Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee
800 Jahre Spitalstiftung Konstanz
0616
2025
978-3-3811-3202-7
978-3-3811-3201-0
UVK Verlag
Sabine Schilling
Andreas Voß
10.24053/9783381132027
Der deutsche Südwesten ist reich an bürgerschaftlich getragenen Institutionen, und zwar seit dem Mittelalter. So feiert etwa die älteste Bürgerstiftung am Bodensee im Jahr 2025 ihren 800. Geburtstag. Kritisch wird daher die Geschichte des Spitals von 1225 bis heute dargestellt. Die Publikation bietet aber auch einen Mehrwert, in dem über das Historische hinaus auch Gegenwart und Zukunft behandelt werden: Wo steht die Stiftung heute? Interessant ist es zu erfahren, über welche Einrichtungen die Spitalstiftung verfügt, inklusive des umfangreichen Waldbesitzes und der Spitalkellerei mit Weinlagen in Konstanz und in Meersburg. Zudem besteht eine Beteiligung am Gesundheitsverbund des Landkreises Konstanz.
<?page no="0"?> Sabine Schilling, Andreas Voß (Hg.) Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee 800 Jahre Spitalstiftung Konstanz <?page no="1"?> Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee <?page no="2"?> 5 <?page no="3"?> Sabine Schilling / Andreas Voß (Hg.) Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee 800 Jahre Spitalstiftung Konstanz <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381132027 © UVK Verlag 2025 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. 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Gemälde von Nikolaus Hug (1851) (Rosgartenmuseum, Konstanz) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 9 11 13 17 25 103 115 129 Inhalt Winfried Kretschmann Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg zur Bedeutung der südwestdeutschen Stiftungslandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uli Burchardt Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Konstanz und Vorsitzenden des Stiftungsrates zum Jubiläum 800 Jahre Spital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Osner Grußwort des Ersten Bürgermeisters und Vorstands der Spitalstiftung zu sozialer Verantwortung und Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Spital - gestern Harald Derschka Die Gründungsurkunde des Konstanzer Spitals von 1225 . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe. Die Geschichte des Konstanzer Spitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stiftung - heute Andreas Voß In Gegenwart und Zukunft zuhause. Beteiligung, Ausbildung und Internationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Bortfeldt Die fünf stationären Pflegeinrichtungen. Haus Urisberg, Haus Talgarten, Haus Salzberg, Haus Jungerhalde und das Luisenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Bortfeldt Ambulant betreute Wohngemeinschaften. Erich-Bloch-Weg 4, Talgartenstraße 4 und Betreutes Wohnen am Georg-Elser-Platz 1 . . . . . . . . <?page no="6"?> 135 139 143 147 153 157 163 167 177 183 187 Sabine Schilling Ambulanter Pflegedienst. Zwischen steigender Nachfrage und Personalmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jorge Lugo und Sabine Markgraf Pflegeverständnis neu gedacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Wissmann Die woge - seit 2020 Teil der Spitalstiftung Konstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Teichler Das Sozialpädiatrische Zentrum Konstanz (SPZ). Eine besondere Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rebecca Koellner Mit Leidenschaft, Liebe und Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Die Küche der Spitalstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Menhofer Die Spitalstiftung Konstanz - nachhaltig am Gemeinwohl orientiert . . . . . Rebecca Koellner Mittelbeschaffung verbessert das Leben im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Jäger Der Wald der Spitalstiftung Konstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miteinander Vielfalt leben - Portraits aus den Pflegeeinrichtungen Anja Böhme Tagespflege. Interviews mit einem Tagesgast sowie mit der ehemaligen und aktuellen Leiterin der Tagespflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jorge Lugo Das Luisenheim. Interviews mit einer Pflegehilfskraft und einer Fachkraft Anja Böhme Haus Salzberg. Interviews mit einem Bewohner, der Pflegedienstleiterin und einer Stationsleiterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 193 199 207 217 221 225 229 243 245 253 273 277 Anja Böhme Haus Urisberg. Interviews mit einer Bewohnerin, der Pflegedienstleiterin und einer Stationsleiterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anja Böhme Haus Talgarten. Interviews mit zwei Fachkräften und einer Bewohnerin . . Pflege als Beruf, das Erbbaurecht, der Weinbau und die Pachtgaststätten Sabine Schilling Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession. Ein Blick zurück auf die Entwicklung eines unverzichtbaren Berufsstandes . . . . . . . . Axel Weber Berufsbild Altenpflege heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rebecca Koellner und Michael Oppe Mit dem Erbbaurecht zum eigenen Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Schilling Ein Zuhause für die Familie. Betriebskrippe und Personalwohnungen der Spitalstiftung Konstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anja Böhme Zum Wohl aufs Gemeinwohl. Die Spitalkellerei zwischen Kulturgut und Wirtschaftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reiner Weichler Spitalstiftung und Spitalkellerei Konstanz. Seit der Jahrtausendwende eine Erfolgsgeschichte mit Wein und Weitsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anja Böhme Der Nicolai Torkel zwischen klösterlicher Weinpresse und Gebäudeenergiegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spitalgeschichte kompakt Jürgen Klöckler Zum Schluss ein schneller Überblick. Eine kurzgefasste Geschichte der Konstanzer Spitalstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg zur Bedeutung der südwestdeutschen Stiftungslandschaft Winfried Kretschmann Stiftungen sind seit Jahrhunderten ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Sie fördern uneigennützig vielfältiges Engagement in fast allen Bereichen unseres Lebens. Durch ihre klaren Wertvorstellungen und ihren starken Willen zur Förderung und Unterstützung tragen sie maßgeblich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Lebensqualität bei. Sie bringen oft innovative Ideen und Lösungen hervor, die das staatliche Handeln sinnvoll er‐ gänzen und unsere Zivilgesellschaft bereichern. In Baden-Württemberg blicken wir auf eine lange und bedeutsame Stiftungstradition zurück, die bis ins Jahr 1225 reicht. Hier stehen wir bundesweit sogar mit an der Spitze. Viele Stiftungen sind fest in unserem Land verwurzelt und spiegeln das große Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger wider. Fast jede und jeder Zweite im Südwesten setzt sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl ein - ein beeindruckender Beweis für gelebte Solidarität in unserem Land. Die Stiftungen in Baden-Württemberg sind daher wesentliche Partner, die durch ihre Arbeit die Zufriedenheit und den Wohlstand unserer Gesellschaft nachhaltig sichern und verbessern. Ein herausragendes Beispiel für diese Tradition ist die Spitalstiftung Kon‐ stanz, die im Jahr 2025 ihr 800-jähriges Bestehen feiert und damit zu den ältesten Bürgerstiftungen Deutschlands zählt. Zu diesem beeindruckenden Jubiläum gratuliere ich herzlich! Seit ihrer Gründung hat die Stiftung zahlreiche Heraus‐ forderungen gemeistert und sich stetig weiterentwickelt, um den Bedürfnissen der Gemeinschaft gerecht zu werden. Ihr unermüdliches Streben nach dem Wohl der Menschen und einer Pflege auf höchstem Niveau zeugt von Leidenschaft, Beständigkeit und Professionalität. Die Spitalstiftung Konstanz hat schon viele Generationen von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt und sich für kranke, arme und alte Menschen einge‐ setzt. Heute steht sie für eine moderne und zukunftsorientierte Fürsorge. Durch kontinuierliche Verbesserung ihrer Dienstleistungen und den Ausbau ihrer In‐ <?page no="10"?> frastruktur ist sie hierzulande ein wichtiger Akteur vor allem in der Altenpflege und -betreuung geworden. Ihre tiefe lokale Verwurzelung und Vernetzung, ein breites Wissensfundament und das Engagement der Mitarbeitenden tragen maßgeblich zur hohen Qualität und Verlässlichkeit der Stiftung bei. Diese Jubiläumspublikation würdigt nicht nur die reichhaltige Vergangenheit der Spitalstiftung Konstanz, sondern bietet auch Inspiration für ihre Zukunft. Der Spitalstiftung Konstanz wünsche ich weiterhin alles Gute und den Leserinnen und Lesern eine inspirierende und bereichernde Lektüre! Winfried Kretschmann Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg 10 Winfried Kretschmann <?page no="11"?> Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Konstanz und Vorsitzenden des Stiftungsrates zum Jubiläum 800 Jahre Spital Uli Burchardt Liebe Konstanzerinnen und Konstanzer, liebe Spitalstiftung samt den zahlrei‐ chen Mitarbeitenden, die Spitalstiftung Konstanz ist ein tolles Beispiel für bürgerschaftliches Engage‐ ment und Nächstenliebe, das weit über die Grenzen unserer Stadt hinausstrahlt. Die Gründung im 13. Jahrhundert war ein Akt der Weitsicht und des Mitgefühls. Das ist inzwischen 800 Jahre her und die Stiftung konnte sich in den Wirren der Zeit stets ihre Mission bewahren und hat sich den Herausforderungen jeder Epoche gestellt. Sie ist nicht nur ein Relikt vergangener Zeiten, sondern ein lebendiges Zeugnis des fortwährenden Einsatzes für das Gemeinwohl. Die lange Geschichte dieser Stiftung zeugt von einem unerschütterlichen Willen, den Bedürftigen zu helfen und soziale Verantwortung zu übernehmen. Die Spitalstiftung steht für die Werte, die unsere Gemeinschaft stark machen: Hilfe. Fürsorge. Verantwortung. Heute ist die Spitalstiftung Konstanz mehr als nur eine historische Institution. Die Spitalstiftung ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein wirtschaftliches Rückgrat unserer Stadt. Mit rund 560 Mitar‐ beitenden ist sie einer der größten Arbeitgeber in Konstanz. Jährlich finden hier rund 50 Auszubildende einen Arbeitsplatz. Zum Beispiel mit dem Bekenntnis zur Gemeinwohlökonomie zeigt die Stiftung, dass wirtschaftlicher Erfolg auch Grundlage von gemeinnützigem Handeln sein kann. In Zeiten knappen Wohnraums ist es unerlässlich, bezahlbaren und ange‐ messenen Wohnraum zu schaffen. Die Spitalstiftung hat dies erkannt und investiert in den Bau von Betriebswohnungen und Pflegeeinrichtungen. Wo soziale Ungleichheit und demografischer Wandel immer größere Herausforde‐ rungen darstellen, bleibt die Stiftung ein Leuchtturm der Hoffnung und des Fortschritts. Ihre Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und <?page no="12"?> gleichzeitig ihre Grundwerte zu bewahren, macht sie zu einem Vorbild für andere Institutionen. Als Oberbürgermeister erfüllt es mich mit Stolz, Vorsitzender des Stiftungs‐ rates zu sein und die Traditionen dieser bedeutenden Institution fortzuführen. Ich gratuliere unserer Spitalstiftung zum stolzen Jubiläum und dazu, dass sie ihren Kurs in Konstanz und für Konstanz in den zurückliegenden 800 Jahren ihrer Geschichte zwar stets modernisiert, aber nie verlassen hat. Für die nächsten Jahrhunderte wünsche ich unserer Spitalstiftung genau das - weiterhin viel Erfolg im Sinne des Gemeinwohls und der Fürsorge. Ihr Uli Burchardt Oberbürgermeister und Vorsitzender des Stiftungsrates 12 Uli Burchardt <?page no="13"?> Grußwort des Ersten Bürgermeisters und Vorstands der Spitalstiftung zu sozialer Verantwortung und Fürsorge Andreas Osner Liebe Konstanzerinnen und Konstanzer, die Spitalstiftung Konstanz blickt auf ein außergewöhnliches Erbe zurück. Sie ist auch nach 800 Jahren für uns als sozialer Träger von größter wirtschaftlicher Bedeutung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1225 durch Heinrich von Bitzenhofen und Ulrich Blarer ist sie bis heute ein Symbol für soziale Verantwortung und Fürsorge in unserer Stadt. Was als historische Pflegeeinrichtung begann, hat sich in den vergangenen Jahrhunderten zu einem modernen sozialen Dienst‐ leister entwickelt bis hin zur Mitgliedschaft in der Gemeinwohl-Ökonomie auf Basis eines ethischen Wirtschaftsmodells, bei dem das Wohl von Mensch und Umwelt zum obersten Ziel des Wirtschaftens wird. Als kommunale Stiftung öffentlichen Rechts ist die Stiftung grundsätzlich eigenständig. Das beinhaltet die Verwaltung zahlreicher Immobilien, das Be‐ treiben von fünf stationären Pflegeeinrichtungen, zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften, einer Tagespflegeeinrichtung, einem ambulanten Pfle‐ gedienst sowie Einrichtungen des betreuten Wohnens. Die demografische Entwicklung in Konstanz bringt neue soziale Herausfor‐ derungen: Unsere Bevölkerung wird älter, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und bezahlbarer Wohnraum wird knapper. Die Spitalstiftung hat auf diese Entwicklungen reagiert, um den heutigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die ganzheitliche Versorgung von Seniorinnen und Senioren steht dabei im Mittelpunkt ihres Handelns und das persönliche Wohlergehen der Menschen hat über die Pflege hinaus höchste Priorität. Die Stiftungsethik ist heute die Grundlage ihrer Arbeit. Sie bestimmt, wie Mit‐ arbeitende mit den Menschen umgehen, die sie betreuen und eine hochwertige Betreuung garantieren. Der Slogan „Miteinander VIELFALT leben“ ist gelebte Philosophie der Spitalstiftung. <?page no="14"?> Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den folgenden vier Säulen die Spitalstif‐ tung auch in den kommenden Jahren als Institution sichern und weiterentwi‐ ckeln können: 1. Qualifizierte Fachkräfte und Verbesserung der Personalbindung 2. Erhöhung von Spenden, Zustiftungen und Nachlässen als finanzielle Basis 3. Offene und transparente Kommunikation 4. Ausbau der Zusammenarbeit mit städtischen und benachbarten Institu‐ tionen. Als Sozialbürgermeister verspreche ich Ihnen, dass ich mich weiterhin mit aller Kraft für die Belange der Spitalstiftung und der hilfsbedürftigen Menschen einsetzen werde. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Spitalstiftung auch in den nächsten 800 Jahren ein Symbol für soziale Gerechtigkeit und menschliche Würde bleibt. Ihr Dr. Andreas Osner Erster Bürgermeister und Vorstand der Spitalstiftung 14 Andreas Osner <?page no="15"?> Das Spital - gestern <?page no="17"?> Die Gründungsurkunde des Konstanzer Spitals von 1225 Harald Derschka I. Vorbemerkung Die Konstanzer Spitalstiftung begeht 2025 den achthundertsten Jahrestag ihres Bestehens. Die Grundlage hierfür bildet eine Urkunde von 1225, mit der Bischof Konrad II. von Tegerfelden die Stiftung des Heiliggeistspitals bestätigte und ihm eine Verfassung gab. Diese Urkunde wird als Teil des Spitalarchivs im Stadtarchiv verwahrt; sie zählt zu den bedeutenden Dokumenten der Konstanzer Stadtgeschichte. Ein Spital als öffentliche Einrichtung zum Wohle der Armen, Kranken, Alten, Waisen oder Pilger hatte es in der Bischofsstadt Konstanz schon lange gegeben. Das Konzil von Chalkedon (451) erwähnt beiläufig die Aufsicht der Bischöfe über die Armenhäuser (ptochia). In Konstanz soll Bischof Konrad (934-975) ein Spital (hospicium) eingerichtet haben, in dem ständig zwölf Arme und darüber hinaus durchziehende Pilger versorgt werden sollten; mit der Gründung des Augustinerchorherrenstifts Kreuzlingen wurde es 1125 dorthin verlegt. Im 12. und 13. Jahrhundert wuchsen in Konstanz wie in vielen anderen Städten die Einwohnerschaft und ihre Wirtschaftsleistung in einem Ausmaß, das alle bestehenden öffentlichen Einrichtungen überforderte. Das gab den Bürgern sowohl den Anlass als auch die Mittel, die Entwicklung ihrer Stadt maßgeblich mitzugestalten. Darin wurden sie von den staufischen Königen unterstützt, die in den Jahrzehnten vor und um 1200 die Vorherrschaft im Bodenseeraum erlangten. Im Zuge dieser Entwicklung erfolgten um 1215 die Einrichtung des Konstanzer Rats und 1225 die Gründung des bürgerlichen Spitals. Freilich blieb der Bischof die wichtigste handelnde Person in Konstanz, und weil die Spitalgründung bischöfliche Zuständigkeiten berührte, wurde sie vom Bischof genehmigt und beurkundet. Die Gründungsurkunde hält die einzelnen Rechtshandlungen fest, die für die Einrichtung des Spitals erforderlich waren. Als eigentliche Gründer sind die beiden Bürger Heinrich von Bitzenhofen und <?page no="18"?> Ulrich Blarer genannt; ihre Motive waren religiös, insofern sie damit Gottes Segen für sich, ihre Angehörigen und ihre sündigen Mitbürger zu erlangen hofften und das Spital dem Heiligen Geist widmeten. Das Grundstück an der Marktstätte gehörte Ulrich Blarer und war ein Zinseigen; das heißt, es war mit einer Abgabe belastet, die der jeweilige Eigentümer zu entrichten hatte. Nutznießer war in diesem Fall die Kapelle St. Peter bei der bischöflichen Pfalz, die jedes Jahr eine Talgkerze erhielt, die für eine Nacht leuchtete. Das Grundstück wurde von dieser Last befreit; stattdessen sollte die Kapelle fortan vom Nachbarhaus eine Wachskerze jährlich zu ihrem Titelfest beziehen. Der Geistliche an dieser Kapelle, ein Priester (und vielleicht Domherr) Ulrich, gab seine Zustimmung. Umständlicher war die anschließende Übergabe des Grundstücks an das Spital. Der Bericht über diesen Vorgang zeigt, dass Heinrich von Bitzenhofen und Ulrich Blarer das darauf stehende Spitalgebäude bereits hatten errichten lassen, und dass dort eine Bruderschaft, die „Armen Christi“ (pauperes Christi) den Betrieb aufgenommen hatte - mithin gab es das Spital schon vor 1225; die Konstanzer Chroniken nennen gelegentlich 1220 als Gründungsjahr. Bi‐ schof Konrad weihte das Grundstück mit dem Spitalgebäude und übergab es gemeinsam mit Ulrich Blarer keinem Geringeren als Gott selbst, an dessen statt es die Bruderschaft der Armen Christi empfing. Ulrich Blarer trat hier mit zwei Salmannen auf; das waren Stellvertreter, die vor dem Rat für Grund‐ stücksgeschäfte von Auswärtigen bürgten. Ulrich Blarer war einst aus St. Gallen nach Konstanz gezogen und dürfte das Grundstück an der Marktstätte gekauft haben, bevor er Konstanzer Bürger wurde; anders lässt sich das Mitwirken der Salmannen hier kaum erklären. Weiter legte Bischof Konrad die Verfassung des Spitals fest. Er nahm sich und seine Nachfolger von der Befehlsgewalt aus. Die Leitung des Spitals sollte fortan bei der Bruderschaft der Armen Christi liegen, die Verwaltung durch die Gemeinde oder den Rat von Konstanz erfolgen. Bestimmungen über den Gottesdienst in der Spitalkapelle und die Einnahmen des Spitals beschließen den Rechtsinhalt der Urkunde. Wie bei bischöflichen Entscheidungen dieser Art üblich, wurde die Zustimmung dreier Personengruppen eingeholt: zuerst die Domherren, also die Amtsträger und Priester an der Bischofskirche, sodann die Ministerialen, also das wichtigste Personal für die Verwaltung der weltlichen Güter und Rechte des Bischofs, schließlich die führenden Bürger der Stadt Konstanz; ihre Namen sind ganz am Ende in der Zeugenreihe der Urkunde verzeichnet. Etwas unglücklich fällt die Datierung der Urkunde aus. Genannt ist das Jahr ihrer Ausstellung, nämlich das eintausendzweihundertfünfundzwanzigste seit 18 Harald Derschka <?page no="19"?> der Fleischwerdung des Herrn, aber kein zweifelsfreies Tagesdatum. Stattdessen folgen acht nicht ganz miteinander vereinbare Datierungskriterien: die Indik‐ tion (ein unter Kaiser Justinian eingeführter Steuerzyklus von 15 Jahren), die Konkurrenten (Wochentag des 24. März), die Epakten (Mondzyklus), die Regie‐ rungsjahre von Papst Honorius III., Kaiser Friedrich II. und Bischof Konrad II. von Tegerfelden selbst; zudem werden König Heinrich (VII.) und die Amtsträger der Konstanzer Bischofskirche angeführt. Daraus folgt ein Zeitfenster zwischen dem 18. Juli 1225 (dem Beginn des 10. Amtsjahrs Papst Honorius’ III.) und dem 31. August (Epaktenwechsel) bzw. dem 23. September (Indiktionswechsel). Mit den beiden letztgenannten Terminen unvereinbar ist die Datierung ins 6. Jahr seit der Kaiserkrönung Friedrichs II.; dieses begann erst am 22. November 1225. Der doppelte Widerspruch macht einen Irrtum bei der Zählung der Kaiserjahre wahrscheinlich. II. Edition und Übersetzung Konstanz, 1225 [wohl zwischen Juli 18 und August 31] Der Konstanzer Bischof Konrad II. von Tegerfelden beurkundet die Stiftung des Heiliggeistpitals auf der Konstanzer Marktstätte durch die Konstanzer Bürger Heinrich von Bitzenhofen und Ulrich Blarer. Der Baugrund war ein Zinseigen des Ulrich Blarer, von dem eine Talgkerze für die Pfalzkapelle St. Peter entrichtet werden sollte; dieser Zins wurde mit Zustimmung Ulrichs, des Priesters dieser Kapelle, in eine vom Nachbarhaus zu entrichtende Wachskerze umgewandelt. Der Bischof übergab gemeinsam mit Ulrich Blarer und dessen Salmannen Rudolf Johiler und Hermann von Sulgen das Grundstück und das von Ulrich Blarer und Heinrich von Bitzenhofen darauf erbaute Haus der Spi‐ talbruderschaft und erteilte dem künftigen Spital eine Reihe von Privilegien, mit Zustimmung der Domherren, Ministerialen und Bürger und nach dem Vorbild anderer Spitäler: Allein die Spitalbruderschaft bestimme über das Spital und den Gottesdienst in der Spitalkapelle; den Gottesdienst in der Spitalkapelle besuche, wer wolle; die Insassen des Spitals dürfen wählen, wo sie die Sakramente empfangen und bestattet werden möchten. Spenden an das Spital gehen an die Spitalbruderschaft; das Erbe verstorbener Insassen stehe dem Spital zu; wer im Spital lebt, zahle keinen Zehnten. Die Verwaltung des Spitals erfolge durch den Rat der Stadt. Geistliche, Ministeriale und Bürger bezeugen den Vorgang. Siegel des Bischofs und des Domkapitels. Die Gründungsurkunde des Konstanzer Spitals von 1225 19 <?page no="20"?> StAKN U 7386 StAKN Urkundenbuch Otto Feger Spital‐ gründung In nomine sanctę et indiuiduę trinitatis amen. Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit, amen. Cvnradus dei gratia Constanciensis ecc‐ lesię minister, huius nominis secundus, omnibus tam praesentibus quam futuris | Christi pauperibus hospitalis Cons‐ tant(iensis) in Margitstat in perpetuum. Konrad, von Gottes Gnaden Diener der Konstanzer Kirche, der zweite dieses Na‐ mens, [verkündet] allen gegenwärtigen wie künftigen [Angehörigen der Bruder‐ schaft der] Armen Christi des Konstanzer Spitals auf der Marktstätte in Ewigkeit: Cum teneamur ex officio nostro pauperes Christi fouere, magis magisque iustum duximus, pietatis opera ab aliquibus in‐ choata ad ampliora | incrementa pro‐ mouere. Da wir unseres Amtes wegen gehalten sind, die Armen Christi zu unterstützen, haben wir es immer mehr für gerecht ge‐ halten, Werken der Frömmigkeit, die von anderen begonnen wurden, zu weiterem Gedeihen zu verhelfen. Innotescat igitur uniuersis in omni euo, quod duo ciues Constant(ienses) Hein‐ ricus de Bitzvnhouin et Ovlricus dictus Blarreri, igne caritatis accensi, const‐ ruxer(unt) ad honorem sancti spiritus hos‐ pitale in Margitstat, tali opere sibi omni‐ busque sibi attinentibus, ciuitati quoque et omnibus inhabitantibus, in sempiternum felicitatem et uberiorem celitus benedic‐ Allen sei für alle Zeit bekannt gemacht, dass zwei Konstanzer Bürger, Heinrich von Bitzenhofen und Ulrich genannt Blarer, entflammt vom Feuer der Nächs‐ tenliebe, zu Ehren des Heiligen Geistes ein Spital an der Marktstätte gegründet haben; mit diesem Werk erlangen sie für sich und alle ihre Angehörigen, auch für die Stadt und alle ihre Einwohner, ewiges 20 Harald Derschka <?page no="21"?> tionem comparantes, ut ammodo placabi‐ lior sit dominus super peccatis inhabitan‐ cium in ea et eius ira clementius quiescat. Glück und reicheren himmlischen Segen, damit der Herr von nun an über die Sünden ihrer Einwohner versöhnlicher gestimmt sei und sein Zorn sich in Milde beruhige. Processus uero operis huius talis ab om‐ nibus cognoscatur. Die Verwirklichung dieses Werkes soll allen bekannt werden. Supradictus Ov(lricus) Blarreri fundum in zinseigin, id est censuale praedium, secundum commune ius ciuium habuit in Margitstat sub censu candelę de sepo sufficienti per unam noctem illuminare debito capellę sancti Petri; Der besagte Ulrich Blarer hatte ein Grund‐ stück auf der Marktstätte als Zinseigen, das ist eine zinspflichtige Immobilie, gemäß dem allgemeinen Recht der Bürger, für das als Zins eine Talgkerze fällig war, die dafür ausreicht, die Kapelle des Heiligen Petrus eine Nacht lang zu er‐ leuchten; et hic census a nobis cum assensu Ovdal‐ rici eiusdem capellę clerici est remissus et de domo contigua hospitali census can‐ delę cereę sufficienti per unam noctem illuminare eidem capellę in festo sancti Petri apostoli est constitutus. und dieser Zins wurde von uns erlassen mit Zustimmung des Ulrich, des Geistli‐ chen dieser Kapelle; und vom Haus, das dem Spital benachbart ist, wurde als Zins eine Wachskerze festgelegt, die dafür aus‐ reicht, diese Kapelle am Tag des heiligen Apostels Petrus zu erleuchten. Postmodum praedictus fundus a nobis simul et a praedicto Ov(lrico) Blarrario et suis salmannis R(udolfo) Johilario et Her‐ manno de Sulgin cum assensu nostrorum fratrum canonicorum et ministerialium et urbanorum ad hospitale pauperum in honorem sancti spiritus dicatus est do‐ mino deo et traditus, ipsumque fundum et superedificatam domum, quam tam Hein‐ ricus praedictus de Bitzunhovin quam ipse Ov(lricus) Blarrarius construxer(unt) in honorem sancti spiritus, receperunt pau‐ peres in uice omnipotentis sibi et omnibus pauperibus ad hospitale perpetuum pro salute tam uiuorum quam mortuorum, ut supra narratum est. Danach wurde das besagte Grundstück gemeinsam von uns und vom besagten Ulrich Blarer zusammen mit seinen Sal‐ mannen Rudolf Johiler und Hermann von Sulgen mit Zustimmung unserer Brüder, der Domherren, und der Ministerialen und der Stadtbewohner für das Spital der Armen zur Ehre des Heiligen Geistes dem Herrgott geweiht und übergeben; und das Grundstück selbst und das darauf erbaute Haus, das sowohl der besagte Heinrich von Bitzenhofen als auch Ulrich Blarer selbst zur Ehre des Heiligen Geistes er‐ baut haben, haben die [Angehörigen der Bruderschaft der] Armen anstelle des All‐ mächtigen angenommen, für sich und für alle Armen als ein immerwährendes Spital, zum Heil sowohl der Lebenden als auch der Toten, wie es oben beschrieben ist. Hoc etiam cum assensu fratrum nost‐ rorum canonicorum et ministerialium et urbanorum constituimus, ut omni liber‐ tate sicut alia hospitalia, quae sunt li‐ berę constitucionis, gaudeat tam hospitale quam capella in eo, nec ad nostram vel successorum nostrorum vel alicuius sub‐ Auch haben wir dies unter dem Beifall unserer Brüder, der Domherren, und der Ministerialen und der Stadtbewohner be‐ stimmt, dass sowohl das Spital als auch die Kapelle darin jede Freiheit genießen sollen, wie andere Spitäler, die frei ver‐ fasst sind; und es soll weder unserer oder Die Gründungsurkunde des Konstanzer Spitals von 1225 21 <?page no="22"?> iectionem vel institucionem, sed tantum ad pauperes hospitalis pertineat, tam de ipso quam de celebratione divinorum in capella, prout eis expediat, ordinare; et sicut in aliis capellis eiusdem ciuitatis li‐ citum est, diuina celebrari omnibus audire ea uolentibus, hoc in capella hospitalis similiter fieri licite concedimus. unserer Nachfolger noch sonst jemandes Befehlsgewalt oder Satzungshoheit, son‐ dern allein den [Angehörigen der Bruder‐ schaft der] Armen des Spitals zustehen, sowohl über es selbst als auch über die Feier des Gottesdienstes in der Kapelle Anordnungen zu treffen, so wie es für sie zweckmäßig ist; und wie es in anderen Kapellen dieser Stadt erlaubt ist, dass für alle, die es hören wollen, der Gottesdienst gefeiert werde, gestatten wir, dass dies in gleicher Weise in der Kapelle des Spitals geschehe. Statuimus quoque oblationes in capella futuras ad pauperum ordinationem perti‐ nere. Sepulturam eciam eis in hospitali defunctis liberam concedimus, ut, ubi ele‐ gerint vel etiam sacramentorum commu‐ nicationem, nullatenus eis negetur. Auch haben wir bestimmt, dass künftige Spenden in der Kapelle der Verfügung der [Bruderschaft der] Armen unterstehen. Wir gestehen den im Spital Verstorbenen ein freies Begräbnis zu, damit es ihnen keinesfalls verwehrt werde, wo sie dies oder auch den Empfang der Sakramente für sich wählen. Statuentes etiam res pauperum defunc‐ torum in hospitali nulli competere nisi tantum hospitali nec intra septa ipsius ad decimas dandas teneantur, sicut et alia eodem iure gaudent hospitalia. Auch bestimmen wir, dass der Besitz der verstorbenen Armen im Spital keinem anderen zustehe außer dem Spital und innerhalb der Umfriedung des Spitals nie‐ mand gehalten sei, Zehnte zu zahlen, so wie auch andere Spitäler dieses Recht ge‐ nießen. Statutum est eciam fratribus nostris et ministerialibus et urbanis consenti‐ entibus, quatinus communitas ciuitatis Constant(iensis) vel aliqui, qui sunt ciui‐ tatis consilium, hoc hospitale manute‐ neant et in omnibus fouere non omittant. Auch ist mit Zustimmung unserer Brüder, der Domherren, und der Ministerialen und der Stadtbewohner bestimmt, dass die Gemeinde der Stadt Konstanz oder diejenigen, die den Rat der Stadt bilden, dieses Spital verwalten sollen und nicht versäumen sollen, es in allen Angelegen‐ heiten zu fördern. Quisquis hoc hospitale in personis vel possessionibus vel rebus molestare prae‐ sumpserit, omnipotentis dei et beatę uir‐ ginis Marię et omnium sanctorum iram et domini pape et nostram et omnium successorum nostrorum indignationem se nouerit incursurum. Wer das Spital an seinen Menschen, Be‐ sitztümern oder Angelegenheiten zu schä‐ digen wagt, der wisse, dass er sich den Zorn des allmächtigen Gottes und der seligen Jungfrau Maria und aller Heiligen und die Ungnade des Herrn Papstes, die unsere und die unserer Nachfolger auf sich ziehen wird. Vt autem hec inconuulsa permaneant, hiis litteris cum inpressione nostri sigilli sunt autenticata. Und damit dies unverbrüchlich bleibe, ist es mit dieser Urkunde mit dem Abdruck unseres Siegels beglaubigt. 22 Harald Derschka <?page no="23"?> Actum publice in choro maioris ecclesię Constancie, anno ab incarnatione domini Mo cco xxvo, indictione xiiia, concur(ren‐ tibus) ii, epactis ix, presidente papa Ho‐ norio iiio, anno pontificatus eius xo‚ reg‐ nante Friderico Romanorum imperatore et semper augusto et rege Sicilię, anno consecrationis eius vio, filio eius Heinrico rege Romanorum constituto, anno ponti‐ ficatus nostri xvio, ordinatis in ecclesia nostra H(einrico) de Tanne praeposito, W(ernhero) de Arbona decano, Ov(lrico) de Tegiruelt thesaurario, W(althero) de Rotinleim scolastico. Geschehen im Chor der Domkirche zu Konstanz, im 1225.-Jahr seit der Fleisch‐ werdung des Herrn, in der 13. Indiktion, den 2. Konkurrenten und den 9. Epakten, als Honorius III. Papst war, im 10.-Jahr seines Pontifikats, unter der Herrschaft Friedrichs, des Kaisers der Römer und im‐ merwährenden Augustus und Königs von Sizilien, im 6. Jahr seit seiner Krönung, als sein Sohn Heinrich als König der Römer eingesetzt war, im 16.-Jahr unseres Ponti‐ fikats, als an unserer Kirche Heinrich von Tanne als Propst eingesetzt war, Werner von Arbon als Dekan, Ulrich von Teger‐ feld als Thesaurar, Walter von Rötteln als Scholaster. Testes sunt hii: H(einricus) de Tanne Constant(iensis) ecclesię maioris et sancti Stephani praepositus, W(ernherus) de‐ canus, W(altherus) et L(utoldus) carnales fratres de Rotinleim, Vo(lricus) cvstos, Vo(lricus) Episcopalis cellę prepositus, R(udeger) de Retirshovin, W(ernherus) de Velpach, Pilgerinus de Tanne, H(ilte‐ boldus) de Shinun plebanus sancti Pauli, magister O(tto) de Riet, Vo(lricus) ple‐ banus sancti Petri. Zeugen sind diese: Heinrich von Tanne, der Propst der Domkirche und von St. Stephan, Dekan Werner, die Brüder Walter und Lütold von Rötteln, Custos Ulrich, Propst Ulrich von Bischofszell, Rü‐ diger von Räterschen, Werner von Feld‐ bach, Pilgrin von Tanne, Hiltebold von Schienen, der Leutpriester von St. Paul, Magister Otto von Ried, Ulrich, der Pfarrer von St. Peter. Ministeriales sunt hii: H(ermannus) et R(udolfus) de Arbun, Wezilo dapifer, marscalcus, Joh(annes) pincerna, Mar‐ quardus minister, Das sind die Ministerialen: Hermann und Rudolf von Arbon, Truchsess Wezilo, der Marschall, Schenk Johann, Walther(us) et Vo(lricus) de Sancto Gallo, Livtfridus, Heinricus in Harena, Rvdolfus Johilere et O(tto) frater suus, Hugo de Sulgin et H(ermannus) frater suus, Berh‐ toldus de Wintirtůre, Heinr(icus) de Vbir‐ lingin et alii quam plures tam clerici quam laici. [die Bürger: ] Ammann Marquard, Walter und Ulrich von St. Gallen, Lütfried, Hein‐ rich am Grieß, Rudolf Johiler und sein Bruder Otto, Hugo von Sulgen und sein Bruder Hermann, Bertold von Winter‐ thur, Heinrich von Überlingen und andere mehr, sowohl Geistliche als auch Laien. In domino feliciter amen. Im [Namen des] Herrn glücklich amen.- Die Gründungsurkunde des Konstanzer Spitals von 1225 23 <?page no="24"?> Maßgebliche Edition B E Y E R L E , Konrad (Hg.): Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der Jahre 1152-1371 (Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen Konstanz 2). Heidelberg 1902, Nr.-10, S.-14-16.-- Abgedruckt ferner in: K N I T T E L , Hermann: Ex historia Constantiae. Ein lateinisches Quellenbuch zur Geschichte der Stadt Konstanz. Konstanz 1979, S.-35-38, mit Kommentar S.-140 f.-- R U P P E R T , Philipp (Hg.): Konstanzer geschichtliche Beiträge, drittes Heft. Konstanz 1892, S.-20 f.-- D E R S . (Hg.): Chroniken der Stadt Konstanz. Konstanz 1891, S.-298-300.-- Ausführliche Besprechung der Urkunde in: S C HÜ R L E , Wolfgang W.: Das Hospital zum Heiligen Geist in Konstanz. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte des Hospitals im Mittelalter (Konstanzer Geschichts- und Rechts‐ quellen 17) Sigmaringen 1970, S.-21-32. 24 Harald Derschka <?page no="25"?> … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe Die Geschichte des Konstanzer Spitals Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert Die Geschichte der Spitalstiftung gehört zum interessantesten Teil der Kon‐ stanzer Stadtgeschichte überhaupt. Für die Stadt war sie unter karitativ-medizi‐ nischen und sozialen Gesichtspunkten ebenso wichtig wie unter wirtschaftspo‐ litischen Aspekten. Ihren Anfang nahm diese lange, wechselhafte und letztlich erfolgreiche Geschichte mit dem Spital zum Heiligen Geist an der Marktstätte. Bis heute sind Mauern des Spitals aus dem 14. Jahrhundert und schöne Wand‐ malereien dort erhalten geblieben - Zeugnisse der Vergangenheit, die in unsere Gegenwart reichen. Der folgende Beitrag spannt einen breiten historischen Bogen von den Anfängen der Spitalstiftung bis in unsere Zeit, gestützt auf die Ergebnisse der Forschung wie auch auf die Auswertung der reichhaltigen Originalquellen des Stadtarchivs Konstanz. Arm und Reich - Die Skizze einer wechselhaften Geschichte Im Jahre 1225 beurkundete Bischof Konrad II. von Tegerfeld allen „gegenwär‐ tigen wie zukünftigen Armen in Christi“ die Gründung einer neuen Stiftung: »Da wir unseres Amtes wegen gehalten sind, die Armen Christi zu unterstützen, haben wir es immer mehr für gerecht gehalten, Werken der Frömmigkeit, die von anderen begonnen wurden, zu weiterem Gedeihen zu verhelfen. Allen sei für alle Zeit bekannt gemacht, dass zwei Konstanzer Bürger, Heinrich von Bitzenhofen und Ulrich genannt Blarer, entflammt vom Feuer der Nächstenliebe, zu Ehren des Heiligen Geistes ein Spital an der Marktstätte gegründet haben; mit diesem Werk erlangen sie für sich und alle ihre Angehörigen, auch für die Stadt und alle ihre Einwohner, ewiges Glück und reicheren himmlischen Segen, damit der Herr von nun an über die Sünden ihrer Einwohner versöhnlicher gestimmt sei und sein Zorn sich in Milde beruhige.« <?page no="26"?> Der kurze Auszug aus der Stiftungsurkunde bezeichnet prägnant die beiden Triebfedern, die bei den mildtätigen Spitalstiftungen des Mittelalters wirkten. Einen wichtigen Impuls bildete das Ideal der christlichen Nächstenliebe. Die christliche Welt glaubte, dass die Armen und Kranken durch göttliche Schickung leiden und damit in besonderer Weise durch Gott begnadet würden. Kranken und Armenpflege waren damit gleichsam die Pflege und Hingabe an Christi selbst. Unter den Armen Christi verstand man jedoch nicht nur materiell Notleidende, sondern alle von schwerem Leid Betroffenen. Verkörpert wurde die göttliche Liebe und Barmherzigkeit nach dieser Auffassung durch den Heiligen Geist - er galt geradezu als „Vater der Armen und Bedrückten“. So war es nur folgerichtig, dass viele Spitäler den Heiligen Geist als Namens- und Schutzpatron wählten. Den zweiten wichtigen Impuls bildete die Angst um das Seelen heil: „reicheren himmlischen Segen“ soll den Stiftern zugutekommen und die Hoffnung genährt werden, dass der Zorn Gottes sich „in Milde beruhige.“ Praktizierte Nächstenliebe in dieser Form war damit gleichzeitig auch aktive Jenseitsvorsorge für sich selbst. Abb. 1: Bischof Konrad bestätigt die Stiftung des Heilig-Geist-Spitals. 26 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="27"?> Vor allem im 13.-Jahrhundert waren so viele Gründungen zu verzeichnen, dass schließlich fast jede Reichsstadt im Südwesten ihr eigenes Heilig-Geist-Spital besaß (Klöckler 2016, S. 19). Sowohl in ihrer örtlichen Lage als auch in ihrem Bautypus folgten die Spitäler schon lang erprobten Prinzipien. Aus hygienischen Gründen mussten sie in der Nähe von Gewässern liegen und genügend Platz für die verschiedenen Aufgaben bieten. Dafür eignete sich besonders eine Lage am Stadtrand oder auf frisch gewonnenem Gelände. Baulich bildeten sie gewöhn‐ lich einen geschlossenen Komplex, der Spital, verschiedene Wirtschaftsgebäude, Friedhof und Garten umfasste. Das Heilig-Geist-Spital auf dem an den See grenzenden Marktgestade, der heutigen Marktstätte, wurde bereits einige Jahre vor der Beurkundung durch Bischof Konrad II. errichtet. Seine Notwendigkeit ergab sich daraus, dass das bisher einzige Spital vor den Toren von Konstanz, beim Augustinerchorherren‐ stift Kreuzlingen, die sozialen Aufgaben einer wachsenden Stadt nicht mehr alleine bewältigen konnte (Maurer 1989, S. 126 ff.). Gegen Ende des 12. Jahr‐ hunderts nahm in Konstanz der Fernhandel mit Textilien seinen Aufschwung, wodurch die Stadt zum Anziehungspunkt für Händler und Kaufleute, Bettler und fahrendes Volk wurde. Gleichzeitig bildete der Fernhandel die Grundlage für ein wirtschaftliches Erstarken des Konstanzer Bürgertums, das in den Jahren 1212 bis 1215 nach einer langen Auseinandersetzung mit den bischöflichen Stadtherren erstmals einen Rat in der Stadt etablieren konnte. Auf diesen neuen Rat bezieht sich die Stiftungsurkunde von Bischof Konrad mit dem Beschluss, „dass dieses Spital von der Konstanzer Stadtgemeinde und dem Stadtrat beschützt werden soll und sie es nicht versäumen sollen, es in jeder Beziehung zu fördern“. Mit dieser Übertragung der Pflegschaft über das Spital „Zum Heiligen Geist“ war es in allen weltlichen Dingen dem Einfluss des Bischofs entzogen. Er besaß nur noch Zuständigkeit in seelsorgerischen Fragen. Das Spital war rechtlich selbstständig, seine Verwaltung war jedoch dem Rat unterstellt. Wurde es anfangs noch von geistlichen Laienbrüdern geleitet, so bestimmte der Rat bald auch die Pfleger, die das Spital beaufsichtigen und führen sollten, aus seinen eigenen Reihen. Damit wurde der Grundstein gelegt für eine enge Verbindung zwischen Stadt und Spital, die auch heute noch Gültigkeit hat: der Gemeinderat ist auch noch heute Stiftungsrat. Das Spital war in den folgenden Jahrhunderten jedoch nicht allein unter karitativ-medizinischen und sozialen Gesichtspunkten für die Stadt wichtig, sondern auch von großer Bedeutung für die städtische Wirtschaftspolitik. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 27 <?page no="28"?> 1 Heinrich von Bitzenhofen (rechts): Das Geschlecht derer von Bitzenhofen wird erstmals gegen Ende des 12. Jhs. erwähnt und leitet seinen Namen von dem gleichnamigen Dorf im Oberamt Tettnang ab. Wie über das Geschlecht selbst ist auch über den Spitalmitbegründer Heinrich von Bitzenhofen wenig bekannt. In den Quellen wird er als Konstanzer Bürger bezeichnet, doch schweigen sie über sein Alter. So ist deshalb nicht einmal sicher, ob er mit Heinrich von Bitzenhofen, der 1260 und 1262 das Amt des Spitalpflegers bekleidete, identisch ist. Eher schon könnte Letzterer ein gleichnamiger Sohn sein. Ulrich Blarer (links): Der Name dieses Geschlechts leitet sich wahrscheinlich von „blärren“ (ausrufen, verkünden) ab. Die Blarers stammten wohl ursprünglich aus St. Gallen und sind für Konstanz erst im 14.-Jahrhundert nachweisbar. Schon der erste namentlich bekannte Vertreter des Geschlechts, Ulrich Blarer, muss eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein. Er war Kaufmann und gelangte mit dem Leinwandhandel, der später für Konstanz große Bedeutung bekam, zu Reichtum. Daneben muss er einen ausgeprägten Bürgersinn und tiefe Religiosität besessen haben. Denn er hat nicht nur das Heilig-Geist-Spital in Konstanz, sondern auch 1228 das Spital in St. Gallen mitgegründet. Von Beginn an haben die Blarer das Konstanzer Heilig-Geist-Spital intensiv gefördert und reich mit Stiftungen bedacht. Es war für sie gleichsam eine Familienstiftung, deren Gedeihen für jede neue Generation eine bindende Verpflichtung darstellte. Dies fiel den Blarern umso leichter, als sie jahrhundertelang zahlreiche Vertreter in hohen Positionen im geistlichen und städtischen Bereich stellten und damit die Entwicklung des Spitals entscheidend beeinflussen konnten. Es erscheint daher nur folgerichtig, dass gerade sie in der Frühzeit häufig Spitalpfleger und sogar einmal den Spitalmeister aus ihren Reihen besetzten. Abb. 2: Die Wappen der Stifterfamilien Blarer und von Bitzenhofen. 1 Eine 200-jährige Blütezeit Das Spital „Zum Heiligen Geist“ wurde als zweigeschossiges Gebäude errichtet, das auf jedem Stockwerk eine eigene Kapelle besaß. Die Armen wohnten im unteren, die „Pfründner“, die ihren Platz gegen Bezahlung erworben hatten, waren im oberen Stockwerk untergebracht. Für beide Gruppen war jeweils noch eine »Siechenstube« für Kranke vorhanden (eine detaillierte Beschreibung 28 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="29"?> Spitalkomplexes ist auf S. 41 ff. zu finden). Insgesamt waren jeden Tag rund 75 Insassen zu verpflegen, in einem Bittbrief an den Papst um 1500 wird sogar von 300 Personen gesprochen. Für die Versorgung der Spitalinsassen stand dem Spitalmeister, dem eigentlichen Verwalter, eine große Zahl von Bediensteten zur Seite: ein Hofmeister, ein Kornmeister, ein Brotmeister, ein Kellermeister, eine Ober- und Untermeisterin, ein Koch, weiterhin Bäcker, Schneider, Schuhmacher, Zimmerleute, ein Weinschenk, ein Schreiber, Knechte und Mägde (siehe hierzu S. 60 ff.). Die wirtschaftliche Entwicklung des Spitals zum Heiligen Geist verlief von Beginn an überaus positiv. Das Spital besaß in späteren Jahren viele Lehenshöfe, die Geld- oder Naturalabgaben zu liefern hatten. Außer der Hauptverwaltung im Spitalgebäude gab es noch etliche Nebenverwaltungen, mit der Reißmühle in Unteruhldingen verfügte es über eine eigene Mühle und in Sipplingen, Hödingen und Goldbach besaß es sogar die Niedere Gerichtsbarkeit. Der größte Teil des Vermögenszuwachses bestand zunächst aus Schenkungen und Vermächtnissen. Die Konstanzer Bürger Ulrich und Adelheid Sumbri zum Beispiel schenkten den Weinberg Halthuon, die Stiftung verpflichtete sich als Gegenleistung dafür, nach dem Tod Ulrichs seiner Frau Adelheid jährlich zwanzig Eimer Wein zukommen zu lassen. Auch heute noch ist diese Schenkung aktuell: Sie bildet nicht nur den Grundstock des Hofes Haltnau, sondern liefert auch den Stoff für die bis in die Gegenwart immer wieder gern zitierte „Wendelgard“-Sage. Neben den Schenkungen kam die Spitalstiftung von Beginn an aber auch durch eine aktive Erwerbspolitik vor allem in Orten im Linzgau zu Besitz und stetig wachsendem Vermögen. Die Wirtschaftsgrundlage des Spitals bestand aus seinem umfangreichen Grundbesitz an Feldern, Wiesen, Reb- und Waldflächen sowie aus Einkünften aus Zins- und Zehntberechtigungen. Ein großer Teil dieser Einnahmen wurde nicht in Geld, sondern in Naturalien wie Getreide, Wein, Holz, Geflügel oder Eier bezogen. Für diese Naturalien bedurfte es entsprechender Speicherflächen, wie sie im Spitalkomplex an der Marktstätte mit den großen Kellern und der eindrucksvollen Kornschütte vorhanden waren. Der im Spital nicht selbst ver‐ brauchte Teil konnte verkauft und mit dem erzielten Erlös dasjenige dazugekauft werden, was darüber hinaus für die Existenz eines solchen „Unternehmens“, wie es das Spital im Grunde darstellte, benötigt wurde. Über die Einnahmen wurde, je nach Art der Einkunft, sorgfältig Buch geführt. Die im Stadtarchiv noch vorhandenen, viele hundert Bände umfassenden Rechnungsserien an Korn-, Wein- und Holzeinnahmen illustrieren diese Art der Wirtschaftsform eindrucksvoll. Sie wurde bis zur Umstellung auf die Geldwirtschaft im Jahre 1810 beibehalten. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 29 <?page no="30"?> Die Blütezeit der Spitalstiftung lag in der Mitte des 15. Jahrhunderts: In dieser Zeit waren ihr rund die Hälfte aller Häuser in Konstanz zinspflichtig oder befanden sich in ihrem Eigentum. Ihre bedeutende wirtschaftliche Stellung zeigt sich in einem Vergleich des Vermögens aus dem Jahr 1525. Die 22 reichsten Bürger der Stadt besaßen zusammen insgesamt rund 280.000 Pfund Heller, das Vermögen des Spitals bewegte sich zwischen 320.000 und 400.000 Pfund Heller. Insgesamt gab es 149 Orte rund um den See, in denen es Besitzungen vorweisen konnte: Rebflächen, Güter und Felder. An einigen Orten wie zum Beispiel in Sipplingen wurde die Spitalstiftung nach und nach zum bedeutendsten Grundherrn. Abb. 3: Das Wappen der Stadt Konstanz und der Spitalstiftung an einem früheren Gebäude der Spitalstiftung in Goldbach. Das bemerkenswerte Aufblühen des Spitals fiel in die Zeit, als der Landadel immer mehr verarmte und sich zu umfangreichen Verkäufen seines Besitzes veranlasst sah. Hinzu kam ein Machtvakuum im Linzgau, der sich dadurch als Schwerpunkt für weitere Erwerbungen geradezu anbot. Durch seine Er‐ werbungen konnte das Spital auch städtischen Interessen dienen: „Vor allem zwischen 1300 und 1500 war es für den Rat des öfteren ein Instrument, die Stadtherrschaft mittels spitälischer Erwerbspolitik auch auf den Linzgau auszudehnen“ (Büttner 1986, S. 519). Im Jahre 1500 lagen in diesem Gebiet rund 60 Prozent der Besitzungen des Spitals, weit vor dem Gebiet in und um Konstanz mit 12 Prozent und dem Thurgau mit 11 Prozent. Die Impulse für die Erwerbungen gingen von einer tatkräftigen Stadtgemeinde aus, die für diese aktive Vermögenspolitik, die zu dieser Zeit weit über dem tatsächlichen Bedarf des Spitals lag, Spitalpfleger einsetzte, die regelmäßig aus den reichsten Konstanzer Familien kamen: Zu ihnen zählten die Geschlechter Blarer, in der 30 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="31"?> Bünd, Ehinger, Mangolt, Roggwil, Sunnentag und Muntprat. Sie verstanden es, das Kapital des Spitals über einen langen Zeitraum nutzbringend einzusetzen. Für die Versorgung der Insassen des Spitals allein hätte es keineswegs der um‐ fangreichen Besitzungen und Ländereien bedurft. Die Investitionen verfolgten eine langfristig angelegte Strategie: „Durch den Erwerb von Reb- und Ackerland, von Wald, Wiesen und Häusern sollte das Spital wirtschaftlich dauerhaft und krisenfest abgesichert werden“ (Büttner 1986, S.-69). In dieser Zeit, als es weder Leihnoch Sparkassen gab, war das Spital mit seinem beträchtlichen Geldvolumen die öffentliche Einrichtung schlechthin, bei der Geld geliehen oder angelegt werden konnte. Ein großer Teil der Spitalüberlieferung enthält Schuld- und Pfandbriefe, aus denen Kapitalkraft und Kapitalbedarf der Konstanzer Bürger gut abzulesen sind. Das Spital lieh sich zeitweise aber auch Geld bei Bürgern, um z. B. bei schlechten Ernten Getreide zukaufen zu können. Als Arbeitgeber stellte das Spital einen wichtigen Faktor dar, und zwar direkt und indirekt. Allein an der Marktstätte fanden etwa 50 Menschen Arbeit und Brot. Wenn die „Außenstellen“ wie die Spitalhöfe in Goldbach oder Haltnau mit einbezogen werden, waren es einige hundert Menschen, die ihr Auskommen bei der Stiftung hatten. Die im Spital lebenden Kinder erhielten meistens eine Ausbildung und damit einen guten Start in ihr späteres Berufsleben. Abb. 4: Der Besitz des Konstanzer Heilig-Geist-Spitals bis zur 1. Hälfte des 15.-Jahrhunderts. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 31 <?page no="32"?> Schwierige Bedingungen der Armenpflege Eine Zäsur in dieser stetigen Aufwärtsentwicklung bildete 1499 der so genannte „Schweizer“bzw. „Schwabenkrieg“, der aufgrund der wirtschaftlichen und po‐ litischen Situation der Stadt keine umfangreichen Erwerbungen mehr möglich werden ließ (Maurer 1989 II, S. 250 ff.). Der Krieg mit der Eidgenossenschaft führte zu Steuererhöhungen, zu Gebietsverlusten im Thurgau, zum Erliegen von Handel und Gewerbe mit der Folge, dass zahlreiche wohlhabende Familien abwanderten. Von diesem Rückgang des Vermögens war letztlich auch die Spitalstiftung betroffen. Die kurzzeitige Verlegung des Spitals ins Dominikaner‐ kloster im Jahre 1538 könnte ein Hinweis darauf sein, dass für notwendige Reparaturen am Gebäudekomplex auf der Markstätte nicht genügend Geld vorhanden war. Obwohl die Stiftung im 16. Jahrhundert zwar noch über ein geschätztes Vermögen von 300.000 bis 400.000 Pfund Heller verfügte, mangelte es an Barkapital. So verabschiedete der Rat beispielsweise eine Strafsatzung, nach der jeder belangt werden konnte, der seine Schulden an das Spital nicht innerhalb von 14 Tagen bezahlt hatte. Gleichzeitig erfolgte ein Bittbrief an den Papst, in dem die Notsituation des Spitals dargestellt wurde. Die schwierige Finanzsituation der Stadt spiegelt sich deutlich in der sukzessiven Abnahme der steuerpflichtigen Einwohner wider: 1434 besaß die Stadt 2032 steuerpflichtige Einwohner, 1498 lediglich 1503 und 1525 nur noch 1222. Auch zwei weitere historische Ereignisse bildeten für das Spital und seine Entwicklung schwierige Rahmenbedingungen: die Reformation und der Drei‐ ßigjährigen Krieg. In der Reformation veranlasste der Konstanzer Rat im Kampf für den neuen Glauben grundlegende Veränderungen in der Stadt. Als er 1527 verfügte, dass in der Spitalkirche keine Messe mehr gelesen werden durfte, hatte er damit der einzig noch verbliebenen Kompetenz der Kirche in dieser Einrichtung die Grundlage entzogen. Die starken Versuche der Einflussnahme des Rats zeigen sich nicht nur hier, sondern auf dem gesamten Gebiet der Sozialfürsorge, indem er sie ganz seiner Kontrolle unterwarf: Er verbot das Betteln und organisierte die Armenfürsorge vollständig über die Stiftungen (Burkhardt, Dobras, Zimmermann 1991, S. 99 f.). Der weltanschauliche Hinter‐ grund dieser Politik bildete die sich durchsetzende protestantische Arbeitsethik, in der Betteln als Müßiggang gebrandmarkt wurde und die Armen stattdessen dem Arbeitsleben zugeführt werden sollten. Die Organisation der Armenfürsorge gestaltete sich für das Spital jedoch zunehmend schwieriger. Da der Linzgau katholisch blieb, waren aus diesem Ge‐ biet konsequenterweise so gut wie keine Schenkungen mehr zu erhalten. Noch gravierender waren die Folgen der Konstanzer Bündnispolitik. Der Schmalkal‐ dische Krieg hatte die Stadt in eine ihrer schwersten finanziellen Krisen geführt. 32 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="33"?> Konstanz musste für das Bündnis hohe Beiträge leisten und steigende Mittel für eigene Stadtbefestigungen aufbringen (Burkhardt, Dobras, Zimmermann 1991, S. 130 ff.). Die Kämpfe hatten auch das Spital finanziell schwer geschädigt. Da die Stadt zur Begleichung ihrer Kosten Kredite aufnehmen musste, wurden für die Zinsen hohe Steuern abverlangt. Mit der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes 1547, der Besetzung der Stadt durch kaiserliche Truppen 1548, dem Verlust der Reichsfreiheit und der Rekatholisierung als österreichischer Landstadt wurde auch die Spitalstiftung der besonderen Aufsicht des neuen Landesherrn unterstellt. An der Verwal‐ tungsstruktur und den Aufgaben änderte sich zwar nichts, doch durften Grund‐ stücksgeschäfte nur noch mit Zustimmung der Regierung in Innsbruck erfolgen, bei Käufen mit geringen Beträgen mit der Zustimmung des Stadthauptmanns als Vertreter den neuen Landesherrn. Abb. 5: Zinsbücher der Spitalstiftung, 17.-Jahrhundert. Nach den kräftezehrenden Auseinandersetzungen der Reformationszeit war in Konstanz knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung verarmt. Um die Situation kontrollieren zu können, stellte der Rat ein „Armutszeugnis“ aus, das genau definierte, wer als berechtigter Armer galt und wer nicht. Fremde Bettler wurden ins Seelhaus gebracht, wo sie nach der Unterbringung für eine Nacht weitergeschickt wurden. Verschärft wurde die Lage dadurch, dass andere Städte in der Region dazu übergingen, Bettler vor den Toren der Stadt abzuweisen. Da diese sich dann häufig nach Konstanz wandten, sah sich der Rat 1571 gezwungen, einen dramatischen Appell an die Städte Meersburg und Lindau zu richten, ihre Abweisungspolitik zu revidieren. In der Folge vereinbarten die Städte Quoten für die Aufnahme von Armen. Die angespannte Finanzsituation … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 33 <?page no="34"?> der Spitalstiftung in dieser Zeit war vermutlich auch die Ursache, weshalb die Stiftung im Jahre 1577 - also rund dreißig Jahre nach dem Übergang der Stadt an Österreich - die gesamten Herrschaftsrechte in Sipplingen an Erzherzog Ferdinand von Österreich verkaufte. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation seit der Mitte des 15. Jahrhunderts verschärfte sich zusätzlich durch den Dreißigjährigen Krieg. Die Ausfälle im Linzgau an Geld- und Naturalabgaben, die Schäden an Ge‐ bäuden und die Verwüstungen auf den Feldern brachten der Stiftung hohe Verluste, von denen sie sich auch nach dem Westfälischen Frieden von 1648 lange Zeit nicht mehr erholen konnte. Selbst unter der strengen Aufsicht des österreichischen Stadthauptmanns, welcher der Stiftung eine äußerst sparsame Wirtschaftspolitik auferlegt hatte, waren Verkäufe des wertvollen Vermögens nicht mehr zu umgehen. Um wirtschaftlich zu überleben, musste die Stiftung 1787 beispielsweise die meisten ihrer Häuser in Konstanz veräußern. Abb. 6: Kranker Bettler. Zeichnung aus dem Ratsprotokoll von 1540. Der großen Anzahl von Armen stand jedoch gemessen an der wirtschaftlichen Situation der Stadt nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft gegenüber. In etwa 34 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="35"?> jedem vierten Testament wurden die Armen bedacht. Die Schenkungen wurden nach wie vor als christliche Verpflichtung angesehen und dementsprechend „Gottesgaben“ genannt. Dennoch machte sich nach und nach ein kulturge‐ schichtlicher Wandel in der Einstellung zur Armut bemerkbar. „Wahre“ Arme wurden von „unnützen“ Armen genau unterschieden, von Neubürgern wurde gar der Nachweis eines Mindestvermögens verlangt. Da sich die Bürger mit der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsweisen als neuer Wirtschaftsform über ihre Arbeit und Leistung definierten, erlangte dieses Selbstverständnis zunehmend allgemeine normative Kraft. Nur vor diesem Hintergrund sind die Klagen gegen die Wohltätigkeit zu begreifen, die im 18. Jahrhundert laut wurden. Faulheit und Müßiggang zöge sie nach sich, ja, der Hang zur Apathie könne durchaus von den Zuwendungen des Spitals herrühren, wurde argumen‐ tiert. Tatsächlich lebten jedoch nur 5 Prozent der Bevölkerung von Stiftungen. In diesen Kontext passt es jedoch, dass eine Polizeiverordnung gegen die Bettelei erhoben und den Armen das Angebot gemacht wurde, im Spital spinnen zu lernen: Leistung wurde gegen Leistung aufgerechnet. Abb. 7: Nicht realisierter Neubauplan für das Spital auf der Marktstätte (1787). Veränderungen und Neuerungen Eine entscheidende Zäsur in der Geschichte des Spitals erfolgte am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Stiftung war bereits seit längerem auf der Suche nach einem neuen Gebäude, da das Spital auf der Marktstätte die erforderlichen Kapazitäten für die Aufnahme von Armen, Kranken und Pfründnern nicht mehr aufwies. In der Folge der Säkularisierung und der Aufhebung von Klöstern bot sich die Übernahme des Augustinerklosters an. Nachdem die Augustinermönche zugestanden hatten, die Klostergebäude für die Sicherung des Lebensunterhalts der noch verbliebenen Mönche einzutauschen, konnte das Spital nach knapp 600 Jahren im Jahr 1812 die bisherigen Unterkünfte auf der Marktstätte verlassen … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 35 <?page no="36"?> und in die neuen Räume einziehen. Rund 13 Krankenzimmer mit 60 Betten standen nun zur Verfügung. Neben diesen Veränderungen vollzogen sich weitere bedeutsame struktu‐ relle Neuerungen innerhalb der spitälischen Organisation selbst. So wurde - Konstanz war seit 1806 dem Großherzogtum Baden einverleibt worden - nach einem Erlass des großherzoglich badischen Innenministeriums vom 17. Dezember 1810 verfügt, dass sämtliche milden Stiftungen und Anstalten der Stadt mit der Spitalstiftung vereinigt werden sollten. Im Einzelnen betraf dies das Raite-, Hoftstatt- und Tannenamt sowie die mit Petershausen in Verbin‐ dung stehende Nikolaistiftung und das städtische Armeninstitut. Die damit einhergehende beträchtliche Vermögensvermehrung brachte jedoch auch eine Erweiterung der Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der Armenunter‐ stützung mit sich. Eine weitere folgenreiche Veränderung ergab sich aus dem 1809 erlassenen dritten Organisationsedikt für das Großherzogtum Baden, wo‐ nach Spitalstiftungen als katholische kirchliche Stiftungen betrachtet wurden. Solche Veränderungen standen mit der allgemeinen politischen Situation in Verbindung und fielen letztlich noch stärker ins Gewicht als der Wegzug von der Marktstätte. Vor allem im Anschluss an die Niederlage Napoleons war in den deutschen Herrschaftsgebieten in den Jahren nach 1815 generell eine Stärkung reaktionärer Kräfte zu verzeichnen, die den praktischen Einfluss der Kirche nachhaltig zu stärken versuchten. In diesem Zusammenhang einer umfassenden Rekonfessionalisierung vieler Lebensbereiche wurde 1820 die Institution der Stiftungsvorstände, bestehend aus den katholischen Ortspfarrern, dem Bürger‐ meister, einigen Kirchengemeinderäten, Vertretern der Spitalverwaltung selbst und einem Regierungsbeamten, eingeführt, wobei als Vorsitzender auf Lebens‐ zeit der jeweilige Pfarrer fungierte. Für die Stiftungsverwaltung bedeutete dies eine starke Zurückstufung des vormaligen städtischen Einflusses, die sich in den folgenden Jahren in der Klage einer zu großen Distanz zwischen der Stiftung und den Bürgern sowie in der Bürgerschaft nicht mehr nachvollziehbaren Aktivitäten äußerte. Auch die neuen Räume im Augustinerkloster erwiesen sich bereits nach wenigen Jahren als nicht ausreichend für die Versorgung. Nicht nur die Zimmer für die Armen und Kranken reichten nicht mehr aus, bemängelt wurden auch die unzureichenden sanitären Anlagen, das Fehlen eines Gartens und eines dringend erforderlichen Operationssaales. Weiterhin war die Lage des Gebäudes in der Stadt alles andere als vorteilhaft, wie der damalige Spitalarzt Dr. Stitzenberger in einem Bericht feststellte: Kaum über dem Maximum des Horizontalwasserniveaus sind alle unteren Räume feucht und ungesund. Unterirdische Keller und Luftzüge fehlen ganz. Am Gebäude 36 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="37"?> 2 Die ältesten Spitalsiegel waren spitz-oval und trugen eine Taube mit geöffneten Flügeln als Symbol des Heiligen Geistes. Die lateinische Umschrift lautete: S'HOSPITALIS. DE. CONSTANT. SC/ . SPT +. Ab dem 16. Jahrhundert wurden meistens große Rundsiegel verwendet, die durch eine Holzkapsel geschützt wurden. Seit dem 17. Jahrhundert kam ein neues Siegel auf, das nun das städtische Wappen und das Patriarchenkreuz zeigte. Das ursprüngliche und wesentlich größere Siegel wurde aber dennoch für wichtige Urkunden bis zur Auflösung des Spitals an der Marktstätte weiterverwendet. Für das Spital siegeln durften nur der Meister und die Pfleger. fließen als Bache die Abwasser eines ganzen Stadtteiles und des zunächst gelegenen Schlachthauses vorbei. Zu diesem Zeitpunkt lag das Spital in seiner Ausstattung weit hinter der medizinischen Entwicklung zurück. Abb. 8: Links das älteste noch erhaltene Siegel des Heilig-Geist-Spitals. Es hängt an der Papsturkunde Alexanders IV von 1258. Da die Urkunde in der päpstlichen Kanzlei ausgestellt wurde, trug sie ursprünglich nur das Bleisiegel Alexanders IV. Das Spitalsiegel ist dann nachträglich in Konstanz angebracht worden. 2 Rechts das aktuelle Wappen der Spitalstiftung. Der Kampf um die Stiftung Ab Mitte des 19. Jahrhunderts rückte die Stiftung nun immer stärker ins Zen‐ trum der kommunalpolitischen Diskussion. „Am allerschlimmsten“, so wurde auf einer öffentlichen Versammlung zur Stiftungsfrage kritisiert, ist aber ihre [d. h. der Stiftungsverwaltung] dermalige Unverantwortlichkeit der Bürgerschaft gegenüber. Von Stand und Geschäftsbetrieb des großen und reichen Konstanzer Spitals z. B. weiß der Konstanzer Bürger geradezu nichts; nach Bruchsal an … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 37 <?page no="38"?> den Verwaltungshof geht ein dicker Band von Aktenstücken, die Bürgerschaft erfährt kein Sterbenswörtchen. Die Bürgerschaft gerade sollte es aber sein, welche nicht nur prüft, ob richtig summiert und multipliziert ist, sondern die Verwaltung im Sinne ihrer Zweckmäßigkeit überwacht; sie sollte nicht nur Revisor, sondern auch Provisor, d. h. eine Art Vorsehung über ordentliche Verwendung der Einkünfte, für ihre Stiftung sein! (Zang 1994, S. 298) Hintergrund der in der Öffentlichkeit vehement geführten Diskussion um die Stiftung war der große Bedarf an Kapital für öffentliche und private Investi‐ tionen, das eine Stadt wie Konstanz, die kaum nennenswertes eigenes Vermögen besaß, nicht aufbringen konnte. Notwendig war der Bau von Brunnenleitungen, Wegen und Stützmauern am See, die Pflasterung von Straßen sowie der Neubau von Wohnquartieren. Hier fiel der Blick auf das Stiftungsvermögen, das in den Augen der Liberalen im Stammkapital unproduktiv eingesetzt war. Das Stiftungsvermögen durfte von seiner Zweckbestimmung her nicht angetastet, der Stiftungszweck lediglich aus seinen Erträgen finanziert werden. Das Stamm‐ kapital lag damit nach Ansicht der Liberalen brach, während die geringen Zinsen von rund 2 Prozent ebenfalls unproduktiv verwendet wurden: Durch die soziale Sicherung würden sie die Bürger davon abhalten, neue Wege des Wirtschaftens zu beschreiten. Statt neuem unternehmerischem Denken würden sie das Verharren in alten überkommenen Strukturen fördern und festigen, wie ein Zeitgenosse kritisierte: Es ist gerade herausgesagt eine unleugbare Tatsache: wo reiche Stiftungen, reiche Spitäler an einem Orte sind, da schläft alles, weil der beste Sporn einer gewerblichen Tätigkeit, der Zwang zur Not fehlt. So oft man verwundert fragt, warum dieser oder jener wohlgelegene Ort keinen größeren Aufschwung nimmt, da bekommt man achselzuckend die Antwort: es ist ein reiches Spital da. (Zang 1994, S. 305) Der Kampf um die städtische Hoheit über die Spitalstiftung wurde in den Augen der Liberalen daher aus zwei Gründen zu einer vordringlichen Aufgabe für die weitere Entwicklung der Stadt. Im Jahr 1867, kurz nach Amtsantritt von Bürgermeister Max Stromeyer, war dieses Ziel schließlich erreicht. Laut Verfügung der großherzoglichen Regierung wurde die Verwaltung der Stiftung wieder „in die Hände der Bürgerschaft als solcher gelegt“, wie es hieß (Zang 1994, S. 306). Die Stiftung sei als eine nach Ursprung und Geschichte wesentlich städtische anerkannt worden. Kampflos gab die Kirche die Stiftung allerdings nicht auf. Nachdem sich die Gemeindeverwaltung über eine längere Zeit geweigert hatte, den Kirchen‐ vertretern Einsicht in alte Spitalakten zu gewähren, durch die sie sich über die Rechtslage kundig machen wollten, reagierte die Kirche schließlich mit 38 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="39"?> der Exkommunikation Stromeyers. Doch diese Aktion, die weit über Baden hinaus Beachtung fand, brachte dem Erzbischof außer einer prompten Klage der badischen Regierung wegen Amtsmissbrauchs nichts ein. Im badischen Stiftungsgesetz von 1870 wurden die Verhältnisse dann definitiv geklärt und geregelt. Die Übernahme der Spitalstiftung hatte erhebliche Auswirkungen, so zum Beispiel auf den Arbeitsmarkt, da durch den Entzug der Unterstützung ehemals selbstständige Handwerker auf den Arbeitermarkt verwiesen wurden. Die gra‐ vierendste Veränderung aber lag in der Trennung der verschiedenen Funktionen des Spitals in eine Kranken-, Alters- und Armenversorgung. Damit war die Grundlage geschaffen für die Etablierung einer modernen Sozialfürsorge, die in ihrer Ausdifferenzierung einer modernen Spezialisierung Rechnung trägt: das Krankenhaus sollte „unter Benutzung der neuesten Erfahrung der medizi‐ nischen und technischen Wissenschaften“ gebaut werden; das Pfründnerhaus sollte in mehrere Klassen unterteilt werden und das Armenhaus schließlich war gedacht für Personen, die teilweise oder ganz arbeitsunfähig waren. Abb. 9: Spitalabtrittwagen des städtischen Krankenhauses, Luisenplatz (um 1872). … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 39 <?page no="40"?> Abb. 10: Krankentransport um 1872. Abb. 11: Röntgenraum um 1905. Auf dem Weg ins 20.-Jahrhundert Die beabsichtigte Dreiteilung der Spitalstiftung führte 1868 zu dem Beschluss, den alten Spitalkomplex aufzulösen und auf dem Areal in Petershausen ein neues Spital zu bauen. Die Verwaltung folgte mit dem geplanten Neubau eines reinen Krankenhauses dem Vorbild vieler anderer Städte. Als bekannte Vorläufer der neuen, zeitgemäßen Krankenhäuser fungierten beispielsweise das 40 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="41"?> Krankenhaus in Wien (1793-95) oder die Berliner Charité (1785-1800). 1872 baute die Stiftung schließlich das neue Krankenhaus am Luisenplatz, gleichzeitig errichtete ein Privatmann an der Gottlieber Straße die Pfründ- und Pflegeanstalt „Gütle“ für Arme, Alte und Pfründner. Das alte Augustinerkloster wurde in der Folge bis auf die heute noch bestehende Klosterkirche, die Dreifaltigkeits‐ kirche, abgebrochen. Mit der Ausdifferenzierung der verschiedenen Bereiche der Sozialfürsorge schuf die Spitalstiftung die adäquaten Strukturen, um die Herausforderungen des vor ihr liegenden 20. Jahrhunderts angehen zu können. Orte und Menschen - Das Spital als Fürsorgeeinrichtung Das alte Spital an der Marktstätte Noch im 12. Jahrhundert verlief das Bodenseeufer mit seiner sumpfartigen Flachwasserzone wesentlich weiter westlich als heute. Auf bischöfliche Initia‐ tive begann man bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit einer groß angelegten Auffüllaktion und verschob so das bebaubare Gelände langsam aber stetig nach Osten. Um 1217 begann das Kloster Salem mit der Errichtung seines Pfleghofs am Fischmarkt, d. h. in unmittelbarer Nähe des nur kurze Zeit später dort entstehenden Spitals. Das Areal war zu diesem Zeitpunkt also noch junges Auffüllgelände und daher zum größten Teil unbebaut. Die Spitalanlage befand sich somit in einiger Entfernung von der bereits dicht bebauten Altsiedlung, was im Hinblick auf Kranke, die mitunter auch eine Ansteckungsgefahr darstellten, ein durchaus erwünschter Nebeneffekt gewesen sein mochte. Baupläne der ursprünglichen Anlage des Spitals sind keine mehr erhalten. Ihr Bauprogramm war aber, ähnlich dem einer Klosteranlage, festgelegt. Den Mittelpunkt bildete die Kirche oder Kapelle, die von Gebäuden umgeben war, die Gemeinschafts- und Wohnräume der Spitalinsassen enthielten. Daneben existierten Werkstätten, Speicherräume und Stallungen, die für die Selbstversor‐ gung unabdingbar waren. Schließlich war noch ein eigener Friedhof vorhanden. Die Überlieferung berichtet, dass die ursprüngliche Anlage bei einem verhee‐ renden Stadtbrand 1398 vernichtet oder doch stark in Mitleidenschaft gezogen worden sein soll. Die Wiederherstellung erfolgte auf jeden Fall rasch. Bereits 1403 verlieh Bischof Marquard dem wieder aufgebauten Spital einen vierzigtä‐ gigen Ablass. Ein in der Spitalkirche erhaltener Passionszyklus wird in diese Zeit datiert. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 41 <?page no="42"?> Abb. 12: Seite aus dem »Roten Buch«, der ältesten Handschrift des Konstanzer Stadt‐ rechts. Die Seite enthält ein Gesetz aus Anlass der Überfüllung des Spitals (1444). Rund 50 Jahre später sind weitere Baunachrichten zu verzeichnen. So soll 1450 das „gemauerte Haus an dem Spital gegen den nunmehr aufgefüllten Bleicherstaad“ aufgeführt worden sein. Es muss sich also um ein Haus an der nördlichen Gebäudezeile gehandelt haben, vielleicht das später als Kornschütte genutzte Haus oder aber das wuchtige Gebäude an der heutigen Ecke Brot‐ laube/ Fischmarkt, das spätere Spitalkinderhaus, vereinzelt auch als neues Stift bezeichnet. Die noch heute erkennbaren gotischen Bauteile könnten jedenfalls in diese Zeit passen. 1466 erhielt die Spitalkirche ihr charakteristisches Sattel‐ türmchen mit zwei Glocken und in derselben Zeit eine weitere Ausmalung, von der eine schöne Dreifaltigkeitsdarstellung erhalten ist. Diese Verschönerungen stehen in enger Verbindung mit der Spendenfreudigkeit des Heinrich Blarer, der am Fischmarkt, also in unmittelbarer Nähe des Spitals, ansässig war. Er wurde dort beinahe wie ein zweiter Gründer verehrt. So ist beispielsweise im Spitalamtsprotokoll von 1718 verzeichnet: „[des] fundatoris des Spitals, oder 42 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="43"?> 3 Das auf 1460 datierte Gemälde zeigt einen selbstbewusst blickenden Patrizier, dessen reich verziertes und mit kostbarem Pelzbesatz bestücktes karmesinrotes Gewand deutlich auf die lange großkaufmännische Tradition des Geschlechts hinweist. Seinen hohen ständischen Rang unterstreichen die verschiedenen Ordensauszeichnungen: Auf dem weißen Schulterband befindet sich der kastilische Kannenorden, während rechts oben im Bild die Insignien des aragonischen Ritterordens Maria della Jara sowie darunter das Abzeichen der Turniergesellschaft »zum grünen Kranz« zu sehen sind. In der rechten Hand hält er den mit seltenen wohlriechenden Gewürzen gefüllten Bisamapfel, der seinem Reichtum entsprechend mit kostbaren Steinen verziert ist. letzteren Gutthäter des [Heinrich] Blarers contrafe [conterfei] oder effigies de Anno 1460 solle wieder renovieret, ausbessert und in eine feinere ram [Rahmen] versorget werden“. Es handelte sich dabei wohl um jenes berühmte Portrait des Heinrich Blarer, datiert auf das Jahr 1460, das heute als ein frühes Beispiel deutscher Portraitmalerei gilt. Abb. 13: Heinrich Blarer. 3 … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 43 <?page no="44"?> 4 Zu den bekanntesten und bedeutendsten Kunstschätzen, die die Blarer dem Spital ge‐ stiftet haben, zählt eine Votivtafel mit der Darstellung des Marientodes. Sie wurde wohl von dem Konstanzer Maler Rudolf Stahel um 1495 angefertigt und befand sich danach lange Zeit in der Heilig-Geist-Spitalkapelle. Heute hängt sie im Rosgarten-Museum. Im Text der Stiftertafel werden drei bedeutende Blarer aus drei Jahrhunderten genannt. Im Vordergrund rechts der 1242 verstorbene Spitalgründer Ulrich, danach folgt Egloff, der im 14. Jh. dem Spital eine Pelagius-Spende zu kommen ließ. Der Dritte ist der 1443 verstorbene Domherr Diethelm, der dem Spital eine bedeutende Almosenspende überlassen hat. Er ist links unten in kniender Haltung dargestellt. Die Anbringung der Tafel in der Kapelle des Spitals zeigt eindrücklich, wie hoch das Geschlecht der Blarer im Spital angesehen war. Abb. 14: Die Blarer-Stiftertafel. 4 Eine kurzzeitige lokale Veränderung der Situation brachte die Reformation, die 1527 endgültig Fuß in Konstanz gefasst hatte. 1537 beschloss der Rat die Verlegung des Spitals in das leerstehende Dominikanerkloster, dessen Umbau für diese Zwecke über 1000 Gulden gekostet haben soll. Das alte Spitalgebäude ist vermutlich in eingeschränkter Form aber weiterbenutzt worden, da im letzten Jahrzehnt der Konstanzer Reformation eine Pestepidemie wütete und das neue Spital vornehmlich zur Aufnahme jener Kranken bestimmt war, in deren Nähe wegen der Ansteckungsgefahr niemand leben wollte. Das Jahr 1548 brachte mit dem Beginn der österreichischen Herrschaft eine Wiederherstellung der vorreformatorischen Verhältnisse - soweit dies möglich war. Mit dem gesamten Klerus kehrten auch die Dominikaner aus ihrem Exil in Steißlingen und damit in ihre enteigneten Klostergebäude zurück. Daher musste sich das Spital wieder in seinen alten Gebäuden an der Marktstätte einrichten. 44 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="45"?> Für bauliche Maßnahmen war zunächst kein Geld vorhanden. Während die Stadt z. B. für die Wiederherstellung des geistlichen Spitals oder Kleinspitals an der Rheinbrücke - wie es im Gegensatz zum bürgerlichen Großspital auch genannt wurde - eine große Menge Baumaterial aus der städtischen Ziegelhütte liefern musste, wurde lediglich im Jahr 1557 die Spitalschreibstube im gegenüber gelegenen Kornhaus auf der Marktstätte eingerichtet, um die drangvolle Enge wenigstens etwas zu mildern. Die über der Hauptdurchfahrt angebrachte Jahreszahl 1577, kombiniert mit dem Stadt und Spitalwappen, weist auf eine Bautätigkeit in dieser Zeit hin. Mit dem 1596 erfolgten Bau des städtischen Markstallhauses an der Ostseite - das durch das Spital mitbenutzt werden durfte - und dem 1617 abgeschlossenen Kauf des an der Westseite gelegenen vorderen und hinteren Wirtshauses „zur Krone“ um 2.200 Gulden erreichte die Spitalanlage ihre endgültige Ausdehnung, die bis 1810 im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Abb. 15: Der gesamte Spitalkomplex (farbig gekennzeichnet) in einer Stadtansicht aus dem Jahr 1733. Über Bauveränderungen sind durch die ab 1549 erhalten gebliebenen Spitalamtsprotokolle gute Informationen überliefert. Die meisten Nachrichten beziehen sich auf die 1552 neu geweihte Spitalkirche, die, dabei angewiesen auf Stiftungen … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 45 <?page no="46"?> und Spenden, für das in der Reformation eingezogene Kircheninventar Ersatz benötigte. Große Kosten verursachte das Glockentürmchen, für das bereits 1601 der Rotschmied Jonas Gesus eine neue Glocke gefertigt hatte. Es musste 1641 sowie 1691 repariert und 1749 nach einem Sturm völlig erneuert werden, was auch die vergoldete Kreuzkugel betraf. Abb. 16: Entwürfe für Altäre der Spitalkirche aus der Mitte des 18.-Jahrhunderts. Weitere Veränderungen betrafen die Altäre, die in der Reformation abgebrochen worden waren und neu errichtet werden mussten. Im Jahr 1403, anlässlich der Wiederherstellung des Spitals, waren zwei Altäre geweiht worden, woraus man schließen kann, dass sich die Kirche auf zwei Stockwerke erstreckte. Bis heute sichtbare Malereireste im Erdgeschoss deuten ebenfalls darauf hin. 1732 erhielt die Spitalkirche einen Johannes-Nepomuk-Altar, ausgeführt von dem Saulgauer Maler Kaspar Koler. 1736 wurde der Bildhauer Joseph Willi für einen neuen Dreifaltigkeits-Altar in der oberen Kirche für 43 Gulden verdingt, dessen Bemalung der Fassmaler Machlaydt 1739 für 80 Gulden und sieben Maß Branntwein besorgte. Ein letzter Altaraufbau, und zwar für ein bereits 1718 gestiftetes Marienbild, ist für 1768 zu verzeichnen. Mit diesem Marienbild hatte es eine Besonderheit auf sich. Es war von einer frommen Bürgerin als ein äußerst wertvolles Stück erworben worden, stellte sich wenig später aber als 46 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="47"?> eine nur mäßige Kopie heraus. Als Pfründnerin brachte die enttäuschte Käuferin das Stück in das Spital, wo es dann als Altarbild zu Ehren kam. Den bereits erwähnten Altar stellte der Schreiner Hans Georg Kern her. Für diese Arbeit und eine neue Kanzel wurde er mit 160 Gulden entlohnt. Einer der beiden Altäre hatte einen Kreuzpartikel besessen, der vom Kapuzinerprovinzial Labhart 1734 aus Rom mitgebracht und gestiftet wurde. Erwähnenswert ist auch eine große Krippe, für die sich ein eigens dafür angefertigter Silberbeschrieb erhalten hat. Von einer neuen Orgel wird 1760 berichtet. Sie wurde für 60 Gulden und dem Material der alten Orgel von dem Konstanzer Orgelbauer Johann Michael Bühler hergestellt und von dem Maler Pelagius Mayer gefasst, der anlässlich dieser Arbeit auch Altarfiguren der Heiligen Georg, Sebastian, Pelagius und Rochus mit einem neuen Farbanstrich versehen hat. Abb. 17: Das Heilig-Geist-Spital auf der Marktstätte. Gemälde von Nikolaus Hug (1851). Vom Äußeren der Spitalkirche lässt sich anhand eines Ölgemäldes von Nikolaus Hug eine Vorstellung machen. Dieses Bild, welches den Bauzustand von 1812 zeigt, stammt aus dem Jahr 1851, also aus einer Zeit, als die Kirche längst nicht mehr existiert hat. Hug muss deshalb über ältere Vorlagen oder Beschreibungen verfügt haben. Beim Betrachten des Bildes fällt eine Dreifaltigkeitsdarstellung ins Auge, bei der es sich ganz offensichtlich um eine Kopie des im Kirchenin‐ neren befindlichen Gnadenstuhls aus der Zeit um 1460 handelt. So soll die in Freskomanier ausgeführte Malerei 1733 durch Joseph Anton Spengler erfolgt sein. Vielleicht war es eine Art Probearbeit, denn 1734 wurde der Maler damit beauftragt, die Außenwände des barockisierten Rathauses mit einer Ornament‐ … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 47 <?page no="48"?> malerei zu versehen. Die unter dem Fresko angebrachte Jahreszahl 1597 deutet allerdings auf eine bedeutend frühere Entstehungszeit hin, so dass es sich bei der Spengler’schen Arbeit wohl nur um eine Wiederherstellung gehandelt hat. Abb. 18: Eine als „Gnadenstuhl“ bezeichnete Dreifaltigkeitsdarstellung um 1460. Ehemalige Kapelle des Spitals zum Heiligen Geist auf der Marktstätte. Neben der Spitalkirche gab es einen zweiten sakralen Raum. Im Spitalhof, angebaut an die Südseite der Kornschütte, befand sich eine den „unschuldigen Kindlein“ und dem HI. Ulrich geweihte Kapelle, in der nach einer schemati‐ schen Darstellung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hinter einem offenen Gitter die Gebeine des ersten Spitalstifters ruhten. Die an dem Gitter angebrachte Jahreszahl 1582 bezieht sich auf das Erbauungsjahr der Kapelle. Erhalten hat sich eine Beschreibung über die Weihe der „Klein Cape/ / in dem großen Spitha/ zu Costanz“. Vorgenommen wurde sie vom Konstanzer Weihbi‐ schof Balthasar Wurer am 21. Dezember 1581. Neben einer 1660 erwähnten Baumaßnahme sind weitere Quellen zu dieser Kapelle nicht vorhanden, so dass eine vollständige Klärung der Entstehungsgeschichte nicht möglich ist. Bekannt ist nur, dass die Kapelle auch als Totenkapelle genutzt wurde. Ausgrabungen 48 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="49"?> auf dem Gelände in den Jahren 1995 und 1996 mit zahlreichen Skelettfunde auf engstem Raum belegen den Begräbnisplatz an der Ostseite des Spitalkomplexes, der hier zunächst offen, also unbebaut war. In der zweiten Hälfte des 16. Jahr‐ hunderts wurden der städtische Marstall und weitere Stallungen in diesem Bereich errichtet. Die auf dem Gitter der Kapelle angebrachte Jahreszahl 1582 könnte sich also auf die Auflassung des Friedhofs und die Bergung bestimmter Gebeine beziehen, die dann ihren Platz in der Kapelle gefunden haben. Die Spitalinsassen wurden auf dem ab 1541 belegten Schottenfriedhof bei‐ gesetzt. Dies bezeugt ein 1734 erlassenes Verbot, das ihnen den Kauf teurer Gräber in Konstanzer Kirchen untersagte und zur Pflicht machte, sich - wie althergebracht - auf dem Schottenfriedhof beisetzen zu lassen. Die Ausgrabungen auf dem Gelände des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals 1995-1996 Im Rahmen eines privaten Bauvorhabens wurde der Gebäudekomplex des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals saniert, wobei einige Bauten dem Neubau weichen mussten. Da Sanierung und Neubau mit Bodeneingriffen verbunden waren, mussten die betrof‐ fenen Bereiche zuerst archäologisch untersucht werden. 1995 erfolgte eine Probegra‐ bung am Ostgiebel der ehemaligen Kornschütte. Dabei wurde unerwarteter Weise der ehemalige Spitalfriedhof angeschnitten. Dies führte 1996 zu einer genaueren Untersuchung des Friedhofs sowie des übrigen Spitalgeländes. Der Friedhof im Osten des Geländes und umfasste ca. 600 m 2 . Er war im Süden und Osten von einer Steinmauer begrenzt. Auf der Fläche wurden insgesamt 339 vollständige Bestattungen erfasst, insgesamt kann man aber von über 4000 Grablegen auf dem Friedhof ausgehen. Abb. 19: Skelettfunde auf dem ehemaligen Spitalfriedhof (1995). … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 49 <?page no="50"?> Bestattet wurde bis in einer Tiefe von 1,60 m, wobei es zehn bis zwölf Bestattungslagen gab. Diese Schichtstärke erreichte man zeitweise durch Aufschüttungen des Geländes. Die Belegungsdauer reichte vom 13. bis Anfang des 19.-Jahrhunderts. Die Toten wurden in Holzsärgen oder Leinentüchern bestattet, wobei die Anzahl der Holzsärge relativ gering war. Zusätzlich wurden einige Bestattungen so stark gekalkt, dass sich Abdrücke von Textilstrukturen nachweisen ließen. Nur wenige Grablegen wiesen Befunde wie Schmuck oder Rosenkranzperlen auf. In der Regel wurde in Ost-West-Richtung und gestreckter Rückenlage bestattet. Aufsehen erregte eine Sonderbestattungsform, zwei so genannte „Bauchlieger“. Sie dokumentieren einen noch bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein reichenden Aberglauben - die Angst vor dem „Wiedergänger“. Die endgültige wissenschaftliche Auswertung des Friedhofs mit seinen Grablegen lassen vielversprechende Erkennt‐ nisse zu Lebensbedingungen, Krankheitsgeschichten und unterschiedlichen sozialen Schichten zu. Carola Berszin Abb. 20: Grundriss des Erdgeschosses des alten Spitals auf der Markstätte (1787). Über die Nutzung der übrigen Gebäude des Spitalkomplexes ergibt sich dank einer Bauaufnahme aus dem Jahr 1787 und eines ausführlichen Baubeschriebs ein recht gutes Bild. In diesem Jahr hatte eine Regierungskommission die städtischen Verhältnisse geprüft und den Bau eines neuen Spitals empfohlen. Der städtische Unterbaumeister Peter Nenning fertigte dafür Baurisse an. Es war übrigens nicht das erste anvisierte Neubauprojekt. Bereits 1717 sollte der 50 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="51"?> damalige Spitalschreiber den Baumeister Franz Beer von Bleichten mit Bau‐ plänen für ein neues Spitalgebäude beauftragen. Es handelte sich bei Franz Beer einen renommierten Architekten, dem der Bodenseeraum viele Barockbauten zu verdanken hat. Der im Protokoll diesem Dienstauftrag nachgesetzte Halbsatz „wo mueß [das] Spital aber das gelt darzu hernemmen“ lässt das Ergebnis dieser Neubaupläne vorausahnen. Sie endeten, wie 1787 auch, wegen Geldmangel unausgeführt in den Amtsschubladen. Die meist zweistöckigen Gebäude umfassten neben der Kirche und Totenkapelle 23 heizbare sowie 65 nicht heizbare Stuben und Kammern. Zusätzlich zur zentralen Großküche gab es fünf kleinere Küchen und zwei Speisekammern. Für die Kranken waren drei Stuben für etwa 30 Personen vorgesehen und für psychisch Kranke gab es vier gesonderte heizbare Räume. Ob die zwei so benannten Gefängniszellen für renitente oder straffällige Spitalinsassen gedacht waren, ist unklar. An Wirtschafts‐ betrieben waren eine Pfisterei (= Bäckerei) mit Brotlager, eine Metzig (= Metzgerei), eine Wagnerei und eine Schmiede sowie eine eigene Brennhütte für Hafnerwaren vorhanden. Mehl und Getreide wurde in drei Fruchtschütten gelagert. Daneben gab es weitere Lagerräume sowie Stroh- und Heuböden. Die in einem zentralen Waschhaus gewaschene Wäsche konnte auf acht großen Dielen (= Dachböden) getrocknet werden. Neben diversen Schöpfen (= Schuppen) konnte man in acht Ställen ca. 20 Pferde und 20 Schweine halten. Weiterhin gab es auch einen Stall für Geflügel. Besonders eindrucksvoll war das Fassungsvermögen der insgesamt zehn Keller für 421 Fuder Flüssigkeit, meist Wein und Most. Da das alte Konstanzer Fudermaß gut 1.150 Liter beinhaltete, konnten also rund 480.000 Liter Trinkbares gelagert werden. Im Zentrum zur Marktstättenseite hin befand sich die Kirche mit Ober- und Unterkapelle, wobei Letztere in späterer Zeit zu einem Abstellraum für Marktstände „umgewidmet“ wurde. Die nördlich und östlich an diese sich anschließenden Gebäude enthielten in der Hauptsache die Wohn- und Speise‐ räume der Pfründner. Die Ober- oder Herrenpfründner in den oberen, die Mittel- und Unterpfründner in den unteren Stockwerken. Neben zwei Zimmern für den Pfarrer - ab dem 16. Jahrhundert stets ein Franziskanerpater - war dort auch die Krankenstube zu finden, die erst Mitte des 18. Jahrhunderts in einen neuen Trakt an die Nordostseite verlegt wurde. Westlich der Kirche erstreckte sich das sogenannte Stift, gelegentlich auch altes Stift genannt. Es enthielt im Erdgeschoss neben der Hauptdurchfahrt die Männerkammer und Bubenstube, im ersten Stock befand sich ein großer Raum, in dem nicht benötigtes Mobiliar der Pfründner gelagert wurde. An das Stift schlossen sich die Speise- und Schlafräume für männliche Waisen und Buben an. Nördlich davon war das Domizil der Mädchen und die Kinderstube mit einem heizbaren Raum für … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 51 <?page no="52"?> Säuglinge und die Kindermutter. Zur Hofinnenseite hin hatte der Spitalmeister seine Wohnung und damit an einem Ort, wo er den ganzen Innenhof samt den Wirtschaftsbetrieben unter Aufsicht hatte. An die heutige Brotlaube grenzte das Wirtshaus „Zur Krone“ das ja erst 1617 zum Spital gekommen war, und in dem ein spitälischer Pächter eine Wirtschaft mit spitälischem Weinausschank betrieb. An der Nordseite waren im Wesentlichen die Wirtschaftsbetriebe zu finden, an die sich die stattliche Frucht- und Mehlschütte anschloss, auch Brunnenkellerhaus genannt, weil sich in dem dortigen Keller ein Brunnen befand, vermutlich der älteste Brunnen in der ganzen Anlage. Zwischen diesem Gebäude und der sich an der nordöstlichen Ecke befindenden Krankenstation ragte der Pfennigturm mit seinem charakteristischen Eck in den Fischmarkt hinein. Er war - so sagt sein Name - der Aufbewahrungsort für die städtischen Geldvorräte. Zudem waren dort auch die wichtigsten Urkunden über städtische Privilegien niedergelegt, die schließlich ebenfalls bares Geld bedeuteten. Der Turm war städtisches Eigentum und gehörte damit nicht zum Spitalkomplex. An diesen Turm schloss sich das spitälische Krankenhaus an, das, auf zwei Stockwerke verteilt, drei Krankenstuben enthielt. Die Ostseite schloss mit einem Gebäuderiegel ab, der Stallungen und das zentrale Waschhaus enthielt. Abb. 21: Ansicht des Fischmarkts mit Spitalgebäuden um 1875. Wie war es nun um die sanitären Verhältnisse bestellt? „Fließend Wasser“ gab es nur am großen Röhrenbrunnen, der sich an der Westseite des Spitalinnenhofes befand. Er wird 1461 erstmals erwähnt und bezog sein Wasser von der städtischen Wasserleitung, die in Holzdeucheln (= ausgehölte Holzröhren) die beiden großen Brunnen auf der Marktstätte mit Wasser versorgte. Von diesem Brunnen musste alles Trink- und Brauchwasser an die benötigten Orte gebracht werden. Damit stellt sich auch die Frage nach den „stillen Örtchen“, die so still wohl nicht waren, 52 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="53"?> denn das Mittelalter bezeichnet sie ziemlich unverblümt als „Sprachhäuser“. Eine diesbezügliche Baumaßnahme ist erst 1660 dokumentiert. In diesem Jahr sollen laut Spitalamtsprotokoll „Prophaten“ in einige Kammern bei der Kirche eingebaut worden sein. Mit Prophaten bezeichnete man im Spätmittelalter Latrinen und die dafür notwendigen Abzugsdohlen. Bei den erwähnten Kammern handelte es sich vermutlich um Stuben der Oberpfründner, die einen Anspruch auf gewissen Komfort geltend machen konnten. Der weitaus größere Teil der Spitalbewohner hatte sich mit Nachttöpfen oder Leibstühlen zu behelfen, die an einem dafür bestimmten Platz entleert wurden. Auf den erhaltenen Plänen sind Toiletten, genauer gesagt Plumpsklos, erstmals in der Mitte des 18.-Jahrhunderts entstandenen Krankentrakt nachgewiesen. Dies hatte sicher hygienische Gründe, aber auch den Vorteil, dass sich die Stallungen in diesem Teil befanden. Das, was Mensch und Tier ausschieden, wurde nämlich als Dünger gesammelt und auf die Wiesen und Felder im Paradies und Tägermoos ausgebracht. Neben den beschriebenen Gebäuden besaß das Spital noch das sogenannte Bindhaus an der nordwestlichen Ecke des Fischmarkts (heute Salmannsweilergasse 2). Das stattliche vierstöckige Gebäude hatte seinen Namen von den darin befindli‐ chen mit Metallruten gebundenen Fässern, wovon auch der Ausdruck Fassbinder herrührt. Folgerichtig befand sich auch die Spitalküferei und die von dieser benötigten Materialien dort. In der Kreuzlinger Vorstadt am Graben, also im Bereich der heutigen Bodanstraße, gehörte dem Spital noch eine Haberdörre mit Scheune und Stallung. Trotz des insgesamt recht großen Komplexes der Spitalanlage scheinen im Ver‐ lauf des 18.-Jahrhunderts die baulichen Verhältnisse als zunehmend unzureichend erfahren worden, was ja auch durch die bereits erwähnten Neubaupläne unterstri‐ chen wird. Als nun unter Kaiser Joseph II. die Aufhebung der Klöster begann - in Konstanz ab 1784 - und damit ihre zum Teil recht großen Gebäude zur Disposition standen, ergaben sich ganz neue Perspektiven für eine mögliche Verbesserung der räumlichen Verhältnisse. So wurde bereits ab 1792 eine Verlegung des Spitals in das Augustinerkloster in Betracht gezogen. Nach einem Bericht des Spitalpflegers vom 16. Juni 1792 hatte man zusammen mit dem Stadtarzt Prof. Karg eine Besichtigung des Klosters vorgenommen und es für die spitälischen Belange für gut befunden, wobei es in dem Bericht abschließend heißt: […] die Spital Stiftung aber zu möglichster Beförderung und Erhaltung einer so tauglich als nöthigen Unterkunft vor die in diesem bisherigen so Schauderals gefahrvollen schlechten Spithalgebäue wohnenden armen bürger gnädig empfohlen seyn lassen […]. Dass die Realisierung dieser Pläne noch einige Jahre auf sich warten ließ, hängt mit der Französischen Revolution und ihren Folgeereignissen zusammen. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 53 <?page no="54"?> Die Kriege verschlangen Unsummen und die nunmehr leerstehenden Klöster wurden häufig genug für militärische Zwecke beschlagnahmt. Obwohl das Augustinerkloster schon 1797 dem Spital einverleibt worden war, konnte die eigentliche Verlegung erst in friedlicheren Zeiten durchgeführt werden. 1808, also zwei Jahre nach dem Preßburger Frieden, konnte die Versetzung beginnen, die spätestens 1812 abgeschlossen war. 1810 wurden die Eigentumsverhältnisse der neuen Situation angepasst. In einem komplizierten Kauf- und Tauschvertrag überließ die Spitalpflege der inzwischen großherzoglich badisch gewordenen Stadt Konstanz ihre alten Gebäude an der Marktstätte. Damit begann für die nunmehr leerstehenden Gebäude ein neues Kapitel. Die Stadtgemeinde als neuer Besitzer versuchte die Immobilie so schnell wie möglich zu veräußern. Das gelang zunächst nur mit den Häusern an der Westseite, genauer mit den hinter und neben dem Kronenwirtshaus gelegenen Gebäuden und denjenigen an der Ostseite, die an Privatleute verkauft werden konnten. Das eigentliche Spital selbst wurde, da es niemand kaufen wollte, für städtische Zwecke weiterverwendet. Zunächst zur Entwicklung der 1810 verkauften Häuser: Bereits 1832 kaufte die Spitalpflege die an der Westseite gelegenen Gebäude, mit Ausnahme des nordwest‐ lichen Eckgebäudes, um 14.000 Gulden zurück, brach noch im selben Jahr das wohl baufällig gewordene alte Wirtshaus „Zur Krone“ ab und verlegte dessen Betrieb in die zur Marktstätte hin gelegenen zurückerworbenen Gebäude. Das Spital betrieb darin nun den sogenannten Spitalkronenkeller, der sich großer Beliebtheit erfreute. So ist z.-B. verbürgt, dass der schwäbische Dichter Eduard Mörike anlässlich seiner Reisen an den Bodensee gerne darin verkehrte, „weil man ganz ungeniert dort ist“, wie er in einem Brief mitteilt. Dort befand sich auch das Lesezimmer des Bürgermuseums, einer Art Bildungsverein der besseren Konstanzer Gesellschaft, in dem man sogar überregionale Zeitungen vorfinden konnte. Für 30.000 Gulden verkaufte die Spitalverwaltung das Anwesen im Jahr 1864 an den Pächter Poppele, der 1869 den heute noch bestehenden Saalanbau realisierte. Ihr jetziges Aussehen erhielt die „Krone“ Mitte der 1880er Jahre. Der damalige Besitzer Adolf Kaupp ließ das altehrwürdige Gebäude nach Plänen des Konstanzer Baumeisters Peter Gesswein im Geschmack der „Belle Epoque“ vollständig umbauen. Das renommierte Hotel existierte bis zum Beginn der 1970er Jahre. Danach zog der seit 1945 benachbarte Verlag der Tageszeitung „Südkurier“ in die Räume ein. In den 1990er Jahren hat er‐ neut ein Gastronomiebetrieb der gehobenen Klasse in dem mustergültig restaurierten Gebäude eröffnet und knüpft somit an die Tradition eines der ältesten Gasthäuser in der Region an. 54 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="55"?> Abb. 22: Die Marktstätte um 1900. Das an der Nordwestecke gelegene, 1810 privatisierte, ehemalige Spitalkinder‐ haus beherbergte ebenfalls seit langem einen Gastbetrieb. 1873 eröffnete dort der „Burenkeller“, später auch „Burengeneral“ benannt, seine Pforten. Dieses Gebäudeeck verrät mit seiner alten Bausubstanz noch am ehesten etwas von der Wucht der alten Spitalanlage. So erkennt man an der mächtigen, der Brotlaube zugekehrten Giebelseite alte Fensteröffnungen, und im Erdgeschoss des südlich anstoßenden Nachbarhauses, der ehemaligen hinteren Krone, befinden sich alte Kreuzgratgewölbe. Die an der Ostseite veräußerten Häuser sind gänzlich verschwunden. Das zur Marktstätte hin gelegene Gebäude wurde 1873 abgebrochen, die zum Fischmarkt orientierten Häuser, einschließlich des seitens der Stadt schon früher verkauften Pfennigturms, fielen 1877 anlässlich der Höherlegung dieses Platzes der Spitzhacke zum Opfer. Damit war die Ostflanke des Gebäudekomplexes wieder unbebaut, so wie es schon im Mittelalter gewesen war. Diese bauliche Situation änderte sich erst ab 1912, als der Besitzer des 1869 neu errichteten Anwesens Fischmarkt 1, in dem sich seit 1871 ebenfalls ein Restaurationsbetrieb befand, damit begann, seine Gastwirtschaft zur Marktstätte hin zu erweitern. Zunächst wurde nur ein überdachtes Gartenbuffet errichtet, dem dann 1926 eine glasgedeckte Halle, verbunden mit einem Biergarten, folgte. Es war der bis in die 1990er Jahre bestehende äußerst beliebte Engstler‘sche Biergarten, der dann den erstellten Neubauten weichen musste. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 55 <?page no="56"?> Abb. 23: Das frühere Spital-Areal aus der Vogelperspektive. Vorne der Engstler’sche Biergarten. Die ältesten Teile des Spitals konnten schließlich 1836 veräußert werden. Für insgesamt 6.050 Gulden kaufte der Handelsmann D. H. Egloff aus dem thurgauischen Engwilen das zur Marktstätte hin gelegene Gebäude, bestehend aus der ehemaligen Kirche und dem Stift sowie der zur Fischmarktseite hin gelegenen Kornschütte und dem westlich daran anstoßenden Wirtschaftsge‐ bäude. Der neue Besitzer baute Kirche und Stift zu einem Wohnhaus um und richtete in den rückwärtigen Gebäuden eine Zuckerrüben- und Zichorienfabrik ein. Im ehemaligen Spitalhof entstanden in der Folge Wirtschaftsgebäude zur Aufnahme einer Dampfmaschine und weiterer technischer Einrichtungen, die für den Fabrikationsbetrieb nötig waren. Doch schon zehn Jahre später, 1846, wechselte das Anwesen für 20.000 Gulden den Eigentümer. Es war der Fabrikant und Gemeinderat Heinrich Vögelin, der nun Tapeten statt Zucker in den alten Mauern produzierte. Er ließ die rückwärtigen Fabrikationsgebäude zu einem zusammenhängenden Baukörper umgestalten. Durch den Einbruch von regelmäßigen rund- und korbbogigen Fensterreihen erhielt die Fassade nun jenes nüchterne Aussehen, wie sie lange Zeit die Bilder prägte. 56 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="57"?> Abb. 24: Ehemaliges Heilig-Geist-Spital um 1900. Nachdem Vögelin 1871 gestorben war, wurde die Fabrikation aufgegeben und das nun leerstehende Gebäude von den Erben für einige Jahre an die Garnisons‐ verwaltung vermietet, die es als Kaserne nutzte. Für die Zeit nach 1876 finden sich im Adressbuch verschiedene Personen, die das Gebäude als Geschäftslokal und für Lagerzwecke mieteten, bis 1909 der Buchdruckereibesitzer Otto Reuss das gesamte Anwesen Marktstätte 4 und Fischmarkt 5 erwarb. Otto Reuss führte seit 1883 den Verlag und die Redaktion der „Konstanzer Zeitung“, die damit in die alten Spitalgebäude einzog. Die neue Nutzung erforderte naturgemäß eine ganze Reihe von Umbaumaßnahmen, die sich im Wesentlichen aber auf das Innere bezogen. 1936 kam es zu einer erneuten Veränderung der Besitzverhältnisse und zum Einzug der 1932 von der NSDAP gegründeten „Bodenseerundschau“, welche die „Konstanzer Zeitung“ verdrängte. Abb. 25: Das ehemalige Südkurier-Verlagshaus an der Marktstätte. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 57 <?page no="58"?> Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozia‐ lismus gründete die Druckerei und Verlagsanstalt Konstanz mit dem „Südkurier“ eine neue Tageszeitung in den Räumen auf der Marktstätte. Sie führte zwischen den Jahren 1958 bis 1964 umfangreiche Um- und Neubauten durch. So entstand an der Ostseite ein modernes Druckzentrum, wobei die Innenumbauten u. a. die bereits erwähnten Fresken in der ehemaligen Kirche wieder ans Tageslicht brachten. Alles in allem blieb von dem mittelalterlichen Kerngebäude noch einiges an historischer Bausubstanz erhalten. Als nach dem 1993 realisierten Neubau des „Südkurier“ an der Max-Stromeyer-Straße im Industriegebiet der gesamte Gebäudekomplex zum Verkauf stand, sah es für eine kurze Zeit so aus, als könnte die Stadt zum Zuge kommen, womit sich sozusagen der Kreis wieder geschlossen hätte. Die faktischen Gegebenheiten des Konstanzer Immobilienmarktes verhinderten diese Entwicklung. Den Zuschlag erhielt eine auswärtige finanzstarke Aktiengesellschaft, spezialisiert auf den Bau von Seni‐ orenwohnanlagen für gehobene Ansprüche. Als 1995 zur Realisierung dieses Vorhabens die Gebäude an der Nord- und Ostseite abgebrochen wurden, kam zur Überraschung vieler die vollständig erhaltene Ostgiebelwand der ehemaligen Kornschütte zum Vorschein. Doch wurde dieses schöne Beispiel eindrucksvoller mittelalterlicher Bau- und Maurerkunst nur kurz nach seiner Aufdeckung abgerissen, da es dem Bau‐ vorhaben im Wege stand. Wie bereits erwähnt wurden auch Teile des ehema‐ ligen Spitalfriedhofs entdeckt. Nach der Bergung und Auswertung zahlreicher Skelettfunde ruht dieser nun als Bodenarchiv unter den nicht unterkellerten Neubauten. Das historische Vordergebäude wurde vollständig ausgekernt, so dass außer den Umfassungsmauern nur noch die denkmalgeschützten Fresken und einige gotische Wandnischen im Erdgeschoss erhalten sind. Durch ein auf‐ gesetztes mezzaninartiges Glasgeschoss sind die ursprünglichen Proportionen des Gebäudes stark verändert. Wäre nicht eine kleine bronzene Hinweistafel, kein Ortsunkundiger würde etwas von der Historie ahnen, die sich hinter den jetzt vollendeten neuen Fassaden verbirgt. 58 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="59"?> Abb. 26: Die Ostgiebelwand der ehemaligen Kornschütte (1995). Durch den Einzug einer Post- und Zeitungsstelle, der Tertianum-Wohnanlage für ältere Mitbürger sowie kultureller und gastronomischer Einrichtungen dienen die Gebäude aber auch heute mit ihren Funktionen und Angeboten wieder den Konstanzerinnen und Konstanzern, so wie sie es über die Jahrhun‐ derte hinweg getan haben. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 59 <?page no="60"?> Abb. 27: Die neue Nutzung am Anfang eines neuen Jahrtausends: Seniorenresidenz Tertianum, Gastronomie, Post, Geschäfte. Das Personal: Säckelmeister und Pfleger Der Tätigkeitsbereich der früheren spitälischen Pfleger ist nicht zu verwechseln mit den heutigen Pflegeberufen. Die Verantwortung der spitälischen Pfleger erstreckte sich sowohl auf die innere Ordnung wie auch auf die kirchlichen Verhältnisse des Spitals. Die Pfleger Zu ihren Hauptaufgaben gehörten die Aufsicht, Kontrolle und Durchführung aller Vermögensangelegenheiten. Darüber hinaus verteilten sie die einzelnen Aufgaben und Ämter, nahmen Beschwerden entgegen, entsprachen ihnen direkt oder leiteten sie an den Stadtrat weiter. Von der Frühzeit abgesehen amtierten in der Regel zwei Pfleger. Im 13. Jahr‐ hundert versah der Pfleger auch das Amt des Spitalmeisters. Und bis 1295 wurde dieses Amt zumeist von einem Geistlichen ausgeübt. Die Bedeutung dieses Amtes - gerade auch für die Stadt - illustriert besonders die frühere Besetzungspraxis. Danach entstammten bis 1370 alle Spitalpfleger den ratsfähigen Konstanzer Geschlechtern. 60 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="61"?> Der Spitalmeister Aufgrund seiner Aufgabenfülle besaß der Spitalmeister im Spital eine eigene Kammer oder Wohnung. Er hatte die volle Haus- und Strafgewalt über die Bewohner und Beschäftigten. Zunächst war er wohl noch von der Bruderschaft ernannt worden, doch schon bald hatte sich der Stadtrat seine Wahl vorbehalten und damit eine entscheidende Kontrolle ausgeübt. Welche Bedeutung diesem Amt zugemessen wurde, lässt sich daran erkennen, dass die Meister oft aus an‐ gesehenen Familien kamen und ausreichende Kenntnisse in den verschiedenen Bereichen der Spitalverwaltung erworben haben mussten. Die wichtigsten Helfer des Spitalmeisters waren die verschiedenen Amtleute, mit denen er sich jeden Sonntag in der Schreibstube beriet. Er besaß die Schlüsselgewalt und verteilte das Almosen. Für wertvolle Gegenstände war er persönlich verantwortlich und hatte darüber Inventare zu führen. Er musste den Pflegern über alle Einnahmen und Ausgaben Rechnung legen. Da große Spitäler zahlreiche Außenstellen hatten, deren Kontrolle unerlässlich war, musste er oft längere Inspektionsreisen unternehmen. Abb. 28: Der Amtmann. Federzeichnung aus dem Konstanzer Schachzabelbuch von 1479. Das Original befindet sich heute in der Nationalbibliothek Wien. Als Symbol seiner Funktion trägt der Amtmann Schlüssel, Elle und Geldbeutel. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 61 <?page no="62"?> Der Säckelmeister Das Amt des Säckelmeisters wurde zu Anfang des 16. Jahrhunderts geschaffen, um den Amtsbereich des Spitalmeisters zu entlasten. Der Säckelmeister war von nun an für die Einnahmen und die Rechnungskontrolle von Zinsen, Renten und indirekten Steuern, die die ausgedehnten Besitzungen des Spitals abwarfen, verantwortlich. Er musste auch die Naturalabgaben, wie Wein und Korn, sowie die für den Spitalbetrieb notwendigen Lebensmittelausgaben überwachen. Der Hofmeister Ein großes Spital wie das zu Konstanz besaß eine Vielzahl von Höfen im näheren und weiteren Umfeld. Verwaltet wurden diese von einem Hofmeister, der die Knechte und Mägde beaufsichtigte. Zu seinen besonderen Pflichten gehörte die Pflege des Wald- und Grundbesitzes und die Einkäufe für den laufenden Spital‐ betrieb. Dazu kam noch die Führung der Inventare der zahlreichen Arbeitsgeräte und deren Instandhaltung. Der Schreiber In der Anfangszeit verfügte das Hospital über keinen eigenen Schreiber, sondern es bediente sich entweder des Stadtschreibers oder der bischöflichen Kanzlei. Spätestens seit 1369 erledigte ein Kaplan die Schreibarbeiten des Spitals, bevor Ende des 14. Jahrhunderts ein hauptamtlicher Schreiber eingestellt wurde. Dieser wurde dann ab 1490 vom Rat ernannt. In der Schreibstube liefen alle Berichte und Rechnungen der verschiedenen Ämter zusammen. Der Schreiber führte die Rechnungsbücher aller Amtleute, aber auch die Zins- und Kopialbü‐ cher sowie das Korn und Weinbuch. Gleichzeitig hatte er alle Spitalurkunden, -rödel und -briefe in Verwahrung. Der Kornmeister Da der Kornanbau und -verkauf eine der bedeutendsten Wirtschaftsgrundlagen des gesamten Spitalbetriebes darstellte, ist dieses Amt schon früh geschaffen worden. Es wurde erst im späten 16. Jahrhundert durch den Posten des Korn‐ hausversehers verdrängt. Die Hauptaufgabe des Kornmeisters bestand in der Aufsicht über das Korn‐ haus und der dort erforderlichen hygienischen Lagerung der verschiedenen Getreidesorten. Im Kornhaus wurde nämlich nicht nur das Getreide des Spitals selbst in großen Zubern aufbewahrt, sondern auch fremdes Getreide konnte 62 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="63"?> gegen Entrichtung einer Standgebühr gelagert werden. Diese Gelegenheit nahmen besonders gern die zahlreichen Kleinhändler an den Markttagen wahr. Getreide verteilen oder verkaufen durfte der Kornmeister nur mit der Erlaubnis des Meisters oder der Pfleger. Für die Ernährung der Bevölkerung spielte im Mittelalter das Getreide eine zentrale Bedeutung. Gerade die Städte benötigten dafür enorme Einzugsgebiete und eine voraussehende Vorratswirtschaft, um schlechte Erntejahre überstehen zu können. So hatte eine mittelalterliche Großstadt wie Köln mit rund 40.000 Einwohnern einen jährlichen Getreideverbrauch von über 6.000 Tonnen. Umge‐ rechnet auf das mittelalterliche Konstanz wären das immerhin noch 800 Tonnen. In schlechten Ernte- oder gar Hungerjahren, wenn das Getreide nicht genü‐ gend aussortiert oder noch unreif eingebracht wurde, und damit das Mutterkorn in großer Menge mitgemahlen wurde, kam es zu chronischen Mutterkornver‐ giftungen. Ihre Symptome waren: Schwindel, Ohrensausen, Mattigkeit, Übel‐ keit, Durchfall und schmerzhafte Kontrakturen der Arm- und Beinmuskulatur. Im Endstadium kam es zu schwarz werdenden Gliedmaßen mit brennenden Schmerzen, ja bis zum Abfall einzelner Gliedmaßen. Gerade im 12. und 13. Jahrhundert zählte das „Antoniusfeuer“ - wie der Mutterkornbrand allgemein bezeichnet wurde - zu den häufigsten schweren Volkskrankheiten. Der Kellermeister Auch der Weinbau und -verkauf war für das Spital von entscheidender Bedeu‐ tung. Dementsprechend wird auch das Amt des „Kellermeisters“ oder „Weinkel‐ lers“, wie er auch genannt wird, schon sehr früh in den Quellen erwähnt. Seine Hauptaufgabe bestand in der Lagerung und Pflege des spitälischen Weines in den vier großen Kellern des Hospitals. Außerdem oblag ihm die Verteilung des Weines an die Amtleute und Handwerker genauso wie an das Ge‐ sinde und Personal. Dabei handelte es sich oft um erhebliche Mengen, denn der Wein galt Jahrhunderte hindurch als gängiges Zahlungsmittel und wurde gerne akzeptiert - besonders, wenn er aus guten Erntejahren stammte. Verkaufen durfte der Kellermeister den Wein allerdings nicht selbst. Um Missbrauch zu verhindern, durften die Weinkeller nur in seiner Gegenwart betreten werden. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 63 <?page no="64"?> Abb. 29: Der Wirt. Federzeichnung aus dem Konstanzer Schachzabelbuch von 1479. Das Original befindet sich heute in der Nationalbibliothek Wien. Schlüssel und Kanne kennzeichnen den Wirt. Einen eigenen Küfermeister gab es erst im 15. Jahrhundert, so dass der Kel‐ lermeister auch Kenntnisse im Weinbau besitzen musste. Die Bewohner des Hospitals erhielten ihren Wein vom Weinschenken und seiner Frau, die auch das Recht hatten, ihn an Fremde zu verkaufen. Der Küchenmeister, der Keller Zuständig für den täglichen Bedarf an Nahrungsmitteln für die Bewohner waren der „Küchenmeister“ und der „Keller“. Der Küchenmeister betreute die Küche, beaufsichtigte den Koch und seine Gehilfen und teilte das Essen an die Armen und Pfründner aus. Der Keller hatte für ausreichende Vorräte zu sorgen. Mit der Zeit erlangte der Keller oder „Küchenkeller“ eine gewisse Vorrangstellung, die der Einkauf der Lebensmittel und die Vorratsplanung mit sich brachten. Obwohl das Spital eine umfangreiche Naturalienwirtschaft betrieb, die sich aus vielen Quellen zusammensetzte, mussten zu allen Zeiten erhebliche zusätz‐ liche Einkäufe getätigt werden, um eine ausreichende und vielseitige Ernährung sicherzustellen. Ab Ende des 15. Jahrhunderts kam noch das Amt des Brotmeis‐ ters hinzu. Seine Pflicht war die Verteilung des Brotes an die Spitalbewohner. 64 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="65"?> Abb. 30: Anordnung über die tägliche Weinabgabe für Spitalbedienstete und Pfründner (1676). Die Bewohner: Kranke, Waisen und Pfründner Dem Stiftungszweck entsprechend nahm das Spital zunächst nur Arme und Kranke auf. Doch schon bald setzten die ersten Verpfründungen von Stadtbür‐ gern ein, die dann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Raum beanspruchten. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 65 <?page no="66"?> Die „Pfründe“ bezeichnet ursprünglich eine Schenkung. „Pfründner“ waren Per‐ sonen, die sich in den Spitälern durch ein Vermächtnis eine dauernde Unterkunft und Pflege gesichert hatten. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts wurden auch Waisen aufgenommen und für ihren Unterhalt und ihre Ausbildung gesorgt. Die Kranken Sie wurden in beiden Stockwerken untergebracht. Die sogenannten „Siechen‐ stuben“ waren zunächst den bettlägerigen Armen und Pfründnern vorbehalten. Da aber in der Frühzeit grundsätzlich alle Siechen ungeachtet der Schwere ihrer Krankheiten und Gebrechen aufgenommen werden konnten, wurden in den Siechenstuben bald vor allem die schweren Fälle, wie Gelähmte und sogar Geisteskranke, untergebracht. Das Spital besaß auch noch eine „Blatternstube“, in der die Pockenkranken und später vor allem Syphilitiker im fortgeschrittenem Stadium Pflege erhielten. Betreut wurden die Kranken hauptsächlich durch „Siechenmägde“. Unter ihnen befanden sich oft Frauen aus Laienschwesternschaften, die sich aus tiefer Religiosität im Dienst an ihren kranken Mitmenschen aufopferten. Denn die Gefahr der Ansteckung - gerade in schweren Seuchenzeiten - war hoch. Sie wurden unterstützt von freiwilligen Helferinnen aus der Bürgerschaft. Die bekannteste unter ihnen war Margarethe, die Schwester des Reformators Ambrosius Blarer, die während der Pest von 1541 die Erkrankten hingebungsvoll pflegte und noch im gleichen Jahr an der Seuche verstarb. Eigene Ärzte besaß das Spital erst sehr spät, so dass vorher bei schweren Fällen oder Seuchengefahr die städtischen herbeigeholt werden mussten. Erst 1791 wurde das Amt des Spitalarztes zu einer ständigen Einrichtung. Wie schon bei den Armen schränkte das zunehmende Pfründnerwesen auch den Platz für die Kranken immer mehr ein. Um dem entgegenzuwirken schuf der Rat 1448 das Amt des „Siechenamtmanns“, der die Interessen der Kranken zur Geltung bringen sollte. Dennoch wurde aber der Kreis der Aufnahmeberech‐ tigten weiter eingeschränkt. So mussten seit dem Ende des 15. Jahrhunderts Kranke unmittelbar nach ihrer Genesung das Spital verlassen oder konnten zu Dienstleistungen herangezogen werden. Die gewöhnlichen Pfründleistungen erhielten gar nur noch die Bettlägerigen. Eintrag aus dem Ratsprotokoll vom 26. Mai 1548 mit den wichtigsten Anklagepunkten gegen Margreth Scholl Häxerey die sy ge[t]han hatt vnd syen kü Im Spittal g[e]lemt] Ouch das Krancki Magdaleni im spittal Vbel geschadigt Nebent anderm vnrat auch federn durch Hilf deß tufels In lib g[e]bracht 66 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="67"?> [Übertragung ins Neuhochdeutsche] Hexerei, die sie gesehen hat und es seien Kühe im Spital gelähmt. Auch die kranke Magdalena sei im Spital übel geschädigt worden neben anderem Unrat seien auch Federn durch die Hilfe des Teufels in ihren Leib gebracht worden. Obwohl Konstanz kein Zentrum des Hexenwahns war, kam es dennoch zu einer Reihe von Hinrichtungen. Einen ersten Höhepunkt erreichten die Verfolgungen im 16.-Jahrhundert, vor allem in den Jahren 1546 und 1577-84. Bei der ersten Anklagewelle, bei der insgesamt neun Frauen vor Gericht gestellt und zwei davon zum Feuertod verurteilt wurden, bildete das Spital den Ausgangs- und Kristallisationspunkt. Das dichte Zusammenleben und der alle Lebensbereiche durchdringende Volksaberglaube bildeten einen idealen Nährboden für Verdächtigungen von Zauberei und Hexerei. Abb. 31: Hexenverbrennung. Zeichnung aus dem Konstanzer Strafbuch von 1577. Auslöser der allgemeinen Hysterie war ein junges Mädchen von 16 oder 17 Jahren, das unter sonderbaren Krankheitssymptomen litt und deshalb in die Obhut des Spitals gegeben wurde. Das Mädchen Madlena, wie es in den Quellen genannt wird, zeigte langanhaltende wehenähnliche Symptome, die schließlich … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 67 <?page no="68"?> zu den fantastischsten Erklärungen führten. Nach dem Volksglauben jener Zeit waren werdende Mütter ganz besonders durch böse Mächte gefährdet, und so dauerte es nicht lange, bis man Zeuginnen aus dem Spital fand, die behaupteten, der Teufel selbst habe in den Leib des Mädchens „ein übles Nest gebracht“, aus dem alle möglichen Dinge, wie „stain“ und „federn“ herauskämen. Eine weitere Zeugin verstieg sich gar zu der Aussage, aus der jungen Frau seien zwei Würmer hervorgekrochen, so groß wie „blindenschlichen“. Viele Zeugen vermuteten daraufhin, Madlena sei mit einem Schadenzauber belegt worden. Die vermeintliche Hexe, die das dem Mädchen angetan haben musste, war schnell in Margreth Scholl gefunden. Sie lebte schon seit einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann im Spital als Pfründnerin. Dass sie zeitweise das kranke Mädchen gepflegt hatte, wurde ihr nun zum Verhängnis. Sie wurde daraufhin mehrfach verhört und gestand schließlich, an Madlenas Krankheit schuld zu sein. Am Gerichtstag vom 26. Mai 1546 wurde sie zum Tode verurteilt und daraufhin auf dem Brühl verbrannt. Die Armen Für ihren Eintritt ins Spital wurde kein Vertrag benötigt, da sie ja im äußersten Fall nur wenige Habseligkeiten besaßen. Deshalb ist auch die Überlieferung in den Quellen recht gering. Wer als Armer aufgenommen wurde, entschieden in der Regel die Pfleger, in seltenen Einzelfällen behielt sich der Rat die Entscheidung vor. Die Armen wohnten ausschließlich im unteren Stockwerk und wurden hauptsächlich durch Frauen betreut, die unter der Führung einer „Meisterin“ standen. Bald schon nahm jedoch die Armenpflege nur noch einen geringen Teil der Spitalaufgaben ein, und die Armen verloren immer mehr Platz an die Pfründner, die dem Spital ständig wachsenden Grundbesitz und Vermögens‐ werte einbrachten. Damit einhergehend wurden immer strengere Aufnahme‐ bestimmungen erlassen, so dass Ende des 16. Jahrhunderts nur noch städtische Arme aufgenommen wurden, die ohne ihr eigenes Verschulden in Not geraten waren. Mit dieser Regelung konnte dann prinzipiell fast jedem Armen der Eintritt verwehrt werden. Die Waisen und Kinder Zu den vornehmsten Aufgaben des Spitals gehörten auch die Aufnahme, Versorgung und Erziehung von Waisen oder in Not geratenen Kindern. Sie wohnten gewöhnlich bei den Armen und waren ihnen rechtlich gleichgestellt. 68 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="69"?> Die Waisen blieben aber nur so lange im Spital, bis sie sich an eine Herrschaft verdingen oder einen Beruf ergreifen konnten. Während dieser Zeit durfte das Spital den gesamten eingebrachten Besitz des Kindes benutzen, allerdings nur zum Wohle des Kindes. Man versuchte den Kindern das Elternhaus weitgehend zu ersetzen und ließ sie deshalb von einer Art „Pflegeeltern“ betreuen. Für die Knaben war daher ein „Zuchtmeister“ zuständig, während die Mädchen von einer „Kindsmutter“ umsorgt wurden. Auf die Erziehung und Ausbildung wurde dabei besonderen Wert gelegt. Je nach Befähigung wurden die Jungen auf die deutsche oder Lateinschule ge‐ schickt. Besonders Begabte durften sogar ein Studium absolvieren. Die meisten jedoch erlernten ein Handwerk, wozu sich in dem ausgedehnten Wirtschafts‐ betrieb des Spitals gute Voraussetzungen boten. Minderbegabte wurden zu einfachen Arbeiten eingeteilt oder bekamen Stellungen als Dienstboten. Die Ausbildung der Mädchen war bescheidener. Neben Lesen und Schreiben wurden sie in allen damals üblichen Frauenarbeiten, vor allem aber im Spinnen, Nähen und Weben unterrichtet. Damit konnten sie sich, falls sie nicht später heirateten, immerhin mit Heimarbeit einen bescheidenen Lebensunterhalt si‐ chern. Als Startkapital erhielten die jungen Leute bei guter Führung einen Teil des Geldes, das sich während ihres Aufenthaltes in Form der wöchentlichen Almosen angesammelt hatte. Über ihren zahlenmäßigen Anteil liegen in den ersten Jahrhunderten kaum Informationen vor. Zumindest seit dem 16. Jahrhun‐ dert muss ihre Anzahl aber recht erheblich gewesen sein, denn seit dieser Zeit trugen die Zinsbücher des Siechenamtmanns den Titel „Rechnung der armen Kind“. Wenig später sah sich der Rat dann sogar aus Platzgründen gezwungen, nur noch Waisen zuzulassen und die Aufnahme von verwahrlosten Kindern erheblich einzuschränken. Die Pfründner Da von Beginn an die Stadtbürger das Spital reichlich mit Stiftungen und Schenkungen (vor allem Grundstücke und Häuser) bedachten, konnten sie auch immer stärkeren Einfluss auf den Personenkreis nehmen, den das Spital aufnehmen sollte. Es kam deshalb schon im 13. Jahrhundert zur Aufnahme von Pfründnern. Durch die Verpfründung konnten sich nun Bürger einen Platz im Spital sichern, sei es, um bei Krankheit gute Pflege zu erhalten, oder sei es, um auf Lebzeiten versorgt zu sein. Je nach Vermögenslage des Pfründkäufers wurde mit dem Spital ein Vertrag abgeschlossen. Reiche Pfründner bekamen bessere … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 69 <?page no="70"?> und ausgedehntere Leistungen des Spitals. Der gewöhnliche Pfründner erhielt dagegen auf Lebzeit außer der spitalüblichen Verpflegung „Dach“ und „gmach“ (Unterkunft) und „tuch“ und „Schuch“ (Bekleidung). Bares Geld als Kaufpreis für die Pfründe war erst in neuerer Zeit üblich. Vorher überließ man dem Spital dafür Äcker, Wiesen, Wälder und Weinberge. Auch Zinsen und Renten wurden vom Spital gerne angenommen. In Einzelfällen konnte der Stadtrat eine Pfründe auch unentgeltlich gewähren. Die Pfründner blieben grundsätzlich Eigentümer des in das Spital einge‐ brachten Vermögens. Es musste allerdings im Interesse des Spitals verwendet werden und fiel nach dem Tode des Pfründners an dieses. Schon im 14. Jahrhundert konnten sich auch Verheiratete einkaufen. Da sie aber als Pfründner ursprünglich einer Laienbruderschaft angehörten, mussten sie enthaltsam leben. Falls ihnen Kinder geboren wurden, hatten sie deshalb das Spital zu verlassen. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts bildeten sich verschiedene Gruppen von Pfründnern. Man unterschied zwischen „freien“ oder „Herren‐ pfründnern“ und „gehorsamen“ Pfründnern. Die „Freien“ durften zu keinerlei Spitaldiensten eingesetzt werden, während die „Gehorsamen“ zu mannigfal‐ tigen Diensten herangezogen werden konnten und damit eine wichtige Perso‐ nalreserve bildeten. Zu den schon frühzeitig bevorzugten Pfründnern gehörten die Wächter und Söldner der Stadt. Zeitweise durften bis zu vier Wächter dort wohnen und essen, während die Söldner meistens nur die Mahlzeiten bekamen. In späterer Zeit wurden auch alte und kranke Dienstboten von ihrer Herrschaft im Spital verpfründet. Bericht in der Speth’schen Chronik Bei der Verteidigung der Stadt Konstanz 1548 gegen die spanischen Truppen Kaiser Karls V. nach Verhängung der Reichsacht tat sich besonders ein Pfründner des Spitals hervor. Johann Friedrich Speth berichtet in seiner Chronik, dass ein „Blimp Blamp“ genannter Spital-Pfründner beim Nahkampf auf der Rheinbrücke das Stadttor habe schließen können und damit das Vordringen der spanischen Truppen in die Stadt verhindert habe. Die Konstanzer hätten ihn deswegen mit Samson bei seinem Kampfe gegen die Philister verglichen. 70 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="71"?> Abb. 32: Der Kampf der Konstanzer gegen die vorrückenden spanischen Truppen Karls V. auf der Rheinbrücke 1548. Gezeichnet von dem bekannten Konstanzer Maler und Zeichenlehrer Gebhard Gagg (1838-1921). Das Spital im Augustinerkloster Grundlage des spitälischen Neubeginns im Augustinerkloster war der soge‐ nannte „ewige Vitalitiumsvertrag“ oder „Pfrundkontrakt“ vom 20. Mai 1802. Darin übernahm das Spital die standesgemäße Unterbringung und Verpflegung der verbliebenen Ordensgeistlichen bzw. der diesen nachfolgenden Weltpriester. Die Geistlichen erhielten den mittleren Klosterstock im Nordtrakt zur Garten‐ seite als Wohnung zugewiesen, wofür einige Umbaumaßnahmen notwendig waren. Weiter hatte das Spital eine Stipendiatenstiftung zu unterhalten und trat in die Baupflicht für das Kirchengebäude ein. Dagegen erhielt das Spital die Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Klosters, das zum Kloster gehörige Gut Spetzgart bei Überlingen sowie weiteren Grundbesitz und Zinseinkünfte in der Schweiz zum Eigentum. Der Vertrag schien günstig zu sein. Die eingegangene Baupflicht sollte sich später aber als enorme Belastung herausstellen. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 71 <?page no="72"?> Abb. 33: Das Augustinerkloster im 18.-Jahrhundert. Zur Abrundung der neuen Spitalanlage erwarb die Verwaltung von der Stadt ihr altes Zeughaus samt Nebengebäuden, die sich südlich an das vormalige Augustinerkloster anschlossen. In dem Tausch- und Kaufvertrag vom 30. Januar 1810 trat das Spital seine alten Gebäude an der Marktstätte gegen diese Gebäude ab und hatte einen zusätzlichen Aufpreis von 2.000 Gulden zu entrichten. Der gesamte Gebäudekomplex sollte nun für die kommenden 60 Jahre als Kranken-, Pfründ-, Waisen- und Armenanstalt sowie als Amtsgebäude dienen. Über die genaue Belegung und Nutzung des neuen Spitals ist mangels exakter Baupläne und Beschreibungen nur ein ungefähres Bild möglich. Es handelte sich um eine vierflügelige Anlage, die sich um einen Brunnenhof gruppierte und an die sich im Westen die Kirche anschloss. Im Südflügel befand sich die „Kranken-Anstalt“ und im Nord- und Westflügel die „Versorgungs-, Waisen- und Pfründanstalt“. Die übrigen Gebäude, insbesondere auch die von der Stadt gekauften Gebäude südlich der ehemaligen Klosteranlage, dienten wirtschaftli‐ chen Zwecken und der Spitalverwaltung selbst. Ein Problem stellten psychisch kranke Patienten dar, für die es ja schon im alten Spital einige Kammern gegeben hatte. Da für diese zunächst keine eigene Abteilung geschaffen werden konnte, mussten die meisten von ihnen in die sogenannte Irrenanstalt lllenau 72 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="73"?> überwiesen werden. In den 1840er Jahren wurde dann der Ostflügel für eine gesonderte „Irrenanstalt“ hergerichtet, was durch den Auszug der Waisen- und Dienstbotenanstalt, Letztere ein Vorläufer des heutigen Marienhauses, möglich wurde. Eine Vorstellung von der Belegung des Spitals gibt ein erhaltener Erhe‐ bungsbogen der Volkszählung vom 3. Dezember 1864. Danach gehörten zum Baubestand das Hauptgebäude mit 62 Wohnräumen und zwei Küchen ein Nebenwohngebäude mit zwei Wohnräumen, eine Scheuer, ein Stall, ein Gebäude für gewerbliche Zwecke und drei Gebäude als Remisen und Speicher. Darin befanden sich zum Zeitpunkt der Zählung sechs Barmherzige Schwestern für die Kranken, sonstiges Personal mit neun Personen, 35 Pfründner, 59 Spitälinge - also Arme - und sieben Kranke, die keinen eigenen Hausstand mehr besaßen. Damit waren insgesamt 116 Personen gezählt, die stationären Kranken nicht mit eingerechnet. Im Waisenhaus an der St. Paulsgasse N o 557 (heute Kaufhaus Karstadt) befanden sich zu diesem Zeitpunkt 11 männliche und 16 weibliche Waisen. Bei Durchsicht der vorhandenen Schriftquellen wird deutlich, dass die Ver‐ hältnisse des Spitals, vor allem unter medizinischen Gesichtspunkten, stets unbefriedigend waren. Offenbar war es gar nicht möglich, den häufig mit Grundwasserproblemen kämpfenden Gebäudekomplex so umzubauen, wie es den Vorstellungen einer sich deutlich verbessernden Medizin- und Kranken‐ pflege entsprach. Es waren jedoch noch andere Ursachen, die letztlich zu einem völligen Neuanfang der spitälischen Einrichtungen führen sollten. Das Gelände östlich der Spitalgebäude, das sogenannte Raueneck, war seit den 1840er Jahren fortschreitend aufgefüllt worden mit dem erklärten Ziel, dort einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen. Als dann 1863 das neue Bahnhofsgebäude errichtet wurde, war aus dem ehemaligen sumpfigen und eher unattraktiven Stadtrand‐ gebiet ein interessantes Baugebiet in bester Lage entstanden. Die Gebäude des Spitals standen dabei einer zweckmäßigen Parzellierung und Bebauung im Wege. Ein weiteres starkes Motiv für die Veränderung der bestehenden Verhältnisse waren die bereits erwähnten Bemühungen des Oberbürgermeisters Max Stromeyer, die Verfügung über die Spitalstiftung wieder vollständig in städtische Hände zu bekommen. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 73 <?page no="74"?> Abb. 34: Planskizze des Bahnhofsquartiers, Ende des 19.-Jahrhunderts. Bereits 1867 begannen die Planungen zum Bau eines neuen Krankenhauses im rechtsrheinischen Petershausen. Ein renommierter auswärtiger Architekt wurde mit dem Entwurf beauftragt. Bezugsfertig wurde das Gebäude 1872. Es war damit der erste öffentliche Neubau im rechtsrheinischen Stadtgebiet überhaupt. 1871 wurde das sogenannte „Gütle“ im Paradies (heute Kinderhaus im Paradies) von einem Privatmann gekauft und zu einem Armenhaus umgebaut, in dem aber auch die Pfründner ihre Unterkunft fanden. Die Spitalverwaltung selbst wurde in die Häuser Hussenstraße 23 und 39 verlegt. Damit waren die Spitalgebäude geräumt, um während des deutsch-französischen Krieges 1870/ 71 auch noch einem Bataillon des 6. lnfanterieregiments der Garnison Sigmaringen als Unterkunft zu dienen. 1874 dann wurden die Gebäude von der Konstanzer Aktienbaugesellschaft auf Abbruch erworben und das Areal im Anschluss überbaut. Heute, am Kreuzungspunkt von Bahnhof- und Sigismundstraße, erinnert außer der Dreifaltigkeitskirche und einem Ökonomiegebäude an der Raueneckgasse nichts mehr an die Stätte, an der einst Mönche und dann Kranke, Arme und Alte ihre Heimstatt hatten. 74 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="75"?> Abb. 35: Dreifaltigkeitskirche, Innenaufnahme aus den 1920er Jahren. Abb. 36: Dreifaltigkeitskirche um 1910. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 75 <?page no="76"?> Zur Geschichte der Spitalpfarrei In der ersten urkundlichen Erwähnung des Spitals, nämlich in der Bestätigungs‐ urkunde Bischof Konrads II. aus dem Jahr 1225, ist auch die spitaleigene Pfarrei erwähnt. Konrad gewährte der Kapelle des Spitals die Unabhängigkeit von anderen Personen oder Institutionen und damit den Spitalbewohnern das Recht, „den Gottesdienst zu gestalten wie es in anderen Kapellen der Stadt üblich ist“. Begründet wurde also eine sogenannte Personalpfarrei, zu der nur die Personen gehörten, die mit dem Spital verbunden waren. Darin glich diese der Dompfarrei, zu der nur Personen zählten, die mit dem Bischof und Domkapitel in rechtlichem Zusammenhang standen. Die Pastoration im Spital übten ursprünglich zwei Leutpriester unter dem Patronat des Rats der Stadt aus. Sie waren Inhaber der vorhandenen zwei Altarpfründe und wurden - ähnlich wie die Oberpfründner - gut versorgt, vor allem was Essen und Trinken anbelangte. Dafür hatten die Geistlichen täglich eine Messe zu lesen, an Sonn- und Feiertagen zu predigen, den Kranken und Ster‐ benden mit den Tröstungen des Sakraments beizustehen und die Spitalkinder in der christlichen Lehre zu unterrichten. Später, zu einem nicht überlieferten Zeitpunkt, wurde diese Aufgabe einem Mitglied des Franziskanerkonvents übertragen, der ja traditionsgemäß für die Armen und Krankenpflege zuständig war. Eine erhaltene Kirchenordnung aus dem 18. Jahrhundert erwähnt eine entsprechende Vereinbarung aus dem Jahr 1604. Die Regelung selbst dürfte aber wesentlich älter sein, sicher hatte sie schon seit der Rückkehr des Spitals an seinen angestammten Platz an der Marktstätte bestanden. Ab 1687 kam es allerdings zunehmend zu Reibereien mit der Pfarrei von St. Stephan, in deren Pfarrsprengel das Spital eigentlich lag. Bei dem Kompetenzstreit ging es unausgesprochen auch um Zuwendungen oder Stiftungen, die zumindest von den besser gestellten Oberpfründnern zu erwarten waren. Die verschiedenen Jurisdiktions-(= Rechts)eingriffe einiger Pfarrer der Stephanskirche konnten aber erfolgreich abgewehrt werden, so dass die Verhältnisse bis zum Jahr 1810 unverändert fortbestanden. Mit dem Umzug des Spitals in das Augustinerkloster war das Ende der spitä‐ lischen Personalpfarrei und die Schaffung einer Gebietspfarrei, eben der neuen Spitalpfarrei, verbunden. Die offizielle Dotation durch den Großherzog erfolgte am 21. Februar 1814. Dieses Geschehen war Teil einer völligen Neuorganisation der Konstanzer Pfarreien, die auf drei reduziert wurden. Die Spitalpfarrei wurde aus den ehemaligen Pfarreien St. Paul und St. Jodok ( Jost) gebildet und die ehemalige Augustinerklosterkirche zu ihrer Pfarrkirche bestimmt. Die Spital‐ pflege erhielt die dadurch überflüssig gewordenen Pfarr- und Messmerhäuser, die schon bald darauf verkauft wurden. Im Gegenzug musste die Besoldung 76 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="77"?> des Pfarrers und Kooperators einschließlich der Leistung der gottesdienstlichen Bedürfnisse sowie die Unterhaltung eines Pfarrhauses übernommen werden. Zu diesem Zweck wurde das sogenannte „von Loob’sche“ Haus (heute Rosgarten‐ straße 16) gekauft und hergerichtet. Mit der Klosterkirche wurde zusätzlich der noch existierende Klosterschatz samt allen Paramenten übernommen. Dadurch konnten die restliche Ausstattung und das Kirchensilber der alten Spitalkirche an der Marktstätte veräußert werden. Bei der nunmehr neuen Spitalkirche handelte es sich um einen äußerlich schmucklosen Bau, den die Augustiner-Eremiten nach ihrer Gründung 1268 errichtet hatten. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts war die dreischiffige Basilika spätgotisch umgebaut worden und erhielt kurz nach dem Konstanzer Konzil (1414-1418) einen bedeutenden Freskenzyklus, der zum Zeitpunkt der Über‐ nahme durch das Spital allerdings von einer Tüncheschicht überdeckt war. In der Epoche des Barock wurde die Kirche ganz nach dem Zeitgeschmack mit Stuck und Deckenfresken bereichert. Die Kirche diente nun ab 1810 sowohl den Spitalbewohnern als auch allen Katholiken, die in diesem Pfarrsprengel wohnten, als Gotteshaus. Mit dem 1872 vollzogenen Auszug des Spitals und dem Abbruch der alten Klostergebäude änderten sich die Verhältnisse. So war die Bezeichnung Spitalpfarrei nun hinfällig geworden, da die Spitalinsassen z.T. zur Stephanspfarrei und - soweit rechtsrheinisch untergebracht - zur Münsterpfarrei gehörten. Im Übrigen war im neuen Krankenhaus in Petershausen eine eigene Kapelle eingerichtet worden. Inzwischen hatte sich in Konstanz, wie in anderen Städten auch, als Folge der Beschlüsse des ersten Vatikanischen Kirchenkonzils eine altkatholische Glaubensgemeinschaft gebildet, die nach einem lnnenministeriumsbeschluss vom 6. November 1874 anerkannt und in die ehemalige Spitalpfarreipfründe eingewiesen worden war. Diese Ereignisse lösten beträchtliche innerkirchliche Turbulenzen aus, die in dem grundlegenden Kampf zwischen Staat und Kirche (Kulturkampf) ihren ideologischen Hintergrund hatten. Die Kirche selbst erhielt mit der Bezeichnung Augustinerkirche ihren alten Namen zurück. Im Januar 1904 wurde die Kirche wiederum dem römisch-katholischen Kultus zugeführt und den Altkatholiken die ehemalige Jesuiten- und spätere Gymnasiumskirche zur Nutzung übergeben. Das war der Beginn der Dreifaltigkeitspfarrei, die der Kirche den noch heute gebräuchlichen Namen Dreifaltigkeitskirche verdankt. Durch die ganzen Entwicklungen änderte sich allerdings nichts an der Baupflicht des Spitals für das Kirchengebäude selbst. Die Aufwendungen dafür überstiegen schon bald den Wert der einstmals dafür erhaltenen Immobilien, Fahrnisse und sonstigen Einkünfte. Bereits 1840 war die Altarausstattung … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 77 <?page no="78"?> erneuert und nach dem Abbruch der Klostergebäude umfangreiche Umbauten an der Kirche vorgenommen worden. Reparaturen und Erneuerungen, u. a. an der Orgel, folgten. Auch die Pfarrgemeinde steuerte Erhebliches bei. So kaufte der Stadtpfarrer Conrad Gröber 1907 z. B. kostbare Barockaltäre aus einer Kirche in Zug und ließ bei einer gleichzeitigen Restaurierung den berühmten Freskenzyklus aus der Konzilszeit freilegen. Die letzte groß angelegte Sanierung der Kirche erfolgte 1967. Als in den 1970er Jahren aufgrund des schlechten Baugrundes und missli‐ cher Baueingriffe sich immer größere statische Probleme ergaben und die Kirche einzustürzen drohte, war klar, dass ihre Rettung alle Möglichkeiten der spitälischen Kassen übersteigen würde. Nach langen Vorverhandlungen gab die Spitalstiftung gegen eine einmalige Abfindung von 7,5 Millionen Mark die zur Last gewordene Immobilie an die Kirchengemeinde zurück. In der Folge erlebte das bedeutende Kulturdenkmal eine grundlegende Sanierung und Restaurierung, durch die ein hochkarätiges Kunstwerk auch künftigen Generationen erhalten werden konnte. Gestern und heute - Die Entwicklung der Stiftungsbereiche Von der Krankenstube zum Klinikum Die Kranken des Spitals waren ursprünglich in unmittelbarer Nähe der Spital‐ kirche untergebracht, so dass sie durch Luft- und Schallöffnungen wenigstens indirekt am Gottesdienst teilhaben konnten. Dies schien in Zeiten, da man eher den heilenden Kräften von Reliquien und liturgischen Handlungen als der medizinischen Kunst vertraute, durchaus angebracht. Natürlich lagen die Kranken nicht alle in einem Raum. Die Pfründner konnten eine etwas bessere „Klasse“ im oberen Stockwerk beanspruchen, während sich die anderen Spitalin‐ sassen mit einer bescheideneren Stube im Erdgeschoss zufriedengeben mussten. Für Personen mit gefährlichen ansteckenden Krankheiten, wie Pocken oder Syphilis, gab es eine eigene sogenannte Blatternstube. Leprakranke wurden gänzlich ausgesondert: Sie mussten im Leprosenhaus wohnen, weit draußen vor der Stadt. Die Kranken- oder Siechenstuben haben sich zunächst im alten Stift, also in dem westlich von der Kirche gelegenen Bautrakt, befunden. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden die Krankenstuben in einem Gebäude einge‐ richtet, das im rechten Winkel an die Ostseite der Kirche anstieß. Eine ärztliche Betreuung gab es, nach heutigen Maßstäben, in nur sehr eingeschränktem Maße. Es waren in erster Linie Bader, Barbiere und Wundärzte, die mit Schröpf‐ köpfen und Aderlässen zur Hand waren. Die einzige Behandlungsmethode, von 78 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="79"?> der wir explizit wissen, waren sogenannte Badekuren, die Pfründnern auf ihr Ansuchen hin gewährt oder auch abgeschlagen wurden. Das waren allerdings keine Kuraufenthalte im heutigen Sinn, sondern Wechselbäder, die man in einem der Konstanzer Badehäuser nehmen konnte, da es im Spital selbst ja keinerlei Badeeinrichtungen gab. Im 18. Jahrhunderts besserten sich die Verhältnisse. Die Stadtärzte - auch Stadtphysici genannt - kamen nun zu unregelmäßigen Visiten, bei denen sie vor allem die allgemeinen Zustände in der Krankenstube begutachteten. Auf ihr Drängen hin wurde 1751 eine neue Krankenstube im nordöstlichen Gebäu‐ detrakt eingerichtet, 1777 und 1781 kamen dort noch weitere Krankenzimmer hinzu. Rund 30 Krankenbetten standen nun - für männliche und weibliche Patienten auf zwei Stockwerken getrennt - zur Verfügung. Außerdem befand sich auf jeder Etage ein „Locus“, für damalige Verhältnisse ein bemerkenswerter Luxus. Wie sich einem erhaltenen Plan entnehmen lässt, gab es für die Kran‐ kenstuben auch „Altare portabile“, also tragbare Altäre, um eine geistliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Die Einstellung eines Spitalchirurgen ist erstmals für das Jahr 1776 nachge‐ wiesen. Die Besoldung war allerdings gering, was auf den Diensteifer dämpfend gewirkt haben muss, häufige Beschwerden lassen jedenfalls darauf schließen. 1791 wird mit Dr. Marquard Leiner erstmals von der Existenz eines ordentlichen Spitalarztes aufgeführt. Unter seinen Nachfolgern Dr. Braunegger und Dr. Karg, beides tüchtige Mediziner, wurde die Einrichtung des Krankenhauses im Augustinerkloster organisiert. Aus den wenigen Planunterlagen ergibt sich, dass das Krankenhaus im Südflügel der Anlage eingerichtet war. Es besaß 13 Krankenzimmer, in denen rund 60 Patienten aufgenommen werden konnten - das waren etwa doppelt so viele als zuvor in den Räumlichkeiten an der Markt‐ stätte. Allerdings diente das Krankenhaus nun nicht mehr nur den kranken „Spitälingen“ zur Aufnahme, sondern auch „denjenigen dürftigen Bürgern, welchen in ihrer Privatwohnung die nötige ärztliche Behandlung, Verpflegung und Abwart in entsprechender Weise nicht geleistet werden kann“. Die Kran‐ kenhauskapazität hatte sich nun also nach einem wesentlich vergrößerten Patientenkreis auszurichten. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 79 <?page no="80"?> Abb. 37: Medizinische Instrumente, Anfang des 19.-Jahrhunderts. Die medizinische Versorgung der Kranken besorgte ein Spitalarzt, der unter Aufsicht des großherzoglichen Amtsarztes stand. Die Pflege übten die Barm‐ herzigen Schwestern aus, die nach einem Vertrag von 1858 den ganzen inneren Dienst des Spitals versahen. Um weitere Räumlichkeiten für die Kranken zu gewinnen, hatte man bereits 1848 die Waisenanstalt in das dafür erworbene Haus „zum weißen Pfau“ (heute Galeria Karstadt) verlegt. Etwa zur gleichen Zeit wurde das sogenannte „Irrenhaus“ im Ostflügel der Anlage untergebracht. Nach einem erhaltenen Plan von 1853 gab es zwei Zellen für tobende und vier Zellen für ruhige Patienten. Trotz all dieser Maßnahmen scheinen die Verhältnisse aber stets unbefriedigend geblieben zu sein. Raummangel war nur ein Aspekt. Die Unmöglichkeit, die Krankenversorgung vom übrigen Spitalbetrieb zu trennen, sowie das Fehlen von Licht und Luft in Form eines Krankengartens ließen den Gedanken an den Bau eines neuen Krankenhauses immer dringlicher er‐ scheinen. Die durch das badische Stiftungsgesetz von 1870 eingetretenen neuen Rechtsverhältnisse der Spitalstiftung, die der Stadt deren völlige Selbstverwal‐ tung zurückgaben, beschleunigten den Krankenhausneubau nachdrücklich. Oberbürgermeister Max Stromeyer, der zu jener Zeit noch andere ehrgeizige Projekte - wie z. B. die Seestraßenanlage - anpackte, konnte den bekannten Heidelberger Architekten Bluntschli für den Neubau in Petershausen gewinnen. Dieser lieferte die Pläne für ein dreistöckiges Gebäude mit Nebenanlagen, das an die 100 Patienten aufnehmen konnte. Nach der Einweihung des Gebäudes im Jahr 1872 konnten sich die Konstanzer über ein - nach damaligen Vorstellungen - überaus modernes Krankenhaus freuen. Niemand ahnte damals, dass die Anlage nach kaum 20 Jahren als zu klein und veraltet gelten würde. Ursache dafür war das rasche Anwachsen der Konstanzer Bevölkerung und die rasante Entwicklung in der Medizin mit all ihren Möglichkeiten. Es sollte sich als Glück für die Stadt erweisen, mit dem aus Frauenfeld gebürtigen Dr. Otto 80 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="81"?> Kappeler im Jahr 1896 einen überaus fähigen Mediziner an Konstanz binden zu können. Kappeler, der erste hauptamtliche Oberarzt überhaupt, machte es sich zur Hauptaufgabe, einen Krankenhausneubau zu realisieren. Abb. 38: Krankenhaus-Ordnung von 1896. Er stellte an dem gerade erst 30 Jahre alten Gebäudekomplex so gravierende Mängel fest, dass der Stiftungsrat noch im selben Jahr den Grundsatzbeschluss für ein neues Krankenhaus fasste. Das Gebäude sollte eine Kapazität von 120 Betten aufweisen, neu war die Ausstattung mit elektrischer Beleuchtung und einer Warmwasserheizung. Nach zweijähriger Bauzeit konnte das neue Krankenhaus am 18. Juni 1900 schließlich in Betrieb genommen werden. Mit dieser Entwicklung ergab sich auch für die seit längerem schon mit Platznot konfrontierte „Pfründ- und Pflegeanstalt“ im „Gütle“ eine neue Perspektive: Sie konnte nun von der Gottlieber Straße in die frei gewordenen Räume des … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 81 <?page no="82"?> alten Krankenhauses am Luisenplatz einziehen, wobei der Name „Gütle“ mit übernommen wurde. Der in medizinisch wissenschaftlichen Kreisen hoch geschätzte Dr. Kappeler starb 1909. 1911 wurde ihm zu Ehren ein Denkmal gesetzt. Abb. 39: Das Denkmal des Dr. Otto Kappeler im Stadtgarten, 1. Hälfte des 20.-Jahrhunderts. Auch wenn der Krankenhausneubau nun eine gute Grundlage für eine zeitge‐ mäße medizinische Versorgung der Bevölkerung bot, ließ zunächst der Erste Weltkrieg mit seinen vielen Verletzten und Verwundeten eine Erweiterung durch den sogenannten Bauteil „West 1917“ notwendig werden. In den Jahren 1928/ 29 wurde die Kapazitätsgrenze durch Aufstockungen erweitert. 1920 über‐ nahm die Stiftung das bis dahin privat geführte „Säuglingsheim“, das ab 1932 schließlich als „Städtisches Säuglings- und Kleinkinderkrankenhaus“ geführt wurde. 82 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="83"?> Abb. 40: Der erste Konstanzer Krankenhaus-Neubau von 1872, das spätere Altersheim „Gütle“ (Aufnahme um 1875). Abb. 41: Krankenhausneubau um 1900. Abb. 42: Krankenhaus mit Erweiterungsbauten um 1920. Nach dem Zeiten Weltkrieg hat sich die Spitalstiftung auf allen Gebieten ihrer Tätigkeit zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb entwickelt, der auf die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung und den medizinischen Fortschritt mit kontinuierlichen Investitionen bedarfsgerecht reagierte. 1949 konnte zunächst die Frauenklinik eröffnet werden, deren Fertigstellung sich seit Baubeginn im … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 83 <?page no="84"?> Jahr 1939 aufgrund des Zweiten Weltkriegs verzögert hatte, und 1951/ 52 nahm das Spital ein neues Infektionsgebäude in Betrieb. Durch die weitere demografische Entwicklung stand die Struktur des Kran‐ kenhauses in den 1960er Jahren erneut zur Diskussion. Der zentrale Gebäude‐ komplex aus der Jahrhundertwende galt mittlerweile als veraltet, die nach und nach hinzugekommenen neuen Gebäude bildeten ein Netz von dezentralen Ein‐ richtungen, das wirtschaftlich und organisatorisch mit erheblichen Nachteilen behaftet war. Diese Nachteile konnten durch eine Sanierung und Erweiterung der bestehenden Gebäude nicht behoben werden, sondern nur durch einen Abbruch des bestehenden Komplexes und einen völligen Neubau. Willy Weil‐ hard, der damalige Erste Bürgermeister und Sozialdezernent, fasste die künftige Planung wie folgt zusammen: Das Ziel der gesamten Neubauplanung besteht darin, aus den bisher stark zerglie‐ derten und veralteten Krankenanstalten entsprechend der Krankenhausplanung des Landes ein Schwerpunktkrankenhaus 1. Ordnung zu schaffen. Das bedeutete: Die Erhöhung der Bettenzahl um 120 auf rund 550 sowie die organisatorische Zusammenfassung der verschiedenen Bereiche Kinderklinik, Chirurgie, Urologie, Innere Medizin, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Hals-, Nasen-, Ohren- und Augenabteilung unter einem Dach. Am 29. Juli 1966 erfolgte der erste Spatenstich für das neue Klinikum, im Jahr 1972 konnte der Neubau schließlich bezogen werden. Abb. 43: Der Stadtrat vor dem Modell des neuen Krankenhauses 1967. 84 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="85"?> Als recht schwierig gestaltete sich zunächst der Neubau der Kinderklinik. Zwischen der ersten Idee eines Neubaus im Jahr 1970 und seiner Fertigstellung vergingen knapp zwanzig Jahre. Zunächst erhoben sowohl Konstanz als auch Singen Anspruch darauf, Standort für ein neues Kreis-Kinderkrankenhaus zu werden. Die Frage wurde schließlich durch einen Kooperationsvertrag der beiden Häuser gelöst. Nachdem dann die Bettenkapazitäten von zunächst geplanten 100 Betten auf 40 reduziert und der Kostenaufwand entsprechend von rund 15-20 Millionen DM auf 6,5 Millionen DM verringert wurde, konnte der Neubau in das Krankenhausbauprogramm des Landes aufgenommen und die Klinik dann 1989 in Betrieb genommen werden. Das rigorose Verschwinden alter Bausubstanz und alten Inventars, z. B. aus der Krankenhauskapelle, mag heute bedauernswert erscheinen, doch lässt sich gerade in einer solchen Einrichtung eine ständige Weiterentwicklung im Interesse der betroffenen Menschen nicht aufhalten. Dies trifft auch für die weitere Krankenhausgeschichte bis heute zu. Von 2003 bis 2008 erfolgte eine Rundumsanierung des Patientenbereichs im Haupthaus, der Bau einer neuen Zentralküche und die Komplettsanierung der Energiezentrale. Im August 2011 eröffnete die Spitalstiftung als Träger auf dem Klinikumsareal ein Facharztzentrum mit insgesamt 14 Facharztpraxen. Durch die direkte räumliche Anbindung der fachärztlicher Einzel- und Gemeinschaftspraxen, eines Ambulanten Operationszentrums sowie des erweiterten Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) an das Hauptgebäude des Klinikums Konstanz konnte die Vernetzung zwischen ambulantem und stationärem Bereich gestärkt werden. Bereits ab 2008 begannen die Arbeiten am Funktionsneubau des Klinikums. Die mit 100 Millionen Euro bis dahin „größte Investition in der Geschichte der Stadt“, wie Oberbürgermeister Uli Burchardt bei der Einweihung des Funk‐ tionsneubaus am 19. Januar 2018 verdeutlichte, vereint die Funktionsbereiche des Klinikums, wie z. B. die Operationssäle, und das orthopädische Fachkran‐ kenhaus Vincentius unter einem Dach. Der Zusammenschluss des Klinikums mit dem Vincentius, das lange Jahre in der Altstadt beheimatet war, konnte erfolgen, nachdem die Spitalstiftung Mehrheitsgesellschafter der Vincentius AG geworden war. Die gravierendste Änderung für das Klinikum ergab sich auf der organisato‐ rischen Ebene. Am 22. März 2012 beschloss der Gemeinderat als Stiftungsrat die Beteiligung der Spitalstiftung an einer gemeinsamen kommunalen Kranken‐ hausgesellschaft im Landkreis. Am neu gegründeten Gesundheitsverbund Land‐ kreis Konstanz sind der Landkreis mit 52 %, die Fördergesellschaft HBK Singen mit 24 % und die Spitalstiftung ebenfalls mit 24 % beteiligt. Für das Krankenhaus … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 85 <?page no="86"?> in Singen wie für das Klinikum Konstanz bedeutete der Zusammenschluss das Ende ihrer Arbeit in ihrer bisherigen Form, den nun fungieren nicht mehr die Städte (bzw. in Konstanz: die Spitalstiftung) als Träger der Krankenhäuser, son‐ dern der Gesundheitsverbund. Doch der Zusammenschluss der Kliniken bildete letztlich den einzigen Weg, um auch in Zukunft eine Gesundheitsversorgung in kommunaler Hand gewährleisten zu können. Mit der Fusion ist ein neuer kommunaler Gesundheitsverbund mit 2.600 MitarbeiterInnen, 1.026 Betten und einem Jahresumsatz von 267 Millionen Euro entstanden. Von der Pfründnerstube zum Pflegeheim Das Bedürfnis, für das Alter vorzusorgen, hat die Menschen seit jeher umge‐ trieben. Bis in die neuere Zeit war es häufig die Familie, die ihre alt gewordenen Angehörigen versorgte und pflegte. Gerade aber in früheren Jahrhunderten gab es viele Menschen, die - bedingt durch die hohe Kindersterblichkeit - ohne Nachkommen oder unverheiratet auf sich selbst gestellt waren. Für diese Leute war das Spital oft der letzte Rettungsanker. Wer das Glück hatte, über Geld und Besitz zu verfügen, konnte - je nach Vermögenslage - eine Ober- oder Mittelpfründe kaufen. Diese Pfründe garantierte gewisse Annehmlichkeiten, was Unterkunft und Verpflegung anbelangte. Für Leute mit wenig oder gar keinem Vermögen sah die Lage schlechter aus. Sie konnten als Unterpfründner - auch gehorsame Pfründner genannt - zwar ebenfalls Aufnahme im Spital finden, durften aber nur wenige Ansprüche stellen, d. h. ihr Lebensstandard war deutlich geringer. Dies drückte sich bereits in der Art der Unterbringung aus. Die Oberpfründner bewohnten in der Regel beheizbare Einzelzimmer im oberen Stockwerk und hatten Dienstpersonal zu ihrer Verfügung. Ihr Essen nahmen sie in der ebenfalls beheizbaren oberen Stube ein und im Krankheitsfall gab es Platz in der oberen Krankenstube. Die Unterpfründner - auch Unterstübler genannt - mussten sich mit Gemeinschaftsunterkünften im Erdgeschoss und entspre‐ chend bescheidener Verpflegung zufriedengeben. Insgesamt gesehen war die Verpflegung der alten Menschen aber reichlich. So·gab es für die Oberpfründner von Sonntag bis Donnerstag zum Mittag Suppe, Voressen, Gemüse und ein 3/ 4 Pfund Rindfleisch, abends wieder Suppe, Gemüse und Braten, auch Salat je nach Jahreszeit. Freitags und samstags gab es statt Fleisch eine Mehlspeise oder Fisch und abends noch ein zusätzliches Gebäck. Täglich wurde ein Maß (= 1,2 l) Wein gereicht. Die Verpflegung der Mittelpfründner enthielt weniger Fleisch, dafür mehr Innereien und Mehlspeisen. Die Unterpfründner bekamen lediglich am Sonntag Fleisch, ansonsten gab es Suppe, Gemüse und Mehlspeisen. Die Mengen waren so reichlich bemessen, dass die Pfründner immer wieder 86 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="87"?> versuchten, etwas von ihren Mahlzeiten „nach draußen“ zu verkaufen, was aber streng verboten war. Diese Versuche, sich etwas Bargeld zu beschaffen, belegen die sehr eingeschränkte Handlungsfreiheit der Pfründner in Geld- und Vermögensdingen. Sie konnten über etwaige Geld- oder Vermögenswerte nicht mehr frei verfügen und bekamen lediglich an Festtagen eine Art Taschengeld zur Befriedigung persönlichster Bedürfnisse. Entschlossen sich Pfründner zu einer Heirat, mussten sie das Spital verlassen. Auch bei der ärztlichen Versorgung war die Situation der Oberpfründner besser. Ihnen wurden Bäder und Schwitzkuren genehmigt. Ob das häufigere Aderlassen und die Verabreichung von Klistieren von Vorteil waren, darf zumindest aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Die Unterstübler kamen allenfalls in den Genuss der Wundarzt- und Barbierskunst, die in einfacher Wundversorgung oder dem Einrichten von Brüchen und Verrenkungen bestand. Wie aus einer spitalamtlichen Untersuchung hervorgeht, lebten im Jahr 1786 15 Oberpfründner, 43 Mittelpfründner und 50 Unterpfründner im Spital. Da sich die Bevölkerungsverhältnisse seit dem Spätmittelalter bis dahin nicht wesentlich verändert hatten, dürfte diese Zahl ein guter Anhaltspunkt für den Anteil der Pfründner im Spital sein. Der Umzug des Spitals in das Augustinerkloster brachte vorerst keine we‐ sentlichen Änderungen mit sich. Die „Pfründanstalt“ war im Westflügel der ehemaligen Klosteranlage untergebracht. Auch hier gab es zunächst noch eine Art Klassengesellschaft, die sich in der Zugehörigkeit zu drei bestehenden „Tischen“ ausdrückte. Für Widerspenstige gab es einen „Straftisch“ mit schmaler Kost als Erziehungsmaßnahme. Es lässt sich auch für das ganze 19. Jahrhundert die Bestrebung erkennen, Pfründner in zunehmendem Maße für allgemeine Arbeiten wie Botengänge und Straßenreinigung einzusetzen. Nach der Rück‐ übertragung der Spitalstiftung in die Verantwortung der Stadt wurden 1869 neue Statuten für die Pfründanstalt erlassen, die das Lebensumfeld der Pfründner weniger beschnitt. So wurde die Verpflichtung zur Arbeit wesentlich moderater gefasst und auch bei der Verpflegung gab es keine Unterschiede mehr. Mit der Aufhebung der Hospitalität im Augustinerkloster brach eine neue Zeit an. 1871 wurde das sogenannte „Gütle“ im Paradies von einem Privatmann gekauft und zu einer Pfründ- und Armenanstalt umgebaut. Durch das rasche Anwachsen der Bevölkerung waren diese Räumlichkeiten bald zu klein, so dass im Jahr 1901 die Anstalt in das alte Krankenhaus an der Luisenstraße verlegt wurde. Während im alten Krankenhaus die Pflegeabteilung ihren Platz fand, entstand in bestehenden Baracken Wohnraum. Die Bezeichnung „Gütle“ wurde in der Folgezeit auch auf die neue Einrichtung übertragen. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 87 <?page no="88"?> Abb. 44: Das »Gütle«. Postkarte, ca. 1920. Die Situation im Bereich der Altenheime hat sich in den folgenden Jahren stark verändert. Da gestiegene Bevölkerungszahlen und die Notsituation nach dem Ersten Weltkrieg eine große Nachfrage nach Altenheimplätzen bewirkten, erwarb die Spitalstiftung 1924 die Häuser Talgartenstraße 2 und 4, in späteren Jahren dann noch die Häuser Schützenstraße 7 (1928) und Lutherplatz 5 (1954). Diese zersplitterte Versorgung konnte erst in den 1960er Jahren behoben werden. Wie so oft in der Geschichte der Spitalstiftung bewirkten Zuwendungen von Bürgern eine Veränderung der Situation: Zwei größere Erbschaften ermög‐ lichten den Ankauf eines Grundstücks in der Schützenstraße. Sie bildeten die Grundlage für den Bau des neuen Erweiterungstrakts des Altenheims Talgarten, der 1977 eröffnet werden konnte. Durch die 1967 erfolgte Übernahme des Feierabendheims, das in den 1960er Jahren auf Initiative von Oberbürgermeister Bruno Helmle im Rahmen einer Spenden- und Hilfsaktion Konstanzer Bürger errichtet wurde, war die Spitalstiftung mittlerweile zum größten Träger der geschlossenen Altenhilfe in Konstanz geworden. Einige Jahre nach der Fertigstellung des Talgartens konnte die Stiftung eine weitere Einrichtung eröffnen. Aufgrund des ständig gestiegenen Bedarfs an Pflegeplätzen wurde in Ergänzung zum Feierabendheim und dem Talgarten im Jahr 1990 mit dem Luisenheim ein weiteres Pflegeheim zur Verfügung gestellt. Das Wachstum der Stadt, die demografische Entwicklung, der Ersatz für das in die Jahre gekommene Feierabendheim und Änderungen in den gesetzlichen Vorgaben (Abbau von Zwei-Bett-Zimmern) ließen mit den Pflegeheimen Uris‐ berg (2004) und Salzberg (2005) weitere Einrichtungen erforderlich werden. Damit ist die 800-jährige Geschichte der Spitalstiftung, Pflegeplätze für die 88 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="89"?> Bürgerinnen und Bürger der Stadt zur Verfügung zu stellen, noch nicht zu Ende. 2019 erfolgte der Projektbeschluss des Stiftungsrats für den Bau des Pflegeheimes Haus Weiherhof. Seine Eröffnung im Jubiläumsjahr 2025 ist ein anschauliches Beispiel dafür, mit welchem Engagement die Spitalstiftung ihren Stiftungsauftrag auch nach 800 Jahren noch nachgeht. Neben den stationären Einrichtungen der Pflege dürfen die Dienste der ambulanten Pflege, die die Spitalstiftung anbietet, nicht vergessen werden. Sie kommt damit dem Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach, im eigenen Zuhause gepflegt werden zu können. „Mucki“ Abb. 45: „Mucki“, fotografiert von German Wolf um die Jahrhundertwende. Zu den bekanntesten Pfründnern des Spitals zählte Nepomuk Birkhofer (1844-1909), genannt „Mucki“. Der „Mucki“ war eines der auffälligsten alten Konstanzer Originale und der Anlass für zahlreiche Anekdoten. So nimmt es nicht wunder, dass er mit seiner langen und hageren Figur und seiner sonderbaren Bekleidung zu einem beliebten Motiv für Fotografen und Maler wurde. Er wurde sogar in Ton modelliert und avancierte zusätzlich zum Werbeträger für eine neue Stumpenmarke. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 89 <?page no="90"?> Eugen Wolf (1865-1939) Abb. 46: Fotografie von Eugen Wolf aus den 1930er Jahren. Einer der letzten Pfründner war der - zusammen mit seinem Vater German - wohl bedeutendste Konstanzer Fotograf Eugen Wolf. Da sein Gesundheitszustand schon ziemlich angegriffen war und er kaum Ersparnisse besaß, wandte er sich an die Stadt, um im Altersheim einen Platz auf Lebenszeit zu bekommen. Als Kompensation bot er seinen wertvollen fotografischen Nachlass an, die heute im Stadtarchiv verwahrte Bildsammlung Wolf mit rund 8000 Glasplattennegativen. Nach langen Verhandlungen verpfründete die Stadt Eugen Wolf schließlich ins städtische Altersheim. Nur sieben Monate später starb er, die Stadt war in den Besitz einer der größten fotografischen Sammlungen des Bodenseeraums gelangt, mit Aufnahmen, die bis in die 1860er Jahre zurückreichen. Von der Torkel zur Spitalkellerei Wein war in früheren Zeiten Grundnahrungsmittel, Zahlungsmittel und Han‐ delsware zugleich. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung versuchten die Spitalpfleger, neben dem schon früh gestifteten Weingarten Haltnau weiteres Rebland zu erhalten. Der Schwerpunkt lag auch hier am nördlichen Bodensee‐ ufer, vor allem in Hagnau, Meersburg, Immenstaad, Goldbach, Hödingen und 90 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="91"?> Sipplingen. Von den Gesamteinnahmen des Spitals im Wein wurden zwischen 1588 und 1652 wurden rund 68 Prozent im Linzgau eingenommen (Büttner 1986, S. 226). Bei einem Eigenverbrauch von lediglich einem Viertel der Ernte ermöglichte der Handel mit Wein dem Spital in der Regel gute Einnahmen. Abb. 47: Weinernte. Zeichnung aus dem Ratsprotokoll von 1612. Die auf heutigem Konstanzer Gemarkungsgebiet vorhandenen spitälischen Rebflächen gehören zu den jüngeren Erwerbungen der Stiftung. Am Raitheberg - ursprünglich St. Gebhardsberg genannt - besaß die Raithestiftung, eine im Mittelalter gegründete Armenstiftung, ein großes Rebgut. Als diese Stiftung 1810 mit der Spitalstiftung vereinigt wurde, trat das Spital in diesen Besitz ein, wobei der Name Raitheberg noch an die alten Eigentumsverhältnisse erinnert. Die Sonnenhalde, auch Beutelrockshalde genannt, gehörte zum kleineren Teil Privatleuten und zum größeren Teil dem Kloster Salem, das dort seit dem Spätmittelalter ebenfalls ein großes Weingut bewirtschaftete. Ein an der Sieren‐ moosstraße erhaltenes Torkelgebäude mit dem Klosterwappen zeugt bis heute davon. Dieses Gut fiel nach der Säkularisation an die großherzoglich badische Domänenverwaltung und wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Spitalstiftung erworben. Der älteste spitälische Rebbesitz auf heutigem Konstanzer Gemarkungsgebiet befand sich im Gewann Egelsee und damit streng genommen auf dem Gebiet der ehemaligen Gemarkung Allmannsdorf. Dieses Weingut war dem Spital 1329 von einem Pfarrer Simon aus Buchhorn (seit 1810 Friedrichshafen) geschenkt worden. Wo heute die Straßenzüge Egel‐ seeweg und Hardergasse verlaufen, befanden sich einige spitälische Gebäude … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 91 <?page no="92"?> mit einem Torkel. Dieses Gebiet wurde noch bis in die Zeit um 1900 mit Reben bebaut. Heute erstrecken sich dort Wohngebiete und nichts erinnert mehr an die vormalige Nutzung. Das mit Abstand wichtigste spitälische Rebgut liegt allerdings nicht an der „Schweizer“-, sondern an der „Schwabenseite“ des Bodensees. 1272 hatte das Spital, ebenfalls durch Schenkung, das stattliche Rebgut zu Haltnau erhalten. Diese Schenkung verbindet sich bis heute mit der legendären Wendelgard von Haltnau, deren Schicksal es war - ähnlich dem der Margaretha Maultasch - mit einer wenig einnehmenden Physiognomie ausgestattet gewesen zu sein. Dieser Besitz bildet bis heute das dritte und wohl wichtigste Standbein der spitälischen Rebwirtschaft. Abb. 48: Der Haltnau-Hof. Skizze aus einem Zinsbuch, 1700. Der Spitalkellereibetrieb, wie wir ihn heute kennen, ist erst in jüngster Zeit entstanden. Der Transport des Traubengutes in die Stadt zum Keltern, der ja in kürzester Zeit erfolgen muss, war früher so nicht möglich. Also wurden die Trauben in Torkelgebäuden, die sich in der Nähe der Rebgrundstücke befanden, gepresst. Erst der Traubenmost wurde in die Stadt gebracht, um in den großen Spitalkellern an der Marktstätte zu Wein heranzureifen. Die Spitalküferei befand sich seit alters her im sogenannten Bindhaus (heute Salmannsweilergasse 2), einem stattlichen Fachwerkhaus, in dem auf mehreren Stockwerken die Lagerung der für die Fässer notwendigen Materialien und Werkzeuge sowie deren Herstellung selbst bewerkstelligt wurde. Um 1830 stieß die Stiftung das Gebäude ab und brachte die Küferei samt „Gärlokal“ im „vorderen und hinteren Taschenamtsgebäude“ (heute Hussenstraße 39 und 53) unter. Diese Gebäude 92 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="93"?> waren ebenfalls im Zuge der 1810 erfolgten Vereinigung aller Stiftungen an das Spital gefallen. 1839 konnte noch das Haus „Zur Inful“, heute Brückengasse 12, gegen 3.500 Gulden dazu gekauft werden. In diesem Anwesen befand sich der eigentliche Weinkeller. 1876 wurden Küferei und Gärlokal in die Brückengasse 12 verlegt. Das war die Geburtsstunde der heutigen Spitalkellerei. Beeinträchtigt wurde ihre Entwicklung durch das seit den 1880er Jahren massive Auftreten verschiedener Rebschädlinge. Vor allem die Peronospora, eine Art Mehltau des Weinstocks, sowie die Reblaus setzten den Reben derart zu, dass der Weinbau im gesamten Bodenseeraum äußerst gefährdet war. Abb. 49: Modell der alten Torkel der Spitalkellerei. Die großen Rebschäden im 19. Jahrhundert und die Inflation der 1920er Jahre beeinträchtigen den Weinbau so stark, dass 1933 über die Aufgabe des Betriebs diskutiert wurde. Es gab bereits Vorschläge über die künftige Nutzung des Rebgeländes und konkrete Vorstellungen über mögliche Erlöse aus dem Verkauf der Reben und übrigen Sachmittel. Mit dem Argument der großen Tradition des Weinanbaus wurde der Plan einer Aufgabe jedoch nicht mehr weiterverfolgt. Der damalige „Weinausschuss“ kam zu dem Ergebnis, „dass es nicht verant‐ wortet werden kann, den Jahrhunderte alten sozial und kulturell wichtigen Rebbau aufzugeben.“ Der Protokollant notierte: Die Respizienten sind sich vollständig klar, dass es sich bei der Aufgabe des Spitalkel‐ lers nicht um die Aufhebung eines anderen normalen Regiebetriebs handelt, da die Spitalkellerei infolge ihrer erstklassigen Qualitätsweine von großem Interesse für das hiesige Krankenhaus sowie auch für einen Teil der hiesigen Bevölkerung ist. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 93 <?page no="94"?> In den Nachkriegsjahren wurde dann mit einem systematischen Neuaufbau des Weinbaubetriebs begonnen. Nun erfolgte eine Umstellung vom Fasswein‐ verkauf auf die Flaschenabfüllung, für die Bewirtschaftung der Flächen setzte die Stiftung moderne Maschinen ein. Durch den Ankauf weiterer Rebflächen vergrößerte sich ihre Gesamtzahl von 11,1 ha im Jahr 1950 auf 18,48 ha im Jahr 1977. Für die nun möglichen größeren Erntemengen waren die Betriebsräume der Kellerei in der Brückengasse 12 und 14, dem Rheinmühlenhaus und dem alten Haus „Zum Inful“, jedoch zu klein, zum Teil mussten Weine sogar ausge‐ lagert werden. Pläne für eine Erweiterung der Kellerei in Richtung Konzilstraße lagen bereits seit 1971 vor, aber aufgrund der vorrangigen großen Investitionen konnte der Gemeinderat erst 1977 seine Genehmigung erteilen. Dann ging es allerdings sehr schnell: Die Gebäude auf den für die Erweiterung vorgesehenen Grundstücken wurden abgerissen und der Neubau wurde forciert. Noch im selben Jahr konnte die Weinernte im neuen Tankkeller eingelagert werden, die Installation der betriebstechnischen Anlagen erfolgte im Jahr darauf. Von den Investitionen erhoffte sich die Stiftung eine deutliche Verbes‐ serung der wirtschaftlichen Situation des Kellereibetriebs. „Mit dem Neubau zur Erweiterung der Spitalkellerei“, notierte der damalige Dezernent Willy Weilhard (SPD), wurde nicht nur der mit der Geschichte der Spitalstiftung untrennbar verbundene Weinbau- und Kellereibetrieb saniert und die Kellerei den modernsten technischen Erfordernissen angepasst, es ist auch die Grundlage für eine gesunde Rentabilität gelegt worden, damit dieser Vermögensteil mit seinen Erträgen dem eigentlichen Stiftungszweck dienen kann. Die Einlösung dieser Hoffnung ließ allerdings auf sich warten. Im Jahr 1996 war nach wie vor von einem Defizit von 180.000 DM die Rede, und auch zum 775jährigen Jubiläum der Spitalstiftung im Jahr 2000 äußerte sich der damalige Dezernent Horst Maas (CDU): Besonderes Augenmerk ist der Sanierung des spitälischen Weinbaubetriebs zu widmen, der nach verlustreichen Jahren endlich konzeptionell so geordnet werden muss, dass sehr schnell zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis erreicht wird. Erst mit der Verpachtung des Weinbaubetriebs an private Betreiber änderte sich das Blatt. Seit dem Jahr 2002 führen Hubert Böttcher und Stephan Dühringer den spitälischen Weinbau als Familienbetrieb, und das mit beachtlichem Erfolg, wie nicht nur die wirtschaftlichen Zahlen, sondern auch der gute Ruf ihrer Produkte unterstreichen. Und der Erfolg bestärkte sie darin, sich zu erweitern: Seit 2016 haben sie auch das Gut Haltnau bei Meersburg als Pächter übernommen. 94 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="95"?> Abb. 50: Spitälische Weinlagen am Meersburger Ufer und Blick auf die Einzellage Meersburger Haltnau. Wie Sagen entstehen: „Wendelgard von Halten“ Ein schönes Beispiel für Legendenbildung ist die Schenkung der Haltnau an das Spital. Eine Urkunde, die sich heute im Stadtarchiv Konstanz befindet, hat diesen Vorgang dokumentiert. Danach schenkte am 6. November 1272 ein Konstanzer Bürger namens Ulrich, genannt Sumbri, dem Heilig-Geist-Spital in Konstanz einen Weinberg in „Halthuon“ mit der Bestimmung, dass das Spital nach seinem Tod seiner Witwe Adelheid jährlich 20 Eimer Wein (ca. 1.400 Liter) abliefern müsse. Allein schon diese Menge zeigt, dass der Weinberg ziemlich groß und produktiv war, und er erwies sich tatsächlich bis heute als eine der einträg‐ lichsten Stiftungen. Es war daher nur natürlich, dass - nachdem die wahren Hintergründe für diesen Besitz des Spitals im Laufe der Jahrhunderte vergessen worden waren - mancher Bürger aus dem benachbarten Meersburg voller Neid auf diesen Konstanzer „Schatz“ blickte, den man zu gerne selbst gehabt hätte. Als literarische Reaktion darauf ist wohl die „Wendelgard“-Sage entstanden. Die Meersburger können sich allerdings damit trösten, dass es nicht man‐ gelndes Verhandlungsgeschick oder übertriebenes Schönheitsgefühl ihrer Vor‐ fahren waren, die ihnen die Haltnau vorenthielten, sondern lediglich die geschichtliche Realität - 1272, zum Zeitpunkt der Stiftung, gab es noch kein Meersburger Heilig-Geist-Spital, so dass Ulrich gar keine andere Wahl hatte. Erstmals erzählt wird die Wendelard-Sage im Jahre 1861 von Franz Xaver Staiger in seiner Publikation „Meersburg am Bodensee“. Einem größeren Pu‐ … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 95 <?page no="96"?> blikum bekannt wurde sie aber erst, als der Konstanzer Stadtrat regelmäßig alljährlich im Herbst die Haltnau besuchte. So dauerte es bis zum Jahre 1921, in dem die „Konstanzer Zeitung“ die Wendelgard-Sage wieder aufgriff. Wann genau die mündliche Tradition begonnen hat, ist nicht bekannt. Auch die Autoren, die die Sage erzählen, verweisen lediglich darauf, dass sie schon seit vielen Generationen weitergegeben wird. Abb. 51: Etikett für den Wendelgards-Wein. Die Wendelgardsfigur wurde von Erich Hofmann gestaltet. Aus den vielen bis heute veröffentlichten Fassungen kristallisieren sich zwei Versionen heraus. In der einen ist das treibende Motiv für Wendelgard, einen Ratsherrn an ihrer Tafel zu haben, die große Angst, vergiftet zu werden. In der anderen überwiegt die Vereinsamung und Missachtung durch ihre Mitmen‐ schen. Möglicherweise ist die erste Version die ältere, da gerade das 17. und 18. Jahrhundert durch eine fast hysterische Angst vor Vergiftung geprägt waren. Besonders der Adel hegte ständig Befürchtungen, durch vergiftete Mahlzeiten ermordet zu werden. So erfreuten sich damals Vorkoster und vermeintlich unfehlbar Gift anzeigende „Krötensteine“ einer außerordentlichen Beliebtheit. Die Wendelgard-Sage Die letzte Besitzerin des großen Rebguts Haltnau war das Edelfräulein Wendelgard von Halten als Letzte ihres Geschlechts. Sie hatte durch Güte, Wohltun und Milde ihren Titel berechtigt geführt. Trotzdem wurde sie aber gemieden, denn ihr Äußeres war das Gegenteil ihres Inneren und ihrer vornehmen Herkunft. Zur allgemeinen 96 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="97"?> körperlichen Missgestaltung hatte sie auch noch einen Höcker und an Stelle des Mundes einen Schweinsrüssel. Während diese Verunstaltung in jugendlichen Jahren vielleicht ein allerliebstes Schweinsrüsselchen war, veränderte es sich mit den Jahren zur ausgesprochenen Hässlichkeit, dass selbst das Gesinde vor seiner Gebieterin einen Ekel hatte. Einen Löffel konnte sie nicht benutzen, und so ließ sie sich eine silberne Schüssel fertigen, die einem Tröglein nicht unähnlich war; aus diesem schlurfte und schlunzte sie ihr Essen. Weil sie aber ängstlich um ihr Leben war und meinte, weil man sie mied, man wolle sie vergiften, mussten immer zwei Personen ihres Gesindes mitessen. Das hielten aber weder die Weinbergsknechte noch die Mägde lange aus und verließen lieber ihren Dienst; die Furcht aber wurde in Wendelgard immer stärker. Deshalb stellte sie nun an den Rat der Stadt Meersburg das Verlangen, dass immer ein Ratsherr mit ihr esse. Dafür wollte sie sich im Spital verpfründen, wollte aber auch eine Chaise haben, die nach ihren Begriffen zu einem angenehmen Lebensabend gehörte. Damit kam sie bei den urchigen Meersburger Ratsherren von anno dazumal schlecht an und sie mögen vielleicht gesagt haben: „Was? Au no mit dere esse? Mit d’r Wendelgard mit em Rüssel? Mahlzeit! Und au no Schees fahre? Ausg‘grechnet d’Wendelgard! Des bruucht se nit, onsereins mueß au laafe. Des gibt's nit. Ihre Rebe kann'se doch nit mitnehme, wenn’se abkratzt“. So oder so ähnlich wird das Ansuchen abgelehnt worden sein. Darauf verhandelte Wendelgard mit dem Rat der Stadt Konstanz. Hier müssen wohl ihre Wünsche erfüllt worden sein, samt Chaise und zwei Dienstboten zu ihrer eigenen Verfügung, denn sie verpfründete sich im Spital mit ihrem schönen Gut als Pfründgabe. „Ihr dumme Kocke, jetzt hennt’ er den Dreck! Warum hennt’ er au nit mir ihr esse wolle? Und warum hennt’ er kei Schees bewilligt? “ So soll der Bürgermeister von Meersburg seine Ratsherren angefahren haben, als er den Ausgang der Geschichte erfuhr. Worauf die Räte ähnliche Gegenfragen stellten und behaupteten, der Bürgermeister wäre zuerst verpflichtet gewesen, an den Mahlzeiten teilzunehmen. Es war nichts mehr zu machen, und die Lust zur Tischgenossenschaft kam zu spät. Wendelgard muss sich als Fremde in Konstanz aber sehr wohl gefühlt haben, denn nach ihrem Tode ergab sich, dass sie der Stadt auch ihre gesamte Hinterlassenschaft vermacht hatte. Da ist es erklärlich, dass die Meersburger Bürgerschaft und vorab der Rat der Konstanzer Konkurrenz die verwunderlichsten Demütigungen nachsagte, was Wendelgard alles verlangt habe, vor allem, dass immer zwei Ratsherren mit ihr hätten essen müssen. Der Konstanzer Bürgermeister aber habe sofort gesagt, als er in Wendelgards Angelegenheit eingeweiht gewesen sei: „Machen wir, denn ewig wird sie ja wohl nit leben. Die erste Woche esse ich mit, und dann kommt einer nach dem andern von Euch dran, und zwar nach dem Alter“. Und so geschah es auch. Wendelgard fiel die Frömmigkeit ihrer Tischgenossen auf, die vor jeder Mahlzeit ein … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 97 <?page no="98"?> stilles Gebetlein sprachen. Erfahren hat sie den Text nie, hat aber auch nie danach gefragt. Das Gebetlein lautet: Zum Wohl der Stadt trotz Rüssel Fress ich aus dieser Schüssel. Die Wendelgard gleicht zwar dem Schwein Doch stärk ich mich am Haltnauwein. Wenn dann Wendelgard nach dem Essen ihre Spazierfahrt machte, ließ der „Ratsherr vom Wendelgard-Dienst“, wie sein Wochentitel lautete, sich einen Liter Haltnauer Auslese wohl schmecken. - Den Armen von Konstanz erwies Wendelgard viel Gutes. Gestorben aber ist sie erst viel später, als den Ratsherren erwünscht war, manchen hat sie sogar überlebt. Literatur- und Quellennachweis (Auswahl) Archivalien des Stadtarchivs Konstanz B E R S Z I N , Carola: Der Spitalfriedhof Heiliggeist-Hospital in Konstanz. Vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen 1995 bis 1996, in: Archäologie als Stadtgeschichte. Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im frühgeschichtlichen Europa. Herausgegeben von Heiko Steuer, Christel Bücker und Michael Hoeper. Rahden 1999 B O L D T , Claus: Herausforderung Zukunft. Krankenhäuser stellen sich schwierigen Rah‐ menbedingungen, in: Konstanzer Almanach 55 (2008) S.-24 f. B O L D T , Claus: Eine gute Gesundheitsversorgung für die Zukunft. Die neue Krankenhaus‐ struktur im Landkreis, in: Konstanzer Almanach 59 (2012) S.-20 f. B ÜT T N E R , Rudolf: Das Konstanzer Heilig-Geist-Spital und seine Besitzungen im Linzgau. Studien zur ländlichen Wirtschafts- und Sozialgeschichte vornehmlich zwischen 1548 und 1648. Konstanz 1986 B U R K H A R D T , Martin/ D O B R A S , Wolfgang/ Z I M M E R M A N N , Wolfgang: Konstanz in der frühen Neuzeit und Reformation. Verlust der Reichsfreiheit. Österreichische Zeit (Geschichte der Stadt Konstanz, Band-3) Konstanz 1991 F R O M M , Norbert/ K U T H E , Michael/ R Ü G E R T , Walter: „…. entflammt vom Feuer der Nächs‐ tenliebe“. 775 Jahre Spitalstiftung Konstanz. Konstanz 2000 H I L B E R L I N G , M. Brigitta: Mittelalterliche Wohlfahrtseinrichtungen in Konstanz, in: Kon‐ stanzer Almanach 7 (1961) S.-77-84 J E T T E R , Dieter: Grundzüge der Hospitalgeschichte. Darmstadt 1973 K LÖ C K L E R , Jürgen: Das Konstanzer Heilig-Geist-Spital. Grundzüge seiner Entwicklung seit seiner Gründung um das Jahr 1220, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 134 (2016) S.-19-37 M A A S , Horst: Vergangenheit mit Zukunft. Die Spitalstiftung Konstanz im Jubiläumsjahr, in: Konstanzer Almanach 47 (2001) S.-13 f. 98 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="99"?> M A A S , Horst: Die pflegerische Versorgung der älteren Generation sichern, in: Konstanzer Almanach 49 (2003) S.-18 f. M A A S , Horst: Weichenstellung im Gesundheitswesen, in: Konstanzer Almanach 50 (2004) S.-20 f. M A U R E R , Helmut: Der Hofphotograph German Wolf (1830-1890) und Konstanz im ausgehenden 19.-Jahrhundert, in: Konstanzer Almanach 25 (1979) S.-44-52 M A U R E R , Helmut: Konstanz im Mittelalter I. Von den Anfängen bis zum Konzil (Ge‐ schichte der Stadt Konstanz, Band-1) Konstanz 1989, 2. Aufl. 1996 M A U R E R , Helmut: Konstanz im Mittelalter II. Vom Konzil bis zum Beginn des 16.-Jahr‐ hunderts (Geschichte der Stadt Konstanz, Band-2) Konstanz 1989 M E R K L E , Anton: Hospital zum Heiligen Geist und Dreifaltigkeitskirche in Konstanz. In: Freiburger Diözesan-Archiv 107 (1987) S.-155-211 M O M M S E N , Karl: Zu den Anfängen der Ratsverfassung und des Spitals in Konstanz. Son‐ derdruck aus der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 120 (1972) S.-469-479 O S N E R , Andreas: Die Spitalstiftung stellt sich neu auf. 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Konstanz 1977 S P I T A L S T I F T U N G K O N S T A N Z (Hg.): Spitalkellerei und Spitalstiftung. Der Neubau der Spital‐ kellerei Konstanz. Festschrift zur Einweihung. Konstanz [um 1980] S P I T A L S T I F T U N G K O N S T A N Z (Hg.): Ein Haus für unsere Kinder. Festschrift zur Einweihung des Neubaus der Kinderklinik der Krankenanstalten Konstanz Oktober 1989. Konstanz 1989 S P I T A L S T I F T U N G K O N S T A N Z (Hg.): Das neue Altenpflegeheim und die Alten und Pflegeein‐ richtungen der Spitalstiftung Konstanz. Konstanz 1990 S P I T A L S T I F T U N G K O N S T A N Z (Hg.): Festschrift zum 775-jährigen Jubiläum. Konstanz 2000 S T E I , Karin: Das Jahrhundert-Bauprojekt. Das Klinikum Konstanz erhält für 100 Millionen Euro einen neuen Funktionsbau, in: Konstanzer Almanach 65 (2019) S.-14 ff. … entflammt vom Feuer der Nächstenliebe 99 <?page no="100"?> W E I L H A R D , Willy: Die Spitalstiftung Konstanz in Vergangenheit und Gegenwart, in: Konstanzer Almanach 14 (1968) S.-4-10 W I N D E M U T H , Marie-Luise: Das Hospital als Träger der Armenfürsorge im Mittelalter. Stuttgart 1995 Z A N G , Gert: Konstanz in der Großherzoglichen Zeit I. Restauration - Revolution - Liberale Ära (Geschichte der Stadt Konstanz, Band-4.1) Konstanz 1994 Z A N G , Gert: Konstanz in der Großherzoglichen Zeit II. Aufschwung im Kaiserreich. (Geschichte der Stadt Konstanz, Band-4.2) Konstanz 1993 Z A N G , Gert (Hg.): Provinzialisierung einer Region. Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in der Provinz. Frankfurt/ Main 1978 100 Norbert Fromm, Michael Kuthe und Walter Rügert <?page no="101"?> Die Stiftung - heute <?page no="103"?> In Gegenwart und Zukunft zuhause Beteiligung, Ausbildung und Internationalität Andreas Voß Wer kümmert sich um die, die nicht für sich selbst sorgen können? In einer Gesellschaft, in der das soziale Netz immer dünner wird, steht die Spitalstif‐ tung Konstanz vor der Herausforderung, ihren historischen Auftrag neu zu definieren. Ist eine 800 Jahre alte Institution in der Lage, mit dem Tempo des gesellschaftlichen Wandels Schritt zu halten und auch in Zukunft für die Menschen da zu sein, die Hilfe brauchen? Abb. 1: Andreas Voß Die Spitalstiftung Konstanz hat in ihrer über 800-jährigen Geschichte immer wieder Umbrüche und Neuausrichtungen erlebt. Heute, im 800. Jahr ihres Bestehens, steht sie erneut vor der Aufgabe, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Unverändert bleibt der zentrale Auftrag der Spitalstiftung: Menschen in Not - bedingt durch Alter oder Krankheit - zu helfen, und zwar unabhängig von Einkommen, Nationalität, Kulturkreis oder Konfession. <?page no="104"?> Wozu brauchen wir heute noch eine Institution wie die Spitalstiftung Kon‐ stanz? Ist sie nicht ein Relikt aus der Vergangenheit, dessen Bedeutung heute überholt scheint? Was sind die Aufgaben und der Nutzen von Stiftungen? Abb. 2: Haus der Spitalstiftung Aussenansicht. Stiftungen sind ein wichtiger Teil unserer freien Gesellschaft und haben ihren Platz in unserem demokratischen Rechtsstaat. Sie sind durch die Grundrechte des Grundgesetzes anerkannt und können daher in einem bestimmten Rahmen tätig werden. Auch wenn es viele verschiedene Stiftungen gibt, die ganz unterschiedliche Ziele verfolgen, fühlen sich alle den demokratischen Werten verpflichtet. Stiftungen helfen der Gesellschaft durch ihre gemeinnützige Arbeit und handeln im Sinne des Grundgesetzes, das besagt, dass Eigentum auch dem Wohle aller dienen soll. Dies gilt auch für die Spitalstiftung Konstanz, die sich den Veränderungen und Herausforderungen der heutigen Zeit stellen muss. Im Jahr 2000 erreichte die Geschichte der Spitalstiftung Konstanz einen beeindruckenden Meilenstein: 775 Jahre im Dienst der Menschen. Damals drehte sich fast alles um das Klinikum Konstanz - das Herzstück der Stiftung. Mit 450 Betten, knapp 1000 Mitarbeitenden und einem Budget von 110 Millionen Mark war das Klinikum eine feste Größe in der Region. Es prägte nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Wirtschaft. Die Stiftung selbst agierte eher im Hintergrund und betrieb mit ihren rund 270 Mitarbeitenden vorwiegend stationäre Pflegeeinrichtungen sowie einen Ambulanten Pflegedienst - eine wichtige Aufgabe, aber nicht in der gleichen Größenordnung. 104 Andreas Voß <?page no="105"?> Abb. 3: Luftbild Klinikum Spitalstiftung Doch im Jahr 2012 änderte sich alles. Das Klinikum wurde Teil des Gesundheits‐ verbundes Landkreis Konstanz - ein Schritt, der die Stiftung neu definierte. Plötzlich stand die Spitalstiftung ohne ihr großes Aushängeschild da. Der Weg war unklar, aber notwendig. Die Stiftung hatte sich als bisherige Trägerin eines hundertprozentigen Eigenbetriebes Klinikum Konstanz in eine Minderheiten‐ gesellschafterin des GLKN entwickelt. Das war eine Zäsur, ein Neuanfang, der viele Fragen aufwarf: Wie geht es weiter? Heute ist klar, dass dieser Umbruch nicht nur ein Verlust war. Es war der Beginn einer neuen Phase, in der die Spitalstiftung ohne das Klinikum ihren eigenen Platz in der Region finden musste und konnte. Ein Weg, der bei allen Herausforderungen auch neue Chancen für die Weiterentwicklung der gemeinnützigen Arbeit der Stiftung bot. Wie sollte es weitergehen? Die Spitalstiftung hat sich entschieden, diese tiefgreifende Veränderung als Chance zu nutzen. Statt sich von der Trennung vom Klinikum entmutigen zu lassen, machte sie sich daran, ihre Aufgaben neu zu definieren und den Blick nach vorne zu richten. Die Stiftung analysierte ihre Strukturen und richtete ihre Arbeit auf die neuen Herausforderungen aus. Es war eine Zeit des Umdenkens, eine Phase, in der alte Gewohnheiten in Frage gestellt und neue Ziele formuliert wurden. Eines der strategischen Ziele war es, die Angebote der Stiftung zeitgemäß und innovativ weiterzuentwickeln. Insbesondere im Bereich der Seniorenbetreuung sollten neue Wege gefunden werden, um den sich wandelnden Bedürfnissen der älteren Generation gerecht zu werden. Dabei ging es nicht nur um das Was, sondern auch um das Wie. Die Stiftung wollte Handlungsfelder erschließen, die ihre Arbeit noch relevanter und zukunftsfähiger machen. In Gegenwart und Zukunft zuhause 105 <?page no="106"?> Um neue Handlungsfelder für die Stiftung erschließen zu können, musste jedoch auch die Satzung der Stiftung angepasst werden. Diese Änderung war nur mit Zustimmung des Regierungspräsidiums als Aufsichtsbehörde möglich. In der ursprünglichen Satzung von 1952 war noch festgelegt, dass die Stiftung vor allem das öffentliche Gesundheitswesen durch den Betrieb des städtischen Krankenhauses und der Pflegeheime fördern sollte. Im Laufe der Jahre haben sich die Änderungen der Satzung immer eng an diesen Grundsatz gehalten. Erst mit der letzten Änderung der Satzung im September 2019 wurde diese Einschränkung aufgehoben. Die Förderung des Gesundheitswesens war nun nicht mehr ausschließlich an den Betrieb von Kliniken und Pflegeeinrichtungen gebunden. Das öffnete der Stiftung neue Möglichkeiten, sich auf zusätzliche Aufgabenfelder auszurichten, die bisher nicht im Fokus standen - zum Beispiel die Betreuung psychisch kranker Menschen. Gleichzeitig stellte sich die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass die Spi‐ talstiftung in der öffentlichen Wahrnehmung einen hohen Stellenwert behält? Diese Wertschätzung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu erhalten, wurde zu einem der wichtigsten Ziele. Das Ansehen der Stiftung sollte nicht nur bewahrt, sondern nachhaltig gestärkt werden. Dabei rückte auch das Thema Personal in den Mittelpunkt. Die Stiftung erkannte, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Rückgrat ihrer Arbeit sind. Personalentwicklung, Mitarbeiterbindung und eine positive Betriebskultur sollten verstärkt gefördert werden. Nur so konnte die Stiftung sicherstellen, dass die Menschen, die hier arbeiten, nicht nur fachlich hervorragend, sondern auch mit dem Herzen bei der Sache sind. Nicht zuletzt ging es darum, die Gemeinwohlorientierung der Stiftung deutlicher herauszuarbeiten. Diese Haltung, die schon immer im Zentrum der Spitalstiftung stand, sollte noch stärker in den Mittelpunkt gerückt und konsequent in das Handeln der Stiftung integriert werden. Ein Neuanfang, ja - aber einer, der eine klare Richtung vorgab: Die Spitalstiftung wollte nicht nur überleben, sie wollte wachsen, sich erneuern und ihre Rolle in der Gesellschaft aktiv gestalten. Wachstum Pflege-Wohngemeinschaften Ende der 2010er Jahre kamen Pflege-Wohngemeinschaften als neues Hand‐ lungsfeld der Spitalstiftung hinzu. Diese ambulant betreuten Wohngemein‐ schaften bieten pflegebedürftigen Menschen eine Alternative zur stationären Pflege, die mehr Alltagsnähe und Selbstbestimmung ermöglicht. Im Jahr 2019 106 Andreas Voß <?page no="107"?> konnte die Spitalstiftung zwei Pflege-WGs in Konstanz eröffnen. Diese Wohn‐ gemeinschaften sind ein wichtiger Schritt, um das Angebot für ältere und hilfebedürftige Menschen zu erweitern und moderne, zukunftsweisende Wohn‐ formen anzubieten. Die Spitalstiftung nimmt damit eine Vorreiterrolle in der Region ein und setzt sich dafür ein, dass solche Wohnprojekte weiterwachsen können. woge e.V. Anlass für den nächsten Entwicklungsschritt war die Tatsache, dass der bishe‐ rige eingetragene Verein „woge e.V.“ nach langjähriger Vereinstätigkeit einen neuen Träger suchte und in der Spitalstiftung Konstanz fand. Mit der Aufnahme der woge in die Spitalstiftung zum 1. Januar 2020 ist es gelungen, ein neues Tätigkeitsfeld zu etablieren und das Profil der Stiftung weiter zu schärfen. Die woge betreut heute mit rund 15 Mitarbeitenden rund 70 psychisch kranke Menschen, die überwiegend im Stadtgebiet Konstanz leben. Sie finden Platz in unterschiedlichen Wohnformen - in Wohngemeinschaften, bei Familien oder in Einzelwohnungen. Dieser Schritt bedeutete nicht nur eine Erweiterung des Tätigkeitsfeldes, sondern auch eine neue Dynamik für die Stiftung. Die Betreuung psychisch erkrankter Menschen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die besonderes Einfüh‐ lungsvermögen, Erfahrung und Fachwissen erfordert. Mit der Integration der woge konnte die Spitalstiftung nicht nur ihr Angebot für hilfsbedürftige Men‐ schen erweitern, sondern auch ihre Verantwortung für das Gemeinwohl auf neue Weise unter Beweis stellen. Mit der Integration der woge wurde das Fundament der Stiftung gestärkt und ihr Engagement für ein breites Spektrum sozialer Bedürfnisse in der Region gefestigt. Sozialpädiatrisches Zentrum Bald folgte der nächste Schritt: Seit dem 1. Oktober 2023 ist die Spitalstiftung Trägerin des Eigenbetriebs „Sozialpädiatrisches Zentrum der Spitalstiftung Konstanz“ (SPZ). Diese Einrichtung feierte im Jahr 2022 ihr 30-jähriges Be‐ stehen. Ursprünglich war das SPZ Teil des Klinikums Konstanz, später des Eigenbetriebs „Medizinisches Versorgungszentrum / Sozialpädiatrisches Zen‐ trum“. Heute ist diese für die Kinder- und Jugendmedizin so wichtige Einrich‐ tung ein Eigenbetrieb und damit fest in die Spitalstiftung integriert. Dass eine Stadt über ein Sozialpädiatrisches Zentrum verfügt, ist keineswegs selbstverständlich. Von den 618 Mittelstädten in Deutschland mit 20.000 bis In Gegenwart und Zukunft zuhause 107 <?page no="108"?> 100.000 Einwohnern gibt es nur 160 SPZ - in Baden-Württemberg sind es gerade mal 18. Konstanz steht also gut da, und das SPZ wächst weiter: Die Neu‐ ropädiatrie und weitere sozialpädiatrische Schwerpunkte wurden ausgebaut, mittlerweile arbeiten dort rund 30 Fachkräfte. Auch die Bedeutung des SPZ für die regionale Versorgung und darüber hinaus hat zugenommen. Eine erfreuliche Entwicklung, die zeigt, dass sich die Spitalstiftung nicht auf dem Erreichten ausruht, sondern kontinuierlich an der Erweiterung und Verbesserung ihrer Angebote arbeitet. Gemeinwohlökonomie und Spitalküche Die Spitalstiftung hat auch eine Pionierrolle bei der Umsetzung der Gemein‐ wohlökonomie übernommen. Im Zentrum der Gemeinwohlökonomie steht die Gemeinwohlbilanz, die Werte wie Menschenwürde, Solidarität, Mitbestimmung und Nachhaltigkeit über wirtschaftliche Kennzahlen stellt. Sie berücksichtigt auch den Umgang mit Lieferketten, Kunden und Dienstleistern. Gemessen wird, wie human die Arbeitsbedingungen sind, wie nachhaltig mit Ressourcen umgegangen wird, wie ökologisch die Lieferketten sind und wie demokratisch Entscheidungen getroffen werden. Die Spitalstiftung hat für das Jahr 2018 erstmals eine Gemeinwohlbilanz erstellt und daraus wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung ihrer Arbeit gewonnen. Eine praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse war die Modernisierung der Spitalküche. Das System der Speisenversorgung wurde vollständig umgestellt, um nachhaltiger und regionaler zu arbeiten. Lebensmittelabfälle konnten durch Digitalisierung deutlich reduziert werden, und die Verwendung regionaler und biologischer Produkte wurde verstärkt. Die Spitalküche ist inzwischen Bio-zertifiziert und verfügt über die Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE-Zertifizierung) - ein weiterer Schritt, um die Versorgung der Pflegeeinrichtungen nachhaltig zu gestalten und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt zu stellen. 108 Andreas Voß <?page no="109"?> Abb. 4: 800 Jahre Verantwortung Rheinbrücke Der Hauptzweck der Spitalstiftung Der eigentliche Zweckbetrieb der Spitalstiftung Konstanz liegt im Betrieb der stationären Pflegeeinrichtungen, der Tagespflege sowie des Ambulanten Pflegedienstes. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums und der Spitalstiftung gehört zu den wichtigen Aufgaben der Stiftung. Im Jubiläumsjahr 2025 wird es in diesem Bereich große Veränderungen geben: Das bisherige Pflegeheim „Luisenheim“ in der Luisen‐ straße wird nach über 30 Jahren seinen Betrieb einstellen. Hauptgrund ist, dass das Gebäude mit seinen vielen Doppelzimmern nicht mehr den Anforderungen der Landesheimbauverordnung entspricht. Doch wo etwas zu Ende geht, entsteht auch etwas Neues. Als Ersatz für das Luisenheim entsteht im Stadtteil Petershausen das neue Pflegeheim „Haus Weiherhof “, das mit 86 Pflegeplätzen modernen Pflege- und Wohnkomfort bieten wird. Baubeginn war im Dezember 2022, im Frühjahr 2025 soll es bezugsfertig sein. Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich auf eine neue, zeitgemäße und bedarfsgerechte Einrichtung freuen. Gleichzeitig übernimmt die Spitalstiftung im Jahr 2025 die Trägerschaft des Pflegeheims „Jungerhalde“ in Konstanz-Allmannsdorf von der Arbeiterwohl‐ fahrt (AWO) Kreisverband Konstanz e. V. Dieses Haus wurde bereits Anfang 2021 fertiggestellt und bietet 60 Pflegeplätze. Damit wird die Spitalstiftung am Ende ihres Jubiläumsjahres über insgesamt 350 vollstationäre Pflegeplätze in Pflegeheimen und 16 Pflegeplätze in Pflege-Wohngemeinschaften verfügen. In Gegenwart und Zukunft zuhause 109 <?page no="110"?> Diese Entwicklungen zeigen, wie die Spitalstiftung nicht nur auf bestehende Strukturen setzt, sondern aktiv in die Zukunft investiert und moderne Lösungen für die Pflege und Betreuung älterer Menschen schafft. Ambulanter Pflegedienst Ein weiterer wichtiger Baustein der Spitalstiftung Konstanz ist die ambulante Pflege. Seit ihrer Gründung am 1. Januar 1997 ist der „Ambulante Pflegedienst der Spitalstiftung Konstanz“ stark angewachsen. Damals startete der Dienst mit nur drei Mitarbeitern, die ausschließlich in der Pflege tätig waren. Heute zählt der Ambulante Pflegedienst 68 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die rund 200 pflegebedürftige Menschen betreuen. Neben der häuslichen Pflege versorgt der ambulante Pflegedienst auch die Pflege-WGs der Spitalstiftung und hat im Sommer 2021 die ambulante Pflege im Tertianum Konstanz übernommen. Diese Zusammenarbeit hat sich gut entwickelt und stellt heute ein wichtiges Geschäftsfeld dar. Die ambulante Pflege wird in einer immer älter werdenden Gesellschaft ein wichtiger Baustein sein, damit möglichst viele Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Mitarbeitende sind Dreh- und Angelpunkt der Spitalstiftung Um die Vielzahl der Spitaleinrichtungen mit ihren Bewohnerinnen und Bewoh‐ nern bestmöglich zu betreuen, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spitalstiftung das Herzstück des Geschehens. Sie sind das Rückgrat unseres Erfolges. Dabei sind es nicht nur die Leitungskräfte, Pflegefachkräfte sowie Pflegehelferinnen und -helfer, die sichtbar im Mittelpunkt stehen - sie sind es, die oft zuerst genannt werden, wenn es um den Fachkräftemangel geht. Doch das ist nur ein Teil des großen Teams, das tagtäglich alles für die Bewohner gibt. Ohne die Mitarbeitenden aus allen anderen Bereichen würde keine der spitälischen Pflegeeinrichtungen funktionieren. 110 Andreas Voß <?page no="111"?> Abb. 5: Mitarbeitende der Spitalstiftung Konstanz Denn hinter den Kulissen wirken ebenso die Hauswirtschaft, die Küche, die zusätzliche Betreuung, die technische Abteilung, der Hausmeisterdienst, die Alltagsbegleitung und die Gärtnerei - bis hin zur Stiftungsverwaltung. Jeder Einzelne sorgt dafür, dass das Leben in den Einrichtungen reibungslos verläuft. Hinzu kommen viele ehrenamtlich engagierte Menschen, die mit großer Hingabe einen unverzichtbaren Beitrag leisten. Ebenso wichtig sind die Auszubildenden, die FSJler und die Personen aus dem Bundesfreiwilligendienst, die mit frischen Perspektiven und großer Lernbereitschaft das Team bereichern. Die Ausbildung von Pflegefach- und Pflegehilfskräften ist für die Spitalstif‐ tung ein wichtiger Weg, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Jedes Jahr beginnen rund 50 junge Menschen ihre Ausbildung. Viele kommen aus dem Ausland und starten mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Bundesfrei‐ willigendienst. Die Stiftung unterstützt sie bei der beruflichen und sozialen Integration. Sprachkurse helfen, Deutsch zu lernen. Gemeinsame Freizeitakti‐ vitäten mit Praxisanleitern sorgen dafür, dass sich die jungen Menschen in der Stadt wohlfühlen. Dieser Weg hat sich bewährt. So gelingt es der Stiftung, den Weggang von Pflegekräften, etwa durch Renteneintritt, auszugleichen. Aktuell arbeiten Menschen aus 55 Nationen für die Spitalstiftung. Damit ist sie eine der am stärksten international geprägten Arbeitgeberinnen in der Region. Bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht die Spitalstiftung Konstanz häufig vor der Herausforderung, geeigneten Wohnraum zu finden. Die zahlreichen Wohnungen und Appartements im eigenen Bestand bieten jedoch meist eine Lösung. Fast immer gelingt es, neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbei‐ tern eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Wohnraum ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Personalgewinnung und -bindung, da die Wohnsituation In Gegenwart und Zukunft zuhause 111 <?page no="112"?> eine zentrale Rolle für die Attraktivität eines Arbeitsplatzes spielt. Ebenso wichtig ist die Kinderbetreuung. Beide Aspekte sind als Stiftungszweck in der Satzung verankert. Sie müssen weiter ausgebaut werden, um der wachsenden Stiftung und den steigenden Anforderungen einer modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Die Stiftung versteht sich daher nicht nur als Arbeitgeber, sondern auch als Unterstützer ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alltag. 2025 wird neben dem Pflegeheim Haus Weiherhof auch das Wohnbaupro‐ jekt „Sierenmoos Süd“ fertiggestellt. Auf dem Stiftungsgelände entstehen 40 neue Mitarbeiterwohnungen, die zusätzlichen Wohnraum bieten und den Mit‐ arbeitenden der Stiftung eine langfristige Perspektive ermöglichen. Die neuen Wohnungen entlasten die Wohnraumversorgung und tragen dazu bei, die Attraktivität der Stiftung als Arbeitgeber zu erhöhen. Weitere Bauprojekte sind bereits geplant, um den Bedarf an Wohnraum in Zukunft noch besser decken zu können. Diese Projekte erfordern erhebliche Investitionen, besonders im Bereich der energetischen Modernisierung von Bestandsgebäuden, um den Anforderungen einer nachhaltigen und umweltbewussten Entwicklung gerecht zu werden. Kooperationen mit Partnern können helfen, neue Wege zu gehen und Synergien zu nutzen, um diese anspruchsvollen Ziele zu erreichen. Ein wichtiger Baustein im Angebot der Stiftung ist die Kinderbetreuung. Seit 2017 betreibt die Spitalstiftung zusammen mit der von Wessenberg’schen Vermächtnisstiftung eine Betriebskinderkrippe für Kinder unter drei Jahren im Gebäude Schwedenschanze 10. Nach der Sanierung des Gebäudes können die Kinder im Jahr 2025 einziehen. Der Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder über drei Jahren ist ebenfalls gestiegen, da immer mehr Mitarbeitende mit älteren Kindern das Angebot nutzen möchten. Dieses Angebot soll erweitert werden. Geplant sind 40 Betreuungsplätze für Kinder über drei Jahren. Sie entstehen in einem modernen Neubau auf dem Stiftungsgelände der Wessenbergstiftung, der den neuesten pädagogischen und energetischen Standards entspricht. Die Ausweitung ist ein großer Gewinn für die Mitarbeitenden der Stiftung und ihre Familien. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele ein entschei‐ dender Faktor, und die Stiftung möchte ihre Mitarbeitenden dabei bestmöglich unterstützen. Auch in Zukunft wird die Stiftung daran arbeiten, dieses Angebot weiter auszubauen und den Bedürfnissen der Familien gerecht zu werden. Die Spitalstiftung umfasst noch viele weitere Bereiche, die in diesem Buch näher beleuchtet werden. Der Lorettowald, seine Vorzüge und seine klimati‐ schen Herausforderungen sind ein wichtiges Thema. Es zeigt, wie eng die Stiftung mit der Region verbunden ist. Der Wald bietet nicht nur Erholungs‐ möglichkeiten für die Konstanzer Bevölkerung, sondern steht auch vor großen Herausforderungen durch den Klimawandel, der die Pflege und den Erhalt des 112 Andreas Voß <?page no="113"?> Waldes zunehmend erschwert. Auch der Weinbau und die Pachtgaststätten sind ein wichtiger Teil der Stiftung. Besonders das sanierte Rebgut Haltnau und die Vinothek sind Orte, die Tradition und Moderne verbinden und den Besuchern einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart des Weinbaus am Bodensee bieten. Diese Einrichtungen tragen zur kulturellen Vielfalt der Region bei und sind ein Aushängeschild für die Stiftung. Auch das Grundvermögen der Stiftung spielt eine entscheidende Rolle. Das Immobilienvermögen, insbesondere die Erbbaurechte, stellen eine wichtige Einnahmequelle dar. Ohne dieses Vermögen wäre es der Stiftung nicht möglich, die zahlreichen Investitionen und Instandhaltungen zu tätigen, die ihren Fort‐ bestand sichern. Das Grundvermögen sorgt dafür, dass die Stiftung nicht allein auf die Unterstützung Dritter angewiesen ist, sondern eigenständig agieren und Projekte realisieren kann. Die Erbbaurechte und die damit verbundenen Einnahmen tragen wesentlich zur finanziellen Stabilität der Stiftung bei und ermöglichen langfristige Planungen und nachhaltige Investitionen. Auch in Zukunft wird die Verwaltung des Grundvermögens ein zentraler Bestandteil der Stiftungsarbeit sein, um weiterhin ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und die vielfältigen Projekte zum Wohle der Allgemeinheit umzusetzen. Mit der ständigen Bereitschaft, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen, und der Fähigkeit, auf die Bedürfnisse der Menschen in Konstanz einzugehen, bleibt die Spitalstiftung Konstanz ein unverzichtbarer Pfeiler der sozialen Fürsorge - heute und in Zukunft. Abb. 6: Blick vom Münster auf die Rheinbrücke In Gegenwart und Zukunft zuhause 113 <?page no="115"?> Die fünf stationären Pflegeinrichtungen Haus Urisberg, Haus Talgarten, Haus Salzberg, Haus Jungerhalde und das Luisenheim Annette Bortfeldt Willkommen in den Häusern der Spitalstiftung Konstanz - Orte, an denen sich Geschichte, Gemeinschaft und moderne Pflege verbinden. Hier werden ältere Menschen nicht nur gepflegt, sondern in ihrer Einzig‐ artigkeit geachtet und unterstützt, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Jedes unserer Häuser ist einzigartig und gleichzeitig Teil eines gemeinsamen Leitbildes: den Bewohnern ein Zuhause zu bieten, das Sicherheit, Fürsorge und ein erfülltes Leben ermöglicht. Abb. 1: Annette Bortfeldt Ob im ruhigen Stadtteil Paradies, inmitten der Natur von Wollmatingen, im Stadtteil Petershausen, nahe dem Klinikum, in Allmannsdorf oder bald im neuen Wohnquartier Haus Weiherhof - die Häuser der Spitalstiftung verkörpern <?page no="116"?> ein Versprechen: Geborgenheit und Lebensqualität für jene, die sich in eine neue Lebensphase begeben - geschaffen für ein Leben in Würde und voller Möglichkeiten. Die Zimmer in allen Einrichtungen sind möbliert, auf Wunsch können eigene Möbel mitgebracht werden. Jedes Zimmer verfügt über ein barrierefreies Bad. Einleitung und Überblick zur Spitalstiftung Die Spitalstiftung Konstanz ist ein bedeutender Anbieter im Bereich der Al‐ tenpflege in der Stadt Konstanz. Die Stiftung bietet ein breites Spektrum an Betreuungs- und Pflegeangeboten in fünf stationären Pflegeeinrichtungen - Haus Urisberg, Haus Talgarten, Haus Salzberg, Haus Jungerhalde und das Luisenheim - mit einer Gesamtkapazität von 340 Plätzen. Ab dem zweiten Quartal 2025 wird diese Kapazität durch die Inbetriebnahme des neu gebauten Hauses Weiherhof auf 350 Plätze erhöht, das als Ersatzbau für das Luisenheim vorgesehen ist. Die Einrichtungen der Spitalstiftung widmen sich der ganzheit‐ lichen Pflege und Betreuung älterer Menschen, die aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, eigenständig zu leben. Das Ziel der Stiftung ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern eine hohe Lebensqualität in einer sicheren, unterstützenden und familiären Atmosphäre zu bieten. Philosophie und Leitlinien der Pflege Die Pflegeeinrichtungen der Spitalstiftung pflegen und versorgen insbesondere pflegebedürftige ältere Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Konstanz - ungeachtet ihres Einkommens, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltan‐ schauung. Eine wohnortnahe Versorgung ermöglicht es den Bewohnern, den Austausch mit anderen Menschen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. 116 Annette Bortfeldt <?page no="117"?> Abb. 2: Jorge Lugo-Gonzalez Im Mittelpunkt steht stets der einzelne Bewohner mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen. Die Einrichtungen legen besonderen Wert auf eine gesundheitsfördernde, qualifizierte Pflege sowie umfassende Beratung und Aufklärung. Neben der Grund- und Behandlungspflege vermitteln die Einrichtungen eine Vielzahl therapeutischer Maßnahmen, darunter Physiothe‐ rapie, Ergotherapie und kognitive Förderung, um die Mobilität und das geistige Wohlbefinden der Bewohner langfristig zu erhalten. Ein zentraler Leitgedanke der Spitalstiftung ist das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe: Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch soll so weit wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen können. Zudem wird die körperliche und seelische Unversehrtheit, die Freiheit und die Sicherheit der Bewohner gewahrt; Die Pflegeeinrichtungen respektieren das Recht jedes Bewohners auf eine geschützte Privat- und Intimsphäre. Das Recht, in Würde zu sterben, wird ebenfalls in hoher Achtung gehalten. Der tägliche Umgang mit den Bewohnern ist geprägt von Respekt, Höflichkeit, Toleranz und Wertschätzung. Die Pflegeeinrichtungen im Detail Haus Talgarten Das Haus Talgarten wurde im Jahr 1977 erbaut und im Jahr 2000 umfassend saniert und bietet aktuell 76 Pflegeplätze. Ab dem zweiten Quartal 2025 werden 60 Einzelzimmer in vier Wohngruppen verfügbar sein. Das Haus liegt zentral und dennoch ruhig im Konstanzer Stadtteil Paradies. Ein eigener Park bietet den Bewohnern eine naturnahe Umgebung und ermöglicht erholsame Spaziergänge. Zudem ist das Haus gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden, was Angehörigen und Freunden einfache Besuche ermöglicht. Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 117 <?page no="118"?> Das Haus Talgarten bietet großzügige, helle und freundlich gestaltete Zimmer, die mit Pflegebett, Nachttisch, Kleiderschrank, Kommode, Tisch und Stühlen ausgestattet sind. Um eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, können die Bewohner eigene Möbel mitbringen. Jedes Zimmer ist mit einem barriere‐ freien Sanitärbereich ausgestattet. Zu den Gemeinschaftseinrichtungen gehören ein Veranstaltungsraum, mehrere Sitzecken und ein Gartenbereich mit Sitzmög‐ lichkeiten, die den Bewohnern die Möglichkeit geben, sich zurückzuziehen oder Zeit in Gesellschaft zu verbringen. Abb. 3: Haus Talgarten Abb. 4: Haus Talgarten 118 Annette Bortfeldt <?page no="119"?> Luisenheim Das Luisenheim verfügt über drei Wohngruppen mit jeweils 20 Plätzen und bietet Platz für insgesamt 60 Bewohner in Einzel- und Doppelzimmern. Das Haus befindet sich im Stadtteil Petershausen, nahe dem Klinikum und umgeben von einer gepflegten Parkanlage. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind nur wenige Meter entfernt, was eine gute Erreichbarkeit gewährleistet. Die Zimmer sind hell und freundlich gestaltet und mit Pflegebett, Nachttisch, Kleiderschrank, Kommode, Tisch und Stühlen ausgestattet. Auch hier haben die Bewohner die Möglichkeit, eigene Möbel mitzubringen. Das Luisenheim zeichnet sich durch großzügige Aufenthaltsbereiche auf jeder Etage aus, die als zentrale Treffpunkte dienen. Ein besonderer Vorteil ist die Verbindung zur Tagespflege, die sich im selben Gebäude befindet. Wie viele Pflegeeinrichtungen in Deutschland steht das seit 1990 betriebene Luisenheim vor den Herausforderungen einer Umstrukturierung. Es wird zu‐ künftig keine Doppelzimmerbelegung mehr geben. Deshalb wird das Luisen‐ heim voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 seinen Betrieb einstellen, die Bewohner und Mitarbeiterinnen planen eine Neuanfang im Haus Weiherhof. Abb. 5: Luisenheim außen Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 119 <?page no="120"?> Abb. 6: Haus Luisenheim innen Haus Urisberg Das Haus Urisberg wurde 2004 erbaut und bietet in zwei Wohngruppen mit 28 Plätzen sowie einer Wohngruppe mit 24 Plätzen Platz für insgesamt 80 Bewohner. Es befindet sich in einem Wohngebiet im Stadtteil Wollmatingen und zeichnet sich durch moderne Architektur und ein durchdachtes Farbkonzept aus, das den Bewohnern Orientierung und Geborgenheit gibt. Die wohnlich gestalteten Zimmer sind mit einem Pflegebett, Nachttisch, Kleiderschrank, Kommode, Tisch und Stühlen ausgestattet, und persönliche Möbel können mitgebracht werden. Jedes Zimmer verfügt über einen barriere‐ freien Sanitärbereich. Eine Cafeteria dient als Begegnungsort für Bewohner und Angehörige und kann auch für Veranstaltungen genutzt werden. Die ländliche Umgebung von Haus Urisberg ermöglicht den Bewohnern eine ruhige Wohnatmosphäre. 120 Annette Bortfeldt <?page no="121"?> Abb. 7: Haus Urisberg Abb. 8: Haus Urisberg Zimmeransicht Haus Salzberg Das 2005 im Passivhaus-Standard erbaute Haus Salzberg bietet in vier Wohn‐ gruppen mit jeweils 16 Einzelzimmern Platz für 64 Bewohner. Es liegt im Stadtteil Petershausen, nahe dem Klinikum, und ist umgeben von einer ge‐ pflegten Parkanlage. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind leicht erreichbar, was Angehörigen den Besuch erleichtert. Die Zimmer sind modern und komfortabel ausgestattet. Ein abschließbarer Garten und speziell angelegte Rundwege bieten den Bewohnern einen ge‐ schützten Bereich, in dem sie sich sicher bewegen können. Zum Schutz für Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 121 <?page no="122"?> besonders von Demenz betroffenen Bewohnern kann das Haus nur über einen Code verlassen werden. Abb. 9: Haus Salzberg innen Abb. 10: Haus Salzberg Haus Weiherhof (zukünftig) Das Haus Weiherhof wird im zweiten Quartal 2025 als Ersatz für das Luisenheim eröffnet und liegt im neu entstehenden Wohngebiet Weiherhof Nord im Stadtteil Petershausen. In vier Wohngruppen für jeweils 15 Bewohner und zwei Wohn‐ gruppen für je 13 Bewohner wird das Pflegeheim Platz für 86 Menschen bieten. 122 Annette Bortfeldt <?page no="123"?> Die modern gestalteten Zimmer sind mit den üblichen Einrichtungsgegen‐ ständen ausgestattet und bieten den Bewohnern die Möglichkeit, eigene Möbel‐ stücke für eine persönliche Atmosphäre mitzubringen. Jedes Zimmer verfügt über einen barrierefreien Sanitärbereich. Die Flure und Gemeinschaftsräume werden mit zirkadianem Licht ausgestattet, das an den Tagesrhythmus ange‐ passt ist und die Wohnatmosphäre unterstützt. Eine große Wohnküche dient als zentrale Anlaufstelle für die Bewohner jeder Wohngruppe. Der Begegnungsraum im Erdgeschoss wird zum Treffpunkt und Veranstaltungsraum und bietet Zugang zum geschützten SOPHIA-Garten - einem Wohlfühlort, der mit vielfältigen Elementen zur Sinneswahrnehmung und Aktivierung der Bewohner ausgestattet ist. Abb. 11: Baufortschritt Haus Weiherhof Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 123 <?page no="124"?> Abb. 12: Lochfassade Haus Weiherhof Mitarbeitende und Ausbildung Mehr als 500 Mitarbeitende in den stationären Einrichtungen sorgen für die 350 Bewohner. In der Stiftung kommen die Mitarbeitenden aus mehr als 50 Ländern weltweit. Engagierte, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ein wertvolles Gut für die Spitalstiftung Konstanz. Die Stiftung fördert die persönliche und fachliche Entwicklung ihres Personals und schafft Freiräume für Eigenverantwortung. Die Qualität der Pflege und Betreuung werden durch regelmäßige Schulungen und eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten und The‐ rapeuten gesichert. Die Einrichtungen begegnen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Wertschätzung und Respekt und übertragen ihnen eigenver‐ antwortliche Aufgaben. Die Ausbildung von Pflegefachkräften nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein. Auszubildende bilden eine wichtige Säule des Unternehmens und tragen zur Sicherung der pflegerischen Versorgung in der Region bei. Pflege- und Betreuungsangebote Neben der Grund- und Behandlungspflege bietet die Spitalstiftung ein umfang‐ reiches Programm an therapeutischen und sozialen Aktivitäten. Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie und kognitive Förderung sollen die Mobilität und das geistige Wohlbefinden der Bewohner fördern. Auch die soziale Teilhabe 124 Annette Bortfeldt <?page no="125"?> wird durch vielfältige Aktivitäten wie Bastelkurse, Spieleabende, Bewegungs‐ angebote und Ausflüge in die Umgebung aktiv unterstützt. Abb. 13: Geschicklichkeitsübung im Luisenheim Abb. 14: Beweglichkeitsübung mit Musik Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 125 <?page no="126"?> Abb. 15: Gärtnerei im Luisenheim Zukunftsperspektiven Mit dem Neubau des Haus Weiherhof und der Weiterentwicklung der Pflege‐ konzepte bereitete sich die Spitalstiftung auf die künftigen Herausforderungen in der Altenpflege vor. Das Haus Weiherhof wird innovative Pflegeansätze und modernste Ausstattung bieten, um den Bewohnern und Bewohnern eine hohe Lebensqualität und eine sichere Umgebung zu gewährleisten. Eine maßgebliche Vergrößerung des Pflegeangebotes wurde mit der Übernahme des Hauses Jun‐ gerhalde von der Arbeiterwohlfahrt Landkreis Konstanz (AWO) zum 1. Januar 2025 erreicht. Abb. 16: Haus Jungerhalde 126 Annette Bortfeldt <?page no="127"?> Abb. 17: Drei BewohnerInnen aus dem Haus Urisberg freuen sich auf das Jubiläumsjahr Die fünf stationären Pflegeinrichtungen 127 <?page no="129"?> Ambulant betreute Wohngemeinschaften Erich-Bloch-Weg 4, Talgartenstraße 4 und Betreutes Wohnen am Georg-Elser-Platz 1 Annette Bortfeldt Die ambulant betreuten Wohngemeinschaften im Erich-Bloch-Weg und in der Talgartenstraße ermöglichen familiäres Leben Die Spitalstiftung Konstanz bietet mit den ambulant betreuten Wohngemein‐ schaften Talgartenstraße und Erich-Bloch-Weg eine innovative Wohnform für Menschen mit Demenz. Sie ermöglicht familiäre Strukturen, individuelle Betreuung und eine enge Einbindung der Angehörigen. Ziel ist es, den Bewoh‐ nern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sie in einer vertrauten Umgebung zu fördern - bis zum Lebensende. Abb. 1: WG Talgarten Die Spitalstiftung Konstanz steht für Verantwortung gegenüber pflegebedürf‐ tigen Bürgern. Der gesellschaftliche Wandel bringt den Wunsch nach neuen <?page no="130"?> Wohn- und Betreuungsformen mit sich. Insbesondere bei der Betreuung von Menschen mit Demenz besteht ein großer Bedarf an krankheitsspezifischen An‐ geboten. Die Spitalstiftung Konstanz möchte deshalb innovative Wohnformen ermöglichen. Dazu gehört, ambulant betreute Wohngemeinschaften als Ergän‐ zung zum Heim anzubieten. So sind 2018 und 2019 die beiden Wohngemein‐ schaften Talgartenstraße 4 und Erich-Bloch-Weg 4 entstanden. Abb. 2: Talgarten außen Abb. 3: Talgarten außen In den Wohngemeinschaften stehen Alltagsbegleiter den Bewohnern rund um die Uhr zur Seite. Sie unterstützen dabei, den individuellen Vorlieben nachzugehen und fördern gezielt die körperlichen und kognitiven Fähigkeiten 130 Annette Bortfeldt <?page no="131"?> der Bewohner. Nicht zuletzt sollen kleinere Wohngemeinschaften Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Auch nachts steht immer eine Mitarbeiterin zur Verfügung. Das ist wichtig für die Fürsorge von unruhigen nachtaktiven Bewohnern. Ergänzt wird der Alltagsbegleiter durch eine Person, die im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) mithilft. Abb. 4: Einweihung WG Talgarten: Osner, Mitsch, Voß Abb. 5: WG Talgarten Die Wohngemeinschaft in der Talgartenstraße wurde durch den Altenhilfe‐ verein Konstanz unterstützt, während das Projekt am Erich-Bloch-Weg in Zusammenarbeit mit dem Spar- und Bauverein Konstanz realisiert wurde. Ambulant betreute Wohngemeinschaften 131 <?page no="132"?> In den Wohngemeinschaften leben Menschen mit Pflegebedarf, insbesondere bei kognitiven Einschränkungen. Sie genießen ein familiäres, alltagsnahes Um‐ feld und gestalten ihre Zimmer mit eigenen Möbeln. Gemeinschaftsräume und Bäder werden geteilt. Das stärkt das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Angehörige und Spitalstiftung teilen sich die Verantwortung für die Bewohner. Mitarbeit und Anwesenheit der Angehörigen in der WG ist erwünscht. Sie übernehmen Verantwortung in wichtigen persönlichen Angelegenheiten und treffen im Bewohnergremium Entscheidungen. Die Wohngemeinschaft und ihre Struktur Eine klare Tagesstruktur mit einigen festen, immer wiederkehrenden Ereig‐ nissen bietet Orientierung und Sicherheit. Die Mahlzeiten haben in der Wohn‐ gemeinschaft einen hohen Stellenwert und werden wie in einer Familie ge‐ meinsam eingenommen. Sie strukturieren den Tag und fördern das Miteinander. Der Tagesablauf und die Aktivitäten richten sich nach den Wünschen und Fähigkeiten der Bewohner. Abb. 6: Strickende Bewohnerin in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft in der Erich-Bloch-WG 132 Annette Bortfeldt <?page no="133"?> Abb. 7: WG Erich-Bloch-Weg, Gemeinschaftsraum Alle Bewohner können bei der Zubereitung der Mahlzeiten und im Haushalt mithelfen und ihre Fähigkeiten einbringen. Pflegefachkräfte des ambulanten Pflegedienstes unterstützen zu festgelegten Zeiten und nach Absprache und Bedarf bei der Körperpflege und der Behandlungspflege. Dabei nehmen alle Bewohner denselben ambulanten Pflegedienst in Anspruch. Die Wohngemeinschaft in der Talgartenstraße befindet sich im ersten Ober‐ geschoss einer alten Villa mit Zugang zu einem Park und liegt in unmittelbarer Nähe zur Konstanzer Innenstadt. Sie bietet Platz für acht Menschen mit einer dementiellen Erkrankung. In der Nachbarschaft befinden sich das Pflegeheim Haus Talgarten und das Seniorenzentrum für Bildung und Kultur. Die Wohngemeinschaft am Erich-Bloch-Weg ist im Erdgeschoss eines Mehr‐ familienhauses im Stadtteil Fürstenberg gelegen. Auch hier leben acht Men‐ schen, die von der Nähe zu einem Stadtteiltreffpunkt, Bushaltestellen und Einkaufsmöglichkeiten profitieren. Perspektiven Grundsätzlich soll es den Bewohnern ermöglicht werden, bis zu ihrem Lebens‐ ende in der Wohngemeinschaft zu leben. In manchen Fällen kann sich der Ge‐ sundheitszustand jedoch so verschlechtern, dass die Wohngemeinschaft nicht mehr optimal den Bedürfnissen entspricht. Sobald eine optimale Betreuung nicht mehr gewährleistet ist, werden andere Unterbringungsmöglichkeiten, etwa in einer stationären Pflegeeinrichtung, eingeleitet. Ambulant betreute Wohngemeinschaften 133 <?page no="134"?> Abb. 8: WG Talgarten Die vergangenen sechs Jahre haben gezeigt, dass die ambulant betreuten Wohngemeinschaften der Spitalstiftung Konstanz eine wichtige Ergänzung zu den stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen darstellen. Diese Wohnform ermöglicht Menschen mit Demenz ein Leben in einem familiären Umfeld, das sowohl ihre Selbstständigkeit als auch ihre sozialen und kognitiven Fähigkeiten fördert. Die enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen sowie die kontinuierliche Unterstützung durch Alltagsbegleiter und Pflegekräfte haben sich als entscheidende Erfolgsfaktoren erwiesen. Angesichts der demografischen Entwicklung und des wachsenden Bedarfs an spezialisierten Pflegeformen ist die Weiterentwicklung dieses Modells eine Zu‐ kunftsperspektive. Die Spitalstiftung Konstanz bringt ihre Erfahrungen gerne ein, um die Weiterentwicklung und Verbreitung solcher Modelle, z. B. in Kooperation mit sozialen Trägern und kommunalen Partnern, voranzutreiben. Betreutes Wohnen am Georg-Elser-Platz 1 Inmitten des lebendigen Stadtteils Petershausen, mit idealer Busanbindung, liegt das Betreute Wohnen am Georg-Elser-Platz 1 - ein Ort, der Gemeinschaft und individuelle Freiheit harmonisch vereint. Die moderne Wohnform richtet sich an Menschen, die in der eigenen, gemieteten Wohnung leben. Im Bedarfsfall sorgt eine Notrufeinrichtung für Sicherheit und ein gutes Gefühl. Hier zeigt sich der Anspruch der Spitalstiftung, auch im ambulanten Bereich zeitgemäße Wohnangebote mit Herz und Haltung zu schaffen. 134 Annette Bortfeldt <?page no="135"?> Ambulanter Pflegedienst Zwischen steigender Nachfrage und Personalmangel Sabine Schilling Der Pflegealltag im ambulanten Pflegedienst Frühmorgens um 6.45 Uhr beginnt der Tag für die Pflegekräfte im ambulanten Dienst der Spitalstiftung Konstanz. Bevor sie zu ihren Touren aufbrechen, packen sie die notwendige Ausrüstung zusammen: Medikamente, Verbandsma‐ terial, Pflegehilfsmittel und - inzwischen ganz selbstverständlich - ein Tablet, das ihnen bei der Dokumentation und Kommunikation hilft. Die Organisation muss stimmen, denn jede Minute zählt. Jeder Handgriff wird dokumentiert, jede Maßnahme erfasst. Doch das eigentliche Ziel liegt nicht in der Bürokratie, sondern darin, den Menschen zu helfen, die sich auf die Pflegekräfte verlassen. Abb. 1: Ambulanter Pflegedienst „Die Touren sind unterschiedlich“, erzählt die Mandy Ehrenberg, Leiterin des Ambulanten Pflegedienstes, die seit über 20 Jahren in der Pflege arbeitet. „Es <?page no="136"?> kommt immer darauf an, welche Kunden heute auf dem Plan stehen.“ Die Pflegekräfte kehren meist zwischen 11 und 14 Uhr zurück. In dieser Zeitspanne haben sie ihre zugeteilten Patienten besucht - mal für einen schnellen Verbands‐ wechsel, mal für eine intensivere Pflegeeinheit. Abb. 2: Mandy Ehrenberg Die Anforderungen an den Ambulanten Pflegedienst sind vielfältig. Neben der klassischen Grundpflege, wie Waschen und Ankleiden, sind es oft medizinische Aufgaben, die auf die Mitarbeiter zukommen: Insulininjektionen, Medikamen‐ tengaben oder das Wechseln von Verbänden. Gerade diese Behandlungspflege nimmt einen immer größeren Teil des Arbeitsalltags ein, da die zu betreuenden Menschen meist hochbetagt und oft multimorbide sind. Die Kombination aus pflegerischen und medizinischen Aufgaben fordert den Pflegekräften höchste Flexibilität und Fachwissen ab. Technologische Unterstützung im Pflegealltag Um den anspruchsvollen Arbeitsalltag zu bewältigen, setzt die Spitalstiftung auf moderne Technologie. Jede Fachkraft ist mit einem eigenen Tablet ausgestattet. Die Tablets dienen nicht nur zur Dokumentation der erbrachten Leistungen, sondern auch zur Kommunikation mit dem Pflegeteam und zur Organisation der Touren. „Die Fachkräfte können sich schon am Abend vor ihrer Schicht ein Bild machen“, sagt Ehrenberg. „Sie gucken rein, was los ist, und sind dann am nächsten Tag direkt auf dem neuesten Stand.“ Diese Digitalisierung ist ein Segen im hektischen Pflegealltag. Denn früher, so berichtet die Leiterin, mussten die Pflegekräfte nach der Tourenrückkehr 136 Sabine Schilling <?page no="137"?> stundenlang Papierkram erledigen. Heute läuft vieles elektronisch und spart wertvolle Zeit, die besser in die direkte Pflege investiert wird. Dennoch steht hinter jedem Klick und jeder digitalisierten Liste die Verpflichtung zur Präzision. Jede Änderung im Pflegeplan, jede Anpassung von Medikamenten muss sofort ins System eingepflegt werden. „Das Tabletsystem ist nicht nur eine Erleichte‐ rung, es muss auch immer aktuell gehalten werden“, betont sie. Die Anforderungen an das Personal Die Pflegekräfte im Ambulanten Pflegedienst arbeiten überwiegend allein bei den Patienten. Diese Selbstständigkeit ist eine der größten Herausforderungen im Job. „Die Mitarbeitenden wissen nie, was sie erwartet, wenn sie zur Tür hineingehen“, erklärt Ehrenberg. „Manchmal betreten sie eine Wohnung, und die Person ist gestürzt oder braucht sofortige medizinische Hilfe.“ In solchen Momenten müssen die Pflegekräfte schnell und sicher reagieren. Sie können jederzeit im Büro anrufen, wo Unterstützung organisiert wird, doch vor Ort müssen sie in der ersten Linie eigenständig Entscheidungen treffen. Diese Verantwortung, verbunden mit den oftmals komplexen Bedürfnissen der Patienten, erfordert nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch psychi‐ sche Stabilität. „Es ist kein leichter Job“, sagt sie. „Unsere Mitarbeiter müssen täglich mit schwierigen Situationen umgehen, sei es durch den Zustand der Patienten oder auch durch anspruchsvolle Angehörige.“ Besonders herausfordernd ist es, wenn Patienten aufgrund ihrer Erkrankung unberechenbar werden. „Wir haben derzeit eine Kundin, die ein schweres Krankheitsbild hat und psychisch sehr fordernd ist“, erzählt die Leiterin. „Meine Mitarbeiter kommen emotional erschöpft zurück, weil die Frau kaum loslassen kann.“ Trotz dieser Schwierigkeiten sieht Ehrenberg keine Ausflucht. „Wir sind eine Stiftung, keine private Einrichtung. Wir können nicht einfach aufgeben, nur weil es schwierig wird.“ Kapazitätsgrenzen und der Personalmangel Der Ambulante Pflegedienst der Spitalstiftung ist stetig gewachsen. Von an‐ fänglich 3 Mitarbeitenden und zwei Autos im Januar 1997, sind es heute 68 Pflegekräfte und zehn Fahrzeuge. Die Zahl der betreuten Kunden ist auf 200 gestiegen. Doch mit dem Wachstum kommen neue Herausforderungen. Täglich gibt es mehr Anfragen als Kapazitäten, insbesondere für schwerstpflegebedürf‐ tige Menschen, die mehrfache tägliche Besuche erfordern. „Wir haben oft keine Ambulanter Pflegedienst 137 <?page no="138"?> Möglichkeit, neue Kunden aufzunehmen, weil uns schlicht das Personal fehlt“, erklärt die Leiterin. Das Hauptproblem: Es fehlt an Fachkräften. Teilzeitstellen sind kaum noch vermittelbar, da die Anforderungen zu hoch sind und die Pflegekräfte eine aus‐ gewogene Work-Life-Balance anstreben. „Teilzeitdienste funktionieren einfach nicht mehr“, sagt die Leiterin. „Wenn ich heute sage, jemand muss morgens und abends arbeiten, dann kriege ich dafür niemanden mehr.“ Die Anforderungen des Berufes haben sich verändert, die Erwartungen der Pflegekräfte ebenso. Der Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit Der Ambulante Pflegedienst der Spitalstiftung Konstanz steht, wie viele Pflege‐ dienste in Deutschland, vor einem Dilemma. Einerseits steigt die Nachfrage nach häuslicher Pflege durch den demografischen Wandel stetig an. Andererseits fehlen die Fachkräfte, um diese Nachfrage zu bedienen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Dienst am Laufen halten, leisten täglich Unglaubliches, doch ihre Belastungsgrenzen sind erreicht. Auch die Digitalisierung kann zwar helfen, entlasten, aber den Druck auf die Menschen nicht vollständig nehmen. Die Zukunft wird zeigen, wie es dem Ambulanten Pflegedienst gelingt, sich weiterzuentwickeln und auf die wachsenden Anforderungen zu reagieren. Eines steht jedoch fest: Die ambulante Pflege ist unverzichtbar, um den Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit in ihren eigenen vier Wänden zu ermöglichen - und das wird auch in den nächsten Jahren eine der größten Aufgaben der Spitalstiftung Konstanz bleiben. Abb. 3: Ambulanter Pflegedienst 138 Sabine Schilling <?page no="139"?> Pflegeverständnis neu gedacht Jorge Lugo und Sabine Markgraf Die Tagespflege steht vor der Herausforderung, sich an die Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft anzupassen. Moderne Angebote sollen den Men‐ schen im Alter ermöglichen, weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben teil‐ zunehmen. Neue Technologien bieten dabei eine große Chance. Ziel ist es, eine Tagespflege zu gestalten, die sowohl physische als auch soziale und digi‐ tale Teilhabe fördert. Ethische Grundsätze und verantwortungsvolles Handeln bilden dafür das Fundament. Modernisierung und Partizipation: Ein neues Pflegeverständnis Die Modernisierung der Tagespflege erfordert strukturelle Anpassungen. Dazu gehören soziale und digitale Angebote für die Gäste. Die Tagespflege kann als Kompetenzzentrum fungieren. Hier reden die Menschen miteinander und tauschen sich aus. In wöchentlichen Workshops etwa lernen Gäste, wie sie Videoanrufe nutzen, um mit Familienmitgliedern in Kontakt zu bleiben, die weit entfernt leben. Es ist nachgewiesen, dass regelmäßige soziale Kontakte die Gesundheit älterer Menschen fördern, während eingeschränkte Mobilität häufig zu Einsamkeit führen kann. Schulungen und der Einsatz von digitalen sowie analogen Kommunikationsmitteln können die Gäste befähigen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und ihre Netzwerke zu pflegen. Dies steigert ihre Lebensqualität und ermöglicht ihnen, länger zu Hause zu bleiben. Die Digitalisierung eröffnet zahlreiche Chancen für die Tagespflege. Digitale Hilfsmittel wie Telemedizin, Monitoring-Systeme und Kommunikationsplatt‐ formen könnten in Zukunft den Pflegealltag erheblich erleichtern. Solche Tech‐ nologien unterstützen die Gäste dabei, trotz gesundheitlicher Einschränkungen aktiv in Kontakt zu bleiben. Wichtig ist dabei, dass diese technischen Lösungen die ethischen Prinzipien respektieren und die menschliche Interaktion berei‐ chern, anstatt sie zu ersetzen. Schon heute wird versucht, das Fenster zur <?page no="140"?> digitalen Welt zu eröffnen - zum Beispiel durch Zeitungsrunden, die digitale Medien einbeziehen, oder den Einsatz von VR-Brillen, die mit visuellen Impulsen schöne Erinnerungen wecken. Eine moderne Tagespflege konzentriert sich verstärkt auf gesundheitsför‐ dernde Themen. Durch präventive Maßnahmen wie regelmäßige Bewegungs‐ programme, die gezielt auf die Bedürfnisse der Gäste abgestimmt sind, und eine ausgewogene Ernährung kann die Gesundheit nachhaltig gestärkt werden. Diese Angebote helfen nicht nur, den Pflegebedarf zu senken, sondern fördern auch soziale Kontakte, was die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben insgesamt unterstützt. Abb. 1+2: Zeitungsrunde 140 Jorge Lugo und Sabine Markgraf <?page no="141"?> Kosteneffizienz und Finanzierung Die Kombination moderner Pflegekonzepte mit digitaler Technologie, wie bei‐ spielsweise Sturzpräventionssystemen, macht die Tagespflege kosteneffizient. Solche präventiven Maßnahmen sparen nicht nur Geld, sondern ermöglichen es den Menschen auch, länger in ihrem vertrauten Umfeld zu bleiben. Somit bietet die Tagespflege eine kostengünstigere Alternative zur statio‐ nären Pflege. Dies entlastet die Pflegekassen und senkt die Ausgaben für Pflegeheime. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Pflegeeinrichtungen, Kos‐ tenträgern und politischen Entscheidungsträgern spielt dazu eine wichtige Rolle. Pflegeverständnis neu gedacht 141 <?page no="143"?> Die woge - seit 2020 Teil der Spitalstiftung Konstanz Sabine Wissmann Mit 21 Jahren änderte sich das Leben von Herrn B. grundlegend. Die Diagnose Schizophrenie zwang ihn, sein Jurastudium abzubrechen und ins Elternhaus zurückzukehren. Von da an wechselten sich Klinikaufenthalte und kurze Entlas‐ sungen immer schneller ab, bis die Klinikaufenthalte schließlich länger wurden. Diese Phase war geprägt von Suizidversuchen und der verzweifelten Suche nach einem Medikament, das ohne schwerwiegende Nebenwirkungen wirkt. Das Verhältnis zu den Eltern verschlechterte sich zunehmend, und die Spannungen nahmen zu. Fachliche Assistenzleistungen im eigenen Wohnraum - so heißt das Angebot der woge seit den Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz - besser bekannt noch unter dem alten Begriff „ambulant betreutes Wohnen“. Ein Wendepunkt kam, als Herr B., inzwischen 26 Jahre alt, während eines Klinikaufenthaltes von den Angeboten der woge erfuhr. Die Möglichkeit, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen und wieder selbstständiger zu leben, gab ihm neuen Mut. Er bewarb sich erfolgreich und begann, sein Leben Schritt für Schritt in die Hand zu nehmen. In den vier Jahren, die er in der Wohngemeinschaft verbrachte, lernte er, alltägliche Herausforderungen zu meistern, sich in eine Gruppe zu integrieren und die Erkrankung als Teil seines Lebens zu akzeptieren. Doch beruflich musste Herr B. umdenken: Die lange Krankheitsgeschichte hatte seine Belastbarkeit so stark beeinträchtigt, dass sein Einsatz auf den ersten Arbeitsmarkt unmöglich war. Nach vielen Praktika und dem Kennenlernen einer Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen fand Herr B. schließlich eine feste Anstellung im zweiten Arbeitsmarkt. Der geschützte Rahmen gab ihm die Sicherheit und Stabilität, die er brauchte, um beruflich Fuß zu fassen und gleichzeitig ein Gefühl der Selbstständigkeit zu bewahren. Eine psychische Erkrankung geht in der Regel mit tiefgreifenden Verände‐ rungen einher. Betroffen sind alle denkbaren Lebensbereiche: Meist verschlech‐ <?page no="144"?> tert sich die finanzielle Situation durch eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit und Arbeitsplätze gehen verloren. Soziale Beziehungen und Partnerschaften verändern sich und damit auch die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Nicht zuletzt geht es darum, einen guten Umgang mit der Diagnose zu finden, sie zu akzeptieren und das Leben darauf einzustellen. Heute lebt Herr B. in seiner eigenen Wohnung. Nach dem Auszug aus der Wohngemeinschaft nutzte er noch eine Zeit lang die Assistenzleistungen der woge, doch mittlerweile benötigt er diese Unterstützung nicht mehr. Er hat sein Ziel erreicht: Ein selbstständiges, eigenverantwortliches Leben. Die Geschichte von Herrn B. ist beispielhaft für viele Menschen, die sich an die woge wenden. Seit der Gründung im Jahr 1983 hat sich die woge als unverzichtbare Unter‐ stützung für Menschen mit psychischen Erkrankungen etabliert. Wohngemein‐ schaften, Kooperationen mit der städtischen Wohnbaugesellschaft (Wobak) und ambulante Begleitung sind nur einige der Angebote, die dabei helfen, den Betroffenen ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. 2020 brachte eine bedeutende Veränderung: Die woge wurde Teil der Spi‐ talstiftung Konstanz. Dadurch konnten sich die jetzt 14 Mitarbeitenden noch intensiver auf ihre Arbeit konzentrieren, während gleichzeitig das Engagement gegen Stigmatisierung und Diskriminierung verstärkt wurde. Mit sechs Wohn‐ gemeinschaften, sechs Apartments in Kooperation mit der Wobak und der Begleitung von 90 Menschen ist die woge heute eine unverzichtbare Stütze in der Region. Finanziert werden die Assistenzleistungen über die Eingliederungshilfe des Landratsamtes. Und die Zukunft? Herr B. hat es geschafft, sich aus der Abhängigkeit zu befreien. Doch der Unterstützungsbedarf wächst und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der woge werden unermüdlich denjenigen zur Seite stehen, die sich heute in der Situation befinden, in der er sich damals befand - bereit, den nächsten Schritt zu gehen, aber noch unsicher, wie dieser aussehen soll. 144 Sabine Wissmann <?page no="145"?> Abb.: Sabine Wissmann Die woge - seit 2020 Teil der Spitalstiftung Konstanz 145 <?page no="147"?> Das Sozialpädiatrische Zentrum Konstanz (SPZ) Eine besondere Einrichtung Jens Teichler Das Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) in Konstanz ist eine spezialisierte me‐ dizinische Einrichtung, die Kinder und Jugendliche mit bestehenden oder vermuteten Behinderungen betreut. Diese Beeinträchtigungen können die kör‐ perliche, geistige oder seelische Entwicklung sowie die Sinnesorgane betreffen und vielfältige Ursachen haben. In vielen Fällen werden betroffene Kinder von einem Kinderarzt betreut. Doch sobald Fragen zu Entwicklungsstörungen, neurologischen Erkrankungen oder einer möglichen Behinderung auftreten, wird eine spezielle Untersuchung und Beratung notwendig. Hier setzt das SPZ an. Abb. 1: Kleiner Patient Die rechtliche Grundlage für die Gründung des SPZs wurde 1989 geschaffen. Seitdem entstanden bundesweit über 160 dieser Zentren, davon 20 in <?page no="148"?> Baden-Württemberg. Alle SPZs arbeiten nach einem interdisziplinären Ansatz: Teams aus den Bereichen Medizin und Pflege, Psychologie, Pädagogik (Heil- und Sozialpädagogik), aus den verschiedenen therapeutischen Bereichen (Ergothe‐ rapie, Logopädie, Physiotherapie) und aus administrativen Berufen betreuen gemeinsam die jungen Patienten. Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen in ihrem gesamten „bio-psycho-sozialen“ Kontext zu betrachten. Dies bedeutet, dass neben der medizinischen Versorgung auch Faktoren wie das familiäre Umfeld oder die schulische Situation in die Diagnostik und Therapie einbezogen werden. Abb. 2: Schild SPZ Ganzheitliche Betreuung im Fokus Im SPZ wird der Grundsatz der „Ganzheitlichen Medizin“ aktiv gelebt. Es geht nicht nur darum, medizinische Untersuchungen und Behandlungen im engeren Sinne anzubieten, sondern das gesamte Umfeld des Kindes zu verstehen und zu berücksichtigen. Dies beinhaltet neben genetischen Faktoren auch soziale und psychologische Aspekte. Durch enge Kooperationen mit anderen medizinischen, pädagogischen und sozialen Einrichtungen können individuelle Lösungen für die Bedürfnisse der Familien entwickelt werden. Das Ziel dieser ganzheitlichen Betreuung besteht darin, den Eltern mögliche unbegründete Ängste zu nehmen oder sie bei einer bestätigten Diagnose respektvoll und transparent zu begleiten. Oft ist der Weg von der Diagnose 148 Jens Teichler <?page no="149"?> bis zur Anpassung im Alltag lang und herausfordernd. Das SPZ unterstützt die Familien dabei, indem es sie Schritt für Schritt durch den Prozess begleitet. Abb. 3: Bild gemalt von Patientin Die Entwicklung des SPZ Konstanz Das SPZ Konstanz wurde 1991 als eines der ersten Zentren dieser Art in Deutschland gegründet. Die Initiative dazu ging vom damaligen Chefarzt der Kinderklinik, Prof. Schwenk, und dem Neuropädiater Dr. Kratzer aus. Letzterer war zusammen mit seinem engagierten Team maßgeblich für den Aufbau und die Entwicklung des Zentrums verantwortlich. Damals war das Zentrum noch Teil der Kinderklinik Konstanz. Schon bald nach seiner Gründung erwarb sich das SPZ einen hervorragenden Ruf weit über die Grenzen der Stadt und des Landkreises hinaus. Im Zuge regionaler Gesundheitsreformen und struktureller Veränderungen stand das SPZ zwischen den Jahren 2008 und 2013 vor großen Herausforde‐ rungen. Während dieser Zeit wurde das SPZ vom Chefarzt der Kinderklinik, Prof. Gessler geleitet. Es wurde beschlossen, das Zentrum ab 2013 als eigen‐ ständige Einrichtung mit eigener Leitung weiterzuführen, was den Weg für eine dynamische Weiterentwicklung ebnete. Unter der neuen Leitung von Dr. Teichler konnte sich das Zentrum seit 2013 sowohl in der fachlichen Breite als auch in der Tiefe des Angebots kontinuierlich und systematisch erweitern und entwickeln. Die Zahl der betreuten Patienten, der zuweisenden Ärzte und des Personals vervielfachte sich in den folgenden Jahren. Im Jahr 2024 betreute das SPZ über 2000 Kinder und Jugendliche aus acht Landkreisen. Das Sozialpädiatrische Zentrum Konstanz (SPZ) 149 <?page no="150"?> Abb. 4: Mitarbeitende des SPZ Vielfältige Herausforderungen und spezialisierte Betreuung Die Kinder und Jugendlichen, die heute in das SPZ Konstanz überwiesen werden, haben die unterschiedlichsten Probleme und Anliegen: von Entwick‐ lungsauffälligkeiten, Aufmerksamkeitsstörungen und Verhaltensproblemen bis hin zu verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie Kopfschmerzen oder Epilepsie. Hinzu kommen spezielle Anliegen wie Schlafstörungen bei Säug‐ lingen, Orthesenversorgung bei Kindern mit spastischen Lähmungen, Nachbe‐ treuung von Säuglingen nach Frühgeburten und vieles mehr. 150 Jens Teichler <?page no="151"?> Diese dynamische Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Bedarf an einer solchen spezialisierten medizinischen Versorgung ist immens und kann mit den derzeitigen Angeboten kaum gedeckt werden. Abb. 5: Patientenfoto Pläne für die Zukunft Trotz der bisherigen Erfolge ist die Nachfrage nach spezialisierter Betreuung weiterhin immens. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, müssen in den nächsten Jahren umfangreiche Erweiterungen geplant werden. Im Jahr 2025 steht deshalb ein weiterer Schritt an: Das SPZ wird in ein Gebäude der Spitalstiftung umziehen, in dem derzeit noch das Luisenheim untergebracht ist. Es bietet moderne Räumlichkeiten und zusätzliche Kapazitäten. Dank an die Spitalstiftung Ein wesentlicher Garant für den bisherigen und zukünftigen Erfolg des SPZ Konstanz ist die Unterstützung durch die Spitalstiftung Konstanz. Durch die enge Zusammenarbeit und die seit 2023 bestehende neue organisatorische Struktur als „Eigenbetrieb SPZ“ stehen dem Zentrum weitreichende Entwick‐ lungsmöglichkeiten offen. Das SPZ gratuliert der Spitalstiftung herzlich zu ihrem 800-jährigen Jubiläum und freut sich auf die gemeinsame Zukunft. Das Sozialpädiatrische Zentrum Konstanz (SPZ) 151 <?page no="153"?> Mit Leidenschaft, Liebe und Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Die Küche der Spitalstiftung Rebecca Koellner Küchenleiter Thomas Renz bringt es auf den Punkt: „Wir kochen mit Liebe und Leidenschaft.“ Das ist keineswegs nur so daher gesagt. Er meint es ernst. Liebe bedeutet mehr als mit Hingabe zu kochen. Liebe beginnt beim Einkauf von Lebensmitteln und beim Umgang des Küchenteams miteinander. Täglich bereitet das 21-köpfige Team rund 300 Mahlzeiten zu. Es gibt vegetarische und fleischhaltige Gerichte, Salate, Desserts und - das ist etwas Besonderes - pürierte Kost für die Gruppe der Seniorinnen und Senioren, die unter Kau- und Schluckbeschwerden leiden. Viele Aufgaben, die 365 Tage im Jahr sorgfältig und zuverlässig erfüllt werden. Abb. 1: Thomas Renz <?page no="154"?> Gesunde Ernährung im Alter Die Küche der Spitalstiftung Konstanz richtet sich nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) - und ist Bio-zertifiziert. Gerade in der Seniorenpflege spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Im Mit‐ telpunkt steht eine ausgewogene, bedarfsgerechte Ernährung im Alter. Thomas Renz achtet darauf, dass die Mahlzeiten reich an Nährstoffen, leicht verdaulich und auf die individuellen Bedürfnisse der Seniorinnen und Senioren abgestimmt sind. Auch viel frisches Obst und Gemüse, ballaststoffreiche Vollkornprodukte sowie Proteine aus qualitativ hochwertigem Fleisch und Fisch stehen auf dem Menüplan. Vegetarische und vegane Alternativen spielen eine immer wichtiger werdende Rolle, um den unterschiedlichen Ernährungsbedürfnissen gerecht zu werden. Ein vegetarisches Menü wird täglich angeboten. Mittwochs hat sich zum vegetarischen Tag in den Einrichtungen etabliert. Abb. 2: Pfannkuchen Die GWÖ kocht mit Die Spitalstiftung Konstanz mit ihrer langen Tradition der Fürsorge dehnt den Begriff seit wenigen Jahren verstärkt und umfassender als früher auf die Küche aus. Die Küche der Spitalstiftung Konstanz ist heute weit mehr als nur ein Ort, an dem Mahlzeiten zubereitet werden. Sie ist auch ein Symbol für Nachhaltigkeit, Verantwortung und regionaler Verbundenheit. Der Impuls hierfür geht auf das Engagement von Thomas Renz zurück, der seit dem Be‐ kenntnis der Spitalstiftung zur Gemeinwohl-Ökonomie die Küche umfassender betrachtet. Das auf ethischen Werten basierende Wirtschaftssystem stellen das Wohl von Mensch, Tier und Umwelt in den Mittelpunkt. So kam es, 154 Rebecca Koellner <?page no="155"?> dass Renz auf die vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg neu ausgerufene „Bio-Musterregion Bodensee“ aufmerksam wurde. Die Musterregion empfiehlt, dass Großküchen einen möglichst hohen Anteil an Bio- und regionalen Produkten verarbeitet. Abb. 3: Bio-Musterregion Bodensee Sparen am richtigen Ort Allzu oft wird in Großküchen aus Sorge, die gekochte Anzahl an Menüs reiche nicht, zu viel gekocht. Als Resultat werden viele Mahlzeiten weggeworfen. Damit verschwendet man nicht nur Lebensmittel, sondern auch Geld, Arbeits‐ zeit und Energie. Die Küche hat daher ein Bestellprogramm angeschafft, um passgenau zu kochen und Überproduktionen zu vermeiden. Das eingesparte Geld steht für besonders hochwertige Lebensmittel zur Verfügung. Die Umwelt schonen kann das Küchenteam auch bei Reinigungsmitteln auf Bio-Basis. Sie enthalten kein Phosphat und sind gut abbaubar. Dosieranlagen helfen, Überdosierungen zu vermeiden und damit ebenso die Umwelt zu schonen. Darf’s ein bisschen mehr sein? Viele Küchen verzichten auf Bio-Fleisch oder auf Fleisch aus artgerechter, regio‐ naler Tierhaltung, da dieses Fleisch teurer ist als solches aus Massentierhaltung. Doch wie steht es um Tierwohl? Billigfleisch ist überraschend günstig. Hinter Billigfleisch steckt oftmals eine dem Tier nicht angemessene, unwürdige Art Mit Leidenschaft, Liebe und Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) 155 <?page no="156"?> der Haltung. Hier ist Renz, der auch gelernter Metzgermeister ist, deutlich: Das eingekaufte Frischfleisch, stammt von Tieren aus der Bodenseeregion und hat ein sehr hohes Tierwohl-Prädikat gemäß des Siegels „Gutes im See“. Hat es geschmeckt? Bei all diesen Fragen rund um gesunde Lebensmittel bleibt die wichtige Frage: „Wie hat’s geschmeckt? “ Viel Lob erhält das Team nicht nur von den Heimbe‐ wohnerinnen und -bewohnern, sondern auch von den Angehörigen. Das Team probiert immer wieder neue Gerichte aus und baut sie in den Menüplan ein, um für Abwechslung zu sorgen. Thomas Renz und seinem Team ist es gelungen, ein Angebot zu schaffen, das nicht nur den Ansprüchen der Seniorinnen und Senioren gerecht wird, sondern auch Vorbildcharakter für andere Einrichtungen hat. Durch den bewussten Einsatz von regionalen und ökologischen Zutaten, die Orientierung an den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie und die Umsetzung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung setzt die Küche der Spitalstiftung Konstanz Maßstäbe für eine gesunde, nachhaltige und wohlschmeckende Ge‐ meinschaftsverpflegung. Abb. 4: Gruppenfoto Küche 156 Rebecca Koellner <?page no="157"?> Die Spitalstiftung Konstanz - nachhaltig am Gemeinwohl orientiert Sabine Menhofer Nachhaltigkeit ist kein Modewort - sie ist dringend notwendig geworden. Die vor 800 Jahren gegründete Spitalstiftung Konstanz steht an einer Weggabelung. Was die Spitalstiftung heute und in Zukunft tut, bestimmt mit, wie sich die Welt entwickelt. Klimawandel, Ressourcenknappheit und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind nur einige der Probleme, die uns dazu zwingen, Denken und Handeln neu auszurichten. Sie stehen im Spannungsfeld zu traditionellen Werten. Die Frage drängt sich auf: Kann eine Institution, die auf den Prinzipien des Wohlergehens und der Fürsorge beruht, diesen Prinzipien auch im 21. Jahrhundert gerecht werden und gleichzeitig den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen unserer Zeit entsprechen? Abb. 1: Sabine Menhofer <?page no="158"?> Im Wandel Die Spitalstiftung Konstanz verfolgt nicht nur das Ziel, für Pflegebedürftige da zu sein, sondern auch einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Was bedeutet das konkret? Die Stiftung entschied 2017 aus einem Impuls heraus, eine Gemeinwohl-Bilanz (GWB) zu erstellen. Diese Bilanz betrachtet die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens und nicht nur dessen wirtschaftlichen Erfolg. Beim Leitungsteam der Stiftung stieß diese Idee schnell auf großes Interesse. Der Prozess startete im Jahr 2019, als die Stiftung erstmals begann, einen ent‐ sprechenden Bericht zu erstellen. Das Ergebnis war eine Kompaktbilanz, die die Spitalstiftung im Jahr 2020 mit dem Label „GWÖ-bilanzierendes Unternehmen mit externem Audit“ auszeichnete. Ein Zeichen dafür, dass es der Stiftung ernst ist, wenn es um verantwortungsvolles Handeln geht. Doch was bringt so eine Bilanz? Sie hilft dabei, sich als Organisation selbst besser einzuordnen. Die Spitalstiftung hat durch die Gemeinwohl-Bilanz her‐ ausgefunden, wo sie gut dasteht und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Die Themen Lieferanten und Energiebilanzen werden jetzt noch einmal genau unter die Lupe genommen. Bei den Themenfeldern Mitarbeitende, achtsamer Umgang mit Lebensmittel und bauen oder sanieren ist die Spitalstiftung Konstanz auf einem guten Weg. Der Anspruch der Spitalstiftung Konstanz ist es, sich ständig weiterzuentwi‐ ckeln. Und genau aus dieser Motivation heraus laufen bereits die Vorbereitungen für eine zweite Bilanz. Diese soll im Jahr 2025, passend zum 800-jährigen Jubi‐ läum der Stiftung, mit einem erneuten externen Audit abgeschlossen werden. Der Antrieb Die Gemeinwohl-Ökonomie entspricht dem Kern der Stiftung, ist aus dem Stiftungsgedanken entwickelt und passt zur Haltung der Stiftung. Bereits vor 800 Jahren legten die Konstanzer Bürger Heinrich Bitzenhofen und Ulrich Blarer vorausschauend den Grundstein dafür, dass das Wohl hilfsbedürftiger Menschen jeden Alters sowie der Mitarbeitenden im Mittelpunkt steht. Heute stehen rund 560 Mitarbeitende aus 55 Nationen für eine zukunftsori‐ entierte und liebevolle Pflege. Neben der Fürsorge für Menschen wird im 21.-Jahrhundert die Nachhaltigkeit zu einem zentralen Thema. Die Stiftung sieht sich der Verantwortung gegenüber zukünftigen Genera‐ tionen verpflichtet und ergänzt ihre Gemeinwohlökonomie um die Dimen‐ sionen der Nachhaltigkeit. 158 Sabine Menhofer <?page no="159"?> Der Konflikt Dieser Transformationsprozess bringt auch Konflikte mit sich: Mitarbeitende, die an bewährten Methoden festhalten, sehen sich mit Herausforderungen kon‐ frontiert, die finanzielle Belastungen durch nachhaltige Investitionen mit sich bringen können. Gleichzeitig wächst der Druck von außen durch gesetzliche Anforderungen und die problematische Wohnraumsituation in Konstanz. Dieses Spannungsfeld spiegelt sich in den strategischen Entscheidungen der Stiftung wider: Welche Projekte sollen priorisiert werden? Wie lassen sich Tradition mit Gemeinwohl und Nachhaltigkeit in Einklang bringen? Drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - umgesetzt in der Spitalstiftung Konstanz Wie unterscheidet sich den die Gemeinwohlbilanzierung von einer Nachhaltig‐ keitsberichterstattung? Während beide Ansätze auf soziale und ökologische Verantwortung abzielen, betont die Gemeinwohlökonomie zusätzlich ethische Grundsätze und das Wohl der gesamten Gemeinschaft - von den Mitarbeitenden über die Bewohner bis hin zur Stadt Konstanz und der Umwelt. Die Spitalstiftung hat sich zum Ziel gesetzt, alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - ökologisch, wirtschaftlich und sozial - in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Ökologische Nachhaltigkeit bezieht sich auf den verantwortungsvollen Um‐ gang mit natürlichen Ressourcen, um die Lebensgrundlagen der Erde langfristig zu erhalten. Sie zielt darauf ab, Umweltschäden zu minimieren, Biodiversität zu schützen und ökologische Gleichgewichte zu bewahren. Beispiel: Nachhaltiges Konsumverhalten - Reduktion von Küchenabfällen Die Reduktion der Küchenabfälle erfolgte in der Spitalstiftung in vier Schritten: Im ersten Schritt führte der Küchenleiter 2018 eine Verpflegungssoftware in der Spitalstiftung ein, die eine tagesgenaue Essensbestellung ermöglicht. Im zweiten Schritt wurden die Rezepturen für alle Gerichte erstellt und die richtigen Portionsgrößen ermittelt. Die Portionsgrößen wurden optimiert und die Küchenabfälle deutlich reduziert. Der dritte Schritt war der Beitritt zur Bio-Musterregion Bodensee im Jahr 2020. Ziel war es, den Anteil an regionalen und biologischen Lebensmitteln im Wareneinsatz zu erhöhen und die Lebens‐ mittelverschwendung zu reduzieren. Als letzter Schritt und Feinschliff wurde eine Testmessung der Küchenabfälle mit Waage, Kamera und KI durchgeführt. Die Spitalstiftung Konstanz - nachhaltig am Gemeinwohl orientiert 159 <?page no="160"?> Die Speisereste in den Großgebinden und auf den Tellern, die zurück in die Küche kamen, wurden gewogen, fotografiert und die Bilder mithilfe von künstlicher Intelligenz nach Art der Speisereste ausgewertet. So war es möglich, einzelne Zutaten nochmals zu verändern und z. B. Beilagen auszutauschen oder die Darreichungsform der Beilagen zu ändern (z. B. Radieschen am Stück wurden in kleine Stifte geschnitten und in Schälchen serviert). Das Ergebnis war eine Reduzierung der Küchenabfälle auf ein Minimum. Ökonomische Nachhaltigkeit bedeutet, wirtschaftliche Prozesse so zu ge‐ stalten, dass sie langfristig tragfähig sind und nicht auf Kosten von Umwelt oder sozialen Strukturen gehen. Sie fördert Innovation und Effizienz, um sowohl gegenwärtige als auch zukünftige Generationen wirtschaftlich zu sichern. Beispiel: Saubere Energie - energieeffizientes Bauen und Sanieren Bei allen Neubauten der Spitalstiftung wird ein hoher energetischer Standard gewählt, der über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht. Das Pflegeheim Haus Weiherhof mit 70 Plätzen und geplanter Fertigstellung im Jahr 2025 entspricht dem Standard eines Effizienzhauses 55. Die Mitarbeitergebäude im Sierenmoos wurden als Effizienzhaus 40 EE kon‐ zipiert. Dadurch wird nur 40 % der Primärenergie benötigt. Alle Bauvorhaben sind mit PV-Anlagen und Wärmepumpen ausgestattet. Die Häuser Talgarten und Urisberg wurden nachgerüstet. Die Spitalstiftung zeichnet sich als voraus‐ schauender und zukunftsorientierter Bauherr aus. Soziale Nachhaltigkeit stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Sie zielt darauf ab, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und den Zugang zu Grund‐ bedürfnissen wie Bildung, Gesundheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle Menschen zu gewährleisten. Der Mensch steht im Mittelpunkt Die Spitalstiftung beschäftigt 560 Mitarbeitende aus 55 Nationen. Das Motto „miteinander Vielfalt leben“ ist dabei Leitlinie und Orientierung zugleich. Die Stiftung stellt über 250 Mitarbeiterwohnungen bereit und verfügt über 30 Betriebskindergartenplätze für Kinder unter drei Jahren sowie 30 weitere Plätze für Kinder über drei Jahre, die in Planung sind. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement umfasst neben der Vermittlung von Entspannungstechniken und sportlichen Aktivitäten auch Weiterbildungen in Achtsamkeit, interkultureller Führung und interkulturellem Miteinander. 160 Sabine Menhofer <?page no="161"?> Die Förderung der Gesundheit der Mitarbeitenden erfolgt durch Angebote wie JobRad und Hansefit. Ein Blick in die Zukunft: 1225 - 2025 - 2825 Was wird in 800 Jahren sein? Vielleicht werden künftige Generationen auf das 21. Jahrhundert zurückblicken und sich wundern: die gesellschaftlichen oder technologischen Veränderungen, die wir heute als neu oder revolutionär empfinden, könnten in naher Zukunft als normal angesehen werden. Vielleicht wundern sie sich, wie wir manche Dinge gelöst oder Probleme angegangen sind. Doch jeder Schritt - und mag er noch so klein oder langsam sein, ist wichtig, um die Zukunft lebenswert zu gestalten. Und mit dem Blick zurück wird vermutlich wesentlich deutlicher zu sehen sein, wie Gemeinwohl-Ökonomie und Nachhaltigkeit gemeinsam und füreinander die Spitalstiftung Konstanz durch die Generationen tragen werden. Die Spitalstiftung Konstanz - nachhaltig am Gemeinwohl orientiert 161 <?page no="163"?> Mittelbeschaffung verbessert das Leben im Alter Rebecca Koellner Es muss ein erbärmlicher Anblick gewesen sein. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts, zu der Zeit, als die Spitalstiftung Konstanz gegründet wurde, tummeln sich in Konstanz zerlumpte, von Armut, Krankheiten und den Gebrechen des Alters gekennzeichnete Menschen. Hungrige, heimatlose Waisenkinder treiben sich in den Gassen umher. Schließlich fassen sich zwei Konstanzer Bürger ein Herz und gründen eine mildtätige Stiftung. Sie errichten einen Hort, wo diesen unglückseligen Menschen geholfen werden kann. Dort, auf er Marktstätte, ganz zentral soll es entstehen, das Heilig-Geist-Spital, das später zur Spitalstiftung Konstanz wird. Damit ist nicht nur der Grundstein des Gebäudes gelegt, sondern auch der Anlass für die Mittelbeschaffung, die bis in die Gegenwart reicht. In anderen Worten: Menschen unterstützen auf Hilfe angewiesene Menschen der Stadt Konstanz. Einmal mehr, einmal weniger Im Laufe der Jahrhunderte wächst die Spitalstiftung - hauptsächlich durch Schenkungen von Bürgern, die etwas für ihr Seelenheil tun wollten oder um einfach zu helfen, wo es nottut - also ganz im Geiste der christlichen Religion. Der Stiftung werden nicht nur Gebäude überschrieben, sondern auch Rebflä‐ chen, Wälder und Wiesengrundstücke. Durch Kriege, Auseinandersetzung oder Besitzumverteilungen verliert sie auch viel von diesem Besitz: Ihre Rebflächen im heutigen Thurgau zum Beispiel, aber auch Grundstücke auf der anderen deutschen Seeseite gehen verloren. Bereichernde Projekte für Konstanz Die beiden Bürger Blarer und von Bitzenhofen, erkannten früh den Wert einer Gemeinschaft. Diese Kraft innerhalb der Stadt ist eng mit der Spitalstif‐ tung Konstanz verknüpft. Denn durch diesen innerstädtischen Zusammenhalt <?page no="164"?> und den Werteverbund gelingt es heute, zeitgemäße Pflege umzusetzen und neue Wege auszuprobieren, letztere ist eine intrinsische und gesellschaftlich relevante Eigenschaft von Stiftungen. Die Stiftung baut Wohnungen für ihre Mitarbeitenden und vermietet sie so günstig wie möglich. Aktuell entsteht eine neue Pflegeeinrichtung, das Haus Weiherhof, das im Jahr 2025 eingeweiht werden wird. Diese Projekte kosten viele Millionen Euro. Als Stiftung, die allen sozialen Schichten offensteht, kann sie besondere Aufwände, die den Alltag für pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren verschönern und aktivierend wirken, nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Hier ist die Spitalstiftung auf den Gemeinschaftssinn und auf das Wohlwollen von Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Vereinen sowie Förderstiftungen angewiesen. Abb. 1: Spendenübergabe BBBank; Lörsch, Koellner Von Lichtsystemen, Hundebesuch und virtuelle Spielen Die Stiftung konnte in den vergangenen Jahren viele schöne und gute Vorhaben dank Zustiftungen und Spenden umsetzen. Beispiele sind: Der Altenhilfeverein 164 Rebecca Koellner <?page no="165"?> Konstanz e. V. finanzierte den Außenaufzug für die ambulant betreute Wohn‐ gemeinschaft Haus Talgarten. Dass es nicht große Summen sein müssen, zeigen weitere Angebote, wie die Mal- und Musiktherapie, der Besuchshund Willi im Haus Talgarten, oder das Bike Labyrinth, das virtuelle Reisen ermöglicht. Das Haus Weiherhof wird mit Visual Timing Light ausgestattet, das durch eine großzügige Spende einer Privatgönnerin der Mindelsee Stiftung und einer weiteren des Altenhilfevereins Konstanz e. V. Dieses Lichtsystem richtet sich nach dem Tagesverlauf der Sonne. Während morgens eher bläuliche Farben vorherrschen, dominieren am Abend die rötlichen. Es entsteht ein angenehmes Lichtklima, das demenziell betroffene Menschen als besonders wohltuend empfinden. Ein lebendiger Garten Am Haus Weiherhof entsteht der SOPHIA-Garten mit zusätzlichen Besonder‐ heiten, die nur durch großzügige Unterstützung seitens der Software AG-Stif‐ tung und weiteren Konstanzer Geldgebern umgesetzt wird. Mit diesem Garten geht die Spitalstiftung bestehende Herausforderungen an. Zum Beispiel fördert sie die soziale Interaktion und Gemeinschaft im Alter durch einen intergene‐ rationellen Austausch. Durch die gezielte Gestaltung bietet er Orientierung, Beruhigung und Sicherheit. Die Stiftung schafft damit einen Erholungsraum für psychisches und emotionales Wohlbefinden. Abb. 2: Pflegegarten Mittelbeschaffung verbessert das Leben im Alter 165 <?page no="166"?> Abb. 3: Kunstwettbewerb Aufgaben für das Konstanzer Gemeinwohl Die Liste der extern finanzierten Aktivierungen, zum Wohle der pflegebedürf‐ tigen Seniorinnen und Senioren, ließe sich fortsetzen. Doch auch die Anfor‐ derungen und Aufgaben und die damit verbundenen Bedarfe werden mehr. Daher hat die Stiftung seit wenigen Jahren eine Stelle zur Mittelbeschaffung eingerichtet. Die Professionalisierung ist ein weiterer Schritt, mehr Angebote für pflegebedürftige ältere Menschen bereitzustellen und ihnen auch damit einen angenehmen und wann immer gewünscht, aktiven Lebensabend zu ermöglichen. Abb. 4: Tandembike 166 Rebecca Koellner <?page no="167"?> Der Wald der Spitalstiftung Konstanz Walter Jäger Der Lorettowald, Erholungsraum und grüne Lunge der Stadt Konstanz, steht angesichts des Klimawandels vor seiner größten Herausforderung. Die Spitalstiftung Konstanz verfügt heute über 164 Hektar Wald. Anlässlich einer ersten Erfassung und Beschreibung der spitälischen Wälder im Jahr 1842 wurden 357 Hektar Fläche registriert, diese Fläche entspricht etwa 500 Fußballfeldern. Davon lagen 101 Hektar im damaligen Forstbezirk Konstanz. Der Lorettowald gehörte noch nicht dazu. Große Besitzungen des Spitals lagen jenseits des Sees im Forstbezirk Überlingen. Durch Tausch und Verkauf wurde der Waldbesitz erheblich verkleinert. Entscheidend dafür war der Tausch des Lorettowaldes und einiger weiterer Grundstücke auf Konstanzer und Allmans‐ dorfer Gemarkung gegen fast 500 Hektar land- und forstwirtschaftlicher Flächen des Spitals auf der anderen Seeseite. Abb. 1: gelb unterlegt die Wälder der Spitalstiftung Konstanz <?page no="168"?> Die Walddistrikte 1, Adelheider Berg, und 2, Höhrenberg Bei der Gründung der Universität waren Flurstücke der Hospitalverwaltung betroffen. Zwischen dem Land Baden-Württemberg, dem Haus Graf Bernadotte (Mainau) und der Stiftung kam es zu umfangreichen Neustrukturierungen, die zur heutigen Waldeinteilung führten. Beide Distrikte zeichnen sich durch hohe Buchenanteile, aber auch durch Kiefer und Lärche aus. Aufgrund ihrer hohen Vitalität setzt sich die Buche jedoch zunehmend gegen die Nadelbäume durch. Die eingemischten Fichten sind vielfach bereits genutzt und teilweise dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen. Die heute teils über 150 Jahre alte Wälder wurden durch intensive Auf‐ forstung angelegt. Dabei bekamen sowohl schattenliebende Buchen als auch sonnenhungrige Kiefern und Lärchen ausreichend Platz zum Wachsen. An einigen Stellen wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Douglasien aus Amerika eingepflanzt, die heute als große, imposante Bäume im Wald stehen. Außerdem finden sich vereinzelt Eschen, die jedoch aufgrund einer Pilzkrankheit absterben, sowie Ahorn und andere Mischbaumarten. Unter den alten Bäumen wächst bereits eine neue Generation junger Buchen heran. Der Klimawandel und besonders die Hitzesommer der Jahre 2018 bis 2023 setzen dem Wald erheblich zu. Viele Bäume, darunter Fichten und alte Buchen, leiden unter Hitze und Trockenheit und sterben ab. Einige Fichten fallen dem Borkenkäfer zum Opfer. Die Waldbewirtschaftung reagiert darauf, indem sie neben der Buche vermehrt auf widerstandsfähigere Baumarten wie Eiche, Hainbuche und Spitzahorn setzt, um die zukünftige Stabilität des Waldes zu sichern. Der Lorettowald, Distrikt 3 des Spitalwaldes Konstanz Mit 64 Hektar nimmt der Lorettowald etwa ein Drittel des Spitalwaldes ein. Er hat mit Abstand die größte Bedeutung für die Spitalstiftung und für die Bevölkerung der Stadt Konstanz. Aus dem Forsteinrichtungswerk von 1976 wurden die folgenden geschichtli‐ chen Hinweise entnommen (Autor und Forsteinrichter Heinrich Spieker): Seine Geschichte bis 1907. Seit dem Jahr 724 war der Lorettowald über viele Jahrhunderte im Klos‐ terbesitz. Zunächst Dank der Schenkung durch Karl Martell zur Reichenau gehörend, ab 1230 zum Kloster Petershausen. Schon im 13. Jahrhundert wird von der Verkleinerung des damals so genannten Eichhornwaldes, der sich im Süden bis zum See erstreckte, durch Ausstockungen berichtet. Während des 168 Walter Jäger <?page no="169"?> Konstanzer Konzils diente er bereits als beliebtes Ausflugs- und Spazierrefugium der Teilnehmenden. Aber auch die Bevölkerung nutzte den Wald. Im 18. Jahrhundert etwa wurde in einem Vertrag zwischen der Kommende Mainau und dem Reichsstift Petershausen vertraglich geregelt, in welchem Umfang Streu gewonnen oder abgefallenes, dürres Holz gesammelt werde durfte. So sollte die Übernutzung des Waldes zumindest eingedämmt werden. Im Zuge der Säkularisation kam der Wald 1803 in den Besitz des Hauses Baden. Anlässlich der ersten Zustandserfassung des Waldes wurden Kiefer, Fichte und Buche als die wichtigsten Baumarten beschrieben. Diese Zusammen‐ setzung der Baumarten ist ein Hinweis auf die Bewirtschaftung in großflächigen Verjüngungsverfahren, anlässlich derer aber auch die heute über 250 Jahre alten Eichen geschont wurden. Der Lorettowald nach 1907 Erst 1907 hatten die vielerlei Versuche, den Wald gegen große spitälische Lie‐ genschaften auf Überlinger Seite zu tauschen, Erfolg. Schon damals betonte der Stadtrat die Bedeutung als Erholungswald! Die Nutzung sollte nicht zu intensiv sein, gleichzeitig wurde die Bevölkerung aufgerufen, die Jungpflanzen in den Kulturen nicht zu beschädigen. Auch das Befahren mit Fuhrwerken wurde eingeschränkt. Dennoch wurde in der Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre 1913 bis 1922 tatsächlich mehr als das Dreifache der festgelegten Nutzungsplanung eingeschlagen. Auch in den folgenden forstlichen Planungen wurde stets die Erholungswir‐ kung des „Parkwaldes“ (nicht „Parks“) für die Bevölkerung betont und eine zurückhaltende, für das „Laienpublikum nicht wahrnehmbare“ Nutzung und Verjüngung gefordert. Dabei sollte aber schon damals vermieden werden, dass ein gleichaltriger Wald nur aus alten Bäumen entsteht. Deshalb war auch die Verjüngung von Teilflächen des Waldes vorgesehen. Seit mehr als hundert Jahren bestimmen die gleichen Aspekte das Geschehen um den Lorettowald: Wie kann der Wald als Erholungsraum und sein Erschei‐ nungsbild erhalten und gefördert werden? Dürfen alte, vor allem absterbende Bäume entnommen werden? Das Reiten wurde verboten, um den Spaziergän‐ gern mehr Raum zu geben (1927). Heute geht es um den Konflikt mit Radfahrern. Schon früh wurden hölzerne Papierkörbe aufgestellt, um den Wald sauber zu halten. Wer ist für die Instandhaltung der Wege zuständig, die Stadt oder das Spital? Darf der Wald abseits der Wege betreten werden (1933)? Der öffentliche Der Wald der Spitalstiftung Konstanz 169 <?page no="170"?> Diskurs spielte im Umgang mit dem Lorettwald immer eine Rolle und führte, abgesehen von den Kriegsjahren, zu einer zurückhaltenden Holznutzung. Abb. 2: Lorettowald (StAKN Z1.1325) - Abb. 3: Lorettowald (StAKN Z1.1348) Im Zeichen des Klimawandels - der Lorettowald heute Der Lorettowald ist nicht als Stadtpark ausgewiesen, sondern nach dem Lan‐ deswaldgesetz als Wald erhalten geblieben. Viele der Bäume sind heute über 200 Jahre alt, stammen also noch aus dem frühen 19. Jahrhundert. Mächtige Buchen- und Eichenindividuen prägen das Erscheinungsbild des Waldes. Der Klimawandel mit einem deutlichen Temperaturanstieg, der sich seit 2018 in einer Abfolge extremer Hitze- und Trockenperioden manifestiert, stellt die alten Bäume vor enorme Probleme. Vor allem alte Buchen, die ohnehin schon an der Grenze ihrer Vitalität stehen, erleiden Sonnenbrand, werden in der Folge von Pilzen und Insekten befallen und sterben ab. Mächtige Eichen kippen einfach um und weisen ein beschädigtes Wurzelwerk auf, vermutlich ebenfalls durch Trockenheit verursacht. In der Folge entstehen große Gefahren für Waldbesucher, aber auch für angrenzende Wohnhäuser und Sportanlagen durch herabfallende Äste und umstürzende Bäume. Die Verkehrssicherungspflicht der Waldeigentümerin bestimmt derzeit die meisten Maßnahmen bei der Waldbewirtschaftung. Ge‐ fährdete Bänke müssen abgebaut werden, Parkplätze stehen zur Disposition, Radwege werden überprüft. An vielen Stellen, vor allem an Straßen, werden vorsorglich teure und aufwändige Baumpflegemaßnahmen durchgeführt. Ein Baumgutachter unterstützt die Revierleiterin dabei, besondere Gefahrensitua‐ tionen zu erkennen, die kontinuierlich entschärft werden müssen. 170 Walter Jäger <?page no="171"?> Abb. 4: Der Klimawandel lässt vor allem die Altbäume zunehmend rascher absterben. Waldbesucher geraten in Gefahr, die aufwändig beseitigt werden muss Gleichzeitig sind diese reich strukturierten, teilweise absterbenden Uraltbäume von besonderer Bedeutung für den Naturschutz. Zahlreiche bedrohte Arten finden hier ein selten gewordenes und gesetzlich geschütztes Refugium. Deshalb wurde der Lorettowald als Schonwald und Biotopwald unter besonderen Schutz gestellt. Abb. 5: Alteichen stürzen in den letzten Jahren unvermittelt um. Sie können als Totholz wichtige Lebensräume für zahlreiche Arten bieten Der Wald der Spitalstiftung Konstanz 171 <?page no="172"?> Im Lorettowald stehen Naturschutz, Erholungsansprüche und Verkehrssiche‐ rung oft in einem Spannungsfeld und erfordern einen ständigen Ausgleich. Die früher wichtige wirtschaftliche Nutzung des Waldes spielt heute kaum noch eine Rolle. Stattdessen hat der Wald als „grüne Lunge“ und Erholungsraum für die Konstanzer Bevölkerung höchste Priorität. Aufgrund des Klimawandels und der Überalterung muss der Wald an vielen Stellen verjüngt werden. Sein Erscheinungsbild wird sich verändern: Von alten, mächtigen Bäumen hin zu einer neuen Generation junger, vielfältiger Baum‐ arten, die für einen stabilen, widerstandsfähigen und ästhetisch ansprechenden Lorettowald sorgen sollen. Abb. 6: Panorama Lorettowald Steckbrief Spitalwald Konstanz, Stand 2024 Zustand Menge Einheit Forstliche Betriebsfläche 164,1 Hektar davon Holzbodenfläche 153,9 Hektar Anteil Extensiv an der Holzbodenfläche 7 % Anteil Nichtwirtschaftswald an der Holz‐ bodenfläche 0 % Laufender Zuwachs (IGz) 7,6 Erntefest‐ meter/ Jahr*ha Laufender Zuwachs gesamt für 10 Jahre 11.700 Erntefest‐ meter/ 10Jahre 172 Walter Jäger <?page no="173"?> Vorrat insgesamt 57.500 Vorratsfestmeter Vorrat je Hektar 374 Vorratsfestmeter/ ha Anteil Verjüngungsfläche unter Alt‐ bäumen in Beständen > 60 Jahre und im Dauerwald 59 % Planung 2025 bis 2034 Menge Einheit Hiebsatz 7,2 Erntefest‐ meter/ Jahr*ha 11.034 Erntefestmeter Jungbestandspflege einschl. Jpfl. unter Schirm/ DW 9,5 Hektar Verjüngungsplanung - - Naturverjüngung 4,5 ha Anbau, Vorbau 2,5 ha Wertästung 150 Stück Der Wald der Spitalstiftung Konstanz 173 <?page no="175"?> Miteinander Vielfalt leben - Portraits aus den Pflegeeinrichtungen <?page no="177"?> Tagespflege Interviews mit einem Tagesgast sowie mit der ehemaligen und aktuellen Leiterin der Tagespflege Anja Böhme Abb. 1: Anja Böhme Erika Bisceglia, Tagesgast im Luisenheim: „Die Gruppe ist das Schönste“ Erika Bisceglia ist 81, sie wirkt jünger, agil und dunkelhaarig ist sie, klein und rundlich. Im Herzen ist sie halb Deutsche, halb Italienerin mit familiären Verbindungen nach Kampanien in Italien. Campania felix, glückliche Land‐ schaft, nannten die Römer die Region, und wer weiß? Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass Erika Bisceglia heute eine zufriedene Frau ist, obwohl sie in ihrer Jugend viel Leid ertragen musste. Doch der Reihe nach: Geboren und aufgewachsen ist sie in Radolfzell; die recht unbeschwerte Kindheit endete, als die Eltern kurz nacheinander starben. Da war sie 16, die zweitälteste von insgesamt fünf Geschwistern. Danach folgte Schlag auf Schlag. Die Geschwister mussten aus der Wohnung raus, <?page no="178"?> aber immerhin organisierte der Vermieter eine neue Wohnung in Konstanz. Dann hatte ihre Schwester einen Verkehrsunfall und war bis zu ihrem Tod querschnittsgelähmt, kurz darauf starb der Mann der Schwester. „Der ist zum Joggen gegangen und kam nicht mehr nach Hause. Sie hat uns angerufen und gesagt, ‚Erika, mein Mann ist immer noch nicht zurück‘.“ Erika Bisceglia erzählt diese Szene immer wieder, als sei es gestern gewesen, denn in so einer Großfamilie, sagt sie, da hängt doch einer am anderen und ein Unglück trifft alle fast gleichermaßen. Dann starb der jüngere Bruder, der bereits in seiner Kindheit immer wieder epileptische Anfälle hatte. Trotz allem - die junge Frau fasste wieder Lebensfreude. Denn dann traf sie Mario: Der charmante Italiener arbeitete genau wie sie in der Schirmabteilung der Zeltfabrik Stromeyer. „Das war Liebe auf den ersten Blick. Ich liebe meinen Mann immer noch und er mich auch. Seit fast 60 Jahren. Und immer derselbe Mann! Wir haben 1968 geheiratet. Er ist zwar Italiener, aber ich liebe ihn trotzdem.“ Italien liebt sie natürlich auch und die beiden Töchter und die Schwiegersöhne, „die sind alle auch nett. Bei uns ist immer alles in Ordnung.“ Im Sommer holt ihr Mann sie nachmittags nach der Tagesgruppe ab und dann gehen sie zusammen Eis essen und erzählen sich, wie der Tag war, denn auch Mario Bisceglia ist in einer Tagesgruppe, zusammen mit italienischen Landsleuten. Überhaupt, die Gruppe - da kommt die lebhafte Seniorin richtig ins Schwärmen: „Ich genieße es, wenn ich in einer Gruppe bin, da kann man abschalten, das ist ideal, ich würde es jedem empfehlen. Hier wird man gefördert, auch mit dem Kopf, man hat viele Möglichkeiten, man singt und erzählt Geschichten. Überhaupt bin ich gerne unter Menschen. Die Gruppe ist das Schönste, was es gibt.“ Klar, dass sich eine so gesellige und familiäre Frau auch in Italien wohlfühlt, dem Land der Chiacchierata (Plauderei) und der Familienbindung. Mindestens einmal im Jahr fährt das Ehepaar Bisceglia daher in die italienische Heimat, in die Gemeinde Caserta, zwischen Rom und Neapel. „Die Italiener sind familiär, das ist wunderbar. Ich kann auch italienisch reden, das lernt man mit der Zeit. Wenn mein Mann da unten ist, da blüht er auf. Ich liebe die Italiener! “ 178 Anja Böhme <?page no="179"?> Abb. 2: Erika Bisceglia Abb. 3: Tagespflege im Gespräch Susanna Rugolo, Fachkraft für Gerontopsychiatrie in der Tagespflege Luisenheim: Meistens hilft Humor Susanna Rugolo hat gut lachen. Zum einen geht sie in wenigen Wochen in Rente. Zum Zweiten hat sie einfach ein sonniges Gemüt, und zum Dritten könnte es an ihrem Arbeitsplatz liegen, der Tagespflege für alte Menschen mit und ohne Demenz im Luisenheim. Das offene Treppenhaus des lichtdurchfluteten Tagespflege 179 <?page no="180"?> Gebäudes ist von unten bis oben von einem Innengarten durchzogen, der den Blick ins Grüne und den direkt angrenzenden Teich freigibt. Jedenfalls lacht die examinierte Fachkraft für Gerontopsychiatrie oft, herzlich und ansteckend, während vielen anderen Menschen beim Thema Demenz das Lachen vergeht. „Wenn man nicht verzweifeln will, hilft Humor“, sagt sie. Schließlich kann es jeden treffen, früher oder später. Möglicherweise hat Susanna Rugolo ihr sonniges Wesen auch aus Italien mitgebracht. Sie ist Italienerin, in der Schweiz geboren und aufgewachsen, doch ihre Eltern stammen aus Norditalien, ihr Mann ist Sizilianer. Wenige Monate nach der Geburt des ersten Sohnes ist die Familie nach Sizilien gezogen, ihr Mann machte sich in der Nähe von Messina selbstständig als Bagnino, tatkräftig unterstützt von seiner Frau. Die Bagnini prägen die Kultur des italienischen Strandurlaubs wie Aperol Spritz und Sonnencreme. Sie sind die Pfleger und Wächter ihrer Strandabschnitte, vermieten Sonnenschirme, Liegestühle, Tret‐ boote. Allerdings gehören zu Italien nicht nur Strand und Meer und Italianità, sondern auch, freundlich gesagt, eine höchst entspannte Zahlungsmoral und mitunter verworrene Geflechte aus Beziehungen und Abhängigkeiten. Daher zog die mittlerweile vierköpfige Familie Rugolo zehn Jahre später wieder zurück an den Bodensee, nach Konstanz. Die Spitalstiftung suchte damals - wie heute - Leute, und die angehende Krankenschwester suchte Arbeit. Berufsbegleitend besuchte die hochmotivierte junge Frau die Altenpflegeschule und machte den Abschluss als Fachkraft für Gerontopsychiatrie und als Gedächtnistrainerin. Als 1999 die Tagespflege eröffnet wurde, war sie sofort bereit, von der stationären Pflege hierher zu wechseln. Die Arbeit mit den Tagesgästen habe ihr gefallen, erklärt Susanna Rugolo, weil sie wesentlich mehr Freiheiten biete als der straff getaktete Pflegealltag im stationären Bereich. Tagespflege, das ist wie Kindergarten, nur eben ein paar Jahrzehnte später: Hier wird gesungen, gemalt und gespielt, gemeinsam gegessen, getanzt und gesportelt, Nickerchen werden gemacht und Ausflüge, und manche benötigen Unterstützung beim Essen oder Anziehen. Die Angehörigen daheim wissen: Ihre Lieben sind tagsüber gut betreut, sie bekommen Frühstück, Mittagessen und Nachmittagskaffee, sie haben was erlebt oder sogar neue Bekanntschaften gemacht. Susanna Rugolo freut sich nach über vier Jahrzehnten Berufstätigkeit auf den Ruhestand zusammen mit ihrem Mann. Das Thema Demenz hat für sie den Schrecken verloren. Und falls sie selbst einmal dement werden sollte? „Ich sage immer, zum Glück wissen wir nicht, was auf uns zukommt. Vielleicht ist es ja in der Demenz auch schön, wenn man die richtige Umgebung hat. Manchmal denke ich, man fühlt sich nicht unbedingt so schlecht.“ 180 Anja Böhme <?page no="181"?> Abb. 4: Susanna Rugolo Sabine Markgraf, Leiterin Tagespflege: Die Tagespflege als Wohlfühlort und Kompetenzzentrum Ältere Damen und Herren, die ganz selbstverständlich mit einem Smart Device umgehen, ernten meist anerkennende Blicke. Bisher sieht man sie eher selten, aber das wird sich ändern, denn auch die Generation Wählscheibentelefon kann und will lernen, per WhatsApp zu kommunizieren oder einen Text beliebig zu vergrößern. Das sagte sich auch Sabine Markgraf, als sie im Juli 2024 ihre Stelle als neue Leiterin der Tagespflege antrat. Sie bringt ideale Voraussetzungen mit, um ein seit Jahrzehnten bewährtes Modell behutsam in die Zukunft zu führen: einen jüngst erworbenen Hochschulabschluss als Gerontologin DAS (Diploma of Advanced Studies) mit Schwerpunkt Digitalisierung und gleichzeitig drei Jahrzehnte Berufserfahrung in der Altenpflege, darunter einige Zeit bei der Spitalstiftung. Wenn sie morgens zur Arbeit kommt, hat die passionierte Marathonläuferin bereits ein Lauftraining absolviert. Sie ist auffallend gut gekleidet und gestylt, auch aus Respekt gegenüber den Tagesgästen, die sich nicht wie in einem Heim fühlen sollen. Anstatt sich anfangs auf übliche Weise einarbeiten zu lassen, begleitete sie die Mitarbeiterinnen bei der Arbeit, um sich ein unvoreingenommenes Bild machen zu können und sich dann mit Elan und frischen Ideen und in Abstimmung mit der Heimleitung an die Arbeit zu machen. Zunächst befreite sie die Flure von überflüssigem Krimskrams, ließ neu streichen und schaffte im wahrsten Sinne des Wortes Raum für Neues. Denn allmählich kündigen sich die Babyboomer in der Tagespflege an, also Tagespflege 181 <?page no="182"?> die geburtenstarken Jahrgänge der 1950erbis Ende der 1960er-Jahre. Damit steigt nicht nur die Zahl der Tagesgäste, sondern auch deren Ansprüche: Die Babyboomer sind durchschnittlich älter, aber besser gebildet als noch ihre Eltern und verfügen über Potenzial, das nicht verkümmern, sondern genutzt werden soll. So ist die Digitalisierung in der Regel kein Neuland für sie, und das lässt sich ausbauen. „Wie benutze ich ein Handy, was ist eine App? Das sind Themen, die auch älteren Menschen die Teilhabe an sozialem Kontakt erleichtern können“, erklärt Sabine Markgraf. Als sie ihr Tablet für die tägliche Zeitungsrunde mitbrachte, kamen die Fragen: Ach, man kann damit Zeitung lesen oder Lieder hören oder unbekannte Worte nachschauen? „Ich möchte, dass die Tagespflege auf ein anderes Niveau kommt. Sie soll eine Art Brücke sein. Die Menschen möchten länger zu Hause bleiben, und die Angehörigen sollen entlastet werden, damit sie berufstätig sein oder etwas für sich machen können. Währenddessen sollen die Eltern aber nicht nur versorgt sein, sondern ihren Spaß haben und etwas lernen.“ Was die Tagespflege alles leisten kann für das Zusammenleben der Genera‐ tionen, ist gesellschaftlich noch nicht durchgesickert - wer beschäftigt sich schon gerne mit Demenz? Die Gerontologin möchte diese Wissenslücke schließen. Sie arbeitet zusammen mit der Leitung und ihrem Team daran, das Haus in der Luisenstraße auch in naher Zukunft als attraktiven Ort zu etablieren, als Kompetenzzentrum für Menschen zwischen Rentenbeginn und Umzug ins Pflegeheim, der durch inspirierende Beschäftigung und sozialen Austausch hinausgezögert werden kann. Attraktiv auch für Mitarbeiter, weil der Beruf damit im gesellschaftlichen Standing aufgewertet wird. Das sind große Ziele. Den langen Atem hat die Marathonläuferin bereits bewiesen. - Abb. 5+6: Sabine Markgraf 182 Anja Böhme <?page no="183"?> Das Luisenheim Interviews mit einer Pflegehilfskraft und einer Fachkraft Jorge Lugo Patrick Herrmann Patrick stammt ursprünglich aus Reutlingen, einer Stadt, die ihm viele schöne Erinnerungen bietet. Bis zum Alter von sieben Jahren lebte er dort bei seiner Familie, bevor er aufgrund familiärer Herausforderungen in Pflegefamilien und schließlich im Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf in Wahlwies untergebracht wurde. Dort wuchs er in einer Wohngruppe auf, die wie eine kleine Familie organisiert war, aber dennoch den Charakter eines Heims hatte. Diese Zeit prägte ihn, da er in einer engen Gemeinschaft aufwuchs, in der man füreinander da war - auch wenn die klassische Familie fehlte. Patrick selbst beschreibt, dass er sich emotional seit langem mit dem Bodensee verbunden fühlt, während ihm Reutlingen kaum noch vertraut ist. Dennoch verbrachte er einen bedeutenden Teil seiner Kindheit in Wahlwies, wo er seine ersten Erfahrungen in einer engeren Gemeinschaft sammelte. Im Jahr 2009 entschied er sich, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Luisenheim zu absolvieren. Diese Entscheidung stellte sich als wegweisend heraus, da er während dieser Zeit nicht nur wertvolle Einblicke in die Welt der Pflege erhielt, sondern auch seine Begeisterung für Konstanz entdeckte. Die Stadt ist ein pulsierender Ort voller junger Menschen, malerischer Ausblicke auf den Bodensee und unzähliger Freizeitmöglichkeiten. Patrick fühlte sich sofort angezogen von der Lebensqualität und der dynamischen Atmosphäre, die Konstanz ausstrahlt. Im gleichen Jahr, als er bei der Spitalstiftung-Konstanz anfing, wurde Konstanz endgültig zu seinem Lebensmittelpunkt, als er dorthin zog. Nach dem Abschluss seines FSJ im Jahr 2009 war Patrick motiviert, seine Karriere im Gesundheitswesen fortzusetzen. Im Jahr 2010 begann er eine Aus‐ bildung zum Pflegeassistenten im Luisenheim, einer Entscheidung, die seinen Lebensweg entscheidend prägen sollte. Patrick ist von Natur aus ambitioniert <?page no="184"?> und meldete sich als Erster für die „Springer“-Position, die es ihm ermöglichte, flexibel in verschiedenen Bereichen auszuhelfen. Diese Rolle gab ihm die Gelegenheit, diverse Erfahrungen zu sammeln und seine Fähigkeiten in der Pflege weiterzuentwickeln. Sein Engagement und seine Flexibilität wurden von seinen Vorgesetzten und Kollegen sehr geschätzt. In seiner Zeit im Luisenheim hat Patrick nicht nur die theoretischen Grund‐ lagen der Pflege erlernt, sondern auch die praktischen Aspekte, die für den Umgang mit Patientinnen und Patienten entscheidend sind. Trotz persönlicher Herausforderungen und der manchmal emotional belastenden Arbeit hat er stets sein Ziel im Blick: die dreijährige Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Er weiß, dass dies eine wichtige Grundlage für seine berufliche Zukunft ist und strebt danach, sich ständig weiterzuentwickeln. Sein Rat an die junge Generation, die sich für eine Karriere im Gesund‐ heitswesen interessiert, lautet: „Habt keine Angst, in die Pflege einzusteigen.“ Patrick glaubt fest daran, dass die Pflegeberufe eine erfüllende und sinnstiftende Berufung sind, die zahlreiche Möglichkeiten für persönliche und berufliche Weiterentwicklung bietet. Seine positive Einstellung und sein Engagement sind ansteckend und inspirieren nicht nur seine Kollegen, sondern auch die Menschen, die er in seiner täglichen Arbeit unterstützt. Mit Blick auf die Zukunft ist Patrick fest entschlossen, weiterhin voranzukommen und einen wertvollen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten, die ihm so viel bedeutet. Abb. 1: Patrick Herrmann 184 Jorge Lugo <?page no="185"?> Suja Gurung Suja Gurung zog im Januar 2017 aus Nepal nach Deutschland, entschlossen, ein neues Kapitel ihres Lebens zu beginnen. Obwohl sie in Nepal ursprünglich Buchhaltung studiert hatte, führen die neuen Möglichkeiten in Deutschland sie in eine andere Richtung. Bei ihrer Ankunft sprach sie hauptsächlich Englisch, da ihre Deutschkenntnisse lediglich auf A2-Niveau waren. Diese Herausforderung nahm sie jedoch an. Um sich besser in die deutsche Gesellschaft zu integrieren und berufliche Er‐ fahrungen zu sammeln, absolvierte Suja ein achtmonatiges Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Ravensburg. Diese Zeit erwies sich als wertvoll: Sie gewannen nicht nur Einblicke in die Arbeit im sozialen Bereich, sondern verbesserten auch ihre Deutschkenntnisse deutlich. Die tägliche Anwendung der Sprache im Arbeitsalltag stärkt ihr Selbstvertrauen und beschleunigt ihre sprachliche Entwicklung. 2019 entschied sich Suja, eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu beginnen, die sie 2021 erfolgreich abschloss. Diese Qualifikation stellte einen wichtigen Meilenstein auf ihrem beruflichen Weg dar und verhalf ihr, sich in ihrer Heimat weiter zu festigen. Auf der Suche nach weiteren Perspektiven entschloss sich Suja schließlich, nach Konstanz zu ziehen. Hier, in der lebendigen Stadt am Bodensee, fand sie raschen Anschluss. Eine Freundin machte sie auf die Spitalstiftung aufmerksam, deren Werte und Arbeitsatmosphäre sie überzeugten. Seit 2021 ist sie Teil des Teams im Luisenheim, wo sie ihre Fähigkeiten als Altenpflegerin einbringt und sich kontinuierlich weiterentwickelt. Trotz ihrer Verbundenheit mit Deutschland und der Spitalstiftung pflegt Suja enge Kontakte zu ihrer Familie in Nepal und besucht diese regelmäßig, wann immer es möglich ist. Natürlich bringt das Leben in Deutschland auch Herausforderung sich, vor allem das ungewohnte Klima. „Das Wetter in Nepal sei deutlich wärmer als in Deutschland“, sagte Suja. Dennoch begegnet Suja dieser Umstellung mit Offenheit und fühlt sich in ihrem neuen Zuhause und ihrer Arbeit bei der Spitalstiftung gut aufgehoben. Sie ist dankbar für die Chancen, die sich ihr hier bieten, und blickt optimistisch in die Zukunft. Das Luisenheim 185 <?page no="186"?> Abb. 2+3: Suja Gurung 186 Jorge Lugo <?page no="187"?> Haus Salzberg Interviews mit einem Bewohner, der Pflegedienstleiterin und einer Stationsleiterin Anja Böhme Horst Metzger, Bewohner im Haus Salzberg: „Der Balken ist eingestürzt und ich war weg vom Fenster“ Horst Metzger ist mit seinen 84 Jahren ein stattlicher kräftiger Mann, und man ist fast irritiert, als er den Rollator benutzt. Seit er keine Treppen mehr gehen kann, lag das Haus Salzberg im wahrsten Sinne nahe, nämlich nur 800 Meter von der ehemaligen Familienwohnung entfernt; zudem wohnte seine Frau bereits hier, und er konnte direkt ins Zimmer nebenan ziehen. Was durchaus Vorteile hat: „Heute Abend spielt Deutschland gegen Holland. Natürlich schaue ich mir das an. Meine Frau will lieber schlafen.“ In seinem Zimmer fallen die vielen Feuerwehr-Devotionalien auf, Urkunden, Abzeichen, Fotos. Kein Wunder, denn Horst Metzger war Experte für Brand- und Sicherheitsschutz im Klinikum Konstanz und engagierte sich ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr in Petershausen. Man kann wirklich sagen, er, nun ja, glühte für seinen Job: „Als das Sägewerk brannte, saß ich auf einem Dachbalken, um die Löscharbeiten durchzuführen. Plötzlich wurde meine Hose so warm … es war der Balken, auf dem ich saß, der glühte. Ich bin die Leiter runtergegangen, der Balken ist eingestürzt und ich war weg vom Fenster. Gott sei Dank bin ich immer gut davongekommen.“ Überhaupt erzählt Horst Metzger oft von dem Glück, das er im Leben hatte. Nicht sentimental, sondern ganz sachlich, ganz der Feuerwehrmann, den der Meldewecker zum Einsatz ruft („heutzutage gibt es Funk“), der die Lage checkt, tut, was zu tun ist und nüchtern Bilanz zieht. Zur goldenen Hochzeit gab es eine Urkunde vom Ministerpräsidenten. War das damals, vor 50 Jahren, Liebe auf den ersten Blick? <?page no="188"?> „Ja, ja. Wir haben uns schon vorher gekannt und dann ist es intensiver geworden und dann hat sich das so ergeben. Und ich bin sehr glücklich, dass ich sie habe. Außerdem geht es uns hier gut, wir haben uns gut eingelebt. Wir haben schöne, sonnige, helle Räume, das ist wunderbar. Wir können das Haus weiterempfehlen.“ Auch die fünf Kinder tragen zum Glück der Eltern bei, zwei Söhne und drei Töchter: „Etwas Besseres konnte uns nicht passieren.“ Zu dem kräftigen Mann passt auch seine kräftige Stimme, die im Kirchenchor hochwillkommen war. Lebhaft erinnert er sich an eine Feuerwehrreise nach Belgien: „Wir hatten Glück, der stellvertretende Kommandant von Roeselare war hier in Konstanz zum Ferien machen, und als er hier war, haben wir gerade unser goldenes Leistungsabzeichen gemacht. Und er sagt: Diese Truppe will ich in Belgien haben. Er war keine acht Tage in Belgien zurück, da hatten wir die erforderlichen Unterlagen. Es war super. Wir waren im Atomium, und auf dem deutschen Soldatenfriedhof haben wir ein Bouquet niedergelegt.“ Noch eine Frage, Herr Metzger: Wissen Sie als Feuerwehrmann spontan, ob hier im Haus brandschutztechnisch alles in Ordnung ist und wo die Fluchtwege sind? „Das funktioniert automatisch nach so vielen Jahren. Ich werfe mein Augenmerk darauf, ob alles im sicheren Bereich ist. Hier ist alles in Ordnung; ich habe mir die Feuerlöscher angeschaut und kann überall die Fluchtwegschilder sehen, und es gibt den Notausgang und die Alarmknöpfe.“ Nicht nur Horst Metzger hat Glück im Leben. Auch die Menschen in seiner Umgebung können sich glücklich schätzen, dass er in der Nähe ist. - Abb. 1+2: Horst Metzger 188 Anja Böhme <?page no="189"?> Tanja Nobis, Pflegedienstleitung Haus Salzberg: „Ich kann keinen anderen ändern, ich muss mich ändern“ Tanja Nobis stammt aus Cloppenburg bei Bremen, da ist sie geboren und auf‐ gewachsen und machte ihre Ausbildung zur Altenpflegefachkraft. Cloppenburg ist bekannt für sein Museumsdorf und für den Pfanni-Turm. Entgegen der ortsüblichen Gepflogenheit blieb sie aber nicht bei ihrem Ausbildungsbetrieb, sondern zog 800 Kilometer gen Süden nach Konstanz. 1996 fing sie bei der Spitalstiftung an. Die heute 48-jährige Pflegedienstleiterin erzählt schmunzelnd, wie sie als junge, wenig selbstsichere Frau mündliche Prüfungen unter allen Umständen umgehen wollte. „Mit 17 hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich den Job mache, den ich jetzt mache.“ Drei Jahrzehnte später kommuniziert sie eloquent, empathisch, selbstbewusst, als sei es ihr in die Wiege gelegt. In den Medien werde viel zu wenig von den positiven Seiten des Pflegeberufes berichtet: „Man bekommt unheimlich viel zurück und kann viel erreichen, wenn man sich Zeit nimmt und um die Leute kümmert.“ Und manchmal muss man auch einfach den glücklichen Fügungen des Lebens vertrauen: Tanja Nobis erinnert sich an eine Dame, die im Pflegerollstuhl ankam, einen Blasenkatheter hatte und über eine Sonde ernährt wurde. Eines Nachts zog sie sich versehentlich den Katheter heraus, stand selbständig auf und lief von da an flink wie ein Wiesel mit ihrem Rollator auf der Station herum. Abenteuerlust und Pragmatismus führten die junge Frau von der Nordsee an den Bodensee: „Ich wollte einfach mal woanders hin.“ Die gute ÖPNV-Anbin‐ dung und eine günstige Personalwohnung waren damals ausschlaggebend für ihre Entscheidung, bei der Spitalstiftung Konstanz anzufangen. Inzwischen hat sie eine eigene Wohnung und einen stabilen Freundeskreis, ganz anders als in der Anfangszeit, als ihr Sozialleben quasi nicht existent gewesen sei. Auf eigenen Wunsch hin habe sie als Dauernachtwache gearbeitet und sich dann an ihren freien Tagen gar nicht erst umgestellt. Was sie im Dunkeln zunächst übersehen hat, war der Mentalitätsunterschied zwischen Nord und Süd. „Bis ich jemanden hier aus Konstanz kennengelernt habe, das hat Jahre gedauert. Ich finde, von der Mentalität her sind sie hier sturer als wir Norddeutsche.“ In ihrer Heimat sei es viel leichter, neue Kontakte zu knüpfen, meint die Cloppenburgerin. Also machte sie sich gemäß ihrem Motto: „Ich kann keinen anderen ändern, ich kann nur mich ändern“, an die Arbeit. Die Nachtwachen, später der Dreischichtbetrieb forderten ihren Tribut, und ihr wurde klar: Die körperlich anstrengende Arbeit in der Pflege kann ich nicht bis zur Rente machen. Sie bildete sich weiter - Praxisanleitung, Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung. Als im Haus Salzberg die Stelle als Haus Salzberg 189 <?page no="190"?> Pflegedienstleiterin vakant wurde, bewarb sie sich, wurde angenommen und weiß nun die Fünftagewoche mit geregelten Arbeitszeiten zu schätzen. Und was sie ebenfalls zu schätzen weiß - dass sie am Schmotzigen arbeiten darf: „Also, wo ich mich in den ganzen 28 Jahren nicht mit abfinden konnte, war Fasnacht. Ich finde es zwar schön, wenn die Gruppen in die Häuser kommen. Aber ich würde mich nie irgendwie verkleiden. Und einer muss ja auch hierbleiben und arbeiten.“ - Abb. 3+4: Tanja Nobis Danielle Emily Lamotte von Jorge Lugo Danielle stammt aus Kroatien und hatte Deutschland bereits mehrmals besucht, bevor sie sich 2014 dazu entschloss, offiziell hierherzuziehen. Ihr erster Besuch in Deutschland war bereits 1991, was ihr half, sich mit dem Land und der Kultur vertraut zu machen. Ihre Integration in Deutschland fiel ihr leicht, da sie in Kroatien bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen und in der Schule Deutsch gelernt hatte. Diese Sprachkenntnisse halfen ihr dabei, sich schnell in die deutsche Gesellschaft einzufinden. Ihre berufliche Laufbahn in Deutschland nahm 2016 Fahrt auf, als sie durch eine Stellenanzeige auf die Spitalstiftung aufmerksam wurde. Sie begann ihre Arbeit dort in einer geteilten Rolle: 70 Prozent ihrer Arbeitszeit verbrachte sie im Haus Salzberg und 30 Prozent in der Küche des Luisenheims. Diese Erfahrungen gaben ihr wertvolle Einblicke in verschiedene Bereiche der Pflege und Betreuung. 2017 entschloss sich Danielle, eine Ausbildung im Pflegebereich zu beginnen, die sie im Jahr 2020 erfolgreich abschloss. Nach ihrer Ausbildung wollte Danielle weiterwachsen und bildete sich in verschiedenen Bereichen fort. Ihre Bemühungen zahlten sich aus: Seit Ende 2023 hat sie die Position der stellvertretenden Wohnbereichsleitung inne, eine Rolle, die sie mit großem Engagement und Verantwortungsbewusstsein ausfüllt. 190 Anja Böhme <?page no="191"?> „Mir ist das wichtig, weil es immer noch oft vorkommt, dass Menschen, die in die Gruppe LGBTIQ+ gehören, diskriminiert und pathologisiert werden. Zwar nicht mehr so offen wir früher, trotzdem kommt es immer wieder vor. Ich persönlich habe keine schlechten Erfahrungen damit gehabt, kenne viele Menschen, die besonders bei der Arbeit damit Schwierigkeiten gehabt haben. Deshalb ist mir das so wichtig, dass bei Spitalstiftung so gut damit umgegangen wird“, sagte Danielle.- Neben ihrem beruflichen Erfolg hat Danielle auch eine Tochter, die in Stuttgart lebt. Sie legt großen Wert auf Familie und schafft es, sowohl ihre berufliche Verantwortung als auch ihr Privatleben in Einklang zu bringen. Ihr Rat an andere: Mit Entschlossenheit und Einsatz lassen sich auch die größten Ziele erreichen - eine Botschaft, die sie sowohl beruflich als auch persönlich lebt. - Abb. 5+6: Danielle Emily Lamotte Haus Salzberg 191 <?page no="193"?> Haus Urisberg Interviews mit einer Bewohnerin, der Pflegedienstleiterin und einer Stationsleiterin Anja Böhme Hilda Sopp, Bewohnerin im Haus Urisberg: „Wenn der Arsch im Bett ist, schläft der Kopf schon“ Hilda Sopp, bekennende Lang- und Tiefschläferin, ist gerade erst aufgestanden, doch sowohl der Kopf als auch der Rest sind schon hellwach. Die 90-Jährige genießt den ersten Kaffee und erläutert ihre Schlafgewohnheiten: „Wenn mein Arsch im Bett ist, schläft der Kopf schon“. Den Humor hat die gebürtige Konstan‐ zerin von ihrer geliebten Großmutter, bei der sie in Baden-Baden aufgewachsen ist, weil der Arzt dem Kleinkind einen Klimawechsel verordnet hatte. Abends saß sie auf den sonnengewärmten Stufen vor dem Haus, eingewickelt in die lange Schürze der Oma als Schutz gegen die Schnaken. „Das war für mich herrlich, die Körpernähe, die Wärme, die bleibt einem ein ganzes Leben.“ Mit 15 kam sie zurück zur Mutter nach Konstanz. „Das war eine ganz fremde Welt für mich. Die Schüler haben zu mir gesagt, ich wäre ein Landei.“ Das „Landei“ wurde schnell erwachsen. Noch heute kann sie sich an den Tag erinnern, an dem ihre Mutter verkündete, sie habe ihr ein Fahrrad gekauft - „damit fährst du jetzt los und hast bis zum Abend eine Arbeit.“ „Also bin ich aufs Fahrrad und in die Schweiz gefahren. Bis ich heimgekommen bin, habe ich einen Job gehabt.“ Den Lohn musste sie bis zu ihrer Hochzeit mit 25 bei der Mama abgeben. Inzwischen war aus Hilda eine forsche junge Frau geworden, die wusste, was sie wollte und was nicht. 19 Jahre arbeitete sie bei der Zeltfabrik Stromeyer in Kreuzlingen. Ganz spezielle Erinnerungen hat sie an ihre Zeit im Kiosk am Kreuzlinger Hafen. <?page no="194"?> „Meine Matrosen habe ich von weitem schon gehört. Die sind als erstes zu mir an den Kiosk gekommen und haben die Pornohefte verlangt. Sie glauben ja nicht, was für schöne Männer es bei den Matrosen gibt! “ Ihr Herz hat aber kein Matrose erobert, sondern ein Friseur aus München, der zunächst nur für eine Saison nach Konstanz kommen wollte. Aus der Saison wurden 40 außergewöhnlich harmonische Ehejahre. Hilda und Josef Sopp reisten im Urlaub nach Tirol, nach Tunesien und Griechenland: „Die Fischer haben uns gezeigt, wie man Seeigel isst. Das war was Feines! “ Die Ehe ist kinderlos geblieben, und vor einigen Jahren ist Josef Sopp gestorben. Hilda Sopp musste aus gesundheitlichen Gründen schweren Herzens ihre schöne Dreizim‐ merwohnung in Konstanz-Fürstenberg aufgeben und kam auf Vermittlung ihres Neffen Andreas vor zwei Jahren ins Haus Urisberg. Inzwischen hat sich die tagsüber stets muntere Frau gut eingelebt, scherzt mit den Schwestern und ihren Mitbewohnerinnen und schäkert mit den Pflegern. An der Eingangstür ihres Zimmers hängt das Foto eines Fliegenpilzes, eine augenzwinkernde Remi‐ niszenz an ihren Mann, mit dem sie oft in den Pilzen war. Der Josef sei aber alles andere als giftig gewesen. Einmal habe er sie gefragt, was sie sich zum Geburtstag wünsche. „Dann hab’ ich gesagt: ‚So einen richtigen Streit mit dir! ‘ Dann hat er gesagt: ‚Das geht nicht. Weißt du, wenn man streitet, dann sagt man viele böse Sachen, die man nicht mehr gutmachen kann.‘“ Da hatten sich offensichtlich zwei sonnige Gemüter gesucht und gefunden. Hilda Sopps unverwüstlicher Humor kommt auch ihrer Umgebung zugute: Ihre Scherze machen die Welt ein wenig fröhlicher. - Abb. 1+2: Hilda Sopp 194 Anja Böhme <?page no="195"?> Jacqueline Hendreich, Pflegedienstleiterin im Haus Urisberg: „Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann ziehe ich das durch“ „Gefordert sind Multi-Talente mit hoher Stressresistenz“, heißt es in der Stel‐ lenbeschreibung eines Jobportals zum Stichwort Pflegedienstleitung. Das trifft auf Jacqueline Hendreich sicher zu. Sie hat erst vor wenigen Minuten erfahren, dass sie gleich ein Interview geben soll; die ursprünglich vorgesehene Kollegin ist kurzfristig verhindert. An Zeitdruck ist sie gewohnt, schließlich ist ihr Arbeitstag straff angefüllt mit Besprechungen, Teamsitzungen, Dienstplan-Ma‐ nagement, dem täglichen Rundgang durch die Wohnbereiche. Wenn bei den Mitarbeiterinnen irgendwo der Schuh drückt, regelt sie das, und für ein Schwätz‐ chen mit den Bewohnerinnen muss allemal Zeit sein. Nun also auch noch das Interview. Jacqueline Hendreich antwortet sehr klar und überlegt, nahezu druckreif. Wen wundert es, schließlich ist die Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil ihres Berufsalltages. Die wichtigsten Eigenschaften, die man brauche, seien Engagement, Einfühlungsvermögen, Freude an der Kommunikation mit den Bewohnern und den Angehörigen. „Auch die Zusammenarbeit im Team gehört dazu, man darf kein Einzelkämpfer sein“, sagt sie. Mit einem freiwilligen sozialen Jahr in ihrer Heimatstadt Zeitz in Sachsen-Anhalt hat sie angefangen und daraufhin sofort eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert. Zwei Bewerbungen, zwei Zusagen: Sie entschied sich für die Spitalstiftung. Das Klima beim Vorstellungsgespräch sei angenehmer gewesen, und: „Es war mehr Leben im Haus.“ Die 21-Jährige startete als Pflegefachkraft im Luisenheim und reihte Fortbildung auf Fortbildung - Wohnbereichsleitung, Fachwirtin für Organisa‐ tion und Führung, Praxisanleitung, Pflegedienstleitung, Einrichtungsleitung. Immer berufsbegleitend, zweimal die Woche zur Mettnau-Schule in Radolfzell, nach einem Arbeitstag in der Pflege. Nach 19 Jahren Wohnbereichsleitung im Haus Salzberg avancierte sie 2023 zur Pflegedienstleitung im Haus Urisberg. Das klingt nach einer steilen Karriere. Sind Sie immer so zielstrebig, Frau Hendreich? „Ja, das bin ich. Wenn ich mir was in den Kopf setze, dann ziehe ich das auf alle Fälle durch bis zum Schluss. Auch wenn man manchmal mit sich selbst hadert und an seine Grenzen kommt.“ Was machen Sie, falls die Grenze irgendwann nicht mehr vom eigenen Willen gezogen wird? Wenn Sie selbst pflegebedürftig werden? „Wenn es zu Hause nicht mehr geht, spätestens dann muss man sich mit dem Gedanken beschäftigen, entweder ins betreute Wohnen oder direkt in ein Pflegeheim zu gehen.“ Die sportliche, jugendlich wirkende Mittvierzigerin hat sich naturgemäß schon etwas früher mit dem Gedanken Haus Urisberg 195 <?page no="196"?> beschäftigt und favorisiert den Umzug direkt ins Pflegeheim. Das habe den Vorteil der 24-Stunden-Sicherheit, falls mal was ist, falls man stürzt. Bis es so weit ist, beherzigt Jacqueline Hendreich die Ratschläge einer Bewohnerin: „Lebe dein Leben jetzt! Wenn du in meinem Alter bist, ist es zu spät. Guck dir die Welt an.“ Fotos zeigen die strahlende Zeitzerin auf den beträchtlich hohen Stufen einer Maya-Pyramide in Mittelamerika sitzend. Der Gedanke an einen Sturz ist glücklicherweise 9000 Kilometer Luftlinie entfernt. - Abb. 3+4: Jacqueline Hendreich Ermina Rahming-Mlinar von Jorge Lugo Ermina Rahming-Mlinar kam im Juli 1992 nach Deutschland, nachdem sie ihre Heimat Bosnien-Herzegowina wegen des Balkankrieges verlassen musste. In ihrer Heimat führte sie ein aktives Leben, studierte und spielte leidenschaftlich Handball, was ihr ein tiefes Gefühl von Gemeinschaft und Vitalität gab. Als sie nach Deutschland kam, begann ein neues Kapitel in ihrem Leben. Sie zog zu ihrem Onkel und fand schnell Arbeit in der Küche und in Geschäften, wie z.-B. bei der Familie Günter Stader, im Restaurant Löwen auf der Insel Reichenau und bei Hertie, heute Karstadt, in Konstanz. Diese frühen Erfahrungen waren für sie von unschätzbarem Wert, denn sie halfen ihr nicht nur, ihre ersten beruflichen Schritte zu machen, sondern ermöglichten ihr auch, die deutsche Sprache zu erlernen und sich in die neue Gesellschaft zu integrieren.- 2003 ist Ermina Rahming-Mlinar bei der Spitalstiftung Konstanz eingestiegen, wo sie sich durch kontinuierliche Weiterbildung beeindruckend weiterentwi‐ ckelt hat. Ihre Ausbildung zur Fachfrau in der Pflege begann sie im Jahr 2003 und schloss diese erfolgreich 2006 ab. Ermina erkannte früh die Bedeutung von Fachwissen und persönlichem Wachstum in ihrem Beruf. Daher absolvierte sie von 2012 bis 2014 eine Weiterbildung zur staatlich geprüften Fachkraft für Gerontopsychiatrie, um ihre Fähigkeiten im Umgang mit älteren Menschen 196 Anja Böhme <?page no="197"?> zu vertiefen. Im Zeitraum von 2017 bis 2019 erwarb sie zudem den Abschluss als staatlich anerkannte Fachwirtin für Organisation und Führung mit dem Schwerpunkt Sozialwesen. Diese Qualifikationen haben sie nicht nur als Fach‐ kraft gestärkt, sondern auch ihre Führungskompetenzen geschärft. Heute ist Ermina nicht nur stolze Mutter zweier Töchtern, sondern auch Leiterin einer Station im „Haus Urisberg“, wo sie täglich ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringt, um anderen zu helfen. Ihr Engagement für die Pflege und ihr unermüdlicher Einsatz haben ihr viel Respekt und Anerkennung innerhalb der Spitalstiftung eingebracht. Ihr Rat an die junge Generation lautet: „Mit Fleiß und Engagement lassen sich selbst die größten Herausforderungen meistern.“ Diese Lebensweisheit spiegelt ihre eigene Reise wider und ermutigt andere, ihre Ziele mit Entschlossenheit und Hartnäckigkeit zu verfolgen. Haus Urisberg 197 <?page no="199"?> Haus Talgarten Interviews mit zwei Fachkräften und einer Bewohnerin Anja Böhme Jacqueline Schönerstedt, zusätzliche Betreuungskraft im Haus Talgarten: „Konstanzer sind ein Völkle für sich“ Manchmal bringt Jacqueline Schönerstedt ihren Hund Leika mit zur Arbeit, einen Border Collie. Leika liebt Menschen und die Menschen lieben Leika, und viele Bewohner blühen regelrecht auf, wenn sie das warme, weiche Fell streicheln dürfen. Die sanftmütige Hundedame assistiert gewissermaßen ihrer Halterin bei der Arbeit als zusätzliche Betreuungskraft. So lautet die offizielle Berufsbezeichnung von Jacqueline Schönerstedt. Aber die Bewohnerinnen von Pflegeheimen werden doch ohnehin betreut und gepflegt, weshalb also „zusätz‐ lich“? Weil das so im SGB XI steht. Dort heißt es sinngemäß, dass die Bewohner Anspruch auf mehr als „satt und sauber“ haben; sie sollen je nach Wunsch auch zum Basteln, Lesen, zum Spazierengehen oder Musizieren animiert werden. Das ist ziemlich anspruchsvoll und oft auch anstrengend, und daher hat Jacqueline Schönerstedt als Leiterin der sogenannten ZuBs (zusätzliche Betreuungskräfte) umfangreiche Qualifizierungen absolviert und besucht regelmäßig Pflichtfort‐ bildungen. Man benötigt medizinische, psychologische und juristische Grund‐ kenntnisse, sollte der Kommunikation mit körperlich, geistig und psychisch behinderten Menschen gewachsen sein, einen Notfall bewältigen können und ganz allgemein in der Lage sein, das Leben anderer Menschen ein Stück weit leichter und glücklicher zu machen; auf Behördendeutsch: „das Wohlbe‐ finden, den physischen Zustand oder die psychische Stimmung der betreuten Menschen positiv beeinflussen können.“ Jacqueline Schönerstedt kann das. Die Bewohnerinnen können sie jederzeit ansprechen, ein wenig plaudern, ein Kümmernis loswerden. Sie organisiert Feste und Gruppen, damit die Menschen zusammenkommen, ruhige und lebhafte, Neuzugänge und Langzeitbewohner. Dabei fällt ihr auf, dass die älteren Herrschaften von alleine kaum miteinander <?page no="200"?> reden, obwohl sie viel Zeit haben und manche durchaus kommunikationswillig und -fähig sind. Warum nur? „Also ich weiß nicht, ich schiebe es ein bisschen auf Konstanz. Die Konstanzer, gerade die alten Paradiesler, sind ein Völkle für sich.“ Ach so ist das: Wenn alte Schulkameradinnen zusammenkommen, die sich schon vor 60 Jahren nicht leiden konnten, dann wollen sie auch jetzt nichts miteinander zu tun haben. Das fällt vielen Zugezogenen auf, denn „kein Konstanzer“ bleibt man in Konstanz auch nach 40 Jahren. In Mannheim, wo Jacqueline Schönerstedt 1980 Abitur gemacht hat, sei es jedenfalls leichter, Kontakte zu knüpfen. Nach zwei Jahren Intermezzo in Frankreich kam sie 1982 nach Konstanz, um Linguistik zu studieren. „Mein Ziel war, nach Brüssel zu gehen, weil mich die Randzonen interessiert haben, zum Beispiel der Sprachwandel im Elsass. Ich hätte mich gerne an der Gesetzgebung beteiligt.“ Aber wie das so ist im Leben, manchmal verzieht sich ein Plan schneller als ein frisch gebackener Vater. Nach der Zwischenprüfung musste sich die junge Frau exmatrikulieren, weil sie nun eine Tochter, aber kein Geld mehr hatte und keine sonstige Unterstützung. Ihre Tochter machte trotz einer schweren Erkrankung Abitur. Die Mutter hätte ihr Studium noch mal von vorne beginnen müssen. Sie hatte keine Kraft mehr dafür und erarbeitete sich stattdessen mit Willensstärke und Durchhaltevermögen den neuen Berufsweg. Seit 2015 ist sie bei der Spitalstiftung. Frau Schönerstedt, bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Wenn ich selbst einmal pflegebedürftig werde, dann … „dann hoffe ich, dass ich vorher gehen darf. Wenn ich auf Hilfe angewiesen wäre … für mich ist das Schlimmste, wenn man Hilfe braucht beim auf Toilette gehen, dieser Satz: ‚Sie haben doch eine Einlage drin, lassen Sie das doch einfach laufen‘. Das ist der Satz, der ist für mich der gruseligste der Welt.“ - Abb. 1+2: Jacqueline Schönerstedt 200 Anja Böhme <?page no="201"?> Ilse Happel, Bewohnerin im Haus Talgarten: „Du warst für meine Mama und für die ganze Familie ein großes Glück“- Ilse Happel, 81 Jahre alt, ist sehr gepflegt, hat auffallend schöne glänzende Haare und trägt eine dezente Perlenkette. In erster Linie gilt ihre Pflege jedoch anderen Menschen, vor allem Kindern. Man sieht und spürt das: Ihr Zimmer mit Blick auf einen kleinen Park im Zentrum von Konstanz ist gefüllt mit Erinnerungen, Fotoalben, Kinderzeichnungen, unzähligen Postkarten und Briefen aus acht Jahrzehnten ihres Lebens, geschrieben und verziert von Kinderhand oder getippt mit der Schreibmaschine oder der Tastatur. Die Kinder sind mittlerweile längst erwachsen, doch den Kontakt zu ihrer liebevollen Pflegemutter halten sie aufrecht. Geboren ist Ilse Happel in Konstanz und aufgewachsen in Hegne. Mit elf Jahren musste sie im Stall der elterlichen Landwirtschaft helfen, wenn die Kuh kalbte, und mit zwölf stand für sie fest: Ich will Säuglingsschwester werden; da hatte sie bereits angefangen, sich um Jüngere zu kümmern. Während ihre Klassenkameradinnen sich zum Feiern verabredeten, ging sie „die Gofen ausfahren“, wie die anderen spotteten. Mit 16 absolvierte sie ein Praktikum im Bereich Kinderpflege bei Angehörigen der gräflichen Familie der Mainau; nebenbei lernte sie nähen und kochen und entwickelte sich zur unentbehrlichen Hilfe für große Familien. Die Kleinen liebten sie und die Eltern waren dankbar für die tatkräftige Unterstützung. „Du warst für meine Mama und für die ganze Familie ein großes Glück“, heißt es in einem der Briefe, die sich in ihrem Zimmer stapeln. Der Satz könnte als Leitmotiv über Ilse Happels Leben stehen.- Die junge Frau wünschte sich auch selbst eine große Familie, am liebsten fünf Kinder, doch es blieb bei zwei. Die Tochter und der Sohn sowie die beiden Enkel, 18 und 21 Jahre alt, kommen regelmäßig zu Besuch, auch ihre Schwester kümmert sich um sie. Ihnen allen hat sie geholfen, die beruflichen Ambitionen zu erfüllen, während ihre eigenen manchmal auf der Strecke geblieben sind - obwohl ihr die Berufstätigkeit und finanzielle Selbstständigkeit immer wichtig waren: „Man wird ganz anders behandelt, wenn der Mann merkt, die Frau ist unabhängig und kann gehen, wenn ich nicht anständig zu ihr bin.“ Wenn sie nicht gerade Kinder gewaschen, mit ihnen gespielt, gelernt und getobt hat, arbeitete sie in der Altenhilfe und wurde von ihrer Chefin mehrfach ausgezeichnet. Seit Ilse Happel vor fünf Jahren ins Haus Talgarten gezogen ist, fühlt sie sich rundum anständig behandelt, einfach um ihrer selbst willen und weil sie ein liebenswerter Mensch ist. „Seitdem ich hier bin, ist es nur aufwärts gegangen“, stellt sie fest. Angekommen ist sie im Rollstuhl, inzwischen kann sie wieder selbstständig laufen und beteiligt sich rege an den vielfältigen Angeboten des Haus Talgarten 201 <?page no="202"?> Hauses: Singkreis, Würfelspiel, Gymnastik, Gedächtnistraining, Kegeln. Und sie denkt viel nach: „Der Mensch, der geboren wird, ist immer ein Wunder für mich. Der Geburtskanal ist nur für einen Säugling da, und auch unser Sarg ist nur für einen Menschen, weil jeder den letzten Weg alleine bewältigen muss.“ Bis es soweit ist, lebt sie in den Erinnerungen an die vielen Menschen, deren Lebensweg sie aufgehellt hat. Dorjan Yskollari von Jorge Lugo Dorjan stammt aus Albanien, wo er sein Abitur mit Erfolg absolvierte. Nach seinem Abschluss zog er in die Türkei, um an der Universität Lehramt zu studieren. Diese Entscheidung spiegelte seine Leidenschaft für Bildung und seinen Wunsch wider, Wissen weiterzugeben. In der Türkei verbrachte er einige Jahre, in denen er nicht nur sein Studium vertiefte, sondern auch wertvolle Erfahrungen im interkulturellen Austausch sammelte. Im Jahr 2017 wagte Dorjan den Schritt nach Deutschland, ein Land, das ihm neue Möglichkeiten bieten sollte. Die ersten Monate waren herausfordernd, da er sich schnell in die deutsche Sprache einarbeiten musste. Mit großem Engagement erlernte er Deutsch und erreichte bald das B2-Niveau, was ihm half, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren. Um praktische Erfahrungen zu sammeln und seine Sprachkenntnisse weiter zu verbessern, entschied er sich, einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) im Bereich Pflege im Talgarten zu absolvieren. Diese Erfahrung öffnete ihm die Türen zu einem Berufsfeld, das ihn nachhaltig begeisterte. Im September 2018 begann Dorjan seine Ausbildung zum Altenpfleger, die er 2021 erfolgreich abschloss. Während dieser Zeit entwickelte er nicht nur fach‐ liche Kompetenzen, sondern entdeckte auch seine Leidenschaft für die Pflege älterer Menschen. Er schätzt besonders die Unterstützung der Spitalstiftung, die ihm zahlreiche Möglichkeiten zur persönlichen und beruflichen Entwicklung bietet. Das internationale Team, in dem er arbeitet, bereichert seinen Alltag, und er genießt die harmonische Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen. Heute ist Dorjan ein stolzer Vater von zwei Kindern, die ihm eine neue Perspektive und Motivation im Leben geben. Er strebt kontinuierlich nach beruflicher Weiterentwicklung und legt großen Wert darauf, ein Vorbild für seine Kinder zu sein. Aktuell leitet er die Praxis seiner Station, wo er nicht nur seine Fachkenntnisse einbringt, sondern auch Verantwortung übernimmt 202 Anja Böhme <?page no="203"?> und seine Führungskompetenzen weiter ausbaut. Mit seinem positiven und zielstrebigen Wesen blickt Dorjan motiviert in die Zukunft und ist bereit, neue Herausforderungen anzunehmen, um sowohl in seiner Karriere als auch in seiner Familie zu wachsen und erfolgreich zu sein. Abb. 3: Dorjan Yskollari Haus Talgarten 203 <?page no="205"?> Pflege als Beruf, das Erbbaurecht, der Weinbau und die Pachtgaststätten <?page no="207"?> Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession Ein Blick zurück auf die Entwicklung eines unverzichtbaren Berufsstandes Sabine Schilling Im Schatten des Klosters: Eine (mögliche) Szene aus dem 13.-Jahrhundert Es ist eine eisige Winternacht im Jahr 1225. In den steinernen Mauern des Elisabethklosters huscht Schwester Magdalena durch die dunklen Gänge. In der Hand hält sie eine flackernde Kerze, ihr schlichtes Gewand schützt sie kaum vor der Kälte. Sie eilt zu einem der Krankenzimmer, wo ein fiebernder Pilger auf Stroh gebettet liegt. Mit geübten Handgriffen legt sie ihm kalte Tücher auf die Stirn, flüstert beruhigende Worte und spricht ein leises Gebet. Für sie ist die Pflege mehr als eine Aufgabe - sie ist Ausdruck ihres Glaubens, eine heilige Pflicht. Wie hat sich dieser Beruf über die Jahrhunderte entwickelt und wie ist er zu einer unverzichtbaren Stütze der Gesellschaft geworden? Pflege im Mittelalter: Kirche und Klöster als Pfeiler der Fürsorge Im Mittelalter waren es vor allem die Kirche und die Klöster, die sich um Kranke und Bedürftige kümmerten. Klöster wurden zu Zentren der medizinischen Versorgung. Hier entstand auch das erste Krankenhaus im heutigen Sinne, das von Mönchen und Nonnen geleitet wurde. Die Hospitäler boten nicht nur medizinische Hilfe, sondern auch Unterkunft und Verpflegung für Reisende und Arme. Die Pflege war eng mit religiösen Überzeugungen verbunden und wurde als Dienst an Gott und den Mitmenschen verstanden. <?page no="208"?> Pflege in Frühzeit und Antike: Familienbande und erste Strukturen Die Wurzeln der Pflege reichen jedoch weiter zurück. In frühen Gesellschaften war die Pflege von Kranken und Alten eine Familienaufgabe. Archäologische Funde belegen, dass bereits vor 400.000 Jahren Menschen füreinander sorgten. In antiken Hochkulturen wie Ägypten entwickelten sich erste pflegerische Struk‐ turen. Tempelfrauen und Priesterinnen kümmerten sich um Kranke, arbeiteten eng mit Ärzten zusammen und legten damit den Grundstein für spezialisierte Pflegeberufe. Mit dem Aufstieg des Christentums veränderte sich die Pflege grundlegend. Die christliche Lehre betont die Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Gläubige fühlen sich verpflichtet, Kranke, Arme und Bedürftige zu versorgen. Es ent‐ standen Wohltätigkeitsorganisationen und die ersten Hospitäler in christlichen Gemeinden. Die Pflege wurde zu einer gesellschaftlichen Aufgabe, getragen von der Gemeinschaft. Etablierung der beruflichen Pflege: Vom 18. bis ins 19.-Jahrhundert Die wissenschaftliche Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts brachte neue Erkenntnisse in Medizin und Pflege. Im 18. Jahrhundert begannen Kranken‐ häuser, professionelle Pflegekräfte einzustellen. Doch erst im 19. Jahrhundert, mit Persönlichkeiten wie etwa Florence Nightingale, wurde die Pflege zu einem anerkannten Beruf. Ihre Arbeit setzte international Maßstäbe, insbesondere durch ein eigenes Ausbildungsmodell, das nicht mehr primär von Ärzten, son‐ dern von erfahrenen Pflegekräften geleitet wurde. Damit wurde der Grundstein für die moderne Professionalisierung gelegt. Wegbereiterinnen der Pflegegeschichte Die Geschichte der Pflege ist nicht nur eine Chronik von Ereignissen, sondern vor allem eine Geschichte von Menschen, die mit ihrem Engagement, ihren Visionen und ihrem Mut diesen Beruf geprägt haben. Hier ein Auszug an Pionierinnen, die gegen Widerstände die Pflege zu dem gemacht haben, was sie heute ist: ein unverzichtbarer und hochqualifizierter Bestandteil des Gesund‐ heitswesens. 208 Sabine Schilling <?page no="209"?> Florence Nightingale „Dame mit der Lampe“ Nach ihren Erfahrungen im Krimkrieg reformierte sie das Militärgesundheits‐ wesen und gründete 1860 die Nightingale School of Nursing am St. Thomas’ Hospital in London. Nightingale setzte neue Maßstäbe in Hygiene und Pflege. Sie achtete auf Sauberkeit, Licht, Ernährung und frische Luft, um die Genesung der Patienten zu fördern. Sie revolutionierte die Krankenpflege nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit. Agnes Karll: Die Kämpferin für Berufsrechte In Deutschland trieb Agnes Karll (1868-1927) die Professionalisierung der Pflege voran. 1903 gründete sie die „Berufsorganisation der Krankenpflege‐ rinnen Deutschlands“ (BOKD) und forderte angemessene Arbeitszeiten, Be‐ zahlung und eine fundierte Ausbildung. Karll prägte das Bild der „Kranken‐ schwester“ als eigenständige Fachkraft und setzte sich für eine internationale Vernetzung der Pflege ein. Viele ihrer Forderungen sind bis heute aktuell und prägen die Diskussion um die Pflegeberufe. Liliane Juchli: Die Wegbereiterin der ganzheitlichen Pflege Die Schweizer Krankenschwester und Autorin Liliane Juchli (1933-2020) führte die Pflege im deutschsprachigen Raum durch ihr „Aktivitäten des täglichen Lebens“-Modell (ATL) auf eine neue Ebene. Ihr Lehrbuch „Allgemeine und spezielle Krankenpflege“ vereint medizinisches und besonders pflegerisches Wissen und legt Wert auf die Bedürfnisse der Patienten. Ihr Lehrbuch „Allge‐ meine und spezielle Krankenpflege“ erschien erstmals 1971 und wurde schnell zum Standardwerk in der Pflegeausbildung. Monika Krohwinkel: Die Entwicklerin des ganzheitlichen Pflegekonzepts Die deutsche Pflegewissenschaftlerin Monika Krohwinkel (*1941) entwickelte das „Modell der Aktivitäten und existentielle Erfahrungen des Lebens“ (AEDL), das die Selbstpflegefähigkeiten der Patienten in den Mittelpunkt stellt. Es prägt bis heute die Pflegepraxis und -dokumentation in Deutschland und fördert die Unabhängigkeit der Patienten. Ihr Model baut auf den „Aktivitäten des täglichen Lebens“ (ATL) von Liliane Juchli auf und erweitert diese um die Dimension der existentiellen Erfahrungen. Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession 209 <?page no="210"?> Pflegende sollen nicht nur Defizite ausgleichen, sondern vor allem die Res‐ sourcen der Patienten erkennen und stärken. Abb. 1: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.FALB71-30.4 Abb. 2: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.101.1 210 Sabine Schilling <?page no="211"?> Abb. 3: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.138.14 Abb. 4: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.1602 Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession 211 <?page no="212"?> Abb. 5: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.295.2 Abb. 6: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.929.12 212 Sabine Schilling <?page no="213"?> Pflege im 20.-Jahrhundert: Kriege und Wandel Die Weltkriege stellten die Krankenpflege vor große Herausforderungen. Unter schwierigen Bedingungen versorgten Pflegekräfte Millionen Verwundete. In der Nachkriegszeit strukturierte sich die Pflege neu, orientierte sich an internatio‐ nalen Standards und öffnete sich wissenschaftlichen Methoden. In der DDR wurden bereits in den 1960er Jahren Pflegestudiengänge eingeführt. Meilensteine und Gesetzgebung Die Professionalisierung der Pflege in Deutschland wurde durch gesetzliche Meilensteine geprägt. Diese Entwicklungen haben die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessert und gleichzeitig die Qualität der Versorgung pflegebedürftiger Menschen erhöht. Das Pflegeberufegesetz (PflBG) - Ein Wendepunkt in der Pflegeausbildung Das Pflegeberufegesetz (PflBG) trat 2020 in Kraft. Es führt es die bisher ge‐ trennten Ausbildungswege in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer generalistischen Pflegeausbildung zusammen. Es definiert erstmals Vorbehaltsaufgaben für Pflegefachkräfte und stärkt ihre Position und Verant‐ wortung im Gesundheitswesen. Die Pflegestärkungsgesetze (PSG I, II, III): Mehr Unterstützung und bessere Pflege Zwischen 2015 und 2017 wurden die drei Pflegestärkungsgesetze (PSG I, II, III) eingeführt, die wichtige Neuerungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen mit sich brachten. Pflegestärkungsgesetz I (2015): Mit diesem Gesetz wurden die Leistungen der Pflegeversicherung erhöht und die Unterstützung für Demenzkranke ver‐ bessert. Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen wurden eingeführt, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und pflegende Angehörige zu entlasten. Pflegestärkungsgesetz II (2017): Mit der Einführung eines neuen Pflegebe‐ dürftigkeitsbegriffs und der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade wurde die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit umfassend reformiert. Körperliche, geistige und psychische Beeinträchtigungen werden nun gleichermaßen be‐ Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession 213 <?page no="214"?> rücksichtigt, was zu einer gerechteren Einstufung und bedarfsgerechteren Versorgung führt. Pflegestärkungsgesetz III (2017): Mit diesem Gesetz wurde die Rolle der Kommunen in der Pflege gestärkt und der Ausbau von Beratungs- und Unter‐ stützungsangeboten vor Ort gefördert. Ziel war es, die pflegerische Versorgung vor Ort zu verbessern und den Zugang zu Leistungen zu erleichtern. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG): Verbesserung der Arbeitsbedingungen 2019 verabschiedet, verbessert es die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte durch Personaluntergrenzen und neue Stellen. Die Bezahlung von Pflegekräften: Ein Spiegel gesellschaftlicher Wertschätzung Die Entlohnung von Pflegekräften ist seit jeher ein Gradmesser für die Anerken‐ nung dieses Berufs durch die Gesellschaft. Sie zeigt, wie stark eine Gemeinschaft die Arbeit jener würdigt, die sich um das Wohl anderer kümmern. Die Entwick‐ lung der Bezahlung im Pflegebereich zeichnet dabei ein schwankendes Bild zwischen Fortschritt und Stagnation. Anfänge der Professionalisierung und erste Forderungen nach fairer Entlohnung Zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte sich die Pflege allmählich als ei‐ genständiger Beruf. Pionierinnen wie Agnes Karll setzten sich energisch für bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne ein. Mit der Gründung der ersten Berufsorganisation für Krankenpflegerinnen im Jahr 1903 entstand eine Plattform, um diese Anliegen kollektiv zu vertreten. Trotz dieser Bemühungen blieben die Löhne jedoch niedrig, und Pflegekräfte arbeiteten oft unter schwie‐ rigen Bedingungen. Der Beruf galt mehr als Berufung, denn als Erwerbsarbeit - eine Auffassung, die oft die bescheidene Entlohnung rechtfertigte. Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder: Langsame Fortschritte In den Nachkriegsjahren und während des Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er Jahre stieg die Anerkennung des Pflegeberufs allmählich an. Standards 214 Sabine Schilling <?page no="215"?> verbesserten sich schrittweise, und Tarifverträge für den öffentlichen Dienst wurden eingeführt. Dennoch blieben die Löhne hinter denen vergleichbarer Berufe zurück. Trotz steter Anstrengungen für bessere Bedingungen veränderte sich die gesellschaftliche Wahrnehmung nur langsam. Gegenwart: Zwischen Aufwertung und anhaltenden Herausforderungen In den letzten Jahrzehnten hat sich die Bezahlung von Pflegekräften verbessert. Ein entscheidender Schritt war die Einführung von Mindestlöhnen in der Pflegebranche im Jahr 2020. Pflegekräfte verdienen heute durchschnittlich besser als früher. Trotz steigender Standards und zunehmender Anerkennung empfinden viele die Entlohnung weiterhin als unzureichend für die hohe Verantwortung und Belastung. Die COVID-19-Pandemie verdeutlichte die Bedeutung der Pflegebe‐ rufe und verstärkte die Diskussion um eine gerechtere Bezahlung. Ausblick: Die unverzichtbare Säule der Gesellschaft Die Geschichte der Pflege spiegelt die Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Werte wider. Pflegekräfte sind mehr als Helfer, sie sind hochqualifizierte Fachkräfte, die Empathie und Fachwissen in ihre Arbeit einbringen. Die Zukunft der Pflege hängt von gesellschaftlicher Anerkennung, angemessener Bezahlung und verbesserten Arbeitsbedingungen ab. Nur so kann dieser Beruf auch in Zukunft Menschen helfen, Leben retten und ein Altern in Würde ermöglichen. Quellen https: / / unterrichten.zum.de/ wiki/ Klosterleben_im_Mittelalter https: / / www.bibliomed-pflege.de/ news/ 29497-der-naechstenliebe-verpflichtet Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (2021). Geschichte des DBfK Bundesministerium für Gesundheit (2020). Das Pflegeberufegesetz. Abgerufen von www .bundesgesundheitsministerium.de B O S T R I D G E , M. (2008). Florence Nightingale: Die Frau und ihre Legende. Viking Penguin. D I N K L A G E , C. (2003). Agnes Karll und die Anfänge der Berufsorganisation der Krankenpfle‐ gerinnen Deutschlands. Hentrich & Hentrich Stiftung Liliane Juchli (2021). Zur Person Liliane Juchli. Abgerufen von www.lilianejuch li.ch Die Geschichte der Pflege: Vom Kloster zur modernen Profession 215 <?page no="216"?> Deutscher Bundestag (2017). Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz - PflBG). Abgerufen von dipbt.bundestag.de Destatis (2021). Verdienstunterschiede in der Pflege. Statistisches Bundesamt. Abgerufen von www.destatis.de 216 Sabine Schilling <?page no="217"?> Berufsbild Altenpflege heute Axel Weber „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - dieser zentrale Grundsatz des Grundgesetzes bildet den Leitgedanken für das Berufsbild der Altenpflege. Berufsethik bedeutet hier, zwei wesentliche Werte miteinander zu verbinden: Professionalität und Menschlichkeit. Beide gehören untrennbar zusammen, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Der Beruf des Altenpflegers ist anspruchsvoll, aber auch erfüllend und von unschätzbarem Wert. Jeder Mensch bringt individuelle Bedürfnisse mit, was den Beruf vielseitig und abwechslungsreich macht. Im Alter kommen zusätzliche Herausforderungen wie eingeschränkte Mobilität oder geistige Veränderungen hinzu. Altenpflegerinnen und Altenpfleger unterstützen Menschen dabei, trotz dieser Einschränkungen ein möglichst aktives Leben zu führen - professionell und mit Herz. Abb. 1: Axel Weber <?page no="218"?> Ein Berufsverständnis für ein selbstbestimmtes Leben Im Zentrum des Berufs steht das Ziel, älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sie bei der Gestaltung ihres Alltags zu unterstützen. Dies gilt für alle Bereiche der Altenhilfe - ob in stationären Einrichtungen, in der Tagespflege oder in ambulanten Diensten. Dieser Text konzentriert sich jedoch auf die stationäre Altenpflege. „Wenn Sie in mein Zimmer kommen, scheint die Sonne.“ Solche Sätze zeigen, wie erfüllend die Arbeit in der Altenpflege sein kann. Dieses positive Bild muss viel öfter in die Gesellschaft getragen werden. Viel zu oft dominiert in der Berichterstattung das Bild von überlasteten und gestressten Pflegenden, die kaum Zeit für die Bedürfnisse der Bewohner haben. Natürlich gibt es schwierige Momente. Persönliche Engpässe, Zeitdruck, körperliche und emotionale Belastungen gehören zur Realität. Hier sind aufmerksame Führungskräfte und ein durchdachtes betriebliches Gesundheitsmanagement gefragt, um die Pflegenden zu unterstützen und zu entlasten. Abb. 2: Bewohnerin freut sich über Unterhaltung Die Aufgaben des Pflegepersonals Die Aufgaben einer Pflegefachkraft sind vielfältig und anspruchsvoll. Mit der Einführung des neuen Personalbemessungsgesetzes orientieren sich die Tätig‐ keiten noch stärker an der Qualifikation der Fachkräfte. So übernehmen sie die Planung und Steuerung des gesamten Pflegeprozesses. Neben der fachgerechten 218 Axel Weber <?page no="219"?> Pflege der Bewohner ist die Dokumentation heute ein zentraler Bestandteil der Arbeit. Zu den Aufgaben gehören unter anderem das Richten und Verabreichen von Medikamenten, die Wundversorgung und die Beratung von Angehörigen. Die Pflegefachkraft ist zudem Schnittstelle zu Ärzten und Therapeuten und unterstützt Bewohner mit höherem Pflegegrad auch direkt bei der Körperpflege. Darüber hinaus leitet sie Pflegeassistenten und Pflegehilfskräfte an, die vor allem bei der täglichen Pflege und Betreuung der Bewohner unverzichtbar sind. Aufstiegschancen und Weiterbildung Der Beruf des Altenpflegers bietet zahlreiche Weiterbildungs- und Aufstiegs‐ möglichkeiten. Der Einstieg ist auch ohne Ausbildung als Pflegehelfer möglich. Pflegehilfskräfte absolvieren eine einjährige, Pflegefachkräfte eine dreijährige Ausbildung. Das durchlässige Ausbildungssystem ermöglicht auch Pflegehilfs‐ kräften bei entsprechender Qualifikation den Aufstieg zur Fachkraft. Pflegefachkräfte können sich spezialisieren, z. B. auf Schmerz-, Wund- oder Ernährungsmanagement, Palliativpflege oder gerontopsychiatrische Pflege. Innerhalb einer Pflegeeinrichtung sind Karrierewege bis hin zur Wohnbereichs-, Pflegedienst- oder Einrichtungsleitung möglich. Darüber hinaus eröffnen Stu‐ diengänge wie Pflegemanagement, Pflegewissenschaft oder Pflegepädagogik weitere Perspektiven. Abb. 3: Brettspiel Berufsbild Altenpflege heute 219 <?page no="220"?> Die Pflegeausbildung heute Mit dem Pflegeberufegesetz 2020 wurde die Ausbildung umfassend moderni‐ siert. Die generalistische Pflegeausbildung führt die Bereiche Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zusammen. Die Absolventen werden als „Pflegefachfrau“ oder „Pflegefach‐ mann“ qualifiziert und verfügen über ein breiteres Wissen, das ihnen vielfältige Einsatzmöglichkeiten eröffnet. Diese Neuerungen sollen den Pflegeberuf aufwerten und attraktiver machen. Sie tragen dazu bei, das Berufsbild der Altenpflege weiterzuentwickeln und den demografischen Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Ausblick Das Berufsbild der Altenpflege wird sich auch in Zukunft den gesellschaftli‐ chen Veränderungen anpassen müssen. Eines bleibt jedoch immer gleich: die zentrale Rolle des alten Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Alter ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Lebensabschnitt. Altenpflege ist ein Beruf, der nahe am Menschen ist - ein Beruf, in dem sich Professionalität und Menschlichkeit in besonderer Weise verbinden. Es ist eine Aufgabe, bei der Pflegende mit Respekt und großem persönlichen Einsatz die Würde des Menschen wahren. Wenn Pflegende in einem Bewohnerzimmer als „Sonnenschein“ begrüßt werden und dies ein Lächeln auf das Gesicht zaubert, können wir mit Stolz dieses positive Bild in die Öffentlichkeit tragen. Denn trotz aller Herausforderungen bleibt die Altenpflege ein wertvoller, sinnvoller und erfüllender Beruf. Abb. 4: Brettspiel und Pflege 220 Axel Weber <?page no="221"?> Mit dem Erbbaurecht zum eigenen Haus Rebecca Koellner und Michael Oppe Der Stiftungszweck der Spitalstiftung Konstanz legt es klar fest. Sie existiert, um „die Gewährung persönlicher Hilfe und Pflege zur Gesundheitsförderung für infolge von Armut, Alter und Krankheit bedürftiger Menschen“ zu ermöglichen. Sie soll Stiftungs- und Klinikums-Mitarbeitende unterstützen. Dies gelingt, weil sie u. a. bezahlbaren Wohnraum schafft. Auch die Betreuung der Kinder der Beschäftigten gehört dazu. Diese Aufgabe setzt sie um, indem sie Altenpfle‐ geeinrichtungen betreibt und die öffentliche Gesundheitspflege fördert. Nur, woher nimmt die Stiftung für alle diese Aufgaben das Geld? Schon allein Wohnungen für Beschäftigte zu bauen, ist teuer. Und dies ist nur eine von mehreren Aufgaben. Eine Win-win-Situation Hier kommt das Erbbaurecht ins Spiel. Es bezeichnet die Möglichkeit, auf dem Grundstück eines anderen Eigentümers ein Haus zu errichten. Die Stiftung ist Eigentümerin von Grundstücken, die sie im Laufe der Jahrhunderte erhielt und heute mit Mitteln des Erbbaurechts vergibt. Heute verwaltet sie rund 430 solcher Erbbauverträge in Konstanz. Die Einnahmen - der Erbbauzins - verwendet die Stiftung, um ihre sozialen Aufgaben umzusetzen. Der Vorteil des Erbbaurechts liegt auf der Hand: Der Kauf des Grundstücks entfällt. Dieser kann schließlich in Städten wie Konstanz sehr kostspielig sein. Dafür wird ein Entgelt in Höhe einer festgelegten Verzinsung des Grundstückswerts bezahlt. Auf diese Weise spart der Bauherr oder die Bauherrin eine 100.000 Euro oder höher liegende Anfangsinvestition. <?page no="222"?> Abb. 1: „In der Wohnsiedlung Sierenmoos befinden sich die meisten Grundstücke der Spitalstiftung“. Einen Bau ermöglichen Das Erbbaurecht kann ein sinnvoller Weg sein, den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen. Damit sich dies für beide Seiten lohnt, wird der Erbbauzins, am Beispiel bei der Spitalstiftung, in der Regel auf 75 Jahre festgelegt. Das Erbbaurecht kann im Bedarfsfall verlängert werden. Es ist auch möglich, das Haus über mindestens eine Generation zu vererben. Als Gebäudeeigentümer kann der Erbbauberechtigte die Immobilie frei für sich nutzen. Er kann sie beispielsweise einer Bank als Sicherheit für eine Finanzierung geben oder er kann sie verkaufen. Zinsschwankungen begegnen Das Erbbaurecht hat - wie alles im Leben - eine andere Seite: Ist der Kreditzins der Bank sehr günstig, was bis vor wenigen Jahren der Fall war, können die festgelegten Erbbauzinsen darüber liegen. Es gibt auch Phasen, in denen es sich umgekehrt verhält. Dann sind die Erbbauberechtigten glücklich über günstige Erbbauzinsen. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ist das Grundstück 150.000 Euro wert, muss der Bauherr/ -in oder Käufer/ -in aktuell 4 Prozent Erbbauzins, das sind 6.000 Euro pro Jahr, für das Grundstück entrichten. Schaut man jedoch auf das Jahr 1980 zurück, lag der Immobilienkredit der Banken bei durchschnittlich 222 Rebecca Koellner und Michael Oppe <?page no="223"?> 1 Quelle: interhyp.de. 9,5 Prozent 1 . 1980 war der Erbbauzins von vier Prozent daher ein „gutes Geschäft“ für alle, die über die Stiftung zu Hauseigentum gekommen sind. Diese Schwankungen sind schwer vorherzusehen. Auch hier gibt es eine Konstante: Der Erbbauzins unterliegt nicht den Schwankungen am Immobilienmarkt - eine Anpassung an steigende Bodenpreise ist während der gesamten Laufzeit des Erbbaurechts ausgeschlossen. Aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung erfolgt lediglich (nach Ablauf von jeweils drei Vertragsjahren) eine Anpassung des Erbbauzinses an die Entwicklung der Verbraucherpreise. Damit soll die Kaufkraft des ursprünglich vereinbarten Erbbauzinses in Bezug auf die jeweiligen Lebenshaltungskosten erhalten werden. Abb. 2: Der Kindergarten „im Gütle“ ist ebenfalls ein Erbbaurechtsgrundstück. Die Stiftung hat es an die Stadt Konstanz verpachtet. Wie es zum Erbbaurecht kam Wohnungsnot und hohe Zinsen machten das Erbbaurecht populär. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht, welche bedeutende Rolle es spielte und spielt, um den Wert von Grundstücken in beliebten Städten im möglichst bezahlbaren Rahmen zu halten und zumindest ansatzweise den allgemeinen Grundstückspe‐ kulationen Einhalt gebieten zu können. Die moderne Form des Erbbaurechts begann mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahr 1896. Um 1900 herrschte insbesondere in den Städten eine große Wohnungsnot, Mit dem Erbbaurecht zum eigenen Haus 223 <?page no="224"?> wodurch auch der Bodenwert erheblich stieg. Städte, Stiftungen und Kirchen boten die damals sogenannte „Erbpacht“ an, um es einer finanziell schwächer gestellten Bevölkerung zu ermöglichen, Eigentum zu erwerben. Es war zu jener Zeit das einzige rechtliche Instrument, Wohneigentum zu erhalten, ohne zuvor ein Grundstück teuer erwerben zu müssen. Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde vielerorts vermehrt auf das Erbbaurecht zurückgegriffen, um Siedlungsgebiete für günstigen Wohnungsbau zu schaffen. In Konstanz ist es seit rund 100 Jahren bedeutend. Das erste, in den Archiven verzeichnete städtische Erbbaurecht, wurde 1915 bestellt; es folgten weitere in den 1920er Jahren. In größerem Umfang wurden Erbbaurechte durch die Stadt Konstanz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergeben. Die Konstanzer Bewohnerinnen und Bewohner profitieren heute auch hierbei von der Spitalstiftung, die zwei Bürger vor achthundert Jahren gegründet haben. 224 Rebecca Koellner und Michael Oppe <?page no="225"?> Ein Zuhause für die Familie Betriebskrippe und Personalwohnungen der Spitalstiftung Konstanz Sabine Schilling Es ist sieben Uhr. Die ersten Eltern bringen ihre Kinder in die Betriebskrippe der Spitalstiftung Konstanz. In den heimeligen Räumen des Sozialzentrums Wessenberg warten die Erzieherinnen auf die Kleinen. Das Frühstück wird vorbereitet, die erste Begrüßung ist warmherzig. Hier soll der Tag für Kinder und Eltern gut beginnen. Claudia Langer, Leiterin der Einrichtung, betont: „Unser Ziel ist es, Familien zu entlasten. Eltern müssen nur Schnuller und Kuscheltuch mitbringen - den Rest übernehmen wir.“ Die Betriebskrippe nimmt Kinder im Alter von vier Monaten bis drei Jahren auf. Zwei Gruppen, jeweils zehn Kinder, spielen und lernen hier. Für berufstätige Eltern ist das Betreuungsangebot ein wertvoller Anker. Die Öffnungszeiten von sieben bis siebzehn Uhr und die geringe Schließzeit von 30 Tagen im Jahr machen die Einrichtung besonders flexibel. Die Konstanzer Lebenshaltungskosten zwingen viele Familien, dass beide Elternteile arbeiten. Gerade in solchen Fällen zeigt sich der Mehrwert dieser Einrichtung: „Es ist uns wichtig, den Druck aus dem Familienalltag zu nehmen. Unsere Erziehe‐ rinnen schaffen eine Atmosphäre, die familiär ist und Vertrauen schenkt. Die Eltern sollen wissen: Ihre Kinder sind hier gut aufgehoben“, erklärt Langer. Ein besonderes Ritual sorgt für emotionale Momente. Wenn Kinder aus der Krippe in den Kindergarten wechseln, erhalten sie ein kleines Köfferchen mit Erinnerungen - Fotos, Zeichnungen und liebevoll gestaltete Portfolios. Eltern, die während der Betreuung eng mit den Erzieherinnen verbunden bleiben, berichten oft von Erleichterung und Dankbarkeit. <?page no="226"?> Personalwohnungen: Raum für Stabilität und Bindung Die Spitalstiftung Konstanz geht noch einen Schritt weiter, um ihre Mitarbei‐ tenden zu unterstützen: Sie bietet ihnen Wohnraum an. Mit rund 460 Woh‐ nungen gehört die Stiftung zu den größten Anbietern von Personalwohnungen in der Region. Constanze Kenck, verantwortlich für die Liegenschaften, beschreibt den An‐ satz: „Unsere Wohnungen sind ein wesentlicher Bestandteil, um qualifiziertes Personal zu finden und zu halten.“ Insbesondere für Neuzugänge ist die Mög‐ lichkeit einer Wohnung ein ausschlaggebender Punkt, sich für eine Anstellung in Konstanz zu entscheiden. Abb. 1: Kenck/ Winstel Ansprechpartner Personalwohnungen Das Angebot reicht von Einzimmerwohnungen in den Wohnheimen der Main‐ austraße bis hin zu familienfreundlichen Vierzimmerwohnungen im Stadtteil Paradies. Besonders begehrt sind die möblierten Einheiten, die Auszubildenden, FSJlern (Freiwillige Soziale Jahr) und BFDlern (Bundesfreiwilligendienst) kos‐ tenfrei oder zu günstigen Preisen zur Verfügung stehen. Die Personalwohnungen entlasten auch in schwierigen Lebenslagen. „Immer mal erleben wir, dass Mitarbeitende plötzlich auf Wohnungssuche gehen müssen - etwa nach einer Kündigung ihres Mietvertrags. […] Wir können schnell reagieren und eine Unterkunft bieten“, so Kenck. Für Härtefälle, etwa Allein‐ erziehende oder Mitarbeitende mit besonderen sozialen Bedürfnissen, gibt es Prioritäten bei der Vergabe. 226 Sabine Schilling <?page no="227"?> Wohnraum als Wettbewerbsvorteil Das Engagement der Spitalstiftung zahlt sich aus. In einem überlaufenen Woh‐ nungsmarkt bietet sie ihren Mitarbeitenden Sicherheit und Perspektive. Der Wohnraum wird bewusst zu fairen Preisen angeboten, um auch Teilzeitkräfte und Alleinverdiener zu entlasten. „Günstiger Wohnraum ist ein Schlüssel, um die steigenden Anforderungen an Lebenshaltungskosten abzufedern“, erklärt Kenck. Neben modernen Neubauten wird auch in bestehende Objekte investiert. Sa‐ nierungen und energetische Verbesserungen sichern langfristig die Wohnqua‐ lität. Dennoch bleibt die Herausforderung, preiswerten Wohnraum zu schaffen, bestehen. Abb. 2: Baustelle Sierenmoos Haus 1-3 Abb. 3: Baustelle Sierenmoos Haus 4 und 5 Ein Zuhause für die Familie 227 <?page no="228"?> Abb. 4: Innenraum Wohnung Ein Arbeitgeber, der Familie denkt Betriebskrippe und Personalwohnungen zeigen exemplarisch, wie die Spital‐ stiftung Konstanz auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingeht. Famili‐ enfreundlichkeit, Stabilität und Gemeinschaft sind hier keine Schlagworte, sondern gelebte Praxis. Wer morgens sein Kind mit einem guten Gefühl in der Betriebskrippe abgibt, kann sicher sein: Die Spitalstiftung schafft nicht nur Räume, sondern auch Vertrauen - für die Kleinen und die Großen. Abb. 5: Luisenstr. 7c 228 Sabine Schilling <?page no="229"?> Zum Wohl aufs Gemeinwohl Die Spitalkellerei zwischen Kulturgut und Wirtschaftsbetrieb Anja Böhme Die Spitalkellerei Konstanz gehört zur Spitalstiftung wie die Rebsorte Müller-Thurgau zum Bodensee. Die Turbulenzen, denen das Weingut in den 800 Jahren seines Bestehens ausgesetzt war - Pestepidemien, Konstanzer Konzil nebst Scheiterhaufen, 30-jähriger Krieg etc., - klingen blutrünstiger als aktuelle, sterile Begriffe wie Klimawandel, Marketingstrategie und Zeitdruck. Für Hubert Böttcher und Stephan Düringer sind sie gleichwohl höchst anschaulich. Die beiden Weinbautechniker, die sich selbst in der Regel lieber als Winzer be‐ zeichnen, haben im Jahr 2002 den Betrieb als Pächter von der Stadt übernommen und führen ihn seitdem im Auftrag der Spitalstiftung privatwirtschaftlich. Sie müssen Lösungen finden, damit das Weingut auch in Zukunft seinen gemeinwohlorientierten Beitrag zur Spitalstiftung leisten kann. Es ist Oktober 2024, der Kellermeister hat keine Zeit und nimmt sie sich dann doch, um einige Fragen zu beantworten: Herr Düringer, mit welchem Wein werden Sie auf das 800-jährige Jubiläum der Spitalstiftung und -kellerei anstoßen? Stephan Düringer: „Mit einem schönen Glas Wein! Es gibt nicht den einen Wein, den Lieblingswein. Wissen Sie, ich habe das Privileg, dass ich den Wein, auf den ich gerade Lust habe, aus dem Keller holen kann. Ich mache das immer spontan, je nach Stimmung und Wetter. Ich kann ja nicht jetzt sagen, ‚ich nehme Rotwein‘, und nachher habe ich 40 Grad Außentemperatur. Also, ein schönes Glas Wein vom Bodensee, von uns, ein typischer Wein von Konstanz oder von Meersburg. Mit dem würde ich anstoßen.“ Ok, dann zu den gehaltvolleren Fragen: Die letzte Jubiläumspublikation der Spitalstiftung ist zur Jahrtausendwende erschienen und zwei Jahre später, <?page no="230"?> 2002, haben Sie und Herr Böttcher übernommen. Was hat sich seither bei der Spitalkellerei verändert? Stephan Düringer: „Ich spreche lieber von Weingut und nicht von Kellerei. So hieß das früher, als man noch fremde Weine gekeltert hat. Vor 22 Jahren haben sich die Stadt Konstanz und die Spitalstiftung dazu durchgerungen, dass man die Kellerei verpachtet.“ Natürlich nicht an irgendjemanden. Es gab eine Ausschreibung und das Team Böttcher/ Düringer erhielt den Zuschlag. Die beiden kannten sich von der Tech‐ nikerschule und einigten sich schnell darauf, dass der eine für die Arbeit draußen im Weinberg zuständig ist und für das Rebgut Haltnau in Meersburg, der andere für den Ausbau der Weine im Keller. Um die Vermarktung kümmern sich beide gemeinsam, unterstützt von den Familien. Wenn es nicht so missverständlich wäre, könnte man sagen, sie hätten den Wein mit der Muttermilch aufgesogen. Stephan Düringer stammt ursprünglich vom Kaiserstuhl und orientierte sich dann Richtung Pfalz und Rheingau: „Meine Onkels haben Weinbau betrieben und wenn Sie in Weinbaugemeinden aufwachsen, ist es meistens so, dass der Weinbau genetisch in einem drinsitzt. Schon die Jungen gehen mit in die Lese.“ Wann haben Sie denn ihr erstes Glas Wein getrunken? Stephan Düringer: „Das sage ich lieber nicht. Sehr früh schon. Wir hatten zu Hause eine Ess- und Trinkkultur, bei der Wein immer, also zu besonderen Festen, mit am Start war.“ Nebst weinaffiner Herkunft und Expertise brachten die beiden Sympathie für den Stiftungsgedanken mit. Die Spitalkellerei ist Mitglied in der „Vereinigung europäischer Stiftungsweingüter“, deren Motto lautet: „Mit Genuss Gutes tun.“ Das nahm man früher wörtlich. Im Mittelalter verabreichte man den Patienten in den Spitälern das leicht berauschende und aufgrund des Alkohols halbwegs hygienische Getränk literweise als Medizin, getreu der Überlieferung des Hippokrates: „Der Wein, in rechtem Maß getrunken, lässt Leidende stets gut gesunden“. Heutzutage liefert das Weingut keine Medizin mehr ans Spital, sondern den Pachtzins an die Stiftung, denn von christlicher Nächstenliebe allein kann sie nicht leben. Nun geht es aber, zumal bei einem Stiftungsweingut von 20 Hektar (die Durchschnittsgröße eines Weinguts in Deutschland beträgt rund 6,6 Hektar Rebfläche, Stand 2020), nicht einzig und allein um einen möglichst großen Gewinn. Im Weinbau, und nicht nur da, gilt das Menge-Güte-Gesetz, also die Frage: Masse oder Klasse? Je mehr Menge, desto mehr Ertrag und desto niedriger die Qualität. Massenware ist aber nicht im Sinne eines Unternehmens, das mit 230 Anja Böhme <?page no="231"?> seinen Weinen auch die Region repräsentieren soll. Als Winzer habe man es selbst in der Hand, welche Qualität man ernten wolle, erklärt Stephan Düringer. „Wir sind sehr weit gekommen damit, nicht mehr eine große Menge zu ernten, sondern auf die Qualität und Typizität der einzelnen Rebsorten einzugehen. Wir wollen das Beste aus jeder Rebsorte rausholen, um dem Wein mehr Fülle, Finesse, Struktur und Kraft zu geben. Den Wein, den ich vermarkte, will ich als Traube auch selber in der Hand gehabt haben.“ Apropos vermarkten: Das Thema Marketing ist neben Rebfläche und Keller das dritte Fass, das jedes Weingut pflegen muss. „Schlussendlich kann ich die schönsten Weine machen, aber wenn ich sie nicht verkaufen kann, bringt mir das auch nichts“, stellt der Kellermeister nüchtern fest. Müller-Thurgau, Bacchus und die Cuvée Imperia verkaufen sich über Erlebnisse, die an den Bodensee erinnern und über Geschichten in geselliger Runde. Persönlichkeiten sind entscheidend; wenn man schon beim Wein von Charakter und Herkunft spricht („Terroir“), dann gilt das auch für die Winzer. Daher ist die Spitalkellerei auf Weinfesten und Messen vertreten, veranstaltet Weinproben und im Herbst die Besenwirtschaft, die so gut ankommt, dass sie wiederholt wird. Eine der süffigen Geschichten ist die von der Wendelgard von Halten, aber die kennt inzwischen jede Weinbergschnecke und muss nicht erneut vermostet werden. Fakt ist, dass die Rebflächen des Weinguts durch den See getrennt sind, und das bedeutet einen „Riesenaufwand an Zeit und Logistik“ erklärt Stephan Düringer, weil die Trauben der Meersburger Lagen mehrmals täglich mit der Fähre über den See nach Konstanz transportiert werden zwecks Verarbeitung. Aus der gemütlichen Seepassage wird dann schnell ein Wettlauf gegen die Zeit, und hier kommen wir zum Stichwort Klimawandel. „Heute fangen wir teilweise zehn Tage früher an mit der Lese als vor 20 Jahren. Anfang, Mitte September haben wir Mostgewichte erreicht, die wir sonst eher im Oktober hatten. Letztes Jahr waren die sommerlichen Temperaturen krass. Wir fangen dann schon morgens um sieben an zu lesen, um kalte Trauben zu bekommen.“ Sind die Trauben zu warm, fangen sie an zu gären, bevor sie überhaupt im Keller sind. Und wenn sie platzen, oxidiert der austretende Beerensaft. Mitten in der Nacht will man aber auch nicht ernten, da ist es noch zu dunkel. Bleibt also ein enger Timeslot, und da kommen dann die Erntehelfer und die Winzer nicht nur wegen der hohen Temperaturen ins Schwitzen. „Das Irrsinnige momentan am Wetter ist, dass alles so regional ist. Nur 50 Kilometer weiter sind ganz andere Bedingungen, sei es beim Regen, Hagel oder Frost. Ich habe meinen eigenen Regenmesser zu Hause und sehe das langjährige Mittel seit 20 Jahren. Zum Wohl aufs Gemeinwohl 231 <?page no="232"?> Von Ausnahmen abgesehen haben wir zwischen 900 und 1000 Liter im Jahr. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir noch genügend Niederschläge haben.“ Allerdings kommt es nicht nur auf die Menge an, sondern auch auf die Art und den Zeitpunkt des Regens. Ein schöner, behutsamer Landregen im Frühsommer, wenn die Weinberge im vollen Laubgewand stehen, das wäre ideal, damit die Beeren genügend Nähstoffe bekommen. Aber wann läuft es schon ideal im Leben. Mit den Beeren ist es wie mit den Menschen, manche sind erstaunlich stressresistent, und das sind mitunter die charaktervolleren. „Eine volle Laubwand zieht ganz schön Wasser. Irgendwann gibt es bei großer Hitze eine sogenannte Depression - klar, die Pflanzen schützen sich und dann passiert gar nichts, die Rebe macht zu, Stillstand.“ Bei der Spitalkellerei kann von Stillstand keine Rede sein. Im November 2024 ist die Ernte nach einem verregneten Sommer eingebracht. Es wird schon kühler und the show must go on: Im Dezember öffnet der Weihnachtsbesen mit dem Glühwein der Spitalkellerei. Und danach - was planen die beiden Winzer für die Zukunft? Stephan Düringer: „Die Zukunft - was heißt Zukunft? Da ist immer das Bestreben, weiterhin super Qualitäten zu erzeugen. Vermarktung, Image, Präsentation - heute müssen Sie sich mit vielen Dingen auseinandersetzen, müssen Kunden an sich binden, neue Märkte schaffen, junge Leute mit ins Boot holen. Wir als Winzer sind mehr gefordert denn je, damit man die Ess- und Trinkkultur, die in den Familien nicht mehr gelebt wird, über den Wein wieder an Bord holt. Letztendlich geht es um ein Kulturgut, das über Jahrtausende produziert und getrunken wurde.“ Kulturgeschichte, Geographie, rasante Klimaveränderungen, Heimatkunde, Er‐ nährung, Gesundheit und Göttermythen, Bacchus und Imperia plus ein Wirt‐ schaftsunternehmen, das zur Finanzierung der 800-jährigen Stiftung beiträgt, das ist ganz schön viel, was das Weingut mit sich trägt. Die Kinder, die im Rahmen des Kikuz-Ferienprogramms unter fachkundiger Leitung von Heide Düringer zur Traubenernte im Raiteberg in Konstanz sind, können hinterher einiges davon erzählen. Storytelling ist für ein im internatio‐ nalen Vergleich überschaubares Weingut überlebenswichtig. Gut möglich, dass die Kids, die heute ihre saftverklebten Finger ablecken, in 20 Jahren mit ihren Geschichten zur Zukunft der Spitalkellerei beitragen. Ein Weingut, das am Bodensee seit 800 Jahren alle Launen und Kapriolen von Mensch und Natur überlebt hat, wird die Zukunft vermutlich eher nüchtern betrachten. 232 Anja Böhme <?page no="233"?> Spitalkellerei Konstanz Böttcher & Düringer GbR Brückengasse 16 78462 Konstanz +49 (0) 7531 128760 www.spitalkellerei-konstanz.de Die Haltnau Die Haltnau, das sind zum einen Rebflächen auf dem Gebiet der Stadt Meersburg und zum anderen das gleichnamige Restaurant mit Biergarten, idyllisch gelegen direkt am Bodenseeufer und ein beliebtes Ausflugsziel für Einheimische und Touristen. Aus historischen Gründen gehören sie der Spitalstiftung Konstanz. Nach einer grundlegenden Renovierung wurde das Restaurant im Sommer 2018 wieder eröffnet. Das historische Gebäude und die Nebengebäude sind im Denkmalbuch Baden-Württemberg als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung einge‐ tragen. Seit Mai 2016 betreiben die Pächter der Spitalkellerei Konstanz auch das Restaurant mit Gartenwirtschaft, zuständig für die Gastronomie ist Hubert Böttcher. Das Restaurant bietet gehobene, regional-saisonale Küche, die Gar‐ tenwirtschaft typische Biergartengerichte. Rebgut Haltnau Böttcher & Düringer GbR Uferpromenade 107 88709 Meersburg +49 (0) 7532 9732 www.rebgut-haltnau.de Zum Wohl aufs Gemeinwohl 233 <?page no="234"?> Abb. 1: Detail aus einem Fotorahmen im Besen in der Spitalkellerei Abb. 2: Wappen am Haus der Spitalkellerei 234 Anja Böhme <?page no="235"?> Abb. 3: Verkaufsraum der Spitalkellerei Abb. 4: Wein der Spitalkellerei Zum Wohl aufs Gemeinwohl 235 <?page no="236"?> Abb. 5: Verkaufsraum der Spitalkellerei Abb. 6: Geschenkesets der Spitalkellerei 236 Anja Böhme <?page no="237"?> Abb. 7: Fotorahmen im Besen der Spitalkellerei Abb. 8: Detail aus dem Fotorahmen im Besen der Spitalkellerei Zum Wohl aufs Gemeinwohl 237 <?page no="238"?> Abb. 9: Detail aus dem Fotorahmen im Besen der Spitalkellerei Abb. 10: Detail aus dem Fotorahmen im Besen der Spitalkellerei 238 Anja Böhme <?page no="239"?> Abb. 11: Böttcher/ Düringer Abb. 12: Die Lage „Konstanzer Sonnenhalde“ zu Füßen des Bismarckturms Abb. 13: Überfahrt der Ernte Zum Wohl aufs Gemeinwohl 239 <?page no="240"?> Abb. 14: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1373-Haltnau Abb. 15: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1375-Haltnau Abb. 16: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1376-Haltnau - Abb. 17: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1378.1-Kellerei Abb. 18: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1378.2-Kellerei - Abb. 19: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1378.4-Kellerei 240 Anja Böhme <?page no="241"?> Abb. 20: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.1991-Kellerei Abb. 21: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.fi.1290-Kellerei Zum Wohl aufs Gemeinwohl 241 <?page no="242"?> Abb. 22: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.pk-15-0108-Kellerei 242 Anja Böhme <?page no="243"?> Spitalstiftung und Spitalkellerei Konstanz Seit der Jahrtausendwende eine Erfolgsgeschichte mit Wein und Weitsicht Reiner Weichler Die Spitalstiftung Konstanz hat im Laufe der Zeit viel investiert, um die Wein‐ güter der Spitalkellerei, die von wohlhabenden, weitsichtigen Bürgern gestiftet wurden, auf eine wirtschaftlich solide Grundlage zu stellen. Wir überspringen die Jahrhunderte vor dem modernen Bilanzwesen und beginnen 1978, als die Kellerei um einige Gebäude erweitert wurde und seither mit ihrer Eingangsseite direkt Richtung Bodensee blickt. Um die Jahrtausendwende war das zentrale Anliegen des Stiftungsrates, den Betrieb zu modernisieren und strategisch neu auszurichten, um wirtschaftlich tragfähig zu werden und die originären sozialen Zwecke der Stiftung finanziell unterstützen zu können. Ein entscheidender Wendepunkt war 2002 die Verpach‐ tung der Spitalkellerei an zwei junge Winzer, Stephan Düringer und Hubert Böttcher, die eine überzeugende Bewerbung und ein nachhaltiges Konzept für Rebbau und Weinausbau vorlegten. Der Pachtvertrag wurde zunächst auf zehn Jahre geschlossen, mit Option zur Verlängerung. Die Qualität des Weines wurde deutlich besser, die Spitalkellerei etablierte sich erfolgreich am Markt und generierte, wie geplant, Einnahmen für die sozialen Zwecke der Stiftung und den Unterhalt der Betreiberfamilien und Mitarbeiter. Für die Spitalstiftung war unabdingbar, dass das Weingut auch künftig als Spitalkellerei die Stadt Konstanz innerhalb der Weinregion Bodensee re‐ präsentieren konnte - in angemessen hoher Qualität. Mit der Aufnahme in die Vereinigung Europäischer Stiftungsweingüter im Jahr 2009 kam sie dem Ziel einen Schritt näher. Die Zugehörigkeit zu dem Netzwerk renommierter Weingüter aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz und Ungarn, die ihre Erlöse für gemeinnützige Zwecke einsetzen, stärkte nicht nur die Marktposition der Kellerei, sondern auch die Außenwirkung der Stiftung. Und weil auch die Präsentation der Weine heutzutage wesentlich zur Außenwirkung <?page no="244"?> beiträgt, investierte die Spitalstiftung 2022 mehrere hunderttausend Euro in einen zeitgemäß attraktiven Verkaufsraum. Ein weiterer Schritt in Richtung Wirtschaftlichkeit der Spitalkellerei gelang der Stiftung durch die Integration des Rebguts Haltnau und die Umgestaltung des Weinverkaufs in Meersburg, verbunden mit einer umfassenden Sanierung des historischen Anwesens, das seit 1965 auch als Gastwirtschaft betrieben wird - seit 2016 von den Pächtern der Spitalkellerei, Hubert Böttcher und Stephan Düringer. Eineinhalb Jahre dauerte und fast drei Millionen Euro kos‐ tete die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudeensembles (einschließlich Erneuerung der Entwässerungs- und Elektroleitungen sowie Brandschutz), der Außenanlagen mit Kinderspielplatz und die Modernisierung der Gastronomie. Dank der Investitionen und der wirtschaftlich-strategischen Neuordnung des Weinguts kann die Spitalstiftung jetzt regelmäßig Erträge erzielen, die dem Stiftungszweck dienen. In einer Zeit des Wandels am internationalen Weinmarkt und angesichts klimatischer Herausforderungen wurde damit ein entscheidender Beitrag geleistet, um die Zukunft der Spitalkellerei und der Spitalstiftung insgesamt zu sichern. Quellen F R O M M , Norbert/ K U T H E , Michael/ R Ü G E R T , Walter: „… entflammt vom Feuer der Nächsten liebe“. 775 Jahre Spitalstiftung Konstanz, Konstanz 2000 W O L F , Hellmut: Mit Qualität zum Weinerlebnis für alle. Das älteste Stiftungsweingut Deutschlands, in: Spitalstiftung Konstanz (Hg.): Spitalstiftung Konstanz 775 Jahre, Konstanz 2000, S.-88-93 Rebgut Haltnau modernisiert, in: Amtsblatt der Stadt Konstanz, Ausgabe 12 vom 13. Juni 2018, S.-3 244 Reiner Weichler <?page no="245"?> Der Nicolai Torkel zwischen klösterlicher Weinpresse und Gebäudeenergiegesetz Anja Böhme Den Nicolai Torkel in Konstanz bringt so leicht nichts ins Torkeln - mit 315 Jahren auf den Grundmauern verträgt man mal einen Kalauer. Das Gebäude, locker eingebettet zwischen Lorettowald und Bodensee, beherbergte bis Ende 2024 ein gehobenes Restaurant und sieht je nach Perspektive von außen aus wie eine kleine Burg oder ein stattliches Fachwerkhaus, und wer daran vorbei‐ rauscht, um im Sommer möglichst schnell ans Hörnle zu kommen, übersieht es womöglich. Was aber ausgesprochen schade wäre. Um es gleich vorweg zu sagen: Wenn dieses Jubiläumsbuch erscheint, wird sich das denkmalgeschützte Haus in der Eichhornstraße äußerlich nicht wesent‐ lich verändert haben, vielleicht ein wenig herausgeputzt sein wie eine frisch gekrönte Weinkönigin. Das zukünftige Innenleben steht allerdings noch in den Sternen beziehungsweise in den Unterlagen der Sanierung, die demnächst ausgeschrieben werden soll. Denn das standhafte und persönlichkeitsstarke Gebäude stammt aus einer Zeit, als Begriffe wie Gebäudeenergiegesetz und Wärmepumpe noch ferner lagen als das jüngste Gericht und viele Menschen froh waren, sich überhaupt mal irgendwo aufwärmen zu können. Und so geschah es, dass in dem gemütlichen, nicht nur die Seele wärmenden Restaurant ausgerechnet im Dezember 2023 die Heizung ausfiel. Annerose Gurlitt, die Pächterin des Nicolai Torkels, erzählt die Weihnachtsgeschichte der anderen Art mit dem trockenen Humor der Norddeutschen: Letztes Jahr ist uns genau zu Weihnachten die Heizung ausgestiegen. Dann haben sie uns hier so Brenner hingestellt und gesagt, wir müssen da die Tür aufmachen. Ich dachte, jetzt sind sie verrückt - wir haben Weihnachtsfeiern! Dann habe ich mit diesen Dingern gearbeitet und irgendwann mal angerufen, da muss doch irgendwas passieren, es muss doch weitergehen. Und dann haben sie die Heizung nochmal angeguckt, haben sie zurechtgestückelt und das hält bis jetzt. <?page no="246"?> Und hoffentlich auch noch bis Ende des Jahres: Zum 31. Dezember 2024 hört Annerose Gurlitt auf. Nein, die defekte Heizung hat damit nicht direkt zu tun; die erfahrene Gastronomin aus dem Norden ist durchaus sturmfest. Sie und ihr Mann, der sich früher in der Küche als Spüler nützlich machte und heute die zunehmend aufwendige Buchhaltung erledigt, sind in dem Alter, in dem man allmählich an den Ruhestand denkt, und die Entwicklungen der letzten Jahre beflügeln auch nicht gerade dazu, noch mal neu durchzustarten. Allein die Stromkosten seien im vergangenen Jahr von 1200 auf 2000 Euro gestiegen, monatlich. „Im Moment müsste man so ein Haus den Leuten umsonst geben und sich freuen, wenn es überhaupt läuft, weil das keiner mehr bezahlt kriegt.“ Um es frei nach Karl Valentin auszudrücken: Ein Kulturdenkmal ist schön, macht aber viel Arbeit. Die Arbeit war es auch, die Annerose Gurlitt 1996 von Oldenburg in Nie‐ dersachsen an den Bodensee führte. Sie fing als Kellnerin im Nicolai Torkel an. Sechs Jahre später sollte das Anwesen im Doppelpack mit dem nebenan gelegenen Waldhaus Jakob verpachtet werden. Das charaktervolle Torkelhaus war ihr inzwischen jedoch so ans Herz gewachsen, dass sie vorschlug, es als Einzelobjekt zu pachten. Die Spitalstiftung war einverstanden und der Erfolg gab ihr recht. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihr und ihren Köchen Pierre Hilaire und Tijan Dibba, eine treue Stammkundschaft aufzubauen. Die Lage abseits der Laufkundschaftsrouten mag für manche ein Nachteil sein - von Vorteil ist sie für alle, denen eine familiäre, herzliche Atmosphäre und gehobene deutsch-französische Küche wichtiger sind als die Nähe zu den Selfie-Spots der City. Ein typischer gemischter Satz aus mehreren online-Kommentaren: Die Lage ist genial, etwas außerhalb von Konstanz, sehr gut mit dem Fahrrad oder Bus zu erreichen. Was für ein Ort, 300 Jahre Geschichte. Das Hotel-Restaurant, geführt von einer aufmerksamen und hilfsbereiten Wirtin mit ihrem tollen, lustigen und herzlichen Team. Tolle Terrasse, sehr guter Service, leckeres Essen und Trinken, freundliches Personal und super freundliche Wirtin. Gern wieder! Apropos „gemischter Satz“: Im önologischen Sinne bezeichnet der Ausdruck einen Wein, bestehend aus Trauben verschiedener Rebsorten, die in einem Weinberg zusammen gepflanzt und zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam gelesen, gekeltert und vergoren wurden. Und hiermit kommen wir zum Ursprung des Nicolai Torkel: Torkel, so nennt man im deutschen Südwesten eine hölzerne Weinpresse, die in anderen Regionen Kelter oder Trotte genannt wird. Die gigantischen Werkzeuge nutzten das Gewicht und die Hebelwirkung langer Holzbalken - eine schwerwiegende, wenn nicht gar disruptive Innovation gegenüber der Methode, Weintrauben mit den Füßen zu zerstampfen. Rund um 246 Anja Böhme <?page no="247"?> die raumgreifende Vorrichtung baute man Häuser, die ebenfalls Torkel genannt wurden und nicht nur der Ummantelung der Presse dienten, sondern im Falle des Nicolai Torkels auch als Lusthaus der Mönche von Petershausen, worin auch immer die Lustbarkeiten bestanden. Nicolai hieß nicht etwa der erste Kellermeister der Spitalkellerei, sondern meint den heiligen Nikolaus, und der ist nur deshalb der Namensgeber, weil das gesamte Gelände zwischen Lorettowald und See bis zur Säkularisation 1802 dem Kloster Petershausen gehörte, das seine Pfarrkirche dem Bischof Nikolaus von Myra, dem heutigen Schutzpatron der Schokoladenindustrie, widmete. Rein weltliche Tauschgeschäfte mit dem neuen Besitzer des ehemaligen Klosters, dem Markgrafen von Baden, brachten das Land mitsamt Torkelgebäude 1907 schließlich in den Besitz der Spitalstiftung, die es 1911 zur Dependance des bereits 1888 angekauften Waldhauses Jakob umbauen und mit sechs Gästezimmern ausstatten ließ. So schließt sich der Kreis der Weinkultur als Bestandteil der Gastlichkeit. Die Weinpresse des Nicolai Torkels gibt es längst nicht mehr. Wer weiß, vielleicht wurden die mächtigen Holzbalken einst in einem bitterkalten Winter verfeuert, als Holz das Überleben sicherte und nicht als Feinstaub- und CO 2 -Schleuder betrachtet wurde. Das Torkelhaus dagegen soll, nach Abschluss der anvisierten zukunftsfähigen Sanierung, weiterhin ein Treffpunkt kulinarischer Geselligkeit sein. Quelle M A U R E R , Helmut: Der „Nikolai-Torkel“ am „Waldhaus Jakob“. Eine der ältesten Weintrau‐ benpressen auf der Konstanzer Gemarkung, in: Die Kulturgemeinde. Jg. 10, H. 10 (1968/ 69) S.-2 f. Der Nicolai Torkel zwischen klösterlicher Weinpresse und Gebäudeenergiegesetz 247 <?page no="248"?> Abb. 1: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.pk.27-0366-Torkel Abb. 2: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.pk.27-0570-Torkel 248 Anja Böhme <?page no="249"?> Abb. 3: © Stadtarchiv Konstanz StAKN Z1.pk.27-0601-Torkel Der Nicolai Torkel zwischen klösterlicher Weinpresse und Gebäudeenergiegesetz 249 <?page no="251"?> Spitalgeschichte kompakt <?page no="253"?> 1 Der nachfolgende Text wurde - leicht überarbeitet und angepasst - bereits veröffentlicht in Heft 134 (2016) der „Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung“ (Verlag Jan Thorbecke). 2 L I N D G R E N , U[ta]: Hospital, in: Lexikon des Mittelalters, Band 5, München 2002, Sp. 133-137, hier Sp. 133. 3 B U L S T , Neithard: Zur Geschichte des spätmittelalterlichen Hospitals. Eine Zusammen‐ fassung, in: Sozialgeschichte mittelalterlicher Hospitäler. Hg. von Neithard Bulst und Karl-Heinz Spieß (Vorträge und Forschungen, 65) Ostfildern 2007, S.-312. 4 D R O S S B A C H , Gisela: Bild und Text im ‚Liber Regulae‘ des römischen Hospitals von Santo Spirito in Sassia, in: B U L S T / S P I E ẞ (wie Anm. 3) S.-126. 5 S C H Ü R L E , Wolfgang W.: Das Hospital zum Heiligen Geist in Konstanz. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte des Hospitals im Mittelalter (Konstanzer Geschichts- und Rechts‐ quellen, 17) Sigmaringen 1970, S.-29. Zum Schluss ein schneller Überblick Eine kurzgefasste Geschichte der Konstanzer Spitalstiftung 1 Jürgen Klöckler Die Einrichtung von Spitälern (oder Hospitälern) im mittelalterlichen Europa fußte im Wesentlichen auf dem christlichen Gebot der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe. Man kann diese Einrichtungen in der Tat als „endgültige Institu‐ tionalisierung der Barmherzigkeit“ 2 begreifen. Die leitende Idee der Versorgung in den mittelalterlichen Hospitälern war die caritas als Dienst am Kranken und an Bedürftigen jeglicher Art. 3 Eine Institutionalisierung dieser Idee stellte der 1198 von Papst Innozenz III. anerkannte, nicht-ritterliche Heilig-Geist-Orden dar, der sich „allein der Spitalpflege als Leitidee“ verpflichtet hatte 4 . Dessen römisches Mutterhaus hospitale S. Spiritus in Saxia stand ab dem Jahr 1204 unter päpstlichem Schutz. Von Italien aus breitete sich der Orden sehr schnell in ganz Europa aus. Ab dem 13. Jahrhundert verfügte fast jede Reichsstadt im Südwesten - und speziell im Bodenseeraum - über ein eigenes Spital, das oftmals nach dem Heiligen Geist als Namens- und Schutzpatron benannt war, freilich ohne dem gleichnamigen Spezialorden anzugehören 5 . Gemäß chronikalischer Überliefe‐ <?page no="254"?> 6 Zur Geschichte des Konstanzer Spitals vgl. F R O M M , Norbert/ K U T H E , Michael/ R Ü G E R T , Walter: „… entflammt vom Feuer der Nächstenliebe“. 775 Jahre Spitalstiftung Konstanz, Konstanz 2000 sowie zusammenfassend: R Ü G E R T , Walter: „… entflammt vom Feuer der Nächstenliebe“, in: Spitalstiftung Konstanz (Hg.): Spitalstiftung Konstanz 775 Jahre, Konstanz 2000, S.-5-19. 7 Vgl. dazu weiter: S C H Ü R L E (wie Anm. 5) S.-22 ff. 8 Vgl. den Artikel „Konrad-Spital“ in: H E E R , Heinz Günther: Geschichtlich-topographi‐ sches Lexikon der Stadt Konstanz, Band I, Konstanz 2006, S.-351. 9 M A U R E R , Helmut: Konstanz im Mittelalter. I. Von den Anfängen bis zum Konzil (Geschichte der Stadt Konstanz, 1) Konstanz 1989, S.-126. 10 In der Konstanzer Chronistik wird zumeist das Jahr 1220 genannt. Vgl. etwa die Chronik des Gregor Mangolt [1548], wo es heißt: „Im Jar 1220 hat er / : ohne Zweiffel Conradus : / confirmiert die Stifftung des Spitals Costantz“; StadtA Konstanz A I 4, p.-101. Anders hingegen die Dacher-Chronik, wo die Stiftung des Spitals auf das Jahr 1225 datiert wird; W O L F F , Sandra: Die „Konstanzer Chronik“ Gebhart Dachers. „By des Byschoffs zyten volgiengen disz nachgeschriben ding und sachen …“ Codex Sangallensis 646: Edition und Kommentar (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, XL) Ostfil‐ dern 2008, S.-325 f. 11 igne caritatis accensi; dritte Zeile von oben im Stiftungsbrief für das Spital aus dem Jahr 1225 (ohne Tag); StadtA Konstanz U 7386 (Großformat). Zum Urkundentext und dessen Transkription vgl. den Beitrag von Harald Derschka in diesem Band. rung gab es in Konstanz innerhalb der Stadt bereits vor Gründung des Spitals zum Heiligen Geist 6 zwei Hospitäler, nämlich ein um das Jahr 968 von Bischof Konrad I. für Pilger und zwölf Arme aus eigenen Mitteln im zehnten Jahrhundert errichtetes, sogenanntes Konrad-Spital sowie ein am Obermarkt gelegenes zweites Hospital, über das jedoch quellenmäßig keine nähere Informationen überliefert sind. 7 Das baufällig gewordene Konrad-Spital wurde schließlich 1089 unter Bischof Gebhard III. verlegt. 8 Das Spital draußen vor der Stadt, beim Augustinerchorherrenstift in Kreuzlingen gelegen, konnte jedoch Ende des 12. Jahrhunderts - nicht nur wegen seiner abseitigen Lage - nicht mehr den Anforderungen genügen, „die eine immer mehr wachsende Stadt auf sozialem Gebiet hatte“ 9 . Es galt Kranke, Alte und Waisenkinder zu versorgen. Ein zunehmender Strom von Pilger, Bettler, Kaufleute und viel „fahrendes Volk“ ergoss sich durch die aufstrebende Stadt - soziale Probleme schienen vorprogrammiert, Lösungen waren von Nöten. Unter diesen zeittypischen Gegebenheiten und den offensichtlichen sozialen Notwendigkeiten erfolgte in der Bischofsstadt die Gründung des Spitals zum Heiligen Geist um das Jahr 1220 10 durch die beiden „vom Feuer der Nächsten‐ liebe entflammten“ 11 Bürger Ulrich Blarer und Heinrich von Bitzenhofen. Als Standort diente das damals an den See grenzende Marktgestade, die heutige Marktstätte. Blarer hatte dort ein zinseigenes Grundstück eingebracht, auf dem 254 Jürgen Klöckler <?page no="255"?> 12 Weiterführend: C R A E M E R , Ulrich: Das Hospital als Bautyp des Mittelalters, Köln 1963. 13 S C H Ü R L E (wie Anm. 5) S.-101 f. 14 In einem Sühnebrief des Abtes Berthold von St. Gallen im Streit zwischen Bischof Eberhard II. und der Konstanzer Bürgerschaft vom 29. November 1255 heißt es: „Die burger hant den rat abe gelan und stat in dem rehte alse vor vierzic jarin, e ie rat hie wrde.“ Zitiert nach B E Y E R L E , Konrad: Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen Konstanz. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche Studie mit einem Urkundenbuche und einer topographischen Karte. Zweiter Band: Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der Jahre 1152-1371, Heidelberg 1902, S. 44. Ebenfalls publiziert in: Thurgauisches Urkundenbuch. Redigiert von Friedrich S C H A L T E G G E R , Dritter Band, Frauenfeld 1919, S. 88 ff. sowie in: Urkunden der Abtei Sanct Gallen. Teil III. Bearbeitet von Hermann W A R T M A N N , St. Gallen 1882, S.-708 ff. 15 K Ä L B L E , Mathias: Sozialfürsorge und kommunale Bewegung. Zur Bedeutung von Hospitälern für die politische Gruppenbildung in der Stadt, in: B U L S T / S P I E ẞ (wie Anm. 3) S.-237-271, hier S.-246. 16 StadtA Konstanz U 7386 (Großformat). Für den edierten Wortlaut der lateinischen Urkunde vgl.: Die Chroniken der Stadt Konstanz. Hg. von P H [ I L I P P ] R U P P E R T , Konstanz 1891, S. 298 ff.; R U P P E R T , Ph[ilipp]: Konstanzer Geschichtliche Beiträge. Drittes Heft, Konstanz 1892, S. 20 f.; B E Y E R L E , Konrad: Grundeigentumsverhältnisse (wie Anm. 14) (Urkunde Nr.-10) S.-15 f. Ein Abdruck und eine Übersetzung ins Neuhochdeutsche findet sich in: Der Neubau der Spitalkellerei Konstanz. Festschrift zur Einweihung, Konstanz [um 1980], S. 32 und S.-37 (Übersetzung). Faksimile der Urkunde in: M A U R E R (wie Anm. 9) S.-127. 17 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-62. er zusammen mit Heinrich von Bitzenhofen einen steinernen Neubau nach dem Bautyp eines Spitals 12 hatte errichten lassen. Eine rechtliche Abhängigkeit des Spitals von den beiden Gründerfamilien oder deren Sonderstellung wurde damit aber nicht begründet. 13 Freilich scheint die Gründung einer Fürsorgeeinrichtung eng mit der ersten Erwähnung eines Rates im Jahr 1215 14 verknüpft. Offenbar gerieten damals karitative Institutionen verstärkt in den Fokus bürgerlicher Ak‐ tivitäten, und zwar je schwächer die kommunale Selbstverwaltung entwickelt war und je vehementer die bischöflich-stadtherrliche Intervention bremste. 15 Vermutlich hatte Bischof Konrad II. von Tegerfelden den wohl unter Kaiser Friedrich II. wenige Jahre zuvor eingerichteten Rat wieder stärker in seine Gewalt gezwungen. Gleichzeitig bestätigte der Konstanzer Bischof in einem Stiftungsbrief aus dem Jahr 1225, der eigentlichen „Gründungsurkunde“ des Spi‐ tals, 16 die Einrichtung der Fürsorge-Institution mit Kapelle, eigener Geistlichkeit und eigenem Friedhof (vgl. dazu weiter den Beitrag von Harald Derschka und die Edition der Urkunde in diesem Band). Das Spital bildete somit eine von keiner anderen Konstanzer Kirche abhängige, eigene Pfarrgemeinde. Alle mit dem Spital verbundenen Menschen gehörten dieser neuen Personalpfarrei an. 17 Bischof Konrad II. privilegierte die spitälische Laiengemeinschaft der „Armen Christi“ (pauperes Christi) als Träger und übertrug die eigentliche Verwaltung Zum Schluss ein schneller Überblick 255 <?page no="256"?> 18 R U P P E R T (wie Anm. 16) S. 299; B E Y E R L E , Grundeigentumsurkunden (wie Anm. 14) S. 15. 19 S C H Ü R L E (wie Anm. 4) S.-125. 20 Ebd. S.-27. 21 In einem Kaufbrief vom 27. April 1405 werden dem Spitalmeister Hans Aigner im namen und an stat gemain bruderschaft desselben Spitäls ze Costentz zwei Wiesen bei Hödingen verkauft; StadtA Konstanz U NSpA 138. 22 Rezension von Dietmar-H. V O G E S , in: Archivalische Zeitschrift 68 (1972) S.-199. 23 Grundlage ist der Bestand N (Spitalverwaltung Konstanz) des Stadtarchivs Konstanz, der in Akten und Bände gegliedert ist: K U T H E , Michael: Repertorium N - Spitalver‐ waltung Konstanz, masch. 451 plus 132 Seiten (Akten plus Bände), Konstanz 1975, so dann der Bestand U (Urkunden): K U T H E , Michael: Konstanzer Urkunden, Teil IX, Ergänzungsband Neues Spitalarchiv 1264-1858, masch. 258 Seiten (plus Auswertung der spitälischen Kopialbücher 54 Seiten), Konstanz 2010 und der Bestand S II Abteilung XVI Stiftungen: K U T H E , Michael: Repertorium S II Abt. Stiftungen. Spitalstiftung, weltliche Ortsstiftungen, Distriktstiftungen, masch. 430 Seiten, Konstanz 1975. Die neueren Akten der Spitalverwaltung sind noch unverzeichnet, freilich ist ein Aktenplan der Spitalverwaltung vorhanden (zitiert: StadtA Konstanz Spitalver.) 24 K Ä L B L E (wie Anm. 15) S.-270. der Einrichtung den städtischen Rats-Vertretern (aliqui, qui sunt civitatis consi‐ lium). 18 Formal war das Spital als Körperschaft selbstständig und privilegiert, doch war es verwaltungsmäßig dem Rat zum Schutz und zur Förderung unterstellt, der spätestens am Ende des 13. Jahrhunderts endgültig 19 und in Eigenverantwortung die beiden Pfleger ernannte. Es handelte sich damals eben nicht um eine Stiftung im heutigen Sinn, sondern um eine Körperschaft. 20 In der körperschaftlichen Konstruktion einer Laiengemeinschaft, die letztmals quel‐ lenmäßig im April 1405 21 vor ihrer nicht datierbaren Auflösung nachzuweisen ist, liegt die organisatorische Grundlage der seit 800 Jahren bestehenden engen Verbindungen zwischen dem Spital und der Stadtgemeinde. Die Grundzüge der Entwicklung des ab spätestens 1300 als selbständige Anstaltsstiftung 22 zu bezeichnenden Konstanzer Heilig-Geist-Spitals sollen nachfolgend quellenge‐ stützt 23 in konziser Weise dargestellt werden. Die Einrichtung des Spitals um 1220 Wie kann die Errichtung eines Spitals in Konstanz im ersten Drittel des 13. Jahr‐ hunderts interpretiert werden? Offensichtlich boten Spitäler „einen gewissen Ersatz“ für eine erst schwach entwickelte kommunale Selbstverwaltung. 24 Sie wurden im 13. Jahrhundert zum Grundstein und Ausgangspunkt bürgerlicher Autonomie. Besondere Attraktivität gewannen Spitäler für Personen oder Gruppen aus der städtischen Kaufmannschaft, die sich gegen die Stadtherrschaft etwa des Bischofs oder aber gegen die allmählich sich herausbildende Herrschaft des Rates (und damit der Patrizier) auflehnten. Deren Dienst für die Armen 256 Jürgen Klöckler <?page no="257"?> 25 Ebd. S.-271. 26 Vgl. dazu K L Ö C K L E R , Jürgen/ R Ö B E R , Ralph: Zur Entwicklung des Konstanzer Marktwe‐ sens im Mittelalter, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 34 (2006) S. 249-272. 27 W E I L H A R D , Willy: Die Spitalstiftung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Konstanzer Almanach 14 (1968) S.-4-10, hier S.-5. 28 K L Ö C K L E R , Jürgen: Gebaut auf Initiative italienischer Kaufleute. Das Konstanzer Kauf‐ haus, Ende des 14. Jahrhunderts errichtet und heute Konzil genannt, in: Ders. (Hg.): Konstanz und Italien. Transalpine Beziehungen durch die Jahrhunderte (Kleine Schrif‐ tenreihe des Stadtarchivs Konstanz, 23) München 2023, S.-71-80. 29 Vgl. dazu weiter: Das Konstanzer Kaufhaus. Ein Beitrag zu seiner mittelalterlichen Rechtsgeschichte. I. Darstellung von Heinz K I M M I G . II. Quellen bearbeitet von Heinz K I M M I G und Peter R Ü S T E R (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, 6) Lindau/ Kon‐ stanz 1954. kann aus diesem Blickwinkel nicht nur als Werk der Barmherzigkeit, sondern auch als „ein Mittel zum Aufbau von Klientel-Patronage-Beziehungen“ gedeutet werden. 25 Die Sorge um das Gemeinwohl legitimierte und erweiterte politische Einflussmöglichkeiten. Die bürgerliche Gründung von Spitälern war in der Regel ein Akt der Emanzipation der städtischen Kaufmannschaft von Patriziat wie Bischof. Bereits ab dem 10. Jahrhundert verfügte die Stadt über einen eigenen Markt, dessen Gründung auf Bischof Salomo III. (890-919) zurückzuführen ist. 26 Es entstand wohl planmäßig ein Markt- und Kaufleuteviertel zwischen der Ste‐ phanskirche und dem Obermarkt, das später durch eine Stadtmauer geschützt wurde. In staufischer Zeit entstanden neue Märkte, der alte Marktplatz an der St. Stephanskirche verlor an Bedeutung und wurde bis auf kleine Reste überbaut. Im Zuge der Stadterweiterung an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert errichtete man wiederum neue Märkte: Ein Platzmarkt am Obermarkt und weiter südlich eine als Straßenmarkt unmittelbar am Seeufer eingerichtete Fläche, das zuvor bereits genannte Marktgestade. Genau dort wurde nun um 1220 auch das Spital zum Heiligen Geist, „dem Tröster der Armen und Kranken“ 27 , errichtet und zwar - wenig verwunderlich - von Kaufleuten. Konstanz hatte sich seit dem 10. Jahrhundert allmählich zur Fernhandelsstadt entwickelt, die über gute Beziehungen in den norditalienischen Raum verfügte, insbesondere nach Mailand. Die auf Textilien - nämlich die in Italien geschätzte tela di Costanza - spezialisierte Handelsstadt errichtete - auf Initiative italieni‐ scher Kaufleute 28 - schließlich ab 1388 ein großes Kauf- und Stapelhaus am See, 29 unmittelbar östlich an das Spital grenzend. Das Gebäude wird heute als „Konzil“ bezeichnet, obwohl darin im Rahmen einer spätmittelalterlichen Kirchenversammlung (1414-1418) lediglich das mit der Wahl des Römers Oddo Colonna zum Papst (Martin V.) am 11. November 1417 endende Konklave stattfand, während das Konzil als Kirchenversammlung ansonsten ausschließ‐ Zum Schluss ein schneller Überblick 257 <?page no="258"?> 30 Rund 60 Prozent entfielen auf den Linzgau, zwölf Prozent auf die nähere Umgebung (vor allem auf den Bodanrück, aber auch auf den restlichen Hegau) und elf Prozent auf den Thurgau; F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-12. 31 StadtA Konstanz N Band-119a (alte Signatur: A IX Band-6). 32 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-13. 33 Ebd. S.-34. 34 S C H Ü R L E (wie Anm. 5) S.-103. lich im Münster tagte. Durch den Fernhandel und den Anschluss an die Fernverbindungen war Konstanz seit dem Hohen Mittelalter immer mehr zum Ziel von Kaufleuten und Pilgern, aber auch von Hilfsbedürftigen und Vaganten geworden. Für das Armenwesen der Stadt spielte das Heilig-Geist-Spital eine herausgehobene Rolle. Das Spital als Wirtschaftsfaktor Das Konstanzer Spital entwickelte sich bald nach seiner Gründung zu einer vermögenden Institution. Durch Schenkungen, Vermächtnisse und Jahrzeitstif‐ tungen vieler um ihr Seelenheil besorgter Christen gelangte umfangreicher Grundbesitz und weitere Rechte wie Zehnt- oder Zinsberechtigungen an das Spital. Wiesen, Felder, Wälder, Rebflächen, auch Lehnshöfe in 149 Orten rund um den Bodensee - mit einem deutlichen Schwerpunkt im nördlich des Sees gelegenen Linzgau 30 - bildeten die wirtschaftliche Grundlage des Spitals. In der Regel wurden die Verpflichtungen gegenüber dem Spital in Form von Naturalien und nicht in Form von Geld abgegolten. Eine einzigartige Quelle ist das im Stadtarchiv Konstanz erhaltene älteste Zinsbuch des Spitals, das vor dem Jahr 1386 begonnen wurde und bis 1422 reicht. Das nach Orten gegliederte, auf Per‐ gamentblättern beschriebene Zinsbuch enthält die Namen der zinspflichtigen Personen und - nach deren Tod - die Namen der Nachfolger. 31 Als Arbeitgeber war das Spital ein nicht unwichtiger Faktor in der Stadt: Es wird vermutet, dass im Mittelalter rund 50 Personen direkt im Spital arbeiteten. Wohl „einige hundert Menschen“ 32 waren es, die indirekt etwa auf den Spital‐ höfen ein Auskommen fanden. Über die bedeutendsten Ämter verfügten die Pfleger und der Spitalmeister. In der Regel amtierten auf der obersten Hierar‐ chieebene zwei Pfleger, die bis 1370 ausschließlich den ratsfähigen Konstanzer Geschlechter entstammten. 33 Grundlage bildete die sogenannte Pflegschaftsver‐ fassung, die den wachsenden Einfluss der Bürgerschaft widerspiegelte. Der Rat konnte bereits im Laufe des 13. Jahrhunderts die komplette Pflegschaft über das Spital übernehmen und die Verwaltung in die Hände von Pflegern legen, die er selbst ernannte. 34 Die Verantwortung der Pfleger erstreckte sich neben der 258 Jürgen Klöckler <?page no="259"?> 35 Eine Namensliste der Spitalmeister von 1301 bis 1500 findet sich bei: S C H Ü R L E (wie Anm. 4) S.-135-140. 36 http: / / www.spitalkellerei-konstanz.de/ stiftung.html (Aufruf vom 19. August 2024). 37 Der Neubau und die Erweiterung der an der Brückengasse gelegenen Spitalkellerei erfolgte freilich erst 1977/ 78. Vgl. dazu: W E I L H A R D , Willy: Neubau der Spitalkellerei - ein weiterer Höhepunkt spitälischer Investitionen, in: Der Neubau [um 1980], S.-4-13 inneren wie äußeren Ordnung auf die Kontrolle, Aufsicht und Durchführung sämtlicher vermögensrechtlicher Angelegenheiten. Der Spitalmeister 35 hingegen, der über eine eigene Kammer beziehungsweise Wohnung im Gebäudekomplex verfügte, war für sämtliche Bewohner wie Be‐ schäftigten die oberste Gewalt vor Ort. Er übte die volle Haus- und Strafgewalt aus. Schon bald wurde er vom Rat der Stadt ernannt, der damit über eine entscheidende Kontrollmöglichkeit verfügte. Seine wichtigsten Helfer waren Amtsleute, mit denen er sich immer sonntags beriet. Als Schlüsselgewaltiger verteilte er auch das Almosen. In der Rechnungslegung der Einnahmen und Ausgaben war er den beiden Pflegern rechenschaftspflichtig. Zudem hatte der Spitalmeister die zahlreichen Besitzungen im Bodenseeraum zu kontrollieren; längere Reisen standen daher oft an. Um den Spitalmeister zu entlasten, wurde anfangs des 16. Jahrhunderts das Amt des Säckelmeisters geschaffen, der für Finanzangelegenheiten und Naturalabgaben zuständig zeichnete. Die Hofmeister auf den großen Höfen des Spitals unterstützten den Spitalmeister bei der Verwaltung der Güter. Ein Schreiber tritt uns ab 1369 entgegen, der ab 1490 schließlich ebenfalls vom Rat ernannt wurde. Alle Berichte und Rechnungen liefen bei ihm zusammen, er führte die Rechnungsbücher, die Zins- und Kopialbücher, aber auch das Korn- und Weinbuch. Der Kornmeister wiederum beaufsichtigte das Kornhaus, in dem verschiedene Getreidearten lagerten. Getreide spielte in der mittelal‐ terlichen Ernährung eine zentrale Rolle. Der Kellermeister wiederum füllte eine besondere Stellung innerhalb des Spitals aus. Das Amt wird schon sehr früh in den Quellen erwähnt, weshalb die Spitalkellerei Konstanz als „älteste Weinbau treibende Stiftungskellerei“ 36 in ganz Deutschland 37 gilt - mit den beiden Lagen Konstanzer Sonnenhalde und Meersburger Haltnau. Für die Kelterung der dort gewonnenen Trauben war der Kellermeister ebenso wie für die Lagerung des spitälischen Weins in den vier großen Kellern des Gebäudes zuständig. Er trug Verantwortung für die korrekte Verteilung des Weins an die Pfründner, Handwerker, Amtsleute, an das Gesinde und an das Personal. Wein galt in der Naturalwirtschaft des Mittelalters als Zahlungsmittel, das gemeinhin problemlos akzeptiert wurde. Schließlich unterstanden dem Spitalmeister auch Zum Schluss ein schneller Überblick 259 <?page no="260"?> 38 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-35 ff. 39 S C H Ü R L E (wie Anm. 4) S.-38. 40 Vgl. den Artikel „Kleines Spital“ in: H E E R (wie Anm. 8) S.-334. 41 M A U R E R (wie Anm. 9) S.-245. 42 Vortragsmanuskript [von Bürgermeister Hermann Schneider? ] vom 12. März 1954, S. 4; StadtA Konstanz Spitalverwaltung 10/ 12. 43 Die entsprechende Urkunde (StadtA Konstanz U NSpA 14) lässt sich auf die Jahre zwischen 1319 und 1346 datieren. Darin ist die Schenkung des Kellhofs in Sipplingen mitsamt den Einnahmen aus Naturalien und an Geld an das Spital dokumentiert. Heinrich Goldast verfügte in der lateinisch niedergeschriebenen Urkunde sinngemäß: „Aus den Einkünften soll ein Priester unterhalten werden, der täglich auf dem Altar im unteren Teil des Spitals die Messe feiern und das kanonische Stundengebet verrichten soll“; K U T H E , Michael: Konstanzer Urkunden, Teil I 1204-1401, Konstanz [2009], S.-66. 44 In der Richental-Chronik werden lediglich die caplan […] zů dem spital erwähnt und zwar im Rahmen der feierlichen Eröffnung am 5. November 1414; Ulrich R I C H E N T A L : Chronik des Konzils zu Konstanz 1414-1418. Faksimile der Konstanzer Handschrift. Mit einem kommentierten Beiheft von Jürgen K L Ö C K L E R , Darmstadt 2013, 14 r . 45 Im Standardwerk zur Geschichte des Konstanzer Konzils taucht das Spital nicht auf: B R A N D M Ü L L E R , Walter: Das Konzil von Konstanz 1414-1418. Band I: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne, Paderborn 2 1999 sowie D E R S .: Das Konstanzer Konzil 1414-1418. Bd. II: Bis zum Konzilsende, Paderborn 1998. der Küchenmeister und der Keller, ersterer für die Küche, letzterer für die Versorgung verantwortlich. 38 Zu unterscheiden ist das in den Quellen auch als großes Spital oder auch als Mehrerspital bezeichnete Heilig-Geist-Spital von der 1299 als Kleinspital an der Rheinbrücke gegründeten bischöflichen Stiftung, über die in diesem Zusammenhang nicht weiter berichtet werden wird. Es handelte sich vermutlich um eine bischöfliche Gegengründung, 39 die vom Domkapitel geleitet wurde und wahrscheinlich in erster Linie für die Versorgung des bischöflichen Umfeldes gedacht war. 40 Der Gebäudekomplex des Spitals an der Markstätte fiel am 29. Januar 1398 einem von der Vorstadt Stadelhofen sich ausbreitenden Stadtbrand zum Opfer; 41 freilich konnten bereits im Oktober 1403 der Neubau des Spitals und der Kirche samt zweier Altäre eingeweiht werden. 42 Ausgestattet mit den beiden Altarpfründen übten fortan wieder zwei Leutpriester unter dem Patronat des Rates die Pastoration im Spital aus. Hatte doch bereits im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts der Spitalpfleger Heinrich Goldast die notwendigen Mittel für die pastorale Betreuung eines zweiten Altars dem Spital gestiftet. 43 Auch während der Konzilszeit war das Spital voll belegt, wenngleich es weder in der Richental-Chronik 44 noch in der mediävistischen Forschung zum Konzil 45 Erwähnung findet. 260 Jürgen Klöckler <?page no="261"?> 46 Für den Wortlaut des Beschlusses vgl. das Ratsbuch 1537-1545; StadtA Konstanz B I 43, p.-36. 47 K U T H E , Michael: Vorbericht, in: Ders: Repertorium N, S. I. 48 S C H Ü R L E (wie Anm. 5) S.-99. 49 D O B R A S , Wolfgang: Konstanz zur Zeit der Reformation, in: Burkhardt, Martin/ Ders./ Zimmermann, Wolfgang: Konstanz in der frühen Neuzeit. Reformation, Verlust der Reichsfreiheit, österreichische Zeit (Geschichte der Stadt Konstanz, 3) Konstanz 1991, S.-74. 50 Ebd. S.-99. 51 Vortragsmanuskript [von Bürgermeister Hermann Schneider? ] vom 12. März 1954, S. 3; Stadtarchiv Konstanz Spitalverwaltung 10/ 12. Die Reformation Im Zuge der Reformation, die ab 1526 in Konstanz Einzug hielt, wurde das Spital auf Anordnung des Rates vom Februar 1538 46 in das von den Mönchen verlassene Dominikanerkloster auf der Insel verlegt. 47 Doch 1539 zogen lediglich die armen und kranken „Siechen“ und die Verwaltung, nicht aber die Pfründner des „oberen Spitals“ in das zuvor renovierte Gebäude auf der Insel um. 48 Für den Umbau war auch Baumaterial aus der Mauer verwendet worden, die den unteren Münsterhof bis dato umschlossen hatte. 49 Nun wurde das Armenwesen neu geregelt: Betteln wurde verboten. Die Sozialfürsorge als solche zog der Rat ganz an sich und kontrollierte sie. Die Organisation oblag dem Spital und dem Raiteamt. 50 Der Bezug von städtischen Almosen wurde an einen sittsamen Le‐ benswandel gebunden und ebenfalls streng kontrolliert. Das Raiteamt verteilte Nahrungsmittel an Arme und trug die Kosten für Ärzte und Medikamente; langwierig und schwer Erkrankte wurden hingegen ins Spital überwiesen, ebenso Waisen- und Findelkinder. In der Reformationszeit wurde das Siegel geändert. Nicht mehr das ab 1259 verwendete „Bild des hl. Geistes, eine aufrecht schwebende Taube mit ausgebreiteten Flügeln und mit Heiligenschein um den Kopf “ 51 , sondern ein Kreuz mit doppeltem Querbalken zierte nun das Spitalsiegel - heraldisch links neben dem städtischen Wappen bis zum heutigen Tag platziert. Rekatholisierung der vorderösterreichischen Landstadt ab 1548 Von der von Österreich erzwungenen Rekatholisierung der Stadt nach 1548 konnte das Spital erneut mittelbar Nutzen ziehen. Zwischen 1580 und 1649 wurden in rund 30 Prozent der in Konstanz verfassten Testamente Vermächt‐ nisse zugunsten wohltätiger Stiftungen getätigt. Von diesen wiederum entfielen Zum Schluss ein schneller Überblick 261 <?page no="262"?> 52 Vgl. dazu weiter: Z I M M E R M A N N , Wolfgang: Rekatholisierung, Konfessionalisierung und Ratsregiment. Der Prozeß des politischen und religiösen Wandels in der österreichi‐ schen Stadt Konstanz 1548-1637 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, XXXIV) Sigmaringen 1994, S.-204 f. 53 K L E I N , Alexander: Armenfürsorge und Bettelbekämpfung in Vorderösterreich 1753-1806 unter besonderer Berücksichtigung der Städte Freiburg und Konstanz (For‐ schungen zur oberrheinischen Geschichte, Bd. XXXVIII) Freiburg 1994, S. 324. Vgl. auch den Exkurs: „Die josephinische Spitalreform in Konstanz“ S.-252-261. 54 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-16. 55 Abschrift in: StadtA Konstanz S IIa Nr.-2990. 56 Vgl. dazu ausführlich: R U P P E R T , Ph[ilipp]: Die vereinigten Stiftungen der Stadt Kon‐ stanz, Konstanz [1892]. knapp 20 Prozent an das Spital. 52 Auch in dieser Epoche konnte das Spital somit seinen Besitz und seine diversen Rechte mehren und ausdehnen. Nachdem die Dominikaner aus ihrem Exil in Steißlingen wieder in die Stadt zurückgekehrt waren, zog das Spital in das alte und beengte Gebäude an der Markstätte zurück, wo es für weitere rund 300 Jahre untergebracht sein sollte. Die theresianischen und josephinischen Spital-Reformen des späten 18. Jahrhunderts verpufften in Konstanz wirkungslos. 53 Die Zäsur von 1812: Umzug ins Augustinerkloster Kaum ein anderes Ereignis hat tiefere Spuren in der Geschichte des Spitals hinterlassen als der Umzug von der Marktstätte ins ehemalige Augustinerkloster zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Längere Zeit hatte man sich bereits auf die Suche nach einem größeren Gebäude gemacht, da nicht mehr alle Armen, Kranken und Pfründer im Spital an der Marktstätte aufgenommen werden konnten. 54 Nach 600 Jahren sollte es erst die Säkularisation von Kirchengut ermöglichen, einen ehemaligen Klosterkomplex um zu nutzen. Die Augustinermönche tauschten das Gebäude gegen eine lebenslange Sicherung des Lebensunterhalts samt einer Leibrente für die noch verbliebenen vier Mönche ein. Rechtsgrundlage war der „ewige Vitalitiumsvertrag“ vom 20. Mai 1802 55 . In dem ehemaligen Kloster standen 13 Krankenzimmer mit rund 60 Betten zur Verfügung. Wichtiger als der reine Umzug in ein neues Gebäude war freilich eine vom badischen Staat verordnete Neuorganisation des Stiftungswesens. Durch Erlass des Karlsruher Innenministeriums vom 17. Dezember 1810 wurde eine Vereinigung sämtlicher in der Stadt bestehender mildtätigen Stif‐ tungen bzw. Anstalten 56 mit der Spitalstiftung verfügt. Davon waren das Raite-, Hofstatt- und Tannenamt, die Nicolaistiftung und die städtische Armenanstalt 262 Jürgen Klöckler <?page no="263"?> 57 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S. 16 sowie F O E G E , Lisa: Wessenbergs Herzenskind. Geschichte einer sozialen Fürsorgeinstitution in Konstanz (Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz, 17) Konstanz 2014, S.-47 f. 58 Vgl. die Akte „Wöchentliches Almosen an Geld“ [1824-1867]; StadtA Konstanz S II Nr.-20579. 59 Vgl. die Akte „Hauszins bezahlte an hiesige Stadtarmen 1849-1863“; StadtA Konstanz S II Nr.-20578. 60 Z A N G , Gert: Konstanz in der großherzoglichen Zeit. 1. Restauration, Revolution, liberale Ära 1806 bis 1870 (Geschichte der Stadt Konstanz, 4.1) Konstanz 1994, S.-294 f. 61 Z A N G , Gert: Die Bedeutung der Auseinandersetzung um die Stiftungsverwaltung in Konstanz (1830-1870) für die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung der lokalen Gesellschaft. Ein Beitrag zur Analyse der materiellen Hintergründe des Kulturkampfes, in: Ders. (Hg.): Provinzialisierung einer Region. Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in der Provinz, Frankfurt/ Main 1978, S. 307-373, hier S. 319 f. betroffen. 57 Einerseits führte die Vereinigung zwar zu einer Vermehrung des Vermögens der Spitalstiftung, andererseits brachte sie aber auch neue Verpflich‐ tungen vor allem im Rahmen der Armenfürsorge mit sich. Die Spitalstiftung hatte fortan die Armen der Stadt mit geldlichen Almosen zu unterstützen 58 oder aber in vielen Fällen den Mietzins zu bezuschussen oder zu stunden 59 . Vor allem die städtischen Unterschichten, in der Mehrzahl Katholiken, gerieten in erhebliche materielle Abhängigkeit, die zusammen mit der Grenzlage von Konstanz am „letzten Zipfele“ des neuen Großherzogtums Badens mit zu einer Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt beitrug. Als qualifizierte Arbeitskräfte fielen die vom Spital alimentierten Menschen weitgehend aus. Vor allem liberale Kräfte argumentierten, dass durch die von der Spitalstiftung getra‐ gene soziale Absicherung das traditionelle, kleinteilige Wirtschaften perpetuiert werde: Das Almosen verhindere Mobilität und wirtschaftliches Umdenken. 60 Ein Entzug der Unterstützung werde hingegen zu einer Verhaltens-, Denk- und Lebensänderung zwingen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die seit dem Mittelalter betriebene Naturalwirtschaft endgültig zugunsten der Geldwirtschaft aufgegeben worden. Die Rechte und Zehnten des Spitals wurden in den folgenden Jahrzehnten all‐ mählich gegen Geldzahlungen abgelöst, die Lehnhöfe in bäuerlichen Eigenbesitz umgewandelt. Neben den zahlreichen Grundstücken sammelte die Spitalstif‐ tung daher im Lauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in erheblichem Umfang Kapital an, das Begehrlichkeiten wecken musste. 1820 wurde die Institution der Stiftungsvorstände im Großherzogtum Baden eingeführt, die eine relativ autonome Geschäftsführung einschließlich der Kon‐ trolle der Rechner und Verwalter gewährleistete. 61 Der katholische Stadtpfarrer war nun automatisch - und zwar unbefristet - Vorsitzender des Stiftungsvor‐ standes. Auch die Wahl der Kommissionsmitglieder erfolgte auf Lebenszeit. Das Zum Schluss ein schneller Überblick 263 <?page no="264"?> 62 So die Ausführungen des Konstanzer Bürgermeisters Max Stromeyer. Vgl. den Artikel „Verhandlungen des volkswirthschaftlichen Vereins für den Seekreis in dessen zweiter Versammlung zu Ueberlingen“, in: Konstanzer Zeitung vom 9. November 1865. 63 Z A N G (wie Anm. 61) S.-351. 64 S E U F F E R T , Ralf: Konstanz. 2000 Jahre Geschichte. Konstanz 2. überarb. Aufl. 2013, S. 150. 65 Zur Biographie vgl. die Personalakte StadtA Konstanz S II Nr. 1114 sowie den Artikel „Stromeyer, Max“ in: H E E R , Heinz Günther: Geschichtlich-topographisches Lexikon der Stadt Konstanz, Band-2, Konstanz 2006, S.-648 f. führte fast zwangsläufig zu einer Überalterung und Erstarrung des Gremiums in den nächsten Jahrzehnten. Die Folgen wurden in der Konstanzer Zeitung der Öffentlichkeit verdeutlicht: Bei der jetzigen Einrichtung können die Stiftungsvorstände über ganz bestimmte Normen nicht hinaus. […] Gerade die jetzigen Stiftungsverwaltungen verfahren in solchen Dingen mit einer Pedanterie, die ins Aschgraue geht; lieber lassen sie nutzlose Ueberschüsse sich anhäufen, als daß sie vom Buchstaben der Vorschrift abweichen. 62 Das liberale Bürgertum strebte daher konsequent die personelle Mehrheit im Stiftungsvorstand, dessen Vorsitz sowie eine Änderung der Geschäftsordnung an. 63 Dieser kommunalpolitische Kampf sollte fast 50 Jahre dauern und erst 1867 entschieden werden. Der Kampf um das Stiftungsvermögen Zu Beginn der 1860er Jahre spitzte sich der Streit zwischen liberalen und katholisch-konservativen Kräften in der Stadt zu: Zankapfel war neben der Problematik der Konfessionsschule vor allem die Stiftungsfrage. Die unter dem Dach der Spitalstiftung seit Beginn des 19. Jahrhunderts „vereinigten Stiftungen“ unterstützten, ernährten und pflegten aus den Erträgen des Stif‐ tungseigentums - also den Kapitalanlagen, Grundstücken und Immobilien - die Armen, Alten und Pflegebedürftigen der Stadt. 64 Die Liberalen hofften, mit einer unter städtischer Kontrolle stehenden Spitalstiftung die regionale Wirtschaft, insbesondere öffentliche und private Investitionen, ankurbeln zu können. Für sie war das Stiftungsvermögen de facto totes Kapital, das eine äußerst geringe Rendite von kaum zwei Prozent abwarf. Das musste sich in ihren Augen ändern, während die Masse des katholischen Kleinbürgertums und die Unterschichten - nicht gänzlich uneigennützig - daran kein Interesse haben konnten. Mit der Wahl des vormaligen Stiftungsverwalters zum neuen Konstanzer Bürgermeister vom 11. Oktober 1866 konnte die Neuordnung der Spitalstiftung in Angriff genommen werden: Mit großem Elan ging Max Stromeyer (1830- 1902) 65 an die planmäßige Veränderung der Stadt. Dreh- und Angelpunkt war 264 Jürgen Klöckler <?page no="265"?> 66 Z A N G (wie Anm. 60) S.-303. 67 Der Erlass Nr. 4179 wurde durch Verfügung des Bezirksamts vom 13. April 1867 (Nr. 4352) an die Stadtverwaltung weitergeleitet mit der Aufforderung, die Wahlen durchzuführen; „Einladung zur Wahl der Verwaltungsrathsmitglieder der Spitalstiftung Konstanz“, in: Konstanzer Zeitung vom 19.-April 1867. 68 „Aus Stadt und Land - Konstanz“, in: Konstanzer Zeitung vom 18. April 1867. 69 S C H Ü R L E (wie Anm. 5) S.-115. die Umgestaltung der Machtverhältnisse in der Spitalstiftung. 66 Mit Erlass vom 30. März 1867 67 legte die großherzoglich-badische Regierung die „Verwaltung des Spitals in die Hände der Bürgerschaft von Konstanz als solcher. Diese Verfügung ist motivirt“ - so der Kommentar der Konstanzer Zeitung - durch den Hinweis auf die Thatsache, daß nach Ursprung und Geschichte das Spital keine kirchlich-konfessionelle, sondern eine reine Gemeinde-Anstalt ist und in diesem Sinne noch bis zum Jahre 1820 durch einen Ausschuß des städtischen Rathes verwaltet wurde; die Genußberechtigten gehörten nicht nur verschiedenen Pfarreien sondern auch verschiedenen Konfessionen an. 68 Das Kernelement der Verfügung betraf die zukünftige Zusammensetzung des Verwaltungsrats: Rein städtisch wurde er bereits ab Ende April 1867 mit dem Bürgermeister, drei Stadträten und drei Bürgerausschussmitglieder besetzt. Der zuvor erhebliche Einfluss der sich lokal zunehmend ultramontan ausrich‐ tenden katholischen Kirche auf die Spitalstiftung war für jedermann in der Stadt sichtbar gebrochen, ein Sieg, den Max Stromeyer mit seiner durch den Freiburger Bistumsverweser Lothar von Kübel nach dreimaliger Ermahnung ausgesprochenen Exkommunikation 69 zwei Jahre später bezahlen sollte. Unmittelbar nach der städtischen Übernahme wurden die verschiedenen Funktionen des Spitals, nämlich die Armen-, Alters- und Krankenversorgung, voneinander getrennt. Zügig sollte je eigene Häuser für diese drei unterschied‐ lichen Bereiche geschaffen werden. 1868 wurde im Gemeinderat die Auflösung des alten Komplexes des Spitals beschlossen; das Gebäudeensemble stand zur Veräußerung und wurde schließlich auf Abbruch verkauft. Lediglich die Augustinerkirche, die heutige Dreifaltigkeitskirche, blieb als einziger Teil des ehemaligen Klosterensembles erhalten. Der Bau eines neuen Krankenhauses wurde rechtsrheinisch in Petershausen betrieben, das Gebäude am Luisenplatz konnte bereits 1872 eingeweiht werden. Zum Schluss ein schneller Überblick 265 <?page no="266"?> 70 Gesetz: die Rechtsverhältnisse und die Verwaltung der Stiftungen betreffend, in: Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogthum Baden Nr. XXXIII vom 14. Mai 1870, S.-399-412, hier S.-403. 71 Ebd. (Paragraph 13). 72 Paragraph 25, ebd., S. 407. Vgl. dazu weiter: Badisches Stiftungsgesetz mit den Vollzugs‐ vorschriften für weltliche und israelitische kirchliche Stiftungen. Amtliche Ausgabe. Karlsruhe 1905. 73 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-70. Das badische Stiftungsgesetz von 1870 Mit dem neuen badischen Stiftungsgesetz vom 5. Mai 1870 wurde die Verwal‐ tung der Spitalstiftung schließlich gänzlich dem Stadtrat übertragen. Dort heißt es in Paragraph 14 zu den weltlichen Ortsstiftungen: „Die Verwaltung besorgt in den Gemeinden regelmäßig der Gemeinderath“ 70 , nachdem im vorangegan‐ genen Paragraphen bestimmt worden war: „Das Vermögen dieser Stiftungen darf mit dem Gemeindevermögen nicht vermischt, sondern muß durch die dazu berufenen Organe gesondert verwaltet werden“, 71 nämlich durch den Stiftungsrat unter Vorsitz des Bürgermeisters 72 . Krankenversorgung im 20.-Jahrhundert Im Zuge eines rasanten Wachstums der Stadt galt das neue Krankenhaus in Petershausen schon 20 Jahren nach Bezug als zu klein und veraltet. Nach zweijähriger Bauzeit konnte am 18. Juni 1900 der Neubau des Krankenhauses belegt werden. Die Moderne hatte Einzug gehalten: elektrische Beleuchtung und Warmwasserheizung machten das über eine Kapazität von 120 Betten verfügende Haus zu einem Vorzeigeobjekt. Jetzt gab es auch eine Perspektive für die „Pründ- und Pflegeanstalt“ im „Gütle“: Von der Gottlieber Straße im Stadtteil Paradies konnte die Einrichtung rechtsrheinisch in das alte Krankenhaus am Luisenplatz umziehen - und zwar unter Beibehaltung des alten Namens. 73 Bedingt durch die während des Ersten Weltkrieges steigenden Verwunde‐ tenzahlen, erhielt das Krankenhaus den Erweiterungsbauteil - genannt „West 1917“. Das Gebäude wurde zudem in den Jahren 1928/ 29 nach erneutem Errei‐ chen der Kapazitätsgrenzen aufgestockt. Die Spitalstiftung hatte bereits 1920 das bis dato privat geführte „Säuglingsheim“ übernommen und führte es ab 1932 unter der Bezeichnung „Städtisches Säuglings- und Kleinkinderkrankenhaus“ weiter. Schließlich wurde 1949 die Frauenklinik eröffnet, wenige Jahre später ein neues Infektionsgebäude. Die Stadt wuchs in der Nachkriegszeit schnell. Mit Gründung einer Uni‐ versität ab Mitte der 1960er Jahre setzte sich diese Entwicklung nochmals be‐ 266 Jürgen Klöckler <?page no="267"?> 74 Willy Weilhard (1915-1999) geboren in Emmendingen; 1935 Abitur in Freiburg; danach Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst; Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst an der Verwaltungsschule in München, danach Kriegsdienst; amerikanische Kriegsge‐ fangenschaft; seit Ende 1945 Mitarbeiter der Stadtverwaltung Emmendingen; 1950- 1964 Leiter der städtischen Finanzverwaltung in Emmendingen; am 24. März 1964 auf Vorschlag des Freiburger Regierungspräsidenten Anton Dichtel angesichts der „labilen Finanzverhältnisse der Stadt Konstanz“ - ohne öffentliche Ausschreibung der Stelle - zum Ersten Beigeordneten gewählt; 1964-1981 Bürgermeister und Finanzdezernent in Konstanz. Unter seiner Federführung wurde der Neubau des Krankenhauses (1967- 1971) realisiert, die Dreifaltigkeitskirche (1965) erneuert, die Haltnau als spitälisches Gasthaus (1969) ausgebaut, ein Sozialzentrum im Stockackergebiet (1973) errichtet, der Bau des Freibads Jakob (1974) angegangen, der Neubau der Spitalkellerei (1977) durchgeführt und die Eissporthalle Konstanz/ Kreuzlingen (1978) realisiert. Vgl. den Artikel: WHK [Kürzel]: Er brachte die Finanzen in Ordnung. Bürgermeister Weilhard feiert heute seinen 80. Geburtstag, in: Südkurier - Ausgabe K - vom 29. April 1995. Vgl. weiter: E N G E L S I N G , Tobias: Machtbewußter Kämmerer und erfolgreicher Bauherr. Alt-Bürgermeister Willy Weilhard 83jährig gestorben, in: Südkurier - Ausgabe K - vom 26. Februar 1999. 75 Vgl. dazu weiter: W E I L H A R D , Willy: Krankenhausneubau der Spitalstiftung Konstanz schafft modernste klinische Einrichtungen für das Oberzentrum Konstanz, in: Kon‐ stanzer Almanach 18 (1972) S.-4-15. 76 S T U K E , Martin: Das Klinikum Konstanz. Ein Dienstleistungszentrum für die Stadt und die Region, in: Spitalstiftung Konstanz (wie Anm. 6) S.-30-35. schleunigt fort. Eine Sanierung und Erweiterung der bestehenden Gebäude des Krankenhauses kam in den von Fortschrittsoptimismus geprägten 1960er Jahren nicht mehr infrage. Unter dem sozialdemokratischen Finanzdezernenten und Bürgermeister Willy Weilhard (1915-1999) 74 begann man einen zeittypischen Neubau zu planen, der statt 120 nunmehr über rund 550 Betten verfügen sollte. Die verschiedenen medizinischen Teilbereiche sollten endlich unter einem Dach zusammengefasst werden. Spatenstich für den Krankenhausneubau war der 29. Juli 1966, das Klinikum konnte als „Schwerpunkt-Krankenhaus I. Ordnung“ schließlich zu Beginn des Jahres 1972 bezogen werden. 75 Jahrzehntelang sollte es als Akutkrankenhaus der Zentralversorgung und als Lehrkrankenhaus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg dienen. 76 Versorgung alter, armer und pflegebedürftiger Menschen Das Spital hatte seit seiner Gründung auch die Aufgabe, für die Versorgung alter, armer und pflegebedürftiger Menschen zu sorgen. Daher lebte im Spital, neben den Kranken, auch immer eine stattliche Anzahl an sogenannten „Pfründnern“, eingeteilt in Unter-, Mittel- und Oberpfründner. Für das Jahr 1786 verfügen wir über Zahlen: Damals hielten sich 15 Ober-, 43 Mittel- und 50 Unterpfründner Zum Schluss ein schneller Überblick 267 <?page no="268"?> 77 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 7) S.-74. 78 Das Seniorenwohnheim Hebelhof war aus dem Mädchenpensionat der jüdischen Schwestern Anna und Irma Wieler hervorgegangen. Vgl. dazu weiter: L O C K H E I M E R , Birgit: Das Mädchenpensionat der Schwestern Wieler, in: Engelsing, Tobias: Das jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung, Konstanz 2015, S.-109 f. im Spital auf. 77 Wer über Geld und Besitz verfügte, kaufte sich als Ober- oder zumindest Mittelpfründer ins Spital ein. Das brachte manche Annehmlich‐ keit. Die Oberpfründner etwa bewohnten im oberen Stockwerk beheizbare Einzelzimmer, Dienstpersonal inklusive. Fast selbstverständlich hatten sie bei Krankheit auch das Recht, sich in der oberen Krankenstube pflegen zu lassen. Die Verpflegung war reichlich, ausgewogen und in der Regel gut. Fleisch und Wein gehörten von Sonntag bis Donnerstag zum festen Speiseplan. Da nahmen sich die Lebensverhältnisse der mittellos-armen Unterpfründner bescheidener aus: Fleisch gab es nur am Sonntag, Mehlspeisen überwogen, die Unterbringung war nicht luxuriös, der Aufenthalt weit weniger bequem. Die topographische Zäsur von 1812 brachte für diese Personengruppe freilich vorerst keine wesentlichen neuen Verhältnisse. Die sogenannte Pfrundanstalt wurde aus dem Spitalgebäude an der Marktstätte in den Westflügel des ehema‐ ligen Augustinerklosters verlegt. Eine Dreiklassengesellschaft mit drei verschie‐ denen „Tischen“ blieb bestehen. In der Tendenz lässt sich für das 19. Jahrhundert festhalten, dass die vermögenslosen Pfründner verstärkt zu leichten Arbeitsleis‐ tungen wie Botengängen und Straßenkehren eingeteilt wurden. Erst mit der Übernahme der „vereinigten Stiftungen“ durch die Stadt folgte eine räumliche Veränderung: 1869 wurde neue Statuten für die Pfrundanstalt als Teil des Spitals erlassen. Eine räumliche Separierung von Kranken, Armen und Alten war in Planung - erstmals seit Bestehen des Spitals. Von einem Privatier wurde 1871 ein großes Mehrfamilienhaus, das soge‐ nannte „Gütle“, im Stadtteil Paradies erworben und zu einer Pfrund- und Armenanstalt umgebaut. Der demographische Faktor bedingte, dass bereits 1901 diese Einrichtung in das durch einen Neubau ersetzte alte Krankenhaus am Luisenplatz im Stadtteil Petershausen umzog. Der Namen „Gütle“ wurde auf das alte Krankenhausgebäude übertragen. Doch schon nach dem Ersten Weltkrieg erwiesen sich die Verhältnisse im „Gütle“ wiederum als viel zu beengt. So erwarb die Spitalstiftung unmittelbar nach der Hyperinflation von 1923 die Häuser Talgartenstraße Nr. 2 und 4. Nur fünf Jahre später folgte ein Haus in der Schützenstraße, 1952 der umgenutzte Hebelhof 78 , Mitte der 1950er Jahre schließlich ein Anwesen am Lutherplatz. Nicht nur im Krankenhausbereich, sondern auch bei der Altenpflege brachten die optimistischen 1960er Jahre eine strategische Weichenstellung: Die weitere 268 Jürgen Klöckler <?page no="269"?> 79 Bruno Helmle hat (zumindest für die Zeit bis 1945/ 47 nicht unproblematische) Lebens‐ erinnerungen hinterlassen: D E R S .: Erinnerungen und Gedanken eines Oberbürgermeis‐ ters, Konstanz 1990. Zu seiner Tätigkeit als Finanzbeamter vgl.: K L Ö C K L E R , Jürgen: Von Mannheim nach Konstanz. Der Finanzbeamte Bruno Helmle im Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit, in: „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen Städten. Hg. von Christiane Fritsche und Johannes Paulmann, Köln 2014, S.-163-203. 80 H E L M L E (wie Anm. 79) S.-76. 81 F R O M M / K U T H E / R Ü G E R T (wie Anm. 6) S.-75. Zersplitterung der Versorgung sollte durch großzügige Neubauten begrenzt werden. Durch zwei umfangreiche Erbschaften konnte die Spitalstiftung ein Grundstück in der Schützenstraße erwerben sowie einen Erweiterungstrakt des Altenheims Talgarten realisieren, der Ende der 1970er Jahre bezogen werden sollte. Bereits 1967 war die Übernahme des Feierabendheims gelungen, das ab 1963 auf Initiative von Oberbürgermeister Bruno Helmle (1913-1996) 79 auf der Grundlage einer Hilfs- und Spendenaktion der Konstanzer Bürgerschaft er‐ richtet worden war. Über eine Million DM waren damals zusammengekommen, immerhin rund ein Fünftel der Gesamtkosten. In seinen Lebenserinnerungen berichtet Helmle über die Zustände im alten „Gütle“ Mitte der 1950er Jahre: „Was ich dort sah, übersteigt meine größten Befürchtungen. Es ist einfach unbeschreiblich.“ 80 Mit der Übernahme des Feierabendheimes war die Spitalstiftung endgültig zum größten Träger der geschlossenen Altenhilfe in der Stadt geworden. 81 Im Jahr 1990 folgte schließlich die Inbetriebnahme des Luisenheims. Seit 2004 besteht das Pflegeheim Urisberg, welches das alte Feierabendheim und die Pflegeabteilung Klinik West ablöste. Dazu kommen noch die Häuser „Salzberg“ (Neubau 2005) und „Talgarten“ (im Jahr 2000 komplett saniert). Heute gehören zur Spitalstiftung auch die „woge“, eine Einrichtung für psychisch erkrankte Menschen in der Luisenstraße (seit Januar 2020 Teil der Spitalstiftung), und die medizinische Einrichtung „Sozialpädiatrisches Zentrum“ (SPZ), das sich um Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen kümmert. Im Jahr 2025 soll eine stationäre Pflegeeinrichtung in Petershausen-West eingeweiht werden. Sie soll den Namen „Haus Weierhof “ tragen. Zusammenfassung und Perspektive Laut Satzung der Spitalstiftung vom 15. Februar 1979 dient die Spitalstiftung vier Zwecken: erstens der „Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege“ vor allem in Form des Unterhalts des Krankenhauses, zweitens dem Unterhalt und Betrieb von Pflege- und Altenheimen, drittens der „Leistung von Personal- und Sach‐ Zum Schluss ein schneller Überblick 269 <?page no="270"?> 82 Satzung der Spitalstiftung vom 15. Februar 1979; StadtA Konstanz S IIa Nr.-2910. 83 L I N D N E R , Theo R.: Die Spitalstiftung in ihrem geschichtlichen Auftrag, in: Der Neubau (wie Anm. 15) S.-38. 84 Ebd. S.-39. 85 http: / / www.spitalstiftung-konstanz.de/ stiftung/ geschichte.html (Zugriff am 16. Juli 2024). 86 Ebd. kosten“ für die Dreifaltigkeitskirche und schließlich viertens der Bezuschussung von Pflegekosten sowie dem Unterhalt der Gräber von Stiftern. 82 Die Summe sämtlicher Vermögenswerte belief sich damals auf über 111 Millionen Deutsche Mark. Der Grundbesitz betrug um 1980 insgesamt 307,25 Hektar (ha), verteilt auf die Gemarkungen Konstanz (255,22 ha), Allensbach (29,08 ha), Meersburg (11,51 ha), Oberuhldingen (0,31 ha) und Kreuzlingen (11,13 ha). 83 Gegliedert nach den Zweckbestimmungen der Grundstücke verteilten sich die 307,25 ha auf das Krankenhaus (8,62 ha), die Altenheime (8,54 ha), die Dreifaltigkeitskirche (0,14 ha), den Rebbau (18,42 ha), den Spitalwald (169,99 ha) und das allgemeine Grundvermögen (107,64 ha). 84 Heute ist die Spitalstiftung ein wichtiger Akteur im Bereich der kommunalen Daseinsfürsorge: der Altenpflege und -betreuung sowie als mittelalterlichem Erbe: des Weinbaus. Die Spitalstiftung Konstanz ist eine kommunale Stiftung des öffentlichen Rechts; der Zweck der gemeinnützigen Stiftung, die von einer Stiftungsverwaltung gesteuert wird, konzentriert sich heute - laut Angaben des Internetauftritts - „auf vier Pflegeheime“ 85 , nämlich die Häuser Urisberg, Tal‐ garten, Salzberg, das Luisenheim sowie die Tagespflege und einen Ambulanten Pflegedienst. „Ergänzt wird dieses Spektrum an Dienstleistungen durch Ein‐ richtungen für Betreutes Wohnen und durch wechselnde soziale Aufgaben im Rahmen des Stiftungszwecks.“ 86 Die Spitalstiftung ist zudem mit vier Vertretern und einem 24-prozentigem Anteil an der Holding des Gesundheitsverbundes des Landkreises Konstanz beteiligt, zur der das Klinikum Konstanz seit 13. Dezember 2012 gehört. Erst mit Satzungsänderung vom 20. Oktober 2011 war das möglich geworden: In Paragraph zwei der Satzung aus dem Jahr 2007 wurde formuliert: Die Förderung der Öffentlichen Gesundheitspflege kann auch erfüllt werden a) indem die Spitalstiftung als Gesellschafterin an einem Klinikverbund beteiligt ist, der der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege dient und der das Klinikum Konstanz betreibt, b) durch den Betrieb eines Medizinischen Versorgungszentrums […]. Das Medizinische Versorgungszentrum kann auch in der Organisationsform einer ge‐ 270 Jürgen Klöckler <?page no="271"?> 87 Als Teil des Ortsrechts der Stadt Konstanz ist die „V 02 Satzung der Spitalstiftung Konstanz“ zugänglich unter: https: / / www.konstanz.de/ service/ ortsrecht (Zugriff am 16. Juli 2024) 88 Paragraph 2 Absatz 2 des Ortsrechts - V 02 Satzung der Spitalstiftung Konstanz vom 18. Dezember 2019 (Zugriff am 16. Juli 2024). 89 Paragraph 2 Absatz 3 des Ortsrechts - V 02 Satzung der Spitalstiftung Konstanz vom 18. Dezember 2019 (Zugriff am 16. Juli 2024). 90 Paragraph 1 des Ortsrechts - V 02 Satzung der Spitalstiftung Konstanz vom 18. Dezember 2019 (Zugriff am 16. Juli 2024). meinnützigen GmbH als Eigengesellschaft der Stiftung oder als Beteiligung einer Nachfolgerin des Eigenbetriebs Klinikum Konstanz betrieben werden. 87 Als Organe der Stiftung werden der Gemeinderat der Stadt als Stiftungsrat und der Oberbürgermeister als Vorsitzender des Stiftungsrates definiert. In der Neufassung der Satzung vom 18. Dezember 2019 wird in Paragraph 2 Absatz 2 festgehalten: Die Spitalstiftung erfüllt diesen Stiftungszweck vorrangig durch 1. den Unterhalt und den Betrieb von Altenpflegeeinrichtungen, 2. den Unterhalt und den Betrieb des Klinikums Konstanz in eigener Trägerschaft oder indem die Spitalstiftung als Gesell‐ schafterin an einem Klinikverbund beteiligt ist, der der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege dient und der das Klinikum Konstanz betreibt 3. die Gewährung von Zuschüssen zur Bestreitung der Pflegekosten an Bewohner der Altenheime 4. die Pflege von Grabstätten von Stiftern und Erblassern in Erfüllung der Auflagen aus aufgenommenen Stiftungen und Vermächtnissen (z. B. Paul-Heilig-Stiftung, Josef-Dieboldt-Stiftung). 88 In Absatz 3 wird fortgefahren: Zu den Stiftungszwecken gehören auch die erforderlichen Einrichtungen und Maß‐ nahmen zur Unterstützung der Bediensteten der Spitalstiftung und des Klinikums Konstanz hinsichtlich ihrer Wohnungen und zur Betreuung ihrer Kinder. 89 Das um das Jahr 1220 gegründete Spital ist heute als Spitalstiftung eine „rechts‐ fähige örtliche Stiftung des Öffentlichen Rechtes“ 90 mit Sitz in Konstanz, wie im ersten Paragraphen der aktuell gültigen Satzung formuliert wurde. Welche Perspektiven ergeben sich für die Spitalstiftung aus ihrer Entwick‐ lung seit dem Mittelalter? Zweifellos hat die Herauslösung des Klinikums im Dezember 2012 zu einem fühlbaren Identitätsverlust der Spitalstiftung geführt. Durch diverse Vorkommnisse der letzten Jahre, die medial im regionalen wie nationalen Rahmen aufbereitet wurden, hat sowohl das Fremdals auch das Selbstbild Schaden genommen. Diese Situation könnte zu einer Neuausrich‐ Zum Schluss ein schneller Überblick 271 <?page no="272"?> tung der Spitalstiftung genutzt werden. Zufriedenheit des Personals und der Klientel sowie eine deutlichere Präsenz in der städtischen Gesellschaft dürfte die Bereitschaft der Konstanzer Bürgerschaft zu weiterem Engagement etwa durch Zustiftungen fördern. Voraussetzungen wären eine Neudefinition des Images nach außen wie innen („Stiftungsethik“) sowie eine Neufassung der Stiftungskommunikation unter dem Stichwort „Marke Spitalstiftung“. Ziel sollte sein, dass sich die Konstanzer Bürgerschaft mit der Spitalstiftung und ihren Produkten einschließlich des Spitalweins wieder besser identifizieren und - wie im Mittelalter bis in die Neuzeit - mit Stolz auf diese kommunale Einrichtung blicken könnte, die sich schlussendlich bis heute in den eigenen Händen befindet. Im Jahr 2025 kann - bezugnehmend auf die in diesem Band von Harald Derschka edierte und transkribierte „Gründungsurkunde“ des Jahres 1225 - die Spitalstiftung auf eine 800-jährige Geschichte zurückblicken. 272 Jürgen Klöckler <?page no="273"?> Verzeichnis der Autorinnen und Autoren B ÖHM E , Anja (geb. 1964) Diplom-Verwaltungswirtin (FH) und Diplom-Verwal‐ tungswissenschaftlerin, Studium Business, Economic and Social Studies am Trinity College Dublin, seit 2008 freie Mitarbeiterin kommunaler Pressestellen und Auftragsautorin für Zeitschriften und Buchverlage B O R T F E L D T , Annette (geb. 1963) Studium der Sozialpädagogik an der Fachhoch‐ schule Braunschweig/ Wolfenbüttel, seit 2023 Pflegemanagement bei der Spital‐ stiftung Konstanz D E R S C HKA , Harald (geb. 1969) Studium der Geschichte und der Philosophie, außerplanmäßiger Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz mit Arbeitsschwerpunkten in der Landesgeschichte des Bodensee‐ raumes, der Ideengeschichte sowie der Münz- und Geldgeschichte, seit 2019 Präsident des Bodensee-Geschichtsvereins F R O MM , Norbert (geb. 1948) Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Konstanz, 1978 als Archivinspektoranwärter am Stadtarchiv Konstanz tätig, 1979-81 Besuch der Archivschule in Marburg, 1981-2016 Ar‐ chivar des gehobenen Dienstes am Stadtarchiv Konstanz; 1987 Beförderung zum Stadtarchivoberinspektor J ÄG E R , Walter (geb.1961), Studium der Forstwissenschaften an der Universität Freiburg, Referendariat und verschiedene Stationen in der Landesforstverwal‐ tung Baden-Württemberg, 2020-25 Leiter des Kreisforstamtes Konstanz K LÖC K L E R , Jürgen (geb. 1965) 1987-93 Studium der Geschichtswissenschaften, Philosophie und Italianistik in Mainz und Konstanz; 1995 Promotion; 1996-98 wissenschaftlicher Editor im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Bonn; danach Assistent am Lehrstuhl für Innenpolitik und öffentliche Verwaltung an der Universität Konstanz; seit 2001 Leiter des Stadtarchivs Konstanz; 2011 Habilitation; 2014 Ernennung zum apl. Professor K O E L L N E R , Rebecca (geb. 1968) Studium der Bildende Kunst in Saarbrücken und Kassel sowie Public Relations in Heidelberg, Ausbildung zur Buchhändlerin in Tübingen, von 2015 bis 2024 Pressesprecherin der Spitalstiftung Konstanz, seither für die Mittelbeschaffung und Projektkommunikation zuständig, seit 2001 freischaffende Künstlerin- <?page no="274"?> K U TH E , Michael (geb. 1948) aufgewachsen in Salach/ Wttbg., 1965 Abschluss mit der mittleren Reife-und Wechsel an das musische Aufbaugymnasium in Adels‐ heim/ Baden, 1967 fachgebundenen Hochschulreife, 1967-69 Grundwehrdienst in Pfullendorf, 1969-71 Ausbildung am Hauptstaatsarchiv Stuttgart, 1971-72 Besuch der Archivschule in Marburg und Abschluss als Diplomarchivar, 1972- 2016 Tätigkeit als Archivar im gehobenen Dienst am Stadtarchiv Konstanz L U G O -G O N ZAL E Z , Jorge (geb. 1999) Student der Betriebswirtschaftslehre an der Open University of Catalunya, seit 2023 als Werkstudent bei der Spitalstiftung Konstanz tätig M E NH O F E R , Sabine (geb. 1965) Studium der Architektur an der HTWG Konstanz, 2023 Zertifizierung Nachhaltigkeitsmanagement - Certified Sustainabilty Ex‐ pert WIFI Tirol, seit 2024 in der Spitalstiftung Konstanz tätig R ÜG E R T , Walter (geb. 1958) Studium an der Fachhochschule Kehl und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inklusive Promotion, 1998-2023 Leiter des Pressereferats der Stadt Konstanz, zahlreiche Publikationen über literarische und historische Themen S C HIL LIN G , Sabine (geb. 1970) 1994 Ausbildung zur Verlagskauffrau, 2009 Di‐ plom-Betriebswirt Abschluss, bis 2023 Führungskraft u. a. für Marketing und Vertrieb im Südkurier-Medienhaus in Konstanz, seit 2024 Presse- und Öffent‐ lichkeitsarbeit für die Spitalstiftung Konstanz, freiberufliche Wortarchitektin- T E I C HL E R , Jens (geb. 1964) Medizinstudium in Leipzig (und Freiburg, England und der Schweiz) medizinhistorische Dissertation zum Dr. med., langjährige Tätigkeiten in Kliniken und Sozialpädiatrischen Zentren in Deutschland und Schweiz. Seit 2013 Leitender Arzt und seit 2023 Medizinischer Direktor und Co-Betriebsleiter des SPZ Konstanz- V Oẞ , Andreas (geb. 1966) seit 2016 Stiftungsdirektor der Spitalstiftung Konstanz. W E B E R , Axel (geb. 1962) Studium der Philosophie und Germanistik an der Universität Konstanz; Studium der Sprachbehindertenpädagogik an der LMU München, von 2009 bis 2024 Pflegedienstleiter im Luisenheim, seit 2024 im Qualitätsmanagement der Spitalstiftung Konstanz 274 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren <?page no="275"?> W E I C HL E R , Reiner (geb. 1946) 1964-1968 Ausbildung im Gehobenen Dienst der Allgemeinen Finanzverwaltung Bad.-Württ. Dez. 1999 Stiftungsleiter der Spitalstiftung Konstanz. Von Febr. 2009 bis April 2010 in Personalunion Vorstand des Vincentius Krankenhauses, Ruhestand als Stiftungsdirektor im August 2011. W I S S MAN N , Sabine (geb. 1975) 1994-96 Studium der Sozialpädagogik an der Berufsakademie Villingen-Schwenningen, Abschluss Dipl. Sozialpädagogin, seit 2019 Fachliche Leitung des Regiebetriebs woge der Spitalstiftung Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 275 <?page no="277"?> Abbildungsnachweise Paul Diestel S. 168 Englert S. 93, S. 95 Rebecca Koellner S. 174, S. 175 Kevin Kirz-Min S. 126 Jorge Lugo S. 181, S. 186, S. 205 Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart S. 49, S. 59 Landratsamt Konstanz S. 170 Martin Maier S. 104, S. 111, S. 115, S. 118, S. 119, S. 120, S. 121, S. 125, S. 126, S. 127, S. 129, S. 132, S. 134, S. 137, S. 140, S. 147, S. 155, S. 156, S. 158, S. 168, S. 184, S. 188, S. 190, S. 192, S. 193, S. 196, S. 198, S. 202, S. 219, S. 218, S. 220, S. 221, S. 222 Michael Oppe S. 109, S. 163 Inka Reiter S. 159 Rosgartenmuseum Konstanz S. 43, S, 44, S. 47 Sabine Schilling S. 117, S. 123, S. 124, S. 138, S. 142, S. 166, S. 181, S. 228, S. 229 Schwelle S. 113 Ulrike Sommer S. 179 Spitalkellerei S. 241 Spitalstiftung S. 121, S. 122, S. 130, S. 131, S. 133, S. 157, S. 183, S. 230 <?page no="278"?> Staatsministerium Baden-Württemberg S. 10 Stadt Konstanz/ Chris Danneffel S. 12 Stadtarchiv Konstanz S. 26, S. 28, S. 31, S. 34, S. 37, S. 39, S. 40, S. 45, S. 46, S. 52, S. 55, S. 56, S. 57, S. 60, S. 61, S. 64, S. 68, S. 71, S. 72, S. 76, S. 81, S. 82, S. 83, S. 84, S. 88, S. 89, S. 90, S. 91, S. 96, S. 172, S. 121, S. 213, S. 214, S. 242, S. 243, S. 244, S. 250, S. 251 Jens Teichler S. 149, S. 150, S. 151, S. 152, S. 153 Philipp Uricher S. 14 Irmgard Weishaupt S. 173 Winstel S. 230 Hella Wolff-Seybold S. 30, S. 33, S. 35, S. 42, S. 48, S. 50, S. 65, S. 74, S. 80, S. 92 278 Abbildungsnachweise <?page no="279"?> Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz herausgegeben von Jürgen Klöckler Bisher sind erschienen: Band 3 Jürgen Klöckler (Hg.) Konstanz in beiden Weltkriegen Festschrift für Lothar Burchardt 2004, 160 Seiten ISBN 978-3-89669-695-3 Band 7 Tatiana Sfedu Ein Konstanzer Bürgerwerk Das Rosgartenmuseum seit Ludwig Leiner 2007, 180 Seiten ISBN 978-3-89669-640-3 Band 8 Walter Rügert, Andy Theler (Hg.) Vom Grenzzaun zur Kunstgrenze Zur Geschichte eines außergewöhnlichen Projekts 2007, 100 Seiten ISBN 978-3-89669-642-7 Band 10 Lothar Burchardt (Hg.) Aufregende Tage und Wochen Das Tagebuch des Konstanzer Lehrers Herbert Holzer aus den Jahren 1945-1948 2010, 246 Seiten ISBN 978-3-86764-251-4 Band 11 Daniela Frey, Claus-Dieter Hirt Französische Spuren in Konstanz Ein Streifzug durch die Jahrhunderte 2011, 186 Seiten ISBN 978-3-86764-322-1 Band 13 Heike Kempe (Hg.) Die »andere« Provinz Kulturelle Auf- und Ausbrüche in der Bodensee-Region seit den 1960er Jahren 2013, 200 Seiten ISBN 978-3-86764-363-4 Band 14 David Bruder Soziale Stimme - streitbarer Sachverstand Geschichte des Mieterbundes in Konstanz seit 1912 2012, 154 Seiten ISBN 978-3-86764-381-8 Band 15 Manfred Bosch, Siegmund Kopitzki (Hg.) Wettlauf mit dem Schatten Der Fall (des) Wilhelm von Scholz 2013, 288 Seiten ISBN 978-3-86764-384-9 Band 16 Arnulf Moser Vom Königlichen Garnisons-Lazarett zur Arbeiterwohlfahrt Die wechselvolle Geschichte des Gebäudekomplexes Friedrichstraße 21 in Konstanz von 1882 bis heute 2013, 102 Seiten ISBN 978-3-86764-429-7 Band 17 Lisa Foege Wessenbergs Herzenskind Geschichte einer sozialen Fürsorgeinstitution in Konstanz 2013, 200 Seiten ISBN 978-3-86764-452-5 Band 18 Klaus Oettinger Aufrecht und tapfer Ignaz Heinrich von Wessenberg - ein katholischer Aufklärer Essays, Vorträge, Analekten 2016, 208 Seiten ISBN 978-3-86764-723-6 <?page no="280"?> Band 19 Marita Sennekamp Grün in der Stadt Eine historische Spurensuche in Konstanz 2018, 154 Seiten ISBN 978-3-86764-848-6 Band 20 Manfred Bosch Konstanz literarisch Versuch einer Topografie 2019, 352 Seiten ISBN 978-3-86764-890-5 Band 21 Jürgen Klöckler (Hg.) Konstanzer Bäder und Badeanstalten Ein Beitrag zur Geschichte des Badewesens am Bodensee 2020, 324 Seiten ISBN 978-3-7398-3073-5 Band 22 Dorothea Cremer-Schacht, Siegmund Kopitzki (Hg.) Lotte Eckener Tochter, Fotografin und Verlegerin 2021, 236 Seiten ISBN 978-3-7398-3108-4 Band 23 Jürgen Klöckler (Hg.) Konstanz und Italien Transalpine Beziehungen durch die Jahrhunderte 2023, 427 Seiten ISBN 978-3-7398-3232-6 Band 24 Jürgen Klöckler (Hg.) Kommunale Fürsorge am Bodensee Das Konstanzer Jugendamt 1925 bis 2025 2025, 365 Seiten ISBN 978-3-381-13291-1 Band 25 Sabine Schilling, AndreasVoß (Hg.) Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee 800 Jahre Spitalstiftung Konstanz 2025, 278 Seiten ISBN 978-3-381-13201-0 <?page no="281"?> Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz 25 Der deutsche Südwesten ist reich an bürgerschaftlich getragenen Institutionen, und zwar seit dem Mittelalter. So feiert etwa die älteste Bürgerstiftung am Bodensee im Jahr 2025 ihren 800. Geburtstag. Aus diesem Anlass wird die Geschichte des Spitals von 1225 bis heute in vorliegender Publikation kritisch dargestellt. Über das Historische hinaus werden auch Gegenwart und Zukunft behandelt: Wo steht die Stiftung heute, wie könnte sie sich weiterentwickeln? Interessant ist es zu erfahren, über welche Einrichtungen die Spitalstiftung verfügt, inklusive des umfangreichen Waldbesitzes und der Spitalkellerei mit Weinlagen in Konstanz und in Meersburg. Zudem besteht eine Beteiligung am Gesundheitsverbund des Landkreises Konstanz. ISBN 978-3-381-13201-0 www.uvk.de
