenden Phase (3) teilen sich die Meinungen: Während bei Marsh et al. komplexe orthographische Regeln berücksichtigt werden, fasst Uta Frith das Decodieren als direkten Zugriff auf das orthographische Lexikon auf (orthographische Strategie). In ihren Grundideen entsprechen die modellierten Schreibphasen der Schriftlernen‐ den bei Marsh und Frith den kognitiven Entwicklungsmodellen; demnach gibt es eine direkte, nicht lautorientierte Strategie, die im Lernprozess allmählich zu einer lautorientierten wird, mit der auch unbekannte Wörter entziffert werden können. Abb. 10: Logographisches Schreiben mit Elementen des phonologischen Erkennens Schließlich werden strukturelle Regelmäßigkeiten entdeckt. Carl Bereiter (1980) geht im Sinne von Piagets Entwicklungsmodell davon aus, dass Kinder unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen und dabei bereits erworbene Fähigkeiten für das Erreichen des jeweils höheren Niveaus einsetzen. Wenn diese automatisiert sind, können die Kinder Neues lernen und bestehende Fähigkeiten erweitern. Dagegen ließe sich einwenden, dass Erwachsene bereits kognitive Fähigkeiten der Informationsverarbeitung erworben haben. Allerdings strukturiert Schrift die Hierarchie der Informa‐ tionsverarbeitung anders als gesprochene Sprache. Jeanne Kurvers Untersu‐ chung (2015) zeigt, dass phonologische Bewusstheit bei schriftunkundigen Erwachsenen so wie bei nichtlesenden Kindern nicht ausgebildet ist. Laut Bereiter und Scardamalia (1987) zeichnen sich erfahrene Schriftkundige durch die Fähigkeit der Wissensumstrukturierung aus. Diese kann aber nur eine Konsequenz der Schrift sein - dieses Medium erfordert, soweit sind sich 34 2 Theoretische Grundlagen <?page no="35"?> Linguisten, Psychologen und Kulturwissenschaftler heute einig, eben jene gründliche Umstrukturierung, die im Mündlichen nicht möglich ist, da wir im flüchtigen, situations- und partnerbezogenen gesprochenen Text nicht hin- und her wandern können. - Abb. 11: Phase 3 - Skelettschreiben: „Regen“, „trinken“ Renate Valtin fasste die genannten Lese- und Schreibmodelle zu einem didaktisch umsetzbaren zusammen und entwickelte dieses hinsichtlich der Lese- und Schreibförderung weiter. Praktisch ist das Modell für angehende Lehrkräfte, weil es beide Kompetenzbereiche, nämlich Lesen und Schreiben, parallel betrachtet. Man unterrichtet Lesen und Schreiben nicht getrennt. - Abb. 12: Phase 3 - Zufügen von Vokalen: „Blume“, „Frauen“ Valtin führt nach der Phase der Nachahmung (1) „Als-Ob“-Vorlesen/ Kritzeln - und der Erkundung (2) Erraten von Wörtern/ Malen von Buchstabenreihen - die Übergangsphase (3) ein, in der Lautelemente benannt und geschrieben werden. Das Merkmal dieser Phase nennt sie „Skelettschreiben“. Es sind Versuche, gesprochene Sprache mithilfe einer rudimentären phonemischen Strategie in schriftliche Sprache zu übertragen. Nach diesem Übergang kommt die Phase der Einsicht in den Buchstaben-Laut-Bezug (4) - buchsta‐ benweises Erlesen der Texte/ phonetische Schreibungen. - Abb. 13: Phase 4 - beginnende Einsicht in den Buchstaben-Laut-Bezug: „Hose“ Dann folgt die Phase der fortgeschrittenen Verwendung (5) orthographi‐ scher bzw. sprachkultureller Elemente. In der abschließenden Phase (6) werden die Teilprozesse automatisiert. Dabei sind beim Lesen das Wort- 2.2 Lese- und Schreibmodelle 35 <?page no="36"?> erkennen und die Hypothesenbildung gemeint, beim Schreiben die entfal‐ teten orthographischen Kenntnisse. Die in der schulischen Schreibdidaktik verbreiteten Modelle von Uta Frith, Klaus B. Günther und Renate Valtin basieren auf den Phasen der kindlichen Entwicklung. In der andragogischen Unterrichtspraxis spiegeln sich die Phasen zwar wider, sie müssen aber nicht zwingend von allen Ler‐ nenden durchlaufen werden. Erwachsene Schriftlernende schreiben keine „Kritzelbriefe“, wie es Kinder tun, sie entwickeln aber eigene skelettierte Schriftlösungen in der Zwischenphase. Auch im Unterricht mit Erwachse‐ nen setzen Lehrkräfte gerne Bilder und eine gemeinsam mit den Lernenden erworbene Bildsprache als Zwischenstufe im Schriftsprachenerwerb ein. Erwachsene lernen zudem während des Schrifterwerbs verschiedene Lese- und Schreibstrategien kennen, wenden diese an und versuchen bereits im frühen Stadium, sie zu kombinieren; sie scheitern allerdings an fehlen‐ den basalen Fertigkeiten. Letztere umfassen, über die graphomotorischen Fähigkeiten hinaus, u. a. stabile Kenntnisse der Graphem-Phonem-Korre‐ spondenz (GPK), Sprachkenntnisse, aber auch kognitive Fähigkeiten wie Gedächtniskapazitäten und Prozesskenntnisse. In der Fachliteratur werden die basalen Fertigkeiten als eine hierarchisch niedrigere Ebene der kognitiven Prozesse dargestellt, während Prozesse, die das Verstehen und die soziale Deutung eines Textes ermöglichen, als höhere Ebenen bezeichnet werden. Das Entwicklungsmodell von Rosebrock und Nix (2008) ergänzt die hierarchische Anordnung der Teilprozesse des Lesens durch die Motivation der einzelnen Lesenden (Subjektebene) und durch die soziale Komponente des Lesens, da geschriebene Texte für ihre potenziellen Leserinnen und Leser mithilfe anderer Autoren oder Korrekturlesender entstehen und folglich auch einen kommunikativen und sozialen Aspekt in sich tragen. Das Modell zeigt, dass hierarchisch höhere Phasen im Lesen nur dann möglich sind, wenn auf der Prozessebene alle basalen Fertigkeiten au‐ tomatisiert ablaufen. Als Grundlage für einen hermeneutischen Leseprozess wird hier nicht nur eine automatisierte Graphem-Phonem-Zuordnung vor‐ ausgesetzt, sondern auch ein Vokabular von mindestens tausend Wörtern. 36 2 Theoretische Grundlagen <?page no="37"?> Abb. 14: Kompetenzmodell des Lesens (nach Rosebrock/ Nix 2008, 16) Die die für den phonologischen Weg nötigen Grundkompetenzen sind bei der Mehrheit der Kinder bereits vor dem Beginn des Leseunterrichts ausrei‐ chend entwickelt. Die erwachsenen L2-Lernenden müssen die Einsicht in die Prosodie der Fremdsprache, das Heraushören der Inhalte aus den Klängen und alle weiteren Vorkenntnisse gleichzeitig mit den Graphem-Phonem-Zu‐ ordnungen und der Silbenteilung entwickeln. Die Lehrperson kann in der Regel nicht nachvollziehen, inwieweit Lernende ihre Muttersprache beherr‐ schen und begreifen. Neben der mündlichen Kompetenz (aktiver Wortschatz in der Fremdsprache) und dem möglichst nicht zu hohen Alter (allmählich nachlassende Plastizität des Gehirns) bietet laut Maryanne Wolf (2010, 126) reichhaltiger muttersprachlicher Input eine wesentliche kognitive und sprachliche Grundlage für alle Lernprozesse. Ein Versuch, das ganze Spektrum des DaF-Unterrichts und seine Pro‐ gression in die oben beschriebenen Ebenen aufzuspalten, muss scheitern. Die Curricula des Spracherwerbs auf den GeR-Niveaus A1, A2 und B1 erwarten Text- und Handlungsnormkenntnisse. Auch in der Alphabetisie‐ 2.2 Lese- und Schreibmodelle 37 <?page no="38"?> rungsarbeit werden die Funktion der Schriftsprache (Warum handeln wir via Schrift? ) und die Kenntnis der Sprachregister (Wie handeln wir? Mit welchen Textsorten kommunizieren wir? ) vermittelt. Erfolgen soll das parallel zur Aneignung und noch vor der Automatisierung der basalen Lese- und Schreibfertigkeiten. Diese Anforderungen gleichen der Quadratur des Kreises, denn solange die Lernenden die korrekte Graphem-Phonem- und Phonem-Graphem-Korrespondenz (GPK und PGK) nicht beherrschen und die Lesewie auch die Schreibflüssigkeit nicht ausreichend automatisieren, können sie sich weder auf der Subjektnoch auf der sozialen Ebene selbständig zurechtfinden. Abb. 15: Freie Schriftproduktion: „Die Frau geht mit [Kinder]wagen.“, „[D]er Mann kocht.“ Allein aufgrund dieser Schreibprobe ist es kaum möglich zu unterscheiden, ob bei der Person die Alphabetisierungsprozesse noch nicht abgeschlossen sind (grundsätzlich nicht automatisierte GPK und PKG) oder ob es sich um eine bereits alphabetisierte Person handelt, die noch Vokale verwechselt, orthographisch unsicher ist und sich falsche Sprachstrukturen eingeprägt hat. Die Modelle von Frith, Günther, Valtin sowie Rosebrock und Nix sind in der Lese- und Schreibförderung als didaktische Grundlagenbzw. Stu‐ fenmodelle verankert und bilden die Phasen des Schriftspracherwerbs ab. Die Schreibmodelle befassen sich überwiegend mit den Prozessen, die die erfolgreiche Herstellung von geschriebenen Texten ermöglichen. Sie legen (meta-)kognitive Prozesse und Strategien des Schreibens dar und zeigen nur indirekt basale Schreibfertigkeiten auf, meistens als graphomotorische Voraussetzungen bzw. technische Ebenen des Schreibens. 38 2 Theoretische Grundlagen <?page no="39"?> Um einen Text adressatengerecht herzustellen, braucht es sprachliche und kognitive Ressourcen. Die Schreibmodelle erfassen diese Komponenten und modellieren die prozessuale Interaktion, die zum Schreiben nötig ist; letzteres gilt als Prozess der Problemlösung. Diese Prozessmodellierung basiert auf der Forschung der Linguistin Linda Flower und des Psychologen John R. Hayes (1980). Sie untersuchten die metalinguistische Ebene erfah‐ rener Schreiber und teilten den Schreibprozess aus technischen Gründen in die drei Abschnitte Planen (1), Verschriften (2), Revidieren (3). Als Planen, Formulieren und Überarbeiten bilden diese Teilprozesse den Kern der heutigen Schreibdidaktik auch in den Fremdsprachendidaktiken für Englisch und Deutsch als Zweitsprache. Der Gesamtprozess wird von einem sogenannten Monitor überwacht und gesteuert. 2012 wurde das Modell um Prozesse und Einflüsse ergänzt. Für Schriftunerfahrene ist das Modell insofern relevant, als es neu auch Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis und Lesefertigkeiten auf der Ressourcenebene integriert. Lesefertigkeiten und sprachliche Mittel sind bei L2-Schriftlernenden mehrheitlich noch nicht entwickelt. Dem Modell zufolge sind Teilnehmende der Alphabetisierungs- und Schreibkurse gehalten, das Arbeitsgedächtnis mehr zu belasten. Die reziproke Wirkung von Lese- und Schreiberwerb/ Lese- und Schreib‐ übung ist Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Maik Philipp (2019) liefert ein Fazit aller Schreibmodelle in seiner Metastudie. Demnach sind die Befunde konsistent: Mit der jeweils aktuellen Lesefähigkeit lässt sich die jeweils aktuelle Schreibleistung bestimmen; die Leseleistung der Kinder prognostiziert aktuelle Schreibkompetenz (Philipp 2019, 158). In der Diskus‐ sion, ob Lesen und Schreiben einander ergänzen und fördern oder getrennte Kompetenzen sind, überwiegt in der neuesten Forschung und Praxis das in‐ tegrative Konzept des Reading to Write and Writing to Read. Young-Suk Kims empirische Forschung und ihr neuestes interaktives Modell untermauern die Annahme, dass das Schreiben-Können das Lesen-Können voraussetzt. Der Erwerb von Lesefähigkeiten ist laut Kims Studie die Voraussetzung für kompetente Schreiber. 2.2 Lese- und Schreibmodelle 39 <?page no="40"?> Abb. 16: Modell von Philipp (2019, 73) Leseempfehlung Wolf 2010 und Dehaene 2020 sind fundierte Lektüre für alle an der Neu‐ robiologie des Lesens Interessierten. Heidler 2013 gibt einen informati‐ ven Überblick zum Arbeitsgedächtnis, gerichtet an Sprachtherapeuten, Linguisten und Pädagogen. Umfassende Darstellungen der Modellierung von Lesen und Schreiben enthalten Einführungswerke zu Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten sowie zu Lese- und Schreibdidaktik u. a. Klicpera 2013, Mayer 2010 und 2016, Philipp 2019 und 2021. Eine kompakte Zusammenfassung der relevanten Modelle für die Alphabetisierung Erwachsener bietet Feldmeier 2010b, 29-32. 40 2 Theoretische Grundlagen <?page no="41"?> 3 Praktische Grundlagen 3.1 Das deutsche Schriftsystem Weit verbreitet ist die Annahme, dass die Alphabetschrift die einfachste Form der Verschriftlichung sei, da man nur 26 Grapheme lernen müsse. In logographischen Schriftsystemen hingegen, wie dem chinesischen Hanzi oder dem japanischen Kanji, würden Kinder zum jahrelangen Üben und Auswendiglernen von unzähligen Zeichen verdammt. Dabei wird gänzlich ausgeklammert, wie viele Kombinationen die 26 graphischen Zeichen (Gra‐ pheme) erlauben. Ebenso wird verdrängt, dass man sie meistens nur als Kleinbuchstaben versteht und die Grossbuchstaben abweichende graphi‐ sche Darstellungen sind. Zu den 26 Buchstaben kommen des weiteren Zeichen wie Umlaute und das ß. Das Erfassen der Wortbildformen ist eine Konsequenz der Leseerfahrung und am Anfang des Leseerwerbsprozesses nur ungenügend vorhanden. Das Erkennen der Wortbilder ist nicht einfach eine visuelle Leistung, sondern fordert ein vertieftes Zeichenverständnis: die schnelle Unterscheidung von abstrakten Mustern und deren semantische Zuordnung (Csépe 2014, 376-384). Setzt man die Dauer der allgemeinen Volksschulbildung (in Europa mindestens acht Schuljahre) zur hohen An‐ zahl von Personen in Beziehung, die unter Lese- und Rechtschreibstörungen in Kulturen der alphabetischen Schrift leiden (laut PISA-Studien 20 % der Lernenden; Weis u. a. 2016, 266), wird die These von der Einfachheit der Alphabetschrift eindeutig widerlegt. Der Schrifterwerb braucht langjähriges Training - in jedem Schriftsystem. Erworben und eingeübt werden müssen sowohl technisches Können (Buchstabenkenntnisse, Silbensynthese u. Ä.) als auch Handlungskönnen (Norm- und Sprachkenntnisse). <?page no="42"?> Abb. 17: Individuelle Probleme der Lernenden beim Verschriften des Wortes „Pause“ Auch die Zuordnung der Laute zu den Buchstaben wird von der Mehrzahl geübter Lesender als eine eindeutige Eins-zu-eins-Zuordnung fehleinge‐ schätzt; die deutsche Schriftsprache ist zwar eine lautorientierte Alphabet‐ schrift, die Relation zwischen Buchstaben und Lauten ist jedoch weitaus komplexer, als diejenigen behaupten, die bereits lesen können. In der ge‐ sprochenen Sprache gibt es keine artikulatorisch bzw. akustisch konstanten Laute; diese „hören“ nur die Menschen, die gelernt haben, bestimmte Laute in Bezug auf einzelne Buchstaben zu „identifizieren“. Diese Lautorientierung der deutschen Schriftsprache nennt man Phonem-Graphem-Korrespondenz (PGK). Auch in den orthographisch eher transparenten Sprachen, zu denen das Deutsche gehört, lassen sich zahlreiche Beispiele finden, die die Regel der Lauttreue nicht unterstützen: u. a. die Aussprache von Wörtern, die auf dem Morphem <-ig> enden („dreissig“, „mutig“) oder das Schwa / ə/ enthalten („Bitte“, „gesagt“, „Schule“), das sich lautlich von allen mit dem Buchstaben <e> verschrifteten Vokalvarianten / eː/ , / ɛ/ , / e/ unterscheidet. Dazu kommt die unterschiedliche graphemische Darstellung von gleichen Lauten („Vater“ und „Familie“ oder „Euro“ und „Mäuse“). Auch Betonungs‐ muster oder die Position bestimmter Konsonantenkombinationen führen zu Unterschieden: In „Start“ und „Fenster“ unterscheidet sich die Aussprache von <st> je nach Position. Im gesprochenen Wort „rot“ sprechen wir [ʀ], aber in „Ohr“ ist es [ɐ] - gleichwohl werden sie mit <r> abgebildet. Alpha‐ betische Schriften unterliegen demnach in ihrer Komplexität keineswegs den logographischen Schriftsystemen. Für Abbildung, Dekodierung und Kombination von Phonemen in Form von Graphemen braucht es komplexe metakognitive Fähigkeiten. Zu den Eigenschaften des Deutschen gehören fester, morphematisch be‐ stimmter Wortakzent (trochäisches Grundmuster: betont-unbetont), kom‐ plexer Silbenbau und Konsonantenhäufungen, die sowohl die lautierende als auch die buchstabierende Synthese erschweren (vgl. Haueis 2016, 183; Brenn 2000, 299). Grundsätzlich besteht eine Silbe im Deutschen aus einem Vokal (V) oder Diphthong und aus einem oder mehreren Konsonanten (K), z. B. im Wort „Tür“ (K-V-K). Im Vergleich zu anderen Sprachen sind im Deutschen 42 3 Praktische Grundlagen <?page no="43"?> auch Silben mit drei Konsonanten vor dem vokalischen Kern („Straße“) oder sogar vier Konsonanten nach dem vokalischen Kern (Herbst) erlaubt, was bei langen Komposita, die das Deutsche auch auszeichnen, zu regelrechten Konsonantenstaus führen kann (wie in „Schriftsprache“ oder in „Sprach‐ schule“), vor allem wenn man die Buchstabenkombination <sch> für den Laut [ʃ] genauer unter die Lupe nimmt. Die Konsonantenhäufung ist in der ersten Phase der Alphabetisierung besonders herausfordernd, daher wird empfohlen, auf Wörter mit einfacher Silbenstruktur zurückzugreifen. Im DaZ-Alphabetisierungsunterricht arbeitet man jedoch nicht ausschließlich mit einfachen Silben, denn man lernt effizienter, wenn Inhalte sinnstiftende Kontexte ergeben. Zwar kann man mit der „To-ma-te“ einen „Tomatensalat“ machen, aber man braucht dann auch entweder eine „Zwie-bel“ oder ein „Mes-ser“ mit einem vokalischen <r>; zudem gibt es im Handlungsverb „machen“, dessen Sinn übrigens von den meisten L2-Lernenden nicht problemlos zu erschließen ist, die Buchstabenkombination <ch>, was in der Aussprache wegen des „ach-Lautes“ zu Komplikationen führt. In der Alphabetisierungspraxis soll die Vertrautheit mit den oben ge‐ nannten Problemen zu folgender methodisch-didaktischen Haltung führen: Beim Lesen geht es nicht darum, erfolgreich die Buchstaben als solche zu erkennen, sondern diese als kleinste Kombinationsteile zu verstehen und sich letztendlich von ihnen zu lösen. Wer an einzelnen Buchstaben haften bleibt, ist zum zweiten, sehr wichtigen Schritt der Synthese nicht fähig und wird sich im Lesefluss kaum vorwärtsbewegen. Beim Schreiben geht es nicht darum, erfolgreich Buchstaben zu schreiben, sondern diese bzw. deren Kombinationen als Visualisierungen bestimmter Laute zu erfassen und verschriften. Wer die Verbindung zwischen Ohr und Hand nicht schafft und nicht die abstrakten Wege von Analyse und Synthese beschreitet, kann zwar, Muster kopierend, ganze Hefte füllen, wird aber nie selbständig Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu Sätzen verbinden können. Die Buchstabenkenntnis wird von den meisten Schriftlernenden als Hauptfä‐ higkeit missverstanden, die die Wege zum Lesen und Schreiben eröffnet - Lesen- und Schreibenkönnen aber bedeuten fortlaufend zu kombinieren, eine Fähigkeit, die im Alphabetisierungsunterricht im Fokus stehen muss. 3.1 Das deutsche Schriftsystem 43 <?page no="44"?> 3.2 Methoden des Schriftspracherwerbs Grundsätzlich unterscheidet man in der Alphabetisierungsarbeit zwischen synthetischen und analytischen Methoden. Erstere ermöglichen die Buch‐ staben- oder Silbensynthese und führen von der kleineren Einheit zur größeren, letztere gehen von der größeren Einheit (Wort oder Satz) aus und gewinnen daraus Erkenntnisse über die kleinere (Buchstabe). Die Anwendung nur einer Methode ist nicht zielführend. Lernende brauchen unterschiedliche Zugänge zum Lernstoff, dank derer sie ihre Lernblockaden überwinden können. Eine aktive Auseinandersetzung mit verschiedenen Methoden erlaubt der Lehrperson ihr eigenes didaktisch-methodisches Handwerkszeug zu entwickeln. Abb. 18: Bottom-up und top-down im Alphabetisierungsunterricht Bottom-up: Vom Buchstaben zum Text Die Lautiermethode orientiert sich an der Buchstaben-Laut-Entsprechung (Graphem-Phonem-Korrespondenz, GPK) und ermöglicht den Lernenden, Wörter buchstabierend zu erlesen. Im Gegensatz zur früheren Buchsta‐ biermethode vermittelt sie statt Buchstabennamen (z. B. „ge“ für g) die Buchstabenlautwerte. Schwierigkeiten bereiten dabei Konsonanten (z. B. 44 3 Praktische Grundlagen <?page no="45"?> Konsonantenpaare wie plosive stimmlose und stimmhafte Laute p-b, t-d, k-g), die oft nicht vokalisch isoliert ausgesprochen werden können. Eine Unterstützung bietet hier die Artikulationsmethode, indem sie die Arti‐ kulation mithilfe logopädischer Methoden bewusst macht. Viele Lehrwerke orientieren sich grundsätzlich an der Lautiermethode und legen eine Buch‐ stabenabfolge nach bestimmten Auswahlkriterien fest. Diese können sich u. a. an den graphomotorischen Kompetenzen und / oder an der Häufigkeit der Buchstaben orientieren. Die Anlautmethode fand im primarschulischen Kontext großen An‐ klang (Konzept „Lesen durch Schreiben“ von Jürgen Reichen, 2001). Für den Unterricht entstanden bebilderte Anlauttabellen, die die Kinder beim Erlernen der Buchstaben-Laut-Korrespondenzen unterstützen sollten. Die Bilder repräsentieren eine mnemotechnische Hilfe; der erste Buchstabe bzw. der Anlaut des Wortes ist dabei wichtig. Die Anlautmethode setzt allerdings die Kenntnis der abgebildeten Wörter in der Zielsprache voraus. Beim Anwenden der Anlautmethode in der fremdsprachlichen Leseförderung ist unabdingbar, dass Lernende Anlautworte beherrschen. Das Trainieren von je nach Tabelle 26 bis 40 Anlautworten braucht intensives, repetitives Training. Hinzu kommt, dass Anlauttabellen vor allem mit Substantiven arbeiten und daher in der handlungsorientierten Sprachförderung, in der die Verben im Fokus stehen, an ihre Grenzen stoßen. Zudem orientieren sich bis heute viele der Anlauttabellen an Kinderlehrwerken und greifen mit Vorliebe auf ein tierisches Vokabular zurück, das wiederum nicht der Progression der (handlungsorientierten) Sprachförderung erwachsener L2-Lernender entspricht. Nicht zuletzt liegt das Problem im Wesen des Bilderwörterbuches: Oft herrscht in der Klasse keine kulturell homogene Auslegekonvention für die Abbildung der Anlautworte (Esel, Affe oder Zwiebel versus Knoblauch, geographische Abbildung von Italien). Mit an‐ deren Worten: Lernende erkennen das Anlautwort im Bild nicht und müssen folglich mehr memorieren: das Bild, den Klang des ganzen Wortes sowie den Anlaut. Gleichwohl kann die erarbeitete Anlauttabelle als eine Zwischen‐ stufe zur Schriftlichkeit fungieren. Viele Lehrwerke für fremdsprachige Erwachsene bieten eine Anlauttabelle zum behandelten Wortschatz an; ebenfalls kann man im Kurs eine eigene Klassen-Anlauttabelle erarbeiten. In der fremdsprachigen Alphabetisierung ist die Sinnlautmethode ebenso problematisch wie die Anlautmethode, da die Klassen kulturell und muttersprachlich selten homogen sind und die Muttersprachen der Lernenden nicht der Unterrichtssprache entsprechen. Laute, die im deut‐ 3.2 Methoden des Schriftspracherwerbs 45 <?page no="46"?> schen Kulturraum für Schmerz kodiert sind („Aua“), sind nicht universell selbstverständlich. Allerdings lassen sich mit der Klasse solche Sinnlaute gemeinsam finden oder im Austausch die Laute in der Mutter- und Zielspra‐ che vergleichen. In der Silbenmethode spielen offene Silben (Konsonant-Vokal, K-V) eine zentrale Rolle. Die Methode wird auf den Ansatz Paulo Freires zu‐ rückgeführt, der in den Armenvierteln Brasiliens, den Favelas, Erfolg mit seiner politisch motivierten Methode erzielte. Von einem Grundwort (z. B. „Fa-ve-la) leitet die Methode Silben (fa, ve, la) mit einem vokalischen Auslaut ab, die z. B. in Leseteppichen (vgl. Online-Materialien zu diesem Buch), Lesetreppen, Silbenschieber u. Ä. trainiert werden können. Ein großer Vorteil der portugiesischen Sprache beim Erlernen des Lesens sind die vielen vokalischen Silben. Im Deutschen hingegen sind die schwer zu erfassenden Konsonantenhäufungen im An- und Auslaut der Silbe häufig und ein Kennzeichen der Sprache. Trotzdem lassen sich vokalische Silben auch im Deutschen finden (z. B. in „To-ma-te“ oder „Ba-na-ne“). Die Übungen sind auch dann durchführbar, wenn sich aus den Silben kein verständliches deutsches Wort zusammenstellen lässt. Zudem kann man mit einfachen, offenen Silben schon in einem sehr frühen Stadium Lesespiele anbieten (Silbenwürfel, Silbenbingo, Silbenmemory). Silbentrainings mit Konsonanten und Vokalen sind daher auf keinen Fall überflüssig, auch nicht für Zweitschriftlernende, deren erste Schriftsprache das Vokalische nicht unbedingt mit eigenen Buchstaben markiert (z. B. Arabisch oder Tigrinisch). In fortgeschrittenen Klassen kann man den spezifischen Eigenschaften der deutschen Sprache ebenfalls gerecht werden und das Silbentraining anpassen sowie das Training mit geschlossenen Silben oder mit Silben mit Konsonantenhäufung ergänzen. Die silbenanalytische Methode zielt auf die Beschäftigung der Ler‐ nenden mit der Prosodie und Rhythmik der gesprochenen Sprache und bildet offene und geschlossene bzw. betonte und unbetonte Silben ab. Die Vertrautheit mit der Betonung auf Silbenebene unterstützt Lernende in der Gehörschulung und hilft zu verstehen, wann das Geschriebene anders ausgesprochen wird. In der fremdsprachigen Alphabetisierung muss man sich allerdings immer vor Augen halten, dass L2-Lernende aus nicht schrift‐ lich dominierten Kontexten von den zu vielen Abstraktionsebenen der verschiedenen visuellen Zeichen wie Bildern, Buchstaben und zusätzlichen graphischen Hilfestellungen schnell überfordert sind. Das gleiche gilt für die bekannte und beliebte Montessori-Methode: Zu viele Farben und Formen 46 3 Praktische Grundlagen <?page no="47"?> führen bei L2-Lernenden mit wenig schulischer Erfahrung zur Be- und nicht zur Entlastung, da ihnen die Funktion der visuellen Reize ebenfalls unbekannt ist. Die Morphemmethode wurde ursprünglich für Lernende mit Lese- und Rechtschreib-schwierigkeiten (Legastheniker) konzipiert. Bei dieser Methode, mit dem Morphem als bedeutungstragender Einheit im Mittel‐ punkt, arbeitet man vor allem mit Suffixen. Die Präfixe trennbarer Verben können auch erarbeitet werden (ein-kaufen); weiterhin lassen sich Suffixe bei Berufsnamen (Kellner/ -in) sowie Pluralformen (Tomate/ -n) darstellen und einprägen. Die Methode fördert die Sprachbewusstheit, erklärt die orthographische Eigenheit und sensibilisiert für das orthographische Schrei‐ ben. Ziel ist nicht, dass sich Lernende in die Morphologie der deutschen Sprache vertiefen. Sie sollen aber verstehen, dass „essen“ und „esse“ nicht das gleiche bedeuten und das <e> und <n> unterscheiden, ob wir etwas machen oder ich etwas mache. Auch im Anfängerunterricht sind solche Unterscheidungen wichtig und können Lernende darin unterstützen, die Sprache systematisch zu erlernen und später korrekt zu verwenden (vgl. dazu Online-Materialien: Kopiervorlagen Konjugation, Verben 1 und Verben 2). Top-down: Vom Text / Wort zum Buchstaben Ganzwortmethode und Ganzsatzmethode setzen häufige Wiederholun‐ gen in der gleichen Einheit (Wort oder Satz) voraus. Wörter werden als Ganzes wahrgenommen, daher ist das sinnentnehmende Lesen von Anfang an möglich. Mit der Ganzwortmethode lässt sich auch der Lesefluss fördern. Die Gefahr besteht darin, dass ganze Wortbilder zwar recht schnell auch von primären Analphabeten erkannt und gelernt werden können, aber ohne Zugriff auf die Silbensynthese können die Lernenden nur schwer kontrollieren, ob sie tatsächlich das richtige Wort erlesen haben, vor allem, wenn ihnen noch kontextsichernde Sprachkenntnisse fehlen. Auch zur Erarbeitung der Phonem-Graphem-Korrespondenz eignet sich die Methode nur bedingt. Allerdings hilft den Lernenden das Kontextualisieren (kürzere Texte, ein Satz, eine Frage oder eine Antwort, d. h. Mini-Dialoge als kleine sinnvolle Einheiten), um einzelne Elemente sicherer speichern und erken‐ nen zu können, da sie das Verstehen und die Handlungskompetenzen in der Zielsprache unterstützen. 3.2 Methoden des Schriftspracherwerbs 47 <?page no="48"?> Auch das gemeinsame Formulieren kleiner Texte, die die Lehrkraft stell‐ vertretend an die Tafel oder auf den Bildschirm schreibt, eignet sich für die Lese- und Schreibübung und zeigt eine mögliche Funktion der Schrift auf. Dieses Vorgehen berücksichtigt die Spracherfahrungen der Lernenden, da man mit den bereits erworbenen mündlichen Sprachkenntnissen arbeitet. Einem solchen Spracherfahrungsansatz wird oft vorgeworfen, dass er erst in der späteren Phase der Alphabetisierung eingesetzt werden kann. Je nach Einsatz und mündlichen Kenntnissen sowie Bereitschaft der Teilnehmenden sind kurze, einfache Texte auch im Anfangsstadium möglich. Die schriftliche Arbeit muss aber zwingend durch den Aufbau der nötigen mündlichen Sprachkompetenz im Voraus entlastet werden. „Linguistische Menschenrechte“ (vgl. Feick/ Pietzuch/ Schramm 2013, 126) fordern das Recht auf Bildung in der Erst- und in der Mehrheitssprache ein. Tatsache ist, dass viele Hindernisse und Blockaden, die bei der Zweit‐ schriftaneignung auftauchen, erst mit Hilfe der Erstsprache diagnostisch interpretiert und behoben werden können. Es ist auch wesentlich einfacher, in der Erstsprache Kompetenzen zu erwerben und diese in die Zweitsprache zu übertragen. Die Literatur zum pädagogischen Inventar der Alphabeti‐ sierung umfasst hinsichtlich der entlastenden Funktion erstsprachlicher Fähigkeiten die kontrastive Alphabetisierung, die die Erstsprache der Lernenden einbezieht. Der Grad des Spracheinsatzes ist abhängig von den Kenntnissen der Lehrkraft in der jeweiligen Erstsprache der Lernenden, diese sind aber nicht zwingend notwendig. Auch im Anfängerunterricht ist die Erstsprache gut integrierbar, indem man z. B. die Namen der Lernenden silbenweise klatschen oder treten oder beim Erwerb eines darin enthaltenen Buchstabens diesen als An- oder Auslaut hören lässt. Die gehörten Laute und Silben können Lernende zudem in der bereits gelernten Schriftsprache notieren und miteinander vergleichen. Grenzen beim Einsatz der Erstschrift‐ sprachen zeigen sich bei heftigen Diskussionen unter Lernenden mit der gleichen Erst(schrift)sprache, die den Unterricht auf Abwege leiten können und gruppendynamisch eher herausfordernd sind, da die Lehrkraft nicht viel zur Lösung von Konflikten in der Erstsprache beitragen kann. Erfah‐ rungsgemäß ist der kulinarische Austausch in der Klasse gewinnbringender: Viele Lebensmittel oder Gerichte (Injera, Okra, Döner, Harissa usw.) sind mittlerweile im deutschsprachigen Raum bekannt; sie lassen sich ohne Mühe verschriftlichen und trotzen kulturellen wie sprachlichen Grenzen. Kontrastivität kann in der Auseinandersetzung mit den phonologischen Eigenschaften des Deutschen eine wichtige Rolle spielen, z. B. unter der 48 3 Praktische Grundlagen <?page no="49"?> Fragestellung, welche typischen Schwierigkeiten sich aus der Interferenz zwischen Mutter- und Zielsprache für die Lernenden ergeben. Leseempfehlung Eine zusammenfassende Darstellung der orthographischen Transparenz von Sprachen ist zu finden in Seidl/ Rauscher/ Himmelreich 2018, 18-31, Gerlach 2019, 38-40 und Böttinger 2022, 44-55. Praxisorientiert und unter Berücksichtigung der DaZ/ DaF-Problematik führt Dahmen/ Weth 2018 in Phonetik, Phonologie und Schrift des Deutschen ein. Vor dem Einstieg in die Alphabetisierungsarbeit wird die Lektüre der Einfüh‐ rungswerke in die DaZ-Alphabetisierung mit Erwachsenen empfohlen: Feldmeier 2010b, 45-84 bietet eine detaillierte Beschreibung der Metho‐ den, zu Feick/ Pietzuch/ Schramm 2013 gehören zahlreiche Videoaufnah‐ men von Unterrichtssituationen. 3.2 Methoden des Schriftspracherwerbs 49 <?page no="51"?> 4 Von Tlfn zu Telefon 4.1 Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen In einem Kurs mit erwachsenen L2-Schriftsprachlernenden ist das „Grup‐ penniveau“ nur ein theoretisches Konstrukt, in dessen Rahmen die indivi‐ duelle Alphabetisierungsarbeit geleistet wird. Die Schriftproben in Abb. 19 stammen von fünf Lernenden in einer Gruppe und spiegeln die heterogene Unterrichtsrealität in der DaZ-Alphabetisierung wider. Ihre Schreibleistun‐ gen bewegen sich zwischen „Skelettschreiben“ und bereits entwickelten orthographischen Kenntnissen. Dabei lassen sich nicht alle Schriftproben eindeutig in eine Schrifterwerbphase einordnen. - - - Abb. 19: Schreibleistungen von fünf Lernenden in einer DaZ-Alphabetisierungsstunde Die Heterogenität jeder Gruppe zeigt sich ebenso in Bezug auf die Lesefer‐ tigkeit. Das Lesen in der Fremdsprache ist immer ein Akt der Balance zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Es braucht einerseits genügend Wortverständnis, andererseits den verstärkten Mut zur Lücke und den Fokus auf bereits Vertrautes. Bei durchschnittlichem Lesetempo von ca. 100 Wör‐ tern pro Minute (WPM) im lauten Lesen und bei einer Lesefehleranzahl von weniger als fünf Prozent aller gelesenen Wörter hat das Arbeitsgedächtnis genügend Kapazität, um das Verständnis für das Gelesene zu sichern. In der <?page no="52"?> Forschung wurde bewiesen, dass geübte Lesende in der Regel 250 bis 300 WPM angemessen betont und phrasiert bewältigen (vgl. Lenhard 2013, 86; Rosebrock/ Nix/ Rieckmann/ Gold 2011, 15-18). Überbeansprucht wird das Arbeitsgedächtnis, wenn Lernende alles im Text verstehen wollen. Insbesondere im DaZ-Alphabetisierungsunterricht kann das dazu führen, dass der Fokus zu stark auf fremden oder schwie‐ rigen Wörtern liegt, auch wenn diese für den Gesamtkontext irrelevant sind. Die fehlgelenkte Aufmerksamkeit wirkt sich in diesem Fall bremsend aus. Die Lehrperson ist in den ersten Phasen des Leseunterrichts daher nicht nur für die Klarstellung der gelesenen Inhalte, sondern auch für die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Lesetechnik verantwortlich. Wer verstanden hat, was Lesen bedeutet, lässt sich weniger durch eigene Verständnisdefizite ablenken. Wer sich innerlich auf mühsame Lernprozesse einstellt, wird auch nicht „auswendig“ lesen, was als häufige kontraproduktive Tarnung bei Lernenden vorkommt, deren Leseflüssigkeit im Frustrationsbereich, d. h. weit unter 100 WPM und einer ungenügenden Verarbeitungsgeschwindigkeit liegt. Im L2-Alphabetisierungsunterricht bildet die Gruppe einen dynamischen Rahmen für ein Dutzend Lernende, die sich die Schriftsprache in ihrem individuellen Tempo aneignen. Nicht nur zwischen den Lernenden gibt es Niveauunterschiede, sondern auch bei einer einzelnen Person können sich die Fertigkeiten des Lesens und Schreibens in unterschiedlichem Tempo entwickeln. Differenzen lassen sich ausgleichen, indem alle Sinne der Lernenden aktiviert werden. Für die Alphabetisierungspraxis bedeutet das, dass bei der Unterrichtsplanung nicht auf autonome Übungssequenzen, sondern auf ein möglichst viele Sinne verbindendes Training aller Fertig‐ keiten fokussiert werden soll. Es ist z. B. wichtig, dass Lernende alleine oder zu zweit regelmäßig laut lesen, denn nur so können die erlesenen Graphem-Phonem-Zuordnungen auf ihre Richtigkeit geprüft werden, was die Synthese der Lauteinheiten erleichtert und beschleunigt (vgl. Gold 2018, 38). Die Wahrnehmung wird auch beträchtlich durch Bewegung unterstützt: Begleitende Gesten oder rhythmische Bewegungen aktivieren das komplexe Netzwerk im Gehirn und verankern das Gelernte nachhaltiger im Gedächtnis (Hammer/ Schröder/ Wendler 2024, 15-19). Es ist weniger wichtig, dass Lernende explizit wissen, welche Fertigkeit gerade trainiert wird, als dass sie motiviert, aufmerksam und lange konzen‐ triert bleiben. Für die Praxis heißt das: Man wechselt nicht die Aufgaben, was nur zusätzliche Unruhe in die Lernprozesse bringt; Unterrichtsstoff- 52 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="53"?> diversität kann auch in dem Sinne hinderlich wirken, dass grundlegende Abstrahierungsprozesse verlangsamt werden. Erst die vertiefte Auseinan‐ dersetzung mit dem Unterrichtsstoff eröffnet Lernenden den Weg zum Abstrahieren, zum Überprüfen und Anpassen ihrer Lernhypothesen und zum Integrieren des neuen Wissens in ihre Gedankenwelt. Überlegt dosier‐ ter Unterrichtsstoff - methodisch und didaktisch so präsentiert, dass die bestmögliche Verknüpfung auditiver, visueller und taktil-kinästhetischer Wahrnehmungskanäle sowie motorischer Fähigkeiten erzielt wird - kann dazu führen, dass Lernende nicht verzweifelt an einzelnen Formaten oder Strukturen haften bleiben und diese auswendig lernen, sondern sich lang‐ sam von konkreten Beispielen lösen und systemerschließende Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln. Auditive Wahrnehmung Lesen erfordert eine verstärkte analytische Auseinandersetzung mit der Klangstruktur der Wörter. Es wird angenommen, dass bei der Aneignung des synthetisierenden Lesens und des lautgetreuen Schreibens auf segmen‐ tal-phonologische Informationen zurückgegriffen wird (vgl. Ziegler/ Gos‐ wami 2005). Die phonologische Bewusstheit bedeutet das Antizipieren von Strukturen der Sprache und das Bewältigen der damit verbundenen spezifischen Aufgaben, bei denen man sich auf einer metalinguistischen Ebene bewegt. Auf eine anfangs vorbewusste, dann zunehmend bewusste Art soll das Wissen um das Phonologisch-Strukturelle des Gesprochenen abgerufen bzw. aufgebaut werden. Im Fokus steht der manipulative Umgang mit dem wahrgenommenen Sprachmaterial. Zum Einsatz kommen dabei meistens Bilder, Anlaut-/ Inlaut-/ Auslautraster und Legesteine, mit deren Hilfe Silben, Reime und Phoneme segmentiert, analysiert oder manipuliert werden (Martschnike/ Kirschhock/ Frank 2002, 9; Schnitzler 2008, 2, 5-9; McBride 2016, 29). Eine Gehörschulung bedeutet die Sensibilisierung für den Klang der Vokale und die prosodischen Sprecheinheiten (Pausen, Akzent). Dabei ist die Rolle der Wiederholung und der prozessorientierten Automatisie‐ rung grundlegend: Ein Wort muss ca. sechzigmal gehört werden, bevor sich im Gehirn sein Klang einprägt und daraus ein primäres Hörmuster entsteht. Ein Mensch, der vor der Pubertät die Aussprache eines Lautes nicht trainiert, kann diesen später weder gut hören noch gut wiedergeben. Die Grenzen unseres phonematischen Gehörs werden durch die Laute 4.1 Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen 53 <?page no="54"?> der ersten gesprochenen Sprache definiert (Biernacka 2014, 33 f.). Sowohl Kinder als auch erwachsene primäre Analphabeten können gesprochene Wörter erst dann in Phoneme zerlegen, wenn sie das alphabetische Prinzip der Schrift verinnerlicht haben. Nichtalphabetisierte Menschen schreiben ihre eigenen Lauteindrücke, die noch nicht durch Schrift ‚verfälscht‘ sind. Diese Schreibweise entspricht ihrer eigenen Artikulation, nicht aber den Regularitäten der Schrift (Martschnike/ Kirschhock/ Frank 2002, 10; Ergert 2012, 39). Es stellt sich die Frage, was beim Erlernen der Schrift in der ersten Phase von größerer Bedeutung ist: die metalinguistische Fähigkeit zur phonologischen Bewusstheit, im Sinne der Analyse und Synthese des Klangs der Sprache, oder die nachhaltige Erweiterung des phonematischen Gehörs der Lernenden (der auditiven Muster), die die melodische und rhythmische Differenzierung ermöglicht. In der Fachliteratur wird die Artikulationswahrnehmung und vor allem die korrekte eigene Artikulation als zentral für das Erlernen der korrekten Rechtschreibung unterstrichen (vgl. Ergert 2012, 42; Haueis 2016, 180, 185; Feick/ Pietzuch/ Schramm 2013, 64). Die Aufgaben zur Schulung der phonologischen Bewusstheit sind kul‐ turabhängig und müssen vorentlastet werden. In vielen Kulturen ist bei‐ spielsweise die Reimerkennung nicht offensichtlich, möglicherweise kommt der Endreim in der ursprünglichen kulturellen Umgebung der Lernenden gar nicht vor. Grundsätzlich ist die Rolle der Erstsprache im Schriftsprach‐ erwerb der L2-Lernenden nicht zu unterschätzen: Erst wenn ihnen die Abstraktionsleistungen in ihrer Muttersprache gelingen, können sie die phonologische Analyse und Synthese an vertrauten deutschen Wörtern und Sätzen erlernen. auditiv-phonematische Hilfestellungen ● Lautierkarten für gezielte Hördifferenzierung zweier Einzellaute (z. B. o/ u) bzw. der Laute in Silben oder in Wörtern ● rhythmisierte Reimspiele ● gehörte Wörter in Silben klatschen ● Laute im Aus- In- oder Anlaut lokalisieren (In Dreier-Kasten [□□□] wird ein Stein gelegt) 54 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="55"?> Visuelle Wahrnehmung Die Verarbeitung der Schrift beginnt im Auge. Am Sehen sind ca. sechzig Prozent der Hirnoberfläche beteiligt (Oberländer 2020, 138). Durch visuelle Wahrnehmung, d. h. in der Konfrontation mit der Form und den distinktiven Merkmalen der Buchstaben, „arbeitet“ man sich im Erstleseunterricht zu Klängen durch, die den aus Strichen, Halbkreisen und Kreisen zusammen‐ gesetzten Buchstaben zugeschrieben sind. Das Problem im DaZ-Alphabeti‐ sierungsunterricht ist der Mangel an im Vorfeld erarbeiteter Vertrautheit mit den Zeichen des lateinischen Alphabets. Das Sehsystem der geübt Lesenden filtert automatisch und unbewusst kleinste Formen heraus, zerlegt sie und fügt sie zusammen, um in vielen Schriftvarianten die Formkonstanz eines Buchstabens zu erkennen (Oberländer 2020, 145). Das Vorgehen ist bei den Wörtern gleich, sie werden nie als Ganzes erkannt, sondern aus Einzelheiten erarbeitet. Die Operationen sind völlig automatisiert und verlaufen unbewusst und parallel auf zwei Wegen: dem phonologischen, der zum Klang, und dem lexikalischen, der zum Sinn führt (Dehaene 2010, 17, 30-42). Die Fähigkeit, zwischen <o> und <a> bzw. zwischen <l> und <I> zu unterscheiden, ist keine genetisch gegebene Eigenschaft, sondern das Ergebnis kulturellen Lernens, das bei Kindern lange vor dem Schuleintritt, bei erwachsenen L2-Lernenden aber oft mit der ersten Unterrichtsstunde beginnt. Ohne semantische Bezüge können viele Erstleser die Abstraktheit der Zeichen nicht konkretisieren. Die Bedeutung metaphorischen Verstehens ist für viele Lern- und Bildungsprozesse grundlegend (Gansen 2008, 43; Ergert 2012, 49). Erst entwickelte Fähigkeiten im Umgang mit metaphorischen Konzepten ermöglichen eine kompetente Teilhabe an Kultur; daher sind sie für das tiefere Verständnis von Sprache unerlässlich. Neben der Sprache tragen Bilder die stärkste kommunikative Qualität in der kulturellen Wahr‐ nehmung in sich. Bei ihrem Einsatz im DaZ-Alphabetisierungsunterricht ist Vorsicht geboten, denn selbst die vertraute Muttersprache lässt sich nur schwer klar in Bildern wiedergeben. Bilder, die möglichst eindeutig entzifferbar sind und keiner tiefgreifenden Interpretation bedürfen, könnten eine Hilfe im Lernprozess bieten, wenn sie gut eingeführt und immer nach gleichem Muster eingesetzt werden. Bilder werden „gelesen“, und diese Fähigkeit muss erstens im Kurs oft erlernt werden, zweitens lässt sie sich nicht von kulturellen Prägungen der Lernenden trennen. Auch der Begriff „klar“ ist breit auslegbar und baut auf 4.1 Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen 55 <?page no="56"?> impliziten oder minimal expliziten Kenntnissen des kulturellen Codes die Ebene des verstehenden Sehens auf. Einfache Bilder können unversehens zu großen Hürden im Unterricht werden. Die Kapazität des visuellen Gedächtnisses lässt sich durch farbige Laut-Buchstaben-Kodierungen und grafische Hervorhebungen merklich steigern (vgl. Kapitel 7.1). Feldmaier betont, dass Farben nicht zum Erhöhen, sondern zum Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit sowie zum Bewusst‐ machen der Muster eingesetzt werden (Feldmeier 2010a, 78). Kontrastive Farbkodierungen und das Farbsilbenschreiben eignen sich als visuelle Hilfe im Alphabetisierungsunterricht. haptisch-visuelle Hilfestellungen ● gut lesbare (vergrößerte) kontrastreiche Leseu. Schreibvorlagen ● große und differenzierte, klar lesbare Buchstaben ● optische Ähnlichkeit der Buchstaben mit den handschriftlich zu produzierenden Formen ● vergrößerte Schriftbreite (Buchstabenzwischenräume) ● kontrastive Farbkodierungen ● Markieren von Silben oder Vokalen in Wörtern (Steine legen) ● Wörter in Silben oder Morpheme zerschneiden, zusammenlegen bzw. kombinieren. Taktil-kinästhetische Wahrnehmung Die Fähigkeit des Raumerkennens (oben, unten, links, rechts, Mitte), visuomotorische Integration (Integration visueller Wahrnehmung in die motorische Antwort) sowie Feinmotorik (Koordination und Kontrolle der Hand) sind neben der phonologischen Bewusstheit wichtige Voraus‐ setzungen für die Schriftaneignung. Insbesondere in der Anfangsphase beansprucht das Erlernen einer leserlichen und automatisierten Handschrift spezifische kognitive Prozesse (Mann 2020, 63; GRAFOS 2024, 32). Beim Lesen und Schreiben muss man Symmetrieverhältnisse von Buchstaben und Zahlen erkennen, die Bewusstheit für bedeutungsunterscheidende Merk‐ male einzelner Buchstaben entwickeln, die Schrift- und Buchstabengröße wie auch ihre Dimension im Linienraster passiv beim Lesen und aktiv beim Schreiben beherrschen. Die für das Lesen und Schreiben zentralen 56 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="57"?> Begriffe rechts und links können sich erst dann herausbilden, wenn sich das Bewusstsein von einer Mitte bzw. das Empfinden von einer Mittelachse entwickelt hat. Erst durch das Überschreiten dieser Achse wird links zu rechts und umgekehrt (Hoffmann Muischneek 1995, 68 f.). Schreiben heißt den Übergang vom dreidimensionalen Raum der Umgebung auf die zweidimensionale Papierfläche zu organisieren. Die Analphabeten müssen nicht nur die Muskeln trainieren, die ihnen ermöglichen, den Stift effizient zu halten und die Buchstaben zu verschriften; auch die Orientierung auf dem Blatt und der Umgang mit dem Heft sind eine Herausforderung und müssen eingeführt und mehrmals trainiert werden. Auf der basalen Stufe schreiben können heißt nicht nur, Formen der Buchstaben abzubilden, sondern auch, diese in linearer Abfolge regelmäßig zu binden und als einen Satz auf die Linie und als einen Text auf einem Blatt Papier regelkonform zu organisieren. Abb. 20: Orientierungsprobleme auf dem Blatt Graphomotorische Fähigkeiten Ein gezielter Aufbau der Graphomotorik gilt als Grundlage für die Au‐ tomatisierung der Handschrift. Je besser letzteres gelingt, desto mehr Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses bleiben für die schriftsprachlichen Prozesse beim Textverfassen frei. In der Fachliteratur wird empfohlen, in den Buchstabenvorlagen mit Pfeilen zu arbeiten, die das Nachvollziehen und das feinmotorische Nachspüren der Buchstabenabläufe ermöglichen. Lernende können mit den Fingern bzw. mit dem Stift über die Vorlage fahren und dann den Buchstaben auf das leere Blatt, im besten Fall aus dem Gedächtnis, nachschreiben. Das automatisierte Schreiben erfolgt dank taktil-kinästhetischer Kontrolle und wird nicht mehr vom Auge kontrolliert (vgl. Sägesser Wyss/ Sahli Lozano/ Simovic 2021, 2, 4). 4.1 Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen 57 <?page no="58"?> Auch beim Lesen spielen motorische Aspekte eine wichtige Rolle. Ein motorisches Signal ist beständiger als ein akustisches und hilft bei der Beherrschung komplexer Sprachmuster. Die im Gehirn gespeicherten Sprachbewegungsvorstellungen unterstützen wesentlich die Speicherung von Laut-, Wort- und Satzschemata im Langzeitgedächtnis (Breuer 2000, 62, 68; Theodorou 2016, 27; Haueis 2016, 176). Christine Mann behauptet, dass durch das rhythmisch-synchrone Sprechschreiben ca. fünfzig Prozent aller Wörter richtig geschrieben werden können. Die Entwicklung der korrekten Rechtschreibung setzt eine sichere aktive Beherrschung der Ar‐ tikulation und bereits in der phonologischen Lernphase die orthographische Analyse, d. h. die visuell-akustische Betrachtung des Wortes in Bezug auf Unterschiede zwischen Gesprochenem und Geschriebenem, voraus (Mann 2020, 36). Nicht alle Artikulationsbewegungen lassen sich problemlos nachahmen, denn nicht alle Muskelbewegungen bei der Lautbildung sind von außen erkennbar. Die bildliche Darstellung der Schlüsselinformationen verhilft zu guter artikulatorischer Sichtbarkeit und vereinfacht somit das Lernen von Lesen und Schreiben. Die Artikulation und das Spüren der Artikulationsbewegung sind wichtig sowohl für das Lesen als auch für das Schreiben. Leseanfänger brauchen das laute Lesen, um über die Klanggestalt von Buchstabenfolgen Zugang zur Bedeutung der sprachlichen Einheiten zu erhalten. Auch beim Schreiben schafft das synchrone Mitsprechen eine direkte Verbindung von Mund und Hand und unterstützt die Automatisierung der Schreibfertigkeit. Beim kodierten Schreiben mit zwei verschiedenen Farbstiften werden Lese- und Schreibfluss verzögert, was die Lautstruktur des Gelesenen bzw. Geschriebenen in den Vordergrund rückt. Die Tatsache, dass im Deutschen jede Silbe zumindest einen Vokal enthält, wird bewusster wahrgenommen (siehe Kapitel 7 und Online-Materialien). Neben der Verbindung von Mund-Ohr-Hand sind gelungene Auge-Hand-Koordination und entwickelte Feinmotorik für die Lese- und Schreibprozesse von besonderer Bedeutung. In einem multisensorischen Unterricht kommt immer wieder eine Frage auf: Resultieren defizitäre Schriftprodukte auf dem Papier aus mangelnden konzeptuellen Kenntnis‐ sen, oder haben sie eher mit unzureichender Koordinationsfähigkeit, Feindosierung und Genauigkeit, d. h. mit grob- und feinmotorischer Ungeübtheit und abweichender Rhythmus- und Raumwahrnehmung zu tun? 58 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="59"?> Abb. 21: Strategische Hervorhebung der Vokale im Diktat als Gedankenstütze In den Rahmenbedingungen der Alphabetisierungskurse für Erwachsene ist es nur bedingt möglich aufzudecken, wie stark die Lernenden grob- und feinmotorisch entwickelt sind - abgesehen von offensichtlichen Defiziten bei primären Analphabeten. Hier bräuchte es ein geschultes Auge, um Hypotonie (zu wenig Spannung) von Hypertonie (zu viel Spannung) zu unterscheiden und adäquate Übungen zu verordnen, denn diese beiden Ursachen mangeln‐ der Handgeschicklichkeit haben oft ein ähnliches Erscheinungsbild: kompen‐ satorisch verkrampftes Handgelenk, angespannte Sitzhaltung, unzureichende Bewegungsregulierung (Pauli/ Kisch 2016, 43-55). motorische Hilfestellungen ● ballistische Bewegungsübungen liegende Acht, Hände kreuzweise auf die Schulter legen ● Silben in der Luft in Bögen schwingen ● Wörter in Silben mit Schritten im Raum messen ● Sitzhaltung bewusst wahrnehmen ● kodiertes Schreiben mit zwei Farben (Stiftwechsel) ● kleine und große Formen nachzeichnen oder ausmalen ● Formen gespiegelt abzeichnen bzw. vervollständigen ● Übungen für Tonus- und Kraftaufbau ● lockernde, dynamisierende Übungen für Abbau der Muskelspan‐ nung ● Artikulationsbewegungen bei der Lautproduktion identifizieren und bewusst nachbilden, visuelle Artikulationshilfen: Mundbilder, Sprachbewegungsbilder, Lautpiktogramme ● Buchstaben mit dem ganzen Körper darstellen ● Buchstaben in der Luft oder auf der Vorlage mit der Hand groß‐ räumig zeichnen 4.1 Multisensorischer Unterricht mit heterogenen Gruppen 59 <?page no="60"?> ● Wörter oder Sätze mit Gesten begleiten oder pantomimisch dar‐ stellen Die eigene Rolle als Lehrperson im Unterricht kann man leicht relativieren, wenn man bedenkt, dass das Lernen ein individueller Akt des Wahrnehmens und Abstrahierens ist. In diesem Sinne entwickeln erfolgreich Lernende ihre eigenen Strategien: Sie nehmen Instruktionen zwar wahr, ignorieren diese aber im Lernprozess oder vergessen sie bei den Automatisierungshandlun‐ gen. 4.2 Fehlerkorrektur und Portfolioarbeit Schriftprodukte und Leseleistungen der Lernenden zeigen in erster Linie Abweichungen vom Regelsystem der Schriftsprache auf. Diese Abweichun‐ gen von der Norm - anders gesagt: Fehler - gehören zum Lernprozess und sollten nicht als Defizite bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund der Schrift- und Leseerwerbphasen (Kapitel 2.2) werden Fehler zu nützlichen Hinweisen für die Analyse des Lernstandes, im engeren Sinne gar zu Indikatoren für Lernfortschritte bzw. -rückstände. Ein solcher Umgang mit den Lese- und Schriftproben hilft die Komplexität des Lernmaterials, die Präsentation des Lernstoffs und die Beanspruchung der Lernenden so anzupassen, dass diese optimal lernen können (Valtin 2000, 21; dazu mehr in Kapitel 5.2). Das wiederum setzt Hintergrundwissen über mögliche Abweichungen im gesamten Lernprozess voraus. Bei der Fehlerkorrektur werden Lernende zur Übernahme von Verantwortung für den Lernprozess motiviert, d. h. mit der Zeit können sie ihre Fehler mit immer größerer Zu‐ verlässigkeit selbst erkennen und anhand von Hilfsunterlagen korrigieren. Die reflektierte, angstarme, gar angstfreie Einstellung zu eigenen Fehlern ist, nebst genügend Training, die Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Lese- und Schreibkorrektheit. Für die Fehlerauswertung werden die im Vorfeld eingeführten Zeichen oder die in der Gruppe gemeinsam entworfe‐ nen Skalen verwendet. Dank regelmäßiger Beurteilung gewöhnen sich die Kursteilnehmenden daran, ihr eigenes Handeln zu bewerten; im besten Fall lernen sie, ihre Kompetenzen realistisch einzuschätzen. Schnelle und adäquate Rückmeldungen sind für das Lernen unabdingbar. Die Korrekturarbeit ist dementsprechend ein wichtiger Teil des Lernprozes‐ 60 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="61"?> ses im Schreibunterricht. Sie fordert viel Aufmerksamkeit und Konzentra‐ tion seitens der Lernenden und braucht eine schrittweise Einführung. Für die Korrekturen ist die Elementarfarbe Gelb empfehlenswert, auch helles Grün kann benutzt werden. Die Fehler werden in diesen leuchtenden Farben von der Lehrperson markiert, die Kursteilnehmenden korrigieren die Unterlagen selbständig. Sie vergleichen ihre Schriftproben mit der Übungsvorlage im Portfolio. Die Korrekturen werden neben oder unter die Fehlschreibungen eingetragen. Lernende entscheiden selbst, ob sie in Schönschrift auf ein Blatt Papier oder ins Heft schreiben wollen. Anschließend können sie auch selbst ihre Schreibproduktion auswerten. Abb. 22: Korrekturmarkierungen Die Einführung des europäischen Sprachenportfolios löste großes Interesse an diesem didaktisch-methodischen Instrument aus - Kursteilnehmende sollten ihre Schreibprodukte, Schreibmuster, Lesetexte, wichtige Übungen oder Lernschritte, Probleme und Erfolge für sich dokumentieren. Damit wird das Portfolio zu einem wichtigen Instrument der Binnendifferenzierung, da die Teilnehmenden selbst auswählen können, was genau sie aufbewah‐ ren möchten. Zudem sollen sie durch das eigenständige Sortieren und Dokumentieren an Lernerautonomie gewinnen und ihre Lernfortschritte evaluieren lernen. Eine weitere Aufgabe des Portfolios ist, Lernprozesse für Dritte nachvollziehbar zu machen. Die Portfolioführung setzt neben schriftsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie rudimentären Sprachkenntnissen in der Zielsprache auch Beurteilungsvermögen, Selbständigkeit, Beherrschen der Kulturtechniken 4.2 Fehlerkorrektur und Portfolioarbeit 61 <?page no="62"?> des Lernens und Evaluierens sowie genügend Zeit im Unterricht voraus. Laut Feldmeier sollte das Portfolio in Förderkursen die vorhandenen Teil‐ nehmerkompetenzen widerspiegeln (Feldmeier 2010b, 158) und demzufolge in Alphabetisierungskursen möglichst einfach aufgebaut sein: basierend auf der Interimssprache der Lernenden bzw. auf den Visualisierungen und alltagsorientiert in puncto Themen und Aufgaben. Als Portfolioträger für die Arbeit mit den Online-Materialien wird in diesem Buch das Heft empfohlen. Es ist den meisten Lernenden bekannt, sorgt für Ordnung durch die vorgegebene Bindung und erleichtert eine geleitete Auswahl wie auch den von den Lernenden begrüßten Aufbau nach den Übungssequenzen mit Lernkarten. Aktuelle und stufenübergreifende Materialien können in einem Briefumschlag im Heft abgelegt werden. Das Heft ist praktisch, da weder zu groß noch zu schwer, und hat für viele Kursteilnehmende im Alphabetisierungsunterricht einen höheren Wert als lose Blätter, die oft zu Hause vergessen werden. Die Schreibübungen im Heft können auch als Vorleseübungen fungieren. Das Heft erleichtert den Überblick sowohl für die Lernenden selbst als auch für die, die sie beim Lesetraining außerhalb des Unterrichts unterstützen. Hier findet man das dem aktuellen Lernstand entsprechende Vorlesematerial, und der gesamte Lernprozess ist aus der Reihenfolge der eingeführten Unterlagen ersichtlich. Das Heft bildet zudem auf einfache Weise ab, wie sich die individuelle Schrift der Lernenden entwickelt - es wird im Wortsinn zu einem Lerntagebuch. In der Anfangs‐ phase tauchen beim Arbeiten mit dem Heft diverse Probleme auf, deren Klärung das Verständnis für die Linearität der Schrift und die Systematik der Textwelt fördert: Lernende öffnen das Heft umgekehrt oder beschriften unsystematisch beliebige Seiten, die teilweise oder nur einseitig ausgefüllt, oft auch an- oder herausgerissen werden. Im Vergleich zu einem einfachen Handy-Foto-Archiv kann ein Heft haptisch den eigenen Lernprozess und die Entwicklung abbilden. Neben den Lernapps können Handys oder andere Informationstechno‐ logien als Teil des auf selbständiges Lernen ausgerichteten Trainings eingesetzt werden. Lernende können die zu Hause gelösten Aufgaben fotografieren und an die Lehrkraft schicken, korrigierte Aufgaben als Bild abrufen und im Portfolio Korrekturen ausführen. Sie können Tonaufnahmen von ihren Leseversuchen oder von gesprochener Wortschatzarbeit machen und der Lehrkraft zustellen und auch vorgelesene Texte zur Unterstützung des eigenen Vorlesens bzw. Wörter zum Auswendiglernen empfangen. Mit der Zeit können Lernende üben, einfache Nachrichten an die Lehrkraft 62 4 Von Tlfn zu Telefon <?page no="63"?> zu schreiben. Im Fokus sollten aber nicht produzierte Texte, sondern der Erwerb einer Fertigkeit im gesamten Lernprozess bleiben, denn weder auf dem Papier noch im elektronischen Bereich ist das Produzieren von Quantität das Ziel, sondern die Sicherung von nachhaltigem Lernen. Leseempfehlung Über die Schlüsselrolle der Prosodie im Sprach- und Schrifterwerb findet man aufschlussreiche Informationen in Ergert 2012. Schnitzler 2008 ist eine umfangreiche Studie zu phonologischer Bewusstheit, Valtin 2010 und 2012 wirft einen kritischen Blick auf dieses Konzept. Die Diskussion zur Visualisierung durch Farben im Leselernprozess fasst Alexis Feldmeier gut zusammen (Feldmeier 2010a, 78-81). Psycho- und graphomotorische Aspekte im Schriftspracherwerb be‐ schreiben Hammer/ Schröder/ Wendler 2024, 63-76, und Pauli/ Kisch 2016 schildern Teilaspekte der Handgeschicklichkeit sowie Ursachen feinmotorischer Störungen. Eine unterrichtsbezogene Einführung in die Entwicklung basaler Lese- und Schreibfertigkeiten und praktische Tipps zu deren Förderung bieten Philipp 2021, 29-60; Sturm/ Nänny 2017; Sturm 2017 und Müller/ Richter 2017. 4.2 Fehlerkorrektur und Portfolioarbeit 63 <?page no="65"?> 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe 5.1 Lernerautonomie und Lerntechniken Ziel des DaZ-Alphabetisierungsunterrichts mit Erwachsenen ist, deren Zu‐ gang zur schriftdominierten, neuen kulturellen Umgebung zu ermöglichen. In dieser bedeutet Schriftlichkeit mehr als eine das Lesen erlaubende Buch‐ stabensynthese. Es ist auch der Umgang mit diversen Medien (u. a. Com‐ puter oder schriftbasierte Anwendungen), mit gedruckten Dokumenten (Werbebroschüren, Anmeldeformulare, Gutscheine, Hausordnungen etc.) sowie mit standardisierten Zeit-, Raum- und Zahlenbegriffen. Im Unterricht müssen auch diese Themen ihren Platz finden, denn das Erlernen einer Schriftsprache ist für L2-Lernende viel mehr als Lesen und Schreiben: Sie beginnen eine neue Welt zu begreifen. Die fremdsprachige Alphabetisierungsklasse ist nicht per se lernautonom. Der Grad an Schulerfahrung kann in einer Alphabetisierungsklasse stark variieren, je nachdem ob und wie lange Kursteilnehmende in eine Schule gegangen sind oder an einer Form von Gruppenunterricht teilgenommen haben, welche Erfahrungen mit verschiedenen Organisations- und Sozial‐ formen des Unterrichts sie mitbringen, wie viele Aufgabentypen sie bereits kennen und wie viele Strategien sie entwickelt haben, um etwas explizit zu lernen. <?page no="66"?> Abb. 23: Alphabetisierung als Einstieg in schriftdominierte kulturelle Umgebung Wenn Kursteilnehmende tatsächlich zu kompetenten Lesenden und Schrei‐ benden werden sollen, müssen sie sich mit komplexen Fragen beschäftigen, diese begreifen und adäquat reagieren. Bausteine der Lernerautonomie Motive, Ziele, Vorstellungen kennen „Ich weiß, warum ich lerne.“ Teilziele setzen „Ich kann mein Ziel in Schritte aufteilen.“ Strategien einsetzen „Ich agiere so, dass es möglich ist, die Teilziele zu erreichen.“ sich selbst einschätzen und evaluieren „Ich bin zu mir ehrlich und kann möglichst rea‐ listisch einschätzen, ob ich mein Teilziel erreicht habe.“ Zeitmanagement beherr‐ schen, sich selbst organisieren „Ich kann mich zeitlich organisieren und bin bereit, wenn nötig, mehr Zeit für ein Teilziel zu investie‐ ren.“ Konzepte verstehen, Fach‐ kompetenz und neue Fähig‐ keiten entwickeln „Ich kenne bereits Aufgabentypen und weiß, wie man diese effektiv löst.“ Lernerautonomie ist ein langfristiges Unterrichtsziel und soll in den Lern‐ prozess binnendifferenziert und kleinschrittig eingebaut werden. Wichtig 66 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe <?page no="67"?> ist erstens, dass alle Beteiligten die Aufgabenstellung sowie die Äußerungen der Lehrperson und der Mitlernenden verstehen; zweitens, dass Lernende mit der Zeit ihr (Unbzw. Miss-)Verständnis in der Zielsprache verbali‐ sieren können. Fragende Kursteilnehmende sind in dieser Hinsicht ihren schweigenden Mitlernenden einen Schritt voraus. Tauchen keine Fragen auf, kann das als völliges Verständnis oder Unverständnis ausgelegt werden. Im DaZ-Alphabetisierungsunterricht ist letzteres in der Regel anzunehmen. Im dritten Schritt müssen die Lernenden eine Idee entwickeln, wie sie mit einer ihnen gestellten Aufgabe umgehen wollen; im vierten Schritt haben sie diese Aufgabe zu lösen; im fünften Schritt sind sie gehalten, sich eventuell Hilfe zu holen, indem sie Kollegen, die Lehrkraft oder ein technisches Tool (Übersetzungsanwendungen o. Ä.) fragen und die Ergebnisse korrigieren sowie den eigenen Lösungsprozess evaluieren und ein Fazit ziehen: „Habe ich etwas verstanden? “, „War es richtig so, wie ich die Aufgabe gelöst habe? “, „Wo habe ich noch Unsicherheiten? “, „Was müsste ich beim nächsten Mal ändern? “ Es gilt herauszufinden, mit welchem Erfolg und wie effizient man zuvor gearbeitet hat - Lernerautonomie zu gewähren heißt demnach, die Lernenden ihre Schritte selbst evaluieren zu lassen. Kursteilnehmende, die nicht auf Anhieb verstehen, was sie zu machen haben und wie, sind in der gegebenen Unterrichtssituation nicht autonom. Aufgabe der Lehrkraft ist es, bei ihnen die nötige Sprachkompetenz aufzu‐ bauen, damit sie ihr tatsächliches Wissen im Unterricht zeigen und ähnlich autonom wie außerhalb des Klassenzimmers handeln können. Neben der notwendigen Sprache ist es wichtig, Lerntechniken zu vermitteln, auf Binnendifferenzierung zu achten, die Motivation der Lernenden zu stärken und sie zum Lerntransfer außerhalb des Klassenzimmers zu ermutigen oder ihnen einen solchen zu ermöglichen. Im Idealfall können Lernende im Verlauf des Kurses immer besser ihre Wünsche, Fragen, Bitten, Meinungen formulieren, die im Unterricht erarbeiteten Aufgabentypen und deren Sinn verstehen sowie sich verschiedene Strategien zum Lösen der Aufgaben aneignen. Auf diese Weise erschließen sie für sich verschiedene Methoden und Wege zum lebenslangen Lernen. 5.1 Lernerautonomie und Lerntechniken 67 <?page no="68"?> Lernstrategien für den Alphabetisierungsunterricht ● Zeitmanagement Aufgaben in kleine Einzelschritte unterteilen und terminieren, genügend Zeit für das Üben reservieren (z. B. jeden Tag zehn Minuten) ● Konzentration Ablenkungen reduzieren, in die Aufgabe eintauchen ● Einprägungs-/ Elaborationsstrategien üben und wiederholen; Mnemotechniken entwickeln (Notizen machen, Analogien oder Antonyme bilden, Fragen stellen, Vor‐ wissen aktivieren usw.) ● Strukturen und Kategorien bilden, Muster erkennen ● Kooperative Strategien in einer Gruppe lernen, Hilfe in Anspruch nehmen (Tandempart‐ ner suchen außerhalb der eigenen Kleinfamilie usw.) ● Selbstkontrollstrategien ● Motivations- und Emotionsstrategien sich längerfristig motivieren können, mit Stress umgehen Die Anpassung der Methoden an die empirisch nicht bewiesenen Lerntypen ist im andragogischen Bereich wie auch in Lehrwerken immer noch weit verbreitet. Lernen ist mit der Verarbeitung von Informationen verbunden, die über verschiedene Sinne aufgenommen werden (siehe Kapitel 4.1). Die sich an einem Sinn orientierenden Lerntypen sind in üblichen Unter‐ richtssituationen kaum anzutreffen, stattdessen Lernende, die sich in ihren Lernpräferenzen, Lernstrategien, Lernmotiven und -motivationen stark unterscheiden. Wichtig ist daher, mit den Kursteilnehmenden zu trainieren, wie man aktiv über mehrere Lernkanäle Informationen aufnimmt, wie man diese durch Wiederholen, Üben, Vergessen und Erinnern festigt und wie man kontrolliert, ob und was man verstanden hat. Lerntechniken im Alphabetisierungsunterricht ● Wiederholen, auswendig lernen und kontrollieren ● Aktiv lernen mit haptischen, räumlichen und visuellen Zeichen 68 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe <?page no="69"?> Markierung, Hervorhebung, Unterstreichung, Notizen, Graphiken ● Aktiv lernen mit Mnemotechniken visuelle oder kinästhetische Verbindungen schaffen (eigenes Zeichnen, Bilder vorstellen, sich gleichzeitig bewegen und spre‐ chen usw., An- und Auslautreime, kontextuelles Lernen) Ideale Kursteilnehmende lernen völlig autonom und wissen, warum sie am Unterricht teilnehmen wollen, fragen und zeigen Unverständnis an, reservieren genügend Zeit für das selbständige Üben, setzen sich mit dem eigenen Lernerfolg auseinander und reflektieren den eigenen Lernweg in einem individuellen musterhaften Portfolio. Insbesondere letzteres erweist sich im Lese- und Schreibunterricht schnell als Wunschdenken: Das Führen eines Lernportfolios braucht viel Zeit und Geduld auf beiden Seiten und kann nur kursübergreifend langfristiges Ziel sein. Fokussiert die Lehrperson als eigentliches Ziel der Alphabetisierung die Aneignung der Schriftsprache, wird sie damit konfrontiert, dass das Portfolio als Produkt in meisten Fällen nicht so gelingt wie angestrebt. Nimmt man die Maxime „Weniger ist mehr“ ernst, bleibt die Führung des Portfolios zwar weiterhin eine zeitintensive Arbeit, jedoch mit reduziertem Umfang. Schritte zur selbständigen Arbeit ● Aufgabenkenntnisse Gründliche Einführung der Aufgabentypen ● Progression der Aufgaben Kleinschrittigkeit und Schrittwechsel. Die Lehrkraft soll eine Auf‐ gabe in gröbere und feinere Schritte unterteilen, so dass alle Kursteilnehmenden binnendifferenziert lernen können und die koordinierte Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe weiterhin möglich ist. ● Erarbeitung autonomen Lernens Wie können Lernende selbst üben? Was können sie selbst tun? Lehrkräfte sollten die Kursteilnehmenden schrittweise zu neuen Lerntechniken hinführen, z. B. mithilfe kleindosierter, im Unter‐ richt bereits erarbeiteter Aufgaben, die sie zu Hause erledigen kön‐ nen; vertraute Aufgabentypen (mit gesicherter Selbstkontrolle) sind dazu eine Voraussetzung. Lehrpersonen können Kursteilneh‐ 5.1 Lernerautonomie und Lerntechniken 69 <?page no="70"?> mende auch dazu anleiten, einen Tandempartner zu suchen, mit dem außerhalb des Unterrichts regelmäßig gearbeitet wird. ● Selbstorganisation beim Lernen Führen einer Lerndokumentation (Portfolio als Lerntechnik). Wie führt und ordnet man die Schulunterlagen? Wozu dienen sie? Wie findet man die Unterlagen wieder? Warum ist es sinnvoll, mit dem Portfolio außerhalb der Schule zu arbeiten? ● Evaluation des Lernprozesses durch die Lernenden selbst Was habe ich verstanden und was nicht? Was bereitet mir weiter‐ hin große Schwierigkeiten? Was kann ich jetzt besser? Was ist gleichgeblieben? Was habe ich gemacht? Kann ich etwas anders machen? Brauche ich mehr Zeit? Bin ich bereit, mehr Ressourcen zu investieren? ● Lernsetting Wann, wo und mit wem kann man außerhalb des Unterrichts lernen? 5.2 Motivation und Emotionen: lernen wollen versus lernen können Lernen ist ein kognitiver Prozess, der in vielerlei Hinsicht zu Belastungen führt und sich in der Interaktion zwischen einem Individuum und seinem Umfeld entwickelt. Laut der Cognitive Load Theory (CLT) von John Sweller und Paul Chandler führt das Lernen wegen der Kapazitätseinschränkungen des mentalen Arbeitsraums zu mehrfacher kognitiver Belastung (Heidler 2013, 102 f.; Rey/ Nieding 2010, 70-72) Belastung Ursachen Entlastung intrinsisch Komplexität des Lernmate‐ rials Interaktivität der einzelnen Lernelemente Vorwissen extrinsisch Präsentation des Lernmate‐ rials durchdachte Unterrichtsmate‐ rialien 70 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe <?page no="71"?> lernbezogen Beanspruchung der lernen‐ den Person durch Kon‐ struktion und Automatisie‐ rung der Schemata im Arbeitsgedächtnis möglichst niedrige intrinsi‐ sche und extrinsische Belas‐ tung Das Erwerben der Fertigkeiten und des Wissens bedeutet in der Regel eine Entwicklung, die in der Ko-Konstruktion mit Lernpartnern beginnt, zu einer inneren autonomen Konstruktionsfähigkeit wird und zu Handlungs‐ kompetenz sowie Selbstorganisation führt. Lernen hat demnach neben entwicklungspsychologischen auch soziale Aspekte. Wygotskis Theorie zufolge findet der Wissensaufbau am nachhaltigsten in der „Zone der nächsten Entwicklung“ statt, die zwischen dem aktuellen/ niederen und dem potentiellen/ höheren Wissensstand anzusiedeln ist; das Verbleiben in dieser Zone werde durch geeigneten Lernstoff, angepasste Materialien, den Aufgabenschwierigkeitsgrad sowie transparente didaktische Begleitung sichergestellt (Wygotski 1972, 259 f.; Bundschuh 2003, 143-145). Abb. 24: Zone der nächsten Entwicklung (nach Rey/ Nieding 2010, 78) - Abb. 25: Modell des Flow-Zustandes (nach Csíkszentmihályi 1985, 75) In dieser Zone sind selbst- oder fremdgestellte Aufgaben idealtypisch mittel‐ schwer, mit einem Anreiz und positiv herausforderndem Stress verbunden. Die Balance zwischen Über- und Unterforderung sollte ausgeglichen sein, sodass die lernende Person ihre ganze Aufmerksamkeit investiert und sich in die Aufgabe vertieft, was im besten Fall zu einem „Flow“-Erlebnis beim Lernen führt. Es ist ein Zustand optimaler Motivation, in dem gestellte Aufgaben genau den individuellen Fähigkeiten entsprechen und sich die kognitiven, emotionalen und praktischen Erfahrungen gegenseitig unter‐ stützend ergänzen (vgl. Csíkszentmihályi 1985, 74-77). 5.2 Motivation und Emotionen: lernen wollen versus lernen können 71 <?page no="72"?> Der deutsche Philosoph und Hirnforscher Gerhard Roth sieht die Moti‐ vation als Wechselwirkung von Kognition und Emotionen. Letztere steuern „energetisierend“ unsere Gedanken, Vorstellungen und Erinnerungen (vgl. Roth 2003, 291). Unterrichtende und Forschende sind sich in puncto Be‐ deutung der Motivation für den Lernprozess einig. Beim Erlernen einer fremden (Schrift-)Sprache wird ein anderer, ebenso wichtiger Faktor jedoch oft unterschätzt: die Zeit. Es ist bewiesen, dass kognitive und emotionale Belastungen langwierige Auswirkungen haben. Um den notwendigen Aufwand für das Lernen leisten zu können, brau‐ chen Lernende stets eine Selbstmotivation - motiviert zu lernen heißt, für sich einen Sinn in den Lernprozessen zu erkennen. Unser Verhalten wird aber nicht nur von uns selbst, sondern in der Interaktion mit der Umwelt gesteuert. Macht man etwas aus Freude und für sich selbst, wird das in der Psychologie als intrinsische Motivation bezeichnet; wird eine Handlung hauptsächlich durch äußere Reize (Belohnung, Bestrafung) angetrieben, spricht man von extrinsischer Motivation. In einer Lernsituation gibt es in der Regel eine Kombination aus beidem (Schlag 2013, 22-24). In der Motivationsforschung zeichnen sich drei Richtungen ab: Die ko‐ gnitiv orientierte konzentriert sich auf die Zielsetzung, die motivorientierte und die emotionale hingegen fokussieren auf die Beweggründe. Die mas‐ lowsche Bedürfnispyramide ist hierarchisch strukturiert: Um Bedürfnisse der höheren Ebenen (Selbstverwirklichung) motiviert anstreben zu können, müssen zuerst physiologische Grundbedürfnisse (z. B. Nahrung, Schlaf) und Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sein. Viele Forschende in der angewand‐ ten Linguistik argumentieren, dass Fremdsprachenlernen im Vergleich zu anderen schulischen Fächern über die Erfüllung von Bedürfnissen und Zielsetzungen hinausgeht, was mit der Identität, besser: mit dem Selbstkon‐ zept der Lernenden zu tun hat. Kanadische Motivationsforscher wie Robert Gardner und Wallace Lambert legten in ihren Arbeiten großen Wert auf die Rolle der Integrativität (integrativeness, Gardner/ Lambert 1959), d. h. darauf, wie weit Fremd- und Zweitspracherwerbende sich in die Kultur der Zielsprache integrieren und den Erstsprachlernern ähnlich werden wollen. Der Begriff der Integrativität wird in diesem Konzept als etwas Selbstgesteuertes verstanden: L2-Lernende sind bereit, viel Zeit und Energie zu investieren, wenn sie sich mit der Zielkultur vertieft beschäftigen wol‐ len. Inspiriert von kanadischen Untersuchungen interessierte sich Zoltán Dörnyei dafür, was man von erfolgreichen Sprachlernenden lernen kann, nämlich woher erfolgreiche L2-Lernende ihre Kraft und Energie nehmen, 72 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe <?page no="73"?> längerfristig ihre Ziele zu verfolgen, und dadurch imstande sind, eine fremde Sprache auf höchstem Niveau zu erlernen. Den Ausgangspunkt seiner Forschung bildete der von Hazel Markus und Paula Nurius eingeführte psychologische Begriff des Selbstkonzeptes (Possible Selves, 1986). In seinem L2-Motivations-Selbstsystem (L2 Motivational Self System) stellte Dörnyei fest, dass es drei primäre Quellen für die Motivation gäbe, eine fremde Sprache zu erlernen: erstens, die Vorstellung der Lernenden von sich selbst als effiziente L2-Sprechende; zweitens, sozialer Druck; drittens, positive Lernerfahrungen. In der Zweitsprachaneignung im Zielland ist es oft schwierig heraus‐ zufinden, wie sich die Lernenden ihr deutschsprechendes, lesendes und schreibendes Ich - und ihre Zukunft - vorstellen. Wollen sie selbst lesen und schreiben lernen, oder verinnerlichen sie nur die auf sie projizierten Erwartungen der Umgebung? Letztere sind z. B. bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, selbständiges Sprechen und ausreichendes Verstehen in Ämtern, bei einem Arztbesuch oder in der Schule bei Elterngesprächen. Es können zwar intrinsische Wünsche der Lernenden sein, die jedoch vorwiegend extrinsisch vermittelt werden, als Wunschvorstellungen der Gesellschaft, die die Eingewanderten unter Integrationsdruck stellt. Laut Dörnyeis Modell wurzelt Motivation im Bedürfnis, die Diskrepanz zwischen dem idealen und dem realen Selbst zu verringern; motiviertes Handeln setzt dabei voraus, dass L2-Lernende bereits über eine zukünftige Vorstellung von sich selbst verfügen und dass diese durchdacht, detailreich und realitätsnah ist. Jedes Zukunftsbild impliziert einen Plan und braucht Begleitpersonen, die jemanden bei dessen Umsetzung unterstützen (Dörnyei/ Hadfield 2013, 3-5). An einer individuellen Ich-Vision im Alphabetisierungsunterricht als Gruppe zu arbeiten ist wegen der fehlenden gemeinsamen Sprache kaum möglich. Nicht selten wird eine Lehrkraft mit unrealistischen Erwartungs‐ haltungen seitens der Lernenden oder der sie zuweisenden Institutionen konfrontiert. Daher ist es angeraten, dass sich die Lehrperson der eigenen Beweggründe für den aktuellen Unterricht bewusst wird und gleichzeitig den Lernenden durch konkrete Rückmeldungen eine Überprüfung ihrer Lernsituation ermöglicht sowie durch aktivierende Unterrichtsgestaltung ihr Engagement fördert. Am Kursbeginn sind fast alle Lernenden mit voller Motivation dabei. Bleiben jedoch die imaginierten Erfolge wie z. B. rasches Erreichen des flüssigen, verständnisvollen Leseniveaus aus, sinkt die Motivationskurve ab. 5.2 Motivation und Emotionen: lernen wollen versus lernen können 73 <?page no="74"?> Erfahrungsgemäß haben Lernende in Alphabetisierungskursen grobe Ziele vor Augen, die gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen, jedoch keine Vorstellung davon, wie solche Ziele zu erreichen wären. Eine der Aufgaben der Lehrperson ist es daher, die nötigen Zwischenstufen aufzuzeigen und den Kursteilnehmenden ihre minimalen zielführenden Erfolge auf einzelnen Stufen bewusst zu machen. Die Lehrkraft kennt die in Curricula oder in gesetzlichen Rahmenbedingungen formulierten Erwartungen; dementspre‐ chend ist sie gehalten, den Unterricht so zu gestalten, dass alle Lernenden in der Zone der nächsten Entwicklung gefördert und gefordert werden. Denn im fragilen Unterrichtsgeschehen wirkt jede Art der Überbzw. Unterforderung demotivierend. Die geistige Leistungsfähigkeit des Menschen hängt von der Intaktheit seines Nervensystems und von einer stabilen Gefühlslage ab. Eine gefestigte emotionale Verfassung ist für bewusste logische Überlegungen unerläss‐ lich und kann die synaptische Hirnaktivität stimulieren; schwankende Gefühlszustände können blockieren oder Lernprozesse völlig verhindern. Der Schweizer Psychiater Luc Ciompi entwickelte ein Konzept der „Affek‐ tologie“: Motivation bezeichnet demnach einen mobilisierenden und dyna‐ misierenden Aspekt integrierter Fühl-, Denk- und Verhaltensprogramme. Allgemein beschreibt Ciompi diese Dynamik als Bewegungsimpulse „hin zu“ (bei lustbetonten Affekten) oder „weg von“ (bei unlustbetonten Affek‐ ten). Je nach Gefühlslage kann ein Mensch eine „Angstlogik“, „Wutlogik“ bzw. „Freudelogik“, „Liebeslogik“ oder „Interessenlogik“ entwickeln (Ciompi 2016, 84-86, 104). Jean-Marc Dewaele und Peter MacIntyre (2022) führten in diversen Ländern Untersuchungen zu positiven (Spaß, Freude) und negativen Gefühlen (Angst) im Fremdsprachenunterricht durch. Sie fanden heraus, dass positive und negative Gefühle der Lernenden nicht aneinan‐ dergekoppelt seien; die Lehrkräfte würden vorwiegend für positive Gefühle der Lernenden sorgen, während negative eher mit deren Selbstkonzepten zu tun hätten. Viele Migrantinnen und Migranten haben vor dem Einstieg in die Alphabetisierungskurse ihre traumatisierenden Fluchterfahrungen noch kaum verarbeiten können; ihre aktuelle Lebenssituation ist oft unklar und instabil - und langfristige kognitive Anstrengung verursacht zusätzliche psychische Belastungen. Die aus dem Unterrichtsgeschehen entspringende „Freudelogik“, verknüpft mit zunehmender Akzeptanz sowohl der Fremd‐ heit des Lernstoffes als auch der eigenen Grenzen, kann die negativen Auswirkungen von Stress, Trauer oder Depression nicht beheben, diesen aber im Lernprozess kompetenzfördernd entgegenwirken. 74 5 Lernen in der Alphabetisierungsgruppe <?page no="75"?> Zum Abbau von Blockaden und zur Stärkung der Motivation der Lernenden sowie zur Steigerung der Effizienz ihrer Ge‐ dächtnistätigkeit führen folgende Faktoren: ● transparente, didaktisch motivierende Haltung und überzeugen‐ des Handeln der Lehrperson ● unterstützende Lerngruppe, positive Vorbilder (erfolgreiche Peers) ● überschaubare, nicht überlastete Unterrichtsstrukturen ● wiederholte und mit der Zeit zur Gewohnheit werdende Lern‐ handlungen ● langfristige Arbeit mit dem vertrauten Lernstoff ● Fokus auf die Lernfortschritte und die Neubewertung der Fehler im Korrekturverfahren Leseempfehlung Zur Motivation bietet Schlag 2013 eine gute Übersicht. Dörnyei/ Hadfield 2013 zeigen, wie man die theoretischen Grundlagen in die Praxis des Fremdsprachenunterrichts umsetzt. Böddeker 2018 liefert konkrete Tipps zu den Lernstrategien für Alphabetisierungsklassen. Philipp 2017 vermittelt Grundlagenwissen über die Lese- und Schreibmotivation und fasst die Praktiken der Lehrpersonen zusammen, die sich lernförderlich bzw. -hinderlich auf die Motivation der Lernenden auswirken. Das heilpädagogische Lehrbuch Bundschuh 2003 erklärt die Verflechtungen von Emotionalität, Lernen und Verhalten. 5.2 Motivation und Emotionen: lernen wollen versus lernen können 75 <?page no="77"?> 6 Ausblick 6.1 Rahmenbedingungen Laut der Weltbank-Statistik waren im Jahr 2020 87 % der erwachsenen Weltbevölkerung alphabetisiert (World Bank Group 2024). Die Zahl der alphabetisierten Frauen nimmt zu, obwohl in allen Studien Frauen in der Bildung im Vergleich zu Männern weltweit weiterhin benachteiligt sind. Die Berechnungen der Weltbank beruhen auf den Daten der UIS (Unesco Institute of Statistics). Die Unesco-Studie vom August 2015 rechnete mit mehr als 757 Millionen Menschen, die einfache Sätze weder lesen noch schreiben können. Diese Zahl ist zwar erschreckend hoch, die Anzahl der nicht oder gering literarisierten Menschen ging aber, laut Studie, weltweit zurück. Die einheitliche statistische Einschätzung der nichtalphabetisierten Weltbevölkerung ist schwierig, denn die Statistiken basieren auf den sich oft unterscheidenden Begrifflichkeiten und Aussagen der ausführenden Länder, die an der Untersuchung teilnehmen. Die empirische Studie „leo - Level-One“ (2011) belegt, dass 7,5 Millionen Menschen in Deutschland als funktionale Analphabeten bezeichnet werden können. Davon sprechen ca. 40 % eine andere Erstsprache als Deutsch (vgl. Grotlüschen/ Riekmann 2012, 20; Grotlüschen 2016, 100 f.; Markov/ Waggers‐ hauser 2018, 395). Eine internationale Erhebung in fünf Ländern aus dem Jahr 2003 zu Grundkompetenzen (Adult Literacy Life Skills) wie Lesen und Alltagsmathematik zeigte für die Schweiz, dass die Eingewanderten, die 26 % der Teilnehmenden an der Erhebung ausmachten, „im Schnitt weniger gut ab[schnitten] als die in der Schweiz geborenen Befragten“, wenn ihre Muttersprache nicht mit der Sprache ihrer Wohnregion übereinstimmte. <?page no="78"?> Nach der Studie von Notter et al. repräsentierten 2006 jedoch erst kürzlich Eingewanderte mit höheren Qualifikationen den signifikanteren Teil aller Eingewanderten (Notter/ Arnold/ von Erlach/ Hertig 2006, 7 f., 25 f.). Alphabetisierungskurse tragen der Heterogenität des Illettrismus und der Migration nur teilweise Rechnung, denn die Kursorganisation kann nur bis zu einem gewissen Grad der Multikulturalität und den unterschied‐ lichen Kompetenzniveaus der Lernenden entsprechende Kurse ermöglichen. Grundsätzlich organisiert man Alphabetisierungskurse für Erwachsene in der Erst- oder in der Zweitsprache separat. Freiwillige und Walk-in-Ange‐ bote zeigen jedoch in dieser Hinsicht eine größere Beliebigkeit. Kurse in Sprachinstitutionen sind meistens auf ein Zielpublikum ausgerichtet und auf vordefinierte Inhalte und Ziele hin organisiert. Tatsache ist, dass die Kurse erst ab einer bestimmten Anzahl Teilnehmender finanziell tragbar sind, dementsprechend definieren neben didaktischen Möglichkeiten auch finanzielle Ressourcen der Institutionen ihre Rahmenbedingungen. Letztere sind mit Einwanderungsregelungen verbunden und von Integrationsvor‐ schriften der jeweiligen Länder bestimmt. Ausreichende Kompetenzen in der Landessprache verstehen Deutschland, Österreich und die Schweiz als eine Basis für die gesellschaftliche Partizipation. Der politische Diskurs in diesen Ländern nennt Sprache als Schlüssel zur Integration und Beteiligung am wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Einig sind sich die Länder darüber, dass Sprachkenntnisse als geeigneter Indikator der Integrationsbe‐ mühungen fungieren, und fordern für Niederlassungs- und Aufenthaltsbe‐ willigungen Sprachzertifikate oder Abschlüsse auf den GeR-Niveaus A1 bis B1 ein. In Deutschland und in der Schweiz können spezifische Prüfungen wie der „Deutschtest für Zuwanderer“ oder der fide-Test abgelegt, in Österreich müssen aufeinander aufbauende Module abgeschlossen werden. Die gesetz‐ lichen Rahmenbedingungen für das Einfordern von Sprachkenntnissen und den Zugang zur Sprachförderung sind durch das deutsche Aufenthaltsgesetz von 2005, durch das österreichische Integrationsgesetz von 2021 und in der Schweiz durch das Ausländer- und Integrationsgesetz von 2005 sowie durch die Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vorgegeben. Den Rahmenbedingungen entsprechend werden Deutschkurse mit unterschiedlichem Zentralisierungsgrad angeboten. 78 6 Ausblick <?page no="79"?> Informationen zu Integrationsprogrammen findet man ● in Deutschland auf der Seite vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: https: / / www.bamf.de für Integrations- und Sprachkurse unter: https: / / www.integration sbeauftragte.de/ ib-de/ ich-moechte-mehr-wissen-ueber ● in Österreich beim Österreichischen Integrationsfonds: https: / / www.integratio nsfonds.at ● in der Schweiz auf der Seite mit Integrationsprogrammen von Bund, Kantonen und Gemeinden: https: / / www.kip-pic.ch Obwohl die verlangten Sprachniveaus gemäß GeR-Deskriptoren schrift‐ sprachliche Kenntnisse voraussetzen, fällt die Gewichtung der Alphabeti‐ sierungsprozesse in der Zweitsprache Deutsch in den D-A-CH-Ländern unterschiedlich aus. Eine Orientierung und Instrumente für die Organisa‐ tion von Förderangeboten bieten diverse Rahmencurricula. Die Schweiz hat 2007 ein allgemeines Rahmencurriculum für Sprachkurse initiiert; in Deutschland und Österreich wurden spezifische Konzepte und Curricula für die Alphabetisierungskurse entwickelt und in den letzten Jahren mehrmals revidiert. Das deutsche Integrationskonzept und -angebot sieht für den Integrationskurs mit Alphabetisierung 900 Einheiten à 45 Minuten bzw. 1200 Einheiten à 45 Minuten bis zum GeR-Niveau A2 bzw. B1 vor. Das österrei‐ chische Pendant aus dem Jahr 2012 wurde 2021 neubearbeitet und umfasst seitdem allgemeine kursorganisatorische, andragogische und methodische Empfehlungen für die Alphabetisierung Erwachsener. 2022 wurde im Rahmen eines vom Europarat geförderten Projekts der sogenannte Reference Guide on Literacy and Second Language Learning for the Linguistic Integration of Adult Migrants (LASLLIAM 2022) veröffentlicht. Er bietet sprachenunabhängig ergänzende GeR-Deskriptoren und einen methodischen Überblick zur Entwicklung von qualitativ hochwertigen Lernangeboten für gering literarisierte Erwachsene. Damit trägt das Doku‐ ment der Heterogenität in der Organisation der entsprechenden Kurse Rechnung. 6.1 Rahmenbedingungen 79 <?page no="80"?> 6.2 Curricula und Materialien Parallel zu internationalen und nationalen Rahmencurricula bestimmen Lehrpläne und Leitfäden der Sprachschulen und Institutionen, welche den Rahmencurricula entsprechenden Kurse die Anbieter aufgleisen. Diese Lehrpläne sollten in Minimalversion Zielpublikum, Zielsetzungen und In‐ halte sowie Dauer der Kurse beschreiben. Vor allem Intensität und Dauer eines zu gebenden Kurses grenzen die andragogischen Möglichkeiten der Lehrkräfte ein: Manche Methoden und Inhalte sind in einem halbintensiven Kurs nicht vergleichbar zielführend wie in einem intensiveren Kursformat. Noch mehr als die eigene Schule oder Institution geben Lehrwerke (unerfahrenen) Lehrkräften einen festen Halt im Unterricht. Nahezu jeder Verlag, der für Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache Buchreihen verlegt, hat in seinem Programm Lehrwerke für Alphabetisierungskurse, einige davon sind z. B: Hier! (Ernst Klett), Alphamar (Klett-Langenscheidt), Schritte Alpha (Hueber), Alphaplus (Cornelsen). In der Schweiz spezialisierte sich der Bühler-Verlag mit den Lehrwerken ABC-Domino und Domino auf den nicht oder nur wenig literarisierten Erwachsenenunterricht. Die meisten Verlage bieten zu den Lehrwerken, die in der Regel in der Praxis erprobt wurden, zu‐ sätzlich Handreichungen mit Kopiervorlagen wie auch Online-Lernportale an. Die Basis dafür bilden die Kenntnisse und Erfahrungen der Autorinnen und Autoren mit Sprach- und Schriftprogression im Alphabetisierungs‐ unterricht. Lehrwerken wie Hier! und Alphamar liegt zudem empirische Forschung zugrunde. Da die Kursgruppen nur selten homogen sind und einander kaum glei‐ chen, fallen die Themenschwerpunkte von Kurs zu Kurs anders aus. Der Komplexität unterschiedlich ausgeprägter Fähigkeiten und Kenntnisse kön‐ nen Lehrwerke trotz Ergänzungsmaterial nicht im Detail entsprechen. Aus diesem Grund gibt es nicht das perfekte Lehrwerk für die Unterrichtspraxis. Ziel des Unterrichts ist folglich, nicht alle Aufgaben im Buch zu lösen, sondern eine geeignete Auswahl zu treffen: Welche Aufgaben eignen sich für den Einstieg, welche für den Kompetenzaufbau, welche für die notwendige multisensorische Wiederholung? Welche Aufgaben sind erfahrungsgemäß besonders nützlich und daher wichtig? Wo muss die Lehrperson noch Entlastung oder Zusatzaufgaben anbieten? Grundsätzlich zielen viele Lehr‐ werke für die Alphabetisierung auf die Erarbeitung der GPK und PGK. Der dabei angebotene Wortschatz dient als Repräsentation und Übungsma‐ terial für die Buchstaben. Oft kommt dabei das regional-dialektal gefärbte 80 6 Ausblick <?page no="81"?> deutschsprachige Umfeld der Lernenden zu kurz. Daher ist es zwingend notwendig, das in Lehrwerken angebotene Textmaterial im Hinblick auf die Ziele der Kurse und der aktuellen Kursteilnehmenden zu reflektieren und bei Bedarf anzupassen. Letztendlich erwarten Politik, Gesellschaft sowie Gesetz- und Geldgeber vom Alphabetisierungsunterricht Integration, finanzielle Autonomie und den Erwerb gesellschaftlicher Handlungskom‐ petenzen. Zusätzlich zu den vom jeweiligen Lehrwerk vorgeschlagenen Themen sollte die Lehrperson Folgendes überlegen: Welche Inhalte könnten das Leben der Lernenden in deren neuen sprachlichen Umgebung erleich‐ tern? Was könnte ihr Interesse wecken? Wie kann man den Sinn und den praktischen Wert von Schrift und erworbener Sprache im Leben der Lernenden aufzeigen und in der Kursgruppe nachstellen? Nicht jedes noch so nützliche Thema eignet sich für den Anfängerunterricht, selbst wenn es von den Lernenden geradezu ersehnt wird. Aufgabe der Lehrkraft ist, diese Wünsche ernstzunehmen und in die Planung zu integrieren sowie dafür zu sorgen, dass man sich dem gewünschten Ziel in angemessenen Etappen annähert oder es sogar im gegebenen Rahmen erreicht. Jede Alphabetisierungslehrkraft folge vor allem der Maxime „Weniger ist mehr“, denn kontraproduktives Papierchaos auf den Tischen entsteht schnell und führt zu Chaos in den Köpfen der Lernenden und zu Verunsi‐ cherung. Nicht eine hohe Anzahl ausgefüllter Blätter kennzeichnet einen guten Unterricht, sondern die Vielfalt der Einsetzbarkeit einer Kopiervor‐ lage. Je mehr Bereiche (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) eine Vorlage aktiviert und je mehr Übungsvarianten sie ermöglicht, desto besser für den Lernprozess. Als curricular notwendige und zugleich papierschonende Ergänzung bieten sich heutzutage elektronische Hilfsmittel an. Das Angebot an Lese- und Schreiblern-Apps ist nahezu unüberschaubar. Bei der Auswahl der Apps sollte überlegt werden: Mit welchem Gerät arbei‐ ten die Lernenden? Alle Teilnehmenden haben ein Handy. Handys sind jedoch wegen des kleineren Bildschirms und der begrenzten Gigabytes für viele Apps unge‐ eignet, auch wenn diese schnell heruntergeladen werden können. 6.2 Curricula und Materialien 81 <?page no="82"?> Was genau soll mit der App geübt werden? Der große Vorteil von Apps ist, dass sie ein‐ fach, spielerisch und schnell repetitive Aufgaben produzieren können. Die meisten Apps können jedoch in nur geringem Umfang in der Anfangs‐ phase lautes Lesen oder Freihandschreiben erset‐ zen, weil die Korrekturmöglichkeiten beschränkt sind. Die Apps versprechen in diesem Bereich deutlich mehr, als sie tatsächlich leisten. Warum soll gerade diese App angewendet werden? Über das Spielerische hinaus soll die jeweilige App vor allem das Erlernen von Lesen und Schreiben unterstützen sowie den Wissenstrans‐ fer erleichtern, d. h. Lernende dazu motivieren, auch außerhalb der Schule Schrifttechniken zu üben. Wie wird der selbstän‐ dige Zugang der Lernen‐ den zur Anwendung gesi‐ chert? Die nötigen Teilschritte, die zur selbständigen App-Nutzung führen, sollen zielführend in den Unterricht eingebaut werden. Für viele Lernende bedeuten unbekannte elektronische Programme zusätz‐ lichen Stress. Die Rolle von Papier, Bleistift, Schere und Klebstoff ist in DaZ-Alphabetisierungskursen daher nicht zu unterschätzen. Haptische Aufgaben mit Buchstaben- oder Silbenkarten können die Arbeit mit Lern‐ plattformen und Apps entlasten. Eine Sequenz, in der die Teilnehmenden Karten schneiden, Buchstaben auf dem Tisch ordnen und ins Heft kleben, bedeutet für sie auch eine kurze, stärkende Pause und gibt ihnen Zeit zum Nachdenken und zum Verarbeiten des bisher Gelernten. Online-Materialien und Lernportale Anwendung/ Webseite Zielpubli‐ kum Beschreibung Ludwig-Maximilian-Universität München https: / / www.edu.lmu.de/ tiu/ kategorien-apps/ apps_allgemein / documents/ index.html Lehrkräfte Ranking für Applikationen für Tablets im Unterricht Appolino (Lesen, Schreiben) https: / / appolino.ch Schüler Lernprogression vom Buch‐ staben bis zum Satz; für L1-Lernende; für Android und iOS 82 6 Ausblick <?page no="83"?> Ich schreibe in Druckschrift https: / / apps.apple.com/ ch/ app/ ich-schreibe-in-druckschrift/ id 1305242235 Kinder Haptisches Schreibtraining für Buchstaben, Phonem- und Buchstabennamen; für iPad und iPhone Anton https: / / anton.app/ de/ Schüler Umfassende Lern-App für die Grundschule, neu mit DaZ-Alphabetisierungsse‐ quenzen; für Android-Geräte Serlo ABC https: / / de.serlo.org Jugendliche, junge Er‐ wachsene Inhaltlich an Themen des deutschen Rahmencurri‐ culums (2016) orientiert; für L2-Lernende; für iOS IRMGARD https: / / irmgard-berlin.de Erwachsene Neun Level, von der Buch‐ stabenzur Textebene; für L1-Lernende; für Android- Geräte ABC-Deutschkurs https: / / abc.vhs-lernportal.de/ Erwachsene Buchstaben und Laute des Deutschen, für Zweitschriftlernende BELUGA Lernsoftware https: / / beluga-lernsoftware.de Erwachsene Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutsch), berufsspezifisches Wissen und Vokabular; nicht geeignet für den Einstieg ins Lesen und Schreiben Die meisten Lern-Apps sind auf die Grundschule ausgerichtet, deren Ziel‐ publikum Kinder und Jugendliche sind. Das betrifft insbesondere Apps für die Förderung im frühen Lese- und Schreiberwerb. Die deutschen Volkshochschulen bieten berufsspezifische Seiten an, diese setzen jedoch minimale Lese- und Schreibkenntnisse voraus. Leseempfehlung Bei Gamper/ Schroeder/ Steinbock 2021 findet man weiterführende In‐ formationen zu Rahmenbedingungen in den DACH-Ländern. Eine Ta‐ belle mit Lehrwerken, die vom BAMF für den Alphabetisierungsunter‐ richt zugelassen sind, befindet sich online unter: https: / / www.bamf.de / SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Integration/ Integrationskurse/ Lehrkraefte/ li ste-zugelassener-lehrwerke.pdf ? __blob=publicationFile [25.1.2024]. 6.2 Curricula und Materialien 83 <?page no="84"?> Quellen zu Rahmencurricula in Deutschland: BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs mit Alphabetisierung. Überarbeitete Neuauflage - Mai 2015: https: / / www.bamf.de/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Integration/ Integration skurse/ Kurstraeger/ KonzepteLeitfaeden/ konz-f-bundesw-ik-mit-alpha bet.pdf ? __blob=publicationFile [30.9.3034]. BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2018): Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs für Zweitschriftlernende (Zweit‐ schriftlernerkurs): https: / / www.bamf.de/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Integration/ Integration skurse/ Kurstraeger/ KonzepteLeitfaeden/ konzept-zweitschriftlernende. html? nn=284228 [30.09.2024]. Quellen zu Rahmencurricula in Österreich: Feldmeier García, A. (2021): Rahmencurriculum für Alphabetisierungs‐ kurse. Österreichischer Integrationsfonds: https: / / www.integrationsfonds .at/ fileadmin/ user_upload/ Rahmencurriculum_fuer_Alphabetisierungs kurse_2022.pdf [30.09.2024]. Quellen zu Rahmencurricula in der Schweiz: Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten, Bundesamt für Migration: https: / / www.kip-pic.ch/ praxis/ sp rache-und-bildung/ [30.09.2024]. 84 6 Ausblick <?page no="85"?> 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung 7.1 Erläuterungen zu den Online-Materialien Die Online-Materialien zu diesem Buch wurden zu multisensorischen Trainingszwecken konzipiert, um Lernenden den Übergang von der realitätsbezogenen Welt der Mündlichkeit in die abstrahierende Welt der Schriftsprache zu erleichtern. Die 15 Aufgabensets (fünf pro Stufe) führen die TN von Bildergeschichten zu Texten und laden zu binnendifferenzierender Arbeit ein. Sie sind als Begleitmaterial gedacht und lehrwerkunabhängig anwendbar. Die Unterla‐ gen sind auf das visuell orientierte ganzheitliche Schreiben ausgerichtet. Vorlagen wie Bilder sprechen und lesen, Bilder sprechen und lernen sowie Bild und Wort und Wortbilder verstärken die Wahrnehmung und schaffen alternative strukturierte Zugänge zu Texten, die gelesen oder geschrieben werden. Visualisierung unterstützt assoziatives Denken und Memorieren, sie richtet die Aufmerksamkeit auf das Ganze (Wort, Satz) oder auf einzelne Aspekte/ Teile der Schriftsprache (Vokale, Silben). Die Materialität des Schriftbildes wird hervorgehoben und erleichtert dessen Rezeption. Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Aufgabenset 1: Schule Gegenstände platzie‐ ren Unterrichtssprache Lernen im Kurs <?page no="86"?> Aufgabenset 2: Essen Essen Kochen Zusammen essen und feiern. Aufgabenset 3: Ich und mein Umfeld Ich und meine Vorlie‐ ben Meine Familie und ich Personalien Kursanmeldung Aufgabenset 4: Numerisches Ziffern von 0 bis 10 Zahlwörter, Preise Uhrzeiten Aufgabenset 5: Alltägliches Meine Kleider Wochentage, Aktivitäten Mein Alltag Die Aufgabensets aller Stufen sind jeweils um einen Text komponiert. Der Schwierigkeitsgrad wurde überprüft mit dem Lesbarkeitsindex (Lix http s: / / psychometrica.de/ lix.html): Dieser wird aus zwei Merkmalen auf der Wort- und Satzebene des gesamten Textes (bis 2000 Wörter) errechnet: dem prozentualen Anteil langer Wörter mit mehr als sechs Buchstaben und der durchschnittlichen Satzlänge. Die vom Lix angegebenen Richtwerte sind: ● unter 40: Kinder- und Jugendliteratur, ● 40 bis 50: Belletristik, ● 50 bis 60: Sachliteratur, ● über 60: Fachliteratur. Um die Interpretation des Indexes zu erleichtern, haben Leseflüssigkeits‐ forscher durchschnittliche Lix-Werte für einfache Texte genauer unter‐ sucht und nach weiteren Schwierigkeitsstufen unterteilt (Rosebrock/ Nix/ Rieckamm/ Gold 2011, 71-77): Durchschnittliche Lix-Werte für erzählende Jugendbücher im 1., 2. und 3. Grundschuljahr betragen diesen Untersuchun‐ gen zufolge 19, 25 und 27 Lix-Punkte. Die Komplexität der Texte auf Stufe 1 der Online-Materialien (Lesen) liegt weit unter dem Durchschnittswert für sehr leichte, für das 1. Schuljahr der Grundschule empfohlene Texte. Die Texte der Stufen 2 und 3 befinden sich im Schwierigkeitsgrad der ersten drei Grundschuljahre. Dem Aufbau der das verstehende Lesen unterstützenden mündlichen Kompetenz dienen die Materialien mit kommunikativen Aufgaben, basie‐ rend auf dialogischen Strukturen (Sprechen). 86 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="87"?> Stufe 1 Aufgabenset 1 Gegenstände platzieren Lesen (Lix 3) Ist die Tür rot? Nein, o ist rot. Wo ist die Tür? Dort. Wo ist der Tisch? Hier. Wo ist der Ordner? Hier. Wo ist die Tasche? Dort. Sprechen Wie heißen Sie? => Ich heiße-… Öffnen Sie die Tür. => Hier? Ja, hier. Stufe 1 Aufgabenset 2 Essen Lesen (Lix 5) Ich esse Ananas und Banane. Die Ananas ist nicht rot. Die Ananas ist gelb. Die Tomate ist nicht immer rot. Die Tomate ist auch gelb. Ich mache Brot. Ich esse Brot mit Butter und Salami. Sprechen Ich mache-… Ich koche-… Ich esse-… Stufe 1 Aufgabenset 3 Ich und meine Vorlieben Lesen (Lix 11) Ich heiße Tom. Ich wohne in Rom. Rom ist in Italien. Hier kochen wir Pasta mit Tomaten. Wir essen und lachen gern. Wie ist der Name? Mein Name ist Tom. Sprechen Was machen Sie gern? => Ich mache gern … Was kochen Sie gern? => Ich koche gern-… Was essen Sie gern? => Ich esse gern-… Wie geht es Ihnen? => Gut/ Nicht so gut. Stufe 1 Aufgabenset 4 Numerisches (Ziffern von 0 bis 10) Lesen (Lix 10) Tim und Tina lernen zusammen. Tina möchte mit Tim kochen und essen. Tim sagt: Ja, gut. Ich koche gern. Tina sagt: Gut. Hier ist meine Tele‐ fonnummer: 076 351 24 98. Sprechen 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6. 7, 8, 9, 10 Wie heißen Sie? => Ich heiße-… Wo wohnen Sie? => Ich wohne in-… Wie ist Ihre Telefonnummer? => Meine Telefonnummer ist-… Stufe 1 Aufgabenset 5 Meine Kleider Lesen (Lix 7) Ich habe eine Hose. Meine Hose ist rot. Das ist nicht gut. Ich kaufe eine Hose. Die grüne Hose ist gut und schön. Meine Schuhe sind klein und alt. Ich kaufe Schuhe und ich sehe eine Tasche. Die Tasche ist rosarot und Sprechen Wie heißt das auf Deutsch? => Hose/ Hemd/ Schuhe/ Tuch/ Socken … Haben Sie ein/ eine/ einen-…? => Ja, ich habe ein/ eine/ einen-… => Nein, ich habe kein/ keine/ keinen-… Wo kaufen Sie-…? => Hier./ Dort./ Im C&A … 7.1 Erläuterungen zu den Online-Materialien 87 <?page no="88"?> schön. Ich möchte die Tasche kaufen, aber sie kostet viel. Ich habe kein Geld für die Tasche. Wie schade! Stufe 2 Aufgabenset 1 Unterrichtssprache Lesen (Lix 12) Ich sitze im Deutschkurs. Ich möchte eine Pause machen! Ich höre: Öffnen Sie das Buch! Ich öffne das Buch. Ich höre: Markieren Sie das Wort! Ich markiere das Wort. Ich höre: Lesen Sie! Wo ist das Papier? Ich lese nicht. Ich bin müde. Ich möchte einen Tee trinken. Sprechen Schreiben Sie-…/ Lesen Sie …/ Markieren Sie-…/ Hören Sie-… usw. => Ich schreibe (nicht)./ Ich lese (nicht). usw. Wo ist das Buch? => Hier./ Dort. Stufe 2 Aufgabenset 2 Kochen Lesen (Lix 15) Wie heißt das auf Deutsch? Das ist Essig. Wie machen Sie einen Salat? Mit To‐ maten, Essig und Öl. Das ist leicht und gut. Und was kochen Sie? Ich koche Eier und esse den Salat mit Ei, Öl, Zitrone und Salz. Das ist auch gut zusammen mit Fisch. Sprechen Wie heißt das auf Deutsch? => Salz, Ei, Öl, Salat, Zitrone, Essig. Das Essen ist … … fett, süss, leicht, sauer, gut, schlecht. Stufe 2 Aufgabenset 3 Meine Familie und ich Lesen (Lix 18) Lebt Ihre Familie hier? Nein, ich lebe hier allein. Wo lebt Ihre Familie? Meine Mutter und mein Vater leben im Sudan. Meine Schwester lebt in Amerika. Mein Mann lebt in Italien. Haben Sie Kinder? Ja, sie sind im Sudan. Sprechen Wie heißt Ihr Mann? => Er heißt-… Ich bin/ er/ sie ist - Sie sind Meine Familie lebt in … Ich lebe in …, er/ sie lebt in … Mein/ meine-… Stufe 2 Aufgabenset 4 Zahlwörter und Preise Lesen (Lix 25) Meine Familie ist groß. Ich habe neun Kinder. Ich koche viel. Zweimal pro Woche gehe ich mit den Kindern in den Su‐ permarkt. Wir kaufen ein und bezah‐ Sprechen Mehrzahl Zahlen zwischen 1 und 100 Wie viele? / Wie viel? Wie alt? 88 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="89"?> len 80 bis 100 Euro. Ich lese jeden Tag über Aktionen. Heute sind Eier, Tomaten und Zitro‐ nen billig. Bananen sind heute teuer. Stufe 2 Aufgabenset 5 Wochentage und Aktivitäten Lesen (Lix 28) Am Samstag und am Mittwoch gehe ich mit den Kindern einkaufen. Am Mittag und am Abend koche ich. Am Mittwoch essen wir Pasta am Mittag. Am Freitag mache ich Fisch, und am Sonntag essen wir Fleisch. Am Morgen essen wir nur Brot, Eier, Käse und Tomaten. Am Montag und am Donnerstag kocht mein Mann. Ich lerne am Montag und am Don‐ nerstag Deutsch. Sprechen Wochentage und Tageszeiten => Was mache ich wann? Wann kochen Sie? => Am Montag/ Am Morgen. Stufe 3 Aufgabenset 1 Lernen im Kurs Lesen (Lix 29) Karl trifft Kurt am Vormittag im Bus. Karl fragt: „Hast du die Aufgaben gemacht? “ „Nein, die Hausaufgaben sind sehr schwierig“, antwortet Kurt. Sie ma‐ chen zusammen die Hausaufgaben im Bus und gehen in den Kurs. „Kurt, haben Sie die Hausaufgaben gemacht? “ fragt die Italienischlehre‐ rin. „Ja, klar, wie immer“, sagt Kurt. Karl lacht. In der Pause sagt Kurt: „Italienisch ist eine schwierige Spra‐ che“. Karl sagt: „Nein, Italienisch ist einfach, Putzen ist schwierig“. Kurt lacht: „Ja, Putzen ist sehr schwierig“. Sprechen Er, sie, sie (Pl.) + Aktivitäten in der Klasse (lachen, Tafel putzen, lesen, schreiben, sprechen, zeigen, hören, markieren, öff‐ nen, fragen, antworten usw.) Wie geht es Ihnen? => Gut, (nicht) sehr gut, (sehr) schlecht Wie ist die Aufgabe? => Einfach/ schwierig Stufe 3 Aufgabenset 2 Zusammen essen und feiern Lesen (Lix 24) Heute feiern wir ein Fest. Annalena hat Geburtstag. Kirschkuchen und Apfelsaft stehen auf dem Tisch. Wir haben Hunger und wir essen zusammen den Kirschkuchen. Die Musik ist laut und wir tanzen. Sprechen Haben Sie Hunger? Haben Sie Durst? Essen Sie gerne …? Trinken Sie gerne …? 7.1 Erläuterungen zu den Online-Materialien 89 <?page no="90"?> Wir haben Durst und wir trinken den Apfelsaft. Der Apfelsaft und der Kirschkuchen sind sehr süß. Unsere Hände kleben. Am Abend gehen wir nach Hause. Stufe 3 Aufgabenset 3 Personalien/ Kursanmeldung Lesen (Lix 27) Guten Tag Ich möchte meine Frau und mich für den Deutschkurs anmelden. Ich lerne seit zwei Jahren Deutsch. Meine Frau hat noch nie Deutsch gelernt. Ich möchte zweimal pro Woche am Abend lernen. Meine Frau kann nur am Vormittag in die Schule gehen. Wir wohnen in Wankdorf, Austrasse 56. Meine Telefonnummer ist 077 345 78 23. Die Telefonnummer unserer Sozial‐ arbeiterin ist: 031 239 86 33. Der Sozi‐ aldienst zahlt den Kurs. Vielen Dank für Ihre Antwort. Freundliche Grüße Hakim Hamid Sprechen Was möchten Sie? => Ich möchte … Wo wohnen Sie? => Ich wohne … Wo ist …? Wie ist Ihre Telefonnummer? Stufe 3 Aufgabenset 4 Uhrzeiten Lesen (Lix 19) Guten Tag Herr Hakim Vielen Dank für Ihre Anmeldung zum Deutschkurs. Am Vormittag ha‐ ben wir im Moment zwei Kurse: Deutsch Start Intensiv an vier Tagen von 8: 00 Uhr bis 10: 00 Uhr und Deutsch Start Halbintensiv an zwei Tagen in der Woche von 9: 00 Uhr bis 11: 00 Uhr. Am Abend haben wir den Kurs Deutsch für den Beruf am Montag und Donnerstag von 18: 00 Uhr bis 20: 00 Uhr. Kommen Sie bitte in die Schule. Zusammen suchen wir einen guten Deutschkurs für Sie und für Ihre Frau. Wir sind von Montag bis Freitag von 8: 00 Uhr bis 13: 00 Uhr für Sie da. Freundliche Grüße Martina Meier Sprechen … Sie bitte …! Wie bitte? / Noch einmal, bitte. Ich verstehe nicht. Wann … Sie? => Am … um … 90 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="91"?> Stufe 3 Aufgabenset 5 Mein Alltag Lesen (Lix 23) Ich stehe am Morgen auf. Ich trinke Milch und esse Brot mit Butter. Am Vormittag gehe ich in die Schule. Ich lerne Deutsch, und ich spreche mit Kollegen. Wir lernen und lachen. Wir essen am Mittag zusammen. Am Nachmittag mache ich Hausauf‐ gaben. Ich treffe meine Freunde, und wir gehen spazieren. Mein Mann geht in den Supermarkt einkaufen. Die Kinder lernen und spielen. Ich koche für meine Familie das Abend‐ essen. Am Abend sehen wir fern, und ich lese ein Buch. Ich bin sehr müde, und ich schlafe in der Nacht im Bett. Sprechen Was machen Sie am …? => Ich … am … Wo … Sie? => Ich … . Kopiervorlagen sind als Unterlagen für einzelne Lernende gedacht, können aber auch als Klassensatz für die Gruppenarbeit bereitgestellt werden. Stufenübergreifende Unterlagen ermöglichen die Vertiefung und Binnendif‐ ferenzierung im Unterricht. Dazu gehören: ● Wimmelbilder: Schule/ Essen und Feiern/ Familie/ Einkaufen/ mein Alltag ● Buchstabenset für Lehrperson ● Buchstabenset für Kursteilnehmende ● Zahlen für Kursteilnehmende ● Konjugation des Hilfsverbs „sein“ in Wort und Bild ● Konjugation des Hilfsverbs „haben“ in Wort und Bild ● Verben 1 (Vorlage für Präsens) ● Verben 2 (Vorlage für Perfekt) Die Unterlagen sind in der Schrift Century Gothic gesetzt. Es ist eine optisch klare Schriftart aus der Familie der serifenlosen Linear-Antiquas. Die Buchstaben in dieser Schrift (u. a. A/ a und G/ g) zeigen eine Ähnlichkeit mit der Handschrift auf. Alle Buchstaben, Wörter und Texte enthalten eine systematische Farbkodierung. Die Farbwahl - Blau für Konsonanten und Rot für Vokale - wurde aufgrund einschlägiger Forschungsliteratur getroffen. Es geht dabei nicht um die Hervorhebung von Buchstabengruppen. Dank ihrer individuellen Eigenschaften und kontrastiven Wechselwirkung eignen 7.1 Erläuterungen zu den Online-Materialien 91 <?page no="92"?> sich die zwei primären Spektralfarben Rot und Blau am besten für das Bewusstmachen der für das Erlesen der Wörter in Silben grundlegenden Vokal-Konsonant-Dichotomie. Unter allen Farben erzeugen Rot und Blau den stärksten Komplementärkontrast - es ist ein besonderes Harmoniever‐ hältnis, in dem sie gegenseitig ihre Intensität steigern. Sie befinden sich im stabilen und zugleich unruhig vibrierenden Gleichgewicht der Kräfte und erzeugen daher einen Flimmereffekt. Dazu kommt, dass von den meisten Menschen Blau als fern und kalt, Rot hingegen als nah und warm empfun‐ den wird. (vgl. Radtke/ Pisani/ Wolters 2004, S. 76, 85; Welsch/ Liebmann 2012, 59-61, 67-72). Der die Augenlinse im richtigen Krümmungszustand haltende Ziliarkörper verformt sich bei jedem Wechsel von Blau (435,8 nm) zu Rot (700 nm) und erfordert eine Augenakkommodation um 0,25 Dioptrien. Solche stete Linsenanpassung bei wechselnden roten und blauen Buchstaben wurde bereits bei LRS-Trainingsverfahren verwendet und bei sehbedingten Lese-Rechtschreibstörungen als förderlich bewiesen (Haase 1996, 2-3; Haase 2000, 368). L2-Lernende, die langfristig und konsequent mit blau-rot-kodierten Texten alphabetisiert werden, entwickeln ein implizites Empfinden für Vokale als wichtige melodietragende Elemente der Sprache. Die Zeichenabstände in Lesestreifen und finalen Lesetexten wurden auf die Schriftbreite 2 p erweitert, was sich laut Fachliteratur auf den Lesefluss positiv auswirkt (siehe Kapitel 4.2, S. 56). Auch wenn die Buch‐ stabengröße Lesefortschritte weniger verstärkt als vergrößerte Zeichen‐ abstände, wurde sie in Lesestreifen und Lesetexten stufenweise der ge‐ steigerten Lesefertigkeit der TN angepasst, d. h. verringert: Stufe 1 auf 18 p, Stufe 2 auf 16 p, Stufe 3 auf 14 p. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- Abkürzungen KV Kopiervorlage LP Lehrperson TN Kursteilnehmende PL Plenum EA Einzelarbeit GA Gruppenarbeit PA Paararbeit PW Partnerwechsel 92 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="93"?> Stufen 1 und 2 sind in puncto Aufgabenstellung und Aufgabenformate iden‐ tisch. Die folgenden Handreichungen beziehen sich auf den Aufgabenset 1 der Stufe 1. Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Bild und Wort ist öffnen ja nein Lernziele: TN können relevante Gegenstände im Lernumfeld benennen; Übergang in die Abstraktionsstufe (Bilder), Aufbau des kognitiven Wörter‐ buchs, Kontextualisierung des Wortschatzes. Mündliche Vorarbeit: TN benennen Gegenstände ihres Lernumfelds, eignen sich für den Unterricht notwendiges Vokabular an, stellen und beantworten Wo-Fragen. Die gemeinsame Unterrichtssprache wird auf diese Art und Weise erarbeitet. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL/ PA Einstieg (mit Realien): LP zeigt Gegenstände im Klas‐ senzimmer und benennt sie auf Deutsch. TN wieder‐ holen die Bezeichnungen. LP zeigt Gegenstände, TN benennen diese. Empfohlen sind Wörter, die man im Unterricht oft braucht und die sich für den jeweiligen Buchstaben als An- und Auslaut eignen. Im Aufgabenset sind visualisiert: Tisch, Tasche, Tafel, Tür, Fenster, Stuhl, Ordner, Papier, Stift. Realien des Klassenzim‐ mers PL LP führt die bildliche Darstellung ein und arbeitet vorerst nur mit den vergrößerten Bildern, die einzeln gezeigt werden. TN nennen die Gegenstände und Begriffe. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 93 <?page no="94"?> PL LP verteilt die KV Bild und Wort an die TN, diese schneiden die Karten aus. In der ersten Lernsequenz kommen nur die Bildkarten zum Einsatz. LP nennt ein Wort, TN zeigen das Bild. Nach einigen Runden können einzelne TN ein Wort nennen, andere TN zeigen das Bild. Nach weiteren Runden zeigt LP ein Bild, TN nennen das Wort; TN zeigen ein Bild, andere TN nennen das Wort. KV Bild und Wort Scheren oder Klassensets PA/ GA TN arbeiten in PA oder GA: Sie gehen so vor, wie in der Sequenz oben beschrieben. PL LP fragt: „Wo ist die Tür? “ TN zeigen auf die Tür. Wenn notwendig und möglich, werden bereits jetzt die Antworten „hier“ und „dort“ mithilfe von Gesten eingeführt. Bei Überforderung wird nur zuerst die Frage wiederholt, dabei werden die Gegenstände va‐ riiert, d. h. als nächster Schritt wird die Frage gestellt: „Wo ist das Fenster? “ oder „Wo ist die Tafel? “ Nach einigen Runden stellen TN die Frage und LP antwor‐ tet mit „hier“/ „dort“, nach einigen Fragen antworten andere TN „hier“/ „dort“. PA/ GA Variante 1 Die Frage lässt sich auch durch das Hinzufügen von Pronomen variieren: „Wo ist Ihre Tasche? “ TN zeigen ihre Taschen und antworten mit „hier“ (oder situativ mit „dort“). Abzuwägen ist, ob die TN für leichte Anpassungen der Frage bereit sind. A4-Bilder der Gegenstände TN-Set: Bilder der Gegen‐ stände PL PA Variante 2 LP zeigt die A4-Bilder der Gegenstände, TN formulie‐ ren die Frage. In der nächsten Runde formulieren TN erneut die Frage und fragen gezielt (mit Namen oder mit einem Ball) eine/ n andere/ n TN. Sie wiederholen die Übung in PA/ GA. (Ball) EA Arbeit nach der Ganzwortmethode: TN ordnen Bild und Wort einander zu. LP kontrolliert, TN kleben die Karten so zusammen, dass auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort ist. KV Bild und Wort EA Weiterführende Aufgabe TN ordnen Bild und Wort einander zu. LP kontrol‐ liert. Schnellere TN werden nach der richtigen Zu‐ ordnung die Wörter in Silben zerschneiden. TN ord‐ nen erneut Bild und Wort (nun aus Silben) zu. Bilder und Wörter werden anschließend ins Portfolio ge‐ klebt, Silbenbögen bei den geklebten Silben markiert und Wörter zusätzlich geschrieben, evtl. zweifarbig, wenn TN mit dem zweifarbigen Schreiben bereits vertraut sind. KV Bild und Wort Portfolio der TN 94 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="95"?> Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Bilder sprechen und lesen _________________________________________________________________ □ ? ■ , o . _________________________________________________________________ Lernziele: TN können relevante Gegenstände im Lernumfeld benennen; Übergang in die Abstraktionsstufe (Bilder), Aufbau des kognitiven Wörter‐ buchs. Mündliche Vorarbeit: TN benennen Gegenstände ihres Lernumfelds. Sie stellen und beantworten Ja/ Nein-Fragen. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL Wiederholung als Einstieg in die Aufgabe zu KV Bilder sprechen und lesen mit der Variante 2 im Ablauf von KV Bild und Wort. A4-Bilder der Gegenstände PA / GA LP zeigt A4-Bilder der Gegenstände, TN formulieren die bereits geübte Frage („Wo ist …? “). In der nächsten Runde formulieren TN erneut die Frage und fragen gezielt (mit Namen/ Ball) eine/ n TN. Sie wiederholen die Übung in PA oder GA. (Ball) PL LP führt Farbennamen ein, u. a. „rot“. Sie zeigt die Farben (farbige Kartons oder Farben der Gegen‐ stände im Klassenzimmer), fragt TN nach dem Far‐ bennamen und nennt diesen, TN wiederholen. LP führt die Frage ein: „Ist die Tür rot? “, kontrolliert, ob TN die Frage verstehen, und führt die Antworten „ja“/ „nein“ ein. (Falls TN mit beiden Antworten überfordert sind, „nein“ erst dann einführen, wenn Antworten mit „ja“ bereits gut gelingen.) LP stellt Variante der Frage: „Ist das Fenster …? “ usw. Wenn TN die Fragen bereits verstehen und darauf adäquat antworten, können TN Fragen formulieren und diese an LP oder an andere TN stellen. Farbige Karton‐ karten 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 95 <?page no="96"?> PA/ GA Variante 1 Die Übung wird mit Kartensets gemacht. Hier emp‐ fiehlt sich, Kartensets in den im Unterricht einge‐ führten Farben auf farbige Blätter zu kopieren. Die TN werden aufgefordert, ein Blatt in bestimmter Farbe für die PA oder GA zu wählen und dabei zu benennen. Danach üben sie die neue Frage wie im PL. TN müssen in der GA entscheiden, ob die Farbe vom Blatt als Gegenstandsfarbe gilt, oder sie sprechen über Farben der Realien im Klassenzimmer. Klassensets für GA: Bildkarten der Gegen‐ stände auf far‐ bigem Papier PL LP visualisiert die geübte Frage „Ist die Tür rot? “ an der Tafel. Hier empfiehlt sich, die Teile der Fragen zu vergrößern und zu zerschneiden. So kann man die Bilder benennen, an die Tafel heften (z. B. mit Magneten) und die Frage in Bildern an der Tafel entstehen lassen und nachsprechen. Zuerst mit der neuen Frage „Ist die Tür rot? “ starten, anschließend Farben variieren und die Frage mit anderen Farben „erlesen“ lassen. Als zweiter Schritt wird die Frage „Wo ist die Tür? “ erarbeitet und die genannte Antwort (situativ „hier“ oder „dort“) an die Tafel geheftet. Mit den weiteren zwei Fragen („Tisch“ und „Ordner“) ebenso verfah‐ ren, evtl. weitere Fragen als kurze Wiederholung an der Tafel erarbeiten. KV Bilder sprechen und lesen vergrößert und geschnitten Magnete EA TN erhalten KV Bilder sprechen und lesen. LP liest vor, TN hören zu. TN lesen chorisch die Sätze vor, LP geht herum und hört zu. KV Bilder sprechen und lesen EA Variante 1 TN bilden einen großen stehenden Kreis und lesen vor, LP geht herum und korrigiert. EA Variante 2 Wenn alle TN korrekt vorgelesen haben, werden die Vorlagen fragenweise zerschnitten und die Papier‐ streifen gemischt. TN lesen vor und mischen Lese‐ streifen erneut. Wenn alles korrekt erlesen ist, kön‐ nen einzelne Streifen in kleinere Teile zerschnitten werden. TN legen die Teile in die richtige Ordnung, LP korrigiert, TN erlesen Fragen und Antworten. Wenn alles korrekt zusammengelegt ist, werden kor‐ rekte Fragen und Antworten ins Portfolio geklebt. Scheren, Leim Portfolio der TN PL Variante 3 Lebende Sätze: TN erhalten die vergrößerten Teile (Bilder). Je ein TN bekommt je ein Bild. Sie stellen sich in der Reihenfolge der Frage auf und erlesen laut die Frage/ Antwort, die sie zusammengestellt haben. KV Bilder sprechen und lesen vergrößert und geschnitten 96 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="97"?> TN können als Wiederholung auch an der Tafel die Fragen und Antworten ordnen. EA Weiterführende Aufgaben Variante 1 Als Hausaufgabe können TN die Vorlage laut lesen und eine Aufnahme der LP zustellen. KV Bilder sprechen und lesen Handy PL/ EA Variante 2 Mit TN, die bereits einzelne einfache Worte abschrei‐ ben können, kann man die Frage „Ist die Tür rot? “ ebenfalls an der Tafel erstellen und abschreiben las‐ sen. KV Bilder sprechen und lesen vergrö‐ ßert und ge‐ schnitten Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Bilder sprechen und lernen (Teil 1) ________________________________________________________________ □ Sie . ■ ? □ , . ________________________________________________________________ Lernziele: TN können relevante Gegenstände im Lernumfeld benennen; TN können einfache Aufforderungen formulieren und diese ausführen; Über‐ gang in die Abstraktionsstufe (Bilder), Aufbau des kognitiven Wörterbuchs, Kontextualisierung des Wortschatzes. Mündliche Vorarbeit: TN benennen Gegenstände ihres Lernumfelds, geben Anweisungen, führen die Anweisungen aus. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 97 <?page no="98"?> Sozial‐ form Ablauf Materialien PL Einstieg: vgl. Einstieg im Ablauf von KV Bild und Wort. LP formuliert den Aufforderungssatz und führt ihn pantomimisch aus. LP fordert eine/ n TN auf: „Öffnen Sie das Fenster.“ TN öffnet das Fenster und zeigt somit, was der Satz bedeutet. LP variiert die Auf‐ forderung mit bereits erlernten Gegenständen: Tür, Fenster, Ordner, Tasche. TN führen die Aktivitäten aus. Anschließend fordern TN die LP zum Ausführen der Aktivitäten auf. Realien des Klassenzim‐ mers PL LP zeigt zuerst nur das Bild eines Gegenstandes als A4-Bild (z. B. Tür), TN formulieren eine Anweisung wie vorher bei den realen Gegenständen (siehe Vor‐ gang oben, bei KV Bild und Wort). A4-Bilder der KV Bild und Wort GA/ PA Nachdem die Arbeit mit dem Bilderset kleinschrittig eingeführt ist, erstellen TN ihre eigenen Sets oder die Klassensets: Sie zerschneiden die KV und arbeiten in GA/ PA. TN-Sets Bild und Wort Scheren PL GA/ PA Variante 1 LP zeigt eine Handlung pantomimisch, TN formu‐ lieren die gelernte Anweisung. Dann stellen TN einzelne Handlungen pantomimisch vor. Der Panto‐ mime folgt die Arbeit mit dem Kartenset. TN-Set/ Klas‐ senset: Bild und Wort PL Variante 2 Quiz: Eine/ Ein TN nimmt das Bilderset und gibt die Anweisungen. Korrekt formulierte Sätze werden ge‐ zählt, beim ersten Fehler ist der/ die nächste TN dran. Der/ Die TN mit den meisten korrekt formulierten Anweisungen siegt im Spiel. Das Spiel eignet sich als Wiederholung an jedem Kurstag. Klassenset Bild und Wort PA Am nächsten Kurstag werden die Aufforderungen im PL wiederholt, anschließend trainieren TN das Voka‐ bular in PA mit Bild- und evtl. auch mit Wortkarten. EA Selbständige Arbeit zu Hause TN arbeiten mit den ausgeschnittenen Bildern und lernen zu Hause die Gegenstände zu benennen.- TN-Set Bild und Wort Die Einführung einer niederschwelligen elektronischen Plattform (z. B. WhatsApp), auf der TN die Unterrichtsunterlagen erhalten und sich austauschen können, bietet eine weitere Unterstützung. Die Hausaufgaben werden dort als Foto oder als Höraufnahme herunter- und gelöste Aufgaben hochgeladen. 98 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="99"?> PL LP visualisiert die eingeübte Aufforderung an der Tafel. Sie heftet die Bilder an der Tafel und benennt sie. TN wiederholen. Die Aufforderung wird mit anderen Gegenständen variiert. Dafür wechselt LP das Bild „Tür“ mit anderen Gegenstandbildern und lässt die TN die Aufforderung erlesen. Im PL wird ein Minidialog erarbeitet. LP verteilt KV Bilder sprechen und lernen, TN lesen chorisch vor (Ablauf gleich wie bei KV Bilder sprechen und lesen). KV Bilder sprechen und lernen vergrö‐ ßert und geschnitten A4-Bilder der Gegenstände PA/ EA Weiterführende Aufgaben Als Stütze beim Memorieren dient KV Bilder spre‐ chen und lernen, die durch die TN im Unterricht in EA oder in PA bzw. als Hausaufgabe zu erlesen und zu erlernen ist. KV Bilder sprechen und lernen EA Variante 1 Das vertraute Anweisungsrepertoire kann man er‐ weitern und dabei auch, wo immer möglich, di‐ verse Objekte einführen, z. B. mit „Schließen Sie …“, „Schneiden Sie …“, „Lesen Sie …“, „Sprechen Sie…“, „Schreiben Sie…“ Im Verlaufe des Kurses etabliert sich dank diesem Training die gemeinsame Unterrichtssprache. TN-Set Bild und Wort oder Realien EA Variante 2 TN bilden einen Satz und ordnen dementsprechend die Bilder. EA Variante 3 Arbeit nach der Ganzwortmethode (Ablauf gleich wie bei KV Bild und Wort). TN-Set Bild und Wort oder Realien EA Variante 4 Arbeit mit KV Wortbilder: KV nach Bedarf bin‐ nendifferenziert verteilen (sehr schnelle TN können sich eher mit den Silben der Wörter beschäftigen), zerschneiden und zuordnen lassen. Auf dieser Stufe soll die Übung nicht fortgesetzt werden, Karten in einem Umschlag bis zum nächsten Mal versorgen lassen. KV Wortbilder Scheren 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 99 <?page no="100"?> Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Bilder sprechen und lernen (Teil 2) ________________________________________________________________ □ Wie heißen Sie? ■ Ich heiße …….... ________________________________________________________________ Lernziele: TN kennen die Namen der Mitlernenden und identifizieren Silben in diesen Namen. TN können nach dem Namen fragen und die Frage beantworten. TN können den eigenen Namen segmentieren. Mündliche Vorarbeit: TN lernen Vornamen und Namen zu erfragen und zu nennen. Sozial‐ form Ablauf Materialien Neben erlernten Anweisungen eignet sich die Ken‐ nenlernfrage „Wie heißen Sie? “ als Einstieg in einen Kurstag. Kennen alle TN ihre Mitlernenden mit Na‐ men, fördert das nicht nur die Gruppendynamik, sondern erleichtert auch die Ausführung kommuni‐ kativer Aufgaben. PL LP spricht die Frage und Antwort zuerst aus, dann stellt sie die Frage einem/ einer TN. TN stellen sich, stehend im Kreis mit einem Ball, gegenseitig die Frage und formulieren eine Antwort darauf. Zum Abschluss schreibt LP die Frage und eine Antwort an die Tafel. Sind die TN mit den Abläufen vertraut, kann man den Einstieg im Partnerwechsel gestalten: Ball PW Variante 1 TN bewegen sich frei im Kursraum, stellen paarweise die Frage und formulieren die Antwort. LP kann als Teil eines Paares teilnehmen oder frei herumgehen und korrigieren. PW Variante 2 TN stellen sich als Kugellager auf: Sie bilden einen inneren und einen äußeren Kreis und stehen einander paarweise gegenüber. Zuerst fragen die TN im inne‐ ren Kreis, dann treten die TN im äußeren Kreis links zur/ zum nächster/ m TN. Nach ein oder zwei Runden fragen die TN im äußeren Kreis - usw. 100 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="101"?> PL Bei der Wiederholung der erlernten Fragen und Ant‐ worten führt LP die zweifarbig geschriebene Frage und Antwort als A4-Bilder ein. Sie zeigt das Bild und formuliert die Frage und die Antwort. TN stellen die Frage und Antwort (sie werfen sich den Ball zu). Zum Abschluss werden Frage und Antwort zweifarbig ins Portfolio geschrieben, evtl. mit dem eigenen Namen (einfarbig) ergänzt. A4-Bilder von KV Bilder sprechen und lernen Ball PA/ GA Weiterführende Aufgaben Variante 1 Eine vereinfachte Einstiegsvariante ist ein Aussage‐ satz, den sich TN gegenseitig vorsprechen: „Sie heißen XY“. Ball PL Variante 2 Die Vor- und Nachnamen der TN eignen sich gut zum Trainieren der phonologischen Bewusstheit: TN stehen auf, stellen sich z. B. zu einem Kreis und treten die Vor- oder Nachnamen der Kurskollegen silben‐ weise ab, z. B. “Fat-ma“. Hierbei gilt: Aussprache in der Erstsprache beachten, die Betonungsmuster abbil‐ den, durch unterschiedliche Aussprachen geschaffene Silbenzahlmöglichkeiten bei Bedarf thematisieren. Stufe 1 Aufgabenset 1 Lesen 1 / Schreiben 1 Lesen 2/ Schreiben 2b i s t g u t d o r t _st g_t d_rt i s t g u t h i e r i_ _ _u_ _ie_ Lernziele: TN lernen Groß- und Kleinbuchstaben „t“ kennen, TN können den Laut hören und im Wort positionieren. Mündliche Vorarbeit: TN benennen Gegenstände ihres Lernumfelds, eignen sich notwendiges Vokabular für den Unterricht an, üben Aussprache und Betonung sowie das Heraushören und Isolieren relevanter Laute. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 101 <?page no="102"?> Sozial‐ form Ablauf Materialien PL Einstieg: vgl. Einstieg oder Variante 2 im Ablauf von KV Bild und Wort Mit dem Wort „Tisch“ führt LP den Buchstaben „T, t“ ein. TN hören das Wort, indem LP den zu lernenden Buchstaben betont. „T, t“ wird an die Tafel, wenn möglich, bereits in Blau geschrieben. LP fragt: „Wo hören Sie T? “ TN sollen selber erkennen, dass der Buchstabe am Anfang zu hören ist. ( Je nach Gruppe bietet sich eine mögliche weiterführende Frage, wenn TN die Lösung „T am Anfang“ bereits gesagt gaben: „Ist T groß oder klein? “) LP schreibt das Wort „Tisch“ an die Tafel, und TN überprüfen ihre Vermutungen. Der gleiche Vorgang wird beim Wort „rot“ wieder‐ holt. Diesmal wird hervorgehoben, dass hier „t“ als Auslaut funktioniert und deshalb klein geschrieben wird. Die orthographische Regel wird im besten Fall von den TN selber erkannt und formuliert. Tafel, rote und blaue Kreide PA/ GA TN arbeiten mit dem Bilderset KV Bild und Wort. Sie nennen einen Gegenstand und sortieren die Bilder in zwei Gruppen/ Spalten (je nachdem ob ein „t“ enthalten oder nicht enthalten ist). Kontrolle erfolgt gruppenweise oder vor PL. TN-Set Bild und Wort PL Variante 1 Die Übung lässt sich auch mit TN-Namen durchfüh‐ ren, falls der behandelte Buchstabe in Vor- oder Nachnamen zu finden ist; in diesem Fall die Übung vor PL durchführen. TN nennen ihren Namen und entscheiden, ob er den gesuchten Laut enthält. PL Variante 2 TN nennen bereits gelernte Wörter, und vor PL wird festgestellt, ob der Laut in diesen Wörtern vorkommt. In der zweiten Runde entscheiden TN, ob sie den Laut „t“ als Auslaut oder als Anlaut hören. Kontrolle und Klärung von An- und Auslaut erfolgt im PL, indem LP die Wörter (wie oben beschrieben) an die Tafel schreibt. Wenn alle behandelten Wörter mit dem Laut „t“ an der Tafel stehen, können TN und LP die Wörter klatschen; LP macht auf einsilbige und zweisilbige Muster aufmerksam. Variante a Siehe oben: In den Namen der TN wird nach Aus- oder Anlaut gesucht. 102 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="103"?> Variante b Siehe oben: In bereits gelernten Wörtern von TN wird nach Aus- oder Anlaut gesucht. Bemerkung zur phonetischen Bewusstheit: In vielen Lehrwerken wird ein Dreier-Kasten für die Abbildung von Aus- und Anlaut angeboten (□□□). Unterstützend kann sein, wenn man den mittleren Kasten länger gestaltet als diejenigen für Aus- und Anlaut. Die erste gemeinsame Zuordnung ist hier für viele TN hilfreich. Weitere Möglichkeiten bieten sich, in Anlehnung an Montessori-Methoden, in der graphischen (Dreieck, farbliche Unterscheidung usw.) oder haptischen Gestaltung (z. B. Glassteine). Erfahrungs‐ gemäß sind abstrakte Wörter wie „Ende“ und „Anfang“ sehr schwierig zu erklären. Die Zweitschriftlernenden aus unterschiedlichen Kulturkreisen orientieren sich beim Bestimmen von Anfang und Ende an muttersprachlichen Regeln (andere Schriftrichtung). Mündlich dominierte kulturelle Kontexte sind oft von Zirkula‐ rität statt von Linearität geprägt. Zu Anfang ist es hilfreich, An- und Auslaut gestützt auf das Schriftbild (Tisch oder rot) zu erklären. Generell verunsichern zu viele Formen, Farben und Methoden die TN und hindern sie letztendlich am Lesenlernen. Wenn An-, Aus- und Inlaut sowie deren Abbildungen als Konzept etabliert sind, kann als Wiederholung oder neuer Einstieg das Hören von Phone‐ men mit bekannten, aber bisher nicht explizit geübten Wörtern geübt werden: LP nennt das Wort, TN legen einen Stein (Magnet, Radiergummi, Münze o. Ä.) auf die Vorlage (z. B. im Dreier-Kasten dort, wo sie den Laut „t“ vermuten). PL LP verteilt KV Bild und Wort. LP liest die Wörter vor, TN lesen chorisch. KV Bild und Wort Scheren, Mar‐ kierstift EA Variante 1 Ganzwortmethode: TN ordnen Bilder und Wörter zu. LP geht herum und kontrolliert, indem sie die Wörter nennen/ vorlesen lässt. Wenn alles korrekt ist, kann man die Karten mischen und noch einmal zuordnen lassen. Anschließend markieren TN den Buchstaben „T“ auf den Wortkarten. EA Variante 2 TN legen die Bilderkarten in der Reihenfolge aus, die von der LP genannt wird. Anschließend ordnen TN Bilder und Wörter zueinander und markieren den Buchstaben „T/ t“ auf den Wortkarten. Nach zwei Ganzwort-Runden schneidet LP die Wortkarten in Silben, TN ordnen Silben zu Wörtern und die Wörter den Bildern zu. Wenn alles korrekt ist und kein Bedarf an Wiederholung (d. h. Karten mischen) besteht, können die Karten je nach Bedarf und Lernstand weiter in Buchstaben geschnitten oder ins Portfolio geklebt werden. Zu den geklebten Bildern sollen TN in zwei Farben die Wörter schrei‐ ben (auch als Hausaufgabe möglich). EA Anschließend können TN mit KV Lesen 1 oder Lesen 2/ Schreiben 2a arbeiten. Die beidseitig KV Lesen 1 oder 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 103 <?page no="104"?> kopierte KV enthält kleine Leseblätter für sechs Personen. LP verteilt die zerschnittene Vorlage und liest vor PL die Wörter vor, TN lesen chorisch. Dabei ist wichtig, dass TN entweder in einem Tandem vorlesen - ein/ e TN liest mit großer Sicherheit und Korrektheit - oder in kleinen Gruppen vorlesen; LP hört zu und korrigiert. Variante 1 Die meisten TN haben keine Möglichkeit, mit ver‐ sierten Lesenden täglich 15 Minuten zu üben. Des‐ halb sind sie auf die Unterstützung im Kurs oder freiwillige Angebote angewiesen. Hilfreich sind As‐ sistenzpersonen im Unterricht, die mit TN das Lesen seitens LP vorgegebener Texte üben können.- Variante 2 Lückendiktat: TN ergänzen ohne Lesevorlagen KV Schreiben 2a. KV Lesen-2/ Schreiben-2a zweiseitig ko‐ piert und zer‐ schnitten KV Lesen KV Schrei‐ ben-2a EA Weiterführende Aufgabe Variante 1 Auf der Rückseite (Schreiben 2a) können TN die Buchstaben ergänzen (am besten mit einem blauen Farbstift). Sie kontrollieren sich selbst, indem sie die Lesekarte wenden (evtl. als Hausaufgabe). KV Lesen-2/ Schreiben- 2a PA Variante 2 Arbeit mit KV Wortbilder: Ablauf gleich wie bei KV Wortbilder oder KV Bilder sprechen und lernen (Teil 1, Variante 4). Die Aufgabe lässt sich auf dieser Stufe erweitern: Die Karten paarweise zusammenkleben (Schrift und Wortbild) und TN das Erlesen üben lassen. Ein/ e TN nimmt eine Karte und „liest“ das Wort, andere/ r TN kontrolliert; anschlie‐ ßend Rollenwechsel. Karten werden gemischt und noch zwei oder drei Mal abwechselnd gelesen. KV Wortbilder Leim EA Variante 3 KV Lesen 2/ Schreiben 2b ermöglicht binnendiffe‐ renzierende Arbeit und kann an schnelle TN mit Vorkenntnissen bzw. mit bereits entwickelten Teil‐ kompetenzen verteilt werden, nachdem diese ver‐ tieft mit der einfacheren Vorlage gearbeitet haben. KV Lesen-2/ Schreiben-2b PL/ EA Variante 4 Ganzwortdiktat: LP liest KV Lesen 1 vor, TN schrei‐ ben. Nach dem Diktieren vergleichen TN das Ge‐ schriebene mit ihren Wortkarten (z. B. Bild und Wort oder Lesen 1) und korrigieren. LP kann die letzte Variante der Reinschrift einsammeln.- KV Lesen-1/ 2 104 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="105"?> PL Variante 5 Lesebegleitend wird ein spielerischer Lesetest im Plenum empfohlen: Welche/ Welcher TN liest am schnellsten und möglichst fehlerfrei die Wortliste vor? - KV Lesen-1/ 2 PL Diagnostik EA Schreiben: Kontrastives Wortdiktat wird empfoh‐ len. LP diktiert abwechselnd geübte und ungeübte Wörter aus dem Stufenüberblick. Geprüft wird da‐ bei, ob TN Änderungen im An-, In- oder Auslaut erkennen. Evtl. kann man ein kontrastives Wortdik‐ tat mit nichterlernten Wörtern durchführen, z. B. Tür/ Tor; Tisch/ Tische; Tasche/ Taschen; Ordner/ ordnet.- EA Lesen: TN lesen den in der gesamten Lernphase erarbeiteten und geübten Text, LP notiert Fehler und die Zeit, in der der Text erlesen wurde. Jeder TN liest einzeln vor. Die Gruppe arbeitet in dieser Zeit still, z. B. erstellen TN im bekannten Verfahren Texte (siehe: Übergang zum freien Schreiben) und schreiben diese auf. Diktate sind in der Literatur zur Alphabetisierung vor allem als Messinstrument umstritten. Nach einem intensiven Training, in dem sich die TN dem Text schritt‐ weise angenähert und diesen multisensorisch bearbeitet haben, verliert ein darauf basierendes Diktat seine belastende Funktion einer reinen Leistungsmessung. Das Diktat entspricht u. a. Kommunikationsbedürfnissen und -situationen und kann als Vorbereitung für künftige Alltagshandlungen betrachtet werden, z. B. Notieren eines Namens, einer Telefonnummer oder einer kurzen Information. Es wird empfohlen, beim Diktieren dem Textkorpus einen kurzen, nicht explizit geübten, jedoch vertrauten Satz hinzuzufügen. Das erweitert nicht nur Diagno‐ semöglichkeiten seitens der LP, sondern ermöglicht den TN eine gute Einsicht in die Effizienz des Trainings und wirkt auf sie motivierend. Wird Diktieren im Unterricht diagnostisch verwendet, lohnt es sich, den korrigierten Test ins Portfolio zu kleben. So kann man den TN beim nächsten Test ihre Fortschritte zeigen. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 105 <?page no="106"?> Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Wortbilder rot hier Lernziele: TN stärken ihre visuelle Wahrnehmung und können Buchstaben dem abstrakten Wortbild zuordnen. Mündliche Vorarbeit: TN lernen Gegenstände, Anweisungen, einzelne Farben oder Positionen auf Deutsch zu verbalisieren. Das Vokabular der Wortbilder muss mündlich eingeführt und aufgebaut werden. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL Die Arbeit mit KV Wortbilder hilft vor allem pri‐ mären Analphabeten. LP schreibt das Wort „rot“ an die Tafel und zeichnet es nach oder übermalt die Buchstaben mit Häuschen in entsprechender Größe und Farbe. Tafel, rote und blaue Kreide PL TN erhalten KV Wortbilder. LP nennt das erste Beispiel, z. B. „rot“, markiert die Buchstaben an der Tafel und verbalisiert rudimentär die Größenver‐ hältnisse: klein/ klein/ groß; mit anderen Worten so weiterverfahren. TN-Set Wortbilder Portfolio, Leim PA/ EA TN lesen gemeinsam die Wörter, dann zerschneiden sie die Vorlage und versuchen die Wörter den ent‐ sprechenden Wortbildern zuzuordnen. KV Wortbilder Scheren PA TN lesen die zugeordneten Wörter, LP kontrolliert und korrigiert. PA/ GA Variante 1 Schnell arbeitende TN können die Wortbilder als Kartenset nehmen und in PA/ GA die Karten einzeln vorlesen oder zu einem passenden Wort zusammen‐ legen. Abschließend können TN die Karten paar‐ weise ins Portfolio kleben. TN-Set Wortbilder Leim 106 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="107"?> Variante 2 TN kleben die Wortbild- und Wortkarten als Wen‐ dekarten zusammen und üben zu Hause (EA) oder im Kurs (PA).- EA Weiterführende Aufgabe TN erhalten den Häuschen-Teil der KV Wortbilder. Sie kleben Wortbilder ins Portfolio und schreiben dazu entsprechende Wörter. Ihre Arbeit kontrollie‐ ren sie selbst; als Muster fungieren Wendekarten bzw. Wort-Wortbild-Paare im Portfolio (Auch als Hausaufgabe geeignet). KV Wortbilder Portfolio, Leim Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Buchstaben A a E e T t N n Lernziele: TN können geübte Vokale im Lautstrom isolieren und die Position der Vokale im Wort benennen. Mündliche Vorarbeit: TN üben die korrekte Aussprache der Vokale sowie der Wörter mit den geübten Vokalen. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL LP zeigt Vokalkarten a, e, i, o, u, nennt Buchstaben und schreibt diese an die Tafel. TN sprechen die Vokale laut nach. KV Buchstaben vergrößerte Vokalkarten Tafel PA/ GA Anschließend erhalten TN KV Buchstaben und schneiden die Vokale aus. LP spricht einen Vokal, TN legen diesen auf den Tisch. Der Vorgang wird mehrmals wiederholt, zuerst im PL, dann in PA oder GA. LP macht TN darauf aufmerksam, dass diese Buch‐ staben rot sind. LP spricht das Wort „Tisch“ aus, KV Buchstaben für die TN (TN-Set oder Klassenset auf farbigem Pa‐ pier), Scheren 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 107 <?page no="108"?> und TN legen bzw. zeigen den Vokal, den sie darin hören. Der Vorgang wird mit weiteren vertrauten einsilbigen Wörtern, die Vokale und Umlaute der Vorlage enthalten, wiederholt (ich, ist, rot, Tür, dort, usw.). Variante 1 Ist der vertraute Wortschatz erschöpft, kann man versuchen, mit einfachen unbekannten Wörtern z. B. was, wo, Stift, Test weiterzuarbeiten. PL Im nächsten Schritt nennt LP zweisilbige Wörter, und TN legen, möglichst in der gehörten Reihen‐ folge, die Vokale. Als Beispiele eignen sich am besten Gegenstände im Klassenzimmer oder Wörter aus der Unterrichtssprache: Tische, Fenster, Tasche, Tür, Ordner, Name, Tafel, öffnen. (Diphthonge sind auf dieser Stufe zu vermeiden, da sie zur Hörkompetenz oder zur phonologischen Bewusstheit nicht beitra‐ gen und TN durch ihre Komplexität verwirren.) Bei guten Fortschritten in der ganzen Gruppe auf dreisilbige Wörter erweitern, z. B. Vorname, Nach‐ name, Telefon. Variante 2 TN nennen im PL die ihnen bekannten Wörter. Da‐ bei können aber Komplikationen auftauchen, wenn das Genannte nicht mehr lautgetreu zu legen ist, weil Wörter z. B. Diphthonge enthalten. In diesem Fall soll LP komplexe orthographische Regeln nicht ad hoc klären, sondern lauttreue Lösungen kommen‐ tarlos akzeptieren.- PL LP schreibt das Wort „Tisch“ an die Tafel und fragt nach der Anzahl der roten Buchstaben; dasselbe Vor‐ gehen erfolgt beim Wort „Fenster“: Vokale werden in beiden Wörtern rot übermalt, die roten Buchstaben gezählt. Silbenweise klatschen TN die Wörter. Wei‐ tere einsilbige, zweisilbige und evtl. auch dreisilbige Wörter werden aufgeschrieben und gleichermaßen besprochen. Tafel blaue und rote Kreide EA TN übertragen die Wörter von der Tafel in Blau und Rot ins Portfolio. Dabei sind TN zu ermuntern, die Wörter beim Schreiben mitzusprechen. blaue und rote Stifte für TN Portfolio EA Variante 1 TN machen ein Foto mit ihren Handys und übertra‐ gen die Wörter zweifarbig ins Portfolio als Hausauf‐ gabe. Am besten wird mit je einem Wort eine Reihe geschrieben. Die ersten zwei Wörter sollen noch in der Klasse zweifarbig übertragen werden. Handy 108 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="109"?> EA TN arbeiten mit der KV Lesen 1/ Schreiben 1 (beid‐ seitig kopiert). Sie ergänzen den Teil Schreiben 1 und kontrollieren selbständig die Ergebnisse mit dem rückseitigen Teil Lesen 1. KV Lesen-1/ Schreiben 1 EA Weiterführende Aufgaben Variante 1 TN schreiben die Wörter von KV Lesen 1/ Schrei‐ ben 1 zweifarbig ins Portfolio (auch als Hausaufgabe geeignet). Portfolio rote und blaue Stifte PA TN, die schneller fertig sind, üben in PA das flüssige Vorlesen der Wörter. PL Variante 2 LP schreibt die geübten Worte nur als konsonanti‐ sches Wortskelett in Blau an die Tafel. TN nennen das Wort, ergänzen die fehlenden Vokale und schrei‐ ben es ins Portfolio (evtl. zweifarbig). Tafel blaue und rote Kreide Es wird empfohlen, KV Lesen 1 zusätzlich ins Portfolio zu kleben, damit das Vorlesen der Wörter an den nächsten Kurstagen immer wieder kurz geübt werden kann. KV Lesen-1 Portfolio Leim Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Silben 1 ta te ti to tu Lernziele: TN kennen die Silbe als kleinstes Sprachsegment. TN können Silben einzeln und zusammengefügt erlesen (Synthese) und gehörte Silben im Schriftbild erkennen (PGK). Mündliche Vorarbeit: TN üben die korrekte Aussprache der Silben; TN bilden spielerisch (längere) Phantasiewörter und lesen diese vor. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL EA/ PA LP liest gemeinsam mit TN mehrmals KV Silben 1 vor. Anschließend lesen TN die Silben in PA, EA oder einzeln im PL. KV Silben-1 EA/ PL TN schneiden das Blatt in einzelne Silben LP spricht eine Silbe, TN legen diese auf den Tisch oder heben KV Silben-1 Scheren 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 109 <?page no="110"?> sie hoch. Ein/ e TN spricht eine Silbe, andere TN legen diese auf den Tisch oder heben sie hoch. Jedes Mal zeigt LP die gesprochene Silbe zur Kontrolle. PA/ GA TN üben in PA oder GA nach demselben Muster weiter.- PL Variante 1 LP nennt eine Silbe, TN suchen und zeigen das Schriftbild, die Silbe, auf dem Blatt. Das Vorgehen wird mehrmals wiederholt. EA Weiterführende Aufgaben Variante 1 TN schreiben Silbenreihen zweifarbig ins Portfolio und lesen diese vor (als Hausaufgabe). Portfolio, blaue und rote Stifte PA/ GA (EA) Variante 2 Für ihr weiterführendes Silbentraining können TN Würfel mit den Silben von KV Silben 1 erstellen, an‐ schließend würfeln sie einen, zwei oder drei Würfel gleichzeitig. Sie lesen einzelne Silben und daraus ent‐ stehende Nonsens-Wörter vor. Abschließend können einige Nonsens-Wörter diktiert oder an die Tafel bzw. auf ein Flipchart-Blatt geschrieben werden. Am nächsten Kurstag können diese gemeinsam im PL, dann in PA vorgelesen werden. Würfel: Papier‐ vorlage für Würfel/ Holz‐ würfel aus dem Bastelladen Leim Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Silben 2 Ta fel Ta sche Lernziele: TN können aus Silben Wörter erstellen (Synthese) und Wörter in Silben teilen (Analyse). Mündliche Vorarbeit: TN üben die korrekte Aussprache der Silben und der daraus entstehenden Wörter. 110 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="111"?> Sozial‐ form Ablauf Materialien PL/ EA TN lesen die Silben von KV Silben 2. Das Vorgehen ist wie im Ablauf KV Silben 1. KV Silben-2 EA TN zerschneiden die Vorlage, mischen die Karten und legen die Wörter zusammen. Die Sucharbeit kann wie folgt angeleitet werden: LP nennt ein Wort, TN legen dieses in EA oder in PA zusammen. Wenn TN selbständig arbeiten, nimmt LP eine beobachtende Position an und hilft erst dann, wenn TN mit dem Silbenwirrwarr nicht zurechtkom‐ men. Bei Problemen unterstützt LP betroffene TN direkt und nennt z. B. ein Wort. Sind mehrere TN von der Aufgabe überfordert, bietet LP einen Zwischenschritt an: mehrere Paare oder Gruppen können z. B. unter der Anleitung von LP zusammenarbeiten. KV Silben-2 Scheren Weiterführende Aufgaben Variante 1 TN kleben die Silben ins Portfolio. Abschließend oder als Hausaufgabe schreiben TN die Wörter zweifarbig ins Portfolio und korrigieren mit den geklebten Va‐ rianten. Variante 2 TN schreiben zweifarbig ins Portfolio. Sie bewahren die Silben im Portfolio als TN-Set (Karten), üben zu Hause das Lesen und legen damit Wörter aus Silben. KV Silben-2 Portfolio, blaue und rote Stifte, Leim KV Silben-2 als TN-Set Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Lesen 1 und Schreiben 1 i s t g u t d o r t _st g_t d_rt Lernziele: TN kennen die vokalischen Kerne des geübten Vokabulars und können Vokale isolieren. Mündliche Vorarbeit: TN sprechen Vokale korrekt aus, bei den Wörtern achten sie auf korrekte Aussprache und Intonation. 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 111 <?page no="112"?> Sozial‐ form Ablauf Materialien PL Einstieg und Vorentlastung der Aufgabe: Ablauf gleich wie bei KV Buchstaben. PL LP verteilt KV Schreiben 1, TN arbeiten damit und mit ihrem TN-Set Buchstaben. LP liest von der Vor‐ lage Lesen 1 das erste Wort, TN legen die Vokalkarte. Wenn nötig, können alle Wörter auf der Vorlage so vorentlastet werden. Ein/ e TN liest die Wörter von der Vorlage Lesen 1 vor, andere TN legen die Vokale. KV Lesen-1/ Schreiben-1 TN-Set (Vokale) Buchstaben GA/ PA Variante 1 Ein/ e TN liest das lückenhafte Wort, andere korrigie‐ ren mithilfe der Rückseite der Vorlage. KV Schreiben-1 GA/ PA Variante 2 Ein/ e TN liest das Wort von der Vorlage vor, andere legen den Vokal aus. KV Schreiben-1, TN-Set (Vokale) Buchstaben GA Variante 3 TN lesen die Lückenseite mit korrekten Vokalen er‐ gänzend vor - die/ der TN mit den meisten korrekt erlesenen Wörtern gewinnt. KV Schreiben-1 EA Variante 4 LP kopiert Schreiben 1/ Schreiben 2 beidseitig sowie Lesen 1 einseitig und laminiert die KV vor dem Zerschneiden. Je eine Karte Lesen 1, Schreiben 1/ Schreiben 2 wird in einen Umschlag gesteckt und an TN verteilt, die schneller fertig sind. TN ergänzen mit Non-permanent-Stift und korrigieren sich mithilfe der Karte Lesen 1. Nach der Aufgabe können die la‐ minierten Karten gereinigt und am nächsten Kurstag wieder als Zusatzaufgaben angeboten werden. KV Lesen 1 und Schrei‐ ben-1/ 2; Non-perma‐ nent-Stift, kleines (Pa‐ pier)Tuch, kleine Sprüh‐ flasche PA/ GA Weiterführende Aufgaben Variante 1 TN üben das Vorlesen der gesamten Vorlage und messen die Zeit. LP geht in der Klasse herum, hört TN einzeln an und korrigiert. KV Lesen-1/ Schreiben-1 PA Variante 2 TN lesen und diktieren sich gegenseitig die Wörter der Vorlage. Anschließend wird die Schreibkorrekt‐ heit kontrolliert. Ziel ist dabei nicht, dass LP alles bei allen TN korrigiert; diese Außenkorrektur sollte stich‐ probenartig erfolgen in der Weise, dass TN anschlie‐ ßend wissen, wie sie das von ihnen Geschriebene mit KV Lesen-2/ Schreiben-2a (Lesen-2/ Schreiben-2b) 112 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="113"?> der Vorlage vergleichen können. Ziel ist, dass TN ihre Fehler selbst erkennen. Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Lesestreifen I s t d i e T ü r r o t ? N e i n , o i s t r o t . W o i s t d i e T ü r ? D o r t . W o i s t d e r T i s c h ? H i e r . Lernziele: TN können das Geübte mit Tempo und Intonation angemessen vorlesen. Mündliche Vorarbeit: TN lernen handlungsorientiert die Fragen und Antworten und variieren sie situations- und sinngemäß. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL / EA Die KV Lesestreifen eignet sich zum intensiven Trainieren des Leseflusses. Die Streifen werden zer‐ schnitten und mehrmals in steigendem Tempo vor‐ gelesen. Die Streifen können in einem Umschlag im Portfolio versorgt werden; TN sollen als Hausaufgabe das Vorlesen üben (evtl. eine Aufnahme machen). KV Lesestreifen Scheren PA/ GA Die Lesestreifen zuerst und mehrmals vorlesen las‐ sen; aus den Streifen den Text erstellen, der KV Lesen, hören, schreiben entspricht. Die Gruppe kontrolliert mit der Vorlage. Lesestreifen erneut mischen und in der Gruppe dik‐ tieren; ein/ e TN zieht einen Streifen, liest vor, die anderen schreiben und korrigieren das Geschriebene (oder das Gelesene) mit dem Streifen. KV Lesestreifen KV Lesen, hö‐ ren, schreiben EA Weiterführende Aufgabe Wenn der Lesefluss genügend ist, können TN die Streifen mit Bildern visualisieren und so das Lesever‐ stehen einüben. KV Lesestreifen Portfolio, Leim, Stifte 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 113 <?page no="114"?> Stufe 1 Aufgabenset 1 KV Lesen, hören und schreiben I s t d i e T ü r r o t ? N e i n , o i s t r o t . W o i s t d i e T ü r ? D o r t . W o i s t d e r T i s c h ? H i e r . Lernziele: TN trainieren den Schreibfluss und können mit dem erarbeiteten Vokabular einfache Sätze und einfache, kurze Texte bilden. Übergang zum freien Schreiben; Stärkung der Lernerautonomie: Üben der Selbstkorrektur. Mündliche Vorarbeit: TN kennen den behandelten Wortschatz, variieren nach Muster einfache Sätze (Fragen, Antworten oder Anweisungen) oder Chunks. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL KV Bilder lesen entspricht sinngemäß vorange‐ hender KV Lesen, hören und schreiben und ist eine Zwischenstufe zwischen der realen Welt und deren Beschreibung im Text. Das Lesen kurzer Texte (d. h. nicht alleinstehender Wörter) wird in Online-Materialien durch die mündliche Einführung und Visualisierung von Bildern entlastet. Einstieg in die Übung: Ablauf siehe Handreichung zu KV Bilder sprechen und lesen bzw. KV Bild und Wort. KV Bilder sprechen und lesen PL/ GA Variante 1 Fragen und Antworten können, müssen aber nicht in dieser Lernsequenz an die Tafel notiert werden. Beim Frage-Antwort-Verfahren kann ein Ball ge‐ nutzt werden: Ein/ e TN fragt und wirft ihn der/ dem anderen TN zu, der/ die antwortet und dann eine neue Frage formuliert.- PA Variante 2 Nach ausreichendem Training im Raum wird KV Bilder lesen im PL und anschließend in PA erlesen. LP verteilt KV Lesen, hören und schreiben und KV Bilder lesen. Ein/ e TN liest KV Lesen, hören KV Bilder lesen und KV Lesen, hören und schreiben 114 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="115"?> und schreiben, andere/ r TN kontrolliert mit KV Bilder lesen. PL Die erarbeiteten Ja/ Nein- und W-Fragen werden mündlich wiederholt (siehe oben). LP visualisiert mit A4-Bildern eine W-Frage an der Tafel, und TN erlesen diese. Bei Bedarf werden weitere Fragen an der Tafel visualisiert und erlesen. A4-Bilder von KV Bild und Wort und KV Bilder lesen GA TN legen mit A4-Bildern Sätze und sprechen. TN lesen die KV Bilder lesen und kopieren einzelne Fragen und Antworten ins Heft. KV Bilder lesen und KV Bild und Wort als Klassensatz EA Variante 1 Schnell arbeitende TN schreiben den Bildern ent‐ sprechende Sätze ins Portfolio. Portfolio EA Variante 2 TN zerschneiden die Vorlage, legen sie sinngemäß wieder zusammen und schreiben erst dann ins Port‐ folio.- KV Bilder lesen PL Mit den geübten Fragemustern und Wörtern entwi‐ ckelt die Gruppe, geleitet durch LP, ihren ersten eigenen Text. Dieser kann mit Bildern visualisiert und anschließend geschrieben werden. Bei diesem gemeinsamen Schaffensprozess dürfen auch einige sprachliche Ungereimtheiten zugelassen werden. Das Geschriebene wird im PL mehrmals vorgelesen und mit der Bildvisualisierung verglichen. Dabei wird der Sinn des Leseverstehens geklärt. Abschlie‐ ßend schreiben TN den Text ins Portfolio. Tafel EA Variante 1 Zur Vertiefung können Vokale im Text fokussiert und rot gekennzeichnet werden. TN schreiben den Text zweifarbig ins Portfolio. Nach dem Abschreiben lesen sie ihre eigene Handschrift vor. Portfolio rote und blaue Stifte EA Variante 2 Vokale werden im Text erarbeitet und rot markiert. TN fotografieren mit ihren Handys das Tafelbild und schreiben als Hausaufgabe den ganzen Text zweifarbig ab. Der erste Satz wird in der Klasse zweifarbig abgeschrieben. Handy roter Stift 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 115 <?page no="116"?> GA Am nächsten Kurstag lesen TN den Text aus ihrem Portfolio vor. Sie bilden einen großen oder mehrere kleine Kreise im Stehen und lesen chorisch vor; LP geht von TN zu TN und hört zu. Bei gutem Lesetempo und Lesekorrektheit erarbei‐ ten TN in PA bzw. EA einen neuen Text. LP unter‐ stützt und korrigiert nach Bedarf. Portfolio der TN PL/ EA Weiterführende Aufgabe / Diagnostik: Diktat LP diktiert KV Lesen hören schreiben. TN korri‐ gieren den Text mithilfe der nun verteilten KV. KV Lesen, hören und schreiben KV der Stufe 3 sind analog zu KV der Stufen 1 und 2 aufgebaut und unter‐ scheiden sich davon nur durch den Schwierigkeitsgrad. Zwei abweichende Unterlagen werden im Folgenden erklärt. Stufe 3 Aufgabenset 1 KV Von der Silbe zum Wort S p r a S p r a c h S p r a c h k u r s S p r a c h k u r s e Lernziele: TN können lange zusammengesetzte Wörter erlesen. Mündliche Vorarbeit: TN kennen die Bedeutung der Wörter, können sie richtig aussprechen und können mit ihnen einfache Aussagen, Fragen oder Antworten formulieren. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL TN sammeln mithilfe des Wimmelbildes In der Sprachschule Begriffe, Chunks; LP notiert sie auf die Tafel, möglichst neben das Bild. LP stellt Fragen mit den erarbeiteten Chunks/ Vokabular. TN sollen dadurch in ein Gespräch zu einem Thema verwickelt werden, in dem sie sich über ihre bisherigen Erfah‐ rungen äußern können. (Mögliche Fragen: „Was spre‐ chen Sie? “, „Sprechen Sie Italienisch? “, „Wo haben Sie Vergrößertes Wimmelbild: In der Sprachschule Tafel 116 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="117"?> Deutsch gelernt? “, „Wo lernen Sie Deutsch? “, „Wann lernen Sie Deutsch? “, „Lernen Sie Italienisch/ Deutsch/ Türkisch in der Schule? “, „Lernen Sie gern? “, „Putzen Sie gern? “) PA Die erarbeiteten Fragen schreiben TN auf Karten. In PA ziehen sie eine Karte, stellen dem Partner die Frage, beantworten sie. LP geht herum und unter‐ stützt bei Schwierigkeiten/ Fragen. TN formulieren die Antworten über den/ die Partner/ in mit „er“/ „sie“. Leeres Karten‐ set zum Be‐ schriften PA/ PW Anschließend laufen die TN mit ihrem/ r Partner/ in im Klassenraum herum und äußern sich über ihn/ sie. Ein anderes Paar hört zu und stellt Fragen. PL LP liest die einzelnen Stufen vor, TN wiederholen. LP und TN lesen die Pyramiden zusammen chorisch vor. Die Silben können anschließend zusammen ge‐ klatscht und die Silbenbogen markiert werden. KV Von der Silbe zum Wort PA TN erlesen die Vorlage in PA und korrigieren einan‐ der. LP geht herum und kontrolliert. PL Weiterführende Aufgabe Wörterpyramiden dienen als Vorentlastung für den Lesetext und können als Einstieg in den Unterricht oder vor dem Lesetraining als Vorentlastung wieder‐ holt eingesetzt werden. Daher lohnt es sich, KV im Portfolio zu sichern. Im Anschluss kann man mit KV Lesen 1, Hören und Lesen, Lesen und schreiben oder Von der Silbe zum Satz weiterarbeiten. KV Von der Silbe zum Wort Stufe 3 Aufgabenset 1 KV Von der Silbe zum Satz Kurt Karl am Vor mit tag im Bus fragt hast Haus auf Lernziele: TN können aus Silben Wörter und aus Wörtern Sätze bilden. Mündliche Vorarbeit: TN erarbeiten das nötige Vokabular, bilden Fra‐ gen und Antworten oder formulieren einfache Aussagen über sich selbst, 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 117 <?page no="118"?> über Kurs/ Schule in ihren Heimatländern. Sie verwenden die erarbeiteten Chunks und das Vokabular handlungsorientiert. Sie berichten darüber, was sie als einfach oder schwierig empfinden, was sie gern oder nicht so gern machen, wann sie was machen. Sozial‐ form Ablauf Materialien PL/ PA - Vorentlastung mithilfe des Wimmelbildes, siehe Ablauf in der Handreichung zu KV Von der Silbe zum Wort. Es ist darauf zu achten, dass in den erarbeiteten Fragen/ Antworten solche von KV Von der Silbe zum Satz vorkommen, z. B. die Frage „Hast du/ Haben Sie die Hausaufgabe gemacht? “ oder „Lachen/ Putzen/ Lernen Sie gern? “ Wimmelbild: In der Sprach‐ schule Tafel leere Karten PL Das Fragen und Antworten kann auch mit einem Ball vor PL geübt werden. Ball PL LP liest die Vorlage vor. TN lesen chorisch die Vor‐ lage, vgl. Ablauf in der Handreichung zu KV Silben 1/ 2 oben. KV Von der Silbe zum Satz EA TN zerschneiden KV und legen zuerst Wörter aus den Silben. Wenn nötig, unterstützt LP (Ablauf gleich wie bei KV Silben 1/ 2) KV Von der Silbe zum Satz PL LP klärt die Bedeutung der Satzzeichen (evtl. werden auch Begriffe „Frage“ und „Antwort“ geklärt). An der Tafel wird ein Beispiel (z. B. eine Frage und eine Antwort) aus den Silben bzw. Wörtern erarbeitet. - EA/ PA TN legen Sätze aus den bereits erarbeiteten Wörtern. Korrektur je nach Klassentempo individuell mit KV Von der Silbe zum Satz oder zuerst vor Plenum und dann in EA. Nach der Arbeit können die Silbenkarten versorgt und als Hausaufgabe zu Hause wieder gelegt werden. TN schicken mit Handy ein Foto an LP. Lösung zu KV Von der Silbe zum Satz Handy EA Variante 1 TN kleben die erarbeiteten Sätze ins Portfolio. KV Von der Silbe zum Satz, Portfolio EA Variante 2 TN schreiben die Fragen und Antworten (zweifarbig) ins Portfolio und versorgen die Karten im Portfolio. - PL Variante 3 Falls die Aufgabe sich als zu schwierig erweist, kann folgender Schritt als Entlastung eingebaut werden: A5-Karten KV Von der Silbe zum Satz 118 7 Materialien für die DaZ-Alphabetisierung <?page no="119"?> Die Silben eines Satzes der KV werden als größere Karten an TN verteilt. Diese organisieren sich, stellen sich auf, zeigen die Silbenkarten und erstellen den Satz. PL/ EA/ PA Weiterführende Aufgabe Der erarbeitete Text wird erst chorisch, dann in EA/ PA vorgelesen und als Lesetraining geübt. KV Von der Silbe zum Satz 7.2 Handreichungen für die Unterrichtspraxis- 119 <?page no="121"?> Glossar Andragogik: Wissenschaft von der Erwachsenenbildung. Arbeitsgedächtnis: dient der kurzzeitigen Speicherung und Verarbeitung (Organi‐ sation) von Informationen. bottom-up-Prozess: Die Verarbeitung im Leseprozess geht von der Ebene der Buchstaben über das Verbinden der Buchstaben (Synthese) zur Ebene der Wort‐ erkennung; ein Text wird durch buchstabierendes Silbenlesen erlesen. Curriculum: Lehrplan. Erstschriftlernende: haben in ihren Muttersprachen (auch Herkunfts- oder Erst‐ sprache genannt) keine Schriftsprache, kein Zeichensystem erlernt. Graphem: bezeichnet die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer ge‐ schriebenen Sprache, die eine Phonemfolge repräsentiert. Funktionaler Analphabetismus: liegt vor, wenn die schriftsprachlichen Kompe‐ tenzen von Erwachsenen das in einer Gesellschaft erforderliche Minimum nicht erreichen; mit anderen Worten: wenn Erwachsene mit der vorgegebenen Schrift nicht handeln können. Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK): bezeichnet im Bereich des Lesens den Zusammenhang zwischen Schrift- und Sprachzeichen. Die Schriftzeichen (Grapheme) bilden nach bestimmten Regeln sprachliche Einheiten ab. Diese Regeln geben an, wie die sprachliche und die graphemische Ebene aufeinander zu beziehen sind. Illetrismus: Unfähigkeit, zu lesen und zu schreiben - trotz Schulbesuch. Interimsprache: beim Erlernen einer Fremdsprache erreichter aktueller Entwick‐ lungsstand; den Lernenden aktuell aktiv zur Verfügung stehende sprachliche Mittel. Kognition: Der Begriff umfasst Prozesse der Wahrnehmung, des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, des Erkennens und Denkens, des Lernens und des Erinnerns, der Problemlösung. Langzeitgedächtnis: dient der langfristigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen. Mentales Lexikon: repräsentiert den gesamten Wortschatz einer Person, auf den man mental (im Gedächtnis/ Gehirn) zugreifen kann; zusätzlich werden Informationen gespeichert wie phonologische Gestalt, morphologische Struktur, syntaktische Kategorie und Verbindung zur Wortbedeutung. <?page no="122"?> Metakognition: bezeichnet die Fähigkeit, eigene Denkprozesse zu reflektieren, Lösungen zu hinterfragen, sich mit kognitiven Prozessen auseinanderzusetzen. Morphem: kleinster bedeutungstragender Teil der Sprache; unterschieden wird zwischen Stamm- und Flexionsmorphemen. Phon: Sprechlaut. Phonem: eine Abstraktion, die die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer gesprochenen Sprache bezeichnet. Die deutsche Sprache weist 41 Phoneme aus. Phonem-Graphem-Korrespondenz (PGK): vgl. GPK; als PGK wird die Lautori‐ entierung nach einem phonologischen System in der Alphabetschrift genannt. Phonologische Bewusstheit: umfasst die spezifische Fähigkeit, sich mit der Form der gesprochenen Sprache auseinanderzusetzen. Die Bielefelder Forschungs‐ gruppe (Martschnike/ Kirschhock/ Frank 2002, 10) unterteilte die phonologische Bewusstheit wie folgt: im weiteren Sinne: bezieht sich auf größere phonologische Einheiten (Silbe, Onset, Reim) und basiert auf der impliziten Sprachbewusstheit sowie auf spon‐ tanem Entdecken neuer Strukturen (Segmentieren, Reimen, Sprechrhythmus). im engeren Sinne: bezieht sich auf kleinste phonologische Einheiten und setzt das explizite Wissen über die Sprache wie auch das reflektierende und analytische Lernen voraus. Es ist die Fähigkeit, mit einzelnen Phonemen umzugehen. Primärer Analphabetismus: bedeutet, dass Erwachsene keine schriftsprachlichen Kenntnisse erwerben konnten. Oft liegen die Ursachen darin, dass ein Schulbe‐ such nicht möglich war, da die Heimatregion von Armut oder kriegerischen Konflikten betroffen war/ ist. Wegen fehlender Lerntechniken ist damit in der Regel begrenzte Lernerautonomie verknüpft. Sekundärer Analphabetismus: bedeutet, dass jemand zwar eine Schriftsprache erworben hat, diese Kompetenzen aber „verlernt“ hat. Synthese/ Silbensynthese: wird in der Lesedidaktik das Zusammenfügen zweier Buchstaben zu einer Silbe genannt. top-down-Prozesse: Die Verarbeitung im Leseprozess geht von der lexikalischen Ebene aus und setzt ein mentales Lexikon voraus, in dem Schreibweisen, Aus‐ sprache, Sinn und strukturelle Merkmale gespeichert sind. Der/ Die Lesende stellt Hypothesen auf und überprüft sie. Zweitschriftlernende: wird eine Person genannt, die in ihrer Herkunfts- oder Erstsprache bereits alphabetisiert wurde und ein zweites Schriftsystem erlernt. Zweitspracherwerbende: wird eine Person genannt, die nach der Herkunfts- oder Erstsprache eine zweite Sprache erwirbt. 122 Glossar <?page no="123"?> Literatur Andresen, H. (1985). Schriftspracherwerb und Entstehung von Sprachbewußtheit. 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Fremdheit-12, 74 funktionaler Analphabetismus-77, 121 Funktionsweise des Gehirns-24 Ganzsatzmethode-47 Ganzwortmethode-47 Gedächtnis- Arbeits--23, 26f., 29, 33, 39f., 51f., 57, 121 deklaratives-25 Kurzzeit-, siehe- Arbeitsgedächtnis-25f. Langzeit--25ff., 30, 33, 39, 58, 121 prozedurales-25 GeR, Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen- -Niveau-37, 78f. Graphem-18, 23, 36f., 41f., 52, 121 Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK)-32, 36, 38, 44, 121 Grundkompetenzen-37, 77 guessing game-32f. Handlungskompetenz-47, 71, 81 Identität-72 Illetrismus-121 indirekter Weg-29, 33 inside-out-Prozess-32 Integration-78, 81 Integrativität-72 interaktives Modell-39 Interimsprache-62 Kognition-72, 121 kognitive Modelle-33 Konsonantenhäufung-43, 46 kontrastive Alphabetisierung-48 LASLLIAM-79 <?page no="133"?> Lautiermethode-44f. Lautorientierung-42, 122 Lehrplan-121 Lehrwerk-18, 45, 68, 80f., 83 Lernerautonomie-61, 65ff., 114, 122 Lernkanäle-68 Lernportale-82 Lernprozess- Evaluation des -es-70 Lernstrategie-68, 75 Lerntechniken-18, 65, 67-70, 122 Lerntransfer-67 Lerntypen-68 Lesefluss-43, 47, 92 Lesemodelle-30, 32f., 35 Lese-Rechtschreibstörung (LRS)-92 Lese- und Rechtschreibstörung (LRS) 41 linguistische Menschenrechte-48 Literalität-→ Schriftlichkeit literarisiert-77, 79f. Logogen-32 logographisch- -e Phase-34 mental- -es Lexikon-32f., 121f. Metakognition-122 Missverstehen-14 Mnemotechniken-22, 68f. Morphem-17, 42, 47, 56, 122 Motivation- extrinsische --72 intrinsische --72 Selbst--72 -sforschung-72 multisensorisches Training-52, 85 Mündlichkeit-18ff., 22, 85 neuronales Recycling-24 Nicht-Verstehen-9, 11-14, 17 Oralität-→ Mündlichkeit orthographisch- -e Regel-34 transparente Sprache-42, 49 Phasen- und Entwicklungsmodelle-33 Phon-122 Phonem-11, 14f., 17, 23, 36f., 42, 122 Phonem-Graphem-Korrespondenz (PGK)-38, 42, 47, 122 phonologisch- -e Bewusstheit 16, 34, 53f., 56, 63, 122 -er Weg-37, 55 -e Schleife-26 Portfolio-60ff., 69f. primärer Analphabetismus-18, 23, 27, 47, 54, 59, 122 Rahmen- -bedingungen-18, 59, 74, 77f., 83 -curriculum für die Alphabetisierung-79f., 84 Schriftlichkeit-18, 20ff., 45, 65 Schriftsprache, normgeleitete-11 sekundärer Analphabetismus-18, 122 selbständiges Lernen-62, 69 Selbstkonzept-72ff. Selbstorganisation-70f. silbenanalytische Methode-46 Silbenmethode-46 Simple View of Reading (SVR)-32 Sinnlautmethode-45 Sprache der Nähe und der Distanz-20 Sprachenportfolio, europäisches-61 Sachregister 133 <?page no="134"?> Spracherfahrungsansatz-48 Standardsprache, normgeleitete-11 stellvertretendes Schreiben-48 Stress-68, 71, 74, 82 Subjektebene-36 Synthese-42f., 52, 54, 109f., 121f. top-down-Prozess-32, 44 Überforderung-21 Unterforderung-71, 74 Unterrichtssprache-18, 45, 93 visuell-räumlicher Notizblock-26 Wortakzent-42 Wortbild-15, 33, 41, 47, 85, 106 Zone der nächsten Entwicklung-71, 74 Zweitschriftlernende-9, 18, 28, 46, 122 Zweitspracherwerbende-72, 122 134 Sachregister <?page no="135"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Umfang der Alphabetisierungsarbeit mit fremdsprachigen Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Abb. 2: Situationen des Verstehens im Sprachkurs (nach Schnitzler 2008, S.-8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Abb. 3: Situationen des Nicht-Verstehens im Sprachkurs . . . 17 Abb. 4: Fehlende Konzeptkenntnisse der Schriftsprache . . . . 21 Abb. 5: Klassische Dreiteilung des Gedächtnisses (nach Heidler 2013, 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Abb. 6: Das neue Arbeitsgedächtnismodell (nach Baddeley 2002, 421) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Abb. 7: Implementierung des Modells von Baddeley (2002) in das konzentrische Arbeitsgedächtnismodell von Oberauer (2002) (nach Heidler 2013, 64) . . . . . . . . . . . 28 Abb. 8: Fehler als Zeichen für Kapazitätseinschränkung des mentalen Arbeitsraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Abb. 9: Dorsale und ventrale Route bei versiertem Lesen (nach Wolf 2010, 168) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Abb. 10: Logographisches Schreiben mit Elementen des phonologischen Erkennens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Abb. 11: Phase 3 - Skelettschreiben: „Regen“, „trinken“ . . . . . 35 Abb. 12: Phase 3 - Zufügen von Vokalen: „Blume“, „Frauen“ . 35 Abb. 13: Phase 4 - beginnende Einsicht in den Buchstaben-Laut-Bezug: „Hose“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Abb. 14: Kompetenzmodell des Lesens (nach Rosebrock/ Nix 2008, 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Abb. 15: Freie Schriftproduktion: „Die Frau geht mit [Kinder]wagen.“, „[D]er Mann kocht.“ . . . . . . . . . . . . . 38 Abb. 16: Modell von Philipp (2019, 73) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Abb. 17: Individuelle Probleme der Lernenden beim Verschriften des Wortes „Pause“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Abb. 18: Bottom-up und top-down im Alphabetisierungsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abb. 19: Schreibleistungen von fünf Lernenden in einer DaZ-Alphabetisierungsstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 <?page no="136"?> Abb. 20: Orientierungsprobleme auf dem Blatt . . . . . . . . . . . . . 57 Abb. 21: Strategische Hervorhebung der Vokale im Diktat als Gedankenstütze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Abb. 22: Korrekturmarkierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 23: Alphabetisierung als Einstieg in schriftdominierte kulturelle Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Abb. 24: Zone der nächsten Entwicklung (nach Rey/ Nieding 2010, 78) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Abb. 25: Modell des Flow-Zustandes (nach Csíkszentmihályi 1985, 75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 136 Abbildungsverzeichnis <?page no="137"?> ISBN 978-3-381-12811-2 aus der Praxis für die Praxis mit Online-Materialien als Kopiervorlagen lehrwerksunabhängig einsetzbar Das Buch beruht auf dem Unterrichtsalltag in Alphabetisierungskursen mit erwachsenen Migrant: innen und bietet Lehrkräften eine fundierte Einführung in die Fachliteratur. Der theoretische Teil wird mit einer Handreichung für die Praxis erweitert und durch eine Materialiensammlung ergänzt. Die Materialien des neuen Konzeptes basieren auf Forschungsergebnissen und eigener Unterrichtspraxis. Gedacht als Kopiervorlagen für den Unterricht, eignen sie sich für die Arbeit mit Zweitsprachlernenden auf allen Alphabetisierungsstufen. Die Materialien können lehrwerksunabhängig eingesetzt werden. Lelkes / Misiak Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch Zsófia Lelkes / Anna Maja Misiak Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch mit Unterrichtsmaterialien online
