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Doing Fach.Didaktik

Wissen. Lehren. Verbinden

0630
2025
978-3-3811-3562-2
978-3-3811-3561-5
Gunter Narr Verlag 
Birgit Mertz-Baumgartnerhttps://orcid.org/0000-0002-1064-1413
Wolfgang Stadlerhttps://orcid.org/0000-0002-9646-2642
10.24053/9783381135622

"Doing Fach.Didaktik" beleuchtet das Zusammenspiel von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, wie es in der Ringvorlesung an der Universität Innsbruck initiiert wurde. Der Sammelband bietet spannende Einblicke in aktuelle Forschung und Praxis, von inter- und transkulturellem Lernen über innovative Medien wie Instapoetry bis hin zur Aufgabenorientierung im Sprachunterricht. Die Autor:innen vereinen wissenschaftliche Tiefe mit praxisnahen Ansätzen und stellen so wertvolle Impulse für Lehrkräfte, Studierende und Verantwortliche in der Lehrer:innenbildung bereit. Ob Mehrsprachigkeit, Literatur oder neue Medien - dieses Buch zeigt, wie Theorie und Praxis Hand in Hand gehen, um Bildung zukunftsfähig zu gestalten. Ein Muss für alle, die Fachdidaktik mitgestalten möchten!

<?page no="0"?> Doing Fach.Didaktik Birgit Mertz-Baumgartner / Wolfgang Stadler (Hrsg.) Wissen. Lehren. Verbinden <?page no="1"?> Doing Fach.Didaktik <?page no="3"?> Birgit Mertz-Baumgartner / Wolfgang Stadler (Hrsg.) Doing Fach.Didaktik Wissen. Lehren. Verbinden unter Mitarbeit von Paul Valentin Mayr <?page no="4"?> Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung des Vizerektorats für Forschung, des Dekanats der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und des Dekanats der Fakultät für LehrerInnenbildung sowie des Forschungsschwerpunkts „Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte“ gedruckt. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381135622 © 2025 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Druck: Elanders Waiblingen GmbH ISBN 978-3-381-13561-5 (Print) ISBN 978-3-381-13562-2 (ePDF) ISBN 978-3-381-13563-9 (ePub) Umschlagabbildung: iStock-679719236, © TasiPas Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 7 11 17 25 51 77 107 129 159 Inhalt Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu Beginn . . . . Vorwort der HerausgeberInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die AutorInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil I Inter- und transkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten N E V E NA S T AM E N K O V IĆ 1 Mehrsprachig lesen und lernen! Mehrsprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprachlichen Literaturunterrichts G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R 2 Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, audiovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht Italienisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J A S MI N P E S K O L L E R & U L LA R A T H E I S E R 3 When Opossum Rhymes with Blossom - Intercultural Learning and Literature in English as a Foreign Language . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II Mit alten und neuen Medien lernen. Theater, Film, Instapoetry M A R T I N B A U E R -Z E T Z MAN N & W O L F G AN G K O F L E R 4 Back to School: Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E VA B I N D E R & M A G DAL E NA K AL T S E I S 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus: Was Spielfilme dazu beitragen können . . . . . . . . . . . . . . . . . C H R I S T O P H S I N G E R 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodale AutorInnenschaft: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 183 209 243 271 Teil III Sprache(n) lernen. Materialentwicklung und Aufgabenorientierung E MA N U E L K L O T Z & W O L F G AN G S T AD L E R 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K A T R I N S C H MI D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung: Einblicke in die kollaborative Entwicklung korpusbasierter Lernmaterialien für das Italienische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A N K E L E N ZI N G & E VA M A R IA H I R ZI N G E R -U N T E R R AI N E R 9 Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisciplinary perspective on language education? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil IV Lehrkräftebildung - quo vadis? L E O W I L L 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu Beginn Die Gründung der Fakultät für LehrerInnenbildung (damals noch unter dem Namen „School of Education“) als 16. Fakultät im Oktober 2012 hob das Lehramtsstudium und die LehrerInnenbildung an der Leopold-Franzens-Uni‐ versität Innsbruck auf ein neues Level. Sie war ein klares Bekenntnis zur großen Bedeutung dieses Lehr- und Forschungsbereichs für unsere Alma Mater. Zuvor integrales Element von anderweitig fachwissenschaftlich ausgerichteten Studien, Instituten und Fakultäten, erlangte die LehrerInnenbildung nun eine weithin sichtbare institutionelle Eigenständigkeit. Damit waren viele Vorteile, aber auch Herausforderungen verbunden. Eine davon bestand darin, die für eine erfolgreiche LehrerInnenausbildung substanzielle Verknüpfung von Fach‐ wissenschaft und Fachdidaktik trotz der nun bestehenden organisatorischen Trennung beider Bereiche aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Ein gutes Zu‐ sammenspiel von Fach- und Fachdidaktiklehrenden ist für das Lehramtsstudium unerlässlich. Genau diese Intention liegt der im Wintersemester 2022/ 23 abgehaltenen Ringvorlesung „Doing.Fachdidaktik“ zugrunde, aus der die vorliegende Publi‐ kation entstanden ist. Die Initiative ging von Wolfgang Stadler aus, dem es aufgrund seines Engagements sowohl im Bereich der Russischen Sprachwis‐ senschaft als auch der Fachdidaktik sowie durch sein Wirken als Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung von 2017 bis 2021 immer wieder gelang, Brücken zu bauen und die Bedeutung der Kooperation von Fachwissenschaft und (Fach-)Didaktik in besonderem Maße sichtbar zu machen. In einer intensiven und ausgesprochen konstruktiven Vorbereitungsphase erarbeiteten KollegInnen aus beiden Bereichen ein Konzept für diese interfa‐ kultäre Lehrveranstaltung. Gewählt wurde schließlich das Format von Tan‐ demvorträgen, gemeinsam bestritten von VertreterInnen verschiedener Unter‐ richtsfächer. Diese Zusammenarbeit machte die Verknüpfung von Fach und Fachdidaktik in ganz unterschiedlichen Teilgebieten von Sprache, Kultur und Literatur sowohl für die Studierenden als auch die Vortragenden selbst in intensiver Weise erlebbar. Als VertreterInnen der Fakultät für LehrerInnenbildung und der Philologisch- Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck möchten wir allen <?page no="8"?> OrganisatorInnen und Mitwirkenden dieser Ringvorlesung sehr herzlich für ihr Engagement danken. Ganz besonderer Dank gilt aber den AutorInnen der einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes. Ist es hier doch gelungen, den interdisziplinären Diskurs, der eine Volluniversität auszeichnet, festzuhalten und für die Weiterentwicklung des Lehramtsstudiums an der Universität Innsbruck nutzbar zu machen. U NIV .-P R O F . D R . S U ZAN N E K A P E LA R I MA Dekanin der Fakultät für LehrerInnenbildung (seit 2021) U NIV .-P R O F . D R . M A R TINA K R AML Studiendekanin der Fakultät für LehrerInnenbildung (2019-2024) U NIV .-P R O F . D R . S E B A S TIAN D O NAT Dekan der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät (2013-2024) A S S .-P R O F . D R . G E R HA R D P I S E K Studiendekan der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät (2013-2024) Mit großer Freude dürfen auch wir Ihnen das Buch Doing Fach.Didaktik prä‐ sentieren, das aus einer interdisziplinären und interfakultären Ringvorlesung entstanden ist. Diese Veranstaltungsreihe bot den Studierenden die wertvolle Gelegenheit, über den Tellerrand ihrer eigenen Fachrichtung hinauszuschauen, ein tieferes Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen verschiede‐ nen wissenschaftlichen Disziplinen zu bekommen und ihnen neue Perspektiven und Herangehensweisen zu eröffnen. Der vorliegende Band vereint nun eine Vielzahl an Themen, die die Breite und Tiefe der aktuellen fachwissenschaftlichen und didaktischen Forschung wider‐ spiegeln. Von der Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, au‐ diovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht bis hin zur Analyse der russischen Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer - jede Arbeit in diesem Buch zeigt eindrucksvoll, wie fachdidaktische Ansätze und Innovationen den Bildungsprozess bereichern und vertiefen können. Ein besonders spannendes Kapitel widmet sich der Rolle von Spielfilmen im Fremdsprachenunterricht. Hier wird aufgezeigt, wie diese nicht nur sprachliche Fähigkeiten fördern, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg ermöglichen. Ebenso beleuchten Beiträge wie „Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisciplinary perspective on language education? “ und „Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung“ die Bedeutung 8 Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu Beginn <?page no="9"?> von Aufgabenkultur und die kooperative Entwicklung digitaler korpusbasierter Lernmaterialien. Wir sind überzeugt, dass die Verbindung von Literatur- und Mehrsprachig‐ keitsdidaktik sowie die Untersuchung von interbzw. transkulturellem Lernen im Fremdsprachenunterricht zu einem umfassenderen Verständnis und einer tieferen Wertschätzung der Vielfalt und Komplexität des Lehrens und Lernens beitragen. Besonders erwähnenswert ist auch der Beitrag zu Reschs neulateinischen Dramen als Chance für den Lateinunterricht, der aufzeigt, wie historische Texte und moderne didaktische Ansätze eine fruchtbare Symbiose eingehen können. Das vorliegende Buch Doing Fach.Didaktik verbindet auf eindrucksvolle Weise Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Die Beiträge machen die vielfältigen Verflechtungen dieser beiden Bereiche anhand ganz unterschiedlicher Gegen‐ stände sichtbar und zeigen die Besonderheiten, Chancen und auch die Grenzen interdisziplinären Denkens und Arbeitens auf. Damit wird deutlich, dass die Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg nicht nur Herausforderungen, sondern auch sehr viele Chancen mit sich bringt. Diese interdisziplinären Begegnungen bieten eine reichhaltige Diskussionsbasis und Anlässe, um über die zukünftige Gestaltung von Studiengängen und Modulen in curricularen und außercurricularen Settings nachzudenken. Wir danken allen KollegInnen, die durch ihre Expertise und ihr Engagement zum Gelingen dieser Publikation beigetragen haben, und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung. Mögen die Ringvorlesung und der nunmehr vorliegende Band als inspirie‐ rende Grundlage für weitere Diskussionen dienen und impulsgebende Aus‐ gangpunkte für eine Reihe sein, die weiterhin den interdisziplinären Diskurs zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik an zwei Fakultäten in Lehre und Forschung fördert und aufzeigt. M A G . D R . E LI S A B E TH D E F E LI P - J AU D Studiendekanin der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät (seit 2024) U NIV .-P R O F . M A G . D R . J ÜR G E N F U C H S B A U E R Dekan der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät (seit 2024) Zwei Grußworte der DekanInnen und StudiendekanInnen zu Beginn 9 <?page no="11"?> Vorwort der HerausgeberInnen Im WS 2022/ 23 fand an der Universität Innsbruck erstmals eine Ringvorlesung zum Thema „Doing.Fachdidaktik“ statt, die von zwei Fakultäten, der Philolo‐ gisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und der Fakultät für LehrerInnenbil‐ dung organisiert wurde. Ziel dieser Vorlesung war es, durch eine bewusste Verknüpfung von Fach und Fachdidaktik und die Synthese von Forschungsin‐ teressen die Kooperation zwischen FachwissenschafterInnen und Fachdidakti‐ kerInnen an den beiden Fakultäten zu stärken und für die universitäre Öffent‐ lichkeit sichtbar zu machen. Dieses Vorgehen beobachten wir auch an anderen Universitäten: 2016 wurde etwa der Band Fachkulturen in der Lehrerbildung (Universität Bonn) veröffentlicht; 2020 erschien im WVT Verlag das Buch Kontrovers. Literaturdidaktik meets Literaturwissenschaft (Universität Bremen). Darüber hinaus ist zu beobachten, dass auch die Fachdidaktiken der verschie‐ denen Unterrichtsfächer vermehrt in einen Dialog miteinander treten, wie z. B. die Publikation Grenzgänge und Grenzziehungen. Transdisziplinäre Ansätze in der Lehrer*innenbildung (hrsg. von Brocca, Dittrich & Kolb 2022) zeigt. An der Universität Salzburg fand im Wintersemester 2018/ 19 eine fachdidaktische Ringvorlesung zu „Demokratie lernen in der Schule. Politische Bildung als Aufgabe für alle Unterrichtsfächer“ statt. Die Universität Kiel organisierte im Sommersemester 2023 eine Ringvorlesung zu „Intersektionalität interdiszipli‐ när - Fachdidaktiken im Dialog.“ Während manche dieser Ringvorlesungen die fachdidaktische und/ oder bildungswissenschaftliche Perspektive - aber immer über die Fächergrenzen hinaus - in den Vordergrund rücken, war der Universität Innsbruck daran gelegen, das notwendige Zusammenwirken von Fachwissen und Fachdidaktik aufzuzeigen und klarzumachen, dass die Fachdidaktik nicht nur mehrere Bezugswissenschaften benötigt, sondern als Integrationswissenschaft auch eine eigene wissenschaftliche Disziplin darstellt. In der LehrerInnenbildung ist Fachdidaktik Basis und Handwerkszeug zur Reflexion des eigenen Handelns in Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnisse (Lembens & Peschek 2009). Die Idee zu dieser Ringvorlesung stammt vom damaligen Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung, Wolfgang Stadler, der mit dem Dekan der Philologisch- Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Sebastian Donat, und unterstützt von den beiden StudiendekanInnen, Martina Kraml und Gerhard Pisek, die ersten Pla‐ nungsschritte unternahm. Schließlich konnten aus den beiden Fakultäten 26 <?page no="12"?> Personen gewonnen werden, die bereit waren, paarweise ihre Lehrmeinungen und wissenschaftlich-fachdidaktischen Forschungsansätze zu präsentieren. Die Lehrveranstaltung wurde sowohl Studierenden des Lehramts Sekundarstufe (Allgemeinbildung) als auch den Studierenden der Fachphilologien im Mas‐ terstudium zugänglich gemacht. Als Lernergebnis sollten die Teilnehmenden verstehen, welche Ansätze in der philologisch-fachwissenschaftlichen und der fachdidaktischen Forschung zum Einsatz kommen, welche Vorhaben und Projekte an den Fakultäten im Bereich der (Fremd)Sprachen realisiert werden und ob - beziehungsweise wie - die gewonnenen Daten und Ergebnisse die Weitergabe von Wissen an der Universität sowie die Lehr- und Lernprozesse an den Schulen beeinflussen. Neben Wolfgang Stadler (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) zeichnete für die Organisation der Ringvorlesung Birgit Mertz-Baumgartner (Institut für Romanistik) verantwortlich. Die 14 Einheiten boten Vorträge aus folgenden Forschungsbereichen - Spracherwerb und Aufgabenorientierung, Phraseodidaktik und korpusbasierte Lehrmaterialien, Transkulturelles Lernen, Audiovisuelles Lernen (Film, Videospiele, Gamification, Game Studies), Multi‐ modales Lernen (Comics, Graphic novels), Mehrsprachigkeit im Literaturunter‐ richt, Neulateinische Dramen, Textsemantik und Populärmusik, Umgangsspra‐ chen im Unterricht, Instapoetry, Korpuslinguistik und Sprachtestung -, wobei es den OrganisatorInnen ein Anliegen war zu zeigen, dass Theorie und Praxis stets in Wechselwirkung begriffen sind: So wie das Fach die Theorie nicht für sich allein in Anspruch nehmen darf, so muss auch die Fachdidaktik einräumen, dass FachkollegInnen ihre eigenen Vorstellungen von Praxis haben. Durch den Austausch in der Vorbereitung auf die gemeinsamen Vorträge sollten Gemeinsamkeiten entdeckt, Grenzen abgesteckt, aber auch überschritten werden. Dabei wurde stets die Optimierung der fachlichen Ausbildung der Studierenden im Auge behalten. In den Diskussionen nach den Vorträgen sollten die Studierenden zum gegenseitigen Meinungs- und Informationsaustausch angeregt werden. Für den vorliegenden Sammelband boten 18 KollegInnen an, einen Beitrag zu verfassen. Auch hier wollten wir, so wie bei der Ringvorlesung, dem Prinzip des Arbeitens im Team folgen und Fachwissen mit Lehrmeinungen der Didaktik verbinden. Doch die eine oder andere Absage ließ das nicht in allen Fällen zu. Dennoch sind nach unserem Erachten die Forschungsdisziplinen der zwei Fakultäten gut abgebildet und finden konkret ihren Niederschlag in den ein‐ schlägigen Bereichen der Fachdidaktik an der Fakultät für LehrerInnenbildung (Kompetenzerwerb, Aufgabenkultur, Medien und Digitalität, Global Citizenship Education) sowie in der einen oder anderen Aktivität der Forschungszentren und 12 Vorwort der HerausgeberInnen <?page no="13"?> -schwerpunkte an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät (Kultu‐ ren in Kontakt und Kulturelle Begegnungen, kulturelle Konflikte). Unser Dank gilt allen KollegInnen, die mit viel Eifer und Enthusiasmus zum Erfolg der Ringvorlesung beigetragen und interessante, lesenswerte Beiträge für dieses Buch beigesteuert haben. Das gilt auch für Leo Will, der als Gastautor eine deutsche und eine transatlantische Perspektive zur Position einer Fakultät für LehrerInnenbildung im Allgemeinen und zu unserem Sammelband im Speziellen einbringt. Teil I Interkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten N E V E NA S TAM E N K O VIĆ demonstriert in „Mehrsprachig lesen und lernen! Mehr‐ sprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprach‐ lichen Literaturunterrichts“, welches Potenzial literarische Texte, in ihrem Fall Texte von Chicano/ a-AutorInnen, für die Mehrsprachigkeitsförderung im Fremdsprachenunterricht haben. Sie nimmt an, dass sich mehrsprachige Literatur besonders gut eignet, Lernende für ihre eigene Mehrsprachigkeit zu sensibilisieren, sodass sowohl fremde als auch eigene Mehrsprachigkeit zum Gegenstand des Unterrichts werden können. Mit Hilfe mehrsprachiger Aufga‐ benformate soll es den SchülerInnen auch ermöglicht werden, ihre Identitäten durch lyrisches Schreiben kreativ zum Ausdruck zu bringen und so ihre eigene Mehrsprachigkeit mitzugestalten. G E R HIL D F U C H S und B I R G IT M E R T Z -B A U M G A R T N E R zeigen mit ihrem Beitrag „Populärmusik als Vermittlungsmöglichkeit literarischer, audiovisueller und (trans)kultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht Italienisch“, dass bei der Beschäftigung mit Canzoni nicht unbedingt das Verstehen der Texte im Mittelpunkt stehen muss, sondern auch Zugriffe über die musikalische Gestaltung sowie die stimmliche Interpretation interessant sein können. Der Beitrag schenkt der Vermittlung von transkulturellen Kompetenzen besondere Bedeutung und zeigt an ausgewählten Beispielen aus der Musikszene Neapels, wie ein solches audiovisuelles und transkulturelles Lernen aussehen könnte. J A S MIN P E S K O L L E R und U L LA R ATH E I S E R präsentieren in „When Opossum Rhymes with Blossom - Intercultural Learning and Literature in English as a Foreign Language“ den Fremdsprachenunterricht als idealen Ort für die Auseinander‐ setzung mit verschiedenen Dimensionen des interkulturellen Lernens. In ihrem Beitrag verdeutlichen sie am Beispiel von Margaret Mahys Gedicht “Christmas Vorwort der HerausgeberInnen 13 <?page no="14"?> in New Zealand”, wie Literatur im Englischunterricht zur Ausbildung und Vertiefung interkultureller Kompetenzen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus präsentieren sie die Ergebnisse einer Pilotstudie, die in einer Allgemein‐ bildenden Höheren Schule (Sekundarstufe II) in Österreich durchgeführt wurde, und die die Eignung des gewählten lyrischen Textes für interkulturelles Lernen untersuchte. Teil II Mit alten und neuen Medien lernen. Theater, Film, Instapoetry W O L F G AN G K O F L E R und M A R TIN B A U E R -Z E TZMAN N loten in „Back to School: Jo‐ seph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht“ das Potenzial der neulateinischen Dramen von Joseph Resch (1716-1782) für einen modernen Lateinunterricht aus. Sie stellen das Innsbrucker Forschungsprojekt vor, das diesem Autor gewidmet war und aus einem fachwissenschaftlichen (z. B. Editionen) und einem fachdidaktischen Teil bestand. Aufbauend auf einer umfassenden Kontextualisierung der Dramen Reschs und einer Darstel‐ lung von deren Bedeutung im Schulbetrieb des 18. Jahrhunderts, wird eine Unterrichtsreihe zu Rhetorica vorgestellt, die das Ziel verfolgt, die Fertigkeiten der SchülerInnen im Bereich der lateinischen Morphologie und Syntax zu verbessern und ihre De- und Recodierungskompetenzen auszubauen. E VA B IN D E R und M A G DAL E NA K AL T S E I S gehen in „Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus: Was Spielfilme dazu beitragen können“ auf Krieg und Konflikt als herausfordernde Themen im Unterricht ein. Das Sprechen darüber sei wichtig, um einerseits auf Ängste, Fragen und Sorgen der SchülerInnen einzugehen; andererseits kann durch dieses Thema die Demokratieerziehung gefördert und Werte wie Humanität, Solidarität und Toleranz gestärkt werden. Anhand des estnisch-georgischen Antikriegsfilms Mandariinid präsentieren sie Möglichkeiten für seinen Einsatz sowohl im Russischunterricht als auch in der fächerübergreifenden Zusammen‐ arbeit. C H R I S T O P H S IN G E R setzt sich in „Affordanz, Transliteracy und Multimodale Au‐ torInnenschaft: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht“ mit der noch jungen Gattung der Instapoetry auseinander, insbesondere mit deren multimodaler Be‐ schaffenheit, die sie deutlich von Poetry unterscheidet. Er diskutiert, wie soziale Netzwerke wie Instagram neue Formen von AutorInnenschaft ermöglichen und es BenutzerInnen erlauben, sich in mehrsprachigen und multikulturellen Kontexten auszutauschen und auch selbst kreativ zu werden. Er präsentiert, 14 Vorwort der HerausgeberInnen <?page no="15"?> wie die Beschäftigung mit Instapoetry im Fremdsprachenunterricht es möglich machen könnte, Besonderheiten der Gattung und Formen von AutorInnenschaft zu diskutieren und sich mit neuen medialen Formen des Schreibens und Lesens auseinanderzusetzen. Teil III Sprache(n) lernen. Aufgabenorientierung und Materialentwicklung E MAN U E L K L O TZ und W O L F G AN G S TAD L E R thematisieren in „Die russische Um‐ gangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer“ die Tatsache, dass Umgangssprachen oft als minderwertige Varianten der Standardsprachen betrachtet werden. Diese Subsysteme folgen jedoch eigenen Normen und Regeln und weisen eine Vielfalt an sprachlichen Besonderheiten auf, die auch im Rus‐ sischunterricht genutzt werden sollten. Die Autoren schlagen vor, mit Lernen‐ den ausgewählte Charakteristika zunächst auf rezeptiver Ebene zu üben, indem einzelne Repliken standardsprachlicher Dialoge mit ihren umgangssprachlichen Entsprechungen z. B. in sozialen Medien oder literarischen Texten verglichen und mit Hilfe der lexikalischen und soziopragmatischen Skalen nach GeR operationalisiert werden. C H R I S TIN E K O N E C N Y und K AT R IN S C HMID E R E R stellen in ihrem Aufsatz „Phraseo‐ didaktik goes Aufgabenorientierung: Einblicke in die kollaborative Entwicklung korpusbasierter Lernmaterialien für das Italienische“ ein Projekt zur Entwick‐ lung von Lernmaterialen für Italienisch als Fremdsprache mit phraseologischem Fokus vor. Dabei zeigen sie, wie das entstandene Lernmaterial den Ansatz der Aufgabenorientierung mit den Ergebnissen korpuslinguistischer Untersuchun‐ gen verknüpft. Im Beitrag werden einerseits die Potenziale und Herausforde‐ rungen dieser Vorgehensweise identifiziert und andererseits wird das Projekt als Beispiel für eine gewinnbringende Kooperation zwischen der Phraseologie als linguistischer Subdisziplin und der Fremdsprachendidaktik diskutiert. E VA M A R IA H I R ZIN G E R -U NT E R R AIN E R und A N K E L E N ZIN G untersuchen in ihrem Beitrag „Tasks in the foreign language classroom. A potential for an interdisci‐ plinary perspective on language education? ” Aufgaben im Zweitspracherwerb. Sie kombinieren dabei psycholinguistische und sprachpädagogische Aspekte und nutzen Pienemanns Prozessabilitätstheorie, um einerseits die Lehrbarkeit grammatischer Strukturen zu erklären, und andererseits zu zeigen, wie Aufga‐ ben verwendet werden können, um die Entwicklungsstufen von L2-LernerInnen zu diagnostizieren. In einem weiteren Schritt erläutern sie, wie Aufgaben im Sprachunterricht eingesetzt werden können, um LernerInnen in ihrem Sprach‐ Vorwort der HerausgeberInnen 15 <?page no="16"?> erwerbsprozess zu unterstützen und Kontexte für die Verwendung bestimmter grammatischer Strukturen zu schaffen. Teil IV Lehrkräfteausbildung - quo vadis? L E O W IL L bringt als Gastautor abschließend eine sehr persönliche Sichtweise ein, wenn er die Eigenheiten der Begrifflichkeiten „Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Fachlichkeit“ und ihr Wechselspiel aus einer deutschen und transatlanti‐ schen Perspektive diskutiert. Fachdidaktik als akademische Disziplin sei eine institutionalisierte Errungenschaft in den deutschsprachigen Ländern, ihre For‐ schungstradition eine andere als im anglo-amerikanischen Bereich, was nicht selten zu Missverständnissen führt. Die Zerrissenheit der Disziplin zwischen Theorie und Praxis, zwischen Forschung und LehrerInnen(aus)bildung zeigt Will am Beispiel der Englischdidaktik und ihrer Interaktion mit der Sprach- und Literaturwissenschaft auf. Dabei geht er ansatzweise auch auf Vor- und Nachteile für angehende Sprachlehrkräfte ein, die während ihres Studiums an der Universität mit allen drei Bereichen - Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Fachlichkeit - in Kontakt kommen. Literaturverzeichnis Brocca, N., Dittrich, A.-K. & Kolb, J. (Hg.) (2022): Grenzgänge und Grenzziehungen. Transdisziplinäre Ansätze in der Lehrer*innenbildung. Innsbruck: iup. Geiss, P., Ißler, R. & Kaenders, R. (Hg.) (2016): Fachkulturen in der Lehrerbildung. Göttingen: V&R unipress. Grünewald, A., Hethey, M. & Struve, Karen (Hg.) (2020): KONTROVERS. Literaturdidaktik meets Literaturwissenschaft. Trier: WVT Verlag. Lembens, A. & Peschek, W. (2009): Was Fachdidaktiken sind und was sie wollen. IMST- Newsletter Jahrgang 8, Ausgabe 28. Winter/ Frühjahr. Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung (IUS) der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Spittal/ Drau & Vil‐ lach: Kreiner Druck. 16 Vorwort der HerausgeberInnen <?page no="17"?> Die AutorInnen B A U E R -Z E TZMAN N , M A R TIN (Institut für Klassische Philologie und Neulateini‐ sche Studien) ist Senior Scientist für Klassische Philologie und Fachdidaktik Latein/ Griechisch an der Universität Innsbruck. Er ist Mitherausgeber der Schulbuchreihe Artes und Schriftleiter der fachdidaktischen Zeitschriften IANUS - Informationen zum altsprachlichen Unterricht und Didaktische Informationen. Seine breiten Forschungsinteressen umfassen u. a. frühgriechische Epik und Lyrik, antike Historiographie und Epigraphik, griechisches und lateinisches Theater, Reiseliteratur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Antikenrezep‐ tion, Spracherwerbsforschung und Testtheorie im altsprachlichen Unterricht. B IN D E R , E VA (Institut für Slawistik) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck im Bereich der Kultur- und Medienwissenschaft. Ihr Forschungsinteresse gilt der russischen Kultur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, dem osteuropäischen Gegenwartskino und dem Dokumentarfilm. Gemeinsam mit Magdalena Kaltseis, mit der sie den Beitrag für den vorliegenden Sammelband verfasst hat, hat Eva Binder 2024 und 2025 zwei weitere Publikationen im Bereich Fremdsprachendidaktik vorgelegt: die Monografie Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Narr- Francke, 2025) sowie einen Artikel mit dem Titel „Critical Language Pedagogy in the Classroom: The TV Talk Show 60 Minutes as a ‚Lesson‘ on Russian Propaganda“ in der Fachzeitschrift Russian Language Journal (RLJ). Gemeinsam mit Magdalena Kaltseis ist sie auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung von RussischlehrerInnen in Österreich und Deutschland aktiv. F U C H S , G E R HIL D (Institut für Romanistik) ist Dozentin für italienische und fran‐ zösische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Sie ist Leiterin des Archivs „Textmusik in der Romania“ und Mitherausgeberin der Open-Access-Zeitschrift ATeM. Ihre wichtigsten aktuellen Forschungsschwer‐ punkte sind die zeitgenössische Erzählliteratur Italiens (Baricco, Benati, Cavaz‐ zoni, Celati, Ferrante, Guccini/ Macchiavelli, Maraini, Malerba, Vassalli), der Film (Bertolucci, Fellini, Pasolini) und die Populärmusik (Schwerpunkte Neapel und Komik) in Italien. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen u. a. Italienisches Theater. Geschichte und Gattungen von 1480 bis 1890 (2015, gem. mit Sabine Schrader und Daniel Winkler) sowie Entangled Histories and Voices. Popular <?page no="18"?> Music & Postcolonial Approaches (AteM 2022, gem. mit Gianpaolo Chiriacò und Birgit Mertz-Baumgartner). H I R ZIN G E R -U NT E R R AIN E R , E VA M A R IA (Institut für Fachdidaktik) ist Professorin für Fremdsprachendidaktik an der Universität Innsbruck. Sie promovierte zur sprachenübergreifenden Ausbildung in der Fremdsprachendidaktik aus studentischer Perspektive und habilitierte sich mit einer Arbeit zum medien‐ gestützten Wortschatzerwerb am Beispiel des Italienischen. Ihre Forschungs‐ schwerpunkte sind Mehrsprachigkeit, Wortschatzerwerb und LehrerInnenbil‐ dung. Sie hat kürzlich einen Sammelband über die Aufgabenorientierung im Italienischunterricht veröffentlicht (Narr 2024). Eva M. Hirzinger-Unterrainer war Projektpartnerin im Erasmus+ Projekt „Mehrsprachigkeitsfördernde Mo‐ dule für Fremdsprachenunterricht (MEMO) - Beispiele für einen sprachen- und kulturensensiblen Anfangsunterricht Französisch“ und ist eine der Co- ProjektleiterInnen der Erasmus+ Teacher Academy „Meta-Scientific Literacies in the (Mis-)Information Age.“ K AL T S E I S , M A G DAL E NA (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) ist Assis‐ tenzprofessorin für russische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik Russisch an der Universität Innsbruck. Ihr Forschungsinteresse gilt der Angewandten Linguistik, insbesondere der kritischen Soziolinguistik, der Diskursanalyse, den russischen zeitgenössischen Medien sowie der Fremdsprachendidaktik. Gemeinsam mit Eva Binder, mit der sie den Beitrag für den vorliegenden Sammelband verfasst hat, hat Magdalena Kaltseis 2024 und 2025 zwei weitere Publikationen zum Bereich Fremdsprachendidaktik vorgelegt: die Monografie Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Narr-Francke 2025) sowie einen Artikel mit dem Titel „Critical Language Pedagogy in the Classroom: The TV Talk Show 60 Minutes as a ‚Lesson‘ on Russian Propaganda“ in der Fachzeit‐ schrift Russian Language Journal. Magdalena Kaltseis ist zudem im Editorial Board der Open-Access-Zeitschrift Didaktik slawischer Sprachen (DiSlaw), für die sie gemeinsam mit Eva Binder 2025 das Heft 1 „Audiovisuelle Medien im Unterricht slawischer Sprachen“ herausgegeben hat. Gemeinsam leiten die bei‐ den außerdem Workshops zur Fort- und Weiterbildung von RussischlehrerInnen in Österreich und Deutschland. K L O TZ , E MAN U E L (Institut für Slawistik) ist Projektmitarbeiter am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der historisch-vergleichenden slawischen Sprachwissenschaft, insbesondere in der Erforschung des Slawischen des Mittelalters und dessen Sprachkontakten. Er ist Autor des nun in zweiter Auflage erschienenen Urslawischen Wörterbuchs sowie eines Buches zu romanisch vermittelten Toponymen an der slawischen 18 Die AutorInnen <?page no="19"?> Adriaküste. Derzeit arbeitet Emanuel Klotz an einem FWF-Projekt zu den slawischen Ortsnamen Osttirols und an seiner Habilitation zum selben Thema. K O F L E R , W O L F G AN G (Institut für Klassische Philologie und Neulateinische Stu‐ dien) ist Professor an der Universität Innsbruck. Er hat neben zahlreichen fachwissenschaftlichen Forschungsinteressen auch einen Schwerpunkt in der Fachdidaktik: Er zählt zu den Mitbegründern des Innsbrucker Modells der Fremdsprachendidaktik (IMoF), hat von 2001 bis 2009 die Didaktischen Informa‐ tionen herausgegeben und war von 2013 bis 2020 Mitglied des Qualitätssiche‐ rungsrates für die PädagogInnenbildung. Darüber hinaus ist Wolfgang Kofler auch ein Kenner anderer Bildungssysteme: Als gebürtiger Südtiroler hat er in Italien die Schule besucht und dort vor seiner universitären Laufbahn auch als Lehrer gewirkt. Mit der deutschen Bildungslandschaft ist er aus seiner Zeit in Freiburg i. Br. vertraut, wo er zwischen 2009 und 2012 den latinistischen Lehrstuhl bekleidet hat. K O N E C N Y , C H R I S TIN E (Institut für Romanistik) ist assoziierte Professorin für Italienische Sprachwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck, wo sie sich 2015 habilitierte. Ihr Forschungsinteresse gilt der lexikali‐ schen Semantik, der kontrastiven Linguistik und insbesondere der Phraseologie, wo sie durch ihre mehrfach ausgezeichnete Dissertation zu italienischen Kollo‐ kationen internationale Bekanntheit erlangt hat, an mehreren Forschungspro‐ jekten als Leiterin oder Mitwirkende beteiligt war bzw. ist und auf zahlreiche Publikationen verweisen kann. Kürzlich fungierte sie u. a. als Co-Herausgeberin des Sammelbandes Dialektale und zweisprachige Phraseographie (Stauffenburg 2023) sowie des Themenhefts Fraseografia e metafraseografia delle varietà diatopiche (Linguistik online 125/ 1, 2024). L E N ZIN G , A N K E (Institut für Fachdidaktik) ist Professorin für englische Fachdi‐ daktik an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Zweitspracherwerbs und der Sprachlernforschung. Ihre Arbeit behandelt psycholinguistische Aspekte der Sprachproduktion, des Sprachver‐ stehens und der Interaktion. Sie hat u. a. zu Entwicklungssequenzen im Gram‐ matikerwerb, zum Gebrauch formelhafter Sequenzen sowie zum Sprachtransfer publiziert. Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit dem Erwerb des Turn-Taking sowie mit Anwendungen der mathematischen Theorie zu dynamischen Syste‐ men auf den Zweitspracherwerb. M E R TZ -B AU M G A R TN E R , B I R G IT (Institut für Romanistik) ist Professorin für Fran‐ zösische und Spanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die zeitgenössischen Die AutorInnen 19 <?page no="20"?> französischsprachigen Literaturen (insbesondere Frankreichs und des Maghreb) sowie die französisch- und spanischsprachige Populärmusik der Gegenwart. Ihre Analysen bauen auf Theorien und Konzepten der Postcolonial Studies, der Transkulturalitätsforschung und der Gender Studies auf. Darüber hinaus gilt ihr Interesse der Literatur- und Chansondidaktik. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen u. a. Passages et ancrages en France. Dictionnaire des écrivains migrants (Honoré Champion 2012, gem. mit Ursula Moser) sowie Lyrik transkulturell (Königshausen & Neumann 2016, gem. mit Eva Binder und Sieglinde Klettenhammer). Gemeinsam mit Gerhild Fuchs gibt sie die Open- Access-Zeitschrift ATeM heraus. P E S K O L L E R , J A S MIN (Institut für Fachdidaktik) ist Projektmitarbeiterin in der Erasmus+ Teacher Academy „SciLMi - Meta-Scientific Literacies in the (Mis-)In‐ formation Age“ am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck. Sie ist zudem als Dozentin für Englische Fachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Tirol sowie als Lehrperson für Englisch und Mathematik an einem Gymnasium tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich des interkul‐ turellen Lernens, der globalen und nachhaltigen Bildung sowie bei Themen der Diversität und Qualität im schulischen (Fremdsprachen)Unterricht und in der kritischen LehrerInnenbildung. Ihre Publikationen umfassen u. a. die Monographie The Multicultural Classroom. Learning from Australian First Nati‐ ons Perspectives (ibidem/ Columbia UP) und den Open Access-Beitrag “Unity in Diversity. Exploring intercultural teaching and learning practices in secondary education and teacher training in Austria.” R ATH E I S E R , U L LA (Institut für Anglistik) ist Senior Scientist an der Universität Innsbruck, wo sie im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft lehrt und forscht. In jüngster Zeit konzentrieren sich ihre Forschungsinteressen auf Populärkultur, Migrationsnarrative und die Darstellung von Monarchien. Dazu publizierte sie kürzlich einen Beitrag in Migrant Narratives. Storytelling as Agency, Belonging and Community (Routledge, 2024), mit dem Titel “‘None of these are jokes, it’s just my life…’: Migrant narratives and female agency in Shazia Mirza’s comedy”. Sie ist Mitherausgeberin der Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik/ Agenda: Advancing Anglophone Studies (Narr). Ihr Engagement gilt auch der Literaturdidaktik, wozu sie LehrerInnenfortbildungen anbietet. S C HMID E R E R , K AT R IN (Institut für Fachdidaktik) ist Post-Doc-Universitätsassis‐ tentin am Institut für Fachdidaktik (Bereich Sprachen) der Universität Inns‐ bruck, Gymnasiallehrerin für Italienisch und Spanisch sowie Kursleiterin von LehrerInnenfortbildungen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im L2-Erwerb im schulischen Kontext (insbesondere Italienisch und Spanisch), der aufgaben‐ 20 Die AutorInnen <?page no="21"?> orientierten Entwicklung (digitaler) Lernmaterialien sowie der Mehrsprachig‐ keit in der LehrerInnenbildung. Nach ihrer Promotion 2022 wurde ihre Disserta‐ tion unter dem Titel Produktiver und rezeptiver Grammatikerwerb im schulischen Italienischunterricht. Eine Lernersprachenanalyse (Narr 2023) publiziert. S IN G E R , C H R I S T O P H (Institut für Anglistik) ist seit 2021 Professor für britische und anglophone Kulturwissenschaften an der Universität Innsbruck. Einer seiner Schwerpunkte sind die Border Studies, in deren Kontext er eine Studie zu liminalen Grenzräumen in britischer und anglophoner Literatur veröffentlicht hat: Sea Change: The Shore from Shakespeare to Banville (Rodopi 2014). In diesem Forschungsbereich angesiedelt sind auch Publikationen zur Teilung Indiens und zu digitalen Formen der Erinnerung. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich kultursowie literaturwissenschaftlicher Narrative der Krise und Traumatheorie. So beschäftigt sich etwa seine Habilitation mit der Verbindung von Temporalität und Trauma. Christoph Singer ist Mitherausgeber der Buch‐ reihe Narratives and Mental Health (Brill). S TAD L E R , W O L F G AN G (Institut für Slawistik, Institut für Fachdidaktik) war Professor für Russistik und Fachdidaktik an der Universität Innsbruck und Mitbegründer des Innsbrucker Modells der Fremdsprachendidaktik (IMoF). Er übte die Funktion des Studiendekans der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät aus und war Dekan der Fakultät für LehrerInnenbildung. Seine For‐ schungsinteressen liegen nach wie vor im Bereich der Angewandten Linguistik, der Soziopragmatik, der Fremdsprachendidaktik und der Testforschung. Er ist Initiator der Open-Access-Zeitschrift Didaktik slawischer Sprachen (DiSlaw), (Mit-)Herausgeber von 12 Monografien bzw. Sammelbänden und (Co-)Autor von mehr als 100 Beiträgen. In jüngster Zeit hat er mit Leo Will (Gießen) und Irma Eloff (Pretoria) den Sammelband Authenticity across languages and cultures: Themes of identity in foreign language teaching and learning (Multilingual Matters 2023) herausgegeben. S TAM E N K O VIĆ , N E V E NA ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik (Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen) an der Freien Universität Berlin tätig. Ihr Forschungsinteresse gilt der Mehrsprachigkeits-, der Literatur- und der Kulturdidaktik sowie dem aufgabenorientierten Fremdspra‐ chenlernen. Sie hat kürzlich eine Monografie über den Einsatz mehrsprachiger Chicano/ a-Literatur im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht veröffent‐ licht (Narr 2023). W IL L , L E O (Institut für Anglistik) unterrichtet Teaching English as a Foreign Language (TEFL) an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Seine Dissertation Die AutorInnen 21 <?page no="22"?> (Ludwig-Maximilians-Universität München) Authenticity in English language teaching wurde 2018 bei Waxmann veröffentlicht. Als Habilitationsprojekt führt er derzeit eine phänomenologische Studie zur universitären Englischlehrkräf‐ tebildung durch. Will forscht außerdem zu digital gestützten Kooperationen von Schule und Universität sowie zu didaktischen Utopien. Neben seiner Tätigkeit an der Justus-Liebig-Universität ist Leo Will Adjunct Professor an der Saint Mary’s University in Halifax (Kanada). 22 Die AutorInnen <?page no="23"?> Teil I Inter- und transkulturelle Kompetenzen entwickeln. Literarische Texte, Songs und Geschichten <?page no="25"?> 1 Mehrsprachig lesen und lernen! Mehrsprachigkeit als Gegenstand, Gestaltungsverfahren und Ziel des fremdsprachlichen Literaturunterrichts N EVENA S TAMENKOVIĆ Reading and learning in multiple languages! Teaching plurilingu‐ alism through literature in the foreign language classroom Based on selected examples from an empirical study conducted in advanced EFL classes, this article examines how engaging with multilingual Chi‐ cano/ a texts can foster plurilingualism in the foreign language classroom. Code-switching between English and Spanish, an important literary device in Chicano/ a literature, varies in intensity - from single Spanish words embedded in predominantly English texts to more intense code-switching in poetry. Research on how (multilingual) literary texts can enhance plurilingualism in the foreign language classroom remains limited. This article proposes that multilingual literature helps students gain insight into the multilin‐ gualism of the Chicano/ a community and encourages them to reflect on their plurilingualism. The data suggest that this goal can be accomplished through tasks that promote creativity and language play. Creative writing in multiple languages can motivate students to articulate and develop their plurilingual identities. By examining two multilingual student poems, the chapter shows how such activities can deepen learners’ understanding of their plurilingualism and their attitudes toward heritage languages. Finally, it addresses potential challenges these activities may present for both teachers and learners. <?page no="26"?> 1 Einleitung - Mehrsprachigkeit als (unerfülltes) Ziel, Gegenstand und Gestaltungsverfahren des Fremdsprachenunterrichts Mehrsprachigkeitsförderung wird im deutschsprachigen Raum häufig und in erster Linie als bildungspolitische Forderung verstanden, die spätestens seit der Publikation des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (vgl. Europarat 2001) als wichtiges Ziel europäischer Bildungspolitik formuliert wurde und anschließend auch Eingang in die Bildungsstandards (vgl. KMK 2023) und in die Lehrpläne (vgl. z. B. Senatsverwaltung Berlin 2014) fand. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik in Deutschland blickt auf eine umfangreiche Forschung zurück, was insbesondere die Didaktik der romanischen Sprachen und darunter die Interkomprehensionsdidaktik betrifft (vgl. z. B. Meißner & Reinfried 1998; Morkötter 2005; Bär 2009). Trotz der relativ großen Aufmerk‐ samkeit, die ihr seitens der fremdsprachendidaktischen Forschung und der Bildungspolitik entgegengebracht wurden, zeigen Studien neueren Datums, dass Mehrsprachigkeit vor allem ein theoretisches Konstrukt bleibt und mit der Unterrichtsrealität an deutschen Schulen wenig zu tun hat (vgl. z. B. Jakisch 2015; Schädlich 2020). In der Realität komme es - abgesehen von ein paar unsystematischen Sprachvergleichen - äußerst selten als Gestaltungsprinzip des Fremdsprachenunterrichts vor. Dies scheint vielfältige Gründe zu haben. Sie reichen von mangelnder Offen‐ heit und nicht vorhandener entsprechender Ausbildung der Fremdsprachenleh‐ rerInnen über kaum existierende geeignete Unterrichtsmaterialien bis hin zu dem grundsätzlichen strukturellen Problem, dass der Fremdsprachenunterricht an deutschsprachigen Schulen als Einzelsprachenunterricht durchgeführt wird (vgl. Schädlich 2020; Schmelter et al. 2023). Einige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Lehrkräfte grundsätzlich von Mehrsprachigkeitsförderung überzeugt sind und darin Vorteile für ihre Fremdsprachenlernenden sehen, dass sie diese aber in ihrem Unterricht nicht systematisch verfolgen und nur eine begrenzte Anzahl von Unterrichtsdesigns bzw. Unterrichtsaktivitäten kennen, die zu deren Förderung beitragen können (vgl. Heyder & Schädlich 2014). Tatsächlich gibt es bis auf einzelne Ausnahmen (vgl. z. B. Holzinger et al. 2012; von Kahlden et al. 2015) wenige Lehrmaterialien und Handreichungen, die hier Unterstützung bieten können. Die bereits vorhandenen Unterrichtsaktivitäten erwecken häufig den Eindruck einer Materialsammlung, die zwischendurch, etwa für Vertretungsstunden eingesetzt werden kann. Möchte man im Sinne eines kompetenz- und aufgabenorientierten Unterrichts eine ganze Sequenz planen, die Mehrsprachigkeit oder mehrsprachig verhandelte Inhalte fokussiert und eine sprachenübergreifende Unterrichtsgestaltung ermöglicht, sind die 26 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="27"?> Unterrichtsvorschläge sowohl für den Englischunterricht als auch für den Unterricht zweiter oder dritter Fremdsprachen rar. Die These dieses Beitrags ist, dass es für die Implementation mehrspra‐ chigkeitsfördernder Maßnahmen Unterrichtsaktivitäten und Aufgabenarrange‐ ments braucht, die sich an lebensweltlichen mehrsprachigen Diskursen orien‐ tieren, also Inhalte abbilden, die in der Realität mehrsprachig verhandelt werden oder von globaler und transkultureller Relevanz sind. Dazu liegen einige bereits ältere Beiträge von Hallet zu Holocaust Childhoods (2002) oder zu den Olympi‐ schen Spielen (2008) vor. Zentral für den Fremdsprachenunterricht erscheint mir sowohl die Anerkennung und die Auseinandersetzung mit der mehrsprachigen Verfasstheit von Diskursen als auch die Thematisierung von mehrsprachigen und mehrkulturellen Identitäts- und Handlungsentwürfen. Mehrsprachigkeit sollte deshalb auch unbedingt als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts verstanden werden. Dies bedeutet, dass die lebensweltlichen Erfahrungen der SchülerInnen mit Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität einen zentralen Stellenwert im Fremdsprachenunterricht einnehmen müssen. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen nicht nur eine untergeordnete Rolle im Fremdsprachenunterricht spielt, sondern sogar als Hindernis oder Defizit für den Bildungserfolg begriffen wird (vgl. Gogolin et al. 2020). Das bedeutet aber keinesfalls, dass nur die Erfahrungen der lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden sollen. Es bedeutet vielmehr, dass alle SchülerInnen Gelegenheit erhalten sollen, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit Sprache(n) und Identität(en) zu sprechen, diese für das (fremd-)sprachliche Lernen als relevant zu erleben und dies wahlweise auch in ihren Fremd- und Herkunftssprachen zu tun. Damit im Zusammenhang steht auch das dritte Stichwort der Überschrift, die Mehrsprachigkeit als Gestaltungsverfahren. Für Hallet und Königs (2010: 305) ist das Ziel der Mehrsprachigkeitsförderung die Ausbildung einer mehrsprachi‐ gen Diskursfähigkeit, d. h. der Fähigkeit zur „Partizipation an mehrsprachigen gesellschaftlichen Diskursen auch in einer anderen als in der eigenen Sprache“ und somit „die Fähigkeit, Sachverhalte aller Art in und zwischen verschiedenen Sprachen kommunizieren zu können“ (ibid.). Die mehrsprachige Bildung zielt laut dieser Definition nicht nur darauf ab, SchülerInnen Kenntnisse in mög‐ lichst vielen Sprachen zu vermitteln, sondern sie auch dazu zu befähigen, am gesellschaftlichen Leben über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg teilzunehmen, indem sie lernen, Inhalte „in und zwischen“ (ibid.) Sprachen zu verhandeln. Damit wird zum einen angedeutet, dass gesellschaftliche Teilhabe über das Aushandeln von Inhalten erreicht wird, und zum anderen, dass dieses 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 27 <?page no="28"?> 1 Der Begriff „Sekundarschule“ meint einen im Land Berlin geläufigen Schultyp, der seit der Schulstrukturreform im Jahr 2010 die ehemaligen Haupt-, Real- und Gesamtschulen ersetzt. An einer Integrierten Sekundarschule sind verschiedene Abschlüsse möglich, u. a. auch das Abitur, das allerdings anders als an Gymnasien erst nach der 13. Klasse absolviert wird. Aushandeln nicht nur in einer Sprache, sondern zwischen Sprachen geschieht, also auch eine Verhandlungsfähigkeit erfordert. Didaktisch-methodisch ergibt sich daraus die Konsequenz, dass der Unterricht die Komplexität der mehrspra‐ chigen Kommunikation wahren, d. h. Situationen schaffen sollte, in denen SchülerInnen in verschiedenen Sprachen kommunizieren, in denen sie aber auch über die verschiedenen Wirkungen ihrer Äußerungen und über die damit verbundenen Werte und Identitätsvorstellungen reflektieren (vgl. Kramsch 2011: 356). Ziel dieses Beitrags ist es aufzuzeigen, wie durch die Arbeit mit mehrsprachi‐ gen literarischen Texten fremde und eigene Mehrsprachigkeit zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden kann, wie dies durch eine auf Mehr‐ sprachigkeitsförderung ausgerichtete didaktisch-methodische Gestaltung des Unterrichts gelingt und wie damit letztlich auch das Mehrsprachigkeitslernen als Ziel des Fremdsprachenunterrichts angebahnt werden kann. Die folgenden Überlegungen stützen sich auf die Ergebnisse einer empirischen Studie zum Einsatz englisch-spanischer Chicano/ a-Literatur, die ich im Rahmen meiner Promotion an vier weiterführenden Schulen (Gymnasien und Sekundarschu‐ len 1 ) in Berlin im fortgeschrittenen Englischunterricht durchgeführt habe (vgl. Stamenković 2023). Bevor ich auf die Chicano/ a-Literatur als Gegenstand dieses Beitrags eingehe und das Untersuchungsdesign näher darstelle, widme ich mich zunächst der Frage, welchen Beitrag der Einsatz mehrsprachiger Literatur zur Umsetzung des bisher unerfüllten Ziels der Mehrsprachigkeitsförderung im Fremdsprachenunterricht leisten kann. 2 Literatur und Mehrsprachigkeitsförderung Viele Mehrsprachigkeitsansätze zielen auf eine sprachstrukturelle Auseinander‐ setzung mit Sprache(n), so vor allem die Interkomprehensionsdidaktik (vgl. Meißner & Reinfreid 1998). Sicherlich ist die Fähigkeit, mit Hilfe bereits gelernter Sprachen Texte in anderen benachbarten Sprachen zu dekodieren und diese auch nachhaltig als Lernstrategie zu nutzen, für die Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz höchst relevant, aber sie muss in Richtung produktiver Kompetenzen und über das sprachstrukturelle Wissen und Können hinaus gedacht werden. Zentral ist die Frage, wie eine 28 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="29"?> integrative Mehrsprachigkeitsdidaktik aussehen kann, die sprach- und inhalts‐ basiertes, analytisches und kreativ-produktives Lernen kombiniert. Benötigt werden also Ansätze, die Lernende als ganzheitliche Individuen ansprechen, die nicht nur denken, dekodieren und verstehen, sondern auch Sprachen erfahren und erleben; ihren Klang, Rhythmus und Melodie mit bestimmten Emotionen, Erlebnissen und Erfahrungen verbinden. In ihrer Studie The Multilingual Subject zeigt Kramsch (2009) eindrucksvoll, dass das Fremdsprachenlernen eine ganzheitliche Erfahrung ist: „the foreign language is first and foremost experienced physically, linguistically, emotio‐ nally, artistically“ (ibid.: 60). Lange wurde die Beteiligung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen zugunsten kognitiver Lernfaktoren vernachlässigt (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2020). Dies gilt in besonderer Weise für die Mehrsprachig‐ keitsdidaktik, die vornehmlich die leichter zu operationalisierenden kognitiven und metakognitiven Fähigkeiten fokussiert hat und die Rolle von Emotionen lediglich im Bereich der Einstellungen und Haltungen berücksichtigt (z. B. bei Deskriptoren, die Interesse/ Neugierde am Sprachlernen oder die Bereitschaft zur Flexibilität/ Anpassung betreffen, vgl. Meißner 2013: 39 ff.). Die These dieses Aufsatzes ist, dass sich die Lernenden bei der Arbeit mit literarischen Texten als Mehrsprachige erfahren können, indem sie ihre sprachlichen Ressourcen und ihre Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität einsetzen, um die in den Texten dargestellten Identitäts- und Handlungsentwürfe zu verstehen und vor dem Hintergrund der literarischen Texte über ihre eigenen sprachlichen und kulturellen Zugehörigkeiten nachzu‐ denken. Kramsch (2009) geht davon aus, dass Mehrsprachige über eine höhere Anzahl an sprachlichen und nicht-sprachlichen Ressourcen verfügen und lernen sollen, die ihnen zur Verfügung stehenden semiotischen Ressourcen so zu nutzen, dass sie Diskurse nicht nur verstehen und reflektieren, sondern darauf auch aktiv Einfluss nehmen können. Diese Fähigkeit bezeichnet sie als „symbolische Kompetenz“ (symbolic competence): „an ability to draw on the semiotic diversity afforded by multiple languages to reframe ways of seeing familiar events, create alternative realities, and find an appropriate language position ‘between languages’“ (ibid.: 201). Der letzte Teil der Definition erinnert an die oben zitierte Aussage von Hallet und Königs (2010), in welcher die „mehrsprachige Diskurs‐ fähigkeit“ ebenfalls als eine Verhandlungsfähigkeit zwischen den Sprachen verstanden wird. Für Kramsch (2009) ist sie vor allem eine Fähigkeit zur Positio‐ nierung bzw. zum Ausprobieren verschiedener subject positions. Im Prozess des Sprachenlernens komme es zur Herausbildung neuer Identitäten, sie bezeichnet diesen Prozess als „the construction of imagined identities that are every bit as 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 29 <?page no="30"?> real as those imposed by society“ (ibid: 17). Sollen Identitätsbildungsprozesse im Fremdsprachenunterricht angestoßen werden, müssen SchülerInnen lernen, sich gegenüber anderen in und zwischen ihren Sprachen und Kulturen zu verorten, denn „Subjekte“ bilden sich nur in Interaktion mit anderen aus: „Our subjectivity is constituted and shaped in interaction with our environment through the discourse of others - a subjectivity-in-process. […] We only learn who we are through the mirror of others, and, in turn, we only understand others by understanding ourselves as Other“ (ibid.: 18). Hierfür bieten literarische Texte mit mehrsprachiger und mehrkultureller Thematik ein besonders großes Potenzial, denn sie geben Einblick in die Identitäts- und Handlungsentwürfe anderer mehrsprachiger Menschen, können aber auch als „Modelle bzw. Metaphern für das Verstehen unserer Erfahrungen“ (Bredella 2007: 59) fungieren. Auch für Kramsch (2006: 251) spielen sie eine Schlüsselrolle bei der Förderung der symbolischen Kompetenz: „Symbolic com‐ petence has to be nourished by a literary imagination at all levels of the language curriculum. For it is through literature that learners can communicate not only with living others, but also with imagined others and with the other selves they might want to become.“ Viele Studien im Bereich inter- und transkultureller Fremdsprachendidaktik zeigen, dass der Einsatz von fremdsprachiger Literatur die Fähigkeit zu Per‐ spektivenübernahme und Perspektivenkoordination fördert sowie für kulturelle Diversität und die Hybridität kollektiver und individueller Identitätskonzepte sensibilisieren kann (vgl. z. B. Freitag-Hild 2010). Hier soll argumentiert werden, dass gerade literarische Mischtexte, d. h. Texte, die in mehr als in einer Sprache verfasst wurden, von besonderer Relevanz für einen auf Förderung mehrsprachiger Bildung ausgerichteten Fremdsprachenunterricht sind, weil sie die Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene modellieren. Dies soll im Folgenden am Beispiel mehrsprachiger Chi‐ cano/ a-Literatur illustriert werden. 3 Das spezifische Potenzial mehrsprachiger Literatur am Beispiel der Chicano/ a-Lyrik Mehrsprachige literarische Texte spielen sowohl in der Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik als auch in der fremdsprachlichen Literaturdidaktik kaum eine Rolle (vgl. Freitag-Hild 2019: 223). Das Desiderat gilt in besonderer Weise für den Englisch‐ unterricht, für den meines Wissens bis auf die hier thematisierte Studie (vgl. Stamenković 2023) keine weiteren systematischen fremdsprachendidaktischen Untersuchungen vorliegen. Im Bereich der Didaktik der romanischen Sprachen 30 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="31"?> sind zwei Studien erschienen, die das Potenzial von mehrsprachigen und mehr‐ kulturellen Texten und Medien für den Fremdsprachenunterricht erforschen (vgl. Mayr 2014; Hennig-Klein 2018). Sporadisch sind kürzere Beiträge zu mehrsprachiger (Chicano/ a-)Lyrik (vgl. z. B. Elsner 2012; Fäcke 2020; Volkmann 2021) oder zu Chicano/ a-Jugendliteratur (vgl. z. B. Aguilar et al. 2024; Blell 2015) zu finden. Der Begriff „Chicano/ a-Literatur“ bezieht sich in diesem Beitrag auf Texte, die von US-amerikanischen AutorInnen mexikanischer Herkunft stammen und sich des literarischen code-switching zwischen Englisch und Spanisch bedienen, um kulturelle Grenzerfahrungen und Hybridisierungsprozesse in den Border‐ lands (vgl. Anzaldúa 1987) zwischen den USA und Mexiko zu thematisieren. „Chicano/ a“ ist eine politisch motivierte Bezeichnung, die im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre auftrat und der Legitimierung einer eigenen hybriden Sprache der mexikanisch-amerikanischen Gemeinschaft dienen sollte (vgl. Martín Rodríguez 1995). Der Wechsel zwischen Englisch und Spanisch ist ein zentrales Element der literarisch-ästhetischen Gestaltung mehrsprachiger Chicano/ a-Literatur. Blell (2012: 245) spricht in diesem Zusammenhang von „künstlerischer Transkultura‐ lität und Hybridität“, da diese Texte häufig sowohl inhaltlich als auch sprachlich „fragmentiert“ erscheinen. Ein Beispiel hierfür ist das Gedicht „Where you from? “ von Gina Valdés (1986: 23): Soy de aquí y soy de allá from here and from there born in L.A. del otro lado y de éste crecí en L.A. y en Ensenada my mouth still tastes of naranjas con chile soy del sur y del norte crecí zurda y norteada cruzando fron 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 31 <?page no="32"?> teras crossing San Andreas Tartamuda Y mareada where you from? soy de aquí y soy de allá I didn’t build this border that halts me the word fron tera splits on my tongue Das weibliche lyrische Ich befindet sich in einem Identitätskonflikt: Es emp‐ findet eine doppelte kulturelle Zugehörigkeit zum „here/ aquí“ und „there/ allá“, zum Norden/ L.A. und zum Süden, repräsentiert durch die mexikanische Stadt Ensenada, die in unmittelbarer Nähe zur US-Grenze liegt. Dass die Grenzüberschreitungserfahrung („cruzando fron/ teras“) eine negativ besetzte und konfliktive sein kann, illustrieren die Adjektive „tartamuda“ (stotternd), „norteada“ (orientierungslos) sowie „mareada“ (schwindlig). Das lyrische Ich beschreibt ein Gefühl der Desorientierung, der Ohnmacht und möglicherweise auch einer Sprachlosigkeit. Von den LeserInnen des Gedichtes wird ebenfalls eine solche Grenzüberquerung verlangt, denn sie müssen beim Lesen zwischen Englisch und Spanisch wechseln und über die Zeilengrenzen hinaus lesen (man beachte das Enjambement in „fron/ tera“), so dass ihre Bereitschaft, sich auf die sprachliche Fragmentierung des Gedichtes einzulassen zur Voraussetzung des Sinnkonstitutionsprozesses wird. Dabei vollzieht sich der Wechsel zwischen Englisch und Spanisch in ganz unterschiedlichen Formen: Die beiden Sprachen werden nicht nur nacheinander gewechselt und übersetzend wiedergegeben („Soy de aquí/ y soy de allá/ from here/ and from there“), sondern greifen auch ineinander („my mouth/ still tastes/ of naranjas/ con chile“). Auf diese Weise stellt sich auch bei den LeserInnen ein Gefühl der Desorientierung ein, denn der Sprachenwechsel geschieht unerwartet, scheint keinen festen Regeln zu folgen und erschöpft sich nicht in Übersetzungen für die nicht Spanisch sprechende Leserschaft. Wie an diesem Gedicht exemplarisch deutlich wird, können mehrsprachige Chicano/ a-Texte Lernende auf verschiedenen Ebenen herausfordern: 32 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="33"?> 1. Sie müssen zunächst die sprachliche Oberfläche dekodieren und je nach‐ dem, ob das Gedicht im Englisch- oder im Spanischunterricht eingesetzt wird, die Anteile der jeweils anderen Fremdsprache erfolgreich entschlüs‐ seln, falls dafür keine Übersetzung zur Verfügung gestellt wird. Dies ist im Falle des Spanischunterrichts deutlich einfacher, da man bei Spanisch‐ lernenden meist davon ausgehen kann, dass sie bereits Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben und Spanisch als zweite oder dritte Fremdsprache lernen. Sicherlich sind zur Dekodierungsarbeit auch Metho‐ den der Interkomprehensionsdidaktik hilfreich, denn Lernende können - dies gilt insbesondere für narrative Chicano/ a-Texte (vgl. Stamenković 2023: 124-131) - ihr Weltwissen oder die Kenntnisse anderer Fremd- und Familiensprachen nutzen, um kontextgebunden die jeweils unbekannten Anteile der Texte zu dekodieren. 2. Anschließend sollen die Lernenden das im Gedicht entworfene hybride Identitätskonzept des lyrischen Ichs erfassen und analysieren, wie dies durch Mehrsprachigkeit als literarisches Darstellungsverfahren sprachlich realisiert wurde. Beispielsweise könnten im Zusammenhang mit diesem Gedicht folgende Fragen relevant sein: Wer könnte das lyrische Ich sein? Wie fühlt sich die Frau? Welche Rolle spielt die Metapher der Grenze für das Selbstverständnis des lyrischen Ichs? Warum ist das Gedicht zweisprachig verfasst? Was würde sich bei einer einsprachigen Gestaltung an seiner Wirkung verändern? Wie hängen die inhaltliche und die sprachliche Gestaltung des Gedichtes zusammen? 3. Schließlich kann das Gedicht den SchülerInnen als mehrsprachiges Modell für das Verfassen eines eigenen mehrsprachigen Gedichtes dienen, weil es aufzeigt, wie durch eine kreative Kombination sprachlicher Formen den eigenen Erfahrungen mit Sprachen und Kulturen Ausdruck verlie‐ hen werden kann. Eine solche Aufgabe (vgl. Glawion & Stamenković 2015) kann einen Selbstermächtigungseffekt haben, weil ein kreativer und gestalterischer Umgang mit Sprachen unseren Erfahrungen, Gefühlen und Erinnerungen im Kontext von Mehrsprachigkeit Sinn und Kohärenz verleihen kann. Wie aus den obigen Ausführungen deutlich wird, können Lernende beim Umgang mit mehrsprachigen Chicano/ a-Texten einen Einblick in die Mehrspra‐ chigkeit des spezifischen fremdkulturellen Kontexts USA-Mexiko erhalten, der durch wide-reading-Strategien (vgl. Hallet 2007) historisch und politisch kon‐ textualisiert werden muss. Sie können sich in die Perspektive von mehrsprachig und mehrkulturell lebenden Personen hineinversetzen oder sich auch darin wiederfinden. Im Sinne der symbolic competence sollte auch eine Reflexionsfä‐ 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 33 <?page no="34"?> higkeit hinsichtlich der ästhetischen, aber auch der politischen Wirkungen des Sprachenwechsels bei den SchülerInnen angebahnt werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass im Unterricht die inferiore Stellung des Spanischen als Min‐ derheitensprache in den 1960er Jahren und der lange Kampf der Chicanos/ as, diese Sprache in der Öffentlichkeit nutzen zu dürfen, thematisiert werden müssen. Erst unter diesen Voraussetzungen können Lernende verstehen, wie die Chicano/ a-AutorInnen den Wechsel ins Spanische als ein Instrument der Selbstermächtigung nutzen. Mehrsprachige Chicano/ a-Texte können des Weiteren als Brücke zwischen ‚fremder‘ und ‚eigener‘ Mehrsprachigkeit der SchülerInnen fungieren, denn aus den rezeptionsästhetischen Arbeiten (vgl. z. B. Bredella 2007, 2010) ist bekannt, dass Lernende bei der Rezeption literarischer Texte an bereits vorhandene Wis‐ sens- und Erfahrungsbestände anknüpfen, um die Identitäts- und Handlungs‐ entwürfe der Figuren zu erfassen und die im Text präsentierten Perspektiven auf Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität zu verstehen und zu beurteilen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer „doppelten Partizipationsfähigkeit“ (Stamenković 2023: 77), denn die Lernenden erhalten durch diese Texte Zugang zu den fremdkulturellen Diskursen des Grenzraums USA-Mexiko über ihre Mehrheits- und Minderheitensprache und können diese auf Sichtweisen oder Haltungen zu Mehrsprachigkeit der eigenen Lebenswelt beziehen. Wie dieses Potenzial im Englischunterricht umgesetzt werden kann, wurde mit fortge‐ schrittenen Englischlernenden an zwei Gymnasien und zwei Sekundarschulen in Berlin erforscht. Im Folgenden werden das Untersuchungsdesign sowie die Phasen der Datenerhebung und der Datenauswertung kurz skizziert, bevor anschließend anhand exemplarisch ausgewählter Daten dargestellt wird, wie Mehrsprachigkeit in den Unterrichtseinheiten zum Gegenstand des Englisch‐ unterrichts gemacht wurde und wie dieser wiederum mehrsprachig gestaltet werden konnte. 4 Der Einsatz mehrsprachiger Chicano/ a-Texte im Englischunterricht: Vorstellung des Untersuchungsdesigns Das Ziel der hier vorgestellten Studie war es zu erfassen, was SchülerInnen im Umgang mit mehrsprachigen Chicano/ a-Texten (aus Literatur und Filmen) lernen, welche der eingesetzten Unterrichtsdesigns und Unterrichtsaktivitäten in besonderer Weise zur Entwicklung einer mehrsprachigen Diskursfähigkeit beitragen und welche Faktoren diesen Prozess beeinflussen bzw. welche Pro‐ blemfelder sich für die Unterrichtsplanung und die Unterrichtspraxis ergeben können. Die Studie umfasste Unterrichtseinheiten zu zwei mehrsprachigen 34 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="35"?> 2 Für eine detaillierte Übersicht über sprachliche Voraussetzungen der Lerngruppen siehe Stamenković (2023: 274 ff.). Jugendromanen (Caramelo von Sandra Cisneros und Sammy & Juliana in Hollywood von Benjamin Alire Sáenz) sowie zu einem englisch-spanischen Film (Real Women Have Curves von Patricia Cardoso), die mit der Chicano/ a-Lyrik kombiniert wurden. Die Einheiten wurden an unterschiedlichen Schulformen in Grund- und in Leistungskursen Englisch unterrichtet, d. h., dass zum Zeitpunkt der Durchführung im Schuljahr 2015/ 2016 die SchülerInnen durchschnittlich neun Jahre Englisch als erste Fremdsprache gelernt haben. Die Lerngruppen umfassten jeweils zwischen 12 und 22 SchülerInnen im Alter von 16 bis 18 Jahren, von denen einige Spanisch als dritte Fremdsprache lernten, andere keine Vorerfahrungen in dieser Sprache hatten, aber über Kenntnisse des Französi‐ schen oder des Lateinischen verfügten. Auch der Anteil der SchülerInnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache war je nach Lerngruppe sehr unterschiedlich. 2 An der Studie haben vier Lehrkräfte teilgenommen, zwei davon unterrichte‐ ten Englisch und Spanisch, zwei hatten keine oder kaum Vorkenntnisse im Spanischen. Da die mehrsprachigen Chicano/ a-Texte ein neues Genre für die LehrerInnen darstellten, machte die Forscherin Vorschläge zur Textauswahl und Textkombination; die konkrete didaktisch-methodische Planung der Einheiten und die Durchführung des Unterrichts übernahmen die Lehrenden selbst. Die beiden Romane Caramelo und Sammy & Juliana in Hollywood wurden in Auszügen gelesen und durch den Einsatz verschiedener Lehrbuchtexte zu der Situation der Chicano/ a-Community in den USA aus gängigen Lehrwerken für den fortgeschrittenen Englischunterricht kontextualisiert. Vor der Durchführung der Einheit wurden Befragungen mit SchülerInnen und mit der Lehrkraft durchgeführt. Die Lernenden füllten den Fragebogen A (vgl. Stamenković 2023: 268 f.) aus, der vor allem aus den Fragen zu sprachlichen Voraussetzungen der SchülerInnen bestand und die sprachliche und die kultu‐ relle Zusammensetzung der Lerngruppe abbilden sollte. Dieser Fragebogen hatte in Kombination mit dem Fragebogen B (ibid.), der nach der Einheit ausgefüllt wurde, eine wichtige Funktion bei der Auswahl der Interviewpartne‐ rInnen für das retrospektive Schülerinterview, denn es sollten zum Interview Lernende mit verschiedenen sprachlichen Hintergründen und mit möglichst verschiedenen Meinungen zur Lehreinheit eingeladen werden. Die Zuordnung der beiden Fragebögen erfolgte durch einen Code, den sich die SchülerInnen selbst geben mussten. Mit den Lehrenden wurde vor Beginn der Einheit ein kurzes Interview geführt, um ihre ersten Eindrücke zu den gelesenen Chicano/ a- Texten zu erheben und einzuschätzen, welches Potenzial sie vorab diesen 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 35 <?page no="36"?> Texten zuschreiben und wo sie möglicherweise Herausforderungen bei der Durchführung in ihrer Lerngruppe sehen. Die Einheiten erstreckten sich über 14 bis 19 Stunden und wurden vollständig im Klassenraum videographiert, die Gruppenarbeitsphasen wurden akustisch aufgenommen. Zusätzlich wurden Schülerprodukte (Aufgabenblätter, kreative Texte der SchülerInnen, Reflexionsaufgaben etc.) erhoben. Nach der Durchfüh‐ rung der gesamten Unterrichtseinheit wurde allen SchülerInnen der kurze Fragebogen B ausgehändigt, der drei Fragen zu ersten Einschätzungen der Unterrichtseinheit enthielt. Nach der oben beschriebenen Sampling-Strategie wurden anschließend sieben bis acht SchülerInnen zu einem leitfadengestützten Gruppeninterview eingeladen, das teilweise - im Sinne eines fokussierten Interviews - Nachfragen zu den Aussagen auf dem Fragebogen B enthielt (vgl. Stamenković 2023: 270 f.). Mit den Lehrenden wurde ein ausführliches Einzelinterview geführt, in dem sie beispielsweise nach dem Lernzuwachs ihrer SchülerInnen bzw. nach ihren Einschätzungen zu bestimmten Aufgaben bzw. Lernaktivitäten der SchülerInnen befragt wurden. Alle Interviews wurden akustisch aufgezeichnet. Die Daten wurden von der Forscherin transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse kodiert (vgl. Mayring 2010; Kuckartz 2018), wobei die deduktive und die induktive Kategorienbildung kombiniert wurden. Die theoriegeleitete deduktive Kategorienbildung stützte sich auf die theoretischen Erkenntnisse der Mehrsprachigkeits- und der Literaturdidaktik (vgl. Stamenković 2023: 35 ff.), die als Grundlage für die weitere Hypothesengenerierung dienten. Die Katego‐ rienbildung folgte fünf unterschiedlichen Phasen des Unterrichts und spiegelte so auch den Aufbau der Unterrichtseinheiten wider: (1) Dekodierung des mehr‐ sprachigen Textes, (2) Wahrnehmung und Interpretation der Mehrsprachigkeit literarischer Figuren, (3) Mehrsprachigkeit als literarisches Gestaltungsverfah‐ ren, (4) mehrsprachiges Schreiben und (5) die Reflexion des Mehrsprachigkeits‐ lernens. Die induktive Kategorienbildung am Material (vgl. Kuckartz 2018: 72 ff.) führte dazu, dass diese deduktiven Kategorien ausdifferenziert und ergänzt werden konnten. 5 Die ‚fremde‘ und ‚eigene‘ Mehrsprachigkeit als Gegenstand des Englischunterrichts Bei der Beantwortung der Frage, welche Themen oder Aufgaben aus der Unter‐ richtseinheit ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind (Frage 2, Fragebogen B), nahmen viele SchülerInnen Bezug zu den gelesenen Texten und schrieben den Romanen oder dem Film eine große Bedeutung bei der Beurteilung der 36 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="37"?> Unterrichtseinheit zu. Sie fanden es interessant zu erfahren, wie die Situation der Chicano/ a-Community in den 1960er Jahren während der Bürgerrechtsbe‐ wegung gewesen war und wie sie sich im Laufe der Jahre verändert hatte (vgl. Stamenković 2023: 167 ff.). Dies gilt in besonderer Weise für den Roman Sammy & Juliana in Hollywood von Benjamin Alire Sáenz, der das Schicksal junger Chicanos und Chicanas thematisiert, die in ärmlichen Verhältnissen im Viertel „Hollywood“ in den USA (New Mexico) der 1960er Jahre aufwachsen. Sammy und seine Freunde kämpfen gegen den anhaltenden Rassismus und gegen die Gewalt an den Schulen, sind Zeugen des Vietnamkriegs und der be‐ ginnenden Widerstände der mexikanisch-amerikanischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung der vorherrschenden US-Öffentlichkeit. Sammy wurde in den USA geboren und wohnt mit seinem Vater und seiner jüngeren Schwester zusammen, zu Hause und mit den älteren NachbarInnen wird häufig Spanisch gesprochen. Der Roman weist einen eher sporadischen Sprachenwechsel auf, der aus wenigen spanischsprachigen Sätzen besteht, die zwar nicht ins Englische übersetzt werden, aber aus dem Kontext leicht erschließbar sind. Die Handlung des Romans wurde durch Sachtexte zur historischen und politischen Situation der Chicanos/ as kontextualisiert. Die SchülerInnen fanden trotz der „Fremdheit“ des Kontextes Zugang zur Handlung, weil der Roman universelle Themen wie erste Liebe, Freundschaft oder Konflikte an der Schule thematisiert und somit Identifikationspotenzial für Jugendliche bietet. Die Mehrsprachigkeit des Protagonisten Sammy wird an einigen Stellen im Roman explizit angesprochen, sodass die LeserInnen einen Einblick erhalten, wie Sammy mit Spanisch und Englisch aufgewachsen ist und wie sich sein Verhältnis zu den beiden Sprachen mit dem Eintritt in die Schule geändert hat: Lots of kids in Hollywood were afraid of school. There were rumors about what went on in there. ‘They make you hate your mom and dad. They turn you into a gringo.’ […] I knew it wasn’t true. If you weren’t born a gringo, you couldn’t become one. I knew that. I wasn’t afraid of school even though my English wasn’t so great. Not at first. My parents spoke it, but they liked Spanish more. I liked Spanish more, too. School, well, school was an all-English thing. (Sáenz 2004: 114) Deutlich wird aus diesem Ausschnitt, dass Sammy und viele weitere Chicano/ a- Jugendliche die Welt außerhalb ihres Viertels und somit auch die Schule als etwas Fremdes und sogar Gefährliches erleben und befürchten, dass ihnen ihre Identität und ihre Sprache weggenommen werden könnten, sodass sie zu gringos, also zu US-AmerikanerInnen werden. Die beiden Sprachen Englisch und Spanisch erlebt Sammy als gegensätzlich, Spanisch steht ihm als Kind näher, weil es seine Eltern zu Hause sprechen. Auch wenn Sammy keine Angst hat, 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 37 <?page no="38"?> 3 “Nada, nada,” he said, “no hay nada que hacer”. - “Nothing, nothing,” he said, “there is nothing to do”. (Übersetzung von Nevena Stamenković) sich der englischsprachigen Schule zu ‚stellen‘, weiß er wohl, dass er trotz der Sprachkenntnisse und der gelungenen Integration in das US-amerikanische Bildungssystem nie ein gringo und damit ein gleichgestelltes Mitglied der US- Gesellschaft werden wird, denn man werde als gringo geboren und könne zu keinem werden. Dass Spanisch und Englisch für Sammy (und seine Freunde) für zwei schwer miteinander zu vereinbarende Lebenssphären stehen, zeigt auch der folgende Ausschnitt, der die Begegnung Sammys mit dem Amerikaner Eric Fry schildert: “Nada, nada,” he said, “no hay nada que hacer.” 3 I mean, his accent was perfect. Spoke like a native of Chihuahua. That’s what pissed me off. Here he was, this rich gringo, nice looking, sort of, if that was your type, had everything, was nice to everybody, the works, the whole package - and everybody thought he was so fucking far-out and groovy because he spoke Spanish. Nobody thought Mexicans were far-out and groovy because we spoke English. (ibid.: 140) Erics gute Spanischkenntnisse rufen bei Sammy Ärger hervor und er weigert sich, diese Sprache mit ihm zu sprechen. Eric wirke dadurch noch privilegierter und bekomme für sein perfektes Spanisch Lob und Würdigung, die umgekehrt Chicanos/ as für ihre meist sehr guten Englischkenntnisse nie erhalten würden. Diese kurzen Episoden aus dem Roman zeigen, wie Sammy über den unter‐ schiedlichen Status der beiden Sprachen reflektiert, welche Gefühle er mit ihnen verbindet und wie getrennt er ihren Gebrauch in seinem Umfeld erlebt. Zum einen erhalten die Lernenden dadurch Einblick in Konflikte und widersprüch‐ liche Situationen, denen sich mehrsprachige Menschen stellen müssen, und zum anderen werden sie dafür sensibilisiert, dass Sprachen mit unterschiedlichem sozialen Prestige und mit unterschiedlichen Privilegien assoziiert werden. Im Sinne der symbolic competence können sie ausgehend von diesem Text darüber nachdenken, welche Wirkungen eine bestimmte Sprachenwahl haben kann und wie sie ihre SprecherInnen im Kontext eines Gesprächs gegenüber ihren GesprächspartnerInnen positioniert. Die Fallstudie, auf die hier Bezug genommen wird, zeigt aber auch, dass die SchülerInnen ausgehend vom Roman nicht nur über die Mehrsprachigkeit als kollektives und individuelles Phänomen des fremdkulturellen Diskurses USA-Mexiko reflektieren können, sondern dass durch diese Reflexion auch ihre eigene Mehrsprachigkeit zum Gegenstand des Englischunterrichts werden kann. Die Einheit wurde an einem Berliner Gymnasium in einem Englischkurs 38 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="39"?> 4 „The Brown Berets emerged in the late 1960s as an organization that reflected the politicization of Chicano youth and their frustration with reformist politics. The Brown Berets incorporated a militant practice of community empowerment as Chicanos, members of a racial and ethnic minority.“ (Espinoza 2008: 208 f.) mit 17 SchülerInnen durchgeführt: Elf SchülerInnen gaben an, neben dem Deutschen noch eine andere Sprache zu Hause zu sprechen, zehn SchülerInnen hatten Vorkenntnisse im Spanischen, sieben lernten Französisch. Eine der größten Herausforderungen bei der Durchführung dieser Studie bestand darin, Unterrichtssituationen zu kreieren, die es den SchülerInnen ermöglichen, die Mehrsprachigkeit der literarischen Figuren nicht nur analy‐ tisch zu erfassen, was beispielsweise durch gezielte Fragen zu den beiden oben zitierten Auszügen möglich gewesen wäre, sondern durch kreativ-produktive Verfahren einen Raum für das Erleben und das Erfahren der Mehrsprachigkeit zu schaffen. Eine geeignete Methode erschien die szenische Lesung einer der Schlüsselszenen des Romans, in der Sammy und seine Freunde über ihre Zukunft nachdenken, wobei deutlich wird, dass ihre Pläne, Hollywood zu verlassen, aussichtlos bleiben. Einer der besten Freunde Sammys, Pifas, teilt seinen Freunden in dieser Szene mit, in den Vietnamkrieg ziehen zu wollen: “You’re drunk, Pifas.”/ “Fuckin’ A, René,” he said. “¿Y qué? But I’m goin’ in the pinche Army.”/ René had this sick look on his face, like he just couldn’t believe it. “Órale, Pifas, don’t be a pendejo. What are you gonna do in the army? There’s a war goin’ on, ese. Don’t you pay attention? Hollywood isn’t enough for you? Shit, ese, you’re joining the system instead of fucking fighting it. You should join the Brown Berets 4 , not the fucking Army.” (ibid.: 75) Dass Pifas und René wütend und aggressiv sind, wird anhand ihrer teilweise vulgären Sprache und des Sprachenwechsels deutlich, wobei es sich hier ledig‐ lich um einzelne Wörter handelt, die für das mexikanische Spanisch typisch sind: „¿y qué? “- und was? ; „pinche“- etwa: verdammt; „órale“- los; „pendejo“ (abwertend) - Idiot. Diese Entscheidung erweist sich für Pifas als fatal, denn er stirbt im Krieg. Vielen SchülerInnen ist es zunächst schwergefallen, Pifas Situation zu verstehen. Aus den Gruppengesprächen (vgl. Stamenković 2023: 185 f.) wurde deutlich, dass sie sich sehr auf den Alkoholkonsum Pifas stützten und seinen Unmut und seine Wut damit erklärten. Die Tragik und die Schwere seines Schicksals sowie die politischen Bedingungen, vor deren Hintergrund diese Szene spielt, wurden ihnen erst nach der szenischen Lesung deutlich. Die SchülerInnen erhielten den Auftrag, die Rollen der an der Szene beteiligten Freunde arbeitsteilig mit einem besonderen Fokus auf ihr Sprachverhalten zu erarbeiten und die Textpassage (vgl. Sáenz 2004: 74 ff.) szenisch mit Einsatz von 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 39 <?page no="40"?> Stimme, Mimik und Gestik zu lesen. Die Lesung wurde geprobt und anschlie‐ ßend möglichst frei an einem Ort ihrer Wahl (Treppenhaus, Klassenraum, Flur) den anderen vorgestellt. Die Ergebnisse können nicht im Detail besprochen werden; es sei hier aber auf eine zentrale Aussage eines Schülers verwiesen, der nach eigenen Angaben neben dem Deutschen das Arabische im Familienkontext nutzt. Nach der Lesung fragte die Lehrerin, wie die SchülerInnen die Szene erlebt haben: I feel really like a Pifas because of the accent and because of the Spanish words that I use. I think it’s interesting to speak two different languages at the same time. And everybody understood me. It was only some words like ‘órale’ and yes… So, it’s like me when I speak German with Arabic, it’s the same mix. (Stamenković 2023: 187 f.) Interessant ist, dass der Aspekt der Mehrsprachigkeit in der vorherigen Analyse des Sprachgebrauchs von Pifas bei diesem Schüler keine Rolle gespielt hat; er scheint den Sprachenwechsel erst während der Lesung als ein wesentliches Merkmal Pifas Identität wahrzunehmen. Der Schüler entwickelt scheinbar eine gewisse Nähe zur Figur und identifiziert sich sogar mit seiner Mehrsprachigkeit - Pifas klinge wie er beim Mischen des Arabischen und Deutschen. Diese Aussage deutet darauf hin, dass auch wenn die Lehrerin mit ihrer Impuls‐ frage keinesfalls die Rolle lebensweltlicher Mehrsprachigkeitserfahrungen des Schülers adressiert, dieser die Erfahrung der literarischen Mehrsprachigkeit automatisch an seine eigene Mehrsprachigkeit knüpft und diese ihm hilft, sich in die Romanfigur hineinzuversetzen. Diese Aufgabe wird in dem retrospektiven Interview von den meisten SchülerInnen als überaus positiv wahrgenommen, vermutlich weil sie - anders als kognitiv-analytische Verfahren - eine emotionale Teilhabe an der literari‐ schen Mehrsprachigkeit und an dem Schicksal von Pifas ermöglicht und es den Lernenden erleichtert, sich in seine Perspektive hineinzudenken. Solche handlungsorientierten Verfahren ermöglichen also ein Vortragen, Vorlesen und Mitgestalten von Mehrsprachigkeit, wobei die Lernenden - durchaus im Sinne der symbolischen Kompetenz - verschiedene Positionierungen ausgestalten und dabei eine Brücke zu ihrer eigenen Mehrsprachigkeit schlagen können. 6 Mit kreativen Schreibanlässen den Fremdsprachenunterricht mehrsprachig (mit)gestalten Damit die Lernenden zu MitgestalterInnen des mehrsprachigen Klassenzimmers werden, sind Methoden notwendig, die Freiräume für kreativen Ausdruck, für Aushandlungsprozesse in verschiedenen Sprachen und für einen freien 40 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="41"?> 5 Me’stan volviendo loca - Sie machen mich verrückt. (Übersetzung von Nevena Stamen‐ ković) Austausch über diese Erfahrungen bieten. Die Datenauswertung der in der Dissertation präsentierten Fallstudien zeigt, dass dies vor allem die Phasen sind, die sich an die Rezeption der Chicano/ a-Texte anschließen und Lernenden den Raum geben, ein Gedicht in ihren Sprachen zu gestalten (vgl. Stamenković 2023: 143-157, Fallstudie 1; 189 ff., Fallstudie 2). Auch wenn in der Einheit vornehmlich mit narrativen Texten gearbeitet wurde, wurde den SchülerInnen am Ende ein mehrsprachiges Chicano/ a-Gedicht präsentiert, das zunächst in Bezug zum Roman gesetzt werden sollte und anschließend als Vorlage für das Schreiben eines eigenen Gedichtes diente. Als solche generischen Modelle dienten das Gedicht „She“ von Sergio Elizondo (1977: 62 f.) und das Gedicht „Legal alien“ von Pat Mora (1985: 52), an dem sich die vorhin vorgestellte Lerngruppe beim Schreiben orientieren sollte. Bi-lingual, Bi-cultural, able to slip from “How’s life? ” to “Me’stan volviendo loca,” 5 able to sit in a paneled office drafting memos in smooth English, able to order in fluent Spanish at a Mexican restaurant, American but hyphenated, viewed by Anglos as perhaps exotic, perhaps inferior, definitely different, viewed by Mexicans as alien, (their eyes say, “You may speak Spanish but you’re not like me”) an American to Mexicans a Mexican to Americans a handy token sliding back and forth between the fringes of both worlds by smiling by masking the discomfort of being pre-judged Bi-laterally. 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 41 <?page no="42"?> 6 Die deutsche Übersetzung aus dem Türkischen ist nicht Teil des Originalgedichtes und erfolgte nachträglich durch eine Muttersprachlerin aus dem Umfeld der Forscherin. Ähnlich wie bei dem zuvor zitierten Gedicht von Gina Valdés wird auch hier das Leben im Grenzraum zwischen den USA und Mexiko als eine unangenehme Erfahrung („discomfort“) dargestellt, da sich das lyrische Ich weder dem einen noch dem anderen Kulturkreis zugehörig fühlt. Sie wird weder als Mexikanerin noch als US-Amerikanerin („American but hyphenated“) wahrgenommen, den einen erscheint sie exotisch und den anderen fremd - obwohl sie beider Spra‐ chen mächtig ist und am Leben beider Gemeinschaften teilzunehmen versucht („paneled office“ und „Mexican restaurant“). Die in dieser Lerngruppe entstandenen Gedichte sind weder die sprachlich elaboriertesten noch die inhaltlich komplexesten Lernertexte (vgl. Beispiele aus der ersten Fallstudie, Stamenković 2023: 143-157). Sie sind im Unterricht in einer Einzelstunde entstanden, sodass es kaum Zeit gab, sie sprachlich oder inhaltlich zu überarbeiten oder zu reflektieren. Reflektiert wurde die Schreiberfahrung lediglich im retrospektiven Gruppeninterview. Die Lehrerin gab vor, dass eine der verwen‐ deten Sprachen der Gedichte Englisch sein sollte. Da in dieser Lerngruppe mehr als die Hälfte der SchülerInnen nach eigenen Angaben neben dem Deutschen noch eine andere Sprache zu Hause sprach, handelten viele ihrer Gedichte von den Herkunftskulturen ihrer Familien bzw. wurden teilweise in den Herkunftssprachen verfasst. Anbei werden exemplarisch zwei Auszüge zitiert (ibid.: 191f.): You ask me what I mean By saying I lost my mother tongue Doch ich frage dich, was würdest du tun, if you lived in a place you had to speak a foreign tongue. You could not use them together. […] When I speak Serbian, it comes from my heart because it’s my mother tongue. Nevertheless, I feel safer, wenn ich Deutsch rede. iki dil, iki dünya, zwei Sprachen, zwei Welten 6 talking in two languages […] - Is it only the language? - Kültür farki? Kulturunterschied 42 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="43"?> 7 Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym. iki dül, iki dünya […] zwei Sprachen, zwei Welten eine language international, bir dil se auch wenn es eine Sprache ist de sadece kalbin de in deinem Herzen two cultures? two languages? - Yoksa bir dil, bir dünya? Oder eine Sprache, eine Welt? turklish me? ist es turklish? Die SchülerInnen weisen in den beiden Gedichten sehr unterschiedliche Be‐ deutungen ihren Herkunftssprachen (Serbisch und Türkisch) zu, was allein schon dadurch erkennbar ist, dass das erste Gedicht gar kein Serbisch enthält und das andere beide Sprachen alternierend verwendet. Serbisch und Deutsch werden im ersten Beispiel als unvereinbar dargestellt („You could not use them together.“); Serbisch wird als Muttersprache bezeichnet, das Deutsche als fremde Sprache oder Fremdsprache („foreign tongue“). Der Auszug endet mit einem Widerspruch: Das Serbische scheint die Herzenssprache zu sein, das Deutsche aber gibt Sicherheit („I feel safer“), vermutlich auch weil die Schülerin in Deutschland geboren ist und daher das Deutsche auch deutlich besser beherrscht. Aus anderen Äußerungen der Schülerin wird deutlich, dass sie dem Deutschen einen höheren Bildungswert beimisst und es daher für wichtiger erachtet: „I talk to my siblings only German and my brother is in the first class and I think it’s important to speak rather German than Serbian.“ (ibid.: 190) Dies führt zu einem Verlust ihrer Herkunftssprache („I lost my mother tongue“), den sie zu verteidigen versucht. Das Serbische scheint für sie keinen Bezug zur Schule oder zum Fremdsprachenunterricht zu haben, was vielleicht die Tatsache erklären könnte, dass es im Gedicht gar nicht vorkommt. Das zweite Gedicht löst die Grenzen zwischen Englisch und Türkisch auf und übernimmt die Dialogstruktur von Pat Mora, allerdings wird das Leben zwischen den beiden Sprachen nicht negativ konnotiert - vielmehr verschmelzen die beiden Sprachen in einem erfundenen Nomen „turklish“ und scheinen im „Herzen“ nicht getrennt voneinander zu existieren. Wie an anderen Stellen in der Studie, thematisieren die SchülerInnen die Kenntnisse der Herkunftssprache, die sie im Gedicht eingesetzt haben, als weniger gut und artikulieren ihre Unsicherheiten beim Schreiben: „Ich habe halt gemerkt, immer wenn ich Türkisch geschrieben habe, habe ich gemerkt, dass ich die türkische Rechtschreibung nicht so gut beherrsche, noch schlechter als die deutsche. Dann musste ich immer Nuria 7 fragen oder im Internet nachschauen, weil ja Türkisch ist immer noch ein bisschen anders.“ (ibid.: 192) Das Verhältnis zu den Herkunftssprachen ist also widersprüchlich, die Schülerinnen empfinden eine 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 43 <?page no="44"?> emotionale Nähe, die Sprache bleibt ihnen aber trotzdem fremd bzw. sie wird mit großen Unsicherheiten assoziiert. Diese kurzen Auszüge zeigen auf, dass es durch die Orientierung am Chi‐ cana-Gedicht gelingt, die beiden Schülerinnen mit Mustern auszustatten, ihre Mehrsprachigkeit und ihre Einstellungen zu Sprachen kreativ auszudrücken. Sie machen auch deutlich, dass Lernende dem Austausch über ihre Sprachen eine hohe persönliche Relevanz zuweisen, dass sie aber diese Sprachen häufig außerhalb des schulischen Fremdsprachenunterrichts verorten, möglicherweise auch, weil sie sie weniger gut als das Deutsche beherrschen oder eher als „private“ Familiensprachen erleben. Es ist zu vermuten, dass Herkunftssprachen kaum eine Rolle in ihrem (Englisch-)Unterricht spielen (vgl. auch Hu 2010), was die Unsicherheiten der Schülerinnen noch verschärfen und den Eindruck erwe‐ cken könnte, sie seien als Bildungsressourcen unnötig und sogar hinderlich. Daher gilt es, diesem immer noch vorherrschenden „monolingualen Habitus“ (vgl. Gogolin 1994) der deutschen Schule entschieden entgegenzutreten, um Lernenden zu ermöglichen, sich mit der Gesamtheit ihres sprachlichen und kulturellen Repertoires in den Fremdsprachenunterricht einzubringen. Die Ausrichtung auf Mehrsprachigkeitsförderung und die Öffnung gegen‐ über Herkunftssprachen der SchülerInnen stellt Lehrende und ihr unterrichtli‐ ches Handeln aber auch vor einige Herausforderungen, die es zu adressieren gilt, damit diese Ziele wirklich erreicht werden können. Zum einen wurde im Kontext des Englischunterrichts klar, dass Lehrende unsicher sind, welche Rolle die Zielsprache Englisch bei mehrsprachigen Aufgaben haben sollte: Einige entschieden sich dafür, Englisch als Sprache der Gedichte vorzugeben, andere stellten dies den SchülerInnen frei. Fand ein Reflexionsgespräch im Anschluss an das Vortragen der Gedichte statt, wurde in diesem häufiger ins Deutsche gewechselt (vgl. Stamenković 2023: 152 ff.), vermutlich weil es um Themen ging, denen die SchülerInnen eine hohe emotionale Relevanz zuwiesen und sie sich deshalb freier fühlten, die Gedanken und Gefühle in der Sprache zu artikulieren, die ihnen am nächsten steht. So hat man bei den oben zitierten Gedichten den Eindruck, dass sie die beiden SchülerInnen lieber auf Deutsch verfasst hätten, denn letztendlich werden thematisch ihre Alltagssprache Deutsch und die Sprache der Familie, Serbisch oder Türkisch, aufeinander bezogen. Trotzdem bleibt die Frage, ob nicht im Englischunterricht die Einstellungen und die Bedeutungen, die die Lernenden dem Englischen als ihrer ersten Fremdsprache zuschreiben, stärker in den Fokus rücken sollten und ob die SchülerInnen mit sprachlich-diskursiven Kompetenzen ausgestattet werden sollten, um die Refle‐ xionsgespräche zu den Gedichten nicht im Deutschen, sondern im Englischen durchführen zu können. Darin könnte auch ein fachspezifischer Beitrag des 44 N E V E N A S T A M E N K O V I Ć <?page no="45"?> Englischunterrichts zu fächerübergreifenden Aufgaben der Mehrsprachigkeits‐ förderung liegen. 7 Fazit Die Einblicke in die empirische Studie zum Einsatz mehrsprachiger Chicano/ a- Literatur im Englischunterricht zeigen das vielfältige Potenzial dieser Texte für die Thematisierung von Mehrsprachigkeit als individuellem und kollektivem Phänomen des Grenzgebiets zwischen den USA und Mexiko, aber auch der eigenen Lebenswelt der SchülerInnen. Durch die jugendlichen ProtagonistInnen der Texte erhalten die Lernenden Zugang zur mehrsprachigen Chicano/ a-Com‐ munity, lernen aber auch ihre Sichtweisen auf Sprachen und Kulturen und die damit gemachten Erfahrungen in der eigenen Lebenswelt (neu) zu reflektieren und zu hinterfragen. Insbesondere Gedichte scheinen sich als Ausgangspunkt dafür anzubieten, dass Lernende „mit sich selbst ins Gespräch […] kommen“ (Elsner 2012: 410), das Verhältnis zu ihren Sprachen kreativ zu artikulieren und sich diesbezüglich mit MitschülerInnen und mit der Lehrperson auszutauschen. Gerade die letzten Ausführungen haben aber auch gezeigt, dass die Öffnung des Englischunterrichts für die Präsenz anderer Fremdsprachen (hier des Spa‐ nischen) und der Herkunftssprachen der SchülerInnen einige Unsicherheiten bei Lehrenden und Lernenden hervorruft (vgl. auch Stamenković 2023: 218 ff.), die die Rolle der Zielsprache Englisch betreffen. Daher erscheint es mir wichtig zu betonen, dass die Arbeit mit mehrsprachiger Literatur und die Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für andere Fremd- oder Herkunftssprachen keines‐ falls mit der Vorstellung verbunden ist, die Priorität des Englischen als Arbeits- und Zielsprache im Englischunterricht aufzugeben. Bei der Auswahl der Texte ist darauf zu achten, dass sie - so wie die hier vorgestellten Beispiele - vornehm‐ lich in der Zielsprache des Unterrichts verfasst sind und dass die Einschübe in der von den SchülerInnen jeweils weniger oder gar nicht beherrschten Sprache aus dem Kontext heraus verständlich bleiben. Gleichwohl muss sich der Englischunterricht als erste lebende Fremdsprache für seine Rolle als „gateway to languages” (Schröder 2009) öffnen und gegen sein Image als „Killersprache“ (ibid.: 71) vorgehen. Dafür könnte der Einsatz mehr‐ sprachiger Literaturen eine wichtige Chance bieten. Das große Potenzial, das sich durch die Mehrsprachigkeit dieser Literatur im Englischunterricht entfalten kann, liegt in der Wahrung der sprachlichen und kulturellen Diversität und Komplexität des zielkulturellen Grenzraums USA-Mexiko, bei deren Deutung die SchülerInnen unweigerlich auf ihre vorhandenen sprachlichen Ressourcen, 1 Mehrsprachig lesen und lernen! 45 <?page no="46"?> auf ihre Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität zurückgreifen und diese so auch weiterentwickeln können. 8 Literaturverzeichnis Aguilar, J., Breidbach, S., Fäcke, C., González-Davies, M. & Koch, C. (Hrsg.) (2024). Language education and multilingualism. The LANGSCAPE Journal. Vol.-7: Reading and teaching multilingual literary texts. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.18452/ 30 856 [27.03.2025]. Anzaldúa, G. (1987). Borderlands/ La frontera. The new mestiza. San Francisco: Aunt Lute Books. Bär, M. (2009). Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. 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It is through these musical and interpretative dimensions that rich insights into cultural nuances and idiosyncrasies of the target language’s country are communicated. In our contribution, we aim to align with contemporary trends in popular music research, which advocate for a more holistic approach to analysis, emphasising not only the textual aspects but also delving into the music and performance elements. Additionally, we seek to illustrate how the use of popular music in foreign language instruction can foster the development and refinement of literary, audio-visual, and transcultural competences. Drawing on examples from the vibrant music scene of Naples, where the comprehension of lyrics may be impeded by the use of dialect, we intend to showcase an alternative approach to incorporating popular music in foreign language teaching. Here, the focus shifts away from exclusively understanding song lyrics, instead emphasising the auditory experience of the language itself, intertwined with the musical composition. This approach offers a nuanced pathway to gaining insights into the specific (trans)cultural characteristics of the target country. <?page no="52"?> 1 Einleitung Als die italienische Rockband Måneskin 2021 mit „Zitti E Buoni“ den Eurovision Song Contest (ESC) gewinnt, ahnt niemand, welche Wellen das bei jugendlichen MusikhörerInnen schlagen würde. Von einem Tag auf den anderen beginnen Jugendliche in Österreich und Deutschland (und vermutlich auch anderswo) sich für italienische Popmusik zu begeistern und - um ihre Idole verstehen zu können - auch für die italienische Sprache zu interessieren. (cf. Lange 2021: 2) Mit dem Auftritt von Mahmood & Blanco 2022 (mit dem Song „Brividi“) gelingt Italien zwar nicht die Titelverteidigung beim ESC, sein Image als Land mit einer modernen und progressiven Musikszene, die für jugendliche HörerInnen attraktiv ist, kann es aber weiter festigen. Neben pragmatischen und fachdidaktischen Argumenten, die für den Einsatz von Canzoni im Fremdsprachenunterricht (FSU) Italienisch sprechen - wie die Kürze des Genres, die einfache Verfügbarkeit, die Authentizität und Bedeutung für die Zielsprachenkultur - verweisen die einführenden Ausführungen zu Italiens Erfolgen beim ESC in den 2020er Jahren auf einen weiteren, gewichtigen Faktor: Musik zu hören ist ein wesentlicher Teil sozialer Praktiken von Jugendlichen, wie der Musiksoziologe Michael Huber in seiner Studie Musikhören im Zeitalter Web 2.0 bestätigt: „Für viele (vor allem junge) HörerInnen ist die Beschäftigung mit Musik im Internet zur alltäglichen Gewohnheit geworden, nicht exklusiv, sondern als eine von mehreren Aktivitäten, die ihren medienintensiven Alltag prägen.“ (Huber 2017: 78) Die Einbindung von Canzoni in den FSU Italienisch bedeutet demnach, den oft mit Mühen einhergehenden Erwerb einer Fremdsprache an eine vertraute alltägliche soziale Praxis zu knüpfen und die damit verbundenen positiven Gefühle für den Unterricht fruchtbar zu machen. Der multimodale Charakter der Canzone, von dem gleich noch die Rede sein wird, entspricht darüber hinaus den Rezeptionsgewohnheiten der Generation „Web 2.0“, einer Rezeption, die vielfach über auditive und visuelle Kanäle gleichzeitig verläuft. Die Erkenntnis, dass Canzoni für den FSU Italienisch interessant sind, ist freilich nicht neu, was die Zahl jüngerer Publikationen zum Einsatz von Canzoni im FSU Italienisch deutlich macht (Telve 2010; Caon & Spaliviero 2020; Biasiolo & Mamoli 2020). Im Unterschied zur aktuellen Populärmusikforschung, die die Partikularität der Canzone in der unauflöslichen Verbindung von Text, Musik und Interpretation (stimmlich und performativ) sieht, tendieren chansondidaktische Publikationen nach wie vor zu einer Sprach- und Textzentriertheit. Sei es, dass die Beschäftigung mit Canzoni als Möglichkeit der Annäherung an die mündliche Sprache bzw. generell an Sprachregister gesehen wird (Telve 2010) oder als Annäherung an die - im L3-Unterricht ansonsten eher ausgegrenzte - Literatur (Caon & Spaliviero 2020), sei es, dass die Vermittlung landeskundlicher und geschichtlicher Themen, 52 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="53"?> 1 Auf der Webseite des italienischsprachigen Zweiges der IASPM lesen wir dazu: „La popular music non è uno stile musicale, ma una galassia di musiche comprendente un vasto insieme di stili e generi circolanti attraverso i media e fruiti da un pubblico di massa. Ciò vuol dire ad esempio rock, pop, punk, rap e canzone d’autore, ma anche world music, musica per cinema e televisione, e persino musiche ‘classiche’ ed ‘etniche’ immer gepaart mit sprachlichen, insbesondere grammatikalischen Kompetenzen, im Mittelpunkt steht (Biasiolo & Mamoli 2020). Bei Zugriffen dieser Art kommt es nicht nur zu einer Vernachlässigung von Musik und stimmlicher sowie performativer Interpretation als bedeutungsrelevante Bestandteile der Canzone, sondern auch zur ‚Verwandlung‘ eines Kunstwerks in ein ‚Trainingsgerät‘ für sprachliche und eventuell noch kulturelle Kompetenzen. Wir möchten in unserem Beitrag aus fachwissenschaftlicher und fachdidak‐ tischer Sicht danach fragen, wie alternative Zugriffe auf Canzoni im FSU Italienisch aussehen könnten, die sich an den Erkenntnissen der aktuellen Populärmusikforschung orientieren und die Trias Text-Musik-Interpretation ernst nehmen. Es soll zunächst ein Einblick in diese interdisziplinäre, vor allem kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschungsrichtung gewährt wer‐ den, bevor anhand von konkreten Beispielen mögliche didaktische Zugriffe entwickelt werden. In der Arbeit mit den Beispielen aus der neapolitanischen Canzone-Tradition soll der Schwerpunkt auf die Möglichkeiten der Vermittlung von transkulturellen sowie literarischen und audiovisuellen Kompetenzen ge‐ legt werden. 2 Wichtige Konzepte der (zeitgenössischen) Populärmusikforschung. Text-Musik-Interpretation Der Begriff der ‚Populärmusik‘, mit dem hier umgegangen wird, ist angelehnt an die bekannte Systematisierung des englischen Musikologen Philip Tagg, durch welche die Popular Music sich von der Art Music und der Folk Music vor allem durch ihre massenmediale Verbreitung und ihre auf Profit ausgerichteten, industriell geprägten Produktionsbedingungen unterscheidet (cf. Tagg 1982). Mit Taggs Zuschreibungen operiert auch die Definition der Populärmusik auf den Seiten der International Association for the Study of Popular Music (IASPM), die zusätzlich klarstellt, dass populäre Musik „kein Musikstil, sondern ein weiter Bereich verschiedener musikalischer Stile und Gattungen“ ist, zu dem neben Rock, Pop, Punk, Rap oder Liedermacherproduktionen auch Genres wie Weltmusik, Film- oder TV-Musik und sogar medial neu aufbereitete Formen von klassischer Musik oder Volksmusik gehören. 1 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 53 <?page no="54"?> riciclate dal sistema dei media.” (Verfügbar unter: http: / / www.iaspmitalia.net/ cose-la-i aspm/ [14.08.2024]) 2 Der Begriff war darüber hinaus namengebend für eine repräsentative Forschungsein‐ richtung an der Universität Innsbruck, das Archiv für „Textmusik in der Romania“ (https: / / www.uibk.ac.at/ de/ romanistik/ textmusik-in-der-romania/ ) mit seinem wich‐ tigsten Publikationsorgan, der Open Access-Zeitschrift ATeM - Archiv für Textmusik‐ forschung-(verfügbar unter: https: / / atem-journal.com [14.08.2024]). 3 Im Original: „[…] présuppose la superposition et l’interpénétration des composantes individuelles aboutissant à une signification propre, globale, qui transcende la somme des significations individuelles“. Keineswegs deckungsgleich mit dem Begriff der ‚Populärmusik‘ (und tenden‐ ziell eher in der deutschsprachigen Forschungslandschaft verbreitet) ist jener der ‚Textmusik‘, der jedoch ebenfalls kurz eingeführt werden soll, da er relevante Einblicke in die hier interessierenden Fragestellungen zu bieten vermag. Der Begriff ‚Textmusik‘ erscheint erstmals in einem programmatischen Aufsatz von Ursula Mathis-Moser (1987) und wird ausgehend von einer Systematik des Komparatisten Steven Paul Scher zu den möglichen Verbindungen und Bezügen zwischen Musik und Literatur konzipiert. Die Kategorien von Scher lassen sich in aller Kürze wie folgt beschreiben: „Literatur in der Musik“ (beispielsweise Programmmusik wie in Peter und der Wolf von Prokofjew), „Musik in der Literatur“ (wobei musikalische Elemente ins Medium der Literatur transponiert werden, etwa durch ‚Wortmusik‘ in der Dichtung), sowie schließlich „Musik UND Literatur“. Letztere nun umfasst all jene Ausdrucksformen, bei denen beide Künste in ein und demselben Kunstwerk gemeinsam und gleichzeitig gegen‐ wärtig sind. Während Scher für diese Verbindung die Bezeichnung ‚Vokalmusik‘ verwendet, führt Mathis-Moser, auch im Rückgriff auf Werner Faulstich (1978), den Begriff der ‚Textmusik‘ ein. 2 Diese umfasst sowohl die textbasierten Formen der Populärmusik wie Chanson, Schlager, Pop, Rock, Rap, World Music usw., als auch traditionelle Mischformen von Text und Musik wie Oper, Operette, Musical, Spielarten des Kunst- und Volkslieds und etliches mehr. Wie Mathis-Moser in anschließenden Forschungen, etwa in ihrer Habili‐ tationsschrift zu Existentialismus und französisches Chanson, betont hat, ist in jeder Form von Textmusik, neben den beiden im Begriff aufscheinenden Komponenten, also ‚Text‘ und ‚Musik‘, notwendigerweise immer auch noch eine dritte Komponente impliziert, ohne die diese Ausdrucksform rein hypothetisch oder virtuell bleiben würde, nämlich jene der ‚Interpretation‘. In einem Artikel von 2015 definiert Mathis-Moser das Chanson als eine „Überlagerung und Interaktion einzelner Komponenten [Text, Musik, Interpretation], die erst im Zusammenspiel eine eigene und umfassende Bedeutung schaffen, die über die Summe der einzelnen Bedeutungen hinausgeht“ (Mathis-Moser 2015: 26). 3 54 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="55"?> 4 Er spricht von einer „intrication texte-musique-interprétation“ (Hirschi 2008: 30), von einer untrennbaren Verwobenheit von Text-Musik-Interpretation. 5 „[…] c’est bien l’interprétation qui crée la chanson […]“. Und etwas weiter: „C’est à partir de l’interprétation que la chanson peut être pensée comme un art à part entière.“ (ibid.: 29-30) Hirschi führt weiter aus, dass nur so erklärbar sei, dass für uns „Je ne regrette rien“ ein Chanson von Edith Piaf ist, obwohl der Text von Michel Vaucaire und die Musik von Charles Dumont stammen. Dieses Modell, das sich in der Formel T-M-I darstellen lässt, wurde in der Folge von Renate Klenk-Lorenz (2006) weitergedacht, die mit Blick auf die Chansondidaktik (Untertitel: Wege ins Hypermedium. Impulse für den modernen Französischunterricht) sämtliche mögliche Schnittstellen von T-M-I auslotet und das Modell überdies mit den vier Medientypen (Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartärmedien) kombiniert. So findet, um diese beeindruckende und für viele Forschungsansätze überaus nützliche Systematik zumindest kurz durch Beispiele zu illustrieren, bei einem Straßensänger die Verbindung von T-M-I auf allen drei Ebenen in den primären Medien statt, was Klenk-Lorenz mit T1-M1-I1 markiert, während etwa eine Karaoke-Nummer, wo der Text und die Musik aus dem Computer kommen, aber ‚live‘ gesungen wird, als T4-M4-I1 dargestellt werden kann. Einen wesentlichen Bereich dessen, was mit dem Begriff der ‚Textmusik‘ umfasst wird, stellt der populäre Song dar, das heißt im Falle der textbasierten Populärmusik aus dem italienischbzw. französischsprachigen Kulturraum, die wir als Romanistinnen beforschen, die Canzone bzw. das Chanson. Dass zu beiden eine umfangreiche Forschungsliteratur existiert, liegt auf der Hand. Mit dem Ziel einer klareren Fokussierung der vorliegenden Überlegungen ist es lohnend, einen Blick auf die Chansonforschung und dort insbesondere auf die sogenannte Cantologie zu werfen, eine umfassende Analysemethodologie des Chansons, die von Stéphane Hirschi begründet wurde. Für unsere Fragestellung ist dieser Ansatz insofern relevant, als auch Hirschi für das Chanson die organische Gesamtheit von Text, Musik und Interpretation betont, 4 was er in einem eigenen Kapitel seiner Studie Chanson. L’Art de fixer l’air du temps (2008) ausführlich erläutert. Auch für ihn (wie für Mathis-Moser oder Klenk-Lorenz) lässt erst die Interpretation ein Chanson wirklich entstehen, 5 wobei das Konzept der Interpretation von Hirschi vorrangig als Präsenz des Körpers gefasst wird, und zwar zuallererst eines Stimmkörpers, zu dem bei einer visuell sichtbaren Performance weitere Dimensionen, insbesondere die gestische, hinzukommen. Eine besondere Betonung erfährt bei seiner Beschreibung des Chansons auch der Faktor der Zeitlichkeit, im Sinne jener fixierten Dauer, die für ein Chanson normalerweise zur Verfügung steht. Hirschi definiert sie als „un déroulement 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 55 <?page no="56"?> identiquement rythmé et mesuré pour tous les récepteurs“ (Hirschi 2008: 30), also „einen für alle Rezipienten auf identische Weise rhythmisierten und quantifizier‐ ten Verlauf“. Interpretation und rhythmisierte Dauer fließen in die Definition des Chansons durch Hirschi ebenso ein wie die Komponenten von Text und Musik, deren unauflösliche Interdependenz (und mithin Gleichberechtigung) er unter anderem durch folgende Formulierung auf den Punkt bringt: „un air fixé par des paroles“, „eine durch Worte fixierte Melodie“ (Hirschi 2008: 29). Der Chansontext wird somit auch bei ihm nie unabhängig von der musikalischen Umsetzung gedacht. So bezieht er denn in einem weiteren Kapitel explizit zum „Missverständnis der Beziehungen von Chanson und Lyrik“ („Le malentendu des relations entre chanson et poésie“, so der Titel des Kapitels) Stellung und unterscheidet dort zwischen zwei Varianten im Schaffensprozess: Während die mise en musique-dezidiert nur die Lyrikvertonung meint, bei welcher der lyrische Ausgangstext im Mittelpunkt steht und in seiner ursprünglichen Form erhalten bleibt bzw. bleiben soll, ist die mise en chanson ein Schaffensprozess, bei dem Text und Musik in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen, was durchaus mit Modifizierungen des ursprünglich gedachten Chansontextes (oder auch der Musik) einhergehen kann. Daraus folgt, dass der Chansontext nicht mit denselben methodologischen Instrumenten wie ein Lyriktext untersucht werden kann. In eine ähnliche Richtung geht Johannes Odendahl in einem Artikel über „rhythmische Artikulationsmuster deutschsprachiger Songtexte“, wenn er klar‐ stellt, dass Songtexte nicht als oder wie ‚Gedichte‘ behandelt, also nicht isoliert für sich genommen in ihrer textbasierten Aussage betrachtet werden können. Dies würde sie ihrer intermedial verfassten Identität berauben, denn für diese sind selbstverständlich auch die Musik, die Stimme, das Singen wie auch das Hören von Bedeutung. Durch seine exemplarische Analyse der metrischrhythmischen Faktur von Songtexten der Wise Guys kann Odendahl u. a. nachweisen, dass bestimmte Muster der deklamatorischen Gestaltung ihre Quelle vielmehr in Anforderungen klanglich-musikalischer Art haben als in genuin sprachlichen Erfordernissen. Daher, so eine wichtige Schlussfolgerung, muss als Ausgangspunkt für jede Analyse die Einspielung eines Songs die Grundlage der Analyse bilden, nicht dessen Druckfassung in Songbüchern oder CD-Booklets. (Odendahl 2025) Eine noch dezidiertere, ja fast radikale Ausformulierung findet die Unterschei‐ dung des Stellenwerts von ‚lyrics‘ und ‚Lyrik‘ in Walter Erharts Artikel „Über die Bedeutung rockmusikalischer Texte“ (2019), auf den Odendahl u. a. Bezug nimmt. Erhart, dem es explizit um das Genre der Rockmusik geht, betrachtet die Texte von Rocksongs als grundverschieden von Gedichten, vor allem eben auch im Hinblick auf ihre ganz „andere Praxis von lyrischem Sprechen“, deren Andersheit „von 56 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="57"?> der eingespielten Praxis der Gedichtinterpretation eher zugedeckt wird“ (Erhart 2019: 65). In seinen Augen fordern Rocksongs primär „die Wahrnehmung und den Mitvollzug einer Performance“ und verlangen nicht nach „einer Interpretation, die aus der Tiefe des Textes und aus dem Spiel der Zeichen eine bedeutungs‐ volle Aussage fabriziert“ (ibid.: 67). Wie wir es sicher alle selbst aus unserer Rezeption von Rocksongs kennen, prägen sich meist bestimmte, sprachlich oder musikalisch ausdrucksstarke oder eingängige Songzeilen ganz besonders ein, obwohl sie, wie Erhart betont, „von nicht nationalsprachigen Hörerinnen und Hörern phonetisch oftmals gar nicht korrekt gehört wurden“; trotzdem werden sie von diesen HörerInnen gewissermaßen „mitproduziert und anverwandelt“ (ibid.: 68). Aus diesen und einigen anderen Gründen wird nachvollziehbar, wie Erhart zu der folgenden, recht provokanten Aussage gelangt: „Die ‚beste‘ und die wirkungsvollste Rockmusik kommt immer auch mit vermeintlich ‚schlechten‘, simplen und unterkomplexen Texten aus […].“ (ibid.: 63) Selbstverständlich kann diese Aussage, die schon allein für die Rockmusik nur bedingt stimmt, nicht für sämtliche Genres der Populärmusik gleichermaßen gelten, denn zu dieser zählen neben Rock, Pop oder Punk auch dezidiert ‚textlastige‘ Genres wie etwa der Rap oder das ‚Autorenlied‘, das für uns als Romanistinnen im Fokus steht, sei es im französischen Kontext als ‚literarisches‘ Chanson oder ‚chanson d’auteur‘, sei es für den italienischen Bereich als ‚can‐ zone d’autore‘. Auch in den Forschungen hierzu wird jedoch (wie am Beispiel der Cantologie kurz dargelegt wurde) mehr und mehr darauf hingewiesen, dass der Songtext oder Chansontext eben nicht für sich stehend wie ein Gedicht wahrgenommen und analysiert werden darf, sondern in seinem intermedialen Kontext begriffen werden muss. Die vorangegangenen Ausführungen zur Populärmusikforschung sollten deutlich gemacht haben, dass auch eine mit Songs operierende Fremdsprachen‐ didaktik nicht länger ausschließlich textzentriert arbeiten kann, sondern - dem multimodalen Charakter der Gattung entsprechend - die Trias Text-Mu‐ sik-Interpretation ins Zentrum stellen muss. Um einen ganzheitlichen Zugang beispielhaft zu illustrieren, werden wir zwei Songbeispiele aus dem Bereich der neapolitanischen Populärmusik heranziehen, für die das Textverstehen von vornherein keine interpretatorische oder hermeneutische Schlüsselfunktion besitzen kann, sei es weil der Textanteil stark reduziert ist und sich die Bedeutungskonstitution vorwiegend auf Ebene der musikalischen Gestaltung und der Performance abspielt, sei es weil sich das Textverstehen durch die Verwendung von Dialekt oder anderen Sprachen eingeschränkt findet. Die verwendeten Canzoni haben also gemeinsam, dass sie von ‚neapolitanischen‘ Künstlern stammen, dass die Sinnbildung wesentlich auf den Ebenen von Musik 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 57 <?page no="58"?> und Interpretation und weniger oder zumindest nicht primär auf der Ebene des Textes stattfindet, dass sie mehrsprachig sind und (damit) die Stadt Neapel als einen transkulturellen Raum inszenieren. Somit gehen wir in unserem Beitrag von der These aus, dass bei der Einbe‐ ziehung von Songs in den FSU nicht immer das Verstehen des Songtextes im Mittelpunkt stehen muss, sondern auch Musik und Interpretation zentral gesetzt werden können. Anders als oftmals von VertreterInnen eines textzent‐ rierten Zugangs angemerkt, sind wir davon überzeugt, dass dies nicht zulasten des Spracherwerbs geht, denn in dem Augenblick, in dem Schülerinnen und Schüler (SuS) über Musik und Interpretation sprechen und/ oder schreiben, erfolgt Spracherwerb. Dieser ist nicht an die alleinige Arbeit mit dem Songtext gebunden. Darüber hinaus sollen die ausgewählten Beispiele zeigen, dass der bloße Klang der Sprache(n) und der Stimme, in Verbindung mit der Musik, als Vermittlungsbasis für Erkenntnisse dienen kann, die spezifische kulturelle Besonderheiten des Ziellandes oder bestimmter Regionen des Ziellandes (in unserem Fall Neapel und Süditalien) zu erhellen vermögen. Bei den folgenden Songbeispielen aus dem neapolitanischen Bereich stützen wir uns bewusst nur auf die Verwendung der Audioversionen dieser Songs. Den Aspekt des Videoclips möchten wir ausblenden, weil wir der Auffassung sind, dass mit diesen, durch die Präsenz der Bildebene, im Unterricht ohnehin ganz anders - eben viel weniger textbasiert - gearbeitet wird. 3 Beispiele neapolitanischer Populärmusik aus fachwissenschaftlicher Perspektive 3.1 Einführendes zur Musikszene Neapels Die zwei Song-Beispiele, die in der Folge präsentiert werden, stammen von zwei der innovativsten Musiker und Cantautori der neapolitanischen Musikszene, Pino Daniele und Enzo Avitabile. Bevor auf sie konkret eingegangen werden kann, sind zumindest einige sehr kurze Kontextualisierungen hinsichtlich der neapolitanischen Musikszene vonnöten (was sicherlich auch in der schulischen Situation wichtig wäre). Neapel besitzt schon seit langem eine überaus fruchtbare und vielfältige Musikszene mit starken transkulturellen Bezügen. Im Bereich der Populärmusik ist vor allem die ab der ersten Hälfte des 19.-Jahrhunderts entstandene canzone napoletana von großer Bedeutung, die Klassiker von internationaler Reichweite hervorgebracht hat; man denke nur an Lieder wie „Funicolì funicolà“ (1880) oder „‘O sole mio“ (1898), die vermutlich auch heute noch die meisten kennen. Die canzone napoletana strahlte in ihrer Blütezeit von der Mitte des 19. bis 58 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="59"?> 6 „Zwar gibt es kein mediterranes Musikgenre im eigentlichen Sinne, doch lassen sich in den Melodien der einzelnen Länder sehr ähnliche Charaktere und Tonalitäten erkennen. Die neapolitanische Musik, von der ältesten bis zur modernsten, vereint in sich die Klänge der verschiedenen mediterranen Völker, die den Süden Italiens beherrschten, mit ihm Handel trieben oder ihn einfach nur durchquerten und ihm die Rhythmen ihrer Heimat schenkten oder hinterließen.“ (Übersetzung von Gerhild Fuchs) in die Zwischenkriegszeit des darauffolgenden Jahrhunderts weit über die Grenzen Neapels, Italiens, ja Europas aus und konnte auch in den Ländern, die Hauptziel der italienischen Massenauswanderung in diesem Zeitraum waren (ganz besonders in den USA), eine wahre Erfolgsgeschichte verzeichnen, nicht zuletzt auch mittels zahlreicher Coverversionen („‘O sole mio“ etwa wurde 1960 von Elvis Presley, versehen mit einem neuen Text, unter dem Titel „It’s now or never“ erneut zu einem Hit). Über die weitere Entwicklung der neapolitanischen Populärmusik im Verlauf des 20. Jahrhunderts gäbe es sehr viel zu sagen, was hier jedoch ausgeblendet werden muss. Im Hinblick auf die von uns vorgestellten Künstler muss jedoch betont werden, dass die neapolitanische, wie auch ganz generell die süditalienische Populärmusik sich immer wieder an den Musiktraditionen des Mittelmeerraums genährt hat, welcher neben dem südlichen und südwestlichen auch das südöstliche Europa, den Nahen Osten und Nordafrika einschließt. Ein Großteil der Musik dieses Mittelmeerraums ist im besten Sinne transkulturell, wie Wolfgang Welsch (1997) den Begriff versteht, nämlich im Sinn einer internen Pluralität sich wechselseitig durchdringender Differenzen und einer Absenz von (nationaler) Einheitlichkeit oder Geschlos‐ senheit. In einem 2013 erschienenen Band zu Gedächtnis und Innovation in der Canzone napoletana formuliert Paola Avallone diese transkulturelle Verfasstheit mit folgenden Worten: Se da un lato non esiste un genere di musica mediterranea tout court, è però possibile riconoscere nelle melodie dei singoli paesi caratteri e tonalità molto simili. E la musica napoletana, da quella più antica a quella più moderna, concentra sicuramente in sé le sonorità dei vari popoli mediterranei che si sono ritrovati a dominare, commerciare o semplicemente a passare per il Mezzogiorno italiano, regalando o lasciando in eredità ritmi della propria terra d’origine. (Avallone 2013: 7) 6 Doch nicht nur die Klangwelt des Mittelmeerraums findet Eingang in die Populärmusik Neapels; die neapolitanische Basis wird häufig auch mit anderen, vorzugsweise ‚dezentrierten‘ Musikstilen oder -genres fusioniert, die zumindest in ihren Anfängen aus gesellschaftlichen oder ethnischen Randgruppen hervor‐ gingen: Dazu gehören der Blues und der Jazz, die für Pino Daniele und teilweise für Enzo Avitabile, von denen wir hier Beispiele präsentieren, von großer 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 59 <?page no="60"?> Bedeutung waren, oder auch Rap, Reggae und Dub, die ab den 1990er Jahren eine zunehmend wichtige Rolle spielen, etwa für Gruppen und SängerInnen wie Almamegretta, 99 Posse, Co’Sang, Clementino, Alea oder Rocco Hunt. Diese Fusionierungen oder Hybridisierungen entspringen dem Bewusstsein einer im‐ mer schon ‚dezentrierten‘ und hybriden neapolitanischen Identität, welche sich im Lauf der Jahrhunderte bekanntlich durch den Einfluss unterschiedlichster Fremdherrschaften konstituiert hat: von Griechen zu Arabern, von Norman‐ nen zu deutschen Stauffern, von Franzosen zu Spaniern und österreichischen Habsburgern, bis hin zur US-amerikanischen Präsenz am Ende des Zweiten Weltkriegs. Iain Chambers, der seine kulturwissenschaftlichen Studien rund um Postkolonialität und Transkulturalität von Neapel aus betreibt, bringt die besondere Verfasstheit dieser Musikmetropole am Vesuv folgendermaßen auf den Punkt: Naples, a Mediterranean city, has known more than its fair share of strangers, of rarely invited foreigners, from Arabs to the Allied Forces. Its culture, its language, its music, its historical identity and destiny are a product of this complex inheritance. The melisma and micro-tones so crucial to the lamenting tonalities of Neapolitan voice perhaps owe more to the musical scales of the Arabic maqám (modal mood) than to the disciplined parameters of European harmony. (Chambers 2008: 45) 3.2 Transkulturelle Verfasstheiten und neue Zugehörigkeiten 3.2.1 Pino Daniele „Via Medina“ Für einen fusionierten, ‚transkulturellen‘ Musikstil hatte der im Jahr 2015 mit nur sechzig Jahren verstorbene Cantautore und Gitarrist Pino Daniele eine wegweisende Rolle inne. Er öffnete die neapolitanische Liedermachertra‐ dition hin zu bewusst gewählten internationalen Musikstilen, von arabischen bis zu afrikanischen musikalischen Einflüssen, aber auch vom Blues bis zu lateinamerikanischen Rhythmen. In jungen Jahren machte er vor allem durch seine Anverwandlungen eines „blues napoletano“ von sich reden, eines der bekanntesten bluesartigen Lieder ist „Je so’ pazzo“ von 1979. Sein Album aus dem Jahr 1980 nannte er Nero a metà, was ein durchaus programmatisch gemeinter Titel ist, denn er enthält das Bekenntnis zu einer musikalischen oder auch mentalen ‚blackness‘ und somit eine Solidarisierung nicht nur mit Menschen anderer Hautfarbe, sondern generell mit jenem Teil der Menschheit, der in der Kulturwissenschaft und v. a. in den Postcolonial Studies mit dem Begriff der ‚Subalternität‘ erfasst wird (cf. z. B. Guha & Spivak 1988); auch das Stichwort des ‚Global South‘ spielt hier eine Rolle. 60 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="61"?> 7 Verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=5KFK6qUHFN0 [14.08.2024]. Die musikalische Fusionierung und Hybridisierung mit Klängen des Mittel‐ meerraums fand bei Pino Daniele in diversen seiner Songs, geballt v.-a. in zwei Alben statt: Non calpestare i fiori nel deserto (1995), wo Afrika im Mittelpunkt steht, und Medina (2001), in dem hingegen - wie bereits der Titel suggeriert - arabische Musiktradition eingearbeitet wird. Wir haben mit dem Titelsong „Medina“ ein Beispiel aus dem zweiten Album ausgewählt. Wie sehr arabische Musiktradition in diesem präsent ist, zeigt bereits ein Blick ins Booklet und auf die Angaben zu den Arrangements der Songs: Von den 18 am Album beteiligten MusikerInnen trägt exakt die Hälfte arabische Namen, und auf den arabischen Kulturraum verweisen auch viele der verwendeten Instrumente, die für die Arrangements aufgelistet sind: die Trommelarten Riq, Bendir und Darbuka, die Oboen- und Flötenarten Mizmar, Zurna und Nay, sowie die orientalischen Lauten Saz und Oud (von denen letztere übrigens als Vorläuferin der neapolitanischen Mandoline gilt). „Medina“, der Titel- und zugleich Eröffnungssong des Albums, 7 lässt sich hinsichtlich seiner Makrostruktur deutlich in drei sowohl musikalisch als auch textlich voneinander unterschiedene Sequenzen unterteilen. Das nachfolgende Schema (Tabelle 1) bildet nur die Textebene ab und lässt auch die Wiederholung dieser Abfolge (mit musikalischen Variationen als A’, B’, C’) sowie das Outro (A’’) beiseite. A: arabische Textsequenz B: anglophone Textsequenz C: italienische Textsequenz Gesang P. Daniele (refrainartig): „Haman haman“ gefolgt von arabischem Gesang des tunesischen Sängers Lofti Bouchnak Gesang P. Daniele: „Babylon Siria Iraq Marrakech Hammamet Give me your love Give give me your love Si Medina Si Medina Walking in the suk Walking walking in the suk Si Medina Si Medina“ Gesang P. Daniele: „Notte e giorno, sole, luna, sorriso e pianto, lo stesso cielo di casa mia“ Tabelle1: Makrostruktur und Textsequenzen von Pino Danieles „Medina“ Wie das Strukturschema zeigt, stellt der Text in diesem Song keine vorrangige Bedeutungsquelle dar: In Abschnitt A wird das Arabische verwendet, eine Sprache, die die meisten HörerInnen unseres Kulturraums nicht beherrschen (sollten in der konkreten Unterrichtssituation einzelne SchülerInnen Arabisch 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 61 <?page no="62"?> können, kann daraus freilich eine zusätzliche Anknüpfungsmöglichkeit für Informationen und Diskussionen bezogen werden). In Abschnitt B ist der aus wiederholten englischen Floskeln sowie Länder- und Ortsnamen zusam‐ mengesetzte Text heterogen und fragmentarisch, und damit wohl gar nicht vorrangig dazu bestimmt, differenzierte Wortbedeutungen zu transportieren. Der italienische Text von Abschnitt C scheint, wenn auch minimalistisch, als einziger eine geschlossene Textbedeutung zu vermitteln, auf die wir noch zurückkommen. Zentrale Bedeutungskomponenten dieses Songs sind jedoch ohne Zweifel das Abwechseln der musikalischen Genres, die instrumentellen Arrangements und die Gesangsweise. So wird in dem vom tunesischen Sänger Lofti Bouchnaq interpretierten arabischsprachigen Teil durch Rhythmik, Melodik und Instru‐ mentierung (Oud, Bendir und Zurna) ein charakteristischer ‚orientalischer‘ Klangteppich entfaltet. Auch im zweiten Teil wird neuerlich eine ‚orientalische‘ Instrumentierung verwendet, allerdings teilweise (vor allem in B’) kombiniert mit elektronischen - und damit gewissermaßen globalisierten - Soundelemen‐ ten, die mit dem Einsatz von bluesig-rockigen, durch die E-Gitarre dominierten Klängen den gesamten dritten Teil beherrschen. Setzt man die auf der Ebene von Musik und Interpretation gesammelten Erkenntnisse mit der Textebene in Verbindung, so fallen zunächst im zweiten Teil die arabischen Wörter „Medina“ (Altstadt) und „Souk“ (Markt) auf, die sich in den englischsprachigen Text einschleusen und den Song gemeinsam mit der Aufzählung von Länder- und Ortsnamen („Babylon, Siria, Iraq, Marrakech, Hammamet“) in der arabisch‐ sprachigen Welt, genauer gesagt im Nahen Osten und im Maghreb, verorten. Im dritten, italienischsprachigen Teil wird daraus eine Art Konklusion gezogen: Die grundlegenden Dinge des Lebens wie Tag und Nacht, Freude und Trauer oder auch der Himmel über den genannten Städten sind dieselben wie ‚zuhause‘ - was den verbindenden, universellen Charakter des Songs besiegelt. 3.2.2 Enzo Avitabile „Elì Elì“ Auch aus dem hier vorzustellenden Song „Elì Elì“ von Enzo Avitabile können bereits aufgrund der musikalischen und gesanglichen Beschaffenheit sowie der transkulturellen Verbindung diverser Musikgenres wesentliche Bedeutungsebe‐ nen bezogen werden. Der im deutschsprachigen Raum wesentlich weniger als Pino Daniele bekannte Avitabile wurde wie dieser 1955 in Neapel geboren und machte sich, ebenfalls wie dieser, als Sänger und Cantautore sowie generell als Musiker einen Namen (er spielt Saxofon und einige andere Instrumente). Seine intensive Beschäftigung mit den Musiktraditionen des Südens erstreckt sich auch auf eine akademische Ebene, er hält an einer neapolitanischen Universität 62 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="63"?> 8 Verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=SEu6vmeFems [14.08.2024] Der Text kann hier eingesehen werden: https: / / genius.com/ Enzo-avitabile-eli-eli-lyrics [14.08.2024]. Seminare für Musikethnologie. Von seinen zahlreichen Alben, die seit dem Beginn der 1980er Jahr erschienen und allesamt in neapolitanischem Dialekt gesungen sind, ist für unsere Fragestellungen vor allem Black Tarantella aus dem Jahr 2012 von Interesse. Die transkulturelle Agenda und das antirassisti‐ sche Engagement, die bereits durch den Titel angedeutet werden (Tarantella ist bekanntlich ein süditalienischer Volkstanz; das ‚black‘ ist selbstredend), zeigen sich bereits darin, dass von den 13 von Avitabile geschriebenen und komponierten Stücken des Albums elf in Zusammenarbeit mit anderen Sän‐ gerInnen vorgetragen werden, die entweder ebenfalls aus Italien stammen (wie Pino Daniele oder Raiz, der Leadsänger von Almamegretta) oder aus der englischsprachigen Welt, aus Spanien und aus afrikanischen Ländern. Häufig resultieren daraus mehrsprachige Songs, in denen der neapolitanische Dialekt mit anderen Sprachen kombiniert wird bzw. sich abwechselt. Dies ist auch in „Elì Elì“ 8 der Fall, wo der neapolitanische Text mit spanischen Flamencoversen und sogar mit einem kurzen Satz auf Hebräisch, der als Refrain fungiert, abwechselt. Hier wieder die Makrostruktur mit den Textelementen (Tabelle 2): A: neapolitanische Textsequenz = Strophe 1 B: hebräisches Bibelzitat = Re‐ frain C: spanische Textsequenz = Insert/ Bridge Gesang E. Avitabile: I’ vengo d’’o friddo e sonno lenzole profumate Ma, fino a ‘stu momento, sulo cartune e angule ‘e strada Valure? Zero, ‘e sorde fanno ‘a Differenza Luce culurate e zero sentimente I’ vengo d’’e lavarune, piaghe e ma‐ latie Annudo, c’’a pelle ‘nfettata, senza pane e medicine Ca fosse nu panno nuovo, ca fosse nu raggio ‘e vita ‘O panino d’’o santo inutile dint’a na mano amica Gesang E. Avitabile: Elì, Elì, lemà sabactàni? (4x) Gesang Enrique Morente: A la audiencia una verdad y otro no La verdad saliò perdiendo A’: neapolitanische Textsequenz = Strophe 2 B’: hebräisches Bibelzitat = Re‐ frain C’: spanische Textsequenz = Insert/ Bridge 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 63 <?page no="64"?> Gesang E. Avitabile: I’ vengo d’’o stritto, miseria e Carestia Niente libertà, sulamente ipocrisia Mo è razza differente, mo è muro Lacrimante Addò t’avuote t’avuote, ‘a faucia t’’o tene a mente I’ vengo ‘a na menesta, sempre ‘a stessa e senza sale Addò, si ‘o destino è vivere, t’hê ag‐ liottere tutt’o male E chello che è d’’o tuojo, e chello che è d’’o mio Tra na botta e n’ata, o tu o i’ Gesang E. Avitabile: Elì, Elì, lemà sabactàni? (4x) Gesang Soléa Morente: Elì, Elì, lemà sabactàni? (4x) Gesang E. Avitabile: Elì, Elì, lemà sabactàni? (4x) - Gesang Enrique Morente: A la audiencia una verdad y otro no La verdad saliò perdiendo Porque el dinero ganò A la audiencia van dos pleitos Porque el dinero ganò Porque el dinero ganò La verdad saliò perdiendo Ah! Y otro no Tabelle 2: Makrostruktur und Textsequenzen von Enzo Avitabiles „Elì Elì“ Auf der musikalischen Ebene wird sofort deutlich, dass der Flamenco eine we‐ sentliche Komponente darstellt. Er dominiert die Sequenzen C und C’ musikalisch und gesanglich und ist zugleich in Gestalt der Flamencogitarre auch im neapoli‐ tanischen Gesangsteil präsent. Es ist der Flamenco, der dem Song auf diese Weise Zusammenhalt und Homogenität verleiht. Die Sequenz B bzw. B’ sticht durch den zunächst enigmatisch wirkenden Refraintext hervor, der mittels Internetrecher‐ che aber schnell als Bibelzitat identifiziert werden kann: „Elì Elì lemà sabactàni“ sind die Worte, die Jesus Christus am Kreuz zugeschrieben werden („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? “). Das dadurch eingebrachte Märtyrermotiv kann mit dem Rest des Liedes in Bezug gesetzt werden. Die von dem bekannten Flamencoperformer Enrique Morente dargebotenen Sequenzen stechen durch einen kehligen, teilweise fast schluchzenden Gesang hervor, der dem traditionellen ‚cante flamenco‘ oder ‚cante jondo‘ generell zu eigen ist und der, auch in Unkenntnis der textuellen Botschaft, Leid und Trauer zum Ausdruck bringt. Dringt man zur Bedeutung des Textes der Flamencopassagen vor, trifft man auf die Anprangerung einer grundlegenden sozialen Ungerechtigkeit, nach der das Geld immer gewinnt, während die Wahrheit verliert. Von hier lässt sich eine thematische Konstante zu den beiden Strophen im neapolitanischen Dialekt spannen: Avitabiles melodiöser Gesang erzählt, grob zusammengefasst, in der Ich-Form von einer Person, die aus einer Gegend der Welt stammt, wo „Wunden und Krankheiten“, „Enge, Elend und Hunger“ herrschen und die in eine reiche Stadt eingewandert ist, in der sie gezwungen ist zu betteln und auf der Straße in Pappkartons zu schlafen. So werden Leid, Armut und Erniedrigung zum gemeinsamen Thema der Verse von Avitabile und Morente, es wird eine 64 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="65"?> 9 Die (wenn auch zaghafte) Wiedereinführung ‚literarischer Kompetenzen‘ im CEFR Com‐ panion Volume von 2018 spiegelt eine an der individuellen Rezeption orientierte Zugangs‐ weise, wenn neben der reinen Lesekompetenz und einer analytischen Kompetenz für höhere Sprachniveaus von der Fähigkeit gesprochen wird: „expressing a personal response to creative texts (including literature)“ (CEFR Companion Volume: 116), die im Rahmen des FSU ausgebildet werden soll. Dort lesen wir: „The scale focuses on expression of the effect a work of literature has on the user/ learner as an individual. Key concepts operationalized in this scale include the following: - explaining what he/ she liked, what interested him/ her about the work; - describing characters, saying which he/ she identified with; - relating aspects of the work to own experience; - relating feelings and emotions; - personal interpretation of the work as a whole or of aspects of it.“ (verfügbar unter: https: / / rm.coe.int/ cefr-companion-volume-with-new-descriptors-2018/ 1 680787989 [14.08.2024]) Geschichte der fortwährenden Ausgrenzung skizziert, die sich auch in der christ‐ lichen Passionsgeschichte wiederfindet. 4 Canzone napoletana im Fremdsprachenunterricht Italienisch 4.1 Rezipientenorientierung und Responsivität Die Literaturdidaktik hat bereits in den 1990er Jahren begonnen, zentrale Konzepte der Rezeptionsästhetik aufzugreifen und den Rezipienten/ die Rezipientin sowie die individuelle Aneignung eines literarischen Textes im Akt des Lesens ins Zentrum zu stellen (cf. z. B. Bredella 2004: 25-80). Eine rezeptionsästhetische Literaturdidaktik definiert das Textverstehen als „Wechselwirkung zwischen der Lenkung durch den Text und individuellen - kognitiven wie emotionalen - Rezeptionsleistungen des Lesers“ (Nünning & Surkamp 2006: 21) und versteht sich als „eine Art Gegenentwurf zur Dominanz textanalytischer Verfahren im Umgang mit literarischen Texten“ (Surkamp 2019: 85). Wesentlich sind der individuelle Akt des Lesens und damit variierende Aneignungen des Textes, wodurch die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik der einen, korrekten Interpretation eine klare Absage erteilt. Produktions- und handlungsorientierte Ansätze finden in der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik wie selbstverständlich ihren Platz (cf. Waldmann 2000). Was für den literarischen Text gilt, gilt ebenfalls für mediale Mischformen wie die Canzone, auch hier ist der Akt der Rezeption ein individueller, im Unterschied zum Text jedoch auf mehrere ‚Kanäle‘ ausgerichtet. 9 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 65 <?page no="66"?> Nicola Mitterer setzt sich in Das Fremde in der Literatur kritisch mit der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik auseinander und entwickelt diese zu einer „responsiven Literaturdidaktik“ (Mitterer 2016: 45 ff.) weiter. Mitterer kritisiert vor allem die „Pseudokommunikation“, die oftmals den Schulalltag, auch in der Arbeit mit literarischen Texten, prägt, in der von der Lehrperson Fragen gestellt werden, deren eindeutige und einzig korrekte und von den Schülerinnen und Schülern (SuS) zu reproduzierende Antwort bereits feststeht (cf. ibid.). Eine responsive Literaturdidaktik zielt hingegen vor allem darauf ab, die Wahrnehmung von Fragen - jener des Textes und jener des kommunikativen Gegenübers - zuzulassen und auszubilden sowie eine Verständigung darüber zu fördern. „Ein solches Antworten“, schreibt Mitterer an anderer Stelle, „vollzieht sich also nicht im Aufwerfen einer hermeneutischen Frage, die von vorneherein als beantwortbar betrachtet wird, sondern kann nur im ‚Aufspüren‘ (der Spur) jener Fraglichkeiten bestehen, die der Text seinen Leserinnen und Lesern zumutet. Das Geben einer Antwort entspricht dann nicht einem „Abhandeln“ des (durch die Initiative des Textes) fraglich Gewordenen, sondern einer teils kontemplativen, teils produktiven Auseinandersetzung mit den neu gewonne‐ nen Fraglichkeiten.“ (ibid.: 17) Mitterer schlägt für die Arbeit mit literarischen Texten im Unterricht drei Phasen vor: die Phase des Pathos, die Phase der Utopie und Theorie sowie die Phase des kreativen Antwortens. Alle diese Überlegungen Mitterers zum literarischen Text können auf die Arbeit mit Canzoni übertragen werden. In einer ersten Phase des Pathos soll zunächst durch das laute Vorlesen des Textes durch die Lehrperson ein gemein‐ samer Klangraum eröffnet werden. Diesem Schritt entsprechen das Abspielen und gemeinsame Anhören der Canzone, und zwar ohne jede Vorinformation durch die Lehrperson. Darauf können SuS nun reagieren, indem sie gebeten werden, zunächst jede/ r für sich, die Eindrücke niederzuschreiben, die der Song auf sie macht, bevor sie dann paarweise darüber ins Gespräch kommen. Gemeinsam sollen sich SuS herantasten an das, was erstaunt, verwundert, vielleicht auch deutlich ge- oder missfällt (cf. ibid.: 21). Die Lehrperson verbleibt weitgehend in einem Modus der Zurückhaltung. Die zweite Phase von Utopie und Theorie (nach Mitterers Modell) dient vor allem der „Entwicklung eines Möglichkeitssinns“, im Mittelpunkt steht die Überlegung, welche Fragen der Text/ der Song für den/ die einzelne/ n aufwirft bzw. welche Vermutungen und Hypothesen er/ sie dazu hat. Erst im Anschluss daran kann die Lehrperson - die Fragen und Hypothesen der SuS aufgreifend - Informationen zum Text/ Lied geben, sei es eine biographische oder historisch-soziale Kontextualisierung, seien es Informationen zu einem literarischen oder musikalischen Motiv. Die dritte Phase bezeichnet Mitterer als kreatives Antworten der SuS auf den 66 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="67"?> 10 Bei Homi K. Bhabha in The location of culture lesen wir: „Cultures are never unitary in themselves nor simply dualistic in relation of Self to Other.” (Bhabha 1994: 35-36) Text/ das Lied. Dieses Antworten kann in mündlicher oder schriftlicher Form erfolgen oder aber auch ganz ohne Sprache auskommen. „Kreatives Antworten bedeutet in diesem Fall eine Re-Aktion, die aus der Passivität erwächst und gerade deshalb, weil sie vom Fremden und nicht vom Eigenen herkommt, etwas Schöpferisches besitzt.“ (ibid.: 24) Diese letzte Phase ist jedenfalls produktions- und handlungsorientiert. Zumindest kurz sei an dieser Stelle auch auf Johannes Odendahls Ansatz einer „musik-literarischen Erziehung“ verwiesen, mit dem das eben Gesagte einige Schnittmengen aufweist. Literarisches Verstehen, so Odendahl, kann durch musikbezogene Rezeptionsfähigkeiten beträchtlich befördert werden, zumal aus einer hermeneutischen Perspektive, da Musik „gestalthaft auf ‚Aspekte inneren Lebens‘, auf Gefühle und menschliche Grunderfahrungen“ verweist. (Odendahl 2019: 28) So könne eine musik-literarische Erziehung wesentlich dazu beitragen, bei SuS den Sinn für drei Formen von „Rekurrenzen“ auszubilden und zu schärfen: für klangliche, strukturelle und (im eben genannten Sinn) ‚existentielle‘. (ibid.: 31-32) 4.2 Transkulturelle Kompetenzen ausbilden Die Fertigkeit des Hörens (von Sprache, Musik und Interpretation) ist natürli‐ cherweise immer im Spiel, wenn mit einer Canzone im FSU Italienisch gearbei‐ tet wird. Wie bereits angemerkt, möchten wir den Schwerpunkt von einem textzentrierten Ansatz zu einem T-M-I-zentrierten Zugang verschieben, und anstelle des Textverstehens ein Hörerleben (im Sinne der Responsivität) ins Zentrum stellen. Im Fokus unserer Ausführungen steht die Ausbildung dessen, was wir ‚trans‐ kulturelle Kompetenzen‘ nennen möchten. Diese transkulturellen Kompetenzen sind den im GeR Begleitband formulierten „plurilingualen und plurikulturellen“ Kompetenzen nahe (GeR Begleitband 2020: 144 ff.), fokussieren aber weniger auf die Fähigkeit, eine ‚fremde‘ Sprache durch Brückensprachen besser verstehen zu können oder eine ‚fremde‘ Kultur in ihren Unterschieden und Ähnlichkeiten wahrnehmen zu können, als auf eine viel allgemeinere Sensibilität dafür, dass ‚Kulturen‘ nie einheitlich und geschlossen sind, 10 sondern sich stets durch zahl‐ reiche interne Differenzen auszeichnen. Im GeR Begleitband entsprechen dem am ehesten Formulierungen wie „die Fähigkeit mit ‚Anderssein‘ umzugehen“ (145) sowie „der Wille, sich Unterschieden gegenüber sensibel zu zeigen“ (146). 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 67 <?page no="68"?> Warum sich Canzoni aus Neapel für ein derartiges Unterfangen besonders gut eignen, lässt sich aus Abschnitt 3.1 ableiten: Die neapolitanische Musikszene ist seit jeher transkulturell und nährt sich an vielfältigen Musiktraditionen aus dem Mittelmeerraum, aber auch an anderen ‚dezentrierten‘ Musikstilen wie dem Jazz. Die zwei gewählten Canzoni spiegeln diese dem Raum eigene Transkulturalität zunächst auf textlicher Ebene wider, und zwar durch das Neben- und Ineinander mehrerer Sprachen, wobei interne (die Verwendung des neapolitanischen Dialekts) und externe Mehrsprachigkeit (die Verwendung des Spanischen, des Arabischen, des Hebräischen, des Englischen) eine Rolle spielen. Zum einen wird also die regionale Diversität ausgestellt, zum anderen die Zugehörigkeit zu einem breiten, plurikulturellen und mehrsprachigen me‐ diterranen Raum betont. Das Englische wiederum verweist auf eine Einordnung in globale kulturelle Zusammenhänge. Ebenso stehen auf der Ebene der Musik neapolitanische Traditionen neben orientalischen Klängen, Flamenco neben Rock-, Dub- und Raprhythmen. Die ausgewählten Canzoni laden alle dazu ein, über Identitäten und Zugehö‐ rigkeiten zu reflektieren, indem sie der ‚italianità‘ eine ‚napoletanità‘, aber auch eine ‚mediterraneità‘ zur Seite stellen und indem sie Regionales und Globales verschmelzen. ‚Identität‘ bedeutet also nicht zwangsläufig ‚Eines sein‘ oder ‚Einssein‘, sondern kann auch ‚Unterschiedliches sein‘, ‚Vieles sein‘ bedeuten; Zugehörigkeit kann nicht nur einfach, sondern auch vielfach gedacht werden. Kulturelle (aber auch individuelle) Vielfalt nicht als Ausnahme, sondern als Normalzustand zu erkennen, scheint uns ein für junge Menschen wesentliches Lernziel zu sein, mitunter auch, um zunehmenden Formen von Aus- und Abgrenzungen entgegentreten zu können. 4.3 „Medina“ von Pino Daniele und „Elì Elì“ von Enzo Avitabile Damit die bislang vorgestellten Überlegungen nicht rein theoretisch bleiben, möchten wir am Beispiel der beiden vorgestellten Songs „Medina“ von Pino Daniele und „Elì, Elì“ von Enzo Avitabile illustrieren, wie eine T-M-I-sensible Arbeit mit Canzoni, die Prinzipien der responsiven Literaturdidaktik aufgreift und neben audiovisuellen auch transkulturelle Kompetenzen auszubilden ver‐ sucht, aussehen könnte. Folgende Ziele sollen erreicht werden: a. SuS können eine Canzone als Zusammenwirken von Text, Musik und Interpretation verstehen. b. SuS können mit der Canzone in einen Dialog eintreten, formulieren, was ihnen ge- oder missfällt, was sie besonders berührt oder verwundert und 68 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="69"?> Hypothesen zu möglichen Bedeutungen des Liedes formulieren (im Sinne einer „personal response“ laut CEFR: 116). c. SuS können die Canzone im Kontext der neapolitanischen Musikszene ver‐ orten und ‚Transkulturalität‘ als wesentliches Charakteristikum erkennen. Wir möchten mit der Canzone „Medina“ von Pino Daniele in jenen drei Phasen arbeiten, die Nicola Mitterer in ihren Überlegungen zu einer responsiven Litera‐ turdidaktik vorschlägt. Die Phase des Pathos wird durch ein erstes gemeinsames Anhören des Liedes eröffnet, worauf sehr offen formulierte Fragen folgen, die auf die Emotionen und Empfindungen der RezipientInnen abzielen: „Che cosa mi stupisce? “ „Che cosa mi tocca? “ „Che cosa mi sembra notevole? “ „Che cosa mi piace o non mi piace? “ Wir arbeiten in dieser Phase mit der Methode „thinkpair-share“, um zunächst ein individuelles Reagieren zu ermöglichen, bevor in den Austausch eingetreten wird. Dieser Austausch startet im Kleinen (pair) und erfolgt erst dann in der gesamten Gruppe (share). Sollte ein zweites Anhören der Canzone nötig sein, so kann dies in (oder auch vor) der think-Phase erfolgen. Die Lehrperson nimmt ihre eigenen Überlegungen zurück und bleibt in einer moderierenden Rolle. Die Eindrücke werden von der Lehrperson schriftlich gesammelt, um darauf zurückgreifen zu können. Für die zweite Aktivität werden die SuS in zwei Gruppen geteilt, wobei die erste Gruppe beim nochmaligen Anhören der Canzone auf den Text und dessen Sprachen fokussiert, die zweite Gruppe auf die musikalische Gestaltung. Die Aufgabe beider Gruppen ist es, festzuhalten, welche Assoziationen sie mit dem Gehörten verbinden und welche Fragen es für sie aufwirft. Darüber hinaus überlegen die SuS, wovon das Lied handeln könnte (Möglichkeitssinn, Hypothesenbildung). Der Austausch erfolgt erneut zunächst paarweise und dann im Plenum. Nach dieser Phase des gemeinsamen Herantastens und ‚Spurensuchens‘ wechselt die Lehrperson in einen aktiven Modus und kontextualisiert die Beobachtungen und Erkenntnisse der SuS durch biographische Informationen (Wer ist Pino Daniele? ), durch Schlaglichter auf die neapolitanische Musikszene und deren Transkulturalität und/ oder durch Überlegungen zur Bedeutung des Begriffs ‚Transkulturalität’. Als Basis für den Input durch die Lehrperson kann folgender Textauszug dienen: 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 69 <?page no="70"?> 11 https: / / limitless-solutions.it/ eventi/ evoluzione-musicale-napoletana-da-pino-danielea-liberato/ [7.11.2024] „L’évoluzione musicale napoletana da Pino Daniela a Liberato“ 11 La musica napoletana contemporanea rappresenta un caleidoscopio di generi e stili […]. Originariamente radicata nella tradizione della musica popolare e della canzone napoletana classica, Napoli ha sempre avuto una vibrante scena musicale che è riuscita a mantenere intatta la sua identità pur abbracciando nuove tendenze. Negli ultimi decenni, la città è stata testimone di una notevole evoluzione musicale che ha visto l’integrazione di generi come la musica leggera, il pop, il rock e, più recentemente, la trap. Artisti come Pino Daniele hanno giocato un ruolo cruciale in questo processo di trasformazione, mescolando blues, jazz e rock con la tradizione napoletana. La sua musica è diventata un punto di riferimento per le genera‐ zioni successive, dimostrando come elementi della tradizione possano essere fusi con innovazioni moderne. La scena musicale napoletana ha continuato a evolversi con artisti come-Enzo Avitabile, che ha esplorato il world music, e Almamegretta, che ha portato il dub e il reggae nelle strade di Napoli. […] Pino Daniele con il suo talento innato e la sua capacità di innovazione, ha saputo trasformarsi da promessa della musica napoletana a un artista di fama internazionale. Il suo successo oltre i confini italiani iniziò negli anni ’80, quando album come Nero a Metà e Bella ‘mbriana catturarono l’attenzione del pubblico e della critica internazionale. Questi lavori non solo consolidarono la sua reputazione in Italia, ma aprirono le porte a tournée mondiali, portandolo a esibirsi in prestigiosi palcoscenici come il Madison Square Garden di New York e il Montreux Jazz Festival. Il suo stile musicale unico, che fondeva elementi di blues, jazz, rock e la tradizione napoletana, lo rese un vero e proprio innovatore. Canzoni come “Napule è” e “Yes I Know My Way” sono diventate inni, non solo per la loro bellezza melodica, ma anche per i temi profondi e spesso personali che trattavano. […]” Für die dritte Phase des kreativen Antwortens wird ein ‚angeleitetes‘ kreatives Schreiben nach dem Prinzip der Analogiebildung vorgeschlagen. Die SuS werden dazu eingeladen, die Aufzählung im dritten Teil des Liedes „Notte e giorno,/ sole, luna,/ sorriso e pianto,/ […]“ mit weiteren Wortpaaren fortzusetzen, wobei die Zielsetzung im Erkennen und Nachempfinden des Bauprinzips dieser Aufzählung liegt. Zuletzt könnte noch ein Austausch darüber stattfinden, 70 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="71"?> 12 Verfügbar unter: https: / / www.facilitascolto.it/ 2022/ 12/ 14/ 1341/ [14.08.2024]. wie auf dem Hintergrund des bislang Gesagten „lo stesso cielo/ di casa mia“ verstanden werden könnte. Die Beschäftigung mit Enzo Avitabiles „Elì, Elì“ im FSU Italienisch stellt eine gewisse Herausforderung dar, wenn man gewohnt ist, mit Canzoni textbasiert zu arbeiten, denn keiner der drei Teile ist auf Italienisch verfasst. Vielmehr folgen auf zwei von Avitabile gesungene Strophen auf Neapolitanisch ein hebräischer Refrain und eine von Morente gesungene Strophe auf Spanisch. Es können demnach zunächst nur Musik und Interpretation einen Zugang zum Song verschaffen. In der Phase des Pathos werden SuS beim gemeinsamen Anhören des Liedes dazu aufgefordert, Emotionen zu notieren (auf Italienisch), die die Musik und die stimmliche Interpretation bei ihnen auslöst (Adjektiva, Nomen). Sollte das für die SuS lexikalisch noch zu anspruchsvoll sein, kann man eine „Ruota delle emozioni“ 12 zu Hilfe nehmen und die SuS bitten, dort passende Emotionen anzukreuzen. Wie klingen Musik und Stimmen in meinen Ohren, welche Emotionen bringen sie zum Ausdruck oder lösen sie aus? In einem zweiten Schritt lesen die SuS die auf Neapolitanisch verfassten Strophen und versuchen - über die Brückensprache Italienisch - Begriffe zu markieren, die den durch Musik und Stimme erzeugten Emotionen Ausdruck verleihen bzw. diese hervorrufen. Sollte der Lehrperson diese Transferleistung als für die SuS zu schwierig erscheinen, könnte die Lehrperson eine italienische Übersetzung anbieten oder einzelne, bedeutungsrelevante Begriffe annotieren. I’ vengo d’‘o friddo e sonno lenzole profumate Ma, fino a ‘stu momento, sulo cartune e angule ‘e strada Valure? Zero, ‘e sorde fanno ‘a differenza Luce culurate e zero sentimente I’ vengo d’‘e lavarune, piaghe e malatie Annudo, c’‘a pelle ‘nfettata, senza pane e medicine Ca fosse nu panno nuovo, ca fosse nu raggio ‘e vita ‘O panino d’‘o santo inutile dint’a na mano amica I’ vengo d’‘o stritto, miseria e carestiaf Niente libertà, sulamente ipocrisia Mo è razza differente, mo è muro lacrimante Addò t’avuote t’avuote, ‘a faucia t’‘o tene a mente I’ vengo ‘a na menesta, sempre ‘a stessa e senza sale Addò, si ‘o destino è vivere, t’hê agliottere tutt’o male 2 Populärmusik im Fremdsprachenunterricht Italienisch 71 <?page no="72"?> 13 Espresso ragazzi ist ein in Österreich häufig verwendetes Schulbuch im Italienischun‐ terricht. E chello che è d’‘o tuojo, e chello che è d’‘o mio Tra na botta e n’ata, o tu o i’ Für die Phase des kreativen Antwortens bieten sich hier unterschiedliche Möglichkeiten an: Möchte man in der Ich-Perspektive bleiben, könnten die SuS in die Rolle des Ich der Canzone schlüpfen und einen Brief verfassen, in dem einem italienischen Freund von der Ankunft in Italien berichtet wird. Möchte man - im Sinne des literarischen Lernens - die Perspektive wechseln, könnte aus der Perspektive eines Außenstehenden die Situation des Migranten beschrieben bzw. zusammengefasst werden. Besonders interessant erschiene uns jedoch, wenn die SuS tatsächlich in einen Dialog mit dem „Io“ des Textes treten würden, d. h. ihm Fragen stellen, die dann von einer zweiten Person, die in die Rolle des Ich schlüpft, beantwortet werden. Hier könnten Gründe für die Migration, positive und negative Erfahrungen im Zielland thematisiert werden. Gerade der Song von Enzo Avitabile würde sich perfekt in die dritte Lektion von Espresso Ragazzi 3 13 (41-51) einbinden lassen, die mit „L’Italia sono anch’io“ überschrie‐ ben ist und ‚Differenzen‘ unterschiedlicher Art (Behinderung, Hautfarbe, soziale Klasse) thematisiert. 5 Konklusion Berücksichtigt man die Erkenntnisse der zeitgenössischen Populärmusikfor‐ schung, so muss eine sich daran orientierende Chansondidaktik ihren aus‐ schließlich textzentrierten Zugang aufgeben, die Trias Text-Musik-Inter‐ pretation ernst nehmen und sich der Bedeutung einer Canzone über das unhintergehbare Zusammenspiel dieser Komponenten nähern. Dass dabei nicht immer zuerst der Text im Zentrum stehen muss, sondern durchaus auch Musik und stimmliche Interpretation diese Rolle übernehmen können, sollte durch die vorangegangenen Ausführungen zu „Medina“ und „Elì, Elì“ deutlich geworden sein. Die Befürchtung, dass bei einem nicht textzentrierten Zugang der Sprach‐ erwerb an sich zu kurz kommen könnte, scheint uns unbegründet, denn in dem Moment, wo SuS über Musik und/ oder Interpretation, ihre Rezeptionser‐ fahrungen etc. schreiben und/ oder sprechen bzw. Hypothesen zur Bedeutung der Canzone formulieren, erfolgt Sprachhandeln und damit Spracherwerb. Selbstverständlich könnten die beiden Songbeispiele, an denen dieser didak‐ tische Ansatz auf exemplarische Weise vorgestellt wurde, durch weitere ergänzt werden, in denen es ebenfalls vorrangig um die Inszenierung oder auch die Ein‐ 72 G E R H I L D F U C H S & B I R G I T M E R T Z -B A U M G A R T N E R <?page no="73"?> 14 Unter ‚Trap‘ wird meist eine melodiösere, tanzbarere, ‚coolere‘ und politisch weniger engagierte Variante des Hip-Hops bzw. des Raps verstanden. (cf. Ridani 2022: 2) 15 Hier die YouTube-Links der genannten Songs: „Sanacore“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=3dNRByKH-_o; „Le radici ca tieni“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=z8_fl2UL0L0; „Sugnu palermitano“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=RGM4Br3 OLIw; „Wallah“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=8B49S5n5cc4; „La vie en rose“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=ptjhUZqEQB0; „Boss (io e te)“: verfügbar unter: https: / / www.youtube.com/ watch? v=v3_L3p5hI7I [alle 14.08.2024]. forderung eines transkulturellen Lebensraums geht - sei es, über Neapel hinaus, im gesamten mediterranen Süden Italiens oder auch im migrantischen Milieu norditalienischer Städte. So lässt sich zum Beispiel an Stücken süditalienischer Gruppen wie „Sanacore“ der neapolitanischen Almamegretta, „Le radici ca tieni“ der apulischen Sud Sound System oder „Sugnu palermitano“ der sizilianischen Gente Strana Posse die Durchdringung von ‚Kulturen‘, von ‚Eigenem‘ und ‚Fremden‘, besonders gut auf der musikalischen Ebene herausarbeiten. In Trap- Songs 14 wie etwa „Wallah“ des tunesienstämmigen Mailänder Rappers Ghali, „La vie en rose“ des ebenfalls in Mailand aufgewachsenen italo-marokkanischen Maruego oder „Boss (io e te)“ von Époque, einer in Turin lebenden Sängerin mit kongolesischen Wurzeln, kann am Prinzip der Mehrsprachigkeit (siehe Stamenković in diesem Band) angesetzt werden. 15 Durch die Arbeit mit einem responsiven literatur- und mediendidaktischen Ansatz kann der/ die einzelne RezipientIn und seine/ ihre Art des Lesens/ Hörens in den Mittelpunkt gestellt, individuelles ästhetisches Erleben ermöglicht und die Fähigkeit geschult werden, mit Texten bzw. multimodalen künstlerischen Ausdrucksformen in einen transkulturellen Dialog zu treten. 6 Literaturverzeichnis Avallone, P. (2013): Prefazione. In A. Pesce & M. Stazio (Hrsg.), La canzone napoletana. Tra memoria e innovazione (7-9). o.O.: Istituto di Studi sulle Società del Mediterraneo. Bhabha, H. K. (1994): The location of culture. 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Schools must address the increasingly diverse experiences and biographies of learners in classroom discourse to prepare them for participation in a linguistically and culturally diverse society. Additionally, teachers need to revisit and reshape their approaches so as to foster students’ openness, respect for, and willingness to engage with diversity - key objectives of intercultural education. While the development of these competences should not be confined to individual subjects, the foreign language classroom has been designated as an ideal setting for engaging in various dimensions of intercultural learning, as stipulated in educational policy documents such as the Austrian curriculum for secondary education (BMBWF 2024). In this article we delineate how intercultural learning can be meaning‐ fully integrated in the English as a foreign language (EFL) classroom and explore the productive role of literature in this endeavour. A case study illustrates how literature allows for an engagement with interculturality on various levels by offering learners a (relatively) safe distance between text experience and lived experience. Exemplified by the use of Margaret Mahy’s poem “Christmas in New Zealand” in an EFL lesson in an Aus‐ trian upper secondary classroom with 13 students, the findings clearly show that literature can effectively promote intercultural learning in EFL classrooms. <?page no="78"?> 1 Introduction There is wide agreement among scholars in the humanities that the term ‘culture’ comes best in the plural. We speak (and write and think) of cultures as multiple, be it in terms of mainstreamor sub-cultures, ethnic cultures, LGBTIQ+ cultures, postcolonial cultures, upper/ middle/ working class cultures - the list goes on. This multiplicity is accompanied by multifarious attempts at theorising how cultures interact with and impact one another, as well as with practical efforts to engage fruitfully with cultures in their plurality. One of the spaces where such a theoretical and practical engagement takes place - or should be taking place - is the classroom. Schools naturally host a plethora of cultures and cultural practices, so thinking about them in an institutionalised setting does not only seem like a good idea, it is also stipulated by the educational goals set forth in the Austrian curriculum for secondary schools (BMBWF 2024) and more broadly in the Com‐ mon European Framework of References (CEFR) (Council of Europe 2001; 2020), the document on which foreign language education in Austria is based. The Allgemeine Bildungsziele of the Austrian curriculum sketch how students should be made aware of the way our worldview is shaped by cultural and linguistic structures, and that engagement with other cultures should help them develop openness and mutual respect. In terms of transdisciplinary competences, the curriculum prescribes that students acquire intercultural competences (BMBWF 2024). In a similar vein, the CEFR aims at promoting “mutual understanding and tolerance, respect for identities and cultural diversity” (Council of Europe 2001: 3). One way of allowing students to engage with different cultures and cultural practices is through literature (see also Stamenković in this volume), be it in their L1, their language of instruction, or in their EFL classes, as suggested by Kramsch (1993), Bredella (2002), Lütge (2012), and Volkmann (2015). In this article, we discuss how a literary text can be productively employed in an EFL classroom to foster intercultural learning and raise awareness of cultural diversity as well as power structures. This discussion will be complemented by a look into actual classroom practice and experiences. To this aim, we first attempt to zoom in on our understanding of - possibly contentious - key concepts, such as culture, interand transculturality, and intercultural learning before tapping into the potential of a select literary text, Margaret Mahy’s poem “Christmas in New Zealand”, for classroom use. This is accompanied by a sketch of how the poem was used in an actual classroom setting and the results achieved. 78 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="79"?> 2 Theoretical underpinnings When discussing the use of a literary text in an EFL classroom to broaden students’ cultural experience, it is necessary to first chart the field of interor transculturality, as well as connected teaching and learning practices in some broad brushstrokes. 2.1 Culture-Interculturality-Transculturality The first fundamental construct to be discussed is culture, which Raymond Williams famously characterises in his Keywords (1976: 76) as “one of the two or three most complicated words in the English language.” Arguably, the construct has increased in complexity in the second half of the twentieth century when the understanding of culture was expanded to include not only cultural products and practices deemed of particular value in a certain context but also the everyday, the mundane. Williams states in his seminal, eponymous discussion that: “[c]ulture is ordinary, in every society and every mind.” (1989[1958]: 54) What he refers to is an understanding of culture, which has remained influential since, namely the use of “the term culture in these two senses: to mean a whole way of life - the common meanings; to mean the arts and learning - the special processes of discovery and creative effort.” (ibid.: 54) This understanding of culture informs the present discussion of interand transculturality in that it is not restricted to practices of a social elite but draws our attention to groups and practices from all walks of life. This shift in conceptualisations of culture has led to a shift in attention to previously marginalised subjects in terms of class, gender, ethnicity, education, and colonial hierarchies. It has not only increased awareness of the different manifestations and practices of cultures, but also thrown into sharp relief how cultures influence, transform and examine one another. This plurality of cultures and possible ways of interaction are described by the existence of concepts such as multicultural, cross-cultural, intercultural or transcultural, which more or less refute previously productive notions about culture as a ‘singular’ phenomenon. This becomes tangible when correlating contemporary understandings of culture with previously influential ideas such as those propagated by Matthew Arnold (1869: 51), who saw culture as “the study and pursuit of perfection.” In his highly influential Culture and Anarchy: An Essay in Social and Political Criticism, published in the late 1860s, Arnold argues that “[t]he great men of culture are those who have had a passion for diffusing, for making prevail, for carrying from one end of society to the other, the best knowledge, the best ideas of their 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 79 <?page no="80"?> time.” (ibid.: 49) He connects this to a thriving national identity, echoing Johann Gottfried Herder’s late 18 th century thoughts on culture as characteristic of a specific people, a “Volk”. While Herder’s understanding of culture allows for a variety of cultural practices, culture is perceived as a self-contained, autonomous phenomenon (Delanoy 2020). It is precisely this notion of culture as self-contained unity, distinct from others, that has kept scholars busy for a considerable time, contemplating how best to theorise the different ways cultures impact one another. After all, if we think about cultural exchange, do we reinforce the notion of monolithic cultures or do we stress the fluidity of interactions and subversive positions? Two concepts connected with attempts of reflecting culturally diverse societies are those of multiculturality and interculturality. Both have been productively employed in various discourses - political, social, pedagogical- but have equally been challenged, most notably since Wolfgang Welsch’s 1999 publication “Transculturality - the Puzzling Form of Cultures Today,” for their limitations. Welsch argues that, while the conception of interculturality would suggest ways of mutual understanding and respect, it inevitably builds on Herder’s understanding of culture as discrete spheres bound to clash at one point or another. The flaw in this, for Welsch, is that the “classical conception of culture creates by its primary trait - the separatist character of cultures - the secondary problem of a structural inability to communicate between these cultures.” (Welsch 1999: 196) This, in Welsch’s view, is also true for the concept of multiculturality. Even though it attempts to reflect a culturally diverse society, it does so by conceiving of this diversity as rooted in “clearly distinguished, in themselves homogenous cultures” (ibid.: 196). He warns that such an understanding of cultures “threatens to engender regressive tendencies which by appealing to a particularistic cultural identity lead to a ghettoization or cultural fundamentalism.” (ibid.: 197) Alternatively, Welsch proposes the concept of transculturality to reflect the “inner differentiation and complexity of modern cultures” as well as their “external networking” and their general hybridisation (ibid.: 197 f.). He writes: “Henceforward there is no longer anything absolutely foreign. Everything is within reach. Accordingly, there is no longer anything exclusively ‘own’ ei‐ ther. Authenticity has become folklore, it is ownness simulated for others - to whom the indigene himself belongs. To be sure, there is still a regional-culture rhetoric, but it is largely simulatory and aesthetic; in substance everything is transculturally determined.” (ibid.: 198) By perceiving this simultaneity and connectedness of cultures, in what Antor (2020: 70) calls a dynamic model of culture, transculturality creates a space for marginalised social groups 80 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="81"?> and phenomena, thus also tying back to a theorising of transculturality in a postcolonial context. Antor traces this back to Fernando Ortiz’ notion of transculturación in 1940 to describe the “processes of the mixing of people and cultures in his native Cuba and the colonial and postcolonial world.” (ibid.: 70) As influential as Welsch’s theory was, it was not universally approved of, and the terminology remains in flux to this day. For instance, Antor (2020: 70) delineates how researchers operating with different terms such as interculturality or multiculturality have felt the suggested conceptual changes to be “purely cosmetic” and still indebted to essentialising notions of culture. Therefore, Delanoy (2012: 157 f.) argues for a “more differentiated look at interand transcultural approaches” to reveal “important areas of overlap for cultural learning which could become the basis for a joint agenda.” He supports his claim by referencing Hofmann’s understanding of interculturality as focusing on the in-between-space and how it can be negotiated productively (Hofmann 2006: 12). This echoes Bhabha’s (1994) conceptualisation of the “third space” in postcolonial encounters and Kramsch’s (1993) theory of the “third place,” created through cultural interaction not predicated on a monolithic understanding of culture(s). Clearly, culture is understood here as an intricately individual, multifaceted, and dynamic construct, transcending nationalities to comprise experiencedriven perspectives, emotional states, and patterns of behaviour and thought. In line with this, the understanding of cultural interaction employed here is not predicated on essentialising, monolithic understandings of culture. Hence, despite the criticism surrounding the supposed emphasis on dichotomies and distinctions, we, like other authors, deliberately employ the term “intercul‐ turality” to indicate that encounters invariably occur between individuals who bring their diverse identities to a situation to negotiate meaning (Byram 2021: 51). Grounded in an open and dynamic understanding of culture, interculturality represents an “active engagement with diversity” (Svarstad 2021: 41), encompassing various dimensions where individuals may exhibit commonalities or differences that can influence (successful) communication. Progressing along a spectrum from numerous to few commonalities, essen‐ tially, “every encounter constitutes an intercultural encounter” (Peskoller 2023: 36). Thus, building on the previously established dynamic, complex, and fluid understanding of culture, interculturality, to us, refers to the process of rethinking, renegotiating and reshaping of dimensions related to culture and identity in interactions and encounters (Ferri 2018; Risager 2018; Kramsch 2009). 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 81 <?page no="82"?> Since these processes of rethinking and negotiating identities are part of everyday classroom dynamics (Dervin 2023), picking up on these aspects and exploring them in greater depth means making use of an already existing condition. Consequently, classrooms serve as ideal resources and starting points for intercultural education, with teachers and learners often referred to as cultural actors (Schädlich 2022) or intercultural agents (Blell & Doff 2014), contributing to the interculturality of classroom discourse. 2.2 (Inter)cultural learning and the role of foreign language education The global diversification of societies and classrooms accelerates the relevance of intercultural education (Sobkowiak 2016). Specifically, we believe intercul‐ tural learning involves engagement with “the multitude of dimensions in which human beings can show commonalities and differences, and which (can) play a role for (successful) interaction and collaboration. Among others, these may include individuals’ experiences and stories, opinions and viewpoints, life designs, values or approaches.” (Peskoller 2023: 36) As outlined before, every (learning) group and, thus, every classroom can be described as intercultural since “[a]ll students are culturally and linguistically diverse relative to one another: no student is culturally and linguistically diverse on her or his own without being compared to somebody else” (Gorski 2016: 222). The described shift in the perception of culture itself (see Section 2.1) has also led to more dynamic views of intercultural learning that go beyond the acquisition of static, fact-based knowledge about national cultures (Liddicoat & Scarino 2013). Fundamentally, intercultural learning is an educational approach that seeks to address diversity in classrooms by actively highlighting it as a resource for learning, countering processes of exclusion, discrimination and racism, and preparing learners to participate successfully in an increasingly diverse global society. This approach is closely related to the aims of global (citizenship) edu‐ cation (Bär 2017; Fäcke 2019; Lütge, 2019) and helps learners “navigate in a world characterised by cultural flows mainly caused by transnational migrations, and representations of the moving world” (Risager 2009: 29). Moreover, inter‐ cultural education is guided by the principles of multiperspectivity, dialogue, and reflection, as outlined by Freitag-Hild (2018: 168). This underscores the responsibility of educators to incorporate a diverse array of perspectives and actively embrace the existing diversity within the learner group, as emphasised by Burwitz-Melzer (2017) and Kramsch (2009), among others. In practical terms, 82 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="83"?> contemporary intercultural learning relies on fundamental activities such as perception training, analysis, comparison, and role-playing (Fäcke & Meißner 2019; Schumann 2019; Freitag-Hild 2018). In the subject catalogue, foreign language teaching has been ascribed a special role in relation to intercultural education (Hu & Byram 2009) since it can be argued that “[t]eaching language is teaching culture” (Kramsch 1993: 117). Originally, Landeskunde, an approach that focuses mainly on providing factual knowledge about a country and its people, has often been identified as a starting point for intercultural learning (Schumann 2019). In the late 1990s, a paradigm shift took place in the field, replacing the then-prevailing native speaker ideal with the intercultural speaker as the core construct of modern foreign language teaching and designating the development of learners’ inter‐ cultural communicative competence a central aim of foreign language education ever since Byram’s (1997, 2021) influential five-dimensional model. Intercul‐ tural speakers can be characterised by cognitive, affective and action-oriented competence dimensions that take on a mediating role between people with different linguistic and cultural backgrounds (ibid.; Sercu 2000). In this sense, intercultural learning also includes affective and action-orientated dimensions (Göbel 2019; Schumann 2019). Aware of pluralistic, fluid identities and multiple affiliations, Martinez (2019) and Risager (2018), among others, have recently proposed training critical intercultural speakers who problematise essentialising, nationalistic and ethnocentric approaches. Moreover, intercultural learning also involves reflection on interactions and encounters and thus aims to build empathy, promote a change of perspective, and confront different points of view. It thus goes beyond presumed notions of ‘target (language) cultures’, a concept that has been strongly criticised and contested in the field (e. g. Römhild & Gaudelli 2022). Altogether, in the intercultural learning paradigm, the active and apprecia‐ tive integration of the existing plurality of the learner group into classroom discourse is essential (Burwitz-Melzer 2017; Bär 2017; Kramsch 2009). Students should be encouraged to self-reflect so that their own personality and life story are analysed, and viewpoints and experiences are shared, exchanged and reflected upon. In the interaction among and with each other, learners should not only experience a diversity of opinions but also be motivated to change perspectives. Consequently, activities such as perception training, analysing and comparing as well as role-playing are fundamental building blocks of intercultural learning. These elements are mirrored in different models and task typologies that have been proposed in foreign language education. Recently, Svarstad and 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 83 <?page no="84"?> Risager (2023: 3) have put forward a cycle model of intercultural learning comprising the phases noticing (1), comparing (2), reflecting (3), and interact‐ ing (4) with the aim of fostering “knowledge and critical cultural awareness of culture, society and the world” (ibid.). While conceptions of the world are challenged by reading texts or using images in the noticing phase (1), a relation to students’ lives and the development of an awareness of multiperspectivity and an identity as global citizens lie at the core of comparing in stage 2. Subsequently, learners are invited to decentre, contextualise, and reflect (3) before they are encouraged to discuss, communicate, and (inter)act in phase 4. Besides highlighting the many elements and dimensions of the construct, Svarstad and Risager’s model also adequately illustrates that intercultural learning constitutes a dynamic, circular, and continuous process without a clear starting or ending point. Alternatively, Freitag-Hild (2018) have proposed a seven-dimensional model of interand transcultural learning activities for working with literature in the EFL classroom, which is depicted in Figure 1 and provides a basis for the conducted research project (see Section 3): 84 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="85"?> Figure 1: Freitag-Hild’s (2018: 171) model of interand transcultural learning activities 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 85 <?page no="86"?> Exploring the seven task types shown in Figure 1, a connection to the four phases of the intercultural learning cycle becomes evident. For instance, a connection to learners’ previous experience and knowledge and encouragement of selfreflection about life stories and perspectives can be found in Freitag-Hild’s selfreflection and contextualisation tasks, while it directly connects to comparing (phase 2) and reflecting (phase 3) in Svarstad and Risager’s model. Moreover, empathising with other individuals, reflecting on differences, and discussing different opinions can also be found in both models. For the purpose of this research project and, more specifically, the design and evaluation of an EFL lesson (see Section 3), we made use of Freitag-Hild’s (2018) task typology as a guideline. 2.3 Intercultural learning in the Austrian curriculum Since the early 1990s, multilingualism, intercultural learning, diversity, and in‐ clusion have been embedded as interdisciplinary teaching principles in Austrian curricula. For secondary levels, the curriculum describes intercultural education as understanding, exploring, and active co-creating cultural values against the background of cohesion, equality, and open and respectful discussions of per‐ spectives (BMBWF 2024). In addition to this foundation, a fundamental decree on intercultural education was released in 2017 to strengthen its conceptual understanding among educators and its integration in classroom discourse. The document describes culture and identity as open and dynamic constructs and outlines the existing diversity inside classrooms as an enrichment for learning in a respectful and appreciative atmosphere. According to the decree, intercultural education needs to start from learners’ diverse lives, biographies, and experi‐ ences inviting them to question stereotypes, prejudice, and ethnocentricity as well as identify excluding, racist, and sexist statements and behaviours. Overall, empathy, openness, and respect should be promoted through activities involving reflection, perspective changing, and critical analyses (BMB 2017). Most recently, the revised curricula for lower secondary education in Austria also emphasise the need to tie in with the actual interests and Lebenswelt of the learners and mention the inclusion of “intercultural and transcultural aspects” as relevant in doing so. Specifically, the cross-linguistic curriculum for foreign language education in Austria lists intercultural competence as one of its core objectives, besides social and communicative competence (BMBWF 2024). As foreign language education in Austria is based on the Common European Framework of Reference for Languages (CEFR) and its Companion Volume (Coun‐ cil of Europe 2001; 2020), it is important to take a look at how intercultural 86 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="87"?> education and connected competences are described in these documents. Fun‐ damentally, the CEFR projects how, by means of foreign language education, “the language learner becomes plurilingual and develops interculturality. The linguistic and cultural competences in respect of each language are modified by knowledge of the other and contribute to intercultural awareness, skills and know-how. They enable the individual to develop an enriched, more complex personality and an enhanced capacity for further language learning and greater openness to new cultural experiences.” (Council of Europe 2001: 43) In spite of this, the CEFR uses the constructs of plurilingual and pluricultural competence, which is described as “the ability to use languages for the purposes of communication and to take part in intercultural interaction, where a person, viewed as a social agent has proficiency, of varying degrees, in several languages and experience of several cultures” (Council of Europe 2001: 168). In this defi‐ nition, however, a rather rigid, closed, and essentialist understanding of culture permeates, which is not in line with a contemporary and critically reflexive approach to interculturality. In the Companion Volume (Council of Europe 2020), descriptors for the competence were added, with the most relevant ones for intercultural education being Building on pluricultural repertoire and Facilitating pluricultural space. While the attempt to make the competence more tangible through adding scales and descriptors was widely appreciated, criticism related to the persistent elusiveness of the construct and the unsatisfying clarity in the given definitions. Further points of criticism relate to the inconsistency between the scales, the doubtful assignability of cultural dimensions to competence scales, and the overall questionable assessability of pluricultural competence (Quetz 2019; Burwitz-Melzer 2019ab). 2.4 The role of literature for interand transcultural learning Literature has long been an integral part of language instruction, with EFL originally relying on canonical texts and, later on, also on a selection of materials informed by a broader understanding of literature (Ahrens 2012; Hall 2020). One of the rationales for the use of literature in English language teaching has been the aim to improve students’ language and communicative skills (Hall 2005). A number of scholars, however, have also argued for the importance of developing distinct literary competences in learners (Spiro 1991; Alter & Ratheiser 2019). Paran and Robinson (2016) advocate for the use of literary texts in the classroom to complement learners’ education and broaden their spectrum of cultural experiences. For them, “[p]art of what happens in literature is the creation of a new world. An aspect of the experience of reading […] is for readers 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 87 <?page no="88"?> to immerse themselves in this new world conjured up by the novelist, short story writer, poet, or playwright.” (Paran & Robinson 2016: 19) The potential for literature in exploring these secondary worlds is as enormous and as manifold as the texts available. The broad spectrum of texts that can be used in the English language classroom reflects how a contemporary understanding of culture leads to a challenging of the literary canon, an expansion of the concept of literature beyond elitist notions (see Hall 2020), and an increase in texts worth using in an educational setting. Thus, postcolonial writing, multimodal texts as well as young adult novels, to name but a few, have complemented literature used in ELT and invited previously less privileged perspectives. Through this expansion, also a greater variety of cultural experiences and practices as represented in and constituted by a literary text can find its way into the EFL classroom. In line with this, Dalton-Puffer et al. (2019: 216) argue that literature is in fact the “most intensively researched and discussed aspect of inter-/ transcultural pedagogy”, while others have also remarked on the potential of literature for intercultural learning (e. g. Freitag-Hild 2018; Brunsmeier 2016). In these times of “accelerated globalization,” as Birgit Neumann calls it, “literature more than ever bears the imprints of transcultural exchange” (Neu‐ mann 2020: 137), though the understanding of interculturality in the context of this chapter encompasses all kinds of cultural exchanges to reflect the multifariousness of cultures constituted in today’s societies, which are not always the result of a globalised world. The importance of literature to not only mirror this multifariousness but also help create it cannot be overestimated. After all, as Neuman writes, it “constructs a specific version of reality” (138) that students can then be invited to explore. Lütge (2012: 191) argues that literature’s potential for what she calls ‘cultural learning’ lies in its ability to serve as an ideal starting point for reflecting on the perspectivity of individual viewpoints. Besides the popularity of narrative texts to explore versions of reality, poetry has proved a particularly productive genre in ELT (compare, for example, Duncan & Paran 2018; Rosenkjar 2006). Even though learners might initially be hesitant to engage with a poem because they perceive it as too challenging due to its metaphoric language or syntactical idiosyncrasies (Paran & Robinson 2016: 76), “poetry in English is a wonderful resource,” in EFL as Paran and Robinson argue. Not only does it come in all shapes and sizes, it also comes suitable for different age groups and language competences. Thus, picture books for young readers might be accompanied by a simple written text composed in rhyme, such as the popular children’s book The Gruffalo (1999). Instapoetry will speak to more advanced learners (see Singer’s contribution in this volume), while the 88 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="89"?> poetry of Rap can invite teenage learners to explore not only specific slang words but also specific experiences of urban life, to give just a few examples. 3 Research project To explore the potential and suitability of poetry for intercultural learning in EFL classrooms, a research project was conducted in an Austrian upper secondary classroom. This explorative study, predominantly qualitative and exemplary in nature, used a mixed methods case study design (Creswell & Creswell 2018; Kuckartz 2014). An EFL teacher in an urban secondary school in Austria was provided with a lesson plan and student worksheets created by the authors. Based on the completed task sheets, the potential of poetry to foster intercultural learning in foreign language education was evaluated. 3.1 Margaret Mahy’s “Christmas in New Zealand” The poem chosen is “Christmas in New Zealand” by one of New Zealand’s bestknown children’s poets, Margaret Mahy. It was first published in 1972 in The First Margaret Mahy Storybook and reissued in the collection Wonderful Me! in 2002. The choice of text serves several purposes. On the one hand, it reflects the diversified understanding of what constitutes adequate literature in language teaching by being both a) a text written for children, and b) non-canonical. On the other hand, the poem also underscores the importance of listening to voices that do not necessarily hail from the global north. As will be seen, this makes the poem particularly productive for the discussion of intercultural learning. By allowing us to explore cultural power relations, Mahy’s text enables readers, students and teachers alike, to become aware “that intercultural exchanges can contain very painful and disruptive elements such as processes of displacement, dislocation, uprootedness, alienation, enforced acculturation, etc.” (Volkmann 2012: 176). In the poem, a persona reflects on Christmas, characterised by the contrast between the warm weather at that time of year in the southern hemisphere and Christmas cards depicting snow, birds and plants foreign to the speaker. The poem uses mostly everyday vocabulary, with only a small number of words that would be unfamiliar to pupils. The syntactical structures do not always follow the grammatical norms familiar to students but are arguably straightforward enough. “Christmas in New Zealand” consists of 14 lines with irregular rhyme and a strong rhythmicality. It has two parts, with a volta coming after line 9. The first nine verses establish the characteristics of Christmas in the persona’s 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 89 <?page no="90"?> experience with the warm climate and the colours that come with it (blue, golden) mirrored in the warmth, the softness and the colours of the nativity scene (“Blue for the colour of Mary’s cloak,” verse 3). The last five verses form a stark contrast to the first part of the poem in that the persona’s lived experiences (“We know our Christmas by these signs,” verse 9) are juxtaposed with the universalised representation of Christmas as defined by western discourse in the northern hemisphere. The paraphernalia on display in the Christmas cards include snow, branches of holly and a bird that is not endemic to New Zealand. Interestingly enough, this contrast is only subtly marked, except for a brief “And yet…” (verse 10) to indicate the representational discrepancies delineated in the following verses. What is achieved by this - the plain language, the simple depiction of the scene and the strong rhythmicality - is an almost nursery rhyme quality. On a first reading, this likeness to a nursery rhyme might distract from the inherent scepticism in the poem; once the volta has been properly recognised, though, the seeming simplicity highlights the way in which representational power is questioned. After all, it not only posits different cultural representations and experiences side by side but also invites readers to reflect on the reasons for the discrepancies depicted. These incongruencies between lived experiences and cultural representations can be traced to a variety of factors, with the representational dominance of western discourse being a prominent one. In the case of New Zealand, this dominance becomes manifest partly in the colonial history of the island nation and the way European settler culture has been pushing Indigenous cultures to the fringes since the 19 th century (King 2003); it is arguably also a consequence of the strong representational influence of the northern hemisphere. As Laurenz Volkmann writes in “Intercultural Learning and Postcolonial Studies” (2012: 170), “in spite of the end of colonialism there is the ongoing existence of direct or indirect structures of dependence, of political, economic, social, and cultural asymmetries. Such structures have been dubbed as ‘neo-colonialism,’ and in the age of globalization as ‘Americanization’.” Either way, for readers from the global north, Mahy’s text offers a perspective on how actual experiences of Christmas can differ from their own, thus allowing for cultural transfer. At the same time, the poem provides a meta dimension in that it broaches cultural differences - in this case, how people experience Christmas and see it represented - which prompts reflection on cultural hierarchies. Both dimensions make this seemingly simple poem a suitable text for intercultural learning in the EFL classroom. 90 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="91"?> 3.2 Participants and materials The study was conducted in a sixth grade EFL classroom of a Gymnasium in Austria, with most learners aged 15 to 16 and in their sixth year of studying English at school. The group consisted of 13 students, 4 female and 9 male, and was taught by a female EFL teacher with a teaching experience of 7 years at an urban secondary school in Austria. According to the educator, most learners in her class are approximately at a B1 level in all four language skills as defined by the Council of Europe (2020) and BMBWF (2024). The teacher was provided the following lesson plan (Table 1) by the authors, which included a worksheet designed to accompany the lesson. Time Content Aims Material 5 Introduction - Teacher (T) writes “Christmas” on the board - Students (S) share what they associate with it/ what is typically associated with it in class → if it doesn’t come up, T can maybe elicit references to snow, birth of Jesus, holy family etc. → T shows images on PPP to activate language/ knowledge Raise interest Board Images on PPP slides 5 Task 1: Think - Pair---Share - S reflect what is important for them in their Christmas celebrations/ other festivities they celebrate - S share and compare their answers in pairs/ triplets and find 1 similarity and 1 difference. - S share findings in plenum afterwards Connection to learners’ lives/ experien‐ ces/ viewpoints Work‐ sheet 10 Plenum / Brainstorming - T writes “New Zealand” on the board: S brain‐ storm what they know about New Zealand - Task 2: Students research the following ques‐ tions online: Where is New Zealand? How does this location impact the climate/ seasons? What can you find out about the people living in New Zealand and their lifestyle? How do people celebrate Christmas there? Connection to knowledge, in‐ dependent re‐ search, explor‐ ing other contexts Board Work‐ sheet 5 Task 3: Vocabulary work - T hands out the text to S - S underline vocabulary while skimming, try to infer/ guess meaning with a partner → may use dictionary - Work‐ sheet 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 91 <?page no="92"?> 10 Engagement with the text/ analysis of the poem - T asks S questions, S/ T discuss in plenum - What is the poem about? - Speculate: who is the speaker in the poem? Whose voice do we hear? - Which words do they use to describe Christ‐ mas? [(if there is enough time)- What kind of rhythm does the poem have? What effect does this have? ] - Compare the words used in the poems with words used by S to talk about Christmas - differences/ similarities? ---What do you think, why are there these differences and similari‐ ties? - Plenum talk, analysing the text, discussion Work‐ sheet 10 Task 4: Round off task Learners produce their own stanza in pairs Learners get creative Work‐ sheet 5 Task 5: Reflection Task Learners reflect on the activities and their learning process Learners reflect on learning process Work‐ sheet Table 1: Designed lesson plan The worksheet outlined various tasks for the students to complete in connection with the poem studied during the EFL lesson. The individual task instructions on the worksheet read as follows: Task-1: Answer the following questions: Do you celebrate Christmas? If yes, how do you celebrate and what is important for you when celebrating Christmas? If you do not celebrate Christmas, what festivity do you celebrate and what is important for you? With a partner: Compare your answers and find one similarity and one difference. Task-2: Research the following questions online: Where is New Zealand? How does this location impact the climate/ seasons? What can you find out about the people living in New Zealand and their lifestyle? How do people celebrate Christmas there? Task 3: Skim the text, underline the following words and try to infer their meaning with a partner: 92 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="93"?> word meaning a cloak - serene - a holly - to gleam - a robin - Task 4: Now, try to produce your own stanza on a festivity; it can be one you celebrate or one you have learnt/ know about. Lastly, the worksheet also comprised reflection questions, which asked learners to provide short answers to 10 questions connected with intercultural learning (see Section 2.2). The first seven questions directly relate to Freitag-Hild’s (2018) seven types of interand transcultural learning activities (see Figure 2). In addition, in Q8, Q9, and Q10, learners are asked directly whether cognitive, affective and/ or action-oriented dimensions of intercultural learning were promoted in the EFL lesson: Q1: Were you able to contribute your previous knowledge and experience to the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q2: Were you able to explore and analyse your points of view in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q3: Were you able to experience and learn about other perspectives and life designs in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q4: Were you able to get to know different ways of life, people and cultures in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q5: Were you able to exchange ideas with your classmates and discuss different opinions in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q6: Were you able to recognise a connection to your interests and your life in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q7: Were you able to learn about the diversity of experiences, perspectives and lifestyles of your classmates in the lesson on Christmas in New Zealand? If yes, how? Q8: Did the lesson on Christmas in New Zealand broaden your knowledge of different lifestyles, people and cultures? If yes, how? Q9: Did the lesson on Christmas in New Zealand promote openness, respect and tolerance towards other lifestyles, people and cultures? If yes, how? Q10: Did the lesson on Christmas in New Zealand train you to think critically, reflect, solve problems or empathise with other people? If yes, how? 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 93 <?page no="94"?> In the following section, we outline the processes of data collection and analysis conducted during the project, setting the stage for the presentation of the corresponding findings. 3.3 Data collection and analysis The EFL lesson was conducted during the first period (07.55-08.45 a. m.) on 21 December 2024. The planned activities centred on the poem and accompanying reflection questions (see section 3.2), were completed within the allocated 50 minutes, which equals the standard duration of a school lesson in Austria. The teacher collected the worksheets and reported that the group was generally very engaged and active, yet quiet and focused during the writing task. The only notable challenge was the term “stanza”, which required clarification from the teacher. Following data collection, the worksheets (n=13) excluding Task 3 - a vocabularyfocused activity - were analysed using qualitative content analysis (Mayring 2022). The learners’ handwritten answers were transcribed and organised into an Excel spreadsheet to enhance clarity and comparability. While Tasks 1, 2, and 4 were analysed qualitatively and descriptively, students’ replies to the 10 reflection questions comprising Task-5 were analysed with both qualitative and quantitative approaches, i. e. applying a mixed methods approach to data analysis (Creswell & Creswell 2018). After viewing and examining the obtained data individually, the two authors engaged in a critical dialogue and fruitful discussion, debating any inconclusive cases and identifying particularly salient student responses. 3.4 Findings Given the two modes of data analysis applied in the study (see Section 3.3), we have structured the presentation of findings accordingly. First, we present insights gained through the qualitative exploration of learners’ replies to Tasks 1, 2 and 4, before synthesising the data obtained from the reflection questions posed in Task-5. The first task, which consists of two sets of questions, primarily aims at establishing a connection to the students’ Lebenswelt. By asking about their ways of celebrating Christmas, or other festivities if Christmas was not celebrated in their homes, the questions encouraged students to reflect on their own experiences with festive traditions and what appears meaningful to them. By comparing their own considerations with that of a partner, they could become aware of how contingent cultural practices are and how they depend on various factors such as religion or family culture. For example, one student replied that they did not 94 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="95"?> celebrate Christmas, because “it doesn’t put up with my religion and culture, but I have absolutely no problem with people who celebrate.” (S4) At the same time, the students’ answers also show the extent to which notions of an ‘ideal’ Christmas are discursively constructed. Thus, one student commented: “I celebrate christmas [sic] with my family, but it’s a bit different since my parents got divorced. Now, my sister and I celebrate with our mother on the 24 th and with our father and his girlfriend on the 25 th . It’s just important to me to spend christmas [sic] with both of them.” (S2) Since the poem the students were going to read later in the lesson explores particularly these discrepancies between dominant discourses and forms of representation as well as the positive connotation of Christmas for the persona, the students’ reflections on this topic would ideally help them examine the poem and its cultural implications in greater depth. In the second task, the students were asked to research some basic facts about New Zealand, particularly concerning the climate, the local population and the importance of Christmas there. This task serves a number of (related) purposes. On the one hand, the students could expand their knowledge of other cultures, in this case some of New Zealand’s cultures. This proved only partly productive, as all students picked up on the different climate, but not always on the geographical location with S11 asserting that “New Zealand is in Australia.” One student referenced New Zealands’s Indigenous population, albeit only as an “influence” and without employing the commonly used term Maori (S7). On the other hand, Task-2 allowed the students to pair the newly acquired, rudimentary knowledge of New Zealand off with their own lived experiences of Christmas. Many of them remarked on the “laid-back” quality of their Christmas celebrations (S2, S4, S6, S10, S12, S13), often involving barbecues on the beach. Eventually, this activity helped prepare students for the reading of the poem so that they would be able to identify and interpret the discrepancies concerning the experience and representation of Christmas. By being aware of the climate, for example, it should become clear to the students that using snow, hollies and robins to represent Christmas is the result of a cultural transfer. This could then be discussed as a consequence of colonialism as well as persistent western hegemony. While Task 3 is a vocabulary activity to expand the students’ linguistic repertoire, Task-4 aims at a creative transfer. Students were invited to write their own stanza about a festivity they celebrate or know about. To fulfil this task, they needed various literary competences, such as a grasp of the mechanisms of poetry, i. e. aesthetic and stylistic competence as well as cultural and discursive competence (Alter & Ratheiser 2019). This cultural and discursive competence requires an awareness of how festivities can be represented in different cultural environments, predicated on an analysis of and reflection on cultural phenomena, 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 95 <?page no="96"?> such as Christmas or other celebrations. The stanzas the students produced clearly reveal this. For example, S6 writes: “Our Cinese [sic] New Year is red and gold. And warm our Day night. Red for the colour of our clothes soft in the rocket glow. Gold for the colour of our jewellery that shone serene and bright.” While the poem emulates the tone and imagery of Mahy’s text, the student applied it to their own experiences and forms of representation that characterise their version of a Chinese Christmas. S13 chose to write about a different festivity in their poem about Easter: “When Easter comes/ And everything blossoms/ Feel the air in the lungs/ You see some opposums [sic]/ No, that are rabbits/ Some eggs in the grass/ You change your habits/ But then you ask.” This stanza employs a different rhythm and imagery than “Christmas in New Zealand” and yet, like Mahy’s poem, references an imagery that is unusual in the respective setting of the poem. Whereas Mahy’s persona sees the foreign robin in her Christmas cards, the student’s stanza envisages opossums rather than Easter rabbits, which are certainly the more established animal in the European context of Easter. The final task in the worksheet comprised ten reflection questions directly related to the students’ inter-/ transcultural learning experiences (see Section 3.2). Before looking at the students’ replies (n=13) in detail, the following chart provides an overview of the learners’ responses in general, i. e. indicating whether they answered the posed questions with yes, no, or left the space blank, which we coded as “not given”. Figure 2: Students’ replies to the reflection questions 96 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="97"?> As Figure 2 shows, almost all learners (n=12) stated that they were able to explore different ways of life (Q4) and exchange ideas and viewpoints with their peers (Q5) in the designed EFL lesson. In this regard, the learners particularly emphasised the internet research activity in Task 2, as well as “trying to find a similarity and a difference in how my classmate and I celebrate Christmas” (S2), thus referring to Task 1 (see Figure 2). One student described that “R. has a different way to celebrate Christmas” (S6), while S12 and S13 both generally observed that “there were a lot of tasks to do with my partner”, and S8 stated that their team “had a very interesting discussion” doing Task 1. A further 11 students claimed that the lesson broadened their knowledge of different lifestyles and people (Q8). They exemplified this by citing the facts and research opportunities provided (S2, S3, S9, S11, S12) and the self-reflection and discussions encouraged (S10). For instance, S4 claimed: “I was able to expand my knowledge and got to know a completely different side of New Zealand” (S5). Moreover, four other questions obtained a rather high score of 10: Q1, Q3, Q7 and Q9. Concerning Q1, however, which related to the activation of learners’ previous knowledge, some seemingly misread the question as they stated “Yes, I didn’t know about their Christmas traditions” (S7), which reads as contradictory. Alternatively, some students were honest and added “No, I didn’t know much about New Zealand” (S11). While there were only few additional comments concerning Q3, some learners referred to the discussion activity (Task 1). S5 said, “everyone has different traditions” regarding the exploration of in-class diversity of viewpoints, biographies, and lifestyles (Q7). Finally, the promotion of openness, respect, and tolerance was also rated high inside the EFL classroom, with learners highlighting that “[e]very lifestyle, people and culture was tolerated and treated respectfully (S12) or, similarly, “every opinion was tolerated and treated respectfully” (S13). Strikingly, S2 commented: “Yes, because gaining knowledge about other cultures is a sign of respect to me.” As concerns Q10, 8 out of 13 learners replied with a “yes” and outlined that the lesson invited them to think critically about their own opinions, empathise with other people, and added new ways of thinking (S10, S12, S13). On the contrary, and rather surprisingly, only four students indicated that they had recognised a connection to their interests and life (Q6), constituting the category with the lowest score. Besides many students stating something similar to S6, “No, I wasn’t able to recognise a connection”, two learners indicated “Not a lot” (S11) and “Not really, a little bit through the first exercise” (S12), which were both coded as “No”. Alternatively, two students voting “Yes” supported their claims either through the self-reflection activity (S11) or by describing how they celebrate Christmas (S2). 3 Intercultural Learning and Literature in EFL 97 <?page no="98"?> Regarding the study’s limitations, we particularly highlight the small sample size, short intervention period, and the case study design itself, which restrict the generalisability of our conclusions. 4 Conclusion Can a literary text, in this case a poem, be productively employed in an EFL classroom to foster intercultural learning and raise awareness of cultural diversity? We are convinced it can and the findings from this mini project have confirmed our assumption. Despite the small sample size and case-study design, the ten reflection questions in the final task showed clearly that learners felt they were able to explore different ways of life, exchange viewpoints with their peers, and expand their knowledge of contexts, countries, and people through the designed EFL lesson. Surprisingly, however, only few learners reported being able to connect the task to their own interests and lives, even though Task 1 explicitly invited them to reflect on and discuss their family traditions and habits. Therefore, relating to the students’ Lebenswelt may need to be more explicit in future activities aimed at promoting intercultural learning. Additionally, some students omitted questions or provided answers indicating they may not have understood the questions (e. g. in Q1 - “Were you able to include your previous knowledge? ” - “Yes, I didn’t know anything”). This suggests that some reflection questions may have been too cognitively demanding or too complex given the students’ levels of English. Furthermore, the two questions relating to learners’ increased empathy and openness (Q9, Q10) were difficult to analyse as some students indicated that they “already empathise with other people” or that they are “always open and tolerant” (S5). These answers might suggest that the teachers and/ or schools have already made efforts to promote these attitudes among students. Task 4 particularly highlighted the importance of integrating aesthetic, stylistic, cultural, and discursive competences as part of literary competences - and how skilfully students could access these in the creative transfer activity. All responses showed that students engaged with the poem by tapping into these competences. They were aware of the stylistic structures and so were able to replicate aspects such as the rhythm or wording of the poem in their own stanzas or use the cultural specificities depicted to bounce off their own ideas concerning festivities and discrepancies in their representation. These factors clearly show the critical thinking students were able to bring to the table. Altogether, this exploratory research project confirms that literature, includ‐ ing poetry, is highly suitable for implementing intercultural learning in EFL 98 J A S M I N P E S K O L L E R & U L L A R A T H E I S E R <?page no="99"?> classrooms. Even though the case study was limited to one EFL lesson in a single classroom, the results clearly show that different dimensions of intercultural learning can be fruitfully implemented in everyday language teaching practice. It also demonstrates that intercultural learning cannot only come in all shapes and sizes, and as part of all kinds of other topics, but that it can indeed be seen as a guiding principle of classroom practice. As such, a next step in working with “Christmas in New Zealand” would be to reflect in class on how intercultural transfer is negotiated within the poem. Investigating the power dynamics of colonial contact and the ensuing imbalance between the lived experiences of the persona and the representational dominance of the global north could further enhance students’ critical awareness of cultural hierarchies. 5 References Ahrens, R. (2012). Introduction: Teaching literature. In M. Eisenmann & T. Summer (eds.), Basic issues in EFL teaching and learning (181-189). Heidelberg: Winter. Alter, G., & Ratheiser, U. (2019). A new model of literary competences and the revised CEFR descriptors. ELT Journal, 73(4), 377-386. Antor, H. (2020). Interculturality or Transculturality? In G. 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Theater, Film, Instapoetry <?page no="107"?> 4 Back to School: Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht M ARTIN B AUE R -Z ETZMANN & W OLFGANG K OFLER Back to school: Joseph Resch’s Neo-Latin plays as an opportunity for teaching Latin For a long time, Latin teaching focused on classical antiquity and only opened up relatively late to Medieval and Neo-Latin texts. This is deplorable as these texts not only represent by far the largest proportion of surviving Latin literature, but are also closer to the students’ everyday life, as they were written with school in mind. This is particularly true of Neo-Latin school drama. This article first provides a historical overview of the school context of the genre and then presents a research project that examined 14 school plays written by the Brixen-based scholar and teacher Joseph Resch (1716- 1782), not only from a literary perspective but also from the perspective of subject-specific education. The pedagogical part of the project, discussed in more detail in the main part of the article, was carried out in collaboration with the Vinzentinum Brixen, which can be viewed as a successor to Resch’s former school, the Hochfürstliches Gymnasium, for several reasons. In addition to the revival of one of the plays by a student ensemble, a series of lessons for teaching Latin was developed, tested in a class at the school and presented as part of a teacher training course. The students were given an insight into the topic using selected texts by Resch. In addition, they learned about the connections between theatre pedagogy and language teaching. The project not only focused on the historical perspective, but also aimed, within the framework of a performative approach, to improve the students’ proficiency in Latin morphology and syntax and to expand their decoding and recoding skills. By arranging the text for teaching purposes, interesting parallels and differences between Latin language teaching in the 18 th and 21 st centuries could be revealed. These findings result in a new demand for Neo-Latin scholars to work on Latin school drama from the perspective of language teaching. <?page no="108"?> 1 Verfügbar unter: https: / / mnl-schule.dnlatg.de/ wiki/ index.php/ Mittel-_und_Neulatein _macht_Schule [01.09.2024]. 1 Mittel- und neulateinische Texte in der Schule: Der Status quo Der Lateinunterricht war lange Zeit auf die Antike (und innerhalb dieser v. a. auf das erste vor- und nachchristliche Jahrhundert) fixiert. Im Zuge der beson‐ ders in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts geführten Kanondebatten besann man sich aber darauf, dass das Gros der überlieferten lateinischen Texte nicht in die Zeit der alten Römer, sondern auf das Mittelalter und auf die Frühe Neuzeit fällt. In der Folge fanden die in diesen Epochen verfassten Texte zunächst Eingang in Textsammlungen und Handreichungen zur Planung von Unterrichtseinheiten. Eine Berücksichtigung in den Lehrplänen erfolgte hingegen erst später und auch da noch sehr zögerlich (Walser-Bürgler 2021: 3; für Mittellatein im Speziellen Wasserfuhr 2017: 148-157). Eine Ausnahme stellt am ehesten Österreich dar. Die Lektürephase besteht hier bereits seit zwei Jahrzehnten aus thematisch gegliederten Kompetenzmodulen, aus deren Beschreibung Autoren- und Werknamen verbannt wurden und bei deren Be‐ füllung mit „Texte[n] eine breite Streuung von der Antike bis in die Neuzeit anzustreben ist“ (Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) 2024). In neuester Zeit hat im gesamten deutschsprachigen Raum v. a. die Web-Initiative Mittel- und Neulatein macht Schule!   1 Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Auf dieser Plattform werden laufend Texte eingestellt, die von Usern didaktisch aufbereitet wurden und einen von der Redaktion gesteuerten Qualitätssicherungsprozess durchlaufen haben. Als Grund für die stärkere Berücksichtigung mittel- und neulateinischen Schrifttums im Unterricht lässt sich nicht nur die bereits erwähnte zahlenmä‐ ßige Verteilung lateinischer Texte anführen. Es wird oft übersehen, dass sie den SchülerInnen auch lebensweltlich näherstehen, und zwar nicht nur wegen des geringeren zeitlichen Abstands oder der stärkeren regionalen Komponente (stadtrömische Texte aus der Antike sind dann doch oft weit von der Lebenswelt heutiger Jugendlicher entfernt), sondern auch bezüglich ihrer Pragmatik: Viele Werke wurden mit Blick auf die Schule oder sogar für sie oder in ihr verfasst (Giere 2022). Dies gilt für keine Gattung mehr als für das neulateinische Drama, das von 2016 bis 2018 den Gegenstand eines umfangreicheren Forschungspro‐ jekts an der Universität Innsbruck bildete. Das Vorhaben, das den Brixner Schuldramen des Joseph Resch (1716-1782) gewidmet war, wies umfangreiche didaktische Verästelungen auf und dient deshalb als Good-Practice-Beispiel für 108 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="109"?> die Synergien zwischen Fachwissenschaften und Fachdidaktik, die in der diesem Band zugrundeliegenden Ringvorlesung verhandelt wurden. Im Folgenden wird zunächst die Bedeutung des neulateinischen Dramas für die Schulen sowohl in gesellschaftlich-institutioneller als auch in pädagogischdidaktischer Hinsicht dargestellt. Vor diesem Hintergrund erfolgt dann eine nähere Beschreibung des Projekts zu den Brixner Schuldramen. Der letzte Abschnitt wirft einen Blick auf die didaktische Dimension des Vorhabens. Besonders ausführlich wird dabei auf eine Unterrichtsreihe eingegangen, in der SchülerInnen anhand ausgewählter Resch-Texte nicht nur inhaltlich in das Thema eintauchen, sondern auch die engen Verbindungen kennenlernen, welche zwischen theaterpädagogischer Arbeit und Sprachunterricht bestehen können. 2 Neulateinisches Theater und Schule Wie in der modernen Gattungsbezeichnung bereits zum Ausdruck kommt, hatte das neulateinische Schultheater seinen „Sitz im Leben“ im frühneuzeitlichen Gymnasium des 16. bis 18. Jahrhunderts (zum neulateinischen Drama immer noch maßgeblich Valentin 1978 und - gekürzt und überarbeitet - 2001; einen Überblick in Deutsch bietet Rädle 2019; vgl. auch die Beiträge in Bloemendal & Ford 2008; Bloemendal & Norland 2013 und Ford & Taylor 2013). Es handelt sich bei dieser Gattung vielleicht um den künstlerischen Gipfelpunkt eines auf Kom‐ munikation und Rhetorik ausgerichteten didaktischen Ansatzes, der im Fremd‐ sprachenunterricht (d. h. vorwiegend Lateinunterricht) von der Spätantike bis etwa 1800 vorherrschend war. Die Lernenden (vorwiegend männliche Schüler, aber zumindest in Frauenklöstern auch Schülerinnen) übten die mündliche Kommunikation in der Fremdsprache am Modell konstruierter Alltagsdialoge und Szenen. Erhaltene Beispiele für solche Unterrichtsgespräche sind z. B. die Colloquia der sogenannten Hermeneumata Pseudodositheana (Dickey 2016), die Komödien von Hrotsvit von Gandersheim (Cardelle de Hartmann 2015) sowie die zahlreichen Schuldialoge der Humanisten, von denen die Colloquia familiaria des Erasmus von Rotterdam vielleicht die berühmtesten sind (Kraus 2010; Korenjak 2016: 133-135). Diese Tradition floss auch in das frühneuzeitliche Gymnasium ein, für das die Jesuiten 1598/ 99 mit der Ratio Studiorum einen weltweiten curricularen Standard schufen. Der Fokus wurde dabei auf den Latein- und (in geringerem Ausmaß) Griechischunterricht gelegt, wozu dann noch Geschichte, Geografie und Kulturkunde als „Akzessorien“ hinzutreten konnten. Das Jesuitengymna‐ sium umfasste sechs oder sieben Jahrgangsstufen, die nach ihrem curricula‐ 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 109 <?page no="110"?> ren Schwerpunkt benannt waren: Principia (Elementarunterricht), Rudimenta (Grundlagen der Grammatik), Grammatica (Formenlehre), Syntaxis (Satzlehre) - diese Klasse konnte auch auf zwei Jahre aufgeteilt werden -, Poesis (Dichtung) und Rhetorica (Rhetorik). Die ausschließlich männlichen Schüler erlernten die Sprache rezeptiv und produktiv durch eine Vielzahl von mündlichen Unterrichtsformen wie Vorlesungen (praelectiones), Wiederholungen (repetitio‐ nes), Diskussionen (disputationes), Fragerunden (quaestiones), Deklamationen (declamationes), Theaterspiel (ludi scaenici), Wettkämpfe (certamina) und Preis‐ verleihungen (praemia). Daneben gab es freilich auch schriftliche Übungen, insbesondere das Verfassen von lateinischen Schulaufsätzen und Versen. Zu besonderen Anlässen und Festen wurden Disputationen, Deklamationen und Theaterstücke auch öffentlich oder zumindest schulöffentlich aufgeführt. Das Curriculum der jesuitischen Ratio Studiorum wurde in der Folge von anderen Schulträgern übernommen und allenfalls leicht adaptiert. Es bildete bis zu den Schulreformen Maria Theresias die Grundlage jeglicher Schulbildung in Mitteleuropa (Engelbrecht 1983: 150-167). Lateinisches Theaterspiel war von Anfang an Bestandteil jesuitischen Schul‐ unterrichts, da die Schüler damit integrativ eine Vielzahl von Kompetenzen erlernen konnten: von der Sprachbeherrschung über Schulung in Vortragstech‐ nik und Präsentation bis hin zur musikalischen Ausbildung. Die Inhalte der Theaterstücke speisten sich aus biblischen Geschichten, Heiligenlegenden, historischen und mythologischen Stoffen sowie Szenen aus dem Schulalltag und trugen damit auch zur Werteerziehung, zur religiösen Bildung und zur Vermittlung von Geschichte und Kulturkunde bei (Engelbrecht 1983: 163). Formal orientierten sich die Stücke wie auch das barocke französische Theater an der antiken Tragödie (insbesondere an Seneca) mit fünf Akten, jambischem Versmaß und akttrennenden Chören. Die Stücke wurden meist für jeden Anlass vom jeweiligen Rhetoriklehrer selbst neu verfasst und vom örtlichen Kapellmeister mit Musik ausgestattet. Obwohl in der Ratio Studiorum nur für die oberen Klassen vorgeschrieben, veranschlagten einige Lehrer den didaktischen Wert des Theaterspiels so hoch, dass an zahlreichen Schulstandorten kürzere lateinische Stücke oder Sketches auch mit den Grammatikklassen oder sogar in jeder Jahrgangsstufe erarbeitet wurden ( Jacková 2018). Die Wirkung des neulateinischen Schuldramas war allerdings keineswegs auf die Schule und das Unterrichtsgeschehen begrenzt. Denn am Ende der sprachlichen, rhetorischen und szenischen Erarbeitung des Theatertextes stan‐ den prunkvolle öffentliche Darbietungen mit Musik, Tanz und allen Finessen der zeitgenössischen Bühnentechnik, die den barocken Opernaufführungen an Pracht und emotionaler Wirkung nicht nachstanden. Anlässe dafür waren ins‐ 110 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="111"?> besondere Schuljahres- und Semesterabschlussfeiern, aber auch hohe religiöse Feiertage, die Einweihung von Kirchen und öffentlichen Gebäuden, der Besuch von Prominenten oder Fürstenhochzeiten. Eine solche Aufführung war in vielen Städten das zentrale kulturelle Ereignis des Jahres und zog das Publikum trotz der Sprachbarriere (die allerdings durch volkssprachliche Programmhefte, die sogenannten Periochen, etwas gemildert wurde) in Scharen an (Korenjak 2016: 173-175). Sie wirkten damit über ihre didaktische Funktion hinaus auch als Leis‐ tungsschau der jeweiligen Schule und dienten der Werbung, dem Fundraising, dem Networking und nicht zuletzt der Gegenreformation als Vehikel. Diesen vielfältigen Nutzen erkannten bald auch andere Schulträger und imitierten die jesuitische Praxis an ihren eigenen Gymnasien. Da üblicherweise für jeden Anlass ein neues Theaterstück geschrieben wurde, gelangten die meisten neulateinischen Schuldramen nur ein einziges Mal zur Aufführung und wurden nur in seltenen Fällen gedruckt. Es sind daher Recherchen in Archiven und Bibliotheken notwendig, um die handschriftlichen Textbücher dieser für das europäische Schulwesen der frühen Neuzeit zentralen Unterrichtspraxis aufzuspüren und zu interpretieren. An dieser Stelle setzte das Innsbrucker Projekt ein, das die lateinischen Theaterstücke des an der Brixner Domschule tätigen Joseph Resch erstmals einer breiteren Öffentlichkeit erschloss. 3 Das Projekt Brixner Schultheater im 18.-Jahrhundert: Edition und Übersetzung der neulateinischen Dramen von Joseph Resch 3.1 Joseph Resch und sein dramatisches Werk Joseph Resch war einer der führenden Tiroler Intellektuellen seiner Zeit. 1716 in Hall geboren, führte ihn sein Weg schon früh in die Südtiroler Bischofsstadt Brixen, wo er das Hochfürstliche Gymnasium besuchte (zur Biografie vgl. ausführlich Zathammer & Kühebacher 2024). Die Gymnasialzeit beendete er wahrscheinlich in Innsbruck, kehrte danach aber in die Stadt am Eisack zurück, wo er das Priesterseminar absolvierte. Danach wirkte er als Seelsorger. 1742 wurde er Lehrer und Präfekt an seiner alten Schule. Diese Stelle hatte er fast 20 Jahre inne, bis er sie - mittlerweile zum Doktor der Theologie in Padua promoviert - kündigte, weil er sich vorschnelle Hoffnungen auf eine Professur an der Universität Innsbruck machte. Nun folgten schwierige Jahre für Resch. Über seine Brixner Beziehungen in der Kirche fand er jedoch eine Anstellung als Hofkaplan und wurde später Direktor des bischöflichen Archivs. Hierfür qualifizierte ihn seine Expertise im Bereich der Kirchengeschichte, in der er 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 111 <?page no="112"?> Abbildung 1: Joseph Resch als Kanonikus in Innichen, Museum Kollegiatstift-Mensal‐ fonds Innichen sich schon vorher einen Namen gemacht hatte. 1766 wurde er schließlich doch Professor an einer höheren Schule, und zwar für Heilige Schrift am Brixner Priesterseminar. 1768 wurde ihm vom Papst ein Kanonikat an der Stiftskirche in Innichen übertragen. Im Rahmen des vierzigstündigen Gebets hielt er 1782 noch eine Kanzelrede in Klausen, erkrankte dabei aber an einer Lungenentzündung, an der er verstarb. In der Vergangenheit war Resch vor allem als Kirchenhistoriker be‐ kannt. Dass er während seiner Zeit als Lehrer und Präfekt am Fürstbi‐ schöflichen Gymnasium auch für das Schultheater zuständig war und in diesem Zusammenhang neulatei‐ nische Dramen verfasste, die mehr‐ heitlich als Handschriften in der Bib‐ liothek des Priesterseminars Brixen erhalten sind, wurde ausgeblendet. Das Korpus der Resch-Stücke um‐ fasst 14 vollständige Werke (Über‐ sicht in Wirthensohn & Zathammer 2024). Sie behandeln Historisches (der Iugurtha etwa hat ein römisches Thema, während der Ludovicus den Streit um die Nachfolge Karls des Großen in den Fokus nimmt), brin‐ gen Heilige aus der Region auf die Bühne (Sanctus Ingenuinus), fallen in die Gattung des Meditationsspiels (etwa der Pastor bonus) oder befassen sich in satirischer Form mit Bildungsfragen (hier ist als wichtigstes Stück die Rhetorica zu nennen). Natürlich wird auch das Feld der klassischen Mythologie abgedeckt, und zwar mit einem Agamemnon. 3.2 Wissenschaftliche Ziele und Ergebnisse Das Interesse an diesen Stücken verdankt sich nicht nur dem v. a. aus lokaler Perspektive verständlichen Bestreben, Reschs vergessenes dramatisches Oeuvre aus der Versenkung zu holen, sondern auch einer überregionalen Forschungs‐ lücke: Während das neulateinische Schultheater für das 16. und 17. Jahrhundert 112 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="113"?> 2 Verfügbar unter: https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ joseph-resch/ [01.09.2024]. 3 Verfügbar unter: https: / / mlat.uzh.ch [01.09.2024]. mittlerweile recht gut erschlossen ist, besteht für das 18. diesbezüglich immer noch Handlungsbedarf (Pohle 2010: 38). Dies ist nicht zuletzt deshalb zu bedau‐ ern, weil sich das neulateinische Drama in dieser Zeit nach wie vor behauptet und weiterentwickelt hat. Diese Schieflage sollte das von der Autonomen Provinz Bozen - Südtirol finanzierte Projekt mit einem substantiellen Beitrag zur Grundlagenforschung beheben. Kernziel des Unternehmens war die Erstellung einer Online-Edition samt Einleitung, deutscher Übersetzung und Anmerkungen aller erhaltenen Resch-Stücke. Das gesamte Material wurde auf einer eigenen Homepage ein‐ gestellt, 2 der lateinische Text zusätzlich auf Corpus Corporum, dem größten Repositorium für die mittel- und neulateinische Latinität, hochgeladen, wo er im XML-Format elektronisch durchsuchbar ist. 3 Zu diesen editionsphilologischen Anstrengungen trat bereits während der Projektlaufzeit und verstärkt danach eine Menge literaturwissenschaftliches Beiwerk, wie eine Modelledition mit ausführlicher Einleitung des Sanctus Ingenuinus (Zathammer 2019), ein Sam‐ melband (Kofler, Wirthensohn & Zathammer 2024) und mehrere andere Studien (Kofler 2018, 2021; Brüser im Druck). 3.3 Third Mission und Schule Die Disseminierung über den wissenschaftlichen Bereich hinaus war ein wich‐ tiges Anliegen des Projekts. Erreicht wurde sie durch ein kräftiges Bemühen um mediale Präsenz und die Bereitschaft, sich in publikumswirksame Veranstaltun‐ gen wie die Themenausstellung Liebe, Tod und Teufel. Theater in Tirol (2022 im Südtiroler Landesmuseum für Kultur und Landesgeschichte auf Schloss Tirol) einzubringen (Kofler & Zathammer 2022). Neben diesen eher traditionellen Maßnahmen im Bereich der Third Mission war es für die Verantwortlichen aber von Anfang an klar, dass gerade dieses Thema auch über den Weg der Schule einer breiteren Öffentlichkeit zugeführt werden musste. Einer der Gründe hierfür war die bereits in Abschnitt 1 erwähnte Nähe zur Lebenswirklichkeit der SchülerInnen, wobei ein besonderer Zufall genutzt werden konnte: Brixen hat immer noch ein humanistisches Gymnasium - das Bischöfliche Institut Vinzentinum. Dieses darf sich nicht nur wegen seines kirchlichen Trägers als Nachfolgeinstitution von Reschs Hochfürstlichem Gymnasium betrachten, denn an der Schule gibt es auch - und das ist durchaus ein Alleinstellungs‐ merkmal in Südtirol - eine lebendige Theatertradition, in deren Rahmen jedes 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 113 <?page no="114"?> 4 Vgl. die Zusammenstellung auf https: / / www.uibk.ac.at/ projects/ schultheater-resch/ me dienpraesenz/ [01.09.2024]. Jahr ein Stück auf die Bühne des schuleigenen Theatersaals gebracht wird. Die Aufführungen sind ein gesellschaftliches Ereignis und genießen ein großes mediales Echo. Vor diesem Hintergrund bot es sich für das Projekt an, das Vinzentinum ins Boot zu holen und Joseph Resch und seine Dramen wieder auf die Bühne und in die Klassen „seiner“ Schule zurückzubringen. 4 Joseph Reschs Rückkehr an die Brixner Schule Auf welche Weise Theaterarbeit und regulärer Unterricht in den frühneuzeitli‐ chen Schulen konkret miteinander verbunden wurden, wird in der Forschung selten diskutiert und ist anhand der bisher bekannten Quellen auch schwer zu beurteilen. Der Sprachunterricht erfolgte nämlich ebenso wie die Erarbeitung von Theaterstücken über weite Strecken rein mündlich, sodass schriftliche Aufzeichnungen fehlen, die einen tieferen Einblick in Didaktik und Methodik geben könnten. Es ist aber doch davon auszugehen, dass es zwischen Theater‐ spiel und Unterricht erhebliche Synergien gab, zumal sich im Text der Stücke immer wieder Hinweise finden, die sich entsprechend interpretieren lassen (s. u. 4.2). Weil also das neulateinische Theater in seiner Entstehungszeit mit dem Sprachunterricht eng verbunden war, schien es den Versuch wert, dass die in die Aufführung am Vinzentinum involvierten LehrerInnen und SchülerInnen auch im Unterricht mit dem Text des für die Bühne bestimmten Stücks arbeiten sollten. Leider konnten die Klassenverbände, aus denen die an der Aufführung mitwirkenden SchülerInnen stammten, aufgrund organisatorischer Zwänge für die Arbeit im Unterricht nicht noch einmal aufgelöst werden. Dieser Umstand trug mit zur Entscheidung bei, bei der Aufführung und im Unterricht auf zwei verschiedene Resch-Stücke zurückzugreifen. 4.1 Die Wiederaufführung des Agamemnon Für die Wiederaufführung im November 2018, die übrigens auf erhebliches Interesse in den Medien stieß, 4 fiel die Wahl auf das einzige mythologische Stück, das uns im Korpus überliefert ist, den Agamemnon suimet victor („Agamemnon, Bezwinger seiner selbst“). Grund für diese Entscheidung war v. a. die Überle‐ gung, dass ein erkennbar klassisches Sujet mit Blick auf die Außenwirkung am besten zu dem humanistischen Profil der Schule passt. Das Werk handelt von dem aus der Ilias bekannten Streit um die Sklavin Briseis, die sowohl Aga‐ 114 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="115"?> Abbildung 2: Aufführung des Agamem‐ non am Vinzentinum, Photo: Harald Kno‐ flach/ Vinzentinum memnon als auch Achill für sich beanspruchen. Resch änderte die homerische Vorlage in mehreren Punkten ab (s. hierzu Kofler 2018, 2022) und verlieh ihr eine moralische Stoßrichtung: Am Ende gibt Agamemnon, der Anführer der Griechen, nach und stellt das Allgemeinwohl vor seine persönlichen erotischen Wünsche - daher rührt auch seine Charakterisierung als „Bezwinger seiner selbst“ im Titel. Für die Einstudierung des Stücks konnte mit Georg Paul Aichner ein bekannter Südtiroler Regisseur gewonnen werden, der schon öfter erfolgreich mit Jugendlichen gearbeitet hatte. Als Textbasis diente eine von ihm und Wolfgang Kofler bearbeitete und auf Judith Sailer zurückgehende deutsche Übersetzung des Stückes. Um die Ausdruckskraft des lateinischen Originaltextes zumindest ansatzweise an das heutige Publikum zu vermitteln, wurden kurze Passagen - vornehmlich Chorpartien - auch auf Latein wiedergegeben. Parallel zur Einstudierung des Stücks im Herbst 2018 fand an der Universität Innsbruck ein fachdi‐ daktisches Seminar zu Reschs Aga‐ memnon statt. Im Rahmen dieser Lehrveranstaltung wohnten die Stu‐ dierenden auch den Probenarbei‐ ten bei und schlüpften dabei in die Rolle von wissenschaftlichen BeraterInnen. Diese Erfahrung war erhellend und lehrreich, nicht nur für die SchülerInnen auf der Bühne, son‐ dern auch für die Studierenden und den Lehrveranstaltungsleiter Wolf‐ gang Kofler, denn manche Textstellen, deren Verständnis zuvor Probleme bereitet hatte, konnten durch das Spiel auf der Bühne bzw. die Frage nach ihrer konkreten dramatischen Umsetzung einer Klärung zugeführt werden. 4.2 Die Rhetorica als Lektüretext im modernen Lateinunterricht Ausgehend von der Überlegung, dass Theaterarbeit im 18. Jahrhundert eng in den Sprachunterricht eingebunden war, sollten die Dramen von Joseph Resch zumindest exemplarisch auch auf ihre Eignung für den Lateinunterricht hin getestet werden. Zwar lässt sich die Situation in einem frühneuzeitlichen Gymnasium nicht ohne weiteres auf den modernen Lateinunterricht umlegen, da die Lebensweltlichkeit eine völlig andere ist, doch können immerhin in Teilbereichen interessante Vergleiche gezogen werden: Da Latein im 18. Jahr‐ 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 115 <?page no="116"?> 5 https: / / mnl-schule.dnlatg.de/ wiki/ index.php/ Mittel-_und_Neulatein_macht_Schule [15.08.2024]. hundert immer noch produktiv eingesetzt wurde, war der Sprachunterricht gemäß der jesuitischen Didaktik vor allem in den höheren Klassen recht deutlich am Erwerb von kommunikativen Kompetenzen ausgerichtet. Kompetenzorien‐ tierung spielt auch in der Schule von heute eine wichtige Rolle, Lateinunterricht wird aber mittlerweile vorrangig als sprachreflexiv verstanden (Wirth, Seidl & Utzinger 2006: 16-22). Die Arbeit an einem neulateinischen Schuldrama im Lateinunterricht geht also insofern über die übliche Erschließung neuer Lektüretexte hinaus, als dass hier bereits didaktisiertes Material in einen neuen didaktischen Kontext transportiert wird. Ein wesentliches Ziel bei der Entwick‐ lung moderner standardisierter Arbeitsaufgaben war es daher, möglichst viel an im Text bereits vorgegebenen methodischen Aspekten zu erhalten oder vielleicht sogar durch die didaktische Arbeit am Text besser zu verstehen. Für die Unterrichtsreihe zu Joseph Resch übernahm seitens des Projektteams Martin Bauer-Zetzmann die Konzeption und die didaktische Einrichtung der Textpartien mit Anmerkungen und kompetenzorientierten Arbeitsaufgaben. Die Lektüresequenz war auf zehn Unterrichtsstunden angelegt; die Umsetzung mit einer Lateinklasse am Vinzentinum in Brixen erfolgte durch die Klassen‐ lehrerin Teresa Kiermeyer im Oktober und November 2018. Die Lateinklasse befand sich im vierten Lernjahr und hatte bereits Erfahrung mit Originallektüre, allerdings noch nicht mit neulateinischer Literatur, worauf in Anmerkungen und Hintergrundinformationen Rücksicht genommen wurde. Eine begleitende Unterrichtsbeobachtung ließ sich leider organisatorisch nicht bewerkstelligen, die - durchwegs positiven - Reaktionen der Klasse wurden aber von Teresa Kiermeyer zusammen mit ihrer eigenen Einschätzung an das Projekt rückge‐ meldet. Die vollständige Unterrichtssequenz soll in Zukunft auf der Plattform Mittel- und Neulatein macht Schule! allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. 5 Im vorliegenden Beitrag werden nur ausgewählte Textpassagen und Arbeitsaufgaben eingehender besprochen. Bei der Entscheidung für eines von Reschs Theaterstücken fiel die Wahl - wie bereits oben bemerkt - nicht erneut auf den Agamemnon, sondern auf die einaktige Komödie Rhetorica, die sich aus mehreren Gründen für die Bearbei‐ tung im Lektüreunterricht besser eignet (für den Text siehe Rothfuß 2020). Die Rhetorica entnimmt ihr Thema dem Lateinunterricht selbst, knüpft also an die Lebenswirklichkeit der SchülerInnen an und bietet interessante Einblicke in den Schulalltag und Lateinunterricht des 18. Jahrhunderts. Als authentisches histo‐ risches Dokument, das zugleich bereits didaktisiert ist, demonstriert der Text 116 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="117"?> 6 https: / / www.provinz.bz.it/ bildung-sprache/ deutschsprachige-schule/ downloads/ 4127 29_rrl-gymnasien-innen.pdf [15.08.2024]. die Bedeutung, aber auch die Diskussion über das Lateinische im neuzeitlichen Europa. Zudem handelt es sich um das kürzeste Stück im Korpus, das somit fast vollständig bearbeitet werden konnte. Bei längeren Tragödien wie dem Agamemnon hätten nur einige wenige Szenen ausgewählt werden können. Die kurzen Szenen der Rhetorica erlaubten hingegen auch das Ausspielen im Unterricht. Schließlich lassen sich anhand der unterschiedlichen Qualitäten des Lateinischen im Text auch sprachliche Kompetenzen trainieren, wie noch gezeigt wird. Die sehr frei gehaltenen Rahmenrichtlinien für die Gymnasien in Südtirol erlauben in der Lektürephase des Lateinunterrichts jederzeit die Bearbeitung einer neulateinischen Komödie unabhängig vom Thema, 6 aber auch innerhalb des themenzentrierten österreichischen Latein-Lehrplans könnte die Rhetorica inhaltlich gut in die Themenmodule „Der Mensch in seinem Alltag“ oder „Rhetorik, Propaganda, Manipulation“ eingebunden werden (RIS 2024). Historischer Kontext und Ausgangspunkt für die Abfassung der Rhetorica war die Situation am Brixner Gymnasium im Jahr 1751 (Rothfuß 2024: 114-121). Joseph Resch hatte in den vorangegangenen Jahren versucht, die bestehende vierklassige Domschule nach dem Vorbild der jesuitischen Ratio Studiorum mittels einer zusätzlichen Poetik- und einer zusätzlichen Rhetorikklasse zu einem vollwertigen Gymnasium auszubauen, an dem die Hochschulreife erlangt werden konnte. Die Poetikklasse (5. Klasse) konnte zwar 1748 eingerichtet werden, die Einführung der Rhetorikklasse (6. Klasse) scheiterte aber zunächst an der Finanzierung. Daraufhin verfasste Resch den komischen Einakter, in dem er die personifizierte Rhetorikklasse (Rhetorica) der Reihe nach bei verschiede‐ nen Göttern um Aufnahme betteln lässt. Ein erhaltener Clavis personarum in silentio („geheimer Personenschlüssel“) gibt darüber Auskunft, dass Resch in der Maske der Götter Brixner Institutionen persiflieren wollte: Neptun steht für die Brixner Stadtverwaltung, Pan für C. F. (möglicherweise Conventus Franciscanorum, das Franziskanerkloster), Mammon für die reiche Bürgerfamilie Peisser und Apollo für die neu eingeführte Poetikklasse. Außerdem sprechen die Götter in aufsteigender Reihenfolge immer besser und fehlerfreier Latein, Apollo sogar in Versen. Mit diesem komischen Kunstgriff bildet Resch die Struktur der bestehenden Gymnasialklassen von Principia bis Poesis in den Szenen des Stückes ab (Rothfuß 2024: 117-121). Das Finale bietet eine Lösung, die - passend zur Rhetorik - im Kern auf einem Wortspiel beruht. Als rettender Rückzugsort für die bedrängte Rheto‐ rik bieten sich schließlich die rhetorischen loci communes („Gemeinplätze“, 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 117 <?page no="118"?> „Topoi“) an, die in der Schlussszene auch personifiziert auftreten. Im Zuge der neuzeitlichen Genieästhetik in Verruf gekommen und heute synonym zu „Klischee“ verwendet, waren die Gemeinplätze von Aristoteles an bis ins 18. Jahrhundert fester Bestandteil des Rhetorikunterrichts. Es handelt sich dabei um vordefinierte Kategorien wie Analogien, Similien, Kontrarien etc., die es er‐ möglichen, systematisch Argumentationsstrategien für eine Rede aufzufinden. In der Schlussszene der Rhetorica treten sie nicht nur personifiziert auf, sondern verhalten sich auch ihren Namen entsprechend und halten ein Plädoyer für die Einführung des Rhetorikunterrichts in Brixen. So erklärt die Distributio partium („Gliederung in Teile“) zuletzt ihre Lösung für das curriculare Dilemma: Si classes scholarum aliter distribuantur, si regulae Latinae linguae aliter digerantur, si inutilia rescindantur, utilia extendantur, verbo, si partes toti non ad methodum neotericorum, sed veterum grammaticorum Quintiliani, Varronis, Donati aliorumque accommodentur, fidem oppignerabo meam, me partium Distributione authore aliam rebus faciem redituram, aliud caelo scholastico solem oriturum, ut suum pro meritis locum recipiat Rhetorica. Wenn die Schulklassen anders verteilt wären, wenn die Regeln der lateinischen Sprache anders angeordnet wären, wenn die unnützen Dinge gekürzt und die nützlichen dafür erweitert würden, kurz, wenn die Teile des Ganzen nicht nach Art der Neoteriker, sondern nach Art der alten Grammatiker, wie Quintilian, Varro, Donat und anderer, eingerichtet wären, so verwette ich meine Glaubwürdigkeit darauf, dass ich, die Gliederung in Teile, es bewerkstelligen würde, der Sache ein anderes Gesicht zu geben und eine andere Sonne am Himmel der Gelehrten aufgehen zu lassen, sodass die Rhetorik ihren Verdiensten entsprechend einen Platz erhielte. (Übersetzung von T. Rothfuß) In Ermangelung einer gesonderten Rhetorikklasse machte Joseph Resch also die Bühne selbst zum Ort des Rhetorikunterrichts: Anhand der Komödie er‐ hielten seine Schüler eine erste Einführung in die rhetorischen Topoi, die sie sich aufgrund ihrer personifizierten Darstellung und dem Bühnenspiel auch multimedial einprägen konnten. Diese Anlage des Stücks gibt einen ersten Hinweis, wie eng das Theaterspiel am neuzeitlichen Gymnasium mit dem Sprachunterricht verbunden sein konnte (Rothfuß 2024: 121-129). In den folgenden Beispielen wird dieser Zusammenhang noch deutlicher. Wäh‐ rend der didaktischen Bearbeitung zeigte sich, dass der Text auch für weitere Lernziele des modernen kompetenzorientierten Lateinunterrichts geeignet ist, wie sie seit einigen Jahren in den Kompetenzmodellen der standardisierten Reifeprüfung in Österreich verankert sind (BMBWF 2023a; BMBWF 2023b). So ist bereits der Auftrittsmonolog der Rhetorica mit zahlreichen rhetorischen Stilfiguren gespickt, die sich von den SchülerInnen herausarbeiten und diskutieren lassen: 118 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="119"?> Arbeitsauftrag: Rhetorica, Erste Szene In der ersten Szene stellt sich die Rhetorik vor und schildert ihre Lage: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Scaena I Rhetorica sola. R H E T O R I C A : Illa ego 1 potens imperatrix mentium, Rhetorica. Ego 1 regina affectuum voluntatis, ego 1 lumen intellectus humani. Enimvero Hyrcana a caute a durior est, asello rudior et vel tigride ferocior, quisquis aut non amat blandientem aut fulminantem 2 non timet eloquentiam. Et tamen (o fata rigidissima! o tempora! o mores! ) hic ubique rideor, ubique contemnor, nullibi recipior. Humanis exuta 3 praesidiis ad superos me conferam. - En 4 patrem caerulei maris! -- 1. ego: ergänze <sum> - 2. fulmino 1: donnern (metaphorisch von der Redegewalt) 3. exuo 3, exui, exu‐ tum: entkleiden, be‐ rauben 4. en! (+ Acc.): Siehe! a. Hyrcana cautes: hyrkanischer Fels (Die Landschaft Hyrkanien, im Süden des Kaspischen Meeres im heutigen Iran, war in der Antike für ihre Wildheit berühmt.) Arbeitsaufgaben: 1. Joseph Resch hat den Auftrittsmonolog der Rhetorik mit zahlreichen rhetorischen Figuren ausgestattet. Findet im Text jeweils ein Beispiel für die folgenden Stilfiguren und diskutiert ihre Wirkung! Anapher - Chiasmus - Hyperbaton - Parallelismus - Trikolon - 2. Versucht, die syntaktische Struktur und die zahlreichen Parallelismen des Auftrittsmono‐ logs durch grafische Aufbereitung sichtbar zu machen! Der Auftrittsmonolog ermöglicht also über das bloße Übersetzen oder Leseverste‐ hen hinaus eine Arbeit an rhetorischen Strategien. Was für Joseph Reschs Schüler möglich war, gilt ebenso für den modernen kompetenzorientierten Unterricht. Ganz anders geartet ist die dritte Szene, in der Rhetorica mit Bacchus, dem Gott des Weines, spricht. Bacchus, für den im Personenschlüssel keine Entsprechung angegeben ist, soll wohl den komischen Typus eines wenig motivierten Schülers, der lieber feiert als lernt, verkörpern. Das geht aus seiner Aussage hervor, dass er bei der Jahresabschlussfeier sowieso keinen Preis 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 119 <?page no="120"?> erwarten könne (nullum accipiturus [sic! ] sum praemius [sic! ]). In der Anlage des Stückes entspricht er außerdem dem Niveau der zweiten Gymnasialklasse, den Rudimenta. Er kann bereits etwas Latein, allerdings bei weitem nicht fehlerfrei - insbesondere fallen erhebliche Schwächen in der Nominal- und Verbflexion so‐ wie in der Nominalkongruenz auf. Die Szene eignet sich somit für Bemerke-den- Fehler-Aufgaben (Editieren) und wurde von Joseph Resch wohl absichtlich für diesen Zweck verfasst, auch wenn dafür ein expliziter historischer Quellenbeleg fehlt. Da aber ein unkommentiertes Einstudieren des fehlerhaften Textes nur sehr schwer vorstellbar ist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er seinen Schülern eine entsprechende Arbeitsaufgabe gestellt hat. Tatsächlich war die gegenseitige Verbesserung schriftlicher Arbeiten im Lateinunterricht der Jesuitenschule weit verbreitet (Rothfuß 2024: 125). Diese Übung lässt sich mit recht geringen Veränderungen in die heutigen Aufgabenformate übertragen: Arbeitsauftrag: Rhetorica, Dritte Szene Die Rhetorik gelangt zu Bacchus, dem Gott des Weins: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 Scaena III Bacchus et Rhetorica. B A C C H U S : Io 1 ! Che viva, vivat Rhetoricam! Hic poculum 2 te faciebit disertissimam. Ex hac dolio 3 prodiet bella musica et clavis a durus a transponitur in tonus a mollis a . Hoc balsamo facitur vox altissimus. Quam multibus iam profuit hic medicina! R H E T O R I C A : Fecundi calices 4 quem non fecere 5 disertum? B A C C H U S : Si bibo vinum, loquitur mea lingua Latinum. R H E T O R I C A : Heu! Quam foetet hic locus barbarismis b , hircismis b et soloecismis b ! B A C C H U S : Soloecismos in meo argumento nullum ha‐ beo, sed illa me habent. Hinc est, quod nullum accipitu‐ rus sum praemius. Quamprimum per breve temporem, per gurges merges meum inebriavi capitem, omnis a me fugivit ratio et bonior cogitatio. Adeo usus vini bonis‐ simus, abusus autem malissimus est. Vinum nisi modice et medice 6 bipseris, ad salutem tibi prodesse plane non potebit. Verumtamen illud mihi semper sapivit ante omnibus; nam aqua corrumpitur a ranis, bufonibus 7 et serpentibus, quare mihi creat febrim 8 , phthisim 9 , catarrhum 10 , colicam 11 . R H E T O R I C A : Heu! Neque hic invenio, ubi divertam. B A C C H U S : Vertam? Iam verti sentio meum caput a Tro‐ pico c Cancri ad Tropicum Capricornus. Sum totus excentricus 12 : Nescio, an Vulcanus d sit in meo capitolio, in quo veluti vasto Cyclopes e in antro ferrum exercent in numerum versantque tenaci forcipe 13 mas‐ sam. - Heu! Quam multissimi adest spiriti! Exi, male spirite, spirite malissime! -- 1. io! (Interjektion): Juhu! 2. poculum, -i n.: Becher 3. dolium, -i n.: Fass -- 4. calix, -icis m.: Kelch 5. fecere = fecerunt ------ 6. medice (Adv.): gemeint ist wohl: als Medizin, in medizinischer Dosis 7. bufo, -onis m.: Kröte 8. febris, -is f.: Fieber 9. phthisis, phthiseos f.: eigentlich: Tuberkulose; gemeint ist vielleicht: Husten 10. catarrhus, -i m.: Schnupfen 11. colica, -ae f.: Durchfall 12. excentricus 3: aus der Bahn geraten 13. forceps, -ipis f.: Zange 120 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="121"?> 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 R H E T O R I C A : Heu! Qua cum nausea in hac cella foetet caenum 14 ! B A C C H U S : Quid caenum? In caelo nunc me esse videor! En quomodo stellae in hoc lacu lucent! Heu! Timeo, ne caelum ruat. Iam meus in ipsum caelum inclinat caput. Trepido, titubo 15 , in caelum vocor. Dic, quid dominae Iunoni f pro tibi nuntiem, nam curiosi sunt feminae rerum novorum! In caelum vocor! Mole succumbit sua fatigatus Atlas g . Ne ruat caelum, timet. Ergo Atlanti auxilium ferebo, caeli baiulus 16 . In caelum, in caelum! R H E T O R I C A : Actum est: Dominus Bacchus hodie est in concavo 17 lunae 17 . Quid agam? Quo me convertam? Ecce deus deorum Pan! 14. caenum, -i n.: Schmutz --- 15. titubo 1: wanken --- 16. baiulus, -i m.: Träger - 17. concavum lunae: Mondsichel a. clavis durus (richtig: dura): Dur-Tonart; tonus mollis: Moll-Tonart (In unserer heutigen Wahrneh‐ mung gilt Dur meist als fröhlich, Moll als traurig. Zu Reschs Zeiten hingegen assoziierte man Dur oft mit Machtrepräsentation, Tapferkeit, Jagd und Krieg, Moll hingegen mit dolce vita.) b. barbarismi, hircismi et soloecismi: Barbarismen, „Bockismen“ und Solözismen (Verschiedene Sprachfehler: Als Barbarismus bezeichnet man die falsche Verwendung eines Wortes, als Solözismus Fehler in der Syntax. Das Wort „hircismus“ bezeichnet eigentlich den strengen Geruch von Ziegen‐ böcken und ist hier wohl komisch gemeint.) c. Tropicus, -i m.: Wendekreis (Die Wendekreise sind jene Breitenkreise, an denen die Sonne zur Sommersonnenwende [21. Juni, Wendekreis des Krebses] bzw. Wintersonnenwende [21. Dezember, Wendekreis des Steinbocks] um 12: 00 Uhr mittags im Zenit steht. Die Wendekreise begrenzen die Tropen nach Norden und nach Süden.) d. Vulcanus, -i m.: Vulkan (römischer Schmiedegott, der seine Schmiede in einer Höhle im Ätna haben soll) e. Cyclopes, -um m.Pl.: Kyklopen (einäugige mythologische Gestalten, die Vulkan bei seiner Arbeit helfen) f. Iuno, -onis f.: Iuno (römische Göttin der Ehe, Gemahlin des Iuppiter) g. Atlas, Atlantis m.: Atlas (Riese, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern tragen soll) Arbeitsaufgaben: 1. Für Bacchus ist im Clavis personarum in silentio keine Entsprechung angegeben. Findest du eine oder mehrere Passagen im Text der Episode, die auf eine mögliche Identifizierung hindeuten? 2. Der betrunkene Bacchus macht beim Lateinsprechen ziemlich viele Fehler, insbeson‐ dere im Bereich der Kongruenz. Finde in den angegebenen Kategorien jeweils mindes‐ tens drei Fehler im Text, ordne sie in die folgende Tabelle ein und gib an, wie es richtig heißen müsste! Fehlerart Fehler (Textzitat) Richtige Form Kongruenzfehler - - Kasusfehler - - 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 121 <?page no="122"?> Falsche Deklinationsklasse Falsche Komparativ-/ Superlativbildung - - Andere Fehler - - Die Bacchus-Szene verfehlt auch heute ihre komische Wirkung nicht. Sie bietet für SchülerInnen eine unterhaltsame morphosyntaktische Fehlersuche, die interessante Einblicke in die Schülerleistungen früherer Zeiten ermöglicht. Da‐ rüber hinaus ist sie aber auch für heutige Lateinlehrende und für die didaktische Forschung interessant, da sie typische Übergeneralisierungen von Lernenden parodiert. So bildet Bacchus beispielsweise regelmäßige Steigerungsstufen zu den unregelmäßigen Adjektiven bonus und malus oder in der 3. Deklination den Akkusativ der Neutra analog zum Akkusativ der Maskulina und Feminina. Der als Nennform gelernte Nominativ tritt öfters an die Stelle der obliquen Kasus, und in der Kongruenz sind die offenbar besser internalisierten maskulinen Endungen überrepräsentiert. Kurzum, Bacchus vermittelt mit seiner Rede ein Bild von sich entwickelnder Lernersprache (interlanguage, Selinker 1972), das auch heutigen Lateinlehrenden bestens vertraut sein dürfte. Möglicherweise hat Resch manche ungrammatischen Bildungen wie die bemerkenswert kreativen bipseris (statt biberis) und accipiturus (statt accepturus) nicht selbst erfunden, sondern direkt aus Schülerarbeiten entnommen. Reschs Rhetorica mag damit auch als historisches Zeugnis für diachrone Konstanz morphosyntaktischer Entwicklungsstufen im Fremdsprachenerwerb (i.S.v. Pienemann 1998) gelten. Auch die weiteren Szenen bestätigen das Bild, das bisher von der Rhetorica gezeichnet wurde. Lateintypische Grammatikphänomene erscheinen in dichter Abfolge und können so einfach wiederholt werden; die Sprache der handelnden Personen ist bewusst unterschiedlich charakterisiert und bietet somit auch ein implizites Argument für die Bedeutung von Lateinunterricht und Rhetorik. In der Unterrichtssequenz wurden die ersten sechs Szenen ungekürzt zur Lektüre und Bearbeitung vorgelegt und den SchülerInnen anschließend mit folgenden Arbeitsaufgaben Gelegenheit zur Gesamtbetrachtung des bisher Gelesenen und zur literarisch-historischen Interpretation gegeben. Arbeitsaufgaben: 1. Ihr habt nun die erste Hälfte des Stücks Rhetorica gelesen. Betrachtet die Szenenfolge nochmals als Ganzes und versucht, die Komödie zu interpretieren! Die folgenden Leitfragen können euch dabei helfen: 122 M A R T I N B A U E R -Z E T Z M A N N & W O L F G A N G K O F L E R <?page no="123"?> - Was fällt an der Sprache der Dialogpartner auf? - Wie ist das Brixner Gymnasium zur Zeit Joseph Reschs aufgebaut? - Was könnte der Grund dafür sein, dass Joseph Resch die Götter in dieser Reihen‐ folge auftreten lässt bzw. diese Struktur für sein Stück wählt? - Wie könnte Joseph Resch den Text mit seinen Schülern erarbeitet haben? 2. Partner-/ Gruppenarbeit: Verfasst selbst (auf Deutsch, gerne auch auf Lateinisch) einen Schluss für das Stück. Wie könnte das Problem der Rhetorik gelöst werden? Aufgrund der Länge und der anspruchsvollen sprachlichen Gestaltung sollten in der ursprünglichen Planung die SchülerInnen nach der Diskussion über mögliche Auflösungen nur in kurzer deutscher Zusammenfassung über Reschs originale Finalszene informiert werden. Tatsächlich zeigten sie sich aber am weiteren Schicksal der Rhetorik so interessiert, dass sie noch eine ausführlichere Behandlung des Schlusses und der darin erscheinenden rhetorischen Gemein‐ plätze einforderten. Reschs Komödie vermag also bei ihrem Publikum bis heute Neugierde auf Rhetorik und rhetorische Lehrinhalte zu wecken und hat, wenn der Umkehrschluss erlaubt ist, auch seinerzeit ihr selbstgestecktes Ziel nicht verfehlt. So konnte ab dem Schuljahr 1753/ 54 in Brixen die Rhetorikklasse fest eingerichtet werden. Joseph Resch war damit am Ziel seiner jahrelangen Reformbemühungen angekommen (Bauer-Zetzmann 2024: 101-104). 5 Abschließende Betrachtung Eines der von dem Innsbrucker Resch-Projekt anvisierten Ziele bestand darin, das neulateinische Schultheater anhand eines Beispiels von der Wissenschaft wieder zurück in den ursprünglichen Unterrichtskontext zu führen und insbe‐ sondere die didaktische Eignung der Textsorte „Drama“ zu erproben. Innerhalb des größeren fachdidaktischen Diskurses fügt sich die Planung der Unterrichts‐ reihe in die jüngsten internationalen Bestrebungen ein, den Lateinunterricht für mittel- und neulateinische Texte zu öffnen und die Kontinuität der lateinischen Sprache in der europäischen Kulturgeschichte zu betonen. Die These, dass mittel- und neulateinische Texte den Interessen und der Lebenswelt heutiger SchülerInnen oft näher seien als antike Klassiker (Giere 2022), konnte zumin‐ dest für Joseph Reschs Rhetorica bestätigt werden. Die Rückmeldungen der Lateinklasse ließen den Lokalbezug und die Einblicke in den Unterricht und den Schüleralltag früherer Zeiten als wichtige motivationale Faktoren erkennen. Das im Rahmen eines kompetenzorientierten Ansatzes für den modernen La‐ teinunterricht konzipierte Unterrichtsbeispiel hat nicht zuletzt herausgearbei‐ tet, dass sich die Pointe von Reschs Rhetorica, in welcher die Unterweisung in der 4 Joseph Reschs neulateinische Dramen als Chance für den Lateinunterricht 123 <?page no="124"?> Rhetorik in Ermangelung institutioneller Ressourcen auf der Schauspielbühne stattfindet, aus der für das neulateinische Schuldrama wichtigen Verzahnung zwischen theaterpädagogischer Arbeit und Sprachunterricht nährt. Von einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive aus betrachtet, birgt das durchaus Zündstoff. Die Forschung hat gerade diesen Aspekt lange Zeit vernachlässigt und die Schuldramen in der Regel ohne ihre Einbettung in den Unterricht gedeutet. Diese Verkürzung hat dazu geführt, dass die Stücke neben Dramen ohne schulischen Hintergrund gestellt wurden und im pauschalen Vergleich mit Shakespeare, Corneille oder Lessing denkbar schlecht abschnitten (s. dazu auch Kofler 2021: 105-106). Die Erforschung der Gattung wurde dadurch erheblich behindert, und ein Umdenken setzte erst ziemlich spät ein. Das vorgestellte Projekt zu Joseph Reschs Dramen versteht sich als Teil dieses Korrektivs und soll in diesem Sinn einerseits zu einer angemessenen Würdigung einer literatur- und bildungsgeschichtlich bedeutenden Gattung beitragen, andererseits aber auch durch seine grundsätzliche Offenheit didaktischen Fragestellungen gegenüber ein selbstverständlicheres Zusammenwirken von Fachwissenschaft und Fach‐ didaktik befördern. 6 Literaturverzeichnis Autonome Provinz Bozen - Südtirol. Deutsches Bildungsressort, Rahmenrichtlinien des Landes für die Festlegung der Curricula in den deutschsprachigen Gymnasien in Südtirol. 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For this reason, it is important to talk about war and conflict in the classroom in order to address learners’ fears, questions and concerns. Additionally, dealing with these issues can help to promote education for democracy and strengthen values such as humanity, solida‐ rity and tolerance. Audiovisual media in general, and films in particular, are extremely valuable authentic resources in this respect, as they can be utilised to discuss and reflect on current socio-political issues in the classroom. This article, therefore, presents the Estonian-Georgian antiwar film Mandariinid (2013, directed by Zaza Urushadze) and shows how it can be used in the Russian language classroom and in crosscurricular cooperation. Besides addressing war and conflict, Mandariinid also illustrates the use of the Russian language outside Russia. 1 Einleitung Der Einsatz audiovisueller Medien im Fremdsprachenunterricht stellt einen wichtigen Pfeiler der Förderung des interkulturellen Lernens dar. Medien sind das Mittel, mithilfe dessen sich eine Gesellschaft oder nationale Gemeinschaft über sich selbst verständigt. Den Lernenden Einblicke in die Medien und medialen Praktiken eines bestimmten Landes oder in einer bestimmten Sprache zu vermitteln, bedeutet daher, ihnen die Möglichkeit zu geben, etwas über die Menschen und ihre kulturellen Praktiken zu erfahren, sich ihnen anzunähern. <?page no="130"?> Darüber hinaus macht es die uns umgebende zeitgenössische Medienwelt notwendig, SchülerInnen und jungen Menschen die Funktionsweisen audiovi‐ sueller Medien bewusst zu machen und ein kritisches Verständnis für sie zu entwickeln. Die Arbeit mit audiovisuellen Medien im Fremdsprachenunterricht stellt daher einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Medienkompetenz (me‐ dia literacy) dar, im Besonderen zur Herausbildung der Fähigkeiten, geeignete Inhalte auszuwählen, diese einzuordnen und deren „ästhetische Qualität […] beurteilen und angemessen auf Medieninhalte reagieren“ zu können (Keel & Weber 2021: 7). Seit Beginn des großangelegten Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ist der Russischunterricht an Schulen wie auch an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen in eine tiefe Krise geraten. Gleichzeitig birgt die Aggres‐ sion der Russischen Föderation und die damit einhergehende Militarisierung von Gesellschaft und Sprache jedoch auch die Chance, den Blick zu weiten und die Perspektive von russischen auf russischsprachige Medien zu verschieben. In dieser für Russischlehrende wie -lernende herausfordernden Situation ist es wichtig, die Sprache als das zu sehen, was sie für viele Menschen in erster Linie ist: ein Kommunikationsmittel, das innerhalb einer SprecherInnengemeinschaft sowie als Sprache der interbzw. transnationalen Kommunikation zum gegen‐ seitigen Austausch und Verständnis dient. Gleichzeitig sind wir aber gerade angesichts der russischen Aggression gefordert, einen kritisch-reflektierten Umgang mit der russischen Sprache und Kultur zu entwickeln. Das bedeutet wiederum, die koloniale russische ‚Brille‘ im Hinblick auf den postsowjetischen Raum abzulegen und auf jegliche Art romantisierend-stereotypisierender Per‐ spektiven auf Russland zu verzichten. Im Unterschied zu den Nationalliteraturen war das Kino von Beginn an international ausgerichtet, wenngleich die Einführung des Tonfilms in den 1920er Jahren tendenziell auch die ‚Nationalisierung‘ des Kinos begünstigte. In der beschriebenen herausfordernden Situation des russischen Angriffskriegs bietet gerade das Kino als das älteste der audiovisuellen Medien die Möglich‐ keit, sich seines immer schon transnationalen Charakters zu besinnen und den Blick auf russischsprachige Filme zu lenken, die nicht in Russland pro‐ duziert wurden. Ein thematisch besonders interessantes und filmästhetisch herausragendes Beispiel für diese Perspektive stellt die estnisch-georgische Co- Produktion Mandariinid des georgischen Regisseurs Zaza Urushadze dar. Der Film thematisiert den georgisch-abchasischen Konflikt zu Beginn der 1990er Jahre und ist entsprechend mehrsprachig: Neben Russisch als lingua franca des Sowjetimperiums sprechen die Figuren, motiviert durch ihre ethnische Zugehörigkeit, auch Estnisch und Tschetschenisch. Die Auseinandersetzung 130 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="131"?> mit Mandariinid im Russischunterricht trägt daher nicht nur dazu bei, von homogenen Vorstellungen einer russischen Kultur wie auch von der Gleichung Russisch ist gleich Russland zu abstrahieren, sondern sie eröffnet auch eine Möglichkeit, über das aktuelle Thema des Krieges im Russischunterricht sowie fächerübergreifend kritisch und reflektiert zu sprechen. 2 Filmvermittlung als Teil der Kritischen Fremdsprachendidaktik Bei unserer Herangehensweise an audiovisuelle Medien und deren Vermittlung im Russischunterricht orientieren wir uns an der Kritischen Fremdsprachendi‐ daktik, deren wesentliches Ziel die Herausbildung und Schulung sogenannter transversaler Kompetenzen ist. Dazu gehören u. a. die kritische Diskursfähig‐ keit, das „Thematisieren und Erkennen von machttheoretischen Zusammenhän‐ gen, de[r] Abbau von Vorurteilen“ sowie Demokratieerziehung (Gerlach 2020: 8). Auch die Vermittlung von Medienkompetenz als Umgang mit und Einord‐ nung von Quellen und Informationen, die Bild- und Symbolkompetenz, wie zum Beispiel das (Er)Kennen von Kollektivsymbolen, sowie Sprachbewusstheit sind gerade für den Russischunterricht heute wichtiger denn je zuvor. Wie Bergmann (2023: 16) konstatiert, stehen die Russischlehrenden seit dem 24. Februar 2022 vor der schwierigen Frage, wie sie „in Zukunft mit Russland, mit der russischen Kultur und der russischen Sprache umgehen“ sollen. Der seit der Vollinvasion Russlands in der Ukraine in Europa geführte wissenschaftliche und mediale Diskurs über die russische Sprache und Kultur ist komplex und reicht von Forderungen der Dekolonialisierung von Forschung und Lehre bis hin zu Aufrufen, die russische Kultur in ihrer Gesamtheit zu boykottieren. Von russischer Seite wird die eigene Geschichte und Kultur instrumentalisiert und als Propagandawaffe eingesetzt - von der mittelalterlichen Kiewer Rus’ über die literarischen Klassiker des 19. Jahrhunderts, die den Ruf der ‚großen‘ russischen Literatur (velikaja russkaja literatura) begründen, bis hin zur sowjetischen kultu‐ rellen und wissenschaftlichen Hinterlassenschaft, die oft fälschlicherweise mit Russisch und Russland gleichgesetzt wird. Aus Russland stammende Lehrbücher und -materialien können sich dieser ideologischen Vereinnahmung nur schwer entziehen, so unpolitisch sie auch erscheinen mögen. In Hinblick auf in Deutsch‐ land verlegte Russischlehrwerke kann dagegen kritisch festgehalten werden, dass diese in Zusammenhang mit der (sprachlichen) Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht zunehmend inhaltsleer geworden sind (vgl. Berg‐ mann 2023: 23). Während die Vermittlung von kulturellem, historischem oder sozioökonomischem Wissen reduziert wurde, lässt sich in den Lehrbüchern 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 131 <?page no="132"?> 1 Die hier vorgestellten Einsatzmöglichkeiten des Films Mandariinid im Russischunter‐ richt werden in erweiterter und modifizierter Form auch im Buch Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Binder & Kaltseis 2025) präsentiert. eine Tendenz zur Bebilderung feststellen, die per se zur Stereotypisierung neigt: goldene Kirchenkuppeln, Matrjoschkas, Birkenwälder, die Basilius-Kathedrale in Moskau - Bilder, die an der Oberfläche bleiben und eher den Blick verstellen, als einen Zugang zum Verständnis von Land und Kultur(en) zu befördern. Um diesen vielfältigen Herausforderungen zu begegnen, ist es notwendig, sich von der Vorstellung zu verabschieden, es würde die eine russische Kultur und Sprache geben. Stattdessen gilt es, wie Bergmann (2023: 22) es formuliert, einen „vielfältigeren und differenzierteren Blick auf russischsprachige Kultur zu etablieren“. Das für diesen Beitrag gewählte filmische Beispiel, die estnisch-georgische Co-Produktion Mandariinid, 1 die 2013 unter dem estnischen Originaltitel her‐ ausgebracht wurde, stellt einen Versuch dar, den beschriebenen Herausforde‐ rungen, mit denen der Russischunterricht seit Kriegsbeginn 2022 konfrontiert ist, im Sinne der Kritischen Fremdsprachendidaktik zu begegnen. Der Film, der während des georgisch-abchasischen Krieges der Jahre 1992 und 1993 spielt, ist ein Antikriegsfilm im besten Sinne - ein Film, der in Form und Inhalt das Ziel verfolgt, ein klares moralisches Urteil über die Sinnlosigkeit des durch den Krieg legitimierten Tötens zu fällen. Gleichzeitig gelingt es dem georgischen Regisseur Zaza Urushadze, diese Botschaft auf eine emotional berührende Weise zu vermitteln, ohne dabei moralisierend oder belehrend zu wirken. Mit Ausnahme einer einzigen Szene verzichtet der Regisseur auch gänzlich auf die Darstellung von Gewalt. Insgesamt ist Mandariinid besonders geeignet, um im Unterricht über Krieg und ethnische Konflikte zu sprechen, da er handlungsleitende gesellschaftliche Werte wie Toleranz, Solidarität und Humanität bestärkt. Über die Hauptfigur zeigt der Film Möglichkeiten auf, wie ethnische Konflikte deeskaliert werden können und bietet damit auch eine Perspektive für deren Lösung. Abgesehen davon lädt Mandariinid dazu ein, sich mit dem Kaukasus - seiner geogra‐ fischen Lage, seiner Geschichte sowie ethnischen und kulturellen Diversität - auseinanderzusetzen. Der hier vorgeschlagene Einsatz des Films Mandariinid im Russischunterricht hat das Potenzial, neben der Stärkung demokratischer Werte auch die von der Kritischen Fremdsprachendidaktik anvisierte Analysekompetenz und kritische Bewusstseinsbildung zu fördern (vgl. Gerlach 2020: 19). Die Auseinandersetzung mit komplexen Inhalten, die eine Beschäftigung mit der Filmhandlung und ihrem historischen Kontext mit sich bringt, entspricht auch der Forderung von 132 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="133"?> 2 Die von Byram (2021) beschriebenen Dimensionen finden sich auch im komplexen Kompetenzbegriff, wie er im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Trim et al. 2001: Kap. 5) definiert wird. Unter den „Allgemeinen Kompetenzen“ werden dort folgende unterschieden: Deklaratives Wissen (savoir), Fertigkeiten und prozedurales Wissen (savoir-faire), Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir-être) und Lernfähigkeit (savoir-apprendre). Byram (2021: 54), dass der Fremdsprachenunterricht allgemeine Bildungsziele verfolgen soll. Byram (2021: 44) verwendet dafür explizit den Begriff der „politischen Bildung“ (political education), zu deren Zielen die Vermittlung von Wissen über und das Verständnis für andere Länder und Gesellschaften, die Reflexion über gesellschaftliche Normen sowie die Förderung der Bereitschaft zu Engagement und Interaktion gehören. Mit dem Begriff der „interkulturellen kommunikativen Kompetenzen“ verweist Byram (2021) auf die Verknüpfung von kommunikativen Kompetenzen, d. h. linguistischen, soziolinguistischen und diskursiven Kompetenzen, mit interkulturellen Kompetenzen. Das Ziel der Entwicklung dieser interkulturellen kommunikativen Kompetenzen umfasst die Ausbildung folgender fünf Dimensionen (vgl. Byram 2021: 44): deklaratives Wissen (savoir), die Fähigkeit, zu verstehen und zu interpretieren (savoir com‐ prendre), die Fähigkeit, neues Wissen zu erwerben und anzuwenden (savoir apprendre/ faire), die Fähigkeit, ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln (savoir s’engager) sowie die Fähigkeit und Bereitschaft, offen und interessiert für Neues zu sein (savoir être). 2 3 Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht - Ein Tabuthema? Spätestens seit Beginn der von Russland großangelegten Invasion der Ukraine ist Krieg in das Zentrum der Aufmerksamkeit vieler Menschen in Europa gerückt, für die dieser Begriff bislang weit entfernt oder abstrakt war. Über die Medien kann das Kriegsgeschehen in der Ukraine quasi jederzeit live mitverfolgt werden - Bilder der Verwüstung, von Opfern und Kriegsgräueln sind an der Tagesordnung. Bestätigt wird dieser Eindruck auch durch den Krieg im Nahen Osten, der ebenso ein Beispiel dafür ist, wie präsent Krieg und Konflikt in traditionellen und sozialen Medien sind. Aufgrund dieser Allgegenwärtigkeit von Kriegen und Konflikten im medialen Diskurs, in den sozialen Netzwerken oder auch durch die Präsenz von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten beschäftigen die damit verbundenen Erfahrungen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche. Krieg ist daher ein Thema, das in der Schule und im Unterricht aufgegriffen werden sollte. 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 133 <?page no="134"?> Das Sprechen über Krieg und Konflikt trägt zur Förderung von Kompe‐ tenzen bei, die in bildungspolitischen Dokumenten unter dem Schlagwort „Demokratieerziehung“ beschrieben sind. So heißt es in den allgemeinen Bil‐ dungszielen in den österreichischen Lehrplänen, dass der Unterricht aktiv zu einer „den Menschenrechten verpflichtenden Demokratie beizutragen“ hat und unter anderem Humanität, Solidarität, Toleranz, Frieden und Gerechtig‐ keit als „handlungsleitende Werte“ gelten (RIS 2024: 11). Im Nationalen Dos‐ sier des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland ist festgehalten, dass beginnend mit der Grundschule „Demokratieerziehung“, „Europabildung“, „Menschenrechtsbildung“, „Wertebildung“ und „interkulturelle Bildung“ zu den fächerübergreifenden Unterrichtshinhalten gehören (KMK 2021: 117). Ab der Sekundarstufe II soll der Unterricht zudem die „Persönlichkeitsentwicklung und -stärkung“ fördern sowie zur „Mitwirkung in der demokratischen Gesellschaft“ befähigen (KMK 2021: 122). Auf europäischer Ebene bietet der vom Europarat im Jahr 2018 heraus‐ gegebene Referenzrahmen Kompetenzen für eine demokratische Kultur eine Orientierung. In diesem Dossier wird dargelegt, dass den SchülerInnen Werte wie Toleranz und Respekt zu vermitteln sind und sie darauf vorbereitet wer‐ den sollen, „als demokratische Bürger[Innen] in vielfältigen Gesellschaften“ zusammenzuleben (Europarat 2018: 8). In Hinblick auf die Thematisierung von Krieg und Konflikt im Unterricht sind vor allem die in diesem Referenzrahmen angeführten „Konfliktlösungskompetenzen“ interessant, die u.-a. folgende Fer‐ tigkeiten umfassen: „Unterschiede in der Machtposition und/ oder im Status der Konfliktparteien zu erkennen“, „sich mit emotionalem Stress, Ängsten und Unsicherheit bei sich und bei anderen auseinanderzusetzen“ sowie „die Ursachen und anderen Aspekte von Konflikten zu identifizieren, zu analysieren, aufeinander zu beziehen und zu kontextualisieren“ (Europarat 2018: 51). Demnach lautet der Auftrag an die Schule, weltpolitische Ereignisse wie Kriege und ethnische Konflikte zu thematisieren und auf Ängste, Fragen und Sorgen der SchülerInnen einzugehen. Die Schule sollte ein Ort sein, an dem „Sorgen und Ängsten Raum [ge]geben, sachgerecht und altersangemes‐ sen informier[t], de[r] Diskurs multiperspektivisch, kontrovers und sachlich gestalte[t], [sowie] Konflikte gewaltfrei und konstruktiv“ gelöst werden kön‐ nen (Sommerhoff & Berens 2022: 33). Darüber hinaus kann die Schule den Zusammenhalt der Lernenden stärken und Aktionen starten, wie zum Beispiel die Organisation von Hilfe für geflüchtete Personen. Sprechen über Krieg und Konflikt gilt zudem als „Strategie im Umgang mit Fassungslosigkeit und Angst“ sowie als Orientierungshilfe für SchülerInnen, weshalb für dieses Thema 134 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="135"?> 3 Falls nicht anders angegeben, stammen die deutschen Übersetzungen im Text von den Autorinnen des Beitrags. mehrere Unterrichtseinheiten vorgesehen werden sollten (vgl. Fischer 2022: 222). Im nächsten Abschnitt werden wir den Film Mandariinid näher vorstellen sowie geografisch und historisch kontextualisieren. Im Anschluss daran werden wir Möglichkeiten präsentieren, wie der Film im Russischunterricht auf B1-Ni‐ veau so eingesetzt werden kann, dass eine Auseinandersetzung mit ihm den oben beschriebenen Zielen entgegenkommt. 4 Sprechen über Krieg und Konflikt am Beispiel von Mandariinid (2013) Der Film Mandariinid geht auf die Initiative des estnischen Filmproduzenten Ivo Feit zurück und wurde als estnisch-georgische Co-Produktion realisiert. Der Ausgangspunkt für die filmische Zusammenarbeit zwischen den beiden 1991 aus der Sowjetunion hervorgegangenen Ländern ist ein geschichtlicher, wie aus dem Vorspann des Films hervorgeht. So wird der historische und geografische Kontext, in dem die Handlung angesiedelt ist, in einem Insert auf Estnisch erläutert: Eesti külad tekkisid Abhaasiasse 19. sajandi teisel poolel. 1992 aastal alanud Gruusia- Abhaasia sõda lõi sealsete eestlaste rahumeelse elu sassi. Enamik neist otsustas ajaloolisele kodumaale tagasi pöörduda. Nende külad jäid tühjaks, paigale jäid vaid üksikut. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Abchasien estnische Dörfer gegründet. Der georgisch-abchasische Krieg, der 1992 begann, störte das friedliche Leben der Esten. Die meisten kehrten in ihre historische Heimat zurück. Die Dörfer leerten sich, nur wenige blieben. 3 Die Handlung des Films spielt während des georgisch-abchasischen Krieges. Als Grund für die Wahl dieser kriegerischen Auseinandersetzung nennt der georgische Regisseur Zaza Urushadze (1965-2019), der auch das Drehbuch zum Film verfasst hat, in einem Interview, dass er daran erinnern wollte, dass es in Kriegs- und Konfliktsituationen das Wichtigste sei, ein Mensch zu bleiben: „Это главное послание моего фильма - чтобы мы помнили, что самое главное - оставаться человеком“ (Piechal 2013). Urushadze drehte den Film mit geor‐ gischen und estnischen Schauspielern in der georgischen Region Gurien, die eine ähnliche Landschaft wie das etwas nördlicher gelegene Abchasien aufweist. 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 135 <?page no="136"?> Der Film ist mehrsprachig, und neben Estnisch, Tschetschenisch und vor allem Russisch erklingen zusätzlich im Abspann auch Georgisch und Deutsch, nämlich im Lied Qaghaldis Gemi (georg. ქაღალდის გემი , dt. Papierschiff) aus dem Album Svan Songs (1993) des bekannten georgischen Musikers und Literaten Irakli Charkviani (1961-2006). 4.1 Der geografische und historische Kontext des Films Der georgisch-abchasische Krieg, der von August 1992 bis September 1993 an‐ dauerte, ist eng mit dem Zerfall des sowjetischen Imperiums und der Entstehung der postsowjetischen Nationalstaaten verbunden. Völkerrechtlich sind sowohl Abchasien als auch Südossetien bis heute Teile Georgiens, faktisch aber wurde in beiden Regionen seit Anfang der 1990er Jahre die Bildung eigenständiger Staaten vorangetrieben, die sich politisch nach Russland orientieren und auch wirtschaftlich von ihm abhängig sind. Nicht zuletzt aufgrund der geopolitischen Interessen, die Russland im Südkaukasus verfolgt, fehlt bis heute eine Lösung für den Konflikt. Die Ursachen des Krieges von 1992/ 93 sind komplex. Sie liegen in der Vergangenheit und können, wenn auch nicht ausschließlich, so doch zu einem bedeutenden Teil, auf die sowjetische Nationalitätenpolitik zurückgeführt wer‐ den. Im Zuge der Gründung der Sowjetunion entstanden 1921 zunächst die zwei gleichrangigen Sowjetrepubliken Georgien und Abchasien. Zum Grün‐ dungszeitpunkt der Sowjetunion Ende des Jahres 1922 wurden Georgien und Abchasien gemeinsam mit Armenien und Aserbaidschan in der Transkaukasi‐ schen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik zusammengefasst, die 1936 in die eigenständigen Unionsrepubliken Georgien, Armenien und Aserbaidschan aufgespaltet wurde. Bereits im Jahr 1931 aber erfolgte - unterstützt durch die Georgier Josef Stalin und Laventij Berija - die Umwandlung Abchasiens in eine autonome Republik innerhalb Georgiens. Dies hatte eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Politik der „Georgifizierung“ zur Folge, die in der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung ihren Niederschlag fand. So ergab die letzte offizielle Volkszählung in der Sowjetunion im Jahr 1989 für die autonome Republik Abchasien eine Einwohnerzahl von 537.000; 46,2 Prozent davon waren Georgier, 17,3 Prozent Abchasen, 14,6 Prozent Armenier, 14,2 Prozent Russen (vgl. Auch 2004: 238). Trotz des sinkenden Anteils ethnischer Abchasen an der Bevölkerung er‐ laubte die sowjetische Nationalitätenpolitik die Förderung und Privilegierung nationaler Kader und damit die Herausbildung einer abchasischen Nomenkla‐ tura. Nicht zuletzt um diese Privilegien fürchteten die Abchasen, als Georgien 136 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="137"?> während der Lockerungen der Perestrojka ein Anwachsen nationalistischer Stimmungen erlebte und immer stärkere Zeichen des Aufbegehrens gegen das Moskauer Zentrum setzte. Die ethnischen Konflikte zwischen Georgiern und Abchasen nahmen ab 1989 zu und mündeten schließlich in eine offene militärische Auseinandersetzung, als in der Nacht vom 13. auf den 14. August 1992 Truppen der Regierung in Tbilissi die Grenzen Abchasiens überschritten. Nach über einem Jahr blutiger Kämpfe zwischen der georgischen Armee und abchasischen Kampfverbänden, die von Russland unterstützt wurden, endete der Krieg mit der Niederlage Georgiens. Eine der Kriegsfolgen war - neben der Zerstörung der Infrastruktur - die Vertreibung der in Abchasien lebenden Georgier wie auch anderer ethnischer Gruppen. So verlor die Region Abchasien, die mit einer Fläche von 8.600 km² in etwa so groß ist wie die Insel Korsika, die Hälfte ihrer Bevölkerung. Wie unbemerkt und schnell sich ethnische Konflikte in einer multieth‐ nischen Gemeinschaft zuspitzen und dann plötzlich in grausame Gewalt umschlagen können, beschreibt Svetlana Aleksievič in ihrem dokumentari‐ schen Roman Vremja sekond chėnd (2013; in deutscher Übersetzung, ebenfalls 2013, Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus). Die Lite‐ raturnobelpreisträgerin aus Belarus thematisiert in ihrem bislang letzten Buch neben dem Pogrom gegen Armenier in Baku im Jahr 1990 auch den Ausbruch des Krieges in Abchasien. In dem auf Interviews basierenden Text kommt zu diesem Thema die aus Abchasien geflohene 24-jährige ethnische Russin Olga V. zu Wort. Die sich über mehrere Seiten erstreckende Schilderung dessen, was Olga V. in Abchasien 1992 beobachtet, erlebt und erlitten hat, führt vor Augen, wie fassungslos und ohnmächtig sie dem Ausbruch der Gewalt gegenüberstand und wie dadurch Familien und Freundschaften zerstört wurden. Sie erinnert sich u.-a. an folgende Tragödien und Morde: Через несколько дней вся улица Ахрика хоронила… Ахрик… Знакомый абхазский мальчик. Ему было девятнадцать лет. Он пошел вечером к девушке - и его ножом в спину. Мать идет за гробом: то плачет, а то обернется - и смеется. Сошла с ума. Месяц назад все были советские, а тут: грузин - абхаз… абхаз - грузин… русский… Жил на соседней улице еще один парень… Я его, конечно, знала, но не по имени, а в лицо. Здоровались. Нормальный с виду парень. Высокий, красивый. Он убил своего старого учителя - грузина, убил за то, что тот учил его в школе грузинскому языку. Ставил «двойки». (Aleksievič 2014: 253-254) Nach ein paar Tagen begrub unsere ganze Straße Achrik … Achrik … Ein abchasischer Junge. Er war neunzehn Jahre alt. Er war am Abend zu seinem Mädchen gegangen 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 137 <?page no="138"?> - und mit einem Messer in den Rücken getötet worden. Seine Mutter lief hinter dem Sarg: Sie weinte, dann drehte sie sich plötzlich um - und lachte. Sie hatte den Verstand verloren. Einen Monat zuvor waren wir noch alle sowjetisch gewesen, und nun - Georgier - Abchase … Abchase - Georgier … Russe … In der Parallelstraße lebte ein anderer Junge … Ich kannte ihn natürlich, nicht beim Namen, aber vom Sehen. Wir grüßten uns immer. Ein ganz normal wirkender Junge. Groß, schön. Er hat seinen alten Lehrer getötet - einen Georgier, er hat ihn getötet, weil der ihn in der Schule in Georgisch unterrichtet hatte. Ihm schlechte Zensuren gegeben hatte. (Alexijewitsch 2013: 282) Ende August 2008 und damit nur zwei Wochen nach dem sogenannten Kauka‐ suskrieg in Südossetien ratifizierte der damalige russische Präsident Dmitrij Medvedev den Beschluss des russischen Parlaments, Abchasien und Südossetien als selbständige Staaten anzuerkennen. Dem Beispiel Russlands folgte nicht einmal eine Handvoll anderer Staaten, weshalb bis heute eine Einreise nach Abchasien nur über die russische Schwarzmeerküste, nicht aber von Georgien aus möglich ist. Von der Schwarzmeerstadt Sotschi bis nach Gagra, dem Elite- Urlaubsort des beginnenden 20. Jahrhunderts und einem der beliebtesten und begehrtesten sowjetischen Kurorte, beträgt die Entfernung gerade einmal 65 km. 4.2 Über den Film Mandariinid ist ein Beispiel dafür, dass herausragende Filme nicht notgedrungen auch den Weg in unsere Kinos, geschweige denn ins Fernsehen finden - auf den in den deutschsprachigen Ländern kaum bekannten Film konnte man am ehes‐ tens noch durch die Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film im Jahr 2015 aufmerksam werden. Der Film ist minimalistisch gemacht - keine Szene scheint zu lang, kein Dialog zu viel, die Filmdauer beträgt gerade einmal 83 Minuten. Mandariinid spielt während des georgisch-abchasischen Krieges der Jahre 1992 und 1993. Im Haus des Esten Ivo treffen der georgische Soldat Nika und der Tschetschene Ahmed, der als Söldner auf der Seite Abchasiens kämpft, aufeinander. Ivo hat gemeinsam mit seinem Nachbarn Margus die beiden jungen Männer nach einem tödlichen Schusswechsel als einzige Überlebende geborgen und pflegt sie nun gesund. Margus möchte noch die Mandarinenernte einbringen und anschließend diesen Landstrich für immer verlassen. Die beiden älteren Männer sind die Nachfahren von hier im 19. Jahrhundert angesiedelten Esten und die einzigen noch verbliebenen Bewohner des Dorfes. Durch Ivos Vermittlerrolle und natürliche Autorität entwickeln die beiden verfeindeten Männer Nika und Ahmed langsam die Bereitschaft aufeinander zuzugehen. Als sich ein Kampftrupp dem Haus nähert und aus Misstrauen zu schießen beginnt, 138 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="139"?> wird jedoch jede Hoffnung auf ein friedliches Miteinander zunichtegemacht. Doch Ahmed, der gemeinsam mit Ivo den tödlichen Zusammenstoß überlebt, hat in Ivos Haus sein politisches und ethnisches Selbstverständnis grundlegend geändert und tritt als ein anderer Mensch seine Heimreise nach Tschetschenien an. Die gesamte Filmhandlung spielt sich an einem Ort ab und im Wesentlichen sind es vier Männer, auf denen die gesamte Handlung ruht. Damit gibt es vier Lebensgeschichten, in die wir ZuseherInnen Einblick erhalten, auch wenn diese äußerst fragmentarisch bleiben und erst allmählich enthüllt werden. Genau dadurch aber bekommen die Figuren die Möglichkeit, uns zu überraschen - Dinge zu sagen und zu tun, die wir nicht erwartet hätten und jene nationalen bzw. ethnischen Stereotype zu durchbrechen, die ihnen vom jeweils anderen zugeschrieben werden. Beginnen wir mit Margus: Er ist der Typ des arbeitssamen, geschäftstüchtigen Esten, der sein Vorhaben, trotz des Krieges die Mandarinen doch noch zu ernten und zu verkaufen, nicht aufgeben will. Er fällt weder durch irgendeine Aussage oder Tat auf, noch erscheint er besonders sympathisch. Als sich jedoch die Handlung zuspitzt und sein Haus durch eine fehlgeleitete Rakete in die Luft fliegt, erschüttert diese Szene zutiefst und weckt Empathie für die Figur im immergleichen orange-beige gemusterten Strickpullover. Am Ende schließlich offenbart sich die Sturheit des Esten als Geradlinigkeit, als er das Geld des Söldners Ahmed ablehnt, das dieser ihm für die Heimreise anbietet - denn von jemandem, der das Geld durch diesen Krieg verdient hat, will er keine Unterstützung. Der zweite Este Ivo ist jene Figur, auf der die ganze Kraft der Humanität ruht, die dieser Film vermittelt. Als Hausherr, dessen Regeln sich die beiden Verwundeten letzten Endes unterwerfen, hemmt Ivo die offene Feindschaft zwischen den beiden Kaukasiern. Ivo verhindert, dass sich die beiden gegensei‐ tig abschlachten und der Tschetschene Ahmed Blutrache an dem Georgier Nika übt, den er für den Tod seines Freundes und Kampfgefährten verantwortlich macht. Am Ende schließlich macht der Film deutlich, dass es möglich ist, offene Feindschaften zu überwinden. Im gemeinsamen Kampf gegen Soldaten, die zum Haus kommen und als Russen ohne Hoheitsabzeichen zu erkennen sind, rettet der Georgier das Leben des Tschetschenen, wird dabei aber selbst getötet. In der Rolle des Ivo ist Lernbit Ulfsak (1947-2017) zu sehen (Abbildung 1), der u. a. in sowjetischen Kinderfilmen der 1980er Jahre auftrat und in Mandariinid äußerst überzeugend einen standhaften, über die alltäglichen Sorgen erhabenen Menschen spielt, der in der konkreten Situation zur moralischen Instanz wird. 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 139 <?page no="140"?> Abb. 1: Lernbit Ulfsak in der Rolle des Esten Ivo Auf nationale und kulturelle Stereotype aufbauend sind die beiden Kaukasier gestaltet. Der am Kopf schwer verwundete Nika ist, wie er in der letzten Szene vor dem tödlichen Schusswechsel verrät, der Sohn einer alleinerziehen‐ den Mutter, der er nicht einmal gesagt hat, dass er in den Krieg zieht. Er ist Theaterschauspieler, doch für die Kultur hat der Staat kein Geld mehr. Dem Georgier, der sich als Vertreter einer Kulturnation mit jahrhundertealter (Schrift)Tradition sieht, erscheint der Tschetschene, der ebenfalls von einem georgischen Schauspieler gespielt wird, ungebildet und barbarisch. Der Tschetschene, der seinerseits dem Georgier vorhält, er und seine Lands‐ leute könnten nicht kämpfen, ist in diesem Krieg als Söldner im Einsatz, um seine Familie zu ernähren. Er ist in seinen Traditionen verhaftet, gläubiger Muslim und fühlt sich zur Blutrache verpflichtet. Das Einzige, was ihn davon abhält, sind die ebenfalls traditionsbedingte Achtung der Alten und das Recht des Hausherrn. Wenn der Tschetschene und der Georgier miteinander ins Gespräch kommen, dann treten die Vorurteile, die beide aufgrund ihrer ethnischen Zuge‐ hörigkeit dem anderen gegenüber hegen, offen zum Vorschein. Wie schnell diese Vorurteile in der gegebenen Kriegssituation in Morddrohungen umschlagen, kann in der Szene verfolgt werden, als die vier Männer gemeinsam Schaschliks grillen. Am Ende des Dialogs tritt Ivo auf den Plan und deeskaliert: Ахмед: Вы, грузины, не умеете шашлык жарить. Думаете, что умеете. Так и в остальном. Ника: В чем остальном? А что мы еще не умеем? […] Ахмед: Например, воевать не умеете … совсем … смейся! Смейся! Не умеете, но воюете. И всегда проигрываете. Вот это смешно. 140 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="141"?> Ника: Хуйню ты несешь полную. Говорю же, необразованный ты человек. Историю вообще не знаешь. Ахмед: Это ничего не меняет. Не умеете шашлык жарить, не умеете воевать. Это факт. Ника: Я покажу тебе, что я умею. Давай, убей меня, как обещал. Мы уже не в доме. Ну давай, попробуй! И увидишь, на что способен грузин. Давай! Ахмед: Давай, посмотрим! Иво: Успокойтесь! Садитесь! […] Что с вами, молодые люди? Убью! Убью! Кто вам дал на это право? Кто? Ахмед: Война. Иво: Дурак! (Min. 00: 58: 40-01: 00: 33) Ahmed: Ihr Georgier könnt keine Schaschliks grillen. Ihr glaubt nur, es zu können. So ist es mit allem. Nika: Was mit allem? Was können wir sonst noch nicht? […] Ahmed: Zum Beispiel kämpfen … überhaupt nicht … lach nur! Lach! Ihr könnt es nicht, aber ihr kämpft trotzdem. Und verliert immer. Witzig. Nika: Du redest nur Scheiße. Ich sage ja, du bist ungebildet. Du weißt nichts über die Geschichte. Ahmed: Das ändert nichts. Ihr könnt keine Schaschliks grillen, ihr könnt nicht kämpfen. Das ist eine Tatsache. Nika: Ich werde dir zeigen, was ich kann. Nur zu, bring mich um, wie du es angekündigt hast. Wir sind nicht mehr im Haus. Nur zu, versuch es! Dann wirst du sehen, wozu ein Georgier fähig ist. Los, komm schon! Ahmed: Gut, zeig es uns! Ivo: Beruhigt euch! Setzt euch hin! […] Was ist los mit euch jungen Männern? Ich bring dich um! Ich bring dich um! Wer hat euch das Recht dazu gegeben? Wer? Ahmed: Der Krieg. Ivo: Dummkopf! Der Tschetschene Ahmed (Abbildung 2) ist gleichzeitig auch jene Figur, die auf der Handlungsebene eine Entwicklung durchmacht und auf der menschlichen Ebene eine Kulturleistung vollbringt. In der letzten Szene begraben Ivo und Ahmed die beiden Getöteten Margus und Nika. An dem stillen Ort mit Blick auf das Schwarze Meer verrät Ivo, was ihn als Einzigen noch hier hält: Sein Sohn ist zu Kriegsbeginn ebenfalls in den Kampf gegen die georgische Armee gezogen und getötet worden. Die Tatsache, dass er den Georgier Nika neben seinem Sohn beerdigt, motiviert den so wunderbar klar formulierten und sich über den ethnischen Konflikt erhebenden letzten Dialog zwischen Ivo und Ahmed: 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 141 <?page no="142"?> Ахмед: От чего он умер? Иво: Убили, как только началась война. […] Он сразу пошел воевать. Защищать надо нашу землю, говорит. Ахмед: Ты его отговаривал, как мог? Иво: Объяснял, что это ничья война, но он не послушал. Ахмед: Значит, его убили грузины? Иво: Да. Но какое это имеет значение? Ахмед: Как не имеет? Ты похоронил грузина возле своего сына. Иво: Ахмед, это имеет значение? … Ответь! Ахмед: Не имеет … Иво: Значит прямо домой? Ахмед: Я соскучился по семье. … Иво, скажи! Если бы я умер вместо Ники, ты меня тоже похоронил бы возле своего сына? Иво: Да … но немножко подальше [улыбается]. Ахмед: Я даже не знаю, как тебя поблагодарить. Иво: Уезжай! Я не люблю прощаться. (Min. 01: 17: 18-01: 18: 55) Ahmed: Woran ist er gestorben? Ivo: Er ist getötet worden, als der Krieg begann. […] Er ist sofort in den Krieg gezogen. Um unser Land zu verteidigen, wie er gemeint hat. Ahmed: Hast du versucht, ihn davon abzuhalten? Ivo: Ich habe ihm gesagt, dass das niemandes Krieg ist, aber er wollte nicht hören. Ahmed: Deinen Sohn haben also Georgier getötet? Ivo: Ja. Aber ist das von Bedeutung? Ahmed: Wie, nicht von Bedeutung? Du hast einen Georgier neben deinem Sohn begraben. Ivo: Ahmed, ist das von Bedeutung? … Antworte mir! Ahmed: Ist es nicht … Ivo: Fährst du direkt nach Hause? Ahmed: Ich vermisse meine Familie. … Ivo, sag! Wenn ich anstelle von Nika gestorben wäre, hättest du mich dann auch neben deinem Sohn begraben? Ivo: Ja … aber ein bisschen weiter weg [lächelt]. Ahmed: Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Ivo: Fahr! Ich mag keine Abschiede. 142 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="143"?> Abb. 2: Im letzten, versöhnlichen Filmdialog stimmt der Tschetschene Ahmed (r.) dem Esten Ivo (l.) zu, dass die ethnische Zugehörigkeit keine Feindschaft begründen sollte. Auf die Frage, die in diesem letzten Dialog angedeutet wird - nämlich wessen Krieg dies sei (Ivo: „это ничья война“), gibt die estnisch-georgische Co- Produktion eine indirekte Antwort. Insgesamt drei Mal kommen Männer, die in diesem Krieg auf der Seite Abchasiens kämpfen, zum Haus des Esten Ivo. Der Film beginnt mit der Ankunft der beiden tschetschenischen Söldner, und im Dialog, den Ivo und Ahmed führen, klingt bereits die für den Antikriegsfilm zentrale Gegenüberstellung von Tod und Leben an, indem der todbringende Krieg mit den Leben schaffenden Handlungen der Fürsorge und des Erntens kontrastiert werden. Auf die Frage Ahmeds, ob Ivo Kisten für Bomben zimmern würde, antwortet Ivo lakonisch, dass diese für Mandarinen seien: Ахмед: Что это за ящики? Для бомб? Иво: Нет, для мандарин. Ахмед: Мандарины - это хорошо. (Min. 00: 02: 48-00: 03: 00) Ahmed: Was sind das für Kisten? Für Bomben? Ivo: Nein, für Mandarinen. Achmed: Mandarinen - das ist gut. Nach den Tschetschenen kommen zwei weitere Kampfverbände der abchasi‐ schen Seite zum Haus, vor denen die Identität des Georgiers verborgen gehalten werden muss. Der erste Trupp besteht aus lokalen Kämpfern - Männer teils in ziviler Kleidung, teils in Militärjacken. Ihr Anführer Aslan kennt die beiden Esten, nennt sie beim Namen. Aslan fragt nach dem zerschossenen georgischen Kleinbus, der vom Schusswechsel mit den beiden Tschetschenen zurückgeblie‐ ben ist. Im Haus wird der Georgier Nika als Tschetschene präsentiert, der durch 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 143 <?page no="144"?> die Kopfverletzung die Sprache verloren hat. Die Männer der zweiten Patrouille, die zum Haus kommt, tragen Armee-Uniformen ohne Hoheitsabzeichen, doch die Sprache des Kommandanten weist darauf hin, dass es sich dabei um Russen handelt. Das aggressive und überhebliche Auftreten des Kommandanten ist ein unmissverständlicher Hinweis auf den russisch-sowjetischen Imperialismus. So misstraut der Kommandant dem Tschetschenen Ahmed und fordert ihn auf, als Beweis für seine ethnische Zugehörigkeit eine Sprachprobe abzugeben. Der Russe aber kann Tschetschenisch nicht von Georgisch unterscheiden und gibt den Schussbefehl. So stringent der Film in Dramaturgie und Dialoggestaltung gemacht ist, so minimalistisch erscheint die Musikeinspielung und Fokussierung auf wenige Gegenstände, die über sich selbst hinausweisen und eine symbolische Funktion annehmen. Die Handlung wird durch die immer wieder eingespielte Leitmusik des georgischen Sängers und Komponisten Niaz Diasamidze strukturiert und rhythmisiert. Die einprägsame Melodie, die nur aus wenigen Akkorden besteht, wird von der ost-georgischen dreiseitigen Laute Panduri dominiert. Neben den Mandarinen, die wie impressionistische Farbtupfer in die aus Grün- und Brauntönen bestehende Landschaft gesetzt sind, gibt es zwei Gegenstände, auf die unser Blick wiederholt gelenkt wird: das gerahmte Foto von Ivos Enkelin, die Abchasien längst verlassen hat, und die gelbe Musikkassette, die Nika beharrlich repariert und die schließlich wie ein persönliches und kulturelles Vermächtnis auf Ahmed übergeht. Genau auf dieser gelben Musikkassette findet sich nämlich das georgische Lied Qaghaldis Gemi, das Ahmed auf seiner Heimfahrt durch die abchasische Berglandschaft begleitet. Von symbolischer Bedeutung sind darüber hinaus die Holzkisten oder viel mehr noch die Tätigkeit des Holzschneidens, gefilmt in Großaufnahmen, mit denen der Film beginnt. Gegen Ende des Films kehren die Großaufnahmen des Holzschneidens wieder, doch Ivo fertigt nun keine Kisten mehr an, sondern Särge (Abbildungen 3 und 4). In präziseren Bildern lässt sich das Grundthema des Films - die verheerende Wirkung des Krieges - wohl nicht vermitteln. 144 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="145"?> 4 Das Medienarchiv des Instituts für Slawistik der Universität Innsbruck (verfügbar unter: http: / / www.russischerfilm.net [14.08.2024]) verfügt über eine russisch-estnische Originalfassung des Films mit deutschen Untertiteln, die für den Unterricht auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden kann. Abb. 3 und 4: Während Ivo zu Beginn des Films Mandarinenkisten zimmert, sind es am Ende Holzsärge. 4.3 Mandariniid im Unterricht 4 Der Film Mandariniid ist für Lernende sowohl als künstlerischer Text interes‐ sant, dessen spezifisch filmische Verfahren des realistischen Erzählkinos es zu erkennen gilt, als auch in Bezug auf Inhalt und Kontext. Daher sollte eine Behandlung des Films im Unterricht in jedem Fall darauf abzielen, dass die SchülerInnen die humanistische Botschaft des Films erkennen und auch begründen können. Abgesehen davon bietet der Film einen Anlass, sich mit 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 145 <?page no="146"?> dem Kaukasus auseinanderzusetzen. Die nachfolgend zusammengestellten Auf‐ gaben sind für den Russischunterricht ab B1-Niveau konzipiert. Da wir jedoch insbesondere auch eine fächerübergreifende Zusammenarbeit mit den Fächern Deutsch, Geschichte, Geografie oder Philosophie anregen möchten, stellen wir auch Aufgaben auf Deutsch bereit, damit der Film - unabhängig vom Russischniveau der SchülerInnen - in der Schule zum Sprechen über Krieg und Konflikt eingesetzt werden kann. In den Aktivitäten, die wir hier vorstellen, konzentrieren wir uns auf das Erkennen der humanistischen Botschaft des Films, basierend auf der ästhetischen Gestaltung von Figuren, Dialog oder Dramaturgie. Als Einstieg in den geografischen und historischen Kontext des Films und Vorbereitung auf das Filmscreening lesen die LernerInnen einen kurzen Text (siehe dazu ausführlicher auch Abschnitt 4.1) über den georgisch-abchasischen Krieg der Jahre 1992 und 1993, und beantworten anschließend Fragen dazu auf Russisch oder - im Falle eines fächerübergreifenden Unterrichts - auf Deutsch (1). Dabei fordert die Lehrperson die Lernenden dazu auf, unbekannte Begriffe und Realien (Sowjetunion, Abchasien etc.) eigenständig nachzuschlagen und bespricht diese mit den Lernenden bei der Kontrolle der Antworten in der Klasse. (1) Lest den kurzen Text über die ethnischen Konflikte in Abchasien und über den georgischabchasischen Krieg der Jahre 1992/ 93. Im Anschluss daran beantwortet die Fragen (1-10) auf Russisch oder Deutsch. Während der Lockerungen der Perestroika in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erlebte die Georgische Sowjetrepublik ein Anwachsen nationalistischer Stimmungen und setzte immer stärkere Zeichen des Aufbegehrens gegen das Moskauer Zentrum. Die ethnischen Konflikte zwischen Georgiern und Abchasen nahmen ab 1989 zu und mündeten schließ‐ lich in eine offene militärische Auseinandersetzung, als in der Nacht vom 13. auf den 14. August 1992 Truppen der Regierung in Tbilissi die Grenzen Abchasiens überschritten. Nach über einem Jahr blutiger Kämpfe zwischen der georgischen Armee und abchasi‐ schen Kampfverbänden, die von Russland unterstützt wurden, endete der Krieg mit der Niederlage Georgiens. Durch den Krieg wurde ein Teil der Infrastruktur zerstört und die in Abchasien lebenden Georgier wie auch andere ethnische Gruppen flüchteten. So verlor die Region Abchasien, die mit einer Fläche von 8.600 km² in etwa so groß ist wie die Insel Korsika, die Hälfte ihrer Bevölkerung. Während laut der letzten sowjetischen Volkszählung im Jahr 1989 die autonome Republik Abchasien eine Einwohnerzahl von 537.000 aufwies, betrug die Einwohnerzahl 2011 laut offizieller Schätzung ca. 243.000 Menschen. 146 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="147"?> Ende August 2008 und damit nur zwei Wochen nach dem sogenannten Kaukasuskrieg in Südossetien ratifizierte der damalige russische Präsident Dmitrij Medvedev den Be‐ schluss des russischen Parlaments, Abchasien und Südossetien als selbständige Staaten anzuerkennen. Heute erkennen nur fünf Staaten Abchasien an, weshalb eine Einreise in das Land nur über die russische Schwarzmeerküste, nicht aber von Georgien aus möglich ist. Von der Schwarzmeerstadt Sotschi bis nach Gagra, dem Elite-Urlaubsort des beginnenden 20. Jahrhunderts und einer der beliebtesten und begehrtesten sowjetischen Ferienorte, beträgt die Entfernung gerade einmal 65-km. (Text: Eva Binder) 1. Какие последствия имел новый государственный курс, который назывался «пере‐ стройкой», для Грузинской ССР*? (* Грузинская Советская Социалистическая Республика была одна из 15 Советских Республик.) 2. С какого года усилились этнические конфликты между жителями Грузии и Абхазии? 3. Когда началась грузино-абхазская война? 4. С кем воевали грузинские войска в грузино-абхазской войне? * (* воевать с кем-либо - gegen jdn. Krieg führen) 5. Какая страна поддерживала абхазских бойцов? Как вы думаете, почему? 6. Как грузины, которые жили в Абхазии, реагировали на войну? 7. В каком году Россия признала Абхазию независимым государством? 8. Почему сегодня невозможно поехать из Грузии в Абхазию? 9. Почему в советское время многие люди ездили в Абхазию? Что они там делали? 10. На берегу какого моря находится курорт Гагра? 1. Welche Folgen hatte der neue politische Kurs, der als Perestroika bezeichnet wurde, auf die Georgische SSR*? (* Die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik war eine von 15 Sowjetrepubliken.) 2. In welchem Jahr begannen sich die ethnischen Konflikte zwischen Georgiern und Abchasiern zu verschärfen? 3. Wann begann der georgisch-abchasische Krieg? 4. Gegen wen kämpfte die georgische Armee im georgisch-abchasischen Krieg? 5. Welches Land unterstützte die abchasische Seite? Was glaubt ihr, warum? 6. Wie reagierten die GeorgierInnen, die zu dieser Zeit in Abchasien lebten, auf den Krieg? 7. In welchem Jahr erkannte Russland Abchasien als unabhängigen Staat an? 8. Warum kann man heute von Georgien aus nicht nach Abchasien fahren? 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 147 <?page no="148"?> 9. Warum reisten in der Sowjetzeit viele Menschen nach Abchasien? Was machten sie dort? 10. Am Ufer welchen Meeres befindet sich der Ferienort Gagra? Um den LernerInnen vor Augen zu führen, wie schnell sich ethnische Kon‐ flikte in einer multiethnischen Gemeinschaft zuspitzen und dann plötzlich in grausame Gewalt umschlagen können, bearbeiten die SchülerInnen im Rus‐ sischunterricht den in Abschnitt 4.1 angeführten kurzen Auszug aus Svetlana Aleksievičs dokumentarischem Roman Vremja sekond chėnd als Lückentext (2). Je nach Interesse der LernerInnengruppe besteht zusätzlich die Möglichkeit, die sich über 13 Seiten erstreckende Schilderung dessen, was die aus Abchasien geflohene 24-jährige ethnische Russin Olga V. in Abchasien 1992 beobachtet, erlebt und erlitten hat, zur Gänze im russischen Original oder in deutscher Übersetzung zu lesen. Für die fächerübergreifende Zusammenarbeit bietet sich die Lektüre dieses Romankapitels auf Deutsch an (Alexijewitsch 2013: 275-288). (2) Прочитайте фрагмент из документального романа «Время секонд хэнд» (2013) белорусского лауреата Нобелевской премии Светланы Алексиевич. В этом фрагменте 24-летняя Ольга В. рассказывает о том, что она наблюдала и пережила в Абхазии в 1992 году. В тексте пропущены некоторые слова. Выберите подходящие по смыслу слова и заполните пробелы. Два слова лишние. Пример (0.) сделан. Абхазии автобусах войне грузина девяносто людях мальчик одноклассника ------- советские ------- соседней ------- убивают ------- стране ------- язык Я - русская. Родилась в … (0.) Абхазии … и там долго жила. В Сухуми. Жила там до двадцати двух лет. До … (1.) … второго года… Пока война не началась. Если загорится вода, как ее потушить? - говорят абхазцы. Так они говорят о … (2.) … … Люди ездили в одних … (3.) …, учились в одних школах, читали одни книги, жили в одной … (4.) … и язык все учили - русский. И они теперь … (5.) … друг друга: сосед - соседа, одноклассник - … (6.) … Брат убивает сестру! […] Через несколько дней вся улица Ахрика хоронила… Ахрик… Знакомый абхазский … (7.) … Ему было девятнадцать лет. Он пошел вечером к девушке - и его ножом в спину. Мать идет за гробом: то плачет, а то обернется - и смеется. Сошла с ума. Месяц назад все были … (8.) …, а тут: грузин - абхаз… абхаз - грузин… русский… Жил на … (9.) … улице еще один парень… Я его, конечно, знала, но не по имени, а в лицо. Здоровались. Нормальный с виду парень. Высокий, красивый. Он убил своего старого учителя - … (10.) …, убил за то, что тот учил его в школе грузинскому языку. Ставил «двойки». (Светлана Алексиевич: «Время секонд хэнд». Москва: Время 2014: 247; 253-254) 148 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="149"?> Als Aufgabe während des Filmsehens bringen die Lernenden die Szenen, in denen verschiedene Besucher zum Haus von Ivo kommen, in die richtige chronologische Reihenfolge (3 Russisch / 4 Deutsch). Dadurch soll nicht nur die aktive Rezeption angeregt, sondern auch die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass die ethnische Zugehörigkeit der Kämpfer im Film eine wichtige Rolle spielt. Auf diese Weise werden die russischen Soldaten, die vor allem an ihrer Sprache zu erkennen sind und das finale Blutbad auslösen, als solche auch identifiziert. Inwiefern diese Szene als Kritik am russisch-sowjetischen Imperialismus zu verstehen ist, kann mit den Lernenden explizit in der Reflexion über den Film diskutiert werden. (3) Восстановите хронологический порядок сцен, в которых разные люди приходят в дом главного героя Иво или подъезжают к его дому. Две сцены из семи не соответствуют фильму. Отметьте их. ___ Эстонский врач приходит к Иво домой. ___ Машина скорой помощи подъезжает к дому Иво. _1_ Двое чеченских бойцов подъезжают к дому Иво на своем джипе. ___ Абхазская милиция приходит в дом Иво. ___ Русский патруль подъезжает к дому Иво. ___ Трое грузинских солдат сталкиваются с чеченцами недалеко от дома Иво. ___ Абхазские бойцы подъезжают к дому Иво. (4) Bringt die Szenen, in denen verschiedene Personen das Haus der Hauptfigur Ivo besuchen oder sich in der Nähe des Hauses aufhalten, in die richtige chronologische Reihenfolge. Markiert außerdem, welche zwei der sieben Szenen nicht mit der Filmhandlung übereinstimmen. ___ Ein estnischer Arzt besucht Ivo zuhause. ___ Ein Krankenwagen kommt zu Ivos Haus. _1_ Zwei tschetschenische Kämpfer kommen mit ihrem Jeep zu Ivos Haus. ___ Die abchasische Miliz sucht Ivos Haus auf. ___ Eine russische Patrouille nähert sich Ivos Haus. ___ Drei georgische Soldaten treffen vor Ivos Haus auf die Tschetschenen. ___ Abchasische Kämpfer nähern sich Ivos Haus. Unmittelbar nach dem Ansehen des Films sollte stets das individuelle Film‐ erlebnis im Mittelpunkt stehen, das sich über folgende Fragen erschließen lässt: Hat mich der Film emotional berührt, erheitert, gelangweilt, genervt? Welche Bilder oder Einstellungen haben mich fasziniert, was bleibt besonders in Erinnerung? Welche Figuren haben meine Sympathie auf sich gezogen und warum? Der offene Austausch über das eigene Filmerleben kann je nach 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 149 <?page no="150"?> Film und LernerInnen zuerst in Kleingruppen erfolgen oder die Lehrperson kann gemeinsam mit der gesamten Gruppe ein erstes Stimmungsbild zu den Eindrücken erheben. Im Anschluss daran werden im Fall von Mandariinid inhaltliche und for‐ male Aspekte diskutiert und reflektiert. Dabei bietet sich an, bei den Figuren und ihren ethnischen Zugehörigkeiten anzusetzen und auf die gegenseitige Feindschaft der beiden Kaukasier näher einzugehen. Diese Feindschaft und die gegenseitigen Vorurteile kommen wiederholt im Filmdialog zum Ausdruck. Um die Aufmerksamkeit der Russischlernenden auf die Dialoge zu lenken und sie darin zu schulen, genau hinzuhören, machen sie eine sprachliche Einsetzübung (5). Im Anschluss daran diskutieren sie im Plenum, worin die Vorurteile bestehen, die in diesem Dialog artikuliert werden, d. h. was der Georgier über den bzw. die Tschetschenen denkt. Im fächerübergreifenden Unterricht lesen die SchülerInnen den in Abschnitt 4.2 angeführten Dialog (6), in dem die Situation zwischen dem Georgier und Tschetschenen eskaliert, und beantworten anschließend die Fragen (1-4). (5) Прочитайте диалог между Никой и Ахмедом и заполните пропуски (1-9). Поставьте слова в правильной форме. Два слова лишние. Пример (0.) сделан. Посмотрите потом фрагмент (мин. 00: 47: 00-00: 48: 23) и проверьте ваши ответы. абхазский грузин грузинский Грузия история народ сердиться сидеть ---------- улыбаться ---------- чеченский ---------- школа ---------- Ахмед: Какая музыка тебе нравится, … (0.) грузин …? Ника: […] Ахмед: Грузинская? А мне нравится … (1.) … музыка. Ника: Особенно грузинская земля нравится, так ведь? Ахмед: А где грузинская земля? Ника: Здесь грузинская земля. Вот где ты сидишь, это и есть грузинская земля. Ты сидишь на грузинской земле, понял? Ахмед: Нет, я … (2.) … на эстонском стуле. Ника: Так смешно! Ахмед: Да, на эстонском стуле, который стоит в эстонском доме … а он стоит на … (3.) … земле. Ника: Слушай, ты в школу ходил? У вас там школа есть, вообще? Ахмед: Чего? Ника: Спрашиваю, школа есть, вообще? Чему … (4.) …, чужестранец? И вообще, что ты здесь потерял в … (5.) …? Ахмед: Я здесь защищаю маленький … (6.) … от таких злых чужестранцев как ты. 150 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="151"?> Ника: Нет, видно, на самом деле … (7.) … у вас там нет. Ничего ты не понимаешь, да? Ничего ты не знаешь. … (8.) … не учил? Книжки не читал в детстве? Ахмед: Я не буду на тебя обижаться, мне похуй, что ты болтаешь. Здесь ты в безопасности. Болтай, сколько хочешь! (6) Lest den Dialog zwischen Nika und Ahmed (Min. 00: 58: 40-01: 00: 33) und beantwortet anschließend die Fragen (1-4). Seht euch am Ende den Ausschnitt noch einmal gemeinsam an. Ahmed: Ihr Georgier könnt keine Schaschliks grillen. Ihr glaubt nur, es zu können. So ist es mit allem. Nika: Was mit allem? Was können wir sonst noch nicht? […] Ahmed: Zum Beispiel kämpfen … überhaupt nicht … lach nur! Lach! Ihr könnt es nicht, aber ihr kämpft trotzdem. Und verliert immer. Witzig. Nika: Du redest nur Scheiße. Ich sage ja, du bist ungebildet. Du weißt nichts über die Geschichte. Ahmed: Das ändert nichts. Ihr könnt keine Schaschliks grillen, ihr könnt nicht kämpfen. Das ist eine Tatsache. Nika: Ich werde dir zeigen, was ich kann. Nur zu, bring mich um, wie du es angekündigt hast. Wir sind nicht mehr im Haus. Nur zu, versuch es! Dann wirst du sehen, wozu ein Georgier fähig ist. Los, komm schon! Ahmed: Gut, zeig es uns! Ivo: Beruhigt euch! Setzt euch hin! […] Was ist los mit euch jungen Männern? Ich bring dich um! Ich bring dich um! Wer hat euch das Recht dazu gegeben? Wer? Ahmed: Der Krieg. Ivo: Dummkopf! 1. Mit welcher Feststellung wertet der Tschetschene Ahmed den Georgier Nika ab? 2. Mit welcher beleidigenden Äußerung reagiert der Georgier darauf? 3. Was macht es für einen Unterschied, ob die beiden im Haus sind oder außerhalb des Hauses? 4. Wie reagiert Ivo auf den Streit? Mit welchem Argument deeskaliert er den Konflikt zwischen den beiden? Um die minimalistische Gestaltung des Films und die Arbeit mit Symbolbildern und Wiederholungsstrukturen zu erkennen, diskutieren die Lernenden in Grup‐ pen ausgewählte Fragen zum Film - je nach Sprachniveau - auf Russisch (7) 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 151 <?page no="152"?> oder Deutsch (8). Schließlich setzen sich die Lernenden mit der Hauptaussage des Films und dem positiven Ende auseinander (Abb. 5). Sie lesen den letzten Dialog des Films auf Russisch (9) oder Deutsch (10), bevor sie sich das Finale noch einmal gemeinsam ansehen. Die abschließenden Fragen (1-5) dazu diskutieren sie in Gruppen oder beantworten sie zu Hause, um auf diese Weise noch einmal individuell über den Film zu reflektieren. (7) Ответьте на следующие вопросы (1-3) в маленьких группах. 1. С каких кадров начинается фильм? Что показано крупным планом? Какой смысловой акцент делается с помощью этих кадров на фоне войны? 2. Какие персонажи вам нравятся и почему? Какие сцены эмоционально впечатляют вас и почему? Какой персонаж меняет свой взгляд на жизнь и на войну больше других? 3. Какая музыка сопровождает весь фильм и какова ее функция? Какой музыкальный инструмент мы слышим? (8) Beantwortet folgende Fragen (1-3) in Kleingruppen. 1. Mit welchen Einstellungen beginnt der Film? Was ist in Großaufnahme zu sehen? Welche Bedeutung hat diese Bildmontage im Zusammenhang mit dem Krieg, um den es im Film geht? 2. Welche Figuren ziehen eure Sympathie auf sich und warum? Welche Szenen berühren euch und warum? Welche der Figuren macht im Vergleich zu den anderen die stärkste Veränderung durch? 3. Welche Musik begleitet die Handlung und was für eine Funktion hat sie? Was für ein Musikinstrument ist hier zu hören? (9) Прочитайте последний диалог между Иво и Ахмедом, посмотрите значения незнакомых слов в словаре. Потом посмотрите еще раз финальную сцену фильма (мин. 01: 16: 56-01: 22: 50) и ответьте на вопросы (1-5). Ахмед: А Ника? Иво: Его похороним в другом месте. Ахмед: Где? Иво: Возле моего сына. Ахмед: От чего он умер? Иво: Убили, как только началась война. […] Он сразу пошел воевать. Защищать надо нашу землю, говорит. Ахмед: Ты его отговаривал, как мог? 152 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="153"?> Иво: Объяснял, что это ничья война, но он не послушал. Ахмед: Значит, его убили грузины? Иво: Да. Но какое это имеет значение? Ахмед: Как не имеет? Ты похоронил грузина возле своего сына. Иво: Ахмед, это имеет значение? … Ответь! Ахмед: Не имеет … Иво: Значит прямо домой? Ахмед: Я соскучился по семье. … Иво, скажи! Если бы я умер вместо Ники, ты меня тоже похоронил бы возле своего сына? Иво: Да … но немножко подальше [улыбается]. Ахмед: Я даже не знаю, как тебя поблагодарить. Иво: Уезжай! Я не люблю прощаться 1. Что мы узнаем об Иво в последнем диалоге? 2. Что имеет в виду Иво, когда говорит: «[Э]то ничья война»? 3. Какое высказывание является самым важным в этом диалоге? 4. Какие детали указывают на то, что финал все-таки оптимистичен? 5. Какие два языка звучат в финальной песне грузинского музыканта Ираклия Чарквиани? (10) Lest euch den letzten Dialog zwischen Ivo und Ahmed durch und seht euch dann die Schlussszene des Films (Min. 01: 16: 56-01: 22: 50) noch einmal an. Beantwortet anschließend die Fragen (1-5). Ahmed: Woran ist er gestorben? Ivo: Er ist getötet worden, als der Krieg begann. […] Er ist sofort in den Krieg gezogen. Um unser Land zu verteidigen, wie er gemeint hat. Ahmed: Hast du versucht, ihn davon abzuhalten? Ivo: Ich habe ihm gesagt, dass das niemandes Krieg ist, aber er wollte nicht hören. Ahmed: Deinen Sohn haben also Georgier getötet? Ivo: Ja. Aber ist das von Bedeutung? Ahmed: Wie, nicht von Bedeutung? Du hast einen Georgier neben deinem Sohn begraben. Ivo: Ahmed, ist das von Bedeutung? … Antworte mir! Ahmed: Ist es nicht … Ivo: Fährst du direkt nach Hause? 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 153 <?page no="154"?> Ahmed: Ich vermisse meine Familie. … Ivo, sag! Wenn ich anstelle von Nika gestorben wäre, hättest du mich dann auch neben deinem Sohn begraben? Ivo: Ja … aber ein bisschen weiter weg [lächelt]. Ahmed: Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Ivo: Fahr! Ich mag keine Abschiede. 1. Was erfahren wir über Ivo im letzten Dialog? 2. Was meint Ivo, wenn er sagt: «[Э]то ничья война.» (Das ist niemandes Krieg.)? 3. Was ist die wichtigste Aussage in diesem Dialog? 4. Welche Details sprechen dafür, dass das Ende doch optimistisch ist? 5. Welche beiden Sprachen sind im Schlusslied des georgischen Musikers Irakli Charkviani zu hören? Abb. 5: Bereits der stille Ort mit Blick auf das Schwarze Meer, an dem Ivo (l.) und Ahmed (r.) die Toten begraben, verweist auf das versöhnliche Ende des Films. 5 Zusammenfassung und Ausblick Krieg und Konflikt sind Themen, die auch in der Schule und im Unterricht - wie im vorliegenden Beitrag im Russischunterricht oder in fächerübergreifender Zusammenarbeit - behandelt werden sollten. Um über derart schwierige Themen zu sprechen, benötigt es eine gute Vorbereitung der Lehrperson und - noch wichtiger - Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Materialien. Mit dem Film Mandariniid treffen wir eine derartige Auswahl und bieten mit den vorge‐ stellten Aufgaben und Aktivitäten eine Möglichkeit, über Krieg und Konflikt im Unterricht zu sprechen. Mandariniid ist dazu deshalb so gut geeignet, weil 154 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="155"?> der Film handlungsleitende gesellschaftliche Werte wie Toleranz, Solidarität und Humanität bestärkt und überdies Möglichkeiten aufzeigt, wie ethnische Konflikte deeskaliert und welche Perspektive für eine Lösung gefunden werden können. Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass dieser Beitrag nur einen Teil einer Vielzahl an möglichen Aufgaben und Aktivitäten darstellt, die mit den Lernenden anhand dieses Films bearbeitet werden können. Weitere Aufgaben sowie zahlreiche andere Medienbeispiele zu unterschiedlichen Themen werden im Buch Audiovisuelle Medien im Russischunterricht (Binder & Kaltseis 2025) präsentiert. 6 Film- und Literaturverzeichnis Mandariinid (georg. Titel: Mandarinebi, internat. Verleihtitel: Tangerines). Estland/ Geor‐ gien 2013. 83 Min. Regie: Zaza Urushadze; Drehbuch: Zaza Urushadze; Kamera: Rein Kotov; Musik: Niaz Diasamidze. Darsteller: Lembit Ulfsak (Ivo), Giorgi Nakhashidze (Ahmed), Elmo Nüganen (Margus), Mikhail Meskhi (Nika), Raivo Trass ( Juhan, der Arzt), Zurab Begalishvili (Aslan) u. a. - Aleksievič, S. (2014). Vremja sekond-chėnd. Moskva: Vremja. Alexijewitsch, S. (2013). Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus. München: Hanser Berlin. Auch, E.-M. (2004). Der Konflikt in Abchasien in historischer Perspektive. In Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) (Hrsg.), Jahrbuch zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Bd. 10 (237-252). Baden-Baden: Nomos. Bergmann, A. (2023). Russland führt Krieg. Wie geht es dem Russischunterricht? Die Neueren Sprachen, 11/ 12, 15-30. Binder, E. & Kaltseis, M. (2025). Audiovisuelle Medien im Russischunterricht. Tübingen: Narr. Byram, M. (2021). Teaching and assessing intercultural communicative competence. 2nd ed. Bristol: Multilingual Matters. Europarat (2018). Kompetenzen für eine demokratische Kultur. Gleichberechtigtes Zu‐ sammenleben in kulturell unterschiedlichen Gesellschaften. Straßburg: Council of Europe Publishing. Verfügbar unter: https: / / tinyurl.com/ mu8r53hn [14.08.2024] Fischer, C. (2022). Krieg in der Ukraine - Orientierungsversuche für den Politikunterricht. Gesellschaft - Wirtschaft - Politik (GWP), 71(2), 221-231. Verfügbar unter: https: / / elib rary.utb.de/ doi/ pdf/ 10.3224/ gwp.v71i2.01? download=true [14.08.2024] Gerlach, D. (2020). Einführung in die Kritische Fremdsprachendidaktik. In D. Gerlach (Hrsg.), Kritische Fremdsprachendidaktik. Grundlagen, Ziele, Beispiele (7-32). Tübingen: Narr. 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 155 <?page no="156"?> Keel, G. & Weber, W. (2021). Einleitung. In G. Keel & W. Weber (Hrsg.), Media Literacy (7-12). Baden-Baden: Nomos. KMK (2021). Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2018/ 2019. 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Screenshot aus dem Film (Min. 01: 15: 56) Abbildung 5. Mandariinid [kursiv]. Screenshot aus dem Film (Min. 00: 17: 38) 8 Lösungsschlüssel (1R) 1. Перестройка привела к усилению национализма.; 2. С 1989 г.; 3. В 1992 г.; 4. С бойцами из Абхазии; 5. Россия; 6. Они бежали/ они стали беженцами.; 7. В 2008 г.; 8. Потому, что Грузия считает Абхазию частью своей территории; 9. Они там отдыхали; 10. На берегу Черного моря. (1D) 1. Die Perestrojka führte zu einem Anwachsen des Nationalismus.; 2. Seit 1989; 3. 1992; 4. Gegen abchasische Kampfverbände; 5. Russland; 6. Sie mussten flüchten.; 7. 2008; 8. Weil Abchasien für Georgien ein Teil des eigenen Staates ist.; 9. Sie verbrachten dort ihren Urlaub.; 10. Am Ufer des Schwarzen Meeres. (2) (1.) девяносто, (2.) войне, (3.) автобусах, (4.) стране, (5.) убивают, (6.) одноклассника, (7.) мальчик, (8.) советские, (9.) соседней, (10.) грузина (3) _3_Эстонский врач приходит к Иво домой. _/ _ Машина скорой помощи подъезжает к дому Иво. _1_ Двое чеченских бойцов подъезжают к дому Иво на своем джипе. 156 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="157"?> _/ _ Абхазская милиция приходит в дом Иво. _5_ Русский патруль подъезжает к дому Иво. _2_ Трое грузинских солдат сталкиваются с чеченцами недалеко от дома Иво. _4_ Абхазские бойцы подъезжают к дому Иво. (4) _3_Ein estnischer Arzt besucht Ivo zuhause. _/ _ Ein Krankenwagen kommt zu Ivos Haus. _1_Zwei tschetschenische Kämpfer kommen mit ihrem Jeep zu Ivos Haus. _/ _ Die abchasische Miliz sucht Ivos Haus auf. _5_ Eine russische Patrouille nähert sich Ivos Haus. _2_ Drei georgische Soldaten treffen vor Ivos Haus auf die Tschetschenen. _4_ Abchasische Kämpfer nähern sich Ivos Haus. (5) (1.) грузинская, (2.) сижу, (3.) абхазской,(4.) улыбаешься, (5.) Грузии, (6.) народ, (7.) школы, (8.) Историю (6) 1. Die Georgier könnten keine Schaschliks grillen und nicht kämpfen.; 2. Die Tschetschenen seien ungebildet und würden die Geschichte nicht kennen.; 3. Im Haus respektiert der Tschetschene die Regeln des Hausherrn Ivo und sieht davon ab, Rache am Georgier dafür zu üben, dass er seinen Kampfgefährten getötet hat.; 4. Ivo fragt sie, was ihnen das Recht gebe zu töten und lässt das Argument, dass Krieg sei, nicht gelten. (7 / 8) 1. Die erste Bildmontage zeigt, wie der Este Ivo in seiner kleinen Werkstätte Holz schneidet, um Kisten für die Mandarinen herzustellen. Wir sehen einige wenige Großaufnahmen von dieser Tätigkeit, während noch der Vorspann läuft. Später im Film (Min. 01: 15: 00) wird Ivo Holzsärge machen - für die beiden Ermordeten Margus und Nika. 3. Die Handlung wird durch die immer wieder eingespielte Leitmusik des georgi‐ schen Sängers und Komponisten Niaz Diasamidze strukturiert und rhythmisiert. Die einprägsame Melodie, die nur aus wenigen Akkorden besteht, wird von der ost-georgischen dreiseitigen Laute Panduri dominiert. (9 / 10) 1. Dass sein Sohn im Krieg getötet wurde.; 2. Dass dieser Krieg weder im Inter‐ esse der Georgier noch der Abchasen ist.; 3. Dass die ethnische Zugehörigkeit nicht die Bedeutung haben sollte, die sie in diesem Krieg hat - insbesondere dann nicht, wenn es um Leben und Tod geht. Damit hebt Ivo auch die Legitimation dieses Krieges und ethnischen Konflikts auf.; 4. Beide Hauptfiguren lächeln, 5 Sprechen über Krieg und Konflikt im Fremdsprachenunterricht und darüber hinaus 157 <?page no="158"?> die Landschaft weitet sich und gibt den Blick auf das Meer frei, und der Tschetschene lässt den Krieg hinter sich und fährt nach Hause. Das Wichtigste aber ist, dass der Tschetschene seine unversöhnliche Haltung aufgibt und Ivo für diesen Schritt dankt. Auf der Autofahrt hört er schließlich die Musik, die seinem ehemaligen georgischen Feind Nika wichtig war (sie ist auf der gelben Musikkassette, die Nika repariert hat).; 5. Deutsch und Georgisch. 158 E V A B I N D E R & M A G D A L E N A K A L T S E I S <?page no="159"?> 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodale AutorInnenschaft: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht C HRISTOPH S INGE R Affordance, transliteracy, and multimodal authorship: Instapoetry in foreign language teaching This article explores Instapoetry as a multimodal medium to approach and teach transliteracy skills in the foreign language classroom. Instapoetry, as a relatively new genre, offers a number of affordances that provide a range of approaches and possibilities, which are not limited to a literary studies perspective. Instead, Instapoetry is approached as a transliterary medium which, to quote Sue Thomas (Thomas et al. 2007: n. p.), is interested in processes that “read, write and interact across a range of platforms, tools and media from signing and orality through handwriting, print, TV, radio and film, to digital social networks.” After introducing the concept of transliteracy and Instapoetry, this paper will discuss the specific affordances of transliteracy for the classroom with a focus on select Instapoets such as Rupi Kaur. 1 Einleitung Im Jahr 2023 feierte die Gattung der Instapoetry ihren zehnten Geburtstag, zumindest, wenn man die Geburtsstunde von Instapoetry mit dem ersten Post der indisch-kanadischen Rupi Kaur, der weitreichenstärksten Autorin dieser Gattung, ansetzt. Innerhalb dieser Dekade hat Instapoetry einen beachtlichen Grad an öffentlicher und akademischer Aufmerksamkeit hervorgerufen und viele Debatten darüber losgetreten, was denn nun ‚gute‘ oder ‚schlechte‘ Lyrik ausmache, wann eine AutorIn als erfolgreich gelten kann, und wie der Einfluss von Instapoetry auf die LeserInnenschaft und auf die kanonisierte Lyrik zu bewerten sei. Gerade nach Zeiten, in denen ein stark normativer Zugang in literarischen Diskussionen eher abgelehnt wurde, finden sich eine Vielzahl von <?page no="160"?> Reaktionen auf Instapoetry, welche diese stark wertend erfassen und deren ästhetischen und literarischen Wert bezweifeln. So lässt sich feststellen, dass das Medium und die Debatte darum eine Vielzahl bestehender Definitionen und (Gattungs-)Grenzen auflösen. Man kann mit Suzana Sukovic mit Blick auf die Multimodalität von Instapoetry - schließlich handelt es sich hierbei um eine Kombination aus Texten, Illustrationen, Kom‐ mentaren und Paratexten - die folgende Frage stellen: „Where is the boundary between reading and writing in the digital environment? Where is the line between text and image? ” (Sukovic 2014: 1) Lenkt man den Blick auf die größere, extratextuelle Dimension von Instapoetry, stellen sich weitere medientechnische Überlegungen, die auch direkt den fremdsprachlichen Unterricht betreffen, insbesondere die Frage nach der Differenzierung digitaler und analoger Räume, in denen sich MediennutzerInnen bewegen. So stellt Nils Penke die These auf, dass es „[o]hne die Zäsur des Ein- und Ausloggens […] für viele Userinnen kaum noch eine spürbare Trennung von realem und virtuellem Raum“ (Penke 2019: 456) gibt. Es ist die Aktualität dieser Fragestellungen und die damit verbundenen Herausforderungen, welche Instapoetry zu einem spannenden und relevanten Unterrichtsgegenstand machen, welcher gerade im Fremdsprachenunterricht zu verschiedenen Zugängen einlädt. In diesem Artikel werde ich Instapoetry insbesondere als translyrische Form mit multimodalem Charakter lesen und die spezifischen Affordanzen dieser Gattung für den Fremdsprachenunterricht erarbeiten. Mit ‚translyrisch‘ ist ein Verständnis von literacy verbunden, welches bewusst das Zusammenspiel verschiedener Medien und Modalitäten in den Blick nimmt und eine Art des Lesens erfordert, welche weit über das geschriebene Wort hinausführt. Im Kern werde ich folgende These diskutieren: Instapoetry ist eine Form von dezidiert multimodaler AutorInnenschaft, welche nicht nur einen klassisch literarischen Dichtungsbegriff erweitert, sondern auch wieder die Instanz der AutorInnenschaft selbst in das Zentrum des literarischen Werkes rückt. Auto‐ rInnen wie Rupi Kaur, Atticus und R. H. Sin erschaffen ein digital-literarisches Werk, in dem das eigentliche Gedicht nur einen relativ kleinen Teil einnimmt. Instapoetry ist vielmehr als eine Form von Performanz und Kommunikation zu verstehen, welche, je nach Wahrnehmung, als Gesamtwerk gelesen werden kann und muss und welche das AutorInnen-Ich überhaupt erst konstruiert und in der literarischen Kommunikation wieder zentral setzt: „Das literarische ‚Ich‘ konstituiert sich also im Schreiben (und Posten), die ‚Subjektform Autor‘ wird durch literarische und mediale ‚Technologien des Selbst‘ performativ hervorgebracht.“ (Wolff 2023: 19) 160 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="161"?> Das Interesse an Instapoetry für den Fremdsprachenunterricht liegt nun hierin begründet, dass die damit verbundene (konstruierte) Identitätskonstruktion ver‐ schiedene medienkritische Zugänge zu einem Textgegenstand erlaubt, welcher in seiner relativ kurzen Textgeschichte zu ergebnisoffenen Diskussionen und Gesprächen einlädt. Die Multimodalität bringt aber auch Herausforderungen mit sich. So stellt Paul Wolff richtig fest: „Das wachsende digitale Formen‐ repertoire steigert allerdings auch die Anforderungen an die Medien- und Registerkompetenz, weshalb AutorInnen in der Öffentlichkeit zunehmend als ‚Medienjongleure‘ erscheinen.“ (Wolff 2023: 11) Während sich Wolff hier vor allem auf die Produktionsseite von digitaler Literatur und Kommunikation bezieht, lässt sich natürlich auch eine solche „Medien- und Registerkompetenz“ auf Seiten von Lehrenden und SchülerInnen postulieren, welche wiederum die Fähigkeit besitzen sollten, diese Texte anhand von multimodalen Analysen zu lesen: „Consequently, digitally mediated stories provide a means for identity expression, and multimodal analysis can be used to trace how this occurs in youth productions.“ (Curwood & Gibbons 2010: 65) Während sich ein Großteil von Diskussionen über Instapoetry mit ihrem literarischen Potential beschäfti‐ gen, soll im Folgenden ein restriktiver Blick auf die geschriebenen Elemente von Instapoetry vermieden werden. Denn trotz aller Diskussionen um die Gattung selbst, lässt sich mit Mackay & Mackay festhalten: „However, one thing agreed on by most critics of Instapoetry is that this is a new phenomenon, the first truly popular form of literature to have emerged from the digital sphere.“ (Mackay & Mackay 2023: 2) Vielmehr nähere ich mich dieser Gattung über den Begriff der Translite‐ racy. Nach einer theoretischen Einführung in dieses Konzept sowie in Insta‐ poetry als relativ neue Gattung, werde ich diese unter dem Gesichtspunkt der Transliteracy genauer diskutieren. Und während sich Instapoetry gerade im (Fremd)Sprach(en)unterricht sehr gut zum Unterrichten von literarischen Gattungen, für Creative Writing Übungen oder zum Einüben grammatikalischer oder sprachlicher Formen eignet, soll Instapoetry in diesem Artikel vor allem un‐ ter dem Blick transliterarischer AutorInnensowie LeserInnenschaft diskutiert werden. Insbesondere geht es um die Frage, wie es Instapoetry ermöglicht, eine besondere Form der Literacy zu reflektieren, zu unterrichten und zu erlernen, welche multimodale Texte in ihrem Zusammenspiel aus Codes und Channels ernst nimmt und diese Multimodalität im kommunikativen Kontext einer Social Media-Plattform wie Instagram analysiert. 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 161 <?page no="162"?> 2 Transliteracy Die Prozesse, deren AutorInnen Wolff, wie oben zitiert, metaphorisch als „Medienjongleure“ betitelt, sollen im Folgenden unter dem Begriff der Trans‐ literacy gefasst und beschrieben werden. Instapoetry wird weniger als rein literarische Gattung gelesen, da dieser Zugang, wie ich zeigen werde, u. a. aufgrund der Multimodalität und der digitalen Einbettung in soziale Medien einen zu engen Genrebegriff ansetzen und den Blick auf das Zusammenspiel verschiedener Medialitäten, Modalitäten und politischer Akteure verhindern würde. So verstehen Low und Rapp „literacy as plural, contextual, socially and culturally situated, and mediated by power.“ (Low und Rapp 2021: 110) Das Konzept der Transliteracy wurde ursprünglich am Institute for Creative Technologies an der De Montfort University in Leicester entwickelt und lässt sich als Reaktion auf eine Medienkultur verstehen, in der nicht nur Kommuni‐ zierende, sondern auch deren Medien immer stärker miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen. Aus diesem Zusammenspiel folgt die Auflösung bestehender Gattungsdefinitionen sowie Rollenzuschreibungen. Aus Konsumenten und Produzenten werden Prosumer, die mithilfe verschiedenster Apps und Programme, Codes und Channels, Content kreieren, kommentieren und kommunizieren. Wolff spricht bei diesem Zusammenspiel aus Formen und Inhalten von einem context collapse und stellt fest: „Im context collapse der sozialen Medien, die literarische Miniaturen unter anderem mit Alltags‐ kommunikation, Memes und anderen Fremdinhalten durchmischen, wird die traditionelle Abgrenzung von Text, Paratext und Performance sowie zwischen inner- und außerliterarischer Autor: inneninszenierung durchlässig: Nicht nur ‚Schreiben, Lesen und Publizieren‘ sondern auch Werk und Autor: in gehen zu‐ nehmend ineinander über. Autor: innenschaft verwandelt sich in eine ‚ongoing public performance‘. Damit tritt auch die Kategorie des abgeschlossenen Werks zugunsten prozessorientierter Schreibweisen zurück, die eher als andauernde Ereignisse vorzustellen sind.“ (Wolff 2023: 21) In einem solchen Kontext, in dem sich klassische Rollen- und Gattungszu‐ schreibungen auflösen und in dem das Werk - hier Instapoetry - als zunehmend prozesshaft gelesen wird, muss auch der Unterricht auf diese veränderten Medi‐ enkontexte reagieren. Hierfür möchte ich zwei Argumente anführen. Einerseits ist es eine zentrale Aufgabe des Sprachunterrichts, SchülerInnen auf veränderte Kommunikationsformen vorzubereiten und für diese zu sensibilisieren. So weit, so offensichtlich. Problematisch wird diese Umsetzung, wenn Lehrende selbst mit übernommenen Kategorien und Definitionen auf diese neuen Medien zugreifen. Nimmt man Instapoetry in den Blick und reduziert den Zugriff auf diese Gattung auf den Aspekt der Lyrik, so lässt sich durchaus fragen, ob es sich 162 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="163"?> denn hierbei überhaupt um Lyrik handele, geschweige denn um ‚gute‘ Lyrik. Diese Diskussion wurde und wird, wie unten genauer erläutert wird, intensiv geführt. Und während der normative Aspekt dieser Debatte - was ist ‚gute‘, was ‚schlechte‘ Lyrik - durchaus produktiv sein kann, versperrt die Reduktion von Instapoetry auf Poetry den Blick auf die transliterarischen, multimodalen Aspekte der Gattung. Das ist umso problematischer, als sich viele der Instapoeten durchaus als multimodale AutorInnen verstehen. So behauptet Anna Leskiewicz in Bezug auf Rupi Kaur: „Kaur understands the importance of a visual brand: she credits her degree in rhetoric, media and professional communication with teaching her ‘design, marketing, creative writing and branding’. She employs the same stylist as Selena Gomez (the second-most-followed woman on Instagram), while an interview with New York Magazine painted Kaur as someone who thinks about ‘the spacing and the page and the colour’ of her work as much as the poetry itself, analysing how different designs perform ‘across media’”. (Leszkiewicz 2019: 48) Die Dichterin wird so zur Designerin, Werbe- und Kom‐ munikationsexpertin und ist eingebettet in ein Netzwerk aus verschiedenen Professionen. Diese transliterarischen Produktionsformen „übersetzen“ sich in multimo‐ dale Texte, welche eine spezifische Form der literacy erfordern. Lane Wilkinson ergänzt: „From the intersubjectivity of social media tools to the intertextuality of Web 2.0 mash-ups, to new frontiers in immersive storytelling, the digital environment - and especially the Web 2.0 paradigm - has led to a distribution of literacy skills across a multiplicity of media options. Transliteracy is, at heart, simply about understanding the ways in which we navigate an ever-inc‐ reasing array of communication and information resources.” (Wilkinson 2012: 164) Während Wilkinson sich hier eher auf die Rezeptionsebene konzentriert, denken Sue Thomas et al. die Produktionsebene stärker mit und betonen die Fähigkeit „to read, write and interact across a range of platforms, tools and media from signing and orality through handwriting, print, TV, radio and film, to digital social networks.“ (Thomas et al. 2007) Was in der Diskussion des Konzeptes der Transliteracy zunehmend mitge‐ dacht wird, und was dieses Konzept dadurch nicht leichter macht, ist die kulturelle Verfasstheit transliterarischen Schreibens und Lesens. „Multimodality offers a framework for understanding culture and cultural production by attending to the modes and modalities that are engaged at any given moment or within a particular artifact or text.“ (Leander & Vasudevan 2009: 129) Gerade eine Gattung wie Instapoetry, welche auf einer international verwendeten, obgleich in den U.S.A. ansässigen Plattform verbreitet wird, lebt davon, dass sowohl 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 163 <?page no="164"?> die AutorInnen als auch die LeserInnen aus unterschiedlichsten kulturellen Kontexten schreiben und aus der entsprechenden kulturellen Perspektive lesen und kommentieren. Es handelt sich bei Instapoetry um eine dezidiert globale Literaturgattung und erfolgreiche ‚Texte‘ werden dann auch in verschiedenste Sprachen übersetzt. Rupi Kaurs Gedichte etwa liegen in knapp vierzig Übersetzungen vor. Ein wei‐ teres Beispiel für diese interkulturelle Dimension, die sich bei Kaur feststellen lässt, ist die durchgängige Kleinschreibung in ihren Gedichten, welche sie mit Verweis auf ihre kulturelle Identität als ‚Canadian-Indian Woman of Colour‘ folgendermaßen erläutert. Ihre Schreibweise orientiere sich an der Sprache Gurmukhi: „[t]here are no uppercase or lowercase letters. The letters are treated the same. I enjoy this simplicity. It’s symmetrical and straightforward. I also feel there is a level of equality this visuality brings to the work. A visual representation of what I want to see more of within the world: equalness.“ (Kaur, Q&A, n.-d.) Die Form wird hier zum inhaltlichen Statement. Des Weiteren ist zu betonen, dass selbst innerhalb spezieller nationaler Kon‐ texte Instapoetry als ungewöhnlich divers wahrgenommen wird. Soziale Medien im Allgemeinen und Instagram im Speziellen bieten, wie ich noch genauer ausführen werde, einen digitalen Raum, in dem AutorInnen ihre Erfahrungen und Perspektiven teilen können, welche im traditionellen Literaturbetrieb so nicht immer gehört werden. Und gerade Transliteracy, so Smith, Stornaiuolo & Phillips, erfordert und ermöglicht es, diese Diversität von Kultur, Klasse und Gender mitzudenken: „In other words, a transliteracies perspective takes as given the multiplicity and diversity of people and communicative forms while paying close attention to how those people and things move and interact in various relationships.“ (Smith, Stornaiuolo & Phillips 2018: 21) Dadurch werde eine transliterarische Perspektive den soziopolitischen Realitäten sowohl der AutorInnenschaft, der kulturellen Verfasstheit, als auch deren ökonomischer Einbindung gerecht: „Our expanded definition understands transliteracies to be critical and creative social semiotic practices arising within complex ideological networks“ (Stornaiuolo, Smith & Phillips 2016: 72). Diese ‚Networks‘, und das darf aus mediendidaktischer Perspektive nicht vergessen werden, sind immer in die Aufmerksamkeitsökonomie des Plattform‐ kapitalismus eingebunden, welche ganz speziellen Regeln und Vermarktungs‐ logiken unterliegt. Und gerade Instagram ist an diese ökonomischen Logiken gebunden. Auch bietet diese Form der Selbstdarstellung auf Social Media selten die Möglichkeit, direkt für die kreative Arbeit entlohnt zu werden. Das heißt, AutorInnen müssen nach anderen Möglichkeiten suchen, um für ihre Arbeit mit mehr als nur Likes und FollowerInnen belohnt zu werden. In einigen sehr 164 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="165"?> seltenen Fällen führt dies dann doch wieder zu Publikationen in Buchform, welche das - ursprünglich transliterarische Medium - in ein recht traditionelles umwandelt, wie dies etwa bei Rupi Kaur der Fall ist. Wie bereits dargelegt, wird eine analytische und didaktische Reduktion der Multimodalität von Instapoetry auf Poetry dieser Gattung und dem damit verbundenen Medienphänomen nicht gerecht. Vielmehr erlaubt und erfordert der Blick auf Instapoetry als transliterarisches, multimodales Phänomen, die ver‐ schiedenen medialen und damit kommunikativen Dimensionen zu reflektieren und für den Unterricht fruchtbar zu machen. SchülerInnen wird bewusst, wie Lesen und Schreiben - von Texten und Identitäten - in einem globalen Kontext gelingt, und sie lernen, die Diskurse und Ideologien, welche ihnen direkt auf das Smartphone geliefert werden, sowie deren Konsum kritisch zu hinterfragen. Zusammenfassend lässt sich hier mit Knox, Mackay & Nacher begründen, warum es sich bei Instapoetry um einen wichtigen Gegenstand der Lehre und Forschung handelt: „To dismiss Instapoetry as a trans-national, trans-linguistic, trans-media, and trans-literary organism would be to dismiss worlds“ (Knox et al. 2023: 6). Eine mediale Welt, die so über sprachliche, kulturelle, identitäre Grenzen wirkt, zeigt die Notwendigkeit einer Transliteracy von Lehrenden und Lernenden gleichermaßen, und Instapoetry ist ein geeigneter Gegenstand, die damit verbundenen Lernergebnisse zu reflektieren. 3 Instapoetry Die in San Francisco ansässige Social Media Plattform Instagram wurde am 6. Oktober 2010 gestartet. Der Name Instagram ist ein Portmanteau aus ‚Instant Camera‘ und ‚Telegram‘ und verweist auf zwei Kernattribute des Produkts. Instagram verstand und versteht sich als Plattform zum Bearbeiten, Veröffentli‐ chen und Teilen von Bildern und Fotos. Mit der Zeit wurden weitere Funktionen ergänzt, etwa die Möglichkeit, Videos oder Reels zu posten, welche seit 2011 über die eingeführten Hashtags miteinander vernetzt werden können. Der Fokus auf das visuelle Element der Plattform zeigt bereits, dass Instapoetry als Gattung in diese visuelle Logik eingebunden und davon geprägt ist. Lyrik werde somit nicht mehr gelesen, sondern gesehen. (Mesch 2009) Die digitale Multimodalität, welche von der Plattform erfordert und gleich‐ zeitig ermöglicht wird, hat ihre Wurzeln aber bereits in anderen digitalen Medien, welche u. a. von Rupi Kaur oder Brian Bilston benutzt wurden, bevor diese auch zu Instagram wechselten. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei Instapoetry, zumindest auf den ersten Blick, um eine junge literarische Gattung, wenn man als deren Anfänge die ersten Posts auf Instagram von Rupi Kaur und 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 165 <?page no="166"?> weiteren DichterInnen um das Jahr 2013 ansetzt. Zu diesem Zeitpunkt war die Plattform Instagram erst drei Jahre alt und seit einem Jahr in den Social Media Kosmos von Meta, der Mutterfirma von Facebook, integriert. Ab 2013 beginnen erste User, u. a. Rupi Kaur, damit, auf Instagram Texte hochzuladen, welche eingebettet in unterschiedliche Gestaltungsformen und je nach KünstlerIn einen größeren oder geringeren Wiedererkennungswert besitzen. Andererseits wurde ein Teil der Literatur, welcher sich später zu Instapoetry wandelt, als digitale Literatur bereits auf anderen Plattformen entwickelt und geteilt, um dann auf Instagram ein größeres Publikum zu erreichen. So schrieben und publizierten etwa Rupi Kaur oder R. L. Drake ihre Texte für und auf der Plattform Tumblr. Dort entwickeln sie bereits ihren idiosynkratischen multimodalen Stil, welchen sie dann auf Instagram fortführen sollten. Und der britische Dichter Brian Bilston hat sich schon auf der Instant-Messaging-Plattform X, ehemals Twitter, einen Namen gemacht, bevor er auf Instagram eine ähnlich beachtliche Anzahl von FollowerInnen generiert. Diese beiden Zugänge via Tumblr und Twitter lassen sich auch medientechnisch lesen und wirken sich auf die spätere Darstellungsform aus. Was beide Zugänge eint, ist deren Kürze, ein Attribut, welches häufig als zentral für Instapoetry angesehen wird. Die Kürze von Instapoetry wiederum ist den medialen Bedingungen der Plattform geschuldet. Instagram bietet den formalen und kommunikativen Rahmen, in den die multimodalen Texte eingebunden und in dem sie geteilt werden. Das heißt, die typische Instagram-Kachel bietet zwar theoretisch eine Vielzahl von Möglichkeiten der Gestaltung, setzt aber gleichzeitig starke Grenzen: Die Kürze der Gedichte ist durch den technischen Rahmen und dessen Begrenzung geprägt, d. h. der Bildschirm und das von Instagram vorgegebene Format schränken den möglichen Umfang und die Lesbarkeit stark ein. So argumentiert Penke: „Bei Smartphone-Displays mit durchschnittlich 4 bis 6 Zoll Bildschirmdiagonale bedeutet dies eine spezifische Raum- und daraus folgend auch eine Zeichen-Ökonomie, um die Inhalte bestmöglich sicht- und lesbar zu gestalten. Um lesbar zu bleiben, dürfen die einzelnen Posts eine gewisse Länge nicht überschreiten. Instagram stellt durch seine Bildfixiertheit eine besondere Herausforderung für Texte dar, um überhaupt gelesen zu werden. Die Kürze der Texte wird also zum einen von den Bedingungen des Darstellungsmediums mitbestimmt.“ (Penke 2019: 462) Des Weiteren lässt sich, wie eingangs aufgezeigt, folgende Korrelation fest‐ stellen: Je kürzer, desto erfolgreicher. Je kürzer, desto mehr Likes und digitale Interaktion: „Abweichungen nach oben scheinen mit der absoluten Kürze der Beiträge zu korrelieren. Der bis dato erfolgreichste Post Kaurs ist ein Text vom 04.02.2019, der auf über 352.000 Likes kommt und gerade einmal aus sechs 166 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="167"?> Wörtern besteht: „fall / in love / with your solitude‘, mit ‚rupi kaur‘ unterzeich‐ net und einer Illustration versehen, die eine vermutlich weibliche Figur in Rückenansicht vor einem stilisierten Gebirge zeigt.“ (Penke 2019: 471) Die Kürze der Texte macht diese aber paradoxerweise nicht unbedingt greifbarer, sondern es wird zunehmend komplizierter, diese bestimmten AutorInnen zuzuordnen. Beschränkt man sich bei der Analyse und Textbesprechung von Instapoetry nur auf den geschriebenen Text, werden diese austauschbar und höchst generisch. Dies führt Benjamin Stolz zu folgendem Argument: „Vielleicht kann man in der Literaturkritik in Bezug auf Instapoetry und ähnliche Formen eine Überforderung durch Kürze diagnostizieren, denn: Wer kann unterm Strich einen beliebigen Vers von Louise Glück von einem Satz von Rupi Kaur un‐ terscheiden? Wer kann unter dem Vergrößerungsglas einen Pinselstrich von Monet und einen Kaffeefleck auseinanderhalten? Die von medialen Rahmenbe‐ dingungen aufoktroyierte Kürze neuer literarischer Formen verlangt von der Literaturwissenschaft und -kritik, die Bezugsgrößen ihrer Wahrnehmung neu zu skalieren.“ (Stolz 2021: o. S.) Diese Skalierung ist aber eben keine, die nur über das geschriebene Wort funktionieren kann, sondern multimodale Elemente einschließen muss. Während also Texte von R. H. Sin und Atticus austauschbar erscheinen, ist deren multimodales Gesamtwerk von Bildsprache bis hin zu Typografie recht eindeutig identifizierbar. Das heißt, um wahrgenommen zu werden, müssen die DichterInnen auf Instagram wiedererkennbar bleiben, indem sie einerseits ihrem eigenen Stil treu bleiben, sich aber andererseits stark von ihrer Konkurrenz abgrenzen. Fasst man diese Attribute zusammen, zeigt sich Instapoetry eben vor allem als transliterarische Gattung und erfüllt damit alle von Kovalik und Curvood postulierten Kriterien für Transliterarität: „Transliteracies characterise literacy in the modern world as having four key qualities: digital tools, multimodal representation, a global audience and dynamic movement across physcial and virtual contexts, all facilitated by technological advancement.“ (Kovalik & Curvood 2019: 186) Am besten lässt sich Instapoetry über deren AkteurInnen begreifen, wel‐ che eine sehr spezifische Form von AutorInnenschaft darstellen. Fast schon synonym mit Instapoetry ist die indisch-kanadische Autorin Rupi Kaur zu sehen, welche mit 4,5 Millionen FollowerInnen (Stand 19.02.2024) eine enorme, globale Reichweite besitzt. Anhand von Kaur lässt sich illustrieren, wie aus der Dichterin eine Celebrity wurde, welche in Late-Night-Shows auftritt und deren Lesung von Amazon als Rupi Kaur Live gestreamt wird. Ihre Gedichte können als temporäre Tattoos erworben werden, und ihre digitalen Gedichte werden auch in Buchform millionenfach verkauft. Inzwischen überträgt sich der Erfolg des digitalen Mediums auf den klassischen Buchmarkt, wie ein Blick in die Charts 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 167 <?page no="168"?> und die Umsatzzahlen zeigt. Rupi Kaurs Erstlingswerk Milk and Honey ist mit über vier Millionen verkauften Büchern einer der erfolgreichsten Gedichtbände aller Zeiten. Auf Instagram präsentiert sich Rupi Kaur mit einem Profil, das in seinem konsistenten Wechsel aus Selfies und kurzen Gedichten wiedererkennbar bleibt. Während sie sich durch einen fast endlosen Strom an Selfies als Marke und als „unternehmerisches Selbst“ (Wolff 2023: 13) positioniert, erreichen andere AutorInnen das gleiche Ziel, indem sie sich verbergen. Der Instapoet Atticus etwa versteckte sich und seine Identität lange Zeit hinter der ikonischen Guy- Fawkes-Maske und erreicht mit seinen sentenzenhaften Texten regelmäßig 1,5 Millionen FollowerInnen. Das wenig Greifbare in Atticus’ Autorenbild wird durch Fotos von FollowerInnen ausgeglichen, welche sich Zitate aus seinen Gedichten tätowieren haben lassen. Der Instapoet R. H. Sin wiederum ist unter anderem dadurch wiedererkennbar, dass seine Gedichte häufig Abbildungen von Texten sind, die mit einer Schreibmaschine geschrieben wurden, dadurch fast schon eine taktile Dimension erhalten, welche einen interessanten Kontrast zur digitalen Plattform bildet. Diesen extrem erfolgreichen Instapoets - nimmt man etwa die Anzahl von FollowerInnen und von verkauften Büchern als Kernkriterium - stehen unzählige Instapoets gegenüber, welche in der Flut aus Posts und Angeboten auf und außer‐ halb von Instagram untergehen. Aber diese Vielzahl von DichterInnen verweist wiederum auf einen Grund für die Attraktivität der Gattung: das Versprechen als literarische/ r Self-Made Woman/ Self-Made Man zu finanziellem Erfolg zu kommen, gehört zu werden und mit ihren/ seinen Anliegen, Ideen und Werken ein Publikum zu erreichen, welches weit über das hinausgeht, was der klassische Buchmarkt, und hier gerade die Lyrik je bieten könnten. Wie sich allein anhand der Verkaufszahlen feststellen lässt, erscheint somit die Gattung Lyrik, insbesondere im anglo-amerikanischen Kontext, zunehmend zweigeteilt. Auf der einen Seite finden wir DichterInnen, welche teils in Crea‐ tive Writing-Programmen ausgebildet wurden, und über Poetry Journals einen Status erlangt haben, der hohes kulturelles Kapital mit sich bringt, aber wenig monetären Gewinn. Auf der anderen Seite treffen wir jene DichterInnen, die ausgehend von digitalen Veröffentlichungen auch auf dem Buchmarkt höchst erfolgreich sind. Gerade in diesem Kontrast aus Instapoetry und der etablierten literarischen Kulturszene und deren ökonomischen Instanzen öffnet sich ein interessanter ideologischer Graben, welcher von Dana Gioia folgendermaßen beschrieben wird: „American poetry is thriving. American poetry is in decline. The poetry audience has never been bigger. The audience has dropped to historic lows. The mass media ignores poetry. The media has rediscovered it. There have 168 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="169"?> never been so many opportunities for poets. American poets find fewer options each year. […] All of these contradictory statements are true, and all of these are false, depending on your point of view. The state of American poetry is a tale of two cities.“ (Gioia 2018: xxiii) Gioia verweist hier unter anderem intertextuell auf Charles Dickens’ Roman A Tale of Two Cities mit dem ikonischen Eingangssatz: „It was the best of times. It was the worst of times.“ Zwischen diesen beiden Extrempositionen finden sich dann noch jene, die betonen, dass Instapoetry einer neuen Leserschaft den Zugang zu herkömmlicher Dichtung ermöglichen würde. Während die renommierte Zeitschrift The Atlantic diskutiert „How Instagram Saved Poetry“, nimmt das Magazin America die Gattung zum Anlass überhaupt zu fragen „What is good poetry? ” und die Zeitung The Independent ist sich bezüglich der Auswirkungen noch unschlüssig: „Is Instagram reviving poetry or killing it faster? “ (Rodriguez 2018) Auf die Gattung der Lyrik bezogen, liest Gioia deren derzeitige Rezeption als ähnlich geteilt: Auf der einen Seiten stehen DichterInnen, welche zwar durchaus mit ‚critical acclaim‘ in klassischen Publikationen Poetry, The Kenyon Review oder The New Yorker ihre Gedichte veröffentlichen. Auf der anderen Seite finden sich die als oberflächlich und als Emporkömmlinge wahrgenommenen Instapoets, die trotz mangelnder literarischer Qualität ein Millionenpublikum erreichen. Dies führt auch zu Frust und starker Ablehnung auf Seiten des klassischen Literaturbetriebes. Erwähnt werden kann hier etwa der äußerst kritische Essay der Dichterin Rebecca Watts, welche sich 2018 weigerte, einen Gedichtband der Instapoetin Hollie McNish zu rezensieren. In der Poetry National Review greift Watts McNish und andere Instapoets für deren „open denigration of intellectual engagement and rejection of craft“ an. (Watts 2018) Und der Dichter Kazim Ali formuliert seinen eigenen Frust mit dem jungen Phänomen der Instapoetry folgendermaßen: „On the surface I’m mildly annoyed that I gave so many years to learning craft, reading deeply, doing everything I could to become a better poet, because it seems that all it takes is some superficial musings, some pretty okay (honestly) drawings, and one (admittedly awesome) photo to go viral and make you the most famous poet in the world, and maybe of all time“ (Kazim Ali, Harriet) Während Watts und Alis Kritik an der poetischen Qualität von Instapoetry durchaus berechtigt erscheint, unterliegen sie gleichzeitig in ihrem Urteil einem Kategoriefehler. Denn, wie eingangs gesagt, liegt das ‚Craft‘, also das künstlerische Handwerk, der erfolgreichen Instapoets nicht primär in deren Gedichten begrün‐ det. Das Handwerk, welches Kaur, Atticus und Sin beherrschen, ist die Konstruk‐ tion multimodaler Narrative, welche online globale Gemeinschaften bilden. Das 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 169 <?page no="170"?> Handwerk, welches sie ausführen, ist die oft radikale Selbstvermarktung, das Ver‐ wandeln und die Performanz digitaler Identitäten, welche der LeserInnenschaft zum Konsum angeboten werden. Nun kann und sollte man diese Fähigkeit zur Ökonomisierung und die damit einhergehenden Vermarktungslogiken kritisch sehen, man kann und sollte die damit verbundenen Ökonomien anzweifeln und reflektieren und man darf die Reduktion von Lyrik zu einem dekorativen Stein in einem multimodalen Mosaik bedauern. Der rein quantitative Erfolg lässt sich aber nicht abstreiten und die Reichweite erfordert Reflexion. Diese Reflexion muss auch anerkennen, dass mit der Ökonomisierung gleich‐ zeitig eine Form diverser AutorInnenschaft einhergeht, die beachtenswert ist. Im aktuellen Diskurs stellt man häufig etwas zähneknirschend fest, dass es sich bei Instapoetry zwar einerseits um literarisch eher dürftige Dichtung handelt, diese aber mit ihren sozial wichtigen Themen Menschen eine Stimme gibt, welche im klassischen Literaturbetrieb so nicht häufig gehört werden. So betont Alyson Miller: „The simplicity of its aesthetic belies its complex political maneuverings, marked by an imperative towards a progressive ideology that contests the sexism and racism of dominant culture.“ (Miller 2021: 161) Und Carola Ebeling stellt in Der Zeit fest: „Tatsächlich schwankt die literarische Qualität sehr, manche Posts erinnern mehr an hübsch formulierte Kalendersprüche. Eindeutig positiv aber ist die Diversität, welche dadurch in den von weißen Autorinnen und Autoren dominierten Lyrikbetrieb gelangt. Einige der erfolgreichsten In‐ stapoets sind Women of Color, etwa die indisch-kanadische Autorin Rupi Kaur. Und viele äußern sich explizit feministisch.” (Ebeling 2019) Leszkiewicz teilt diese Meinung: „The quality varies, but there is plenty of comically or offensively banal work to be found on Instagram: genuinely insightful or distinctive work is the exception, not the rule.“ (Leszkiewicz 2019: 49) So ist es sicherlich richtig festzuhalten, dass viele DichterInnen auf Instagram gerade mit ihren Erfahrungen als Women of Colour, Frauen, und queeren Identitäten Erfahrungen kommunizieren, mit denen sich viele LeserInnen identifizieren können. Und es ist sicherlich auch richtig festzuhalten, dass der literarische Kanon in deutsch- und englischsprachigen Kontexten noch immer zu weiß, zu männlich und zu elitär ist. Aber gleichzeitig gilt es auch darauf hinzuweisen, dass kontemporäre Dichtung eine Vielzahl von diversen Stimmen und häufig intersektionalen Themen besitzt. Exemplarisch sei auf den vietnamesisch-amerikanischen queeren Dichter Ocean Vuong verwiesen, welcher wie Rupi Kaur bekannt genug ist, um seine Dichtung bei Seth Meyers in einer amerikanischen Late Night Show vorzustellen. Genannt sei auch Franny Choi, welche in ihrem Gedicht „Choi Jeon Min“ (2016), wie die Instapoetin Warsan Shire, über die Erfahrung spricht, mit einem nicht-westlichen Namen 170 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="171"?> in einer dominant weißen Kultur aufzuwachsen. Exemplarisch ist auch die Dichterin Natalie Diaz, welche in dem Gedichtband When My Brother Was an Aztec über ihre queere indigene Identität schreibt. Was macht nun Instapoetry diesbezüglich anders? Zum einem ist die Reich‐ weite einiger DichterInnen natürlich der Plattform geschuldet, die es LeserInnen ermöglicht, schnell und kostenlos auf die Texte zuzugreifen. Während ein Gedichtband, wie der oben genannte When My Brother Was an Aztec von Natalie Diaz für knapp 20,00 € bestellt werden muss, finden sich Kaurs Texte innerhalb von Sekunden auf dem eigenen Handy. Und nachdem man Interesse für Kaur und andere Instapoets gezeigt hat, übernimmt der Algorithmus der Plattform die Empfehlungsfunktion und verweist auf ähnliche Posts, die auf Interesse stoßen könnten. Die Suche nach neuen AutorInnen, das Stöbern, das zufällige Entdecken und das Kaufen von Lyrik-Anthologien entfällt. Wieder fällt der Blick auf die Affordanzen des Multimodalen, die etwa Curwood & Gibbons als essenziell für die Produktion dessen lesen, was sie multimodal counternarratives nennen. Dies sind narrative Formen der Selbster‐ mächtigung, welche bewusst in Kontrast zu kanonisierten Literaturen stehen. Curwood & Gibbons stellen fest: „[i]ndividuals employ multiple modes of representations to push back against oppressive master narratives.“ (2010: 59) Auch Wolff weist darauf hin, dass diese counternarratives insbesondere in digitaler Literatur zu finden sind: „Wenn sich in Teilen des Internets margina‐ lisierte Stimmen von People of Colour und nicht-männlichen Autor: innen in einem bisher kaum möglichen Ausmaß zu Wort melden, wird dabei auch der historische ‚Normalfall‘ des weißen, männlichen Autors infrage gestellt.“ (Wolff 2023: 28) 4 (Didaktische) Affordanzen von Instagram Welche Affordanzen bietet Instapoetry, dass deren AkteurInnen teilweise eine enorme Reichweite und große Wahrnehmung in dem heftig geführten Kampf um Aufmerksamkeit erreichen? Mit Blick auf Schulen und weitere didaktische Kon‐ texte, so Vincent Liquète (2013), lassen sich mit dem Konzept der Transliteracy vor allem drei Bereiche im Kontext der Informationskommunikation identifizieren, in denen SchülerInnen Kenntnisse und Fertigkeiten ausbilden sollen: • die Affordanzen und Risiken von Massenmedien reflektieren und hinterfra‐ gen können, • anwendungsorientierte Fähigkeiten entwickeln, etwa Grundkenntnisse im Programmieren aber auch im Lesen der jeweiligen Medien, • mit Dokumenten verschiedenster Art analytisch umgehen. 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 171 <?page no="172"?> Gerade das Analysieren und Verfassen von Instapoetry erlaubt SchülerInnen eine Vielzahl von Zugängen: „Composing Instapoetry, especially in collabora‐ tion with others, motivates young people to practise using language features, as well as poetic structures. With collaborative practice comes the development of a range of skills, including spelling, text construction and purposefully incorporating visual symbolisms such as images or emoji.“ (Kovalik & Curwood 2019: 194) Die Bedeutung des Visuellen beeinflusst die Produktion der Posts bei vielen der Instapoets, was wiederum auch im Unterricht didaktische Möglichkeiten eröffnet. Kovalik & Curwood etwa interviewten SchülerInnen, nachdem diese gemeinsam Instapoems erstellt und gepostet hatten. Kovaliks & Curwoods Reflexionen zum Schreibprozess machen deutlich, wie stark das Verfassen der Gedichte von der Logik des Visuellen beeinflusst war: „The interviewed poets all shared how the multimodality afforded by Instagram affected their creative process, especially in the realms of presentation. They all spoke of ‘aesthetics’ and how they sought to engage their readers with works that ‘look nice.’“ (Kovalik & Curwood 2019: 191) Hier lässt sich eine weitere Affordanz von Instapoetry anschließen, nämlich das Gefühl in einer Gruppe Gleichgesinnter eingebunden zu sein. Instagram bildet somit Gemeinschaften, die sich um verschiedene DichterInnen versam‐ meln und welche sich durch das gemeinsame Interesse an bestimmten Themen und visuellen Formen auszeichnen. Ein transliterarischer Zugang erlaubt es SchülerInnen zu reflektieren, wie verschiedene Formen der Artikulation durch ihre jeweiligen semiotischen Praktiken überhaupt erst soziale Beziehungen konstruieren. Hier ist es wichtig zu analysieren und gemeinsam nachzudenken, wie ein Gefühl von Zusammenhalt und Community erschaffen wird. Nicht zu‐ letzt die Möglichkeit, die vorliegenden Texte zu kommentieren, sich mit anderen KommentatorInnen auszutauschen und die AutorInnen direkt zu kontaktieren erzeugt ein Gefühl von Orientierung und Zusammenhalt, die es in anderen medialen Kontexten so nicht gibt. Gleichzeitig - und fast paradoxerweise - ermöglicht Instagram einen Grad von Unverbindlichkeit, welcher es leichter macht, sich Gruppen anzuschlie‐ ßen. Während etwa bei Facebook Beziehungen über Freundschaftsanfragen vonstattengehen, die von beiden Seiten akzeptiert werden müssen, ist es auf Instagram möglich, Mitgliedern zu folgen, ohne dass diese einem wiederum selbst folgen müssen. Das führt dazu, dass Rupi Kaur zwar 4,5 Millionen FollowerInnen um sich versammelt, aber selbst demonstrativ niemandem folgt. Gleichzeitig erschafft Kaur ein Gefühl von Gemeinschaft, indem sie etwa über 172 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="173"?> die Kommentarfunktion sehr stark in Kontakt mit ihren FollowerInnen steht, und sich statistisch gesehen dadurch von anderen Instapoets abhebt. Des Weiteren lässt sich Instapoetry einem literarischen Kulturwandel zuord‐ nen, welcher sich mit dem Begriff der New Sincerity - der neuen Ernsthaftigkeit - beschreiben lässt. Ohne behaupten zu wollen, dass die Postmoderne als literarische und kulturelle Epoche keine Wirkmacht mehr hat, so lässt sich doch feststellen, dass Instapoetry einer literarischen Entwicklung zuzuordnen ist, welche sich New Sincerity nennt und der Postmoderne fast schon diametral gegenübersteht. Die Postmoderne lässt sich stark vereinfacht durch einen hohen Grad an Ironie, Ambiguität, Intertextualität, Reflexion und den ‚Tod des Autors‘ beschreiben. AutorInnen der New Sincerity wiederum sind auf der Suche nach der titelgebenden „Neuen Ernsthaftigkeit“, vermeiden all diese Attribute von Ironie und Ambiguität und setzen die AutorInnen wieder zentral. Die damit einhergehende, scheinbare Komplexitätsreduktion bietet Orientierung und ein Gefühl von Relatability, welche wichtig dafür ist, aus der Masse an Instapoets hervorzustechen. Larson schreibt diesbezüglich in der New York Times: „Relata‐ bility is the chief psychological lubricant that glides you thoughtlessly down the curated, endless scroll of your feed“ (Larson 2019). Gerade in Zeiten von fake news, alternative facts und deep fakes, in Zeiten multimedialer Überforderung, prekärer Anstellung und Befristung, in Zeiten der Polemik, des Populismus und der Auflösung politischer Zuordnungen wird diese Ernsthaftigkeit und Einfachheit der New Sincerity, eingebettet in eine Online-Community aus Gleichgesinnten, zu einem Rückzugsort, der aber immer abhängig ist von den Ökonomien, die sie kritisieren. Diese Form der Ernsthaftigkeit erzeugt Rupi Kaur etwa durch Stilmittel, die aus literarischer Perspektive häufig defizitär wahrgenommen werden, nämlich das bereits erwähnte Fehlen von Mehrdeutigkeit, Ambiguität oder sprachli‐ cher Komplexität. So verzichtet Kaur häufig auf Formen des uneigentlichen Sprechens, d. h. auf Sarkasmus, Ironie oder Selbstironie. Aber auch Stilmittel wie Metaphern, Personifikationen, Paradoxien finden sich eher selten. Mit diesem Verzicht auf Metaphern, Metonymien etc. verweigert sich Kaur, bewusst oder unbewusst, einem der sprachlichen Elemente, über die sich die von ihr angesprochenen traumatischen Erfahrungen eigentlich effektiv ausdrücken ließen. Ein positiver Effekt an Kaurs Mangel an metaphorischer Sprache ist darin zu sehen, dass der Effekt von Metaphern, so sie denn verwendet werden, an Eindrücklichkeit und Bedeutung gewinnt. Der Verzicht auf bzw. die Absage an Doppel- oder Mehrdeutigkeit zeigt sich auch in Rupi Kaurs Verzicht auf Humor oder Ironie, welche per Definition einen doppelten Boden erschaffen und so für Missverständnisse und Fehlinter‐ 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 173 <?page no="174"?> pretation sorgen können. Andererseits lässt sich Kaurs Humorfreiheit dadurch erklären, dass Humor auf Kosten anderer nicht ihrer ‚self-help‘-Programmatik entspricht. Und in Zeiten, in denen jede politische Nachricht und Entwicklung pop-kulturell ironisch gebrochen werden muss, sind es viele vielleicht auch leid, dass Welterklärung vor allem im Modus des Humors passieren muss - siehe Heute Show, Daily Show, John Oliver Today. Auf verschiedene Ebenen und Vielschichtigkeit verzichtet Kaur auch dadurch, dass die häufig postulierte Distanz aus Autorin und lyrischem Ich größtenteils aufgelöst wird. Wir begeg‐ nen einer Autorin, die in der Tradition der Confessional Poetry - man denke an Sylvia Plath und Anne Sexton - scheinbar Privatestes teilt. Aber, wo die Auflösung der Differenz von Ich und Lyrischem Ich etwa bei Plath eine Öffnung und eine Form der Verwundbarkeit darstellt - das lyrische Ich ist eben auch eine trennende Instanz zwischen Autorin und Außenwelt - ist bei Kaur das Gegenteil der Fall. Und das Layout auf Instagram lässt einen nie vergessen, wer hier eigentlich spricht. Jedes der Gedichte wird von einem hochprofessionellen Bild der Autorin eingerahmt und namentlich signiert. Aber in diesem Strudel der Aufmerksamkeitsökonomie müssen Kaur und andere Instapoets konstant ihre Autorenfiktion und Figur am Leben erhalten, um selbst relevant zu bleiben. Sie dürfen die Kontrolle über ihr Werk und ihr Image nicht aus der Hand geben. Erweitert man den analytischen Fokus auf den multimodalen Kontext von Kaurs Gedichten, endet ihre Form der Vorinterpretation nicht hier. Begleitet werden die Gedichte meist von kleinen Zeichnungen, welche selten eine „Text-Bild-Schere“ und Mehrdeutigkeit erzeugen. Diese Zeichnungen sind eher als Illustrationen denn als Interpretation zu verstehen. Sie verbildlichen das Geschriebene und wirken somit tautologisch. Während die normative Dimen‐ sion bezüglich Instapoetry noch in vollem Gange ist, d. h. Fragen nach deren Qualität gestellt und nach Gründen für deren Erfolg gesucht werden, lässt sich Instapoetry anhand einer deskriptiven Analyse - welche gerade auch für SchülerInnen sehr produktiv sein kann - gut fassen. Ein erster definitorischer Zugang liegt natürlich im Namen: Vereinfacht gesagt, handelt es sich um Dichtung auf Instagram. Auf den ersten Blick banal, erlauben die Bestandteile dieses Kompositums aus Poetry und Instagram eine gegenseitige Definition. Das Spannende und Produktive an Instapoetry, auch für den (Sprach-)Unter‐ richt, ist deren Eigenschaft, dass sich diese Gattung auf den ersten Blick gar nicht so leicht definieren lässt. Sind die extrem kurzen Texte von Rupi Kaur denn wirklich Gedichte oder doch ‚nur‘ sentimentale Kalendersprüche? Wie wichtig sind der mediale Kontext, die Plattform, die Bilder und Typografie und Gestaltungsmuster für diese Dichtung? Ist ein Instapoem in Buchform immer noch Instapoetry? Wird ein Sonnet Shakespeares, welches mit seinen 14 Versen 174 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="175"?> eine noch angemessene Länge für den Smartphone-Bildschirm hätte, zum Instapoem, wenn es dort publiziert wird? Und worin liegt der Erfolg von Insta‐ poetInnen begründet, welcher sich zumindest anhand von Likes, der Anzahl von FollowerInnen und den häufig erstaunlich hohen Publikationszahlen begründen lässt? Und wie lässt sich diese Gattung jenseits deskriptiver literatur- und medienwissenschaftlicher Zugänge fassen? Wenn Instapoetry eines geschafft hat, so ist es eine Diskussion zu belegen, die danach fragt, was denn überhaupt ‚gute‘, ‚schlechte‘, ‚innovative‘, ‚nachahmende‘ Dichtung sei. Diese Offenheit der Diskussion ist es, welche die Gattung Instapoetry zu einem so produktiven, aber auch schwierigen Unterrichtsgegenstand macht. In Gegensatz zu literarischen Gattungen wie dem Sonett, dem Limerick, der Ballade etc. mit ihren jahrhundertealten Textgeschichten, welche sich wiederum in eine Vielzahl von Lehr- und Lernkonzepten, vorbereiteten Interpretationen, und didaktisch aufbereiteten Zugängen übersetzen, ermöglicht Instapoetry einen didaktischen Zugang, der es erlaubt, basierend auf dem Vorwissen der SchülerInnen, gemeinsam zu diskutieren, zu analysieren und zu definieren, was Instapoetry denn wirklich ‚ist‘. Mit Wolff lässt sich fragen: „Sind Rupi Kaurs Auftritte als lyrischer Vortrag treffend beschrieben, oder haben wir es hier nicht eher mit einer Pop-Veranstaltung zu tun, die mit einem Beyoncé-Konzert mehr zu tun hat als mit einer klassischen Lesung? “ (Wolff 2023: 31) Und genau dieser Zugang wiederum erlaubt unabhängig von der Kompe‐ tenzstufe der SchülerInnen, sich implizite Vorannahmen und Definitionen bewusstzumachen und auf diesen aufzubauen. Hierfür eignet sich zum Beispiel folgendes Unterrichtsszenario: Die Lehrkraft nimmt als Grundlage einen Dreizeiler von Rupi Kaur, etwa den Text mit dem Titel „Humans“: „their concept of beauty / is manufactured / i am not“ (Kaur 2017: 214). Dieses Gedicht ist typisch für Kaur, es ist kurz und prägnant. Der Text ist durchgängig klein geschrieben und thematisch beschäftigt er sich mit Schönheitsidealen und Selbstwahrnehmung. Textlich setzt dieses Gedicht kaum Vorarbeit voraus, was Lexik und Syntax betrifft. Ausgehend von diesem Gedicht schreibt die Lehrkraft den Text in einen Satz um, welcher ohne Versbrüche grammatikalischen Regeln entspricht, etwa: „Their concept of beauty is manufactured. I am not.“ Aufgrund dieser Textgrundlage werden die SchülerInnen gefragt, ob es sich hierbei um ein Gedicht handelt. Basierend auf den Antworten kann vorhandenes lyrisches Wissen abgefragt und gesammelt werden. In einem zweiten Schritt übernimmt die Lehrkraft Rupi Kaurs Kleinschrei‐ bung und entfernt die Satzzeichen. Erfahrungsgemäß bewerten die SchülerIn‐ nen die Defamilarisation von Schreibregeln als durchaus poetisch und erkennen 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 175 <?page no="176"?> dadurch, dass die Aussage bereits einem alltagssprachlichen Kontext gegenüber‐ gestellt wird. In einem abschließenden Schritt wird den SchülerInnen das Originalgedicht, aufgeteilt auf drei Verse, vorgelegt. Spätestens jetzt identifizieren viele den Text als lyrisch. Hier ist es aber wichtig, deutlich zu machen, was die vorliegende Versifizierung bewirkt und somit formale und inhaltliche Dimensionen des Textes in deren Zusammenspiel zu illustrieren. Beim lauten Vorlesen des kurzen Textes wird einerseits schnell bewusst, wie die Verse vorgeben, wo Lesepausen gesetzt werden. Andererseits erkennen SchülerInnen, wie durch die progressive abnehmende Anzahl der Silben je Vers und die durch den Zeilenumbruch markierten Sprechpausen zusätzliches Gewicht auf den abschließenden Vers und dessen Aussage „i am not“ (ibid.) gelegt wird. Dieser Zugang erlaubt nicht nur, bestehendes Vorwissen und Gattungseigen‐ schaften zu aktivieren, zu sammeln und nach Kategorien zu ordnen (etwa Form, Inhalt, Motive). Vielmehr lädt dieses schrittweise Vorgehen dazu ein, die eigenen Einschätzungen zu begründen und die eigene Interpretation zu versprachlichen. Und es ist hierbei interessant zu beobachten, auf welche Weise sich SchülerInnen zwischen den einzelnen Versionen umentscheiden und so reflektieren, wann ein eher alltäglicher Text ein poetischer wird. Diese Übung dient somit nicht nur als Ausgangspunkt und pre-reading activity, bei welcher bestehende Definitionen zu Lyrik gesammelt und reflektiert werden, sondern es bieten sich auch zwei aufbauende Folgeübungen dazu an. Einerseits erlaubt dieses kurze Gedicht in unteren Klassenstufen, Grundbe‐ griffe der Lyrik wie Vers, Strophe, Rolle der SprecherInnen, Gattungsfragen einzuführen oder zu wiederholen. Andererseits lassen sich komplexere Zugänge in fortgeschrittenen Lernkontexten finden. Unter Bezugnahme auf die oben genannte, derzeit geführte Diskussion, ob es sich denn bei Instapoetry überhaupt um Dichtung, geschweige denn ‚gute‘ Dichtung handelt, lassen sich genau diese Fragen erörtern. Denn hier lässt sich gemeinsam überlegen, welche Institutionen festlegen, was Lyrik und deren Qualitätsmerkmale ausmacht. Spätestens hier bietet sich an, mit den SchülerInnen zu besprechen, ob diese das vorliegende Instapoem als ‚gutes‘ Gedicht empfinden. Gerade Instapoetry als hoch affektive Gattung lädt dazu ein, zu analysieren, auf welche Weise bestimmte emotionale Reaktionen von dieser transliterarischen Gattung kon‐ struiert werden und welchen Zweck sie im Kampf um Aufmerksamkeit auf Instagram erfüllen. Diese Analyse fördert ein Verständnis dafür, wie medial gebunden Instapoetry ist und wie das multimodale Umfeld in Zusammenspiel aus Text, Illustration, Begleittexten der AutorInnen sowie den Kommentaren 176 C H R I S T O P H S I N G E R <?page no="177"?> der LeserInnen ein textuelles Geflecht erzeugen, das weit über den zitierten Dreizeiler hinausgeht. Eine weitere literaturdidaktische Einsicht, die eine Beschäftigung mit Insta‐ poetry erlaubt, ist für SchülerInnen höherer Kompetenzstufen von Bedeutung: Vieles, was im Literaturunterricht als Fakten und „Stoff “ zum Auswendiglernen präsentiert wird, ist Teil eines sich ständig weiterentwickelnden Diskurses, eines Prozesses der Meinungsbildung, welcher selten abgeschlossen wird. Die Beschäftigung mit Instapoetry lädt ein, SchülerInnen in einen Prozess einzubin‐ den, in dem sich Forschende und Kulturschaffende die gleichen Fragen stellen: „[q]uestions of what does and does not count as a real poem inevitably drags us down the thorny path of defining poetry itself. We know that wine is not poetry, even if Atticus tells us so, but proving that an Atticus post is not poetry is much trickier, even if many people will instinctively feel that it’s not.“ (Leszkiewicz 2019: 49) Was Leszkiewicz als ‚dornigen Pfad‘ bezeichnet, kann im Kontext einer offen geführten Diskussion sehr motivierend wirken, da es jeden Versuch eines auf ein ‚richtiges‘ Ergebnis gerichtetes fragend-entwickelndes Verfahren unterwandert. 5 Konklusion Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Medium wie Instapoetry voraus‐ setzt, dieses in seiner Multimodalität, welche über die reine Verschränkung von Text und Bild hinausreicht, anzuerkennen. Instapoetry wirft vielmehr Fragen nach der Konstruktion von Identität, AutorInnenschaft, nach der Einbettung der Gattung in ökonomische Logiken und Netzwerke auf, welche sowohl über ein reduktives Verständnis von Multimodalität als auch Lyrik hinausgehen. Es wurde gezeigt, dass ein Zugriff auf dieses Social Media-Phänomen über das Konzept der Transliteracy es Lehrkräften wie auch SchülerInnen ermöglicht, sich der damit verbundenen Fragestellungen und Herausforderungen bewusst zu werden: Transliteracy ist „understanding the ways various means of commu‐ nication interact and understanding the skill necessary to move effortlessly from one medium to another.“ (Ipri 2010: 533) Diese Form der Didaktik ist eine essenzielle Voraussetzung für alle universi‐ tär-propädeutischen Lehrkontexte. Während es in der Sekundarstufe zahlreiche Kontexte gibt, die klare thematische Definitionen und Taxonomien erfordern, welche SchülerInnen Orientierung im jeweiligen Fachwissen und Zugriff auf die Welt bieten, so gibt es auch Bereiche, in denen die Fähigkeit gelernt werden muss, mit Ambiguität, Offenheit und einer Unabgeschlossenheit des Definiti‐ onsprozesses umgehen zu können, ist es doch genau diese Bereitschaft, welche 6 Affordanz, Transliteracy und Multimodalität: Instapoetry im Fremdsprachenunterricht 177 <?page no="178"?> in einem universitären Kontext vorausgesetzt wird. So hält auch Semler fest: „At university, first year literature students desperately seek to know the answers from lecturers in assessable work. They are often mystified by how wrong this approach is - not to mention blind to how pointless it is.“ (Semler 2013: 29). Ein transliterarischer Zugriff mit seinen komplexen und vielschichtigen Anforderungen erlaubt es SchülerInnen, mit diesen Komplexitäten reflektiert und bewusst umzugehen und selbst sinnstiftend zu wirken. 6 Literaturverzeichnis Ali, K. (2017). On Instafame & Reading Rupi Kaur. Open Door Blog, Poetry Foundation. Verfügbar unter: https: / / www.poetryfoundation.org/ blog/ open-door/ 78370/ on-rupi -kaur [27.04.2025]. Choi, F. (2016). Choi Jeong Min. Poetry. Verfügbar unter: https: / / www.poetryfoundation .org/ poetrymagazine/ poems/ 58784/ choi-jeong-min [14.08.2024]. Curwood, J. S., Gibbons, D. (2010). ‚Just Like I Have Felt’: Multimodal counternarratives in youth-produced digital media. International Journal of Learning and Media, 1(4), 59-77. Verfügbar unter: https: / / www.jensc.org/ wp-content/ uploads/ 2010/ 09/ Curwoo d-and-Gibbons-Just-Like-I-Have-Felt.pdf [14.08.2024]. Ebeling, C. (2019, 18. September). Yrsa Daley-Ward. Der Körper ist eine Falle. Die Zeit. 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Materialentwicklung und Aufgabenorientierung <?page no="183"?> 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer E MANUEL K LOTZ & W OLFGANG S TADLE R The Russian colloquial language in typological comparison and in the classroom Colloquial languages are generally considered degenerate forms of the respective standard languages, and their characteristic features create the impression of unpleasant deviations. The perspective that these are distinct language systems with different social and communicative functions has only recently been introduced into the academic discourse, especially in the case of Russian. According to Zemskaya, Russian colloquial language, russkaja razgovornaja reč’ (RRR), is a variant of the language system that, along with the codified standard language, constitutes the Russian literary language. Typological comparisons among languages reveal that the phenomena of RRR not only stand in good company but some are even considered standard, sometimes without alternative, in other Slavic languages. Others are identified as archaisms, meaning they are older than their respective standard language equivalents, and still, others possess the characteristics of literary stylistic devices. In the research literature, there are different perspectives on whether RRR should be taught in the classroom. Conventional textbooks adhere to the norms of the standard language, often overlooking or presenting the distinctive features of RRR only marginally. Teachers whose first language is not Russian may encounter difficulties when instructing in colloquial language. A task for teacher trainees provides information about the challenges they face, the skills they can impart, and the task formats suitable for teaching. <?page no="184"?> 1 Vgl. Küpper (1956: 10): „Wie Proteus ist [die Umgangssprache] wandlungsfähig und entzieht sich dem Zugriff. Sie gehorcht dem Gesetz der Mimikry.“ 2 Isačenko (1962: 82 f.) spricht von einer „sekundären […] Vokativform“ und stuft sie als Erscheinung „in (groß)russischen Mundarten“ ein. 3 Im Lettischen bilden auch andere Klassen außer der a-Klasse die Vokative auf diese Weise (vgl. Kalnača & Lokmane 2021: 121 f.). Obwohl das Lettische und das Russische über das Baltoslawische miteinander verwandt sind, handelt es sich bei diesem Phäno‐ men nicht um einen Archaismus, sondern um eine spätere Neuerung. Im Gemeinsla‐ wischen lautete der Vokativ der a-Stämme nämlich auf -o aus, vgl. aksl. ženo. 1 Einleitung Umgangssprachen werden - in Russland wie anderswo - gemeinhin als ver‐ kommene Ausprägung des jeweiligen sprachlichen Standards betrachtet. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass ihnen eine Neigung zur Veränderlichkeit eigen ist 1 , die ihnen den Charakter des Chaotischen und daher Vermeidungs‐ würdigen verleiht. Während Standardsprachen über eindeutige, kodifizierte Regeln verfügen, scheinen solche im Bereich des Substandards nicht zu gelten. Untersucht man die Sache genauer, stellt sich zwar tatsächlich heraus, dass die standardsprachlichen Regeln in der Umgangssprache eklatant verletzt wer‐ den, allerdings nicht deshalb, weil außerhalb des Standards überhaupt keine Regeln gültig wären. Im Gegenteil: Es gelten eben andere - nur werden diese üblicherweise nicht in Grammatiken festgehalten. Der Umgangssprache liegt also ein eigenes, von der Standardsprache verschiedenes Regelwerk mit eigenen Normen zugrunde (vgl. Zemskaja 2011: 16 f.). Es darf angesichts der globalen sprachtypologischen Vielfalt nicht verwun‐ dern, dass die Merkmale der russischen Umgangssprache (RRR), wie sie aus jenen Normen resultieren, sich nicht nur in bester Gesellschaft wiederfinden; manche von ihnen gelten in anderen Sprachen sogar als (teils alternativloser) Standard. So sind Stammvokative des Typs russ. Тань, Насть zu Тáня, Нáстя hochsprachlich nicht akzeptiert 2 , im Lettischen, einer nicht slawischen Sprache, hingegen der kodifizierte Regelfall: Marij zum Nominativ Marija, grāmatiņ zu grāmatiņa ‘Büchlein’ (vgl. Kalnača & Lokmane 2021: 121 f.) 3 . Interessant sind aus einem sprachgeschichtlichen Blickwinkel besonders jene Fälle, in denen sich die Umgangssprache im Vergleich zum Standard konservativ verhält. Da die betreffenden Altertümlichkeiten der überwiegenden Mehrheit der SprecherInnen jedoch nicht als solche bewusst sind, werden sie als ebenso unerwünscht wahrgenommen, als wenn es sich bei ihnen um rezente Neuerungen handeln würde. So ist etwa das Adverb russ. вчерáсь ‘gestern’ ausschließlich in umgangssprachlichem Gebrauch (s. RDW s. v.), stellt aber den 184 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="185"?> 4 Die Formen sind durch Univerbierung entstanden, und zwar aus einer Kasusform des Wortes für ‘Abend’ («večerъ») und einem nachgestellten Demonstrativprono‐ men («sь» ‘dieser’): Dem russischen вчерáсь liegt das ursprünglich instrumentali‐ sche Syntagma «vьčera sь» ‘an diesem Abend’ zugrunde (grammatikalisch korrupt, weil «sь» auch im Instrumental stehen müsste, aber einen Nominativ-Akkusativ dar‐ stellt), kroatischem večèras ‘heute Abend’ akkusativisches «večerъ sь» (vgl. Holzer 2020: 169). Zum möglichen instrumentalischen Ursprung von russ. -a vgl. Vasmer 1986: 366 (selbst aber zweifelnd). Zur Bedeutungsverschiebung vgl. auch nacht mit hellem a im Tiroler Oberland für ‘gestern’. 5 Wir gebrauchen dabei folgende Abkürzungen und Symbole: aksl. = altkirchenslawisch, apr. = altpreußisch, bg. = bulgarisch, dt. = deutsch, engl. = englisch, f. = femininum, frz. = französisch, kr. = kroatisch, pl. = polnisch, Pl. = Plural, RRR = russische Umgangs‐ sprache, russ. = russisch, sal. = salopp, slk. = slowakisch, sln. = slowenisch, tsch. = tschechisch, ugs. = umgangssprachlich, ukr. = ukrainisch, urg. = urgermanisch, ursl. = urslawisch nach der Rekonstruktion Georg Holzers (vgl. Holzer 2020: 17-95), vkst. = volkstümlich, † = veraltet, «» = urslawisch in traditioneller Notation. Für Wörterbücher oder Arbeiten mit mehreren Autoren verwenden wir Siglen (z. B. RDW). Diese werden im Literaturverzeichnis aufgelöst. Reflex einer uralten Bildung dar, wie die kroatische Geschwisterform večèras erweist. 4 Der Vergleich mit anderen Sprachen lässt den umgangssprachlichen Phäno‐ menen zum einen jene neutrale Wertung zukommen, wie sie sprachlichen Daten jedweder Art zusteht. Zum anderen gestattet er auch, Brücken zu bauen, die zum besseren Verständnis dieser Phänomene beitragen und in der Sprachdidaktik als Merkhilfen genutzt werden könnten. Die eben genannten Beispiele zeigen, dass man für einen solchen Vergleich nicht einmal in die Ferne schweifen muss, sondern das Material dazu sozusagen in der eigenen Nachbarschaft oder gar Verwandtschaft vorfindet. Und trotzdem fehlt ein solches Vorgehen, zumindest was das Russische betrifft, der einschlägigen Literatur bisher zur Gänze. In diesem Teil des Beitrags möchten wir zeigen, wie aufschlussreich die Einbettung umgangssprachlicher Merkmale in einen sprachenübergreifenden Kontext sein kann. Dazu stellen wir ausgewählten Phänomenen der russischen Umgangssprache Parallelen aus anderen, zumeist slawischen Sprachen gegen‐ über. Sie werden in den folgenden Abschnitten 2-5 präsentiert, gegliedert nach den Strukturebenen der Sprache. 5 2 Phonetik - Phonologie Das auffälligste phonetische Merkmal von Umgangssprachen ist gemeinhin als das „Verschlucken von Lauten“ (oft auch fälschlich „von Buchstaben“) bekannt. In der Wissenschaft spricht man von „Allegro-Erscheinungen“, die auf diese Weise entstandenen Formen nennt man „Allegro-Formen“ (vgl. Bußmann 2008: 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 185 <?page no="186"?> 28). Wie bei einem Werkzeug, das sich mit fortschreitendem Gebrauch abnützt, kommt es bei häufig verwendeten Wörtern zu Verschleißerscheinungen wie As‐ similationen oder Reduktionen. Hierin unterscheiden sich Allegro-Prozesse von Lautgesetzen im mechanischen, automatischen Sinn: Letztere wirken nämlich ausnahmslos, d. h. sie erfassen ohne Rücksicht auf die Verwendungshäufigkeit alle Formen, die die zu wandelnden Lautsequenzen enthalten. Beispiele für Allegro-Formen aus der österreichischen Umgangssprache sind hamm, seas und Tschig für haben, servus und Zigarette; aus der RRR können cёдня ‘heute’, пра́ильно ‘richtig’, ба́ушка ‘Oma’, воще́ ‘überhaupt’, щас ‘jetzt’, ехть ‘fahren’, бла ‘gewesen (f.)’ für сего́дня, пра́вильно, вообще́ , сейча́с, е́хать, была́ genannt werden (vgl. Šalina 2011: 13, 28, 29; Zemskaja 1973: 39; Rozanova 1995: 64, 65, 79, 90). Nicht selten gehen Allegro-Formen in die Hochsprache ein. Dies ist insbeson‐ dere bei Anreden der Fall, vgl. etwa engl. lord und lady aus aengl. hlāford ‘Brot‐ wächter’ bzw. hlǣfdige ‘Brotteigkneterin’ (MW) oder die Aussprache [mɵˈsjø] für frz. monsieur statt zu erwartendem [mõˈsjɶʁ] (DHLF: 3341). Auch die Namen der englischen Städte auf -cester zeugen vom historischen Wirken von Allegro- Prozessen, z. B. Leicester [ˈlestə], 917 belegt als Ligera ceaster; Worcester [ˈwʊstə], 889 Uueogorna ceastre (vgl. DPN: 280, 508 f.). Eine auf den ersten Blick ähnliche Reduktion wie in cёдня vs. сего́дня hat sich in systematischer Ausprägung bei den a-Verben ereignet: знáeшь ‘du weißt’, расскáзывaeшь ‘du erzählst’, посылáeт ‘er/ sie/ es schickt’, спрáшивaeт ‘er/ sie/ es fragt’ werden umgangssprachlich häufig als знaшь, расскáзывaшь, посылáт, спрáшивaт realisiert (vgl. Šalina 2011: 17, 29, 45). Phonologisch stehen also standardsprachliche Formen mit -ajeumgangs‐ sprachlichen mit -agegenüber, wie eben z. B. in сего́дня vs. cёдня einander -ʲevó- und -ʲógegenüberstehen. Sieht man sich nun den Befund der anderen slawischen Sprachen an, erscheint aber auch eine andere Erklärung als jene über die Allegro-Reduktion zulässig: In vielen von ihnen hat nämlich eine Kontraktion von Vokalen zwischen j stattgefunden, die zu (quasi) denselben Ergebnissen geführt hat wie in russ. знaшь. Zum ursprünglichen Zustand vgl. die altkirchenslawischen Formen in Tabelle 1: 186 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="187"?> 6 Die für das Kroatische angeführten Beispiele gelten uneingeschränkt auch für die anderen Sprachen, die auf dem Neuštokavischen Standard basieren, nämlich für das Bosnische, das Serbische und das Montenegrinische. Die (sonst durchaus großen) Unterschiede zwischen diesen Sprachen schlagen sich auf der Betrachtungsebene, die in diesem Aufsatz gewählt wurde, nicht nieder. Als „kroatisch“ werden die betreffenden Phänomene deshalb bezeichnet, weil wir durchwegs Werke zum kroatischen Standard als Quellen herangezogen haben. 7 Zu diesem s. Holzer (2007: 70) (am Beispiel des Kroatischen). dt. kr. 6 sln. tsch. slk. pln. aksl. 2. Sg. du weißt znȃš znȃš znáš znáš znasz znaješi 3. Sg. er/ sie/ es weiß znȃ znȃ zná zná zna znajeti 1. Pl. wir wissen znȃmo znȃmo známe známe znamy znajemъ 2. Pl. sie wissen znȃte znȃte znáte znáte znacie znajete Tabelle 1: Die Kontraktion von Vokalen zwischen j und die Entstehung der „a-Konjugation“ Dieses Phänomen ist in den angeführten Sprachen nicht auf die Verben der a-Klasse beschränkt, sondern umfasst alle Wortformen, die entsprechende Sequenzen aufwiesen: kr. pȃs (neben altem pojas) ‘Gürtel’, sln. báti se und slk. báť sa vs. russ. боя́ться (-ojá-) ‘sich fürchten’. Es handelt sich also um einen Lautwandel im ausnahmslosen Sinn 7 - und dieser könnte durchaus auch Teile des russischsprachigen Gebietes erfasst haben, aber jenen Teil, aus dem später der Standard erwuchs, verschont haben. Ob dies zutrifft, wird letztlich nur eine tiefergehende Untersuchung entscheiden können. Wodurch auch immer die Gleichheit zwischen besagten russischen Verbalformen und ihren Geschwister‐ formen hervorgebracht wurde - sie ist für sich ein bemerkenswertes Faktum, auf das man Fortgeschrittene im Sprachunterricht hinweisen könnte. 3 Morphologie Auch im Bereich der Morphologie finden sich Unterschiede zwischen der RRR und dem Standard. Typisch ist beispielsweise das Vorkommen spontaner Wortbildungen, wozu Zemskaja (2011: 111 f.) aus einem ihrer aufgezeichneten Gespräche das Beispiel Неуна́сия ‘Ausland’ (univerbiert aus не у нас ‘nicht bei uns’) nennt. Die Bedeutung der betreffenden Bildungen ergibt sich einzig aus dem Gesprächskontext, in den sie eingebettet sind. Deshalb, und da sie außerdem üblicherweise ähnlich schnell verschwinden, wie sie entstanden sind, findet man derartige Bildungen in keinem Wörterbuch. 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 187 <?page no="188"?> Hinsichtlich der Wortbildungsmuster herrschen in der RRR prinzipiell keine Einschränkungen, die Ableitung mithilfe gewisser Affixe ist aber ungleich produktiver als andere Verfahren (vgl. Zemskaja 2011: 110). Zu den hochproduk‐ tiven Affixen gehören etwa -ник (zur Bildung von Beschäftigtenbezeichnungen, z. B. интонациóнник ‘Intonations-Experte’) oder -лк- (zur Bildung von Nomina instrumenti, z.-B. открывáлка ‘Dosenöffner’) (vgl. ibid.: 116 ff.). Interessant für unseren innerslawischen Vergleich ist der Fall des Suffixes -in: Es diente im Ur- und Gemeinslawischen zur Bildung von Possessivadjektiva auf Basis von a-, i- oder konsonantenstämmigen Substantiven, vgl. aksl. Mariinъ zu Marija (vgl. Vaillant 1974: 441 ff.). Bis heute frequent ist diese Derivationsart beispielsweise im Kroatischen (vgl. Babić 2002: 386), Slowenischen (vgl. Topo‐ rišič 2000: 197), Tschechischen (wobei die umgangssprachliche Verwendung im Schwinden begriffen ist, vgl. Frei 2005: 109) oder Ukrainischen (vgl. Amir- Babenko & Pfliegl 2005: 34 f.). kr. Mȃjčina pjesma ‘Mutters Lied’ (zu mȃjka; Ham 2009: 50) sln. prijateljičin rojstni dan ‘Geburtstag der Freundin’ (zu prijateljica, Jenko 2000: 37) tsch. Matčina knjiha ‘Mutters Buch’ (zu matka, BFB: 45 f.) ukr. Оксáнин чоловíк ‘Oksanas Mann’ (Amir-Babenko & Pfliegl 2005: 34) Im Russischen hingegen sind solche Possessivadjektive nur mehr relikthaft erhalten, und zwar vor allem als Derivate von Verwandtschaftsbezeichnungen. Sie haben fast alle ausschließlich umgangssprachliche Verbreitung (vgl. GRJa: 299), wie die folgende Tabelle 2 zeigt: Dargestellt ist die Konnotation einiger lexikalisierter Possessivadjektiva aus zwei russischen Wörterbüchern: - RDW SRJa 2011-23 1981-83 материн ‘der Mutter gehörig’ ugs. ugs. сестрин ‘der Schwester gehörig’ (ohne) ugs. дочерин ‘der Tochter gehörig’ ugs. vkst. женин ‘der Frau gehörig’ ugs. (ohne) тётин ‘der Tante gehörig’ ugs. ugs. дядин ‘dem Großvater gehörig’ (ohne) (ohne) Tabelle 2: In russischen Wörterbüchern verzeichnete Possessivadjektiva auf -in und deren Konnotation 188 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="189"?> Nicht in der Tabelle erfasst sind Formen, bei denen es sich nachweislich um Neubildungen handelt. Solche Fälle sind beispielsweise ба́бушкин ‘der Groß‐ mutter gehörig’, де́душкин ‘dem Großvater gehörig’ und тёткин ‘der Tante gehörig’, wie am stammauslautenden к ersichtlich ist: Wären die Bildungen alt, müsste ч statt к stehen, und zwar wegen des folgenden i, das die Erste Palatalisierung ausgelöst hätte. Wie der innerslawische Vergleich offenbart, handelt es sich bei den russ.-ugs. Formen auf -in in Tabelle 2 um Archaismen. Weitere Beispiele für Archaismen, und zwar aus dem lexikalischen Bereich, werden im nun folgenden Abschnitt vorgestellt. 4 Lexik Mit dem Wörterbuch der modernen russischen Umgangssprache (WRU) liegt ein Verzeichnis von über 5000 Vokabeln vor, die die Standardsprache entweder über‐ haupt nicht oder zumindest nicht in der für sie angeführten Bedeutung kennt. Neben Realien aus dem sowjetischen Alltag - das Werk ist 1985 erschienen - enthält das Werk auch Wörter, die als Teil des urslawischen Erbwortschatzes identifiziert werden können, weil sie Verwandte in anderen slawischen Spra‐ chen haben. Ein Beispiel ist das Verb дозвóлить ‘gestatten’, das in kr. dozvòliti (RHSJ) und pl. dozwolić (GWP) etymologisch exakt widergespiegelt ist, und zwar einschließlich der Bedeutung. Natürlich kann bei solchen Gleichungen nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, dass die betreffenden Bildungen erst später, nämlich in den jeweiligen Einzelsprachen separat entstanden sind. Dass dies bei дозвóлить aber wohl nicht der Fall ist, liegt (abgesehen von der überzufälligen Gleichheit in Form und Inhalt) deshalb nahe, weil ein Verbum mit der Bedeutung ‘gestatten’ durchaus zum denkbaren Alltagsvokabular einer mittelalterlichen Gesellschaft gehört, und eine solche war die urslawische. Archaismen, wie sie Beispiele wie дозвóлить darstellen, sind in der Ein‐ leitung bereits als besonders bemerkenswert vorgestellt worden. Urtümliche Merkmale der Umgangssprache werden von SprecherInnen nämlich norma‐ lerweise nicht als solche erkannt - es sei denn, sie finden sich auch in der Standardsprache und gelten dort als veraltet. Aus der österreichischen Umgangssprache kann man hierzu das hochfrequente Lexem Gwand ‘Kleidung’ als Beispiel nennen, dessen standardsprachliche Entsprechung Gewand eher an Priesterroben oder Ähnliches denken lässt. Hier hat die Umgangssprache eine Vokabel bewahrt, die im Standard schon längst nicht mehr alltagsgebräuchlich 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 189 <?page no="190"?> 8 Für das Alt- und Mittelhochdeutsche verzeichnet das DWDS (https: / / www.dwds.de/ wb/ Gewand? o=gewand) noch die allgemeine Bedeutung ‘Kleidung’. Als Förderer des konkurrierenden Synonyms Kleidung wird Martin Luther genannt. 9 Die von dort übernommenen Konnotationen „salopp“, „derb“ können unter „umgangs‐ sprachlich“ subsumiert werden, und zwar in dem Sinn, dass die damit gekennzeichneten Lexeme dem saloppen bzw. derben Subregister der Umgangssprache angehören. 10 Zu solchen Bildungen siehe Holzer (2020: 210 ff.). Ihr hohes Alter wird dadurch erwie‐ sen, dass ihr reduplizierender Charakter aus urslawischer Perspektive noch sichtbar (bal-bal), nach dem Wirken des Polnoglasie al > ala > olo (datiert auf das 8. oder 9. Jh., vgl. RJĖ: 217) jedoch bereits leicht entstellt ist (bolo-bol). Die reduplizierenden Delokutiva müssen also vor dem Wirken des Polnoglasie entstanden sein. ist. 8 Ohne veraltetes Äquivalent in der Standardsprache aber übernimmt der betreffende Archaismus das niedrigere Prestige, das der Umgangssprache im Vergleich zur Standardsprache zukommt. In der untenstehenden Liste finden sich weitere Beispiele für lexikalische Archaismen der RRR, die im WRU erfasst sind; die Beweisführung für das Alter folgt demselben Prinzip wie bei дозвóлить: Das Lexem muss erstens eine exakte etymologische Entsprechung in mindestens einer anderen, möglichst weit entfernt verwandten slawischen Sprache haben. Hierfür eignet sich etwa das Kroatische durch seine Position am gegenüberliegenden Ende der Slavia. Zweitens muss das Lexem als Teil des Grundwortschatzes identifiziert werden können, was, wenn es sich nicht aus der Bedeutung des Lexems selbst ergibt, über Erklärungen in der Fußnote glaubhaft gemacht wird. Beide Bedingungen entfallen, wenn die betreffende Bildung eine etymologische Entsprechung im Altkirchenslawischen (ca. 860-1050) hat, denn durch sie ist das hohe Alter hinlänglich erwiesen. Da die Publikation des WRU fast 40 Jahre zurückliegt, kann sich die Ver‐ wendung der dort verzeichneten Lexeme inzwischen wieder geändert haben. Daher haben wir ergänzend die Konnotationsangaben mit jenem des Russisch- Deutschen Wörterbuchs (RDW) als zeitgenössischem Werk angeglichen; die dar‐ aus entnommene Information wird in Klammern nach der Bedeutungsangabe angeführt. 9 Als Quellen für die außerrussischen Vergleichslautungen fungieren das Veliki rječnik hrvatskoga standardnoga jezika (RHSJ, kroatisch), das Rečnik na bălgarskija ezik (RBJ, bulgarisch), das Ukrainisch-deutsche Wörterbuch (UDW), das Großwörterbuch Polnisch-Deutsch (GWP) sowie das Urslawische Wörterbuch (Klotz 2023): бáйка ‘Märchen’ (ugs.), kr. bȃjka ‘dass.’ = «bajьka» < ursl. *bā˙jukā˙ балабóлить (mit geschriebenem Akan’e) ‘plappern’ (sal.) = «bolboliti» < ursl. *balbalī˙tēj, ein reduplizierendes Delokutivum 10 волóчь ‘schleppen’ (ugs., sal.), aksl. vlešti ‘schleppen, ziehen’ = «velt´i» < ursl. *welktēj 190 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="191"?> 11 Zu diesen und weiteren Obszönismen s. Buj (2005; passim). 12 Zu rekonstruieren als ursl. *xawju «xujь» (Akzentparadigma c nach Wiki 1), *pejzdā˙ «pizda» (Akzentparadigma b nach Wiki 2, Diphthong nach apr. peisda, vgl. Snoj (2016: 542)) und *jebā˙tēj «jebati» (Klotz 2023: -148). говно́ ‘Scheiße’ (derb), kr. góvno ‘dass.’ =-«govьno» < ursl. *gawina головýшка ‘Köpfchen’ (ugs.), sbair. Glowuschge (Flurname slawischer Herkunft in der Gemeinde Gaimberg in Osttirol; -s. Klotz 2024) = «golvušьka» < *gal˙waw˙sjukā˙ добро́ ‘OK’ (ugs.), kr. dòbro ‘OK, gut’, aksl. dobro ‘gut’ < ursl. *dabra дух ‘Atem, Luft’ (ugs.), ukr. дух ‘dass.’, aksl. duxъ ‘Geist, Atem’ < ursl. *dawxu зáдница ‘Arsch’ (sal., derb), kr. zȁdnjica ‘Hintern’ = «zadńica» лежáнка ‘Liege, Ofenbank’ (ugs.), bulg. лежáнка ‘Ofenbank’ = «ležanъka» лúхо ‘Unheil’ (sal., vlkst.), pl. licho ‘böser Geist, Teufel’ = «lixo» < ursl. *lejxa не́ люди ‘Unmenschen’ (ugs.), kr. nȅljūdi ‘dass.’ = «nel´udьje» < ursl. *neljawdije помянýть ‘erinnern, erwähnen’ (sal., †), kr. spoménuti ‘dass.’ = «(sъ)pomęnǫti» отвáдить ‘jm. etwas austreiben’ (ugs.), kr. òdvaditi ‘entwenden’ = «otъvaditi» пáкость ‘Gemeinheit’ (ugs.), kr. pȁkōst ‘dass.’ = «pakostь» < ursl. *pākasti простáк ‘Einfaltspinsel’ (ugs.), kr. pròstāk ‘Rüpel’ = «prostakъ» < ursl. *prastāku пья́ нка ‘Trinkgelage’ (sal.), kr. pìjānka ‘Party mit Alkohol’ = «pьjanъka» тарато́рить (mit geschriebenem Akan’e) ‘plappern’ (ugs.) = «tortoriti» *tartarī˙tēj, ein reduplizierendes Delokutivum, siehe Fußnote 10. Nicht ganz erfüllt sind die oben genannten Bedingungen in drei Beispielen, und zwar entweder, weil die einzelsprachlichen Vergleichslautungen einander nicht ganz entsprechen wie in: нáчисто ‘ins Reine’ (ugs.), bg. начѝсто ‘dass.’ = «na čisto» наперëд ‘vorwärts! ’ (ugs.), kr. nȁprijēd ‘dass.’ = «naperdъ» Hier deutet der akzentologische Unterschied auf jeweils separat entstandene Bildungen hin. Oder sie sind nicht erfüllt, weil die gegenübergestellte Geschwis‐ terform aus einer nah verwandten slawischen Sprache stammt: потéха ‘Spaß’ (ugs., †), ukr. потíха ‘dass.’ = «potěxa». Obszönismen wie хуй ‘Schwanz’, пиздá ‘Muschi’ oder еба́ть ‘ficken’ 11 fehlen in der Auflistung, weil sie dem vulgärsprachlichen Register angehören. Dieses ist von der Umgangssprache, die sich hier als Subsystem der Literatursprache versteht (s. u.), nicht umfasst. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch sie ursla‐ wischen Ursprungs sind, vgl. pl. chuj, pizda, jebać und kr. pízda, jèbati ( # huj fehlt). 12 Dass unter den lexikalischen Archaismen der Umgangssprache viele dem obszönen Bereich angehören, ist nichts, was spezifisch slawisch wäre: Auch 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 191 <?page no="192"?> 13 Zu rekonstruieren als urg. *skītan-, *hōrōn-, *arsa- (vgl. Kroonen 2013: 446, 240, 35 s. v.). Die germanischen Dialekte, aus denen später das Deutsche bzw. das Englische her‐ vorgegangen sind, haben sich im 5. Jh. durch die Auswanderung nordseegermanischer Stämme auf die britischen Inseln voneinander getrennt (vgl. Kausen 2010: 111). die deutschen Wörter scheißen, Hure und Arsch sind mehr als tausendjähriges Erbe, wie engl. to shit, whore und arse bezeugen. 13 5 Syntax Der größte Unterschied zwischen der russ. Umgangs- und Standardsprache besteht im Bereich der Syntax (Širjaev 1995: 97). Typisch für die RRR ist die häufigere Verwendung des Nominativs anstatt der obliquen Kasus nach dem Muster Достоевский / он рано начал читать ‘Er hat früh angefangen, Dostoevskij zu lesen’ statt standardsprachlichem Oн рано начал читать Достоевского (Genitiv/ Akkusativ) (ibid.: 101). Dabei ist anzumerken, dass die Verwendung des obliquen Kasus gemäß den umgangssprachlichen Normen ebenso zulässig wäre (op. cit. S. 97); die Umgangssprache erlaubt in diesem Bezug also mehr Varianz als die Standardsprache. Eine (morpho-)syntaktische Erscheinung, zu der wir bisher keine sprachüber‐ greifende Zusammenschau gefunden haben, ist der Abbau der unbestimmten Adjektivformen: In den slawischen Sprachen treten Adjektive in einer bestimm‐ ten (auch: langen) und unbestimmten (auch: kurzen) Form auf. Die funktionale Verteilung der Formen ist von Sprache zu Sprache leicht verschieden; die im Gemeinslawischen angelegte Unterscheidung zwischen Bestimmtheit und Un‐ bestimmtheit, von der ihre grammatischen Bezeichnungen herrühren, scheint, wenn überhaupt, zumeist nur mehr indirekt durch. In der russischen Standardsprache richtet sich die Verteilung nach der syntaktischen Funktion der Adjektive: Attributiv gebrauchte Adjektive stehen stets in der Langform, prädikativ gebrauchte in der Kurzform (Mulisch 1988: 231): Prädikativ Attributiv Черты лица некрасивы. некрасивые черты лица unbestimmte Form bestimmte Form ‘Die Gesichtszüge sind unschön.’ ‘Unschöne Gesichtszüge’ Tabelle 3: Funktionale Verteilung der unbestimmten vs. bestimmten Adjektivformen im Standardrussischen 192 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="193"?> 14 Zu dieser siehe Larsen (2005: 11 ff.). Demgegenüber sind in der RRR die unbestimmten Adjektivformen ungebräuch‐ lich (Krasiľnikova 1995: 151); auf der Straße hört man in der Regel Черты лица некрасивыe. Ähnlich wie im Standardrussischen ist die Situation im Tschechischen, wobei nur wenige Adjektive überhaupt noch eine unbestimmte Form aufweisen. Und selbst die wenigen übrigen werden nur dann verwendet, wenn sie sich auf eine (reale oder gedachte) Person beziehen, z. B. Otec je zdráv ‘der Vater ist gesund’. In der tschechischen Umgangssprache hingegen werden wie in der russischen nur die Langformen gebraucht: Otec je zdravý (Frei 2005: 18 f.; KtS: 47). Auch das Polnische hat die Langformen generalisiert: Nur eine kleine Gruppe von Adjektiven verfügt noch über eine maskuline Kurzform, die, wie im tsche‐ chischen und russischen Standard, auf den prädikativen Gebrauch beschränkt ist: On jest zrdów jak ryba ‘er ist kerngesund (gesund wie ein Fisch)’ (GdP: 257). Ganz anders sieht die Verteilung im Kroatischen aus: In prädikativer Funktion kommt ausschließlich die unbestimmte Form zum Zug, in attributiver Funktion hängt der Gebrauch davon ab, ob das Substantiv, auf das sich das jeweilige Adjektiv bezieht, einen bestimmten oder unbestimmten Inhalt transportiert (Ham 2009: 50, 56): prädikativ Attributiv Dan je oblačan. oblačan dan oblačni dan unbestimmte Form bestimmte Form ‘Der Tag ist bewölkt’ ‘ein bewölkter Tag’ ‘der bewölkte Tag’ Tabelle 4: Funktionale Verteilung der unbestimmten vs. bestimmten Adjektivformen im Kroatischen Das Kroatische hat damit die für das Gemeinslawische rekonstruierbare Vertei‐ lung 14 unverändert bewahrt. Wie man sieht, offenbart erst der innerslawische Sprachvergleich, dass es sich beim Abbau der unbestimmten Formen um einen Prozess handelt, der in den einzelnen slawischen Sprachen in unterschiedlichem Ausmaß fortgeschritten ist: Am Beginn des Prozesses (oder genauer gesagt: vorher) befindet sich das Kroatische, das vom Abbauprozess am wenigsten (nämlich gar nicht) betroffen ist. An seinem Ende befinden sich die russische und tschechische Umgangssprache, aus denen die unbestimmten Formen komplett verschwunden 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 193 <?page no="194"?> sind. Aus dieser Perspektive erscheint der betreffende Unterschied zwischen der russischen Standardsprache und der RRR nicht nur verständlicher, sondern so‐ gar als absehbare Konsequenz des Umstands, dass Umgangssprachen schneller von Innovationen erfasst werden als Standardsprachen. 6 Die russische Umgangssprache im Unterricht Betrachtet man die oben angeführten Beispiele aus den systemlinguistischen Bereichen Phonetik, Morphologie, Lexik und Syntax, gilt es zu überlegen, was davon in den schulischen Unterricht einfließen könnte bzw. sollte und was davon rezeptiv, was produktiv beherrscht werden müsste. In der Forschungs‐ literatur wird die RRR kontroversiell behandelt, was ihren Stellenwert im schulischen Unterricht angeht (vgl. Stadler 2024; Stadler & Kaltseis 2024; Kaltseis & Stadler 2023; Stadler 2021), wobei die hier angeführten Publikationen zusätzlich neben den im ersten Teil dieses Beitrags genannten Bereichen auch auf pragma- und soziolinguistische Phänomene der RRR eingehen, die für eine kommunikativ-kompetente Verwendung der Zielsprache Russisch wesentlich sind. Befürworter der RRR im Unterricht beklagen zudem seit Langem, dass Lehrwerke selten die Besonderheiten der authentischen Umgangssprache be‐ rücksichtigen (z. B. Agatstein 1988), obwohl die Umgangssprache ein integraler Bestandteil der russischen Literatursprache ist (z. B. Novikova & Budil’ceva 2013). Lehrende wiederum, deren Erstsprache (L1) nicht Russisch ist, äußern Unsicherheit darüber, RRR-spezifische Merkmale in den Unterricht zu integrie‐ ren; außerdem sehen sie sich durch ihr Studium darauf wenig vorbereitet (vgl. Stadler 2024: 45). Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) dürfte in diesem Fall auch keine Stütze sein, denn obgleich er anregt, dass Sprachverwendende auf C2-Niveau im Bereich des Wortschatzes über „ein brei‐ tes lexikalisches Repertoire verfügen [sollen], das idiomatische und umgangs‐ sprachliche Wendungen umfasst“ (GeR 2020: 154), sieht er „eine Beherrschung auf den Niveaustufen der elementaren und selbständigen Sprachverwendung nicht vor“ (Stadler 2024: 50). Für Lehrende, die den Stellenwert der RRR im schulischen Unterricht nicht grundsätzlich anzweifeln, ergeben sich zweifellos Fragen zur Progression der Vermittlung von RRR. In Bezug auf Rezeption versus Produktion ist der GeR klarer. Eine Analyse der GeR-Skalen zeigt, dass sieben Deskriptoren, die das Wort umgangssprachlich bzw. informell (im englischen Original: colloquial) enthalten, in rezeptiven Skalen zu finden sind, während nur drei in produktiven Skalen aufscheinen. 194 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="195"?> 15 Krysin (2011: 341 f.) nennt u. a. folgende Themenbereiche, die Aufmerksamkeit ver‐ dienen: Familie; Aussehen, Charakter; Verhältnis Mensch-Tier; Essen und Trinken; Zustandsbeschreibungen; Konflikte; Sprechhandlungen. Eine Umfrage, die Kaltseis & Stadler (2023) durchführten, offenbart die Ansicht von UniversitätsdozentInnen und Lehrpersonen an Schulen, dass im Russischunterricht vorrangig lexikalische und soziopragmatische Besonderhei‐ ten vermittelt werden sollten. Uneinigkeit besteht lediglich hinsichtlich des Niveaus: Erstere plädieren für das Kompetenzniveau B1.2, letztere für A2.2 (vgl. Kaltseis & Stadler 2023: 77). Die im ersten Teil dieses Beitrages erwähnten phonetischen Allegro-Formen (z. B. cёдня ‘heute’, воще́ ‘überhaupt’, щас ‘jetzt’) sollten m. E. rezeptiv verarbeitet werden, um im Bereich des Hörverstehens authentischen Dialogen der Alltagssprache folgen zu können. Hierbei ist es wichtig, neben den hochfrequenten Adverbien auch Numeralien wie [pʲɪˈsʲat] für пятьдесят ‘fünfzig’ oder gewisse Verben (грю, грт ‘sag ich’, ‘sagt er/ sie’), die im gesprochenen Russisch stark reduziert werden können, einzubeziehen (vgl. Kaltseis & Stadler 2023: 64). Die genannten hochproduktiven Affixe -ник (zur Bildung von Beschäftig‐ tenbezeichnungen) oder -лк- (zur Bildung von Nomina instrumenti) könnten den Lernenden mit Hilfe bekannter Lexeme wie школьник ‘Schüler’ oder зажигалка ‘Feuerzeug’ nähergebracht werden. Zusätzlich könnten sie in Zu‐ sammenhang mit Social Media veranschaulicht werden, wobei auch andere Suffixe erwähnt werden sollten, die die Bildung von Berufsbezeichnungen ermöglichen. Diese sind Lernenden bereits aus dem Englischen oder Deutschen bekannt, wie программист ‘Programmierer’, веб разработчик ‘Web-Entwick‐ ler’, oder Feminitiva wie блогерша ‘Bloggerin’ oder стримерша ‘Streamerin’. Die genannten Beispiele aus dem Bereich der Lexik müssten wahrscheinlich durch jugendsprachliche Realien aus dem Alltag ersetzt bzw. ergänzt werden; 15 die Beispiele aus dem Bereich der Syntax könnten mittels Transformationsübun‐ gen (text transformation exercise/ task; vgl. Caudery 1998) trainiert werden. Wenn SchülerInnen Sätze aus der RRR in die Standardsprache überführen, müssen sie berücksichtigen, in welchen Kasus sie das Substantiv oder den Eigennamen setzen, der in der RRR stets als präponierter Nominativ aufscheint: Muster Достоевский / он рано начал читать ‘Er hat früh angefangen, Dostoevskij zu lesen’ → Oн рано начал читать Достоевского (Genitiv/ Akkusativ) (siehe dazu auch Dreher et al. 2020; Stadler & Kaltseis 2024). 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 195 <?page no="196"?> 7 Die russische Umgangssprache außerhalb des Lehrbuchs Die meisten Lehrwerke für das Russische bevorzugen die Verwendung der Standardsprache, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen (z B. Dolma‐ tova & Novacac 2017; 2019). Dies stellt Lehrende vor die Herausforderung, angemessene umgangssprachliche Texte zu finden, die auf dem jeweiligen Kompetenzniveau effektiv eingesetzt werden können. Der Lehrplan für zweite und dritte lebende Fremdsprachen - zu letzteren gehört meist Russisch - verlangt in allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), dass SchülerInnen im Bereich des Lesens „kurze, einfache Texte zu vertrauten, konkreten Themen verstehen können, in denen gängige Alltagssprache verwendet wird“. (RIS 2024) In diesem Kontext können generative Sprachmodelle wie ChatGPT nützlich sein, indem sie auf Anfrage und mit entsprechenden prompts Dialoge oder Monologe erstellen, die umgangssprachliche Elemente enthalten, wie sie von russischen Jugendlichen im Alltag verwendet werden (vgl. dazu Stadler 2024). Auch literarische Texte mit stilisierten Dialogen können genutzt werden, um den SchülerInnen die RRR näherzubringen. “Russian is a highly expressive and emotional language that cannot be understood through textbook language learning alone”, schreibt Wood (o. J.), und diese Position wird auch von 37 % der Lehrenden (n=95) vertreten, die in einer Umfrage angaben, RRR zu unterrichten (Kaltseis & Stadler 2023: 76). Zu den Gründen für den Einsatz der RRR im Unterricht gehören neben der Zielsetzung, Gespräche mit „MuttersprachlerIn‐ nen“ zu verstehen, die Auflockerung des Unterrichts, die Sensibilisierung für verschiedene Register sowie die Verbesserung der Sprachkenntnisse der Ler‐ nenden. Lehrende an Universitäten nannten des Weiteren die Vermittlung eines vollständigen Bildes des russischen Sprachsystems und die Veranschaulichung von Forschungsgebieten für Seminar-, BA- und MA-Arbeiten. An dieser Stelle ist es wichtig, Lehrende darauf hinzuweisen, dass die dia‐ lektal geprägten und räumlich begrenzten Umgangssprachen des Deutschen (Gladrow 2004: 220) sich von der RRR der städtischen Bevölkerung mit mittlerer und höherer Bildung (Zemskaja 1995: 18) unterscheiden. Letztere ist eine Varietät oder ein Subsystem bzw. eine Adaption der kodifizierten Litera‐ tursprache, die im täglichen Umgang, also im direkten Gespräch, gebräuchlich ist (Hinrichs 1999: 589 f.) und sich durch Spontaneität, Ungezwungenheit und Direktheit auszeichnet. Die Korrelation von Umgangssprache und Dialekt gilt für das Russische nicht, und im Deutschen muss von zahlreichen räum‐ lich geprägten Umgangssprachen oder mehreren Basisdialekten ausgegangen werden. SprecherInnen des Deutschen wechseln - wenn notwendig, flexibel - zwischen Dialekt, Umgangs- und Standardsprache hin und her; Spreche‐ rInnen des Russischen zwischen Umgangs- und Standardsprache. Deutlich 196 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="197"?> 16 Im Rahmen eines Seminars wurden Lehramtsstudierenden Dialoge aus Filipenkos Roman Die Jagd (Травля) präsentiert, um den Unterschied zwischen den umgangs‐ sprachlichen Dialogen im Russischen und im Deutschen herauszuarbeiten. Für Schü‐ lerInnen dürften sich andere Dialoge besser eignen, z. B. solche aus den Romanen Aleksandra Marininas (vgl. dazu Stadler (2002: 123), dabei auch auf Hägi (2000: 310) verweisend): „Диалоги её персонажей отличаются необыкновенно высокой степенью применимости и оживлённости, позволяют иностранному читателю уловить не только тонкости разговорной речи, но и особенности типичного поведения русского человека в повседневной жизни. […] «в этом смысле романы Марининой можно также назвать идеальным чтением и для изучающих русский язык …».“ abzugrenzen ist die RRR von tabuisierten Varietäten des Jargons, Slangs und Argots bzw. von dem просторечие, „der Stadtsprache des Substandards mit geringem gesellschaftlichem Prestige“ (Krysin 1989: 53 ff.), sowie der russischen Vulgärsprache, des Mat. Ähnlich wie wir der RRR heute nicht nur mündlich, sondern auch in schriftlichen Texten in den sozialen Medien begegnen, hat bereits im 19. Jahrhundert der Begründer der russischen Litera‐ tursprache, Aleksandr Sergeevič Puškin, „die Umgangssprache seines Kreises in die große Literatur eingeführt (Isačenko 1974: 259, 261): „Als erster hatte er [Puškin] den Zeitpunkt erkannt, wo das gesprochene Wort der geistigen Elite beider Hauptstädte in allen Stilgattungen mit selbstverständlicher Na‐ türlichkeit gebraucht werden konnte. Die von vielen Russen immer wieder hervorgehobene Leichtigkeit - «лёгкость» - des Puškinschen Stils hängt mit dem umgangssprachlichen Ursprung seiner Literatursprache zusammen.“ (Isačenko 1974: 259; 261) Die von Isačenko erwähnte „natürliche Leichtigkeit“ der Umgangssprache sowie auch eine gewisse Neigung zu sprachlicher Anrüchigkeit zeigt sich z. B. in den Werken des auf Russisch schreibenden belarussischen Autors Sasha Filipenko. In den sozialen Medien mag die „selbstverständliche Natürlichkeit des gesprochenen Wortes“ oft fehlen oder missbraucht werden. Lehramtsstu‐ dierende, die sich selbst und ihre SchülerInnen für literarische Texte begeistern können, finden in stilisierten Konversationen aus Romanen, Erzählungen oder Kurzgeschichten - neben den Texten in den sozialen Medien - eine Möglichkeit, im Rahmen des Textverstehens auf Besonderheiten der russischen Umgangs‐ sprache hinzuweisen. Da im Deutschen andere Charakteristika wesentlich sind als in der RRR, kann anhand von Übersetzungen gezeigt werden, welche lexikalischen, syntaktischen, aber auch pragmatischen Hilfsmittel in den beiden Sprachen genutzt werden, um die unterschiedlichen linguistischen Ausprägun‐ gen der RRR darzustellen. 16 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 197 <?page no="198"?> Dialog 1 1 - Ты куда? - Wohin [gehst] du? 23 - Нужно слетать посмотреть на -любимую команду Гитлера… - [Ich] muss zu einem Match von Hitlers Lieblingsmannschaft … 4 4 - Потаскуху свою берёшь? - Nimmst [du] deine Schlampe mit? 5 5 - Дорогая, ты о чём? - Schatz, wovon [redest] du? 67 6 - Не о чём, а о ком! О твоей губастой шлюхе! (Filipenko 2016: 77) - Nicht wovon, sondern von wem! Von dieser schamlosen Entenfresse! (Filipenko 2022: 104-105; Übers. R. Alten‐ hofer) - Dialog 2 - 12 - Ты вообще как к политике относишься? - Wie bist du überhaupt politisch einge‐ stellt? 3 - Да мне фиолетово как-то… - [Ist] mir irgendwie latte … 45 - […] Вот и славно, но ты хоть понимаешь, кто за кого? - […] Sehr schön, aber checkst du so ungefähr, wer für wen [ist]? 6 - Да вроде да… (Filipenko 2016: 98) - [Ich] glaub schon … (Filipenko 2022: 133; Übers. R. Altenho‐ fer) Tabelle 5: -Dialogbeispiele aus Filipenkos Roman Die Jagd (Травля) Diese zwei Dialoge zeigen auf syntaktischer Ebene beispielsweise das Auftreten von Ellipsen, die geänderte Thema-Rhema-Wortstellung sowie die im Russi‐ schen nicht existenten Präsensformen des Verbs быть ‘sein’. In Dialog 1 betrifft dies konkret das fehlende Verb der Fortbewegung идёшь ‘gehst’ (Zeile 1), das fehlende Verbum dicendi говоришь ‘sprichst, redest’ (Zeile 5) und die fehlenden Personalpronomina мне, ты ‘mir, du’ (Zeilen 2, 4), die sich alle aus dem Kontext erschließen lassen. In Dialog 2 (Zeile 3 und 5) tritt ‘sein’ als Nullkopula auf. Die Dialoge zeichnen sich aber auch durch lexikalische Besonderheiten aus. So werden in Dialog 1 die Substantiva потаскуха, шлюха verwendet, die im Wörterbuch dic.academic.ru nicht den Zusatz разг. ‘ugs.’ haben, sondern mit прост., вульг. bzw. бран. markiert sind, was den tabuisierten Varietäten und Vulgärsprachen entspricht. Im Deutschen werden sie einmal nominal mit ‘Schlampe’ (Zeile 4), das andere Mal durch das Attribut ‘schamlos’ (Zeile 7) wiedergegeben. Aber auch Partikeln, charakteristisch für die mündliche Rede, scheinen in Dialog 2 auf: вообще, да … как-то, вот и, хоть, да вроде да und finden im Deutschen ihre Entsprechung mit ‘überhaupt’, ‘irgendwie’, ‘sehr’, ‘so 198 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="199"?> ungefähr’ und ‘glaub schon’. Ferner finden sich Wörter aus der Jugendsprache bzw. eines aktuellen Jargons, der von den ProtagonistInnen im Roman gepflegt wird: мне филолетово ‘ist mir egal’ (von der Übers. in Zeile 3 mit ‘ist mir latte’ wiedergegeben); oder wenn die Übers. ‘checkst du’ gebraucht, um das russische ты хоть понимаешь dem ugs. Register der Sprachverwendenden im Deutschen anzugleichen. Solche Dialoge lassen sich bei der Lektüre finden und können - je nach Niveaugruppe - zur Schulung des umgangssprachlichen Sprachbewusstseins eingesetzt werden. Kaltseis & Stadler (2024) bieten Übungen zur RRR an, die den Anforderungen des soziopragmatischen Konstrukts nach GeR entsprechen. Die Übungen werden nach verschiedenen Funktionswörtern wie hinzufügen, vergleichen, verbinden, kontrastieren, tilgen, ersetzen, auswählen, aufteilen, vor‐ schlagen, transformieren und übersetzen eingeteilt. Im nächsten Abschnitt wird eine dieser Übungen Удалите и перепишите! ‘Tilgen Sie und schreiben Sie neu! ’ vorgestellt, die mit Studierenden in meinem letzten Masterseminar im WS 2022/ 23 zum Einsatz kam. Nach einer ausführlichen theoretischen Aus‐ einandersetzung mit den Besonderheiten der RRR bekamen die Studierenden Gelegenheit, ihr erworbenes Wissen an mehreren praktischen Beispielen um‐ zusetzen. 8 Ein Fallbeispiel Der folgende Dialog wurde Karavanova (2019) (verfügbar unter: https: / / tinyurl .com/ mse8jvba [14.08.2024]) entnommen und mit folgender Arbeitsanweisung versehen: Удалите лишние слова и перепишите диалог на РРР. Обратите внимание на порядок слов и беглость речи. ‘Tilgen Sie überflüssige Wörter und schreiben Sie den Dialog in RRR um. Achten Sie dabei auf Wortfolge und Flüssigkeit.’ A: - Полина, ты любишь фрукты? Б: - Да, я очень люблю яблоки и апельсины. А: - А где ты их покупаешь? Б: - Обычно на рынке, иногда в супермаркете. А: - А какие фрукты ты купила сегодня? Б: - Сегодня я купила груши. Fünf Teilnehmerinnen (TN) im Seminar, zwei davon mit Russisch als L1 (TN-4, TN 5), haben die Umschrift der Repliken (R) R 1-R 5 in RRR folgendermaßen vorgenommen: 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 199 <?page no="200"?> R TN-1 TN-2 TN-3 TN-4 TN-5 R-1 A: - Полина, ты фрукты любишь? A: - Полиночка, ты фрукты любишь? A: - Полина, ты фрукты любишь? A: - Полина, ты фрукты любишь? A: - Полина, ты любишь фрукты? R-2 Б: - Да, я очень люблю яблоки и апельсины. Б: - Да, я очень люблю специально яблоки и апельсины. Б: - Да, я очень люблю особо яблоки и апельсины. Б: - Да Ага, я очень люблю особенно яблоки и апельсины. Б: - Да (Ага), я очень люблю особенно яблоки и апельсины. R-3 А: - А где ты их покупаешь? А: - А где ты их покупаешь? А: - А где ты их покупаешь? А: - (А) ты их где покупаешь? А: - А где ты их покупаешь? R-4 Б: - Обычно на рынке, … иногда в супермаркете. Б: - Обычно на рынке, иногда в супермаркете. Б: - Обычно На рынке, иногда в супермаркете. Б: - Обычно на рынке, иногда в супермаркете. Б: - Обычно на рынке, иногда в супермаркете. R-5 А: - Ага … А какие фрукты ты купила сёдня? А: - А сегодня какие фрукты ты купила? А: - А какие фрукты ты купила сёдня? А: - А какие фрукты ты сегодня купила? А: - А сегодня какие фрукты ты купила? R-6 Б: - Сегодня я купила Груши. Б: - Сегодня я купила Груши. Б: - Сегодня я купила Груши. Б: - (Сегодня) я купила Груши. Б: - Сегодня я купила Груши. Tabelle 6: -Dialogvarianten In diesem Dialog nehmen vier der fünf TN in R 1 der Sprecherin A eine Änderung in der Wortfolge S-P-O vor, indem sie diese in S-O-P umstellen (siehe die Passagen in blau in Tabelle 6). TN 2 verwendet zudem in der Anrede das Diminutiv Полиночка ‘Paulinchen’ (lila in Tabelle-6) anstelle der Vollform. Während im initiierenden Sprechakt der Frage das Personalpronomen von keiner TN gestrichen wird, tilgt TN 1 - im Gegensatz zu den vier anderen TN - nur das Personalpronomen я ‘ich’ in der Antwort (R-2) (rot durchgestrichen) und nimmt sonst keine weiteren Änderungen vor. Die vier TN (TN 2-TN 5) entscheiden sich alle für eine Kurzantwort яблоки и апельсины ‘Äpfel und Orangen’. Während die beiden L1-Sprecherinnen, TN 4 und TN 5, diese kurze Antwort mit einem passenden Adverb особенно ‘vor allem’ hervorheben, ver‐ suchen zwei Sprecherinnen des Deutschen (TN 2, TN 3) das auch, verwenden aber die für diese Replik wenig passenden Adverbien специально, особо ‘speziell, 200 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="201"?> 17 Das Vorbild ist hier wohl der Usus der österreichischen Dialekte, in denen die Auslas‐ sung des Personalpronomens „du“ (und nur dieses) gestattet ist - anders als etwa in der bundesdeutschen Umgangssprache: z.-B. Wos wüst’n? vs. Was willst du denn? besonders’ (siehe die Lexeme in grün). Nur die russischen Muttersprachlerinnen setzen zudem das affirmative umgangssprachliche Ага ‘Mhm’ (orange) als Kontaktlaut ein anstelle der neutralen Antwort Да ‘ja’. TN 1 reagiert mit derselben Höreräußerung in R-5 auf die Antwort in R-4. Interessanterweise lassen die deutschen L1-Sprecherinnen das Personalpro‐ nomen ты ‘du’ in R 3 weg (rot durchgestrichen) 17 , während die russischen Sprecherinnen es beibehalten; eine der beiden, TN 4, ändert außerdem die Wortfolge von где ты ‘wo (kaufst) du (sie)’? zu ты где ‘du (kaufst sie) wo? ’ (blau). Das Verb bleibt - im Gegensatz zu der von ChatGPT generierten Version (siehe Tabelle 7, R’-3) - unverändert. In R 4 hält eine deutsche L1-Sprecherin, TN 3, das Adverb обычно ‘ge‐ wöhnlich’ in der Gegenüberstellung mit иногда ‘manchmal’ für obsolet. Alle anderen TN lassen R 4 unangetastet. Während in R 6 alle TN eine Kurzantwort Груши ‘Birnen’ bevorzugen, gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie die Wortstellung der Frage in R 5 zuvor А какие фрукты ты купила сегодня? ‘Und welches Obst hast du heute gekauft? ’ in der RRR zu gestalten sei. Selbst die Versionen der russischen Muttersprachlerinnen weichen in diesem Fall erheblich voneinander ab, was mit der sehr flexibel gestaltbaren Wortfolge (blau) im gesprochenen Russisch zu tun hat: - А какие ты сегодня купила? vs. - А сегодня какие купила? Eine anzumerkende, leider nicht gelungene Änderung nehmen zwei deut‐ sche L1-Sprecherinnen, TN 1 und TN 3, vor. Sie entscheiden sich für die reduzierte Ausspracheform cёдня (siehe grau) des hochfrequenten Zeitadverbs сегодня ‘heute’. Die russischen Sprecherinnen behalten hingegen die Vollform der Standardaussprache bei. Hier sieht man, dass die österreichischen Studen‐ tinnen aufgepasst und sich eine phonetische Besonderheit gemerkt haben, aber dabei nicht bedachten, dass in der finalen Position eine reduzierte Form wenig wahrscheinlich ist. Bedenkt man, wie anspruchsvoll sich diese Übung für Lehramtsstudierende gestaltet, dürfte es im schulischen Unterricht noch herausfordernder sein, adäquate Lösungen zu bekommen und diese entsprechend zu diskutieren. Dennoch könnte ein solches Vorhaben mit Schulbuchdialogen auf der Satzbzw. Paarsequenzebene gelingen und die Unterschiede zwischen den standard- und umgangssprachlichen Strukturen verdeutlichen. Vielleicht wäre es hilfreich, weniger auf das strikte Einhalten und Überprüfen standardsprachlicher Normen zu bestehen und stattdessen die Freude am spontanen Sprechen zu fördern, 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 201 <?page no="202"?> 18 Zur kritischen Verwendung von KI im Russischunterricht siehe Stadler (2024) oder Fuchs & Rönnau (2025). was bedeuten würde, gelegentlich „fehlerhafte“ Konstruktionen - aus der Sicht der kodifizierten Standardsprache - zuzulassen. Pacira (1987: 195) drückt es folgendermaßen aus: „In Russian conversation classes linguistic accuracy should be somewhat deemphasized - to provide an opportunity for students to spontaneously speak Russian.“ (Hervorhebung W.St.) Oder wie es eine Lehrerin in einem ExpertInneninterview formuliert: „… ich denke schon, dass authentischer Unterricht im Sprachunterricht besonders wichtig ist. Und gerade im Russischen spielt auch bei alltäglichen Gesprächen die Umgangssprache eine zentrale Rolle. Es wäre schon ein bisschen fahrlässig, wenn sie in diesem Bereich überhaupt nichts können.“ (Messner 2021: 183) Und Fahrlässigkeit sollte im Lehr-/ Lernkontext in der Tat keinen Platz haben. Es ist anzunehmen, dass Lernende gern mit ChatGPT interagieren. Auf ihre Aufforderung hin kann der oben genannte Dialog vom generativen Sprachmo‐ dell in die RRR transferiert werden. Nach einer zweiten Aufforderung, die so erstellte Variante 1 noch aktueller, authentischer und umgangssprachlicher zu verfassen, liefert ChatGPT in Sekundenschnelle eine zweite Fassung (Variante 2). Diese enthält eine Anredekurzform (‘Поля’), ein hochfrequentes reduziertes Adverb (‘ваще’), elliptische Pronomina (‘я’, ‘ты’), Verben (‘покупаю’, ‘беру’), Adverbien (‘обычно’), Abbreviaturen (‘супер’) und umgangssprachliche Lexik (‘кайфовать’, ‘зацеплять’, ‘впарить’). Abschließend werden diese beiden Va‐ rianten in Tabelle 7 präsentiert. Auf Grund des einfachen Sprachniveaus können diese zwei Versionen auch mit SchülerInnen zur Reflexion über die Besonder‐ heiten der RRR verwendet werden (verfügbar unter: https: / / chat.openai.com/ c / 1f9cefb5-0475-45f6-9c2e-5cfde645b495 [14.08.2024]). Für SchülerInnen dürfte die Erlaubnis, mit KI im Unterricht zu arbeiten, sicherlich eine willkommene Abwechslung sein, bei der sie lernen, das generative Sprachmodell sinnvoll und kritisch zu nutzen. 18 - Variante 1 Variante 2 R’1 A: - Полина, ты фрукты любишь? A: - Поля, ты фрукты любишь? R’2 Б: - Да, конечно! Я в основном яблоки с апельсинами обожаю. Б: - Да, конечно! Я ваще яблоки с апельсинами кайфую. R’3 А: - И где ты их берешь? А: - И где их берешь? 202 E M A N U E L K L O T Z & W O L F G A N G S T A D L E R <?page no="203"?> R’4 Б: - На рынке обычно, а то и в супермаркете пару раз. Б: - На рынке, иногда в супере зацепляю. R’5 А: - Ну и что сегодня в мешке у тебя? А: - И что сегодня взяла? R’6 Б: - Сегодня груши взяла. Б: - Сегодня груши впарила. Tabelle 7: -Von ChatGPT generierte Dialogvarianten 9 Zusammenfassung In diesem Beitrag wird die gängige Auffassung aufgegriffen, Umgangssprachen wären „verkommene Abarten“ (siehe Einleitung) der ihnen gegenüberstehen‐ den Standardsprachen. Sie rührt von der Veränderlichkeit und Unordnung her, die Umgangssprachen landläufig zugeschrieben wird. Wie sich herausstellt, folgen aber auch die nicht kodifizierten sprachlichen Register gewissen Normen und Regeln und erlauben zumeist auch mehr Varianz als die standardsprachli‐ chen Systeme. Dies sowie die Tatsache, dass ein gegebenes Phänomen in der einen Sprache als umgangssprachlich (oder gar volkstümlich) konnotiert ist, in anderen jedoch standardgültig, relativiert die Bewertung dieser Phänomene als „verkommen“ und stellt sie stattdessen als Ausprägungen der typologisch möglichen Vielfalt dar. Aus dieser Vogelperspektive lässt sich die Betrachtung der Phänomene auch für den Russischunterricht nutzbar machen, und zwar zum Beispiel, indem Verbindungen zu anderen slawischen Sprachen herge‐ stellt werden, über deren Kenntnisse die Lernenden z. B. in heterogenen und mehrsprachigen Gruppen entweder verfügen oder gerade dabei sind, diese zu erwerben. Für den Einsatz der russischen Umgangssprache im Unterricht wird empfoh‐ len, diese zunächst auf der rezeptiven Ebene zu trainieren. Bei den produktiven Fertigkeiten z. B. auf B1-Niveau kann behutsam versucht werden, einzelne Repliken der Standardsprache auf der Satz- oder Paarsequenzebene mit den um‐ gangssprachlichen Entsprechungen zu vergleichen. Dabei ist eine Orientierung an den wesentlichen Deskriptoren lexikalischer Skalen wie Wortschatzspek‐ trum und Wortschatzbeherrschung zu empfehlen, wobei man den einen oder an‐ deren Themenbereich nach Krysin (2011) in den Mittelpunkt rücken könnte. Mit einfachen literarischen Texten können soziopragmatische Besonderheiten der russischen Umgangssprache aufgezeigt werden, wie beispielsweise die Anrede, die Verwendung von Diminutiva, der Einsatz von Partikeln oder der Gebrauch von Ellipsen. Die Einbeziehung geeigneter Texte aus den sozialen Medien oder 7 Die russische Umgangssprache im typologischen Vergleich und im Klassenzimmer 203 <?page no="204"?> eine gesteuerte Interaktion mit KI wie ChatGPT könnte den SchülerInnen die Gelegenheit bieten, sich altersgerecht und ihren Interessen entsprechend mit der RRR auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt ist diese aufgrund ihrer Spontaneität, Direktheit und Ungezwungenheit den Jugendlichen vertrauter und weniger buchsprachlich-trocken als die Standardsprache. Lernende wollen mit Spreche‐ rInnen der Zielsprache kommunizieren, sie wollen aktuelle russischsprachige Medien verstehen und in die Zielsprachenkultur eintauchen. Die russische Um‐ gangssprache ist ein wesentlicher Teil davon, und wie Novikova & Budil’ceva (2013: 126) festhalten, sind gerade „die Besonderheiten der RRR für ausländische Sprechverwendende besonders schwierig“ und müssen dementsprechend geübt werden. Schließlich empfiehlt auch der Lehrplan „die Einbindung authentischer Begegnungen durch direkte persönliche Begegnungen mit Personen, deren Muttersprache die gelehrte Fremdsprache ist (dies kann erfolgen z. B. durch den Einsatz von FremdsprachenassistentInnen im Unterricht, Schulveranstaltungen wie Austauschprogramme, Intensivsprachwochen sowie andere Formen von Auslandsaufenthalten und Auslandskontakten)“ (RIS 2024) sowie durch die Nutzung von audiovisuellen Medien (s. den Beitrag von Binder & Kaltseis in diesem Band) und neuen digitalen Technologien im Sinne möglichst großer Authentizität. 10 Literaturverzeichnis Agatstein, D. (1988). Colloquial Russian in the classroom. Russian Language Journal, 42-(141/ 143), 41-49. 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Adopting a broad understanding of phraseology, this paper presents a project aimed at developing learning materials for Italian as a foreign language with a focus on phraseological units. It demonstrates how the Open Educational Resource (OER) publica‐ tion Facciamo bella figura! 8 task fraseodidattici per studenti di italiano L2/ LS (Schmiderer et al. 2021a) methodologically combines Task-Based Language Teaching (TBLT) with insights from corpus linguistics. Building on the results of the LeKo learner corpus analyses (Konecny et al. 2016; 2018), Facciamo bella figura! integrates phrasemes into complex “tasks” (Ellis 2003) or “task cycles” (Willis 1996; Willis & Willis 2007), which are connected to the everyday experiences of young learners. After outlining the history and current state of phraseodidactic research, the paper explo‐ res the opportunities and challenges of a corpus-based approach used in the TBLT-framework. Finally, one of the tasks is discussed in greater detail. As will be shown, the project represents a productive methodological synergy between phraseology as a linguistic sub-discipline and research in language learning and teaching. <?page no="210"?> 1 Einleitung Phraseologische Einheiten genießen in fremdsprachendidaktischen Lernmate‐ rialien zwar mittlerweile eine erhöhte Aufmerksamkeit (vgl. u. a. Ettinger 2001; Kühn 2007), ihre Bearbeitung erfolgt dabei jedoch meist noch in isolierten Übun‐ gen, die dem „phraseodidaktischen Dreischritt“ gemäß Kühn (1992) bzw. dem von Lüger (1997) zum „phraseodidaktischen Vierschritt“ erweiterten Modell folgen. Zudem werden oft nur ausgewählte Bereiche der Phraseologie abgedeckt und die Übungen - ausgehend von linguistischen Überlegungen - primär für bestimmte Phrasemtypen konzipiert, z. B. für Idiome (Hessky & Ettinger 1997; Bergerová 1998-2006), Sprichwörter (SprichWort 2008-2010) oder Kollokationen (Meier et al. 2014; Ďurčo & Vajičková et al. 2016, 2019a, 2019b; Vajičková & Ďurčo et al. 2018; Ďurčo, Vajičková & Tomášková et al. 2019). In diesem Beitrag wird ein Projekt zur Entwicklung von Lernmaterialien für Italienisch als Fremdsprache mit phraseologischem Fokus vorgestellt. Da‐ bei wird gezeigt, wie das entstandene, als Open Educational Resource (OER) erschienene Lernmaterial Facciamo bella figura! 8 task fraseodidattici per studenti di italiano L2/ LS (Schmiderer et al. 2021a) den Ansatz der Aufgabenorientie‐ rung mit den Ergebnissen korpuslinguistischer Untersuchungen verknüpft. So werden ausgehend von den Analysen des LeKo-Lernerkorpus (Konecny et al. 2016, 2018) Phraseme in komplexe Aufgaben (Tasks) bzw. Aufgabenzyklen (Task Cycles, vgl. Willis 1996; Willis & Willis 2007) eingebettet, die an die Lebenswelt von jugendlichen Lernenden anknüpfen. Unter Phrasemen werden - auf Basis der Annotationen im analysierten Lernerkorpus - verschiedene Arten von Wortverbindungen verstanden, die sich unter Zugrundelegung eines weiten Phraseologiebegriffs (vgl. z. B. Burger 2015: 14) durch Festigkeit und Polylexikalität, jedoch nicht zwingend auch durch Idiomatizität auszeichnen. Aus diesem Grund finden im erarbeiteten Lernmaterial neben idiomatischen Wendungen vor allem auch Kollokationen, kommunikative Formeln und Mehr‐ wortausdrücke Berücksichtigung (vgl. Schmiderer et al. 2020: 239, 2021b: 5 f. sowie Abschnitt 4.3.3). Im Folgenden werden in Abschnitt 2 zunächst kurz die Geschichte und der gegenwärtige Stand der phraseodidaktischen Forschung dargestellt, bevor in Abschnitt 3 Potenziale des aufgabenorientierten Ansatzes für die Phraseo‐ didaktik erörtert werden. Dafür werden Aufgaben (Tasks) nach Ellis (2003) und die didaktische Umsetzung eines Aufgabenzyklus (Task Cycle) nach Willis (1996) ins Zentrum gerückt. In Abschnitt 4 wird schließlich das Materialent‐ wicklungsprojekt Facciamo bella figura! als Beispiel für eine gewinnbringende Kooperation zwischen der Phraseologie als linguistischer Subdisziplin und der Fremdsprachendidaktik präsentiert und eine Aufgabe im Detail vorgestellt. 210 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="211"?> Abschließend werden einige weiterführende Perspektiven für die aufgabenori‐ entierte Materialentwicklung mit phraseologischem Schwerpunkt aufgezeigt. 2 Geschichte und Status Quo der Phraseodidaktik 2.1 Die Herausbildung der Phraseodidaktik als phraseologische Teildisziplin Die Anfänge der Phraseodidaktik als relativ junge Teildisziplin der Phraseologie (vgl. Ettinger 2019: 87) lassen sich anhand erster markanter Publikationen in den späten 1970er Jahren festmachen, die vor allem von PraktikerInnen im schulischen Kontext veröffentlicht wurden (vgl. Mückel 2023: 2). Vorläufer finden sich jedoch schon viel früher, in einer von Gonzáles Rey (2012: 70) als präphraseodidaktisch beschriebenen Phase, in der beispielsweise Übungen zu Phrasemen veröffentlicht wurden (so etwa im zweiten Band des Traité de Stylistique française 1909 von Charles Bally). Mehrere lexikographische Werke, die ab dem 17.-Jahrhundert zu didaktischen Zwecken erstellt wurden, weisen ebenfalls bereits eine phraseologi‐ sche Ausrichtung auf und wurden als „Phraseologien“ veröffentlicht (vgl. Autelli 2021: 321 f.; Autelli & Konecny 2023: 9). Der Terminus Phraseodidaktik als solcher wurde schließlich, wie Ettinger (2019: 89) feststellt, erstmals 1979 von Wolfgang Eismann mit Bezug auf die sowjetische Phraseologie verwendet und fand im deutschsprachigen Raum vor allem durch die Publikationen von Kühn (1987, 1992), aber auch von Lüger (1997) und Ettinger (1998) größere Aufmerksamkeit. Einen weiteren Meilenstein in der Verbreitung sowohl des Begriffs als auch der phraseodidaktischen For‐ schung scheint der von Lorenz-Bourjot & Lüger herausgegebene Sammelband Phraseologie und Phraseodidaktik (2001) darzustellen, der den Terminus bereits im Titel verwendet (vgl. Ettinger 2019: 89). Ein wesentlicher Anteil an der zusätzlichen Etablierung als eigenständiger phraseologischer Bereich dürfte sodann auch dem von Hallsteinsdóttir, Winzer-Kiontke & Laskowski (2011) herausgegebenen Themenheft Phraseodidactics/ Phraseodidaktik der Zeitschrift Linguistik Online zuzuschreiben sein, das mehrere einschlägige Studien einem breiteren Publikum im Open Access zugänglich machte. Ab den 2000er Jahren hat sich die Phraseodidaktik als Terminus und Forschungsbereich parallel auch in romanischsprachigen Ländern und Sprachen zu verbreiten begonnen, vorangetrieben besonders durch die Arbeiten von Gonzáles Rey (z. B. 2004, 2012, 2014). Während sich die Phraseodidaktik in ihren Anfängen primär am schuli‐ schen Unterricht orientierte, nahm sie ab den 1990er Jahren verstärkt auch universitäre Sprachkurse in unterschiedlichen Sprachen und damit auch fort‐ 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 211 <?page no="212"?> geschrittenere Lernende in den Blick (vgl. Ettinger 2019: 89). Der von Mückel (2023) herausgegebene Sammelband Didaktische Perspektiven der Phraseologie in der Gegenwart. Ansätze und Beiträge zur deutschsprachigen Phraseodidaktik in Europa weitet die Lernkontexte schließlich wieder auf nichtuniversitäre Bildungseinrichtungen aus und spiegelt damit die aktuellen Handlungsräume der Phraseodidaktik wider. Mückel (2023: 3) folgend können vier Bereiche identifiziert werden: „universitäre fremdsprachliche Phraseodidaktik - schu‐ lische fremdsprachliche Phraseodidaktik - schulische erstsprachliche/ mutter‐ sprachliche Phraseodidaktik - universitäre erstsprachliche/ muttersprachliche Phraseodidaktik“. Der vorliegende Beitrag ordnet sich in die ersten beiden Bereiche ein, insofern sich das vorgestellte Lernmaterial Facciamo bella figura! (Schmiderer et al. 2021a) für eine Verwendung sowohl im schulischen Fremd‐ sprachenunterricht als auch mit Studierenden zu Beginn ihrer universitären Sprachausbildung eignet. 2.2 Phraseodidaktische Methodik Einer der ersten und bisher wohl auch meist zitierten Vorschläge für die Arbeit mit Phrasemen im Fremdsprachenunterricht stammt von Kühn (1992: 178 ff., 1994: 424 ff.), der den sogenannten „phraseodidaktischen Dreischritt“ erarbei‐ tete. Dieser umfasst als drei wesentliche Phasen das Erkennen, Entschlüsseln und Verwenden von Phrasemen, und wurde sowohl für den muttersprachli‐ chen als auch den fremdsprachlichen Unterricht entwickelt. Lüger (1997: 101) schlägt schließlich vor, zwischen der Phase des Entschlüsselns und Anwendens phraseologischer Einheiten eine zusätzliche Festigungsphase einzufügen und das Modell somit auf einen „Vierschritt“ auszudehnen. Ein weiteres „Phasierungsmodell“ (Strohschen 2021: 94) stellt das von Artusi (2017) für den Erwerb syntagmatischer Verben adaptierte III-Modell dar, das ursprünglich von Pugliese (2015) für die Arbeit mit Diskursmarkern konzipiert wurde. Im III-Modell folgen die Phasen der Illustration, Interaktion und Induk‐ tion aufeinander: Zunächst soll durch eine Vielzahl an mündlichen Beispielen das Entdecken von Regeln angestoßen werden, woraufhin die Lernenden ihre Beobachtungen und Vermutungen in Gruppen diskutieren sollen. Diese Gruppendiskussion soll schließlich in ersten Formulierungen von Regeln bzw. Verallgemeinerungen münden, die die beobachteten Aspekte erklären und in der Folge durch weitere Beispiele überprüft werden können. Im Sinne der in den letzten Jahren verstärkt diskutierten Konstruktionsdidak‐ tik (vgl. z. B. De Knop & Mollica 2024) schlagen einige PhraseodidaktikerInnen auch eine Variation bzw. Erweiterung der phraseodidaktischen Schritte durch 212 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="213"?> einen verstärkten pragmatischen und semantischen Fokus vor (s. u. a. Ránics 2021 mit einem „Stufenmodell der pragma-semantischen Konstruktionsdidak‐ tik“). Während der phraseodidaktische Drei- und Vierschritt in der Zeit ihrer Konzeption durchaus eine Innovation für die Phraseodidaktik darstellten, kann heute die Frage gestellt werden, ob „der ‚phraseodidaktische Dreischritt‘ […] noch aus[reicht]? “ (Ettinger 2019: 99) und die durch das Schritt-Modell sowie seine Erweiterungen gegebene Verhaftung in einem stark kognitiven Lernpara‐ digma nicht zugunsten eines konstruktivistischeren Paradigmas aufgeweicht werden sollte. Chrissou (2020a, 2021) macht hierzu Vorschläge, die den phraseo‐ didaktischen Vierschritt in eine umfassendere didaktische Einheit im Sinne des aufgabenorientierten Fremdsprachenlernens einzubetten versuchen, um mehr Raum für eine eigenständige Wissenskonstruktion durch die Lernenden zu schaffen. Auch Artusi (2017: 404 ff.) schlägt bereits eine Eingliederung der drei Phasen (Illustration, Interaktion, Induktion) in ein aufgabenorientiertes Modell vor, in dem ein klar definiertes Ziel festgelegt wird, dem alle weiteren Aktivitäten untergeordnet sind. Ein solches Ziel oder finales Produkt könnte, so Artusi (ibid.: 405), beispielsweise ein Glossar in einem Wiki oder ein zusam‐ menfassender Eintrag auf einer multimedialen Plattform (Blog, Forum, Website etc.) sein. Inwieweit sich diese „Aufgaben“ von solchen im Sinne des TBLT (z. B. Ellis 2003) unterscheiden, wird in Abschnitt 3 diskutiert. Den bisher genannten „Phasierungsmodellen“ (Strohschen 2021: 94) liegt eine klare Textorientierung zu Grunde (Sadiku, Sadikaj & Bergerová 2021: 262), die dem u. a. bereits von Kühn (1996: 13, 2013: 158) formulierten Postulat nach (mehr) Textarbeit in der Wortschatz- und Phraseodidaktik gerecht zu werden versucht und ausgehend von einem breiten Textbegriff zu interpretieren ist. Neben literaturdidaktischen Beiträgen, die Phraseme in literarischen Texten und deren mögliche Behandlung im Unterricht thematisieren (z. B. Bernstein 2023; Preußer 2023), ziehen daher neuere text(sorten)basierte Ansätze etwa auch Fotoromane und Beratungstexte in Jugendzeitschriften (Bergerová 2020, 2023), Podcasts (Chrissou 2021) oder Untertitelungen von Fernsehserien (Motta 2017) heran und wollen durch die Text- und Textsortenwahl die Lebenswelt der jeweiligen Zielgruppen aufgreifen. Damit kommen aktuellere Publikationen auch der Forderung von PhraseologInnen sowie PhraseodidaktikerInnen wie Konecny, Hallsteinsdóttir & Kacjan nach, die in einem Überblicksartikel (2013: 161) vorschlagen, „[z]usätzlich zu den herkömmlichen Unterrichtsmethoden und -materialien […] Phraseologie im Unterricht u. a. durch Filme, Lieder und Werbetexte [zu] vermittel[n].“ 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 213 <?page no="214"?> Neben der Text(sorten)orientierung lassen sich in den letzten Jahren in der (vorwiegend deutschsprachigen) Phraseodidaktik weitere methodische Ent‐ wicklungen ausmachen. So kommen seit einiger Zeit vermehrt lexikographische Ansätze zum Einsatz, die phraseographische Ressourcen u. a. auch mit Blick auf deren mögliche Anwendung im Sprachunterricht oder im Selbststudium konzipieren und realisieren, wie es z. B. für das Italienische auf der Lernwebseite GEPHRI (o. J.) zutrifft (vgl. Schafroth & Imperiale 2019), in deren Rahmen auf Basis von Korpusanalysen umfangreiche „PhraseoFrames“ (Schafroth 2013) zu frequenten italienischen Idiomen mit didaktischer Zielsetzung erstellt wurden. Ihrerseits wiederum z. T. auf lexikographischen sowie besonders auf korpus‐ linguistischen Untersuchungen fußen jene Studien, die für bestimmte Sprachen ein sogenanntes „phraseologisches Minimum“ oder „Optimum“ für didaktische Zwecke zu erarbeiten versuchen (vgl. Hallsteinsdóttir 2011: 8; Ettinger 2019: 95), d. h. eine Art phraseologischen Grundwortschatz, wie er bereits von Hessky (1992: 167) gefordert wurde. Am bekanntesten scheint diesbezüglich der Vorschlag für ein phraseologisches Optimum deutscher Idiome seitens Hallsteinsdóttir, Šajánková & Quasthoff (2006) zu sein, der sich neben Frequen‐ zanalysen in Korpora methodisch auch auf Befragungen zur Bekanntheit von (in phraseologischen Übungs- und Lernwörterbüchern enthaltenen) Idiomen unter ProbandInnen stützt und auf dieser Basis zu einer empirisch fundierten Liste von 143 Phrasemen gelangt (ibid.: 133-136), die im Kernbereich des phraseologischen Optimums anzusiedeln seien. Die betreffende Studie wird in zahlreichen Beiträgen auch neueren Datums immer wieder aufgegriffen, in denen sie als Material- oder Vergleichsgrundlage für weiterführende Überle‐ gungen dient (z. B. Sulikowska 2013: 243 ff.; Chrissou 2023: 203 f., 211; Juska- Bacher 2023: 100-105). Auch für einige andere Sprachen wurden korpusbasierte phraseologische Minima bzw. Optima entwickelt, so etwa von Kopřivová (2023) für das Tschechische. Darüber hinaus finden auch multimediale sowie erste plurilinguale Ansätze in der Phraseodidaktik Verbreitung, die einerseits versuchen, die Möglichkeiten unterschiedlicher (digitaler) Medien für die Phrasemarbeit nutzbar zu machen, und andererseits die strikte Trennung von Einzelsprachen zugunsten eines dynamischeren Ansatzes aufheben (vgl. z. B. Mena Martínez & Strohschen 2023): Didaktisch relevante Phrasemdatenbanken und Online-Lernplattformen mit interaktiven Übungen stehen bereits seit einiger Zeit zur Verfügung (s. u. a. Bergerová 1998-2006; SprichWort 2008-2010; EPHRAS o. J.; Ettinger o. J.; ReDeWe o. J.). Nach wie vor selten sind hingegen plurilingual ausgerichtete phraseodidaktische Lernmaterialien, die nicht nur Brücken und Transferphä‐ nomene zwischen typologisch ähnlichen Sprachen nutzen (s. z. B. für Englisch 214 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="215"?> und Deutsch die Materialien von Mena Martínez, Strohschen & Hallsteinsdóttir 2021), sondern das plurilinguale Repertoire der Lernenden als solches adressie‐ ren. 2.3 Phraseodidaktische Materialien und Materialanalysen für das Italienische als L2 Für das Italienische als L2 hat Stanič (2014) eine Analyse von 13 zwischen 2003 und 2013 publizierten Lehrwerken für erwachsene und jugendliche Lernende im slowenischen Kontext vorgelegt. Dabei zieht sie sowohl die Inhaltsverzeichnisse der Lehrwerke unterschiedlicher Sprachlernniveaus (A1 bis C2 nach dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen [GeR]) als auch die darin verwendeten Materialien wie Texte, Dialoge und Übungen heran und analysiert die Nennung von Phrasemen im Inhaltverzeichnis, die Zeitpunkte und Häufigkeiten ihres Auftretens, die verwendeten Übungstypologien sowie die behandelten Aspekte von Phrasemen (ibid.: 173). Es überrascht nicht, dass sie in den Lehrwerken unterschiedliche Herangehensweisen sowohl in Bezug auf die methodische Umsetzung als auch die unterschiedlichen Sprachlernniveaus findet. So geht aus ihren Analysen (ibid.: 181 ff.) hervor, dass sich die niedrigeren Niveaus (A1-B1) quantitativ sehr stark von den höheren Niveaus (B2-C2) unterscheiden, was mit den Deskriptoren des GeR übereinstimmt. Auf den Niveaustufen A1 bis B1 finden sich - in Zusammenhang mit dem thematischen Fokus der jeweiligen Lehrwerkslektion - überwiegend satzäquivalente Routi‐ neformeln (formule frastiche) und satzeinleitende Chunks (strutture fisse, z. B. La prego di… ‚Ich bitte Sie, …‘), die auch die einzigen Phraseme darstellen, die auf diesen Niveaus explizit behandelt werden. Auf den höheren Stufen macht Stanič hingegen eine deutlich gewichtigere Rolle der Phraseme aus, die sich hier vor allem qualitativ von jenen der niedrigeren Niveaus unterscheiden: Während Routineformeln und Chunks in den Hintergrund treten, gewinnen Kollokationen und besonders idiomatische Wendungen vermehrt an Bedeutung und werden sowohl implizit als auch explizit behandelt. Dennoch werden Phraseme, so Staničs Befund, in allen untersuchten Lehrwerken primär in Bezug auf ihre Bedeutung und kaum in Bezug auf ihre Form und Verwendung thematisiert. Eine weitere Lehrwerksanalyse findet sich in Artusi (2017: 396 ff.), der seinen Fokus jedoch auf syntagmatische Verben legt und für seine Studie 30 in öffent‐ lichen Sprachinstituten der Provinz Valencia verwendete Italienischlehrwerke heranzieht. In den untersuchten Inhaltsverzeichnissen sowie den Lesetexten und Lernaktivitäten der Lehrwerkslektionen findet er keine Verwendung des 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 215 <?page no="216"?> Begriffs verbi sintagmatici, sehr wohl aber über alle Lehrwerke hinweg den Gebrauch zahlreicher syntagmatischer Verben in den Texten der Lektionen selbst; explizite Aktivitäten dazu würden allerdings keine angeboten. Neben seiner Lehrwerksanalyse präsentiert Artusi (2017: 405 ff.) auch ein Bei‐ spiel für Lernaktivitäten des Italienischen, die dem in Abschnitt 2.2 vorgestellten III-Modell folgen. Weitere didaktische Vorschläge zu italienischen Phrasemen finden sich bei Lisciandro (2018: 219 ff.), der im Rahmen seiner Doktorarbeit sechs an den kommunikativen Ansatz angelehnte Lerneinheiten konzipiert, die progressiv für AnfängerInnen bis hin zu fortgeschrittenen Lernenden eingesetzt werden können. Jede didaktische Einheit beinhaltet eine Vorbereitungsphase, Wortschatzübungen, die sowohl freie Wortverbindungen als auch Kollokatio‐ nen, Mehrwortausdrücke, Idiome, Routineformeln und Sprichwörter umfassen, eine Aktivität zur mündlichen Produktion sowie eine abschließende schriftliche Aktivität. Abgesehen von den genannten Beispielen gibt es mehrere, von unterschied‐ lichen Verlagen veröffentlichte Lernmaterialien zum Wortschatzlernen im Ita‐ lienischen (z. B. Aprile 2008), die teilweise auch Phraseme abdecken. Die betreffenden Beiträge können hier jedoch nicht im Detail besprochen werden, zumal darin über die präsentierten Materialien hinausgehend keine konkrete phraseodidaktische Herangehensweise beschrieben wird. 3 Aufgabenorientierung und Phraseodidaktik 3.1 Aufgaben zur Förderung phraseologischer Kompetenz Der aufgabenorientierte Ansatz des Fremdsprachenlernens, im Englischen Task- Based Language Teaching (TBLT) [s. auch Lenzing & Hirzinger-Unterrainer in diesem Band], ist in den 1980er Jahren als konsequente Weiterentwicklung zum Kommunikativen Ansatz entstanden und hat seitdem im Bereich der gesteuerten Zweitspracherwerbsforschung (Instructed Second Language Acqui‐ sition [ISLA] Research) stark an Interesse gewonnen. Im Zentrum aufgabenori‐ entierten Unterrichts, aufgabenorientierter Curricula, von Lernmaterialien und Überprüfungen stehen - auch im Unterschied zum kommunikativen Fremd‐ sprachenunterricht - sogenannte „Aufgaben“ (Tasks). In der internationalen Fachliteratur liegen durchaus unterschiedliche Defini‐ tionen von Aufgaben vor (für einen Überblick vgl. Bygate, Skehan & Swain 2001: 9 f.; Ellis 2003: 4 f.; Van den Branden 2006: 4), es scheint aber Einigkeit darüber zu bestehen, dass der Fokus einer Aufgabe auf der Verwendung der Zielsprache für einen kommunikativen Zweck liegt und somit eindeutig die Übermittlung von Bedeutung (Focus on Meaning) und nicht die sprachliche Form (Focus on 216 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="217"?> Forms) im Mittelpunkt steht. Nach Ellis’ (2003, 2009) vielzitierter Definition von Aufgaben müssen zudem folgende Kriterien erfüllt sein, um von einer - sowohl lebensnahen als auch pädagogischen - Aufgabe sprechen zu können: • LernerInnen sollen sich bei der Bewältigung der Aufgabe auf ihre eigenen zielsprachlichen Ressourcen stützen können. • Es bedarf einer gewissen Lücke (information, reasoning oder opinion gap), die Interaktion erforderlich macht. • Es muss ein klar definiertes Ergebnis erzielt werden, das über die reine Verwendung der Zielsprache hinausführt. Das Potenzial von kommunikativen, lernerInnenorientierten Aufgaben hat in der Wortschatzsowie in der Phraseodidaktik jedoch bisher kaum Beachtung gefunden. In der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik bemängeln etwa Michler & Reimann (2019: 134 f., Hervorhebung von K. S.), dass beim Wort‐ schatzlernen im Allgemeinen durch eine stark am Modell des Präsentierens, Praktizierens und Produzierens orientierte Vorgehensweise „eine Zwischen‐ stufe zur Anwendung etwa im Kontext von Lernaufgaben oft vernachlässigt“ wird. Chrissou (2022: 137) moniert als einer der wenigen PhraseodidaktikerIn‐ nen, dass die „didaktische Aufbereitung [von Phrasemen] vielfach ausschließ‐ lich durch geschlossene formfokussierte Übungen mit tutoriellem Charakter realisiert [wird]“. Die Umsetzung des phraseodidaktischen Drei-/ Vierschritts als Phasenmodell im engeren Sinn führe bei der Gestaltung von Lernmaterialien oft dazu, dass diese „den Lernprozess eng steuern, da sie ohne Einbettung in ein umfassendes, inhaltsorientiertes unterrichtliches Vorgehen wenig Raum für Eigeninitiative und aktive Wissenskonstruktion lassen“ (Chrissou 2021: 17). Der Autor schlägt im Gegenzug eine aufgabenorientierte Herangehensweise vor, die „anhand von Aufgaben über die Erarbeitung der phraseologischen Form hinausgeht und den Akzent stärker auf kommunikative Aktivitäten setzt“ (Chrissou 2022: 138). In diesem Zusammenhang wirft er die Frage auf, „wie sich ein didaktisches Vorgehen gestalten lässt, das die formfokussierte Erarbeitung phraseologischer Strukturen einbezieht, aber über diese hinausgeht, indem sie die phraseologiebezogene Wortschatzarbeit im Fertigkeitstraining verankert“. Er präsentiert in der Folge eine Kombination des phraseodidaktischen Vier‐ schritts mit inhaltsorientierten Aufgaben, wobei ersterer „vorgelagert wird und in dieser Abfolge allmählich zu funktionalem Sprachgebrauch überleitet“ (ibid.: 141). Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass Chrissou in seiner weiten Definition von Aufgaben als Aktivitäten zum Fertigkeitstraining (ibid.: 140) nur teilweise den in der TBLT-Literatur gängigen Charakteristika einer kommunikativen Aufgabe gemäß Ellis (2003, 2009; s. oben) folgt. 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 217 <?page no="218"?> Die von Chrissou (2020: 24 ff., 2022: 149) präsentierten Aufgaben legen zwar den Fokus auf die Bedeutung von Phrasemen, wie etwa bei der Aktivität „Recherchieren Sie im DWDS-Korpus […] nach Beispielsätzen, in denen das Phrasem ,ein/ sein blaues Wunder erleben‘ vorkommt. Wer kann ein blaues Wunder erleben? In welchen Situationen? Taucht das Phrasem auch in modifi‐ zierter Form auf ? Welche Absicht verfolgt mit diesen Modifikationen der/ die Autor/ in? “ (Chrissou 2020a: 24). Allerdings erfordern die Aktivitäten nicht zwangsläufig die Verwendung der Zielsprache für einen kommunikativen Zweck (z. B. bei der Aktivität „Suchen Sie im Wochenhoroskop […], das Ihrem Sternzeichen entspricht, nach Phrasemen. Wiederholen Sie die Suche für insgesamt vier Wochen. Notieren Sie sich die Phraseme und ordnen Sie sie den Kategorien des onomasiologischen Wörterbuchs Ettingers zu […]. Welche Phraseme werden im Wörterbuch unter derselben onomasiologischen Kategorie angeführt? “ [ibid.]). Die vorgeschlagenen Aktivitäten erlauben es den Lernen‐ den auch nicht, auf ihre eigenen sprachlichen Ressourcen zurückzugreifen und laufen vor allem nicht auf ein spezifisches, über das Sprachliche hinausgehendes Produkt hinaus („Führen Sie zu zweit ein Rollenspiel zum Thema ,Karneval […]: Spaß pur oder reiner Unsinn? ‘ durch, in dem Sie Phraseme verwenden, die Sie den Kategorien ,Zustimmen‘, ,Widersprechen‘ und ,Ablehnen‘ aus Ettingers Wörterbuch entnehmen“ [Chrissou 2020a: 25]). Vielmehr zielen die Aktivitäten, auch wenn sie in einen situativen Kontext eingebunden sind, auf das Einüben von Phrasemen ab, die von Lehrpersonen oder dem Lernmaterial vorab ausge‐ wählt werden. Ähnliche Beispiele finden sich in Hallsteinsdóttir & Chrissou (2024: 19). Letztere verweisen aber auch auf die Beschreibung von Aufgaben in Huneke & Steinig (2010: 221), die „nicht wie Übungen an eine bestimmte Form der Sprachverwendung gebunden [sind]“ und die „unterschiedliche Mög‐ lichkeiten der Lösung [eröffnen], mitunter auch solche, die der Lehrer zuvor nicht gesehen hat. Sie entstehen im gemeinsamen Unterricht. Ihre Bearbeitung erfordert es, sich in der L2 mitzuteilen und auszutauschen.“ Wie dies konkret gelingen kann, soll im folgenden Abschnitt aufgezeigt werden. 3.2 Phraseme im Rahmen von Aufgaben In aufgabenorientiertem Lernmaterial, wie auch dem hier präsentierten Fac‐ ciamo bella figura! (Schmiderer et al. 2021a), stellen kommunikative Aufga‐ ben nach Ellis (2003) die zentrale Einheit des Sprachenlernens dar, wodurch 218 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="219"?> 1 Im PPP-Ansatz (vgl. Byrne 1986) werden zunächst sprachliche Strukturen induktiv anhand schriftlicher oder mündlicher Textbeispiele oder deduktiv mithilfe expliziter Erklärungen eingeführt (Presentation). In einem zweiten Schritt werden die Strukturen in gesteuerten Aktivitäten geübt (Practice), bevor die Lernenden die zuvor präsentierten und geübten Strukturen schließlich anwenden und frei produzieren sollen (Production). 2 Beispiele für Aufgaben im Italienischunterricht finden sich auch im Sammelband von Hirzinger-Unterrainer (2024). 3 Ein FonFs lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte sprachliche Formen, die auf Basis eines strukturellen Lehrplans ausgewählt, präsentiert und geübt werden sollen (vgl. Ellis 2016). die Reihenfolge eines PPP 1 -Ansatzes, so auch des phraseodidaktischen Drei-/ Vierschritts, im Grunde umgekehrt wird. Phraseme stellen dabei nicht den Ausgangspunkt der Lernaktivität dar. Stattdessen werden kommunikative Auf‐ gaben, denen Lernende auch außerhalb des Unterrichts begegnen können, an den Anfang der Lerneinheit gestellt. Gezielte Übungen zu Phrasemen ergeben sich aus der Durchführung der Aufgabe und werden folglich nachgeordnet. Diese „Nachordnung“ im chronologischen Ablauf bedeutet jedoch keineswegs, dass den Phrasemen insgesamt weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ganz im Gegenteil gehen AutorInnen wie Cortés Velásquez & Nuzzo (2018: 31) davon aus, dass die Aufmerksamkeit der Lernenden für bestimmte formalsprachliche Aspekte im Rahmen einer Aufgabe höher ist als in traditionellen Übungsforma‐ ten, weil sie während der Bearbeitung der Aufgabe ohnehin einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf sprachliche Aspekte lenken müssen. Cortés Velásquez & Nuzzo (ibid.) erwähnen dafür mehrere Beispiele, die allesamt lexikalische As‐ pekte der Zielsprache betreffen: Beispielsweise könnten sich Lernende während einer Aufgabe fragen, welche die beste Art und Weise ist, um eine Idee zu formulieren, wie man X in der Zielsprache ausdrückt, ob es andere, ähnliche Ausdrücke für X gibt etc. Wie die Bearbeitung von Phrasemen konkret im Rahmen des Task Cycle (Willis 1996; Willis & Willis 2007) umgesetzt werden kann, wird in Abschnitt 4.3.3 im Detail veranschaulicht. 2 Im Bereich der gesteuerten Zweitspracherwerbsforschung herrscht Konsens dahingehend, dass Lernaktivitäten primär die sprachliche Bedeutung (Focus on Meaning) in den Mittelpunkt stellen, gleichzeitig aber auch Gelegenheiten für einen Fokus auf die sprachliche Form der L2 (Focus on Form) ermöglichen sollten (Long 2016). Long (1991: 45 f.), der den Begriff des Focus on Form (FonF), in Abgrenzung zu Focus on Forms (FonFs) 3 , prägte, definiert FonF als Ansatz wie folgt: „FonF overtly draws students’ attention to linguistic elements as they arise incidentally in lessons whose overriding focus is on meaning or communication“ (ibid.). Demnach ist FonF als ungeplante Reaktion auf ein Kommunikationsproblem und damit als Aushandlungsprozess oder - in Longs 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 219 <?page no="220"?> Worten (1983) - als „negotiation of meaning“ definiert. Anders gesprochen umfasst FonF eine kurzfristige Verlagerung der Aufmerksamkeit der Lernenden weg von der Bedeutung hin zu formalen Aspekten der Sprache, während das übergeordnete Kommunikations- und Handlungsziel aufrechterhalten bleibt. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass FonF zwar in ISLA häufig in Hinblick auf grammatische Strukturen diskutiert wird, aber keineswegs auf solche beschränkt ist, wie Ellis (2016: 408 f.) es treffend formuliert: „,Form‘ is often misunderstood as referring solely to grammatical form. In fact, ,form‘ can refer to lexical (both phonological and orthographic), grammatical and pragmalinguistic features.“ Darüber hinaus liegt bei einem FonF kein reiner Fokus auf die Form vor: Gerade im lexikalischen Bereich kommt es nämlich oft zu einer Verquickung zwischen Form und Bedeutung. Auf Basis zahlreicher Studien kann generell von positiven Effekten kommu‐ nikativer Aufgaben für den Zweitspracherwerb ausgegangen werden, jedoch wurde bisher nur in wenigen Studien die Verwendung von Aufgaben konkret für den Wortschatzerwerb untersucht (s. Ellis et al. 1994; Kowal & Swain 1994; Ellis & He 1999; Gass & Torres 2005; Loewen & Philp 2006; Kim 2008): Aus diesen wenigen Studien geht zunächst hervor, dass Aufgaben Lernende dazu motivie‐ ren, den erhaltenen Input zu bearbeiten und sich gegenseitig beim Erschließen der Bedeutung unbekannter Wörter zu helfen (Kowal & Swain 1994; Loewen & Philp 2006). Darüber hinaus unterstützen Aufgaben sowohl den produktiven als auch den rezeptiven Wortschatzerwerb (Ellis & He 1999; Gass & Torres 2005). Interessant scheint zudem, dass die Verwendung von Aufgaben auch dann für die Wortschatzentwicklung von Lernenden unterstützend sein kann, wenn diese nicht aktiv an der Interaktion teilhaben (Ellis et al. 1994). Einen positiven Einfluss der Interaktion auf den Wortschatzerwerb weist schließlich auch Kim (2008) nach, die in ihrer Studie einen individuellen mit einem kollaborativen Dictogloss-Task hinsichtlich der produzierten lexikalisch-relevanten Episoden (LRE) und dem tatsächlichen Wortschatzerwerb vergleicht. Dabei stellt sie fest, dass die kollaborative Gruppe eine größere Anzahl an LREs lösen konnte und auch im Wortschatztest signifikant besser abschnitt. Diese Studie bestätigt damit eine positive Beziehung zwischen LRE in der Durchführung einer Aufgabe und dem Wortschatzerwerb sowie einen positiven Effekt kollaborativer im Vergleich zu individuellen Tasks (vgl. für eine Zusammenfassung Nguyen & Larsen-Freeman 2018: 168 ff.). Die zitierten Studien beziehen sich allesamt auf die Wortschatzentwicklung im Allgemeinen; Studien, die sich explizit mit dem Erwerb phraseologischer Kompetenz im Rahmen kommunikativer Aufgaben befassen, sind demgegen‐ über selten. Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Nguyen & Larsen- 220 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="221"?> 4 Nguyen & Larsen-Freeman (2018: 168) definieren formelhafte Sequenzen als „any multiword sequences, including phrasal verbs (e. g. mull over, wind down), collocations (e. g. firmly entrenched), idioms (e. g. drop the ball, at the mercy of) - expressions that are mostly prefabricated but also allow the insertion or deletion of certain items“. Freeman (2018) dar, die der Frage nachgehen, ob es sinnvoll ist, Aufgaben zu verwenden, um formelhafte Sequenzen 4 zu unterrichten. In ihrer Interventions‐ studie schnitten die aufgabenorientierten Gruppen im Vergleich zur herkömm‐ lich unterrichteten Kontrollgruppe signifikant besser ab (ibid.: 189). Die Studie scheint damit zu belegen, dass Tasks für die Lenkung der Aufmerksamkeit von Lernenden auf lexikalische Strukturen wirksam sind und dass sie potentiell auch den Erwerb formelhafter Sequenzen erleichtern. Dass Aufgaben zahlreiche Gelegenheiten für lexikalischen Fokus bieten, belegen auch bereits Williams (1995), Ellis et al. (2001) und Loewen (2005). Aus Williams (1995) geht hervor, dass sich der in Gruppenarbeiten von Lernenden selbst initiierte FonF hauptsächlich auf lexikalische Aspekte richtet. Auch Ellis et al. (2001) konnten in einer 12-stündigen TBLT-Einheit in zwei Klassen mit erwachsenen L2-Englischlernenden 159 lexikalische im Vergleich zu 76 phonetischen und phonologischen und 163 grammatikalischen Fokussierungen identifizieren. In einer Folgestudie von Loewen (2005) entfielen in 32 TBLT- Unterrichtsstunden 43 % aller formalen Fokussierungen auf lexikalische Her‐ ausforderungen, während 33 % grammatische Aspekte und 22 % die Aussprache betrafen. 3.3 Das Aufgaben-Framework nach Willis (1996) Als mögliche konkrete didaktische Umsetzung für Aufgaben mit einem sprach‐ lichen Fokus auf Phraseme schlagen wir das Framework von Willis (1996: 38) und Willis & Willis (2007) vor (s. Abbildung 1), das vor allem in der englisch- und spanischsprachigen Fremdsprachendidaktik stark rezipiert wurde. Willis (1996) definiert darin drei wesentliche Phasen einer Aufgabe: einen vorberei‐ tenden Pre-Task, den Task Cycle und den nachgeordneten Language Focus. Die Vorbereitungsphase sieht eine Einführung in das Thema und die zu bearbei‐ tende Aufgabe vor, kann aber auch zur Aktivierung und Vorbereitung von sprachlichen Strukturen, etwa durch text-, audio- oder videobasierte Aktivitäten und Modellaufgaben, dienen. Damit bietet bereits die auf den eigentlichen Aufgabenzyklus vorbereitende Phase großes Potenzial für die Phrasemarbeit, sowohl zur Wiederholung bereits bekannter als auch zur Begegnung mit neuen Wortverbindungen. 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 221 <?page no="222"?> In weiterer Folge bearbeiten die Lernenden die Aufgabe im Task Cycle meist in Partner- oder Gruppenarbeit, je nach Zielsetzung teils auch individuell oder mit Gruppenanteilen, und bereiten zudem eine Präsentation ihrer Ergebnisse (Plan‐ ning) in der Zielsprache vor, wobei die Lehrperson sie beratend begleitet. Nach der Produktpräsentation bzw. dem Ergebnisbericht (Report, z.-B. einem Bericht über die Entscheidung, die die Gruppe getroffen hat) kann im Klassenverband eine Fokussierung auf spezifische sprachliche Elemente vorgenommen werden (Language Focus). Das sprachbezogene Analysieren und Üben im Rahmen einer Aufgabe scheint dabei vor allem für Strukturen relevant, die die Lernenden bei der Durchführung der konkreten Aufgabe verwendet haben, versucht haben zu verwenden oder gebraucht hätten, um die Aufgabe gut zu bewältigen (vgl. Cortés Velásquez & Nuzzo 2018). Für diese Phase kann die Lehrperson, als Reaktion auf die in der Aufgabe verwendete Sprache, ad hoc für den jeweiligen (lernerInnensprachlichen) Ent‐ wicklungsstand der Lernenden Aktivitäten anbieten. Für die Entwicklung von aufgabenorientiertem Lernmaterial stellt sich die Herausforderung, dass nicht für alle Lernenden und deren individuelle Lernersprachen passende Strukturen im Vorfeld festgelegt werden können. Daher können die gebotenen Materialien immer nur als Vorschläge verstanden werden, die im jeweiligen Lernkontext angepasst werden müssen. Vorbereitungsphase (Pre-Task) Einführung in das Thema und die Zielsetzungen der Aufgabe, Arbeit mit Beispielaufgaben (Text, Audio, Video etc.), inhaltliche und sprachliche Vorentlastung Task-Wiederholung Ähnliche Aufgabe (z. B. anderes Genre, andere PartnerInnen) Sprachlicher Fokus (Language Focus) Analyse sowie Üben von sprachlichen Mitteln Task Cycle Aufgabe Planung der Präsen- Präsentation der (Task) tation (Planning) Aufgabe (Report) SchülerInnen führen SchülerInnen bereiten SchülerInnen präsendie Aufgabe in Tandemeinen Bericht vor; tieren Ergebnisse der oder Kleingruppen- Lehrperson untergesamten Lerngruppe; arbeit durch; Lehrperstützt/ berät Lehrperson moderiert son unterstützt/ berät und gibt Feedback Abbildung 1: Das Aufgaben-Framework nach Willis (1996: 83) (deutsche Übersetzung: Hinger & Schmiderer 2023: 12) 222 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="223"?> 3.4 Aufgabenorientierung und Korpusbasierung Trotz der schwer vorhersehbaren konkreten Umsetzung der Aufgaben seitens der Lernenden lassen sich bestimmte sprachliche Mittel ausmachen, die für die Aufgabenerfüllung notwendig sind und mit größerer Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Durchführung auftreten. Im hier präsentierten Lernmaterial wurden dafür korpuslinguistische Analysen des LeKo-Lernerkorpus in Kombi‐ nation mit Untersuchungen von L1-Korpora des Italienischen herangezogen, die einerseits in die Festlegung der Rahmenhandlung des Lernmaterials und dessen inhaltliche Ausrichtung einflossen und andererseits die Basis für die Entwicklung des Language Focus im Rahmen der Aufgabenorientierung (s. Abschnitt 4.3.3) darstellten. Die im Lernerkorpus identifizierten Phraseme wurden zunächst nach seman‐ tischem Feld oder Funktion kategorisiert. In einem weiteren Schritt wurde deren Frequenz in drei L1-Korpora des Italienischen (ItWaC mit ca. 1,6 Milliar‐ den Tokens, PAISÀ mit ca. 250 Millionen Tokens und La Repubblica mit ca. 380 Millionen Tokens) überprüft. Dabei konnte ein frequenzmäßig ähnliches Verhalten von ca. 75 % der im LeKo-Korpus identifizierten Phraseme in den drei L1-Korpora festgestellt werden: Wenn LeKo-Phraseme in einem L1-Korpus häufig vorkommen, trifft dies zum Großteil auch auf die beiden anderen L1-Kor‐ pora zu. Niedrigfrequente LeKo-Phraseme kommen dagegen meist in allen drei L1-Korpora selten vor. Die daraus entstandene, auf den absoluten Frequenzen in den L1-Korpora basierende Rangliste an L2-Phrasemen aus dem LeKo-Korpus floss schließlich in großen Teilen in die Erstellung des sprachlichen Fokus der Aufgaben (s. 4.3.3) ein. Aufgrund der begrenzten Größe des LeKo-Lernerkorpus (ca. 55.000 Tokens) und der Beschränkung auf lediglich zwei thematische Bereiche (1. Organisation eines Urlaubs am Meer oder in den Bergen; 2. Schilderung eines Problems mit dem Kassenzettel im Supermarkt) wurden schließlich auf Basis ausgewählter, thematisch relevanter Substantive (bis zu 15 pro Lektion) in Abhängigkeit von den betreffenden Aufgaben weitere Frequenz- und Typizitätsanalysen vorgenommen, um sogenannte Word Sketches zu ermitteln und das Phrasem‐ spektrum für die Aufgaben von Facciamo bella figura! (Schmiderer et al. 2021a) zu erweitern. Dafür wurde das Webkorpus itTenTen16 (ca. 5 Milliarden Wörter) herangezogen, das anhand der Software Sketch Engine in Hinblick auf die 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 223 <?page no="224"?> 5 Im Falle der unter Abschnitt 4.3 ausschnittsweise vorgestellten Unità 7 beispielsweise wurden mittels des Word Sketch-Tools in Sketch Engine die Kollokationsprofile folgender 10 Substantive gesichtet: alloggio ‚Unterkunft‘, camera ‚Zimmer‘, albergo ‚Hotel‘, gita ‚Ausflug‘, hotel ‚Hotel‘, mare ‚Meer‘, montagna ‚Berge / Gebirge‘, spiaggia ‚Strand‘, vacanza ‚Urlaub‘, viaggio ‚Reise‘. 6 Das Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck bündelt seit 2012 fachdidak‐ tische Forschung und Lehre in geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern sowie Mathematik unter einem institutionellen Dach. Soweit ersichtlich, handelt es sich Kollokationsprofile der jeweiligen Nomina analysiert wurde 5 (vgl. Schmiderer et al. 2020: 244 f.). 4 Ein konkretes Beispiel - Das Lernmaterial Facciamo bella figura! In der Folge sollen Einblicke in die kollaborative Entwicklung von Facciamo bella figura! (Schmiderer et al. 2021a) gegeben (4.1) und die Prinzipien dieses Lernmaterials vorgestellt werden (4.2), bevor schließlich eine Beispielaufgabe im Detail anhand der verschiedenen Phasen des Aufgaben-Frameworks bespro‐ chen wird (4.3). 4.1 Genese: Kooperation zwischen Romanischer Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik Die Zusammenarbeit zwischen Romanischer Sprachwissenschaft und Fremd‐ sprachendidaktik mag naheliegend sein, dennoch ist sie an vielen Standorten im deutschsprachigen Raum „keine praktizierte Selbstverständlichkeit; wo sie überhaupt stattfindet, so ist sie typischerweise eine Einbahnstraße“ (Radatz 2016: 7; zum Verhältnis der beiden Disziplinen s. auch Hinger 2017). Dass eine solche Kooperation durchaus fruchtbringend sein kann, zeigt das hier vorgestellte Materialentwicklungsprojekt Facciamo bella figura! , das ein Followup des primär korpuslinguistisch ausgerichteten Forschungsprojekts „LeKo - Lexemkombinationen und typisierte Rede im mehrsprachigen Kontext“ (vgl. Konecny et al. 2016, 2019; Zanasi et al. 2016, 2019, 2021) darstellt, das gemein‐ sam vom Institut für Romanistik der Universität Innsbruck und dem Institut für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit von EURAC Research (Bozen) durchgeführt wurde. Das LeKo-Projekt verfolgte vorrangig das Ziel der Annotation sowie quan‐ titativen und qualitativen Analyse eines L2-Lernerkorpus des Italienischen hinsichtlich des Gebrauchs phraseologischer Verbindungen. Nach dessen Ab‐ schluss trat das Projektteam an den Bereich Sprachen 6 des Instituts für Fach‐ 224 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="225"?> hierbei um eine im deutschsprachigen Raum bis dato wenig verbreitete Art der Fachdidaktikkooperation. didaktik der Universität Innsbruck mit der Idee der korpusbasierten Material‐ entwicklung heran. Als Gelingensbedingung für die sich daraus schließlich ergebende kollaborative Materialentwicklung kann dabei in erster Linie die Anerkennung der Fachdidaktik als eigenständig forschender wissenschaftlicher Disziplin und damit auch die Anerkennung dort gängiger und gut erforschter Ansätze wie etwa des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts gesehen werden. 4.2 Prinzipien des Lernmaterials Facciamo bella figura! (Schmiderer et al. 2021a) wurde als OER unter einer CC-BY-NC-Lizenz veröffentlicht und ist damit für Lehrende wie Lernende frei zugänglich. Es richtet sich an (leicht-)fortgeschrittene Lernende des Italieni‐ schen als Fremd- oder Zweitsprache in der Sekundarstufe II oder im frühen Tertiärbereich. Das Lernmaterial beginnt mit einem einleitenden Kapitel (Unità 0: „Per cominciare“), in dem den Lernenden der aufgabenorientierte Ansatz sowie die drei ProtagonistInnen des Lernmaterials (Lena, Ada und Leo) und die Rahmenhandlung vorgestellt werden. Die Lernenden sollen Lena bei ihrem Aufenthalt in Bologna begleiten und sich den dabei auftretenden Aufgaben und Herausforderungen in der Vorbereitungs- und Anfangsphase und im folgenden WG-Leben mit den MitbewohnerInnen Ada und Leo stellen, beispielsweise einem Small-Talk im Zug, der Organisation einer Geburtstagsparty oder einem Streitgespräch im WG-Gruppen-Chat. Das einführende Kapitel ermutigt die Lernenden auch dazu, ihre Lernfortschritte am Ende jeder Aufgabe selbst einzuschätzen und ihren Lernprozess mit Hilfe eines Lerntagebuchs zu doku‐ mentieren. Auf diese Weise wird die LernerInnenautonomie (vgl. Schmenk 2008) von Anfang an als wesentliches Prinzip des Lernmaterials mitgedacht. Im Laufe des Lehrwerks wird zudem versucht, den Lernenden je nach Bedarf - jeweils mit einer Büroklammer gekennzeichnet - phraseologisches Scaffolding (z. B. Routineformeln, satzeinleitende Chunks u. Ä.) anzubieten, das sie zur selbst‐ ständigen Bewältigung der (sprachlichen) Herausforderungen der Aufgaben befähigen soll. Eine weitere Differenzierungsmaßnahme stellen die Hinweise auf kulturelle Hintergrundinformationen dar: In sämtlichen Lektionen des Lern‐ materials finden sich Lupen-Symbole, die die Lernenden zur weiterführenden Auseinandersetzung mit (inter-)kulturellen Spezifika motivieren sollen (für eine detaillierte Darstellung des Lernmaterialkonzepts vgl. Hinger 2021: 8 ff.). 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 225 <?page no="226"?> 7 Zur Benennung der Aufgaben wurden jeweils italienische Phraseme (wie hier: „Fare una gita fuori città“, d.-h. ‚Einen Ausflug aus der Stadt raus machen‘) herangezogen. Darüber hinaus werden die Lernenden während der acht Aufgaben bzw. Lek‐ tionen des Lernmaterials Facciamo bella figura! aufgefordert, ein individuelles, mehrsprachiges Glossar anzulegen und dieses sukzessive mit den italienischen Phrasemen der Lektionen sowie den jeweiligen Entsprechungen in ihren Erst-, Zweit- und Drittsprachen zu erweitern (vgl. Morkötter 2019a: 350). Dabei wird auf Basis mehrsprachigkeitsdidaktischer Überlegungen davon ausgegangen, dass im Sinne eines mehrsprachigen mentalen Lexikons „sprachliche Schemata nicht getrennt voneinander gelernt und gespeichert werden, sondern oft mitein‐ ander interagieren“ (Morkötter 2019b: 289), und dass die sprachenübergreifende Herangehensweise dem Netzwerkcharakter des Lexikons folglich besser ge‐ recht werden kann (vgl. auch Lutjeharms 2019: 314). 4.3 Beispielaufgabe Fare una gita fuori città In der ausgewählten Einheit Fare una gita fuori città  7 sollen die Lernenden Lena, die Hauptprotagonistin des Lernmaterials, bei der Planung eines gemeinsamen Wochenendes mit den WG-MitbewohnerInnen unterstützen. Die übergeord‐ nete, über das rein Sprachliche hinausgehende Aufgabe besteht also darin, ein Wochenende auswärts zu planen. Dafür sollen die Lernenden auch Informatio‐ nen über mögliche Destinationen und Angebote verstehen und lernen, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kurzaufenthalte am Meer oder in den Bergen zu besprechen und gegeneinander abzuwägen, Vorschläge einzubringen sowie eine Entscheidung zu treffen und diese auch FreundInnen zu kommunizieren. 4.3.1 Pre-Task Die geplante Aufgabe beginnt mit einem Pre-Task, in dem zunächst die Hand‐ lungssituation kurz präsentiert sowie ein authentisches Reiseangebot von Tren‐ italia mit dem Titel Viaggi senza limiti in tutta Italia nel fine settimana ‚Reisen ohne Limits in ganz Italien am Wochenende’ vorgestellt wird (Schmiderer et al. 2021a: 88 f.). Daraufhin wird den Lernenden eine Liste an Möglichkeiten für einen Kurztrip durch Italien präsentiert. Dabei werden bereits zahlreiche Phraseme, wie Kollokationen (z. B. fare il bagno di mezzanotte ‚zu Mitternacht im Meer/ See schwimmen gehen‘) und nominale Mehrwortausdrücke bzw. Kompo‐ sitaäquivalente (z.-B. castello di sabbia ‚Sandburg‘), verwendet (s. Abbildung 2), die die Lernenden nach ihren persönlichen Präferenzen ordnen und mit einem Partner oder einer Partnerin vergleichen sollen. 226 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="227"?> ! (#)('-$($4#$6-.0%9(3$)%$+4.%*($"$($ 4#@",-'($#-33@A'-#($)%$<-'"#($ ! (#)('-$%#$8('*($(33($B'"00($A/ / 4''($ ! (#)('-$%#$&%'"$,-'$C%3(#"$ ! *".0'4%'-$4#$*(.0-33"$)%$.(88%($.433-$ .,%(&&-$,4&3%-.%$ ! )"'+%'-$%#$4#$0'433" ! -.,3"'('-$%3$D%-+"#0-$*"#$4#($8%*%$ )($*"'.($$ ! 6('-$)-33-$(''(+,%*(0-$#-33-$ : "3"+%0%$ ! 6('-$%3$8(&#"$)%$+-/ / (#"00-$#-3$ ; (&"$)%$B(')($ ! 6('-$.4'6$.433-$.,%(&&-$)-3$; (/ %"$ ! ,('0-*%,('-$(33($6-.0($)%$! (#$ ; "'-#/ "$ ! ,(..-&&%('-$,-'$E'(.0-9-'- ! .(3%'-$.433($*%+($)-33@F0#($ ! 9%.%0('-$&3%$.*(9%$('*5-"3"&%*%$)%$ D"+,-%$ ! 9%.%0('-$%$C4.-%$<(0%*(#%$ ! 9%.%0('-$4#$+-'*(0%#"$)-33@4.(0"$($ D(3-'+"$$ "#$$%&'! 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In dieser ersten Phase der Aufgabe besteht somit eine klare Informationslücke (in‐ formation gap), die nur geschlossen werden kann, wenn die beiden Lernenden sich 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 227 <?page no="228"?> 8 ‚Informationen über die Region und die Natur‘, ‚Zu welcher (Jahres)Zeit hinfahren‘, ‚Mit welchem Verkehrsmittel anreisen‘, ‚Informationen über Unterkünfte‘. auf Basis der ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Informationen austauschen. Der Hörverstehensprozess sowie der Informationsaustausch werden dabei auf Basis mehrerer vorgegebener Kategorien (Informazioni sulla regione e sulla natura, In che periodo andarci, Con quale mezzo di trasporto arrivarci, Informazioni sugli alloggi  8 etc.) gelenkt (s. Abbildung 3.1). In einer weiteren Phase erarbeiten die Lernenden in Vierergruppen, in denen jeweils zwei Lernende für die Destination am Meer und zwei für die Destination in den Bergen eintreten, mithilfe zusätzlichen schriftlichen Inputs Argumente für die eine oder die andere Option (s. Abbildung 3.2). In der anschließenden Gruppendiskussion besteht somit eine Meinungslücke (opinion gap), die durch die Kommunikation in der Zielsprache geschlossen und wodurch eine Entscheidung (al mare - in montagna ‚ans Meer‘ - ‚in die Berge‘) getroffen werden soll. Die Gründe für die Entscheidung werden sodann - wie im Task Cycle in der Report-Phase vorgesehen - der Klasse bzw. der gesamten Lernendengruppe präsentiert. In einer weiteren Phase führen die Gruppen schließlich die Detailpla‐ nung ihrer Reisen durch und präsentieren diese im Anschluss. Abbildung 3.1: Task Cycle (Schmiderer et al. 2021a: 89 ff.) 228 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="229"?> Abbildung 3.2: Task Cycle (Schmiderer et al. 2021a: 89 ff.) 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 229 <?page no="230"?> 4.3.3 Sprachlicher Fokus Ausgehend von der in den Gruppenarbeiten und in den Präsentationen produ‐ zierten Sprache kann in der Phase des sprachlichen Fokus eine Nachbereitung erfolgen, die - auf die Lernersprache der spezifischen Lernenden abgestimmt - sowohl die inhaltliche als auch die sprachliche Ebene der Task-Durchführung betreffen kann. Facciamo bella figura! bietet zu diesem Zweck pro Aufgabe zwei Übungen mit dem Titel „Giocare con le combinazioni di parole“ (‚Mit Wortverbindungen spielen‘). In den entsprechenden Aktivitäten werden Phra‐ seme analysiert und geübt, wobei in den acht Einheiten des Lernmaterials auf unterschiedliche Übungstypen zurückgegriffen wird. In Abbildung 4.1 ist etwa zu sehen, wie Lernende dazu aufgefordert werden, Phraseme aus einer Liste einerseits nach semantischen Feldern (al mare vs. in montagna ‚am Meer‘ vs. ‚in den Bergen‘) sowie andererseits nach persönlichen Einstellungen und Vorlieben (mi piace vs. non mi piace ‚mag ich/ gefällt mir‘ vs. ‚mag ich nicht/ gefällt mir nicht‘) zu kategorisieren. Die betreffenden phraseologischen Einheiten stellen mehrheitlich komplexe Kollokationen dar, wie z. B. fare un tuffo nell’acqua ‚einen Sprung ins Wasser machen‘, fare una gita in barca ‚eine Bootstour machen‘ und intraprendere un viaggio avventuroso ‚eine abenteuerli‐ che Reise unternehmen‘; an mehreren Stellen finden sich aber auch nominale Kompositaäquivalente wie hotel di lusso ‚Luxushotel‘ und sci d’acqua ‚Wasserski‘ oder auch mehrgliedrige Präpositionen wie in mezzo a ‚inmitten‘ als Teil der komplexen Wendung trascorrere una vacanza in mezzo alla natura ‚einen Urlaub inmitten der Natur verbringen‘. Bei den ausgewählten Phrasemen handelt es sich einerseits um solche, die im Lernerkorpus in einem ähnlichen situativen Kontext aufgetreten sind, und andererseits um Ergänzungen aus den Analysen von L1-Korpora des Italienischen (s. Abschnitt 3.4). In anderen Lektionen werden im Rahmen der Abschnitte zum Language Focus offene und geschlossene Lückentexte, Reformulierungsübungen (s. Ab‐ bildung 4.2), Zuordnungsübungen oder auch Bemerke-den-Fehler-Aktivitäten angeboten. 230 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="231"?> 5a & Leggi le espressioni seguenti e ! assegna ogni attività ad almeno una delle quattro categorie della tabella sottostante. alloggiare in un hotel di lusso andare a cavallo andare in bici andare in un campeggio andare in un villaggio turistico dormire in tenda dormire in un rifugio fare arrampicate in alta montagna fare delle passeggiate fare sub fare surf fare un bagno fare un tuffo nell’acqua fare un viaggio in camper fare una gita in barca giocare a carte intraprendere un viaggio avventuroso partecipare a una visita guidata pernottare in un albergo praticare lo sci d’acqua prendere il sole in spiaggia rilassarsi in piscina salire sulla cima di una montagna trascorrere una vacanza al lago trascorrere una vacanza in mezzo alla natura al mare  in montagna mi piace (molto)  non mi piace (affatto)  ! Trova delle espressioni che si riferiscono allo stesso concetto delle parole sottolineate nella tabella. & Le recensioni dell’attività 3 e le espressioni sottostanti ti saranno utili. La prima risposta (0) c’è già e serve come esempio. 0 Che figata! (In questo contesto: ) Che spettacolo fantastico! 1 È stato un concerto stupendo. 2 Ci siamo divertiti un sacco. 3 È una canzone che mi suscita grandi emozioni. 4 È un’artista coinvolgente. 5 Meritava andarci. Abbildung 4.1: Beispiele für den sprachlichen Fokus „Giocare con le combinazioni di parole“ (Schmiderer et al. 2021a: 93-f., 72) 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 231 <?page no="232"?> ! Trova delle espressioni che si riferiscono allo stesso concetto delle parole sottolineate nella tabella. & Le recensioni dell’attività 3 e le espressioni sottostanti ti saranno utili. La prima risposta (0) c’è già e serve come esempio. 0 Che figata! (In questo contesto: ) Che spettacolo fantastico! 1 È stato un concerto stupendo. 2 Ci siamo divertiti un sacco. 3 È una canzone che mi suscita grandi emozioni. 4 È un’artista coinvolgente. 5 Meritava andarci. 6 Ho chiesto un autografo. 7 Il concerto si terrà il 7 settembre. Abbildung 4.2: Beispiele für den sprachlichen Fokus „Giocare con le combinazioni di parole“ (Schmiderer et al. 2021a: 93 f., 72) An den sprachlichen Fokus knüpft schließlich noch eine Wiederholung der Aufgabe an, bei der die Lernenden die Protagonistin Lena dabei unterstützen sollen, einen Freund zu überzeugen, beim Ausflug ebenfalls mitzukommen. Dafür sollen sie eine E-Mail-Nachricht an den Freund vervollständigen, indem sie die Ideen für den Kurztrip am Wochenende zusammenfassen und damit die im Task Cycle mündlich diskutierten Ideen und sodann getroffenen Entschei‐ dungen zum Ort, den gewählten Verkehrsmitteln und Aktivitäten noch einmal schriftlich präsentieren. 5 Konklusion und weiterführende Perspektiven Im vorliegenden Aufsatz wurde ein erfolgreich durchgeführtes Kooperations‐ projekt zwischen ExpertInnen der Fremdsprachendidaktik einerseits und der Phraseologie sowie der Korpuslinguistik als Subdisziplinen der Linguistik ande‐ rerseits vorgestellt. Die daraus entstandenen lebensnahen, als OER verfügbaren Aufgaben folgen dem Task Cycle von Willis (1996) und stellen im sogenannten Language Focus Phraseme im weiteren Sinne in den Mittelpunkt, deren Auswahl auf Basis korpuslinguistischer Analysen erfolgte. Damit soll eine integrative 232 K A T R I N S C H M I D E R E R & C H R I S T I N E K O N E C N Y <?page no="233"?> Phrasemarbeit im Rahmen realitätsnaher, kommunikativer Aufgaben gewähr‐ leistet werden, die die Lernenden als sozial Handelnde in den Mittelpunkt rückt und auch deren individuelle Mehrsprachigkeit berücksichtigt. Was mögliche künftige Perspektiven betrifft, so wäre es im Rahmen einer umfassenden, über das präsentierte Projekt hinausgehenden Bedarfsanalyse (Needs Analysis) im Sinne des TBLT (Long 2005, 2016) sinnvoll, repräsentative Beispiele der (sprachlichen) Umsetzung der Tasks in der Zielsprache zu unter‐ suchen. In weiterer Folge könnten dann tatsächlich (überarbeitete oder neue) Aufgaben erstellt werden, die die Lernenden mit den für die jeweilige Domäne relevanten sprachlichen Mitteln, und auf diese Weise auch mit den für die jeweiligen Aufgaben passenden Phrasemen, konfrontieren, beispielsweise in Form von entsprechenden Modellaufgaben oder auch in Form von Übungen, die in konkreten Umsetzungen der Aufgaben tatsächlich gebrauchte Phraseme enthalten. Darüber hinaus könnte zusätzlich zur Veröffentlichung der Lernmaterialien als Open-Access E-Book (Schmiderer et al. 2021a) eine Umsetzung im Sinne eines interaktiven Kurses in einem Lernmanagementsystem angedacht werden. In einem Pilotprojekt, finanziert im Studienjahr 2021/ 22 von der ProLehre-Förde‐ rung des Vizerektorats für Lehre und Studierende der Universität Innsbruck, wurden für die Gestaltung komplexer, digitaler Tasks konkrete Anforderungen an ein Lernmanagementsystem formuliert. Im Anschluss wurden die Aufgaben exemplarisch in der Lernplattform OLAT (https: / / lms.uibk.ac.at/ dmz/ ) umge‐ setzt (Schmiderer, Konecny & Götsch 2022). Die betreffende interaktive Version steht zum internen Gebrauch im Rahmen von Italienisch-Sprachkursen an der Universität Innsbruck zur Verfügung. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die präsentierten Materialien nach der Entwicklungsphase im Herbst 2020 von acht erfahrenen Lehrpersonen der Sekundarstufe II in Österreich mithilfe eines Fragebogens begutachtet wurden. Dabei wurde u. a. nach der Angemessenheit für die Zielgruppe, der Authentizität der Aufgaben, dem Potenzial zur Entwicklung der Wortschatz‐ kompetenz sowie der Klarheit der Arbeitsanweisungen gefragt. Auf Basis der Rückmeldungen der ExpertInnen aus der schulischen Unterrichtspraxis wurden die Materialien vor der Publikation noch einmal überarbeitet. In seinem Frame‐ work for materials writing weist auch Tomlinson (2011: 113) auf die Möglichkeit der Evaluierung von Lernmaterialien durch ExpertInnen hin („Materials may be produced and evaluated without student use, e. g. by a colleague or professional. Most publishers still work this way.“), wenngleich diese Phase klarerweise nicht eine Evaluierung der Materialien nach der konkreten Implementierung mit spezifischen Gruppen von Lernenden ersetzt. Nur mittels einer solchen 8 Phraseodidaktik goes Aufgabenorientierung 233 <?page no="234"?> Evaluierung, die für das Lernmaterial Facciamo bella figura! (noch) nicht erfolgt ist, könnte die Materialentwicklung schließlich zu einem dynamischen Prozess werden, bei dem die von den MaterialentwicklerInnen gesteckten Ziele mit der tatsächlichen Durchführung der Aufgaben abgeglichen und weitere Überarbei‐ tungen vorgenommen werden können. 6 Literaturverzeichnis Aprile, G. (2008). Italiano per modo di dire. 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The psycholinguistic perspective on tasks is that of Processability Theory (PT), which focuses on the development of L2 processing capacities. Its core claim is that observable developmental sequences in the L2 acquisition of specific aspects of the language system result from un‐ derlying processing constraints. We introduce the key tenets of the theory and outline its implications for the teachability of grammatical structures. Subsequently, we engage with tasks in the foreign language classroom and identify key features of a task-based approach to language teaching. Through an interdisciplinary lens, we demonstrate how tasks can be utilised to diagnose L2 learners’ stages of development. We also show how tasks with a (developmentally moderated) focus on form can be applied in the language classroom to support learners in their grammatical development and provide opportunities to engage with particular grammatical structures. <?page no="244"?> 1 Introduction In recent decades, there has been an increase in efforts to incorporate findings from second language acquisition (SLA) research into foreign language teach‐ ing, particularly those related to psycholinguistic factors that influence the acquisition process. As early as the 1980s and 1990s, scholars recognised the potential of task-based language teaching and learning (TBLT) as a means of integrating these findings into foreign language education. Benati & Schwieter (2022: -3) argue that, at that time, [i]t was believed that instruction in which L2 learners are given communicative real-world tasks to complete in which they have opportunities for exposure to comprehensible and meaningful input, opportunities for interaction and negotiation of meaning, might ultimately engage natural acquisitional mechanisms, cause a change in L2 learner’s interlanguage system and drive forward development. Taskbased Instruction should enhance language acquisition by providing learners with opportunities to make the language input they receive more comprehensible; furnish‐ ing contexts in which learners need to produce output which others can understand; making the classroom closer to real-life language situations. A scholar who made a major contribution to the development of TBLT and who strongly advocated for implementing SLA research findings to language pedagogy was Mike Long. He also emphasised the need for empirical classroombased research, comparing the language classroom to a “black box” (Long 1980, as cit. in Benati & Schwieter 2022: 3). Following these lines of thought, in this chapter, we introduce some key psycholinguistic constraints that learners of a second language (L2) face in their acquisition process. We then discuss the potential implications of these constraints for the foreign language classroom. By aligning these insights with the use of tasks in research, learning and teaching, we show that a psycholinguistic lens on tasks has the potential to shed light on several issues. Firstly, it provides valuable insights into the grammatical development of L2 learners, particularly in morphology and syntax. We present empirical research demonstrating that tasks are a useful tool in diagnosing L2 learners’ stages of acquisition (e. g. Pienemann 1998; Lenzing 2013, 2021; Roos 2019). Secondly, it highlights the potential of task-based approaches, particularly those tasks with a focus on form, in facilitating L2 learners’ development (Keßler & Liebner 2016; Roos 2019). 244 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="245"?> 2 Theoretical background 2.1 Processability Theory Since the 1970s, numerous empirical studies in the field of SLA have revealed that L2 learners adhere to a universal developmental trajectory when acquiring specific grammatical structures, and that this trajectory remains independent of the learners’ first language(s) (for early studies, see e. g. Ravem 1968; Clahsen 1980; Meisel, Clahsen & Pienemann 1981). Already two decades ago, Ellis argued that “[t]he existence of developmental sequences is one of the most important findings of SLA research to date. There is now general acceptance in the SLA community that the acquisition of an L2 grammar […] occurs in stages.” (Ellis 1994: 21). The question as to why L2 learners follow the same developmental path for specific aspects of the language system is also referred to as the ‘developmental problem in SLA’ (e. g. Felix 1984) and is considered to be one of the central questions to be addressed by a theory of SLA (e. g. VanPatten, Williams & Keating 2020). A theory that offers an explanation for this empirical finding is Processability Theory (PT) (Pienemann 1998; Pienemann & Lenzing 2020; Pienemann & Lenzing 2025). PT is a psycholinguistic theory of SLA that takes a constrained-based perspective on SLA. A key claim of the theory is that the learners’ processing capacities in their L2 are initially constrained by the architecture of the human language processor. The L2 language processor is assumed to be underdeveloped at the beginning of the L2 acquisition process and thus to constrain the structural options that learners can process. In the course of SLA, L2 learners have to acquire specific processing mechanisms essential for language generation. These processing procedures are hierarchically ordered and implicationally related, which results in the observed staged development. Pienemann and Lenzing (2020: 162) argue that “[a]t any stage of development, the learner can produce and comprehend only those second language (L2) linguistic forms which the current state of the language processor can handle”. Based on these premises, PT proposes a hierarchy of processing procedures that are claimed to be valid cross-linguistically. For the acquisition of L2 English, the theory proposes six stages of acquisition. The developmental schedule of English as an L2 is shown in Table 1 in six stages and further explained below. 9 Tasks in the foreign language classroom 245 <?page no="246"?> Processing pro‐ cedures Information exchange Morphology Syntax 6. subordinate clause-proce‐ dure main and subor‐ dinate clause - Cancel inversion I wonder what he wants. 5. S-procedure inter-phrasal in‐ formation ex‐ change inter-phrasal mor‐ phemes SV-agreement The mouse plays volleyball Neg/ Aux-2 nd -? Why doesn’t he go home? -Aux-2 nd What do you collect? 4. VP-proce‐ dure inter-phrasal in‐ formation ex‐ change phrasal mor‐ phemes Tense agreement has seen Wh-copula S (x) What is your number? -Copula S(x) Are there boots? 3. phrasal pro‐ cedure phrasal informa‐ tion exchange phrasal mor‐ phemes Det + N agreement two ears - Adverb-First Today he stay here. - Wh-SV(O)-? What you like? -Do-SV(O)-? Do you have a sun? 2. category pro‐ cedure no information exchange lexical mor‐ phemes Plural -s (pets) Past -ed (played) Canonical word order SVO The mouse play volleyball. 1. word / lemma access no information exchange invariant forms formulae Table 1: Processability hierarchy for English (Lenzing 2021: 60; adapted from Lenzing 2013: 85; Pienemann 2005: 24) The L2 learners’ acquisition process starts at stage 1 labelled ‘word/ lemma access’. L2 learners have access to words in their mental lexicon, which allows them to produce single words and formulaic sequences exemplified in (1) and (2) (see Lenzing 2013 for more details on formulaic sequences; Pienemann & Lenzing 2025). (1) Yes. No. Fish. (2) What’s your name? 246 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="247"?> At stage 2, the learners acquire the category procedure. This mechanism can assign the items in the learners’ mental lexicon a syntactic category, such as noun or verb, and enables learners to attach lexical morphemes to nouns or verbs, such as the plural -s (pet-s) or the past -ed (play-ed). They are also able to produce simplified ‘subject verb object’ (SVO) sentences or SVO question forms with rising intonation. These utterances are not necessarily target-like and are often characterised by missing auxiliaries or inflectional morphemes. Examples of learner utterances at stage 2 are given in (3), (4) and (5): (3) I eat fish. (4) I speaking English. (5) You flying on carrots? The utterances produced by learners at the first two stages of acquisition do not require any kind of exchange of grammatical information within or between constituents. The capacity to transfer grammatical information within a phrase emerges from stage 3 onwards. The phrasal procedure enables learners to build noun phrases and to exchange grammatical information between the determiner and the noun, as in (6): (6) two dog-s At the level of syntax, learners acquire the ability to front specific question words, such as Wh-words, or produce so-called Do-SVO? questions (7). As the canonical word order SVO remains unchanged, this development may result in non-target-like question forms (8). (7) Do they eat stones? (8) Why grandpa live in the Altersheim (old people’s home)? The acquisition of stage 4 increases the learners’ structural scope in that they acquire the procedure necessary for subject-verb inversion (Copula S), as exemplified in (9). (9) Is the dustbin green? 9 Tasks in the foreign language classroom 247 <?page no="248"?> With the acquisition of the S-procedure at stage 5, learners can produce question forms with the auxiliary in second position (‘Aux 2 nd ? ’). In addition, this procedure enables learners to exchange information across phrases, in this case between the subject noun phrase and the verb phrase. This results in the acquisition of the third person singular -s (10). (10) She comes home. Finally, with the acquisition of the subordinate clause procedure at stage 6, learners can produce specific types of subordinate clauses as in (11). (11) I wonder what the platypus does in its free time. The finding that L2 learners follow a universal developmental sequence in the acquisition of specific grammatical structures does not mean that all learners behave in exactly the same way. Pienemann and Lenzing (2020: 163) point out that “[t]he notion developmental trajectory implies a developmental dimension also known as staged development as well as a variational dimension accounting for differences between developmental paths of individual learners.” Indeed, it is a well-attested finding that there is a considerable amount of variability in learner language (see e. g. Verspoor et al. 2008; Dyson 2021) that extends beyond the morphological and syntactic structures produced by learners. Among other factors, learners differ in their overall rate of acquisition, the extent of vocabulary that they acquire, their use of specific strategies (such as the reliance on their L1(s)) and their ultimate attainment of the L2. However, for the purpose of this discussion, we will limit our focus to the variation in the domain of grammar. Pienemann (1998: 279) posits that “variation and development can be captured by one dynamic linguistic system”. This means that the acquisition of processing procedures and the ensuing developmental stages shape the structural options available to learners, thereby constraining the variability in learner utterances. However, learners retain some flexibility to make different structural choices as they progress in their L2 development. While the stages of acquisition are universal and predictable, the variability in the structural choices made by learners within these stages is not precisely predictable (Lenzing 2015). Nonetheless, it is important to note that these structural choices are not entirely arbitrary, as they are subject to the constraints on processing introduced above. 248 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="249"?> 2.2 Implications for teaching - the Teachability Hypothesis The constraints on processing and the resulting developmental sequences in SLA have crucial implications for language teaching. Within this context, two key questions emerge: 1. Can foreign language teaching alter the well-established sequence of acquisition for specific grammatical structures? 2. If not, does grammar teaching still hold value for L2 learners? As early as in the 1980s, researchers began addressing the question of the teachability of second languages, instigated by findings indicating that the developmental sequences observed in natural contexts were mirrored in instruc‐ tional settings (see e.-g. Ellis 1989). Pienemann (1984, 1989) proposed the Teachability Hypothesis (TH), which was later integrated into the theoretical framework of PT. The TH posits two main assertions: • stages of acquisition cannot be skipped through formal instruction, • instruction will be beneficial if it focuses on structures from ‘the next stage’. (Pienemann 1998: 250) The first claim of the TH addresses the question of whether language teaching can alter the universal L2 developmental trajectory. Is it possible to ‘override’ the developmental sequence by teaching learners at lower stages (e. g. stage 2) structures from higher stages (e. g. stage 5), thus causing them to skip stages? The TH claims that stages cannot be skipped, as the processing procedures are implicationally related, and the procedures required for the production of higher-stage structures must be acquired before learners can actively produce structures from higher stages. This could lead to the conclusion that the constraints on processability may limit flexibility in teaching grammar in the foreign language classroom. However, this issue is addressed by the second claim of the TH, which focuses on the potential benefits of grammar instruction and posits that teaching grammatical structures can be advantageous if these structures align with the learners’ next developmental stage such that learners are ‘developmentally ready’ to acquire these structures. Roos (2019: 286) states that developmental readiness “defines the margin within which instruction may have an effect on the acquisition of specific target language structures” (see Section 6). While grammar instruction cannot change the fundamental developmental trajectory, it can nevertheless be beneficial in several respects. Teaching can influence the rate of acquisition, and if instruction is tailored to the learners’ developmental 9 Tasks in the foreign language classroom 249 <?page no="250"?> stage, it can further influence the frequency with which learners use specific structures, as well as the diversity of contexts in which these structures are applied. Since its initial conceptualisation, the claims of the TH have been explored in numerous studies (e. g. Pienemann 1984; Spada & Lightbown 1999; Mansouri & Duffy 2005; Di Biase 2008; Baten 2019). The comprehensive overview of studies investigating the TH by Baten and Keßler (2019) indicates that the great majority of them supports the claim that stages can indeed not be skipped by formal instruction. Some investigations of the second claim have yielded seemingly mixed results in that not all learners that were classified to be developmentally ready necessarily progressed to the next stage. However, these results did not refute the core claims of the TH (Spada & Lightbown 1999; Baten 2019). In this context, Baten (2019: 319) argues that “two of the misunderstandings concerning the Teachability Hypothesis are (1) that all ready learners will proceed to the next stage and (2) that the unready will not develop at all. This is not what the Teachability Hypothesis […] says. On the contrary, the Teachability Hypothesis states that development is constrained and that stages cannot be skipped; it does not state that developmental readiness guarantees acquisition, nor that unreadiness excludes development.” As explained, no level of PT can be skipped in formal instruction. This leads us to the question: how can the acquisition of these stages be supported in the best possible way in foreign language teaching? In this contribution, we would like to show that TBLT is a suitable approach to foreign language acquisition as it takes the processes in language acquisition into account. This view is in line with Shehadeh (2018: vii), who points out that: “Based on insights from second language acquisition (SLA) research findings, empirical findings on effective instructional techniques, and cognitive psychology, it is strongly believed that TBLT facilitates SLA and makes L2 learning and teaching more principled and more effective.” 3 Task-based language teaching as a potential for interdisciplinarity? We argue that incorporating insights from SLA research into a task-based approach in the language classroom can benefit both teachers and L2 learners. Understanding the processing constraints that learners face at different stages of acquisition can help shape teachers’ expectations regarding the linguistic structures learners can produce at their current developmental stage. Further‐ more, as will be outlined in Section 6, task design can be adapted to target 250 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="251"?> the structures that L2 learners are ready to acquire, which has been shown to enhance the acquisition process. A task-oriented approach to foreign language education faces a number of concerns. In particular, this applies to its potential to support learners in their acquisition of morphosyntactic structures (‘grammar acquisition’). For example, it is often argued that tasks are not very suitable for the very first lessons of a language classroom. Learners can only complete a task once they have (explicitly) learned the corresponding grammar. Furthermore, the task approach is claimed to be only suitable for oral skills and less so for writing skills (e. g. Ellis 2020). In this article, we would like to dispel these claims and show the potential of using tasks in foreign language teaching for learners at various levels of proficiency. We aim to demonstrate that the use of tasks can be already beneficial at the beginning of language acquisition (see e. g. Ellis 2020) and can support learners in the acquisition of specific grammatical structures. Especially when embedded in the action-orientated approach, tasks have a high potential as they address all skills and language activities. 3.1 An overview of task-based language teaching The task-based approach emerged in the 1980s due to a general discontent with previous foreign language teaching methods (e. g. Norris 2009), and the approach has gained increasing popularity in research and teaching in the last few years. In other words, the task-based approach constitutes both a further development and a critical reaction to the notion of communicative foreign language teaching. It was developed by researchers in the field of language acquisition and foreign language education as a reaction to teacher-centred, form-oriented foreign language teaching (cf. Van den Branden 2006). Since the 1980s, a number of fundamental publications on the task-based approach have been published, and many of them are currently available in revised editions in English (e. g. Willis 1996). In German-speaking countries, there exists a wealth of publications on TBLT in general (e. g. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2005, 2011; Keller & Reintjes 2016) and on teaching English in particular (e. g. Hallet & Krämer 2014). These publications also address the issues of practical applications to the teaching context (which also build bridges to school teaching practice for the target language English) including the proposal of specific tasks (e. g. Hallet & Krämer 2014). While an increasing number of publications are also available for French and Spanish, 9 Tasks in the foreign language classroom 251 <?page no="252"?> 1 Nevertheless, there are good examples of TBLT in Italian classrooms. We would like to refer to Schmiderer & Konecny in this volume and to Hirzinger-Unterrainer (2024b). 2 This chapter follows in parts Hirzinger-Unterrainer (2024a). resources for other foreign languages (such as Italian 1 and Russian) are scarce (cf. Hirzinger-Unterrainer 2024a). While the task-based approach is widely acknowledged in research, its implementation in foreign language teaching in the German-speaking school context lags behind. In our paper, we demonstrate the value of this approach in facilitating language acquisition and foreign language teaching. We begin this endeavour by defining the concept of ‘task’ and then proceed to providing examples of tasks in second-language acquisition. 3.2 Definition of ‘task’ 2 As part of our attempt to provide a comprehensive definition of the term ‘task’, we differentiate between the notions of ‘task’ and ‘exercise’. In a next step, we explain the term ‘task’ in more detail. Breen (1987) conceptualises the difference between the concepts of ‘task’ and ‘exercise’ as a continuum and thus positions a task (Aufgabe) at one end of the continuum and an exercise (Übung) at the opposite pole. Ellis (2000: 196) defines an exercise as follows: “in an ‘exercise’ such as a fill-in-the-blank grammar exercise, the learners are primarily engaged in producing correct linguistic forms, there is no obvious communicative goal to be achieved, the outcome is evaluated in terms of whether the learners’ answers are grammatically correct or not, and no direct relationship between the type of language activity involved and naturally occurring discourse is intended.” Whereas the stereotypical versions of a task or exercise occur at the opposing ends of the continuum, there are activities that exhibit some characteristics of both forms and are thus placed in the middle. The transitions between the two forms are sometimes fluid. With Skehan (1998, as cited in Ellis 2009: 112), the two notions can be differentiated on the basis of five dimensions, the first of which sets the basic goal. While an exercise is based on the assumption that linguistic means are the prerequisite for speaking, tasks assume that these are acquired through communication. Therefore, successful communication and content are at the centre of a task, while an exercise focuses on the linguistic forms and the ‘code’, i. e. the language itself. The linguistic means trained in the exercise should serve as a basis for later language use, which means that the reference to the real world lies in the future. The task, on the other hand, is directly related to the real world. 252 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="253"?> 3 Task, compito, tâche, zadanie, tarea are the notions used for ‘task’ in English, Italian, French, Russian and Spanish. When the task-based approach emerged in the 1980s and 1990s, a broad use of the term ‘task’ 3 prevailed. Long’s seminal definition is commonly regarded as one of the first definitions of the term ‘task’, and it exemplifies this broad perspective: “a piece of work undertaken for oneself or for others, freely or for some reward” (1985: 89). Tasks in the broader sense do not necessarily include a linguistic focus: Long (1985) cites linguistic and non-linguistic activities as possible examples - ranging from spreading fences, buying shoes and filling out forms to making reservations. While filling out forms is clearly a task that includes a focus on particular linguistic forms, this is not the case at all or only to a limited extent for the other examples (unless people are talking to each other during these activities). Long did not deviate from this broad definition in his later proposals. Rather, the reference to the real world was important to him, as shown in the following quote: “the hundred and one things that people do in everyday life at work and play, and in between” (Long 2015: 89, as cited in East 2021: 45). Breen (1987: 23) defines a task “in a broad sense to refer to any structured language learning endeavour which has a particular objective, appropriate content, a specific working procedure, and a range of outcomes for those who undertake the task”. This definition is also rather broad but, at the same time, exhibits a clear link to language learning. Breen (ibid.) emphasises the importance of language learning and additionally defines the success of this endeavour in terms of an outcome that can be equated with successful communication. Consequently, a task is regarded as a complex and prolonged activity in which, for example, problems have to be solved or decisions made. Further definitions of the term ‘task’ that can be classified as being broad were put forward by Nunan (1989) and Willis (1996). In both definitions, the school context plays an important role: Nunan (2010: 4) characterises a task as “[a] piece of classroom work which involves learners in comprehending, producing, or interacting in the target language while their attention is principally focused on meaning rather than form.” In other words, a task is understood as a pedagogical task, which means that learners comprehend, produce or negotiate content in the target language. Central to this conceptualisation is its focus on meaning rather than form. Similarly, Willis (1996, as cited in Van den Branden 2006: 9) defines ‘tasks’ as “activities where the target language is used by the learner for a communicative purpose (goal) in order to achieve an outcome.” What both definitions have in common is their emphasis on the communicative function within foreign language classrooms. While the early definitions of the notion 9 Tasks in the foreign language classroom 253 <?page no="254"?> of a ‘task’ share a broad conceptualisation, they differ significantly in their respective emphases. The definitions emerging from the later 1990s onwards are characterised by a shift towards a greater precision aiming “to crystallise thinking around particular core elements of the task construct for communicative purposes” (East 2021: 46). This means that the construct comprises specific criteria. Ellis (2009: 223) proposes a comprehensive definition based on four criteria. In his view, a task is an activity where: 1. the primary focus should be on meaning 2. there should be some kind of gap 3. learners should principally be dependent on their own resources to com‐ plete the activity 4. there is a clearly defined outcome over and above the use of language. The above definitions share a common perspective: a task is seen as an activity designed to achieve a goal through language use. Thereby, the focus is on meaning. It is important to note here that the term ‘meaning’ refers to pragmatic meaning and not semantic meaning (cf. East 2021). Learners should be able to successfully implement speech acts and functions. Further criteria are a connection to the real world and a clear outcome. In these later definitions, the reference to teaching is paramount (Abdollahzadeh 2018), whereby a distinction is made between so-called real-world tasks or target tasks and pedagogical tasks (e. g. Ellis, Skehan, Li, Shintani & Lambert 2019). While the former include activities that prove helpful in real life, this only applies to a limited extent to the latter: “target tasks, as the name implies, refer to uses of language in the world beyond the classroom; pedagogical tasks are those that occur in the classroom” (Nunan 2010: 1). In other words, a target or real-world task reflects authentic extracurricular scenarios, such as a job interview or a roleplay at reception, whereas a pedagogical task is “an activity or action which is carried out as the result of processing or understanding language (i. e. as a response). For example, drawing a map while listening to a tape, listening to an instruction and performing a command may be referred to as tasks […]” (Nunan 2010: 2) or “a piece of classroom work that involves learners in comprehending, manipulating, producing or interacting in the target language while their attention is focused on mobilising their grammatical knowledge in order to express meaning, and in which the intention is to convey meaning rather than to manipulate form” (Nunan 2010: 4). Target tasks thus have a high degree of situational authenticity, while pedagogical tasks take place in the classroom (and would not be encountered in real life). However, they 254 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="255"?> are considered to exhibit interactional authenticity (cf. East 2021; Hinger & Schmiderer 2023). From the foregoing discussion, it is evident that a task is a goal-oriented, lin‐ guistic activity that requires verbal communication and leads to a result or clear outcome in the form of a product. A further distinction can be made between input-based and output-based tasks (e. g. East 2021). In the former, learners engage with written or verbal input, demonstrating understanding through activities such as drawing or movement, whereas in the latter, they generate output using productive skills, namely speaking and writing. According to Ellis et al. (2019), input-based tasks are particularly suitable for low levels (such as A1). He argues that in this way, it is possible to follow a task-based approach in teaching right from the beginning (cf. Ellis 2020). Another crucial distinction to note is the one between focused and unfocused tasks (Ellis 2009: 223). This differentiation relates to the incorporation of gram‐ mar: as pointed out by East (2021: 57) “unfocused tasks are designed to prompt more general samples of language, whereas focused tasks are constructed so as to direct learners to using a particular linguistic feature or grammatical structure”. To ascertain whether an activity qualifies as a task as such and to sum up our understanding of what exactly constitutes a task, we can employ the guiding questions proposed by Willis & Willis (2012: 13): 1. Does the activity engage learners’ interest? 2. Is there a primary focus on meaning? 3. Is there an outcome? 4. Is success judged in terms of outcome? 5. Is completion a priority? 6. Does the activity relate to real-world activities? Although not explicitly mentioned by Willis & Willis (2007), we want to emphasise the importance of meaningful content that piques the learners’ interest. This meaningful content forms the core of a task. By mastering various activities, learners can solve a task and present the respective results - most often in the form of a product. Summarising we can state that the primary emphasis is on communication in the target language, using mainly authentic materials. Moreover, authentic situations are considered to be central, as they form the link between language learning and language use outside the classroom. A task also allows learners to integrate their experiences and reflect on the learning process. In the subsequent section, we will explore how tasks can be used in language acquisition research. 9 Tasks in the foreign language classroom 255 <?page no="256"?> 4 Tasks in second language acquisition research In SLA research, tasks are used to shed light on the interlanguage system of L2 learners and to determine their stage of acquisition, as the language produced in the context of tasks can provide insights into their development in morphosyntax. In particular, tasks with a focus on oral speech production have been shown to be a valuable tool to diagnose the stages of development of L2 learners (e. g. Pienemann 1998; Keßler & Liebner 2016; Roos 2019; Lenzing 2013, 2021). To be able to determine a learner’s stage of acquisition, researchers should collect data that meet specific criteria. Firstly, the data have to reflect the learner’s spontaneous oral speech production. Given that tasks foster meaningful communicative interaction, they serve as a valuable means to achieve this goal. Second, the elicited data samples have to include numerous contexts for the morphological and syntactic structures occurring in the PT hierarchy to be able to make valid claims about the acquisition of these structures. For example, in English, the production of different types of question forms sheds light on a learner’s stage of acquisition. To investigate these forms, we need to conceptualise tasks that provide diverse contexts for the production of question forms. An example of a task employed in investigating learner language in SLA research is the ‘Martian task’ (Lenzing 2021, 2022). The task involves a roleplay scenario where learners engage in pairs. One learner assumes the role of a Martian who has just arrived on Earth in their spaceship, while the other learner adopts the role of an Earthling who encounters the Martian. Despite the extra-terrestrial origin of the Martian, both characters miracu‐ lously share a common language, enabling them to communicate with each other. The task prompts learners to exchange questions about life on Mars and life on Earth, thereby generating diverse contexts for the utilisation of various question forms. The effectiveness of the Martian task in eliciting diverse question forms as well as declarative sentences is illustrated in the following excerpt of learner-learner interaction in the context of the Martian task: 256 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="257"?> Participants: G09, age: 13, m, stage 5 (grade 8) G10, age 14, f, stage 5 (grade 8) Researcher (R) G09: What do you do on Mars every day? G10: I drive around with my racket. {Heißt doch Rakete, oder? } (It’s ‘racket’, isn’t it? ) R: Rocket. - - […] - G10: Rocket, {ja} (yes). Yes, and I clean my house, yah. Are there different people on the earth? G09: Yes […] G09: How many people live on Mars? G10: Not many. Just some people. {Ich muss überlegen.} (I need to think about it) […] G10: Ok. Do you drive with your rocket, too? - G09: No. We on earth drive with the car or bike. - G10: Ok. - G09: Do you know what it is? G10: No. - G09: A car is a… a vehicle with four …. {Wie heißt das nochmal? } (How do you call it? ) R: Wheels. - G10: Wheels and you can (/ ) {lenken} (steer)? R: Steer. - G09: Steer with a steer wheel. - [….] - G10: Ok. What do you eat on earth? G09: Fast Food (laughs) or veggie. - […] G09: What do you eat? G10: We eat stones and {keine Ahnung} (I don’t know) Table 2: Learner-learner interaction in the Martian task - intermediate learners 9 Tasks in the foreign language classroom 257 <?page no="258"?> The excerpt in Table 2 shows that learners produce different question forms in completing the task, such as the stage 5 ‘Aux 2 nd ? ’ question What do you do on Mars every day? produced by learner G09, the stage 4 ‘Copula S’ form Are there different people on the earth? (G10), or the ‘Do-Fronting’ question Do you drive with your rocket, too? (G10) located at stage 3. In addition, the task provides diverse contexts for the use of declarative sentences, as evidenced in the utterances We on earth drive with the car or bike (G09), We eat stones (G10), or I clean my house (G10). To establish linguistic profiles of L2 learners, they usually engage in several different tasks, ensuring an adequate range of contexts for the targeted struc‐ tures under investigation. A commonly used task in SLA research is the spotthe-difference task, wherein learners are presented with two separate pictures differing in a number of features. The learners’ task is to find out the differences between the two pictures. Subsequently, an acquisition criterion is applied to the data in order to determine the learners’ stage of acquisition (see Pienemann 1998; Lenzing 2013, 2021 for details). 5 Focus on form in the foreign language classroom As explained in Section 3, the concept of ‘task’ is multifaceted and difficult to grasp, characterised by various definitions and interpretations. We also outlined the potential fluidity of the boundaries between tasks and exercises. This fluidity also extends to the task-orientated approach itself. This approach can be situated along a continuum, with a strong variant at one end and a weak one at the other. Whereas the strong version of the TBLT approach does not explicitly incorporate the teaching of grammar, the weak version does include a focus on grammatical structures. In the former, proponents advocate for “no need for teachers to teach the students anything about the rules” (East 2018: 217), whereas the latter lies, at least partially, on explicit grammar instruction. Consequently, task-supported teaching aligns more with ‘traditional’, teacher-centred foreign language teaching, while TBLT is situated at the more communicative end of the spectrum. Both forms are subject of ongoing debate, whereby the strong form prompts the question: “If It is All about Tasks, Will They Learn Anything? ” (East 2018: 217) The Focus on Form (FonF) and Focus on Forms (FonFs) approaches (see Schmiderer & Konecny in this volume), which constitute basic approaches to language teaching, are also closely related to these TBLT variants. Within the TBLT framework, FonF directs learners’ attention to linguistic structures while engaging with tasks. In contrast, FonFs is a structure-based approach 258 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="259"?> where linguistic forms are explicitly introduced and practised (cf. Ellis 2016). FonF “overtly draws students’ attention to linguistic elements as they arise incidentally in lessons whose overriding focus is on meaning or communication” (Long 1991: 45 f, as cited in Ellis 2016: 406), whereas “the presentation and practice of items drawn from a structural syllabus” (Ellis 2016: 406) is at the heart of the FonFs approach. Like foreign language education, applied linguistics is a relatively young discipline. As a result, numerous specialised terms have been introduced, yet their meanings have changed over time. Ellis (2016: 405) summarised this aptly: “However, even though the constructs themselves are not stable, the original labels stick.” According to Ellis (2016), no term in applied linguistics exemplifies this better than ‘focus on form’. Michael Long coined the term ‘focus on form’ in 1988. In his article on “Instructed interlanguage development”, in which he discussed previous approaches to foreign language teaching, he concluded that “[…] my own view is that a focus on form is probably a key feature of SL [second language] instruction, because of the saliency it brings to targeted features in classroom input, and also in input outside the classroom, where this is available” (Long 1988: 40). In this initial definition, FonF and FonFs were seen as distinct approaches to language teaching. However, ‘focus on form’ and ‘focus on forms’ are now often seen as specific techniques, and the distinctions between approaches and techniques have become blurred over time (Ellis 2016). In 1997, Long introduced a third approach, ‘Focus on Meaning’ (FonM), describing it as an approach that emphasises implicit learning through content and immersionbased teaching “where the learners’ focus was more or less entirely on meaning” (Ellis 2016: 406). What FonF and FonM have in common is their grounding in the communicative context. While FonM does not explicitly address specific structures, FonF typically addresses the structures required for communication after the task. To better cater for the needs of the learners, FonF is preceded by a needs analysis, a step that is absent in the other two approaches. FonFs mainly concentrates on isolated linguistic elements and thus does not take insights into language acquisition processes into account, which FonF adeptly does. FonF occurs in the context of an interaction between learners, e. g. in response to a communication problem. It is incidental (and therefore not planned in advance) and often implicit (without explicit metalinguistic explanation). Furthermore, FonF serves as a brief intervention to maintain the basic focus on meaning while drawing attention to L2 linguistic forms through ‘noticing’ (Ellis 2016). FonFs is a synthetic approach associated with the grammar-translation method and the audiolingual method, i. e. traditional methods. Language is divi‐ 9 Tasks in the foreign language classroom 259 <?page no="260"?> ded into smaller segments (e. g. words, collocations, grammar rules, phonemes) by teachers or textbook authors and taught in these segments “according to such criteria as (usually intuitively assessed) frequency, valence, or difficulty” (Long & Robinson 1998: 15). The learners are then asked to put these individual parts together to form a complete message, but this does not align with the language acquisition process as outlined in section 2.1. Criticism of this approach was voiced early on and was expressed, for example, in the 1970s and 1980s in the Natural Approach by Krashen and Terrell, which emphasised an exclusive focus on meaning (FonM) (Long & Robinson 1998). In FonF, which is based on Long’s Interaction Hypothesis and accordingly highlights the importance of interaction between learners and more linguistically adept individuals (Long & Robinson 1998), the primary focus is on the awareness of linguistic resources that occur during communication. Long & Robinson (1998: 23) describe this as follows: Focus on form refers to how focal attentional resources are allocated. Although there are degrees of attention, and although attention to forms and attention to meaning are not always mutually exclusive, during an otherwise meaning-focused classroom lesson, focus on form often consists of an occasional shift of attention to linguistic code features - by the teacher and/ or one or more students - triggered by perceived problems with comprehension or production. Based on the theoretical framework presented in Section 2 and the empirical results in Section 6, we align with Long & Robinson (1998). However, we also acknowledge that Long’s views have been subject to criticism. For example, Sheen (2003) claims that FonFs has been unjustly stigmatised and FonF priori‐ tised without sufficient empirical evidence. He argues that studies show that the FonFs approach can be as effective as, or even more effective than, other methods. The author emphasises the need for critical reviews of the research and for further studies on the relative effectiveness of these two approaches in order to provide teachers with reliable, comparative results. Depending on how the term ‘task’ is defined, the role and importance of linguistic means varies. We emphasise the importance of meaning and adopt an understanding of the construct that approaches a strong interpretation of TBLT. However, we would like to point out that a focus on form at the end of the task is appropriate. Willis & Willis (2007: 25) justify this approach by noting that this sequence “helps learners to make sense of the language they have experienced.” In other words, learners can focus in depth on the forms they have used and benefit from the context they have experienced through the previous language use. 260 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="261"?> In 1996, Willis proposed the task-based learning framework (see Table 3), which remains prevalent in both Englishand German-speaking countries. According to this framework, a task is divided into three main components or phases: the pre-task phase, the task cycle, and the focus on form. In the pre-task phase, the topic is introduced, particularly concerning vocabulary, and instructions for the tasks are provided. This introduction may be supported by various media, such as audio, video, or text examples. During the task cycle, learners work on the task, typically in pairs or groups, while the teacher acts as a coach and guide, encouraging communication without fear of making errors. The final phase, focus on form, involves students analysing the language used, such as noting new vocabulary, and subsequently practicing these linguistic forms under the teacher’s guidance. pre-task phase introduction to topic and task - - - task cycle task planning report - - - focus on form analysis practice Table 3: Components of a TBL Framework (Willis 1996: n.d.; shortened by the authors) With this insight into the task-based approach and its potential for focusing on form, we now examine how incorporating tasks with a developmentally moderated focus on form can be beneficial for SLA. 6 Tasks with a developmentally moderated focus on form Building on the insights of the TH, Di Biase (2002, 2008) developed the devel‐ opmentally moderated focus on form approach to language teaching. Di Biase (2008) advocates for grammar instruction to be guided by considerations about the learners’ developmental readiness. According to him, this extends not only to the selection of linguistic structures introduced in the classroom but also to the feedback provided to the learners. Di Biase’s approach integrates the concept of developmental readiness with a focus on form approach to language teaching. 9 Tasks in the foreign language classroom 261 <?page no="262"?> The grammatical structures that are focused on in the language classroom are tailored to the learners’ developmental stages, and the feedback learners are provided with targets only those structures the learners are developmentally ready for. Support for this approach comes from an empirical study by Di Biase (2008) that investigated the effectiveness of developmentally moderated focus on form combined with developmentally moderated feedback in an empirical study on the L2 acquisition of Italian with pupils with English as their ambient language at three different primary schools in Sydney. The results indicate that this approach is beneficial for L2 learners in that it supports them to progress to the next stage. A study that highlights the potential of tasks with a developmentally moder‐ ated focus on form is the one by Roos (2019). In a classroom intervention study, she examined the question whether the use of tasks with a developmentally moderated focus on form - i. e. tasks that focus on grammatical structures that learners are developmentally ready for - can promote their acquisition process. In particular, she focused on the question whether this approach supports learners in the acquisition of the grammatical structure focused on in the task. The participants in her study were grade 6 and 7 learners of English as an L2 with a German-speaking background, aged between 11 and 13. They all had been learning English for 3.5 years. The grammatical structure the study focused on was the ‘third person -s’, a stage 5 structure that is introduced relatively early in German textbooks but acquired rather late. The study followed a pretest, post-test and delayed post-test design. In a two-week instruction period, the learners worked in pairs with communicative tasks that were specifically designed to provide multiple contexts for the use of the third person singular -s. For instance, they completed an information-gap task with the goal to figure out the weekly schedule of an imaginary child and to complete two timetables provided to them containing different kinds of information. The task provided numerous contexts for the targeted structure ‘third person -s’. As shown in (12) below (taken from Roos 2019: 295), the task not only provided contexts for the use of the ‘third person -s’ but also provided opportunities for negotiation of form. This negotiation then results in the production of the correct form. (12) C09 What does John do at Tuesday in the afternoon? C10 He … joggings. C09 He is jogging. 262 A N K E L E N Z I N G & E V A M A R I A H I R Z I N G E R -U N T E R R A I N E R <?page no="263"?> C10 He is jogging? Joggings? He is jogging. Joggings. C09 He goes jogging. C10 Oh ja, Pech halt! (Oh yes, that’s bad luck! ) In the pre-test, eight of the 12 learners had already acquired stage 5 of acquisi‐ tion. The remaining four learners had reached stage 4 and were thus classified as being developmentally ready to acquire the targeted stage 5 structure ‘third person -s’. After the two-week instructional period, a post-test was conducted. The delayed post-test took place four weeks later to explore potential longerterm effects of the instruction. The results of the study indicate that using tasks with a developmentally moderated focus on form in the language classroom can be beneficial for learners as it facilitates their acquisition of structures they are developmentally ready to acquire: in the post-test, all learners in Roos’ study produced more instances of the ‘third person -s’ than in the pre-test. The four learners that were classified as being developmentally ready to acquire the feature produced the ‘third person -s’ in numerous contexts, leading Roos to conclude that the classroom intervention facilitated its acquisition. What is more, some learners also began to produce a further stage 5 structure, namely the question form ‘Aux 2 nd ? ’. As the tasks also provided diverse contexts for question forms, it could be the case that the learner-learner interaction also supported the acquisition of this syntactic structure. In addition to their participation in the pre-, post-, and delayed post-test, the learners provided spontaneous feedback after completing the tasks. Inter‐ estingly, their perception mirrored some of the study results: the learners reported that they felt they used the ‘third person -s’ more often than before the intervention. Furthermore, they perceived themselves as more proficient in their ability to produce question forms (Roos 2019). Overall, the learners’ feedback revealed that they enjoyed doing the tasks and that “they preferred interacting with a partner to the teacher-led, whole-class interaction they were used to because the pair-based interaction gave them more time to speak and more possibilities to learn from each other” (Roos 2019: 296). This again highlights the general potential of tasks in the language classroom to initiate meaningful learner-learner interaction that provides opportunities for negotiation of meaning and form and in this way supports the learners’ L2 acquisition process. 9 Tasks in the foreign language classroom 263 <?page no="264"?> 7 Conclusion In our chapter we offered an interdisciplinary perspective on tasks in SLA, demonstrating the value of integrating a psycholinguistic lens on the L2 acquisition process with insights from language education. This perspective provides deeper insights into the learners’ language acquisition process and shows the extensive applicability of tasks in both SLA research and their practical implementation in the foreign language classroom. Understanding the psycholinguistic constraints learners face during their acquisition process helps shape realistic expectations as to what they can produce at their current level of development. In this context, the TH, with its central claim that stages cannot be skipped in L2 acquisition, is particularly important. We hope to have shown that these insights into the L2 acquisition process align well with the TBLT approach, as it can support learners in various ways. Beyond the many benefits of tasks in language teaching, such as fostering au‐ thentic communicative settings, we highlighted the potential of using tasks with a developmentally moderated focus on form to support learners in acquiring specific grammatical structures. We highlighted that TBLT can be effectively used in initial lessons by encouraging reading and listening through input tasks and introducing level 1 structures (such as chunks) in subsequent steps. Structures that learners are ready to acquire can be explicitly addressed in a post-task phase focusing on form, regardless of their level. Another advantage of TBLT lies in its differentiation options, which account for learners’ varying speeds and support individualisation in the language classroom. 8 References Abdollahzadeh, M. (2018). Task-based language teaching and implementing conscious‐ ness-raising tasks. International Journal on Studies in English Language and Literature, 5(6), 26-30. Baten, K. (2019). Teaching the German case system: A comparison of two approaches. In A. Lenzing, H. Nicholas & J. Roos (eds.), Widening contexts for Processability Theory: Theories and issues (301-326). Amsterdam: Benjamins. Baten, K. & Keßler, J.-U. (2019). Research timeline. The role of instruction: Teachability and processability. In R. Arntzen, G. Håkansson, A. Hjelde & J.-U. Keßler (eds.), Teachability and Learnability across Languages (9-26). Amsterdam: Benjamins. Benati, Alessandro G./ Schwieter, John W. (2022): “The legacy of Professor Michael H. Long and his influence in second language aquisition”. 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This paper broaches instances of miscommunication which arise based on the divergence of research traditions between the Germanophone and the Anglo-American realm. Despite its improbable rise over the past decades, Fachdidaktik features a number of contradictory and embattled characteristics today lending themselves to a brief analysis based on Helsper’s descriptive model of systemic antinomies. The discipline is torn between theory and practice, between research and teacher education, and between notions of Bildung versus vocational training. Englischdidaktik (i.e. Teaching English as a Foreign Language, or TEFL) serves as an illustra‐ tive example of how one Fachdidaktik discipline interacts with its cognate fields, in this case linguistics and literary studies. What are the synergies emerging from this proximity? How does it affect TEFL research? And what are the benefits and drawbacks for pre-service language teachers encountering all three areas during their time studying at university? 1 Einleitung Als Didaktiker gerät man häufig dann in Verlegenheit, wenn man seine wissen‐ schaftliche Verortung in englischer Sprache wiedergeben möchte. Erst kürzlich fragte mich eine Kollegin aus der Geschichtsdidaktik via E-Mail, wie ich „Geschichtsdidaktik“ ins Englische übersetzen würde. Sie bereitete gerade einen englischsprachigen Sammelband vor. Nach einigem Überlegen empfahl ich: „history education“. Ich musste mich natürlich rechtfertigen, weshalb ich nicht das offensichtlichere „history didactics“ für geeignet hielt. Der Hauptgrund da‐ für: Englischsprachige KollegInnen würden es - zumindest ohne Kenntnisse des <?page no="272"?> deutschen Systems - nicht verstehen. „Didactics“ sucht man bei Instituts- und Fächerbezeichnungen an anglophonen Universitäten in aller Regel vergeblich. Das Adjektiv „didactic“ existiert zwar, doch es trägt eine negative Konnotation, nämlich im Sinne einer schnöden Wissensweitergabe. Ein kanadischer Freund von mir ist der Meinung: „When you hear ‘didactics’ you think of a teacher lecturing their students for 90 minutes.“ Kurzum: MuttersprachlerInnen halten didactics für eine substantivierte Wortneuschöpfung auf Basis des Adjektivs di‐ dactic. Dabei ist es höchstwahrscheinlich ein Lehnwort auf Basis der deutschen, französischen, polnischen etc. Nominalentsprechung (Didaktik, didactique, dy‐ daktyka, etc.). DidaktikerIinnen nicht-anglophoner Herkunft haben es in die englische Sprache eingeführt. Wann immer ich also das Substantiv „didactics“ lese, erfahre ich etwas über die akademische Sozialisierung der jeweiligen Autorin. Bezüglich der Englischdidaktik kenne ich die Problematik aus eigener Betrof‐ fenheit. Manche scheuen sich nicht vor „English didactic(s)“ (z. B. Butzkamm & Caldwell 2009), die meisten aber doch. Um englische Wortungetüme zu vermeiden, verwendet man in der Regel eine Abkürzung, wobei es derer zahlreiche Varianten gibt: • EFL (English as a Foreign Language), z. B. bei Müller-Hartmann & Schockervon Ditfurth (2020) • TEFL (Teaching English as a Foreign Language), z. B. bei Grimm et al. (2015) • (Natürlich ist das F[oreign] jeweils durch ein S[econd] zu ersetzen, wenn es statt um Fremdsprachendidaktik um Zweitsprachendidaktik gehen soll.) • ELE (English Language Education), z.-B. bei Klippel (2005) Hinzu kommen die Akbürzungen „TESOL“ (Teaching English to Speakers of Other Languages) und „ELT“ (English Language Teaching), die in den Titeln der beiden renommiertesten englischdidaktischen Fachzeitschriften erscheinen: TESOL Quarterly und ELT Journal. Nun mag man behaupten, es gebe kleine, aber feine Unterschiede zwischen all diesen Bezeichnungen. Wie groß allerdings der Kreis derer ist, die diese Differenzierungen überblicken, ist eine andere Frage. Wozu aber dieser terminologische Exkurs? Ich halte es für plausibel, dass die deutsche Sprache den verschiedenen Fachdidaktiken zu ihrem heutigen Status verholfen hat. Die Fachdidaktik kann im deutschsprachigen Raum als echte Errungenschaft gelten. Sie hat sich seit den 1960er Jahren sukzessive an den Universitäten etabliert und sich in den letzten Jahrzehnten zu einer ernstzunehmenden Forschungsdisziplin entwickelt (vgl. Bergmann & Schneider 1997; Klippel 2005; Hellmuth & Kühberger 2021; Keller 2022; Reimann 2024). Die heutige Stärke der Didaktiken beispielsweise in Deutschland geht zurück 272 L E O W I L L <?page no="273"?> 1 Ausschließlich Männer konnten damals studieren, daher die Verwendung des Masku‐ linums. auf die „staatlich regulierte und durch Prüfungsordnungen in gewisser Weise standardisierte Lehrerbildung für das allgemeine Schulwesen […] seit Beginn des 19. Jahrhunderts“ (Klippel 2021: 27). So konnten im frühen 20. Jahrhundert nach und nach Forderungen der neusprachlichen Reformbewegung in die preußischen Prüfungsordnungen für angehende Englischlehrer 1 aufgenommen werden (Klippel 2022: 60). Bis die ersten Didaktikprofessuren gegründet wur‐ den, war es freilich noch ein langer Weg, doch lässt etwa Klippel (2005) keinen Zweifel an der Erfolgsgeschichte, die die Englischdidaktik in der zweiten Hälfte des 20.-Jahrhunderts verzeichnete. Nun zu meiner These: Ein sekundärer, aber nicht zu vernachlässigender Faktor in dieser Erfolgsgeschichte besteht in der simplen Tatsache, dass die deutsche Sprache a) über das griechischstämmige Wort „Didaktik“ verfügt und b) Komposita wie Fachdidaktik, Geschichtsdidaktik etc. zulässt. Die Nennkraft dieses griffigen Lexems, das bereits im akademischen Gewand des Altgriechi‐ schen daherkommt und zudem flexible Wortverbindungen eingehen kann, begünstigt die Konsolidierung einer neuen Wissenschaft zunächst im mensch‐ lichen Bewusstsein und schließlich in den akademischen Institutionen. Ausweis dieser sprachlichen Eigenheit ist der Untertitel eines im Jahr 2000 erschienenen Sammelbandes: The German ‚Didaktik‘ tradition (Westbury et al.). Da ich mich seit vielen Jahren als Englischdidaktiker sowohl im deutschen wie im angloamerikanischen Diskurs bewege, erlebe ich die Inkongruenz der Disziplinen anhand konkreter Reibungseffekte, die selbstreferenziell beginnen - wie soeben illustriert - und mitunter institutionell enden. Zwei dieser Erlebnisse möchte ich hier anekdotisch wiedergeben, um sodann im Sinne eines Terhart‐ schen Bestimmungsansatzes auf die Fachlichkeit der Fachdidaktik am Beispiel der Englischdidaktik zu sprechen zu kommen. Diese Vorüberlegungen scheinen mir von Relevanz, um das Verhältnis von Fachdidaktik und Fachwissenschaft zu erörtern. Im Lichte solcher Gedanken soll einerseits die Gründung der Inns‐ brucker Fakultät für LehrerInnenbildung und andererseits die interdisziplinären Arbeiten dieses Sammelbands eine neue Kontextualisierung erfahren. 2 Das didaktische Missverständnis in zwei Vignetten Seit rund zehn Jahren findet alljährlich am Wolfgangsee in Österreich ein englischdidaktisches Doktoratskolloquium statt, das seinesgleichen sucht. In‐ nerhalb von jeweils vier Tagen stellen die DoktorandInnen ihre Projekte vor und 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit 273 <?page no="274"?> können sich zusätzlich für ausführliche Einzelberatungstermine mit den anwe‐ senden ProfessorInnen in eine Liste eintragen. Jedes Jahr wird ein/ e besonders profilierte/ r ForscherIn eingeladen, der/ die ohne eigene DoktorandInnen anreist und einen Workshop leitet. Auch fungiert diese Person als EinzelberaterIn im beschriebenen Sinne. Die Kommunikation während des Kolloquiums findet in englischer Sprache statt und zumeist ist der eingeladene Gast ein/ e englische/ r MuttersprachlerIn. Als vor einigen Jahren ein international bekannter Kollege aus den USA als Gast am Kolloquium teilnahm, gefiel ihm das Konzept so gut, dass er fragte, ob er im Folgejahr auf eigene Kosten und mitsamt seinen DoktorandInnen teilnehmen dürfe. Selbstredend freuten sich die Veranstalte‐ rInnen über diesen Vorschlag und willigten ein. Durchaus überrascht waren sie jedoch, als die DoktorandInnen des amerikanischen Professors keinerlei fremdsprachendidaktische Projekte präsentierten, sondern solche, die im nord‐ amerikanischen Raum schlicht als education gelten. Der Professor selbst wird in Deutschland und Österreich auf Basis seiner bisherigen Publikationen als Fremdsprachendidaktiker angesehen, ist jedoch offiziell professor of education. Im Jahr 2019 entstand an der Saint Mary’s University Halifax (Kanada) ein neuer Masterstudiengang: International Master of Teaching English (IMTE). Der Gießener Professor Emeritus Michael K. Legutke hatte viele Jahre bei der Planung dieses rein englischdidaktischen Programms mitgeholfen. „Rein englischdidaktisch“ impliziert in diesem Fall, dass die Studierenden weder literaturnoch sprachwissenschaftliche Kurse belegen. Die Studierenden sind ausnahmslos internationals, d. h. sie werden im Rahmen dieses Studiums zu Englischlehrkräften ausgebildet, die entweder nach dem Studium in Kanada bleiben, um ESL zu unterrichten, oder in ihre Heimat zurückkehren, um dort als EFL-Lehrkraft zu arbeiten. Ich selbst bin seit Anbeginn als adjunct professor in diesem Studiengang tätig und biete jährlich mindestens ein Blockseminar an. Es ließe sich nun vieles berichten, doch ich möchte mich hier weitgehend auf Hochschulpolitisches beschränken. Da die internationalen Studierenden sehr hohe Studiengebühren entrichten müssen, ist das Programm für die Universität hochprofitabel. Zugleich wachsen die Kohorten von Jahr zu Jahr, es gibt inzwi‐ schen so viele BewerberInnen, dass nur ein Bruchteil angenommen werden kann, denn es ist extrem schwierig, in der Region ausreichend fremdsprachen‐ didaktisch geschultes Hochschulpersonal zu finden. Als englischdidaktisches Masterprogramm ist der IMTE ein Exotikum in Kanada, erst recht im ländlich geprägten Nova Scotia. Weshalb die Studierenden bereit sind, so viel Geld zu zahlen, sei hier nur kurz gemutmaßt: In vielen Ländern der Welt verspricht ein kanadischer Masterabschluss exzellente Karrieremöglichkeiten. Hinzu kommt der muttersprachliche Nimbus eines Programms, das Englischlehrkräfte ausbil‐ 274 L E O W I L L <?page no="275"?> 2 Die als sprachnormbestimmend wahrgenommenen Länder des inner circle nach Kachru (1992), nämlich USA, UK, Kanada, Australien und Neuseeland, verfügen über symbo‐ lische Macht insofern, als sich eine Dynamik globaler Unterwerfung etabliert hat, welche ohne Gewaltandrohung oder -anwendung durch den Hegemon virulent bleibt (Bourdieu 1982). det und dabei mit der symbolischen Macht eines inner circle country ausgestattet ist (Bourdieu bzw. Kachru 2 ). Für den Erfolg des Programms ist also die curricu‐ lare Ausgestaltung nahezu unerheblich. All dies weiß vermutlich das Board of Governors und beschloss kürzlich, das Programm von der Faculty of Education in die Faculty of Arts, in welcher auch Literatur und Linguistik angesiedelt sind, zu transferieren. Somit vollzog sich in etwa das Gegenteil dessen, was vor einigen Jahren in Innsbruck geschah, wo den Fachdidaktiken eine eigene Fakultät für LehrerInnenbildung gewidmet wurde. In Halifax wird fortan zu beobachten sein, in welchem Maße die englischdidaktischen Studienanteile von fachwissenschaftlichen ersetzt werden. Vor allem in einem Szenario, in dem die didaktischen Lehrveranstaltungen gänzlich verschwänden, entstünde ein hochinteressantes Experimentalsetting: Angesichts der hohen Studiengebühren ist kaum denkbar, dass Seminare in diesem Masterprogramm polyvalent ange‐ boten werden. Eine Literaturprofessorin beispielweise befände sich erstmalig in der Situation, ein Seminar speziell für diese Klientel zu konzipieren. Würde sie von sich aus literaturdidaktische Elemente inkludieren? So würden gleichsam subkutan didaktische und fachwissenschaftliche Aspekte fusionieren. In einem solchen Fall könnten konvergente Konkretionen, wie sie in diesem Sammelband entworfen werden, als Denkimpulse dienen. Die beiden Vignetten illustrieren Dynamiken, die sich in fachdidaktischen Kontexten, jedoch in Abwesenheit einer German ‚Didaktik‘ tradition, entfalten. Worin letztere heute besteht, blieb bislang implizit. In der Folge möchte ich mich an einem knappen Bestimmungsansatz versuchen. Ich beziehe mich dabei auf die Englischdidaktik. Andere mögen beurteilen, inwieweit diese Beschreibun‐ gen auf andere Fachdidaktiken übertragbar sind. 3 Ein strukturtheoretischer Bestimmungsversuch Die strukturtheoretische Bestimmungsmethode wie Helsper sie verwendet, um Lehrerprofessionalität zu beschreiben (Helsper 2002; Helsper 2007; Terhart 2011), scheint mir ein passendes Instrumentarium für die Darstellung der Englischdidaktik im deutschsprachigen Raum. Helsper geht von antinomischen Strukturen aus, also von dem jeweiligen Handlungsfeld innewohnenden Axio‐ men, die miteinander konfligieren und zu mehr oder weniger konkreten Span‐ 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit 275 <?page no="276"?> 3 In Österreich gibt es statt eines Referendariats eine Induktionsphase mit Mentoring, die sich über einen Zeitraum von 12 Monaten erstreckt und der Lehrperson als Einführung in das Lehramt bzw. als Einstieg in das Berufsleben dient. Weitere Informationen unter https: / / www.bmbwf.gv.at/ Themen/ schule/ fpp/ ip.html [10.02.2025] nungen führen. Die folgenden Spannungsverhältnisse sind der Englischdidaktik inhärent und überlagern einander: • Theorie versus Praxis In weitgehender Übereinstimmung mit einem vorwissenschaftlichen Verständ‐ nis von „Praxis“ beziehe ich mich hier auf reale Momente des Lehrens und Lernens des Englischen als Fremdsprache. Dagegen beschreibt „Theorie“ die Abstraktion und (z. T. normative) Idealtypisierung sowie die Kontextuierung und Relationierung all jener praktischen Ereignisse. Praxis ist nie vollständig in der theoretischen Idealtypik aufgehoben. Die Spannung zwischen Theorie und Praxis ergibt sich vor allem angesichts dieses praktischen Überschusses und dessen unauflöslicher Unbestimmtheit, wodurch sich die fundamentale Frage nach dem Nutzen der Theorie für die Praxis stellt, und dies insbesondere im Kontext der universitären Lehrkräftebildung. • Universität versus Schule Als Ort der Lehrkräftebildung steht die Universität im Dienste des Schulwesens. Die Englischdidaktik gilt als dasjenige Fach im Lehramtsstudium, welches die spätere Tätigkeit der Englischlehrenden am zielgenauesten vorbereitet. Auf personeller Ebene spiegelt sich dies in der Abordnung von Englischlehrkräften an die englischdidaktischen Lehrstühle. Auf curricularer Ebene äußert es sich in der Betreuung der Schulpraktika im Fach Englisch durch die Lehrenden der Englischdidaktik. Zugleich sind die englischdidaktischen Studienteile noch immer flächendeckend geringer als die der Fachwissenschaft. Englischdidakti‐ sche Lehrveranstaltungen sind also vereinzelt praktikumsbegleitend, in der Regel bestehen sie jedoch aus gewöhnlichen Seminaren. Zu deren Gestaltung existieren überraschend wenige konzeptuelle Überlegungen (demgegenüber eine Unmenge empirischer Erhebungen). • Bildung versus Ausbildung Die Englischdidaktik als Professionalisierungsdisziplin oszilliert innerhalb eines unscharfen Antagonismus von „Bildung versus Ausbildung“. Ihre universitäre Verankerung legt humboldtsche Bildungsaffinität nahe, während das Berufsfeld als permanenter Fluchtpunkt eine gewisse Praxisorientierung verlangt. Die Existenz und Beschaffenheit des Referendariats 3 als Ausbildungsmaßnahme, 276 L E O W I L L <?page no="277"?> sowie die Tatsache, dass das Studium diesem sequenziell vorausgeht, lässt das normative Pendel für die universitäre Englischdidaktik in Richtung Bildung ausschlagen, also in Richtung einer Lehre, die grundlegende Aspekte des Fremdsprachenlernens normativ und kontrovers diskutiert und sich nicht vor interdisziplinären Bezügen scheut. Auch der Umstand, dass englischdidakti‐ sches Personal an Universitäten größtenteils über eine geringe und/ oder lange zurückliegende schulische Unterrichtserfahrung verfügt, unterdessen aber eine akademische Praxis beherrscht, die bei Oakeshott emphatisch als „conversation“ (1989/ 1950) beschrieben ist, verstärkt die wissenschaftliche Notwendigkeit, grundlegende Erwägungen über eine englischdidaktische Universitätslehre anzustellen, welche unter Berücksichtigung aller kontextuellen Faktizität ihrem Bildungswie ihrem Ausbildungsanspruch gerecht wird. • Lehre versus Forschung In der Englischdidaktik befruchten Lehre und Forschung einander zumeist nur auf theoretischer Ebene, etwa indem Dozierende die im Rahmen ihrer jeweiligen Forschung erworbenen theoretischen Kenntnisse eines Themas zu Seminarin‐ halten machen. Das Konzept des Forschenden Lernens gilt als hochschuldidak‐ tisch anspruchsvoll. Dabei wäre den FachdidaktikerInnen grundsätzlich auch ein gewisses hochschuldidaktisches Können zuzugestehen. Einblicke in die Forschung der eigenen Dozentin zu erhalten und diese Forschung vielleicht sogar diskursiv beeinflussen zu können, vermittelt den Studierenden nicht nur eine analytische Perspektive auf Aspekte des Fremdsprachenlernens, es lässt sie auch teilhaben an der Entstehung gänzlich neuen Wissens. Das Bewusstsein, dass Fremdsprachenlernen theoretisch, empirisch und historisch beforscht wird (Caspari et al. 2022) und dass die verwendeten Methoden auch Lehrkräften offenstehen, erzeugt idealiter ein Gefühl gemeinschaftlicher Validierung. • Bezugspunkte: Fachwissenschaft vs. andere Fachdidaktiken vs. Erziehungswis‐ senschaft Die Englischdidaktik hat diverse Berührungspunkte mit benachbarten Diszipli‐ nen. Im Folgenden möchte ich die Kontakte zwischen der Englischdidaktik und den anglistischen Fachwissenschaften kommentieren, welche für die in diesem Sammelband befindlichen Texte von besonderer Bedeutung sind. Da‐ gegen fußt die Idee, eine Fakultät für LehrerInnenbildung einzurichten, auf der Annahme, dass die Fachdidaktiken untereinander von einem intensiveren Austausch profitieren und dass dieser erziehungswissenschaftlich anzureichern sei. Letztgenannter Aspekt wird weiter unten kommentiert. 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit 277 <?page no="278"?> 4 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit Die englische Sprachwissenschaft (oder Linguistik) und die englische Literatur- und Kulturwissenschaft gelten als „Fachwissenschaften“, welche der Englisch‐ didaktik als Nährboden und Bezugsrahmen dienen. Dabei werden Linguistik und Didaktik vor allem im britischen Raum als dermaßen affin angesehen, dass letztere zum Teil als Unterdisziplin der ersteren geführt wird, oder um genauer zu sein als Unterdisziplin zweiter Ordnung, denn das Fremdsprachenlernen er‐ scheint hier als ein Teilbereich der sogenannten Applied Linguistics. Widdowson problematisiert dieses Verständnis, denn es suggeriere, dass sich linguistische Erkenntnisse relativ leicht auf das Erlernen der Sprache „anwenden“ ließen, und zwar im Sinne einer linguistics applied: The textual findings of frequencies and co-occurrences have to be contextually reconstituted in the classroom for their reality to be realized, and this reconstitution must obviously be based on very different contextual conditions than those which activated the texts in the first place. The contextual authenticity from which textual features originally derived cannot be ratified by language learners precisely because they are learners and do not know (yet) how to do it. It is sometimes assumed to be self-evident that real language is bound to be motivating, but this must depend on whether learners can make it real. (Widdowson 2000: 7) Gerade aber weil sich ein solcher Kurzschluss verbietet, sind diffizile Über‐ legungen und empirische Untersuchungen vonnöten, welche die wirklichen Synergien aus Linguistik und Didaktik freilegen. So darf man beispielsweise optimistisch sein, dass korpusbasierte KI-Anwendungen in den kommenden Jahren diejenigen sprachdiagnostischen Verfahren unterstützen (oder ersetzen) werden, welche bisher einen Gutteil der Arbeitszeit von Fremdsprachenlehr‐ kräften in Anspruch nehmen. Um didaktische Fortschritte in diesem Sinne zu erzielen, wäre die Zusammenarbeit der beiden Disziplinen unbedingt zu begrüßen. Literatur-/ Kulturwissenschaft und Fremdsprachendidaktik sind in Deutsch‐ land so eng miteinander verbunden wie nirgendwo sonst. Während in Deutsch‐ land mehrere Professuren existieren, die englische Literatur- und Kulturdidaktik fokussieren (z. B. Gießen, Duisburg-Essen), wird etwa im englischsprachigen Ausland eine solche Spezialisierung als relativ exotisch wahrgenommen. Einen historischen Meilenstein markiert das in Gießen von Lothar Bredella und Her‐ bert Christ eingeworbene und hochproduktiv ausgestaltete Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“, welches um die Jahrtausendwende starke Akzente im fremdsprachendidaktischen Diskurs setzte. Freilich ist unklar, welcher exakte Zusammenhang zwischen der Literaturdidaktik an den Univer‐ 278 L E O W I L L <?page no="279"?> 4 Zur Situation in Österreich siehe z. B. Dalton-Puffer, Boeckmann & Hinger (2019: 216): “By far the most intensively researched and discussed aspect of inter/ transcultural pedagogy is the role of LITERATURE. As noted above, this stands in stark contrast to the progressive marginalisation of literature in the Austrian FL curriculum, where it is mentioned as one in a row of possible ‘topics’ along with family, food, or adolescence at lower and as one ‘text type’ among many at upper secondary level.” sitäten und dem fremdsprachlichen Literaturunterricht an den Schulen besteht. Fakt ist jedoch, dass der hohe Stellenwert, den die Literatur beispielsweise im Englischunterricht an deutschen Gymnasien einnimmt, von einer banalen Selbstverständlichkeit geprägt ist, die man andernorts vermisst. 4 Während die bisherigen Bemerkungen zu Fachdidaktik und Fachwissen‐ schaft von rudimentärer und wissenschaftstheoretischer Natur waren, soll nun der Aspekt der Fachlichkeit in Bezug auf das Individuum thematisiert werden. Aus meiner derzeitigen Forschung (A phenomenology of pre-service language teacher education in Germany) ergibt sich u. a. eine Ausdifferenzierung der omnipräsenten Forderung nach Praxisorientierung in der Lehrkräftebildung (z. B. Babel 2005; Neuweg 2005, 2016). Englischlehrkräfte, die retrospektiv und idiographisch zu ihren Erfahrungen im Lehramtsstudium befragt werden, lassen feine Nuancen eines Phänomens erkennen, das sich vereinfachend als „Theo‐ riefeindlichkeit“ bezeichnen lässt. Dies impliziert insbesondere eine kritische Haltung bezüglich der Ausgestaltung fachwissenschaftlicher Lehrveranstaltun‐ gen. Hier nur exemplarisch, aber durchaus repräsentativ: Wir haben uns da schon immer gewünscht, dass man eine Literaturauswahl hat in den Literaturseminaren, mit welchen man vielleicht was in der Schule anfangen kann. Und das war alles immer so, was halt die Dozenten gerade cool fanden, deren Steckenpferd oder was sie für ihre Forschungsarbeit gebraucht haben. Es war einfach wirklich nicht auf die Lehrer ausgelegt, obwohl das Lehramtsstudium da die meisten Studenten im Bereich der Anglistik und der Amerikanistik hatte. Und sie haben auch offen gesagt: „Bei uns lernst du halt wie du mit dem Buch klarkommst und wie du das analysierst. Und das kannst du ja mit jeder anderen Lektüre auch machen.“ Aber dass man als Lehrer nicht die Zeit hat, wenn für das Abitur feststeht, dass man beispielswiese „To Kill a Mockingbird“ behandeln soll, dafür hatten sie kein Verständnis. [ Jana 0: 34: 11.0] Auch hätten sich nahezu alle Befragten höhere englischdidaktische Anteile am Studium gewünscht, wobei man berücksichtigen muss, dass sie sich eben mit einem Englischdidaktiker unterhalten, während sie dies zu Protokoll geben. Tendenziell aber offenbart sich hier ein Problem: Diejenigen, die es am besten wissen sollten, weil sie beides kennen - Lehramtsstudium und anschließende Berufspraxis -, halten herzlich wenig von einer linguistischen oder literarischen 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit 279 <?page no="280"?> Fachlichkeit, die losgelöst von didaktischen Belangen agiert. Eine ausführliche Bearbeitung dieses Dilemmas ist hier nicht zu leisten, jedoch möchte ich einige Gedanken teilen, die mir diesbezüglich relevant scheinen. Unterrichtliches Geschehen ist nur bedingt planbar (van Manen 1991: 144) und dies gilt in besonderem Maße für einen kommunikativ gestalteten Fremd‐ sprachenunterricht, in dem die SchülerInnen als genuine Individuen zu Wort kommen sollen. Die reaktiven und spontanen Anteile des Lehrerhandelns sind nicht zu unterschätzen sowohl in ihrer Quantität wie in ihrer Bedeutung für die Qualität des Unterrichts. Die naheliegende Implikation dieser Tatsache liegt für Fremdsprachenlehrkräfte in der unverhandelbaren Maxime, dass ihrerseits höchste fremdsprachliche Kompetenz anzustreben ist, da nur sie die gebotene Flexibilität im unterrichtlichen Sprachhandeln erlaubt. Die mündliche Sprach‐ beherrschung muss demnach als zentraler Aspekt der Fachlichkeit gelten, wodurch sich wiederum Folgen für die Lehrkräftebildung ergeben. Eine weniger offensichtliche Implikation beruht auf folgender Argumentationslinie: Lehrer*innen sind stets als ganze Personen in ihr berufliches Tun eingestrickt. Wie jemand unterrichtet, Wissen vermittelt, den Schüler*innen begegnet, mit Kolleg*in‐ nen zusammenarbeitet und sich in der Organisation verortet, hängt immer auch davon ab, wer er selbst ist, von welchen Überzeugungen er sich leiten lässt, was ihm als Mensch wichtig ist. (Bonnet & Hericks 2020: 283) Ein Werbeslogan der Süddeutschen Zeitung lautete einst: „Schenken Sie Ihren Kindern kluge Eltern.“ Profitieren also die Kinder, wenn ihre Eltern das Feuille‐ ton lesen? Was haben die SchülerInnen davon, wenn ihre Englischlehrerin in ihrer Freizeit das Theater besucht? Im kompetenzorientierten Zeitalter muten dergleichen Gedanken geradezu mystisch an, und doch halte ich sie zumindest für plausibel: Die Lehrperson als verkörperte Fachlichkeit, die sich ihren Lernen‐ den dialogisch, spontan und reaktiv zu erkennen gibt. Was diesem Verständnis nach ständig und unkontrolliert ausströmt, ist die intime Verwandtschaft von Subjekt und Lerngegenstand, welche sich in sprachlicher Bravour manifestiert und sich in profunder Fachkenntnis immer wieder unaufdringlich bahnbricht. Eine solche Emphase negiert freilich nicht, sondern ergänzt vielmehr, den zentralen Wert fachspezifischer Könnerschaft wie er zuletzt von Legutke, Saunders und Schart (2022) proklamiert wurde. Man mag solchen Überlegungen gar gesellschaftliche Konnotationen abringen: Geisteswissenschaftliche Studi‐ engänge gelten als brotlos, sodass sich jenseits des Lehramtsstudiums immer weniger Menschen für sie entscheiden. Falls nun die Lehramtsstudiengänge zugunsten einer verstärkten Praxisorientierung ihre fachwissenschaftlichen Anteile reduzieren, stellt sich für mich die Frage nach dem demographischen 280 L E O W I L L <?page no="281"?> Fortbestand einer gesellschaftlich relevanten Intelligenzija. Wer kommt künftig noch in Kontakt mit alter Literatur oder mit der Sprechakttheorie? Es sind womöglich die angehenden Lehrpersonen. Und was im nordamerikanischen Diskurs unter der Chiffre des Anti-Intellektualismus (Rigney 1991) diskutiert wird, sollte im deutschsprachigen Raum mindestens als cautionary tale zur Kenntnis genommen werden. Inwiefern aber können Fachwissenschaft und Fachdidaktik einander befruchten? Der vorliegende Sammelband bildet eine vielversprechende Kasuistik. Hier wird die Konkurrenzstellung überwunden. Praxisorientierung und Fachlichkeit ergänzen sich gegenseitig in Form von Lehrprojekten und theoretischen Beiträgen, die den aktuellen Forschungsstand der jeweiligen Fachdidaktik und Fachwissenschaft reflektieren. 5 Interdidaktische Kaffeepause Als primäre Bezugsdisziplinen einer jeden Fachdidaktik wurden bereits ge‐ nannt: die jeweilige Fachwissenschaft, andere Fachdidaktiken, die Erziehungs‐ wissenschaft. Offen bleibt die grundlegende Frage, ob die Fachdidaktik den Austausch mit einem dieser drei Bezugspunkte priorisieren sollte, beziehungs‐ weise welche Aspekte im Falle einer unumgänglichen Priorisierung zu berück‐ sichtigen sind. Die notwendige Ausgestaltung institutioneller Körperschaften an Universitäten bedeutet einen solchen Sachzwang, welcher hier freilich nicht annähernd erschöpfend analysiert, geschweige denn aufgelöst werden kann. Stattdessen sei eine abschließende Episode erlaubt: Der hier vorliegende fach.didaktische Sammelband entstand einer institu‐ tionellen Trennung zum Trotz, denn an der Universität Innsbruck sind die Fachdidaktiken für Deutsch, Fremdsprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch), Geschichte und Politische Bildung, Bildung und Kommunikation für nachhaltige Entwicklung sowie für Mathematik und Na‐ turwissenschaften innerhalb einer Fakultät angesiedelt und somit von den Fachwissenschaften strukturell getrennt. In Gießen hingegen existiert das Modell der fachwissenschaftlichen Didaktikeinbindung, was in den deutsch‐ sprachigen Ländern tendenziell den Normalfall darstellt. So begegne ich als Englischdidaktiker höchst selten VertreterInnen anderer Fachdidaktiken, dafür umso häufiger den KollegInnen aus der englischen Linguistik und Literaturwis‐ senschaft. Nur durch einen glücklichen Zufall lernte ich Caro, eine Kollegin aus der Geschichtsdidaktik, kennen. Fast jeden Morgen treffen wir uns zum Kaffeetrinken im Uni-Café. Wir sprechen über Alltägliches, aber eben auch über Interviewleitfäden, über Fenstermacher (1994), über Phänomenologie und über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten unserer jeweiligen Fachdidaktiken. 10 Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Fachlichkeit 281 <?page no="282"?> Man kennt die Schwierigkeit, wenn in interdisziplinären Forschungskolloquien ein Vortrag bisweilen so weit von der eigenen Forschung entfernt liegt, dass man ihn zwar interessant finden mag, jedoch selbst kaum imstande ist, der oder dem Vortragenden hilfreiche Rückmeldungen zu geben. In meinem infor‐ mellen Kolloquium mit Caro - als solches könnte man unsere Kaffeepausen bezeichnen - scheint mir dieses Problem nicht zu bestehen. Dass sich ein solcher Austausch über diverse Fachdidaktiken erstrecken könnte, etwa in Form eines transdidaktischen Kolloquiums, erscheint mir nun so einleuchtend, dass mir die KollegInnen aus Innsbruck meine gedankliche Trägheit nachsehen mögen. Und dennoch gilt, dass fach.didaktische Initiativen wie dieser Sammelband oder die ihm zugrundeliegende Ringvorlesung einer Stärkung der didaktischen Fachlichkeit im oben beschriebenen Sinne dient: Two things can be true. 6 Literaturverzeichnis Bergmann, K. & Schneider, G. (1997). Geschichte der Geschichtsdidaktik und des Ge‐ schichtsunterrichts. In K. Bergmann, K. Fröhlich, A. Kuhn, J. Rüsen, G. Schneider & A. Assmann (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik. 5. überarbeite Auflage (245-254). Seelze-Velber: Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung. BMBWF (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung) (2025). Themen Schule: Induktionsphase. Bourdieu, P. (1982). Ce que parler veut dire. L’économie des échanges linguistiques. 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