4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis
Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Tagungshandbuch 2025
0217
2025
978-3-3811-3832-6
978-3-3811-3831-9
expert verlag
Florian Schäfer
Technische Akademie Esslingen e. V.
10.24053/9783381138326
Im Mittelpunkt des 4. Kolloquium "Straßenbau in der Praxis" am 18. und 19. Februar 2025 steht der Erfahrungsaustausch von und mit Praktikern. Durch anwendungsorientierte Vorträge und zahlreiche Praxisbeispiele wird die praktische Seite des Straßeninfrastrukturbaus abgebildet.
Fokus auf Nachhaltigkeit
Bislang wurde Nachhaltigkeit im Straßenbau häufig nur theoretisch behandelt. Dabei ist es gerade jetzt entscheidend, dass wir uns an greifbaren Erfahrungen orientieren können. Best-Practice-Beispiele können dabei sehr zur Verbesserung der Nachhaltigkeit beitragen. Sei es direkt durch die konsequente Erfassung der CO2-Äquivalente, den Einsatz verbesserter Baumaterialien und -verfahren oder indirekt durch innovative Digitalisierungs- und Modularisierungsideen. Es ist an der Zeit, Lösungsansätze mit Praxisbeispielen vorzustellen und im Straßenbau einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
<?page no="0"?> Herausgegeben von Florian Schäfer 4.Kolloquium Straßenbau in der Praxis Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2025 <?page no="1"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis 18. und 19. Februar 2025 Technische Akademie Esslingen <?page no="3"?> Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis Fachtagung über Planung, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2025 Medienpartner <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2025. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-381-13831-9 (Print) eISBN 978-3-381-13832-6 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de <?page no="5"?> 5 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 5 Vorwort Eine funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Das Planen, Bauen, Erhalten und Betreiben von Straßen für den Fahrzeugverkehr spielt dabei eine zentrale Rolle. Auch in Zukunft wird die Straßenverkehrsinfrastruktur der wichtigste Verkehrsweg bleiben. Nachhaltigkeit hat auch im Straßenbau einen hohen Stellenwert erlangt, da die Anforderung an Klimaschutz und CO 2 -Reduktion dringlicher ist als je zuvor. Um Klimaneutralität zu erreichen, hat sich die Politik engagierte Ziele gesetzt, sei es auf der Ebene von Europa, Deutschland oder auf Landesebene. All dies erfordert eine Vielzahl von Ideen und Maßnahmen. Ein einzelner Ansatz reicht oft nicht aus; vielmehr ist ein Bündel aus verschiedenen Maßnahmen erfolgversprechend. Bislang wurde Nachhaltigkeit im Straßenbau häufig nur theoretisch behandelt. Dabei ist es gerade jetzt entscheidend, dass wir uns an greifbaren Erfahrungen orientieren können. Best-Practice-Beispiele können dabei sehr zur Verbesserung der Nachhaltigkeit beitragen. Sei es direkt durch die konsequente Erfassung der CO 2 - Äquivalente, den Einsatz verbesserter Baumaterialien und -verfahren oder indirekt durch innovative Digitalisierungs- und Modularisierungsideen. Es ist an der Zeit, Lösungsansätze mit Praxisbeispielen vorzustellen und im Straßenbau einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Vor diesem Hintergrund findet das 4. Kolloquium „Straßenbau in der Praxis“ am 18. und 19. Februar 2025 an der Technischen Akademie Esslingen statt, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen und der Vereinigung der Straßen- und Verkehrsingenieure Baden-Württemberg. Im Rahmen des Kolloquiums werden etwa 80 Plenar- und Fachvorträge aus Forschung, Industrie und Praxis in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Nachhaltigkeit • Recycling und umweltfreundliche Materialien • Digitale Technologien und Planung • Bauweisen und Infrastruktur • Instandhaltung und Management Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends im Straßenbau unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50045. <?page no="7"?> 7 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenar 0.1 Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Straßenbaus 15 Andreas Hollatz 1.0 Nachhaltigkeitsbilanzierung 1.1 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland 19 Austin Francis-Xavier, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb 1.2 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 -Soll- und -Ist-Werte - Entwicklung und Anwendung an einem Praxisprojekt 25 Jana Wackenheim 1.3 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen 37 Pamela Haverkamp, M. Sc., Univ.-Prof. Marzia Traverso (PhD) 2.0 Digitale Projektplanung 2.1 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements 49 DI Michael Hohenegger, Stefan Pölzl, B. Sc. 2.2 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz 55 Dipl.-Ing. Adrian Schubert, Dr.-Ing. Andreas Müller, Stephanie Riedler, M. Sc. 3.0 Baustoffrecycling 3.1 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau 67 Dr.-Ing. Thomas Merkel 3.2 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau - Von der Aufbereitung bis zum Einbau vor dem Hintergrund gültiger Normen sowie Ausblick & Potentiale 75 Jan Bielefeld, MBA Unternehmensführung Bau, Alexander Schäfler, M. Eng. Bauingenieurwesen 4.0 Zustandserfassung 4.1 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI - Erfassung, Analyse und Prognose von Straßenzuständen unter Berücksichtigung externer Einflussfaktoren 83 Winona Grimsehl-Schmitz 4.2 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen - Ergebnisse aus Messungen der Verkehrsbelastung kommunaler Straßen im mFUND-Projekt DaRkSeit 91 Dr.-Ing. Wolf Uhlig 4.3 Verbesserung des Erhaltungsmanagements von Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungs- und Temperaturmessdaten des mFUND-Projektes DaRkSeit 97 Dipl.-Inf. Uwe Reinhardt 4.4 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland 105 Dr. Claudia Podolski, Dr.-Ing. Dirk Jansen <?page no="8"?> 88 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 4.5 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter 111 Dipl.-Ing. Silvio Roth, Assistant Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Lukas Eberhardsteiner, Univ.-Lektor Dipl.-Ing. Dr. techn. Valentin Donev, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Ronald Blab 4.6 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen - Praxisbeispiel des Landkreises Börde zur Aufstellung des Kreisstraßenausbauprogramms und Unterhaltungsmaßnahmen an der Kreisstraßeninfrastruktur 117 Dr. Denis Gruber 5.0 Nachhaltigkeit in der Ausführung 5.1 Maßnahmen der Straßenbauverwaltung BW zur Förderung nachhaltiger Bauausführungen in der Vergabe und dem Bauvertrag 127 Dr.-Ing. Thomas Chakar 5.2 Die Chancen einer modernen Vergabepraxis - Berücksichtigung der CO 2 e-Emissionen als Wertungskriterium 131 Luigi Paolo Ceci, M. Eng. 6.0 Straßenbau 6.1 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung 137 Dr. Klaus Tilger 7.0 Sonderbauweisen 7.1 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten 151 Dr. Bastian Wacker, Dr. Marko Wieland, Claudia Gidde 7.2 Hohe Verformungsbeständigkeit für stark beanspruchte Verkehrsflächen - HANV als Deckschicht 157 Sebastian Lorenz 8.0 Nachhaltigkeitsbewertung und -anwendung 8.1 CSRD als Chance verstehen und in der Praxis umsetzen 161 Paul Reich, M. Eng. 8.2 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau - Entwicklung eines Zertifizierungssystems für Infrastrukturprojekte auf der Grundlage des DGNB-Systems 165 Dipl. Ing. (FH) Markus Kelzenberg, Theda Witte, M. Sc., Mauritz Schröder, M. Sc 8.3 DGNB-Zertifizierung für die Transportinfrastruktur - Der Weg zum nachhaltigeren Handeln 171 Marieke Tiede, M. Sc. 8.4 «Grüner» Asphalt - Klimafreundlicher Straßenbau mit Pyrolysekohle 175 Dipl.-Ing. Kai Teschner, Dipl.-Bauingenieur HTL Mischel Schweizer 9.0 Pflasterbauweisen 9.1 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis 181 Dr.-Ing. Carsten Dierkes 9.2 Versickerungsfähige Pflasterbauweise 191 Alexander Eichler, Technischer Betriebswirt <?page no="9"?> 9 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 9 9.3 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton 195 Dipl.-Ing. Rüdiger Singbeil 10.0 Kaltrecycling 10.1 Kaltrecycling - Innovative und nachhaltige Straßeninstandsetzung 211 Dipl.-Ing. (FH) Martin Diekmann 10.2 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht 215 Dr. Bastian Wacker, Dr. Ivan Isailović, Dr. Mehdi Kalantari, Dr. Dirk Jansen, Stephan Ehlers, Hans-Werner Seul 10.3 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen 223 Christiane Raab, Manfred N. Partl, Philip Bürgisser 10.4 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen 231 Ronny Sorge, Patrick Hörmann, Stefan Heberle, Hannes Birnstiel 11.0 Erhaltungsmanagement 11.1 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement 243 Dipl.-Ing. Dr. techn. Alfred Weninger-Vycudil, Jakob Quirgst, B. Sc., Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Sommerauer 11.2 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes 253 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt 11.3 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement- Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte im kommunalen Bereich 263 Amina Wachsmann, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb 12.0 Temperaturabgesenkter Asphalt - Rahmenbedingungen 12.1 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? 275 Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg 12.2 Temperaturabgesenkter Asphalt - Maßnahmen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) für den Technologiewandel 285 Oberbaurätin Vera Schmidt 12.3 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen 289 Thomas Schönauer, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg, Dipl.-Ing. Marco Schünemann, Dr.-Ing. Diana Simnofske 13.0 Ökobilanzierung 13.1 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut 307 Leonie Weber, B. Eng. <?page no="10"?> 10 10 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 13.2 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten 313 Dipl.-Ing. (FH) Michael Fuchs, M. Sc. 14.0 Radverkehr 14.1 Online-Beteiligung im Rahmen von Mobilitätskonzepten 323 Tim Schlatterer, B. Eng. 14.2 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur 327 Felix Taubitz, M. Eng., Jiayao Qiu, M. Sc., Ian Brow, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb 15.0 Ingenieurbauwerke 15.1 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung 341 Dr. Iris Hindersmann, Dr.-Ing. Kalliopi Anastassiadou, Sonja Nieborowski, M. Sc., Dr.-Ing. Heinz Friedrich, Dr.-Ing. Carl Richter 15.2 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen 347 Dipl.-Ing. Nicole Zakouril, Dr.-Ing. Tim Weirich 16.0 Temperaturabgesenkter Asphalt in der Ausführung 16.1 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren 355 Stephan Harnischfeger 16.2 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt 361 Hendrik Ebbers, B. Eng., Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg, Thomas Schönauer, M. Sc. 16.3 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität 369 Dr. rer. pol. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dipl.-Ing. (FH) Martin Haberl 17.0 Ökobilanzierung - Tools 17.1 Infrastrukturplanung neu gedacht: nachhaltig und digital 377 Isabelle Armani 17.2 Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken 381 Dr. Marcus Müller, Sven Gohl, Klaus Groll, PD Dr. Jörg Leukel 18.0 Radwegebau 18.1 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen 391 Dipl.-Ing. (FH) Guido Schilling 19.0 Einzelthemen 19.1 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis 399 Dipl.-Ing. Bau (FH) Edgar Theurer - BDB <?page no="11"?> 11 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 11 19.2 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen 413 Marcus Herbrecht 20.0 BIM in Planung, Ausführung, Erhaltung 20.1 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung 421 Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner 20.2 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? 429 Dr.-Ing. Robert Hartung, Florian Ehmcke, M. Eng., Yanik Runde 21.0 Nachhaltigkeit im Straßenbetrieb 21.1 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften 437 Prof. Dr.-Ing. Thorsten Cypra, Dr. Sonja Cypra 21.2 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen 445 Dr.-Ing. Ute Stöckner, Prof. Dr. Susanne Kytzia, DI. Marco Conter, Prof. Dr. Markus Stöckner 21.3 Photovoltaik- und Ladeinfrastrukturaktivitäten im Zuge der Straßeninfrastruktur in BW 457 Nakibulla Harunkhel, M. Eng., Regierungsbaumeister 22.0 Digitalisierte Baustelle 22.1 Digitalisierung & Automation im Straßenbau - ein Blick von heute in die Zukunft: Forschung, Entwicklung, Systeme, Projekte 463 Andreas Velten, MBA 23.0 Anhang 23.1 Programmausschuss 469 23.2 Autorenverzeichnis 471 <?page no="13"?> Plenar <?page no="15"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 15 Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Straßenbaus Andreas Hollatz Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur ist vor allem dann gewährleistet, wenn das Straßennetz eine möglichst hohe Dauerhaftigkeit aufweist. Die hierfür erforderlichen hochwertigen Baustoffe, Bauweisen und Bauverfahren haben einen entsprechenden finanziellen Bedarf zur Konsequenz, so dass die Bereitstellung entsprechender Finanzbudgets eine unmittelbare Auswirkung auf die Nachhaltigkeit hat. Effektive und etablierte Strukturen und Abläufe in der Straßenbauverwaltung haben ebenso die Sicherstellung eines resilienten Straßennetzes zum Ziel. Außerdem ist die Verkehrssicherheit von wesentlicher Bedeutung, welche gleichermaßen der Umsetzung nachhaltiger Aspekte dient. Nachfolgend angegebene Aktivitäten der Straßenbauverwaltung BW sind daher wesentliche Faktoren für die Nachhaltigkeit: Zustandserfassung und -bewertung des Straßennetzes sowie eine systematische Erhaltungsplanung - Einsatz hochwertiger Baustoffe, Bauweisen und Bauverfahren sowie deren Gütesicherung - Bauwerksüberwachung sowie eine daraus resultierende Sanierungsplanung (ggfs. Ersatzneubau) Brücken, Tunnel, Hang- und Felssicherungen) - besondere Berücksichtigung der Verkehrssicherheit in der Planung durch Sicherheitsaudits Die Erhaltung wie auch der Neu-, Um- und Ausbaus dürfen nur unter Beachtung zahlreicher technischer und ökologischer Vorgaben umgesetzt werden. Eine wichtige Aufgabe der Straßenbauverwaltung ist es daher auch die Wissensvermittlung - insbesondere bei neuen Mitarbeitern - wie auch der Erfahrungsaustausch. Um die Straßeninfrastruktur über das bereits hohe Maß hinaus noch nachhaltiger zu planen, bauen, erhalten und zu betreiben setzt die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (BW) diverse weitergehende Maßnahmen um: In der Planung fließt ein CO 2 -Schattenpreis in die Bewertung unterschiedlicher Planungsvarianten ein. Ein „Klimacheck“ bei Förderungen des Landes von kommunalen Planungen legt darüber hinaus zukünftig einen systematischen Fokus auf klimaverträgliche Projekte. Beim Bau und der Erhaltung wird - zunächst im Rahmen von Pilotmaßnahmen - geprüft, inwieweit nachhaltige Herstellungs- und Einbauverfahren sowie Materialien bei der Ausschreibung und der Vergütung begünstigt werden können. Beispielsweise kann mit dem Einsatz von Temperaturabgesenktem Asphalt nicht nur Belangen des Arbeitsschutzes sondern auch des Klimaschutzes nachgekommen werden. Außerdem werden Abläufe und Strukturen in der Brückenerhaltung optimiert, um effiziente Brückensanierungen bei einem hochwertigen Natur- und Artenschutz umzusetzen. Für einen nachhaltigen Betrieb ist die Versorgung der Betriebshöfe und Tunnelanlagen mit regenerativer Energie von wesentlicher Bedeutung. Daher stellt die Straßenbauverwaltung BW Flächen zur Nutzung durch Photovoltaik-Anlagen zur Verfügung. Fazit: Die Straßenbauverwaltung BW hat die Umsetzung ein höchstmögliches Maß an Nachhaltigkeit zum Ziel und nutz hierfür Ihre etablieren und effektiven Strukturen, Abläufen und Ressourcen (finanziell und personell). Moderne Mittel und Methoden werden darüber hinaus geprüft und ggfs. implementiert, um weitere Nachhaltigkeitspotentiale zu realisieren. <?page no="17"?> Nachhaltigkeitsbilanzierung <?page no="19"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 19 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland Austin Francis-Xavier, M. Eng. Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Zusammenfassung Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit zeigt auf, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales gleichwertige Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung im Bauwesen leisten. Insbesondere im Straßenbau ist das Bewusstsein für ökologische Aspekte deutlich gewachsen. Immer mehr Auftragnehmer, Behörden und andere Interessengruppen legen bei der Produktauswahl verstärkt Wert auf Umweltaspekte, um die Anforderungen an nachhaltiges Bauen zu erfüllen. Umweltproduktdeklarationen (EPD, en: environmental product declarations) von Herstellern für Asphaltmischgutarten und -sorten bieten hierbei eine verlässliche Grundlage, um eine einheitliche ökologische Bewertung durchzuführen. 1. Einführung Nachhaltiges Bauen im Sinne der Ökologie im Asphaltbereich erfordert eine umfassende Betrachtung und Analyse jeder Asphaltmischgutart und -sorte im Straßenbau in Deutschland. Jeder Rohstoff eines Asphaltmischguts beeinflusst die Umweltaspekte und -auswirkungen des gesamten Produkts. Die Ökobilanz, das zentrale Element jeder Umweltproduktdeklaration (EPD), dient dabei als Werkzeug zur Abschätzung der mit dem Asphaltprodukt verbundenen Umweltauswirkungen. EPDs erfassen nicht nur das Treibhauspotenzial, sondern auch eine Vielzahl weiterer Umweltwirkungskategorien und Umweltindikatoren, wie Wassernutzung, Versauerungspotenzial und Eutrophierungspotenzial. Die Ökobilanz liefert jedoch keine abschließende Entscheidung, sondern dient als fundierte Entscheidungsgrundlage für die ökologische Bewertung im Straßenbau. Die Bedeutung der Berücksichtigung von Umweltwirkungskategorien und Umweltindikatoren im Vergabeprozess wird durch die neue, bereits inhaltlich beschlossene EU-Bauproduktenverordnung (BauPVO) zunehmend hervorgehoben. Obwohl die Verordnung bislang lediglich die Betrachtung des CO 2 -Ausstoßes als verpflichtend vorschreibt, geht sie über diese Anforderung hinaus, indem sie auch eine Vielzahl weiterer wesentlicher Umweltmerkmale in den Fokus rückt. Diese wesentlichen Merkmale (u. a. Ozonabbau, Versauerung und Feinstaubemissionen) sind zwar noch nicht verpflichtend, sollen jedoch zunehmend in die Bewertung von Bauprodukten einbezogen werden, um eine ganzheitlichere und nachhaltigere Betrachtung zu ermöglichen [1]. Diese umfassende Betrachtung verdeutlicht, dass der CO 2 -Ausstoß allein nicht ausreicht, um die Umweltwirkungen von Produkten vollständig zu bewerten. Dank der bereits vorhandenen Integration dieser Umweltmerkmale in die EPDs nach EN 15804: 2012 + A2: 2019 + AC: 2021, erhalten Auftraggeber im Bauwesen künftig eine umfassende, standardisierte und vergleichbare Grundlage für ihre Entscheidungen. Bereits heute gibt es zahlreiche Projekte, die darauf abzielen, die CO 2 -Emissionen im Straßenbau zu reduzieren. So hat „Die Autobahn GmbH des Bundes“ beispielsweise bereits eine Ausschreibung durchgeführt, bei der der Preis mit 70 Prozent und der Aspekt „CO 2 e-Gesamtemissionen bituminöser Oberbau-Asphaltherstellung und Transport“ mit 30 Prozent gewichtet wurde [2]. Für die zusätzliche Berechnung der CO 2 e-Gesamtemissionen wurden den Bietern eigens entwickelte Excel-Tabellen zur Verfügung gestellt, die eine detaillierte Ermittlung der Emissionen ermöglichten [3]. Dieses Pilotprojekt verdeutlicht, wie wichtig es den Auftraggebern bereits ist, den gesamten Lebenszyklus eines Asphaltmischguts zu betrachten. Somit kann in Zukunft die EPD eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung dieser wichtigen Informationen spielen. Sie kann nicht nur die aufwendige Berechnung der CO 2 -Emissionen ersetzen, sondern mit der EPD lassen sich auch andere Umweltindikatoren in eine Bewertung einbeziehen. 2. Was ist eine EPD? Eine EPD, en: environmental product declaration ist eine Typ III Umweltdeklaration und somit ein Dokument, das umfassende Informationen über die Umweltauswirkungen sowie die funktionalen und technischen Eigenschaften eines Produkts (hier: Asphaltmischgut) bereitstellt. Das zentrale Element jeder EPD ist die Ökobilanz, die die quantifizierten Umweltauswirkungen eines Produkts über dessen gesamten Lebenszyklus (von der Rohstoffge- <?page no="20"?> 20 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland winnung bis hin zur Entsorgung, Wieder- oder Weiterverwendung) betrachtet. Eine EPD liefert dabei objektive, verifizierte und quantitative Daten zu einer Vielzahl von Umweltwirkungskategorien und Umweltindikatoren, wie etwa dem Globalen Erwärmungspotenzial (GWP), dem Versauerungspotenzial von Boden und Wasser (AP) sowie dem Eutrophierungspotenzial (EP) eines Produkts. Dabei erfolgt jedoch keine Bewertung der Produktqualität, vielmehr werden ausschließlich die quantifizierten Umweltauswirkungen dargestellt. Die EPD stellt somit eine zentrale Grundlage für die ökologische Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten dar. Sie dient als wertvolles Instrument für den Informationsaustausch zwischen Auftragnehmern, Behörden und anderen Interessengruppen, die bei der Planung und Umsetzung von Straßenbauvorhaben mitwirken. Die EPD selbst ist jedoch kein Zertifikat, sondern ein verifiziertes Dokument, das von einem unabhängigen Dritten auf Vollständigkeit, Plausibilität und Normenkonformität überprüft wird [4]. 3. Was ist eine PCR? Nachfolgend werden die Grundlagen für die Erstellung von EPDs für Asphaltmischgutarten und -sorten im Straßenbau in Deutschland erörtert. Erst eine einheitliche Methodik ermöglicht es Herstellern, Auftragnehmern, Auftraggebern und anderen Interessengruppen, die Nachhaltigkeit verschiedener Asphaltmischungen zu bewerten und zu vergleichen sowie gezielte Maßnahmen zur Minimierung der Umweltauswirkungen von Asphalt zu ergreifen. Eine PCR (Produktkategorieregeln, en: Product Category Rules) ist eine Zusammenstellung, die die spezifischen Regeln und Anforderungen für die Erstellung einer Typ III Umweltdeklaration für eine bestimmte Produktkategorie festlegt. Für die Erstellung einer EPD für Asphaltmischgutarten und -sorten nach dem Programm für Umwelt-Produktdeklarationen des Instituts Bauen und Umwelt e.V. (IBU) gelten grundsätzlich die zwei PCR- Dokumente Teil A und B [5]: • Die PCR - Teil A „Rechenregeln für die Ökobilanz und Anforderungen an den Projektbericht nach EN 15804 + A2: 2019“ [6] enthält allgemeine Anforderungen, die für alle Produktkategorien im Bauwesen gelten. Dazu gehören unter anderem grundlegende Festlegungen an die Rechenregeln für die Ökobilanz (LCA) als auch Anforderungen an die Dokumentation der Ökobilanzierung im Hintergrundbericht (Projektbericht) • Die PCR - Teil B „Anforderungen an die EPD für Asphalt“ [7] ist speziell für die Produktkategorie „Asphalt“ zugeschnitten und wird als ergänzendes Dokument zu Teil A genutzt. Das Dokument enthält detaillierte und spezifischere Anforderungen für die Erstellung der EPD für dieses spezifische Produkt. Diese PCR steht seit Oktober 2024 zur Verfügung. Sie enthält jedoch keine detaillierten Vorgaben, die eine Vergleichbarkeit der mit ihr erstellten EPD gewährleisten, wie sie z.-B. für die Bewertung im Rahmen von Ausschreibungs- und Vergabeverfahren erforderlich ist. Alle aktuellen PCR-Dokumente sind nach einer kostenfreien Registrierung auf der EPD-Online-Plattform des Instituts Bauen und Umwelt e.V. (IBU) unter dem folgenden Link verfügbar: https: / / epd-online.com/ . Die PCR-Dokumente stützen sich auf die folgenden international anerkannten Standards und Normen für Umweltproduktdeklarationen und stellt sicher, dass die EPD auf einer verlässlichen und standardisierten Basis beruhen: • Die DIN EN ISO 14025 „Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren“ regelt die Typ III-Umweltdeklaration, zu denen auch die EPD gehört. Im Gegensatz zu den Typ I- und Typ II-Umweltkennzeichen, die bestimmten Anforderungen an die Produktqualität stellen, fokussiert sich die EPD auf die Bereitstellung von quantifizierten Umweltinformationen, ohne das Produkt selbst zu bewerten [4]. • Die DIN EN 15804 „Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte“ regelt die Grundsätze für die EPD von Bauprodukten und -leistungen und gilt als Kern-PCR. Diese Norm sorgt dafür, dass EPDs für Bauprodukte europaweit einheitlich erstellt, verifiziert und genutzt werden können, um eine transparente und vergleichbare Bewertung der Umweltwirkungen von Bauprodukten zu gewährleisten [8]. • Die Normen DIN EN ISO 14040 „Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen“ sowie DIN EN ISO 14044 „Umweltmanagement - Ökobilanz - Anforderungen und Anleitungen“ bilden die Grundlage für die Erstellung der Ökobilanz und stellen sicher, dass die Daten nach anerkannten internationalen Standards erhoben werden [9]. 4. Was ist die c-PCR „Produktgruppenspezifische Regeln zur einheitlichen Erstellung von EPDs für Asphalt“? Die c-PCR „Produktgruppenspezifische Regeln zur einheitlichen Erstellung von EPDs für Asphalt“ [10] enthält spezifische Produktkategorieregeln und dient als zusätzlicher Leitfaden zu den allgemeinen Berechnungsregeln PCR - Teil A „Rechenregeln für die Ökobilanz und Anforderungen an den Projektbericht nach EN 15804 + A2: 2019“ sowie PCR - Teil B „Anforderungen an die EPD für Asphalt“ Die c-PCR wurde durch das Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe im Auftrag des Deutschen Asphaltverbandes (DAV) e. V. erstellt, da die PCR - Teil B: „Anforderungen an die EPD für Asphalt“ im Rahmen des EPD-Programms des IBU nur begrenzte Spezifikationen ermöglichte. Dies liegt vor allem daran, dass die PCR - Teil B sowohl als Grundlage für die Inhalte der EPDs dient als auch als Vorlage innerhalb der EPD-Online-Plattform verwendet wird. Dadurch wäre die Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen EPDs in vielen Fällen ein- <?page no="21"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 21 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland geschränkt, da eine Standardisierung der Datengrundlagen und Formate nur in sehr begrenztem Umfang erreicht werden konnte. Daher hat dieses Dokument das Ziel, gleiche Grundlagen für die Erstellung von EPDs für Asphaltmischgutarten und -sorten im Straßenbau in Deutschland zu definieren. Mit einer einheitlichen Methodik können Hersteller, Auftragnehmer, Auftraggeber und andere Interessengruppen die Nachhaltigkeit verschiedener Asphaltmischgüter bewerten, vergleichen sowie gezielte Maßnahmen ergreifen, um die Umweltauswirkungen der Herstellung von Asphaltmischgut im Straßenbau zu minimieren. Die c-PCR basiert ebenfalls auf international anerkannten Standards und Normen (u. a. DIN EN ISO 14040: 2021-02 und DIN EN 15804: 2022-03) für Umweltdeklarationen, umfasst verschiedene Phasen des Lebenszyklus von Asphaltmischgut (von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Wieder- und Weiterverwendung), die in einer EPD berücksichtigt werden und definiert, welche Prozesse in diesen Phasen des Lebenszyklus einzubeziehen sind. Im Wesentlichen ist in der c-PCR definiert, welche Datensätze für Sekundärdaten (Rohstoffe, Energie und Brennstoffe, Betriebsstoffe, Transporte, Abfallbehandlung) verwendet werden sollen, um eine Vergleichbarkeit der mit ihr erstellten EPDs zu gewährleisten. Weiterhin sind für die Primärdaten Anforderungen an die Datenqualität sowie den Betrachtungszeitraum definiert. Die c-PCR wurde im Dezember 2024 als ergänzendes DAV-Regelwerk zur Erstellung von EPDs veröffentlicht und ist unter dem folgenden Link https: / / www.asphalt. de/ themen/ umwelt/ pcrs-fuer-asphaltmischgut/ zu finden. 5. Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern Im Bereich der EPDs für Asphaltmischgut nehmen europäische Länder wie Norwegen und die Niederlande bereits eine führende Rolle ein. So wurde 2017 in Norwegen eine detaillierte PCR-Teil B („PCR - Part B for Asphalt“) für Asphalt eingeführt, die spezifische Anforderungen für die Erstellung von EPDs für Asphaltmischgut festlegt [11]. Auch die Niederlande sind hier weit fortgeschritten. Im Vergleich zu Norwegen haben sie jedoch eine noch detailliertere und spezifischere PCR mit dem Titel „Product Category Rules voor bitumineuze materialen in verkeersdragers en waterwerken in Nederland („PCR Asfalt“)“ entwickelt. Diese ermöglicht eine präzise und vergleichbare Dokumentation der Umweltauswirkungen von Asphalt, die es den Akteuren im Straßenbau ermöglicht, fundierte Entscheidungen im Vergabeprozess zu treffen [12]. Beide Länder gelten als europäische Vorreiter im Bereich der standardisierten Typ III Umweltdeklarationen für Asphaltprodukte. Sie zeigen auf, wie ein strukturiertes und fundiertes Dokument zur Erstellung von EPDs im Straßenbau erfolgreich implementiert werden kann. Gleichzeitig trägt die PCR - Teil B dazu bei, wissenschaftlich fundierte, faire Entscheidungen im Vergabeprozess zu ermöglichen und bietet einen klaren Anreiz für eine kontinuierliche Verbesserung der Umweltauswirkungen von Asphaltprodukten. Deutschland musste in dieser Hinsicht dringend nachziehen und ebenfalls eine umfassende PCR - Teil B für Asphalt etablieren, um den internationalen Standards gerecht zu werden und die ökologische Nachhaltigkeit im Straßenbau in Deutschland weiter voranzutreiben. Im Oktober 2024 wurde der erste Schritt unternommen und die PCR - Teil B „Anforderungen an die EPD für Asphalt“ wurde auf der Plattform des Instituts Bauen und Umwelt e.V. veröffentlicht. Weitere Schritte, wie die Integration in das Vergabeverfahren, müssen nun kontinuierlich vorangetrieben werden, um Deutschland eine führende Rolle in der europäischen und globalen Diskussion über nachhaltiges Bauen zu ermöglichen. Darüber hinaus wird auch auf europäischer Ebene intensiv an einer harmonisierten Lösung für die Einführung einer technischen Spezifikation gearbeitet. Die Herausforderung hierbei liegt darin, dass andere europäische Länder ihre PCR bereits etabliert haben und diese aktiv anwenden. Um eine europäische Lösung zu schaffen, müssen daher die unterschiedlichen Spezifikationen der einzelnen Länder berücksichtigt und unter einen gemeinsamen Rahmen gebracht werden - andernfalls ist eine wirkliche Harmonisierung schwer umsetzbar. 6. Das Institut Bauen und Umwelt e. V. (IBU) und seine Rolle bei der Entwicklung von PCR und EPD Das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) ist ein Verein mit dem Ziel, den ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit im Bauwesen zu fördern. Mit über 300 Unternehmen und Verbänden gehört das IBU zu den größten Zusammenschlüssen von Herstellern der Baustoffindustrie. In Zusammenarbeit mit Bau- und Umweltbehörden sowie internationalen Normungsinstituten hat das IBU ein EPD-Programm ins Leben gerufen, das vorrangig der Veröffentlichung von Umweltinformationen in Form von u. a. EPDs für Bauprodukte dient. Mithilfe der PCR - Teile A und B, die ebenfalls vom IBU mitentwickelt und veröffentlicht werden, können die IBU-Mitglieder EPDs für ihre Bauprodukte erstellen. Diese EPDs werden anschließend durch unabhängige dritte Experten (unabhängige Verifizierer) geprüft, verifiziert und veröffentlicht. Dabei wird der gesamte Prozess kontinuierlich von einem unabhängigen Sachverständigenrat begleitet. Auf nationaler und internationaler Ebene spielt das IBU eine zentrale Rolle als Programmbetreiber für EPDs und deren Veröffentlichung für Bauprodukte. Zudem setzt sich das IBU auf globaler und europäischer Ebene für die grenzüberschreitende Anerkennung von EPDs ein und arbeitet eng mit vielen europäischen sowie internationalen EPD-Programmhaltern zusammen, um eine breitere Akzeptanz und Anwendung von EPDs im Bauwesen zu fördern. [13] „Im IBU-EPD-Programm können folgende Typen von EPD erstellt werden: • Spezifische EPD: Deklaration der Umweltleistung eines bestimmten Produkts eines Herstellers bzw. einer Herstellergruppe. <?page no="22"?> 22 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland • Durchschnitts-EPD: Deklaration der durchschnittlichen Umweltleistung mehrerer ähnlicher oder aus einer Produktklasse stammenden Produkte eines Herstellers bzw. einer Herstellergruppe. • Repräsentative EPD: Deklaration der Umweltleistung eines bestimmten Produkts eines Herstellers bzw. einer Herstellergruppe, das begründet repräsentativ ist für mehrere ähnliche oder aus einer Produktklasse stammende Produkte dieser Herstellergruppe. • Muster-EPD: Deklaration der Umweltleistung des Produkts eines Herstellers bzw. einer Hersteller-gruppe mit der höchsten Umweltauswirkung (Worst-Case-Produkt). Bei Produkten mit einer im Wesentlichen gleichen stofflichen Zusammensetzung darf das Produkt mit den größten potenziellen Umweltauswirkungen (Worst-Case-Produkt) stellvertretend für jedes andere Produkt derselben Klasse bzw. Gruppe ausgewählt und deklariert werden. Dies ist für alle Produkte derselben Produktklasse mit geringeren Umweltauswirkungen verwendbar.“ [14] 7. Der Erstellungsprozess einer EPD für Asphaltprodukte Die PCR - Teil A, die PCR-Teil B: „Anforderungen an die EPD für Asphalt“ sowie die c-PCR „Produktgruppenspezifische Regeln zur einheitlichen Erstellung von EPDs für Asphalt“ bilden die Grundlage für die Erstellung von vergleichbaren EPD für Asphaltmischgutarten und -sorten. Jede EPD basiert auf den entsprechenden PCR, die sicherstellen, dass die Umweltauswirkungen von Produkten standardisiert und vergleichbar dokumentiert werden. Grundlage der EPD ist eine Ökobilanzierung. Hierfür werden die notwendigen Primärdaten im Asphaltmischwerk erhoben. Dieser Prozess kann entweder intern im Unternehmen oder durch einen externen Ökobilanz- Dienstleister erfolgen. Grundlage der Ökobilanz sind neben diesen Primärdaten die Sekundärdaten, für die in der c-PCR die zu verwendenden Datensätze zusammengestellt sind, was die Ökobilanzierung vereinfacht und vergleichbar macht. Abb. 1: Erstellungsprozess einer EPD <?page no="23"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 23 Der Weg zu einer EPD für Asphalt - Grundlagen zur Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Asphalt im Straßenbau in Deutschland Nach der Berechnung der Ökobilanz werden die erhobenen Daten in die EPD-Vorlage, welche gleichzeitig die PCR - Teil B ist, übertragen und ein detaillierter Hintergrundbericht wird erstellt. Sobald alle Daten vollständig sind, kann die EPD offiziell zur Verifizierung eingereicht werden, was mit einer Gebühr verbunden ist. Nach der Einreichung zur Verifizierung wird die EPD einem unabhängigen Verifizierer zugewiesen, der sowohl die EPD als auch den Hintergrundbericht gemäß den Vorgaben der DIN EN ISO 14025, der DIN EN 15804 und den Programmrichtlinien des IBU überprüft. Die Prüfung umfasst die Kontrolle der Vollständigkeit, Plausibilität und Konsistenz der Berechnungen sowie der gemachten Angaben. Wichtig ist, dass die Verifizierer keine Beratungsdienste anbieten dürfen. Sollte die Qualität der eingereichten EPD unzureichend sein, wird der Verifizierungsprozess abgebrochen. Die Dauer der Prüfung hängt von der Komplexität des Produkts, der Qualität der Daten und den erforderlichen Korrekturen ab. In der Regel sollte mit einer Prüfungsdauer von mehreren Wochen gerechnet werden. Sobald die Verifizierung erfolgreich abgeschlossen und der abschließende Freigabeprozess durch das IBU erfolgt ist, wird die EPD sowohl im PDF-Format als auch als XML-Datensatz veröffentlicht. Die EPD bleibt maximal fünf Jahre gültig, danach ist eine Aktualisierung erforderlich. [15] Literatur [1] European Union (2022): Vorschlag für eine VER- ORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLA- MENTS UND DES RATES zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten, zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/ 1020 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 305/ 2011 - COM/ 2022/ 144 final. Online verfügbar unter https: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ ? uri=COM: 2022: 144: FIN; abgerufen am 10.12.2024 [2] EUROVIA (2024): Neues CO2-Berechnungsmodell: „ein Vorbild für Ausschreibungen in ganz Deutschland“ verfügbar unter https: / / www.autobahn.de/ aktuelles/ aktuell/ erneuerung-der-a6-beiwalldorf-wiesloch-pilotprojekt-fuer-klimaeffizien ten-strassenbau; abgerufen am 10.12.2024 [3] Die Autobahn GmbH des Bundes (2024): Erneuerung der A6 bei Walldorf/ Wiesloch: Pilotprojekt für klimaeffizienten Straßenbau verfügbar unter https: / / www.autobahn.de/ aktuelles/ aktuell/ erneue rung-der-a6-bei-walldorf-wiesloch-pilotprojektfuer-klimaeffizienten-strassenbau; abgerufen am 10.12.2024 [4] DIN EN ISO 14025 (2011): Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren; DIN Deutsches Institut für Normung e.V. [5] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2016): Was ist eine PCR? verfügbar unter https: / / ibu-epd.com/ faqitems/ was-ist-eine-pcr/ ; abgerufen am 10.12.2024 [6] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2024): Produktkategorieregeln für gebäudebezogene Produkte und Dienstleistungen - Teil A: Rechenregeln für die Ökobilanz und Anforderungen an den Projektbericht nach EN 15804+A2: 2019, Version 1.4, verfügbar unter www.ibu-epd.com; abgerufen am 12.12.2024 [7] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2024): Produktkategorieregeln für gebäudebezogene Produkte und Dienstleistungen - Teil B: Anforderungen an die EPD fürAsphalt, verfügbar unter www.ibu-epd.com; abgerufen am 12.12.2024 [8] DIN EN 15804 (2022): Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte; DIN Deutsches Institut für Normung e.V. [9] DIN EN ISO 14040 (2021): Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen; DIN Deutsches Institut für Normung e.V. [10] Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement in Verkehrswesen (IMV) in Zusammenarbeit mit e-hoch-3 eco impact experts GmbH & Co KG (2024): c-PCR zur PCR - Teil B: An-forderungen an die EPD für Asphalt des Instituts Bauen und Umwelt e.V. (IBU) Produktgruppenspezifische Regeln zur einheitlichen Erstellung von EPDs für Asphalt, erstellt im Auftrag des Deutschen Asphaltverbandes (DAV) e.V., verfügbar unter https: / / www.asphalt.de/ themen/ umwelt/ pcrs-fuer-asphaltmischgut/ ; abgerufen am 12.12.2024 [11] The Norwegian EPD Foundation (2022): NPCR 025: 2022 Part B forAsphalt (references to EN 15804 +A2) verfügbar unter https: / / www.epd-norge. no/ pcr/ pcr-register/ npcr-025-2022-part-b-for-as phalt-references-to-en-15804-a2; abgerufen am 12.12.2024 [12] Stichting Nationale Milieudatabase (2022): NL- PCR Asfalt V2.0. verfügbar unter https: / / milieu database.nl/ nl/ milieudata-lca/ informatie-voor-lcaopstellers/ product-category-rules-pcr/ ; abgerufen am 12.12.2024 [13] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2020 - 2024): IBU - Institut Bauen und Umwelt e.V. verfügbar unter https: / / ibu-epd.com/ ibu/ ; abgerufen am 12.12.2024 [14] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2020 - 2024): Allgemeine Anleitung für das EPD-Programm des Institut Bauen und Umwelt e.V. (Allgemeine Anleitung für das IBU-EPD-Programm) - Die Erstellung von Umwelt-Produktdeklarationen verfügbar unter https: / / ibu-epd.com/ wp-content/ uploads/ 2021/ 01/ Allgemeine-Anleitung-f%C3%BCr-das-IBU-EPD- Programm-v2.0.pdf; abgerufen am 12.12.2024 [15] Institut Bauen und Umwelt e.V. (2020 - 2024): EPD- Erstellung verfügbar unter https: / / ibu-epd.com/ epd-erstellung/ ; abgerufen am 12.12.2024 <?page no="25"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 25 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 -Soll- und -Ist-Werte Entwicklung und Anwendung an einem Praxisprojekt Jana Wackenheim HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Hochschule Biberach Zusammenfassung Das Thema Nachhaltigkeit und die Erfassung, Bewertung und Reduzierung von Treibhausgasen (THG) spielt gerade in der emissionsintensiven Baubranche eine zunehmend zentrale Rolle. Bei Bauprojekten darf es dabei nicht ausreichen, die Emissionen lediglich vor Ausführung in der Planung zu ermitteln (Plan), sondern diese müssen auch den tatsächlichen Emissionen aus der Bauphase (Ist) gegenübergestellt werden. Durch den Abgleich der Soll- und Ist-Werte ergibt sich ein Steuerungsinstrument für die Baubeteiligten. Das ermöglicht im nächsten Schritt, einen CO 2 e-Schattenpreis einzuführen und bspw. die Bewertung von Angeboten um die Dimension der THG-Emissionen als zusätzliches Vergabekriterium zu erweitern. Hierfür wird jedoch zunächst ein System benötigt, um die Erfassung zu realisieren. Im Zuge zweier Masterarbeiten bei der HOCHTIEF PPP Solutions GmbH in Zusammenarbeit mit der Hochschule Biberach (HBC) wurde ein solches System entwickelt und ein Vorschlag erarbeitet, wie die Ermittlung der geplanten Soll- Emissionen vor Bauausführung, die Erfassung der tatsächlichen Ist-Emissionen während der Bauphase sowie deren Gegenüberstellung erfolgen kann. Diese Überlegungen wurden im Zuge eines Seminars mit Bachelorstudenten der HBC in einem Excel-Tool umgesetzt. 1. Einführung Der Klimawandel ist eine der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit mit weltweit spürbaren Auswirkungen. Gerade der Bausektor trägt hierbei große Verantwortung, da durch diesen mit ca. 38 % ein erheblicher Teil der globalen CO 2 e-Emissionen verursacht wird [1]. Das Thema Nachhaltigkeit und die Reduzierung des Treibhausgasausstoßes gewinnt in der emissionsintensiven Baubranche daher immer mehr an Bedeutung. Dafür ist es notwendig die Emissionen, die durch die Bauprozesse und eingesetzten Materialien entstehen, zu erfassen. Nur mit Kenntnis dieser, können gezielte Maßnahmen zur Emissionsreduzierung ergriffen werden. Die Erfassung von CO₂e-Emissionen bietet nicht nur eine Grundlage für die Quantifizierung der Klimabelastung, sondern ermöglicht es auch, effektive Maßnahmen zur Emissionsreduktion zu entwickeln und deren Wirksamkeit zu überprüfen. Insbesondere im Kontext steigender regulatorischer Anforderungen, wie den Anforderungen aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und nationaler Gesetzgebungen zur Klimaneutralität, wird die Bilanzierung der Emissionen zu einer verpflichtenden Aufgabe. Darüber hinaus gewinnen nachhaltige Baupraktiken und die Verwendung CO₂e-armer Materialien zunehmend an Bedeutung, um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu unterstützen. Um CO 2 e-Emissionen korrekt messen und nachverfolgen zu können wird zunächst eine Systematik benötigt, die dies ermöglicht. Da die Bauprojekte und die dabei verbauten Baustoffe den maßgeblichen Anteil der CO 2 e- Emissionen von Bauunternehmen verursachen wird die Systematik zunächst beispielhaft an einem Bauprojekt entwickelt und dargestellt. Diese lässt sich aber auch auf alle anderen Bereiche, genauso wie andere Branchen, übertragen. Zunächst wird hierfür festgelegt, welcher Indikator innerhalb welcher Systemgrenzen betrachtet wird. Im Anschluss kann mit der eigentlichen Erfassung begonnen werden. Im Modell sind hierfür zwei Zeitpunkte der Erfassung vorgesehen: - Die Plan-Emissionen werden vor Bauausführung auf Basis der Kalkulation ermittelt. - Die Ist-Emissionen werden während der Bauausführung anhand der tatsächlichen Werte ermittelt. Im Anschluss erfolgt eine Nachbilanzierung, um Abweichungen zu erkennen und Maßnahmen zur Gegensteuerung zu identifizieren. In den folgenden Kapiteln werden für die CO 2 e-Bilanzierung notwendige Grundlagen beschrieben, der erarbeitet Prozess erläutert und das darauf basierende Excel-Tool sowie dessen Anwendung an einem erstem Praxisprojekt vorgestellt. Außerdem wird ein Ausblick gegeben, welche Möglichkeiten sich daraus für Bauunternehmen aber auch Vergabestellen ergeben. 2. Grundlagen Die Auswirkungen des Klimawandels machen eine präzise Erfassung und Bewertung von THG-Emissionen unerlässlich. In diesem Kapitel werden grundlegende Konzepte vorgestellt, die hierfür eine zentrale Rolle spielen: das Global Warming Potential (GWP), welches die Klimawirkung verschiedener Gase vergleichbar macht, die <?page no="26"?> 26 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte Environmental Product Declarations (EPDs), als Datenquelle für Umweltindikatoren verschiedener Materialien und das Greenhouse Gas Protocol (GHG-Protocol), ein internationaler Standard zur systematischen Bilanzierung des Treibhauspotenzials. Diese Grundlagen schaffen die Basis für ein fundiertes Verständnis der CO₂e- Bilanzierung. 2.1 Global Warming Potential (GWP) Die Messung von Umweltauswirkungen erfordert spezifische Indikatoren, die ökologische Belastungen quantifizieren und vergleichbar machen. Solche Indikatoren ermöglichen es, komplexe Umweltfaktoren in Zahlen auszudrücken und fundierte Entscheidungen zur Minimierung negativer Effekte zu treffen. Bei der Ökobilanzierung und der THG-Emissionsbewertung werden Umwelteinflüsse von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen entlang ihres gesamten Lebenszyklus bewertet. Die Lebenszyklusphasen nach DIN 15804 umfassen hierbei die Herstellung, die Errichtung, die Nutzung, die Entsorgung und den Rückbau bzw. die Wiederverwendung. Da bei der Ökobilanzierung sämtliche Umweltauswirkungen, wie Energieverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzung, Ressourcenverbrauch und die THG-Emissionen berücksichtigt werden, ist diese besonders umfassend. Bei der THG-Emissionsbewertung oder auch THG- Bilanz wird jedoch ausschließlich das Treibhausgaspotenzial, also der Beitrag zum Treibhausgaseffekt, bewertet. Der zentrale Indikator zur Bewertung des Klimawandels ist das Global Warming Potential (GWP), welches in CO 2 -Äquivalenten (CO 2 e) angegeben wird. Es handelt sich hierbei um eine Maßeinheit, die ermöglicht, verschiedene THG miteinander zu vergleichen und zu bewerten. Unter dem Begriff THG werden dabei die gemäß Kyoto Protokoll regulierten THG verstanden. Hierzu zählen Kohlenstoffdioxid (CO 2 ), Methan (CH 4 ), Lachgas (N 2 O), Fluorkohlenwasserstoffe (FKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFCs), Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid (NF 3 ) [2]. Das GWP drückt daher aus, wie stark die Klimawirkung (direkt und indirekt) eines Gases im Vergleich zu CO 2 ist. Treibhausgase wie Methan (CH 4 ) oder Lachgas (N 2 O) haben z. B. eine deutlich höhere Treibhauswirkung als CO 2 . Außerdem unterscheiden sich die Gase darin, wie lange sie in der Atmosphäre verbleiben. Jedem THG kann somit eine unterschiedlich starke Wirkung auf den Treibhauseffekt zugeschrieben werden und deren gesamtheitliche Wirkung als CO 2 e zusammengerechnet werden. Betrachtet auf einen Zeitraum von 100 Jahren wird das GWP von CO 2 als Referenzwert dabei mit 1 kg/ CO 2 e festgelegt. Methan hat aufgrund seiner deutlich größeren Absorptionsfähigkeit ein 28mal höheres GWP als CO 2 [3]. Damit schafft das GWP eine essenzielle Grundlage, um Klimawirkungen messbar und vergleichbar zu machen. 2.2 EPDs Als Hauptdatenquelle für die Bewertung von Umweltindikatoren, insbesondere dem CO 2 e, dienen sogenannte Environmental Product Declarations (EPDs). Diese basieren auf einer standardisierten Ökobilanz und stellen die Umweltwirkungen eines Produkts über dessen gesamten Lebenszyklus transparent und vergleichbar dar. Erstellt werden diese nach internationalen Normen wie der ISO 14025 und der EN 15804 und enthalten Angaben zu allen wesentlichen Umweltindikatoren. EPDs werden vor allem in der Bau- und Bauproduktebranche genutzt, um die Nachhaltigkeit von Materialien und Produkten zu bewerten. Zu finden sind EPDs in Datenbanken, wie der Ökobaudat. Außerdem gibt es weitere branchenspezifische Datenbanken im Baubereich, wie die Building Research Establishment Environmental Assessment Method (BREEAM) oder das Leadership in Energy and Environmental Design (LEED), die Informationen über die THG- Emissionen von Baumaterialien und -produkten bereitstellen können. Zukünftig wird darüber hinaus mit der im Juli 2024 eingeführten Ökodesign-Verordnung ein (digitaler) Produktpass eingeführt, mit dem primären Ziel, mehr Transparenz zu schaffen und umweltfreundliche Produkte zu fördern [4] [5]. Ergänzend hierzu sieht die Bauprodukte-Verordnung der EU, welche voraussichtlich 2025 in Kraft tritt, vor, dass der Hersteller für die Zulassung eines Bauproduktes zwingend das zertifizierte GWP des Produktes vorweisen muss [6]. Abbildung 1: Lebenszyklusphasen nach DIN EN 15804 [7] <?page no="27"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 27 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte In den EPDs werden verschiedene Lebenszyklusphasen in sogenannte Module untergliedert und diesen den entsprechenden Emissionen zugeordnet. Das Modul A umfasst dabei die Produktionsphase, Modul B die Nutzungsphase, Modul C die Entsorgungsphase und das Modul D die Vorteile und Lasten der Wiederverwertung. 2.3 Greenhouse Gas Protocol Das GHG Protocol ist der international führende Standard für die Erfassung und Berichterstattung über die von Unternehmen ausgestoßenen THG-Emissionen. Es gibt klare Richtlinien und Methoden für die Bilanzierung von THG-Emissionen vor und liefert damit eine wichtige Grundlage für die Überwachung und Reduzierung der Emissionen von Unternehmen und Organisationen. Bei der Erfassung werden die Emissionen in drei Kategorien, sogenannte Scopes unterteilt. Diese dienen der Kategorisierung und Abgrenzung der verschiedenen Quellen von THG-Emissionen. Abbildung 2: Scopes des GHG-Protocol [8] Scope 1 umfasst alle direkten Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen (z. B. Verbrennung fossiler Brennstoffe durch eigene Fahrzeuge). Scope 2 beinhaltet sämtliche indirekten Emissionen aus dem eigenen Energieverbrauch (z. B. Strom oder Fernwärme). Der Scope 3 deckt alle Emissionen ab, die infolge vor- oder nachgelagerter Tätigkeiten entstehen (z. B. gekaufte Waren oder Dienstleistungen), also alle weiteren Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 3. Berechnung der Soll-Emissionen Zunächst müssen die Emissionen für die Baumaßnahme bzw. das Bauprojekt vor der eigentlichen Ausführung ermittelt werden. Hierfür müssen die zu betrachtenden Indikatoren sowie die Systemgrenze festgelegt werden. Im Anschluss kann dann die Ermittlung der Emissionen im Zuge der Planungsphase erfolgen. 3.1 Betrachtungsgrenzen Für die Betrachtung wird der Indikator GWP gewählt. Andere Indikatoren, wie Luft- und Wasserverschmutzung oder der Ressourcenverbrauch werden zunächst nicht betrachtet. Zukünftig kann es aber sinnvoll sein, weitere Indikatoren in die Betrachtung zu integrieren. Bauprojekte und die damit zusammenhängenden Bauleistungen stellen i. d. R. eine Kombination verschiedener Arbeiten und Prozesse dar, bei denen die verwendeten Materialien und Geräte direkte sowie indirekte THG- Emissionen verursachen. Da ein Großteil der Arbeiten durch Nachunternehmer (NUs) erbracht wird, deren Emissionen unter den Scope 3 fallen, macht dieser den größten Anteil aus. Dennoch sind im Modell auch die Scopes 1 und 2 zu erfassen. Da hier die eigenen Emissionen abgebildet werden, sind dies diejenigen Emissionen, auf die das Unternehmen selbst den größten Einfluss hat und damit die Erfolge von Reduktionsmaßnahmen direkt sichtbar werden. Die Unternehmen sind aktiv zu motivieren ihre eigenen Emissionen zu reduzieren und so eine Vorbildfunktion für ihre NUs zu übernehmen. Da die Bauphase als Basis des gesamten Lebenszyklus gilt, dort der Anteil an verbautem Material und eingesetzten Ressourcen besonders hoch ist und hier am meisten Einfluss auf den gesamten Lebenszyklus ausgeübt werden kann, wird die Betrachtung zunächst auf die Herstellungs- und Bauphase beschränkt. Da sie zudem zeitlich begrenzt sind, ist eine klare Abgrenzung möglich, wodurch die Datenerfassung erleichtert wird. Die nachgelagerten Emissionen, die sich aus der Nutzung, der Erhaltung, dem Betrieb und dem Rückbau ergeben, werden <?page no="28"?> 28 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte zunächst nicht betrachtet, da die dort entstehenden Emissionen nur sehr schwer prognostizierbar sind, mit vielen Unsicherheiten verbunden und von vielen Variablen abhängig sind. Dennoch ist langfristig eine Betrachtung des gesamten Projektlebenszyklus notwendig, um die Umweltauswirkungen vollständig zu erfassen. Für ein Bauprojekt werden im vorgeschlagenen Modell somit die vorgelagerten Emissionen für Herstellung und Transport der eingesetzten Baustoffe, sowie die direkt durch die Bauprozesse z. B. infolge von Kraftstoffverbräuchen ausgestoßenen THG-Emissionen einbezogen. Vorerst beschränken sich das Modell dabei auf die Betrachtung von Infrastrukturmaßnahmen. Die Emissionen müssen dabei in direktem Zusammenhang mit der Baumaßnahme stehen und dieser direkt zugeordnet werden können. Emissionen, die nur indirekt durch die Bauleistung verursacht werden, z. B. Emissionen der Zentralabteilungen eines Bauunternehmens, wie die Personalabteilung o. ä., werden nicht einbezogen. Auch Emissionen infolge der entstehenden Abfälle und deren Entsorgung werden nicht berücksichtigt. Der Rückbau, also bspw. das Abfräsen von alten Straßenschichten, wird über den Geräteeinsatz und die Transportentfernungen der Abtransporte einbezogen. Der Entsorgungsprozess der ausgebauten Materialien bei den Entsorgungsbetrieben wird nicht betrachtet. Dies liegt daran, dass im Infrastrukturbau, insbesondere beim Straßenbau, der Großteil der Materialien recycelt bzw. auf bereitet und wiederverwendet wird. Die sich so ergebenden Emissionen werden bei der Herstellung des Materials sowieso einbezogen und würden sonst doppelt angesetzt. Abbildung 3: Festgelegte Systemgrenze für die Emissionsberechnung [9] 3.2 Plan-CO 2 e-Emissionen Um die CO 2 e-Emissionen vor der eigentlichen Bauausführung ermitteln zu können müssen zunächst alle erwarteten Mengen kalkulatorisch ermittelt werden. Die sich daraus ergebenden Massenbilanz für die eingesetzten Materialien und verbrauchten Treibstoffe kann dann mit den zugehörigen Emissionsfaktoren verrechnet werden. Hierfür ist es wichtig, dass die Materialien mit ihren produktspezifischen Eigenschaften, wie Betongüte, Druckfestigkeit oder Stahlbzw. Asphaltsorte jeweils separat erfasst werden. Je nach Materialeigenschaft können sich nämlich die Emissionsfaktoren unterscheiden. Die ermittelten Mengen werden mit ihren spezifischen CO 2 e-Fußabdrücken multipliziert. Für die meisten Baumaterialien liegen in Datenbanken bereits generische Werte vor. Auch einige Lieferanten sind bereits in der Lage, die spezifischen CO 2 e -Werte ihrer Produkte zu liefern. Sollten keine Werte vorliegen, können diese über den Herstellungsprozess und dessen Prozessemissionen sowie die eingesetzten Energieträger errechnet werden [10] [11]. Wichtig ist hierbei, dass nur die Emissionen aus dem Modul A (Herstellungs- und Bauphase: A1-A5) angesetzt werden. Abschließend können dann die Ergebnisse der CO 2 e-Bilanz anschaulich dargestellt und ausgewertet werden. Dabei werden die errechneten Werte noch einmal kritisch geprüft und hinterfragt, um eine Berücksichtigung aller relevanten THG-Emittenten sicherzustellen. Es gilt immer, je spezifischer die angesetzten Emissionsfaktoren sind, desto genauer wird die Berechnung des Plan-Wertes. Beispielsweise sind konkrete Angaben zu Transportentfernungen oder EPDs vom Produzenten, sofern diese schon bekannt sind, immer den generischen Werten aus z. B. der Ökobaudat vorzuziehen. Da die Preiskalkulation vor Bauausführung grundsätzlich aufgrund von Mengen und Leistungsansätzen durchgeführt wird, ist es sinnvoll, zukünftig die Ermittlung der CO 2 e -Fußabdrücke dort bereits zu integrieren. Dafür müssten im Kalkulationsprogramm die entsprechenden Formeln sowie CO 2 e-Werte aus Datenbanken hinterlegt oder verknüpft werden. So können neben den Einzelkosten der Teilleistung (EdT) auch die Einzelemissionen der Teilleistung (EET) ermittelt werden. Somit wird es möglich, die THG-Emissionen als eine Art zweite Währung je Teilleistung zu verstehen und bereits während der Kalkulation Optimierungspotenziale zu identifizieren. Analog zur Preisbildung wird über die Summe der Einzelemissionen der Teilleistungen die Einheitsemission (EE) für jede LV-Position ermittelt. Multipliziert mit der Ge- <?page no="29"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 29 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte samtmenge ergibt sich die Gesamtemission (GE) für die jeweilige LV-Position. Vor tatsächlichem Baustart besteht so die Möglichkeit, die voraussichtlich durch das Bauprojekt verursachten Emissionen, einzuschätzen und aufgegliedert nach Emissionsverursacher darzustellen. 3.3 Vorteile aus der Erfassung der CO 2 e vor Bauausführung Aus der frühzeitigen zahlenmäßigen Erfassung der THG-Emissionen ergeben sich zwei wesentliche Vorteile. Durch das Hinzufügen der Emissionen als eine Art zweite Währung im Kalkulationsprogramm werden diese bereits in der Kalkulation ersichtlich. Somit bietet sich die Möglichkeit, nicht nur den Preis, sondern auch die THG-Emissionen zu optimieren. Dadurch kann schon in der Planung Einfluss auf die erwarteten Emissionen genommen werden. Durch eine einheitliche Erfassungsmethode ist es im Anschluss möglich verschiedene Angebote für ein Projekt nicht nur preislich, sondern auch in Bezug auf die erwarteten Emissionen zu vergleichen. So können Auswirkungen verschiedener Bauweisen und Materialien nicht nur in der Dimension der Kosten, sondern auch hinsichtlich deren Emissionen, untersucht werden. Außerdem bildet die Erfassung der projektspezifischen THG-Emissionen eine wichtige Grundlage für eine mögliche CO 2 - Bepreisung. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Möglichkeit, die Emissionen als Bewertungskriterium auch bei Vergaben von Projekten einzubeziehen, was wiederum mit der bereits genannten Vergleichbarkeit einhergeht. Bei der Vergabe von Bauleistungen können Vergabestellen in diesem Fall neben den Kosten die Dimension der THG-Emissionen in der Bewertung berücksichtigen, wodurch umweltfreundlichere Bauweisen und Produkte gefördert werden. Dies kann entweder direkt über einen CO 2 e-Schattenpreis oder indirekt durch Einführung eines zusätzlichen Vergabekriteriums erfolgen [12]. Für die Bauunternehmer entsteht dadurch ein Anreiz, ein Optimum zwischen den Herstellkosten und den ausgestoßenen Emissionen anzustreben. 4. Ermittlung der Ist-Emissionen In den folgenden Abschnitten wird beschrieben, was unter Plan-, Soll- und Ist-Werten zu verstehen ist. Außerdem wird erläutert, wie die Ist-Emissionen erfasst werden können und warum dies notwendig ist. 4.1 Plan/ Soll/ Ist Am Ende der Angebotskalkulation vor Bauausführung und Zuschlagserteilung werden Plan-Werte ermittelt. Diese ergeben sich aus den kalkulierten Mengen an Material, Maschinen, etc. je ME, den dazugehörigen Plan- CO 2 e-Emissionen und der geplanten Ausbringungsmenge je ME. Die Zusammenhänge zwischen Plan-, Soll- und Ist-CO 2 e-Werten lassen sich aus den Grundlagen der Kostenrechnung herleiten. Werden die Plan-CO 2 e-Werte an die Soll-Ausbringungsmenge angepasst, die sich aus möglichen Leistungsänderungen ergeben, wird von Soll-CO 2 e-Werten gesprochen. Die Ist-CO 2 e-Werte ergeben sich aus der tatsächlich eingesetzten Ressourcenmenge, also der Ist-Ausbringungsmenge und den zugehörigen Ist-CO 2 e -Werten. Die Soll-CO 2 e-Werte geben damit an, welche Emissionen nicht überschritten werden dürfen und haben damit Vorgabecharakter im Hinblick der Überprüfung der Ist- CO 2 e-Werte. Das folgende Schaubild veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen Plan-, Soll- und Ist-Werten. Abbildung 4: Zusammenhang Plan-, Soll- und Ist-Emissionen <?page no="30"?> 30 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte Aufgrund von Leistungsänderungen kann es dazu kommen, dass die geplante Ausbringungsmenge auf die Soll- Ausbringungsmenge angepasst werden muss. Daher muss auch eine Anpassung der zulässigen Emissionen auf Grundlage der Soll-Ausbringungsmenge erfolgen. Die so errechneten Soll-Gesamtemissionen dienen als neue Vergleichsgrundlage bzgl. der Zieleinhaltung. Der Berechnung der Soll-Gesamtemissionen die Ist-Ausbringungsmenge zugrunde zu legen wäre falsch, da Soll- und Ist-Ausbringungsmenge sich häufig unterscheiden. Beispielsweise kommt es vor, dass aufgrund von Verschwendung mehr Material angeliefert, als tatsächlich verbaut wird. Wenn der AN selbstverschuldet mehr Menge ausbringt, als gemäß Soll vereinbart war, dann darf er davon nicht profitieren, indem diese Mehrmenge in den Soll-Gesamtemissionen berücksichtigt wird. Zu Beginn des Abgleichs steht ein Plan-CO 2 e-Wert, der im Zuge der Kalkulation der Baumaßnahme ermittelt wurde. Dieser beruht auf kalkulierten Mengen sowie angenommenen CO 2 e-Werten für die jeweils eingesetzten Materialien und Baumaschinen. Er wird aus der Summe sämtlicher Emissionen für alle LV-Positionen ermittelt. Der Ist-Wert ergibt sich nach Abschluss der Maßnahme aus den tatsächlich eingebauten Mengen und den zugehörigen möglichst genauen Ist-CO 2 e-Werten. Ein Plan- Ist-Abgleich ist somit möglich. Allerdings kommt es im Zuge der Bauausführung häufig zu Änderungen, die sich nicht nur auf die geplanten Kosten und Termine auswirken, sondern ebenso auf die Plan-CO 2 e-Emissionen. Daher muss der Plan-Wert in einen Soll-Wert umgewandelt werden, welcher dann zukünftig im Vergleich als einzuhaltender Zielwert gilt. 4.2 Erhebung der CO 2 e-Ist-Daten Für die Durchführung des bereits beschriebenen Soll-Ist- Abgleichs ist die Bestimmung der tatsächlichen Emissionen erforderlich. Damit die Werte vergleichbar sind müssen dieselben Systemgrenzen wie bei der Ermittlung vor Bauausführung angewendet werden. Jede Abweichung von diesen vorher definierten Grenzen führt dazu, dass die erhaltenen Werte nicht mehr vergleichbar sind. Der Anwendungsbereich beschränkt sich somit zunächst wieder auf die Herstellungs- und Bauphase (Module A1-A5). Für die Ermittlung der CO 2 e-Ist-Daten werden einerseits die CO 2 e-Werte je ME, sowie die tatsächliche Ausbringungsmenge benötigt. Wo möglich sollte bei den CO 2 e-Werten auf spezifische Werte der Hersteller zurückgegriffen werden oder die Emissionsfaktoren mithilfe von Angaben der Hersteller berechnet werden. Die in Datenbanken öffentlich einsehbaren Werte bilden nämlich häufig nur Mittelwerte der ausgewählten Produktgruppen ab. Je konkretere Infos zum tatsächlich verbauten Produkt oder genutzten Treibstoff, etc. vorliegen, desto besser. Neben den spezifischen Emissionsfaktoren werden noch die tatsächlichen Mengen benötigt. Die Mengen ergeben sich im Wesentlichen aus Lieferscheinen oder Rechnungen. Neben den Materialmengen sind auch Informationen zu den, für den Transport und den Einbauprozess eingesetzten, Maschinen und Verbräuchen für die Ermittlung des CO 2 e-Ist-Fußabdrucks relevant. Hierbei sollten möglichst genaue Angaben von den beteiligten Firmen geliefert werden. Dazu zählen die Transportentfernung, die Kraftstoffart, der Kraftstoffverbrauch und die Spezifikation der für den Bauprozess verwendeten Geräte. Als Hilfsinstrument können dabei digitale Datenerfassungssysteme wie Q-point [13] oder auch Tankkartenabrechnungen herangezogen werden. Wichtig ist es, die THG-Emissionen, die Mengen und die weiteren relevanten Informationen an einer zentralen Stelle zusammenzuführen. Dort ist eine strukturierte und nachvollziehbare Speicherung notwendig. Für die (automatisierte) Datensammlung werden dann Schnittstellen zu digitalen Plattformen, wie ERP-Systemen oder Datenerfassungsplattformen, benötigt. Außerdem ist eine Schnittstelle zu den einzelnen Projektbeteiligten erforderlich, über welche diese ihre Informationen bereitstellen können. In diesem Zuge ist auch die Genauigkeit, Zuverlässigkeit sowie die Verfügbarkeit der Datenquellen zu berücksichtigen. Die Idealvorstellung zur Erfassung der Ist-Emissionen sieht vor, dass die Mengen und zugehörigen spezifischen Emissionsfaktoren direkt auf den Rechnungen oder Lieferscheinen durch den Hersteller oder das ausführende Unternehmen vermerkt werden. Die Ermittlung kann dann automatisiert über das ERP-System selbst oder über das Auslesen mittels automatisierter Texterkennung und künstlicher Intelligenz (KI) erfolgen. Mithilfe von trainierten Modellen und Mustervergleichen könnten so z. B. CO 2 e-relevante Daten wie Emissionswerte, Energieverbräuche oder Transportkilometer zuverlässig aus den Rechnungen ausgelesen werden. Neben der Optimierung und Automatisierung des Datenflusses kann die KI auch für die Datenvalidierung verwendet werden. KI-Systeme können bspw. die extrahierten CO 2 e-Werte mit vorhandenen Datenquellen oder externen Referenzdatenbanken abgleichen, um deren Richtigkeit zu validieren. Dadurch können mögliche Fehler und Inkonsistenzen erkannt und die Qualität der erfassten THG-Emissionen verbessert werden. Der Idealfall, in dem auf Rechnungen angegebene CO 2 e- Werte automatisch erkannt und in die Buchführung implementiert werden, ist derzeit noch eine Zukunftsvision. Obwohl die automatisierte Texterkennung und das maschinelle Lernen bereits große Fortschritte gemacht haben, gibt es noch einige Herausforderungen zu bewältigen, um diese Vision zu verwirklichen. Aktuell ist es vielen Unternehmen noch nicht möglich, die Emissionen von ihren Produkten oder Leistungen anzugeben, geschweige denn, diese in ihren Rechnungen zu implementieren. Aus diesem Grund wird eine Übergangslösung für die Ermittlung der CO 2 e-Ist-Emissionen benötigt. Um die Emissionen erfassen zu können, ist eine Zusammenarbeit entlang oftmals komplexer und firmenübergreifender Lieferketten erforderlich. Hierfür eignet sich der Einsatz von Erfassungstools, in denen die emissionsrelevanten Daten zusammengetragen werden können. Solche Tools existieren bereits und können als Vorbild herangezogen werden. Siemens initiierte beispielsweise das offene Estainium Netzwerk, mit dem Hersteller, Lieferanten, Kunden und Partner Daten zum CO 2 e-Fußabdruck austauschen können [14]. <?page no="31"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 31 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte Abbildung 5: Beispielausschnitt aus dem Entwurf für ein Erfassungstool für Nachunternehmer [9] Über ein Erfassungstool sollen die jeweiligen Projektbeteiligten relevante Infos, wie Materialmengen, Transportentfernungen oder Maschinenverbräuche, einpflegen. Die Emissionswerte, die mit den jeweiligen Mengen verrechnet werden, werden ebenfalls über das Tool erfasst und abgebildet. Da bisher nur wenige eigene bzw. tatsächliche Emissionswerte vorliegen, ist gerade für den Anfang der Zugriff auf Datensätze von Durchschnittswerten aus Datenbanken notwendig. Das Ziel ist dennoch, möglichst viele eigene Emissionswerte für die Berechnung der Ist- CO 2 e-Emissionen anzusetzen. Besonders relevant sind die produkt- und lieferantenspezifischen Werte der eingebauten Materialien. Dafür wird eine Schnittstelle im Tool geschaffen, über die Lieferanten ihre produktspezifischen Emissionswerte bzw. die Basiswerte zu deren Ermittlung hinterlegen können. 4.3 Warum ist ein Soll-Ist-Abgleich nötig? In der Praxis kann eine Abfrage der Plan-Emissionen dazu führen, dass Unternehmen „bewusst niedrige“ Werte für die Emissionen ausweisen, um z. B. einen Auftrag zu erhalten. Solchem Fehlverhalten, durch bewusste Angabe zu niedriger Werte, kann entgegengewirkt werden, indem nach erfolgter Bauausführung die tatsächlichen CO 2 e-Werte den kalkulierten entgegengestellt werden. Bei Abweichungen wird eine Sanktionierung der daraus entstehenden Folgen gefordert. Wichtig ist hierbei, dass der im Angebot benannte Plan-CO 2 e-Wert, wie der Angebotspreis, als vertraglich vereinbarte Eigenschaft des Werkes gilt und damit Teil des geschuldeten Werkerfolgs darstellt. Für die Gegenüberstellung sind somit Plan-, Soll- und Ist-Werte nötig. Um festzustellen, ob die Planvorgaben, also z. B. die in der Kalkulation vor Bauausführung ermittelten Plan- CO 2 e-Werte, über- oder unterschritten werden, gibt es die Realisationskontrolle. Hierbei handelt es sich um einen Soll-Ist-Abgleich. Ein Gegensteuern bei negativer Abweichung ist dabei im konkreten Einzelfall jedoch nicht mehr möglich. Daher ist es besonders wichtig, frühzeitig eine Prognose des erwarteten Ist-Werts auf Grundlage der bisher ausgeführten Leistungen durchzuführen. Aus dem Soll-Ist-Vergleich wird damit ein Soll-Wird-Vergleich, auch Fortschrittskontrolle genannt. Hier ist ein Gegensteuern noch möglich, da zwei Zukunftswerte miteinander verglichen werden [15]. Der Soll-Istbzw. Soll-Wird-Abgleich dient somit als zusätzliches Kontrollaber auch Steuerungsinstrument. Wichtig ist hierbei, dass die Emissionen kontinuierlich aktualisiert und an den Projektfortschritt angepasst werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass zu jedem Zeitpunkt die bis dahin tatsächlich verursachten sowie prognostizierten Gesamtemissionen bekannt sind. Damit den Ist-Emissionen zum jeweiligen Zeitpunkt die entsprechenden Soll-Emissionen gegenübergestellt werden, sind die Soll-Emissionen entsprechend dem jeweiligen Leistungsstand der Baustelle hochzurechnen. Der Leistungsstand ergibt sich aus den in den Rechnungen freigegebenen Fertigstellungsgraden. Dies ermöglich ein Eingreifen und falls notwendig das Einleiten von Gegenmaßnahmen. <?page no="32"?> 32 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte Abbildung 6: Gegenüberstellung der Soll- und Ist-Emissionen [9] Damit potenzielle Abweichungen direkt erkannt werden können empfiehlt es sich den Soll-Ist-Abgleich zu visualisieren. Dafür eigenen sich farbliche Hervorhebungen sowie die Verwendung von Schaubildern und Diagrammen. Der wesentliche Kernpunkt ist zunächst die Disziplinierung der Unternehmen. Durch das Wissen über die Kontrolle und Überprüfung der bei der Vergabe angegebenen Werte werden sich die Unternehmen bemühen, die Plan- Werte möglichst genau zu berechnen und anzugeben [15]. Zusätzlich dazu kommt es durch die Feststellung von Ist- Werten, die in diesem Sinne mit der Nachkalkulation vergleichbar sind, zum Auf bau von Erfahrungswissen. Damit die Unternehmen die vereinbarten Soll-Werte auch tatsächlich versuchen einzuhalten, reicht es nicht aus, die tatsächlichen Ist-Werte zu ermitteln und diese den geplanten Werten gegenüberzustellen. Um einen Anreiz zu schaffen die Ziele auch wirklich einzuhalten, bedarf es Konsequenzen bei Überschreitungen und ggf. Anreize für Unterschreitungen. Haben Unternehmen bei Nichteinhaltung der Ziele keine Konsequenzen zu erwarten, so gibt es keinen Anreiz, sich um deren Einhaltung zu bemühen. Außerdem kann nur so eine gewisse Fairness und Gerechtigkeit sichergestellt werden, wenn Unternehmen, die sich bemühen die Ziele einzuhalten, im Vergleich zu anderen nicht bevorzugt werden. Abbildung 7: mögliche visuelle Darstellung des Soll-Ist-Abgleichs nach Bauabschluss [9] <?page no="33"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 33 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte In diesem Zuge erscheint die Einführung eines Bonus- Malus-Systems sinnvoll. Bei Nichteinhaltung der vereinbarten Emissionsziele droht eine Pönalisierung für den Verursacher. Ein Beispiel hierfür sind Vertragsstrafen bei Überschreitung der vereinbarten Fertigstellungsfrist. Übertragen auf die CO 2 e-Emissionen ist eine Vertragsstrafe je Tonne CO 2 e, die über den vereinbarten Soll-Wert hinausgeht, denkbar. Da dies jedoch dazu führen könnte, dass die Unternehmen lediglich versuchen die Soll- Werte einzuhalten, diese jedoch nicht weiter zu verbessern, ist hierfür zusätzlicher Anreiz notwendig. Nur wenn über eine Strafe hinaus ein Anreiz geschaffen wird, die Emissionen noch weiter zu senken als vereinbart, steigt die Motivation für nachhaltiges Handeln über den definierten Rahmen hinaus. Ein zusätzliches Bonussystem kann z. B. durch finanzielle Vorteile dafür sorgen, Anreize für Unternehmen zu schaffen, ihre THG-Emissionen unter den vereinbarten Werten zu halten oder sogar darüberhinausgehende Reduktionen zu erreichen [16]. Dabei sollte das System möglichst einfach aufgebaut sein, sodass eine Überschreitung beim Soll-Ist-Abgleich je Tonne CO 2 e einen gewissen Eurobetrag Strafe gegenübersteht. Analog dazu wird jede Tonne CO 2 e, die am Ende eingespart werden konnte, mit einem finanziellen Bonus gewürdigt. Die Beträge werden dann zum Projektende mit der Schlussrechnung abgerechnet. 5. Anwendung im Praxisprojekt Wie bereits beschrieben sieht das Modell zwei Zeitpunkte der Erfassung der Emissionen vor. Eine vor Bauausführung während der Planung und eine weitere zur Überprüfung während bzw. nach der Bauphase. Im Zuge eines Pilotprojekts zur Untersuchung, ob CO 2 e vergabesicher als Ausschreibungskriterium eingeführt werden können, wurde ein digitales Abfragetool gemeinsam mit SUSTRAVIA entwickelt, mit dem vor der Ausführung Emissionen durch die Bieter ermittelt werden konnten. Die Bieter hatten so die Möglichkeit neben einem grauen Angebot (nur Preis) auch ein grünes Angebot (Preis und CO 2 -Emissionen) abzugeben. Mithilfe des vom Umweltbundesamt für das Jahr 2023 empfohlenen CO 2 -Schattenpreises von 237€/ tCO 2 e ergaben sich für die grünen Angebote eine geänderte Bieterreihenfolge, ohne dabei den Bestbietenden zu tauschen. Das eingesetzte digitale Webtool bot die Möglichkeit, generische Angaben zu den eingesetzten Materialien, den Transportwegen und eingesetzten Geräten sowie deren Einsatzdauern einzupflegen. Auch spezifische Emissionsfaktoren konnten hinterlegt werden, sofern diese durch einen Nachweis bestätigt werden konnten. Das Tool ermittelte automatisch die entstehenden Emissionen, die von den Bietern mit dem Angebot eingereicht wurden. Da es bei dem Projekt erstmal darum ging, zu prüfen, ob ein solches zusätzliches Vergabekriterium den Wettbewerb einschränkt und welche Auswirkungen sich aus dem CO 2 -Schattenpreis generell ergeben, wurde der mit dem Angebot eingereichte CO 2 -Wert des Bieters, welcher den Zuschlag erhielt, nicht vertraglich fixiert. Dennoch wurden nach Ausführung der Maßnahme die tatsächlichen Ist-Emissionen ermittelt. Dies erfolgte über Lieferscheine, aus welchen mittels Bilderkennung die Materialmengen, deren Spezifikationen sowie die Transportentfernungen ermittelt wurden. Zusätzlich erfolgte eine manuelle Abfrage der tatsächlich eingesetzten Geräte und deren Einsatzdauern und Verbräuche. Für die Sanierung der Deck- und Binderschicht der ca. 7,4ha asphaltierte Fläche eines Autobahnrastplatzes der A6 bei Bad Rappenau ergaben sich normiert auf die Ist-Materialmenge Abweichungen von ca. 3,1 %. Da es sich um ein verhältnismäßig kleines Bauprojekt und eine kurze Projektdauer von ca. 2 Wochen handelte, erfolgte keine kontinuierliche Emissionserfassung während der Bauphase, da ein Gegensteuern in dieser kurzen Zeit nur schwer möglich ist. Für größere Projekte mit längeren Projektdauern sollte die kontinuierliche Erfassung der Emissionen in Abhängigkeit des Baufortschritts und der damit zusammenhängende Soll-Ist-Abgleich aber in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. Abbildung 8: Screenshot aus dem digitalen Webtool der SUSTRAVIA <?page no="34"?> 34 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte Mit dem Thema Soll-Ist-Abgleich und dem Zusammenführen aller CO 2 e-relevanten Informationen von den verschiedenen Projektbeteiligten haben sich die Bachelorstudierenden des Studiengangs Projektmanagement (Bau) der HBC im Rahmen einer Seminararbeit beschäftigt. Die ca. 20 Studierenden entwickelten hierbei mit Unterstützung durch das Nachhaltigkeitsteam der HOCHTIEF PPP Solutions GmbH ein Excel-Tool, in welchem neben der Ermittlung der Soll- und Ist-Emissionen auch direkt ein Soll-Ist-Abgleich ausgeführt wird. Über Input-Masken für die verschiedenen Baubeteiligten können alle relevanten Daten für die Plan-, Soll- und Ist-Emissionen eingegeben werden. Der Soll-Ist-Abgleich erfolgt anschließend automatisch. Beim Erstellen des Soll-Ist-Abgleichs ist dabei wichtig, dass die Soll-Emissionen auf den jeweiligen Leistungsstand heruntergerechnet werden, um diese den tatsächlichen Ist-Emissionen gegenüberzustellen. Die Ist-Emissionen spiegeln dabei immer den aktuellen Projektstand wider. Die Soll-Emissionen wurden hingegen für das Gesamtprojekt ermittelt und müssen entsprechend angepasst werden, um einen zielführenden Abgleich zu ermöglichen. Dies geschieht zunächst aus dem Technischen Controlling, abgeleitet über den Quotienten Ist/ Soll, welcher mit dem ursprünglichen Plan-Wert multipliziert wird. Abweichungen zwischen den sich so ergebenden Soll- und Ist-Werten werden farblich hervorgehoben. Später sollte zur genaueren Berechnung der Hochrechnung bzw. Erstellung einer Prognose eine Verknüpfung mit dem Projektterminplan erfolgen. Ein Terminplan mit festgelegten Stichtagen für das Monitoring gibt automatisiert die prozentualen Soll-Fortschritte der Positionen zum Stichtag an. Somit ist auch eine Hochrechnung bzw. Prognose umsetzbar. Ohne eine Prognose besteht die Gefahr, dass falsche Rückschlüsse aus der Hochrechnung gezogen werden. Fallen beispielsweise maschinenintensive Arbeiten nur zum zeitlichen Beginn einer Position an, lässt die reine Hochrechnung fälschlich vermuten, dass die Ist-CO 2 e-Werte die Soll-CO 2 e-Werte im weiteren Projektverlauf überschreiten werden. Alternativ kann der aktuelle Projektstand über eine Abfrage vom Anwender, also z.-B. einem Bauleiter, direkt abgefragt werden. [17] Die beiden Anwendungen aus der Praxis haben gezeigt, dass eine Erfassung der Emissionen vor und nach der Bauausführung möglich und sinnvoll ist. Wichtig ist es hierbei, den beteiligten Unternehmen die richtigen Hilfsmittel an die Hand zu geben, sodass diese mit möglichst geringem Aufwand und ohne Vorkenntnisse ihre Emissionen ermitteln können. 6. Ausblick Für die Ermittlung der CO 2 e-Emissionen werden sehr große Datenmengen gesammelt und verarbeitet. Dabei stellt deren effiziente Verwaltung und Verarbeitung eine große Herausforderung dar. Die korrekte Erfassung, Verifizierung und Zuordnung dieser Daten an den richtigen Stellen erforderten einen zeitaufwändigen und präzisen Prozess. Die Automatisierung der Schnittstellen und der Datenzusammenführung wird hierbei ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Implementierung des Prozesses sein. Neben der Optimierung und Vereinfachung der Schnittstellen wird es zukünftig auch wichtig sein, weitere Bereiche in die Betrachtungen aufzunehmen. So stellt die Bilanzierung von Hochbauprojekten neue Ansprüche an die Datenerfassung, da hier andere Materialien verarbeitet werden, sich die Bauprozesse teilweise unterscheiden und deutlich mehr Gewerke beteiligt sind. Darüber hinaus ist zu definieren, ob und wie die bei Projekten eingesetzten Baugeräte in der Bilanzierung zu berücksichtigen sind. Um zukünftig den gesamten Lebenszyklus abzudecken, ist es notwendig auch die Phasen Betrieb, Rückbau und Wiederverwertung in die Betrachtung aufzunehmen. Hierbei wird es jedoch besonders wichtig sein, klare Grenzen zu definieren, um zu vermeiden, dass dieselben Emissionen doppelt angesetzt werden. Im Rahmen verschiedener Forschungsarbeiten und des Pilotprojekts wurde aufgezeigt, dass mithilfe neuer Ansätze ein aktiver Beitrag zur Förderung der Nachhaltigkeit im Bauwesen geleistet werden und die richtigen Impulse in Richtung einer nachhaltigen Bauwirtschaft gesetzt werden können. HOCHTIEF wird hierbei weiterhin die Entwicklung innovativer Lösungsansätze vorantreiben. Aktuell wird daher untersucht, ob und wie es möglich ist, die Ist-CO 2 e-Emissionen direkt aus dem ERP-System, und den dort zur Verfügung stehenden Informationen, zu ermitteln. Nur durch klare Fakten können wir die Grundlage für die effektive Reduzierung unserer CO 2 -Emissionen schaffen. Denn letztendlich gilt: “If you can’t measure it, you can’t manage it”. Literatur [1] United Nations Environment Programme, „2020 Global Status Report for Buildings and Construction,“ 2020. [2] Umweltbundesamt, „Kyoto-Protokoll,“ 16 September 2024. [Online]. Available: https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ klima-energie/ internationale-eu-klimapolitik/ kyoto-protokoll#entstehungsgeschichte-und-erste-verpflichtungsperiode [3] Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima, „Was bedeuten CO 2 -Äquivalent (CO 2 e) und Global Warming Potential (GWP)? ,“ o. J.. [Online]. Available: https: / / allianz-entwicklung-klima.de/ toolbox/ wasbedeuten-co2-aequivalent-co2e-und-global-warming-potential-gwp/ [4] Europäische Kommission, „Ökodesign-Verordnung: Neue Regeln für nachhaltige Produkte in Kraft,“ 19 Juli 2024. [Online]. Available: https: / / germany.representation.ec.europa.eu/ news/ okodesign-verordnung-neue-regeln-fur-nachhaltige-produkte-kraft-2024-07-19_de [5] BMUV, „EU-Staaten stimmen für Digitalen Produktpass und gegen Vernichtung von Neuwaren,“ 22 Mai 2023. [Online]. Available: https: / / www.bmuv.de/ pressemitteilung/ eu-staaten-stim- <?page no="35"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 35 Klimaverträglich bauen: Abgleich der CO 2 Soll- und Ist-Werte men-fuer-digitalen-produktpass-und-gegen-vernichtung-von-neuwaren [6] M. Hehemann, „Kein EPD - Kein Auftrag,“ Österreichischer Wirtschaftsverlag, 06 Mai 2024. [Online]. Available: https: / / www.handwerkundbau. at/ management/ epds-sind-heute-oftmals-schonpflicht-53419 [7] P. D.-I. M. Koschlik, Vorlesungsskript - Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Module 09-11, 2021, p. 166. [8] HOCHTIEF, „Scopes gem. GHG-Protocol (interne Abbildung)“. [9] J. Wackenheim, „Entwicklung eines digitalen Verfahrens zur Erhebung von CO 2 e-Istdaten bei Infrastrukturprojekten für die Verwendung im Beschaffungsprozess,“ 2023. [10] C. Holldorb und T. Mayer, „Ökoprofil für Asphalt- und Betonbauweisen von Fahrbahnen,“ 2009. [11] L. P. Ceci, „Entwicklung eines Verfahrens für die Ermittlung und Bewertung von THG-Emissionen im Straßenbau,“ 2022. [12] A. Hofmann und M. Tiede, „Alles muss seinen richtigen Preis haben,“ Bauwirtschaft 3-4/ 2022, 2022. [13] Q Point AG, „Straßenbauprojekte einfach und modern gestalten,“ 2023. [Online]. Available: https: / / qpoint.com/ de/ [14] Siemens, „Pressemitteilung: Siemens entwickelt ökosystembasierten Ansatz für den Austausch von Emissionsdaten,“ 22 November 2021. [Online]. Available: https: / / press.siemens.com/ global/ de/ pressemitteilung/ siemens-entwickelt-oekosystembasierten-ansatz-fuer-den-austausch-von. [Zugriff am 15 Juni 2023]. [15] Wöhe et al., Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Auflage Hrsg., Franz Vahlen GmbH, 2020, p. 984. [16] European Commission, „Taxation in support of green transition: an overview and assessment of existing tax practices to reduce greenhouse gas emissions,“ November 2020. [Online]. Available: https: / / op.europa.eu/ en/ publication-detail/ -/ publication/ d0db8db6-5b9b-11eb-b59f-01aa75ed71a1/ language-en [17] HBC, Projektgruppe P6 - Hochschule, „Projekthandbuch: Entwicklung eines CO 2 e-Erfassungstools,“ 25. Januar 2024. <?page no="37"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 37 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen Pamela Haverkamp, M. Sc. Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen, RWTH Aachen University Univ.-Prof. Marzia Traverso (PhD) Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen, RWTH Aachen University Zusammenfassung Der Straßenbausektor spielt eine entscheidende Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigen Infrastruktur, die die Integration ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Aspekte erfordert. Dieser Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über die Anwendung der lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung (Life Cycle Sustainability Assessment, LCSA) im Straßenbau und zeigt die Fortschritte und Herausforderungen auf dem Weg zur ganzheitlichen Nachhaltigkeit auf. Die primären Ziele dieser Studie sind die Analyse von Fallstudien, die Nachhaltigkeit auf ganzheitliche Weise behandeln, und die Identifizierung von Forschungslücken und Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Straßen. Um diese Ziele zu erreichen, wurde eine systematische Literaturanalyse durchgeführt, um relevante Studien auf diesem Gebiet zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass trotz des wachsenden Interesses an LCSA praktische Umsetzungen im Straßenbausektor nach wie vor selten sind. Viele Studien kombinieren Ökobilanz (LCA), Lebenszykluskostenrechnung (LCC) und ausgewählte soziale Indikatoren, wobei sie sich oft auf einen einzelnen Stakeholder einer bestimmten Lebenszyklusphase konzentrieren, anstatt den umfassenden LCSA-Ansatz zu verfolgen. Die Studien sind sehr heterogen, vor allem in Bezug auf die definierten funktionellen Einheiten, die betrachteten Lebenszyklusphasen und die eingesetzten Indikatoren. Bezüglich der funktionellen Einheit stützen sich die meisten Studien nur auf Straßenabmessungen, ohne Parameter anzugeben, die mit dem Nutzen oder der Qualität der Straße in Verbindung stehen. Des Weiteren lag der Hauptfokus der Studien auf den Produktions- und Bauphasen, wobei nur wenige Ausnahmen das Lebensende behandelten. Zudem wurde festgestellt, dass sich die meisten Studien auf die Bestimmung des Global Warming Potential (GWP) konzentrierten, während andere für Straßen möglicherweise relevante Indikatoren wie Landnutzung, Feinstaubbildung, Ressourcennutzung-fossile Brennstoffe oder Ressourcennutzung-Mineralien nur selten berechnet wurden. Bei der Auswertung stützen sich mehrere Studien auf Nachhaltigkeitsindizes oder Methoden der multikriteriellen Entscheidungsanalyse, was zu weiteren Inkonsistenzen beitragen kann. 1. Einführung Die Straßeninfrastruktur spielt eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung [1]. In Deutschland umfasst das Straßennetz rund 830.000 km [2], was eine dichte und leistungsfähige Infrastrukturbasis für Mobilität und wirtschaftlichen Austausch bietet. Straßeninfrastruktur bringt jedoch sowohl positive als auch negative Auswirkungen mit sich [3]: sie verbessert den Zugang zu Märkten und hilft, wirtschaftlichen Isolation zu überwinden [4; 5], während sie gleichzeitig für erhebliche Umweltbelastungen verantwortlich ist [6; 7]. Darüber hinaus gehen Straßenbau und -nutzung mit sozialen Herausforderungen einher, wie z. B. Unfälle, die Exposition der Arbeiter*innen gegenüber Schadstoffen, arbeitsbedingte Verletzungen und Krankheiten, sowie Bau- und Verkehrslärm [4]. Angesichts dieser weitreichenden Auswirkungen auf die Umwelt, die Ökonomie und die Gesellschaft sollte die Nachhaltigkeitsleistung von Straßen systematisch gemessen werden. Mehrere Studien haben sich bereits mit den ökologischen Auswirkungen von Straßen und Oberbauten befasst. Eine häufig eingesetzte Methode hierzu ist die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA), eine robuste und standardisierte Methode zur Bewertung der Umweltauswirkungen von Produkten während des gesamten Lebenszyklus [8-10]. Zur Bewertung der ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit wird in vielen Studien die Lebenszykluskostenrechnung (Life Cycle Costing, LCC) angewandt [11], während die produktbezogene Sozialbilanz (Social Life Cycle Assessment, S-LCA) zur Untersuchung der sozialen Auswirkungen aus einer Lebenszyklusperspektive dient [12]. Die ganzheitliche Betrachtung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit wird durch die Methode der lebenszyklusbasierten Nachhaltigkeitsbewertung (Life Cycle Sustainability Assessment, LCSA) ermöglicht, die von Klöpffer [13] und Finkbeiner et al. [14] eingeführt wurde. Obwohl dieser Ansatz weniger verbreitet als die eigenständige LCA und LCC ist, wird er zunehmend in Sektoren wie Bauwesen und Energie eingesetzt [15]. LCSA birgt großes Potenzial, um die Nachhaltigkeitsleistung im Straßenbau umfassend zu bewerten und damit fundierten Entscheidungen zu unterstützen. Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Anwendungen der LCSA im Straßenbau und zeigt den aktuellen Stand der Forschung sowie bestehende Her- <?page no="38"?> 38 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen ausforderungen. Basierend auf einer systematischen Literaturrecherche werden LCSA-Fallstudien untersucht, um die Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Straßen aufzuzeigen. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis der Ansätze, Methoden und Herausforderungen im Zusammenhang mit LCSA zu vermitteln. 2. Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung Die LCSA-Methode ermöglicht die ökologische, ökonomische und soziale Bewertung von Produkten entlang ihres gesamten Lebenszyklus [16]. Das Konzept der LCSA basiert auf das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit und wurde von Klöpffer [13] eingeführt, der den Ansatz in der Form LCSA = LCA + LCC + S-LCA ausdrückte. Dabei repräsentiert die LCA die ökologische Dimension [9; 17], die LCC die ökonomische Dimension [18]] und die S-LCA die soziale Dimension [19]. Diese Formel impliziert keine mathematische Addition der Ergebnisse, da jede Methode auf unterschiedlichen Modellen und Indikatoren basiert. Vielmehr verdeutlicht sie die kombinierte Anwendung der drei Methoden auf dasselbe Produkt mit einer einheitlichen Definition der funktionellen Einheit und äquivalenten Systemgrenzen [16; 20; 21]. In dieser Hinsicht ist die funktionelle Einheit die Referenzeinheit der Bewertung, die das Nutzen des Produktsystems quantifiziert [16]. Äquivalente Systemgrenzen bedeutet, dass alle Prozesseinheiten berücksichtigt werden, die für mindestens eine der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit relevant sind [20]. Das Hauptziel der LCA besteht darin, die potenziellen Umweltauswirkungen über alle Lebenszyklusphasen hinweg zu ermitteln und zu vergleichen [22]. Sie besteht aus vier Phasen: Festlegung des Ziel- und Untersuchungsrahmens, Sachbilanz, Wirkungsabschätzung und Auswertung. Die erste Phase umfasst die Gründe für die Durchführung der Studie und ihre Anwendung, sowie die Definition des methodologischen Rahmens [9]. Bei der Sachbilanz werden Daten zu allen relevanten Input- und Outputflüssen gesammelt und dokumentiert [23]. Es folgt die Wirkungsabschätzung, in der die Umweltauswirkungen berechnet werden [9]. Schließlich werden die Ergebnisse der Wirkungsabschätzung in der Auswertung im Hinblick auf das Ziel und den Umfangrahmen der Studie bewertet [19]. LCA ist durch die ISO-Normen 14040 und 14044 standardisiert [9; 17], wobei spezifische Normen für den Bausektor existieren, wie ISO 21930 und EN 15804 für die Erstellung von Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration, EPD) -Typ-III Umweltdeklarationen, die quantifizierte umweltbezogene und LCA-basierte Informationen von Produkten darstellen [24; 25]. Darüber hinaus wird die EN 15978 für die Durchführung von LCA für Gebäude als Referenz herangezogen, sowie die prEN 17392-1 (zurückgezogen), die die Anwendung von LCA für die Bewertung von Asphaltmischungen standardisierte [26; 27]. Die LCC bewertet alle relevanten Kosten von Produkten oder Projekten über deren gesamten Lebenszyklus hinweg aus der Perspektive eines spezifischen Stakeholders [18; 28]. Dabei wird eine langfristige Perspektive in den Entscheidungsprozess integriert, da die Betrachtung über den Kaufpreis oder die Anschaffungskosten hinausgeht. Dabei werden Kosten für Design- und Entwicklung, Produktion und Implementierung, Betrieb, Lebensende sowie Bau, Inbetriebnahme, unter anderen berücksichtigt [29]. Im Bausektor wird die ISO 15686-5 (für Gebäude) häufig als Referenz herangezogen [30]. S-LCA analysiert potenziell positive und negative sozialen Auswirkungen von Produkten auf verschiedene Stakeholderkategorien entlang ihres gesamten Lebenszyklus [19; 31]]. Als jüngster Bestandteil der LCSA wird sie heute durch ISO 14075 standardisiert [32]. Darüber hinaus dienen die UNEP S-LCA Richtlinien und Methodenübersichten (Methodological Sheets) als praktische Leitfaden für die Anwendung der Methode [19; 33]. Im Gegensatz zu Ansätzen wie Fair Trade oder Corporate Social Responsibility (CSR) zeichnet sich S-LCA durch eine systematische Datenerfassung, eine starke Stakeholder-Orientierung und die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus aus [31]. S-LCA baut auf der LCA-Methode auf, wobei der Hauptunterschied darin besteht, dass die Ergebnisse eng mit dem betrachteten Stakeholder (z. B. Arbeiter*innen, lokale Gemeinschaft, Gesellschaft, Verbraucher, Akteure der Wertschöpfungskette und Kinder) verknüpft sind. 3. Methodik Um die Ziele dieses Beitrags zu erreichen wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt - eine Methode zur Analyse des aktuellen Stands der Wissenschaft und Ermittlung von Forschungslücken und -prioritäten [34; 35]. Die Datenbanken Scopus und Web of Science wurden für die Suche nach geeigneten Studien ausgewählt, da sie mehrere Fachgebiete abdecken und hochqualitative, von Experten geprüfte Literatur enthalten [36; 37]. Der Schwerpunkt lag dabei auf Studien, die sich mit den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und insbesondere mit LCSA befassten. Die Auswahl der relevanten Studien erfolgte in drei Screening-Schritten. Zunächst wurden Titel und Zusammenfassungen aller in den Datenbanken gefundenen Beiträge zum Thema Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau überprüft. Anschließend wurde die Liste der potenziell relevanten Studien konsolidiert und auf Duplikate überprüft. Das zweite Screening bestand darin, zu prüfen, welche Artikel im Volltext abruf bar waren. Schließlich wurden im dritten Screening die Volltexte analysiert und die relevanten Artikel ausgewählt. Bei diesem Screening wurden Beiträge aus einem der folgenden vier Gründe aussortiert: (1) es wurden nicht alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen berücksichtigt; (2) die Studie befasste sich nicht mit Straßen, Oberbauten oder Straßeninfrastruktur auf Projektebene; (3) es handelte sich um eine reine Literaturrecherche; oder (4) der Beitrag konzentriert sich primär auf die Analyse potenziell nachhaltiger Technologien oder Materialien. Die verbleibenden Studien wurden anschließend detailliert ausgewertet, und die relevanten Daten wurden extrahiert und zusammengeführt. Insgesamt wurden 17 rele- <?page no="39"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 39 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen vante Veröffentlichungen identifiziert und für die weitere Analyse ausgewählt. 4. Ergebnisse Eine Zusammenfassung der ausgewählten Veröffentlichungen ist in Tab. 1 zu finden. Zunächst wurden die Ziele der ausgewählten Studien untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass nahezu 70 % der Studien den Vergleich von Material- oder Projektalternativen adressierten. Ein weiteres häufiges Ziel war die Unterstützung von Entscheidungsträgern bei unterschiedlichen Aspekten von Projekten, wie bei der Auswahl von Instandhaltungsalternativen [40; 43; 44; 54]. Andere Studien zielten darauf ab, LCSA-basierte Rahmenwerke zur Überwachung der Nachhaltigkeitsleistung von Projekten zu entwickeln oder die Förderung von nachhaltiger Entwicklung zu unterstützen. Tab. 1: Übersicht der Veröffentlichungen zur Nachhaltigkeitsbewertung von Straßen und Oberbauten Quelle Gegenstand der Studie Land Systemgrenzen [38] Straßen Australien Nicht angegeben [39] Straßen Pakistan Bau, Wartung und Nutzung sowie die vorgelagerten Prozesse und Materialien für jede Phase [40] Oberbau und Straßenbauarbeiten Nicht angegeben Alle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Oberbau [41] Straßenbaumaterialien China Herstellung von Materialien, Transport, Bau, Nutzung, und Lebensende [42] Oberbau Deutschland Herstellung von Materialien, Bau, Nutzung und Lebensende [43] Oberbau USA LCA: Herstellung von Materialien, Bau und Instandhaltung LCC: Bau und Instandhaltung S-LCA: Nutzung [44] Straßen Iraq Nicht angegeben [45] Oberbau USA Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Transport, Asphaltmischung, Bau [46] Oberbau USA Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Transport, Asphaltmischung, Bau [47] Straßen Canada Nicht angegeben [48] Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften (einschließlich Bürgersteig, Oberbau und Fahrbahnmarkierungen) USA Herstellung von Materialien, Transport, Stromverbrauch während der Nutzung, Lebensende [49] Verkehrsinfrastruktur Europa Rohstoffgewinnung und Asphaltmischung, Bau, Instandhaltung, Instandsetzung, Verkehrsmanagement, Nutzung, Lebensende [50] Autobahnen USA Nicht angegeben [51] Oberbau mit ungebundener Decke Australien Bau, Nutzung und Instandhaltung [52] Oberbau China Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Bau, Instandhaltung [53] Oberbau China Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Bau, Nutzung, Instandhaltung [54] Oberbau Nicht angegeben Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Bau, Nutzung, Instandhaltung <?page no="40"?> 40 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen Zusätzlich wurden methodische Parameter im Zusammenhang mit LCSA untersucht, darunter funktionelle Einheiten, Systemgrenzen, Indikatoren und Auswertungsmethoden. Es zeigte sich, dass 47 % der Studien keine funktionelle Einheit definierten. In den übrigen Studien wurden meist Dimensionen der Straße wie die Länge oder Fläche herangezogen [41-43; 52; 53]. Lediglich eine Studie integrierte den Zeitraum der Analyse, während Parameter zur Straßenqualität oder -funktion bei keiner Studie berücksichtigt wurden. Darüber hinaus definierten zwei Studien separate funktionelle Einheiten für die LCA und LCC, ohne jedoch eine Referenzeinheit für die Bewertung der sozialen Auswirkungen festzulegen [52; 53]. Die Analyse der Systemgrenzen erfolgte auf der Grundlage der in EN 15804 [25] definierten Informationsmodule, um eine gemeinsame Basis für die Bewertung zu schaffen. Laut dieser Norm besteht der Lebenszyklus eines Produkts aus fünf Phasen: - Herstellungsphase: Rohstoffgewinnung (A1), Transport zum Produktionsstandort (A2) und Herstellung (A3); - Bauphase: Transport zur Baustelle (A4) und Bau (A5); - Nutzungsphase: Nutzung (B1), Instandhaltung (B2), Reparatur (B3), Ersatz (B4), Erneuerung (B5), betrieblicher Energieeinsatz (B6) und betrieblicher Wassereinsatz (B7); - Entsorgungsphase: Rückbau oder Abriss (C1), Transport (C2), Abfallbehandlung (C3), und Deponierung (C4); - Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenzen: Wiederverwendung, Rückgewinnung und/ oder Recycling (D). Die in den Studien berücksichtigten Lebenszyklusphasen sind in Tab. 2 dargestellt. Tab. 2: Systemgrenzen der ausgewählten Studien Quelle Informationsmodule laut EN 15804 A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 B6 B7 C1 C2 C3 C4 D [38] X X X X X X X - - - - - X X X X - [39] * * * * * * * * * * * * * * * * * [40] * * * * * * * * * * * * * * * * * [41] X X X X X - - X X - - - X X - - - [42] * * * * * * * * * * * * * * * * * [43] X X X X X - - - - - X - X X - x - [44] X X X X X X X - - X - - X X X X - [45] * * * * * * * * * * * * * * * * * [46] - - - - X X X - - - - - - - - - - [47] X X X X X X X - - - - - - - - - - [48] X X X X X X X - - - - - - - - - - [49] * * * * * * * * * * * * * * * * * [50] X X X X X - X - - - - - - - - - - [51] X X X X X - X - - - - - - - - - - [52] X X X X X X X - - - - - - - - - - [53] X X X X X - - - - - - - - - - - - [54] X X X X X - - - - - - - - - - - - <?page no="41"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 41 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen Die meisten Studien untersuchten hauptsächlich die Herstellungs- und Bauphasen, während knapp die Hälfte die Nutzungsphase mit in der Bewertung einbezog. Eine genauere Betrachtung der Nutzungsphase zeigte, dass die an der häufigsten berücksichtigten Aktivität die Instandhaltung (B2) war, dicht gefolgt von der Nutzung (B1). Nur eine Studie berücksichtigte den betrieblichen Energieeinsatz (B6), da sie sich auf Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften konzentrierte [48]. Die Entsorgungsphase (Modul C) wurde am wenigsten betrachtet, und die Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenzen (Modul D) wurden komplett unberücksichtigt. Die Auslassung der Module C und D kann mehrere Gründe haben, wie z. B. die lange Lebensdauer von Straßen und die Ungewissheit darüber, was am Lebensende geschieht. Darüber hinaus werden Straßen in der Regel nicht stillgelegt, sondern am Ende ihrer geplanten Nutzungsdauer saniert und weiter genutzt, so dass es schwierig ist, einen bestimmten Zeitpunkt für den Endzustand und den Beginn eines neuen Lebenszyklus zu definieren. Schließlich könnte der Grund auch in der Wahl der Referenznormen und der Art und Weise liegen, wie diese mit der Allokation am Lebensende umgehen. Die Bewertung der ökologischen Dimension erfolgte in allen Studien mithilfe von LCA. Nur 5 Studien nutzten dabei eine Norm oder Richtlinie zu Ökobilanz als Referenz, wie die ISO 14040, ISO 14044, EN 15804, prEN 17392 oder die UNEP/ SETAC Richtlinien für S-LCA herangezogen. Hinsichtlich der Wirkungsabschätzung wurde festgestellt, dass die Anzahl der bewerteten Indikatoren stark variierte zwischen 1 und 13. Die verwendeten Indikatoren können in drei Gruppen eingeteilt werden: Midpoint-orientiert, Endpoint-orientert und sonstige. Endpoint-orientierte Indikatoren stellen die Ergebnisse für die Schutzbereiche „Schädigung der menschlichen Gesundheit“, „Schädigung des Ökosystems“ und „Schädigung der Ressourcenverfügbarkeit“ (sogenannte Endpunkte) dar [55], während Midpoint-orientierte Indikatoren die Umweltauswirkungen in einem intermediären Stadium der Bewertung messen (d. h. sie messen die Auswirkungen auf das Ökosystem und die Umwelt für spezifische Wirkungskategorien) [56]. Einige Indikatoren (sonstige) konnten nicht den vorgenannten Gruppen zugeordnet werden, vor allem weil es sich nicht um typische LCA- Indikatoren handelt und keine Definition angegeben wurde. Die meisten eingesetzten Indikatoren bei den untersuchten Studien sind Midpoint-orientiert. Darunter war Treibhauspotential (Global Warming Potential, GWP) der am häufigsten verwendeten Indikator, gefolgt von Versauerungspotenzial, Energieverbrauch, Eutrophierungspotenzial und Ozonbildungspotenzial. Die ökonomische Dimension wurde überwiegend mittels LCC durchgeführt, wobei eine Studie die Kosten-Nutzen-Analyse (Cost-Benefit Analysis, CBA) anwandte [41]. LCC zeichnet sich durch einen vergleichenden Ansatz aus, während die CBA meist zur unabhängigen Bewertung von Projekten eingesetzt wird [57]. Ähnlich wie bei der ökologischen Bewertung gaben die meisten Studien nicht an, welche Normen oder Leitlinien als Referenz verwendet wurden. Diejenigen, die dies taten, verwiesen auf die inzwischen zurückgezogene EN 15643-4, ISO 15686- 5 (für Gebäude) und die UNEP Leitlinien für LCSA. Die in den Studien betrachteten Kostenkategorien umfassten die Kosten von Straßenbehörden, Kosten von Verkehrsteilnehmenden und Externalitäten. Bei den Kosten von Straßenbehörden standen die Bau- und Wartungskosten im Fokus (59 % bzw. 53 % der Studien). Bei den Materialkosten war nicht immer klar, ob die Transportkosten einbezogen wurden, während bei den Baukosten auch nicht klar war, ob diese Material-, Personalund/ oder Ausrüstungskosten umfassten. Bei den Verkehrsteilnehmenden wurden die Betriebs-, Verspätungs- und Unfallkosten am häufigsten bewertet, während bei Externalitäten vor allem Umweltschäden durch CO 2 -Emissionen berücksichtigt wurden. Eine Analyse der Indikatoren ergab, dass sich die meisten Studien auf einen einzelnen Indikator für die Bewertung stützen. Die meisten Studien wählten den Kapitalwert (Net Present Value, NPV), während einige Studien sich auch für das Kosten-Nutzen-Verhältnis (Cost-Benefit-Ratio, CBR) und den internen Zinssatz (Internal Rate of Return, IRR) entschieden haben. In weniger als der Hälfte der Studien wurden soziale Auswirkungen mittels S-LCA bewertet, während 53 % ausgewählte soziale Indikatoren nutzten, die nicht explizit mit S-LCA in Verbindung standen. Studien, die S-LCA angewendeten, nutzten die S-LCA Richtlinien [19], das Product Social Impact Assessment (PSIA) Handbook [58], das UNEP-Rahmenwerk für LCSA [16] und die ISO 14040 [9] als Referenzen. Andere Studien basierten auf Methodiken wie International Road Assessment Program (iRAP) zur Schätzung der Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten [59] oder die CNOSSOS-EU- Methode für strategische Lärmkarten für den Indikator „Lärmminderung“ [60]. Die Bewertung der sozialen Auswirkungen hängt von der betrachteten Stakeholderkategorie ab. In den meisten Fällen befassten sich die Studien mit mehr als einem Stakeholder, wobei die lokale Gemeinschaft und Nutzer*innen am meisten adressiert wurden, gefolgt von Arbeitnehmer*innen, Akteuren der Wertschöpfungskette, und Gesellschaft. Anschließend wurden die angewandten sozialen Indikatoren untersucht. In den meisten Fällen umfassten die Sicherheit und das Wohlbefinden der Verkehrsteilnehmenden und der lokalen Gemeinschaft die Themen Lärm (durch Bau oder Verkehr), Verkehrssicherheit (Unfälle) und Komfort. In dieser Hinsicht waren die meisten Indikatoren semi-quantitativ und quantitativ. Nur drei dieser Studien berücksichtigten die Stakeholder-Kategorie der Arbeitnehmer*innen und konzentrierten sich auf Gesundheit und Sicherheit [42; 61]. Die Stakeholderkategorie Gesellschaft hatte die geringste Anzahl von Indikatoren, die sich hauptsächlich auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung und den Einsatz neuer Technologien bezogen. Die Integration und gemeinsame Interpretation der Ergebnisse für die drei Dimensionen wurde untersucht, wobei in den meisten Studien die Ergebnisse der drei <?page no="42"?> 42 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen Dimensionen gemeinsam interpretiert wurde, d. h. die Ergebnisse der einzelnen Dimensionen wurden kombiniert ausgewertet. Dabei kamen verschiedene Ansätze zum Einsatz, die sich in vier Gruppen einteilen lassen. Die erste Gruppe umfasst die Entwicklung von Nachhaltigkeitsindizes, wie z. B. Road Sustainability Index [38], LCSA-Wertfunktion (value function) [39], Green Road Score [47], Highway Sustainability Score [50] und Integrated Sustainability Degree [52]. Die zweite Gruppe entspricht den Studien, die multikriteriellen Entscheidungsanalyse (Multi-Criteria Decision-Making, MCDM) anwenden, wobei TOPSIS (Technique for Order of Preference by Similarity to Ideal Solution), Compromise Programming Model und PROMETHEE-II Beispiele von angewendeten MCDM-Methoden darstellen. Die dritte Gruppe umfasst Studien mit Fokus auf Zielkonflikte zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen [42; 44; 51]. Die letzte Gruppe bezieht sich auf Ansätzen, die in den vorgenannten Gruppen nicht kategorisiert werden können, wie z. B. Monetarisierung [43] oder Entscheidungshilfesysteme basierend auf dem DPSIR-Rahmen (Driver, Pressure, State, Impact, Response) [40]. Für die Integration der Ergebnisse wurden diese oft gewichtet, wobei verschiedene Ansätze hierfür herangezogen wurden. Unter den untersuchten Studien scheint der analytischen Hierarchieprozess (AHP) eine etablierte Methode zu sein [39; 43; 52-54]. Weitere Methoden berücksichtigten die Gewichtung bei etablierten Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme für Straßen [38] oder die Prioritäten und Ziele von Lokalbehörden [47]. Die durchschnittliche Gewichtung der verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen ist wie folgt: 32 % für die ökologische, 37 % für die ökonomische und 31 % für die soziale Dimension. 5. Diskussion Obwohl LCSA und die Kombination lebenszyklusbasierter Methoden wie LCA, LCC und S-LCA als besonders geeignet für die Nachhaltigkeitsbewertung angesehen werden, zeigt diese Literaturrecherche, dass zahlreiche Studien methodische Aspekte nicht ausreichend berücksichtigen oder transparent offenlegen. Beispielsweise fehlte in mehreren Studien eine klare Definition der funktionellen Einheit, der Systemgrenzen oder der verwendeten Indikatoren. Aus den Ergebnissen ergeben sich mehrere wichtige Erkenntnisse. Zwar bewerten alle Studien die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, jedoch folgen nicht alle dem von Klöpffer vorgeschlagenen Ansatz mit der parallelen Anwendung von LCA, LCC und S-LCA. Bei den meisten Studien wurden LCA und LCC angewandt, während nur einige wenige soziale Indikatoren ohne Bezug zu S- LCA behandelt wurden. Es lässt sich vermuten, dass S- LCA aufgrund ihres Entwicklungsstands im Vergleich zu LCA und LCC sowie der hohen Abhängigkeit von Primärdaten in den meisten Fällen nicht einbezogen wurde. Hinsichtlich der Ziele der Bewertungen zeigt sich, dass die Mehrheit der Arbeiten auf den Vergleich von Material- oder Projektalternativen abzielt. Weitere Studien unterstützten Entscheidungsträger, beispielsweise bei der Auswahl von Materialien und Instandhaltungsalternativen. Diese Ziele belegen die Bedeutung und Dringlichkeit der Entwicklung spezifischer Leitlinien für die Durchführung von LCSA für Straßen und Oberbauten. Robuste Vergleiche sind nur möglich, wenn Regeln für alle methodischen Entscheidungen festgelegt werden. Darüber hinaus werden Rahmenwerke benötigt, die die Entscheidungsfindung unterstützen, indem sie die Ergebnisse auf verständliche Weise ermöglichen. Ein weiteres zentrales Ergebnis ist die uneinheitliche Definition von Systemgrenzen. Viele Studien verwenden für jede Dimension unterschiedliche grenzen. Basierend auf den Ansätzen von Klöpffer und UNEP ist dies aufgrund unterschiedlicher Anforderungen von LCA, LCC und S- LCA teilweise erlaubt [16]. Beispielsweise sind die Prozesse für die Rohstoffgewinnung für LCA und S-LCA relevant, während LCC sich auf die Endpreise von Produkten fokussiert. Nichtsdestotrotz sollten die Systemgrenzen so einheitlich wie möglich gezogen werden, wobei die für jede Methode erforderliche Detail- oder Aggregationsebene zu berücksichtigen ist, um sicherzustellen, dass alle relevanten Inputs und Outputs erfasst werden. Die Analyse zeigt auch einen Mangel an Standardisierung und Harmonisierung, da die meisten Studien nicht auf die verwendeten Normen oder Leitlinien verweisen, was die Vergleichbarkeit des Ergebnisses beeinträchtigt. Für LCA wurde die ISO 14040 in vier Studien zitiert [39; 41-43], die die allgemeinen Grundsätze und Rahmenbedingungen sowie die Anforderungen und Leitlinien für die Durchführung von LCA im Allgemeinen liefern. Nur eine Studie verwendete sektorspezifische Normen - EN 15804 und prEN 17392. Beide Normen enthalten Grundregeln für die Erstellung von Umweltproduktdeklarationen (EPD), EN 15804 für Bauprodukte im Allgemeinen und prEN 17392 (zurückgezogen) für Asphaltmischungen. In ähnlicher Weise wurde nur in einer Studie baurelevante Normen für LCC genannt - EN 15643-4 und ISO 15686-5. Für die S-LCA wurden die UNEP-Leitlinien am häufigsten zitiert. Generell lässt sich feststellen, dass es keine klaren Normen speziell für die Bewertung von Straßen und Oberbauten gibt. Somit bleibt ein großer Spielraum für potenziell subjektive Entscheidungen in Bezug auf methodische Aspekte. Darüber hinaus werden spezifische Eigenschaften von Straßen und Oberbauten bei den allgemeinen Standards nicht berücksichtigt, wie z. B. ihre lange Nutzungsdauer oder die Einbeziehung von Recyclingmaterial in die Bewertung. Die verwendeten Indikatoren zeigen ebenfalls eine große Heterogenität. Bei der ökologischen Bewertung dominieren Midpoint-orientierte Indikatoren, wobei das GWP am häufigsten verwendet war. Weitere verwendete Indikatoren sind Versauerungspotenzial, Energieeinsatz, Eutrophierungspotenzial und Ozonbildungspotenzial. Darüber hinaus wurden Indikatoren wie Landnutzung, Feinstaubbildung, Ressourcennutzung fossile Brennstoffe und Ressourcennutzung - Mineralien nur selten untersucht, obwohl sie für Straßen relevant sein könnten. Bei der öko- <?page no="43"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 43 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen nomischen Bewertung stützten sich die meisten Studien auf den NPV, wobei alle relevanten Kosten und Nutzen von Straßen in einem Wert quantifiziert werden [62]. Diese Aggregation kann jedoch nur erfolgen, wenn alle Alternativen demselben Analysezeitraum unterliegen [12]. Bei den sozialen Indikatoren konnte keine Schlussfolgerung darüber gezogen werden, welche am weitesten verbreitet waren, da die verfolgten Ansätze sehr unterschiedlich waren. In den meisten Fällen wurden jedoch semi-quantitative und quantitative Indikatoren gewählt. Darüber hinaus wurden die meisten Indikatoren der Stakeholder-Kategorie der Nutzer*Innen (Straßennutzer) zugeordnet und konzentrierten sich auf die Verkehrssicherheit (Unfälle), die Reisezeit und den Komfort. Die meisten Studien in dieser Literaturrecherche versuchten eine integrierte Interpretation der Ergebnisse, d. h. sie analysierten die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsdimensionen auf kombinierte Weise. Diese Betrachtung stimmt mit der Empfehlung überein, die LCSA-Ergebnisse unter Einbeziehung der drei Dimensionen zu interpretieren [14; 16]. Die meisten Autoren entschieden sich für die gewichtete Aggregation der Ergebnisse in einer Art Nachhaltigkeitsindex oder für die Anwendung von MCDM-Methoden, entweder für eine Rangfolge der Alternativen oder für die Auswahl der Alternative, die einer Ideallösung am nächsten kommt. Allerdings stehen diese Ansätze im Gegensatz zum LCSA-Konzept von Klöpffer [33], der feststellte, dass die Gewichtung von LCSA-Ergebnissen vermieden werden sollte, um zu vermeiden, dass Verbesserungen in einer Dimension die negative Leistung bei einer anderen Dimension kompensieren können. Wie Finkbeiner et al. [14] betonen, muss man jedoch anerkennen, dass in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Ziele zu erreichen und diverse Kriterien zu berücksichtigen sind, was unweigerlich zu einer impliziten Gewichtung führt. Daher ist es am besten, diese Gewichte transparent und wissenschaftlich zu vergeben. Darüber hinaus kann die Zuweisung von Gewichtungen und die Aggregation von Ergebnissen dazu beitragen, die Ergebnisse besser zu verstehen und Entscheidungen aus der richtigen Perspektive zu treffen [63]. 6. Schlussfolgerung In diesem Beitrag wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, um die Anwendung von LCSA für die Nachhaltigkeitsbewertung von Straßen und Oberbauten zu analysieren und die damit verbundenen Herausforderungen darzulegen. Die meisten untersuchten Bewertungen basierten auf die Anwendung von LCA und LCC in Kombination mit ausgewählten sozialen Indikatoren. Die Analyse zeigte mehrere Herausforderungen auf, die sich auf die Vergleichbarkeit der Ergebnisse auswirken. Dazu zählen insbesondere die Heterogenität bei der Definition von der funktionellen Einheit sowie unterschiedliche Systemgrenzen, Indikatoren, Kostenkategorien für die ökonomische Bewertung und Stakeholder-Kategorien bei der sozialen Bewertung. Darüber hinaus wurden auch Unterschiede bei den Systemgrenzen zwischen den drei Dimensionen festgestellt. Die meisten Studien führten eine integrierte Interpretation der Ergebnisse durch, indem entweder gewichtete Nachhaltigkeitsindizes entwickelt oder MCDM angewandt wurden. Ein zentrales Ergebnis dieser Literaturrecherche ist, dass viele der identifizierten Herausforderungen auf einen fehlenden harmonisierten Ansatz für die Nachhaltigkeitsbewertung von Straßen zurückzuführen sind. Aufgrund des umfassenden Lebenszyklusansatzes unter Berücksichtigung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit gilt LCSA als vielversprechende Methode, die robuste Ergebnisse zur Optimierung der Nachhaltigkeitsleistung von Straßen und Oberbauten liefern kann. Es besteht jedoch ein dringender Bedarf an Standards und Rahmenwerken, die die in diesem Beitrag identifizierten Probleme adressieren. Für die weitere Operationalisierung von LCSA im Straßenbausektor sind verschiedene Aspekte erforderlich. Ein entscheidender Faktor ist die Definition einer aussagekräftigen funktionelle Einheit, der die spezifischen Merkmale, Funktionen und Leistungen von Straßen angemessen wiederspiegelt und vergleichende Aussagen ermöglicht. Darüber hinaus müssen einheitliche Systemgrenzen und Indikatoren festgelegt werden. Hierbei gilt es, die spezifischen Hotspots im Lebenszyklus von Straßen in zu identifizieren. Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Auswertung der Ergebnisse. Es ist zu klären, welche Methoden der MCDM und welche Gewichtungen vorgenommen werden sollen. Dies sollte in Abstimmung mit den relevanten Akteuren geschehen, um transparente und nachvollziehbare Entscheidungsprozesse zu gewährleisten. Hinweis Dieser Artikel stellt eine Kurzfassung in deutscher Sprache der folgenden Veröffentlichung: Del Rosario, P., & Traverso, M. (2023). Towards Sustainable Roads: A Systematic Review of Triple-Bottom- Line-Based Assessment Methods. Sustainability, 15(21), 15654. https: / / doi.org/ 10.3390/ su152115654 Danksagung Dieser Beitrag ist Teil der Forschungsarbeiten des Teilprojekts C02 im Rahmen des SFB/ TRR 339 (Projekt-Nr. 453596084), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die finanzielle Unterstützung der DFG wird hiermit dankend anerkannt. <?page no="44"?> 44 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau - Umsetzung und Herausforderungen Literatur [1] Timilsina, G.; Stern, D. I.; Das, D. K. (December 2021) How Much Does Physical Infrastructure Contribute to Economic Growth? - An Empirical Analysis. Policy Research Working Paper 9888. http: / / hdl.handle.net/ 10986/ 36780. 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Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 49 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements DI Michael Hohenegger ASFINAG Baumanagement GmbH Stefan Pölzl, B. Sc. ASFINAG Baumanagement GmbH Zusammenfassung Die ASFINAG ist ein österreichisches Unternehmen, das für die Verwaltung, den Bau und den Betrieb von Autobahnen und Schnellstraßen verantwortlich ist. Ihre Tochtergesellschaft, die ASFINAG Bau Management GmbH, verantwortlich für Projektentwicklung und Bau- und Erhaltungsmaßnahmen fokussiert sich auf seit einiger Zeit auf die Weiterentwicklung digitaler Prozesse. Zur Verbesserung der Effizienz und Vernetzung wurde 2023 das Kernteam „Digitalisierung am Bau“ gegründet, das neue „smarte“ Strategien entwickelt, bestehende digitale Tools evaluiert und Mindeststandards für die Anwendung von Building Information Modeling (BIM) definiert. Eine Ist-Analyse zeigte, dass bereits ein hoher Digitalisierungsgrad besteht, aber Entwicklungspotenzial in Bereichen wie Prozessen, Tools und digitaler Kompetenz vorhanden ist. Ziel ist es, eine interoperable digitale Werkzeugkiste zu etablieren und deren Einführung durch Pilotprojekte und freiwillige Mitarbeit zu fördern. Digitale Formulare, wie Bautagesberichte, Feldaufnahmen oder Sicherheitsbegehungen, vereinfachen die Datenerfassung und verbessern die Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit. BIMbasierte Bauabwicklung wird seit 2016 eingesetzt, jedoch gibt es Herausforderungen, insbesondere bei der Integration in Ausschreibungs- und Abrechnungsprozesse. Die aktuellen Standards und Softwarelösungen sind teils unzureichend, weshalb die Prozesse manuell angepasst werden müssen, was die Qualität erhöht, jedoch Mehraufwand verursacht. Parallel dazu wird an einer langfristigen Optimierung der Rahmenbedingungen gearbeitet. Neben technologischen Fortschritten sieht die ASFINAG soziale Kompetenzen als Schlüssel für den Projekterfolg. In einem Forschungsprojekt mit der TU Wien wurde untersucht, wie kooperatives Verhalten gestärkt werden kann. Transparenz, Vertrauen, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und eine positive Unternehmenskultur sind zentrale Erfolgsfaktoren. Veränderung erfordert Zeit, Reflexion und konsequente Umsetzung. Ziel ist es, eine Win-Win-Situation zu schaffen, die auf nachhaltigen, gemeinsamen Projekterfolg ausgerichtet ist. 1. inführung Die ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) ist ein österreichisches Unternehmen, das für die Planung, Finanzierung, den Bau, den Betrieb und die Mauteinhebung auf den Autobahnen und Schnellstraßen Österreichs verantwortlich ist. Sie verwaltet ein Netz von rund 2.265 Kilometern mit 5.862 Brücken und 168 Tunnel. Die ASFINAG Bau Management GmbH (ASFINAG BMG) ist eine Tochtergesellschaft der ASFINAG und verantwortlich für sämtliche Bau- und Erhaltungsmaßnahmen im Bereich der Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. Ihre Aufgaben umfassen den Neubau und die Sanierung, die bedarfsgerechte Projektentwicklung sowie das Asset Management. Auf Grund der vielfältigen und oft auch komplexen Aufgaben, die die Projektteams der ASFINAG BMG zu erledigen haben, sind vor allem Innovation und Digitalisierung zwei Tätigkeitsbereiche in denen wesentliche Entwicklungen stattgefunden haben. Dabei hat sich vor allem der Begriff des smarten Baumanagements im Sinne von effizienten Prozessen in Verbindung mit zielgerichteten digitalen Tools mit der Kernkomponente Mensch geprägt. 2. Kernteam „Digitalisierung am Bau“ Für das Baumanagement wurden in den letzten Jahren unzählige digitale Tools und Plattformen auf den Markt gebracht, die alle versprechen die Projektabwicklung wesentlich zu vereinfachen und effizienter zu gestalten. Auch die ASFINAG BMG hat sich in der Vergangenheit einige dieser Tools angesehen, jedoch festgestellt, dass zwar einige dieser Tools und Plattformen gute Ansätze enthalten, jedoch die speziellen und teils komplexen Prozesse des Baumanagements nur unzureichend ganzheitlich abdecken. Darüber hinaus stellen sie oftmals Insellösungen dar, die wenig vernetzt sind oftmals auch an Prozessen vorbei arbeiten. Daher hat die ASFINAG BMG im Jahr 2023 das abteilungsübergreifende Kernteam „Digitalisierung am Bau“ gegründet, um die Digitalisierung im Baumanagement voranzutreiben und einem smarten Baumanagement im Sinne der Vernetzung einen Schritt näher zu kommen. Derzeit sind neben allen Baumanagement-relevanten Abteilungen auch das Team Analytics und die Konzernsteuerung eingebunden. <?page no="50"?> 50 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements 2.1 Zielsetzung Das Kernteam „Digitalisierung wurde mit folgenden Zielsetzungen gegründet: • Durchführung einer Ist-Analyse zur Erhebung des aktuellen Digitalisierungsgrades in der ASFINAG BMG • Erstellung einer Roadmap für eine Gesamtstrategie, Zielbilder und Umsetzungsschritte zur Erhöhung der Digitalisierung im Bauwesen der ASFINAG BMG. • Evaluierung und Weiterentwicklung bestehender digitaler Services zur Steigerung der Nutzerzufriedenheit und des Anwendungsgrades. • Definition und Festlegung von Mindeststandards zur BIM-Anwendung in Projekten. 2.2 Ist-Analyse und Roadmap Zur Erhebung des Digitalisierungsgrades wurden sämtliche Mitarbeitende der ASFINAG BMG sowie auch Externe (z. B. Planungsbüros, Örtliche Bauaufsichten, Baufirmen etc.) befragt. Die Auswertung der Antworten hat ergeben, dass grundsätzlich bereits ein hoher Digitalisierungsgrad auf den Baustellen und im Baumanagement gegeben ist, aber in einzelnen Teilbereichen Entwicklungspotential besteht. Im Rahmen der nachfolgenden Roadmaperstellung wurden drei Schwerpunktfelder identifiziert: • Prozesse: Die Prozesse der BMG werden hinsichtlich ihrer Eignung für den Einsatz digitaler Werkzeuge evaluiert. Ungeeignete Prozesse sollen entweder angepasst oder aufgegeben werden, um die Nutzung digitaler Werkzeuge zu fördern. Zudem müssen die Datenflüsse und Datenverantwortlichen in den Prozessen klar definiert sein. Alle vorhandenen Daten sollen verknüpft und einheitlich von der Entstehung bis zur Archivierung und Löschung verwaltet werden. Verantwortliche Personen und ein einheitliches Verständnis für die Bedeutung der Daten sind hierbei essenziell. • Digitale Werkzeugkiste: Der Einsatz digitaler Tools folgt dem Prinzip “Tool follows Use”. Vor der Einführung neuer Werkzeuge wird geprüft, welche Ziele damit verfolgt werden, welche Datensätze entstehen und wie die zugehörigen Prozesse und Workflows aussehen. Bestehende Werkzeuge sollen, wenn möglich, erweitert oder genutzt werden, um die Ziele zu erreichen. Ziel ist es, eine schlanke, hochfunktionale, interoperable und intuitiv zu bedienende “digitale Werkzeugkiste” zu schaffen, die zentral gesteuert werden kann. • Weiterentwicklung digitaler Kompetenz: Die Bereitstellung einer neuen “digitalen Werkzeugkiste” für die Projektteams erfordert einen strukturierten und angeleiteten Zugang. Die Einführung soll zunächst auf freiwilliger Basis erfolgen, wobei Pilotprojekte und “Early Adopters” eine zentrale Rolle spielen. Nach einer erfolgreichen ersten Phase ist eine flächendeckende Ausrollung geplant, begleitet von entsprechenden Unternehmensvorgaben. Entlang dieser Roadmap wurden beginnend mit 2023 einige Maßnahmen und Projekte auf den Weg gebracht. Drei konkrete Beispiele sollen im nachfolgenden verdeutlichen, dass smartes Baumanagement viele Facetten hat. Einfache Schritte der Digitalisierung können Daten wesentlich leichter zum Fließen bringen, neue Rahmenbedingungen gelebte Prozesse zum Umsturz bringen und vermeintlich weit verbreitete Kompetenzen, doch nicht so weit verbreitet sind. 3. Digitale Formulare Auf unseren Baustellen werden Tag täglich unzählige Informationen erstellt und erfasst. Beginnend mit den verantwortlichen Personen auf der Baustelle, über die eingesetzten Materialien und Werkzeuge bis hin zu den Maßnahmen der Arbeitssicherheit. Alle diese Daten werden in unterschiedlichen Systemen und auf unterschiedlichen Medien erzeugt und erfasst. Zusätzlich erfolgt dies oft zweimal, einmal auf der Seite der Aufraggeberin und einmal auf der Seite des Auftragnehmers. Verknüpfungen oder Auswertungen sind oft schwierig und erfordern im Vorfeld zusätzliche „Digitalisierungsprozesse“. Daher geht die ASFINAG BMG seit 2024 einen neuen Weg. Jene Daten, die bisher mehrfach erfasst wurden, für Auswertungen erforderlich sind, gemäß einem vorgegebenen Prozess erfasst werden müssen, oder einfach leicht digital erfasst werden können, werden über die „Digitalen Formulare“ erfasst. Folgende digitale Formulare sind aktuell im Einsatz: • Niederschriften: Niederschriften sind für uns Berichte die zu gewissen Meilensteinen eines Projektes erfasst werden. Dabei handelt es sich um folgende Berichte: Baueinleitung, Übernahme und Schlussfeststellung. Die Baueinleitung wird zu Beginn eines Bauprojektes gemeinsam mit den Auftragnehmern durchgeführt. In dir Baueinleitung werden die wichtigsten Informationen und Vereinbarungen zum Projekt festgehalten. Der zweite Bericht Teilbzw. Übernahme wird bei der Fertigstellungsanzeige des Auftragnehmers durchgeführt. Dabei werden Informationen aus der Güte- und Funktionsprüfung sowie die beanstanden Mängel, falls welche vorhanden sind, festgehalten. Vor Ende der Gewährleistung wird eine Schlussfeststellung beim Projekt durchgeführt, dabei wird festgehalten, ob während der Betriebsphase weitere Mängel bei der ausgeführten Leistung vorhanden sind. • Digitaler Bautagesbericht: Der Bautagesbericht ist ein wesentliches Dokument auf der Baustelle, dass während der Bauausführung den aktuellen Stand des Projektes widerspiegelt. Daher ist es von enormer Wichtigkeit, diese Daten im Unternehmen zu haben und für die internen und externen Beteiligten zur Verfügung zu stellen. Bestandteile im Bautagesbericht der ASFINAG ist unter anderen eine Schnittstelle zu den ASFINAG Wetterdaten entlang der Strecke, eine Abfrage der Qualitätskriterien vom Bauunternehmer wie z. B. Anzahl von Ersthelfer*innen auf der Baustelle oder auch die Erfassung von Geräten und Personal. Ein Wesentlicher Bestandteil eines Bautagesbericht ist die Erfassung der durchgeführten Tätigkeiten und <?page no="51"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 51 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements der Anlieferungen. Dabei werden bei uns keine Lieferscheine eingescannt und per PDF abgelegt, sondern z. B. Asphaltlieferscheine werden direkt per QR-Code abgescannt und im Bautagesbericht und in der Datenbank abgespeichert. • Digitale Feldaufnahmen: Feldaufnahmen bilden die Basis für eine ordnungsgemäße Abrechnung in Österreich und müssen daher eine definierte Qualität aufweisen und nachvollziehbar dargestellt werden. Funktionen wie das Zeichen auf Bildern oder das Erstellen von Skizzen ist dabei eine wesentliche Anforderung für die digitalen Feldaufnahmen. • Benchmark Erfassung: Als zentrales und gesellschaftsübergreifendes Thema hat sich die ASFINAG zum Ziel gesetzt, die Planungs- und Kostensicherheit in den Projekten weiter zu verbessern. Ein wichtiger Bestandteil dazu ist, die Datengrundlage aus den abgeschlossenen Projekten für neue Projekte heranzuziehen. Daher werden bei allen Projekten in der Oberschwelle vordefinierte Benchmarks digital erfasst. Diese Benchmarks werden dann bei neuen Projekten für die Kostenschätzung herangezogen. • Safety Walk: Ein Safety Walk auf der Baustelle ist eine Sicherheitsbegehung, bei der Baustellenverantwortliche, wie der Sicherheitsbeauftragte, Bauleiter oder andere verantwortliche Personen, die Baustelle inspizieren, um Sicherheitsrisiken zu identifizieren und sicherzustellen, dass alle Sicherheitsvorschriften eingehalten werden. Durch die digitale Erfassung werden die beteiligten Personen schneller über Sicherheitsrisiken informiert und können unverzüglich darauf reagieren. Durch die digitalen Formulare werden die benötigten Daten direkt auf der Baustelle erfasst und bieten somit eine Grundlage für eine zielgerichtete Entscheidung. Darüber hinaus wird die Integration von digitalen Berichten in andere Systeme und Prozesse zunehmen, was die Effizienz weiter steigern wird. Sie ermöglichen eine effizientere Datenverwaltung, eine schnellere Kommunikation und eine verbesserte Zusammenarbeit. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, ist es jedoch wichtig, die entsprechenden Technologien einzuführen, die Beteiligten zu schulen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. 4. BIM-basierte Bauabwicklung „Durch BIM wird vieles einfacher.“ So oder so ähnlich wird seit einigen Jahren die Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) beworben. Auch die ASFI- NAG setzte seit 2016 in ihren Projekten vermehrt BIM ein. Rund 40 Projekte wurden bisher mit BIM abgewickelt. Der Aspekt der BIM-basierten Bauabwicklung, d. h. Erstellung der Ausschreibung und Abrechnung der Baumaßnahme wurde dabei bisher jedoch noch nicht in Angriff genommen. Es wurden bereits Teilaspekte versucht, doch noch nie der komplette Prozess ohne Rückfallebene einer konventionellen Vorgehensweise. Im Jahr 2023 hat sich die ASFINAG BMG entschlossen bei drei Tief bauprojekten diesen Prozess erstmal zu erproben. Entsprechend dem eingangs erwähnten Satz stand am Beginn eine Vision, die ausgehend vom aktuellen konventionellen Prozess sehr einfach gestaltet war. 4.1 Vision Durch die Verknüpfung von BIM-Modell und der AVA- Software können durch einfachen „Knopfdruck“ Ausschreibung, Vertrag, Abrechnung und Controlling erstellt bzw. abgewickelt werden. Sämtliche Informationen sind im BIM-Modell vorhanden, die AVA-Software dient lediglich zur Übersetzung der Informationen aus dem BIM-Modell in eine Vertragssprache und stellt die notwendigen Prozesse zur Abwicklung des Vertrages zur Verfügung. Änderungen im Modell oder im Vertrag werden automatisch im jeweils andere nachgezogen und aktualisiert. Mit Beginn der Arbeiten wurde jedoch sehr rasch festgestellt, dass einzelne Aspekte der aktuellen BIM-Entwicklung und bestehende Rahmenbedingungen die Umsetzung der Vision nicht so einfach zulassen würden. 4.2 Status BIM-Modell Die Modellierung in BIM-Modellen folgt dem Grundsatz „Modelliert wie gebaut“. Die derzeitigen Erfahrungen mit Modellierungen im Tief bau und bei den Kunstbauten zeigen, dass dies grundsätzlich bereits sehr gut funktioniert, obwohl hier vor allem im Tief bau noch erhebliche Einschränkungen auf Grund der derzeitigen starken Fokussierung der Software auf den Hochbau vorliegen. Schwierigkeiten treten auf, wenn das Modell auch für die Ausschreibung und die Abrechnung herangezogen werden soll. Auf Grund der Festlegungen in der Leistungsbeschreibung Verkehrsinfrastruktur (LB-VI) werden nicht alle Bauteile so abgerechnet, wie sie gebaut werden. So werden z. B. der Baugrubenaushub nur bis zur Vorderkante des Fundaments vergütet, obwohl zur Herstellung der Baugrube auch Arbeitsräume und mögliche Böschungen ausgehoben werden müssen. Dadurch ergibt sich die Diskrepanz, dass Massen und Mengen aus dem Modell nicht immer den auszuschreibenden und abzurechnenden Massen und Mengen entsprechen. Darüber hinaus erfordert eine Modellierung, die Details für eine Bauausführung enthalten soll, auch eine genaue Kenntnis über Bauabwicklung und Abrechnungspraxis. Diese Erfahrung ist bei den Planungsgewerken allerdings nur bedingt vorhanden bzw. stellt eine neue Erweiterung des Leistungsbildes dar. 4.3 Status AVA-Software Der standardisierte Austausch von Daten in elektronischer Form für die Phasen Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung ist in Österreich grundsätzlich in der ÖNORM A 2063-2 geregelt. Durch diesen Standard soll es möglich sein, Modellinformationen mit Leistungspositionen zu verknüpfen und diese zwischen Auftraggeberin und Auftragnehmer auszutauschen. Allerdings befindet sich diese Norm derzeit in Überarbeitung und wurde bisher in keiner AVA-Software vollumfänglich umgesetzt. Dadurch ergibt sich derzeit im AVA- Prozess kein durchgängiger standardisierter Workflow. <?page no="52"?> 52 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements 4.4 Status Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sowohl beim BIM-Modell als auch bei der AVA-Software derzeit Herausforderungen gibt. Dazu kommt noch, dass es auch laufend neue Entwicklungen bei BIM und in der Normung gibt, sodass im Zuge der Abstimmungen des neuen Prozesses auch immer Anpassungen an die aktuellen Entwicklungen erfolgen müssen. Die Projektteams, die bisher gewohnt sind, einen gut erprobten und klar strukturierten Prozess für die Bauabwicklung zu haben, stehen nun vor der Herausforderung eine wesentliche Phase des Projektes mit einem ungewohnten Prozess, mit vielen offenen Fragen und kontinuierlichen Anpassungen abzuwickeln. Eine Aufgabe die nur im Team und mit einer großen Portion Vertrauen in die Fähigkeiten des Teams gemeistert werden kann. 4.5 Lösung Ausschreibung Am Beginn der Lösungsfindung stand die Entscheidung, ob der Prozess der BIM-basierten Bauabwicklung eine gänzliche Neuentwicklung werden soll, oder ob der bestehende konventionelle Prozess angepasst werden soll. Da sehr viele Rahmenbedingungen (z. B. LB-VI, Normen, Prozesse auf der Auftragnehmerseite) noch durch den konventionellen Prozess geprägt werden, wurde entscheiden sich weiterhin am konventionellen Prozess zu orientieren. Dadurch war es für die Abwicklung der Ausschreibungsphase lediglich erforderlich die Verknüpfung zwischen BIM-Element, Menge und Ausschreibungsposition auf eine Art und Weise herzustellen, die zum einen transparent ist und zum anderen auch mit dem Auftragnehmer in lesbarer Form ausgetauscht werden kann. Da dies derzeit in der AVA-Software nicht möglich ist wurde hier der Weg einer gesonderten Liste (Microsoft Excel) gewählt. Die Erstellung dieser Liste und ebenso wie die Verknüpfung dieser Informationen mit der AVA-Software erfordern jeweils händische oder teilautomatisierte Prozesse, die auf Auftraggeber- und auf Auftragnehmerseite gleich aber unabhängig voneinander ablaufen müssen. Dies bedeutet eine gewisse Fehleranfälligkeit und mögliche Verzögerungen im Prozess. Da jedoch auch im konventionellen Prozess in dieser Phase einige Schritte händisch erfolgen (z. B. Massenermittlung, Zuordnung von Massen zu Positionen etc.) besteht zum einen kein größeres Potential für Fehler durch den neuen Prozess und zum anderen führt der neue Prozessschritt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und damit einer gesteigerten Qualitätskontrolle. 4.6 Lösung Abrechnung Auch in der Abrechnung wurde der konventionelle Prozess zugrunde gelegt und lediglich einzelne Prozessschritte neugestaltet. Einer dieser Prozessschritte ist die Erfassung des Abrechnungsgrades der einzelnen BIM- Elemente. Dieser Schritt wird gemeinsam von Auftraggeberin und Auftragnehmer durchgeführt und soll möglichst automatisiert und barrierefrei erfolgen. Derzeit erfolgt die konventionelle Feldaufmaßerfassung in der Regel mit Papier, Stift und Maßband. Zukünftig erfolgt die Abrechnungsgraderfassung mittels Tablets und der Auswahl des/ der jeweiligen Elemente. Dabei bieten die Digitalen Formulare eine perfekte Basis. Der so erstellte digitale Datensatz steht anschließend beiden Partnern zur Verfügung und kann an die AVA-Software zur Abrechnung übergeben werden. Und dieser Schritt ist derzeit jener Schritt, der mit dem größten Fehlerpotential versehen ist. Da es derzeit in der AVA-Software keine Möglichkeit der standardisierten Übergabe von Ausmaß- und Modellinformationen gibt muss hier über die konventionelle Konstruktion von händisch in der AVA-Software erstellten Ausmaßblättern ausgewichen werden. Dabei müssen beim BIM-basierten Prozess wesentlich mehr Informationen miteinander verknüpft werden als dies beim konventionellen Prozess erforderlich ist und Automatisierung ist hier nur bedingt möglich. Auch bei diesem Prozessschritt erfolgt auf Grund der Neuheit eine gesteigerte Qualitätskontrolle, jedoch auch eine erhebliche Mehrarbeit gegenüber dem derzeitigen Prozess. Daher sind die Projektteams zwar bereit diesen Prozess im Sinne der Weiterentwicklung in dieser Form umzusetzen, jedoch besteht bereits jetzt die Anforderung die externen Rahmenbedingungen zukünftig so weit zu verändern, dass der neue Prozess schlussendlich mit weniger Arbeit bzw. effizienterer Arbeit abzuwickeln ist. 4.7 Erkenntnisse Die Entwicklung des Prozesses der BIM-basierten Bauabwicklung zeigt, dass die Einführung von digitalen Werkzeugen oder Arbeitsweisen allein nicht der Weg zu Smart Construction ist. Auch externe und interne Rahmenbedingungen müssen angepasst oder geschaffen werden, dass Vernetzung und Effizienz ihr Potential entfalten können. Ein Cross-functional Team wie das Kernteam „Digitalisierung am Bau“ ist dabei eine wesentliche Plattform, um die Erfahrungen, Erkenntnisse und die Bedürfnisse zusammenzutragen, mit der gebündelten Expertise zu evaluieren und anschließend die entsprechenden Maßnahmen gemeinsam mit den Projektteams umzusetzen. Entweder sind dies digitale Tools die erforderlich sind, Prozesse die angepasst oder externe Rahmenbedingungen, die geändert werden müssen. Nicht alles kann sofort erfolgen oder umgesetzt werden, dann ist es die Aufgabe Zwischenlösungen zu finden, die trotz alledem einen gewissen Mehrwert oder Erkenntnis schaffen oder kleine Quick Wins zulassen. 5. Soziale Kompetenzen Im digitalen Transformationsprozess wurden in den letzten Jahren auf der strukturellen und auf der technologischen Ebene in den Projekten der Asfinag viele Neuerungen umgesetzt. Prozesse, Standards, Softwarelösungen und digitale Technologien werden auch weiterhin im Zentrum stehen, aber für eine kommerziell erfolgreiche Abwicklung von Bauprojekten wird auch immer wieder die soziale Ebene als wesentlicher Erfolgsfaktor genannt. Eine gelungene Zusammenarbeit birgt ein hohes Poten- <?page no="53"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 53 Smart Construction @ASFINAG: Ein Blick hinter die Kulissen des digitalen Baumanagements tial für Effizienzsteigerung und kann zur Verbesserung der Projektergebnisse beitragen. Nicht nur neue digitale Werkzeuge und Arbeitsweisen halten Einzug auf unseren Baustellen, sondern auch neue Vertragsmodelle. Vor allem Vertragsmodelle mit kooperativem Ansatz haben in den letzten Jahren stetig an Beleibtheit gewonnen, erlauben sie doch komplexe Abläufe mit hohem Potential für Konflikt schon im Vorfeld zu entschärfen, indem sie einseitige Risiken zum gemeinsamen Problem aller Seiten erklären. Jedoch hängt der Erfolg solcher kollaborativer und kooperativer Ansätze sehr stark von unserer Fähigkeit zur Zusammenarbeit, unserer sozialen Kompetenz, ab. Aber haben wir in einer digitalen Welt diese Kompetenz überhaupt noch? Was braucht es diese Kompetenz in unseren Projektteams zu stärken? Kann ich soziale Kompetenz schulen oder erlernen? Diese Fragen haben wir uns gemeinsam mit der TU Wien im Jahr 2023 in einem Forschungsprojekt angesehen. Zu den Key Learnings gehört sicherlich, dass eine nachhaltige Verhaltensänderung einen entschlossenen Prozess des ‚Dranbleibens‘ erfordert, der die Stolpersteine kennt und Ansatzmöglichkeiten beharrlich verfolgt. Die Vorstellungen eines Gegeneinanders zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer sind in der Branche stark verankert - geprägt durch jahrelange Berufserfahrung der Protagonisten. Änderungen in der Wertehaltung treffen damit auf großen Widerstand. Sich auf Zusammenarbeit einlassen zu können und speziell beim ersten Auftreten von Problemen nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, erfordert einen konsequenten Reflexionsprozess, intensiven Austausch mit einer durch kritische Vernunft geprägten Umgebung und einen Fokus auf positive Erfahrungen. Kooperatives Verhalten braucht vor allem ein gemeinsames Ziel und einen monetären Anreiz im Rahmen eines geeigneten Vertragswerkes, das Handeln auf Augenhöhe fördert. Erlauben die Randbedingungen eine ‚WIN-WIN‘ Situation, kann die Optimierung des übergeordneten Projekterfolges - ‚Best for Project‘ als tragfähiges, gemeinsames Ziel seine Wirksamkeit entfalten. Das Umfeld, in dem kooperatives Verhalten gedeihen kann, muss auf der einen Seite Transparenzängste und das Sicherheitsbedürfnis adressieren, andererseits Empathiefähigkeit, Agilität und innovative Co-Kreativität fördern. Vertrauen und Offenheit müssen eingebettet sein in eine stabile Unternehmenskultur, die einen konstruktiven Umgang mit Fehlern ermöglicht. Neben den übergeordneten Handlungsebenen der Unternehmenskultur und dem organisatorischen Rahmen (wie z. B. Prozesse) soll insbesondere an den Einstellungen und Kompetenzen der individuellen Mitarbeiter*innen gearbeitet werden. Entwickelt wurden Ansätze für ‚Learning by doing - Zusammenarbeit kann man nicht allein für sich lernen, sondern am besten durch eine entsprechende Begleitung der Teamarbeit. In jedem Fall geht es um komplexere, längerfristige Ansätze, denn alles, wo das Wort Kultur vorkommt, braucht Zeit. <?page no="55"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 55 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Optimierung eines Verkehrsknotens - Ein (BIM-) Praxisbeispiel zur Schnittstelle Straßen- und Ingenieurbau Dipl.-Ing. Adrian Schubert Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Dr.-Ing. Andreas Müller Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Stephanie Riedler, M. Sc. KB Augsburg GmbH, Neusäß Zusammenfassung Am Verkehrsknotenpunkt der B12/ B32 bei Hergatz ist aufgrund festgestellter Sanierungsbedarfe an vier Bauwerken sowie sicherheitsrelevanter Mängel an der Rampenabfahrt der B12 auf die B32 eine Neuplanung erforderlich. In einer Vorstudie wurden verschiedene Lösungsansätze entwickelt, wobei der Neubau eines Kreisverkehrs als Vorzugsvariante identifiziert wurde. Durch diese Lösung wird zukünftig nur noch eines von vier Brückenbauwerken benötigt. Nur das Bauwerk über die Bahnstrecke wird in angepasster Lage durch einen Neubau ersetzt. Das Projekt wurde und wird in den Leistungsphasen 01-04 vollständig mit der BIM-Methode bearbeitet. Zu den Anwendungsfällen gehören unter anderem die Bestandserfassung, die Koordination der Fachgewerke sowie die Kosten- und Terminplanung. Besondere Herausforderungen lagen in der Einführung aller Beteiligten in die BIM-Methodik und der Bewältigung der Schnittstellen zwischen Vermessung, Ingenieurbau und Verkehrsanlage. Dieser Artikel gibt eine Einführung in das Projekt, beschreibt das Vorgehen bei der Vor- und Entwurfsplanung und erläutert die Umsetzung der BIM-Methodik. 1. Projektbeschreibung des Knotenpunktes B12/ B32 Hergatz Der Abschnitt der Umbaumaßnahme befindet sich unmittelbar östlich zum Ortsbereich der Gemeinde Hergatz, wie in Abbildung 2 dargestellt. Die Gemeinde Hergatz befindet sich im bayerisch-schwäbischen Landkreis Lindau. Die nächstgrößere Stadt ist Wangen im Allgäu, diese liegt nördlich des Umbaubereichs im Südosten Baden- Württembergs. Im betrachteten Streckenabschnitt kreuzen sich die Bundesstraßen 12 und 32 in einem höhenfreien Knotenpunkt. Der Knotenpunkt befindet sich unmittelbar nördlich der bestehenden, nicht elektrifizierten Bahnstrecke 5362 im Bereich des Bahnhofs Hergatz. Parallel zu den Gleisen verläuft die Gemeindeverbindungsstraße (GVS) „Sennereiweg“ als Verbindung zwischen dem Ortsgebiet und der Einmündung in die B 12 in Richtung Isny. An relevanten Zählstellen wurden in den Jahren 2015 und 2021 in etwa folgende, durchschnittlichen täglichen Verkehrsmengen ermittelt: • B12: DTV ca. 11.000 und DTV SV ca. 1000 • B32: DTV ca. 6.500 und DTV SV ca. 500 Aufgrund der Bedeutung der Verkehrsachsen B-12 und B-32 müssen während einer Umbaumaßnahme die gesamten Verkehrsbeziehungen aufrecht erhalten bleiben. Die Bundesrepublik Deutschland ist Straßenbaulastträger der B-12 und B-32 sowie Kostenträger für die gesamte Maßnahme. Vorhabensträger ist gemäß Auftragsverwaltung für Bundesfernstraßen der Freistaat Bayern, dieser wird vertreten durch das Staatliche Bauamt Kempten. Abb. 1: Rendering des Knotenpunktes B 12/ B 32 im Endzustand (Quelle: eigene Darstellung) <?page no="56"?> 56 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Abb. 2: Lage des Knotenpunktes im süddeutschen Raum (oben) und bei Hergatz (unten) (Quelle: OpenStreetMap.org) 2. Begründung des Vorhabens 2.1 Bauwerksuntersuchung An allen Bauwerken, die sich im Umbaubereich befinden, wurden in den Jahren 2017 / 2018 Bauwerksuntersuchungen durchgeführt. Diese ergaben Zustandsnoten zwischen 2,4 und 3,5 und einen Handlungsbedarf an allen Bauwerken. 2.2 Verkehrssicherheit Im Bestand kommt es auf der Verbindungsrampe von der B 12 aus Isny kommend und der Auffahrt zur B 12 in Richtung Lindau regelmäßig zu Rückstauungen. Hier führt ein enger Radius unter dem bestehenden Anschlussstellenbauwerk hindurch. Daher ist ein haltendes Fahrzeug nur sehr spät erkennbar. Außerdem verfügt der komplette höhenfreie Knotenpunkt im Bestand nicht über Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen, welches ein erhebliches Sicherheitsdefizit darstellt. Außerdem besteht durch die nicht vorhandene Linksabbiegespur zur GVS Sennereiweg die Gefahr von Auffahrunfällen. 3. Vorgehen bei der Planung 3.1 Vorstudie In Folge der schlechten Zustandsnoten wurde im Jahr 2020 im Rahmen einer von der Konstruktionsgruppe Bauen AG (Abkürzung: „KB“) bearbeiteten Vorstudie zunächst der Handlungsbedarf je Brückenbauwerk untersucht und anschließend weiterführende Gesamtkonzepte entwickelt, welche je eine Kombination aus Maßnahmen an den bestehenden Bauwerken (Sanierung, Ersatzneubau und Rückbau) und einen Umbau des Knotenpunktes aufzeigten. Insgesamt wurden im Rahmen der Untersuchung sieben Szenarien (Szenario A bis F, sowie Szenario F*) ausgearbeitet und die Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit je Szenario beurteilt. Folgende Kriterien wurden für die Bewertung der einzelnen Planungsvarianten herangezogen (vgl. auch Abbildung 3): • Sicherheit der Verkehrsteilnehmer • Kosten • Zusätzliche kapitalisierte Kosten • Erdbewegungen • Realisierungszeit / Umsetzbarkeit • Leistungsfähigkeit / Ergebnisse aus VU Abb. 3: Ausschnitt Verkehrsuntersuchung (Quelle: gevas humberg & partner) 3.2 Die Vorzugsvariante „Kreisverkehr“ In der Vorstudie erwies sich das Szenario E “Umbau des Knotenpunktes zu einem 3-armigen Kreisverkehr” als Vorzugsvariante. Die größten Vorteile der Kreisverkehrlösung sind die hohe Verkehrssicherheit und die Kostenersparnis aus dem Entfall von insgesamt drei von vier Bauwerken, die in Zukunft nicht mehr unterhalten und instandgesetzt werden müssen. Lediglich das Brückenbauwerk 8325-651 über die die Bahnstrecke 5362 (Buchloe - Lindau) und die GVS „Sennereiweg“ muss neu errichtet werden. In Abbildung 4 und 5 ist ein Überblick über die Situation der Bestandsbauwerke gegeben. <?page no="57"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 57 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Abb. 4: Überblick über die vier Bestandsbauwerke am Knotenpunkt (Quelle: BayernAtlas) Abb. 5: Luftbild Knotenpunkt B 12/ B 32 (links: Bestand, rechts: geplanter Kreisverkehr, rot markiert: neues Brückenbauwerk 8325 711) (Quelle BayernAtlas) Mit der Kreisverkehrslösung wird durch ein geringeres Geschwindigkeitsniveau der Verkehrsteilnehmer sowie durch verbesserte Sichtfelder am Kreisverkehr und den beiden plangleichen Einmündungen die Verkehrssicherheit erhöht und die Unfallschwere reduziert. Zudem wird die Flüssigkeit des Verkehrs verbessert. Dadurch können bestehende Umweltbeeinträchtigungen geringfügig verbessert werden. Durch den Rückbau und die Entsiegelung nicht mehr benötigter Verkehrswege bleibt die Flächenversiegelung gegenüber der bestehenden Knotenpunktform in etwa bestehen. Gemäß dem Verkehrsgutachten ist der Kreisverkehr auch ohne Bypass für die prognostizierten Verkehrsstärken ausreichend. Die neue Anbindung der Gemeindeverbindungsstraße sorgt für ein geordnetes und sichereres Ein- und Ausfahren auf die B 12. In der weiteren Planung erfolgte eine Optimierung der Vorzugsvariante Kreisverkehr hinsichtlich der Lage und des Durchmessers. Die westliche Verschiebung der Linienführung der B-32 entlang der DB-Gleise ermöglicht die Herstellung der neuen Brücke über die Bahnstrecke neben dem Bestandsbauwerk in Endlage. Dadurch ist für die Aufrechterhaltung des Verkehrs keine Behelfsbrücke notwendig. In Tabelle 1 werden die wichtigsten Randbedingungen bei der Planung der Vorzugsvariante zusammengefasst: Tab. 1: Randbedingungen der Vorzugsvariante Zu untersuchender Planungsbereich Entlang B 12: 640 m Entlang B 32: 310 m Straßenquerschnitt Im Gesamten Planungsbereich: RQ11 bzw. RQ11B gem. RAL Zusätzliche Einmündungen Einmündung der B 12 in die GVS über eine Linksabbiegerspur Kreisverkehr Durchmesser 50 m Fahrbahnbreite 7,00 m GVS Fahrbahnbreite 3,50 m Stellenweise: 5,50 m Beids. Bankette 0,50 m Stellenweise: 0,75 m Privatweg 2,00 m lichte Breite Befestigung mit Pflasterdecke im Bereich der SÜ Abtrennung zum Sicherheitsraum der DB mit Holmgeländer 3.3 Entwurfsplanung Nach Abwägen aller vorliegenden planungsrelevanten Sachverhalte und der maßgebenden Projektziele, wurde im Rahmen der Entwurfsplanung die Kreisverkehrslösung und die für eine Aufrechterhaltung des Verkehrs notwendige Baustraße weiterverfolgt. Folgende Aspekte stellen Randbedingungen in der Entwurfsplanung dar: • Lage der Bahnlinie Kempten / Allg. - Lindau inkl. Sollgleislage & erforderliches Lichtraumprofil • Lage der Bahnlinie Wangen i. A. - Lindau • Bestehende Bundesstraßen B 12, B 32 • Bestehender Bahnübergang am Sennereiweg • Bestehende GVS parallel zur Bahnlinie Kempten / Allg. - Lindau • Durchfahrtsbreite für landwirtschaftlichen Verkehr parallel zur Bahnlinie Wangen i. A. - Lindau und Böschungsfuß von mindestens 3,00 m. • Baubarkeit der Vorzugsvariante unter Aufrechterhaltung aller Verkehrsbeziehungen • Minimierung der Auftragsmassen <?page no="58"?> 58 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Für die Trassierung sind folgende technischen Vorgaben relevant: • Trassierung Bundesstraßen gem. Entwurfselemente RAL 12 und Entwurfsklasse 3 • Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren • Einhaltung der Sichtdreiecke für v = 70 km/ h Durch die gegenüber der Vorstudie fortgeschriebenen Planungsgrundlagen (insbesondere Vermessung) konnte die Entwicklung der Geometrie in der Höhenlage erarbeitet werden. Die Lage des Kreisverkehrs wurde unter Beachtung der o. g. Zwangspunkte gewählt und in mehreren Schritten (Verschiebung, Anpassung Durchmesser) optimiert. Aufgrund der direkten räumlichen Beziehung zwischen dem Brückenbauwerk über die DB und dem Kreisverkehr, wird die Höhenlage des Kreisverkehrs maßgeblich durch das Lichtraumprofil der Bahnstrecke 5362 definiert. Als entwurfsentscheidend stellte sich die Einhaltung der notwendigen Haltesichtweite heraus: nur bei einem möglichst geradlinigen Verlauf der Achse der B12 im Anschlussbereich an den Kreisverkehr kann diese Vorgabe eingehalten werden. Die Haltesichtweite wird für einen Augpunkt und Zielpunkt auf einer Höhe von 1,00 m ermittelt. Die Länge der Sicht wird in Abhängigkeit der Entwurfsklasse, der Geschwindigkeit und der Längsneigung gem. Bild 23 nach RAL 12 ermittelt. Im vorliegenden Fall beträgt die erforderliche Haltesichtweite 130 m. Bei einem engeren Radius im Anschluss an den Kreisverkehr und einer damit weniger schiefwinkligen Lage der SÜ ist die Einhaltung der Sichtweite nicht gewährleistet (vgl. Abbildung 6). Die Sichtfläche schneidet den Fahrbahnrand und die Sicht auf den Kreisverkehr wird durch das Fahrzeugrückhaltesystem auf dem Bauwerk behindert. Eine Reduktion der Schiefe des Brückenbauwerks im Grundriss wäre angesichts der Randbedingungen nur bei einem tangentialen Anschluss des B12-Astes an den Kreisverkehr möglich. Gemäß geltender Richtlinien ist dies jedoch nicht zulässig. Somit stellt die im Lageplan in Abbildung 7 dargestellte Straßenplanung die hinsichtlich der Einhaltung aller Zwangspunkte optimierte Entwurfslösung dar. Abb. 6: Ausschnitt aus der modellbasierten Sichtweitenprüfung (Quelle: eigene Darstellung) Abb. 7: Reduktion der Brückenschiefe nur bei einem tangentialen Anschluss des B12-Astes: siehe rote Pfeile (Quelle: eigene Darstellung) 3.4 Auswirkungen der gewählten Linie auf das Brückenbauwerk Die gewählte Trassenführung prägt die Konstruktion und Geometrie des in Abbildung 8 dargestellten Brückenbauwerks maßgeblich. In der Vorplanung erwies sich ein integrales Rahmenbauwerk als Vorzugsvariante. Der einfeldrige Überbau ist monolithisch mit den Unterbauten verbunden. Der Überbauquerschnitt besteht aus Spannbetonfertigteilträgern mit Ortbetonergänzung. Diese Bauweise wurde gewählt, um den Sperrpausenbedarf zu minimieren. Abb. 8: Ansicht von Osten auf das neugeplante Brückenbauwerk (Quelle: eigene Darstellung) <?page no="59"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 59 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Abb. 9: Draufsicht auf das neugeplante Brückenbauwerk (Quelle: eigene Darstellung) Abb. 10: Längsschnitt durch das neugeplante Brückenbauwerk (Quelle: eigene Darstellung) Aus den Bahnanforderungen ergibt sich eine lichte Mindesthöhe von 5,70 m über den Gleisen der Strecke 5362 und aus der Straßenplanung ein Kreuzungswinkel von 55,8 gon. Letzterer liegt knapp unterhalb der in RE-ING Teil 2, Abschnitt 2, 1.3.4 (5) festgelegten Mindestschiefe von 60 gon für den Einsatz von Spannbeton-Fertigteilen. In Abstimmung mit Vertretern des BMDV wurde jedoch festgelegt, dass diese Lösung beibehalten werden kann, sofern die Baubarkeit statisch nachgewiesen wird. Die Höhenentwicklung des Bauwerks ist durch die Konstruktionshöhe von 1,30 m sowie die Höhendifferenz zwischen der Geländeoberkante am Böschungsfuß und an den Flügelenden von ca. 7,60 m geprägt. Unter Berücksichtigung einer Flügeleinschüttung von 1,00 m ergeben sich bei Regelböschung rechtwinklige Flügellängen von ca. 13 m, die durch den Kreuzungswinkel auf 17 m verlängert werden. Die in Abbildung 9 ersichtliche Schiefe der Brücke hat auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Böschungen. Im Bereich spitzwinkliger Böschungskegel ergeben sich flache Neigungen von ca. 1: 2, was zu wenig begehbaren Böschungstreppen führt. Durch den Einbau von Zwischenbermen und -podesten konnte die Treppenneigung auf 1: 1,5 optimiert werden, wie in Abbildung 10 dargestellt ist. Zusätzlich erzeugen die Längendifferenzen der Flügel ungleichmäßige horizontale Erddruckbeanspruchungen. Um diesen entgegenzuwirken, wurde die Tiefgründung des Bauwerks geneigt ausgeführt. Ein weiterer besonderer Punkt ist der nordöstliche Flügel, der aufgrund seiner Länge in den Aufweitungsbereich des angrenzenden Kreisverkehrs ragt. Zur Reduktion der Flügellänge wurde am Böschungsfuß eine Stützwand mit einer sichtbaren Höhe von 1,30 m vorgesehen. 4. Umsetzung der BIM Methodik im Projekt 4.1 BIM Ziele Für das Projekt wurden BIM-Ziele aus dem BIM-Leitfaden für digitales Planen, Bauen sowie den Betreibern im Bereich Straßen- und Brückenbau des Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr übernommen (vgl. Abbildung 11). Ein wesentliches Ziel beinhaltet die Digitalisierung des Planungsprozesses. Durch die Digitalisierung soll zukünftig über den gesamten Lebenszyklus ein schneller Zugriff auf Informationen mit geringem Aufwand erreicht werden. Die Digitalisierung stellt mittel- und langfristig die Basis für Effizienzsteigerungen in Form von Prozessautomatisierungen dar. <?page no="60"?> 60 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz Abb. 11: Zielsetzung Digitalisierung im Straßen- und Brückenbau (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an den BIM-Leitfaden) Die Arbeitsmethode BIM wird in der Umsetzung wesentlich durch die Anwendungsfälle konkretisiert. Ein Überblick über die Anwendungsfälle ist in Tabelle-2 gegeben. Die für dieses Projekt relevanten und vom AG geforderten Anwendungsfälle werden in den folgenden Abschnitten beschrieben. Tab. 2: Überblick über die Anwendungsfälle Nr. Anwendungsfall Lph 0 Bauwerksdatenmodell 1-4 1 Bestandserfassung 1,2 3 Visualisierung 2-4 4 Bemessung und Nachweisführung 3,4 5 Koordination der Fachgewerke 2,3 7 Erstellung Vorentwurfs-, Entwurfs- und Genehmigungspläne 2-4 9 Kostenschätzung und Kostenberechnung 2,3 12 Bauablaufsimulation, Terminplanung der Ausführung 2-4 4.2 BIM Rollen / Schnittstellen Im Projekt erfolgt eine klassische Rollenverteilung gem. der BIM-Rollenverteilung. Diese wird beispielsweise im Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Rahmendokument: Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) [1] definiert und umfasst die Rollen BIM-Manager auf Seiten des Auftraggebers sowie BIM-Gesamtkoordinator, BIM- Koordinator und BIM Autoren auf Seiten des Auftragnehmers. Der AG wird zudem durch einen BIM-Berater unterstützt. Abb. 12: Rollenverteilung im BIM-Projekt (Quelle: eigene Darstellung) Die in Abbildung 12 dargestellte Rollenverteilung dient der Abgrenzung von Verantwortlichkeitsbereichen u. a. im Hinblick auf die Modellliefergegenstände und die zugehörige Qualitätssicherung. Generell ist jeder Fachplaner bzw. BIM-Koordinator für seine eingebrachten Daten und Modelle selbst verantwortlich. Sobald ein Fachplaner ein Modell eines weiteren Fachplaners in sein eigenes Teilmodell übernimmt, ist er dazu verpflichtet etwaige Kollisionen dem Urheber der Daten zur Nachbesserung mitzuteilen. Der Urheber wiederum ist dazu verpflichtet, Änderungen oder fortschreitende Entwicklung in seinem Modell zu kommunizieren und signifikante Modellstände zu übergeben. In diesem Projekt erfolgte eine vertikale Unterteilung der Fachgewerke in die Verkehrsanlagenplanung und die Planung der konstruktiven Ingenieurbauwerke (neues Brückenbauwerk und Verbauten). Beide Gewerke wurden durch die KB bearbeitet, sodass im Projekt kurze Abstimmungswege vorlagen. Die Schnittstellen zwischen den Fachgewerken erforderten Festlegungen - u. a. zu folgenden Fragen: <?page no="61"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 61 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz • Wer modelliert was? (betrifft z. B. Entwässerungsleitungen im Anschlussbereich Bauwerk - Strecke, Fahrbahn auf dem Bauwerk) • Wo genau verlaufen die Grenzen der Teilmodelle? • Entspricht die Zuordnung bei der Modellierung auch der Zuordnung bei der Kostenberechnung / Mengenermittlung? • Wie müssen Modellobjekte attribuiert werden, um eine teilautomatisierte Verknüpfung von Objekten mit Vorgängen des Bauzeitenplans zu ermöglichen? 4.3 BIM Projektablauf Im Rahmen der Projektvorbereitung für die Erstellung des BAPs wurde zu Beginn eine BIM-Grundlagenermittlung von der KB (= AN) durchgeführt. Bestandteil dieser Grundlagenermittlung war es, das Zusammenspiel der Softwareprodukte und damit des Informationsflusses zwischen den unterschiedlichen Fachgewerken und Projektbeteiligten genau zu analysieren und die Schnittstellen zu definieren (siehe oben). Im Rahmen der Grundlagenermittlung erfolgte ein BIM- Kickoff als Workshop mit allen Projektbeteiligten, um einerseits ein einheitliches Verständnis der Arbeitsmethode und andererseits das Verständnis über den digitalen BIM-Abwicklungsprozess der modellbasierten Zusammenarbeit sicherzustellen. In der BIM-Kollaborationsphase wurden die einzelnen BIM-Fachmodelle vom BIM-Gesamtkoordinator immer wieder zu einem Koordinationsmodell (BIM-Gesamtmodell) zusammengeführt. Die für die Qualitätssicherung notwendige Modellprüfung erfolgte AN-intern und durch den externen, AGseitigen BIM-Berater. 5. BIM Anwendungsfälle 5.1 AWF 0 Bauwerksdatenmodell Dieser Anwendungsfall dient zur Definition und gemeinsamen Abstimmung der Modellinhalte und -struktur zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Konkret wird in diesem AWF folgendes definiert und abgestimmt: • Anwendung der BIM Methodik • Trennung der Bauwerksdatenmodelle nach Fachgewerken (Fachmodelle) • Definition der einzelnen Fachmodelle • Zusammenführung der Fachmodelle in einem Koordinationsmodell • Das Koordinationsmodell ist fachmodellübergreifend zu prüfen und als Gesamtmodell zu übergeben • LOIN wird in AIA definiert • Modell-/ Projektumgriff entspricht Szenario E der Voruntersuchung (Kreisverkehr) • Modellelemente die im BIM-Modell darzustellen sind (bspw. Straße, Fundamente, prov. Verkehrsführungen, etc.) 5.2 AWF 1 Bestandserfassung Die Erfassung der Bestandssituation erfolgte durch ein geeignetes Aufmaß durch einen Vermesser. Anschließend wurden die Bestandsbauwerke durch die KB in Bestandsmodelle überführt. Folgende Eingangsdaten standen dabei zur Verfügung: • Bestandspläne • Geoinformationssysteme • Geodätische Erfassung • Digitale Spartenpläne (mit Höhenangaben und Durchmesser) • Daten zur Flächennutzung (Umgriffe von Schutzgebieten, schützenswerter Baumbestand) Die Modellerstellung erfolgte gem. der BIM Methodik objektorientiert und folgte den Regeln der AIA. Da die Bestandserfassung, insbesondere bei nicht sichtbaren Elementen wie die Fundamente der Ingenieurbauwerke oder Sparten, immer mit einer gewissen Unschärfe verbunden ist, wurde für diesen Anwendungsfall ein vergleichsweise niedriges LOG von 100 bis 200 gewählt. Wichtig ist, dass allen Projektbeteiligten klar ist, dass hier eine Unschärfe vorliegt und nicht aufgrund der 3D-Geometrie von einer perfekten Abbildung der Realität auszugehen ist. Einzelne Elemente, wie beispielsweise Sparten, wurden dabei mit einem sogenannten Glaskörper modelliert, der die Unschärfe verdeutlicht. Kollisionen zwischen dem Glaskörper und modellierten Bestandsbauwerken werden bei Kollisionsprüfungen erkannt, stellen jedoch keine echten, kritischen Kollisionen dar. 5.3 AWF 3 Visualisierung Die Visualisierungen des geplanten Endzustandes (vgl. Abbildung 1) wurden von der KB mit der Software Infraworks erstellt. Die Bilder und Videos sollen u. a. im anstehenden Planfeststellungsverfahren (LPH 4) für Erläuterungen des Bauvorhabens zum Einsatz kommen. 5.4 AWF 4 Bemessung und Nachweisführung Das BIM-Modell diente der KB als Grundlage für die Planung und Nachweisführung. Bei der Planung der Verkehrsanlagen wurden insbesondere folgende Punkte modellbasiert geprüft: • Sichtweiten / Haltesichtweiten (siehe oben) • Schleppkurven (betrifft Baustraßen, Behelfsumfahrung und Endzustand) 5.5 AWF 5 Koordination der Fachgewerke Die Koordination der Fachgewerke erfolgt prinzipiell über die Zusammenführung der einzelnen Fachmodelle zu einem Koordinationsmodell. Die verwendeten Workflows sahen vor, dass die fachmodellinterne Prüfung durch die Fachkoordinatoren durchgeführt wird und sich der BIM-Gesamtkoordinator auf die Prüfung zwischen den Gewerken und die Abstimmung von auftretenden Schnittstellenproblematiken konzentriert. Die Prüfung erfolgte mittels visueller und automatisierter Kollisionsprüfung und einer regelbasierten Attributprüfung. <?page no="62"?> 62 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz In diesem BIM-Projekt wurde auf den Einsatz einer klassischen CDE (Common Data Environment) verzichtet, da quasi alle Planer innerhalb derselben Organisation tätig sind. Die interne Kommunikation und der Datenaustausch werden effizient über firmeninterne Standards und Workflows organisiert. Der Datenaustausch mit dem Auftraggeber erfolgte bzw. erfolgt über eine Sharepoint- Plattform. 5.6 AWF 7 Erstellung von Vorentwurfs-, Entwurfs- und Genehmigungsplänen Die Ableitung der Vorplanungssowie Entwurfspläne erfolgte bereits modellbasiert, für die Genehmigungsplanung wird dies ebenso erfolgen. Das grundsätzliche Vorgehen bei der Ableitung von Plänen aus einem 3D-BIM-Modell umfasst die Erstellung von Ansichten, Draufsichten und Schnitten direkt aus dem Modell. Die abgeleiteten Darstellungen werden anschließend um Bemaßungen, Beschriftungen und, falls erforderlich, um zusätzliche nicht-modellbasierte Detailinformationen wie beispielsweise Arbeitsfugen oder Abdichtungen ergänzt. Die aus den Modellen abgeleiteten Pläne sind inhaltlich mit konventionellen 2D-Plänen vergleichbar. Folgende Punkte stellten bei der Planableitung Herausforderungen dar: • Ableitung abgewickelter Längsschnitte • Korrekte Darstellung von Auf- und Untersichten • Ausarbeitung von Schnitten mit definierter Ansichtstiefe, wie etwa bei der Ansicht eines Widerlagers Zur Anwendung kamen hierbei Lösungsansätze aus [2]. Neben der Planung der permanenten Konstruktionen erfolgte auch die Planung von temporären Maßnahmen (Baugruben, Verbauten, Behelfsumfahrung) nach der BIM-Methode. Dies ermöglichte auch für temporäre Strukturen die Planableitung basierend auf dem BIM- Modell. 5.7 AWF 9 Kostenschätzung und Kostenberechnung Mengen (Volumen, Flächen, Längen, Stückzahlen) wurden aus dem Modell entnommen und dienten als Basis für die Kostenschätzung und Kostenberechnung. Es wurden wesentliche Bauteile, die hohen Einfluss auf die Gesamtkosten haben mit Positionen im Modell verknüpft. Dies ermöglicht einfache Kontrollen und schafft die gewünschte Transparenz. 5.8 AFW 12 Terminplanung der Ausführung, Bauablaufsimulation Für die Realisierung des Umbaus des Verkehrsknotens werden zahlreiche Verkehrsführungsphasen benötigt. Die erstellte 4D-Bauablaufsimulation veranschaulicht den Bauablauf und soll bei der Öffentlichkeitsarbeit im Zuge des Genehmigungsprozesses zum Einsatz kommen. Die Erstellung der Bauablaufsimulation erfolgte mit der Software DesiteMD. Das Erstellungskonzept geht aus Abbildung 13 hervor. Die Verknüpfung zwischen Modellobjekten und Vorgängen des Terminplans erfolgte im vorliegenden Fall größtenteils skriptbasiert, d. h. automatisiert. Abb. 13: Konzept der 4D-Simulation mit DesiteMD <?page no="63"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 63 B12/ B32 Umbau Knotenpunkt bei Hergatz 6. Fazit Am Verkehrsknotenpunkt der B12/ B32 bei Hergatz wurde auf Grundlage von Bauwerksprüfungen und Sicherheitsanalysen eine umfassende Neuplanung notwendig. Die Vorstudie identifizierte den Bau eines Kreisverkehrs als Vorzugsvariante. Wesentliche Vorteile ergeben sich durch die Verringerung der Anzahl der Brückenbauwerke und die Behebung verkehrlicher Sicherheitsdefizite. Das Projekt wurde bisher - in den Leistungsphasen 01 bis 03 - vollständig mithilfe der BIM-Methode bearbeitet. Schwerpunkte lagen auf der Bestandserfassung, der Entwicklung eines Bauwerksdatenmodells, der interdisziplinären Koordination sowie der Kosten- und Terminplanung. Ein zentrales Anliegen war die Einführung aller Projektbeteiligten in die BIM-Arbeitsweise und die Lösung von Schnittstellenproblematiken. Es ist vorgesehen, die BIM-basierte Bearbeitung des Projektes fortzusetzen. Die Einführung von BIM-Standards, die Schulung der Beteiligten und die Erarbeitung von Lösungen für Schnittstellen führten in der Anfangsphase zu gewissen Mehraufwänden. Die Ergebnisse der BIM-Anwendungsfälle zeigen jedoch, dass die BIM-Methode auch in frühen Planungsphasen signifikante Mehrwerte schaffen kann. Insgesamt bietet das Projekt wertvolle Erkenntnisse für die Integration von BIM im Straßenbau und zeigt praxisnahe Ansätze zur Bewältigung typischer Herausforderungen. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Rahmendokument: Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA), Version 1.0, Berlin, Deutschland, S. 27 - 29., [PDF] https: / / bmdv.bund. de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-aia.pdf? __ blob=publicationFile. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Rahmendokument: Modellbasierte Planableitung für den Brückenentwurf, Version 1.0, Berlin, Deutschland, [PDF] https: / / bmdv.bund.de/ Shared- Docs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-leitfaden-brueckenentwurf.pdf? __blob=publicationFile <?page no="65"?> Baustoffrecycling <?page no="67"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 67 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau Dr.-Ing. Thomas Merkel Fachverband Eisenhüttenschlacken e. V., Duisburg Zusammenfassung Bei der Erzeugung und Verarbeitung von Metallen, bei der Erzeugung von Energie und bei anderen industriellen Prozessen einerseits sowie im Zuge von Bautätigkeiten andererseits entstehen jährlich rund 260 Mio. t industrielle Nebenprodukte und mineralische Bauabfälle. Der Einsatz dieser Baustoffe im Straßenbau hat sich über viele Jahre etabliert und bewährt. Unerlässlich ist dabei die Berücksichtigung sämtlicher Anforderungen, die sich aus bautechnischer Sicht und aus umwelttechnischen Fragen ergeben. Dann tragen diese Baustoffe substanziell zur Schonung natürlicher Gesteinsrohstoffe bei und reizen die ohnehin schon begrenzten Deponiekapazitäten nicht weiter aus. Hinsichtlich der Bewertung der Umweltverträglichkeit mineralischer Baustoffe haben über Jahrzehnte die Bundesländer jeweils eigene Regelungen entwickelt. Erst seit der Föderalismusreform 2006 wurde dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für diese Fragen zugesprochen, und seitdem wurde intensiv an einer bundeseinheitlichen Regelung gearbeitet. Als Ergebnis dieser Diskussionen ist am 1. August 2023 die sogenannte Ersatzbaustoffverordnung (Ersatzbaustoff-V) in Kraft getreten. Die jahrelange Entwicklung der ErsatzbaustoffV hat in den vergangenen Jahren zunehmend zu Unsicherheiten geführt, inwieweit die vorher gültigen Länderregelungen noch zeitgemäß sind. Insofern ist grundsätzlich zu begrüßen, dass dieser Prozess nun zu einem Abschluss gekommen ist. Allerdings muss anderthalb Jahre nach Inkrafttreten der ErsatzbaustoffV festgestellt werden, dass das Ziel einer verbesserten Kreislaufwirtschaft nicht erreicht wurde. Es zeigt sich deutlich, dass eine Reihe von Regelungen nachgebessert werden muss, um die ErsatzbaustoffV zum Erfolg zu führen. 1. Einführung Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich die Begriffe der Nachhaltigkeit, der Kreislaufwirtschaft und der Ressourceneffizienz zu wichtigen Themen der politischen und gesellschaftlichen Diskussion entwickelt [1, 2, 3, 4]. Die damit zusammenhängenden Fragen sind für den Straßenbau nicht neu, sie stellen ihn aber immer wieder vor große und komplexe Herausforderungen. So muss bei jeder Baumaßnahme das unausweichliche Eingreifen in die Umwelt hinsichtlich der ökologischen, ökonomischen und sozialen Wirkungen beurteilt werden. Diese drei Aspekte ins Gleichgewicht zu bringen, bedarf es branchen- und fachspezifischer Strategien. Eine dieser Strategien bezieht sich auf die Auswahl und Verwendung der Baustoffe. Die Relevanz einer effizienteren Materialnutzung und Ressourcenschonung wird allein durch die Betrachtung der im Straßenbau bewegten Stoffströme offensichtlich. Gewinnungsstätten mineralischer Baustoffe werden aufgrund der offensichtlichen Eingriffe in die Landschaft durchaus auch kritisch gesehen. Dies führt inzwischen regional teils zu Engpässen bei der Lieferung natürlicher Gesteinskörnungen. Auch kommt es - nicht nur durch umweltpolitische Vorgaben - zu einer zunehmenden Verknappung von Deponieraum. Bei der Erzeugung und Verarbeitung von Metallen, bei der Erzeugung von Energie und bei anderen industriellen Prozessen einerseits sowie im Zuge von Bautätigkeiten andererseits entstehen jährlich rund 260 Mio. t industrielle Nebenprodukte und mineralische Bauabfälle [5]. Der Einsatz dieser Baustoffe im Straßenbau ist etabliert, er hat sich über viele Jahrzehnte bewährt. Unerlässlich für den erfolgreichen Einsatz ist die Berücksichtigung sämtlicher Anforderungen, die sich aus bautechnischer Sicht einerseits oder aus Fragen der Umweltverträglichkeit andererseits ergeben - beide Anforderungsgruppen müssen unabhängig voneinander erfüllt werden. Dann tragen diese Baustoffe substanziell zur Schonung natürlicher Gesteinsrohstoffe bei und reizen die ohnehin schon begrenzten Deponiekapazitäten nicht weiter aus. Heute ist dem Ziel der Schonung von Gesteinsressourcen und Deponiekapazitäten mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz [6] ein gesetzlicher Rahmen gesetzt. Für eine nachhaltige Materialverwendung ist insbesondere die darin beschriebene mehrstufige Hierarchie maßgebend. Demnach sind Abfälle in erster Linie zu vermeiden. Nur, sofern dies nicht möglich ist, ist eine (im Gesetz dreistufige) Verwertung anzustreben, und erst als letzte Option überhaupt ist eine Beseitigung im Sinne einer Deponierung vorgesehen. Bedingt durch gesetzliche Randbedingungen und Anforderungen des allgemeinen Umweltschutzes ist es also notwendig, die verfügbaren industriell hergestellten und rezyklierten Gesteinskörnungen sowie Bodenmaterialien möglichst vollständig und dabei so hochwertig wie möglich zu verwenden. Durch die Ersatzbaustoffverordnung (ErsatzbaustoffV, im Folgenden kurz EBV) [7] wird (strenggenommen nur für die dort behandelten) Sekundärbaustoffe der Begriff mineralische Ersatzbaustoffe (im Folgenden: MEB) verwendet. Dieser zusammenfassende <?page no="68"?> 68 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau Begriff wird daher im Folgenden genutzt, um bei einer einheitlichen Begrifflichkeit zu bleiben. 2. Anforderungen an Straßenbaustoffe Es ist völlig unstrittig, dass die im Straßenoberbau und im Erdbau einzusetzenden Baustoffe für den jeweiligen Anwendungszweck uneingeschränkt geeignet sein müssen. Dies umfasst immer sowohl Fragen der bautechnischen Eignung als auch Fragen des Arbeitsschutzes und umwelttechnische Aspekte in Bezug auf den Schutz von Boden und Grundwasser. Aus bautechnischer Sicht werden die Voraussetzungen für den Einsatz in den jeweiligen Zusätzlichen Vertragsbedingungen und Richtlinien sowie den jeweils einschlägigen Technischen Lieferbedingungen festgelegt. Insbesondere sind die für den Straßenbau erforderlichen Anforderungen an natürliche und künstliche Gesteine in den TL Gestein-StB [8] zusammengestellt. Dieses Regelwerk enthält beispielsweise Anforderungen an den Widerstand gegen Zertrümmerung oder gegen Frostbeanspruchung, deren Einhaltung für den jeweiligen Zweck unabhängig von der Gesteinsart grundsätzlich erforderlich ist. Daneben gibt es aber auch spezielle Prüfungen für bestimmte Gesteinsarten. Beispiele sind die Prüfung von Basalt auf „Sonnenbrand“, von RC-Baustoffen auf die stoffliche Zusammensetzung und von Stahlwerksschlacke und Hausmüllverbrennungsasche auf eine für den jeweiligen Einsatzzweck ausreichende Raumbeständigkeit. Die TL Gestein-StB enthalten darüber hinaus aber auch Anforderungen an umweltrelevante Merkmale. Bei natürlichen Gesteinskörnungen wird die Umweltverträglichkeit als gegeben angenommen und muss daher nicht nachgewiesen werden. Für industriell hergestellte und rezyklierte Gesteinskörnungen jedoch sind Anforderungen formuliert, die durch die EBV [7] vorgegeben werden. Bis zur Einführung der EBV behielten sich die Bundesländer vor, die Festlegungen zur Bewertung der Umweltverträglichkeit selbst zu definieren. Daher galten in Deutschland in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen. Diese basierten teils auf Vorschlägen der Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall [9], teils galten aber auch eigene Anforderungen (z. B. [10]). Erst seit der Föderalismusreform 2006 [11] wurde dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für diese Fragen zugesprochen, was die Entwicklung und Einführung der bundesweit gültigen Verordnung ermöglichte. Als Ergebnis wurde am 16. Juli 2021 die EBV im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren ist sie am 1. August 2023 in Kraft getreten. Grundlage der EBV-Regelungen ist ein wissenschaftliches Konzept [12, 13], das auf der Basis eines breit angelegten Verbund-Forschungsvorhabens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Si-ckerwasserprognose erarbeitet wurde. Es wurde von Schwellenwerten für das Grundwasser [14] bzw. von Hintergrundwerten im Grundwasser [15] ausgegangen und darauf auf bauend durch Modellrechnungen abgeleitet, welche Konzentrationen bestimmter Inhaltsstoffe in Sickerwasser enthalten sein dürfen, die eine Schicht oder einen Baukörper verlassen. Unter Berücksichtigung der Bewegung des Sickerwassers (mit den Inhaltsstoffen) zum Grundwasser und der Anreicherung der Inhaltsstoffe aufgrund von Anlagerungen im Boden wurden materialspezifische Grenzwerte (sog. Materialwerte) und Einsatzmöglichkeiten abgeleitet. Dass hierbei für die Erarbeitung einer bundesweiten Verordnung Annahmen getroffen, Kategorisierungen vorgenommen und Vereinfachungen zugelassen werden müssen, ist grundsätzlich nachvollziehbar und lässt sich letztlich nicht umgehen. Grundsätzlich besteht, wenn Gesteinskörnungen in technischen Bauwerken Witterungseinflüssen wie Niederschlägen und Temperaturschwankungen ausgesetzt werden, die Möglichkeit, dass durch den Kontakt mit Niederschlags- oder Sickerwasser Stoffe aus dem Baustoff gelöst und freigesetzt werden. Die Freisetzung ist von einer Vielzahl von Randbedingungen abhängig. Maßgeblich für das Freisetzungspotential sind z. B. die mineralogische und chemische Bindung, die Einbindung in die umgebende Matrix, das Maß der Kristallinität, die Korngröße sowie die Säuren- oder Basenneutralisationskapazität. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass für die meisten Stoffe keine Korrelation zwischen ihren Gesamtgehalten im Feststoff und der Löslichkeit existiert, so dass sich das Freisetzungspotential nicht anhand von Feststoffgehalten abschätzen lässt [16]. Konsequenterweise wird in der EBV wie auch schon bei den vorher gültigen Länderregelungen bei der Bewertung der MEB für den Einsatz in technischen Bauwerken in der Regel die Auslaugbarkeit herangezogen. Nur organische Parameter, die in Böden oder RC-Baustoffen enthalten sein können, sind im Feststoff zu analysieren. In Einzelfällen wird durch die Beschränkung von Einsatzgebieten eine indirekte Bewertung auch der Feststoffgehalte vorgenommen. Bereits vor über 50 Jahren wurden von der Stahlindustrie erste Verfahrensvorschiften zur Prüfung des Auslaugverhaltens von Hochofenschlacke veröffentlicht [17]. Über viele Jahre wurde als Standard-Prüfverfahren für den Straßenbau ein Schüttelverfahren mit einem Wasser/ Feststoff-Verhältnis von 10: 1 [18] auf Basis einer europäischen Norm [19] angewendet. Basierend auf den o. g. wissenschaftlichen Studien [12, 13] stützt sich die EBV auf neue Auslaugverfahren [20, 21], die mit einem Wasser/ Feststoff-Verhältnis von 2: 1 arbeiten. Die Ergebnisse lassen sich wegen der unterschiedlichen Wasser/ Feststoff-Verhältnisse nicht miteinander vergleichen, auch eine Umrechnung ist nicht möglich. Für die meisten Parameter ergeben sich bei einem Wasser/ Feststoff-Verhältnis von 2: 1 deutlich höhere Analysenergebnisse als bei einem Wasser/ Feststoff-Verhältnis von 10: 1. Basierend auf den Untersuchungsergebnissen werden die MEB klassifiziert, um die Einbaumöglichkeiten bestimmen zu können. Die Festlegung unterschiedlicher „Materialklassen“ (auf der Basis unterschiedlicher Auslaugbarkeit) ermöglicht hierbei den gezielten Einsatz je nach Bauweise einerseits und Empfindlichkeit des Untergrunds (Boden, Grundwasser) andererseits. <?page no="69"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 69 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau In der EBV werden zur Beurteilung der Schutzwirkung der Grundwasserdeckschicht die Bodenarten Sand, Lehm, Schluff und Ton genannt. Der Bauherr oder der Verwender (in der Regel das Bauunternehmen) der MEB hat die Beurteilung der Grundwasserdeckschichten auf der Grundlage einer bodenkundlichen Ansprache von Bodenproben oder von Baugrunduntersuchungen nach bodenmechanischen oder bodenkundlichen Normen vorzunehmen. Dabei entspricht die Bodenartenhauptgruppe Sand nach Bodenkundlicher Kartieranleitung KA 5 [22] den Bodengruppen SE, SW oder SI nach DIN 18196 [23], die Bodenartenhauptgruppen Lehm, Schluff und Ton nach KA 5 entsprechen den Bodengruppen SU, ST, GU*, GT*, SU*, ST*, UL, UM, UA, TL, TM oder TA nach DIN 18196. Die Bodenartenhauptgruppe Kies nach KA 5 (Bodengruppen GW, GE, GI, GU, GT nach DIN 18196) wird als Grundwasserdeckschicht nicht anerkannt. 3. Umsetzung im Regelwerk für den Straßenbau Auch wenn die EBV als Verordnung der Bundesregierung für sich gilt und insofern eine Umsetzung in das Regelwerk für den Straßenbau formal nicht erforderlich ist, wurde nach der Veröffentlichung der EBV im Bundesgesetzblatt [7] durch die FGSV beschlossen, die Regelungen der EBV soweit in das Regelwerk für den Straßenbau zu implementieren, wie dies die Anwendung im Straßen-, Erd- und Wegebau erleichtert. Um die Umsetzung zwischen der Veröffentlichung im BGBl und dem Inkrafttreten zwei Jahre später abschließen zu können, war die Bearbeitung in engem Rhythmus und unter großem Einsatz aller Beteiligten erforderlich. Unterschiedliche Teilaufgaben wurden in diesem Zusammenhang durch unterschiedliche Gremien übernommen. Im Ergebnis sind die Regelungen der EBV in folgenden Regelwerken für den Straßenbau umgesetzt worden, die dazu entsprechend überarbeitet wurden: • Probenahme TP Gestein-StB [18] • Prüffrequenzen in der Gütesicherung: TL Gestein-StB [8] TL G SoB-StB [24] TL BuB E-StB [25] • Durchführung der Prüfungen (Eluatherstellung und Analytik, CBR-Klasse): TP Gestein-StB [18] • Materialspezifische Anforderungswerte („Materialwerte“): TL Gestein-StB [8] • Einbaumöglichkeiten: RuA-StB [26] Insbesondere die RuA-StB [27] wurden vollständig überarbeitet: Die Erstfassung der RuA-StB wurde 2001 veröffentlicht als Ergänzung zu den damaligen TL Min-StB 2000 [28], da die TL lediglich Anforderungen an die Gesteine enthalten, aber keinen Hinweis darauf, wo Baustoffe eingesetzt werden können, welche diese Anforderungen einhalten. Mögliche Einsatzgebiete wurden damals festgelegt in Abhängigkeit von der Auslaugbarkeit, der Durchsickerbarkeit der betreffenden Schicht und der darüberliegenden Schichten sowie der Schutzwirkung der Grundwasserüberdeckung. Prinzipiell sind diese Überlegungen auch Bestandteil des wissenschaftlichen Konzepts zur EBV. In die Entscheidung über die zulässigen Einsatzmöglichkeiten gehen in der EBV die Einbauweise (z. B. Asphaltdecke, Schottertragschicht oder Straßendamm) ein sowie die Eigenschaften der Grundwasserüberdeckung und ggf. die Lage innerhalb eines Wasserschutzbereichs. Die Darstellung, wo der Einsatz für den jeweiligen Baustoff möglich ist, sofern die Anforderungswerte eingehalten werden, erfolgt in der EBV in Tabellenform. Das Grundprinzip dieser Tabellen wurde von den sog. Verwertererlassen aus NRW [29, 30, 31] übernommen, wo es sich über viele Jahre bewährt hat. Im Unterschied zur EBV, die ausschließlich umweltrelevante Aspekte regelt, berücksichtigen die neu gefassten RuA-StB [26] auch Aspekte der Bautechnik. Insbesondere wurden in den RuA-StB in den Einbautabellen für die einzelnen MEB die Zeilen, die entsprechend dem R1- Regelwerk der FGSV (= Vertragsgrundlagen und Richtlinien) aus bautechnischen Gründen nicht zulässig sind, durch Schraffur eindeutig als nicht zulässig gekennzeichnet. Die ausschließlich auf der Bewertung der Umwelteigenschaften beruhenden Tabellen in der EBV hatten teils zu Fragen geführt, ob eine „bisher“ aus bautechnischen Gründen nicht zulässige Nutzung von MEB evtl. doch möglich sei. Außerdem wurden durch die RuA-StB die Regelungen der EBV erforderlichenfalls „übersetzt“ in den Sprachgebrauch des Straßenbaus, sowie präzisiert oder ergänzt, wo dies für die mit Planung, Ausschreibung und Bau von Straßenbauwerken befassten Personen von Relevanz ist. Eine Änderung von Regelungen der Verordnung erfolgte ausdrücklich nicht - die EBV als Verordnung der Bundesregierung gilt uneingeschränkt. Dies gilt selbst dann, wenn die EBV offensichtlich Fehler enthält - der im BGBl veröffentlichte Text ist bindend. 4. Anerkennung als Produkt Für MEB ist die Frage, ob sie als Abfälle einzustufen sind oder als Produkte von großer Bedeutung. Eine Anerkennung als Produkt baut ggf. bestehende Vorurteile und Hemmnisse seitens der Verwender ab und der Entfall spezifischer mit dem Abfallrecht verbundener Verpflichtungen, z. B. beim Transport oder bei der Lagerung, vereinfacht die Nutzung. Die grundsätzlichen Regelungen dazu werden im KrWG [6] getroffen. Dort werden für Nebenprodukte (in § 4 KrWG) und für das Ende der Abfalleigenschaft (in § 5 KrWG) Kriterien genannt, die die Voraussetzung für die Anerkennung als Produkt bilden. Durch die EBV wurde schon zu Beginn der Diskussionen nicht allein auf mineralische Abfälle abgezielt, sondern sie sollte genauso den Einsatz von Nebenprodukten regeln sowie von Stoffen, die das Ende der Abfalleigenschaft erreicht haben. Zur gemeinsamen Benennung wurde daher seinerzeit auch eigens der Begriff „mineralischer Ersatzbaustoff“ (MEB) kreiert. Über einige Jahre enthielten die Entwürfe zur EBV auch explizite Vorschrif- <?page no="70"?> 70 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau ten, welche MEB als Nebenprodukte bzw. als Abfallende-Stoffe anerkannt werden können. Diese Regelungen waren letzten Endes nicht konsensfähig und wurden im Zuge der Diskussionen wieder gestrichen. Damit gelten für die in der EBV behandelten Baustoffe weiterhin die allgemeinen Regelungen des KrWG, die also bisher nicht durch eine Spezialvorschrift ergänzt oder verdrängt wurden. Um die Kriterien der §§ 4, 5 KrWG zu konkretisieren, hat jedoch inzwischen das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) Ende 2023 „Eckpunkte zur Abfallende- Verordnung für bestimmte mineralische Ersatzbaustoffe“ vorgelegt [32]. Die vorgelegten Eckpunkte engen den Regelungsbereich allerdings extrem ein: Nur wenige Materialklassen gemäß EBV sollen das Abfallende erreichen können. Alle anderen werden von vornherein als nicht abfallendefähig angesehen. Regelungen zur Anerkennung von Nebenprodukten sollen gemäß den durch das BMUV veröffentlichten Eckpunkten überhaupt nicht getroffen werden. Das ist zwar formal für eine reine Abfallende-Verordnung korrekt. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, dass Festlegungen zum Abfallende in der Praxis auch eine Indizwirkung für strittige Entscheidungen zur Anerkennung eines Stoffes als Nebenprodukt haben werden. Außerdem könnten bei der geplanten Beschränkung auf Abfallende-Kriterien ausschreibende Stellen künftig Abfallende-Materialien, die gemäß der geplanten Rechtsverordnung rechtssicher bestimmt werden könnten, gegenüber Nebenprodukten bevorzugen, die ohne Konkretisierung weiterhin lediglich nach der allgemeinen Vorschrift des § 4 KrWG qualifiziert werden müssten. Die geplante Rechtsverordnung darf jedoch nicht dazu führen, dass die Marktteilnehmer die MEB in ein vorzugswürdiges Segment und ein tunlichst zu vermeidendes Segment unterteilen. Denn das hieße, dass sich für das nicht vorzugswürdige Segment das Risiko einer Benachteiligung bei der Vermarktung und damit einer Deponierung deutlich erhöhte. Seitens des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) wird die restriktive Sichtweise des BMUV kritisiert, da davon ausgegangen werden muss, dass sie sich zwar wahrscheinlich positiv für die wenigen durch die geplante Verordnung geregelten Stoffen auswirkt, gleichzeitig aber für alle anderen Materialien die Absatzchancen verschlechtert. Um diese Aussage zu belegen, wurde industrieseitig die Prognos AG mit einer Umfrage bei potenziellen Auftraggebern über den Einsatz von MEB beauftragt [33]. Das Ziel war, die tatsächlichen Auswirkungen einer Produktbzw. Abfalleinstufung im Markt zu überprüfen. Die Umfrage wurde von Mitte Dezember 2023 bis Ende Februar 2024 online durchgeführt. Der Rücklauf betrug insgesamt 457 Fragebögen und das Ergebnis ist eindeutig: Jeweils fast 80 % der Teilnehmenden an der Umfrage gehen davon aus, dass die Umsetzung des Produktstatus für alle MEB in allen Materialkassen zu einer Erhöhung der Einbaumengen führen wird, bzw. im anderen Falle, dass die Umsetzung des Produktstatus nur für wenige beste Materialklassen zu einer stärker auf diese Materiaklassen fokussierten Nachfrage führt und die anderen Materialklassen künftig voraussichtlich im Wesentlichen auf Deponien verwertet/ beseitigt werden. Die EBV sorgt bereits dafür, dass die dort geregelten MEB geprüft und so eingestuft werden, dass sie in vielen Einsatzgebieten des Erd-, Tief-, Straßen- und Landschaftsbaus eingesetzt werden können. Das muss - so die Überzeugung von BMDV und BMWSB - auch Auswirkungen auf die Anerkennung als Nebenprodukt bzw. des Abfallendes haben: Im KrWG werden (s. o.) für Abfälle und Nebenprodukte jeweils vier Kriterien genannt, die die Voraussetzung für die Anerkennung als Produkt bilden. Dabei sind die ersten drei Kriterien in der Regel kaum strittig - lediglich die Formulierung im vierten Kriterium „... und insgesamt nicht zu schädlichen Aus-wirkungen auf Mensch und Umwelt führt“ wird immer wieder kontrovers diskutiert. Hier helfen die Regelungen der EBV weiter: Bei MEB, die hinsichtlich ihrer Qualität und Gütesicherung die Regeln der EBV einhalten und auch gemäß den Regeln der Verordnung eingesetzt werden bzw. dafür vorgesehen sind, sind nachteilige Veränderungen der Grundwasser-beschaffenheit [34] und schädliche Bodenveränderungen [35] nicht zu besorgen, wie in der Verordnung ausdrücklich festgehalten wird. Sie dürfen daher - vorbehaltlich der Erfüllung der jeweils ersten drei Kriterien der §§ 4, 5 KrWG - nicht als Abfälle angesehen werden, sondern müssen als Nebenprodukte anerkannt werden, bzw. als Stoffe, die das Ende der Abfalleigenschaft erreicht haben. Welchen Sinn hätte eine EBV, die den im KrWG geforderten Schutz von Boden und Grundwasser nicht gewährleistet? Deshalb sind BMDV und BMWSB davon überzeugt, dass die Einführung einer umfassenden Abfallende- und Nebenprodukt-Verordnung dringlich ist, die alle Materialien und Materialklassen der EBV einbezieht. Eine Unterscheidung zwischen hochwertigen und weniger hochwertigen mineralischen Ersatzbaustoffen nimmt weder die EBV vor, noch wäre dies zielführend. Können mineralische Ersatzbaustoffe hergestellt und in einem technischen Bauwerk eingebaut werden, dann nur, wenn von Baustoff, Einbauweise und Einbauort abhängige Werte nach der EBV eingehalten wurden. Dann aber darf auch nicht das Marktpotenzial durch eine Einstufung als Abfall reduziert werden. 5. Ausschreibung von mineralischen Ersatzbaustoffen Straßenbaumaßnahmen werden weit überwiegend durch die öffentliche Hand ausgeschrieben und beauftragt. Daher tragen die öffentlichen Auftraggeber auch eine erhebliche Verantwortung im Hinblick auf die Umsetzung der von der Bundesregierung formulierten Ziele der Ressourcenschonung [3] und der Förderung der Kreislaufwirtschaft [6]. Auch die Europäische Kommission veröffentlichte unter dem Titel „Buying Green! “ Hinweise <?page no="71"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 71 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau für eine „grüne öffentliche Beschaffung“ [36]. Die entsprechende Formulierung von Ausschreibungstexten für Baumaßnahmen wäre also ein wichtiger erster Schritt, die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand einzusetzen. § 45 KrWG „Pflichten der öffentlichen Hand“ verpflichtet die Behörden des Bundes sowie die der Aufsicht des Bundes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Sondervermögen und sonstigen Stellen auch ausdrücklich, durch ihr Verhalten dazu beizutragen, die Ziele des Kreislaufwirtschaftsgesetzes umzusetzen. Zunehmend werden entsprechende Formulierungen auch in die Landes-Kreislaufwirtschaftsgesetze eingebracht. Dazu haben die genannten Stellen u. a. bei Bauvorhaben Erzeugnissen den Vorzug zu geben, die in abfallarmen Produktionsverfahren hergestellt wurden (z. B. als Nebenprodukte) oder durch das Recycling von Abfällen (z. B. als RC-Baustoffe). Solche Erzeugnisse sind in Vergabeverfahren zuzulassen und zu bevorzugen, es sei denn, es gebe keine entsprechenden geeigneten Erzeugnisse, die Mehrkosten seien unzumutbar oder es stünden andere Rechtsvorschriften der Bevorzugung entgegen. Selbstverständlich muss ein ausreichender Wettbewerb gewährleistet sein. In diesem Zusammenhang bietet die EBV den ausschreibenden Stellen nun die auch formale Sicherheit für den rechtssicheren Einsatz von MEB. Damit ist eine wesentliche Bedingung des § 45 KrWG erfüllt. Daher können und sollen diese Baustoffe bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand bevorzugt werden. Dabei ist diese Bevorzugung zwar nicht absolut, Ausnahmen sind jedoch zu begründen. Noch ein weiterer Aspekt ist bezüglich der Ausschreibung von Straßenbauwerken von Bedeutung: Durch die EBV werden für einige MEB mehrere Materialklassen auf der Basis der Auslaugbarkeit definiert. Diese Unterteilung ermöglicht einen aus hydrogeologischer Sicht differenzierten Einbau. Auf Basis des wissenschaftlichen Konzepts werden für die unterschiedlichen MEB und Materialklassen jeweils die Kombinationen aus Einbauweisen und Untergrundverhältnissen zugelassen, die eine aus Sicht des Boden- und Grundwasserschutzes verantwortbaren Einsatz ermöglichen. Das heißt aber auch, dass bei Einbausituationen, für die eine „ungünstigere“ Materialklasse geeignet und zulässig ist, in der Ausschreibung diese Materialklasse ebenfalls zugelassen werden muss. Die verbreitete Praxis, grundsätzlich nur die „besten“ Materialklassen auszuschreiben, führt dazu, dass die anderen Materialklassen kaum nachgefragt werden und letztlich deponiert werden müssen. In der Konsequenz müssen zusätzliche natürliche Gesteinsrohstoffe gewonnen und eingesetzt werden. Eine Ausschreibung nur der „besten“ Material-klassen konterkariert die der EBV zugrundeliegende Absicht, einen möglichst umfassenden verantwortlichen Einsatz von MEB zu ermöglichen. 6. Stand und Ausblick Die EBV ist am 1. August 2023 in Kraft getreten. Ziele waren, die Bewertung der Umweltverträglichkeit von MEB bundesweit zu vereinheitlichen, dabei den Schutz des Bodens und des Grundwassers zu gewährleisten und die Kreislaufwirtschaft zu befördern. Anderthalb Jahre nach dem Inkrafttreten muss festgestellt werden, dass diese Ziele nicht erreicht wurden: • Statt einer bundesweit einheitlichen Behandlung von MEB werden die verbliebenen Interpretationsspielräume in den Bundesländern unterschiedlich genutzt, teils sogar von Landkreis zu Landkreis. Auch die FAQ der LAGA [37] helfen hier nur bedingt weiter. • Bereits vor Einführung der EBV, zur Zeit der unterschiedlichen Länderregelungen, gab es Regelungen zum Schutz von Boden und Grundwasser. Diese waren evtl. nicht mehr auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand - aber immerhin so streng, dass bei Einhaltung dieser Vorschriften kein einziger Schadensfall bekannt ist. Insofern scheint die EBV zumindest keine wesentliche Verbesserung bewirkt zu haben. • Die Regelungen der EBV haben dazu geführt, dass der Einsatz von MEB seit dem Inkrafttreten zurückgegangen ist, wie z. B. auch aktuelle Umfragen belegen [38, 39]. Für die Kreislaufwirtschaft, die Schonung von natürlichen Gesteinsressourcen und Deponiekapazitäten, ist dies ein deutlicher Rückschritt. Grundsätzlich werden die o. g. Ziele der EBV weiter als richtig und wichtig angesehen. Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung sind wichtige Aspekte im Themenkomplex Klimaschutz und Nachhaltigkeit und müssen mit hohem Druck vorangebracht werden. Daher ist dringend erforderlich, die EBV zu überarbeiten. Dabei sind folgende Punkte vordringlich: • Die Einbindung von MEB in Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel verhindert effektiv die Auslaugung von ggf. kritischen Bestandteilen. Die Vorgaben der EBV haben aber dazu geführt, dass dieser Markt aus produktions- und baupraktischen Gründen seit dem Inkrafttreten der EBV nicht mehr bedient wird. Es hat sich gezeigt, dass MEB für die Herstellung von Asphaltmischgut gemäß harmonisierten europäischen Normen vom Anwendungsbereich der EBV ausgenommen werden müssen. • Im der EBV zugrundeliegenden wissenschaftlichen Konzept werden für den Fall „ungünstiger Eigenschaften der Grundwasserdeckschicht“ keinerlei Rückhalteprozesse vorausgesetzt. Für die hier zulässigen MEB bedeutet dies, dass sie die entsprechenden Anforderungen bereits beim Verlassen der MEB- Schicht einhalten müssen. Die Anforderungen an den betreffenden MEB sind also deutlich schärfer als bei Einsatzgebieten, bei denen eine Rückhaltung während der Bodenpassage angesetzt wurde. Gemäß § 19 Abs. 8 EBV wird jedoch auch für den o. g. ungünstigen Fall eine Grundwasserdeckschicht aus Kies nicht anerkannt - trotz der verschärften Anforderungen an den MEB. Bereits jetzt zeichnet sich in manchen Regionen aufgrund dieser Regelung ein deutlicher Rückgang der Kreislaufwirtschaft im Ver- <?page no="72"?> 72 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau gleich zum Vollzug vor Inkrafttreten der EBV ab. Die möglicherweis auf einen redaktionellen Fehler zurückzuführende Regelung muss daher schnellstmöglich korrigiert werden. • Zur Bewertung des umweltverträglichen Einsatzes von MEB wurden ein wissenschaftliches Fachkonzept erarbeitet, die Auswirkungen auf Boden und Gewässer geprüft und in Bedingungen für den Einsatz dieser MEB umgesetzt [12, 13]. Wenn die gesetzten Bedingungen dies gewährleisten, sind Boden und Gewässer nicht nur bei großen, sondern selbstverständlich auch bei kleineren Einbaumengen geschützt. Dann führt jede weitere Einschränkung des Einsatzes zu unnötiger Verschiebung von Stoffströmen in die Deponierung. Dennoch werden für einige MEB Mindesteinsatzmengen je Baumaßnahme festgelegt, sie sind in Mengen von mindestens 50 m³ oder sogar mindestens 250 m³ einzubauen. Dieser Punkt ist insbesondere bei kommunalen Bauträgern von großer Bedeutung, bei denen oft kleinere Baumaßnahmen durchzuführen sind und die durch die bestehende Regelung stark in Ihren Möglichkeiten beschnitten werden, aktiv zur Kreislaufwirtschaft beizutragen. • Durch den Wegfall der wasserrechtlichen Erlaubnis bei Einhaltung der in der EBV definierten Bedingungen sollte eine Vereinfachung des Einbaus von MEB erreicht werden, auch ein Bürokratieabbau. Diese durchaus gut gemeinte Regelung führt allerdings in der Baupraxis dazu, dass nun (insbesondere private) Bauherren in die Verantwortung genommen werden, die ggf. nur einmalig oder zumindest nur selten über die Zulässigkeit eines MEB-Einsatzes entscheiden müssen. Die dadurch entstehende Rechtunsicherheit führt dazu, dass auf den Einsatz von MEB verzichtet und vermehrt auf natürliche Gesteinsbaustoffe zurückgegriffen wird. • Die Beurteilung der Grundwasserdeckschicht ist auf der Grundlage einer bodenkundlichen Ansprache von Bodenproben oder von Baugrunduntersuchungen vorzunehmen. Eine auf Kartenwerken basierende Beurteilung ist nicht zulässig. Als Begründung wird angeführt, dass Kartenwerke in der erforderlichen Detailtiefe i. d. R. nicht vorliegen [37]. Das mag in Gebieten mit kleinräumigen Veränderungen richtig sein, aber in vielen Gebieten wäre der Verzicht auf detaillierte bodenkundliche Untersuchungen vertretbar und gleichzeitig ein deutlicher Beitrag zur Kostensenkung, der sich gerade auch bei kleineren Maßnahmen bemerkbar machte. Perspektivisch wäre sinnvoll, eine bundesweit einheitliche digitale Datengrundlage zu schaffen, um Mächtigkeit und Eigenschaften der Grundwasserdeckschicht flurstücksscharf bereitzustellen. • Für einen Reihe von MEB ist der Einsatz vier Wochen vor Beginn des Einbaus anzuzeigen (Voranzeige), außerdem nochmals zwei Wochen nach Abschluss der Baumaßnahme (Abschlussanzeige). Die Verwendung anzeigepflichtiger MEB sollen anschließend in einem Kataster dokumentiert werden. Diese Anzeige- und Katasterpflicht für einige MEB werden im Markt als Diskriminierung dieser MEB wahrgenommen, sie verursachen zusätzliche Bürokratie und kaum abschätzbare Mehrkosten und senken die Akzeptanz bei Auftraggebern und sonstigen Nutzern. Selbst wenn man die Anzeigepflichten grundsätzlich befürwortet: Die Frist von vier Wochen für eine Voranzeige mag für Großprojekte realistisch sein - viele kleinere Baumaßnahmen wurden zuvor in guter Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde auch mit Bearbeitungszeiten von wenigen Tagen abgewickelt. Gerade im kommunalen Bereich sind diese Fristen absolut kontraproduktiv hinsichtlich einer Nutzung von MEB, und im Sinne eines Bürokratieabbaus ist eine Abschlussanzeige sicher ausreichend. 7. Fazit Die jahrelange Entwicklung der EBV hat in den vergangenen Jahren zunehmend zu Unsicherheiten geführt, inwieweit die vorher gültigen Länderregelungen noch zeitgemäß sind. Insofern ist grundsätzlich zu begrüßen, dass dieser Prozess nun zu einem - zumindest vorläufigen - Abschluss gekommen ist. Durch die EBV wurden die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern abgelöst, wodurch die Nutzung der in der Verordnung behandelten Baustoffe erleichtert werden soll. Zusätzlich bietet die bundesweit geltende Verordnung eine verbesserte Rechtssicherheit und -klarheit, was ebenfalls der Nutzung dieser Baustoffe zugutekommen soll. Leider muss allerdings anderthalb Jahre nach Inkrafttreten der EBV festgestellt werden, dass das Ziel einer verbesserten Kreislaufwirtschaft nicht erreicht wurde. Es zeigt sich deutlich, dass eine Reihe von Regelungen nachgebessert werden muss, um die EBV zum Erfolg zu führen. Literatur [1] Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den europäischen Rat, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Der europäische Grüne Deal. COM(2019)640, Brüssel [2] Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa. COM(2020)98, Brüssel [3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Deutsches Ressourceneffizienzprogramm III - 2020 bis 2023, Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Berlin [4] Die Bundesregierung: Nationale Nachhaltigkeitsstrategie - Weiterentwicklung 2021, Berlin <?page no="73"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 73 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau [5] Merkel, Th.; Reiche, Th.: Einsatz von Sekundärbaustoffen für den Straßenbau als Beitrag zu Umweltschutz und Ressourceneffizienz - Rückblick und Ausblick. Straße und Autobahn, 71, 2, Kirschbaum-Verlag, Bonn, 142 - 148 [6] Kreislaufwirtschaftsgesetz vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 02.03.2023 (BGBl. I Nr. 56) [7] Ersatzbaustoffverordnung vom 9. Juli 2021 (BGBl. I S. 2598), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 13. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 186) [8] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Technische Lieferbedingungen für Gesteinskörnungen im Straßenbau - TL Gestein- StB. FGSV-Nr. 613, Ausgabe 2004/ Fassung 2023 [9] Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall: Anforderungen an die stoffliche Verwertung von mineralischen Reststoffen/ Abfällen - Technische Regeln. Stand 6. November 2003 [10] Güteüberwachung von mineralischen Stoffen im Straßen- und Erdbau. Gem. RdErl. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr - VI A 3 - 32-40/ 45 u. d. Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV - 3 - 953-26308 - IV - 8 - 1573- 30052 v. 9.10.2001, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr. 78 vom 13. Dezember 2001, 1528-1533 [11] Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (BGBl I Nr. 41, S. 2034-2038) [12] Susset, B.; Leuchs, W.: Ableitung von Materialwerten im Eluat und Einbaumöglichkeiten mineralischer Ersatzbaustoffe - Umsetzung der Ergebnisse des BMBF-Verbundes „Sickerwasserprognose“ in konkrete Vorschläge zur Harmonisierung von Methoden. FuE-Vorhaben im Auftrag des UBA, FKZ 205 74 251, 2008 [13] Susset, B.; Maier, U.; Finkel, M.; Grathwohl, P.: Weiterentwicklung von Kriterien zur Beurteilung des schadlosen und ordnungsgemäßen Einsatzes mineralischer Ersatzbaustoffe und Prüfung alternativer Wertevorschläge. FuE-Vorhaben im Auftrag des UBA, FKZ 3707 74 301, 2018 [14] Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser: Ableitung von Geringfügigkeitsschwellen für das Grundwasser. Aktualisierte und überarbeitete Fassung 2016. Kulturbuch-Verlag, Berlin [15] Utermann, J.; Fuchs, M.: Materialuntersuchungen im Hinblick auf den Wirkungspfad Boden-Grundwasser - Hintergrundwerte für Spurenelemente im wässrigen Eluat bei einem Wasser-Feststoffverhältnis von 2: 1 (DIN 19529). BGR, Hannover, 2010 [16] Reiche, Th.; Sokol, A.; Merkel, Th.: Feststoffgrenzwerte - der richtige Weg zur Förderung der Kreislaufwirtschaft? In: Thiel, S.; Thomé-Kozmiensky, E.; Senk, D. G.; Wotruba, H.; Antrekowitsch, H.; Pomberger, R. (Hrsg.): Mineralische Nebenprodukte und Abfälle 8 - Aschen, Schlacken, Stäube und Baurestmassen. Vivis-Verlag, Neuruppin, 2021, 55 - 67 [17] Stahl-Eisen-Prüfblätter des VDEh: Untersuchung des Auslaugeverhaltens von Hochofenschlacke. SEP 1780-71, Verlag Stahleisen, Düsseldorf, 1971 [18] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Prüfvorschriften für Gesteinskörnungen im Straßenbau - TP Gestein-StB. FGSV-Nr. 610, Loseblattsammlung, Stand März 2024 [19] DIN EN 12457-4: 2003-01: Charakterisierung von Abfällen - Auslaugung; Übereinstimmungsuntersuchung für die Auslaugung von körnigen Abfällen und Schlämmen - Teil 4: Einstufiges Schüttelverfahren mit einem Flüssigkeits-/ Feststoffverhältnis von 10 l/ kg für Materialien mit einer Korngröße unter 10 mm (ohne oder mit Korngrößenreduzierung) [20] DIN 19528: 2009-01 - Elution von Feststoffen - Perkolationsverfahren zur gemein-samen Untersuchung des Elutionsverhaltens von anorganischen und organischen Stoffen [21] DIN 19529: 2015-12 - Elution von Feststoffen - Schüttelverfahren zur Untersuchung des Elutionsverhaltens von anorganischen Stoffen mit einem Wasser/ Feststoff-Verhältnis von 2 l/ kg [22] Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (Hrsg.): Bodenkundliche Kartieranleitung KA5. 5. Auflage, 2005, Schweizerbart, Stuttgart [23] DIN 18196: 2011-05 - Erd- und Grundbau - Bodenklassifikation für bautechnische Zwecke [24] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Technische Lieferbedingungen für Baustoffgemische zur Herstellung von Schichten ohne Bindemittel im Straßenbau - Teil: Güteüberwachung - TL G SoB-StB. FGSV-Nr. 696, Ausgabe 2020/ Fassung 2023 [25] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Technische Lieferbedingungen für Bodenmaterialien und Baustoffe für den Erdbau im Straßenbau - TL BuB E-StB. FGSV-Nr. 597, Ausgabe 2020/ Fassung 2023 [26] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Richtlinien für die umweltverträgliche Anwendung von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau - RuA-StB. FGSV-Nr. 642, Ausgabe 2023 [27] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Richtlinien für die umweltverträgliche Anwendung von industriellen Nebenprodukten und Recycling-Baustoffen im Straßenbau - RuA- StB. FGSV-Nr. 642, Ausgabe 2001 [28] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Technische Lieferbedingungen für Mineralstoffe im Straßenbau (Gesteinskörnungen und Werksteine im Straßenbau) - TL Min-StB, FGSV-Nr. 613, Ausgabe 2000 <?page no="74"?> 74 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Umweltverträglicher Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßenbau [29] Anforderungen an die Verwendung von aufbereiteten Altbaustoffen (Recycling-Baustoffen) und industriellen Nebenprodukten im Erd- und Straßenbau aus wasserwirtschaftlicher Sicht. Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft - IV A 3 - 953 - 26308 - und des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr - III B 6 - 32 - 15/ 102 vom 30. April 1991, Ministerialblatt NW - Nr. 45 vom 18. Juli 1991. 906 - 919 [30] Anforderungen an den Einsatz von mineralischen Stoffen aus industriellen Prozessen im Straßen- und Erdbau. Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV - 3 - 953-26308 - IV - 8 - 1573-30052 u. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr - VI A 3 - 32-40/ 45 v. 9.10.2001, Ministerialblatt für das Land Nordrhein- Westfalen, Nr. 75 vom 30. November 2001, 1472 - 1491 [31] Anforderungen an den Einsatz von mineralischen Stoffen aus Bautätigkeiten (Recycling-Baustoffe) im Straßen- und Erdbau. Gem. RdErl. d. Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - IV - 3 - 953-26308 - IV - 8 - 1573-30052 u. d. Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr - VI A 3 - 32- 40/ 45 v. 9.10.2001, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr. 76 vom 3. Dezember 2001, 1494 - 1505 [32] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Eckpunktepapier zur Abfallende-Verordnung für bestimmte mineralische Ersatzbaustoffe. Stand 28.12.2023, Bonn [33] Prognos AG: Umfrage zum künftigen Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen (MEB) für acht Verbände und Interessengemeinschaften. Berlin/ Düsseldorf, 2024 [34] Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 22.12.2023 (BGBl. I Nr. 409) [35] Bundes-Bodenschutzgesetz vom 17. März 1998 (BGBl. I S. 502), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 25.02.2021 (BGBl. I S. 306) [36] Europäische Kommission: Buying green! A handbook on green public procurement. 3rd Edition, Brüssel, 2016 [37] Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (2023): Fragen und Antworten zur Ersatzbau-stoffverordnung. Stand 21. September 2023 [38] Deutscher Abbruchverband, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Bundesgemeinschaft Recycling-Baustoffe (Hrsg.): Monitoring Bericht EBV - Auswirkungen der Umsetzung der Ersatzbaustoffverordnung auf die betroffenen Unternehmen. 19.08.2024, Berlin & Köln [39] Fachverband Eisenhüttenschlacken, FEhS - Institut für Baustoff-Forschung (Hrsg.): Auswirkungen der Einführung der ErsatzbaustoffV auf die Unternehmen der Schlackenindustrie (Veröffentlichung in Vorbereitung) <?page no="75"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 75 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau - Von der Aufbereitung bis zum Einbau vor dem Hintergrund gültiger Normen sowie Ausblick & Potentiale Jan Bielefeld, MBA Unternehmensführung Bau Max Wild GmbH, Berkheim Alexander Schäfler, M. Eng. Bauingenieurwesen Max Wild GmbH, Berkheim Zusammenfassung Die Wiederverwertung und Rückgewinnung von Baustoffen und natürlichen Rohstoffen ist nicht nur Forderung unserer Regierung, sondern auch unsere gesellschaftliche Verantwortung im Baubereich. Insbesondere der damit verbundene hohe Bedarf an Rohstoffen nimmt vor diesem Hintergrund eine besondere Rolle ein. Der verantwortungsvolle Umgang mit Rohstoffen stellt mitunter die große Herausforderung im Bauen der Zukunft dar. Die daraus folgende logische Rückgewinnung von Rohstoffen und das Recycling von mineralischen Baureststoffen ist auch im Baubereich verstärkt im Einsatz. Mit fast 60 % ist der Anteil von Böden und Steinen [1] ein signifikanter Anteil der als Abfall in Gruben, Deponien oder Verfüllungen verfüllt wird. Der Kreislaufprozess der Ressourcennutzung kann einerseits von der Seite der Herstellung von Ersatzbaustoffen durch Auf bereitung betrachtet werden. Andererseits ergibt sich die Möglichkeit, den Ressourcenkreislauf unter den Gesichtspunkten des Primärrohstoffbedarfs zu betrachten. Bei der Verwendung von Ersatzbaustoffen ergeben sich neben den umweltrelevanten Fragestellungen auch bautechnische Aspekte, die im praxisgerechten Umgang mit Ersatzbaustoffen zur Substitution von Naturrohstoffen beachtet werden müssen. 1. Einführung Die Initiative Kreislaufwirtschaft Bau, ein Zusammenschluss von verschiedenen Verbänden der deutschen Bau- und Entsorgungswirtschaft, informiert die Bundesregierung regelmäßig über das Aufkommen und den Verbleib mineralischer Bauabfälle in Deutschland. Demnach sind im letzten Berichtsjahr 2020 in Form von Boden und Steine ohne gefährliche Bestandteile (AVV Schlüssel Nr. 17 05 04) 129,2 Mio. to an Abfall entstanden. Davon wurde der überwiegende Anteil von 97,0 Mio. to in übertägige Verfüllungen verbracht (sonstige Verwertung). Lediglich 10,6 % des im Jahr 2020 angefallenen Aushubs wurde in Deutschland durch die Auf bereitung zu Recyclingbaustoffen verwertet (Abbildung 1). Der zweite wesentliche Abfallstrom der mineralischen Bauabfälle ist Bauschutt. Diese Abfallfraktion setzt sich zum Großteil zusammen aus Beton, Ziegel, Fliesen und Keramik. Die Recyclingquote des im Jahr 2020 angefallenen Bauschutts betrug 78,8 %. Der restliche Anteil wurde auf Deponien verbracht (Beseitigung) oder im Rahmen der Verfüllung von Abgrabungen verwertet (sonstige Verwertung) (Abbildung 2). <?page no="76"?> 76 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau Abbildung 1: Anfall und Verbleib mineralischer Bauabfälle - Fraktion Boden und Steine eigene Darstellung nach [1] Abbildung 2: Anfall und Verbleib mineralischer Bauabfälle - Fraktion Bauschutt eigene Darstellung nach [1] Beide genannten Abfallströme machten im Jahr 2020 zusammen 85,8 % - und damit den Großteil der mineralischen Bauabfälle in Deutschland aus. [1] Verfahren zur Steigerung der Recyclingquoten dieser beiden Abfallströme sind deshalb besonders effektiv, die Vorgaben des KrWG in der Baubranche umzusetzen. Im Sinne der darin festgelegten 5-stufigen Abfallhierarchie soll das Recycling gegenüber der Verwertung in Verfüllungen vorgezogen werden. 1 Gerade beim Abfallstrom Boden und Steine besteht also die Notwendigkeit, den Anteil der Verwertung in Verfüllungen (Abfallhierarchiestufe 4) zugunsten einer höheren Recyclingquote (Abfallhierarchiestufe 3) zu verringern. Neben dieser „Vorwärts“ Betrachtungsweise von der Abfallseite her, bei der das Augenmerk auf dem Umgang mit Abfällen liegt, besteht die Möglichkeit, den Kreislaufprozess ebenso „Rückwärts“, von der Seite des Rohstoffbedarfs zu betrachten (Verzicht auf Primärrohstoffe). Dabei rückt durch die Verwendung von Ersatzbaustoffen die Schonung natürlicher Ressourcen in den Vordergrund. Beide Betrachtungsweisen stehen eng in Verbindung zueinander und stellen in Kombination miteinander ein wirkungsvolles Mittel zur Förderung der Kreislaufwirtschaft dar. 2. Herstellung von Ersatzbaustoffen Die Herstellung von Ersatzbaustoffen in Form von rezyklierten Gesteinskörnungen entspricht einer Betrachtungsweise des Ressourcenkreislaufs hinsichtlich des Umgangs mit Abfällen. Insbesondere die beiden Abfall- 1 § 6 Abs. 1 Satz 1, KrWG ströme Boden und Steine, sowie Bauschutt sind mengenmäßig die wichtigsten Abfallströme der Bauwirtschaft, die zu Ersatzbaustoffen verarbeitet - und damit dem Abfallstrom entzogen werden können. Ein wesentliches Kriterium bei der Auf bereitung von Abfällen ist die Feststellung des Endes der Abfalleigenschaften und das Erreichen des Produktstatus. Abfälle sind gemäß KrWG zunächst „[…] Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.“ (§ 3, Abs. 1, KrWG) Verbunden mit der Einstufung als Abfall ergeben sich aus dem Abfallrecht umfangreiche Auflagen und Einschränkungen bezüglich des Transports, der Lagerung und der Behandlung von ausgehobenen Böden und Bauschutt. Eine Verwendung als Baustoff ist deshalb schon rein rechtlich - unabhängig von der technischen Eignung nicht möglich. Aus diesem Grund ergibt sich die Notwendigkeit, das Ende der Abfalleigenschaft herbeizuführen. Voraussetzung dafür ist gemäß § 5 Abs. 1, KrWG, dass der Abfall ein Recyclingverfahren durchlaufen hat und folgende vier Bedingungen erfüllt sind: 1. Es existiert ein üblicher Verwendungszweck 2. Es existiert ein Markt oder eine Nachfrage für den Stoff 3. Es werden alle, für die jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt 4. Die Verwendung führt insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen an Mensch und Umwelt <?page no="77"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 77 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau In den länderspezifischen Verordnungen, in denen bis zur Einführung der ErsatzbaustoffV die Herstellung und die Verwendung von Recyclingbaustoffen auf Länderebene geregelt war, wurde der Produktstatus - und damit das Ende der Abfalleigenschaften der entsprechend auf bereiteten Abfälle explizit attestiert. (z. B. RC-Leitfaden Bayern, „Dihlmann-Erlass“ BaWü) Mit Einführung der bundesweit gültigen ErsatzbaustoffV im August 2023 entfällt solch ein explizites „Attest“ über das Ende der Abfalleigenschaften für entsprechend auf bereitete Abfälle. Zwar kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass unter Einhaltung der ErsatzbaustoffV alle 4 Bedingungen nach § 5 Abs.1, KrWG erfüllt sind [2], jedoch obliegt die Aufgabe, das Abfallende festzustellen allein dem Abfallbesitzer. Er trägt damit auch das unternehmerische Risiko, sollte es für die zuständige Behörde im Einzelfall Anlass dazu geben, das Ende der Abfalleigenschaften anzuzweifeln. 2.1 Aufbereitung von Bauschutt Die Fraktion Bauschutt wird durch die Auf bereitungsverfahren sortieren, zerkleinern und sieben bereits heute zu etwa 80 % zu Ersatzbaustoffen auf bereitet. (vgl. Abbildung 2) Der Auf bereitungsprozess beginnt dabei schon beim selektiven Rückbau von Bauwerken. Neben der grundlegenden Unterscheidung zwischen mineralischen und nicht mineralischen Bestandteilen werden auch die mineralischen Bestandteile noch während des Rückbaus weiter vorsortiert um unerwünschte Baustoffe (z. B. asbesthaltige Baustoffe) auszusortieren. Auch andere Baustoffe (z. B. gipshaltige Bestandteile) werden soweit möglich noch während des Rückbaus separiert, wenn ihr Vorhandensein im späteren Ersatzbaustoff die umweltrelevanten Merkmale (z. B. Sulfatgehalt) negativ beeinflussen. Die ungeeigneten Bestandteile werden in separaten Abfallströmen weitergehend behandelt (z. B. gipshaltige Baustoffe, Altholz) oder -wenn nicht anders möglichentsprechend der letzten Stufe der Abfallhierarchie beseitigt (z. B. asbesthaltige Baustoffe) Der verbleibende Anteil der mineralischen Rückbaumasse, der zur Auf bereitung vorgesehen ist, wird dann einer Auf bereitungsanlage zugeführt. Im Falle der zentralen Auf bereitung in einer stationären Anlage wird das zur Auf bereitung vorgesehene Material unter Einhaltung aller abfallrechtlichen Vorgaben (z. B. zum Transport und Lagerung) zur Auf bereitungsanlage transportiert. Im Falle der dezentralen Auf bereitung mittels mobiler Brech- und Siebanlagen entfällt der Transport des Abfalls. Für die Auf bereitung von Bauschutt sind die weiteren Auf bereitungsverfahren zerkleinern und sieben der Regelfall. Üblicherweise werden zunächst die Feinanteile bis 30 mm abgesiebt (sog. Vorsieb). Dieser Abfallstrom besteht vor allem aus porösen, gipshaltigen Bausoffen, die dementsprechend einen erhöhten Anteil an unerwünschten Sulfatverbindungen aufweisen. Die Restfraktion 30/ X wird anschließend auf die gewünschten Körnungen zerkleinert und ggf. gesiebt, um Ersatzbaustoffe für den Tief- und Straßenbau zu erhalten. 2.2 Aufbereitung von Boden Während Bauschutt bereits heute zu etwa 80 % recycelt, das heißt zu mineralischen Ersatzbaustoffen auf bereitet wird, beträgt die Recyclingquote der Abfallfraktion Boden und Steine nur etwa 10 %. Der hauptsächliche Anteil von ca. 75 % wird nach derzeitigem Stand einem anderen Verwertungsverfahren zugeführt. (vgl. Abbildung 1) Unter den Begriff Verwertung fällt bei dieser Abfallfraktion zum großen Teil die Verfüllung im übertägigen Bergbau. Im Vergleich zur Abfallfraktion Bauschutt ist die Möglichkeit die Fraktion Boden und Steine (z. B. über eine nassmechanische Auf bereitungsanlage) zu Ersatzbaustoffen zu verarbeiten, aufwendiger. Gleichzeitig ist es vielfaches Betreiberkonzept, v.a. von Kiesgruben im süddeutschen Raum nach erfolgtem Abbau natürlicher (Kies-) Ressourcen, die dadurch entstandenen Gruben mit Aushubabfällen wieder zu verfüllen. Zur Unterstützung dieser Vorgehensweise macht beispielsweise der Freistaat Bayern von der Länderöffnungsklausel der seit August 2023 in Kraft getretenen, im Rahmen der Mantel Verordnung novellierten BBodSchV gebrauch. Ganz explizit für die „[…] Verfüllungen von abgebauten Vorkommen heimischer mineralischer Rohstoffe wie z. B. Kies oder Sand […]“ [3] besteht die Möglichkeit von bestimmten Vorgaben der BBodSchV abzuweichen, und stattdessen den bayerischen „Verfüll-Leitfaden“ weiterhin, d. h. seit Novellierung der BBodSchV, bzw. seit bundesweiten Einführung der ErsatzbaustoffV, anzuwenden. Eine Möglichkeit, bautechnisch und vor allem umwelttechnisch zunächst ungeeignete Böden zu hochwertigen Ersatzbaustoffen zu verarbeiten besteht in der nassmechanischen Auf bereitung. Die Firma Max Wild GmbH betreibt am Standort Eichenberg seit mehreren Jahren eine solche Anlage zur Auf bereitung von belasteten Böden und Gleisschotter bis zu einer Einstufung von DK II nicht gefährlich. Hier können stündlich 100 Tonnen Aushubabfälle auf bereitet werden. Abbildung 3: Nassmechanische Auf bereitungsanlage der Max Wild GmbH, Standort Eichenberg; alle Rechte vorhanden <?page no="78"?> 78 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau Aushubmaterialien, die zur Auf bereitung vorgesehen sind, liegen zunächst als Abfälle vor und werden unter Einhaltung aller abfallrechtlichen Bestimmungen zur zentralen Behandlung in der nassmechanischen Anlage transportiert. Vor bzw. während der Zuführung des Materials in die Auf bereitung werden unerwünschte Fremdstoffe bzw. nicht mineralische Bestandteile abgetrennt. Diese setzen sich v.a. aus Metallen, Kunststoffen und Holz zusammen. Die Hauptreinigungsarbeit besteht in der weiteren Abtrennung des mineralischen Feinanteils des Bodenmaterials mithilfe von Wasser. An dieser Fraktion, bestehend aus Partikeln < 0,063mm, haftet in der Regel der Schadstoffanteil belasteter Böden an. Der mithilfe von Wasser aufgeschlossene Feinanteil wird durch Zentrifugieren und über ein Filterverfahren abgeschieden. Der entstandene schluffig-tonige Filterkuchen, in dem der überwiegende Teil der Schadstoffbelastung des auf bereiteten Bodenmaterials konzentriert ist, ist für eine bautechnische Verwendung im offenen Einbau in der Regel ungeeignet und muss -auch wegen der Konzentration der Schadstoffe -entweder entsorgt oder in einem technischen Bauwerk verwertet werden. Je nach Feinkornanteil des aufgegebenen Bodenmaterials kann der Anteil des schadstoffbelasteten Abfallstroms auf diese Weise auf 15 - 25 M.-% reduziert werden. Gleichzeitig schränkt ein steigender Anteil des Feinanteils im aufzubereitenden Material die technische Umsetzbarkeit des Verfahrens ein, sodass nur Ausgangsböden mit einem Feinanteil bis etwa 25 M.-% auf diese Weise auf bereitet werden können. Das gereinigte Prozesswasser wird dem Kreislauf wieder zugeführt. Die gereinigte Grobfraktion ist sowohl umwelttechnisch -durch Entfernen des Schadstoffanteilsals auch bautechnisch -durch Entfernen des Schluff/ Ton Anteilsaufgewertet. Dieser Stoffstrom wird gesiebt und man erhält die auf bereiteten rezyklierten Gesteinskörnungen Sand 0/ 1, Sand 0/ 4, sowie Kies in den Fraktionen 4/ 8, 8/ 16, 16/ 32, 32/ 63 und 63/ 80. Durch Kombination dieser reinen Einzelfraktionen mittels Reihendoseur in genau abgestimmten Mengenverhältnissen lassen sich für jede Bauanwendung speziell abgestimmte Baustoffgemische herstellen. Als Vorteil gegenüber natürlich gewonnener Gesteinskörnungen kann durch diese Vorgehensweise eine unbegrenzte Bandbreite an Baustoffgemischen hergestellt, und die gleichbleibende Qualität über verschiedene Produktionschargen hinweg konstant gehalten werden. Um den bisher zu entsorgenden Abfallstrom der Filterkuchenproduktion zukünftig einer hochwertigeren Verwertung zuzuführen, ist die Firma Max Wild GmbH aktiv an der Entwicklung einer Weiterverwendung dieser Fraktion als Sekundärrohstoff beteiligt. Sowohl die aufwendigere Auf bereitung als auch die vereinfachte und bereits seit Jahrzenten angewandte Praxis der Verwertung in Verfüllungen sind wohl Gründe für die heute noch geringere Recyclingquote der Fraktion Boden und Steine im Vergleich mit der Behandlung des Abfallstroms Bauschutt. 2.3 Güteüberwachung Zur Überwachung und Steuerung der Qualität der hergestellten Baustoffe muss eine Güteüberwachung eingeführt werden. Für mineralische Ersatzbaustoffe ist diese in der ErsatzbaustoffV geregelt. Nur unter Einhaltung dieser Vorschrift ist die Erfüllung der dritten Voraussetzungen zur Feststellung des Endes der Abfalleigenschaften nach § 5 Abs. 1, KrWG möglich. Zunächst findet die Annahmekontrolle des aufzubereitenden Abfalls statt (§ 3, ErsatzbaustoffV). Diese dient der Rückverfolgbarkeit, Dokumentation und Kontrolle des angelieferten Materials. Die Güteüberwachung in der Herstellung mineralischer Ersatzbaustoffe setzt sich aus drei Teilen zusammen: (§ 4 Abs.1, ErsatzbaustoffV) 1. Eignungsnachweis (EgN) 2. Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) 3. Fremdüberwachung (FÜ) Beim Eignungsnachweis handelt es sich um die Feststellung der grundlegenden Eignung des Auf bereitungsverfahrens zur Herstellung eines bestimmten Ersatzbaustoffes. Bei stationären Anlagen muss dieser Nachweis einmalig bei Erstinbetriebnahme erbracht werden, bei mobilen Anlagen muss die Eignung bei jedem Standortwechsel, oder bei einem Wechsel der Baumaßnahme nachgewiesen werden. Die Werkseigene Produktionskontrolle umfasst die regelmäßige Kontrolle der Baustoffproduktion. Als Kriterium zur umweltrelevanten Einstufung eines Ersatzbaustoffes muss der in der ErsatzbaustoffV geforderte Parameterumfang für umweltrelevante Schadstoffe im Rahmen der WPK untersucht und bewertet werden. Wie auch schon in den länderrechtlichen Vorgängerregelungen werden die verschiedenen Ersatzbaustoffe anhand dieses Untersuchungsumfanges entsprechenden Materialklassen zugeordnet. Die Fremdüberwachung beinhaltet ebenfalls eine umwelttechnische Probenahme, sowie eine grundlegende Bewertung zur Betriebsbeurteilung und der durchgeführten WPK. Der EgN und die FÜ sind von einer unabhängigen, nach § 13a, ErsatzbaustoffV anerkannten Güteüberwachungsgemeinschaft durchzuführen. Neben den in der ErsatzbaustoffV genannten Anforderungen, die sich auf die umwelttechnische Beurteilung der Baustoffe beschränken, besteht die Möglichkeit, bzw. Notwendigkeit mineralische Ersatzbaustoffe auch auf bautechnischer Ebene zu zertifizieren: Als wichtigste Regelwerke im Tief- und Straßenbau gelten hier die Technischen Lieferbedingungen für Baustoffgemische zur Herstellung von Schichten ohne Bindemittel im Straßenbau (TL-SoB-StB) und die Technischen Lieferbedingungen für Böden und Baustoffe im Erdbau des Straßenbaus (TL-BuB E-StB). Anforderungen an bautechnisch relevante Eigenschaften wie beispielsweise Kornverteilung, Frostsicherheit und stoffliche Zusammensetzung werden hier für verschiedene Baustoffgemische mit verschiedenen Anwendungsbereichen defi- <?page no="79"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 79 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau niert. Auch die konkrete Ausführung der entsprechenden Güteüberwachung wird hier festgelegt. Im Gegensatz zur Güteüberwachung nach ErsatzbaustoffV gelten die Anforderungen nach den TL-SoB-StB und TL-BuB E-StB gleichermaßen für rezyklierte und auch für natürlich gewonnene Gesteinskörnungen. Die entsprechend hergestellten Ersatzbaustoffe sind folglich in bautechnischer Hinsicht mit Primärrohstoffen gleichzustellen. Im Fall der nassmechanischen Auf bereitung sind die Baustoffe nicht einmal mehr augenscheinlich von Naturrohstoffen zu unterscheiden. Für die Verwendung als Zuschlagstoffe gelten für die bautechnische Zertifizierung eine Reihe von harmonisierten Normen. Als Beispiel seien die Normen DIN EN 12620 - Gesteinskörnungen für Beton und DIN EN 13043 - Gesteinskörnungen für Asphalt und Oberflächenbehandlungen für Straßen, Flugplätze und andere Verkehrsflächen genannt. Bei beiden Regelwerken handelt es sich um harmonisierte Normen im Sinne der EU-BauPVO. Für den Verkauf von Zuschlagstoffen zur Herstellung von Beton nach DIN EN 206-1, bzw. DIN 1045-2 sind diese Regelungen -und die damit verbundenen Güteüberwachungenzwingend einzuhalten. Auf diese Weise überwachte Zuschlagstoffe gelten damit als Bauprodukte im Sinne der EU-BauPVO und erhalten die CE-Kennzeichnung. Das Ende der Abfalleigenschaften ist damit eindeutig festzustellen. 3. Verwendung von Ersatzbaustoffen im Straßen- und Tiefbau Die Verwendung von Ersatzbaustoffen und die damit verbundene Substitution natürlicher Ressourcen entspricht einem Ansatz des Kreislaufwirtschaftsgedankens im Sinne der Schonung natürlicher Ressourcen. Den größten Bedarf an Kies und Sand in Deutschland stellt der Tief- und Straßenbau dar. Im Jahr 2020 lag der Bedarf dieser Ressourcen allein für den Bau von Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen und Kreisstraßen bei etwa 7 Mio. Tonnen. Für den Radwegeneubau wurden im selben Jahr weitere 7 Mio. Tonnen Kies und Sand verbraucht. Der Straßen- und Tief bau ist mit einem Anteil von etwa 40 % der größte Abnehmer von Kies und Sand in Deutschland. Zweitgrößter Abnehmer mit einem Anteil von etwa 30 % des bundesweiten Bedarfs ist der Transportbetonbereich. [4] Demgegenüber steht die Förderung von Sand und Kies aus natürlichen Lagerstätten im Jahr 2020 von etwa 323 Mio. Tonnen, von denen etwa 290 Mio. Tonnen verwertbar waren. Im Jahr 2021 ist die Rohförderung auf etwa 309 Mio. Tonnen und die Produktion verwertbarer Sande und Kiese auf 277 Mio. Tonnen gesunken. [4] Mittelfristig wird die Förderung von Naturkies und -Sand in einigen Regionen nicht zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Gleichzeitig steigt der Flächendruck durch konkurrierende Nutzungsansprüche von Schutzgebieten, Infrastrukturanlagen, Wohnbebauungen und Gewerbegebieten. In einigen Bundesländern werden dadurch weit über 70 % der natürlichen Lagerstätten von der Nutzung zur Kies- und Sandgewinnung ausgeschlossen. [4] Allein dadurch ergibt sich schon die Notwendigkeit, die Verwendung von Ersatzbaustoffen weiter auszubauen und zu fördern. Mit Einführung der ErsatzbaustoffV ist nicht nur die Herstellung, sondern auch die Verwendung dieser Sekundärrohstoffe geregelt. Abhängig von der umweltrelevanten Einstufung in entsprechende Materialklassen wird die Zulässigkeit verschiedener Einbauweisen unter Berücksichtigung der hydrogeologischen Situation bewertet. Unter Einhaltung dieser genau festgelegten Einbauvorschriften wird die grundlegende Forderung zur Verhütung von Schäden an Mensch und Umwelt eingehalten. Auch das letzte Merkmal zur Feststellung des Endes der Abfalleigenschaften ist damit erfüllt. In bautechnischer Hinsicht spielt die Herkunft der Baustoffe des Tief- und Straßenbaus keine Rolle. Die Eignung wird durch die technischen Regelwerke TL-SoB-StB und TL-BuB E-Stb gleichermaßen für Primärrohstoffe und Sekundärrohstoffe (Ersatzbaustoffe) festgestellt. Eine Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten in den technischen Regelwerken zur Bauausführung, beispielsweise der ZTV E-StB liegt nicht vor, sofern die umwelttechnische Zulässigkeit im Rahmen der ErsatzbaustoffV sichergestellt ist. Ersatzbaustoffe sind deshalb -sofern Sie die technischen Anforderungen erfüllenals gleichwertig zu den Naturrohstoffen anzusehen. Im Gegensatz dazu kommt für die Verwendung als Beton- oder Asphaltzuschlagstoffen -auch bei bester technischer Eignungnach derzeitigem Stand nur ein beschränkter Anteil an RC-Baustoffen in Frage. So ist bei der Betonherstellung der Anteil der Zuschlagstoffe aus RC-Materialien auf 20 - 45 Vol.-% beschränkt. Die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen < 2 mm ist hingegen gar nicht zulässig. Die Forschungsvorhaben, die den entsprechenden Regelwerken für sogenannten R-Beton zugrunde liegen, stammen aus den 1990er Jahren. Hinsichtlich der beachtlichen Weiterentwicklungen der Rückbau- und Auf bereitungsverfahren in den letzten 35 Jahren wäre eine Bearbeitung der entsprechenden Regelwerke notwendig. [5] Zur Substitution größerer Anteile von Zuschlagstoffen, bis hin zum gesamten Verzicht auf natürliche Gesteinskörnungen wird in Deutschland bereits geforscht. Erfahrungen aus der Schweizer Baupraxis zeigen, dass die Steigerung des recycelten Anteils in Zuschlagstoffen praxistauglich - auch über 45 Vol.-% hinaus gesteigert werden kann. [5] <?page no="80"?> 80 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wiedergewonnene Gesteinskörnungen im Straßenbau Literaturverzeichnis [1] Kreislaufwirtschaft Bau (2023): Mineralische Bauabfälle Monitoring 2020 - Bericht zum Aufkommen und Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2020. [2] Bayerisches Landesamt für Umwelt LfU (2024): FAQs zur Ersatzbaustoffverordnung. LfU, 21.11.2024 [3] Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (2023): Anforderungen an die Verfüllung von Gruben und Brüchen sowie Tagebauen (Verfüll-Leitfaden) In der Fassung vom 15.07.2021 [4] Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2022): Sand und Kies in Deutschland Band I: Grundlagen [5] Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (2017): Leitfaden zum Einsatz von R-Beton Verordnungen und Gesetze Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) Verordnung über Anforderungen an den Einbau von mineralischen Ersatzbaustoffen in technische Bauwerke (Ersatzbaustoffverordnung - ErsatzbaustoffV) Leitfaden zu Anforderungen an die Verwertung von Recycling-Baustoffen in technischen Bauwerken (RC-Leitfaden) Vorläufige Hinweise zum Einsatz von Baustoffrecyclingmaterial („Dihlmann-Erlass“) Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) Leitfaden für die Verfüllung von Gruben, Brüchen und Tagebauen („Verfüll-Leitfaden“) Verordnung (EU) Nr. 305/ 2011 der Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Auf hebung der Richtlinie 89/ 106/ EWG des Rates (EU-BauPVO) Normen und technische Regelwerke Technischen Lieferbedingungen für Baustoffgemische zur Herstellung von Schichten ohne Bindemittel im Straßenbau (TL-SoB-StB) Technischen Lieferbedingungen für Böden und Baustoffe im Erdbau des Straßenbaus (TL-BuB E-StB) DIN EN 12620: 2017-07 Gesteinskörnungen für Beton DIN EN 13043: 2002-12 Gesteinskörnungen für Asphalt und Oberflächenbehandlungen für Straßen, Flugplätze und andere Verkehrsflächen <?page no="81"?> Zustandserfassung <?page no="83"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 83 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI - Erfassung, Analyse und Prognose von Straßenzuständen unter Berücksichtigung externer Einflussfaktoren Die Kommune als Entwicklungspartner Winona Grimsehl-Schmitz Stadt Herne, Fachbereich Tiefbau und Verkehr Zusammenfassung Der Zustand der kommunalen Straßeninfrastruktur wirkt sich auf jede*n Bürger*in aus, unabhängig davon, ob mit dem Fahrrad, PKW, zu Fuß, mit einem Rollstuhl oder im Rahmen eines Gewerbes am Verkehr teilgenommen wird. Auch wer zuhause bleibt: durch den Alterungsprozess und den wesentlichen Anteil der baulichen Anlagen am kommunalen Vermögen betrifft die Straßeninstandhaltung alle Mitglieder einer Gemeinde und insbesondere die Stadtverwaltungen. Hinzu kommen multidimensionale Aufgaben wie Klima- und Ressourcenschutz und Klimaanpassung, steigende Verkehrsbelastung und soziale Faktoren z. B. der demografische Wandel und Fachkräftemangel in den Behörden. Durch das Training geeigneter KI können große und komplexe Daten ausgewertet und Entscheidungsgrundlagen für diese multidimensionalen Aufgabenfelder geschaffen werden. Seit 2023 ist die Stadt Herne Teil der Innovationspartnerschaft „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz unter Berücksichtigung externer Parameter“, die auf KI-prozessierten Daten basiert. Dabei wird die Forschung und langjährige Kompetenz in der Bauinformatik und Straßenerhaltung der EDGITAL GmbH durch die praktischen Einblicke und Anforderungen der kommunalen Straßenerhaltung ergänzt. Vorgestellt werden die Erfahrungen des kommunalen Praxispartners. Abb. 1: Projektlogo Innovationspartnerschaft „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz unter Berücksichtigung externer Parameter“, S.-Dogan, EDGITAL GmbH <?page no="84"?> 84 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI 1. Hintergrund der Innovationspartnerschaft Der Beitrag beschreibt das Verfahren der Innovationspartnerschaft, den Entwicklungsprozess, sowie Aspekte der Ganzheitlichkeit der Straßeninstandhaltung aus Sicht des kommunalen Auftraggebers. Im Tagungsband des 2. Kolloquiums Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur wurde das Projekt im Beitrag BIM und Künstliche Intelligenz für den kommunalen Straßen- und Ingenieurbau bereits vorgestellt. Aus diesem Beitrag entnommene Passagen sind kursiv markiert und im Quellenverzeichnis ausgewiesen. Aktuell befindet sich das Projekt in der Entwicklungsphase. Zum Schutz des geistigen Eigentums des Projektpartners wird der Fokus auf die Vergabe und die Arbeitsmethoden in der Entwicklungsphase gelegt, während ganzheitliche Aspekte anhand allgemeiner kommunaler Anforderungen beschrieben werden. Im Jahr 2023, dem Anfangsjahr der Herner Innovationspartnerschaft, wurde eine Studie veröffentlicht, die den Investitionsbedarf in die bauliche Infrastruktur der Kommunen sichtbar macht. Für den Erhalt und teilweise den Ausbau von Brücken, Straßen, Wegen und Schienen müssten bis 2030 370 Milliarden Euro investiert werden. [1] Zum Vergleich: 370 Milliarden sind zwischen 8 und 10 % des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der letzten Jahre der Bundesrepublik Deutschland. Die, durch das Deutsche Institut für Urbanistik im Auftrag des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und des ADAC erstellte, Studie nennt allein 283 Milliarden Euro als notwendige Investition in die Straßeninfrastruktur. In der Vergangenheit wurden in den Kämmereien der deutschen Kommunen nach dem Prinzip der Kameralistik hauptsächlich getätigte Investitionen verbucht. Seit der Einführung der Doppik werden Anlagevermögen und Investitionen genauer über die Nutzungsdauer unter Zuordnung zum einzelnen Vermögensgegenstand abgeschrieben. Der Vermögensverlust durch den Zustand der baulichen Anlagen der Städte und Kreise wird dadurch besonders deutlich. [2] Für eine ressourceneffiziente Sanierungsplanung der Straßeninfrastruktur wünschen sich viele Kommunen eine transparente und vergleichbare Erfassung des Straßenzustands und die Berücksichtigung externer Einflüsse auf die Infrastruktur und auf die Prognose des Straßenzustands. Der Verkehrsverband Westfalen e. V. hat bereits 2017 in einer Studie u. a. auf die Notwendigkeit der „Einführung einer sachgerechten Zustandserfassung der Verkehrsinfrastruktur in den Kommunen unter Zugrundelegung landesweiter Qualitätsstandards und der Steigerung der Transparenz hinsichtlich der Zustände und der aufgewendeten Mittel“ hingewiesen [3]. Auch die Stadt Herne gehörte zu damaligen Untersuchungsgebiet. Eine Marktrecherche ergab 2019, dass keine Lösung, die die in der Studie aufgestellten Forderungen erfüllt, am Markt vorliegt. Gemeinsam mit dem Verkehrsverband Westfalen e. V. und sechs bezugsberechtigten Kommunen, hat die Stadt Herne daher die Innovationspartnerschaft „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz unter Berücksichtigung externer Parameter“ ausgeschrieben. Entwicklungspartner ist die HOCHTIEF-Tochter EDGITAL GmbH. Die Innovationspartnerschaft erarbeitet in der Entwicklungsphase eine Hard- und Softwarelösung für die drei Leistungsbereiche Zustandserfassung und -bewertung von Fahrbahnen und Nebenflächen, Zustandsprognose unter Berücksichtigung externer Faktoren und Lebenszyklusbewertung. Unter der Lebenszyklusbewertung wird insbesondere die Identifikation von Erhaltungsmaßnahmen zum wirksamsten Zeitpunkt und die langfristige und bedarfsorientierte Planung des Straßen- und Wegekonzeptes verstanden. Das visuelle Zustandserfassungssystem orientiert sich an den Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen (E-EMI 2012). Abb. 2: Projektplan, W. Grimsehl-Schmitz, Stadt Herne, Vorlage PoweredTemplate Da die gesellschaftliche Anerkennung für den Wert funktionsfähiger Verkehrswege in den letzten Jahren gestiegen ist und der höchste Nachholbedarf nach wie vor im kommunalen Straßennetz besteht, konnte das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW als Zuwendungsgeber des Projektes „Forschung und Entwicklung eines innovativen Verfahrens zur Simulation von Handlungsempfehlungen auf Basis der Straßensubstanz unter Berücksichtigung externer Parameter“ gewonnen werden. [4] 2. Entwicklungspartnerschaft zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand Innovationspartnerschaften wurde bislang nur selten ausgeschrieben. In dem komplexen Verfahren wurde die Stadt Herne durch eine auf Vergaberecht spezialisierte Rechtsberatung begleitet. In das Verfahren wurden Kolleg: innen der Vermessung, Digitalisierung und Straßenunterhaltung einbezogen. Das Vorgehen war aufwendig, doch die lange Verfahrensdauer gab Gelegenheit, die möglichen Partner für die Zusammenarbeit gründlich kennenzulernen. Die gemeinsame Projektvision ist von besonderer Bedeutung, da für einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren zusammengearbeitet wird. [4] 2.1 Vergabeverfahren Innovationspartnerschaft Die Innovationspartnerschaft ist ein vergleichsweise neues Ausschreibungsverfahren zur Vergabe von Dienstleistungen oder Produkten, die besonders innovativ, d. h. ohne Entsprechung am Markt sind. Besonderes Kennzeichen ist, dass eine öffentliche Einrichtung eine Entwicklungspartnerschaft mit einem (oder mehreren) Unternehmen eingeht. Das innovative Produkt wird gemeinsam <?page no="85"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 85 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI entwickelt. Das Verfahren liegt oberhalb der Schwellenwerte der Europäischen Union (EU). [5] Die Innovationspartnerschaft wurde 2016 in Deutschland auf der Basis der Richtlinie 2014/ 24/ EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Auf hebung der Richtlinie 2004/ 18/ EG eingeführt. [6] National ist die Innovationspartnerschaft in §19 der-Vergabeverordnung-und in §18 der-Sektorenverordnung-geregelt. [7] Das Ausschreibungsverfahren kommt aktuell noch selten zur Anwendung. Zwischen 2016 und 2021, stellte die Europäische Kommission in einer Studie fest, wurden 125 Innovationspartnerschaften in der EU ausgeschrieben. Im Jahr 2019 stieg die Zahl der Innovationspartnerschaften auf einen Höchstwert von 35. Im Vergleich dazu wurden 2021 lediglich 15 ausgeschrieben. [8] Die Ausschreibung der Innovationspartnerschaft durch die Stadt Herne fiel in die Covid-19-Jahre und konnte trotzdem erfolgreich durchgeführt werden. Die damals etablierten digitalen Kommunikationsmethoden, zunächst eine Notwendigkeit, sind nun fester Bestandteil der Innovationspartnerschaft und des kommunalen Arbeitsalltags. Die Ausschreibungsunterlagen setzten sich aus folgenden Dokumenten zusammen: Bewerbungsbedingungen, Leistungsbeschreibung, Organigramm der Stadt Herne, Phasenplan Innovationspartnerschaft, Unternehmerbogen, Nachunternehmererklärung, Kriterienkatalog, Preisblatt, Entwurf Innovationspartnerschafts- und Entwicklungsvertrag, Formblatt Verhandlungsbedarf und einer Sammlung von beispielhaften User Stories. Nach der Veröffentlichung der Vergabe und dem Eingang der Angebote, folgte ein Teilnahmewettbewerb und die Prüfung der Eignung der Unternehmen. Daran schloss der Angebotswettbewerb mit den verbliebenen Unternehmen und bzw. Bietergemeinschaften an. Bis zu diesem Schritt unterscheidet sich die Innovationspartnerschaft nur wenig von einem Verhandlungsverfahren, das ebenfalls bei der Beschaffung von individuellen Lösungen zum Einsatz kommen kann. In den Verhandlungen mit den Bietern steht bei der Innovationspartnerschaft die geplante gemeinsame Zusammenarbeit im Fokus, denn es gibt zwei Phasen. Die Zeit der kooperativen Zusammenarbeit, die Entwicklungsphase und eine anschließende Leistungsphase. In der Leistungsphase kann die gemeinsame Entwicklung durch den Auftraggeber beschafft werden. Der Auftraggeber ist nicht verpflichtet, das Produkt zu erwerben. Bei der Innovationspartnerschaft bringen beide Partner Ressourcen in das Projekt ein, das Risiko zum Gelingen einer Entwicklung liegt daher nicht nur beim Auftraggeber. Zusammen mit komplexen Abstimmungen zum Schutz geistigen Eigentums und Rechten an Daten sind die Verhandlungen im Rahmen einer Innovationspartnerschaft nicht optional und aufwendig. Eine Übersicht über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen einem Verhandlungsverfahren und der Innovationspartnerschaft beschreibt R. Ortner für den Vergabeblog (Tabelle 1). [9] Tab. 1: Verhandlungsverfahren und Innovationspartnerschaft (nach R. Ortner, Vergabeblog 2018) Verhandlungsverfahren Innovationspartnerschaft Teilnahmewettbewerb - Prüfung der Eignung der Bieter(-gemeinschaften) Angebotswettbewerb - Prüfung der Konzepte, der Projektvision und des Preis-Leistungs-Verhältnisses Verhandlungen optional Verhandlungen obligatorisch Vertrag kann stets nur mit einem Unternehmen geschlossen werden Vertrag kann mit mehreren Unternehmen geschlossen werden Dienstleistung oder Produkt existiert i. d. R. bereits Zusammenarbeit zwischen öffentlichem Auftraggeber und Unternehmen in der Entwicklungsphase Nach Vertragsabschluss und ist der Abkauf der Leistung verpflichtend Die Leistungsphase ist getrennt von der Entwicklungsphase, d. h. Abkauf der entwickelten Leistung nur, wenn das festgelegte Leistungsniveau und die Kostenobergrenze eingehalten werden 2.2 Bezugsberechtigte Kommunen In der Stadt Herne lebten im Oktober 2024 162.393 Einwohner [10]. Herne grenzt an Recklinghausen, Herten, Castrop-Rauxel, Bochum und Gelsenkirchen. Herne gehört zu den am dichtesten besiedelten Gebieten in Deutschland [11], und der geografische Mittelpunkt des Ruhrgebietes wird hier verortet. Durch das Herner Stadtgebiet führen die Autobahnen A42 und A43. Mehrere Logistikzentren sind in der Stadt ansässig. Diese und weitere Rahmenbedingungen wirken sich auf die Verkehrswege in Herne aus. Die Geschichte des Kohleabbaus im Ruhrgebiet spiegelt sich beispielsweise in Form überasphaltierter Zechenstraßen wider. Wirtschaftswege oder wassergebundene Decken kommen dagegen im Stadtgebiet selten vor. In der Vorbereitung der Ausschreibung der Innovationspartnerschaft wurden weitere kommunale Partner gesucht, um die spezifischen Anforderungen aus Herne zu ergänzen und die zu entwickelnde Lösung einem breiten kommunalen Anwenderkreis anzupassen. Daher sind sechs bezugsberechtigte Kommunen in der Entwicklungsphase beteiligt. Die bezugsberechtigten Kommunen im Projekt, versehen mit der Einwohnerzahl nach Zensus 2011, sind: Dortmund (595.471), Münster (322.904), Paderborn (155.749), Castrop-Rauxel (74.370), Bergkamen (49.475 Einwohner), Datteln (35.200) [11]. In Bergkamen wurden ebenfalls bereits einige Straßen mit dem entwickelten Kamera-Hardware-System befahren und ausgewertet. In Münster ist für das kommende Jahr die Befahrung der Nebenflächen im Gespräch. Die Stadt Dortmund arbeitet außerdem in dem separaten, aber verwandten <?page no="86"?> 86 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI Projekt Smart City Ecosystem (SCitE). mit der Fachhochschule Dortmund und der EDGITAL GmbH an einer Lösung zur Überwachung von Aufgrabungen. Die bezugsberechtigten Kommunen haben nicht nur den Gewinn, dass sie die Entwicklungsphase begleiten können, sondern sie haben auch die Möglichkeit Module oder die Gesamtlösung in der Leistungsphase ohne eigene Ausschreibung zu beziehen. Seit diesem Jahr ergänzt außerdem der projektbegleitende Expertenkreis das Projekt um Perspektiven der Wissenschaft und der Aufsichtsbehörden. 2.3 Scrum-Methode Im Entwicklungsvertrag wurde die Scrum-Methode für die gemeinsame Arbeitsphase vorgesehen. Scrum versteht sich als agiles Entwicklungsverfahren. Besonders gut zum Konzept der Innovationspartnerschaft passt dabei, dass in kurzen Entwicklungszeiträumen entwickelte einzelne Lösungsmodule abgenommen werden. Jeder Entwicklungszeitraum, Sprint, wird vorher durch die Partner geplant. Im Sprint Planning werden die User Stories, die Entwicklungsideen, für den kommenden Sprint ausgesucht und der Zeitaufwand für die Softwareentwickler wird geschätzt. User Stories, die nicht im aktuellen Sprint bearbeitet werden, kommen in das sogenannte Backlog. Neben den Entwicklern gibt es die Rolle des Scrum Masters, der für die Einhaltung des Scrum Frameworks, z. B. die Terminplanung und Meetingstruktur verantwortlich ist. Der Product Owner konzentriert sich auf die Entwicklungsqualität und die Eignung der Weiterentwicklungen (sog. Inkremente) für die angestrebte Lösung. In der Innovationspartnerschaft zur Straßenerhaltung ist die Stadt Herne in der Rolle des Product Owners. Wie alle Beteiligten des Scrum-Prozesses beschreibt der Product Owner die Entwicklungsanforderungen in der spezifischen Struktur der User Story: „Als Sachbearbeiter: in möchte ich die erfassten Daten aus der Software in gängige Formate exportieren können, um diese in eine Straßendatenbank/ QGIS importieren zu können oder in gängigen Office-Programmen aufarbeiten zu können.“ In der gemeinsamen Entwicklungsumgebung wird die User Story dann um eine Beschreibung und Abnahmekriterien ergänzt. Durch den Product Owner werden die inhaltlichen Vorgaben für die Entwicklung definiert, dazu werden die sogenannten Anforderungen der Stakeholder z. B. zukünftige Softwarenutzer: innen, die bezugsberechtigten Kommunen und Perspektiven aus dem Expertenkreis berücksichtigt. Das Entwicklerteam übersetzt diese Vorgaben in Programmierung. Die Abstimmung zwischen Entwicklerteam und Product Owner ist essenziell für den Projekterfolg. Im Backlog Refinement wird daher sichergestellt, dass die Vorgaben des Product Owners richtig erfasst und für das Entwicklerteam konsistent und verständlich beschrieben wurden. Die User Storys werden in den täglichen Dailys des Entwicklerteams in kleineren Arbeitsaufträge an die Mitglieder des Entwicklungsteams verteilt. Am Ende des Sprints, im Herner Projekt i. d. R. nach vier Wochen, werden die fertigen User Storys im Sprint Review durch den Product Owner abgenommen. Im Sprint Retrospective wird über die gemeinsame Zusammenarbeit während des letzten Sprints reflektiert. Der Ablauf einer Produktentwicklung nach Scrum ist in Abbildung 3 dargestellt. Abb. 3: Ablaufschema Scrum nach Bild, Vorlage PoweredTemplate.com [12] <?page no="87"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 87 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI Das agile Entwicklungsverfahren unterscheidet sich von vielen herkömmlichen Verwaltungsprozessen, an deren Anfang häufig eine intensive Phase der Lastenhefterstellung steht (Wasserfallmethodik). In Vorbereitung auf das Projekt haben Mitarbeiterinnen der Stadt Herne daher Schulungen im Bereich der agilen Entwicklung belegt und dann gemeinsam mit dem Projektpartner einen gemeinsamen Workflow etabliert. Es hat sich gezeigt, dass die Scrum-Methode bei der Entwicklung der Hard- und Softwarelösung im Rahmen der Innovationspartnerschaft besonders gut geeignet ist, Transparenz und Klarheit hinsichtlich der Anforderungen zu schaffen. sehr gut geeignet ist. Der Auftraggeber verfeinert in der Rolle des Product Owners kontinuierlich die inhaltlichen Anforderungen und kann durch die kurzen Sprints immer wieder kurzfristig auf die Weichenstellung im Projekt Einfluss nehmen. Softwareentwickler und Praxispartner betrachten die Entwicklungsschritte aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Softwareentwicklung konzentriert sich z. B. auf das Back End, die Datenbankstruktur und die Programmierung des Front Ends, während die Betreiberseite konkrete Anwendungsfälle aus der Straßenerhaltung und Nutzerperspektive beschreibt. Scrum betont die Zusammenarbeit im Team. Das ist entscheidend für die Innovationspartnerschaft um unterschiedliche Kompetenzen und Perspektiven zusammenzubringen. Nicht zuletzt wird durch die regelmäßigen Reviews und Retrospectives die Qualität und Praxisfähigkeit der gemeinsam entwickelten Lösung kontrolliert und gewährleistet. Es wurde ein cloudbasierter Data Hub entwickelt, der die erfassten Bilder der Fahrbahnen und Nebenflächen darstellt, sowie die, qualitätsgesichert durch KI ermittelten, Schadensflächen und Zustandsnoten nach E-EMI angibt. Der Zustand zu verschiedenen Zeitpunkten kann verglichen werden. Folgend wird die Datenerfassung im Herner Stadtgebiet beschrieben. 3. Ganzheitliche Straßeninstandhaltung - Berücksichtigung kommunaler Anforderungen In Herne befahren aktuell vier Fahrzeuge das Stadtgebiet. Drei Fahrzeuge der Wertstoffrecycling eh GmbH, einem Tochterunternehmen der Entsorgung Herne, wurden mit dem Kamera-Hardwaresystem ausgestattet. Diese Fahrzeuge befahren fast alle Straßen in Herne, um die gelben Tonnen zu leeren. Innerhalb von rund drei Wochen können für den Großteil des Straßennetzes (ca. 350km) Daten generiert werden. Für schmale Straßen oder andere Straßen, die nicht von der Entsorgung angefahren werden (können), ist ein Elektrofahrzeug im Einsatz. Das System ist vollständig automatisiert. Die Mitarbeiter der Entsorgung fahren wie gewohnt ihre Touren, während die Datenerhebung parallel erfolgt. Alle 10 Meter wird ein Foto aufgenommen, sobald die entsprechenden Randbedingungen von Helligkeit und Wetter mit den festgelegten Parametern übereinstimmen. Außerdem wird auf redundante Aufnahmen geprüft. Anforderungen Beteiligungsverfahren und Datenschutz Bildaufnahmen im öffentlichen Raum erfordern eine sorgfältige Vorbereitung. Die Stadtgemeinschaft hat ein großes Interesse an den Aktivitäten der Stadtverwaltung und Bürger: innen, Presse und Politik achten genau auf die Einhaltung von Datenschutzstandards und schätzen transparente Projektkommunikation. Die Stadt Herne hat gute Erfahrungen mit dem frühzeitigen Einbezug von internen und externen Datenschutzbeauftragten gesammelt. Gemeinsam wurde eine Datenschutzfolgenabschätzung erstellt, die alle Auflagen der beteiligten Datenschutzexpert: innen erfüllt. Auf allen Bildaufnahmen werden die Umrisse von Personen und Fahrzeugen, sowie alle Fahrzeugkennzeichen, bereits während der Befahrung anonymisiert. Außerdem werden die Bürger: innen durch ein Schild am Fahrzeug auf die Kamerabefahrung aufmerksam gemacht. Die Herner Öffentlichkeit wurde über Informationen auf der Internetseite und Presseberichte über das Vorhaben informiert. [13] Die persönlichen Daten der Fahrer: innen der Entsorgungsfahrzeuge sind ebenfalls im Datenschutzkonzept berücksichtigt worden. So wurde beispielsweise bei den Bildaufnahmen der gespeicherte Zeitstempel auf das Datum und die Stunde gekürzt. Zusätzlich sind die zeitlichen Befahrungsdaten niemals im gleichen System gespeichert bzw. liegen nicht dem Personenkreis vor, der über Daten zur Kolonnenbesetzung verfügt, sodass keine Arbeitszeitüberwachung einzelner Mitarbeitenden erfolgen kann. Die Vorbereitung der Ausschreibung, die Weiterbildung zu agiler Entwicklung und Abstimmungen zum Datenschutz sind exemplarisch für die zeitlichen und personellen Ressourcen, die die Stadt Herne in das Projekt gibt. Die gelungene Kooperation mit kommunalen Partnern, wie der Entsorgung Herne, und der proaktive und sensible Umgang mit Herausforderungen des Datenschutzes zeigen der Stadtgemeinschaft die erfolgreiche Effizienzsteigerung durch Synergienfindung. Es zeigt sich auch die Leistungsfähigkeit der Stadtverwaltung und erhöht somit die Akzeptanz für ressourcenintensive Innovationsprojekte. Deshalb ist diese ganzheitliche Projektbetrachtung für Kommunen von besonderer Bedeutung. 3.1 Ganzheitlichkeit in der Erfassung Der Großteil der kommunalen Fahrbahnen ist in Asphaltbauweise hergestellt. Neben den Fahrbahnen sind die Kommunen für den Bau und die Unterhaltung der Nebenflächen, darunter Geh- und Radwege, Park- und Grünflächen, sowie Verkehrsflächen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zuständig. Hinzu kommen insbesondere bei ländlichen Kommunen Wirtschafts- und Forstwege. Zu Flächen aus Asphalt kommen folglich u. a. Flächen in Pflaster- oder Plattenbauweise, Betonflächen und wassergebundene Decken. Aufgrund der vielfältigen Bauarten, Belastungen und Einflüsse auf kommunale Straßen, gibt es verschiedene Schadensbilder. I. d. R. wird die Systematik der E-EMI verwendet. In der KI-unterstützten Zustandserfassung erkennt <?page no="88"?> 88 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI eine vorgeschaltete KI zunächst den Belag (z. B. Asphalt oder Pflaster) bevor eine speziell trainierte KI für Asphalt- oder Pflasterschäden die aufgenommenen Bilder auswertet. Aus der Zustandsbewertung wird ein Vermögenswert für Fahrbahnen und Nebenflächen abgeleitet. In Herne wird für einen Straßenabschnitt ein Anlagenwert gebildet, der Fahrbahn und Detaileinrichtungsflächen (z. B. Gehwege oder Busbuchten) beinhaltet. Die Informationen zu dem Zustand und dem Anlagenwert eines Straßenabschnitts sind üblicherweise mit dem Knoten-Kanten-Modell (KKM) des Straßennetzes einer Kommune verknüpft. Da die steigenden Automobilzahlen die Städte zunehmend vor Probleme stellt [14], werden Verkehrsflächen für den Fuß- und Radverkehr, sowie für den ÖPNV für die innerstädtische Mobilität zunehmend als wichtig erkannt. Das Interesse der Bürgerschaft und Politik an dem Zustand der Nebenflächen wächst. In der Innovationspartnerschaft der EDGITAL GmbH und der Stadt Herne wird deshalb eine App-basierte Erfassungsmethodik für die Zustandserfassung der Nebenflächen entwickelt. Dazu wurde aus dem KKM der Fahrbahnen ein KKM für die straßenbegleitenden Nebenflächen generiert. 3.2 Ganzheitlichkeit in der informationstechnischen Darstellung Das KKM des Herner Netzes basiert ursprünglich auf dem Modell der Herner Feuerwehr. In vielen Städten sind die informationstechnischen Basisdaten historisch gewachsen. Die Pflege von KKMs und Straßendatenbanken ist für Kommunen bereits jetzt personalintensiv. Trotzdem stellen diese Daten die Grundlage für eine Zustandserfassung kommunaler Verkehrsflächen dar. Das KKM teilt das Straßennetz in Knoten und dazwischen liegende Straßensegmente und hält beispielsweise Informationen über die Detaileinrichtungsflächen, den Straßenschlüssel, Straßentyp, Bezirk und die Baulastträgerschaft vor. Hintergrund ist z. B., dass häufig Bezirks- oder Quartierskonzepte für Straßeninstandhaltungsmaßnahmen ausgearbeitet werden. Ein Beispiel für Ganzheitlichkeit in der informationstechnischen Darstellung, sind daher auf Kommunen zugeschnittene Filterfunktionen. In der Innovationspartnerschaft wird die Datenbankstruktur folglich diese Attribute berücksichtigen, um die anwendungsorientierte Nutzung erzeugter Straßenzustandsdaten zu ermöglichen. Abb. 4: UML-Diagramm, EDGITAL GmbH Abb. 5: Attribute KKM Herne, Stadt Herne, VIA VIS 3.3 Ganzheitlichkeit der Prognose Erfahrene Techniker: innen und Ingenieur: innen in der Straßenerhaltung stellen in der Praxis immer wieder fest, dass Verkehrsflächen nicht immer die erwartete Zustandsveränderung über die Zeit zeigen. Auch unter scheinbar gleichen Bedingungen können sich stark unterschiedliche Schadensbilder zeigen. Die Wirkung externer Faktoren auf die Straßenzustandsentwicklung gehört deswegen zu der ganzheitlichen Betrachtung der Straßenzustandsprognose. Jede bauliche Infrastruktur unterliegt der Witterung, z. B. Frost-Tau-Wechseln und der steigenden Verkehrsbelastung, wobei der Schwerverkehr hier eine tragende Rolle einnimmt. Im Gegensatz zu den Autobahnen kommen bei den kommunalen Straßen die Folgen der Erschließung der Gebäude in der Stadt hinzu. Versorgungsleitungen von Abwasser, Regenwasser, Trinkwasser, Gas, Fernwärme, Strom oder Telekommunikation führen zu einem inhomogenen Untergrund. Es zeigt sich der starke Einfluss durch Aufgrabungen, Flickstellen und Baumaßnahmen Dritter. Abb. 6: 3D-Modell Leitungen Bielefelder Straße Herne, BBI Ingenieure/ Stadt Herne <?page no="89"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 89 Ganzheitliche Straßeninstandhaltung durch KI In der Innovationspartnerschaft werden gemeinsam relevante Einflussgrößen identifiziert und in maschinenles- und auswertbare Daten übersetzt, um die Prognose geeigneter Erhaltungsmaßnahmen zum richtigen Zeitpunkt, sowie Synergieeffekte zwischen Baulastträgern im Stadtgebiet zu fördern. 4. Fazit und Ausblick Die Innovationspartnerschaft kann ein Instrument für Städte und Gemeinden sein, innovative Lösungen für kommunale Problemstellungen zu fördern und selbst zielgerichtet bei der Entwicklung mitzuwirken. Kommunen können dabei Erfahrungen mit agilen Entwicklungsmethoden, wie dem Scrum Framework auf bauen. Wenn sich öffentliche Auftraggeber in Entwicklungsprozesse einbringen, erleichtert dies die ganzheitliche Berücksichtigung komplexer kommunaler Anforderungen - in diesem Projekt beispielsweise hinsichtlich der Verkehrswende, der kommunalen Datenstrukturen oder dem vielschichtigen Zusammenspiel externer Einflüsse auf den Straßenzustand. Wie eingangs beschrieben, müssen die kommunalen Baulastträger mit einem erheblichen Sanierungsstau der Verkehrsflächen und Ingenieurbauwerke umgehen. In vielen Kommunen wird erwartet, dass mit einem Stellenplan aus Zeiten, in denen die Infrastruktur in einem besseren Zustand war, heutige und zukünftige Herausforderungen bewältigt werden. Hinzu kommt, dass u. a. durch Pensionierung und Verrentung weniger Fachpersonal vorhanden ist. KI-unterstütztes Straßenmanagement kann ein Baustein für eine mögliche Entlastung für verbleibendes Personal sein. Trotz aller Bemühungen wird in den meisten Kommunen die Netzqualität der Straßen und das kommunale Anlagevermögen in Form der baulichen Anlagen vermutlich absinken. KI-generierte Prognosen, die den Zustand der Verkehrsflächen in verschiedenen Erhaltungsszenarien zeigen, können ein Weg sein, um durch Transparenz das Vertrauen der Stadtgemeinschaft, politischen Vertretungen und Aufsichtsbehörden in die kommunalen Baulastträger zu fördern. Abb. 7: Entsorgungsfahrzeug in Herne, sichtbare Fahrbahnschäden, W. Grimsehl-Schmitz Literatur [1] Arndt, W.-H. & Schneider, S. (2023). Investitionsbedarfe für ein nachhaltiges Verkehrssystem: Schwerpunkt kommunale Netze (Difu Impulse 7/ 2023). Berlin. Deutsches Institut für Urbanistik https: / / doi.org/ 10.34744/ difu-impulse_2023-7 [2] Gesellschaft für kommunale Infrastruktur Ge- Komm GmbH (27.11.2024), Kommunale Straßen, Startseite - Portal für Kommunale Straßen und Bürgerbeteiligungen. [3] Steinbrecher, J., Holler, J., Peltzer, S. (2017), Vielfalt der kommunalen Verkehrsinfrastruktur Herausforderungen und Empfehlungen, Verkehrsverband Westfalen e. V., https: / / www.verkehrsverbandwestfalen.de/ images/ publikationen/ 50388_497_FI- NAL-V2.pdf [4] Grimsehl-Schmitz, W. & Stieglitz-Broll, E.-M- (2023), Tagungsband 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur, Hrsg. Krieger, J. Technische Akademie Esslingen e. V., Tübingen, Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG. [5] KOINNO erklärt Die Innovationspartnerschaft (25.11.2024), KOINNO erklärt: Die Innovationspartnerschaft. [6] RICHTLINIE 2014/ 24/ EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/ 18/ EG, EUR-Lex.europa.eu (25.11.2024), https: / / eur-lex. europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=CE- LEX: 02014L0024-20180101 [7] Innovationspartnerschaft, Deutsches Vergabeportal (25.11.2024), Definition: Innovationspartnerschaft-| DTVP [8] Study on the Innovation Partnership procedure, European Commision (26.11.2024), INTERNAL MARKET, INDUSTRY, ENTREPRENEURSHIP AND SMES - Study on the Innovation Partnership procedure. [9] Ortner, R., Die Innovationspartnerschaft - Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen, Vergabeblog (02.12.2024), Die Innovationspartnerschaft - Ein Vergabeverfahren für innovative Beschaffungen - Vergabeblog. [10] Bevölkerungsdaten Statistikstelle, Stadt Herne (02.12.2024), https: / / hits.herne.de/ monat/ [11] Alle politisch selbständigen Gemeinden mit ausgewählten Merkmalen am 30.09.2024 (3. 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Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 91 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen - Ergebnisse aus Messungen der Verkehrsbelastung kommunaler Straßen im mFUND-Projekt DaRkSeit Dr.-Ing. Wolf Uhlig Uhlig & Wehling GmbH, Ingenieurgesellschaft, Mittweida Abstract Zur Verkehrsbelastung kommunaler Straßen durch Achslasten des Schwerverkehrs liegen bisher kaum belastbare Daten vor. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Datenbasierte Bewertung der Resilienz kommunaler Straßeninfrastruktur - DaRkSeit“ wurden über mehrere Monate hinweg Achslasten an einer Hauptverkehrsstraße in der Stadt Münster erhoben. Der Beitrag stellt die Ergebnisse der Messungen zur örtlichen Verkehrsbelastung vor. 1. Einleitung Kommunen verfügen in der Regel über keine fundierte Grundlage zur Abschätzung der konstruktiven Zustandsentwicklung ihres Straßennetzes. Damit fehlt die Basis für ein nachhaltiges Erhaltungs-, Informations- und Finanzmanagement. Der Straßenzustand wird bisher nur auf der Grundlage visueller Merkmale an der Straßenoberfläche bewertet. Für nachhaltige Erhaltungsstrategien sind jedoch innovative Methoden für die Prognose der konstruktiven Zustandsentwicklung des gesamten Straßenauf baus in Echtzeit erforderlich. In dem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten mFUND-Projekt DaRkSeit [1] wurden Bestandsdaten zu Verkehrsmengen, zum Klima sowie zum Straßenauf bau analysiert. Ergänzend erfolgten Messungen der Fahrzeugtypen und Achslasten des Schwerverkehrs im fließenden Verkehr, der Temperatur an der Fahrbahnoberfläche und in verschiedenen Fahrbahntiefen sowie von Materialkennwerten in der Straße. Auf dieser Basis wurde ein Software-Tool zur Echtzeiterfassung des Schadensfortschritts der Straße, zur Berechnung der prognostizierten Restnutzungsdauer und damit zu erforderlichen baulichen Erhaltungsmaßnahmen und deren Zeitpunkt entwickelt. Eine der wesentlichen Grundlagen des entwickelten Software-Tools stellt die örtlich erhobene Verkehrsbelastung durch Fahrzeuge des Schwerverkehrs dar. Hierzu wurden in der Stadt Münster zwei stationäre Achslastwaagen installiert sowie Erhebungen mittels mobiler Kamerasysteme durchgeführt. 2. Vorbereitung und Installation der Achslastwaagen (Wim) Bei der Auswahl der Standorte der einzubauenden Achslastwaagen (Weigh-in-Motion-Messstationen - WIM) wurde in Abstimmung mit dem Hersteller des Systems angestrebt, ein repräsentatives Spektrum verschiedener innerstädtischer Ausprägungen der dimensionierungsrelevanten Einflussgröße Verkehr abzubilden. Darüber hinaus war es wichtig, dass der Verkehr am Standort der Messungen gleichmäßig - also außerhalb von Beschleunigungs- und Bremszonen - sowie staufrei fließt und die Straße an der betreffenden Stadion keine signifikante Steigung aufweist. Im Ergebnis der örtlichen Bestandsaufnahmen wurden zwei Weigh-in-Motion-Messstationen an zwei Standorten entlang des Albersloher Wegs in jeweils unterschiedlicher Fahrtrichtung eingebaut (Abbildung 1) und durch den Hersteller sowie dem Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster (AMTM) kalibriert. Vor dem Einbau der WIM-Systeme mussten umfangreiche vorbereitende Arbeiten durch das AMTM durchgeführt werden. Hierzu wurden unter anderem die Asphaltdeckschicht und Asphaltbinderschicht in stadtauswärtiger Richtung erneuert sowie zwei Schaltschränke mit 230-V- Spannungsanschluss im Straßenseitenraum installiert. <?page no="92"?> 92 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen Abbildung 1: links: Einbauschema der Weigh-in-Motion-Sensoren mit Induktionsschleifen (rot), Kistlers Lineas WIM- Sensoren (blau) und Temperatursensor (schwarz) (Quelle: C. Klauser, Kistler Instrumente AG), rechts: Weigh-in-Motion-Sensoren am Albersloher Weg stadteinwärts nach dem Einbau (Quelle: Stadt Münster) 3. Auswertung der Daten aus den Achslastmessungen Im Ergebnis der Messungen über einen Zeitraum von mehr als 20 Monaten konnte festgestellt werden, dass die Achslastverteilungen der beiden Fahrtrichtungen im Albersloher Weg zwar unterschiedliche Maxima aufwiesen, hinsichtlich ihrer Beanspruchungswirkung auf den Straßenoberbau pro Achsübergang jedoch das gleiche Niveau erreichten. Der ermittelte q Bm -Wert liegt mit 0,29 signifikant oberhalb des Wertes für kommunale Straßen mit einem SV-Anteil > 4 % nach Tabelle 7 der RStO 12/ 24 [2] (q Bm = 0,25) und damit genau zwischen den Werten für kommunale Straßen und Bundesautobahnen (Abbildung 2). Der Wert für den mittleren Lastkollektivquotient q Bm geht als linearer Faktor in die Ermittlung der B-Zahl ein und übt damit einen großen Einfluss auf das Ergebnis der resultierenden Belastungsklasse respektive auf die Schichtdicken der zugehörigen, standardisierten Bauweise aus. Abbildung 2: Achslastverteilung Albersloher Weg im Jahr 2023 im Vergleich zu den RStO 12/ 24 <?page no="93"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 93 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen Abbildung 3: Achslastverteilung Albersloher Weg im Jahr 2023 im Vergleich zum AP EDS-1 Im Vergleich zu den standardisierten Achslastverteilungen nach den RDO Asphalt 09/ 24 [3] sowie dem AP EDS-1 [4] zeigt sich, dass die Achslastverteilungen am Albersloher Weg ein signifikant niedrigeres Niveau als die Typen BAB Fern und BAB Misch aufweisen, jedoch oberhalb des Typs BAB Nah liegen. Die ausgewiesenen Werte für den mittleren Lastkollektivquotienten q Bm beziehen sich auch hier auf jeweils einen Achsübergang eines Fahrzeuges des Schwerverkehrs (Abbildung 3). Der Wert für den Albersloher Weg liegt ca. 4 % oberhalb des Wertes für Bundesautobahnen vom Typ BAB Nah. Datenbasis bildet die 365-Tage-Messung aus dem Jahr 2023. Im Zuge der rechnerischen Dimensionierung sowie der Ermittlung des Substanzwertes geht die Achslastverteilung als dimensionierungsrelevantes Achslastkollektiv in die Berechnung der Schichtdicken bzw. der Restnutzungsdauer der Befestigung ein. 4. Auswertung der Fahrzeugtypverteilungen des Schwerverkehrs Zur Untersuchung der Fahrzeugtypverteilung des Schwerverkehrs wurden Erhebungen an den 2 Standorten am Albersloher Weg sowie an 2 weiteren Standorten im kommunalen Straßennetz von Münster (Kardinal-von-Galen-Ring und Sentruper Straße) durchgeführt. Hierzu erfolgten Kameraaufnahmen des fließenden Verkehrs (Abbildung 4) sowie die anschließende manuelle Auswertung der Fahrzeugtypen gemäß TLS 2012 [5] am Computer-Bildschirm. Abbildung 4: Kamera-System zur Erfassung des fließenden Verkehrs Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt als relative Summenhäufigkeit, die zugrunde liegenden Fahrzeugtypen werden auf der Abszisse in aufsteigender Reihenfolge innerhalb folgender gruppierter Fahrzeugklassen angeordnet: • Lkw • Lkw mit Anhänger • Sattelkraftfahrzeug • Bus • Traktor/ Traktor mit Anhänger • Sonderfahrzeug (Fahrzeugtyp 108) <?page no="94"?> 94 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen Abbildung 5: relative Fahrzeugtypverteilung der Fahrzeuge des Schwerverkehrs an den Messstandorten im Vergleich zu Bundesautobahnen Um die an den Messstandorten ermittelte, relative Fahrzeugtypverteilung einordnen zu können, sind in Abbildung 5 die Fahrzeugtypverteilungen von Bundesautobahnen vom Typ BAB Fern, BAB Misch und BAB Stadtnah gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass die Fahrzeugtypverteilung an allen 4 Messstandorten deutliche Unterschiede sowohl untereinander als auch im Vergleich zu den Verteilungen der Bundesautobahnen aufweisen. Hier wird die im kommunalen Straßennetz festzustellende, höhere Divergenz an Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs deutlich. Die Fahrzeugtypverteilung auf der Sentruper Straße nähert sich am ehesten der Verteilung vom Typ BAB Stadtnah, während die Verteilungen der übrigen 3 Messstandorte im Bereich der BAB-Typen Misch und Fern liegen. Für alle 4 Messstandorte typisch ist der relativ hohe Anteil von Bussen und Traktoren, verbunden mit einem vergleichsweise niedrigeren Anteil an Sattelkraftfahrzeugen im Vergleich zu Bundesautobahnen. Die Verteilung der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs gibt Auskunft über das zu erwartende Achslastniveau am Messstandort und ist Eingangsgröße für das Verfahren zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs nach Methode 3 des AP EDS-1. 5. Fazit und Ausblick Mit dem erfolgreichen Abschluss des Projektes liegen erstmals verlässliche Daten zur Verkehrsbelastung sowie zur Temperaturbelastung kommunaler Straßen vor. Wie im Vorfeld vermutet, zeigen die Ergebnisse, dass die Verkehrsbelastung kommunaler Straßen in der Regel nicht mit jener von Bundesfernstraßen oder Außerortsstraßen vergleichbar sind. Insofern wird es erforderlich sein, verlässliche Methoden zur Bestimmung der Verkehrsbelastung kommunaler Straßen bereitzustellen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die im Projekt realisierten Messsysteme und Analysemethoden weiter zu entwickeln, um eine Anwendung auch in der Fläche bzw. in kompletten Straßennetzen zu ermöglichen. Mittels der im Projekt installierten WIM-Messstationen werden weiterhin Achslastdaten erhoben und ausgewertet, um somit weitere Kenntnisse über die Entwicklung der Verkehrsbelastung in kommunalen Straßennetzen zu erhalten. Die Ergebnisse werden im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus anderen Forschungsvorhaben mittelfristig auch Eingang in das Regelwerk des Straßenbaus finden. Hierfür stehen insbesondere die RStO (Überarbeitung bis Ende 2025 geplant), die RDO Asphalt und RDO Beton, die RSO Asphalt (in Bearbeitung) und RSO Beton sowie die Arbeitspapiere AP EDS-1 und AP EDS-2 im Fokus. Mittweida, 05.12.2024 <?page no="95"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 95 Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen Literatur [1] Im Rahmen des Forschungsprogramms mFUND unterstützt das BMDV seit 2016 datenbasierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte für die digitale und vernetzte Mobilität der Zukunft. Die Projektförderung wird ergänzt durch eine aktive fachliche Vernetzung zwischen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Forschung und durch die Bereitstellung von offenen Daten auf der Mobilithek. Weitere Informationen finden Sie unter www. mFUND.de [2] Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO), Ausgabe 2012/ Fassung 2024, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, 2024 [3] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise (RDO Asphalt 09/ 24), Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, 2024 [4] Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz - Teil 1: Verkehrsbelastung (AP EDS-1), Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, 2022 [5] Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS), Ausgabe 2012, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, 2012 <?page no="97"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 97 Verbesserung des Erhaltungsmanagements von Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungs- und Temperaturmessdaten des mFUND-Projektes DaRkSeit Dipl.-Inf. Uwe Reinhardt Technische Universität Dresden, Professur für Straßenbau Zusammenfassung Das Ziel des Erhaltungsmanagement von Straßen ist es, einerseits das Optimum aus minimaler finanzieller Investition und maximaler Nutzungsdauer der Infrastruktur zu finden und andererseits die Synchronisation der Neubau- und Erhaltungsmaßnahmen der verschiedenen Konstruktionsschichten umzusetzen. Um dies zu ermöglichen, ist es notwendig, deren Zustand und Zustandsentwicklung prognostizieren zu können. Diese Prognose erfordert wiederum möglichst genaue Kenntnisse über die vorhandenen Material- und Einflussgrößen und ihr Zusammenwirken. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Datenbasierte Bewertung der Resilienz kommunaler Straßeninfrastruktur - DaRkSeit“ wurden aus diesem Grund die Material-, Temperatur- und Verkehrsdaten von zwei Messstationen in Stadtgebiet Münster nicht nur gemessen, sondern erstmalig auch echtzeitbasiert miteinander verknüpft. 1. Einführung Bei der rechnerischen Dimensionierung gemäß den „Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise - RDO Asphalt 09/ 24“ [1] und der Substanzbewertung gemäß dem Entwurf der „Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise - RSO- Asphalt“ werden aktuell sowohl Standard-, als auch objektbezogene jährliche Häufigkeitsverteilungen für die Verkehrsbelastungen und die Temperaturbedingungen verwendet. Diese sind jeweils in diskrete Klassen unterteilt und werden für die Berechnung der auftretenden Belastungssituationen miteinander kombiniert. Dabei wird vorausgesetzt, dass diese Verteilungen voneinander stochastisch unabhängig sind, was bedeutet, dass die Zusammensetzung und der Beladungsgrad des Schwerverkehrs, unabhängig von Jahres- oder Tageszeit, gleich ist. Anhand der erhobenen Messdaten der, im Rahmen des DaRkSeit-Projektes eingerichteten Messstationen in Münster [2] konnten diese Annahmen für zwei Straßenabschnitte überprüft und sich daraus ergebende Unterschiede untersucht werden. Dabei wurden mit Hilfe der gemessenen Temperaturen in der Straße der Temperatur- und Materialzustand der Asphaltschichten für den Zeitpunkt einer jeden Fahrzeug-Überfahrt berechnet und die daraus resultierenden Schäden dieser Überfahrten bestimmt. Durch Akkumulation der Schäden kann mittels der neuen Methodik und gemäß der Hypothese von Miner [3] der aktuelle Zustand der einzelnen Asphaltschichten realitätsnaher bestimmt werden. 2. Methodik Um die Nutzungsdauer einer Straße prognostizieren zu können, müssen für die zeitlich beschränkenden Merkmale entsprechende Modelle vorhanden sein, mit deren Hilfe der Schadensverlauf beschrieben werden kann. In den RDO-Asphalt-09/ 24 sind dies für die Asphaltschichten die Schadensbilder Spurrinnen- und Rissbildung. Im Falle der nachfolgend betrachteten Rissbildung wird angenommen, dass sich die Gesamtschädigung des Materials aus der Summe der ertragenen Einzelschädigungen ergibt (Hypothese von Miner). Diese Einzelschädigungen innerhalb der Asphaltschichten ergeben sich wiederum aus dem Zusammenwirken äußerer Einflüsse [Abb. 1]. Abb. 1: Schematische Darstellung der Einflussgrößen auf die Nutzungsdauer und Haltbarkeit von Straßen Während sich bei der Betrachtung eines bestimmten Straßenabschnitts, die Materialeigenschaften, der Schichtenauf bau sowie die Anzahl und Art der überfahrenden Fahrzeuge relativ einfach bestimmen lassen, ist das für das Gewicht der einzelnen Achsen und die Temperaturzustände innerhalb der Konstruktion deutlich komplizierter. Um dieses Problem zu lösen und um die Anwendung der RDO-Asphalt-09/ 24 zu erleichtern, werden hierfür entsprechende statistische Achslast- und Temperaturbzw. Temperaturverlaufsverteilungen verwendet. Mit deren Hilfe können nun diskrete Beanspruchungs- <?page no="98"?> 98 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit zustände betrachtet und die daraus resultierende Einzelschädigung berechnet werden. Nachteil dieser Methodik ist, dass durch die Anwendung der statistischen Jahresverteilungen und deren Kombination miteinander, objektspezifische Eigenschaften der Straßen verwischt oder bei der Prognose der Nutzungsdauer gar nicht mit berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wurden in Münster an zwei Stellen entsprechende Temperatur- und Achslastwägebzw. Weigh-in-motion-Sensoren eingebaut, um die Zustandsentwicklung der Straße mit realistischeren Zusammenhängen und im Hinblick auf Abweichungen zum Standardverfahren untersuchen zu können. 2.1 Bestimmung der Temperaturzustände Für die Berechnung der Schädigungen eines einzelnen Achsübergangs sind Kenntnisse über die Materialsteifigkeiten in den einzelnen Asphaltschichten zum entsprechenden Zeitpunkt notwendig. Die Steifigkeit von Asphalt ist dabei abhängig von der Temperatur und der Belastungsfrequenz, wobei die Frequenz im Verfahren gemäß den RDO-Asphalt-09/ 24 konstant mit 10-Hz angenommen wird. Somit ergibt sich der Materialzustand der Asphaltkonstruktion aus dem vorherrschenden Temperaturverlauf. Abb. 2: Im Bohrloch eingesetzter RFID-Sensor in einer Tiefe von etwa 10-cm (Quelle: Stadt Münster) Um den Temperaturzustand in der Asphaltkonstruktion bestimmen zu können, wurden verschiedene Arten von Temperatursensoren an verschiedenen Stellen in Münster in den Asphaltoberbau eingebaut (siehe [2]). Mit deren Hilfe wurden die Temperaturen, je nach Sensorentyp, in einer oder mehreren Tiefen gemessen [Abb. 2]. Da sowohl der räumliche Abstand der Messsensoren, als auch die zeitlichen Messintervalle zu groß für eine genaue Analyse sind, müssen die Messdaten entsprechend räumlich und zeitlich interbzw. extrapoliert werden. Dies erfolgte mittels der Gleichung-39 aus dem „Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz - Teil 2: Klima“ [4]. Diese beschreibt, wie sich die Temperatur eines Berechnungspunktes innerhalb eines Zeitschrittes ändert, indem man die Temperaturleitfähigkeit des Materials und die Temperaturdifferenzen zu den unmittelbar darüber- und darunterliegenden Berechnungspunkten miteinander verrechnet. Auf diese Weise wurde eine Datengrundlage für die Temperaturzustände mit einer räumlichen Auflösung von 5-mm und einer zeitlichen Auflösung von 15-s erzeugt. Somit werden für jeden Tag mit entsprechend vorhandenen Messdaten 5.760 Temperaturverläufe berechnet, um anschließend einem Lastwechsel den, zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Temperatur- und somit auch Materialzustand zuweisen zu können. 2.2 Bestimmung der Materialdaten Für die Bestimmung der Haltbarkeit und Nutzungsdauer der Asphaltschichten sind Kenntnisse über die Eigenschaften aller verwendeten Materialien unerlässlich. Soweit es technisch, finanziell und zeitlich möglich ist, sollten es sich hierbei um objektbezogene Test- und Messergebnisse handeln [Abb. 3], um eine hohe Qualität der Prognose gewährleisten zu können. Ist dies nicht möglich, muss entsprechend auf Standardwerte und fachlich fundierte Annahmen zurückgegriffen werden. Abb. 3: Bohrkerne der Messstation Albersloher Weg stadtauswärts in Münster (Quelle: PTM Dortmund) Während der Berechnungen des Ermüdungszustands der Asphaltschichten wurden für die Methodik des Projektes DaRkSeit Modellparameter und Werte für folgende Materialeigenschaften der gebundenen und ungebundenen Schichten benötigt: • Materialsteifigkeit • Schichtdicke • Querdehnung • Schichtenverbund • Temperaturleitfähigkeit • Ermüdung (nur für Asphaltschichten) • Tieftemperaturverhalten (nur für Asphaltschichten) In Erweiterung zur gängigen Praxis, in welcher die Parameter der Ermüdungsfunktion nur für die Asphalttragschicht versuchstechnisch bestimmt werden, müssen sie auch für die Deck- und Binderschichtmaterialien untersucht werden. Mit deren Hilfe werden die Restnutzungsdauern dieser Asphaltschichten prognostiziert, da diese <?page no="99"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 99 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit für die Wahl von Eingriffszeitpunkten und des Umfangs von Erhaltungsmaßnahmen immens wichtig sind. 2.3 Einbindung der Messdaten der Verkehrsbelastung Mit Hilfe der beiden Weigh-in-motion-Messtationen am Albersloher Weg in Münster [Abb. 4] können viele Fahrzeugeigenschaften gemessen werden, die für die Nutzungsdauerprognose relevant und für die Forschung interessant sind. Folgende Daten werden bei jeder Überfahrt aufgezeichnet: • Überfahrungszeitpunkt • Fahrzeuggesamtgewicht • Achslasten • Radlasten • Fahrzeuggeschwindigkeit • Fahrzeuggesamtlänge • Achsabstände Abb. 4: Weigh-in-Motion-Sensoren nach dem Einbau (Quelle: Stadt Münster) Diese Informationen ermöglichen nicht nur die kontinuierliche Messung der Verkehrsbelastung, sondern auch die Auswertungen hinsichtlich Über- und Fehlbeladungen sowie die Erstellung von kommunalen Fahrzeugtypverteilungen für die Erstellung von Standardverteilungen, um zukünftig auch kommunale Straßen realitätsnaher rechnerisch dimensionieren zu können. Im Falle der Zustandsprognosen im Rahmen des DaRk- Seit-Projektes wurden hauptsächlich die Daten des Überfahrungszeitpunktes und der Achslasten verwendet. Hierbei diente der Zeitstempel der Überfahrung der Waage der Bestimmung des dabei vorherrschenden Temperaturzustandes in der Straße und die Achslast der Berechnung der Schädigungen, die dieser Lastwechsel in den einzelnen Schichten verursacht hat. 2.4 Berechnung der Schädigung Nach den Vorgaben der RDO Asphalt 09/ 24 muss der Ermüdungsnachweis der Rissbildung für Asphaltschichten an der Stelle der höchsten Biegezugbeanspruchungen durchgeführt werden. Da im Vorfeld nicht eindeutig gesagt werden kann, wo sich diese Stelle in den jeweiligen Asphaltschichten befindet, werden die Beanspruchungen an den Punkten eines Punkteraster betrachtet und ausgewertet. An diesen Stellen werden mit Hilfe der Mehrschichtentheorie die jeweiligen Spannungen und Dehnungen berechnet und anschließend mittels der ersten Hauptdehnung die Einzelschädigung dieser Beanspruchung berechnet. Während des Nutzungszeitraumes ergibt sich der aktuelle Grad der Gesamtschädigung nach der Hypothese von Miner aus der Summe der bisher ertragenen Einzelschädigungen. Innerhalb des Punkterasters sind somit die Punkte mit den höchsten Summen die maßgeblichen Nachweispunkte für die jeweilige Asphaltschicht. Abb. 5: Beispielhafte schematische Darstellung der Verteilung des Ermüdungszustandes im Querschnitt einer Asphaltkonstruktion In Abb. 5 ist beispielhaft eine solche Verteilung des Ermüdungszustandes grafisch dargestellt. Dabei sind rote Bereiche, Bereiche mit einer großen Schädigung und blaue, Bereiche mit einer geringen Schädigung. Es ist erkennbar, dass sich die maßgeblichen Nachweispunkte hier in der Asphaltdeck- und -binderschicht an der jeweiligen Oberseite der Schicht und neben der Lastfläche befinden und in der Asphalttragschicht dies in der Lastachse und der Unterseite der Schicht der Fall ist. 3. Ergebnisse Die nachfolgenden Ergebnisse basieren auf den Daten, die von den Messstationen am Albersloher Weg in Münster erzeugt wurden. Dabei liefern die Messstation in Fahrtrichtung stadteinwärts seit dem 20.12.2022 und die Messstation in Fahrtrichtung stadtauswärts seit dem 07.02.2023 kontinuierlich Messdaten. Aus diesem Grund zeigen die nachfolgenden Auswertungen die Ergebnisse für die Jahre 2023 und teilweise 2024. Das Ziel und die Hoffnung des aufwändigen Einbaus der Messsensoren ist, dass die technischen Geräte Informationen über die Verkehrs- und Temperaturbelastungen sowie deren Entwicklungen bis zum Ausbau und Erneuerung der Asphaltdeckschichten in den Straßenabschnitten liefern. 3.1 Ergebnisse der Verkehrsauswertungen Die beiden Messstationen befinden sich beide in der Nähe der Bundesstraße 51, Anschlussstelle Albersloher Weg. Dabei führt die Fahrtrichtung stadtauswärts zu einem Gewerbegebiet, weswegen sich die Verkehrscharakteristik deutlich von der anderen Fahrtrichtung unterscheidet, die in die Innenstadt führt. <?page no="100"?> 100 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit Abb. 6: Absolute und relative Anzahl der Fahrzeuge im Jahr 2023 an der Messstation Albersloher Weg stadteinwärts Durch die kontinuierliche Messung der Verkehrsbelastung können zu allererst einmal Informationen hinsichtlich der Verkehrsmenge und -zusammensetzung analysiert werden. In Abb. 6 sind die wöchentlichen Schwankungen in der absoluten Verkehrsmenge zwischen den Arbeitstagen und den arbeitsfreien Tagen sowie die Abnahme der Verkehrsbelastung in den Ferien (zum Beispiel im Sommer oder zum Jahreswechsel) gut zu sehen. In der Darstellung der relativen Verkehrsmenge ist eine deutliche Abweichung in den ansonsten relativ gleichmäßig verlaufenden Linien erkennbar. An diesem Tag fand der Münster City Triathlon statt, dessen Fahrradstrecke über die Messstation Albersloher Weg stadteinwärts führte. Die Darstellungen der äquivalenten Ergebnisse der Messstation Albersloher Weg stadtauswärts sind ähnlich zu denen in Abbildung Abb. 6. Allerdings unterscheiden sich die Werte des Schwerverkehrsanteils (SV-Anteil) mit 6,6-% und der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke (DTV) mit 13.100-Kfz/ 24-h in Richtung stadtauswärts deutlich von denen in Richtung stadteinwärts mit einem SV-Anteil von 5,3-% und einer DTV von 7.800-Kfz/ 24-h. Abb. 7: Relative Häufigkeitsverteilung der täglichen Achsübergänge des Schwerkehrs für die Messstationen Albersloher Weg stadteinwärts (oben) und stadtauswärts (unten) Darüber hinaus unterscheiden sich die Verkehrscharakteristiken der beiden Messstationen hinsichtlich ihrer Fahrzeugtypenverteilung sowie der zeitlichen Verteilung des Schwerverkehrs [Abb. 7]. Während ein Großteil des Schwerverkehr morgens in Richtung Innenstadt fährt, ist die Häufigkeit in Richtung des Gewerbegebietes stadtauswärts tagsüber gleichmäßig erhöht und weist zusätzlich eine erhöhte Häufigkeit gegen 21 Uhr auf. Die Häufigkeitsverlagerung in den Vormittag an der Messstation Albersloher Weg stadteinwärts führt im Zusammenspiel mit den niedrigeren morgendlichen Außentemperaturen dazu, dass die Schädigung der Asphaltschichten, bei einer Dimensionierung unter Anwendung von statistischen Verteilungen für Temperatur und Verkehr, tendenziell überschätzt wird. Im Zuge der Messungen wurden für das Jahr 2023 folgende Maxima gemessen: Albersloher Weg stadteinwärts: • Maximales Fahrzeuggesamtgewicht: 73,62-t • Maximale Achslast: 17,78-t • Maximale Radlast: 12,65-t Albersloher Weg stadtauswärts: • Maximales Fahrzeuggesamtgewicht: 77,76-t • Maximale Achslast: 18,52-t • Maximale Radlast: 9,38-t <?page no="101"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 101 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit 3.2 Ergebnisse der Temperaturauswertungen Zu den Messstationen der Weigh-in-motion-Achslastwaagen gehören neben dem Temperatursensor der Achslastwaage auch drei infraTest-RFID-Temperatursensoren, die in verschiedenen Tiefen der Asphaltbefestigung eingebaut wurden. Zu Beginn des Forschungsprojektes DaRk- Seit sollten für die Berechnung der Temperaturverläufe die Messwerte der insgesamt vier Temperatursensoren kombiniert werden. Das wurde aber nach der Auswertung der resultierenden Temperaturverläufe wieder verworfen, da diese nicht realistisch waren. Bei der Ursachensuche stellte sich dann heraus, dass die Temperatursensoren zwar räumlich relativ nah beieinander lagen, aber die Distanz ausreichte, um deutlich unterschiedliche Beschattungssituationen aufzuweisen [Abb. 8]. Abb. 8: Positionen der Temperatursensoren an der Messstation Albersloher Weg stadteinwärts - WIM- Sensor (gelb), infraTest-RFID-Sensoren (rot) (Quelle: Stadt Münster) Der Temperatursensor der WIM-Achslastwaage wird aufgrund seiner Nähe zum Straßenrand und der dort wachsenden Begrünung fast ganztägig verschattet, während das an der Position der anderen Sensoren fast gar nicht der Fall ist. Das hat zur Folge, dass sich bei Sonnenschein und sommerlichen Außentemperaturen die Straßenoberfläche an der Stelle der infraTest-RFID-Sensoren deutlich stärker erwärmt, als an der Stelle des WIM-Sensors [Abb.-9]. Dieser Unterschied kommt also nur in wenigen Monaten des Jahres zum Tragen. Ist dies aber der Fall, sind die Auswirkungen mitunter immens. So sind in den Asphaltdeckschichten Temperaturen von 60- °C und in den Asphaltbinderschichten von 50-°C aufgetreten, während der vorwiegend verschattete Straßenabschnitt zum gleichen Zeitpunkt nur Temperaturen von maximal 45-°C aufwies. Abb. 9: Temperaturverläufe an den Temperaturmessstationen Albersloher Weg stadteinwärts vom 25.06.2023 - WIM-Sensor (links), infraTest-RFID-Sensoren (rechts) 3.3 Ergebnisse der Prognoseberechnungen Mit den berechneten Temperaturverläufen und den Achslastmessungen wurden und werden die Ermüdungszustände der Asphaltschichten mittels des Algorithmus gemäß den RDO Asphalt 09/ 24 berechnet und prognostiziert. Mit Hilfe der zwei Achslastwaagen und den jeweils zwei Temperaturmessorten wurden die Zustände der drei Asphaltschichten in beiden Fahrstreifen jeder Fahrtrichtung berechnet [Abb. 10]. Damit ist es möglich, im Rahmen eines Erhaltungsmanagements, die Entwicklung der Zustände der einzelnen Asphaltschichten zu berechnen und notwendige Erhaltungs- und Neubaumaßnahmen rechtzeitig und ressourcenschonend zu planen. In Abb. 10 ist zu sehen, dass die Schäden des zweiten Fahrstreifens deutlich geringer sind, als die im Hauptfahrstreifen. Somit ermüden diese Asphaltschichten deutlich langsamer, was ebenfalls für die Planung von Eingriffszeitpunkten und der Verkehrsplanung während der Erhaltungsmaßnahmen wichtig ist. In der Abbildung ist darüber hinaus erkennbar, dass die größten Schädigungen in der Asphaltbinderschicht des Hauptfahrstreifens auftreten. Dies ist auch bei der anderen Messstation am Albersloher Weg der Fall, weswegen für die weiteren Betrachtungen diese Ermüdungsverläufe verwendet werden. Abb. 10: Berechneter Verlauf der Ermüdung für die beiden Fahrstreifen Albersloher Weg stadteinwärts und den Daten des WIM-Temperatursensors <?page no="102"?> 102 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit Durch die Probleme, die bei dem Versuch der Kombination der Temperatursensordaten aufgetreten sind, gibt es nun zwei Temperaturmessstellen pro Achslastwaage. Die Auswertung der Temperatur-verläufe dieser Messstellen hat schon gezeigt, dass dabei große Unterschiede auftreten können. Die Berechnung der Ermüdungszustände hat gezeigt, wie groß der Einfluss der Beschattung sein kann. Während die Verläufe bei den beiden Temperaturmessstellen am Albersloher Weg stadtauswärts nur geringe Abweichungen aufweisen, sind die Unterschiede in Richtung stadteinwärts immens [Abb. 11]. Abb. 11: Vergleich der Ermüdungsverläufe der beiden Temperaturdatenquellen an der Messstation Albersloher Weg stadteinwärts Es ist zu sehen, dass die Verläufe der Ermüdung der Asphaltbinderschicht im Winter synchron verlaufen, sich im Frühling voneinander trennen, im Sommer stark voneinander abweichen und im Herbst parallel verlaufen. Am Ende des Jahres 2023 wies die Asphaltbinderschicht im unverschatteten Bereich, im Vergleich zum vorwiegend verschatteten Bereich, eine 23-% höheren Ermüdungsstatus auf. Um nachvollziehen zu können, wie dieser Unterschied entstand, wurden die wöchentlichen Zunahmen des Ermüdungsstatus an den beiden Temperaturmessstellen miteinander verglichen [Abb. 12]. Es ist deutlich erkennbar, dass sich die Unterschiede in der Mitte des Jahres konzentrieren. Dabei fällt aber auf, dass im Maximum die Zunahme des Ermüdungsstatus an der Stelle der infraTest-Temperatursensoren annähernd doppelt so groß ist, wie an der Stelle der WIM-Temperatursensoren. Abb. 12: Wöchentliche Zunahme des Ermüdungsstatus an den Temperaturmessstellen am Alberlsoher Weg stadteinwärts für das Jahr 2023 Betrachtet man die Wetterdaten für diese Woche, zeigt sich, dass in der Zeit in und um Münster Tageshöchsttemperaturen von über 25- °C bei einer Sonnenscheindauer von durchschnittlich 14 h geherrscht haben. Daran ist erkennbar, welchen Einfluss die Bewitterung, genauer gesagt die Energieabsorption der Sonnenstahlen, auf die Ermüdung der Asphaltschichten haben kann. Dem kann mittels Verschattung oder dem Einbau von helleren Asphaltdeckschichten entgegengewirkt und somit deren Einfluss reduziert werden. Ein Ziel des m-FUND-Forschungsprojektes DaRkSeit war es, für die betrachteten Streckenabschnitte eine Art Zustandsampel zur Verfügung zu stellen [Abb. 13]. Mit deren Hilfe können sich Interessierte, zum Beispiel auf Informationsseiten im Internet, über den aktuellen Zustand der Straßen informieren. Damit werden auch zukünftige Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen transparenter und deren Notwendigkeit nachvollziehbaren. Abb. 13: Ermüdungsstatus am maßgeblichen Nachweispunkt an der WIM-Temperaturmessstelle der Messstation Albersloher Weg stadtauswärts <?page no="103"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 103 Verbesserung d. Erhaltungsmanagements v. Straßen mittels echtzeitbasierter Verkehrsbelastungsu. Temperaturmessdaten d. mFUND-Projektes DaRkSeit 4. Schlussfolgerung und Ausblick Trotz der Tatsache, dass es sich bei den Ergebnissen der Messstationen nur um einzelne Stichproben aus der Gesamtmenge der möglichen Verkehrsszenarien handelt, vermitteln sie einen guten Überblick über das Ergebnisspektrum hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Verkehrsbelastung und Tageszeit, zwischen Bewitterung und Nutzungsdauer sowie den Ermüdungszuständen von Haupt- und Nebenfahrstreifen. Um diese Einflüsse in ihrem Ausmaß und in ihrer Verbreitung besser bewerten und zukünftig auch adäquat berücksichtigen zu können, werden weitere Messstationen für kombinierte Temperatur- und Achslastmessungen, wie die am Albersloher Weg benötigt. Die Messdaten der Messstationen sind frei über die Mobilithek [5] erhältlich und werden monatlich möglichst zeitnah aktualisiert. Abb. 14: Vergleich der Verläufe der Ermüdung für die WIM-Temperaturmessstelle der Messstation Albersloher Weg stadteinwärts Anhand der Daten lässt sich schon erkennen, dass im Jahr 2024 die Verläufe der Ermüdung deutliche Unterschiede zu denen aus dem Vorjahr aufweisen [Abb. 14]. Der Verlauf der Ermüdung ist deutlich flacher als 2023 und es wird sich zeigen, innerhalb welchen Spektrums die Jahresverläufe zukünftig schwanken werden. Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV (2024): Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise - RDO Asphalt 09/ 24. (FGSV R 1, 498). Köln: FGSV Der Verlag. [2] Reinhardt, Uwe & Tesic, Marko (2023): Die technische Realisierung echtzeitbasierter Mess- und Auswerteprozesse von Klima- und Verkehrsbelastungsdaten kommunaler Straßeninfrastruktur. In: Jürgen Krieger und Technische Akademie Esslingen e.V. (Hg.): 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur. Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb, Unterhalt, Rückbau von Brücken, Tunneln, Schienen, Straßen, Wasserwegen. Tübingen: expert Verlag. [3] Miner, M. A. (1945): Cumulative Damage in Fatigue. In ASME: Journal of Applied Mechanics. 1945(3). [4] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV (2023): Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz - Teil 2: Klima. (FGSV W 2, 498/ 2). Köln: FGSV Der Verlag. [5] Internetadresse: https: \\mobilithek.info <?page no="105"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 105 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Dr. Claudia Podolski Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Dr.-Ing. Dirk Jansen Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Bei dem Starkregen-Ereignis im Juli 2021 wurden im Rheinland auch zahlreiche Straßen überflutet und dadurch teilweise zerstört. Georadar- und TSD-Messungen kurz nach den Überschwemmungen zeigten teilweise auffällige Signale, die vermutlich auf Wasser im Straßenkörper hinweisen. Drei Jahre nach dem Ereignis wurden erneut Messungen in diesen Gebieten durchgeführt und die Daten, mit denen aus dem Jahr 2021 verglichen. 1. Einführung Am 14.-Juli-2021 kam es in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz infolge heftiger Regenfälle zu rapiden ansteigenden Pegeln von Flüssen und Bächen, die Überflutungen ganzer Land- und Ortschaften mit sich brachten. Als Folge wurden auch zahlreiche Straßen überflutet und unterspült. Es kam unter anderem zu Absackungen und komplettem Wegreißen von Autobahnabschnitten, da das von unten oder von der Seite eingedrungene Hochwasser die Standfestigkeit der Straßen massiv beeinträchtigte. Für die spätere Verkehrsfreigabe stellte sich die Frage, ob das Hochwasser auch Schäden bewirkt hat, die nicht offensichtlich an der Oberfläche erkennbar waren. Aufgrund des großen Streckenumfangs wurden flächendeckende Sondierungen ausgeschlossen und stattdessen auf zerstörungsfreie Messverfahren zurückgegriffen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat darauf hin im Zuge der Feststellung der aus dem Starkregenereignis resultierenden Schäden im Bereich Erfttal Messungen mit dem 3D-Georadar-System und dem Traffic-Speed-Deflectometer (TSD) durchgeführt und ausgewertet. Ziel der Untersuchungen war die Detektion von Anomalien im Straßenoberbau und Untergrund/ Unterbau, die wahrscheinlich auf die Überflutungen zurückzuführen sind und sich sowohl auf die Verkehrssicherheit als auch auf die kurzbis langfristige Nutzbarkeit auswirken. Diese Anomalien können sich einerseits durch Betrachtung der Homogenität innerhalb einer Strecke ergeben, anderseits können die aktuellen Daten mit denen aus Messungen zu einem früheren Zeitpunkt verglichen werden. Für dieses Interpretationsziel lag zum Zeitpunkt der Messungen kein Erfahrungshintergrund vor. Ebenso waren derartige Erfahrungshintergründe, insbesondere im Falle der hier benötigten Projektgröße und Dringlichkeit, nicht in der Literatur zu finden. Es war daher zum Zeitpunkt der Messungen nicht klar, ob diese zum Erfolg führen. Ein besonderer Vorteil ergab sich dadurch, dass die Streckenabschnitte vor dem Hochwasserereignis bereits aus anderen Gründen von der BASt mit zerstörungsfreien Messverfahren befahren wurden. Zur wissenschaftlichen Weiterverfolgung der Thematik wurden im Juli 2024, also drei Jahre nach dem Ereignis, erneut Messungen mit dem 3D-Georadar-System und dem TSD im Bereich Erfttal durchgeführt. Die Daten können nun genutzt werden, um die damals detektierten Anomalien zu überprüfen, Veränderungen festzustellen und die Ergebnisse gegebenenfalls neu einzuordnen. 1.1 Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet erstreckte sich zwischen Kerpen, Meckenheim und Brühl und umfasste Streckenabschnitte der Autobahnen A-1, A-61 und A-553 jeweils in beiden Fahrtrichtungen [Abb.-1]. Dieser Beitrag befasst sich exemplarisch mit einem Untersuchungsabschnitt auf der A-553 zwischen der Anschlussstelle Brühl-Süd und dem Autobahnkreuz Bliesheim („Sektion-5“, Fahrtrichtung Süd [Abb.-1]). <?page no="106"?> 106 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Abb. 1: Untersuchungsgebiet (Geodaten: OpenStreetMap) 2. Messverfahren Eingesetzt wurden das 3D-Georadar-System sowie das Traffic-Speed-Deflectometer des multifunktionalen Messverfahrens MESAS der BASt. Beides sind zerstörungsfrei arbeitende und schnellfahrende Messsysteme. MESAS basiert auf einem TSD und vereint verschiedene weitere Messverfahren, unter anderem auch ein Einkanal-Georadarsystem, dessen Ergebnisse aber aufgrund der hier vorliegenden Aufgabenstellung nicht zur Anwendung kamen. 2.1 Das Georadarverfahren Beim Georadarverfahren (GPR,-engl.-ground penetrating radar) werden elektromagnetische Wellen von einer Antenne in den Untergrund gesendet, dort teilweise reflektiert und durch die Antenne wieder erfasst [Abb. 2]. Aus der laufzeitbasierten Interpretation der empfangenen Signale können Schichtdicken abgeleitet werden und größere Inhomogenitäten erkannt werden. Herkömmliche Georadar-Systeme erfassen pro Messung eine Profillinie. Bei Anwendung des 3D-Georadars der BASt können mit einer Überfahrt bis zu 25-Profillinien gemessen werden. Aus dieser Dichte von Informationen können flächenhafte und auch dreidimensionale Auswertungen erzeugt werden, welche die Interpretation der Signale vereinfachen. Für nähere Erläuterungen zur Funktionsweise des Georadarverfahrens sei beispielsweise auf die entsprechenden Arbeitspapiere der FGSV [1], [2] verwiesen. Abb. 2: Messprinzip des Georadars mit exemplarischer Darstellung eines Radargramms [1] Zusätzlich zum allgemeinen Auf bau und den Schichtdicken, die durch Bohrkerne noch verifiziert werden können, kann man auch aus den Amplituden der reflektierten Signale wertvolle Informationen ableiten. Elektromagnetische Wellen werden beispielsweise stark an Wasseroberflächen, wie auch an Metall, reflektiert, so dass kaum Energie in den darunterliegenden Bereich eindringen (und daher auch nicht zurückgestrahlt werden) kann und die reflektierte Schichtgrenze im Radarbild in der Regel gut sichtbar ist. Ebenso kann eine Signalumkehr, ein sogenannter Phasenwechsel, auf Wasser im Untergrund hinweisen. Durch im Boden vorhandene Feuchtigkeit verlangsamen sich zudem die elektromagnetischen Wellen, so dass das reflektierte Signal zu einer späteren <?page no="107"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 107 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Laufzeit wieder an der Empfängerantenne ankommt als ohne Feuchtigkeit. Zur Unterstützung der Auswertung erfolgten im Rahmen des Projektes Simulationsrechnungen. Diese erlauben die Erzeugung künstlicher Radargramme unter bestimmten Voraussetzungen. Simuliert wurden typische Autobahnauf bauten bei verschiedenen Sättigungen bzw. Durchfeuchtungen einzelner Schichten. 2.2 Das Traffic-Speed-Deflectometer Das multifunktionale Messsystem MESAS basiert wesentlich auf dem schnellfahrenden Tragfähigkeitsmessgerät Traffic-Speed-Deflectometer. Mithilfe von 11-Doppler-Lasersensoren wird die kurzzeitige Verformung der Straßenoberfläche unter Einwirkung der 10-t-Achse des Sattelaufliegers ermittelt. Für die Bewertung können nach heutigem Stand des Wissens sowohl die Steigungen (Slope-Werte) als auch die Verformungswerte verwendet werden. Davon abgeleitet hat sich die Verwendung des Kennwerts SCI 300 zur Beschreibung der Tragfähigkeit international etabliert. Zur näheren Erläuterung der Funktionsweise des TSD-Verfahrens sowie der Auswertung mittels verschiedener Kennwerte sei auf die AP-Reihe Trag der FGSV-[3] verwiesen. 3. Ergebnisse 3.1 Georadarverfahren Auf den Untersuchungsstrecken wurden viele Positionen identifiziert, bei denen Feuchte oder Wasser in der Straßenbefestigung vermutet wurde. Dies wurde durch gezielte Sondierungen der Autobahn- GmbH bestätigt. Abb.-3 zeigt exemplarisch die markierten Auffälligkeiten für die Sektion- 5. Die Klassifizierung der Auffälligkeiten erfolgte nach visueller Einschätzung mit den Kategorien-A (deutlich erkennbare Anomalie, rot) und B-(deutlich erkennbare Anomalie, die aber in der Ausprägung geringer ist als die der Kategorie-A, orange). Abbildung-4 (oben) zeigt ein Beispiel mit einer deutlichen Phasenumkehr an der Unterkante der Asphalttragschicht. Gleichzeitig zeigt der Vergleich mit den neuen Daten drei Jahre später (Abb.-4, unten) eine Änderung der Signale. Es ist teilweise zwar immer noch ein Phasenwechsel zu sehen, jedoch scheint dieser schwächer ausgeprägt. In einem weiteren Beispiel (Abb.-5, oben) ist von einer Signalstruktur, die sich durch stark wechselnde Amplituden hervorhebt, drei Jahre später fast nichts mehr zu sehen (Abb.-5, unten). Sowohl im Radargramm („B-Scan“) als auch im Zeitschnitt („C-Scan“) kann man die Unterschiede zwischen den Messkampagnen der Jahre 2021 und 2024 sehr gut ausmachen: Es zeigen sich deutlich kurze Abschnitte mit starken Amplituden bzw. „schwarze Flecken“ in einer Tiefe von ca. 20-cm. Abb.-3: A-553 zwischen AS-Brühl-Süd und AK-Bliesheim, Georadar - Darstellung der mit den Kategorien A-(rot) und B-(orange) gekennzeichneten Positionen überlagert mit den Fließgewässern (Geodaten: OpenStreetMap) <?page no="108"?> 108 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Abb. 4: Radargramm mit Beispiel für Phasenwechsel aus den Jahren 2021 (nach dem Hochwasser, unten) und 2024 (oben). Die Pfeile zeigen zwei Positionen mit deutlich erkennbarer Phasenumkehr entlang der Messlinie (2021). Im Jahr 2024 sind ebenfalls Änderungen der Phase entlang der Messlinie zu sehen, gleichzeitig erscheinen diese schwächer und unterscheiden sich deutlich von denen aus den früheren Daten. Abb. 5: Radargramm („B-Scan“) und Zeitschnitt („C-Scan“, 7 ns = ca. 20 cm Tiefe) mit Beispiel für Amplitudenänderungen zwischen 2021 (oben) und 2024 (unten). Das deutlich sichtbare Amplitudenmuster in den Daten von 2021 ist drei Jahre später so nicht mehr zu erkennen. <?page no="109"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 109 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Auch auffällige Veränderungen der Schichthorizonte im Streckenverlauf sowie quer davon wurden markiert, da davon auszugehen war, dass Änderungen des Auf baus, insbesondere solche mit „Anrampungen“, und Änderungen der Belastungsklassen auf den betrachteten Autobahnen nicht anzutreffen sind. Die im Radargramm sichtbaren Veränderungen der Schichthorizonte konnten somit nicht als Schichtdickenveränderung interpretiert werden, sondern als Verlängerung der Laufzeit, die wiederum durch Feuchtigkeit verursacht wird. Die Simulationsrechnungen dienten zur besseren Interpretation sowie zur Verifizierung der Ergebnisse. In Abbildung-6 sind zwei Simulationsergebnisse exemplarisch dargestellt. Die Simulation zeigt, dass bei trockenem Oberbau (Abb.-6, links) die Schichtgrenzen bis hin zum Planum klar zu erkennen sind. Im Fall einer Durchfeuchtung unterhalb des Asphaltpaketes, siehe Abb.-6 rechts, ist zu erkennen, dass Schichtgrenzen unterhalb der Asphalttragschicht aufgrund der Dämpfung des Signals nicht mehr erkennbar sind. Zudem stellt sich ein Phasenwechsel an der Unterkante des Asphaltpaketes ein, was wiederum ein Indikator für Feuchte ist. Sehr vergleichbare Signalbilder sind in den In-situ-Messdaten erkennbar, womit die Detektion der Durchfeuchtung des Oberbaus verifiziert werden konnte. Kritische Schadensbilder wurden nicht gefunden. Abb. 6: Georadar-Simulationsergebnisse mit trockenem Oberbau (links) und mit durchfeuchtetem Oberbau (rechts). (Simulationen und Abbildung durch Ingenieurgesellschaft Nordwest) 3.2 TSD Die Abbildung 7 zeigt den Tragfähigkeitskennwert SCI300 auf der Beispielstrecke der A 553 für die Messungen aus den Jahren 2020 und 2021 (nach dem Hochwasser). Es wurde hier ein gleitender Mittelwert über 50 m angewendet, um Unterschiede besser sichtbar zu machen. Das Tragfähigkeitsniveau ist in den beiden Jahren ähnlich hoch. Es fällt jedoch auf, dass die Werte kurz nach dem Hochwasserereignis (2021, HW) stärker streuen und inhomogener wirken als im Jahr 2020. In vielen Bereichen konnten zwar deutliche Änderungen der Tragfähigkeit festgestellt werden, es sind jedoch auch hier keine kritischen Positionen aufgefallen. Abb. 7: TSD-Daten mit dem Tragfähigkeitskennwert SCI300 kurz nach dem Hochwasserereignis (2021) im Vergleich mit den Werten aus dem Vorjahr (2020). 4. Diskussion Sowohl Georadarmessungen als auch Tragfähigkeitsmessungen werden in der Regel nicht auf Straßen durchgeführt, bei denen bekannt ist, dass diese im Oberbau oder Untergrund durchnässt oder durchfeuchtet sind. Im Falle des Georadars liegt der Grund darin, dass die von der Antenne ausgesendeten Radarwellen durch Wasser und Feuchte stark gedämpft und reflektiert werden. Die Sichtbarkeit in die Tiefe wird daher deutlich eingeschränkt. Die Auswertungen konzentrierten sich daher auf die Beantwortung der Frage, ob Wasser oder Feuchte im Straßenoberbau zum Zeitpunkt der Messungen unmittelbar nach dem Hochwasser vorhanden ist und ob größere Schäden, beispielsweise Ausspülungen, festgestellt werden können. Im Falle von Tragfähigkeitsmessungen können Fehlinterpretationen entstehen, da Wasser in der Straßenbefestigung bei schneller Belastung aufgrund des entstehenden Porenwasserüberdrucks eine höhere Tragfähigkeit suggerieren kann. Gleichfalls kann sich Wasser aber auch sehr tragfähigkeitsmindernd auswirken. Eine quantitative Bewertung ist daher nahezu ausgeschlossen. Vorteilhaft im vorliegenden Fall war, dass die BASt seit 2018 eine breite Datenbasis mit Tragfähigkeitsdaten des Autobahnnetzes auf baut. Somit lagen Vergleichsdaten vor, mit deren Hilfe eine Bewertung der schädlichen Veränderung der Tragfähigkeit in Folge des Hochwassers möglich war. <?page no="110"?> 110 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wasser im Straßenkörper? Signalveränderungen in Georadar- und TSD-Daten am Beispiel des Hochwasserereignisses 2021 im Rheinland Generell konnte für die betroffenen Abschnitte auch aus den Daten vor dem Hochwasserereignis geschlossen werden, dass ein hohes Tragfähigkeitsniveau vorliegt. Somit konnte das Risiko eventuell kurzfristig durch Feuchte im Straßenoberbau abgeminderter Tragfähigkeiten, in Kombination mit der Feststellung, dass keine massiven Änderungen in den Messwerten kurz nach dem Hochwasser feststellbar waren, ebenso reduziert angesehen werden. 5. Schlussfolgerungen Generell zeigte sich insbesondere bei diesem Projekt, dass ein möglichst vollumfängliches digitales Abbild der Straßenbefestigung und deren Eigenschaften ein unerlässliches Mittel zur Interpretation insbesondere von zerstörungsfreien Messungen ist. Die Etablierung von strukturierten, vollständigen und zugänglichen Datenbanken ist ein Schlüssel hierzu. 6. Ausblick Die Messungen mit dem 3D-Georadarverfahren der BASt sind unproblematisch und ohne großen Aufwand durchführbar, da sie unter anderem im fließenden Verkehr stattfinden können. Daher bietet es sich an, auch auf anderen durch Hochwasser gefährdeten Autobahnabschnitten eine Datenbasis mittels 3D-Georadar aufzubauen. Bei Bedarf könnten diese Daten dann zur Bewertung und Einordnung von Signalveränderungen schnell herangezogen werden. Weiterhin finden sich in der Literatur Studien zu Georadardaten, die neben der Schichtdicke, Amplitude und Phase auch andere sogenannte Attribute wie beispielsweise die Frequenzanteile auswerten [4]. In [5] berichten die Autoren bei einem steigenden Wassergehalt in Sand von einer erkennbaren Verschiebung der Frequenzanteile hin zu niedrigeren Frequenzen. Speziell die Analyse der Frequenzanteile bietet zudem großes Potential in der automatisierten Auswertung. Es bietet sich an, diese Methoden auch im Straßenkontext auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen. Insbesondere im Zusammenhang mit Hochwasserereignissen können sich hier wertvolle Zusatzinformationen zur Bewertung ergeben. In der Bundesanstalt für Straßenwesen startet Anfang 2025 ein Forschungsprojekt, das verschiedene Georadar-Attribute unter verschiedenen Bedingungen untersuchen soll. Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrsw., „Arbeitspapier Anwendung des Georadarverfahrens zur Substanzbewertung von Straßen, Teil A: Bestimmung von Schichtdicken des Oberbaus von Verkehrsflächenbefestigungen mit dem Georadar-Impulssystem,“ FGSV-Verlag, Köln, 2023. [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrsw., „Arbeitspapier Anwendung des Georadarverfahrens zur Substanzbewertung von Straßen, Teil Allgemeines: Beschreibung und Qualitätssicherung von Georadarmessungen mit dem Georadar-Impulssystem,“ FGSV-Verlag, Köln, 2022. [3] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrsw., „Reihe 433 AP Trag,“ FGSV, Köln, 2008-2023. [4] J. Tronicke und U. Böniger, „GPR attribute analysis: There is more than amplitudes,“ First Break, Bd. 31, Nr. 8, 2013. [5] Y. YongShuai, Y. Yajing und Z. Guizhang, „Estimation of sand water content using GPR combined time-frequency analysis in the Ordos Basin, China,“ Open Physics, Bd. 17, Nr. 1, pp. 999-1007, 2019. <?page no="111"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 111 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter Dipl.-Ing. Silvio Roth Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften Assistant Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Lukas Eberhardsteiner Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften Univ.-Lektor Dipl.-Ing. Dr. techn. Valentin Donev Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Ronald Blab Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften Zusammenfassung Das Fallgewichtsdeflektometer stellt eine die am weitesten verbreiteten Methoden zur Bewertung des strukturellen Zustandes eines Straßenauf baus dar. Die Interpretation der Ergebnisse ist jedoch aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren nicht trivial und es existieren mehrere Ansätze und Indikatoren zur Bewertung der Tragfähigkeit. In der aktuellen österreichischen Richtlinie zur „Oberbauverstärkung von Asphaltstraßen“ [1] findet der sogenannte Einsenkungsmodul M D1 unter anderem bei der Ermittlung der rechnerischen Resttragfähigkeit Anwendung. Als Weiterentwicklung des bestehenden Modells kann nun über die Verknüpfung der rechnerischen Resttragfähigkeit ein Zusammenhang zwischen der zulässigen verbleibenden Anzahl an Lastwechsel N Rest und M D1 hergestellt werden. Aus dem Vergleich der noch zulässigen Lastwechsel kann schließlich die verbleibende technische Restlebensdauer des Oberbaus berechnet werden. Die technische Restlebensdauer kann als ergänzendes Element des Erhaltungsmanagements eine wesentliche Rolle bei der vorausschauenden und nachhaltigen Planung von Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen spielen. 1. Einführung Bis auf wenige Lückenschlüsse ist das österreichische Autobahn- und Schnellstraßennetz größtenteils ausgebaut. Mit einem gewichteten Durchschnittsalter von 19-Jahren des Assets Straße [2] steht vor allem die bauliche Straßenerhaltung im Vordergrund. Umso wichtiger ist eine systematische Zustandserfassung in einem Pavement Management System, um zuverlässige Prognosen als objektive Entscheidungsgrundlage für künftige Investitionen zu gewährleisten. Die Bewertung des Straßenzustandes umfasst mehrere Zustandsmerkmale, welche durch Normierung und Gewichtung aus Gebrauchs- und Substanzwerten zu einem Gesamtwert zusammengefasst werden [3]. Mithilfe von Zustandsklassen nach dem Schulnotensystem (von 1 für „sehr gut“ bis 5 für „sehr schlecht“) wird der erfasste IST- Zustand mit dem SOLL-Zustand verglichen. Der „Gebrauchswert Sicherheit“ umfasst jene Merkmale, die der Verkehrssicherheit und dem Fahrkomfort dienen (Griffigkeit, Spurrinnen, Längs- und Querebenheit) [2]. Für Asphaltbefestigungen beschreibt der „Substanzwert Decke“ die strukturelle Beschaffenheit des Oberbaus durch die Zustandsmerkmale Risse, Oberflächenschäden, einer Gewichtung von Spurrinnen und Längsebenheit sowie dem Alter der Deckschicht [2]. Die derzeitige österreichische Straßenzustandserfassung auf dem Autobahn- und Schnellstraßennetz beruht größtenteils auf Fahrbahnoberflächenmerkmalen mit dem schnellfahrenden Messsystem RoadSTAR [4]. Für Betondecken wird zusätzlich das Zustandsmerkmal der „theoretische Tragfähigkeit“ herangezogen [2], welches zurzeit nur aufgrund der bisher ertragenen Lastwechsel und dem Alter der Konstruktion errechnet wird [5]. Eine Sonderstellung hat dabei das Fallgewichtsdeflektometer (Falling-Weight-Deflectometer - FWD). Das stationäre und zerstörungsfreie Messverfahren kann nicht nur zur Bewertung der Tragfähigkeit herangezogen werden [6], sondern dient auch als Grundlage für die Wahl von baulichen Erhaltungsmaßnahmen wie die Oberbauverstärkung von Asphaltstraßen nach der österreichischen RVS 03.08.64 [1]. Bei der Deflektionsmethode werden tatsächlich gemessene FWD-Einsenkungen mit einer Datenbank von simulierten Deflektionen (in Abhängigkeit der Jahreszeit und der gemessenen Oberflächentemperatur) verglichen, um eine Einschätzung der Resttragfähigkeit der Asphaltschicht zwischen 50 % und 100 % abzugeben und eine geeignete Ausgleichsschichtdicke des Asphalts auszuwählen [1]. Zu diesem Zweck wurde vom Herausgeber der Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau (RVS), die Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr (FSV), die Software ReTra veröffentlicht, um die Berechnungen für den Endnutzer zu vereinfachen und zu automatisieren. Diese Methodik kann jedoch auch zur Berechnung der verbleibenden zulässigen Normlastwechsel herangezo- <?page no="112"?> 112 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter gen werden, um daraus in weiterer Folge die bestehende Restlebensdauer zu ermitteln. Nach einer kurzen Einführung der Funktionsweise des FWD-Versuchs in Kapitel 2 und dem Einsenkungsmodul in Kapitel 3, wird die zugrunde gelegte Bemessungsmethodik (Kapitel 4) zur Berechnung der Resttragfähigkeit (Kapitel 0) erläutert. Abschließend wird in Kapitel 6 die verbleibende zulässige Anzahl der Lastwechsel N Rest und die Restlebensdauer erläutert und anhand eins Bemessungsbeispiel exemplarisch dargelegt. 2. Fallgewichtsdeflektometer (FWD) Das Fallgewichtsdeflektometer ist ein dynamisches Messverfahren, welches die Überfahrt einer rollenden Radlast simulieren soll. Dabei wird über ein Fallgewicht und eine Lastplatte (meist mit Durchmesser 300 mm) ein konzentrierter Lastimpuls in die Straßenoberfläche eingebracht (siehe Abb. 1). Die kurzzeitige elastische vertikale Einsenkung - auch Deflektion genannt - wird entlang der Messlinie des Tragarms durch Deflektionsaufnehmer (meist Geophone) aufgezeichnet. Gemessen wird daher in erster Linie die Deflektion an der Straßenoberfläche. Aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren ist die Interpretation der Einsenkungsmulde nicht trivial und es existieren mehrere Ansätze in der Literatur zur Ableitung und Bewertung der Tragfähigkeit [7-10]. Die einfachste Methode ist die statistische Auswertung und der Relativvergleich der Deflektionen über einen längeren Zeitraum. Deflektionsparameter wie SCI 300 , BCI und BDI [10] sind Indikatoren, die aus den Deflektionen einzelner Geophone oder auch aus zusätzlichen geometrischen Zusammenhängen der Deflektionsmulde hergeleitet werden. Komplexere Analysemethoden beruhen auf der Rückrechnung der (quasi-)elastischen Materialeigenschaften einzelner Schichten. Durch Variation der Materialkenngrößen und der einzelnen Schichtdicken wird versucht die gemessene Deflektionsmulde so genau wie möglich nachzubilden. Aufgrund der vielen unbekannten Parameter handelt es sich um ein nicht eindeutig lösbares mathematisches Problem, welches mit ingenieurmäßiger Erfahrung und Sorgfalt auf die Plausibilität kontrolliert werden muss. Einen wesentlichen Einfluss auf die Größe der Deflektionen haben die wechselnden klimatischen Witterungsbedingungen. Das viskoelastische Materialverhalten des Bindemittels Bitumen ist unter anderem maßgeblich von der Temperatur abhängig. Auch die Tragfähigkeit der ungebundenen Tragschichten kann saisonal aufgrund des Aggregatzustandes (flüssig oder gefroren) und der Menge des Wassers im Boden erheblich schwanken. Da der FWD-Versuch eine stationäre Punktmessung darstellt, muss der entsprechende Fahrstreifen abgesperrt und gesichert werden. Weiterentwicklungen im Bereich des FWD führten zu schnellfahrenden und kontinuierlichen Messverfahren wie dem Rolling Wheel Deflectometer (RWD) [11] oder dem Traffic Speed Deflectometer (TSD) [12]. Kontinuierliche Messungen eignen sich hervorragend auf Netzebene, um potenzielle Schwachstellen aufzuspüren und bei Erfordernis genauer mit dem FWD zu untersuchen [13]. 3. Einsenkungsmodul Der Einsenkungsmodul M D1 ist ein neuer Indikator zur Bewertung der Tragfähigkeit von bituminösen Befestigungen. Neben den Deflektionen der Geophone wird hierbei auch die Dicke der Asphaltschicht zur Evaluierung benötigt (siehe Abb. 1). Abb. 1: Messprinzip des FWD-Versuchs Für die Berechnung von M D1 werden die versuchstechnisch induzierten Primärwirkungen (Spannungen s FWD und Dehnungen e Di ) des Fallgewichts nach Gl. 1 betrachtet. (Gl. 1) Die durch das Fallgewicht verursachten Spannungen lassen sich aus der gemessenen Last P FWD [N] und der bekannten Fläche der runden Lastplatte A FWD = r 2 × π [mm 2 ] (üblicherweise mit Radius r = 150 mm) nach Gl. 2 ermitteln. (Gl. 2) Die Dehnung e Di wird als Quotient zwischen der gemessenen Deflektion D i [mm] und der Asphaltschichtdicke d AC [mm] an der betrachteten Stelle i nach Gl. 3 berechnet. (Gl. 3) Der Einsenkungsmodul M D1 [14] im Lasteinleitungszentrum wird für die Ermittlung der Resttragfähigkeit bei der Deflektionsmethode nach RVS 08.08.64 [1] herangezogen. Die durchgeführte Sensitivitätsanalyse [15] erlaubt zudem die Schlussfolgerung, dass M D1 ein geeigneter Prädiktor für die Tragfähigkeit der oberen bituminösen Asphaltschicht ist. 4. Rechnerische Dimensionierung Die österreichische Bemessungsmethodik [16] basiert auf einer mechanistisch-empirischen Dimensionierung und bietet zwei Möglichkeiten zur Bemessung von Asphaltbefestigungen. Die RVS 03.08.63 „Oberbaubemessung“ <?page no="113"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 113 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter [17] bietet eine einfache Bemessungstabelle mit Standardoberbauten bei der nur wenige Eingangsgrößen auf der Einwirkungsseite benötigt werden. Für eine wirtschaftlichere und maßgeschneiderte Bemessung kann der gebrauchsverhaltensorientierte (GVO) Ansatz der „rechnerischen Dimensionierung von Asphaltstraßen“ gemäß RVS 03.08.68 [18] herangezogen werden. Die in Abb. 2 dargestellte Dimensionierungsmethodik ist bei beiden Ansätzen im Hintergrund grundsätzlich gleich, wobei die vereinfachte Oberbaubemessung nach RVS 03.08.63 [17] sämtliche Achslasten auf eine Normachse von 100 kN bezieht. Abb. 2: Dimensionierungsmethodik von Asphaltstraßen (modifiziert nach [16]) Maßgebend für die Bemessung ist der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit in Form der Materialermüdung der Asphaltschichten. Die technische Lebensdauer des Straßenoberbaus lässt sich durch einen Vergleich der Anzahl der erwarteten Lastwechsel N erw auf der Einwirkungsseite mit der Anzahl der ertragbaren Lastwechsel N zul auf der Widerstandsseite nach Gl. 4 bestimmen. (Gl. 4) Die Berechnung der ertragbaren Lastwechsel N zul basiert auf der Schadensakkumulationshypothese nach Palmgren- Miner [19, 20] bei der die einzelnen Schädigungen einer Achsüberfahrt über die Bemessungsdauer aufsummiert werden können. Die Quantifizierung der Schädigung einer einzelnen Achsüberfahrt wird mithilfe empirischer Ermüdungsfunktionen ermittelt. Die Eingangsgrößen dieser Funktionen sind zumeist Primärwirkungen (Spannungen und Dehnungen), welche aus einem analytischen oder numerischen Oberbaumodell stammen. Entscheidende Parameter für das Oberbaumodell sind die Verkehrslast, die Anzahl und Materialeigenschaften der Schichten (Struktur) sowie die klimatischen Bedingungen. Die Verkehrslast spielt sowohl auf der Einwirkungsals auch auf der Widerstandsseite eine entscheidende Rolle, um eine zuverlässige Bemessung des Oberbaus zu gewährleisten. Je mehr Informationen des Verkehrs hinsichtlich der zu erwartenden Belastung bekannt sind, desto genauer können die Primärwirkungen bestimmt werden. Abhängig von der Verfügbarkeit von Verkehrsdaten können bei der rechnerischen Dimensionierung [18] drei Bemessungsstufen unterschieden werden. Neben der Einwirkung müssen auch die Materialeigenschaften (Schichtsteifigkeit, Querdehnungszahl) und Schichtdicken der Struktur bekannt sein. Abhängig vom gewählten Oberbaumodell können weiters verschiedene Randbedingungen und Interaktionen zwischen den jeweiligen Schichten definiert werden. Um den thermo-viskoelastischen Eigenschaften des Bitumens Rechnung zu tragen, erfolgt eine Anpassung der Steifigkeit S mix des Asphalts an die täglichen und jährlichen Temperaturschwankungen [21]. Zu diesem Zweck wurde das Jahr in sechs Klimaperioden unterteilt, welche wiederum unterschiedliche Tag- und Nachttemperaturen aufweisen. Somit ergeben sich insgesamt zwölf Temperaturperioden [18]. In Bezug auf die variierenden Tragfähigkeiten der ungebundenen Schichten während eines Jahres, bedingt durch den Aggregatzustand sowie der Wasserquantität, wurden darüber hinaus vier Untergrundtragfähigkeitsperioden definiert, welche in der Folge auch die Steifigkeiten der ungebundenen Tragschichten beeinflussen [18, 22]. Abb. 3: Ermittlung der Resttragfähigkeit und der technischen Restlebensdauer <?page no="114"?> 114 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter 5. Resttragfähigkeit Auf Basis der zuvor dargelegten Grundlagen kann nun die Ermittlung der Resttragfähigkeit im Rahmen der „Oberbauverstärkung von Asphaltstraßen“ gemäß RVS 03.08.64 [1] erörtert werden. Bei der Deflektionsmethode wird die Resttragfähigkeit durch Vergleich tatsächlicher FWD-Messergebnisse mit analytischen Simulationsergebnissen nach der Mehrschichtentheorie (MST) von Burmister [23] ermittelt (siehe Abb. 3). Der Vergleich erfolgt über den bereits erläuterten Einsenkungsmodul M D1 aus Kapitel 3. Das zuvor erwähnte Berechnungsprogramm der FSV verlangt die folgenden Eingangsparameter: • Last des FWD-Versuchs • Deflektion unter der Lastplatte • Oberflächentemperatur des Asphalts • Datum der Tragfähigkeitsmessung • Bautype und Lastklasse gemäß RVS 03.08.63 Die Ermittlung des Einsenkungsmoduls M D1 erfolgt durch die Eingabe der Bautype und Lastklasse, der Deflektion unter der Lastplatte sowie der Versuchslast. Unter Berücksichtigung des Datums erfolgt eine Auswahl der korrekten Periode der Untergrundtragfähigkeit. Die repräsentativen Temperaturperioden zur Ermittlung der Asphaltsteifigkeiten S mix sind zwar für die Schadensakkumulation über die Lebensdauer hinreichend präzise, jedoch nicht bei einer punktuellen FWD-Messung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Asphalttemperaturen in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten (z.- B. Sonneneinstrahlung) erheblichen Schwankungen über den Tagesverlauf unterliegen. Daher umfasst die Simulationsdatenbank für jede Untergrundtragfähigkeitsperiode ein breites Spektrum an Oberflächentemperaturen in 5 °C-Abstufungen, um die tatsächlich gemessene Temperatur möglichst exakt in der Beurteilung abzudecken. Innerhalb der eingegrenzten Parameter wird dann die beste Übereinstimmung von M D1 gesucht, welche dann in der Datenbank mit der abgeminderten Asphaltsteifigkeit zwischen 50 % und 100 % (in 10 %-Schritten) als Simulationsparameter in Verbindung gebracht werden kann. Die Software ReTra gibt die Resttragfähigkeit der Asphaltschicht aus, mit deren Hilfe eine geeignete Ausgleichsschichtdicke D A aus der Tabelle der RVS 03.08.64 [1] entnommen werden kann. 6. Technische Restlebensdauer Als mögliche Erweiterung der Methodik kann nun die Resttragfähigkeit (in Form der abgeminderten Asphaltsteifigkeit) herangezogen und in die rechnerische Dimensionierung auf der Bemessungsebene eingesetzt werden (siehe Abb. 3). Durch Vergleich der berechneten verbleibenden zulässigen Anzahl an Lastwechsel N Rest mit der erwarteten Anzahl an Lastwechsel N erw kann die verbleibende technische Restlebensdauer ermittelt werden (siehe Gl. 5). (Gl. 5) Am Beispiel von Lastklasse LK25, Bautype AS1 aus dem Bemessungskatalog [17] wird im Folgenden versucht die Zusammenhänge des Bewertungshintergrundes zu veranschaulichen. Die Vorgehensweise entspricht der rechnerischen Dimensionierung nach RVS 03.08.68 [18]. Als Bemessungslast für den simulierten FWD-Versuch wurde eine Normachslast von 100 kN gewählt. Bei einer Lastplatte mit einem Durchmesser von 30 cm würde dies eine vertikale Kontaktspannung von 0,707 MPa induzieren, was mit dem typischen Reifeninnendruck (7-bar) von Lastkraftfahrzeugen übereinstimmt. Die berücksichtigten Schichtdicken sind in Tab. 1 angeführt. Materialeigenschaften wie Querdehnungszahlen sowie die temperaturabhängigen Asphaltsteifigkeiten und die Steifigkeiten der ungebundenen Schichten können der RVS 03.08.68 [18] entnommen werden. Im Rahmen dieses Bemessungsbeispiels wird die Verwendung von polymermodifiziertem Bitumen (PmB) in sämtlichen bituminösen Schichten angenommen. Zur Berechnung der Asphaltsteifigkeit nach dem Wiener Modell [18] wurden übliche Kennwerte für den Hohlraumgehalt (VMA = 14,1 Vol.-%) und den Auffüllungsgrad (VFB = 68,1 Vol.-%) sowie ein 95 % Vertrauensniveau herangezogen. Für die Berechnung der verbleibenden zulässigen Anzahl der Lastwechsel N Rest in Abhängigkeit der gemessenen Einsenkungsmoduln M D1 , wurden die maßgeblichen Spannungen für alle zu variierenden Materialeigenschaften des Asphalts und der ungebundenen Schichten für alle definierten Perioden und für Resttragfähigkeiten zwischen 50 % und 100 % in 10 % Schritten nach der Mehrschichtentheorie berechnet. Dabei wurden für die Bestimmung der temperaturabhängigen asphaltmechanischen Eigenschaften nach RVS 03.08.68 [18] die repräsentativen Temperaturen an der Unterseite der Asphaltschicht in 25 cm Tiefe aus den maßgebenden Temperaturprofilen in Temperaturzone II herangezogen (siehe Tab. 2). Nachdem die 72 Berechnungen nach der Mehrschichtentheorie für alle zwölf Temperaturperioden, unter Berücksichtigung der vier Tragfähigkeitsperioden der ungebundenen Schichten, und der sechs Stufen der Abminderung der Asphaltsteifigkeit (50 % bis 100 % in 10-% Schritten) abgeschlossen waren, wurden neben den Einsenkungsmoduln auch die Spannungen für das Ermüdungskriterium bituminöser Schichten [18] berechnet. Durch Ermittlung der Schädigung und der anteilsmäßigen Gewichtung der zwölf Perioden ergibt sich, in Abhängigkeit der gewählten Stufen der Resttragfähigkeit, die zulässige Anzahl der verbleibenden Lastwechsel N Rest in Abb. 4. Da die rechnerische Dimensionierung nach RVS 03.08.68 [18] einem gebrauchsverhaltensorientierten (GVO) Ansatz folgt und daher wirtschaftlicher als die traditionelle Oberbaubemessung nach RVS 03.08.63 [17] ist, muss für <?page no="115"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 115 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter den Bezug auf die BNLW der Bemessungstabellen noch ein Kalibrierungsfaktor von 1,26 eingeführt werden. Im Gegensatz zu den vorgeschriebenen 25 Mio. Lastwechsel bei 100 % Resttragfähigkeit, erlaubt der Einsatz von PmB eine Erhöhung der Lastklassengrenze um 10 % auf 27,5. Mio. Lastwechsel [17]. Daher beträgt die verbleibende Anzahl an Lastwechsel N Rest in Abb. 4 bei 50 % Resttragfähigkeit weiterhin 2,5 Mio. Tab. 1: Schichtdicken LK25 nach RVS 03.08.63 [17] Schicht Dicke [cm] Bituminöse Schicht 25 Ungebundene obere Tragschicht 20 Ungebundene untere Tragschicht 30 Untergrund - Tab. 2: Temperaturen an der Unterseite der Asphaltschicht [18] Periode Tag Temperatur [°C] Periode Nacht Temperatur [°C] P1 0,6 P2 1,8 P3 10,6 P4 11 P5 19,5 P6 26 P7 19,7 P8 25,6 P9 17 P10 17,6 P11 3,6 P12 6,3 Abb. 4: Zusammenhang zwischen der zulässigen Anzahl an Lastwechsel und der Resttragfähigkeit [15] Über die Verknüpfung der Resttragfähigkeit kann nun ein Zusammenhang zwischen der zulässigen verbleibenden Anzahl an Lastwechsel N Rest und dem ebenfalls berechneten Einsenkungsmodul M D1 hergestellt werden (siehe Abb. 5). Wie auch bei der Bestimmung der Resttragfähigkeit bituminöser Befestigungen nach RVS 03.08.64 [1] werden die Deflektionsmulden synthetischer und realer FWD- Versuche mit Hilfe des Einsenkungsmoduls M D1 verglichen. Da der Zeitpunkt für die Zuordnung der tatsächlich gemessenen Deflektionen wesentlich ist, müssen die vier Tragfähigkeitsperioden der ungebundenen Schichten (Untergrund, UUTS, UOTS) sowie die zum Zeitpunkt der Messung vorherrschende Asphalttemperatur berücksichtigt werden. Um eine Berücksichtigung von mehr als nur den gezeigten repräsentativen Temperaturspannen zu gewährleisten, kann dieses Verfahren bei Bedarf auf ein breiteres Temperaturspektrum erweitert werden. Abb. 5: Zusammenhang zwischen der zulässige Anzahl an Lastwechsel dem Einsenkungsmoduln <?page no="116"?> 116 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Beurteilung der Restlebensdauer von Asphaltoberbauten anhand neuer FWD-Deflektionsparameter 7. Zusammenfassung und Ausblick Die Verknüpfung der Resttragfähigkeit mit dem Einsenkungsmodul M D1 erlaubt die Herleitung eines Bewertungshintergrundes für die Berechnung der verbleibenden Anzahl an Lastwechsel N Rest mittels der rechnerischen Dimensionierung gemäß RVS 03.08.68 [18]. Analog zur bestehenden Berechnung der Resttragfähigkeit nach RVS 03.08.64 [1] wäre eine automatisierte Softwarelösung für alle Lastklassen und einem erweiterten Temperaturbereich realisierbar. Durch den Vergleich der verbleibenden Anzahl an Lastwechsel N Rest mit der voraussichtlich zu erwartenden Anzahl an Lastwechsel N erw kann die technische Restlebensdauer n Rest von Oberbauten bestimmt werden. Damit stünde dem Erhaltungsmanagement ein weiteres wesentliches Instrument zur nachhaltigen und vorausschauenden Planung von Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen zur Verfügung. 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Journal of Applied Physics, 1945. 16(2): p. 89-94. <?page no="117"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 117 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen - Praxisbeispiel des Landkreises Börde zur Aufstellung des Kreisstraßenausbauprogramms und Unterhaltungsmaßnahmen an der Kreisstraßeninfrastruktur Dr. Denis Gruber Dezernent für Umwelt und Infrastruktur, Landkreis Börde Zusammenfassung Erhaltungs- und Investitionsmaßnahmen in das Straßennetz stellen Baulastträger vor grundlegende Herausforderungen, denn die hierfür aufzubringenden finanziellen Mittel sind nur in begrenztem Umfang verfügbar. Der finanzielle Engpass macht es den Straßenbaulastträgern schwierig, die sowohl erforderliche Unterhaltung am Bestandsnetz durchzuführen als auch den grundhaften Neu- und Ausbau von Straßen zu finanzieren. Aufgrund der fortschreitenden Technisierung der Arbeitswelt und des Einzuges Künstlicher Intelligenz auf Ebene der Kommunalverwaltung lassen sich mittlerweile auch Fragen nach Priorisierungen von Straßenunterhaltungs- und baumaßnahmen objektiv begründen. Am Beispiel des Landkreises Börde (Sachsen-Anhalt) wird verdeutlicht, wie durch die Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Kreisstraßen Lösungen gefunden wurden, um Konfliktpotential bei der Entscheidung über die Verwendung der Finanzmittel zu minimieren und sachliche Argumente vorzubringen, die auf objektiven Bewertungsgrundlagen beruhen. 1. Einführung Einer leistungsfähigen und optimal vernetzten Infrastruktur kommt eine zentrale Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit als Basis für Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand zu. Nahezu jeder Bürger ist auf Straßen angewiesen, die eine bedeutende Rolle im Transport und Verkehr sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch auf Ebene der Landkreise und Gemeinden einnehmen. Allerdings verschlechterte sich der Zustand der Straßeninfrastruktur in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend. Einerseits aufgrund der zunehmenden Verkehrsbelastung durch den motorisierten Verkehr (v. a. Schwerlastverkehr) wird die Verschlechterung der Substanz der Straßeninfrastruktur maßgeblich beeinflusst. Andererseits sorgen äußere Einflüsse wie Niederschläge, niedrige und hohe Temperaturen, UV-Strahlung, etc. für eine Zustandsverschlechterung. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem kommunale Straßenbaulastträger sich in defizitären Haushaltssituationen befinden und den steigenden Aufwand für Erhaltungsmaßnahmen aufgrund einer unzureichenden Finanzausstattung nur schwer stemmen können. Ebenso stellt der wachsende Investitionsstau, der sich auf den fehlenden grundhaften Neu- und Ausbau der Straßeninfrastruktur bezieht, ebenfalls als monetäre Herausforderung dar. Laut einer Difu-Studie wird allein der Nachhol- und Ersatzbedarf bei der kommunalen Straßenverkehrsinfrastruktur bis zum Jahr 2030 auf 283 Milliarden Euro geschätzt, hinzu kommen 64 Milliarden Euro für den Öffentlichen Nahverkehr.[1] Da Dreiviertel aller Straßen in Deutschland Kommunalstraßen sind, d. h. in Baulastträgerschaft der Landkreise und Gemeinden befinden, forderte der Städte- und Gemeindebund bereits im Jahr-2018 eine deutlich bessere Finanzausstattung der Kommunen und regte hierbei die Ausweitung der Lkw-Maut auf Kommunalstraßen an. [2] Das Anlagevermögen Straße unterliegt einem, je nach einwirkendem Belastungsgrad und äußeren Bedingungen, unterschiedlich verlaufendem Alterungsprozess. Aufgrund der sich in den letzten Jahren verstetigten Finanznot deutscher Kommunen stehen sie als Träger öffentlicher Verkehrswege vor dem Problem, die knappen finanziellen Mittel für eine funktionsgerechte und wirtschaftliche Straßenerhaltung und für den Straßenneubau effektiv einzusetzen. Weiterhin stellt sich sowohl für kommunale Straßenbaulastträger als auch für politische Entscheidungsträger in den Kommunen regelmäßig die Frage, welcher Straßenabschnitt bzgl. eines grundhaften Ausbaus (investive Maßnahme) bzw. einer Erhaltungsmaßnahme zu welchem Zeitpunkt an der Reihe ist. Unabdingbar ist es daher für kommunale Straßenbaulastträger Prognosen zum Erhaltungsbedarf vorzulegen und Maßnahmen aufgrund ihrer Dringlichkeit zu priorisieren. Das führt zweifelsohne zu Konflikten und Diskussionen, da die knappen Finanzmittel jeweils nur punktuell in das Straßennetz als Erhaltungsund/ oder Investitionsmaßnahme umgesetzt werden können. In kommunalen Gremien wird häufig über die notwendigen Orte durchzuführender Erhaltungs- und Baumaßnahmen debattiert. Gerade auf der Ebene der Kommunalpolitik ist es wichtig, auf objektive Kriterien bei der Prioritätensetzung zu setzen, um sich gegen ein gewisses, mit der jeweiligen Wohnortnähe politischer Entscheidungsträger im Zusam- <?page no="118"?> 118 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen menhang stehendes, „Kirchturmdenken“ argumentativ zu behaupten. 1 Vor dieser Herausforderung, politischen Entscheidungsträgern objektives Datenmaterial bereitzustellen, um über zukünftige investive Maßnahmen an der Kreisstraßeninfrastruktur zu entscheiden und hierbei „Kirchturmpositionen“ entgegen zu können, stand auch der Landkreis Börde im Zuge der Aufstellung seines Kreisstraßenbauprogramms für den Zeitraum 2023-2030. Zielsetzung des Programms war, auf Basis validen Zahlenmaterials Prioritäten für Investitionen in die Kreisstraßeninfrastruktur zu ermitteln. Als wesentlicher Bestandteil der Aufzeigung objektiver Bewertungsgrundlagen erwies sich hierbei der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die in den Streckenkontrollfahrzeugen der Kreisstraßenmeisterei genutzt wird und eine automatische Zustandsnotenerfassung der Straßenoberfläche der einzelnen Kreisstraßenabschnitte erbringt. Die durch KI ermittelte Zustandsnote ist nicht subjektiv beeinflussbar, sondern stellt für jeden einzelnen Streckenabschnitt im Kreisstraßennetz eine objektive aktuelle Bewertung dar. Im Folgenden wird auf die Einbindung künstlicher Intelligenz in den Bereichen der Planung, des Baus und der Unterhaltung von Straßen eingegangen, die vor allem vor dem Hintergrund limitiert zur Verfügung stehender Finanzmittel kommunaler Straßenbaulastträger und des weiter wachsenden Investitionssowie Unterhaltungsbedarfs an Straßen eine immer wichtiger werdende Funktion einnimmt und für die Entscheidungsfindung sowohl administrativer als auch politischer Entscheidungsträger von Relevanz ist. 2. Die Last der Straßenbaulast - Investitions- und Sanierungsstau Mit einer Einwohnerzahl von ca. 172.000 und einer Fläche von 2.3672 km² ist der Landkreis Börde der zwölftgrößte Landkreis Deutschlands. Er verfügt mit ca. 595-Kilometer Kreisstraßen über das größte Kreisstraßennetz aller sachsen-anhaltinischen Landkreise, welches in 111 Kreisstraßen mit 414 Straßenabschnitten gegliedert ist, die sich hinsichtlich inner- und außerörtlicher Abschnitte differenzieren. 484 der insgesamt 595 Kilo- 1 Die Bezeichnung „Kirchturmdenken“ umschreibt eine Politik, die sich hinsichtlich politischer Entscheidungen nur bestimmte Orte bzw. Regionen bevorzugen. Der politische Entscheidungsträger setzt sich hierbei häufig engstirnig für den lokalen bzw. regionalen Raum ein, zu dem auch sein Wohnort gehört. Die Auswirkungen dieser von lokalpatriotischen Motiven bestimmten Verhaltensweise werden nur so weit bedacht, wie man den eigenen Kirchturm sieht. Aufgrund der primären Betrachtung des lokalen/ regionalen Raumes mit dem man verhaftet ist, werden weitergehende Auswirkungen für andere Gebiete/ Kommunen in den Hintergrund gerückt, was negative Auswirkungen auf Maßnahmen haben kann, die eine höhere Umsetzungspriorität besitzen. 2 Als den Bundes- und Landesstraßen nachgeordnetes Netz übernehmen Kreisstraßen regionale und überregionale verbindende Funktionen. Vielfach sind Kreisstraßen aber auch die einzigen Verbindungsstraßen, hauptsächlich im ländlichen Raum. Aufgrund ihrer Zubringerfunktion erbringen Kreisstraßen einen unentbehrlichen Anschluss an das übergeordnete Netz und stellen Verbindungen zwischen Orten und Ortsteilen dar. In seiner Struktur ist das Kreisstraßennetz zersplittert und nicht durchgängig, wie dies bei Bundes- und Landesstraßen der Fall ist. 3 Baulastträgerschaft umfasst alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Verkehrsflächen zusammenhängenden Aufgaben wie beispielsweise Verkehrssicherungspflicht, Erhaltung, Erneuerung, Reinigung, Grünpflege, Winterdienst und Verwaltungsaufgaben, die den Betrieb und das Eigentum organisieren. meter Kreisstraßen verlaufen außerorts. 2 Die 111 Kilometer innerörtlichen Kreisstraßen teilen sich auf insgesamt 131 verschiedene Ortsdurchfahrten auf. Zugleich ist der Landkreis Baulastträger für 70 Brückenbauwerken, 645-Durchlässe und 72 Kilometer Radverkehrsanlagen. Von den ca. 595 km Kreisstraßen im Landkreis Börde wurden 455 km nach der politischen Wende 1989/ 90 grundhaft ausgebaut. Somit ist für noch 140-Kilometer Kreisstraße ein grundhafter Ausbau noch erforderlich. Zu einem nicht unerheblichen Teil sind die Kreisstraßen zudem unzureichend ausgebaut. Die Aufgaben des Landkreises Börde als Straßenbaulastträger ergeben sich aus dem Straßengesetz des Landes Sachsen-Anhalt und einschlägigen Verordnungen, Erlassen und Richtlinien. Bei der Straßenbaulast handelt es sich um eine öffentliche Aufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge. 3 Sie umfasst alle mit dem Bau und der Unterhaltung zusammenhängenden Aufgaben. Zwar ermöglicht das Straßengesetz Einschränkungen, weil die eigene (finanzielle) Leistungsfähigkeit Maßstab dabei sein soll, die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen und zu unterhalten, entbindet den Straßenbaulastträger jedoch nicht von der Verpflichtung, Straßen so herzustellen und zu unterhalten, dass sie den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung genügen. [3] Diese Verkehrssicherungspflicht zielt auf die Notwendigkeit der gefahrlosen Benutzung einer Straße ab. Das Kreisstraßennetz mit seinen Brückenbauwerken und Radwegen stellt ein Anlagevermögen in erheblichem Umfang dar. Um dieses Anlagevermögen des Landkreises Börde entsprechend den infrastrukturellen und verkehrlichen Erfordernissen unter umweltrelevanten und technischen Gesichtspunkten zu erhalten, müssen jährlich erhebliche Haushaltsmittel aufgebracht werden. Das Anlagevermögen Straße unterliegt einem, je nach einwirkendem Belastungsgrad und äußeren Bedingungen, unterschiedlich verlaufendem Alterungsprozess. Die fortlaufende Erfassung des Straßenzustandes mittels einheitlicher Betrachtungsweise ist daher zentrale Voraussetzung für einen optimalen Einsatz der zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen. <?page no="119"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 119 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen Bezogen auf die Doppik kommunaler Haushalte sind hinsichtlich notwendiger Investitionen und Erhaltungsmaßnahmen am Straßennetz sind zwei unterschiedliche Sphären betroffen. Einerseits, im Falle von Investitionen (grundhafter Neu- und Ausbau von Straßen, Ingenieurbauwerken und Radverkehrsanlagen), die kommunale Finanzplanung, anderseits im Falle von Erhaltungsmaßnahmen, die sich in betrieblicher und baulicher Erhaltung unterscheiden, der kommunale Ergebnishaushalt. Bauliche Erhaltung hat die Instandhaltung (Unterhaltung), Instandsetzung und Erneuerung von Straßen und Brücken zum in kleinerem Umfang zur Substanzerhaltung von Verkehrsflächen zum Gegenstand, die mit eigenem Aufwand i. d. R. sofort nach dem Auftreten eines lokal begrenzten Schadens von Hand oder maschinell ausgeführt werden. [4] Der Erhaltungsbedarf für Straßen wird mit Hilfe empirisch ermittelter Nutzungsdauern bestimmt, wodurch konkrete Erhaltungsmaßnahmen unter Einbeziehung festgelegter Erhaltungsziele (z. B. Befahrbarkeit, Substanzerhalt, Sicherheit) eruiert werden. [5] Erhaltung bezieht sich auf Maßnahmen, die der Erhaltung der Substanz und des Gebrauchswertes von Verkehrsflächen einschließlich Nebenflächen sowie der Umweltverträglichkeit dienen. [6] Bei Investitionen sollen neu gebaute Straßen über 30-Jahre, Brücken über 80 Jahre abgeschrieben werden. Dabei soll angestrebt werden, dass diese mindestens für diese bezifferten Zeiträume in Nutzung bleiben sollten, besser noch länger. Hierfür ist ein effektives Erhaltungsmanagement erforderlich. Zum Beispiel ergibt sich je Brückenbauwerk im Laufe ihres Lebenszyklus ein Erhaltungsaufwand, der in Summe noch einmal dem Anschaffungswert entspricht bzw. auch höher sein kann. Es ist davon auszugehen, dass nach 30 bis 40 Jahren Nutzung der Brücke ca. ein Drittel der Gesamtinvestitionssumme für eine Grundinstandsetzung einer Brücke fällig werden. Da einige unsanierte Kreisstraßen noch zu DDR-Zeiten gebaut bzw. ursprünglich für wesentlich geringere Verkehrsbelastungen dimensioniert waren, halten diese zum Teil technisch überholten Bauweisen den Beanspruchungen des heutigen Verkehrs nicht mehr Stand. Viele Kreisstraßenkilometer wurden mit einem geringeren Auf bau als heute hergestellt und haben somit eine geringere Lebensdauer. Die Gebrauchstauglichkeit und Substanz dieser Straßen sind durch die permanent teigende Beanspruchung und den fortlaufenden Alterungsprozess in erheblichem Umfang geschädigt. [7] 3. Bewertungsgrundlagen und hieraus abgeleitete Prioritäten Der Landkreis Börde hat im Zuge der Aufstellung des Investitionsprogramms 2023-2030 für Kreisstraßen, Ingenieurbauwerke und Radverkehrsanlagen in seiner Baulast durch den Kreistag eine Bedarfsliste investiver Maßnahmen beschließen lassen, die auf validen und objektiven Bewertungsgrundlagen beruht und Dringlichkeiten per vorgenommener Priorisierung bestimmt. Mit der Prioritätenliste sollen politische Gremien frühzeitig über den im Landkreis bestehenden Investitionsbedarf informiert und in die Diskussion um die Rangfolge bei der Umsetzung der investiven Maßnahmen einbezogen werden. Hierbei war es von besonderer Wichtigkeit, dass die verwendeten Bewertungsgrundlagen von den politischen Entscheidungsträgern klar nachvollzogen werden können. Diesbezüglich war die Kreisverwaltung bei der Erarbeitung des Kreisstraßenbauprogramms aufgefordert, die Entscheidungsfindungsprozesse transparent zu gestalten und gegenüber den politischen Entscheidungsträgern erläutern und vermitteln zu können. In der erarbeiteten Prioritätenliste wird der mittel- und langfristige Investitionsbedarf des Landkreises dargestellt und Prioritäten in Bezug auf Notwendigkeit und Dringlichkeit bei deren Realisierung untersetzt. Der Katalog an möglichen Bewertungsgrundlagen ist weit gefächert. Neben der Analyse der Straßenzustandserfassung gibt es zahlreiche weitere wichtige Kriterien, die von erheblicher Bedeutung sein können. Neben der softwarebasierten Zustandserfassung der Straßenoberfläche, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird, wurde sich auf folgende Bewertungsgrundlagen gestützt: -Verkehrssicherheit und Verkehrsbelastungen Insbesondere wenn Radfahrer die Fahrbahn benutzen dürfen oder mangels fehlender Radverkehrsanlagen sogar müssen, ist eine hohe Belastung durch den motorisierten Verkehr maßgebend für die Beurteilung der Verkehrssicherheit. Hohe Verkehrsbelastungen verweisen aber auch darauf, dass der Verschleiß an der Straßenoberfläche die Nutzungsdauer der Straße einschränken kann und die Dringlichkeit baulicher Maßnahmen an diesen Streckenabschnitten wächst. Grundlage für die Bewertung der Verkehrsbelastungen durch Personenkraftwagen und Schwerlastverkehr bilden umfangreiche Verkehrsmessungen entlang der ca. 600 Kilometer Kreisstraßen. Durch die vorliegenden automatischen Zählungen über 24 Stunden mittels Zählplatten konnten in den vergangenen Jahren aussagefähige Belastungszahlen für die einzelnen Abschnitte des Kreisstraßennetzes erhoben werden. Das gesamte Kreisstraßennetz wurde in drei Verkehrsstufen mit hohen, mittleren und geringen Verkehrsbelastungen unterteilt. Zur Unterteilung der Straßen wurden etwa je ein Drittel der gesamt untersuchten Straßennetzlänge gebildet. -Raumordnung Die Bedeutung der Raumordnung ergibt sich hinsichtlich spezifischer Netzkriterien der einzelnen Kreisstraßenabschnitte. Die funktionale Gliederung des Straßennetzes stellt für die Verkehrsplanung eine Rahmenkonzeption dar. Sie ermöglicht, das Straßennetz in Abhängigkeit von der Bedeutung der jeweiligen Netzabschnitte zu gestalten. Hierbei wurde eine Typisierung bestehender Kreisstraßenabschnitte vorgenommen, die sich auf Standardisierungen bezog und die Straßenart bzw. den Straßentyp <?page no="120"?> 120 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen hinsichtlich Funktion und Bedeutung im Netzzusammenhang bewertete. Unterschieden wurden die einzelnen Streckenabschnitte nach vier Typen: (1) Zubringer für Orte oder Ortsteile zum klassifizierten Netz (innere Erschließung des Landkreises), (2) Zubringer der Orte oder Ortsteile zum Mittelzentrum bzw. Kreisstadt oder Grundzentrum oder Mittelzentrum außerhalb des Landkreises, (3) wichtige Ortsverbindung (auch über die Kreisgrenze hinaus); Verbindungsfunktion zwischen Bundes- und Landesstraße und (4) wichtige Ortsdurchfahrt (innerörtliche Hauptverkehrsstraße). -Sonstige fachliche Belange Schließlich bildeten sonstige fachliche Belange eine weitere Bewertungsgrundlage. Hiermit sind gemeint: Aufwendungen für regelmäßige Unterhaltungsaufwendungen; Beschwerden der Nutzer und Anlieger; Zustand und Dimensionierung des Kanalnetzes; Zustand der Versorgungsleitungen; Vorhaben Dritter im Straßenraum (auch korrespondierende Planungen); Umweltschutzkriterien (z. B. Wasserschutzgebiet) und zur Verfügung stehende finanzielle Mittel (auch hinsichtlich Fördermöglichkeiten und Refinanzierungsaspekten sowie Finanzierungsmöglichkeiten im Falle von Gemeinschaftsaufgaben bei geteilter Baulast, auch im Hinblick auf Kostenbeteiligungen von Versorgungsträgern). 4. Zustandserfassung und -bewertung von Straßen Für die Fahrbahnoberflächen der Bundesfernstraßen wird seit Anfang der 1990er Jahre die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) durchgeführt. Die ZEB ist ein amtlich festgelegtes Untersuchungsverfahren öffentlicher Straßen zur Ermittlung der Qualität des Straßennetzes und den damit verbundenen Unterhaltsbzw. Erhaltungskosten. [8] Bei der Zustandserfassung und -bewertung wird nur der Zustand der Fahrbahnoberfläche erfasst. Die ermittelten Werte sind damit nur ein Indikator für die Erneuerungswürdigkeit eines Streckenabschnittes und geben Hinweise auf tieferliegende Schäden der Fahrbahnbefestigung. Durch die Einbeziehung von weiteren Erkenntnissen zum Zustand des gesamten Fahrbahnauf baus lassen sich Schadensursachen genauer ableiten. Um konkrete Erneuerungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen, sind weitere spezielle straßenbautechnische Untersuchungen erforderlich. Im Zuge einer Wertesynthese werden die Zustandswerte miteinander zu einem Gebrauchswert, einem Substanzwert und einem Gesamtwert verknüpft. Der Gebrauchswert ergibt sich aus der Griffigkeit sowie den Längs- und Querebenheitsmerkmalen. Dieser Wert ist wesentlich für den Fahrkomfort und die Fahrsicherheit. [9] Der Substanzwert ergibt sich neben den Längs- und Querebenheitsmerkmalen auch aus den Substanzmerkmalen (Oberfläche) und spiegelt den Zustand einer Straßenoberfläche wider. Der Gesamtwert wird aus dem Maximum von Gebrauchs- und Substanzwert gebildet. [9] Aus den Daten der Messsysteme werden physikalische Zustandsgrößen berechnet, die über ein Normierungserfahren in dimensionslose Zustandswerte in einen Notenbereich von 1,0 bis 5,0 überführt werden Die Zustandswerte werden in- Zustandsklassen- mit Intervallbreiten aufgeteilt und farblich gekennzeichnet. Im Rahmen einer Normierung werden diese Zustandsgrößen nachfolgend in dimensionslose, einheitlich skalierte Zustandswerte in einen Notenbereich überführt. Zu diesem Zweck wird ein Bewertungsschlüssel angewendet, der den Zustand der Kreisstraßen im Landkreis Börde mit Hilfe von Zustandsnoten im Intervall von 1,0 bis 5,0 bewertet. Hierbei bedeutet der Wert 1,0 den besten anzunehmenden Zustand unmittelbar nach Herstellung der Straße und der Wert 5,0 den schlechtmöglichsten Zustand. Ist letzter Wert erreicht, kann die Verkehrssicherheit nicht mehr durchgängig gewährleistet und der Straßenabschnittmuss muss grundhaft erneuert werden. Innerhalb dieser Einteilung wird zwischen Zustandswerten unterschieden. Zum einen spielt der Zielwert mit der Note von 1,5 eine wichtige Rolle. Zum anderen der Warnwert mit einer Note 3,5 und der Schwellenwert mit einer Note von 4,5. Ist bei Straßenabschnitten der Warnwert von 3,5 erreicht, ist für Straßenbaulastträger Anlass zur intensiven Beobachtung und zur Analyse der Ursachen für den schlechten Zustand gegeben. Gegebenenfalls ist auch die Planung von geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung des Zustandes notwendig. [10] Der Schwellenwert, der ab einer Note von 4,5 vorliegt, beschreibt einen Zustand, bei dessen Erreichen die Einleitung von verkehrsbeschränkenden oder baulichen Maßnahmen zur Erhaltung des Straßenabschnittes geprüft werden muss. Da die durchschnittliche Nutzungsdauer bei Kreisstraßen bei 30 Jahren liegt, ergibt sich eine rechnerische Minderung der Zustandsnote der Straße von 0,133 pro Jahr. [11] Über die Dauer von 30 Jahren würde sich somit eine Straße bis auf den Zustandswert von 4,0 verschlechtern. Hierbei handelt es sich um einen Wert, welcher die verschiedenen Randbedingungen wie Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen, zusätzliche Verkehrsbelastungen der Straße durch Umleitungs- und Schwerverkehre sowie die Schädigung durch Umwelt- oder sonstige äußere Einflüsse nicht berücksichtigt und somit ausschließlich eine Aussage über eine notwendige grundhafte Erneuerung trifft. [12] 5. Softwarebasierte Zustandserfassung und -bewertung von Straßen mittels KI Eine umfassende Erhaltung der Straßeninfrastruktur ist für eine lange Lebens- und Nutzungsdauer essentiell notwendig. Grundlegende Kenntnisse der konkreten Schadensursachen sind für die Auswahl technisch und ökonomisch zweckmäßiger Erhaltungsmaßnahmen erforderlich. Die fortlaufende Erfassung des Straßenzustandes mittels einheitlicher Betrachtungsweise ist eine wesentliche Voraussetzung für einen optimalen Ein- <?page no="121"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 121 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen satz zur Verfügung stehender finanzieller und personeller Ressourcen. Hierfür müssen Informationen über den Straßenzustand gesammelt, um eine relativ zuverlässige Abschätzung des Erhaltungsbedarfes vorzuhalten. Aufgrund der fortschreitenden Technisierung greifen die jeweiligen Baulastträger häufig auf visuell-sensitive oder messtechnische Erfassungsverfahren zurück. Auf den Kreisstraßen im Landkreis Börde wird die Zustandserfassung mit Hilfe Künstlicher Intelligenz auf Basis einer softwarebasierten Lösung durch Smartphones vorgenommen, die den Zustand der Straßenoberfläche aufnehmen. Bei jeder Befahrung der einzelnen Streckenabschnitte werden neue Aufnahmen des Straßenoberbaus aufgenommen, wodurch sich auch über unterschiedliche Zeiträume Vergleichsergebnisse erheben lassen, um den realen Verschlechterungswert im Laufe der Zeit durch automatische Zustandsbewertung zu erfassen. Die Zustandserfassung und -bewertung der Künstlichen Intelligenz bezieht sich auf die Erhebung und Analyse der Quer- und Längsebenheiten, Griffigkeit, Substanz und Oberflächenbild. Hierdurch ergibt sich für den Straßenbaulastträger ein Mehrwert, denn er kann aufgrund der Vergleichsergebnisse für sich eruieren, wie der spezifische Straßenabschnitt sich hinsichtlich gegebener Randbedingungen (u. a. Witterung, Verkehr, Schadensbild) verändert und welche konkreten Maßnahmen zum Erhalt der Straße erforderlich sind. Weiterhin ist es zeitlich planbar, die notwendigen Maßnahmen zu fixieren und zu priorisieren. Die Nutzung Künstlicher Intelligenz für die Zustandserfassung und -bewertung sowie Planung baulicher und betrieblicher Erhaltung hilft dem kommunalen Straßenbaulastträger, um sein Streckennetz flächendeckend anhand aktualisierter Daten zur Straßeninfrastruktur zu bewerten. Durch die Datenerhebung und -auswertung mittels Künstlicher Intelligenz konnte der Detaillierungsgrad gegenüber dem bisherigen Stand der Technik im Landkreis Börde deutlich gesteigert werden, da unterschiedliche Schadensklassen objektscharf ausgewertet werden und die einzelnen Rissarten individuell gewichtet in die Gesamtnote einfließen. Analog des oben beschriebenen Systems der ZEB werden die Schadensflächen auf den jeweiligen Streckenabschnitten in einer Gesamtnote ausgedrückt. Auch hierbei gelten die drei charakteristischen Grenzwerte Zustandswert (1,5), Warnwert (3,5) und Schwellenwert (4,5) als Bewertungskriterium. Im Rahmen der Erhaltung und der Entscheidungsfindung zur Priorisierung zukünftiger grundhafter Aus- und Neubauvorhaben sind die durch den Einsatz der Künstlichen Intelligenz erkannten unterschiedlichen Schadensklassen von hoher Relevanz, da Aufschluss über das Aufkommen u. a. von Ausbrüchen, Schlaglöchern, Rissen, Abplatzungen und Schichtablösungen, Flickstellen, Fugen und Nähte erlangt wird. Straßenschäden und ihre Prävention sowie Behebung bleiben für Kommunen eine Daueraufgabe. Einen besseren Überblick über den Zustand der Straßen sowie die Dringlichkeit und Wirtschaftlichkeit des Instandsetzungs-, Unterhaltungs- und Investitionsbedarfs können sich kommunale Baulastträger mittels einer softwarebasierten Künstlichen Intelligenz verschaffen. Aufgrund der Fähigkeit der KI, Schäden auf der Straße per Bildauswertung zu erkennen und in verschiedene Schadenskategorien einzuteilen, bekommen sowohl Mitarbeiter der Verwaltungen als auch politische Entscheidungsträger einen umfassenden Überblick über den Zustand der Straßen. Darüber hinaus erbringt der Einsatz der Software in den Streckenkontrollfahrzeugen der Kreisstraßenmeisterei wesentliche Erkenntnisse für die Unterhaltung der einzelnen Straßenabschnitte. Hierdurch lassen sich grundlegende Fragen nach dem Zustand der einzelnen Streckenabschnitte, Schadensmerkmale, Priorität bei Instandsetzung bzw. Unterhaltung beantworten. Im Ergebnis wird sowohl das Management der Planung von Erhaltungsmaßnahmen vereinfacht und beschleunigt als auch die Begründung investiver Maßnahmen im Falle des erforderlichen grundhaften Ausbaus von Straßenabschnitten. 6. Auswirkungen der mangelnden Finanzausstattung auf den Investitionsstau Insgesamt wurden durch die auf Künstliche Intelligenz beruhende softwarebasierende automatische Benotung 61,4-Kilometer des gesamten Kreisstraßennetzes mit der Note 1,0-1,4 bewertet. 121,4 Kilometer sind mit der Note 1,5-1,9 bewertet und 93,7 Kilometer liegen im Bereich der Note 2,0-2,4. Im Intervall 2,5-2,9 finden sich 82,9 Kilometer wieder und mit 3,0-3,4 wurden 82,6 Kilometer bewertet. Der Warnwert mit der Note ab 3,5 (Intervall bis 3,9) ergibt sich für 59,1 Kilometer Kreisstraßen. Im Bereich der Note-4,0-4,4 finden sich 34,0 Kilometer wieder. Der Schwellenwert mit Zustandswert von 4,5 (Intervall bis 4,9) liegt insgesamt auf 33,2 Kilometern Kreisstraße vor. Mit 5,0 wurden 26,93 Kilometer benotet. In den Bereich dieser Zustandsnote fallen nicht nur Straßenabschnitte, die durch die Software eine sehr schlechte Zustandsanalyse erhalten haben, sondern auch Abschnitte, die über keine Asphalt- oder Betonbauweise verfügen, sondern aus Split, Schotter, Pflastersteinen oder als Feldweg bestehen. Die hinsichtlich der einzelnen Intervalle ermittelte Straßenzustandserfassung belegt, dass 153,23 Kilometer bzw. 25,7- Prozent oberhalb des Warnwertes von 3,5 liegen. Hiervon fallen 93,15 Kilometer in den Zustandsbereich zwischen 3,5 bis 4,5. Für diese Kreisstraßenabschnitte ist somit Anlass zur intensiven Beobachtung und zur Ursachenanalyse des mangelnden Zustandes gegeben, wobei der Baulastträger gefordert ist, nach geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung des Ist-Zustandes zu suchen. <?page no="122"?> 122 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen Tab. 1: Rohpunktevergabe der baulichen Zustandsnote je Kreisstraßenabschnitt Punkte Intervall Anzahl Kreisstraßenabschnitte Länge Straßenkilometer 1 1,0-1,4 49 61,4 2 1,5-1,9 40 121,4 3 2,0-2,4 69 93,7 4 2,5-2,9 55 82,9 5 3,0-3,4 66 82,6 6 3,5-3,9 39 59,1 7 4,0-4,4 42 34,0 8 4,5-4,9 26 33,2 9 5,0 4 26,93 Das Erreichen der technischen Nutzungsdauer des Straßenoberbaus tritt dann ein, wenn dieser durch die verursachten Witterungs- und Verkehrsbelastungen in seiner Substanz so stark zerstört ist, dass der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) erreicht und eine bestimmungsgemäße Funktion und Nutzung nicht mehr gewährleistet ist. [13] Die wirtschaftliche Lebensdauer einer Straße ist somit der Zeitraum, in dem eine wirtschaftliche Nutzung ohne oder auch mit Erhaltungsmaßnahmen möglich ist, wobei die finanzielle Mittelvorhaltung für Erhaltungsmaßnahmen die wirtschaftliche Nutzungsdauer maßgeblich beeinflusst. Die Aufwendungen der Kreisstraßenmeisterei des Landkreises Börde für Instandsetzung und Unterhaltung der Kreisstraßen und aller zugehörigen Fahrbahnteile belaufen sich auf ca. 2,6 Mio. Euro jährlich (einschließlich Maschinentechnik und Personal). Mit diesen Mitteln müssen sowohl Unterhaltungsmaßnahmen, Instandsetzungen, Baumpflege, Markierungsarbeiten etc. finanziert werden. Ein weiteres Schwerpunktproblem sind die jährlichen nicht kalkulierbaren Aufwendungen des Winterdienstes und die Beseitigung der Winterschäden. Die benannte Summe ist bei weitem nicht ausreichend, um auf den bestehenden Sanierungsbedarf, der sich durch das Erreichen des Warnwertes ergeben hat, zu reagieren. Folglich fallen in den Folgejahren zahlreiche Streckenabschnitte in einen Zustandsbereich, der schlechter als die Note-4,5 (Schwellenwert) ausfällt und folglich einen grundhaften Ausbau erforderlich macht. Instandhaltungsmaßnahmen wie Oberflächenbehandlungen, Decken- und Risssanierungen oder Asphaltkonservierungen dienen ausschließlich dem Ziel über den gesamten Zeitraum der Nutzungsdauer von 30 Jahren eine höchstmögliche Verkehrssicherheit bei gleichzeitig möglichst geringen Reparatur- und Instandhaltungskosten zu gewährleisten. Vor allem Deckenerneuerungen werden in den kommenden Jahren immer wichtiger, denn viele Fahrbahndecken, die in den 1990er Jahren gebaut wurden, sind an ihre Verschleißgrenze gelangt. Deckensanierungsmaßnahmen sind notwendig, um durch die Erneuerung von verschlissenen Asphaltdeckschichten einer tiefergehenden Zerstörung von Tragschichten und damit der Notwendigkeit von vorzeitigen grundhaften Erneuerungen vorzubeugen. Gefahr bergen jedoch die Folgen einer unzureichenden Finanzierung sowohl für Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen als auch beim Aus- und Neubau. Aufgrund der unzureichenden Finanzmittelausstattung kommunaler Straßenbaulastträger wächst der Unterhaltungs- und Instandsetzungsaufwand für die Straßeninfrastruktur weiter an. Der Aufwand für die Instandhaltung steht im engen Zusammenhang mit dem Neubau von Straßen und Brücken. Hier spielt der Investitionsrückstau an Straßen eine entscheidende Rolle. In der Folge kommt es aufgrund von Zustandsverschlechterungen und unzureichender finanzieller Mittel zum Nicht-Erreichen geplanter Lebensdauern von Straßen und Brücken, notwendigen Sonderabschreibungen und Nutzungseinschränkungen, was wiederum zum Anwachsen des Investitionsstaus führt, der sich ebenfalls darin ausdrückt, dass die Investitionsfähigkeit der Kommunen aufgrund fehlender finanzieller Mittel gering ist. 60,08 Kilometer bzw. 10,1 Prozent des gesamten Kreisstraßennetzes sind mit einer Note schlechter gleich 4,5 (Schwellenwert) bewertet. Für diese Abschnitte besteht ein dringender Investitionsbedarf. Kurz- und mittelfristig wurden im Rahmen des Investitionsprogramms 2023-2030 somit jene Kreisstraßenabschnitte als prioritär eingestuft, die eine Zustandsbewertung schlechter gleich 4,5-Notenpunkte aufweisen, da der Schwellenwert bereits erreicht bzw. überschritten wurde. Für diese dann erforderlichen Investitionen (grundhafter Ausbau) stehen dem sich in Haushaltskonsolidierung befindlichen Landkreis Börde aufgrund seiner defizitären Haushaltslage keine Eigenmittel zur Verfügung, sondern nur Landeszuweisungen i. H. v. derzeit ca. 4,11 Millionen Euro. Würde sich die Landeszuweisung innerhalb der Zeitspanne 2023 bis 2030 verstätigen, stünden für den grundhaften Ausbau maximal 32,88 Millionen Euro zur Verfügung, um den Investitionsbedarf zu verringern. Problematisch ist aber, dass die Landeszuweisungen nicht nur für Kreisstraßenabschnitte zu veranschlagen sind, bei denen ein grundhafter Ausbau erforderlich ist, sondern auch für den Neu- und Ausbau von Ingenieurbauwerken und Radverkehrsanlagen verwendet werden müssen. Mit Datum vom 31.10.2024 ergibt sich hinsichtlich des ca. 600 Kilometer langen Kreisstraßennetzes des Landkreises Börde eine Durchschnittsnote von 2,65. Selbst unter Berücksichtigung aller geplanten Straßenausbauvorhaben ist diese Zustandsnote nicht dauerhaft zu halten und wird sich durch die derzeitigen Rahmenbedingungen (Baupreisentwicklung, Rückgang der Fördermittelzuweisung/ Landeszuwendung) jährlich verschlechtern. Aus einer Grobkostenschätzung geht hervor, dass allein für die 60,08 Kilometer inner- und außerörtlichen Kreisstraßenabschnitte, für die ein dringlicher Investitionsbedarf vorliegt, ein Investitionsstau im oberen zweistelligen Millionenbereich vorliegt. Würden die ca. 33 Millionen Euro Landeszuweisungen allein dafür verwendet werden, um den bezifferten Investitionsstau zu entgegnen, müsste <?page no="123"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 123 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen sich der Investitionsstau verringern. Allerdings ist diese Rechnung fehlerhaft, denn wie oben beschrieben, werden sich die Zustandsnoten diverser Kreisstraßenabschnitte, die sich derzeit im Benotungsintervall zwischen 3,5 und 4,4 befinden, aufgrund ihrer zunehmenden Abnutzungen weiter verschlechtern und prognostisch aus dem Warnbereich in den Bereich schlechter des Warnwertes fallen. Hierdurch nimmt der Investitionsstau nicht ab, sondern steigt vielmehr an. Für diesen erweiterten Bedarf, also Kreisstraßenabschnitte, die eine Benotung von 3,5 bis 4,4 aufweisen, was aktuell für 93,15 Kilometer der Fall ist, liegt der potentielle Investitionsbedarf nach Grobkostenschätzung im unteren dreistelligen Millionenbereich. Insgesamt sind also 153,23 Kilometer Kreisstraßen bzw. 25,7 Prozent des gesamten Netzes mit Stichtag zum 31.10.2024 schlechter gleich 3,5 Notenpunkten bewertet. Diese Zahlen verdeutlichen, dass sich die Spirale des Sanierungs- und Investitionsstaus unauf haltbar weiterdreht. Kommunen versuchen sich diesem Sog entgegenzustellen, aber wie verdeutlicht, reichen die finanziellen Ressourcen nicht für eine Trendwende aus. Zudem bewirken die im Bausektor deutlich gestiegenen Preise und der Fachkräftemangel in den Kommunalverwaltungen, vor allem an Bauingenieuren, weitere Herausforderungen für kommunale Baulastträger, die seit Jahren vor der fast unlösbaren Aufgabe stehen, ihren Haushalt zusammenzuhalten. Zudem konkurrieren im Zuge der Haushaltsplanungen Investitionen in die Straßeninfrastruktur mit anderen investiven Baumaßnahmen wie z. B. im Hochbaubereich (u. a. Investitionen in Schulen und Kindertageseinrichtungen) und werden auch aufgrund von Krisenkosten (u. a. Klimaanpassung, Corona-Pandemie, Flüchtlingsunterbringung), die sich für die Kommunen ergeben haben, weiter eingeschränkt. Letztlich zeigt sich in den Schlaglöchern der Straßenbaulasten die chronische Unterfinanzierung der Kommunen, die seit Jahren von den Ländern eine deutlich bessere finanzielle Grundausstattung einfordern. 7. Ermittlung von Dringlichkeiten und Festlegung von Prioritäten Im weiteren Schritt war es bei der Aufstellung des Kreisstraßenausbauprogramms notwendig, die ermittelten Resultate hinsichtlich der verwendeten Bewertungsgrundlagen in ein lineares Rohpunktesystem zu überführen. Beispielhaft wird dies an der Stelle für die Bewertung des baulichen Zustandes der jeweiligen Kreisstraßenabschnitte verdeutlicht. Da die Benotungen der einzelnen Abschnitte extrem divergieren, wurde im Investitionsprogramm folgender Bewertungsrahmen verwendet: Kreisstraßen mit einer baulichen Note von 5,0 erhielten die Maximalpunktzahl von 9-Rohpunkten. Abgestuft erhielten alle Kreisstraßenabschnitte mit einer Benotung von 4,5-4,9 8 Rohpunkte. Mit einer weiteren analogen Verringerung von jeweils 0,5-Benotungspunkten, die sich aus den Ergebnissen des baulichen Zustands mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz ergaben, wurden die einzelnen Straßenabschnitte mit entsprechenden Rohpunkten versehen. Dementsprechend erhielten Kreisstraßenabschnitte mit einer baulichen Zustandsnote von 1,0 1 Rohpunkt. Ausgehend von den vier Rohpunkteergebnissen der einzelnen vier Säulen der Bewertungsgrundlage wurde im weiteren Schritt festgelegt, dass die Verkehrsbelastung mit 2,5-facher Punktzahl bewertet wird, so dass sich für den Abschnitt mit der höchsten Verkehrsbelastung ausgehend von der maximalen Rohpunktzahl 10 eine Gesamtpunktzahl von 25 Punkten ergibt. Die drei anderen Säulen Raumordnung, bauliche Zustandsnote und sonstige fachliche Belange wurden mit dem Faktor 1,0 bewertet. Ausschlaggebend für die Festlegung der Faktorisierung von 2,5 für die Verkehrsbelastung sind die Auswirkungen des Verkehrs auf den Straßenzustand, die die durch die Künstliche Intelligenz ermittelten Schadensarten auf der Straßenoberfläche zum großen Teil verursachen. Die Festlegung von Dringlichkeiten (Priorisierungen) richtet sich nach der baulichen Zustandsnote (Schadensschwere) und dem Nutzen für den Verkehrsteilnehmer in Form der Verkehrsbelastung der Kreisstraßenabschnitte. Ausgehend vom Schwellenwert von 4,5 und der Notwendigkeit, bei Erreichen dieser Zustandsnote verkehrsbeschränkende oder bauliche Maßnahmen zur Erhaltung des Straßenabschnittes zu prüfen, wurde das Tabellenwerk hinsichtlich der Dringlichkeit investiver Maßnahmen nachbewertet. Diesbezüglich wurden kurz- und mittelfristig jene Kreisstraßenabschnitte prioritär eingestuft, die schon aktuell eine Benotung schlechter gleich 4,5 Notenpunkte erhalten haben. Unter Berücksichtigung der weiteren Verkehrsentwicklung und -belastung sollten die hier ermittelten dringlichen Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden. Als weiterer Bedarf sind Maßnahmen an Kreisstraßenabschnitte heranzuziehen, die vorerst nicht bis 2030 investiv umgesetzt werden können. Diese Abschnitte, die mit einer aktuellen Benotung von schlechter gleich 3,5 vorliegen (Warnwert) werden jedoch verstärkt beobachtet. Wird eine nicht vorhersehbare Verschlechterung festgestellt, muss der jeweilige Abschnitt vorgezogen und das Programm angepasst werden. Dies macht eine jährliche Überarbeitung des vorliegenden Kreisstraßenbauprogrammes notwendig. 8. Zusammenfassung Bei der Beschlussfassung über das Kreisstraßenbauprogramm 2023-20230 des Landkreises Börde zeigte sich, dass die politischen Entscheidungsträger, denen die Ergebnisse im Rahmen der Gremiensitzungen erläutert wurden, sich mit den Vorschlägen der Verwaltung einverstanden zeigten, welche Kreisstraßenabschnitte in den zukünftigen Jahren mit Priorität neubzw. ausgebaut werden müssen. Dieses Beschlussverhalten lässt sich in einem klaren Zusammenhang mit den verwendeten Bewertungsgrundlagen bringen. Nicht nur die verdeutlichten Verkehrsbelastungen auf den einzelnen inner- und außerörtlichen Kreisstraßenabschnitten waren ein entscheidender Faktor, sondern zuvorderst die durch Künstliche Intelligenz erbrachte automatische Benotung der Straßenoberfläche trugen zum Beschlussverhalten bei. <?page no="124"?> 124 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Einbindung von KI in Planung, Unterhaltung und Bau von Straßen Literatur [1] Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) (2023): Verkehrswende mit Ivestitionen in die Infrastruktur der Kommunen vorantreiben, in: difu.de/ 17207, letzter Zugriff 11.11.2024. [2] DeutscherStädte-undGemeindebund(StGB)(2018): DStGB fordert Lkw-Maut auf Kommunalstraßen, in: https: / / www.dstgb.de/ aktuelles/ archiv/ archiv- 2018/ dstgb-fordert-lkw-maut-fuer-kommunalestrassen/ , letzter Zugriff am 08.11.2024. [3] § 10 Abs. 2 StrG LSA (Straßengesetz für das Land Sachsen-Anhalt). [4] Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) (2023b): Leistungsheft für den Straßenbetrieb auf Bundesfernstraßen, in: https: / / www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ Daten/ Leistungsheft-Strassenbetrieb.pdf? __blob=publicationFile&v=3, S.11 letzter Zugriff am 13.10.2024. [5] Institut für Verkehrswirtschaft, Systemwesen und Städtebau (2020): Erhaltungsbedarf von Bundes- und Landesstraßen in Niedersachsen anhand von Zustandsbewertungen ausgewählter Strecken, in: https: / / www.bauindustrie-nord.de/ fileadmin/ bauindustrie-nord.de/ Dateien/ Stiftung/ 20001009_Erhaltungsbedarf_von_Bundes-und Landestrassen_ in_Niedersachsen.pdf, 11.10.2024. [6] § 48 SächSVwNG (Sächsisches Verwaltungsneuordnungsgesetz). [7] Schmid, Manfred (2019): Kommunaler Straßenbau und -unterhalt, in: Bayerischer Kommunaler Prüfungsverband - Geschäftsbericht 2019, in: https: / / www.bkpv.de/ fileadmin/ redaktion/ Gesch aeftsberichte/ 2019/ Kommunaler_Strassenbau_ und_-unterhalt.pdf, S. 64, letzter Zugriff 22.10.2024. [8] ebd., S. 64. [9] ebd., S. 68. [10] Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) (2023b): Verfahren zur Bildung und Beschreibung zustandshomogener Abschnitte und repräsentativer Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement, Heft S 195, in: https: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ opus45-bast/ frontdoor/ deliver/ index/ docId/ 2810/ file/ S195+BA+Gesamtversion.pdf, S.19, letzter Zugriff 23.10.2024. [11] Landkreis Potsdam-Mittelmark (2018): Kreisstraßenbauprogramm 2028, in: https: / / www.potsdammittelmark.de/ fileadmin/ user_upload/ Landkreis ___Kreisverwaltung/ Strategische_Fachkonzepte/ Fachkonzepte/ Kreisstrassenbauprogramm_2028. pdf, S. 11, letzter Zugriff am 30.10.2024. [12] ebd., S. 19. [13] Fehling, E./ Leutbecher, T. (2001): Nachweise in den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit nach DIN 1045-1: 2001-07, in https: / / www.bau. uni-siegen.de/ subdomains/ massivbau/ publikationen/ download/ nachweise_in_den_grenzzustaenden_der_gebrauchstauglichkeit_nach_din_1045- 1_2001-07.pdf, S. 1, 17.10.2024. <?page no="125"?> Nachhaltigkeit in der Ausführung <?page no="127"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 127 Maßnahmen der Straßenbauverwaltung BW zur Förderung nachhaltiger Bauausführungen in der Vergabe und dem Bauvertrag Dr.-Ing. Thomas Chakar Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung In der Vergabe von Bauleistung und deren Abrechnung ist bisher einzig der Preis für die angebotene und vereinbarte Leistung maßgeblich. Somit lassen sich bisher Nachhaltigkeitskriterien (vorrangig mit Blick auf den Klima- und Ressourcenschutz) nur umsetzen, sofern sie entweder bereits in der Vergabe vorgegeben sind (bspw. beim Maximalrecycling BW) oder sich Nachhaltigkeitsfaktoren aus wirtschaftlichen Gründen auf dem Markt durchsetzen und behaupten können (bspw. aufgrund von Energiepreisen). In Deutschland haben Straßenbauverwaltungen diverser Länder und die Autobahn GmbH des Bundes (AdB) begonnen, in der Vergabe neben dem Wertungskriterium „Preis“ weitere Kriterien zu berücksichtigen um bspw. den Transportaufwand der Baustoffe im Sinne des Klimaschutzes zu minimieren. Die Straßenbauverwaltung (SBV) BW verfolgt in Abstimmung mit der Bauwirtschaft BW eigene Ansätze, um im Bereich der baulichen Erhaltung von Verkehrsflächen aus Asphalt eine CO 2 -minimierte Herstellung, Transport und Einbau zu unterstützen. Neben der Einbeziehung von Klimaschutzkriterien in der Vergabe wird auch ein sog. „CO 2 -Bonus“ als Alternativmethode getestet. Diverse Pilotmaßnahmen sind zur Erfahrungssammlung bzgl. der Methoden, Kriterien und deren Gewichtungen derzeit in der Umsetzung. 1. Einführung Zum 11. Februar 2023 ist in Baden-Württemberg ein novelliertes Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz (KlimaG BW) in Kraft getreten [1]. Mit der Fortschreibung des KlimaG BW hat BW als Vorreiter den CO 2 -Schattenpreis ab dem 1. Juni 2023 eingeführt. Der CO 2 -Schattenpreis ist ein wirksames Instrument, um die Kosten, die durch den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid entstehen, sichtbar zu machen. Gemäß dem Koalitionsvertrag Baden-Württemberg 2021 lautet das Ziel: „Als Bauherr und bei Vergaben systematisch einen CO 2 - Schattenpreis von mindestens 180 Euro pro Tonne CO 2 zu berücksichtigen.“ In der Zwischenzeit wurde der CO 2 - Schattenpreis von anfänglich 201 € und zwischenzeitlich 237 € auf nunmehr 250 € pro Tonne CO 2 angehoben, um den gestiegenen Umweltanforderungen gerecht zu werden. Auf Basis des KlimaG BW ist die CO 2 -Schattenpreisverordnung erlassen worden [2], die auch für den Bereich des Landesstraßenbaus Regelungen enthält. Dabei ist der CO 2 -Schattenpreis insbesondere bei der Bewertung von Varianten innerhalb der Vorplanung einzubeziehen. Im Bereich der Entwurfsplanung und insbesondere der Ausführungsplanung erfolgt ebenso die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsziele durch den Vorrang nachhaltiger Bauweisen wie in Baden-Württemberg bspw. mit der Maximalrecycling-bauweise. Diese Bauweise mit hohen Wiederverwendungsquoten von auf bereiteten Straßenauf bruch stellt seit vielen Jahren eine Regelbauweise im Erhaltungsmanagement des Landesstraßennetzes dar. Die sich hieraus ergebenden Festlegungen eines geplanten hohen Nachhaltigkeitsstandards in der Leistungsbeschreibung oder über Auftragsausführungsbedingungen, müssen im Auftragsfall verbindlich erfüllt werden. Sofern über den Einsatz von Sekundärbaustoffen noch zahlreiche weitere Anforderungen an den Klima- und Ressourcenschutz vorgesehen werden, kann dies zu einer erheblichen Überforderung potenzieller Bieter und in der Folge zu einer erheblichen Einschränkung des Wettbewerbs führen. Es besteht außerdem Unsicherheit darüber, inwieweit besonders umweltfreundliche Lösungen für einen bestimmten Beschaffungsbedarf überhaupt im Markt verfügbar sind. Im Bereich der Bauausführung sollten sich nachhaltige Baustoffe und Bauweisen prinzipiell bereits aus wirtschaftlichen Gründen wegen der Energiepreise auf dem Markt durchsetzen. Dies erfolgt aber insbesondere dann nicht, wenn für die Herstellung bzw. den Bau spezielle Infrastruktur und/ oder Maschinen mit hohen Investitionsbedarf erforderlich sind. Die Berücksichtigung eines CO 2 -Schattenpreises kann hier unterstützend wirken. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. spricht sich in seinem Impulspapier „Klimaverträglich bauen“ [3] für die Berücksichtigung des Schattenpreises für CO 2 -Emissionen aus und fordert die Auftraggeber auf, hier entsprechend tätig zu werden. <?page no="128"?> 128 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Maßnahmen der Straßenbauverwaltung BW zur Förderung nachhaltiger Bauausführungen in der Vergabe und dem Bauvertrag Abb. 1: Schematische Abläufe der Methoden - „ CO 2 -Wertungskriterium“ und „CO 2 -Bonus“ (Quelle: VM BW) 2. CO 2 -Wertungskriterium in der Vergabe Als Fördermaßnahme in der Bauausführung wird üblicherweise die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Vergabe praktiziert. Damit können Bauaufträge an Unternehmen vergeben werden, die nicht zwingend den niedrigsten Preis angeboten haben, aber evtl. preisgünstigere Anbieter bspw. durch eine klimafreundlichere Asphaltmischgutherstellung (Methode „Wertungskriterien“) in der Vergabewertung übertreffen. Hierfür sind bereits bei der Aufstellung des Angebotes vom Bieter die Klimaverträglichkeit zu den Baustoffen und Verfahren der Herstellung und des Baus in entsprechende Formulare anzugeben (Abb.1 Ablauf links „CO 2 - Wertungskriterium“). Bei der Wertung der Angebote ist neben dem Angebotspreis noch ein sog. CO 2 -Schattenpreisdelta maßgeblich. Konsequenterweise ist gleichzeitig bauvertraglich eine Strafzahlung vom Auftragnehmer zu leisten, wenn die zugesagte überplanmäßige CO 2 -Reduzierung bei der Herstellung des Asphaltmischgutes und -einbau nicht realisiert wird (Abb. 1 „Bauphase/ Abrechnung“). Die Festlegung und Gewichtung von Nachhaltigkeitsaspekten als Zuschlagskriterien sowie deren korrekte Anwendung bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots sind allerdings mit nicht unerheblichen Herausforderungen verbunden, insbesondere in folgenden Punkten: • Vergaberechtliche Risiken: Es besteht die Gefahr, dass interessierte Unternehmen einen Verstoß gegen wesentliche vergaberechtliche Grundsätze wie Transparenz, Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit geltend machen oder aufgrund unklarer Vorgaben von einer Angebotsabgabe absehen. • Praktikabilität der Angaben und Überprüfbarkeit: Eine zentrale Fragestellung ist, inwieweit Bieter bereits bei der Angebotsabgabe belastbare und detaillierte Angaben, beispielsweise zum geplanten Geräteeinsatz oder zu Ressourcen- und Energieverbräuchen, machen können. Zudem stellt sich die Frage, ob und wie diese Angaben während der Bauausführung vom Auftraggeber mit vertretbarem Aufwand auf Einhaltung kontrolliert werden können. 3. CO 2 -Bonus Um Nachteile in der Vergabe zu vermeiden, können alternativ die Nachhaltigkeitskriterien bei der Vergabewertung außer Acht gelassen werden. Das bedeutet, das lediglich der Angebotspreis in der Vergabe maßgeblich bleibt (Abb.1 CO 2 -Bonus). Vertraglich wird jedoch eine Bonus-Zahlung vereinbart, falls das Bauunternehmen Aspekte der Nachhaltigkeit in der Ausführung erheblich über bauvertraglich definierten Mindeststandard zu Kriterien der Herstellung, des Transports und des Einbaus umsetzt. (Methode „CO 2 -Bonus“). Während der Bauphase sind entsprechende Nachweise zu erbringen und werden dann gemäß des bauvertraglich vorgegebenen Berechnungsalgorithmus (Excel) als Bonus vergütet. Der Berechnungsmodus erfolgt analog zur Methode „CO 2 - Wertungskriterium“ und ist im Vorfeld der Pilotmaßnahmen mit der Bauwirtschaft abgestimmt worden. Bei dieser Methode ist ein erhöhtes Risiko zu vermuten, dass Bieter, welche im Bieterkreis die klimaverträglichste Ausführung ermöglichen, in dem jeweiligen Einzelfall in der Wertung unterliegen. Aber auch mit dieser Methode ist es möglich, klimaverträglicheren Marktteilnehmern einen Wettbewerbsnachteil zu kompensieren. Insbesondere wenn die Perspektive vom jeweiligen Einzelfall auf die Gesamtheit der Maßnahmen gerichtet wird, führt die Kompensation der vorfinanzierten Investitionen bei nachfolgenden Angeboten zu niedrigeren Angebotspreisen und zu einer Erhöhung der Marktdominanz im Zuge nachfolgender Vergaben. <?page no="129"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 129 Maßnahmen der Straßenbauverwaltung BW zur Förderung nachhaltiger Bauausführungen in der Vergabe und dem Bauvertrag Ein weiterer positiver Effekt der CO 2 -Bonusvariante stellt bauherrenseitig die Feststellungen in Bezug auf die Nachweisführung dar: Die endgültige Bewertung erfolgt erst nach der Ausführung und Vorlage der Unterlagen, die die Erfüllung der klimafreundlicheren Maßnahmen nachweisen. Außerdem entfällt das Erfordernis der Einforderung von Strafzahlungen bei mangelnder Umsetzung, denen höhere Risiken für aufwändige Streitigkeiten beigemessen wird als bei Bonuszahlungen. Erhöhte Baukosten, dies sich in Folge erhöhter Qualitäten hinsichtlich der Nachhaltigkeit in der Ausführung in allem Fällen ergeben, würden sich ebenso ergeben, wenn vornherein ein höherer Standard verlangt würde. Beiden Methoden ermöglichen jedoch darüber hinaus, die auf dem Markt höchstmöglichen Werte in Bezug auf Nachhaltigkeit kennenzulernen und zu ergründen. 4. Maßnahmen der Straßenbauverwaltung BW In Abstimmung mit der Bauwirtschaft wurden im Bereich der Asphalterneuerung folgende wesentliche Faktoren zur Bewertung der Klimaverträglichkeit festgelegt: - Mischgutzusammensetzung insbesondere Anteil RC- Material - Transportaufwände Anlieferung Vorprodukte für Asphaltherstellung sowie der Anlieferung des Asphalts an die Baustelle - Lagerung Asphaltgranulat (AG) und Gesteinskörnung (Überdachung) - Energieträger zur Erwärmung AG bzw. Gesteinskörnungen (Braunkohle, Erdgas etc.) - Bauweise: Herstellung von konventionellem Asphalt (hot mix) oder temperaturabgesenktem Asphalt Die Straßenbauverwaltung in Baden-Württemberg hat sich entschieden, im ersten Schritt die CO 2 -Bonusregelung auf der Basis des CO 2 -Schattenpreises im Rahmen von zwei Pilotmaßnahmen zu testen. Ein Bonus wird bei den in 2024 durchgeführten Maßnahmen gewährt, wenn die Asphaltschicht klimafreundlicher als die Referenzasphaltschicht des Auftragsgebers hergestellt wurde. Dabei wurden nur die Hauptpositionen zur Asphaltherstellung und -einbau berücksichtigt, die als Flächenpositionen [in m²] ausgewiesen sind. Die Maßnahmen sind zum Redaktionsschluss baulich umgesetzt, die Ermittlung der Bonuszahlung steht allerdings noch aus. Ebenso wie die Analyse bezüglich der Praktikabilität und Wirksamkeit der Kriterien und Gewichtungen. In 2025 wird auch die Einbeziehung des CO 2 -Schattenpreises als Wertungskriterium in der Vergabe an 2 Maßnahmen getestet werden, damit ein Vergleich der beiden Methoden vorgenommen werden kann. 5. Fazit Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg verfolgt mit eigenen Ansätze Möglichkeiten, um nun auch in der Bauausführung der Nachhaltigkeit einen außerordentlichen Stellenwert beimessen zu können. Zur praktischen Umsetzung dieser Ansätze wurden in Abstimmung mit der Bauwirtschaft Festlegungen getroffen und im Rahmen von 2 Pilotmaßnahmen die Methode „CO 2 -Bonus“ in 2024 umgesetzt. Die geplante CO 2 -Bonusregelung auf der Basis des CO 2 - Schattenpreises bietet eine Möglichkeit für Anreize, die über bloße Absichtserklärungen im Rahmen der Angebotsabgabe hinausgehen. Anders als rein intentionale Ansätze belohnt die Bonusregelung Unternehmen basierend auf tatsächlichen Erfolgen und messbaren Ergebnissen. Im Jahr 2025 sind Pilotmaßnahmen vorgesehen, in denen das Nachhaltigkeitskriterium in der ansonsten üblichen Weise in der Vergabebewertung Berücksichtigung findet. Damit können die verschiedenen Methoden auf Basis einer identischen Berechnungssystematik verglichen werden. Perspektivisch sollte das Instrument der anreiz- oder ergebnisorientierten Verträge weiterentwickelt werden, bei denen die Minimierung errechneter CO 2 -Werte gezielt honoriert wird. Literatur [1] Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz Baden-Württemberg (KlimaG BW) vom 7. Februar 2023. [2] Verordnung des Finanzministeriums, des Umweltministeriums, des Verkehrsministeriums und des Ministeriums Ländlicher Raum zur Umsetzung des CO 2 -Schattenpreises (CO 2 -Schattenpreis-Verordnung - CO 2 -SP-VO) vom 15. Februar 2023. [3] Impulspapier des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V. „Klimaverträglich bauen mit einem Schattenpreis für CO 2 -Emissionen“. Erstellt von der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin 2023. Verfügbar unter: https: / / www. bauindustrie.de/ fileadmin/ bauindustrie.de/ Media/ Veroeffentlichungen/ 2023_Impulspapier_Klimavertraeglich_Bauen_mit_einem_Schattenpreis_ fuer_CO2_Emissionen.pdf <?page no="131"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 131 Die Chancen einer modernen Vergabepraxis Berücksichtigung der CO 2 e-Emissionen als Wertungskriterium Luigi Paolo Ceci, M. Eng. SUSTRAVIA GmbH, Biberach an der Riß Zusammenfassung Obwohl die rechtlichen Grundlagen vorliegen und die Bauwirtschaft eine Schlüsselrolle im Klimaschutz einnimmt, werden Vergabeverfahren bisher nur unzureichend als Instrument für die Förderung von klimafreundlichen Lösungen eingesetzt. Diesem Umstand liegen strukturelle Hindernisse zugrunde: Zum einen stellt die Unsicherheit bei der Datenerfassung und -auswertung eine zentrale Herausforderung dar. Zudem erfordert die Integration von Umweltkriterien in Ausschreibungen zusätzliche Ressourcen in Form von Zeit und Fachwissen. Gleichzeitig bestehen Bedenken, dass die dadurch entstehenden Mehrkosten dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit widersprechen könnten. Dieser Beitrag zeigt anhand von Praxisprojekten, welche Chancen die Verwendung von CO₂e-Emissionen als Wertungskriterium eröffnen und wie auf diese Weise aktiv ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden kann. 1. Ausgangssituation Bauindustrie und Klimaschutz Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist ein zentraler Indikator für den Zustand unseres Klimasystems. Wissenschaftliche Studien definieren einen Wert von 350 ppm (parts per million) als planetare Grenze. Dieser Wert markiert den Übergang in einen kritischen Zustand, bei dessen Überschreitung das Klima irreversible Veränderungen erfahren kann [1]. Mit einer derzeitigen Konzentration von etwa 420 ppm (Stand 2024) und einem beschleunigenden Anstieg von rund 3-ppm pro Jahr entfernen wir uns kontinuierlich von dieser planetaren Grenze [2]. Die Bauwirtschaft trägt aufgrund ihres hohen Energiebedarfs und der Verwendung fossiler Grundstoffe etwa zu 40 % der globalen CO 2 -Emissionen bei. Diese Zahlen verdeutlichen den enormen Hebel, den die Baubranche für den Klimaschutz bewegen kann [3]. Verantwortung und rechtliche Verpflichtung „Klimaschutz ist wichtig, der Handlungsbedarf groß und die Rechtslage eindeutig“ - so bringt es das Impulspapier „Klimaverträglich Bauen“ auf den Punkt [4]. Das Impulspapier untersucht umfassend, wie diese Verpflichtungen rechtlich korrekt und praktisch umsetzbar in öffentliche Beschaffungsverfahren integriert werden können. So verpflichtet das Bundesverfassungsgericht den Staat, Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen zu ergreifen, um die Lebensqualität und Freiheit zukünftiger Generationen zu schützen [5]. Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) sieht bis 2030 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 42 % sowie bis 2045 die Erreichung der Netto-Treibhausgasneutralität vor [6]. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Vergabeverfahren sind insbesondere in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/ A) und in der Vergabeverordnung (VgV) definiert. § 16 VOB/ A ermöglicht den Einsatz von Nachhaltigkeitskriterien als Zuschlagskriterium [7]. § 59 Abs. 3 VgV schreibt vor, dass diese Kriterien einheitlich, transparent und objektiv überprüf bar sein müssen. Zudem sind sie nichtdiskriminierend auszugestalten und müssen mit vertretbarem Aufwand umsetzbar sein [8]. Strukturelle Hindernisse Trotz der bestehenden rechtlichen Grundlagen und der Bedeutung des Klimaschutzes wird das Potenzial von Vergabeverfahren zur Förderung des Klimaschutzes bislang nur begrenzt genutzt. Dies kann auf verschiedene strukturelle Herausforderungen zurückgeführt werden, die in mehreren Bereichen auftreten. Ein wichtiger Aspekt ist die Komplexität der Datenerfassung und -auswertung, insbesondere bei der Bewertung von CO₂e-Emissionen. Einheitliche Tools und Standards sind nicht flächendeckend etabliert, was die Vergleichbarkeit von Daten und die Überprüfung von Kriterien erschwert. Darüber hinaus erfordert die Integration von Nachhaltigkeitskriterien zusätzliche Ressourcen, etwa in Form von Zeit, finanziellem Aufwand oder spezifischem Fachwissen. Ein weiterer Punkt ist die Herausforderung, ökologische Kriterien in Einklang mit wirtschaftlichen Grundsätzen zu bringen. Zwar zeigen Analysen, dass die Berücksichtigung von Klimafolgekosten langfristig wirtschaftliche Vorteile bringen kann, doch werden diese Zusammenhänge in der Planung und Umsetzung noch nicht flächendeckend integriert [9] [10]. 2. Technische Lösung Anforderungen Um CO₂e-Emissionen als Wertungskriterium zielführend in Vergabeverfahren zu integrieren, sind technische Lösungen erforderlich, die rechtliche und praktische Anforderungen gleichermaßen erfüllen. <?page no="132"?> 132 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Die Chancen einer modernen Vergabepraxis Ein zentrales Element ist die transparente und standardisierte Berechnung von CO₂e-Emissionen, die einheitlich und objektiv überprüf bar sein muss. Dabei müssen Berechnungsmodelle so gestaltet sein, dass sie nicht manipulierbar sind und eine klare Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Angeboten gewährleisten. Weiterhin sollte die Fehleranfälligkeit bei der Dateneingabe und -verarbeitung minimiert werden, da diese einen direkten Einfluss auf die Qualität des Wettbewerbs hat. Wie die Abbildung 1 zeigt, steigt die Fehlerquote proportional zur Anzahl der Angaben der Bieter, während die Differenzierung im Wettbewerb ab einem gewissen Punkt stagniert. Abbildung 1: Differenzierung versus Fehlerquote Um diesem Effekt entgegenzuwirken, sind automatisierte Validierungen und Plausibilitätsprüfungen hilfreich, um fehlerhafte oder widersprüchliche Angaben frühzeitig zu erkennen und korrigieren zu können. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verfügbarkeit der Daten für alle Beteiligten, wodurch eine gleichberechtigte Teilnahme am Wettbewerb ermöglicht wird. Zudem ist es wichtig, dass diese Systeme mit einem angemessenen Aufwand bedienbar sind, sodass sie auch bei komplexen Projekten praktikabel bleiben. Abschließend muss die Nachverfolgbarkeit und Dokumentation gewährleistet sein. Diese Angaben müssen nicht nur präzise, sondern auch einfach und unkompliziert geprüft werden können. Systeme, die keine umfassende Automatisierung und Datenvalidierung bieten, laufen Gefahr, sowohl die Nachverfolgbarkeit als auch die Effizienz des Prozesses zu beeinträchtigen. Bewertung des Bauprojektes Im Straßenbau hat die Wahl der Baustoffe sowie des Asphaltmischwerks einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtbilanz der Treibhausgasemissionen. Da für Asphaltmischgüter bisher keine Umweltproduktdeklarationen (EPD) verfügbar sind, ist die Anwendung einheitlicher Berechnungsverfahren notwendig, um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. In Zusammenarbeit mit der Autobahn GmbH wurde hierfür eine Web-App entwickelt und angewendet, die eine transparente Bewertung des Treibhauspotenzials ermöglicht. Diese Lösung unterstützt Bieter dabei, ihre CO₂e- Angaben nachvollziehbar und korrekt zu berechnen, indem sie die dafür erforderlichen Informationen zielgerichtet abfragt und auf bereits vorhandene Daten zurückgreift. Der aktuelle CO₂e-Wert wird direkt anhand der gegebenen Parameter berechnet und ermöglicht eine unmittelbare Optimierung durch gezielte Anpassungen im Herstellungs- und Transportprozess. So lässt sich beispielsweise durch den Austausch von Braunkohle als Energieträger im Asphaltmischwerk oder den Einsatz von HVO-betriebenen LKW für den Transport eine signifikante Reduzierung validieren. Die Web-App beinhaltet eine automatisierte Plausibilitätsprüfung: Widersprüchliche oder fehlerhafte Eingaben werden unmittelbar erkannt, sodass die Bieter umgehend zu notwendigen Korrekturen angeleitet werden. Dadurch sinkt die Fehlerquote signifikant, wodurch belastbare und qualitativ hochwertige Angebote ermöglicht werden. Mithilfe von Texterkennung und einer bestehenden Datengrundlage der Emissionswerte lassen sich die Angaben zu Baustoffen und Transporten automatisiert anhand der Lieferscheine überprüfen. Auf diese Weise erfolgt die Nachbilanzierung vollständig innerhalb der Web-App, was eine effiziente und präzise Dokumentation sicherstellt. Bewertung der Verfügbarkeit Bei der Bewertung von Infrastrukturmaßnahmen kann es zusätzlich sinnvoll sein, neben dem Materialeinsatz und den direkten Emissionen während der Bauphase auch die langfristigen Auswirkungen auf den Verkehrsfluss einzubeziehen. Die deutsche Verkehrsinfra- <?page no="133"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 133 Die Chancen einer modernen Vergabepraxis struktur steht dabei vor einem zunehmend komplexen Dilemma: Alternde Bauwerke und notwendige Sanierungsarbeiten führen zu einer kontinuierlichen Verringerung der nutzbaren Kapazitäten, während ein stetig wachsendes Verkehrsauf kommen das Netz zusätzlich unter Druck setzt. Diese Dynamik hat weitreichende negative Konsequenzen, die sich in steigenden Stauauf kommen und erhöhten CO₂e-Emissionen manifestieren. Eine ganzheitliche Bewertung setzt dafür eine umfangreiche Datengrundlage voraus, um die Relationen zwischen Infrastrukturkapazität, Verkehrsauf kommen, Umlagerungseffekten und den damit verbundenen zusätzlichen CO 2 e-Emissionen korrekt abzubilden. In Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen wurde hierzu eine neue Analysemethode entwickelt, die Echtzeit-Verkehrsdaten nutzt, um die Auswirkungen von Baumaßnahmen umfassend zu bewerten. Auf diese Weise können Folgen für Verkehrsfluss und Emissionen quantifiziert werden. Dadurch können in der Planungsphase die voraussichtlichen Verkehrseffekte prognostiziert werden und nach Abschluss der Baumaßnahme ermöglicht der direkte Vergleich des Zustands vor und nach der Umsetzung eine transparente Bewertung des Nutzens. 3. Chancen Erste Pilotanwendungen zeigen, dass sich CO₂e- Emissionen erfolgreich als Wertungskriterium in Ausschreibungen integrieren lassen. Die fortschreitende Digitalisierung erleichtert dabei die Datenerfassung und -auswertung, verringert den Zeitaufwand erheblich und ermöglicht allen Beteiligten eine gleichberechtigte Teilnahme am Wettbewerb. Dadurch können langfristig fundiertere Investitionsentscheidungen getroffen werden: Ökologisch nachhaltige Bauweisen lassen sich gezielter fördern und zugleich wirtschaftlich überzeugend begründen, da Klimafolgekosten und Einsparpotenziale transparent dargestellt werden. Diese Entwicklung steigert nicht nur die Akzeptanz von Vergabeverfahren, sondern trägt auch zu stabileren und planbareren Projektverläufen bei. Die Berücksichtigung von CO₂e-Emissionen als Wertungskriterium eröffnet der Bauindustrie die Chance, langfristig Innovationen voranzutreiben, die das Klima schützen. Literatur [1] J. Hansen, et al. (2008). Target Atmospheric e: Where Should Humanity Aim? Open Atmospheric Science Journal, 2, 217-231. [2] Umweltbundesamt (2024): Atmosphärische Treibhausgas-Konzentrationen. URL: https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ klima/ atmosphaerischetreibhausgas-konzentrationen#kohlendioxid- [3] United Nations Environment Programme (2022). 2022 Global Status Report for Buildings and Construction: Towards a Zero-emission, Efficient and Resilient Buildings and Construction Sector. [4] M. Püstow, T. Göhlert, J. Gielen, J. Tenner & E. Pawelczyk (2023). Klimaverträglich bauen mit einem Schattenpreis für CO 2 -Emissionen: Wie die öffentliche Hand Bauprojekte ausschreiben kann, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen - ein Impulspapier. KPMG Law für den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., Berlin. [5] Bundesverfassungsgericht (2021). Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/ 18. [6] Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vom 12. Dezember 2019, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. August 2021. [7] Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/ A), Fassung 2019. [8] Vergabeverordnung (VgV) vom 12. April 2016. [9] Umweltbundesamt (2021): Methodenkonvention 3.1 zur Ermittlung von Umweltkosten - Kostensätze. URL: https: / / www.umweltbundesamt.de/ publikationen/ methodenkonvention-umweltkosten [10] Europäische Kommission (2021): Technical guidance on the climate proofing of infrastructure in the period 2021-2027. Official Journal of the European Union, C 373/ 1. <?page no="135"?> Straßenbau <?page no="137"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 137 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Dr. Klaus Tilger A+S Consult GmbH, Dresden Zusammenfassung Oft kennen Entscheider die informationstechnischen Paradigmen zur digitalen Verarbeitung von Informationen nicht. Das ist mit ein entscheidender Grund, warum Digitalisierung nicht zufriedenstellend funktioniert. Es werden daher ausgewählte Grundprinzipien als notwendige Grundgesetze für das digitale Arbeiten wiederholt. Die durchgeführte Digitalisierung wird am Pilotprojekt zum digitalen Bauen und Abrechnen „L 181 Ersatzneubau Villingen Kuhmoosbachbrücke“ exemplarisch dargestellt. Es werden der Auf bau des Digital Twins unter den Anforderungen des Baubetriebs Peter Gross Infrastruktur GmbH & Co. KG erläutert und ausgewählte digitale Usecases herausgegriffen. Bauen ist hochdynamisch und kann nicht durch statische CAD-Prozesse effektiv abgebildet werden. Damit wird der momentane Widerspruch im digitalen Bauen am Beispiel deutlich und die Punkte aufgezeigt, die in einer funktionierenden und weltweit anerkannten IT-Lösung angewandt werden müssen. Nur aktuelle und bestätigte Informationen des SOLL und des IST ermöglichen es, das Gesamtmodell für das digitale Abrechnen einzusetzen. 1. Digitale Grundlagen Bestand Es wird eine Auswahl von Grundprinzipien zum Auf bau des Gesamtmodells am gewählten Praxisprojekt vorgenommen und dabei die Notwendigkeit erläutert: BIM ist die Übergabe aller Informationen in digitaler Form: Digitale Informationen sind nur maschinell weiter verarbeitbare vollständige Informationen des jeweiligen Fachs. Demnach sind PDFs, Zeichnungen oder IFCs ohne vollständig fachliche Parametrisierung oder fachlichen Bezug beispielsweise zur Trassierung keine weiter verarbeitbaren Informationen für digitale Workflows. In der Praxis werden jedoch im Allgemeinen nicht ausreichend digitale oder in diesem Sinn vollständige Informationen übergeben. Die Folgen sind das Re-Digitalisieren und das nicht vollständige Verfügen der Informationen im Baubetrieb. BIM ist 100 % objektorientiertes Planen am Fachobjekt: Objektorientiertes Arbeiten bedeutet ausschließlich Fachobjekte zu bilden, die einen fachlichen Fachplanungsgegenstand abbilden. Dabei dürfen nicht mehrere Gegenstände in einem Fachobjekt kombiniert sein (Stütze mit Fundament) oder ein Gegenstand nichtfachlich in viele Fachobjekte zerspringen (Volumenschnipsel eines Damms oder einer Oberbauschicht). Die Fachobjekte sind Instanzen einer disjunkten Modellstruktur aus Fachobjektklassen mit eigenem jeweils klarem Fachverhalten. Lässt man das Fachverhalten durch Reduktion der Fachobjekte auf Geometrie und (im schlimmsten Fall nur alphanumerische) Attribute weg, können keine digitalen Workflows aufgebaut werden. BIM ist die Arbeit im Data Lifecycle: Jedes Fachobjekt, jeder Vorgang des Terminplans, jede Leistungsverzeichnis-Position, jede Bauabrechnung oder sonstige Information muss eine stabile eineindeutige Identifizierung erhalten. Erst damit ist sie unter Änderungen wiederfind- und wiedernutzbar. Digitale Workflows können nur mit und ausschließlich durch Wiederfinden und damit mit realisiertem Data Lifecycle funktionieren. Das Data Lifecycle ist ein weltweites Grundprinzip der IT; es muss auch in der Infrastruktur benutzt werden. BIM ist die vollständige Informationsübertragung und damit die Einheit aus Fachplanung und Fachmodell: Vollständige Informationen in der Infrastruktur bedeutet nicht nur ein Modell mit Geometrie, sondern umfasst alle fachplanerischen Details, die zu dieser Geometrie führen. Daraus folgt, dass Fachplanung und Fachmodell eine Einheit bilden müssen und entsprechend zur Weiterarbeit übergeben werden müssen. Damit schließt das Fachmodell die Fachplanung mit allen abhängig vernetzten Randbedingungen anderer Fächer ein. Der Aufbau und die Pflege dieses Linked-Data-Model ist ein integraler Teil der digitalen Fachplanung. In der Praxis müssen in der Regel Informationen vom Auftraggeber re-digitalisiert werden. Das bedeutet, Trassierung, Querprofillinen und -flächen, Entwässerungs- und Mediennetze sowie Baugrund- und Homogenbereichsschichtenmodelle auf analogen Grundlagen neu erstellt werden. <?page no="138"?> 138 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 1: Grundlagen des Projekts: Digitale Bestands- und Planungsdaten Ist der Re-Digitalisierungsschritt erfolgt, können Fachobjekte damit parametrisiert werden. Die Überführung der Fachplanung in das Fachmodell geschieht vernetzt, intelligent und nach den Grundprinzipien der Informationsverarbeitung: Mit fester ID. Mit impliziten Volumina. Rein fachlich und ohne Volumenschnipsel. Externe Workflows wie das CAD der Baugrube werden durch Hinzunahme eines Workflows zur Sicherstellung des Data Lifecycles sowie klarer Übergabe der fachlichen Semantik in Form von vereinbarten Attributnamen, Datentypen und physikalischen SI-Einheiten ergänzt. Abbildung 2: Digitale Objektorientierung statt analoger Fragmentierung <?page no="139"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 139 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 3: Angepasste CAD-Workflows: Beispiel Baugrube Besonderer Schwerpunkt bildet der Baugrund, der vollparametrisch über relationale Baugrunddaten in das Gesamtmodell integriert werden muss. Die volle Parametrisierung ist zum einen für die geometrische Anpassung der Baugrundbeziehungsweise Homogenbereichsschichten auf Grundlage neuer Informationen durch das Bauen essenziell, zum anderen werden richtlinienabhängige Kennwerte relational erfasst und für den Geotechniker unter Beachtung dieser Abhängigkeiten zur weiteren Analyse übergeben. BIM ist die Vernetzung von Informationen: Informationen bedingen Informationen. Damit sind Informationen von anderen Informationen abhängig. Die Abhängigkeit bleibt erhalten, wenn sich eine Information ändert. Demnach befinden sich alle Informationen in einem gemeinsamen Netzwerk, das nur maschinell beherrschbar ist. Beispielsweise sind Homogenbereichsschichten von Baugrundschichten, Baugrundschichten von Aufschlüssen und Aufschlüsse von Aufschlusstypen abhängig. Nur die Vernetzung führt zu einem ständig qualitätsgesicherten Planungs- oder Bauprojekt. BIM ist die vollparametrische Modellierung durch implizite Volumina: Die Geometrie eines Fachobjekts ist nur eine Repräsentanz seines fachlichen Inhalts. Ändert sich der fachliche Inhalt, muss sich auch die Repräsentanz anpassen. Damit Inhalt und Repräsentanz stets zueinander passen, muss das durch einen digitalen Prozess sichergestellt sein. Das manuelle Modellieren ist kein digitaler Prozess und muss im BIM eliminiert werden. Da implizite Volumina vollständig generiert sind, müssen sie aus ihrer Parametrik entstehen. Damit muss im Umkehrschluss die Parametrik vollständig am Fachobjekt enthalten sein. Baugrundschichten werden jeweils aus Aufschlussbereichen gleichen Baugrundtyps gebildet. Aufschlussbereiche besitzen eine Einflussfläche, die ihre Gültigkeit in Lage und Tiefe festlegen: Auffüllungen der Straße befinden sich nur im Straßenbereich; Auffüllungen des Geh- und Radwegs nur dort. Einflussflächen sind somit Teil der Parametrik der Baugrundschichten. <?page no="140"?> 140 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 4: Parametrisches Baugrundmodell Was passiert mit dem Baugrundschichtenmodell und den davon abhängigen Mengen beispielsweise in der Baugrube, wenn neue Informationen zum Baugrund während des Bauens hinzugenommen werden? 1.1 Usecase Baugrube nach Baugrund Unter diesen Voraussetzungen können jetzt digitale Auswertungen wie auch die spätere digitale Abrechnung durchgeführt werden. Das wird am Beispiel der Berechnung der Aushubmassen der geplanten Baugrube je Baugrundtyp deutlich. Es werden folgende Grundprinzipien umgesetzt: BIM ist die reproduzierbare automatisierte Auswertung des Gesamtmodells: Digitale Berechnungen sind grundsätzlich auf gleichem oder unterschiedlichem Informationsstand reproduzierbar. Damit werden Abläufe automatisiert und die Ergebnisse deterministisch ermittelt. Je nach Menge der zu verwendenden vernetzten Informationen sind die eingesetzten Algorithmen dabei mehr oder weniger intelligent. Das Ziel der Digitalisierung ist es demnach möglichst alle verfügbaren Informationen in der jeweiligen fachlichen Spezifik zur Auswertung zu verwenden. Skripte sind unzureichend und bieten in diesem Sinn keinen digitalen Workflow an, da sie das spezifische Fachverhalten eines jeden Fachobjekts durch unspezifisches Skriptverhalten aller Fachobjekte ersetzen. BIM ist die eindeutige Abbildung klassischer Auswertungen im Digitalen: Fachplanerische Berechnungen bleiben im BIM in ihrer Semantik in der Kunst des Fachs unverändert. Sie werden im Digitalen ebenso durchgeführt und führen zu genau den gleichen Ergebnissen. Es wird also nicht die Berechnung neu erfunden, sondern der Weg zum Ergebnis. Damit geht die Forderung einher, ausschließlich digitale Prozesse einzusetzen. Die eindeutige Abbildung in diese Prozesse bezieht sich somit auf das Finden der einwandfreien maschinellen Informationsverarbeitung mit moderner Technologie. <?page no="141"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 141 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 5: Parametrische Aushubmassen Der Baugrund liegt in Form von Baugrundschichten vor. Die Baugrube ist ebenso modelliert. Baugrundschicht und Baugrube besitzen ein Data Lifecycle. Damit und nur damit sind beide als Operand des geometrischen Schnitts unter Änderungen nutzbar. Der Schnitt repräsentiert ein neues Fachobjekt mit ebenso fester Identifizierung und liefert in der aktuellen Situation den korrekt geschnittenen Volumenkörper inklusive der Mengenwerte. Findet also eine Änderung der Baugrundschicht oder der Baugrube statt, führt das wegen der Vernetzung sofort zur Aktualisierung des Schnitts und damit zu aktualisierten Mengenwerte. 1.2 Bohrpfahlwand Die Bohrpfahlwand besteht aus drei Teilen: Der Fachplanung, dem Fachmodell der Bohrpfähle und der Bewehrung in diesem Fachmodell. In der Fachplanung werden die Identifizierung und die Position der Bohrpfähle bestimmt. Diese führt als Parametrik direkt zum Fachmodell. Das Fachmodell ist im Gesamtmodell vernetzt und erhält damit unter anderem den Zugriff auf die Baugrube und das Bauwerk. Das implizite Fachmodell wird im Gesamtmodell abgeglichen und als Grundlage der innenliegenden Bewehrung direkt und konsistent weiterverarbeitet. BIM ändert also nicht die Fachplanung, sondern die Integration der Fachplanung in das Projekt und den Weg der konsistenten Verarbeitung dieser Informationen. <?page no="142"?> 142 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 6: Bohrpfahlwand Abbildung 7: Vernetzung des Leistungsverzeichnis 2. Digitale Grundlagen Bauen Der digital Twin muss für das Bauen neben dem Bestand auch parallel die Planung der Baumaßnahme enthalten. Die digitalen Anforderungen müssen in allen Teilen erfüllt sein. Damit ist BIM die Arbeit am einzigen Gesamtmodell unter allen gegenseitigen Abhängigkeiten. Das Gesamtmodell ist das SSoT des Projekts. Damit ist jede Information für sich die eindeutige sowie verlässliche Wahrheit. Ein Koordinationsmodell kann das nicht leisten, da es nur unabhängige Fachplanungen in Form von davon abgeleiteten Fachmodellen mit unvollständigen Informationen des Fachs übereinanderstapelt. Die Wahrheit verbleibt im jeweilen Autorensystem. Die Vernetzung mit dem Leistungsverzeichnis sowie dem Terminplan ist jetzt essenziell. Sie muss unter ständigen möglichen Änderungen stabil erfolgen. In der Praxis werden dazu ungeeignete Workflows wie Modellverbindungen über durchnummerierte Ordnungszahlen oder digital unzureichende Skripte, die umständlich mit nicht qualitätsgesicherten Attributen gefüttert werden müssen, eingesetzt. Ein Fortschritt wird sich im Ergebnis logischerweise nicht einstellen. <?page no="143"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 143 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Im Beispielprojekt wird ein digitales Vorgehen gewählt: Das Leistungsverzeichnis, der Terminplan oder das Vorgangsmodell werden im Gesamtmodell vernetzt. Sie werden nicht primitiv mit einem Modell verbunden. BIM ist die Informationsverarbeitung in unabhängigen Ebenen der Informationen: Unabhängige Informationsebenen trennen disjunkte Informationswelten strikt von einander ab: Es dürfen keine Informationen einer Ebene in einer anderen Ebene enthalten sein. Die einzige Möglichkeit der Zusammenarbeit dieser Ebenen ist die Vernetzung. Demnach darf keine Ordnungszahl oder Vorgangsnummer am Fachobjekt in der 3D-Ebene enthalten sein. Durch unabhängige Informationsebenen können auch komplexe N: M-Beziehungen informationstechnisch korrekt gemanagt werden. Der Auf bau dieser Relationen erfolgt rein fachlich und genau einmal. Damit werden sämtliche Sonderfälle und Spezifikationen seitens des Fachobjekts beziehungsweise des Vorgangs durch sein Verhalten und seitens der Leistungsverzeichnis-Position durch den Fachautor (Mensch) festgelegt. Dadurch ist das Ergebnis fachlich von Mensch und Maschine validiert und kann beispielsweise durch die Bauüberwachung bestätigt werden (wichtig für die digitale Abrechnung). Die Vernetzung setzt das Data Lifecycle der Fachobjekte, Vorgänge und Leistungsverzeichnis-Positionen voraus. Der Mengenwert wird immer dynamisch berechnet und nicht aus nicht qualitätsgesicherten Attributen zusammenkopiert: Zunächst entscheidet die Abrechnungseinheit der Leistungsverzeichnis-Position. Diese filtert verschiedene Mengenvarianten spezifisch im jeweils vernetzten Fachobjekt. Die konkrete Auswahl trifft dann final der Fachautor und zwar spezifisch für jede Kombination Fachobjekt - Leistungsverzeichnis-Position. Damit wird zum einen ein starres Skript der Zuordnung und zum anderen eine starre QTO-Formel durch die reine fachliche Information des Fachautors ersetzt. Im nächsten Schritt könnte die Auswahl durch eine KI unterstützt werden, da der Prozess jetzt auf reine nicht abgeleitete Informationen zurückgeführt ist. Die Leistungsverzeichnis-Position enthält die Referenz auf seine Fachobjekte und Vorgänge. Wird die Referenzierung umgedreht und in der 3D-Ebene verbacken, sind die Informationsebenen nicht getrennt, saubere M: N-Beziehungen unmöglich und der spätere Nutzen für das Bauen und Abrechnen zerstört. Abbildung 8: nD-Ebene des Leistungsverzeichnis <?page no="144"?> 144 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung 3. Anwenden des Digital Twin für das modellbasierte Abrechnen Das vernetzte Gesamtmodell wird jetzt zum automatisierten modellbasierten Abrechnen verwendet: BIM ist die konsistente Informationsverarbeitung unter ständigen Änderungen aller Informationen: Bauen ist ebenso dynamisch wie das Planen. Es muss also auch im Bauen davon ausgegangen werden, dass sich jede Information zu jedem Zeitpunkt ändern kann. Die Folgen einer Änderung kann nur ein digitaler Prozess bewerten, auswerten und neue daraus resultierende Änderungen anstoßen. Jeder menschliche Faktor führt in diesem Geflecht zu Fehlern der Konsistenz der Informationen im Gesamtmodell und damit zur nicht belastbaren Wahrheit. Ein menschlicher Prozessschritt führt unausweichlich zum Qualitätsverlust. BIM ist die digitale Abrechnung ausschließlich im jeweiligen Stand der Baustelle: Genau wie die Planung interagiert auch die Realität der Baustelle mit dem Digital Twin. Die Bauinformationen (was wurde fertiggestellt) fließen sofort in den Digital Twin ein. Damit stellt die digitale Abrechnung lediglich eine konkrete Informationsverarbeitung im Gesamtmodell dar. Die Berechnung der Ergebnisse (hier abrechenbare Mengenwerte bezüglich des Leistungsverzeichnis) erfolgt auf rein digitalem Weg. Menschliche Prozessschritte sind eliminiert und es verbleibt vorerst nur die menschliche Prüfung. Abbildung 9: Digitale Abrechnung 1/ 3 <?page no="145"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 145 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Abbildung 10: Voraussetzung der digitalen Abrechnung Für das digitale Abrechnen sind Informationen des SOLL inklusive vernetztem Leistungsverzeichnis sowie Terminplan in allen Details notwendig. Darin ist jede Information belastbar. Demnach entspricht sie der Wahrheit und ist widerspruchsfrei im SSoT des Projekts. Damit digitale Workflows digitale Informationsverarbeitungsprozesse durchführen können, muss die Modellstruktur standardisiert sein. Dabei bezieht die Modellstruktur das Informationsdesign mit ein. Das IST wird mit diesen Voraussetzungen digital aus dem SOLL durch Angabe der Bauleistungen ermittelt. Dadurch werden die Bauleistungen zur Parametrik des IST und alle Teilmengen durch Berechnung der Mengenwerte aus dem digital generiertem IST ermittelt. Ein entscheidender Unterschied zu aktuellen Realisierungen ist hier die vollständige Ableitung aus dem SOLL und nicht die Bestimmung des IST aus unabhängigen Aufmaßen wie Laserpunkte. Abbildung 11: Digitale Abrechnung 3/ 3 <?page no="146"?> 146 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung chenbar, die nur den Zuwachs bezüglich genau einer Abrechnung oder mehrerer Abrechnungen enthalten. Das Ergebnis der digitalen Abrechnung ist jeweils ein Tupel aus Abrechnungsgrundlage als DA11/ X31 und einer digitalen Abrechnungsgrundlage als ∆IST-Abrechnungsmodell. Dabei besteht das ∆IST-Abrechnungsmodell aus den einzelnen Fachobjekten der Bauabrechnungen zur jeweiligen Abrechnung, die neben den Mengenwerten, Vernetzungen zur Leistungsverzeichnis-Position, zum Vorgang im Terminplan und SOLL-Fachobjekt auch die Abrechnungsadresse (DA11) sowie das jeweilige IST enthalten. Das Fachobjekt der Bauabrechnung ist somit mit der klas- Damit muss notwendigerweise das SOLL das umzusetzende IST zu jedem Zeitpunkt repräsentieren. Das SOLL- Modell muss also bei jeder noch so kleinen Änderung beim Bauen angepasst werden und damit mit der aktuellen und zukünftigen Realität synchronisiert sein; der Begriff „Digital Twin“ erhält seinen Sinn... Gerade diese Anpassung kann nur durch digitale Workflows effizient erfolgen. Die SOLL-Mengen werden durch die Leistungsverzeichnis-Position spezifiziert und durch die SOLL-Fachobjekte direkt ermittelt; sie entsprechen nun garantiert der Wahrheit. Abbildung 12: Digitale Abrechnung 2/ 3 Die digital ermittelten Mengenwerte aus den IST-Fachobjekten sind mit ihren jeweiligen SOLL-Fachobjekten vernetzt. Die Leistungsverzeichnis-Positionen der Abrechnung enthalten Verweise auf die IST-Fachobjekte. Damit besitzt die Abrechnung auch den Zugang zum SOLL. Aus den IST-Fachobjekten entstehen die Mengenwerte des IST direkt. Die IST-Menge wird zur RE-Menge weiterverarbeitet, in dem - jetzt im Allgemeinen der Bauleiter als Fachautor - die Übertragung des modellbasierten IST- Mengenwerts mit oder ohne Anpassung zum „menschenbasierten“ RE-Mengenwert bestätigt. Danach wird die Anpassung in jedem Fall mit dem SSoT synchronisiert. Wird die RE-Menge durch einen weiteren Qualitätsschritt bestätigt, wird sie zur Final-Menge. Diese kann beispielsweise durch eine externe Bauüberwachung geschehen. Abrechnungen sind mit ihrer jeweils vorhergehenden Abrechnung vernetzt. Damit können effektiv bereits abgerechnete und verbleibende LV-Mengen im IST und bezüglich des aktuellen SOLL berechnet sowie digital kontrolliert werden. Im Umkehrschluss sind neben dem IST-Modell, das den aktuellen Stand der Abrechnung der Baumaßname enthält, auch ∆IST-Modelle digital beresischen Abrechnungsgrundlage verbunden. Andersherum enthält die X31-Abrechnungsgrundlage den Rückverweis auf die Fachobjekte der Bauabrechnungen. Mit MMC ist ebenso die modellbasierte Übergabe der Abrechnung möglich. Grundsätzlich sind SOLL-Fachobjekt, IST-Fachobjekt, Fachobjekt der Bauabrechnung und die Abrechnung selbst verschiedene Fachobjekte im Data Lifecycle. 4. Zusammenfassung Bauen ist hochdynamisch: Es sind alle Änderungen in einem digitalen Workflow zu beachten. Sogar die Ausführungsplanung von Trassierung oder Bauwerk kann angepasst werden. Die jetzt verfügbaren neuen Informationen zum Baugrund, zur Ausführung der Baugrube samt Sicherung oder zur Ausstattung führen unmittelbar zum Anpassen der einzusetzenden Bautechnologie im SOLL-Modell und im Bauablauf. Externe Einflüsse wie das Wetter und die Verfügbarkeit von Ressourcen implizierten ebenso das Anpassen des dynamischen Bauprozess. Der digitale Benchmark ist der turn-a-round zur Korrektur aller abhängigen Informationen bis hin zur Abrechnung über korrekte Mengenwerte bei jeder Änderung. <?page no="147"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 147 Digitale Informationen für ein digitales Bauen und eine digitale Abrechnung Damit muss während der Baumaßnahme zum einen die Wahrheit des Gesamtmodells belastbar garantiert sein und zum anderen das mit minimalem Aufwand erreicht werden. Diese Anforderungen können nur digitale Workflows realisieren. Menschliche Prozessschritte müssen eliminiert oder wenigstens minimiert werden. Es wurde eine Auswahl an prinzipiellen Grundlagen digitaler Workflows beim (Planen und) Bauen dargestellt. Sie beschreiben den einwandfreien digitalen Einsatz. In der Praxis wird sich ein Prozess etablieren, der Stück-für- Stück die klassischen manuellen - meist durch Menschen im Baubetrieb erbrachten - Arbeiten durch solche digitalen Schritte ersetzt. Auf der anderen Seite werden die vorherrschende Skepsis und das Misstrauen gegenüber digital ermittelten Grundlagen und Workflows beim Auftraggeber abgebaut. Beide Seiten bewegen sich demnach gemeinsam auf einen digitalen Kristallisationspunkt zu. Der Sinn der Digitalisierung ist nicht, bestehende Wege neu auszutreten, sondern gemeinsam neue und effiziente Verfahren zu schaffen sowie diese in der Praxis einzusetzen. <?page no="149"?> Sonderbauweisen <?page no="151"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 151 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten Nutzungsdauerverlängerung durch Oberflächentexturbearbeitung Dr. Bastian Wacker Die Autobahn GmbH des Bundes, Berlin Dr. Marko Wieland OAT green tech solution GmbH, Bietigheim (Baden) Claudia Gidde Die Autobahn GmbH des Bundes, Hannover Zusammenfassung Offenporigen Asphaltdeckschichten (OPA) sind hinsichtlich der Lärmminderung hochwirksame, aber aus Sicht der Dauerhaftigkeit sensible Bauweisen. Mit einer optimierten Textur soll eine Verlängerung der Nutzungsdauer sowie eine Verbesserung von Eigenschaften (u.- a. Lärmreduzierung, Griffigkeit, Rollwiderstand) erzielt werden. Hierzu könnte sich das Verfahren Horizontalschleifen eignen, um eine ideale Oberfläche von OPA zu erreichen. Das Projektteam konnte auf der BAB- A39 bei Braunschweig eine Erprobungsstrecke auswählen und im Juni-2023 die Maßnahme auf einem 3-km langen Streckenabschnitt im Bestand durchführen. Der Testabschnitt besteht aus einer Referenzstrecke und zwei Teilstrecken mit unterschiedlicher Textur/ Schleiftiefe. Die eingesetzte Maschine zur Oberflächentexturbearbeitung ist ein selbstfahrendes Arbeitsgerät inkl. Weiterentwicklungen, insbesondere der Schleifwerkzeuge. Durch die Variation verschiedener Werkzeuge und Parameter besteht das Ziel, unterschiedliche Texturen prozesssicher herzustellen. Zur Qualitäts- und Prozesssicherung, sowie zur wissenschaftlichen Betreuung des Texturschleifens, wurde der gesamte Abschnitt mittels verschiedener Messmethoden vor und nach dem Schleifvorgang vermessen. Hierfür wurden Parameter, wie der Rollwiderstand, die Texturtiefe und -gestalt, die Griffigkeit, die Temperatur und verschiedene akustische Eigenschaften erfasst. Insgesamt konnten die ersten Messungen ein sehr positives Ergebnis zeigen. Die Dauerhaftigkeit dieser Gebrauchsbzw. Oberflächeneigenschaften und ihr Einfluss wird durch ein mehrjähriges Monitoring beobachtet. 1. Einführung Die Autobahn-Infrastruktur stellt, entsprechend den unterschiedlichen Einsatzbereichen, verschiedene Anforderungen, die während der Planung, des Baus und im Betrieb sichergestellt werden müssen. Die Autobahn GmbH des Bundes verfolgt das Ziel, lange Nutzungsdauern zu erreichen, um unter anderem die Verfügbarkeit für die Nutzerinnen und Nutzer, aber gleichzeitig die Einhaltung der geforderten Richtwerte z.-B. des Lärmschutzes sicherstellen zu können. Parallel verfolgen externe Partner, wie die Otto Alte-Teigeler GmbH, innovative Ansätze, um zum Beispiel zielgerichtet Oberflächentexturen herstellen zu können. Dadurch können die Oberflächeneigenschaften verbessert und auch künftige Ziele der Infrastrukturbetreiberin erreicht werden. In diesem, durch die Autobahn GmbH finanzierten Projekt wurde eine bestehende Strecke ausgewählt und deren Oberflächeneigenschaften im Hauptfahrstreifen modifiziert. Ziel ist eine Verlängerung der Dauerhaftigkeit bzw. Nutzungszeit aber auch die Verbesserung verschiedener Oberflächenparameter, darunter fällt auch die Optimierung der Reifenkontaktfläche im Hinblick auf eine Reduktion der Substanzbeanspruchung. Dabei steht das Ziel der Optimierung des Rollwiderstandes mit allen positiven Aspekten (Senkung Energieverbrauch, Reduktion von Kornausbrüchen) und die gezielte Herstellung lärmmindernder Oberflächen im Fokus. Zudem besteht die Idee, dass die Erhaltungsmaßnahme des Hauptfahrstreifen soweit hinausgezögert werden kann bis auch die Überholfahrstreifen ausgetauscht werden müssen. Damit werden Eingriffe in den Verkehrsfluss minimiert und die Erhaltung optimiert. All dies hat unmittelbar Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Verkehrsinfrastruktur und hilft der Gesellschaft. 2. Rahmenbedingungen Kernelement des Projektes ist die durch die Otto Alte- Teigeler GmbH (Weiter-)Entwickelte Technik des Horizontalschleifens. Diese Technologie wird im folgenden Unterkapitel beschrieben und vorgestellt. Zudem konnte gemeinsam eine passende Untersuchungsstrecke gefunden werden. 2.1 Horizontalschleifen - Technologie Das Horizontalschleifen ist ein abtragendes Verfahren mit dem zum einen die Kornspitzen der Oberflächentextur gekappt (wenige zehntel Millimeter bis zu Millimetern) und zum anderen eine Mikrotextur in die ent- <?page no="152"?> 152 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten standenen Plateauflächen eingearbeitet wird. Ziel ist die prozesssichere Herstellung von definierten Texturen. Hierzu wird eine Maschine eingesetzt, die zurzeit mit drei Schleiftellern ausgestattet ist, in den Schleiftellern rotieren jeweils vier Schleifwerkzeuge. Durch Variation von groben, schlagenden Werkzeugen ähnlich einer Fräse bis zu feinsten, schleifenden Polierbelägen auf Kunststoffbasis können unterschiedliche, Texturen zielsicher erreicht werden. Diese Schleifteller sind so angeordnet, dass nur eine minimale Überlappung erzeugt wird. Mit diesem Setup ist eine maximale Arbeitsbreite von 2,4-m möglich. Abb. 1: Einer von drei Schleiftellern mit Diamantwerkzeugen zur Erstellung der geforderten Textur Die Maschine kann vom Bediener aus einer Kabine gesteuert werden, die Einflüsse aus Verkehr, Lärm, Vibration und Staub optimal abhält. Durch die Rundumsicht und Anordnung der Bedienelemente ist eine regelmäßige Kontrolle des Ergebnisses gegeben und auch Anpassungen (Fahrgeschwindigkeit, Drehzahl der Werkzeuge, Anpressdruck) können umgehend durchgeführt werden. Mit Hilfe der integrierten Absaugung ist es möglich das feine Schleifgut unmittelbar aufzunehmen und abzuführen. Gröberes Material verbleibt auf der Oberfläche und wird in einem weiteren Arbeitsgang durch ein Hochdruckwasserstrahl-Fahrzeug (HDW-Fahrzeug) aufgenommen. Dabei ist der Wasserstrahl so einzustellen, dass das Material nicht in die Poren des offenporigen Asphalts eingearbeitet wird und diese verstopft. Abb. 2: Schematische Darstellung - Erzeugung Plateau durch Horizontalschleifen Die Horizontalschleiftechnik erzeugt durch das Schleifen an den Gesteinen ein Plateau und dieses hat die identische Höhe der umgebenden Gesteine. Somit wird erreicht, dass keine einzelnen Kornspitzen herausragen und durch übermäßigen Reifenkontakt beansprucht oder über die Zeit sogar herausgelöst werden. Das Plateau wird, wie oben beschrieben, durch die Schleifwerkzeuge so bearbeitet, dass eine definierte Textur (Mikrotextur auf dem Plateau) entsteht und somit die Griffigkeit langfristig sicherstellt. Zudem ergibt sich daraus ein weiterer Vorteil gegenüber der mechanischen Beanspruchung des Korngefüges im Asphaltmaterial. 2.2 Beschreibung Untersuchungsstrecke Als Untersuchungsstrecke wurde die BAB-A39 im Süden von Braunschweig zwischen den Anschlussstellen Dreieck Braunschweig-Südwest und Braunschweig-Rüningen-Süd in Fahrtrichtung Salzgitter gewählt. Die Offenporige Asphaltdeckschicht wurde in diesem Streckenabschnitt im Jahr 2019 mit einem PA-8 erneuert und hatte bis zu diesem Versuch ca. 4-Jahre Nutzungszeit erfahren. Im Vorfeld der geplanten Schleifarbeiten wurden die Eigenschaften visuell (z.-B. Kornausbrüche) und kurz vor der Maßnahme auch messtechnisch (z.-B. Griffigkeitsmessungen mit dem Seitenkraftmessverfahren (SKM) Messungen) erfasst. Dabei wurde der Strecke eine für die Nutzungszeit hervorragende Qualität bescheinigt. Für das Projekt wurde der ausgewählte Streckenabschnitt in drei Abschnitte unterteilt. Neben der Referenzstrecke (ohne Bearbeitung) wurden zwei unterschiedliche Texturen realisiert: - Referenzstrecke Kilometer 172,4-172,8 (0,4-km) - Strecke Textur 1 Kilometer 172,8-174,7 (1,9-km) - Strecke Textur 2 Kilometer 174,7-175,2 (0,5-km) Die Unterschiede in den Texturen bestehen in der Abtragtiefe bedingt durch die Veränderung der Maschinenparameter. Im Ergebnis kann durch die gewählte Abtragtiefe eine Idealisierung des Höhenniveau des Plateaus erreicht werden. Textur-2 wurde mit einer langsameren Vorschubgeschwindigkeit angelegt, so dass sich ein größerer Abtrag ergab. 3. Umsetzung und Untersuchungsprogramm Neben der technischen Ausführung der Texturierung, wird die Erprobung wissenschaftlich betreut, sowie zur Qualitäts- und Prozesssicherung mit umfangreichen Messungen und Datenanalysen begleitet. Diese sind so angelegt, dass sie vor und nach der Ausführung, sowie in Form eines jährlich fortlaufenden Monitorings, in einem Zeitraum von 3-Jahren nach Ausführung der Arbeiten, stattfinden. Dazu zählen Griffigkeits- und Akustikmessungen aber auch weitere Messverfahren wie Rollwiderstandsmessungen, Thermographie und festverortete kleinflächige 3D-Textur Scans. <?page no="153"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 153 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten 3.1 Griffigkeitsmessungen Eine wesentliche Untersuchung bezieht sich auf die Griffigkeit der Oberfläche der Verkehrsfläche. Hierzu werden zwei Systeme eingesetzt. Ein System bezieht sich auf punktuelle und stationäre Messungen (SRT- Pendel - Skid Resistance Tester), ein weiteres System lässt eine schnellfahrende Linienmessung auf Straßenoberflächen über die gesamte Strecke zu (SKM-Messung - Seitenkraftmessverfahren). Die SKM-Messung wird auch zur periodischen Bewertung der BAB-Infrastruktur eingesetzt. Beim SRT-Pendel wird ein Gleitkörper über eine mit Wasser benetzte Oberfläche geführt und der Energieverlust in Form eines Reibbeiwertes ermittelt. Durch dieses Verfahren lässt sich punktuell ableiten, wie griffig die gemessene Oberfläche ist. Auf der Teststrecke mit Horizontalschleifen wurden folgende Ergebnisse erzielt. Die Ergebnisse wurden durch jeweils fünf Einzelmessungen auf einer Länge von 20-m erhoben und daraus Mittelwerte ermittelt. Dabei zeigten die Werte nach dem Schleifvorgang an allen Messstellen deutlich höhere Werte als vor dem Horizontalschleifen. Die Zunahme der Mittelwerte liegt zwischen 20 und 30-SRT-Einheiten. Die Griffigkeit der Oberfläche wurde somit an allen Messpunkten deutlich erhöht. Während der Messungen konnte schon erkannt werden, dass sich die Messergebnisse durch die Oberflächentexturbearbeitung homogenisiert haben. Abb. 3: Ergebnisse Griffigkeitsmessungen mit dem SRT-Pendel vor und nach des Horizontalschleifens <?page no="154"?> 154 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten Messungen mit dem SKM-Verfahren ermöglichen schnellfahrend die Griffigkeit in der rechten Rollspur zu erfassen und auszuwerten. Hierbei wird ein spezielles, schräglaufendes Messrad über die Oberfläche gezogen und die Kräfte gemessen, die auf das Messrad bei einer Geschwindigkeit von 80-km/ h einwirken. Im Ergebnis wird hierbei der straßenbauspezifische Reibbeiwert μSKM bestimmt. Abb. 4: Ergebnisse Griffigkeitsmessungen mit dem SKM-Verfahren vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung Bis auf wenige Ausnahmen konnte die Griffigkeit durch das Horizontalschleifen nachweisbar verbessert werden (Abb. 4). In den Fällen, bei denen keine Verbesserung festgestellt werden konnte, wurde durch Analyse der Messwerte festgestellt, dass durch nutzungsbedingte Unebenheiten in Querrichtung das Horizontalschleifen die Bereiche nicht behandelt werden konnten. Daraus lässt sich ableiten, dass die zu behandelnden Flächen keine Unebenheiten aufweisen sollten, um den Effekt der Oberflächentexturbearbeitung auf der vollständigen Fläche erreichen zu können. Die punktuellen Messungen (SRT-Pendel) sowie das Messverfahren in der rechten Rollspur (SKM) haben also bei dem Vergleich vor und nach der Maßnahme eine nennenswerte Verbesserung der Griffigkeit ergeben. 3.2 Akustikmessungen Im Bereich der Akustikmessungen wurden ebenfalls verschiedene Messverfahren eingesetzt. Zum einen die schnellfahrende Ermittlung des Reifen-Fahrbahn-Geräusches mit der Nahfeldmessmethode CPX (Close Proximity Method), die Schallabsorptionsgradmessung und zum anderen wurde die statische Vorbeifahrtmethode SPB (Statistical Pass-By-Method) angewendet. Mit der SPB-Messmethode können die schalltechnischen Eigenschaften des Straßenverkehrs im Allgemeinen und der Fahrbahnoberfläche im Besonderen erfasst sowie bewertet werden. Dies erfolgt mit einem Mikrofon in einer bestimmten Position, um den Schalldruckpegel der vorbeifahrenden Fahrzeuge zu erfassen. Abb. 5: Messergebnisse statische Vorbeifahrtmethode SPB vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung sowie für Pkw und Lkw getrennt [1] Sowohl an Messpunkt- 1 (MP-1) und an Messpunkt- 2 (MP-2) bewirkt die Oberflächentexturbearbeitung eine Minderung von ca. 2-dB bei der Erfassung von Pkw mit einer Geschwindigkeit von 120-km/ h. Die Zunahme des Schalldruckpegels für Lkw an Messpunkt-2 um 0,6-dB ist auf Messungenauigkeiten zurückzuführen. Es ist davon auszugehen, dass sich bei den Messungen bezogen auf Lkw keine positiven Veränderungen eingestellt haben. Die Schallabsorptionsgradmessung ist vor allem bei offenporigen Deckschichten eine erprobte wie auch akzeptierte Messmethode. Dabei wird ein auf die Prüffläche abgestrahltes Schallsignal über eine Schallsonde messtechnisch erfasst und das Absorptionsverhalten berechnet. Abb. 6: Spektrale Darstellung der ermittelten Schallabsorptionsgrade vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung bei verschiedenen Texturen [1] Die ermittelten Schallabsorptionsgrade zeigen, dass durch die Oberflächentexturbearbeitung eine Verschiebung in höhere Frequenzbereiche erzielt werden konnte und so in akustisch relevantere Bereiche [1]. Die Reifen-Fahrbahn-Geräusche, hier gemessen mit Hilfe der CPX-Methode sind ein wesentlicher Aspekt bei der Lärmentwicklung im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Dies hängt auch unmittelbar mit den verwendeten Reifenarten zusammen. Daher umfasst der Messanhänger, der je nach Gegebenheit mit 50-km/ h oder 80-km/ h gezogen <?page no="155"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 155 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten wird, zwei spezielle Messreifen (Pkw- und Lkw-Konfiguration), die in isolierten Radkästen montiert sind und so unabhängig messtechnisch analysiert werden können. Abb. 7: Messergebnisse Reifen-Fahrbahn-Geräusche vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung [1] In dem Messanhänger wurde ein Messreifen zur Ermittlung der Eigenschaften eines Pkw (CPXP) verwendet und ein zweiter Messreifen mit Eigenschaften für einen Lkw (CPXH). Die Oberflächentexturbearbeitung hat vor allem bei den Reifen-Fahrbahn-Geräuschen im Zusammenhang mit dem Reifen für Pkw positive Veränderungen erzeugt (Reduzierung um 1,5-2-dB), das zeigt der Vergleich zur Messung vor der Maßnahme und zur Referenzfläche (Abb. 7). Hingegen gab es kaum Verbesserungen bei dem Reifen, die für die Lkw Eigenschaften eingesetzt wurden. Das Ergebnis ist plausibel, da die Textur hauptsächlichen Einfluss auf den „Pkw-Lärm“ hat. Beim Lkw-Reifen ist dagegen der Hohlraumgehalt (Absorptionsverhalten) der Bauweise maßgebend. 3.3 Weitere Messverfahren (Rollwiderstand und Thermographie, 3D-Scans) Neben den zuvor beschriebenen Messungen sind auch noch zusätzliche Messverfahren zum Einsatz gekommen, um weitere Details der Oberflächentexturbearbeitung analysieren zu können. Für die Messung des Rollwiderstandes werden drei unterschiedliche Messreifen in einem speziellen Messanhänger verwendet (Abb. 8). Dieses Messverfahren ist bislang noch nicht genormt und wird versuchshalber durchgeführt. Die drei Messreifen unterscheiden sich in Shore-Härte, Profil und Abmessungen. Die Messfahrten wurden mit einer Radlast von 408-kg, einem Reifeninnendruck von 210-kPa bei 25-°C und einer Geschwindigkeit von 80-km/ h durchgeführt. Gemessen wird die Kraft mit der der pendelnd gelagerte Reifen ausgelenkt wird. Ergebnis dieser Messung ist der dimensionslose und ggf. temperaturkorrigierte CRR-Wert. Abb. 8: Messanhänger für den Rollwiderstand Pro Reifen wurden drei Messfahrten im fließenden Verkehr durchgeführt und ein Mittelwert für den Rollwiderstand ermittelt. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass durch die Oberflächentexturbearbeitung eine Reduzierung des Rollwiderstands erreicht werden konnte, im speziellen Fall des Horizontalschleifens konnte mit allen drei Messreifen eine Minderung des Rollwiderstandes erreicht werden. Temperaturen haben entscheidenden Einfluss auf die Materialeigenschaften und damit auch auf die Nutzungsdauer einer Asphaltdeckschicht. Hohe Temperaturen können im Zusammenspiel mit einer entsprechenden Verkehrsbelastung bei der Asphaltbauweise dazu führen, dass sich die Ebenheit verändert und eine dauerhafte Verformung (Spurrinnen) entwickelt. Dies kann durch helle Oberflächen positiv beeinflusst werden, weil so die Erwärmung (insbesondere durch Reflexion der Globalstrahlung) geringer ausfällt. Durch das Horizontalschleifen werden die Gesteine angeschliffen und in Abhängigkeit der Helligkeit der vorhandenen Gesteinsart eine hellere Oberfläche geschaffen. Im Rahmen des Projektes wurden die ungeschliffenen und die geschliffenen Flächen mittels Infrarotthermometer, Wärmebildkamera und einem Sensor zur Erfassung der Globalstrahlung dokumentiert. Abb. 9: Temperaturmessungen der behandelten und unbehandelten Oberfläche [2] <?page no="156"?> 156 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Horizontalschleifen von Offenporigen Asphaltdeckschichten Die Streckenmessung in Abb. 9 zeigt eine Temperaturabnahme ausgehend von der Betongleitwand zur Hauptfahrbahn. Der ungeschliffene Bereich des Seitenfahrstreifens weist ein Temperaturspektrum von 46-°C bis 42,5-°C auf. Die Messwerte auf dem geschliffenen Bereich des Seitenstreifens liegen zwischen 40,2-°C und 36,0-°C. Durch den fließenden Verkehr konnte auf dem Hauptfahrstreifen nur an zwei Punkten gemessen werden. Bei 4,6-m konnte ein Wert von 35,0-°C, bei 6,0-m eine Temperatur von 34-°C gemessen werden. Diese Werte konnten durch die Aufnahme mit einer Wärmebildkamera bestätigt werden. Die geschliffenen Bereiche weisen Temperaturen auf, die etwa eine Differenz von 4-5 Kelvin zu den ungeschliffenen Bereichen ausweisen. Die erfassten Messergebnisse auf dem Seitenstreifen deuten auf eine niedrigere Absorption der solaren Strahlung der abrasiv behandelten Fahrbahnflächen hin. Diese Ergebnisse sind insoweit plausibel, da die deutlich wahrnehmbare hellere Oberfläche des geschliffenen Fahrbahnbereichs auch weniger Strahlungsenergie absorbiert und thermisch umsetzt. Mit Hilfe eines 3D-Scans wurde die Oberfläche vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung aufgenommen und dokumentiert. Die Messfläche wurde für das Monitoring mit festverbauen Messstiften markiert und so für eine zyklische Messung vorbereitet. Abb. 10: 3D-Scan der Oberfläche vor und nach der Oberflächentexturbearbeitung [3] Aus der Abb. 10 lässt sich sehr gut erkennen, welchen Einfluss die Oberflächentexturbearbeitung für die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn ausüben kann. Bei näherer Betrachtung ist auch die neu erstellte Textur in der hergestellten Kornoberfläche erkennbar. 4. Zwischenfazit Aus den Erfahrungen und Messungen vor und nach der Maßnahme des Horizontalschleifens auf der BAB-A39 bei Braunschweig kann folgendes Zwischenfazit gezogen werden. Zu beachten ist, dass die behandelte Oberfläche der Fahrbahn bei den meisten Messungen noch nicht unter Verkehr lag. Dies wird sich bei der Auswertung weiterer Messdaten in den folgenden Jahren der Nutzung verändern (jährliches Monitoring der Oberfläche). Die Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche hat sich durch die Schleifarbeiten verbessert, wobei die Mittelwerte der Griffigkeitsmessungen nach dem Schleifvorgang zwischen 20 und 30-SRT-Einheiten höher lagen als vor der Bearbeitung. Die Messungen der korrigierten Seitenkraftbeiwerte (SKM-Messung) nach den Arbeiten zeigen im Vergleich zu den Ausgangswerten einen Anstieg um etwa 0,1-μSKM. Aus den Akustikmessungen können folgende Zwischenerkenntnisse gezogen werden. Die CPX-Indizes für den PKW-Reifen (CPXP) zeigten eine Reduzierung der Reifen-Fahrbahn-Geräusche um etwa 1,5 bis 2-dB nach den Schleifarbeiten. Für LKW-ähnliche Reifen (CPXH) waren die Änderungen geringer, da diese weniger empfindlich auf Textureinflüsse reagieren. Die Schallpegel nach SPB-Messung an den Messpunkten 1 und 2 zeigten eine Reduzierung um ca. 2-dB nach den Schleifarbeiten. Für LKW gab es kaum oder nur sehr geringfügige Änderungen. Die offenen Deckschichten wiesen nach den Schleifarbeiten hohe Schallabsorptionsgrade in akustisch relevanten Bereichen auf, was auf eine gute Schallabsorption hinweist. Die Ergebnisse zeigten tendenziell eine leichte Verschiebung des Absorptionsmaximums in einen höheren Frequenzbereich nach den Schleifarbeiten. Aus den Ergebnissen ist des Weiteren abzuleiten, dass sich durch die Schleifreste keine negative Beeinflussung des zugänglichen Hohlraumgehaltes ergeben hat. Die Rollwiderstandsmessung führte bei allen drei Versuchsreifen zu einer Minderung des Rollwiderstandes. Die Ausprägung der Verringerung war abhängig von den Reifenparametern, wie Profilgestaltung und Shore-Härte. Die Temperaturmessungen zeigten eine Absenkung der Oberflächentemperatur auf den geschliffenen Bereichen im Vergleich zu den ungeschliffenen Bereichen. Dies könnte auf eine niedrigere Absorption der solaren Strahlung der bearbeiteten Fahrbahnflächen zurückzuführen sein. Die Werte weisen eine starke Abhängigkeit von Randbedingungen wie seitlichen Bebauungen oder vorhandene Vegetation auf. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse, dass die Oberflächentexturbearbeitung durch Horizontalschleifen im betrachteten Zeitraum nicht nur zu einer Verbesserung der Griffigkeit und Schallreduzierung führen, sondern auch den Rollwiderstand mindern und in Abhängigkeit der vorhandenen Gesteinsart potenziell die Oberflächentemperatur beeinflussen. Die Dauerhaftigkeit dieser Eigenschaften muss im Monitoring beobachtet werden. Aus den Ergebnissen erhofft sich die Infrastrukturbetreiberin Erkenntnisse über eine Verlängerung der Nutzungsdauer und eine Erhöhung der Lärmminderung von kostenintensiven offenporigen Asphaltbefestigungen. Neben den genannten Hoffnungen könnte die Maßnahme auch Auswirkungen auf weitere Themen der Nachhaltigkeit ausüben und unter anderem zu einer Reduzierung des Mikroplastikeintrags (Abtrag Bitumen und Reifen) und weitere Potenziale der Zukunft ansprechen. Weiterer Forschungsbedarf besteht unter anderem bei der Auswertung von noch nicht genormten Messverfahren (Reflexionseigenschaften, Rollwiderstand) Im Rahmen dieses Projektes wurden auch dort Potenziale erkannt. Literatur [1] Bericht Müller-BBM, 2023 (unveröffentlicht). [2] Bericht Hochschule Anhalt, 2023 (unveröffentlicht). [3] IWS Messtechnik, 2023 (unveröffentlicht). <?page no="157"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 157 Hohe Verformungsbeständigkeit für stark beanspruchte Verkehrsflächen - HANV als Deckschicht Sebastian Lorenz MULTIVIA GmbH & Co. KG, Bardowick Zusammenfassung Bei der HANV-Bauweise handelt es sich um ein Hohlraumreiches Asphalttraggerüst mit Nachträglicher Verfüllung. Die Verfüllung erfolgt dabei mit einem flexibilisierten Reaktionskunststoff. Ursprünglich als Bauweise als Abdichtung von Betonbrücken entwickelt, eignet sich diese Bauweise auch hervorragend für die Herstellung von hoch verformungs-beständigen Deckschichten. 1. Einführung Die HANV-Bauweise wird seit ca. 25 Jahren erfolgreich eingesetzt. Beim HANV-System handelt es sich um eine Kombinationsbauweise. Zunächst wird ein Asphalttraggerüst eingebaut. Die Hohlräume dieses Asphalttraggerüstes werden anschließend mit einem Reaktionskunststoff verfüllt (Abbildung 1). Abb. 1: Schnitt durch eine zweilagige HANV-Schicht 2. Eigenschaften Das ursprüngliche Ziel dieser Bauweise bestand darin, eine Bauweise als Abdichtung von Brücken zu schaffen. Diese Variante der Abdichtung bietet, neben einer hohen Verformungsbeständigkeit, Dichtigkeit und einem guten Verbund zur Betonoberfläche, den Vorteil der kurzen Bauzeit. Die zuvor genannten Eigenschaften machen das HANV- System ebenso zu einer dauerhaften Bauweise für Deckschichten. Die Anforderungen an Deckschichten nehmen kontinuierlich zu. Zum einen nimmt die Verkehrsbelastung - und hier insbesondere die des Schwerverkehrs - kontinuierlich zu. Des Weiteren entstehen durch die zunehmend heißen Tage im Sommer Einwirkungen auf die Straßenoberflächen, bei denen die Asphaltbauweise an ihre Grenzen kommt. Bei herkömmlichen Asphaltschichten können aufgrund der thermoplastischen Eigenschaften bei heißen Temperaturen in Verbindung mit hohen Verkehrsbelastungen Verformungen auftreten. Durch den Anteil an Reaktionskunststoff im HANV-System wird diese Schicht nahezu unempfindlich gegenüber Verformungen. Durch die sehr gute Einbindung des Abstreumaterials wird eine sehr griffige Oberfläche erzielt. Die ähnliche Bauweise der Halbstarren Deckschicht (Asphalttraggerüst, dass mit einem speziellen Fließmörtel verfüllt wird) kann nicht auf Ingenieurbauwerken eingesetzt werden, da dort Risse in der Halbstarren Deckschicht entstehen. Für diese Anwendungsgebiete eignet sich die HANV-Bauweise besonders. 3. Anwendungsgebiete Die HANV-Bauweise eignet sich auf sehr hochbelasteten Flächen, insbesondere auf Ingenieurbauwerken. Hierzu zählen hochfrequentierte Busverkehrsflächen, Knotenpunkte aber auch Industrie- und Logistikflächen. Eine Deckschicht aus HANV wird auf eine verformungsbeständige Unterlage (aus Asphalt oder Beton) eingebaut. Die HANV-Bauweise kann auch als eine kombinierte Abdichtung und Deckschicht eingebaut werden. Hierzu erfolgt der Einbau des HANV-Systems in der Regel zweilagig. 4. Einbau Das Asphalttraggerüst wird mit einem Asphaltfertiger eingebaut (Abbildung 2). Bereits kurz nach dem Einbau des Asphalttraggerüstes wird dieses mit dem Reaktionskunststoff verfüllt (Abbildung 3). Zur Herstellung einer griffigen Oberfläche wird die (obere) HANV-Schicht mit einem Abstreumaterial abgestreut (Abbildung 4). Abb. 2: Einbau des Asphalttraggerüstes <?page no="158"?> 158 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Hohe Verformungsbeständigkeit für stark beanspruchte Verkehrsflächen - HANV als Deckschicht Abb. 3: Verfüllen des Asphalttraggerüstes mit Reaktionskunststoff Abb. 4: Abstreuen der HANV-Schicht zur Herstellung einer griffigen Oberfläche 5. Regelwerke Das HANV-System ist derzeit in den „Hinweisen für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus Hohlraumreichen Asphalttraggerüsten mit Nachträglicher Verfüllung für Ingenieurbauten aus Beton“ (H HANV) geregelt. Dieses Regelwerk wird derzeit überarbeitet und in Kürze als M HANV erscheinen. Zur Erstellung eines Regelwerkes für HANV als Deckschicht wurde vor kurzem ein Arbeitskreis in der FGSV gebildet. Literatur [1] Hinweise für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus Hohlraumreichen Asphalttraggerüsten mit Nachträglicher Verfüllung für Ingenieurbauten aus Beton“ (H HANV), Ausgabe 2015, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), FGSV-Nr. 776. <?page no="159"?> Nachhaltigkeitsbewertung und -anwendung <?page no="161"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 161 CSRD als Chance verstehen und in der Praxis umsetzen Paul Reich, M. Eng. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Zusammenfassung Die europäische Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet Unternehmen zu umfassender, standardisierter Nachhaltigkeitsberichterstattung, die finanzielle Risiken und Chancen sowie die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft gleichermaßen berücksichtigt. Durch die Einführung neuer Berichtsstandards wie der doppelten Wesentlichkeitsanalyse stärkt die CSRD nicht nur Transparenz und Vergleichbarkeit, sondern fördert auch die interne Zusammenarbeit und nachhaltige Unternehmensstrategien. Dadurch bietet die CSRD Unternehmen die Chance, sich durch verbesserte Resilienz, Effizienz und nachhaltige Geschäftspraktiken als verantwortungsbewusste Marktführer zu positionieren und langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. 1. Bedeutung der CSRD für Unternehmen Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union markiert einen Wendepunkt in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und läutet eine neue Ära der Transparenz im Bereich Nachhaltigkeit ein. Sie verpflichtet Unternehmen, umfassend und einheitlich über ihre Aktivitäten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu berichten. Die Einführung der CSRD ist das Ergebnis eines kontinuierlichen regulatorischen Fortschritts, welcher auf der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) aufbaut. Die NFRD sollte bereits bestimmte Unternehmen zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen verpflichten, erwies sich jedoch als unzureichend, um konsistente und vergleichbare Daten bereitzustellen. Die CSRD adressiert nun diese Lücken, indem sie klare Berichtsstandards und umfassende Offenlegungspflichten festlegt. Die CSRD gilt dabei verpflichtend für Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen [1]: • im bilanzrechtlichen Sinne große Unternehmen • im bilanzrechtlichen Sinne kleine und mittlere Unternehmen, die kapitalmarktorientiert sind • Drittstaatenunternehmen mit 150 Mio. Euro Umsatz in der EU, deren Tochterunternehmen die vorstehenden Größenkriterien erfüllen oder deren Zweigniederlassungen mehr als 40 Mio. Euro Umsatz erreichen Diese Weiterentwicklung ist ein wichtiger Bestandteil des europäischen Green Deal und unterstützt das Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die neuen Berichtsstandards sollen sicherstellen, dass Unternehmen nicht nur transparent über finanzielle Kennzahlen berichten, sondern auch ihre Nachhaltigkeitsleistung vergleichbar ausweisen. Mit dieser Erweiterung fallen nun fast rund 14.600 deutsche Unternehmen unter die neue Regulatorik [2]. Eine der wichtigsten Neuerungen der CSRD ist die Einführung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), welche von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) entwickelt wurden. Die ESRS spezifizieren detaillierte Offenlegungsanforderungen zu Themen wie Klimawandel, Biodiversität, sozialer Verantwortung und Unternehmensführung und umfassen sowohl quantitative als auch qualitative Informationen. So sind zentrale Ziele der CSRD die Bereitstellung konsistenter, verlässlicher und standardisierter Informationen, welche für Investoren, Stakeholder und die Öffentlichkeit von Nutzen sind. Abbildung 1: Die sektorenunabhängigen ESRS (HOCHTIEF interne Darstellung) Die sektorenunabhängigen ESRS, die im Dezember 2023 veröffentlicht wurden, bieten einen umfassenden Rahmen, der für Organisationen in allen Sektoren gilt. In den kommenden Jahren werden sektorspezifische Standards, Unternehmensstandards aus Drittländern und KMU-Standards, die auf die besonderen Merkmale verschiedener Branchen oder Unternehmen zugeschnitten sind, die Berichtspflichten weiter verfeinern [3]. Durch die Harmonisierung der Berichterstattung durch diese Standards bekommen Stakeholder, einschließlich Investoren und Rating-Agenturen, Zugang zu verlässlichen und vergleichbaren Daten. Mit der Einführung der <?page no="162"?> 162 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 CSRD als Chance verstehen und in der Praxis umsetzen CSRD will die EU daher sicherstellen, dass Stakeholder fundierte Entscheidungen auf der Grundlage klarer und vergleichbarer ESG-Daten (Environmental, Social, Governance) treffen können, da eine umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie sie die CSRD fordert, zunehmend eine zentrale Rolle für Kapitalmärkte und Investoren spielt. Damit fördert die CSRD nachhaltige Investitionen und bietet eine solide Grundlage, um sich in einer zunehmend ESG-orientierten Finanzwelt zu behaupten. Auch Analysten und Rating-Agenturen nutzen die Berichte, um die Widerstandsfähigkeit und das Wachstumspotenzial von Unternehmen einzuschätzen. Die ESRS wurde zudem so konzipiert, dass sie mit internationalen Standards kompatibel sind und somit auch außerhalb der EU als Referenz dienen können. 2. Die Rolle der doppelten Wesentlichkeitsanalyse in der CSRD Eine zentrale Anforderung der CSRD ist die Wesentlichkeitsanalyse, die das Prinzip der „doppelten Wesentlichkeit“ einführt und zum zentralen Ausgangspunkt, für die von der CSRD betroffenen Unternehmen wird. Die Wesentlichkeitsanalyse soll sicherstellen, dass Unternehmen gezielt diejenigen ESG-Themen priorisieren, die sowohl für das Unternehmen selbst als auch für seine Stakeholder von Bedeutung sind. Die doppelte Wesentlichkeit unterscheidet sich von traditionellen Ansätzen der Finanzberichterstattung, indem sie nicht nur finanzielle Risiken und Chancen, sondern auch die Auswirkungen des Unternehmens auf Gesellschaft und Umwelt verpflichtend berücksichtigt. Im Rahmen der wesentlichen Auswirkung (Impact Materiality) analysieren die Unternehmen hierbei die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf ökologische und soziale Bereiche. Dazu gehören unter anderem der Treibhausgasausstoß, der Wasserverbrauch, das Abfallmanagement und die Auswirkungen auf die Biodiversität. Auf sozialer Ebene fallen Aspekte wie faire Arbeitsbedingungen und Verantwortung in der Lieferkette unter die Impact Materiality. Für ein CSRD konformes Berichtswesen ist es für Unternehmen daher entscheidend, diese Bereiche messbar zu machen, um die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit gezielt erfassen und steuern zu können. Parallel dazu bezieht sich die Finanzielle Wesentlichkeit (Financial Materiality) auf finanzielle Risiken und Chancen, die sich aus ESG-Themen ergeben können. Unternehmen analysieren hier Risiken durch physische Faktoren wie extreme Wetterereignisse und Übergangsrisiken, die beispielsweise durch neue Regulierungen, technologischen Wandel oder veränderte Kundenerwartungen entstehen können. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse stellt eine strategische Verbindung zwischen der ESG-Risikoanalyse und der Unternehmensstrategie her, indem sie sich auf die Identifizierung und Bewertung strategisch relevanter Risiken und Chancen konzentriert. Somit unterstützt sie Unternehmen dabei, nachhaltige Entscheidungen zu treffen und die langfristige Resilienz der Unternehmen zu fördern. Die Einbeziehung von Stakeholder-Perspektiven darunter die Sichtweisen von Investoren, Mitarbeitende, Auftraggebende und der Öffentlichkeit ist dabei ein zentraler Aspekt. Nur durch eine transparente und umfassende Berücksichtigung externer Erwartungen kann sichergestellt werden, dass die Analyse die tatsächlichen Bedürfnisse und Anforderungen der wichtigsten Anspruchsgruppen widerspiegelt. Gleichzeitig fordert die CSRD eine genaue Dokumentation der Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse. Die Unternehmen sind aufgefordert, ihre Analysen detailliert nachzuweisen und alle wesentlichen Ergebnisse klar und nachvollziehbar zu dokumentieren. Diese Transparenz schafft Vertrauen und ermöglicht eine spätere Überprüfung durch externe Prüfer. Da sich Nachhaltigkeitsthemen ständig weiterentwickeln, ist die Wesentlichkeitsanalyse kein statischer, einmaliger Prozess. Vielmehr müssen Unternehmen regelmäßig überprüfen, ob ihre Analysen noch aktuell und angemessen sind. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es auch, auf neue oder veränderte Risiken und Chancen zu reagieren und die Strategie entsprechend auszurichten. Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse dienen schließlich als Grundlage für die Auswahl relevanter KPIs und die Strukturierung der gesamten ESG-Berichterstattung. Auf diese Weise stellt die CSRD sicher, dass Unternehmen gezielt über jene Aspekte berichten, die für ihre Nachhaltigkeitsleistung und deren Bewertung durch die Öffentlichkeit und Investoren am relevantesten sind. 3. CSRD als Chance für Unternehmen Eine erfolgreiche Umsetzung der geforderten Standards nach CSRD in die Nachhaltigkeitsberichtserstattung bietet Unternehmen mehrere Vorteile und hat das Potenzial, die unternehmensweite Zusammenarbeit signifikant zu fördern, da die Anforderungen der CSRD einen umfassenden und integrierten Ansatz erfordern, welcher verschiedene Abteilungen und Funktionen einbezieht und somit ebenfalls die nachhaltigkeitsorientierte Unternehmenskultur stärkt. Die strukturierten Anforderungen der CSRD helfen Unternehmen dadurch, interne Prozesse klarer und effizienter zu gestalten. Die Abteilungen entwickeln so standardisierte Verfahren zur Datenerhebung und Berichterstattung, die eine bessere Abstimmung und einheitliche Datenqualität ermöglichen. Durch diese enge Verzahnung der Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette werden die betrieblichen Abläufe verbessert. Weiterhin können durch eine umfassende Berichterstattung über ESG-Risiken - wie Klimarisiken oder Lieferkettenrisiken - Unternehmen ihre Widerstandsfähigkeit und ihr Risikomanagement stärken, da die CSRD Unternehmen dazu verpflichtet, Risiken und Chancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu betrachten. Dies führt dazu, dass auch hier Synergien innerhalb der Unternehmen entstehen, da Abteilungen eng zusammenarbeiten müssen und so Ressourcen effizient gemanagt und Risiken frühzeitig erkannt und adressiert werden. Dies steigert nicht nur die Effizienz, sondern senkt langfristig die Kosten und stärkt die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit. <?page no="163"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 163 CSRD als Chance verstehen und in der Praxis umsetzen Nachhaltigkeitstransparenz wird zudem zunehmend als Wettbewerbsvorteil gesehen, der es Unternehmen ermöglicht, ihre Marktposition zu verbessern und sich als verantwortungsbewusste Marktführer zu etablieren. Auch hier bietet die CSRD Unternehmen die Möglichkeit, sich durch transparente und umfassende Nachhaltigkeitsstrategien von Wettbewerbsteilnehmenden zu differenzieren und ihre Marktposition zu stärken. Auch diese Transparenz erfordert die aktive Zusammenarbeit aller relevanten Abteilungen, um Daten zu erheben, auszuwerten und verlässlich zu berichten. Eine weitere Dimension ist die Motivation und Bindung der Mitarbeitenden. Mitarbeitende, die sehen, dass Nachhaltigkeit im Unternehmen gelebt und nicht nur proklamiert wird, fühlen sich stärker mit den Unternehmenszielen verbunden. Die CSRD ermöglicht es den verschiedenen Teams, gemeinsam an diesen Zielen zu arbeiten, was das Engagement der Mitarbeitenden erhöht und Talente anzieht, die Nachhaltigkeit schätzen. Die enge Zusammenarbeit in den ESG-Prozessen stärkt die Unternehmenskultur und schafft ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortung. Das hohe Maß an Transparenz, wie es die CSRD fordert, erleichtert zudem den Auf bau langfristiger und stabiler Stakeholder-Beziehungen. Kunden und Investoren gewinnen so zunehmend Vertrauen in die Nachhaltigkeitsleistung der Unternehmen, was den Zugang zu Kapital erleichtert und die Attraktivität für ESG-orientierte Investoren erhöht. Neben den regulatorischen Anforderungen bietet die CSRD somit auch strategische Chancen für die betroffenen Unternehmen. So kann das Vertrauen von Investoren und Kunden Unternehmen unteranderem dadurch gewonnen werden, das ESG-Aspekte aktiv in die Geschäftsstrategie miteingebunden- und verlässliche Daten bereitstellt werden. So können sich Unternehmen langfristig positiv von der Konkurrenz abheben und dadurch ihre zukünftige Marktposition stärken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die CSRD nicht nur eine regulatorische Anforderung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung darstellt, sondern auch umfassende Potentiale für Unternehmen bietet, um Kooperationen und Innovationen zu fördern. Dieser gemeinsame Fokus auf Nachhaltigkeit ermöglicht es Unternehmen, sich strategisch weiterzuentwickeln und langfristigen Mehrwert für alle Stakeholder zu schaffen. Die CSRD erweist sich somit als ein Instrument, das die unternehmensweite Zusammenarbeit stärkt und einen nachhaltigen Kulturwandel unterstützt, während sie gleichzeitig Unternehmen dabei unterstützt, ESG-Risiken gezielt zu identifizieren und zu managen, was wiederum deren langfristige Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit fördert. Die CSRD ist somit nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine Chance für Unternehmen, sich strategisch weiterzuentwickeln und ihre Marktposition zu stärken. Die Anforderungen an eine standardisierte Berichterstattung und externe Verifizierung erhöhen die Qualität und Verlässlichkeit der bereitgestellten Informationen und fördern das Vertrauen der Stakeholder. Die CSRD bietet Unternehmen einen Rahmen, um Nachhaltigkeit als zentrales Element ihrer Strategie zu verankern, ihre langfristige Resilienz zu stärken und Wert für die Gesellschaft und den Kapitalmarkt zu schaffen 4. Praktische Schritte zur Umsetzung der CSRD Die CSRD fordert von den betroffenen Unternehmen eine umfassende und transparente Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dabei kommt es insbesondere auf ein strukturiertes Vorgehen an, das alle wesentlichen Berichtsanforderungen erfüllt und nachhaltigkeitsrelevante Daten zuverlässig erfasst und vergleichbar dokumentiert. Die folgenden Schritte bieten eine praxisorientierte Abfolge, um die CSRD effizient umzusetzen. 4.1 Scope- und Stakeholder-Analyse Zunächst sollten Unternehmen prüfen, ob sie von den Regelungen der CSRD betroffen sind und welche branchenspezifischen Berichtsstandards gelten. Danach ist es wichtig, die relevanten Stakeholder zu identifizieren sowohl direkt Betroffene wie Mitarbeitende und Lieferanten als auch indirekt Betroffene, wie Investoren und Regulierungsbehörden. Diese Analyse bildet die Grundlage für die nachfolgende Wesentlichkeitsanalyse und hilft bei der Priorisierung der relevanten ESG-Themen. 4.2 Doppelte Wesentlichkeitsanalyse und Identifikation der IROs Ein zentraler Schritt ist die Durchführung einer doppelten Wesentlichkeitsanalyse, die sowohl die finanziellen Auswirkungen (Financial Materiality) als auch die ökologischen und sozialen Auswirkungen (Impact Materiality) des Unternehmens berücksichtigt. Hier kommen die IROs (Impacts, Risks, and Opportunities) ins Spiel: • Auswirkungen (Impacts): Unternehmen müssen die direkten und indirekten Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft, wie zum Beispiel ihr Treibhausgasausstoß oder den Einfluss auf lokale Gemeinschaften analysieren. • Risiken (Risks): Risiken umfassen alle ESG-bezogenen Bedrohungen, die potenziell negative finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen haben können, wie z. B. physische Klimarisiken oder Marktveränderungen aufgrund strengerer Umweltgesetze. • Chancen (Opportunities): Chancen ergeben sich aus potenziellen Vorteilen, die sich aus einer proaktiven ESG-Strategie ergeben, wie z. B. die Erschließung neuer Märkte oder Kosteneinsparungen durch technische Innovationen. Die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse erfordert spezielle Methoden und Instrumente wie Stakeholderanalysen, Szenarioanalysen, Workshops und Interviews, die den Unternehmen helfen, die wesentlichen Themen zielgerichtet zu identifizieren und ihre Relevanz für die Unternehmensstrategie zu bestimmen. Die Analyse der IROs dient in diesem Schritt nicht nur der Erfüllung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse, sondern bildet später ebenfalls die Grundlage für den Auf bau des nicht finanziellen Geschäftsberichtes. Gleichzeitig verlangt die CSRD eine präzise Dokumentation der Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse. Unternehmen sind aufgefordert, ihre Analysen detailliert nachzuweisen und alle wesentlichen Ergebnisse klar und <?page no="164"?> 164 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 CSRD als Chance verstehen und in der Praxis umsetzen nachvollziehbar zu dokumentieren. Diese Transparenz schafft Vertrauen und ermöglicht eine spätere Überprüfung durch externe Prüfer. 4.3 Gap-Analyse und Datenbewertung Nachdem die wesentlichen Themen und IROs identifiziert wurden, können Unternehmen eine Gap-Analyse durchführen. Diese dient dazu, die bestehenden Daten und Berichtsstrukturen zu überprüfen und mögliche Lücken zu identifizieren. Dabei sollte analysiert werden, welche Daten bereits erhoben werden und welche zusätzlichen Informationen für eine CSRD konforme Berichterstattung noch benötigt werden. 4.4 Erstellung eines Implementierungsplans Basierend auf den Ergebnissen der Gap-Analyse kann anschließend ein Umsetzungsplan erstellt werden. Dieser Plan sollte die notwendigen Schritte zur Datenerhebung, zum Datenmanagement und zur Umsetzung der neuen ESG-Initiativen umfassen. Dazu gehört eine klare Rollenverteilung, die Festlegung von Verantwortlichkeiten und Zeitplänen, um die Umsetzung strukturiert voranzutreiben und Fortschritte messbar zu machen. Ein effizientes Datenmanagement ist hierbei die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung der ESG-Berichterstattung. Unternehmen benötigen daher IT-Systeme und digitale Tools, um ESG-Daten kontinuierlich zu erfassen, zu validieren und für die Berichterstattung zu konsolidieren. 4.5 Integration der Berichtspflichten und Reporting nach ESRS-Standards Auf bauend auf der Wesentlichkeitsanalyse und den identifizierten IROs wird der Nachhaltigkeitsbericht nach den ESRS erstellt. Der nicht finanzielle Bericht muss dabei alle wesentlichen Offenlegungspflichten für Umwelt, Soziales und Governance enthalten, wobei ebenfalls auf eine einheitliche und maschinenlesbare Darstellung aller relevanten Themen zu achten ist. 4.6 Externe Prüfung und Qualitätssicherung Die CSRD verlangt eine externe Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte. In der Anfangsphase ist eine „Limited Assurance“ ausreichend, langfristig könnte jedoch auch eine „Reasonable Assurance“ erforderlich werden [4]. Der Unterschied liegt dabei in der Prüfungstiefe, sprich bei der „Limited Assurance“ ist der Grad der erhaltenen Sicherheit geringer und die Verfahren, die der Prüfer durchführt, in ihrer Art und ihrem zeitlichen Ablauf und weniger umfangreich [5]. Unternehmen sollten dennoch interne Kontrollmechanismen einrichten, um die Datenintegrität sicherzustellen und eine zuverlässige Prüfung durch externe Prüfer zu ermöglichen. 4.7 Veröffentlichung und Kommunikation mit Stakeholdern Schließlich erfolgt die Veröffentlichung des Nachhaltigkeitsberichts im Rahmen des Geschäftsberichts. Parallel dazu können Unternehmen die Inhalte und Fortschritte des Berichts aktiv an ihre Stakeholder kommunizieren. Eine transparente Kommunikation stärkt das Vertrauen der Stakeholder und unterstützt die langfristige Positionierung der ESG-Strategie. 5. Schlussfolgerung und Handlungsimpulse Die CSRD ist eine regulatorische Herausforderung, aber auch eine wertvolle Chance. Mit einer soliden Nachhaltigkeitsstrategie, die auf klaren Daten und einer fundierten Wesentlichkeitsanalyse basiert, können Unternehmen nicht nur Compliance erreichen, sondern auch ihren Marktwert und ihre Resilienz steigern. Die CSRD bietet Unternehmen einen Rahmen, um Nachhaltigkeit systematisch zu integrieren und als Wachstumstreiber zu nutzen. 6. Ausblick der rechtlichen Umsetzung Ursprünglich sollte die CSRD bis zum 6. Juli 2024 in nationales Recht überführt werden. Die Umsetzung der europäischen Richtline in deutsches Recht verzögerte sich jedoch aufgrund der politischen Situation, insbesondere des Bruchs der Regierungskoalition, weshalb bis zur Abgabefrist des Manuskripts unklar blieb, wann dies erfolgen wird. Es erscheint jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass das Gesetz zur Umsetzung der CSRD noch im Jahr 2024 verabschiedet und wirksam wird [6]. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verabschiedung erst im Jahr 2025 erfolgt und von einer neu gewählten Bundesregierung sowie einem neu zusammengesetzten Bundestag durchgeführt wird. Die Verzögerung der Umsetzung zieht zum einen auf europäischer Ebene erste Konsequenzen, da die Europäische Kommission bereits im September 2024 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat. Zum anderen stehen Unternehmen, die bereits für das Geschäftsjahr 2024 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind, aktuell vor der Herausforderung, ohne klare nationale Vorgaben zu agieren. Grundsätzlich erwachsen aus einer nicht fristgerecht umgesetzten europäischen Richtlinie keine Pflichten für private Akteure. Demnach würde sich die nachhaltige Berichterstattung bei Nichtumsetzung der CSRD bis Ende des Jahres 2024 im Grundsatz noch nach geltender Rechtslage richten [7]. Aus Sicht des Verfassers ist es jedoch ratsam, bereits proaktiv Maßnahmen zur CSRD konformen Berichterstattung zu ergreifen, um zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Literatur [1] Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) - CSR (csr-in-deutschland.de). [2] BMJ - Pressemitteilungen - Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Europäische Vorgaben sollen möglichst bürokratiearm ins deutsche Recht umgesetzt werden. [3] Webinarreihe des UN Global Compact Netzwerk Deutschland „Ready to report: EU-Reporting verstehen & angehen“. [4] Sustainability Audit: Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts | EY - Deutschland. [5] Limited vs reasonable assurance over ESG (kpmg.com). [6] Verspätete Umsetzung der CSRD und ihre Folgen. [7] Umsetzung der CSRD - EU-Kommission eröffnet Vertragsverletzungsverfahren. <?page no="165"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 165 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau Entwicklung eines Zertifizierungssystems für Infrastrukturprojekte auf der Grundlage des DGNB-Systems Dipl. Ing. (FH) Markus Kelzenberg Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Theda Witte, M. Sc. Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Mauritz Schröder, M. Sc Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Zusammenfassung Die Bewertung der Nachhaltigkeit von Hochbauprojekten über eine Zertifizierung ist bereits weit verbreitet. Auch für Infrastrukturprojekte gibt es international schon eine Vielzahl von Bewertungssystemen. Für Verkehrsinfrastrukturen und speziell den Straßenbau besteht im nationalen Kontext jedoch kein System, das breit angewendet wird. Allerdings finden sich bereits viele Aspekte des nachhaltigen Bauens in etablierten Planungsverfahren wieder. Im Folgenden wird die Notwendigkeit zur Erstellung eines solchen Bewertungssystems erläutert und bestehende Bewertungssysteme angeführt. Im Hauptteil wird der Stand des aktuellen Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) für Verkehrsinfrastrukturen vorgestellt. Damit können Streckenabschnitte des Verkehrswegebaus bewertet werden. Abschließend werden die Ergebnisse evaluiert und im Rahmen eines Ausblicks anstehende Maßnahmen und Handlungsbedarfe erläutert. 1. Einführung Der Bausektor ist wie der Verkehrssektor für einen Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Beide Sektoren bilden zentrale Bausteine beim Erreichen des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu sein. Dem Bau von Verkehrsinfrastrukturen kommt somit als Schnittstelle dieser beiden Sektoren eine besondere Bedeutung zu. Neben dem Ziel der Klimaneutralität nach dem Pariser Klimaabkommen sind bereits jetzt die Anforderungen der EU- Taxonomie zu beachten, mit denen die Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten nachgewiesen werden [1,3]. Für den Hochbau existieren Zertifizierungssysteme, die seit vielen Jahren und in breiter Anwendung genutzt werden. Auch für Verkehrsinfrastrukturen wurden bereits einige Systeme (siehe Kap. 2.3) entwickelt, jedoch sind diese weitaus weniger verbreitet und häufig nicht auf die spezifische Nachhaltigkeitsbewertung von Verkehrsinfrastrukturen angepasst oder bewerten nur einzelne Nachhaltigkeitsbereiche. 2. Nachhaltigkeit und Bewertungssysteme 2.1 Nachhaltigkeit im Verkehrsinfrastrukturbau Die Gründe für mehr Nachhaltigkeit im Verkehrsinfrastrukturbau sind vielfältig. Wie in der Einführung thematisiert, ist zum Erreichen der Klimaziele die Reduktion von (THG)-Emissionen in diesem Wirtschaftssektor von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus ist es nur durch eine lebenszyklusorientierte Betrachtung der Bauwerke möglich, eine Infrastruktur zu planen und umzusetzen, deren Lebensdauer optimiert ist und die an die heutigen und zukünftigen Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer angepasst ist. Hierfür existieren bereits in den bestehenden Planungsprozessen von Infrastrukturbauwerken vielfältige Verfahren und gesetzliche Anforderungen, mit denen Nachhaltigkeitsaspekte betrachtet und umgesetzt werden. So bewertet der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) neue Projekte auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse [2]. Im Rahmen einer strategischen Umweltprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfgesetz (UVPG) werden ökologische Schutzgüter betrachtet und nicht monetarisierbare Aspekte bewertet. Auch soziale Aspekte wie eine Öffentlichkeitsbeteiligung sind bereits durch das Baurecht gesetzlich vorgeschrieben. 2.2 Zertifizierung der Nachhaltigkeit Wenn also schon umfassende Nachhaltigkeitsaspekte in den bestehenden Planungsprozessen integriert sind, muss auf die Fragestellung eingegangen werden, warum die Entwicklung eines entsprechenden Bewertungs- und Zertifizierungssystem erforderlich ist. Hier ist zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Anforderungen vordergründig in die Phase der Trassenfindung und in den frühen Planungsphasen einzuordnen sind. Von größerer Relevanz ist jedoch, dass nur durch eine separate Betrachtung <?page no="166"?> 166 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau der Nachhaltigkeitsaspekte in einer eigenständigen Nachhaltigkeitsbilanzierung das Aufdecken von Zielkonflikten zwischen den bewerteten Kriterien ermöglicht wird [8]. Das Ziel der Entwicklung eines Systems zur Zertifizierung von Verkehrsinfrastrukturen ist die Optimierung von Nachhaltigkeitsaspekten. Im Mittelpunkt steht dabei die ganzheitliche und den gesamten Lebenszyklus eines Streckenabschnitts umfassende Betrachtung. Das System soll als Werkzeugt und als Entscheidungshilfe im gesamten Planungsprozess genutzt werden. Dadurch lässt sich das nachhaltige Bauen auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur gemeinschaftlich von den Baufirmen (Auftragnehmer) und der öffentlichen Verwaltung (Auftraggeber) in die Praxis überführen. Für die praktische Anwendung und zur Vermeidung von Mehraufwand ist es von Bedeutung, dass bereits bestehende Prozesse und Anforderungen aufgegriffen und in das Zertifizierungssystem eingebunden werden. 2.3 Internationale Bewertungssysteme Es bestehen zahlreiche Bewertungssysteme für die Nachhaltigkeitsbetrachtung des Infrastrukturbaus, welche im Vergleich zu den Systemen für den Hochbau spät entwickelt und in ihrer Anwendung deutlich schwächer vertreten sind. Im Folgenden werden einige bereits bestehende Systeme plakativ aufgeführt, wobei hierüber hinaus weitere Systeme auf dem Markt sind, auf die in diesem Rahmen jedoch nicht eingegangen wird. Die beiden größten Systeme stammen mit Envision [4] und BREEAM Infrastructure [5] aus dem englischsprachigen Raum. Beide Systeme sind sehr breit aufgestellt, sodass neben Straßen, Brücken und Tunnel auch weitere Infrastrukturen wie Wasserversorgung usw. bewertet werden können. Dadurch sind die Anforderungen auf Kriterien- und Indikatorenebene nur sehr allgemein gehalten. Im deutschsprachigen Raum ist das Schweizer System NISTRA (Nachhaltigkeitsindikatoren für Straßeninfrastrukturprojekte) zu nennen, das auf einer erweiterten Kosten-Nutzen-Analyse beruht, in der möglichst alle Aspekte monetarisiert werden und somit nicht wie die vorangehend beschriebenen Systeme auf einer gewichteten Punktzahl aus den einzelnen Kriterien aufgebaut ist [6]. In Deutschland wurden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, in denen vordergründig die Bewertung von Brückenbauwerken nach Nachhaltigkeitskriterien untersucht wurde [7]. Das Ergebnis der Forschungsprojekte ist ein anwendbares Bewertungssystem, das vom Auf bau den gleichen Ursprung wie das etablierte DGNB System aufweist, jedoch nie in die breite Anwendung gekommen ist. 3. DGNB System für Verkehrsinfrastrukturen 3.1 Stand der Entwicklung Mit einem System für die Nachhaltigkeitsbewertung von Verkehrsinfrastrukturen möchte die DGNB ein Instrument für Bauunternehmen und die öffentliche Verwaltung schaffen, das bei einer nachhaltigen Umsetzung unterstützt. Bereits 2021 wurde mit dem Aufstellen von Nachhaltigkeitskriterien begonnen. Parallel zu der Entwicklung des neuen Systems wurde ein erstes Pilotprojekt durchgeführt. Hierbei wurde der sechsstreifige Ausbau der Bundesautobahn A6 bewertet. Zudem wurden neben den Verkehrsflächen unter anderem alle Ingenieurbauwerke des Streckenabschnitts, Ausstattung, Grünflächen und Rast und Parkplätze betrachtet. Die Erkenntnisse wurden gesammelt und werden aktuell für die Weiterentwicklung und Anpassung der aufgestellten Kriterien und Indikatoren genutzt [11]. Auf dieser Grundlage soll 2025 eine weitere Pilotphase folgen, in der die Anforderungen und Nachweisführungen verifiziert werden sollen. In dem aktuellen Stand des Systems werden auch Kriterien bewertet, die durch das Baurecht bzw. übergeordnete Planung von der Auftraggeber- und Auftragnehmer Seite nur schwer zu beeinflussen sind (z. B. SOC2.3 Integration in die Umgebung). Grundsätzlich sollen auch diese Kriterien in das System eingebunden werden, um eine umfangreiche Nachhaltigkeitsbewertung des Projekts zu erreichen. Der Umgang mit diesen Kriterien u. a. im Hinblick auf die Gewichtung und Nachweisführung ist im Verlauf der Pilotphase unter weiterem Praxisbezug zu erörtern. Die Kriterien in Kap. 3.3 stellen den aktuellen Stand des Systems dar, können jedoch im Verlauf der weiteren Bearbeitung angepasst werden. 3.2 Aufbau des Systems Das in der Entwicklung befindliche Zertifizierungssystem für Verkehrsinfrastrukturen der DGNB baut auf dem im Hochbau bereits etablierten Ansatz einer ganzheitlichen und lebenszyklusorientierten Betrachtung auf Grundlage der drei Nachhaltigkeitsdimensionen auf. Erweitert werden diese drei Dimensionen „Ökologie“, „Ökonomie“ und „Soziales“ durch die zwei Querschnittsthemen „Technische Qualität“ und „Prozessqualität“. Im Vergleich zu dem aktuellen Zertifizierungssystem für den Hochbau [9] wird das dritte Querschnittsthema „Standort“ wie auch in dem bereits etablierten System für die Quartierszertifizierung [10] nicht betrachtet. In den fünf betrachteten Qualitäten der Nachhaltigkeit gehen die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales mit einer Gewichtung von 25 %, die Technische- und die Prozessqualität mit jeweils 12,5 % in das Gesamtergebnis ein, das über die Auszeichnungen Silber, Gold, Platin eingestuft wird. In den einzelnen Qualitäten werden jeweils mehrere Kriterien betrachtet, in denen wiederum Indikatoren mit Punkten (Checklistenpunkte) bewertet werden. In jedem Kriterium können 100 Punke erreicht werden, wobei durch eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Kriterien in den Qualitäten nicht jedes Kriterium gleichwertig in eine Gesamtbewertung einfließt, sondern die Bedeutung für das Gesamtergebnis einbezogen wird. Neben den Indikatoren werden in einigen Kriterien Mindestanforderungen gestellt, die erforderlich sind, um eine bestimmte Auszeichnungsstufe zu erhalten. Zudem besteht die Möglichkeit, über Boni (z. B. Circular Economy Bonus) zusätzliche Punkte über den eigentlichen Umfang des Kriteriums hinaus zu erreichen. Insgesamt werden 18 Kriterien für die Nachhaltigkeitsbewertung <?page no="167"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 167 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau herangezogen (siehe Abbildung 1). Die Anforderungen aus der EU-Taxonomie werden mit dem System abgeglichen, sodass eine Verifikation der Taxonomiekonformität mit dem System abgedeckt werden kann. Das Zertifizierungssystem bietet aktuell die Möglichkeit, Streckenabschnitte einer Straße zu bewerten. Hierbei wird in die Nutzungsprofile „Innerorts“ und „Außerorts“ unterschieden, wobei auch die Betrachtung von innerhalb des Streckenabschnitts liegenden Brücken und weiteren Bauwerken erfolgt. Abb. 1: Kriterienbezeichnung und Zuordnung nach Themenfeld 3.3 Ökologische Qualität Das Kriterium der ökologischen Qualität ENV1.1 „Ökobilanz“ bewertet das Ergebnis einer nach den vorgegebenen Konventionen erstellten Ökobilanz. Zusätzlich wird anerkannt, wenn Ökobilanzergebnisse früh in der Planung eingesetzt und Variantenvergleiche auf der Grundlage von Ökobilanzbetrachtungen durchgeführt und genutzt werden. Im Rahmen eines Agenda 2030 Bonus wird honoriert, wenn die Verkehrsinfrastruktur durch den Einsatz moderner Techniken Treibhausgasemissionen kompensiert. Das Kriterium ENV1.3 „Verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung“ verfolgt das Ziel der Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen unter ökologischen und sozialen Aspekten. Bewertet wird der Anteil der Wiederverwendung von Abbruchabfällen sowie der Recyclinganteil bei Verkehrsflächen. Nach den Vorgaben der EU-Taxonomie wird mit dem Indikator Lokalität hierbei auch die erforderliche Transportstrecke für die Erschließung von eingesetztem Recyclingmaterial bewertet. Auch die Qualität der Baustoffe in Bezug auf enthaltene Schad- und Risikostoffe wird in diesem Kriterium betrachtet, sodass die Verwendung alternativer Produkte ohne Umweltschadstoffe honoriert wird. Mit dem Kriterium ENV2.2 „Wasserkreislaufsysteme“ werden alle Aspekte eines Projektes betrachtet, die sich mit der Ressource Wasser und dem Erhalt eines natürlichen Wasserkreislaufs ergeben. Bewertet wird zum einen der Wasserverbrauch und die Steuerung über ein Wassernutzungskonzept, zum anderen der Umgang mit Niederschlagswasser, Abwasserbehandlung und der Erhalt von Oberflächen- und Grundwasser. Um die Inanspruchnahme von natürlichen und schützenswerten Flächen für bauliche Nutzungen zu verringern, wird in Kriterium ENV2.3 „Flächeninanspruchnahme“ die die Neuversiegelung durch die Verkehrsinfrastruktur quantifiziert (Flächenbilanz) und die Umwandlung der vorherigen Flächenart (nutzungsbezogener Neuversiegelungsgrad) bilanziert. Zusätzlich wird die Rekultivierung vorübergehend in Anspruch genommener Flächen bewertet und der Ausgleich von im Rahmen der Maßnahme versiegelter Flächen außerhalb des Baubereichs honoriert. Das Kriterium ENV2.4 „Biodiversität“ bewertet Maßnahmen, die zur Erhaltung und Schaffung neuer Lebensräume für Flora und Fauna dienen, sodass die biologische Vielfalt im lokalen Kontext gefördert wird. Ein zentraler Aspekt im Kriterium ist die Erstellung einer Biodiversitätsstrategie sowie die Umsetzung der herausgearbeiteten Maßnahmen. Positiv bewertet wird, wenn im Rahmen der Bau- und Ausgleichsmaßnahmen invasive Pflanzen bekämpft und heimische Arten gefördert werden. Außerdem wird der Biotopflächenfaktor über ein zur Verfügung gestelltes Tool berechnet. Über die Erstellung von Konzepten zur Reduktion negativer Einflüsse auf die Fauna (z. B. artenschutzgerechte Beleuchtung) und die Sicherstellung eines Entwicklungs- und Unterhaltungspflege- Vertrags wird bewirkt, dass auch während der Nutzungsphase der Infrastruktur die Maßnahmen weiterhin Bestand haben und negative Einflüsse reduziert werden. 3.4 Ökonomische Qualität Die Wirtschaftlichkeit von Verkehrsinfrastrukturen kann durch die langfristige Kostenbetrachtung über eine nach vorgegebenen Konventionen erstellte Lebenszykluskostenberechnung nach dem Kriterium ECO 1.1 „Lebenszykluskosten“ bewertet werden. Je regelmäßiger und früher in der Planung Lebenszykluskostenberechnungen durchgeführt und an die Planungsbeteiligten kommuniziert werden, desto größer ist die Chance, langfristig wirtschaftlich optimierte Lösungen zu erhalten. Bewertet wird, ob eine regelmäßige Überprüfung der Lebenszykluskosten des jeweiligen Planungsstandes sowie die Analyse von Planungsvarianten erfolgt. Zusätzlich wird ho- <?page no="168"?> 168 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau noriert, wenn eine Betriebskostenoptimierung durch die Optimierung der Lebenszykluskosten untersucht wird. Ein weiteres Kriterium der ökonomischen Qualität stellt ECO2.1 „Resilienz und Ausbaufähigkeit“ dar, mit dem Ziel, eine sich mit wandelnden Anforderungen flexibel anzupassende und gegen Umwelteinflüsse widerstandsfähige Infrastruktur zu schaffen. Honoriert wird, wenn ein übergeordneter Klimaanpassungsplan besteht sowie Maßnahmen zur Verbesserung des Kleinklimas durchgeführt werden. Die Anpassungsfähigkeit wird über vorhandene Lastreserven, Verstärkungsmöglichkeiten und die Erweiterungsfähigkeit bewertet. Die gewählte Konstruktion wird in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit der Baustoffe sowie die Wartungsfreundlichkeit betrachtet. Ziel des Kriteriums ECO2.5 „Umweltrisiken“ ist es, die Nutzer und Anwohner der Verkehrsinfrastruktur vor den Auswirkungen von Naturkatastrophen zu schützen und die Resilienz der Verkehrsinfrastruktur zu erhöhen. In Abgrenzung zu dem vorangegangenen Kriterium ECO2.1 liegt der Schwerpunkt hier in der Erstellung einer Klimarisikoanalyse, in der die drei Umweltrisiken mit der höchsten Relevanz für den Standort analysiert werden. Bewertet wird auch, wie hieraus entsprechende Anpassungslösungen abgeleitet wurden und ob diese umgesetzt werden. 3.5 Soziokulturelle Qualität SOC1.9 „Emissionen / Immissionen“ ist das in der soziokulturellen Qualität am stärksten gewichtete Kriterium, mit dem das Ziel verfolgt wird, die negativen Auswirkungen von Lärm und Licht auf Menschen und Fauna zu reduzieren sowie saubere Luft zu gewährleisten. Über die vorhandenen gesetzlichen Immissionsregeln hinaus, sollten möglichst geringe Immissionen verursacht werden. Bewertet werden die Indikatoren Luftqualität, Straßenverkehrslärm und Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtverschmutzung. Ein weiteres Kriterium der soziokulturellen Qualität ist SOC2.2 „Komfort“, in dem allen Verkehrsteilnehmern durch eine hochwertige Infrastruktur mit guten physikalischen Eigenschaften eine sichere und komfortable Nutzung ermöglicht werden soll. Bewertete Sicherheitsaspekte sind u. a. geplante Maßnahmen zur Gefahrenminimierung beim Eintritt von Witterungseinflüssen (Schnee, Glatteis, Starkregen, Windeffekte) und Störanfällen sowie eine Trennung der Verkehrsteilnehmer unterschiedlicher Mobilitätsformen. Der Streckenkomfort soll über ein Checklistensystem bewertet werden, in dem besondere Maßnahmen für die Erhöhung des Nutzungskomforts honoriert werden. Mit dem Kriterium SOC2.3 „Integration in die Umgebung“ soll die Einbindung der Verkehrsinfrastruktur in die Umgebung und die Verhinderung der Fragmentierung der natürlichen Landschaft erreicht werden. Es wird sowohl die Berücksichtigung landschaftlicher Aspekte als auch die Einbindung in den städtebaulichen Kontext und die übergeordnete Planung bewertet. Da diese Umsetzung dieser Indikatoren durch rechtliche Grundlagen vorgegeben ist, ist die Bewertung im Verlauf der anstehenden Pilotphase zu diskutieren. Dies gilt auch für die den Einschnitt in die Umgebung und die Landdefragmentierung durch die Infrastruktur, die über das Kriterium abgebildet werden soll. Zusätzlich wird durch das Kriterium auch die Erstellung eines gestalterischen Konzepts bewertet, in dem die Berücksichtigung des landschaftlichen Kontextes eingezogen werden soll. 3.6 Technische Qualität Die technische Qualität umfasst drei Kriterien, von denen TEC1.6 „Rückbau- und Recyclingfähigkeit“ am höchsten gewichtet ist. Ziel des Kriteriums ist der in hohem Maße sparsame Umgang mit natürlichen Ressourcen und deren effiziente Nutzung sowie eine verlustfreie Kreislaufführung von Stoffen durch eine hohe Wiederverwendungsqualität. Bewertet wird hierbei die Recyclingfreundlichkeit der Baustoffe, die Rückbaufreundlichkeit sowie die Planung des Verbrauchs von Ressourcen während des Lebenszyklus sowie die Überführung in den nächsten. Das Kriterium TEC2.4 „Smart Infrastructure“ behandelt innovative Verfahren, mit deren Einsatz die Einsparung von Ressourcen und Kosten sowie die Steigerung des Nutzerkomforts und eine allgemeine Optimierung des Betriebs erfolgen soll. Für die Bewertung der digitalen Steuerungsmöglichkeiten während der Betriebsphase einer Infrastruktur wird mit einer Checkliste gearbeitet, mit der der Einsatz von innovativen Maßnahmen bepunktet wird. Im Rahmen eines Agenda 2030 Bonus können zusätzliche Punkte erreicht werden, indem ein Teil der beanspruchten Fläche zur regenerativen Stromerzeugung genutzt wird sowie synergetische Effekte durch die gemeinsame Planung von Infrastrukturbauwerken geschaffen werden. Mit dem Kriterium TEC3.1 „Mobilitätsinfrastruktur“ wird die Zukunftsfähigkeit einer Infrastruktur in Bezug auf Anforderungen alternativer Antriebstechnologien sowie die Verknüpfung unterschiedlicher Mobilitätsformen betrachtet. Bewertet wird hierbei eine zu erstellende Mobilitätsmanagement-Strategie für Ladeinfrastruktur, die Erreichbarkeit und Förderung von Mobilitäts-Sharing- Angeboten und intermodalen Plattformen sowie die Erstellung eines allgemeinen Verkehrskonzept für Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie die Notfallvorsorge im Rahmen eines Sicherheitskonzepts. Das verfolgte Ziel liegt in der Steigerung des Nutzerkomforts durch eine nachhaltige Mobilitätsinfrastruktur und der Stärkung leistungsfähiger, bezahlbarer Mobilitätsangebote. 3.7 Prozessqualität Das Kriterium PRO1.2 „Integrale und modellorientierte Planung“ verfolgt das Ziel einer frühzeitigen Zusammenarbeit aller für das Projekt relevanten Fachdisziplinen auf einer modellorientierten Basis (BIM-Planungsmethodik). Bewertet wird, wie die Planung in Bezug auf die BIM-Planungsmethodik erfolgt, wobei eine Einteilung in Levels erfolgt und auf die Vorbereitung der Planung eingegangen wird. Zusätzlich wird eine Variantenuntersuchung sowie die Erstellung der Ökobilanz unter der Nutzung der BIM-Planungsmethodik honoriert. Auch die <?page no="169"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 169 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau Erstellung eines Digitalen Zwillings für die Nutzungsphase wird über das Kriterium bewertet. Im Rahmen der Integralen Planung werden Anforderungen an das Planungsteam gestellt, die Planungsprozesse selbst sowie die Einbindung der DGNB-Kriterien in diese bewertet. Mit dem Kriterium PRO1.7 „Partizipation“ wird das im Infrastrukturbau besonders relevante Thema der frühzeitigen Beteiligung aller von der Planung betroffenen Personen behandelt. In der Bewertung wird zum einen differenziert, in welchen Teilen der Planung die Beteiligten beteiligt werden und zum anderen, in welchem Umfang die Beteiligung und das Maß der Einflussnahme besteht. Darüber hinaus wird der Beitrag der partizipativen Verfahren zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsthemen aus den Themenfeldern des DGNB-Systems bewertet. Mit dem Kriterium PRO2.1 „Baustelle / Bauprozess“ wird die Bauphase und hierbei negative Auswirkungen auf die Umwelt betrachtet. Ein zentraler Aspekt ist, die Bauausführenden auf den Baustellen hinsichtlich relevanter Umweltthemen zu sensibilisieren und zu schulen. Bewertet wird die externe Kommunikation zu den Bürgern über Planungsänderungen und Bauablauf, sowie die interne Kommunikation für einen geregelten Projektablauf. Um die Auswirkungen auf die lokale Umwelt möglichst gering zu halten, wird bewertet, inwiefern Maßnahmen zur Reduktion von Lärm, von Staub, von negativen Einflüssen auf Boden und Grundwasser sowie von Abfall auf der Baustelle umgesetzt wurden und inwieweit die Bauausführenden vor Ort zu diesem Thema geschult wurden. Zusätzlich wird die Fahrzeugflotte bezüglich emissionsarmer Fahrzeuge betrachtet. Über einen Circular Economy Bonus können neuartige abfallvermeidende Konzepte, Bauweisen und Technologien zusätzlich belohnt werden. Das Kriterium PRO3.5 „Qualitätssicherung und Monitoring“ dient der frühzeitigen Integration der Nachhaltigkeitsaspekte in der Ausschreibungsphase, sodass alle Entscheidungen auf einer ganzheitlichen Betrachtung basieren. Zudem sollen durch die Zusammenstellung und Dokumentation, kontinuierliches Monitoring und Sicherheitsaudits die geplanten Eigenschaften in die Realität umgesetzt werden und die Qualität der Verkehrsinfrastruktur verbessern. Bewertet wird, in welchem Umfang die Nachhaltigkeitsaspekte in die Ausschreibung integriert wurden. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung wird der Umfang der erstellten Wartungs-, Inspektions-, Betriebs- und Pflegeanleitungen betrachtet. Das Monitoring bewertet, welche Daten erfasst (Umweltereignisse, Kosten, Verkehr) und wie diese zum Erreichen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozess genutzt werden. 4. Ausblick und Fazit Bewertungs- und Zertifizierungssysteme für Infrastrukturbauwerke können ein wichtiges Instrument für mehr Nachhaltigkeit darstellen und somit einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele im Bau- und Infrastruktursektor leisten. Das Interesse der Branche an einem entsprechenden System ist groß, sodass die Entwicklung und zeitnahe Fertigstellung eines funktionalen Systems von großer Bedeutung sind. Hierbei muss es das Ziel sein, ein anwendbares und praxisorientiertes Verfahren zu entwickeln, das sowohl bereits in der Planung als auch aus rechtlichen Vorgaben bestehende und etablierte Verfahren zur Steigerung der Nachhaltigkeit eines Bauprojekts aufgreift und einbezieht. Hierfür werden unter Betrachtung der vorgestellten Kriterien im Rahmen einer zweiten Pilotphase weitere Infrastrukturprojekte bewertet und die Anwendbarkeit des Systems verifiziert. Neben der Fertigstellung des hier thematisierten Zertifizierungssystems für Streckenabschnitte bestrebt die DGNB zukünftig auch eine Ausweitung des Betrachtungsumfangs auf weitere Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur. Literatur [1] Bundesregierung Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (10.08.2023). Online verfügbar unter: https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ schwerpunkteder bundesregierung/ nachhaltigkeitspolitik/ deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-318846, abgerufen am: 02.12.2024 [2] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesverkehrswegeplan (15.01.2024). Online verfügbar unter: https: / / bmdv.bund.de/ DE/ Themen/ Mobilitaet/ Infrastrukturplanung-Investitionen/ Bundesverkehrswegeplan-2030/ bundesverkehrswegeplan-2030.html, abgerufen am 02.12.2024 [3] European Commission. (2. Februar 2022) EU-Tax-o nomie: ergänzender delegierter Klima-Rechtsakt [Press release]. Brussels, Belgium. Online verfügbar unter: https: / / ec.europa.eu/ commission/ presscor ner/ detail/ de/ ip_22_711, abgerufen am: 02.12.2024 [4] Institute for Sustainable Infrastructure, Envision (2024), online verfügbar unter: https: / / sustainableinfrastructure.org/ envision/ about/ , abgerufen am 02.12.2024 [5] BREEAM Infrastructure (2024), online verfügbar unter: https: / / breeam.com/ breeam-infrastructure/ , abgerufen am 02.12.2024 [6] ASTRA - Bundesamt für Strassen Nachhaltigkeits - Indikatoren für STRAsseninfrastrukturprojekte (NISTRA). (2017). Online verfügbar unter: Nachhaltigkeits-Indikatoren für STRAsseninfrastrukturprojekte (NISTRA), abgerufen am 02.12.2024 [7] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Entwicklung einheitlicher Bewertungskriterien für Infrastrukturbauwerke im Hinblick auf Nachhaltigkeit, BASt-Bericht B 126 (2016), online abzurufen unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2016-2015/ b-125.html, abgerufen am 02.12.2024 [8] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Konzeptionelle Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung im Lebenszyklus von Elementen der Straßeninfrastruktur, BASt-Bericht B 126 (2016), online abzurufen unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2016-2015/ b-126.html, abgerufen am 02.12.2024 <?page no="170"?> 170 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau [9] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ gebaeude, abgerufen am 02.12.2024 [10] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ quartiere, abgerufen am 02.12.2024 [11] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ das-wichtigste-zurdgnb-zertifizierung/ systementwicklung-bei-derdgnb, abgerufen am 02.12.2024 <?page no="171"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 171 DGNB-Zertifizierung für die Transportinfrastruktur - Der Weg zum nachhaltigeren Handeln Marieke Tiede, M. Sc. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Zusammenfassung Das DGNB-Zertifikat für nachhaltige Verkehrsinfrastruktur wurde im Rahmen eines Pilotprojekts von der DGNB in Zusammenarbeit mit dem HOCHTIEF PPP Projekt ViA6West entwickelt und erstmals verliehen. Das Nachhaltigkeitszertifikat ermöglicht die Messbarkeit und den Vergleich der Nachhaltigkeit von Infrastrukturprojekten in Planung, Bau und Betrieb. In Anlehnung an das DGNB-Zertifikat für Quartiere und unter Hinzunahme weiterer, für den Tief bau relevanter, Aspekte entstand ein umfassender Kriterienkatalog, der die ökologische, ökonomische, funktionale und technische Qualität sowie die Prozessqualität berücksichtigt. Das Ziel des Zertifikats ist die Förderung des nachhaltigen Handelns, das Vorantreiben innovativer Lösungen und die langfristig ökologische und wirtschaftlich tragfähige Gestaltung zukünftiger Projekte. Das Zertifikat bietet Investoren und der Gesellschaft eine transparente Bewertung und stärkt zugleich die Akzeptanz von Infrastrukturprojekten. Damit setzt es einen neuen Standard für nachhaltige Entwicklung und motiviert zur Realisierung weiterer umweltfreundlicher Verkehrsinfrastrukturprojekte. 1. Einleitung Am 27.4.2023 verlieh Johannes Kreißig, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), dem ÖPP-Projekt ViA6West (BAB A6 Wiesloch/ Rauenberg - Weinsberger Kreuz) das erste DGNB- Zertifikat für nachhaltige Verkehrsinfrastrukturprojekte. Damit endete ein zweijähriges Pilotprojekt, das anfangs auf einer vagen Idee basierte: Wie könnte ein eigenständiges Zertifikat für die Infrastrukturprojekte entwickelt und eingesetzt werden, um Anwender zu nachhaltigerem Handeln zu bewegen? Den Anstoß für dieses Pilotprojekt gaben Ankündigung großer Investmenthäuser, in absehbarer Zeit nur noch in nachhaltige Projekte investieren zu wollen. Für Projektentwickler, wie HOCHTIEF, war es daher naheliegend sich Gedanken darüber zu machen, wie ein Nachweis über die Nachhaltigkeit von Projekten aussieht bzw. aussehen könnte. Schon lange werden Zertifizierungssysteme zur Untersuchung und Bewertung der Nachhaltigkeit von Projekten besprochen, entwickelt und angewendet. In Deutschland haben sich für Gebäude seit 2007 das System der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) [1] und seit 2009 das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) [2] des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen weitestgehend etabliert. Für den Bereich der Transportinfrastruktur, insbesondere für Straßen, gibt es international bereits einige Beispiele. Hierzu zählen das Greenroads System [3], das vor rund 15 Jahren an der University of Washington entwickelt wurde, und das System CEEQUAL, das sowohl für Gebäude als auch für andere Infrastrukturen in Großbritannien entwickelt wurde und dort häufige Anwendung erfährt. Diese und weitere Zertifizierungsverfahren bzw. -systeme wurden von HOCHTIEF auf die Eignung bei Transportinfrastrukturprojekten bereits 2018 in Zusammenarbeit mit der Hochschule Biberach untersucht [4]. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass die betrachteten Systeme nicht oder noch nicht zur Anwendung gebracht werden sollten. 2019 wurde jedoch die Notwendigkeit einer Zertifizierung deutlich, nachdem bekannt wurde, dass zum einen wichtige Investoren nicht mehr in umweltunfreundliche Projekte investieren und zum anderen die EU begann ein Taxonomie-System zu entwickeln, um Kapitalströme stärker in nachhaltige Projekte zu leiten [5]. Aus den vorhergegangenen Analysen wurde so schnell deutlich, dass aktuell kein passendes Zertifikat für Verkehrsinfrastrukturprojekte vorlag, das für diesen Fall angewendet werden konnte. Währenddessen führten Untersuchungen der DGNB zu dem gleichen Ergebnis, wodurch die Entscheidung reifte, auf bauend auf das bestehende System der DGNB und angelehnt an Ausarbeitungen und Überlegungen für das Zertifikat für Quartiere, ein eigenes Zertifikat für Transportinfrastrukturprojekte zu entwickeln. Die ersten konkreten Ansätze wurden in einer von der DGNB begleiteten Abschlussarbeit erarbeitet. Diese Abschlussarbeit diente als Grundlage des Kriterienkatalogs. Für die Zertifizierung wurde ein Beirat, der aus einer Expertengruppe besteht, gegründet. Im Dezember 2021 fiel die Entscheidung, die erarbeiteten Ansätze an einem oder mehreren Pilotprojekten zu testen. Als geeignetes Projekt wurde das ÖPP-Projekt ViA6West (BAB A6 Wiesloch/ Rauenberg - Weinsberger Kreuz) unter anderem aufgrund der Vertragsdauer von 30 Jahren und der umfänglichen Lebenszyklusbetrachtung von Planung, Bau, Erhaltung und Betrieb durch einen Vertragspartner ausgewählt. Dies wies den Vorteil auf, dass viele relevante Unterlagen, die für eine Zertifizierung erforderlich waren, bereits an einer Stelle zur Verfügung standen. Die Verantwortlichen waren sich von Beginn an des Risikos bewusst, dass auf Grund noch nichtexistierender Bench- <?page no="172"?> 172 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 DGNB-Zertifizierung für die Transportinfrastruktur - Der Weg zum nachhaltigeren Handeln marks das Erreichen einer bestimmten Zertifizierungsstufe ungewiss war. Gleichwohl wurde die Herausforderung gleichzeitig Kriterien, passende Parameter und die dazugehörigen Skalierungen zu entwickeln proaktiv angegangen. 2. Prozess Während die DGNB in der Entwicklung der Pilotzertifizierung Ihre Kompetenzen der nachhaltigen Zertifizierungsprozesse einbrachte, unterstütze die HOCHTIEF PPP Solutions GmbH mit ihrer umfassenden Expertise in der Projektentwicklung, Konstruktion und dem Betrieb von Infrastrukturen sowie ihrer Erfahrung in der praktischen Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen. Zur Erstellung der erforderlichen Gutachten und zur Sicherstellung der notwendigen Qualitätsstandards für die Entwicklung einer ganzeinheitlichen Nachhaltigkeitszertifizierung für die Verkehrsinfrastruktur, wurde ein interdisziplinäres Projektteam zusammengestellt, das aus Expertinnen und Experten aller relevanten Fachbereiche bestand. Dementsprechend wurden neben den Spezialisten für Nachhaltigkeitszertifizierungen der DGNB seitens HOCHTIEF Spezialisten für Nachhaltigkeit im Transportinfrastrukturbereich, der Bautechnik, für BIM-Anwendungen, HOCHTIEF DGNB-Auditoren für Quartiere und Expertinnen und Experten für Ökobilanzierungen sowie der Geschäftsführer des betrachteten Projektes, in diesem Projektteam eingesetzt. Darüber hinaus wurden bei spezifischen Fragestellungen weitere Expertenmeinungen herangezogen. Weiterhin gab es ein separates Ausarbeitungsteam, das sich explizit mit der Erarbeitung innovativer Lösungen für die Methoden- und Benchmarkentwicklung befasste. Sämtliche Ausarbeitungen wurden stets in der erweiterten Expertengruppe geprüft und unter regelmäßiger Abstimmung mit dem Beirat, koordiniert durch die DGNB, final entschieden. Im Rahmen einer Masterarbeit der DGNB wurde ein erster Versuch zur Überführung der Nachhaltigkeitskriterien für Quartiere auf Straßenbauprojekte durchgeführt. Auf dieser Basis sowie auf Grundlage einer Sammlung weiterer Kriterien, die sich aus den Expertenuntersuchungen ergaben, wurden in Workshops mit der DGNB, der HOCHTIEF PPP Solutions GmbH und weiteren Beteiligten die Kriterien charakterisiert und in ein Bewertungssystem überführt. Dieses diente als Ausgangslage, um es an die individuellen Anforderungen des Tief baus anzupassen. Dafür wurden spezifische Indikatoren sowie Methoden zur Generierung von Benchmarks ausgearbeitet. Dabei stand stets die Entwicklung von zielführenden Anreizen für die Bewertung zukünftiger Projekte im Fokus. Um den Realisierungsgrad eines Kriteriums für die zu untersuchenden Projekte zu bewerten und vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, wurden einheitliche Methoden entwickelt, welche gleichermaßen von anderen Projekten umgesetzt werden können. Diese wurden in verschiedenen Varianten getestet und in einer übergeordneten Spezialistenrunde unter Einbezug des Beirats final abgestimmt. Dabei diente das Pilotprojekt ViA6West, als praxisnahes Beispiel für die Datenverfügbarkeit. Die ausgearbeiteten Methoden wurden kontinuierlich anhand der vorliegenden Daten überprüft, was parallel zur Entwicklung eine direkte Nachweisführung ermöglichte. Durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Stakeholder entstand eine sinnvolle und durchdachte Zusammenstellung von Kriterien in einem Kriterienkatalog sowie Indikatoren und Methoden, welche eine ganzeinheitliche Bewertung der Nachhaltigkeit zukünftiger Verkehrsinfrastrukturprojekte ermöglichen sowie Anreize für nachhaltiges Handeln in zukünftigen Projekten schaffen. 3. Kriterienkatalog Entgegen anfänglicher Erwartungen Außenstehender, umfasste der erarbeitete Kriterienkatalog weitaus mehr als die reine ökologische Betrachtung eines Projektes. Stattdessen erfolgte basierend auf den fünf Qualitäten der DGNB-Zertifizierung im Hochbau (Ökologische Qualität, Ökonomische Qualität, Funktionale und Soziokulturelle Qualität, Technische Qualität und Prozessqualität), wird eine vollumfängliche Nachhaltigkeitsanalyse des Gesamtprojektes. Der Kriterienkatalog ist in drei Ebenen gegliedert: 1. Qualitäten: Die fünf zentralen Themenblöcke eines Transportinfrastrukturprojekts, 2. Kriterien: Detaillierte Unterbereiche, die die Qualitäten konkretisieren. 3. Indikatoren: Messbare Anforderungen, die zur Erfüllung der Kriterien eingehalten werden müssen. Für Transportinfrastrukturprojekte entstand so ein strukturierter Katalog mit fünf Themenfeldern, über 20 Kriterien und mehr als 90 Indikatoren. Die ökologische Qualität eines Projekts wird umfassend durch eine Ökobilanz bewertet, die zahlreiche Aspekte der Umweltverträglichkeit einbezieht. Diese Ökobilanz vergleicht verschiedene Bau- und Betriebsvarianten des Projekts, um die umweltschonendste Option zu ermitteln. Ein besonderer Fokus liegt auf dem sparsamen Einsatz begrenzter Ressourcen, der Reduktion und Vermeidung gefährlicher Stoffe und der Minimierung von Eingriffen in die Tier- und Pflanzenwelt. Umweltkonzepte, die den Schutz lokaler Ökosysteme fördern, werden ebenso berücksichtigt, um sicherzustellen, dass das Projekt im Einklang mit den Zielen für den Umweltschutz steht. Die ökonomische Qualität hingegen geht über reine Kostenbetrachtungen hinaus und integriert eine Lebenszyklusbetrachtung der finanziellen Ressourcen. Hierbei wird die langfristige Wirtschaftlichkeit eines Projekts analysiert, unter anderem durch die Einschätzung der Haltbarkeit und Robustheit der Bauwerke. Diese Kriterien unterstützen die Planung einer kosteneffizienten Nutzung über den gesamten Lebenszyklus hinweg und fördern wirtschaftliche Stabilität, indem sie Kosten über die Bau- und Betriebszeit des Projekts hinweg optimieren. Bei der funktionalen und soziokulturellen Qualität wird der Schwerpunkt auf die Sicherheit und den Erhaltungszustand der Infrastruktur und ihrer angrenzenden Anlagen gelegt. Funktionalität umfasst Aspekte wie die Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und den Komfort der Infra- <?page no="173"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 173 DGNB-Zertifizierung für die Transportinfrastruktur - Der Weg zum nachhaltigeren Handeln struktur für alle Nutzer. Die soziokulturellen Einflüsse beziehen sich außerdem auf die optische Gestaltung und ästhetische Wirkung auf das Umfeld, sowie auf andere Einwirkungen auf die Gesellschaft. Projekte hoher funktionaler und soziokultureller Qualität gewährleisten eine harmonische Integration der Infrastruktur in dessen soziales und kulturelles Umfeld. Die technische Qualität bewertet, wie innovative und nachhaltige Techniken in der Planung, dem Bau und Betrieb eines Projekts angewendet werden. Hier liegt der Fokus darauf, die Resilienz des Projektes zu steigern, gleichzeitig jedoch eine zukunftsorientierte Infrastruktur zu schaffen, die flexibel auf neue Entwicklungen reagieren kann. Technische Standards werden bewertet, um sicherzustellen, dass sie höchsten Qualitätsansprüchen genügen und auch langfristig nachhaltig genutzt werden können. Schließlich umfasst die Prozessqualität die gesamte Planung, Ausführung und Implementierung des Projekts. Hierzu gehört die aktive Einbindung von Stakeholdern, um Transparenz und Akzeptanz zu fördern. Ebenso werden die Effizienz des Bauprozesses und die Güte der Umsetzung bewertet, einschließlich der Dokumentation und Qualitätssicherung während der Bauphase. Die Prozessqualität stellt sicher, dass das Projekt nicht nur effizient realisiert wird, sondern auch langfristig gewartet und betrieben werden kann, um seine Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen und eine hohe Nutzerzufriedenheit sicherzustellen. Die beschriebenen Qualitäten, Kriterien und Indikatoren wurden allgemeingültig ausgearbeitet, damit diese universell für alle Transportinfrastrukturprojekte anwendbar sind und ermöglichen die einheitlichen Bewertungsmaßstäbe eine projektübergreifende Vergleichbarkeit geschaffen wird. Dennoch sind nicht stets alle Indikatoren in jedem Fall relevant, da ihre Anwendbarkeit stark von der geografischen Lage sowie der jeweiligen Planungs-, Bau- oder Betriebsphase abhängt. 4. Gewichtung Da unterschiedliche Projekte die Nachhaltigkeitskriterien sowie die einzelnen Qualitäten unterschiedlich gut umsetzen können und das DGNB-Zertifikat zur unkomplizierten Einstufung von Transportinfrastrukturprojekten dienen soll, ist eine Klassifizierung anhand von Erfüllungsgraden erforderlich. Um sicherzustellen, dass die DGNB-Zertifizierung den Zielen der Gesellschaft dient und nicht von den subjektiven Meinungen der eingebundenen Spezialisten abhängt, wurden für die Festlegung der Gewichtung der einzelnen Kriterien untereinander das externe Beratungsunternehmen Durth Roos Consulting GmbH herangezogen. Sie setzte den analytisch hierarchischen Prozess (AHP) nach Saaty ein, um für die neue DGNB-Systemvariante anhand einer Experten-Befragung die derzeitige gesellschaftliche Gewichtung der Nachhaltigkeitskriterien untereinander zu bestimmen. Zu der Befragung wurden die drei Teilnehmergruppen Nachhaltigkeitsexperten, (Tief-)Bauexperten und Interessierte an nachhaltiger Infrastruktur eingeladen. Es nahmen 107 Spezialisten teil, wobei anhand von Konsistenzwerten 11 Fragebögen ausgeschlossen wurden, da diese nicht als widerspruchsfrei einzustufen waren. Auf der Grundlage der 96 übrigen Antworten, in denen die Teilnehmer die Kriterien in Relation zueinander einstuften, konnte eine Gruppenpräferenz für die Bewertung aller Kriterien erstellt werden. Im Rahmen der Auswertung der Gewichtung wurde unteranderem deutlich, dass die Teilnehmenden ein besonderes Gewicht auf die Gewinnung und Wiederverwendung der Materialien, die finanzielle Lebenszyklusbetrachtung, die äußeren Umwelteinflüsse sowie die Qualifikation des planenden Unternehmens legten. Die aggregierten Rückläufe der Befragung ermöglichten die Erstellung einer prozentualen Gewichtung sämtlicher Kriterien, die direkt in das Zertifizierungssystem integriert wurde. 5. Resultate Die Ausarbeitung einer neuen Variante der DGNB-Nachhaltigkeitszertifizierung für nachhaltige Transportinfrastrukturprojekte hat nicht nur ein vollumfängliches Instrument zur Klassifizierung von Straßen- und Schienenprojekten hervorgebracht, sondern auch wertvolle neue Erkenntnisse identifiziert, auf welche folgend genauer eingegangen wird. 5.1 Verhaltensänderung Das Streben nach einem DGNB-Zertifikat motiviert zur Suche nach nachhaltigeren Lösungen. Dies wurde in der Testphase des neuen Zertifikats deutlich. Am Beispiel der A6 wurde erkennbar, dass alle Beteiligten darum bemüht waren neue und weitere Maßnahmen zu entdecken und zu entwickeln, um einen möglichst hohen DGNB-Standard zu erzielen. Die Installation einer Photovoltaik-Anlage und ihre Auslegung über den eigenen Bedarf hinaus sowie die Errichtung von drei öffentlich zugänglichen E- Ladestationen für Pkws sind nur zwei Beispiele hieraus. 5.2 Akzeptanz Straßenbauprojekte haben zurzeit einen schlechten Ruf und stehen häufig in der Kritik sie gelten allgemein als zu teuer und als klima- und umweltschädlich. Ihr volkswirtschaftlicher Nutzen und ihre Notwendigkeit werden dabei oft in Abrede gestellt. Dabei durchlaufen neue Infrastrukturprojekte sowie Erhaltungs- oder Ausbaumaßnahmen komplexe Verfahren, um deren Notwendigkeit zu prüfen. Wenn diese Verfahren zum Ergebnis kommen, dass die Verkehrsinfrastruktur notwendig ist, dann sollte diese so nachhaltig wie möglich geplant, gebaut, erhalten und betrieben werden. Ein geeignetes Zertifizierungssystem wie das neu entworfene und hier beschriebene DGNB-Zertifikat bietet hierbei die Chance, ähnlich wie das BNB-System für Gebäude der öffentlichen Hand, zu einer nachhaltigen Umsetzung in allen Phasen zu motivieren. Gleichzeitig ermöglicht es der Gesellschaft, transparent nachzuvollziehen, ob und wo dies gelungen ist bzw. gelingt. <?page no="174"?> 174 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 DGNB-Zertifizierung für die Transportinfrastruktur - Der Weg zum nachhaltigeren Handeln 5.3 Wirtschaftliche Vorteile Privates Kapital sucht verstärkt nach Invesitionsmöglichkeiten in nachhaltige Projekte. Erste Effekte zeigen sich bereits durch die Einführung der EU-Taxonomie und die Aussagen großer Kapitalanleger. So wurde auch das Pilotprojekt Via6West auf der BAB 6 zwischen Wiesloch/ Rauenberg und dem Weinberger Kreuz im Rahmen einer Öffentlich Privaten Partnerschaft realisiert. Das bedeutet, dass zur Finanzierung der Projekte auch privates Kapital genutzt wird. Dabei fallen die Renditeanforderungen der externen Kapitalgeber an nachhaltige Projekte geringer aus als für nicht nachhaltige. In der Konsequenz werden diese Projekte dadurch wirtschaftlicher bzw. im direkten Wettbewerb günstiger für denjenigen, der die Kosten für die Bereitstellung der Infrastruktur final trägt, nämlich den Nutzer und den Steuerzahler. Fazit Am Ende des Entwicklungsprozesses wurde eine vollumfängliche Systematik für ein neues DGNB-Nachhaltigkeitszertifikat für die Bewertung nachhaltiger Transportinfrastrukturprojekte geschaffen. Der Lohn für die Mühen bestand darin, dass eine vergleichbare Basis für Infrastrukturprojekte geschaffen wurde, um zukünftige Projekte mit dessen Hilfe transparent zu vergleichen. Zudem haben die Beteiligten wertvolle Expertise darüber gewonnen, wie das Zertifikat erlangt werden kann, was dafür erforderlich ist, was funktioniert und noch viel wertvoller, was nicht funktioniert. Trotz der Zuversicht, dass die fortschreitende Digitalisierung unserer Arbeitswelt die Bereitstellung nahezu aller Daten, welche für eine Zertifizierung herangezogen werden müssen, sehr vereinfachen wird und der Einsatz künstlicher Intelligenz Auswertungsprozesse vereinfachen wird, wird der Aufwand für die Nachweisführung zum Erlangen des neuen Zertifikates nicht ohne wesentlichen Aufwand vonstattengehen. Die ersten für Transportinfrastrukturprojekte ernannten Auditoren können daher dafür Sorge tragen, den notwendigen Know-How- Transfer zu organisieren und umzusetzen. Die HOCH- TIEF PPP Solutions GmbH sieht im eigenen Unternehmen bereits eine Vielzahl von Adaptionsmöglichkeiten des erlangten Wissens und hat bereits die Arbeit für weitere Zertifizierungen aufgenommen. Welchen Stellenwert das neue Zertifikat haben wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie weit dessen Anwendung Unterstützer finden wird und welche Konsequenzen dessen Anwendung in kommerzieller Hinsicht haben wird. Ebenfalls ist ein noch größeres Bewusstsein der Auftraggebenden und der Gesellschaft für die Einwirkungen und Auswirkungen unserer Infrastrukturen notwendig, damit diese in Zukunft noch verstärkter nachhaltig optimiert werden können. Daher der Apell: „Jetzt mit gutem Vorbild voran gehen! “ Literatur [1] Über die DGNB | DGNB [2] schueco_factsheet_bnb.pdf [3] Greenroads Home [4] Masterthesis Sallas [5] EU taxonomy for sustainable activities - European Commission <?page no="175"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 175 «Grüner» Asphalt - Klimafreundlicher Straßenbau mit Pyrolysekohle Dipl.-Ing. Kai Teschner ViaTec Basel AG, Basel Dipl.-Bauingenieur HTL Mischel Schweizer Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Basel Zusammenfassung Das Ziel des Projekts ist es, eine klimafreundliche Asphaltmischung zu entwickeln, die die mechanischen Anforderungen moderner Straßenbeläge erfüllt und gleichzeitig eine lange Lebensdauer bietet. Im Kern steht die Verwendung von Pyrolysekohle aus Biomasse. Diese kann dem Asphalt zugegeben werden, wodurch das in der Pflanzenkohle gebundene CO 2 dauerhaft dem Kreislauf entzogen wird. Auf diese Weise wird die CO 2 -Bilanz des Straßenbaus deutlich verbessert, d. h. je nach Rezeptur kann diese sogar negativ werden. Die verwendete Pyrolysekohle, ist durch das European Biochar Certificate (EBC 6 ) zertifiziert, wird aus lokalem Grünschnitt gewonnen und entspricht höchsten Qualitätsstandards. Sie wird mit 2-4 Ma-% dosiert und kann über konventionelle Mischanlagen zugegeben werden. In den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft wurden Versuchsstrecken mit Asphalt eingebaut, dem Pyrolysekohle zugemischt wurde. Die Voraussetzung hierfür war, dass für die verwendeten Asphalte gültige Typprüfungen vorgelegt werden konnten. Im Vorfeld wurden Asphaltmischungen mit unterschiedlichen Pyrolysekohle - und Bindemittelzugaben hergestellt und auf Ihre Eigenschaften geprüft. Der Lieferant der Pyrolysekohle wurde hierbei nicht gewechselt. Bei den Versuchsstrecken handelt es sich um Kantonsstraßen mit einem mittleren bis niedrigen Verkehrsaufkommen. Es wurden sowohl die Mischung des Asphalts - insbesondere die Zugabe der Pyrolysekohle im Mischprozess - und die Verdichtung des Materials beim Einbau angepasst. Langfristig soll ein wirtschaftlicher und nachhaltiger Asphalt entwickelt werden, der den Herausforderungen des Klimawandels begegnet. 1. Einführung Das Projekt „Grüner Asphalt“ konzentriert sich auf die Entwicklung von klimafreundlichem Asphaltmischgut, dass nicht nur den anspruchsvollen mechanischen Anforderungen moderner Straßenbeläge genügt, sondern auch eine lange Lebensdauer aufweist. Dabei kommt nachhaltiges Material in Form von Pyrolysekohle aus Biomasse zum Einsatz, um natürliche Gesteinskörnungen teilweise zu ersetzen. Dieses Projekt veranschaulicht eindrucksvoll, wie innovative Lösungen im Straßenbau eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung zukünftiger Herausforderungen spielen können und gleichzeitig die Förderung nachhaltiger Entwicklung unterstützen. Die Integration von Pyrolysekohle in die standardisierten Straßenbeläge gemäss Schweizer Norm (AC-B/ AC-T und AC-F) stellt einen vielversprechenden Schritt in Richtung nachhaltiger Infrastruktur dar. Pyrolysekohle als Baumaterial trägt dazu bei, den CO 2 eq-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Die Verwendung von Pyrolysekohle als Füllstoff im Asphalt hat in den durchgeführten Tests die mechanischen Eigenschaften des Materials verbessert, insbesondere die Widerstandsfähigkeit gegen Spurrinnen, was zu einer längeren Lebensdauer der Straßen führen kann und somit Ressourcen- und Energieeinsparungen in städtischen Gebieten ermöglicht. Durch die Verwendung von Pyrolysekohle im Asphalt kann dessen CO 2 eq-Bilanz verbessert werden. Unter angemessener Dosierung kann dies als Negativemissionstechnologie (NET) 8 genutzt werden, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und zu binden. Für den Kanton Basel-Stadt wird das durchschnittliche Potential von Pyrolysekohle im Asphalt zur CO 2 -Absenkung auf ca. 11,000-16,000 Tonnen CO 2 eq bis 2037 geschätzt. Insgesamt leistet die Verwendung von Pyrolysekohle im Asphalt einen Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und Ressourcenschonung. Es ist somit eine wichtige Maßnahme zum Schutz des Klimas. Die Bemühungen im Rahmen des „Grüner Asphalt“ sind nur ein Teil einer Vielzahl von Maßnahmen zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen. Die im Rahmen des Projekts verwendete Pyrolysekohle erfüllt höchste Standards dank des European Biochar Certificates (EBC). Dieses Zertifikat bestätigt die Qualität und Nachhaltigkeit der verwendeten Pyrolysekohle. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die regionale Herkunft: Die Pyrolysekohle stammt von den Industrielle Werken Basel (IWB), und wird aus in der Umgebung von Basel- Stadt anfallendem Grünschnitt gewonnen. Der Belag wird in derselben Anlage mit denselben Maschinen wie herkömmlicher Asphalt hergestellt. Ein zu- <?page no="176"?> 176 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 «Grüner» Asphalt - Klimafreundlicher Straßenbau mit Pyrolysekohle künftiges Ziel besteht darin, die Herstellung der Asphaltmischung zu vereinfachen und ihren flächendeckenden Einsatz unter Berücksichtigung der technischen Anforderungen der Straßen zu ermöglichen. Dieser Bericht ist das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen dem Tief bauamt des Kantons Basel-Stadt, der ViaTec Basel AG und den Industriellen Werken Basel (IWB), die die Pyrolysekohle bereitstellen. Durch die Zusammenarbeit von privater und öffentlicher Hand konnte dieses Projekt erfolgreich vorangetrieben werden. 2. Ausgangssituation Die Berichte des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) 7 unterstreichen die Dringlichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, da er erhebliche negative Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hat. Diese Veränderungen können Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Verfügbarkeit von Trinkwasser, die Wirtschaft und die Infrastruktur haben. 1 Der IPCC betont auch, dass ein rasches, umfassendes und koordiniertes globales Handeln notwendig ist, um den Klimawandel auf eine Erwärmung von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. 1 Die Schweiz ist Vertragspartei des Übereinkommens von Paris und hat sich damit verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und sich an den weltweiten Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu beteiligen. Im Einklang dazu hat er Bundesrat in seinem Beschluss 2050 Netto-Null-Ziel, «Langfristige Klimastrategie Schweiz», festgelegt: Es darf nur so viel emittiert werden, wie durch natürliche Speicher absorbiert werden kann 2 . 2.1 Aufgabe Mit der „Klimagerechtigkeitsinitiative“ soll der Kanton Basel-Stadt eine Vorreiterrolle im Klimaschutz übernehmen und klimaneutral werden. Die Stimmbevölkerung hat sich für ein Netto-Null-Ziel bis 2037 ausgesprochen (Abstimmung vom 27.11.2022). Das bedeutet, dass der Kanton Basel - Stadt bis zum Jahr 2037 nicht mehr Treibhausgase ausstossen darf, als durch natürliche und technische Senken absorbiert werden können. 3 Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Kombination aus Emissionsminderung und der Entfernung von CO 2 eq aus der Atmosphäre durch sogenannte Negativemissionstechnologien (NET) erforderlich. Es ist wichtig, den Straßenbau in eine nachhaltigere Richtung zu lenken, um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel zu reduzieren. Dies ist auch im Bereich Bauen der Klimaschutzstrategie des Kantons festgelegt, wobei der Fokus auf emissionsfreien Baustellen, emissionsarmen Baustoffen und zirkulärem Bauen liegt 4 . Herkömmliche Straßenbeläge aus Asphalt verursachen hohe Treibhausgasemissionen und verbrauchen knappe Ressourcen wie Rohöl. Um den CO 2 eq- Fussabdruck des Straßenbaus zu reduzieren und eine nachhaltigere Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, ist es wichtig, alternative Lösungen wie Pyrolysekohle-Asphalt zu entwickeln und einzusetzen. Pyrolysekohle kann als Füllstoff in Asphalt integriert werden und bietet verschiedene Vorteile, insbesondere im Hinblick auf den Klimaschutz durch die Reduzierung von Treibhausgasen. Darüber hinaus kann der Einsatz von Pyrolysekohle im Asphalt die Langlebigkeit der Straßenoberfläche erhöhen, da Risse und Verformungen minimiert werden können. Dies kann dazu beitragen, den Bedarf an Straßenreparaturen und -erneuerungen zu reduzieren und damit auch die Emissionen, die mit der Herstellung und dem Transport von Asphalt und Baustoffen verbunden sind. Der verstärkte Einsatz von nachhaltigen Straßenbaulösungen wie Pyrolysekohle-Asphalt ist daher ein wichtiger Schritt hin zu einer klimafreundlicheren und nachhaltigeren Verkehrsinfrastruktur. 2.2 Ziele Ziel ist die Entwicklung eines klimafreundlichen Asphalts, der sowohl in Bezug auf seine mechanischen Eigenschaften als auch in Bezug auf seine Lebensdauer nachhaltig ist. Es wird die Entwicklung einer nachhaltigen Infrastruktur angestrebt, die auf innovativen Asphaltmaterialien basiert, die aus Recyclingbaustoffen gewonnen werden und als Ersatz für natürliche Gesteinskörnungen (Füller) dienen 5 . Ein weiteres Ziel ist die Minimierung des Erhaltungsaufwandes, um langfristig eine wirtschaftliche Asphaltschicht zu gewährleisten. 5 Die Steigerung der Ressourceneffizienz und die Einführung sauberer und klimafreundlicher Technologien sind dabei von entscheidender Bedeutung 5 . Nur so können wir den Herausforderungen des Klimawandels begegnen und eine lebenswerte Umwelt für zukünftige Generationen sichern. 2.3 Konzept Für die konzeptionelle Umsetzung des Einsatzes von Pyrolysekohle in Asphalt sind eine Reihe von Bausteinen/ Handlungsfeldern entscheidend: • Technische Anforderungen: Die technischen Anforderungen des Pyrolysekohle-Asphalts, einschließlich der optimalen Mischgutzusammensetzung und der geeigneten Einbaubedingungen, müssen festgelegt werden. Um eine homogene Verteilung in der Asphaltmischung zu gewährleisten und die gewünschten mechanischen und thermischen Eigenschaften des Asphalts zu erreichen, muss die Pyrolysekohle in geeigneter Größe und Qualität verarbeitet werden. • Kreislaufwirtschaft: Optimierung der Rückführbarkeit der eingesetzten Materialien in Kreisläufe. Rohstoffe sollen möglichst effizient und lange genutzt und Stoff- und Produktionskreisläufe geschlossen werden. Ziel ist es, den Asphalt zu recyceln und seine Nutzungs- und Lebensdauer so weit wie möglich zu verlängern. • C-Senken Potential Pyrolysekohle: Eine umfassende Ökobilanz für die Wirkungskategorie Treibhauspotential, die alle direkten und indirekten Emissionen der Herstellung von Pyrolysekohle berücksichtigt, ist <?page no="177"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 177 «Grüner» Asphalt - Klimafreundlicher Straßenbau mit Pyrolysekohle notwendig, um die C-Senke von Pyrolysekohle-Asphalt effektiv bewerten zu können. • Rohstoffbeschaffung: Für eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Umsetzung von Pyrolysekohle in Asphalt ist eine zuverlässige und nachhaltige Beschaffung von Pyrolysekohle entscheidend. • Regulatorischer Rahmen: Zur Unterstützung und Förderung des Einsatzes von Pyrolysekohle in Asphalt sind klare regulatorische Rahmenbedingungen erforderlich. Dazu gehört auch eine klare Definition der Anforderungen an die Verifizierung und Zertifizierung von C-Senken, die sich aus der Verwendung von Pyrolysekohle in Asphalt ergeben. 2.4 Anwendung, Teststrecken Bereits bei der Analyse der ersten Probemischungen im Labor wurde festgestellt, dass die zugegebene Pyrolysekohle das Mischgut versteift. Pilotstrecke St. Alban - Vorstadt, Basel • September 2022 auf einer Fläche von rund 450-m 2 eingebaut. • Tragschicht AC T 22 N, Zielbindemittel B 50/ 70, Recyclinganteil von 50 %, 2 % PK (0.6-t Pyrolysekohle). • Dadurch wurden ca. 1,2 t CO 2 eq gebunden. • Herstellung des Pyrolysekohle-Asphalts verursachte 1.1 t CO 2 eq, so dass sich eine negative CO 2 eq-Bilanz von -0,1 t CO 2 eq ergibt. Pilotstrecke Eselweg, Rünenberg • September 2023 auf einer Fläche von rund 6,500-m 2 eingebaut. • Binderschicht AC 16 S B 50/ 70, Recyclinganteil von 50 %, 2 % Pyrolysekohle (20 t). • Dadurch wurden ca. 36 t CO 2 eq gebunden. • Herstellung des Pyrolysekohle-Asphalts verursachte 33.5 t CO 2 eq, so dass sich eine negative CO 2 eq-Bilanz von -2.5 t CO 2 eq ergibt. Die Produktion der Pilotstrecke hat ca. 108 Tonnen CO 2 eq emittiert und ca. 36 Tonnen CO 2 eq netto gespeichert, so dass sich für die gesamte Pilotstrecke eine CO 2 eq-Bilanz von 72 Tonnen CO 2 eq ergibt. Somit konnte die CO 2 eq- Bilanz der Strecke durch den Einsatz von Grünem Asphalt um ca. 33 % verbessert werden. Für die Analyse werden die Treibhausgasemissionen entlang der Produktionskette von der Rohstoffgewinnung über die Auf bereitung und den Transport bis zur Asphaltproduktion im Werk nach dem „cradle to gate“-Ansatz (von der Wiege zum Tor) aufsummiert. CO 2 eq-Bilanz Pilotstrecke Binderschicht Grüner Asphalt (Pflanzenkohle-Asphalt) Die CO 2 eq-Bilanz des Grünen Asphalts der Binderschicht AC 16 S B50/ 70 mit 2 M-% zertifizierter Pflanzenkohle, 50 % Recyclinganteil ergibt -1,8 Tonnen CO 2 eq. Dabei wurden ca. 34 Tonnen CO 2 eq bei der Produktion des Asphalts emittiert und 36 Tonnen CO 2 eq im Belag langfristig gespeichert. Streckenabschnitt mit Pflanzenkohle (Grüner Asphalt) Auf dem Streckenabschnitt mit dem Grünen Asphalt wurde die Binderschicht AC B 16 S B50/ 70 mit 2 M-% zertifizierter Pflanzenkohle und einem Recyclinganteil von 50 % sowie 572,5 t Deckschicht AC 11 N B70/ 100 ohne zertifizierte Pflanzenkohle eingebaut. Für die Herstellung des gesamten Streckenabschnitts mit Grünem Asphalt ergibt sich eine CO 2 eq-Bilanz von 17,8 Tonnen CO 2 eq. Das bedeutet, dass durch den Einbau von Grünem Asphalt auf diesem Streckenabschnitt 67 % CO 2 eq eingespart werden. Tabelle 1 CO2eq Bilanz Pflanzenkohle - Asphalt Pilotstrecke Eselweg, Rünenberg, für die gesamte Strecke. Bilanzierung nach Tonnen Grüner Asphalt (Pflanzenkohle-Asphalt) und konventionellem Asphalt. Basierend auf einem „cradle to gate“ Ansatz. Tabelle 1 CO 2 eq Bilanz Pflanzenkohle - Asphalt Pilotstrecke Eselweg, Rünenberg, für die gesamte Strecke. Bilanzierung nach Tonnen Grüner Asphalt (Pflanzenkohle-Asphalt) und konventionellem Asphalt. Basierend auf einem „cradle to gate“ Ansatz. Belagsschicht MG- Sorte Asphalt t RC-Anteil % Dosierung PK % PK t CO 2 eq emittiert t netto C-Senken Potenzial PK t CO 2 eq- Bilanz t Verbesserung CO 2 eq Bilanz (%) Binderschicht AC B 16 S 1,000 50 2.0 % 20.0 34.2 36.0 -1.8 Binderschicht AC B 16 S 1,000 50 0.0 % 0.0 34.2 0.0 34.2 Deckschicht AC 11 N 1,145 50 0.0 % 0.0 39.2 0.0 39.2 Gesamt 3,145 20.0 % 107.6 36.0 71.6 33 % <?page no="178"?> 178 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 «Grüner» Asphalt - Klimafreundlicher Straßenbau mit Pyrolysekohle Gesamte Strecke Die CO 2 eq-Bilanz für den Asphalt der gesamten Strecke beträgt 72 Tonnen CO 2 eq. Dabei wurden ca. 108 Tonnen CO 2 eq durch die Produktion des Asphalts emittiert und 36 Tonnen CO 2 eq im Belag langfristig gespeichert. Es wurden also ca. 72 -onnen CO 2 eq mehr emittiert als durch den Belag gebunden wurden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nur ca. 32 % der Strecke mit Grünem Asphalt eingebaut wurden. Pilotstrecke Freiburgerstraße, Basel • November 2023 - April 2024 • AC F 22 B 50/ 70 (70 % RC - Anteil) • AC T 32 H PmB E 25/ 55-65 (50 % RC-Anteil) • AC B 22 H PmB E 25/ 55-65 (50 % RC-Anteil) • 2.5 % Pyrolysekohle. Ziel: • Kanton Basel-Stadt verbaut jährlich circa 23,500 Tonnen Asphalt. • Durch die Zugabe von 3 % Pyrolysekohle (705 t) und 45 % recycliertem Ausbauasphalt lassen sich somit jährlich 1270 Tonnen CO 2 eq langfristig binden. • Die Bilanz liegt bei rund -450 t CO 2 eq. Der Belag bindet mehr CO 2 eq als er verursacht hat. Literatur [1] Rama, H.-O.; Roberts, D.; Tignor, M.; Poloczanska, E. S.; Mintenbeck, K.; Alegría, A.; Craig, M.; Langsdorf, S.; Löschke, S.; Möller, V.; Okem, A.; Rama, B.; Ayanlade, S. Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability Working Group- II Contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change; 2022. https: / / doi.org/ 10.1017/ 9781009325844. [2] Der Bundesrat. Langfristige Klimastrategie Der Schweiz; Der Bundesrat: Bern, Schweiz, 2021; p-64. [3] Kanton Basel-Stadt. Basel auf dem Weg zu Netto- Null. Kanton Basel-Stadt Klimaschutz. https: / / www. klimaschutz.bs.ch/ (accessed 2023-04-06). [4] Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Klimaschutzstrategie Basel-Stadt Teil 1 - Netto-Null 2037; Teil 1; Regierungsrat des Kantons Basel- Stadt: Basel, Schweiz, 2023; p 59. https: / / www. pd.bs.ch/ ueber-das-departement/ Fachstelle-Klima/ Klimapolitik/ Klimaschutzstrategie-Kanton-Basel- Stadt--Netto-Null-bis-2037.html (accessed 2023- 09-26). [5] Aliyu Yaro, N. S.; Sutanto, M. H.; Habib, N. Z.; Napiah, M.; Usman, A.; Jagaba, A. H.; Al-Sabaeei, A. M. Application and Circular Economy Prospects of Palm Oil Waste for Eco-Friendly Asphalt Pavement Industry: A Review. J. Road Eng. 2022, 2 (4), 309- 331. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jreng.2022.10.001. [6] EBC. EBC (2012-2022) “European Biochar Certificate - Richtlinien Für Die Zertifizierung von Pyrolysekohle”; Version 10.2G; Ithaka Institute: Arbaz, Switzerland, 2022. http: / / www.europeanbiochar.org. [7] Ipcc. Global Warming of 1.5°C: IPCC Special Report on Impacts of Global Warming of 1.5°C above Pre-Industrial Levels in Context of Strengthening Response to Climate Change, Sustainable Development, and Efforts to Eradicate Poverty, 1 st - ed.; Cambridge University Press, 2022. https: / / doi. org/ 10.1017/ 9781009157940. <?page no="179"?> Pflasterbauweisen <?page no="181"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 181 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis Dr.-Ing. Carsten Dierkes H 2 O Research GmbH, Münster Zusammenfassung Wasserdurchlässige Flächenbeläge befestigen Verkehrsflächen wie Anliegerstraßen, Parkplätze, Gehwege oder Hofflächen, ohne diese zu versiegeln. Sie verbessern den urbanen Wasserhaushalt, indem der größte Teil des Regenwassers in Richtung von Baumstandorten und in das Grundwassers versickern kann. Außerdem wirken sie Überflutungen bei Starkregen entgegen. Auch bestehende Flächen können vom Misch- oder Regenwasserkanal abgekoppelt werden. Der Erhalt des natürlichen Wasserhaushaltes ist eine zentrale Forderung des Wasserhaushaltsgesetzes und der aktuell geltenden Regelwerke im Bereich der Entwässerung wie dem DWA-Merkblatt 102-4. Wasserdurchlässige Flächenbeläge aus Betonsteinen gibt es seit den 90er Jahren und sie wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Heute ist eine Regenerierung der Versickerungsleistung nach vielen Betriebsjahren möglich, und aktuelle Neuentwicklungen erhöhen die Verdunstung auf bis zu 50 % im Jahresmittel und kühlen damit aktiv das urbane Mikroklima. Die Anforderungen des Straßenbaus mit den Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) und die Anforderungen der Wasserwirtschaft, vor allem der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) sind zu beachten. Geprüfte Sicherheit für alle Beteiligten ermöglichen allgemeine bauaufsichtliche Genehmigungen des Deutschen Instituts für Bauchtechnik (DIBt) in Berlin. 1. Wasserdurchlässige Flächenbeläge in der Schwammstadt Das Thema Schwammstadt ist allgegenwärtig, Konzepte für eine klimaresiliente Umgestaltung unserer Städte sind angesichts längerer Trockenperioden und intensiverer Starkregen überfällig [1]. Neben Maßnahmen wie Gründächern, Retentionsdächern, begrünten Fassaden, Retentionsspeichern, Regen-wassernutzungsanlagen und Versickerungsanlagen besteht ein großes Potential in der Entsiegelung der Verkehrsflächen, die in den Städten in NRW z. B. bis zu 17 % der Gesamtfläche ausmachen [2], und in den Innenstädten nahezu 40 % betragen können. Wasserdurchlässige Pflasterbeläge bieten hier die Chance, Flächen zu befestigen, ohne diese zu Versiegeln und somit den Wasserhaushalt zu verbessern, indem ein Teil des Regenwassers wieder in Richtung des Grundwassers versickern kann. Der Erhalt des natürlichen Wasserhaushaltes ist eine zentrale Forderung der geltenden Regelwerke [3]. Wasserdurchlässige Flächenbeläge aus Betonsteinen gibt es seit den 90er Jahren und sie wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Heute ist eine Regenerierung der Versickerungsleistung möglich und aktuelle Neuentwicklungen erhöhen die Verdunstung im urbanen Umfeld und kühlen damit aktiv das Mikroklima (Abb. 1) [4]. Für die Planungspraxis gelten die Anforderungen des Straßenbaus mit den Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) und die Anforderungen der Wasserwirtschaft, vor allem der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA). Darüber hinaus können die Beläge eine allgemeine bauaufsichtliche Genehmigung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) erhalten, die unter anderem den Schadstoffrückhalt und somit den Schutz des Grundwassers gewährleistest und eine Regenerierbarkeit der Versickerungsleistung nach vielen Betriebsjahren voraussetzt. Abb. 1: Wasserdurchlässiger Pflasterbelag mit allgemeiner bauaufsichtlicher Genehmigung des DIBt (Foto: Godelmann GmbH & Co. KG) 1.1 Arten von wasserdurchlässigen Pflasterbelägen Grundsätzlich muss zwischen drei verschiedenen Pflastersystemen unterschieden werden. Pflaster mit Sickerfugen leiten das Wasser ausschließlich über die Fuge ab, die damit ausreichend wasserdurchlässig aufgebaut sein muss. Haufwerksporige Betonsteine haben eine poröse Struktur und leiten das Wasser durch den Beton selbst ab. Eine Kombination aus einer wasserundurchlässigen Steinoberfläche und einem haufwerksporigen Kernbeton kann man als Hybridsystem bezeichnen. Außerdem gibt es Systeme mit aufgeweiteten begrünten Fugen oder Aussparungen. Alle Systeme haben spezifische Einsatzbe- <?page no="182"?> 182 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis reiche und Einschränkungen, begrünte Systeme eignen sich zum Beispiel nicht für Fahrbahnen, sondern eher für den ruhenden Verkehr oder temporär befahrene Flächen. 2. Anforderungen und Regelwerke Auf der FGSV-Seite gilt für die Bauweise das 2013 erschienene Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen (MVV) [5], das zurzeit überarbeitet wird. In dem Merkblatt wird auf die Richtlinien für die Anlage von Straßen - Entwässerung (RAS-Ew) [6], also aktuell die Richtlinien für die Entwässerung von Straßen (REwS) [7] verwiesen, diese gelten aber strenggenommen außerhalb von Siedlungsgebieten. Neben den Grundlagen wie Niederschlag und Versickerung, Filterstabilität und wasserwirtschaftlichen Aspekten enthält das MVV Vorgaben zur Planung und Ausführung, Auf bau und Dimensionierung, zu Baustoffen, Anforderungen und Prüfungen für versickerungsfähige Pflasterdecken. Auf Seiten der DWA gilt für die Versickerung das Arbeitsblatt DWA-A 138-1 „Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser - Teil 1: Planung, Bau, Betrieb“ [8]. Ferner gilt teilweise noch das DWA-M 153 „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Regenwasser“ [9] und im Falle einer Einleitung in ein Oberflächengewässer gilt das DWA-A 102-2/ BWK-A 3-2 - „Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer - Teil 2: Emissionsbezogene Bewertungen und Regelungen“ [10]. Strenggenommen gilt das das DWA-A 138-1 aller gs nicht für wasserdurchlässige Flächenbeläge, auf denen ausschließlich das direkt anfallende Niederschlagswasser versickert wird. Dazu heißt es: „Das vorliegende Arbeitsblatt bezieht sich auf die Versickerung von Niederschlagswasser im Sinne der Definition des Abwasserbegriffs nach § 54 WHG [11], also Wasser, das von Niederschlägen aus dem Bereich von befestigten oder bebauten Flächen gesammelt abfließt“ [8]. Bei einem wasserdurchlässigen Flächenbelag wird das Wasser nicht gesammelt und fließt nicht ab. Da Regenabflüsse von Verkehrsflächen ein hohes Schadstoffpotential aufweisen [8, 10] darf eine Versickerung nur mit einer vorherigen Behandlung möglich sein, um das Schutzgut Grundwasser nicht zu gefährden. Insofern sollten aus der Sicht des Grundwasserschutzes zwingend die Vorgaben an die Wasserqualität gemäß DWA-A 138-1 berücksichtigt werden. Die Einleitung in ein Oberflächengewässer über Planumsdrainagen ist eindeutiger geregelt, da das Wasser hier gesammelt abfließt. Ebenso entfällt diese Tatsache, wenn zusätzlich Wasser z. B. von angrenzenden Dachflächen auf die Pflasterfläche geleitet wird. Dies ist allerdings aufgrund der höheren Wasser- und Stofffrachten nicht unproblematisch und z. B. in den allgemeinen bauaufsichtlichen Genehmigungen (aBG) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) für versickerungsfähige Flächenbeläge nicht vorgesehen. 2.1 DIBt Genehmigung Als Zulassungsstelle erteilt das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) in Berlin allgemeine bauaufsichtliche Genehmigungen (abG) für Bauarten, für die es keine allgemein anerkannten Regeln der Technik gibt oder die von diesen wesentlich abweichen. Allgemeine bauaufsichtliche Genehmigungen sind Anwendbarkeitsnachweise von Bauarten im Hinblick auf bautechnische Anforderungen. Abb. 2: Wiederherstellen der Versickerungsfähigkeit nach etwa 10 bis 15 Jahren Betriebsdauer Eine Bauartgenehmigung bedeutet geprüfte Produkte und Systeme. Bezogen auf wasserdurchlässige Flächenbeläge auch Sicherheit bei der Planung, Ausschreibung und fachgerechten Erstellung, da die Bauweise und sämtliche Komponenten exakt definiert, geprüft und beschrieben werden. Ebenso enthalten sind Angaben hinsichtlich des Betriebes und der Wartung (z. B. der Wiederherstellung der Versickerungsfähigkeit) (Abb. 2) sowie Eigen- und Fremdüberwachung der Hersteller. Darüber hinaus sorgt das DIBt-Siegel für vereinfachte Genehmigungsverfahren. In der Summe bietet die Bauartzulassung also deutliche Vorteile für alle Baubeteiligten. Ein DIBt-Zulassungsverfahren für wasserdurchlässige Flächenbeläge besteht seit 2005 und beinhaltet umfangreiche Funktionsprüfungen [12]. Alle Beläge werden eingehend in einem Laborprüfverfahren auf unterschiedliche Parameter untersucht. Darunter auf den Rückhalt von Feststoffen und damit vergesellschafteten Schadstoffen (AFS), Mineralölen (MKW) und gelösten Schwermetallen (SM), den Einfluss von Tausalzen sowie auf die Umweltverträglichkeit der Baustoffe. Verwendet wird eine mehrjährige Jahresfracht der Testsubstanzen nach einem Frachtprinzip, so dass direkt auf das Langzeitverhalten der Beläge geschlossen werden kann. Auch die hydraulischen Leistungsdaten sowie die Regenerierbarkeit des Pflasters nach einem Zusetzen mit Feinstoffen werden bewertet. Die Bauartzulassung bestätigt, dass die Pflasterbauweise dauerhaft wasserdurchlässig ist und relevante Schadstoffe an der Oberfläche zurückhält. Für die Erlangung der abG werden die Anlagen von einer unabhängigen und vom DIBt benannten Prüfstelle auf Ihre Funktion und Umweltverträglichkeit geprüft. Darüber hinaus werden der Betrieb und die Wartung begutachtet. Oberstes Ziel ist der dauerhafte Schutz des Bodens und des Grundwassers nach den jeweils geltenden Regelungen und Richtlinien. Da sich diese unter ande- <?page no="183"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 183 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis rem im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2006/ 118/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzungen und Verschlechterungen (GWRL), die am 16. Januar 2007 in Kraft getreten ist, noch ändern können, wird eine abG für die Dauer von jeweils fünf Jahren ausgestellt. Gegebenenfalls muss dann bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen neu geprüft werden. Somit kann die abG flexibel an die jeweils geltenden gesetzlichen Grundlagen angepasst werden. 2.2 Niederschlag Wie hoch die Versickerungsrate eines wasserdurchlässigen Pflasters sein muss, hängt maßgeblich vom Bemessungsniederschlag ab. Versickerungsanlagen werden mit den regionalen Regendaten des KOSTRA-Atlas bemessen [13], die kostenfrei im Internet zur Verfügung stehen. Allerdings enthalten die abG eine deutschlandweit gültige Regenspende von 270 l/ (s·ha), die dauerhaft versickert werden muss. Im Einzelfall werden gemäß KOSTRA regional höhere Regenintensitäten als 270 l/ (s·ha) erreicht. Die abG und das MVV enthalten allerdings Sicherheitsfaktoren. So wird z. B. zur Ermittlung des Infiltrationswertes k i der Durchlässigkeitsbeiwert k f (Durchlässigkeitsbeiwert bzw. hydraulische Leitfähigkeit eines wassergesättigten Bodens) mit 50 % angesetzt (MVV) oder mit Abminderungsfaktoren belegt (DWA-A 138-1), was in der Praxis zu höheren Sickerleistungen führt. Daher ist die Auslegung auf 270 l/ (s·ha) in der Regel unproblematisch, auch wenn lokal Regenspenden höher ausfallen. 2.3 Oberflächenentwässerung Auch bei wasserdurchlässigen Flächenbeläge kommt es in der Regel nach mehrjähriger Nutzung vereinzelt bei Starkregen zu Oberflächenabflüssen. Bei den Entwässerungsmaßnahmen heißt es im MVV, dass die Oberflächenentwässerung nach den RAS-Ew dimensioniert wird. Strenggenommen gelten diese aber wie schon erwähnt außerhalb von Siedlungsgebieten. Bei der Frage nach Oberflächenabflüssen ist der Abflussbeiwert der Fläche entscheidend. Da die Flächenbeläge mit der Zeit z. B. durch den Reifenabrieb oder organische Feststoffe kolmatieren, wird im MVV ein Abflussbeiwert C von 0,3 bis 0,5 angegeben. Im DWA-A 138-1 wird zwischen zwei verschiedenen Abflussbeiwerten unterschieden, dem Spitzenabflussbeiwert C s und dem mittleren Abflussbeiwert C m . Für die Bemessung des Oberflächenabflusses bei Starkregen ist der Spitzenabflussbeiwert C s maßgeblich. Je nach Art der wasserdurchlässigen Fläche gibt das DWA-A 138-1 hier unterschiedliche Abflussbeiwert an (siehe Tab. 1). Tab. 1: Ausgewählte Abflussbeiwerte gemäß DWA-A 138-1 [9] Nr. Art der Flächen bzw. ihrer Befestigung Spitzenabflussbeiwert C s Mittlerer Abflussbeiwert C m 2 Pflasterflächen mit Fugenanteil > 15 % 0,7 0,60 Verbundsteine mit Sickerfugen, Sicker-/ Drainsteine 0,4 0,25 Rasengittersteine (mit häufigen Verkehrsbelastungen, z. B. Parkplatz) 0,4 0,20 Rasengittersteine (ohne häufige Verkehrsbelastung, z. B. Feuerwehrzufahrt) 0,2 0,10 Auch hier nehmen Beläge mit abG eine Sonderstellung ein, da diese dauerhaft eine Mindest-Durchlässigkeit von 270 l/ (s·ha) aufweisen und diese nachweislich wiederhergestellt werden kann und muss. Damit liegt der mittlere Abflussbeiwert bei C m < 0,1, der Spitzenabflussbeiwert kann im Extremfall aber durchaus auf etwa 0,4 ansteigen. Ob dieser bei der Entwässerungsplanung anzusetzen ist, hängt von der Gestaltung der Oberfläche ab. Ziel sollte es sein, das gesamte Niederschlagswasser auf der Fläche zu halten, wie im nächsten Kapitel erläutert wird. Entgegen den Forderungen der REwS muss das Gefälle von wasserdurchlässigen Verkehrsfläche gemäß MVV nur 1 % betragen, was bei der Planung großer Flächen von Vorteil sein kann. 2.4 Überflutungsnachweis Gemäß MVV sollte oberflächig abfließendes Regenwasser bevorzugt in eine Versickerungsanalage eingeleitet werden. Bei der Planung ist es ratsam, grundsätzlich auch über eine temporäre Zwischenspeicherung auf der Fläche nachzudenken, vor allem wenn keine ausreichenden Grünflächen zur Verfügung stehen. Die DIN 1986-100 [14] und das DWA-A 138-1 [8] fordern für innerstädtische Grundstücke mit einer Bemessungsfläche A Bem (Rechenwert für die Bemessung, der sich aus der Summe aller an die Versickerungsanlage angeschlossenen Teilflächen, multipliziert mit dem jeweils zugehörigen mittleren Abflussbeiwert ergibt) >800 m 2 die Durchführung eines Überflutungsnachweises. Dieser kann direkt mit der wasserdurchlässigen Verkehrsflä- <?page no="184"?> 184 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis che erfolgen. In diesem Fall ist planerisch sicherzustellen, dass ein bestimmtes Volumen an Wasser, welches der Differenz zwischen dem dreißigjährlichen Regenereignis und der Mindest-Infiltrationsrate von 270l/ (s·ha) entspricht, schadlos auf dem Grundstück, also in diesem Fall auf der Fläche verbleibt, ohne abzufließen. Das kann zum Beispiel über ein negatives Dachgefälle oder geeignete Hochborde gewährleistet werden. Das überschüssige Niederschlagswasser versickert dann in den Minuten nach dem Regenereignis (Abb.-3, Abb.-4), an diesem Standort in den Niederlanden wurde ein temporärer Einstau bewusst in Kauf genommen, da der Oberbau des Flächenbelags keine ausreichende Versickerungsrate für Starkregen aufweist. Es kann sogar zusätzlich Wasser von angrenzenden Flächen wie Dächern aufgenommen werden, so dass der Regen- oder Mischwasserkanal und der Vorfluter nicht belastet werden. In diesem Fall können sowohl der Spitzenabflussbeiwert C s als auch der mittlere Abflussbeiwert C m mit 0,0 angesetzt werden, da kein Wasser von der Fläche abfließen kann. 2.5 Untergrund und Grundwasserflurabstand Hydraulische Anforderungen an den Untergrund enthalten sowohl MVV als auch das DWA-A 138-1. Gemäß MVV muss der Untergrund einen Mindestk f -Wert von > 5 · 10 -5 m/ s oder einen k i -Wert > 3·10 -5 m/ s aufweisen, die durchlässige Schicht sollte eine Mindest- Mächtigkeit von einem Meter haben. Bei einer geringeren Durchlässigkeit sind bautechnische Maßnahmen zu ergreifen, z. B. die Erhöhung der Frostschutzschicht oder die Anordnung von Planumssickerschichten mit Drainage nach RAS-Ew mit Einleitung in einen Vorfluter oder Regenwasserkanal. Das A 138 definiert den k f -Wert-Bereich, in dem Versickerungsanlagen eingesetzt werden sollten zwischen 1 · 10 -3 m/ s und 1-·-10 -6 -m/ s. Wasserdurchlässige Flächenbeläge können aber problemlos bis zu einem k f -Wert von 1 · 10 -7 -m/ s eingesetzt werden, bei noch geringeren Durchlässigkeiten ist eine Teil-Versickerung möglich, wie sie im DWA-A 138-1 beschrieben wird. Abb. 3: Wasserdurchlässiger Flächenbelag direkt nach einem Starkregen Abb. 4: Wasserdurchlässiger Flächenbelag fünf Minuten nach einem Starkregen Alternativ können gemäß MVV aber auch die örtlichen Regenspenden aus dem KOSTRA-Atlas für die Mindest- Infiltrationsrate verwendet werden. „Die Mächtigkeit des Sickerraums sollte, bezogen auf den mittleren höchsten Grundwasserstand (MHGW), grundsätzlich mindestens 1 m betragen. In Ausnahmefällen kann der Sickerraum bei geringer stofflicher Belastung der Niederschlagsabflüsse auch weniger als 1 m, jedoch mindestens 0,5 m, betragen“ [8]. Dabei bezieht sich das DWA-A 138-1 auf die Strecke zwischen der Unterkante der Versickerungsanlage und dem MHGW, das wäre bei Pflasterbelägen das Planum. Das MVV geht von einem Mindest-Abstand von der Oberkante der Pflasterfläche zum MHGW von 2,0 m und einem Mindest-Abstand von der Oberkante Unterbau/ Untergrund von 1,0 m aus. Gemäß den abG muss abweichend hiervon der Grundwasserflurabstand zwischen der Oberkante der Pflasterfläche und dem MHGW mindestens 1,0 m betragen. 2.6 Bestimmung der Wasserdurchlässigkeit Das DWA-A 138-1 enthält Vorgaben zur Durchführung und Bewertung von Verfahren zur Bestimmung der Wasserdurchlässigkeit. Für die Bestimmung der Durchlässigkeit des Bodens und der Trag- und Frostschutzschicht können diese Verfahren auch bei wasserdurchlässigen Flächenbelägen angewendet werden. Zu bevorzugen sind immer in-situ Methoden mit möglichst großen Messflächen wie z. B. eine Doppelring-Infiltrometer Messung. Zur Prüfung der spezifischen infiltrationsrate von Pflasterflächen sind die Verfahren nur bedingt geeignet. Bei allen Verfahren wird mit einem gewissen Überstau gearbeitet. Das ist bei Versickerungsanlagen mit Speicherfunktion (Mulden, Rigolen) auch sinnvoll, bei wasserdurchlässigen Flächenbelägen bedeutet ein minimaler Aufstau des Wassers in der Praxis aber, dass Oberflächenabfluss entsteht. Daher sollte mit möglichst geringem hydrostatischem Druck gemessen werden, da sonst die Versickerungsraten überschätzt werden. Das MVV empfiehlt das Doppelring-Infiltrometer und das Tropf-Infiltrometerverfahren (Abb. 5), bei dem ein Regen simuliert und der Aufstau auf der Fläche sehr geringgehalten wird. Darüber hinaus wird ein Schnelltest <?page no="185"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 185 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis beschrieben, mit einem 300 mm Messing-Ring, der z. B. mit einer Gipsschlämme gegenüber dem Untergrund abgedichtet wird. Das erste Verfahren liefert die genauesten Ergebnisse, bei dem Schnelltest ist zu beachten, dass Wasser aus dem Ring auch seitlich in den Untergrund versickern kann. Eine Auswertung der Prüfergebnisse ist beschrieben. Abb. 5: Durchführung einer Tropf-Infiltrometer-messung Gemäß DWA-A 138-1 wird die Infiltrationsrate k i für die Bemessung als Produkt aus dem ermittelten Durchlässigkeitsbeiwert (bevorzugt aus einem Feldversuch) und einem Korrekturfaktor berechnet. Im einfachen Verfahren wird die Infiltrationsrate vereinfachend konstant angenommen, in der Realität verändert sie sich über den zeitlichen Verlauf des Regenereignisses. Örtliche Einflüsse, wie z. B. Bodenstruktur, Bodenverdichtung und Makroporen führen zu großen Bandbreiten der Durchlässigkeitsbeiwerte. Daher setzt sich der Korrekturfaktor aus einem örtlichen Korrekturfaktor (zwischen 0,1 und 1,0 je nach Kenntnisstand der örtlichen Verhältnisse) und einem Korrekturfaktor für die Bestimmungsmethode zusammen, der zwischen 0,1 für Laborverfahren mit gestörten Proben oder Sieblinienauswertungen und 1,0 für großflächige Feldversuche in Testgruben/ Probeschürfen (≥ 1 m 2 ) liegt. Doppelring- Infiltrometer-Messungen und Tropf-Infiltrometer-Messungen können mit 0,9 angesetzt werden, gelten daher als sehr genau. 2.7 Einsatz in Wasserschutzgebieten Unter den wasserwirtschaftlichen Aspekten heißt es im MVV, dass die Herstellung versickerungsfähiger Verkehrsflächen in Wasserschutzgebieten nach den „Richtlinien für bautechnische Maßnahmen an Straßen in Wasserschutzgebieten“ (RiStWaG) auszuschließen ist [15]. Die RiStWaG gelten allerdings strenggenommen außerhalb von Siedlungsgebieten, und hier ist ein wichtiger Aspekt zu berücksichtigen. Bei wasserdurchlässigen Flächenbelägen mit abG werden die gesetzlichen Anforderungen des Boden- und Gewässerschutzes erfüllt, damit ist das Sickerwasser qualitativ ähnlich wie Wasser nach einer Oberbodenpassage zu bewerten. Je nach Wasserschutzgebietsverordnung kann solches gereinigtes Niederschlagswasser in den Schutzzonen III A und III B nach Abstimmung mit der zuständigen Wasserbehörde versickert werden. Diese Forderung des MVV ist also aus wasserwirtschaftlicher Sicht pauschal nicht immer gültig und sollte im Einzelfall geprüft werden. 3. Planung Für die Planung sind die verkehrlichen Belastungsklassen, die Beschaffenheit des Bodens sowie der Auf bau und die Materialwahl des Oberbaus von Bedeutung. 3.1 Belastungsklassen nach RStO Verkehrsflächen werden gemäß den RStO in sieben Belastungsklassen eingeordnet. Die Einteilung richtet sich nach der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B, die als „äquivalente 10-Tonnen-Achsübergänge“ angegeben wird [16]. Dabei erfolgt die Berechnung auf Grundlage der örtlichen Gegebenheiten und voraussichtlichen Nutzungszeit sowie vor allem nach der zu erwartenden Beanspruchung. Die RStO lassen sich anwenden für Fahrbahnen und sonstige Verkehrsflächen wie z. B. Busverkehrsflächen, Parkflächen oder Rad- und Gehwege. Ausgenommen sind private Bauvorhaben wie etwa Hofflächen, Gartenwege, Garagenzufahrten oder gewerblich genutzte Flächen. Eine Bemessung in Anlehnung an die RStO ist gleichwohl ratsam. Wasserdurchlässige Pflaster lassen sich bis zur Bauklasse 1.8 anwenden. 3.2 Anforderungen an den Untergrund Zunächst ist zu klären, ob der anstehende Boden bzw. Untergrund bezüglich der Wasserdurchlässigkeit, Tragfähigkeit, des Grundwasserspiegels oder Kontaminationen aus Vornutzungen geeignet ist. Entscheidend für eine planmäßige Versickerung ist die ausreichende Durchlässigkeit aller Schichten, so auch des anstehenden Bodens bzw. Untergrundes oder des eventuell erforderlichen Unterbaus. Liegt die Durchlässigkeit des Untergrundes bzw. Unterbaus unter 5 · 10 -5 m/ s sind bautechnische Maßnahmen wie erhöhte Frostschutz- oder Tragschichten erforderlich. Eine weitere effektive Lösung sind Planumssickerschichten nach den RAS-Ew [6] mit Drainage und Anschluss an einen Regenwasserkanal oder Vorfluter. Das Verformungsmodul E v2 sollte größer als 45 MN/ m 2 sein, dies ist nach DIN 18134 [5] (Plattendruckversuch) nachzuweisen. Niedrigere Werte erfordern einen Bodenaustausch oder eine Bodenverbesserung. 3.3 Anforderungen an den Oberbau Verkehrsflächen mit Pflasterbelägen gewinnen ihre Stabilität primär aus dem Oberbau, über den die Belastungen in den Untergrund abgeleitet werden. Der Oberbau selbst besteht aus den Tragschichten und der Pflasterdecke mit Betonpflastersteinen, Bettung und Fugenfüllung (Abb. 6). Die Dimensionierung der Schichtdicken erfolgt gemäß den RStO [16]. <?page no="186"?> 186 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis Wichtig für die Dimensionierung der Schichten sind die Verkehrsbelastung sowie die örtliche Frosteinwirkung und Frostempfindlichkeit des anstehenden Untergrundes nach RStO [12] und ZTVE-StB 17 [17]. Bietet der Untergrund eine ausreichende Durchlässigkeit von ≥ 5,4·10 -5 m/ s (Frostempfindlichkeitsklasse F1), richtet sich die Dimensionierung nach der Verkehrsbelastung. Bei geringerer Durchlässigkeit zwischen 5,4- ·- 10 -5 -m/ s und 1-·-10 -6 m/ s (Frostempfindlichkeitsklassen F2 und F3) muss die Dicke der Tragschichten um 10-cm bis 20-cm erhöht werden. Bei noch niedrigeren Werten muss eine angepasste Planumsentwässerung angeordnet werden. Dabei wird das Wasser aus dem Oberbau abgeleitet und über z. B. Rigolen oder Dränrohre in versickerungsfähige Bereiche oder ein Oberflächengewässer geleitet. Abb. 6: Auf bau eines Pflasterbelags Die Kernaufgabe der Frostschutzschicht besteht darin, die gesamte Konstruktion vor Frostschäden zu schützen. Aufgrund der nötigen Durchlässigkeit und Tragfähigkeit eignen sich für ungebundene Frostschutzschichten nur korngestufte Kies- oder Schottertragschichten mit geringem Feinkornanteil. Für den Sieblinienverlauf der Baustoffgemische empfiehlt sich der untere bis mittlere zulässige Sieblinienbereich nach den TL SoB-StB 20 [18]. So wird eine möglichst hohe Durchlässigkeit bei ausreichender Tragfähigkeit erreicht. Die Tragschichten müssen mit Vorsicht verdichtet werden, das Verformungsmodul E v2 auf Oberfläche muss aber mindestens 120 MN/ m 2 aufweisen, der Nachweis erfolgt nach DIN 18134 [6] (Plattendruckversuch) unter Berücksichtigung der Durchlässigkeit. Die Durchlässigkeit muss größer als 5,4- ·-10 -5 m/ s sein, die Messung erfolgt nach DIN 18130 [19] oder vor Ort durch Infiltrationsversuche. Der Feinkornanteil < 0,063-mm sollte gemäß den TL SoB-StB 20 [18] kleiner gleich 3-% sein. 3.4 Anforderungen an die Pflasterdecke Das Fugen- und Bettungsmaterial muss durchlässig sein und zudem über eine hohe Kornfestigkeit verfügen. Zu vermeiden sind Kornzertrümmerungen, sie würden die Filterstabilität und somit die hydraulische Leistung der Pflasterdecke beeinträchtigen. In diesem Falle staut sich das Wasser im Belag ein und es kommt zwangsläufig zu Schäden. Zweckmäßig sind natürliche Gesteinskörnungen gemäß den TL Gestein-StB 04/ 23 [20]. Für die Bettungs- und Fugenmaterialien gilt eine Durchlässigkeit größer gleich 5,4- ·-10 -4 m/ s. Unterschiedliche Gesteinskörnungen für Bettung und Fugen erfordern den Nachweis der Filterstabilität. Von besonderer Bedeutung ist der Kornzertrümmerungswert nach DIN EN 1097-2 [21], der den Klassen SZ 18 oder SZ 22 entsprechen muss. Für die Betonsteine gelten die DIN EN 1338 [22] bzw. für haufwerksporige Betonsteine die DIN 18507 [23]. 3.5 Anforderungen an den Einbau Auch für den Einbau der Beläge gibt es konkrete Vorgaben. Da die Beläge empfindlich auf Feinststoffe reagieren, müssen alle Baustoffe mit bindigen Bestandteilen zwingend von den Flächen ferngehalten werden. Auf keinen Fall dürfen Schüttstoffe auf fertig gepflasterten Flächen zwischengelagert werden. Von Haufwerken in der Nähe der Flächen dürfen bei Regen keine Abflüsse mit Feinstbestandteilen auf die Flächen gelangen. Für Arbeiten an Beeten oder Bepflanzungen in direkter Angrenzung an die wasserdurchlässigen Flächen gelten spezielle Anforderungen. So sollten diese bereits vor Einbau der Flächenbeläge fertiggestellt sein und in jedem Fall ist sicherzustellen, dass kein Wasser von diesen unbefestigten Flächen auf die Pflasterfläche abfließt (Erosionskontrolle). 4. Betriebliche Hinweise Eine dauerhafte Funktion wasserdurchlässiger Flächenbeläge ist nur bei einem ordnungsgemäßen Betrieb gewährleistet. Dieser Beinhaltet neben der Reinigung vor allem die Regenerierung der Versickerungsfähigkeit und die richtige Wahl der abstumpfenden Mittel oder Tausalze im Winterdienst. 4.1 Verblockung und Regenerierung Eine zentrale Frage stellt das Thema Dauerhaftigkeit dar. Das System funktioniert nur dann langfristig, wenn die Versickerungsfähigkeit dauerhaft, das heißt über den gesamten Nutzungszeitraum der Flächen zwischen 30 und 40 Jahren aufrechterhalten werden kann. Wie alle wassertechnischen Anlagen bedeutet dies im Betrieb regelmäßige Wartungsbzw. Reinigungsmaßnahmen. Diese sind allerdings im Vergleich mit anderen Anlagen der Regenwasserbewirtschaftung als gering einzustufen. Ergebnisse von Forschungsprojekten zeigen, dass bei qualifiziert eingebauten wasserdurchlässigen Pflasterbelägen die Durchlässigkeiten auch nach mehreren Jahren im Betrieb in den allermeisten Fällen ausreichend hoch sind, das heißt gemäß MVV mindestens 270 l/ (s·ha) betragen. Eine entsprechende Untersuchung von Nolting [24] zeigte, dass von 23 untersuchten Belägen mit einem Alter zwischen 4 und 7 Jahren 21 noch ausreichende Durchlässigkeiten aufwiesen. Zu ähnlichen Erkenntnissen kam der Autor nach Messungen an verschiedenen Flächenbelägen im Alter zwischen 3 und 15 Jahren. Boogaard et al. [25] gingen der Frage nach, wie hoch die Versickerungsrate bei alten Belägen ist, die nicht entsprechend den Vorgaben geprüft und gereinigt worden waren. Die Ergebnisse sprechen für die Bauweise. Die mittleren <?page no="187"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 187 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis Durchlässigkeiten von solchen Flächenbelägen lagen in der Regel bei etwa 100 l/ (s·ha) oder höher [25]. Die geforderten 270 l/ (s·ha) wurden zwar nicht überall erreicht, allerdings konnten selbst diese Flächenbeläge eine Wassermenge entsprechend der Misch- oder Trennkanalisation aufnehmen. Um eine ausreichende Wasserdurchlässigkeit dauerhaft zu gewährleisten, sollten gemäß Anforderungen des Deutschen Instituts für Bautechnik Messungen der Durchlässigkeit alle zehn Jahre erfolgen. Aufgrund der Ergebnisse dieser Messungen kann dann entschieden werden, ob eine Reinigung erfolgen muss, was bei Werten unter 270 l/ (s·ha) erforderlich wäre. Die Reinigung erfolgt mit einem Spül-/ Saugverfahren, welches mittlerweile von einigen Unternehmen angeboten wird. Es existieren sowohl Maschinen mit Handbetrieb für Flächen kleiner als 500 m 2 als auch Maschinen für die Reinigung von Großflächen. 4.2 Winterdienst Betriebliche Hinweise werden im MVV gegeben, da das DWA-A 138-1 den Einsatz wasserdurchlässiger Beläge nicht explizit berücksichtigt. Hier ist aus wasserwirtschaftlicher Sicht vor allem der Einsatz von Tausalzen im Winterdienst zu nennen, da diese die Beschaffenheit der Grundwasserleiter beeinträchtigen. Laut MVV sollen das „Merkblatt für den Winterdienst auf Straßen“ sowie die TL-Streu beachtet werden. Auftaumittel sollen bei versickerungsfähigen Befestigungen von Verkehrsflächen nicht verwendet werden. Bei gefügedichten Pflasterflächen soll z. B. mit Split 2/ 5 mm gestreut werden. Hier soll ergänzt werden, dass es zu den gängigen Auftaumitteln auf Basis von NaCl, MgCl oder CaCl auch Alternativen gibt, die weder korrosiv für Beton noch kritisch für das Grundwasser sind. Verkehrsflughäfen z. B. verwenden zur Enteisung ihrer Pisten organische Salze. Diese verursachen keine Korrosion und wirken auch bei niedrigen Temperaturen. Sie belasten den Boden und das Grundwasser wesentlich geringer als herkömmliches Streusalz und sind daher eine Alternative, falls Salze verwendet werden müssen [26]. Das DWA-A 138 schreibt dazu, dass Chlorid aus dem Winterdienst in keiner Behandlungsanlage zurückgehalten werden kann, eine Konzentrationsminderung erfolgt nur über die Verdünnung im Grundwasser. Eine direkte Vorgabe für den Winterdienst gibt es nicht, ein Einsatz von Tausalzen wird nicht ausgeschlossen. 5. Wasserhaushalt und Verdunstung Die neueste Generation wasserdurchlässiger Beläge hat zusätzliche zu der Versickerungsleistung auch höhere Verdunstungsraten, um den Wasserhaushalt auf Verkehrsflächen ins Gleichgewicht zu bringen und aktiv der Überhitzung der urbanen Räume entgegenzuwirken. Daher lassen sie sich ideal in das Schwammstadtprinzip integrieren. 5.1 Untersuchtes Pflastersystem Ein Pflasterstein mit einem dreischichtigen Auf bau wurde über mehrere Jahre auf den Wasserhaushalt untersucht (Abb. 7). Die wasserundurchlässige Vorsatzschicht des dreischichtigen Pflastersteins reflektiert Wärmeeinstrahlung und reduziert Lärmemissionen. Über die Fugen gelangt das Regenwasser gefiltert in einen haufwerksporigen Beton. Dieser Kernbereich dient als Speicherschicht. Dank seiner offenporigen Gestaltung kann er wie ein Schwamm Regenwasser aufnehmen und wieder abgeben. Die feinporige untere dritte Schicht ist als Kapillar-Schicht weniger durchlässig, speichert dadurch mehr Feuchtigkeit und hält das Wasser im Stein, so dass mehr Feuchtigkeit an die Luft abgegeben werden kann. Der Versickerungs- und Verdunstungsprozess verläuft über eine mindestens 5 mm breite Fuge bei einem flächenbezogenen Fugenanteil von 5 bis 10 %. 5.2 Lysimeteranlage Lysimeter haben das Ziel, den Wasserhaushalt von Versuchsflächen oder -auf bauten zu ermitteln. Dazu können Sickerwasserabflüsse und Oberflächenabflüsse gemessen werden und über längere Zeiträume die Verdunstung berechnet werden. In der Regel bestehen die Lysimeter aus abgeschlossenen Versuchswannen. Um möglichst geringe Randeinflüsse zu haben, sollte die Seitenflächen der Lysimeter nicht von der Sonne beschienen werden, also sollte die Konstruktion am besten in den Boden eingebaut werden. Abb. 7: Auf bau des dreischichtigen Betonsteins (Quelle: Godelmann GmbH & Co. KG) In einer Lysimeteranlage in Fensterbach wurden Testflächen eingebaut, auf denen Messungen des Oberflächen- und Sickerwasserabflusses durchgeführt wurden. Um den langfristigen Wasserhaushalt des Pflastersystems zu messen, wurden Lysimeter gemäß Abb. 8 gebaut. Hierzu wurden im Bereich der Tragschicht eine Wanne aus Edelstahl mit einem Metallrost aus verzinktem Stahl eingebaut. Die Abmessung der Auffangwanne beträgt 1000-mm x 1000-mm. Auf den Gitterrost wurde eine Edelstahlgaze mit einer Maschenweite von 63 µm verlegt, damit die Feinanteile der Bettung nicht ausgewaschen werden. <?page no="188"?> 188 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis Abb. 8: Auf bau eines Lysimeters Auf diese Gaze folgte der Auf bau einer 4 cm mächtigen Bettungslage aus einem Split der Kornabstufung 2/ 5. Aus der Wanne verläuft eine Rohrleitung DN 40 aus PVC in einen Messschacht DN 400 aus Polypropylen, der ebenerdig eingegraben wurde (Abb. 9). Oberflächig ablaufendes Wasser wird an einer Seite über eine Ablaufrinne aufgefangen und ebenfalls über eine Rohrleitung DN 40 in den Messschacht geführt. Die Testfläche weist ein Gefälle von 1 % in Richtung der Ablaufrinne auf. Seitlich sind Edelstahl-Leitbleche angefügt, damit auch bei einem Aufstau kein Wasser seitlich abfließen kann. In dem Messschacht wurden Kippzähler eingebaut. Dabei handelt es sich um modifizierte Regenmesser, bei denen das Wasser über einen Trichter auf eine Kippwaage geleitet wird. Abb. 9: Einbau der Lysimeterwanne und des Messschachtes Außerdem wurde ein Regenmesser mit Datenlogger im Bereich des Messfeldes aufgebaut, um auch die Niederschläge aufzuzeichnen. 5.3 Ergebnisse der durchgeführten Messungen Im Folgenden sind die Ergebnisse über drei hydrologische Jahre von November 2021 bis Oktober 2024 erläutert. Aus den Messwerten des Niederschlages und des Sickerwassers des Flächenbelage wurden zunächst Tagesdaten berechnet, da für die jährliche Verdunstungsrate keine hochaufgelösten Daten der Regenereignisse notwendig sind. Die Jahres-Verdunstung wurde als die Differenz zwischen Niederschlag und Sickerwasserabfluss zuzüglich Oberflächenabfluss berechnet. Abb. 10 zeigt exemplarisch die Monatssummen des Niederschlages und des Sickerwassers des hydrologischen Jahres 2024. Es ist zu erkennen, dass der Sickerwasseranteil im Winter deutlich höher ist als im Sommer. Der November, der Mai und der September zeigten jeweils mehr als 100 mm Niederschlag. Trockenster Monat war der März mit etwa 20 mm Niederschlag. Tab. 2 enthält die Jahreswerte der drei Messjahre 2022 bis 2024. 2023 war das trockenste Jahr mit 578 mm Niederschlag während 2024 das nasseste Jahr mit 797 mm Niederschlag war. Die Verdunstung betrug 2022 48,4 %, 2023 48,8 % und 2024 51,5 %, also im Mittel über die drei Messjahre etwa 50 %. <?page no="189"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 189 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis Abb. 10: Monatswerte von Niederschlag und Sickerwasser des Jahres 2024 Tab. 2: Berechnung der Jahresverdunstung für die hydrologischen Jahre 2022 bis 2024 Hydro-logisches Jahr Niederschlag [mm] Sicker-wasser [mm] Verdunstung [%] 2022 644 332 48,4 2023 578 296 48,8 2024 797 367 51,5 6. Fazit Wasserdurchlässige Flächenbeläge müssen im Rahmen der blau-grünen Stadtentwicklung, auch als Schwammstadtprinzip bezeichnet, stärkere Anwendung finden, da die zunehmende Versiegelung im Kontext der häufiger auftretenden Starkregenereignisse kritisch zu bewerten ist. Blau-grün sollte mit einem ökologischen korrekten Grau kombiniert werden, damit auch die Verkehrsflächen ihren Beitrag zur wasser-wirtschaftlichen Transformation der urbanen Räume leisten können. Wasserdurchlässige Pflasterbeläge entsprechen allen geltenden Regelwerken in Deutschland, mit einer allgemeinen bauaufsichtlichen Genehmigung des Deutschen Instituts für Bautechnik behandeln sie das Regenwasser zum Schutz des Grundwassers und ihre Versickerungsfähigkeit kann auch nach mehreren Betriebsjahren wieder hergestellt werden, so dass sie über die gesamte Standzeit funktionieren. Durch ihre hohe Infiltrationsrate wirken sie Überflutungen bei Starkregen entgegen und kühlen über ihre Verdunstungsleistung das urbane Mikroklima. Ein idealer und wichtiger Baustein für die lebenswerte Stadt der Zukunft. Literatur [1] Neunteufel, B., König, A., Muschalla, D. (2023): Dezentrale Niederschlagswasserbewirtschaftung - Begriffe, Definitionen und Regelwerk.-Österr. Wasser- und Abfallwirtschaft September 2023, https: / / doi.org/ 10.1007/ s00506-023-00990-w [2] Landesbetrieb IT.NRW (2024): Sieben Prozent der NRW-Landesfläche sind Flächen für Verkehr.- [online] https: / / www.it.nrw/ sieben-prozent-der-nrwlandesflaeche-sind-flaechen-fuer-verkehr-18075, abgerufen am 20.07.2024 [3] DWA (2022): Merkblatt DWA-M 102-4/ BWK-M 3-4 - Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer - Teil 4: Wasserhaushaltsbilanz für die Bewirtschaftung des Niederschlagswassers - März 2022.- Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. [4] Dierkes, C. Lucke, T., Hulsman, H., Vergroesen, T. (2016): Permeable pavements as effective method to restore the urban water balance.- Conference Paper, 4th IAHR Europe Congress, 27-29 July, Liege, Belgium. [5] FGSV (2013): MVV: Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen.- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln. [6] FGSV (2005): RAS-Ew: Richtlinien für die Anlage von Straßen - Teil: Entwässerung.- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln. [7] FGSV (2022): Richtlinien für die Entwässerung von Straßen.- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln. [8] DWA (2020): DWA-A 138-1 - Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser - Teil 1: Planung, Bau, Betrieb - Entwurf November 2020.- Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. [9] DWA (2007): DWA-M 153, Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Regenwasser, August 2007.- Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. [10] DWA (2020): DWA-A 102-2/ BWK-A 3-2 - Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer - Teil 2: Emissionsbezogene Bewertungen und Regelungen - Dezember 2020.- Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. [11] WHG (2009): Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushaltes, Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I Seite 2585), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I Seite 1408) geändert worden ist. <?page no="190"?> 190 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Was können Verkehrsflächen für die Schwammstadt leisten? - Die wasserdurchlässige Pflasterbauweise in Theorie und Praxis [12] Deutsches Institut für Bautechnik (2005): Zulassungsgrundsätzen für Niederschlagswasserbehandlungsanlagen Teil 2 für Abwasser behandelnde Flächenbeläge.- DIBt Berlin, unveröffentlicht. [13] KOSTRA-DWD-2020 (2020): Starkniederschlagshöhen für Deutschland. Deutscher Wetterdienst, Offenbach; abrufbar z. B. über www.openko.de [14] DIN 1986-100 (2016): Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke - Teil 100: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 752 und DIN EN 12056, Ausgabe 2016-12, Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin. [15] FGSV (2016): RiStWag: Richtlinien für bautechnische Maßnahmen an Straßen in Wassergewinnungsgebieten.- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln. [16] FGSV (2024): RStO 12/ 24: Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen; ; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. [17] FGSV (2017): ZTVE-StB 17: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. [18] FGSV (2020): TL SoB-StB 20: Technische Lieferbedingungen für Baustoffgemische zur Herstellung von Schichten ohne Bindemittel im Straßenbau; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. [19] DIN 18130-2: 2015-08: Baugrund, Untersuchung von Bodenproben - Bestimmung des Wasserdurchlässigkeitsbeiwerts - Teil 2: Feldversuche. [20] FGSV (2023): TL Gestein-StB 04/ 23: Technische Lieferbedingungen für Gesteinskörnungen im Straßenbau.- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. [21] DIN EN 1097-2: 2020-06: Prüfverfahren für mechanische und physikalische Eigenschaften von Gesteinskörnungen - Teil 2: Verfahren zur Bestimmung des Widerstandes gegen Zertrümmerung; Deutsche Fassung EN 1097-2: 2020. [22] DIN EN 1338: 2003-08, DIN EN 1338 Berichtigung. 1: 2006-11: Pflastersteine aus Beton - Anforderungen und Prüfverfahren. [23] DIN 18507-1: 2024-06: Pflastersteine aus haufwerksporigem Beton - Teil 1: Begriffe, Anforderungen und Prüfungen. [24] Nolting, B. (2006): Langzeitverhalten wasserdurchlässiger Flächenbeläge.- 7. Kölner Kanal Kolloquium 06. und 07. September 2006 im Maternushaus, Köln. Hrsg.: TH Aachen, Institut für Siedlungswasserwirtschaft -ISA- Aachen: 2006. S.11/ 1-11/ 15. [25] Boogaard, F., Lucke, T., Beecham, S. (2014): Effect of Age of Permeable Pavements on Their Infiltration Function.- CLEAN - Soil, Air, Water, Special Issue: Surface Water Management Using Sustainable Drainage - SUDS, Volume 42, Issue 2, pages 146-152. [26] Deml, K. (2012): Von der Landebahn auf die Quartierstraße? .kommunalmagazin.ch, Nr. 4 August/ September 2012. <?page no="191"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 191 Versickerungsfähige Pflasterbauweise Ein Schlüssel zur Ressourcenschonung im Straßenbau? Alexander Eichler, Technischer Betriebswirt Lithonplus GmbH & Co. KG, Elchingen Zusammenfassung Im Vortrag „Versickerungsfähige Pflasterbauweise - Ein Schlüssel zur Ressourcenschonung im Straßenbau“ werden die technischen Hintergründe dieser Bauweise vor dem dringlichen Ziel des Klimaschutzes und der Ressourcenschonung beleuchtet. Versickerungsfähige Flächenbefestigungen liefern dabei einen aktiven Beitrag zum Umgang mit der Ressource Regenwasser, greifen positiv in den Wasserhaushalt ein und haben über eine wassersensible Stadtgestaltung positive Auswirkungen auf das Kleinklima. In diesem Kontext wird auch der „graue“ Baustoff Beton durchleuchtet. Durch den Einsatz von CO 2 optimierten Zementen, Ökostrom in der Herstellung sowie die Zugabe von Recyclingmaterialien tun sich ungeahnte Potentiale auf. Unser aller Ziel sollte das harmonische Miteinander von H 2 O in allen Formen der Siedlungswasserwirtschaft, Bepflanzungen und Flächenbefestigungen, als die Ausrichtung auf eine „blau, grün und graue Infrastruktur“ sein. Die Idee dieser ineinandergreifenden und abgestimmten Infrastruktur kann im Zusammenspiel von Wasser und Pflanzen im urbanen Raum auch in Zeiten des Klimawandel weiterhin ein angenehmes Wohnen und Arbeiten in den Zentren unseres Lebens ermöglichen. Versicherungsfähige Verkehrsflächen „Versicherungsfähige Verkehrsflächen“ dienen als alternative und ergänzende Entwässerungslösungen und können einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Ausrichtung städtischen Flächenbefestigung leisten. Das Regelwerk schließt seinen Kreis mit dem Merkblatt „Versickerungsfähige Verkehrsflächen“ (MVV) hinsichtlich grundlegender Anforderungen an diese Bauweise. Als „Versickerungsfähige Verkehrsflächen“ werden Flächenbefestigungen bezeichnet, die zu einem gewissen Maß Niederschlagswasser ohne nennenswerten Rückhalt durchlassen und den natürlichen Wasserkreislauf nicht behindern. Dies können offenporigen Befestigungen mit Dränbeton oder Drainasphalt sein oder im Vortrag behandelten Pflasterflächen, welche zumeist mit durchlässigen Fugenfüllungen verlegt werden. Der Umweltaspekt muss auf die spätere Nutzung eingehen, so dass eine Gefährdung von Boden und Grundwasser kategorisch ausgeschlossen ist. Insbesondere dürfen keine Altlasten auf der zu bauenden Anlage vorhanden sein. Des Weiteren darf auf wasserdurchlässigen Flächenbefestigung kein Umgang mit wassergefährdenden Stoffen erfolgen. Eine weitere Voraussetzung sind geeignete Tragschichten. Hier können genauso klassische Tragschichten ohne Bindemittel wie offenporig gebundene Tragschichten zum Einsatz kommen. Zur Sicherung der Filterstabilität verweist das Merkblatt auf durch Geotextile. Spezielle Geokunststoffe, wie Aquatextilien, können Schadstoffe wie z. B. Kohlenwasserstoffe zurückhalten und abbauen. Die Durchlässigkeit der Schichten sollte auch bauseits durch einen Schnelltest überprüft werden. Exkurs - Schnelltest „Wasserdurchlässigkeit“ Der Schnelltest mit 2 l Wasser dient der einfachen, qualitativen Abschätzung der Wasserdurchlässigkeit von Tragschichten und gibt Hinweise zur Durchlässigkeit von versickerungsfähigen Schichten. Die ermittelte Ausflusszeit von 10 Minuten entspricht etwa einer Ausflussgeschwindigkeit von 5*10-5 m/ s. Wegen der vereinfachten Versuchsbedingungen kann das Ergebnis nicht einem Durchlässigkeitsbeiwert „kf“ gleichgesetzt werden. Pro 1000 m² zu überprüfende Fläche sollten drei Schnelltests durchgeführt werden. Bei inhomogenen Voraussetzungen sind die Anzahl der Prüfungen so festzulegen, dass eine Einschätzung der Durchlässigkeit der Gesamtfläche möglich ist. Durchführung des Schnelltests Ein Prüfring (z. B. KG-Rohr, Flanschrohr) mit 300-mm Durchmesser wird auf die abgedichtete Oberfläche der zu prüfenden Schicht gelegt. Die Abdichtung (Schnellzement oder Gips) ist erforderlich, um einen seitlichen Wasseraustritt zu vermeiden. Nachdem der Prüfring versetzt wurde, ist der Prüfbereich zu wässern. Dadurch wird die Schwankungsbreite der Versuche reduziert. In den Metallring werden dann 2 l Wasser als Prüfflüssigkeit zügig, ohne Unterbrechung eingefüllt und mit der Stoppuhr die Zeit gemessen, bis die Prüfflüssigkeit vertikal versickert ist. Auswertung der Prüfung Das Ergebnis des Schnelltestes ist der Mittelwert der drei Einzelmessungen an einer Versuchsstelle. Die Bewertung einer Messstelle erfolgt nach folgender Tabelle. <?page no="192"?> 192 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Versickerungsfähige Pflasterbauweise Tabelle 1 - Qualitative Abschätzung der Durchlässigkeit Abflusszeit Qualitative Abschätzung der Durchlässigkeit bis 6 Minuten ausreichend Die Versickerungsfähigkeit der geprüften Schicht kann als ausreichend betrachtet werden. Bei einer homogenen Oberflächenstruktur kann die Schicht angenommen werden. 6 bis 10 Minuten im Grenzbereich Die Versickerungsfähigkeit der geprüften Schicht muss fachkundig eingeschätzt werden. Hierzu können weitere Infiltrationsmessungen notwendig sein. > 10 Minuten nicht ausreichend Die Eignung der geprüften Schicht muss durch Infiltrationsmessungen nachgewiesen oder durch bauliche Maßnahmen verbessert werden. Beim Einsatz von „Versicherungsfähige Verkehrsflächen“ ist gemäß dem MVV immer eine zusätzliche Entwässerung vorzusehen. Dies kann eine Notentwässerung über ein Mulden-Rigolensystem oder eine nach REwS bemessene Entwässerungsmöglichkeit sein. Allerdings können bei der Bemessung der zusätzlichen Entwässerungseinrichtung die deutlich geringeren Abflussbeiwerte der versicherungsfähigen Beläge angesetzt werden. Im Merkblatt „Versickerungsfähige Verkehrsflächen“ wurde aufgrund der gesammelten Erfahrungen ein Abflussbeiwert π von 0,3 bis 0,5 angesetzt. Dieser Ansatz darf durch begründete gutachterliche Nachweise bis auf π-=-0,0 dauerhaft abgemindert werden. Planerisch sollte letzterer Wert auf die anzuwendende Situation reflektiert werden. Beispielsweise in Bereichen mit hoher Umgebungsbegrünung sollten aufgrund der Kolmation durchaus Abflussbeiwerte von 0,2 bis 0,3 in Erwägung gezogen werden. Bei versickerungsfähigen Pflasterdecken werden Fugenbreiten im Rahmen der DIN 18318 als Sickerfugen bezeichnet. Nach DIN 18318 werden die Fugenbreiten abhängig von der Steindicke gewählt. Bei Steindicken bis einschließlich 10 cm werden die Fugen mit 3 bis 5-mm ausgebildet, darüber hinaus mit 5 bis 8 mm Breite. Aufgeweitete Sickerfugen im Rahmen des Merkblattes überschreiten die Vorgaben der DIN 18318 und werden meist in einer Breite von 10 bis 30 mm ausgeführt. „Haufwerksporigen Betonsteinen“ werden in der DIN 18507 genormt und versickern auch über die durchlässige Steinstruktur. Derartige Betonsteine sind jedoch in der Regel nicht Frost- und Tausalzbeständig. Gemäß dem MVV müssen Versickerungsfähige Verkehrsflächen eine Regenspende von 270 l/ s x ha dauerhaft aufnehmen können. Diese Regenspende basiert auf dem Zeitbeiwertverfahren und nimmt einen 15-minütigen Regen von 120 l/ s x ha an. Der relativ „normale Regen“ wird mit einem Zeitbeiwert von 2,254 multipliziert, was einem 10-minütigen Regen mit einer 5-jährigen Auftrittswahrscheinlichkeit entspricht. Umgerechnet entspricht dies einer Niederschlagsmenge von etwa 97-mm und liegt bei einem Starkregenindex von sieben bis neun. Die Vorgaben des Merkblattes „Versickerungsfähige Verkehrsflächen“ zur Dimensionierung der Steindicke weichen von der RStO ab, da versickerungsfähige Verkehrsflächen hinsichtlich der Belastbarkeit ungleichwertig zu konventionellen Pflasterdecken nach ZTV-Pflaster sein können. Als Begründung kann angeführt werden, dass die für diese Bauweise geeigneten Fugen- und Bettungsmaterialien aufgrund des reduzierten Feinmaterialanteils nicht über eine gleichhohe Stützwirkung bei Horizontalkräften wie konventionelle Gemische aufweisen. Die Versickerungsfähige Bauweise ist im Regelfall für die Belastungsklasse BK 0,3 vorgesehen. Gemäß dem MVV können bei geringer Schadstoffbelastung auch höhere Belastungsklassen realisiert werden. Hier ist jedoch eine enge Abstimmung mit den Baugenehmigungsbehörden und den Wasserwirtschaftsämtern nötig. 08 cm Steindicke in Belastungsklasse Bk 0,3 (bis 0,1 Mio. äquivalenten 10-t-Achsübergänge) 10 cm Steindicke in Belastungsklasse Bk 0,3 > 12 cm Steindicke in höchster Belastung Versickerungsfähige Verkehrsflächen können auch gemäß der ZTV-Wegebau eingesetzt werden. So gelten die ZTV-Wegebau für ungebundene Flächen außerhalb des Straßenverkehrs. Ebenso werden versickerungsfähige Befestigungen und die begrünbare Bauweise berücksichtigt. In Abgrenzung zum FGSV-Regelwerk - insbesondere der RStO - gibt die ZTV-Wegebau einen eigenen Rahmen für die Belastbarkeit der Flächenbefestigungen vor. Nach der ZTV-Wegebau ist der Verkehr in Nutzungskategorien zu unterteilen. Nutzungskategorie N 1 - Begehbare, nicht mit Kfz befahrbare Flächenbefestigungen Nutzungskategorie N 2 - Befahrbare Flächenbefestigungen für Fahrzeuge bis 3,5-t zulässiges Gesamtgewicht. Nutzungskategorie N 3 - Wie Nutzungskategorie N-2, jedoch mit gelegentlichen Befahrungen mit Fahrzeugen bis 20 t zulässiges Gesamtgewicht. <?page no="193"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 193 Versickerungsfähige Pflasterbauweise Begrünbare Beläge Die Steindicken sollten sich mit 8 cm oder 10 cm an der tatsächlichen Nutzung orientieren. Für begrünbare Beläge können Steindicken von 8 cm bis 12 cm abhängig von der Belastung gewählt werden. Für Feuerwehrzufahrten gilt gemäß der FLL „Richtlinie für Planung, Bau und Instandhaltung von begrünbaren Flächenbefestigungen“ eine Mindestdicke von 12 cm. Hinsichtlich der Dimensionierung ist es besonders wichtig zwischen Pflastersteinen und Rasengitterplatten (etc.) zu unterscheiden. Aufgrund der reduzierten Betonquerschnitte sind Rasengitterplatten nur für geringere Belastungen einzusetzen. Abhängig von der Bauteildicken liegt der Einsatzbereich der Rasengitterplatten von 2 t bis 7,5 t zul. Gesamtgewicht. Rasengitterplatten sollten nur für Stellflächen und ruhenden Verkehr eingesetzt werden. Rasenfugensteine sind im Einsatzbereich deutlich höher belastbarer. Können Rasengitterplatten in Feuerwehrzufahrten eingesetzt werden? Rasengitterplatten (etc.) haben den unbestreitbaren Vorteil Flächenbefestigungen sehr stark zu entsiegeln und sich über den hohen Grünanteil unauffällig in die Gestaltung der Außenanlage zu integrieren. Feuerwehrzufahrten müssen gleichzeitig in Notfällen die Befahrbarkeit sicherstellen. Für eine Notfallbefahrung sind Rasengittersteine trotz der Überschreitung des zul. Gesamtgewichts geeignet. Sollte das zulässige Gesamtgewicht im Einsatzfall überschritten werden, könnten abhängig vom Unterbau zwar einzelne Platten an den Sollbruchstellen brechen. Dies würde aber weder die Befahrbarkeit noch die Optik der Rasengittersteine wesentlich beeinträchtigen. Im Rückblick auf die RStO 01 (mittlerweile durch RStO 12 ersetzt und nicht mehr aufgeführt) konnten Rasengittersteine eingesetzt werden. So stand dort im Kapitel 5.5 Feuerwehrwege: „Feuerwehrwege können mit Bauweisen der Bauklasse-VI, mit Pflasterrasendecken und Rasengittersteindecken oder mit Einfachbauweisen entsprechender Tragfähigkeit befestigt werden.“. Gleichermaßen sollte nach der FLL „Richtlinie für Planung, Bau und Instandhaltung von begrünbaren Flächenbefestigungen“ auch bei Rasengitterelementen aus Beton eine Mindestdicke von 12 cm vorgesehen werden. <?page no="195"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 195 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Dipl.-Ing. Rüdiger Singbeil Singbeil Bau GmbH, Peine Kurator Netzwerk Pflasterhandwerk; Wanderausstellung: „Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft“ Qualitätssicherung Pflasterbauarbeiten e. V. Zusammenfassung Die maschinelle Verlegung - als Alternative zur Handverlegung - ist eine wesentliche Voraussetzung zur rationellen und kostengünstigen Herstellung von Verkehrsflächenbefestigungen mit Pflastersteinen und Platten aus Beton. Neben diesem wirtschaftlichen Aspekt sind auch Aspekte des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsvorsorge auf der Baustelle enorm wichtig. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Einsatz von Verlegemaschinen und -geräten mehr und mehr an Bedeutung. Das 28-seitige „Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton“, Fassung Juni 2024, von der Fachvereinigung Betonprodukte für Straßen-, Landschafts- und Gartenbau e. V. ersetzt das „Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Betonpflastersteinen“ aus dem Jahr 2004. Es wurde grundlegend überarbeitet, neu strukturiert und um einige neue Inhalte, wie zum Beispiel der Verlegung mit Vakuumgeräten, und zahlreichen Bildern ergänzt. Bild 1: Titelseite mit Bildern: links oben Optimas, rechts oben Probst, unten SLG (Quelle) [1] 1. Geltungsbereich Das vorliegende „Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton“ gilt für die Herstellung von Pflasterdecken, Plattenbelägen und Großformatbelägen mit Befestigungselementen aus Beton in ungebundener Bauweise, sofern die Elemente mit Hilfe von Maschinen oder Geräten auf eine vorbereitete Bettung verlegt werden. Das Merkblatt dient als Ergänzung zu den einschlägigen Regelwerken, wie insbesondere: - VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen-- Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Pflasterdecken und Plattenbeläge, Einfassungen (ATV DIN 18318) - Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Großformaten (M FG) - Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Pflasterdecken und Plattenbelägen in ungebundener Ausführung (M FP) - Merkblatt für Lärmarme Pflasterbauweisen (M LP) - Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen (M VV) - Richtlinien für Planung, Bau und Instandhaltung von begrünbaren Flächenbefestigungen (FLL-Richtlinien) - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau Ländlicher Wege (ZTV LW) - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Herstellung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Plattenbelägen sowie von Einfassungen (ZTV-Pflaster-StB) - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen für den Bau von Wegen und Plätzen außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs (ZTV-Wegebau). <?page no="196"?> 196 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton 2. Begriffsbestimmungen Es gelten die Begriffsbestimmungen für das Straßen- und Verkehrswesen (siehe BBSV, 2020) sowie die nachfolgenden, welche im Merkblatt erklärt werden: • Angeformte Profile (sinngemäß aus (SLG, 2024) übernommen) An den Seitenflächen eines Pflastersteins (oder einer Platte) angeformte, im Allgemeinen senkrecht zur Produktunterseite angeordnete, funktionale Profile, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen. • Befestigungselement • Elementbeläge • Maschinelle Verlegung • Verlegemaschine • Maschinelles Verlegewerkzeug • Verlegezange/ Verlegegreifer • Anbaugerät • Vakuumgerät • Verband • Verlegeeinheit 3. Hinweise zur Planung 3.1 Auswahl geeigneter Pflastersteine und Platten 3.1.1 Allgemeines Die für das Bauvorhaben ausgewählten Pflastersteine und Platten müssen für eine maschinelle Verlegung aus technischer und optischer Sicht geeignet sein. Pflastersteine und Platten, die mit einer Verlegezange einzeln oder lagenweise maschinell gegriffen werden, müssen angeformte Profile aufweisen, damit beim Anlegen an bereits verlegte Elemente oder an die Randeinfassung die fachgerechte Sollfugenbreite innerhalb der betreffenden Lage erzielt werden kann. Sollen Pflastersteine und Platten einzeln mittels Vakuumtechnik verlegt werden, sollten als Verlegehilfe entweder Fugenlehren (Bild 2) oder eine mit einem Anschlag, der so genannten Fugenabstandhilfe, ausgestattete Vakuumverlegetechnik (Bild 3) verwendet werden, um die gewünschte Fugenbreite zu erzeugen. Bild 2: Beispiel für Verwendung von Fugenlehren bei der Vakuumverlegung [Foto: Uwe Sehrt] Bild 3: Beispiel für Vakuumverlegetechnik mit Anschlag (Fugenabstandshilfe) 3.1.2 Haufwerksporige Pflastersteine Haufwerksporige Pflastersteine für die Herstellung von versickerungsfähigen Pflasterdecken sind nicht nur besonders wasserdurchlässig, sondern auch in gleichem Maße luftdurchlässig. Sie eignen sich daher aus technischer Sicht im Allgemeinen nicht für eine Verlegung mittels Vakuumtechnik. 3.1.3 Nuancierte Pflastersteine und Platten Die maschinelle Verlegung von nuancierten Pflastersteinen und Platten - insbesondere, wenn es sich um relativ kleinformatige Elemente handelt - kann zu optisch unbefriedigenden Ergebnissen, zum Beispiel schachbrettartigen Mustern, führen (Bild 4). Daher sollte die aus optischen Gründen erforderliche Eignung für eine maschinelle Verlegung von nuancierten Pflastersteinen und Platten bzw. die Möglichkeiten, eine Entsprechende Eignung zu erzielen (zum Beispiel werkseitiges Vorsortieren oder manuelle Verlegung) im Vorfeld mit dem Betonsteinhersteller bzw. Lieferanten geklärt werden. Bild 4: Die maschinelle Verlegung von nuancierten Pflastersteinen kann zu einem optisch unbefriedigenden Ergebnis führen [Foto: Pascal Präschke] 3.2 Verband/ Verlegemuster Gemäß den einschlägigen Technischen Regelwerken, zum Beispiel ATV DIN 18318 und ZTV-Pflaster-StB, sind Pflasterdecken und Plattenbeläge mit einem gleich- <?page no="197"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 197 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton mäßigen Fugenbild einerseits und in einem bestimmten Verband (in der Regel Reihenverband) andererseits herzustellen. Der Bauvertrag kann etwas Abweichendes festlegen, was im Falle des Verbandes die Regel ist, wenn zum Beispiel ein Ellenbogen- oder ein Fischgrätverband ausgeführt werden sollen. In Abhängigkeit des gewählten Stein- oder Plattensystems und/ oder des gewählten Verbandes bzw. Fugenbildes können mehr oder weniger aufwändige manuelle Nacharbeiten während der Ausführung erforderlich sein, um der Regelanforderung nach einem gleichmäßigen Fugenbild nachzukommen (siehe auch Abschnitt-7.4 und Bild 20). Verlegemuster und/ oder Verlegepläne, gegebenenfalls mit Details von Anschlussbereichen, sollten vorzugsweise planerisch vorgegeben werden. 3.3 Planung im Rastermaß Jeder Pflasterstein und jede Platte für eine Flächenbefestigung sowie jede zugehörige Verlegeeinheit weisen ein bestimmtes Raster auf. In diesem Raster sollte die gesamte Fläche bzw. sollten zusammenhängende Teilflächen geplant werden, damit ein möglichst geringer Schneideaufwand anfällt. Die Rastermaße können bei den jeweiligen Betonsteinherstellern bzw. Lieferanten erfragt werden. In der Leistungsbeschreibung sollte hinsichtlich der Abstände von Randeinfassungen oder Ähnliches vorgesehen werden, dass diese auf Basis der zugrundeliegenden Rastermaße zuzüglich eines Vorhaltemaßes einzumessen sind. Das Vorhaltemaß ist zum Beispiel aus Gründen der Maßtoleranzen der Befestigungselemente notwendig. Es wird empfohlen, das Auslegen der Befestigungselemente zur Ermittlung der genauen Abstände der Randeinfassungen in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen. Die aus Entwässerungsgründen notwendigen Neigungen und Neigungswechsel sind zudem zu beachten. 4. Hinweise für den Hersteller der Pflastersteine und Platten 4.1 Rastermaß, Produkt-Nennmaß, Sollfugenbreite Bei der Entwicklung von Pflasterstein- oder Plattensystemen ist der Zusammenhang zwischen Rastermaß, Produkt-Nennmaß und Sollfugenbreite zu beachten (siehe auch Abschnitt 3.3). 4.2 Konizität der Steinseitenflächen Eine zunehmend konische Ausbildung der Elementseitenflächen steht einer guten Greifsicherheit der Verlegeeinheit entgegen. 4.3 Anordnung der Verlegeeinheit Die Anordnung der einzelnen Pflastersteine bzw. Platten in der Verlegeeinheit sollte bereits werkseitig so konzipiert sein, dass der vereinbarte Verband (das vereinbarte Verlegemuster) über die gesamte zu erstellende Fläche oder über zusammenhängende Teil-flächen - abgesehen von Anschlussbereichen - gleichmäßig ausgeführt werden kann. 4.4 Angeformte Profile Maschinell verlegbare Pflastersteine und Platten benötigen grundsätzlich angeformte Profile, damit beim Anlegen und Ablegen der Verlegeeinheit die Sollfugenbreite erzielt werden kann. Überprüfungen in der Praxis haben ergeben, dass mit modernen Verlegegeräten (mit Anlegehilfe oder Ab-drückvorrichtung) erstens ein gleichmäßiger Fugenab-stand innerhalb der abgelegten Verlegeeinheit erzielt wird, und dass zweitens die einzelnen Fugenbreiten etwa 0,5-mm bis 1 mm größer sind als der durch die angeformten Profile erzeugte Zwangsabstand (siehe auch Abschnitt- 7.5 und Bild 19). Das Vorsprungsmaß von angeformten Profilen sollte daher unter Berücksichtigung der Sollfugenbreite bzw. der Dicke der Befestigungselemente festgelegt werden (siehe Tabelle 1 und Bild 19). Tabelle 1: Empfehlung für das Vorsprungsmaß der an Pflastersteinen, Platten und Großformaten angeformten Profile 4.5 Maßhaltigkeit der Pflastersteine und Platten sowie der Verlegeeinheit Für die Herstellung der Pflastersteine und Platten sind Mischung und Verarbeitung des Frischbetons so zu steuern, dass die frisch entformten Produkte möglichst nicht oder nur gering ausbauchen. Maßungenau-igkeiten durch übermäßige Ausbauchungen können einerseits zu einer Verminderung der Greifsicherheit der Verlegeeinheiten und andererseits zu relativ großen Schwankungen der Maße der Verlegeeinheiten führen. Die Anforderungen der TL Pflaster-StB hinsichtlich der Maßhaltigkeit der Pflastersteine und Platten sind einzuhalten. <?page no="198"?> 198 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 5: Bildet sich aufgrund von Dickendifferenzen eine „Schüsselung“ im oberen Bereich des Paketes aus (Bild rechts), kann die Greifsicherheit der entsprechenden Lagen vermindert oder nicht mehr gegeben sein (Quelle: SLG] Die Verlegeeinheiten sollten möglichst gleich groß sein. Dies ist für einen reibungslosen Ablauf auf der Baustelle wichtiger als die Einhaltung der Maßtoleranzen der einzelnen Pflastersteine und Platten Produktionsbedingt können minimale Dickendifferenzen der Pflastersteine und Platten innerhalb einer Lage auftreten, die sich insbesondere bei kleinformatigen Elementen nach dem Paketieren zu einer „Schüsselung“ oder „Aufwölbung“ der oberen Verlegeeinheiten aufaddieren (Bild 5). 4.6 Verpackung Werden Pflastersteine und Platten palettiert ausgeliefert, müssen die Paletten, gemessen an der Verlegeeinheit eine ausreichend große Grundfläche haben, damit nach dem Öffnen der Pakete die äußeren Elemente nicht abkippen. Paletten müssen ausreichend stabil und frei von Beschädigungen sein sowie das Handling mit herkömmlichen Gabelzinken ermöglichen. 5. Baustellenorganisation 5.1 Befahrbarkeit der Baustelle Anliefernde Lkw dürfen nicht auf Pflasterdecken und Plattenbelägen fahren, welche noch nicht eingefugt und abgerüttelt sind, da bei diesen noch keine ausreichende Lagestabilität der Belagselemente vorliegt. 5.2 Überprüfung angelieferter Pflastersteine und Platten Unmittelbar nach Eintreffen auf der Baustelle ist eine Überprüfung der angelieferten Pflastersteine und Platten erforderlich. Hinweise hierzu sind dem Abschnitt „Eigenüberwachungsprüfungen“ der ZTV-Pflaster-StB zu entnehmen. Insbesondere ist - zumindest anhand des Lieferscheines, durch Inaugenscheinnahme und durch Vergleich mit dem gegebenenfalls vereinbarten Muster-- zu prüfen, ob die Lieferung der Bestellung entspricht und ob die Produkte erkennbar mängelfrei sind. Bestehen Zweifel oder Bedenken, darf mit den Verlegearbeiten nicht begonnen werden, bis eine Klärung der Angelegenheit erfolgt ist. Das Ausbleiben einer unmittelbar erfolgten Mängelrüge kann zum Verlust von Gewährleistungsansprüchen führen. 5.3 Anordnung der Pakete auf der Baustelle Die Pakete aus Pflastersteinen bzw. Platten sind bereits bei der Anlieferung möglichst so zu stellen, dass sie von der Verlegemaschine oder von den Verlegemaschinen auf kurzem Wege angefahren werden können. Bild 6: Positivbeispiel für die Lagerung von Steinpaketen auf der Baustelle [Foto: Optimas] Die Pakete sind immer auf ebenem, sauberem und tragfähigem Untergrund abzustellen. Dies gilt insbesondere für unpalettierte Pakete. Ein Positivbeispiel ist dem Bild 6, ein Negativbeispiel dem Bild 7 zu entnehmen. Bild 7: Negativbeispiel für die Lagerung von Stein-paketen auf der Baustelle [Foto: Optimas] 5.4 Beurteilung der Greifsicherheit Die Greifsicherheit einer Verlegeeinheit aus kleinformatigen Produkten kann beeinträchtigt sein (siehe auch Abschnitt 4.5). Bestehen Zweifel an der Greifsicherheit angelieferter Verlegeeinheiten, kann diese mit Hilfe des „Turmbaus“ gemäß dem Bild 8 überprüft werden. Beurteilung der Greifsicherheit: - Bilden die aufeinander gesetzten Steine einen stabilen Turm, kann von hoher Greifsicherheit ausgegangen werden. - Bilden die aufeinander gesetzten Steine einen labilen Turm (zum Beispiel durch leichtes seitliches Auswei- <?page no="199"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 199 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton chen), ist von eingeschränkter Greifsicherheit auszugehen. - Kommt der Turm während des Aufschichtens der Steine oder im Anschluss daran durch seitliches Ausweichen zum Kippen, ist die Greifsicherheit nicht gegeben. Bild 8: Prüfung der Greifsicherheit einer Verlegeeinheit aus kleinformatigen Produkten durch „Turmbau“ [Quelle: Probst] 6. Anforderungen an Maschinen und Geräte 6.1 Allgemeines Die Maschinen und Geräte müssen in einem einwandfreien technischen Zustand sein. Sie dürfen zum Beispiel keine Leckagen aufweisen, aus denen Betriebsstoffe, wie Öl oder Ähnliches, austreten und die Pflastersteine oder Platten dauerhaft verschmutzen können. Verunreinigungen, die von den Arbeiten des Auftragnehmers herrühren, sind von diesem auf seine Kosten zu beseitigen (vgl. auch ATV DIN 18299). Die Maschinen und Geräte dürfen nur von fachkundigem und in die jeweilige Maschine und Bauaufgabe eingewiesenem Personal unter Beachtung der jeweiligen Bedienungsanleitung bedient werden. 6.2 Verlegemaschine Es sollten möglichst immer speziell für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten entwickelte Verlegemaschinen eingesetzt werden. Dabei sollten solche mit doppelter Knicklenkung (Bild 9 und Bild 10) oder Zweiachs-Dreh-Schemel-Lenkung (Bild 11 und Bild 12) bevorzugt werden. Diese führen beim Befahren der frisch verlegten Befestigungselemente und bei Lenkbewegungen nicht zu Verdrückungen oder Verschiebungen. Bild 9: Prinzipskizze einer Verlegemaschine mit doppelter Knicklenkung [Quelle: Probst] Bild 10: Verlegemaschine mit doppelter Knicklenkung [Foto: Probst] Bild 11: Prinzipskizze einer Verlegemaschine mit Zweiachs-Dreh-Schemel-Lenkung [Quelle: Optimas] <?page no="200"?> 200 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 12: Verlegemaschine mit Zweiachs-Dreh-Schemel- Lenkung [Foto: Optimas] 6.3 Trägergeräte Wenn von der bereits verlegten Fläche aus verlegt werden soll, können als Trägergeräte mit Verlegezange ausgerüstete gummibereifte Bagger oder Radlader eingesetzt werden. Jedoch sind sowohl die nicht ver-fugten als auch die frisch verfugten Bereiche der Pflasterdecke bzw. des Plattenbelages durch Abdecken, zum Beispiel mit Überfahrplatten, zu schützen, damit sich die Belagselemente nicht verdrücken oder verschieben können. Das Bild 13 zeigt eine Baustelle, bei welcher dieser Empfehlung nicht gefolgt wurde und somit die Gefahr von Verschiebungen der frisch verlegten Pflastersteine gegeben ist. Bild 13: Gefahr von Pflasterverschiebungen durch Kettenfahrzeug auf nicht geschützter Pflasterdecke [Foto: Karl-Uwe Voß] Bagger und Minibagger mit Gummiraupen (Gummiketten) sowie Kettenfahrzeuge im Allgemeinen können für eine Verlegung von der Tragschicht aus (so genannte Vor- Kopf-Verlegung) eingesetzt werden. Die genannten Trägergeräte sind hingegen für das Verlegen von der bereits verlegten Fläche aus nur bedingt geeignet. Sie können dafür eingesetzt werden, wenn sie ausschließlich auf abgedeckten (geschützten) Flächen und unter gänzlichem Verzicht auf Lenkbewegungen, das heißt nur vorwärts und rückwärts, fahren (Bild 14). Bild 14: Kettenfahrzeug (Trägergerät) mit Anbaugerät auf abgedeckter Fläche [Foto: Optimas] Ansonsten führen derartige Trägergeräte unmittelbar (Belag ungeschützt) bzw. mittelbar (Belag durch Abdeckung vermeintlich geschützt) zu Verschiebungen und Abschürfungen der verlegten Befestigungselemente. Kettenfahrzeuge können als Trägergerät jedoch gut für die maschinelle Verlegung eingesetzt werden, sofern sichergestellt wird, dass dies nicht auf frisch verlegten Befestigungselementen erfolgt (Bild 15). Bild 15: Maschinelle Verlegung von Pflastersteinen für einen Gehweg. Das Trägergerät (Bagger) befindet sich außerhalb der Fläche [Foto: Optimas] 6.4 Anbaugeräte 6.4.1 Verlegezange/ Verlegegreifer Die Verlegezange muss greifen und ausrichten können. Sie sollte mit einer speziellen Anlegehilfe oder Abdrückvorrichtung ausgerüstet sein. Dadurch wird einerseits ein Verkanten der die Anlegekante berührenden Steinbzw. Plattenreihe beim Ablegen vermieden, und andererseits werden gleichmäßige Fugenabstände über die gesamte Breite der Verlegeeinheit sichergestellt. Das Bild 16 zeigt das Prinzip der Verlegung ohne spezielle Anlegehilfe oder Abdrückvorrichtung und die dadurch entstehende Problematik, während das Bild 17 das Prinzip der Verlegung mit spezieller Anlegehilfe oder Abdrückvorrichtung zeigt, woraus sich die genannten Vorteile ergeben. <?page no="201"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 201 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 16: Verlegetechnik ohne spezielle Anlegehilfe bzw. Abdrückvorrichtung [Quelle: Optimas] Bild 17: Verlegetechnik mit spezieller Anlegehilfe bzw. Abdrückvorrichtung [Quelle: Optimas] Die Verlegezange sollte weiterhin mit einer Einrichtung versehen sein, welche es erlaubt, über die Länge der Verlegeeinheit das Schließmaß des seitlichen Ausricht- und Verschiebemechanismus auf ein bestimmtes Maß - vorzugsweise auf die Rasterbreite der Verlegeeinheit - zu begrenzen (Bild 18). <?page no="202"?> 202 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 18: Prinzip des Mechanismus zum seitlichen Ausrichten und Verschieben der Steinbzw. Plattenreihen [Quelle: Probst] Hierdurch wird erreicht, dass sich geringfügig größere Fugenabstände (als durch die an die Produkte angeformten Profile vorgegeben) über die Länge der Verle-geeinheit einstellen können. Dies ist wichtig, weil dadurch eine Knirschverlegung der Befestigungselemente verhindert wird. Dadurch sind auch in Richtung der Länge der Verlegeeinheit ausreichend breite Fugen, ein gleichmäßiges Fugenbild sowie die Möglichkeit zum Ausgleich von Maßabweichungen gegeben. 6.4.2 Vakuumanbaugerät Das Vakuumanbaugerät verfügt über eine oder mehrere Saugplatten. Eine Saugplatte muss kleiner sein als die Fläche des anzusaugenden Produkts, damit die Dichtlippe abdichten kann. Die Luftdurchlässigkeit des zu hebenden Befestigungselementes hat hierbei einen großen Einfluss. Bei saugdichtem Material, das heißt bei einem Element mit vergleichsweise geringer Luftdurchlässigkeit, kann ein Vakuumgerät mit einer Vakuumpumpe zum Einsatz kommen. Bei einem Element mit einer höheren Luftdurchlässigkeit muss ein Vakuumgerät mit einem Gebläse eingesetzt werden, das die Luft wegsaugen kann, welche durch das Porengefüge nachfließt. Der Vorteil der Vakuumverlegetechnik liegt zum einen darin, dass ein Anlegen der Befestigungselemente ohne die Gefahr von Kantenbeschädigungen möglich ist (siehe auch Bild 2 und Bild 3). Zudem können Elemente leicht wiederaufgenommen werden, falls die Bettung, zum Beispiel zur Korrektur der Höhenlage, zunächst nachgearbeitet werden muss. 7. Hinweise zur Ausführung 7.1 Prüfung der Unterlage Die Unterlage für die herzustellende Pflasterdecke bzw. für den herzustellenden Plattenbelag muss entsprechend den Vorgaben des Bauvertrages bzw. den einschlägigen Technischen Regelwerken geeignet sein. Die Eignung der Unterlage ist vor Beginn der Verlegearbeiten zu prüfen, zum Beispiel durch Einsichtnahme der Aufzeichnungen für Unterbau/ Untergrund- und Tragschichtarbeiten. Bestehen Bedenken, darf mit den Verlegearbeiten nicht begonnen werden. Maßnahmen für eventuelle Nacharbeiten an der Unterlage sind zunächst zu vereinbaren. 7.2 Herstellen der Bettung Das Bettungsmaterial ist gleichmäßig durchmischt und erdfeucht auf der vorbereiteten Unterlage aufzubringen. Eine gleichmäßige Dicke und Lagerungsdichte des Bettungsmaterials über die gesamte Fläche ist anzustreben, um spätere ungleichmäßige Verformungen zu vermeiden. Das Bettungsmaterial ist überhöht einzubauen. Die Überhöhung hängt von der Art des Bettungsmaterials, dessen Einbau-feuchte sowie von Art und Größe der Pflastersteine bzw. Platten ab. Ein Vorverdichten des Bettungsmaterials kann in Abhängigkeit der Korngrößenverteilung und der Einbauhöhe des Bettungsmaterials sowie der zu erwartenden Belastung des Belages während der Verlegearbeiten und nach der Verkehrsfreigabe zweckmäßig sein. Im Anschluss an eine Vorverdichtung ist ein nochmaliges höhen- und profilgerechtes Abziehen der Bettung erforderlich. Dafür ist es zweckmäßig, zuvor eine dünne Schicht Bettungsmaterial gleichmäßig aufzubringen. <?page no="203"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 203 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton 7.3 Vorbereitung der Verlegearbeiten Verlegerichtung und Anfangspunkt der Verlegearbeiten sind nach Anweisung der Bauleitung festzulegen. Die Verlegerichtung geht in der Regel aus den Planungsunterlagen hervor. Diese müssen auf der Baustelle verfügbar sein. Der Anfangspunkt der Verlegearbeiten kann von Flächengeometrien, Neigungen, Verwindungsbereichen usw. abhängig sein. In Längs- und Querrichtung ist in ausreichendem Maße zu schnüren, um fluchtgerecht und im Rastermaß der Verlegeeinheit verlegen zu können. Die Rastermaße der Pflastersteine bzw. der Platten und der zugehörigen Verlegeeinheiten sind Planungsmaße und müssen daher vor Beginn der eigentlichen Verlegearbeiten durch Auslegen einzelner Verlegeeinheiten überprüft werden. Sind unterschiedliche Pflasterstein- oder Plattensysteme zu verlegen, zum Beispiel in Fahr- und in Stellflächen, ist diese Überprüfung für jedes einzelne System vorzunehmen. Hierbei ist es unzulässig, die abgelegten Verlegeeinheiten auf Pressfugen zusammenzutreiben. Am Anfangspunkt der Verlegearbeiten ist in der Regel ein rechter Winkel anzulegen. Hierzu eignet sich zum Beispiel ein zusammenklappbarer Metallwinkel mit Schenkellänge von mindestens 2 Metern. Alternativ kann die so genannte 3-4-5-Regel angewendet werden. Das Bild 19 zeigt, wie dabei vorzugehen ist. Ist ein vom rechten Winkel abweichender Winkel anzulegen, kann dies zum Beispiel durch eigens angefertigte Schablonen oder variable Bauwinkel erfolgen. Bild 19: Einmessen eines rechten Winkels nach der sogenannten 3-4-5-Regel [Quelle: SLG] 7.4 Anordnung der Verlegeeinheit Die Befestigungselemente können in einer Verlegeeinheit unterschiedlich angeordnet sein, zum Beispiel versetzt zueinander (Läuferverband, Ellenbogenverband) oder nicht versetzt zueinander (auf Kreuzfuge). Für den letzteren Fall erlauben technische Hilfsmittel an der Verlegeklammer, dass vor dem Ablegen jede zweite Elementreihe verschoben werden kann, so dass ein Läuferverband entsteht. In befahrenen Flächen sind Kreuzfugen grundsätzlich zu vermeiden. 7.5 Verlegung, Verfugung, Abrütteln Die Verwendung von Verlegegeräten mit Anlegehilfe oder Abdrückvorrichtung wird empfohlen (vgl. Abschnitt 6.4.1). Dadurch werden zum einen gleichmäßige Fugenabstände innerhalb der abgelegten Verlege-einheit erzielt und zum anderen ergeben sich Fugenbreiten, die etwa 0,5 bis 1 Millimeter größer sind als die durch die angeformten Profile erzeugten Zwangsab-stände (Bild 20). <?page no="204"?> 204 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 20: Fugenbreite bei Pflastersteinen mit angeformten Profilen (Prinzipskizze) [Quelle: SLG] Die Verlegeeinheiten sollten wechselweise aus mehreren Paketen verlegt werden. Jede Verlegeeinheit ist nach dem Ablegen gegebenenfalls sofort auszurichten, das heißt, in das richtige Rastermaß zu bringen. Ein gleichmäßiges Fugenbild ist einzustellen. Dies kann je nach Anordnung der Pflastersteine bzw. Platten in der angelieferten Lage einen unterschiedlichen Aufwand für ein manuelles Nacharbeiten mit sich bringen (siehe zum Beispiel Bild 21, Bild 22 und Bild 23). Bild 21: Erzielung eines gleichmäßigen Fugenbildes durch Nacharbeiten von Verlegeeinheiten aus Rechtecksteinen im Läuferverband mit Halbsteinen am Rand (Beispiel) [Quelle: SLG] Bild 22: Erzielung eines gleichmäßigen Fugenbildes durch Nacharbeiten von Verlegeeinheiten aus Rechtecksteinen im Ellenbogenverband (Beispiel 1) [Quelle: SLG] <?page no="205"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 205 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 23: Erzielung eines gleichmäßigen Fugenbildes durch Nacharbeiten von Verlegeeinheiten aus Rechtecksteinen im Ellenbogenverband (Beispiel 2) [Quelle: SLG] Bei der Verwendung von L-förmigen Steinen, so genannten Winkelsteinen, ist in der Regel ein manuelles Nacharbeiten erforderlich, so dass durch Auswechseln und/ oder Drehen einzelner Steine mindestens einmal je Steinlage die Längsfuge und die Querfuge unterbrochen wird, damit sich keine durchgehenden Fugen über längere Strecken ergeben. Falls ein Ausrichten der Pflastersteine bzw. Platten und/ oder ein manuelles Nacharbeiten erforderlich sind, haben diese Tätigkeiten unmittelbar nach dem Ablegen der Verlegeeinheiten und vor dem Einfugen zu erfolgen, da sie ansonsten nicht mehr oder nur mit großem Aufwand möglich sind. Ausrichten heißt nicht, die Verlegeeinheit, zum Beispiel mit Kantholz und Vorschlaghammer, auf Pressfuge zusammentreiben (siehe auch Abschnitt 7.3). Pressfugen sind eine häufige Schadensursache für Abplatzungen und Brüche an den Befestigungselementen. Die abgelegten Verlegeeinheiten sind möglichst unverzüglich, das heißt kontinuierlich mit dem Fortschreiten der Verlegearbeiten, einzufugen, um ihnen die nötige Stabilität zu geben. Für die abschließende Fertigstellung ist das Fugenmaterial auf den Belag aufzubringen und in die Fugen manuell oder maschinell einzuarbeiten. Dies erfolgt zunächst ohne Wasserzugabe durch Einfegen und im Anschluss mit Wasserzugabe durch Einschlämmen. Das Bild 24 zeigt ein maschinelles Einfegen, das Bild 25 ein maschinelles Einschlämmen von Fugenmaterial bei einer Pflasterdecke. Der Belag ist im Anschluss vollständig abzufegen, im ausreichend abgetrockneten und sauberen Zustand bis zur Standfestigkeit abzurütteln. Fahrbewegungen auf noch nicht verfugten und abgerüttelten Bereichen sind zu vermeiden. Dies gilt insbesondere für anliefernde Fahrzeuge (vgl. Abschnitt 5.1). Im Bereich der Verlegekante sind starkes Abbremsen und Anfahren sowie enges Rangieren mit der Verlegemaschine zu vermeiden. Bild 24: Maschinelles Einfegen von Fugenmaterial bei einer Pflasterdecke [Foto: Probst] <?page no="206"?> 206 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton Bild 25: Maschinelles Einschlämmen von Fugenmaterial bei einer Pflasterdecke [Foto: Optimas] Bild 26: Baustellenablauf unter Berücksichtigung der nutzbaren Bereiche (schematische Darstellung) 8. Danksagung Das in diesem Beitrag vorgestellte „Merkblatt für maschinelle Verlegung von Pflaster und Platten aus Beton“ der Arbeitsgruppe „Maschinelle Verlegung“ im Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. (SLG), wurde in Zusammenarbeit mit Vertretern der Hersteller von Verlegegeräten und der Baupraxis erarbeitet und dient als praxisorientiertes Hilfsmittel, mit dem Ziel, dauerhaft funktionstüchtige Pflasterdecken und Plattenbeläge aus Beton wirtschaftlich, unter humanen Arbeitsbedingungen und fachgerecht herzustellen. Dieses Merkblatt dient unter anderem als Unterstützung und Erleichterung bei der Anwendung der Technischen Regelwerke für Verkehrsflächenbefestigungen mit Pflasterdecken und Plattenbeläge. Es ersetzt die entsprechenden Regelwerke jedoch nicht. Das neue Merkblatt kann bei der SLG unter dem nachfolgenden Link als kostenloser Download heruntergeladen werden: https: / / www.betonstein.org/ fileadmin/ betonstein-de/ media/ Service/ Downloads/ 2024_07_SLG-MB_Maschinelle_Verlegung_Pflastersteine_Platten_final_SLG-Layout. pdf Literaturverzeichnis [1] Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton (Juni 2024). (Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. - SLG, Hrsg.) ATV DIN 18299 (September 2023). (Deutsches Institut für Normung e.V., Hrsg.) Berlin: Beuth Verlag. ATV DIN 18318 (September 2019). (Deutsches Institut für Normung e.V., Hrsg.) Berlin: Beuth Verlag. BBSV (August 2020). Begriffsbestimmungen für das Straßen- und Verkehrswesen. Köln: FGSV Verlag. DIN EN 1338 (August 2003). (Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.) Berlin: Beuth Verlag. DIN EN 1339 (August 2003). (Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.) Berlin: Beuth Verlag. <?page no="207"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 207 Merkblatt für die maschinelle Verlegung von Pflastersteinen und Platten aus Beton FLL-Richtlinien (Juli 2018). Bonn: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. M FG (März 2022). Köln: FGSV Verlag. M FP (Februar 2024). Köln: FGSV Verlag. M LP (April 2019). Köln: FGSV Verlag. M VV (Juli 2013). Köln: FGSV Verlag. SLG (2021a). Merkblatt Plattenbeläge aus Beton für befahrbare Verkehrsflächen. (Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V., Hrsg.) Bonn. SLG (Juni 2024). Dauerhafte Verkehrsflächen mit Betonpflastersteinen (Bd. 6. f. und red. überarb. Auflage). (Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V., Hrsg.) Bonn. TL Pflaster-StB (Dezember 2015). Köln: FGSV Verlag. ZTV LW (Juli 2016). Köln: FGSV Verlag. ZTV-Pflaster-StB (Juni 2020). Köln: FGSV Verlag. ZTV-Wegebau (November 2022). Bonn: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. <?page no="209"?> Kaltrecycling <?page no="211"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 211 Kaltrecycling - Innovative und nachhaltige Straßeninstandsetzung Dipl.-Ing. (FH) Martin Diekmann Wirtgen GmbH, Windhagen Zusammenfassung In vielen Ländern hat man die vielen Vorteile des Kaltrecycling-Verfahrens bereits erkannt, denn in puncto Umweltschutz und Ressourcenschonung, ist kein Verfahren besser geeignet. Damit stellt Kaltrecycling eine kostengünstige und nachhaltige Alternative dar, die bereits in vielen Ländern in Europa, Nordamerika und Asien fester Bestandteil der Ausschreibungen im Straßenbau ist. Obwohl das Kaltrecycling auch in deutschen Regelwerken verankert ist, kommt es hierzulande nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Wirtschaftliche und ökologische Vorteile der Kaltrecycling-Technologie bleiben vielfach ungenutzt, obwohl der hohe Instandsetzungsbedarf nur mit konventionellen Bauverfahren nicht zu leisten ist. Neben dem Investitionsstau in den Kommunen ist vielerorts ein sogenannter Erhaltungsrückstand der Gemeindestraßen zu erkennen. Kaltrecycling bietet Lösungen für die anstehenden kommunalen Herausforderungen im Verkehrswegebau und der wirtschaftlichen Erhaltung des Gemeindestraßennetzes. Ein Netz, das sich über eine Gesamtlänge von über 400.000 km erstreckt. Abb. 1: Wirtschaftliche und ökologische Vorteile der Kaltrecycling-Technologie 1. Einführung Bereits Mitte der 80er Jahre hat Wirtgen die Kaltrecycling-Technologie entwickelt und das herausragende Potenzial erkannt. Schon 1986 kommt der erste Kaltrecycler auf Ketten auf den Markt, der 2000 VC-R. Meilenstein ist die erste mobile Kaltrecyclinganlage KMA 150, die schnell von Baustelle zu Baustelle transportiert werden kann. In jeder der neuen Baureihen steckten innovative Technologien, die Straßenbauprozesse immer umweltfreundlicher und wirtschaftlicher machen. Wirtgen hat sich von Anfang an mit seinen Technologien als Marktführer an die Spitze gesetzt. Vor dem Hintergrund knapper Kassen und der steigenden Rohstoff- und Energiepreise ist die Nachfrage nach der Kaltrecycling-Technologie in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Kaltrecycling-Technologien von Wirtgen sind weltweit im Einsatz, um klimaschonend und wirtschaftlich Baustoffe nachhaltig zu recyceln. Für kommunale Straßeninstandsetzung ist die Kaltrecycling-Technologie ebenfalls eine schnelle, kostengünstige und nachhaltige Lösung. Häufig weisen Straßen Schäden in den unteren Schichten auf. Wechselnde Witterung und vor allem ein wachsendes Verkehrsaufkommen führen im Laufe der Jahre zu einer Materialermüdung des Straßenauf baus. Risse und Materialverlust an der Fahrbahnoberfläche sind die ersten sichtbaren Anzeichen, bevor sie als klassisches Schlagloch unübersehbar werden. Weitere gravierendere Schäden sind vorprogrammiert. Das Kaltrecycling Verfahren setzt die gesamte Struktur des Straßenauf baus instand und erhöht dauerhaft dessen Tragfähigkeit. Abb. 2: Im Jahr 1986 kommt der erste Wirtgen Kaltrecycler auf Ketten auf den Markt 2. BSM-Rezeptur mit Schaumbitumen für hohe Dauerhaftigkeit Für Straßen, die im Kaltrecycling-Verfahren instandgesetzt werden, gelten im Hinblick auf deren Nutzungsdauer die gleichen Anforderungen wie für Straßen, die nach konventionellen Verfahren dimensioniert und gebaut werden. Wirtgen hat mit der Entwicklung seines eigenen Laborequipments Lösungen geschaffen, die bereits im Vorfeld die optimale Zusammensetzung des auf bereiteten Mischguts definiert und dessen Qualität und Eigenschaften anhand von Probekörpern in Triaxial- und Spaltzugfestigkeits-Tests direkt untersucht. Auch die Schaumbitumen- Qualität lässt sich bereits vor Baubeginn im Baustofflabor exakt definieren. <?page no="212"?> 212 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kaltrecycling - Innovative und nachhaltige Straßeninstandsetzung Abb. 3: Wirtgen Schaumbitumen Laborequipment 2.1 Ausgangsstoff für BSM ist in der Regel Ausbauasphalt bzw. der in der Fahrbahn vorhandene Asphalt. Er wird in einem speziellen Kaltaufbereitungsprozess und ohne vorherige Trocknung unter Zugabe von ca. 2 bis 2,5 (M %) Massenprozent Schaumbitumen zu einem neuen innovativen Straßenbaustoff. Um trotz des relativ geringen Bindemittelgehalts eine gute Dispersion zu erhalten, wird das heiße Bitumen unmittelbar vor der Zugabe in den Mischer mit Wasser aufgeschäumt. Dazu wird eine geringe Menge Wasser (in der Regel ca. 2 bis 3 (M %) des Bitumens) über eine Düse unter Druck in das Bitumen injiziert. Dies führt dazu, dass das heiße Bitumen aufschäumt und sich auf ein Vielfaches seines ursprünglichen Volumens ausdehnt bzw. aufschäumt. Schaumbitumen wird mit Hilfe modernster Technik aus ca. 175 °C heißem Normalbitumen erzeugt. Die Zugabe des Bindemittels in ein Mineralstoffgemisch erfolgt bei in-situ-Bauweise innerhalb der Wirtgen Kaltrecycler der CR-Baureihe über mikroprozessorgesteuerte Einsprühanlagen. Außerdem wird während des Mischprozesses Wasser zugesetzt, um die Verdichtungswilligkeit des Materials zu gewährleisten. Das hergestellt bituminöse Mischgut wird als BSM (Bitumen stabilisiertes Material) bezeichnet. Nach Einbau und abschließender Verdichtung zeichnet es sich durch eine langfristige und hohe Tragfähigkeit aus. Diese bilden im Straßenoberbau die perfekte Grundlage für den abschließenden Asphaltüberbau mit reduzierter Schichtdicke Abb. 4: Labormischer (WLM30) mit BSM Abb. 5: Laborverdichter (WLV-1) Abb. 6: BSM Probekörper Abb. 7: Einbau des BSM-Mischgutes nach festgelegter Rezeptur auf einer Autobahn in Dänemark <?page no="213"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 213 Kaltrecycling - Innovative und nachhaltige Straßeninstandsetzung 3. Kaltrecycling in-plant Die Auf bereitung in-plant wird in der Regel dort durchgeführt, wo zuvor aus vorhandenen Belägen gewonnenes Material recycelt und zum Bau einer neuen Belagsschicht verwendet werden soll. Auch wenn das mit Schaumbitumen auf bereitete Material zur späteren Verwendung bevorratet wird oder wenn Ergänzungsstoffe eingemischt werden sollen, kommt die in-plant Version zum Einsatz. Die mobile Kaltmischanlage KMA 240(i) macht die Herstellung hochwertigen Mischguts vor Ort effizient. Neben bitumengebundenem Mischgut lassen sich auch hydraulisch gebundene Mischgüter wirtschaftlich herstellen. Die mobile Kaltrecycling-Mischanlage KMA 240(i) von Wirtgen ermöglicht die ressourcenschonende Herstellung des bituminösen Mischgutes (in-plant) im Durchlauf betrieb mit 240 t/ h Mischleistung. Sie können für den Autobahnbau über den Straßen- und Wegebau bis hin zum Bau von Parkplätzen oder Industrieflächen verwendet werden. Die KMA 240(i) kann die verschiedensten nicht bindigen Ausgangsstoffe verarbeiten. Als Baustoffe können Asphaltfräsgut oder andere granulare Stoffe, die aus altem Straßenoberbau wiedergewonnen wurden, sowie Materialien aus der RC-Auf bereitung umweltfreundlich genutzt werden. Die 100-prozentige Wiederverwendung sorgt für hohe CO 2 - und Energieeinsparungen bei minimalen Baukosten und Bauzeiten. Vielerorts fällt Asphaltfräsgut bei Instandsetzungsarbeiten an und wird meist nur zu geringen Teilen wiederverwendet. Die Auf bereitung mittels Schaumbitumentechnologie zu bituminös stabilisiertem Material (BSM) kann jederzeit mit einer Kaltrecycling-Mischanlage KMA 240(i) vorgenommen werden. Dank einfacher Transporteigenschaften kann die Anlage direkt zum Lagerort des Asphaltgranulates gefahren und innerhalb kurzer Zeit in den Einsatz gebracht werden. Das ist vielerorts besonders günstig, weil der Hauptbestandteil, das Asphaltgranulat, bereits auf dem Bauhof vorhanden und somit kostenlos ist. Die Vorteile von BSM-Mischgut sind die lange Verarbeitbarkeit, Belastbarkeit und Langlebigkeit. Kaltrecycling ist damit ein echter Gewinn im kommunalen Materialmanagement. Abb. 8: Übersicht - Wirtgen Produktionssystem Kaltrecycling in-plant 4. Kaltrecycling in situ/ in-place Wenn aus einer alten Straße eine neue entstehen soll, bietet sich das Kaltrecycling „in-situ“ an. Beim Kaltrecycling-Verfahren in-situ oder in-place (an Ort und Stelle), verlässt das Ausbaumaterial die Baustelle nicht, sondern wird vor Ort auf bereitet und gleich wieder eingebaut. Das erspart nicht nur viele LKW-Fahrten zur Auf bereitungsstelle, sondern verkürzt auch die Bauzeiten. Beim Fräsvorgang im Downcut-Verfahren rotiert die Fräse im Gleichlauf, das ermöglicht eine präzise Stückgrößenkontrolle, gerade bei sehr brüchigen, alten Asphaltstraßen. Unter Zugabe von Bindemitteln, wie Schaumbitumen und der Verwendung des bestehenden Asphaltoberbau wird ein neuer, hochwertiger Baustoff an Ort und Stelle produziert. Abb. 9: Übersicht - Wirtgen Produktionssystem Kaltrecycling in-situ Für den in-situ-Einsatz wird ein Einbauzug verwendet. Dieser besteht aus: Zementstreuer, Wassertankwagen, Bitumentankwagen, Kaltrecycler (Fräs- und Mischmaschine), Asphaltfertiger (baut das neue Mischgut profil- und lagegerecht ein) und schließlich Tandemwalzen und Gummiradwalze, um eine gute Verdichtung über die gesamte Tiefe der Schicht sicherzustellen. Im Anschluss wird typischerweise eine Deckschicht aus Heißasphalt darüber eingebaut. Das Verfahren benötigt weder zum Trocknen noch zum Erhitzen der Gesteinskörnungen Energie - ganz im Gegensatz zu Heißasphalt. Darüber hinaus entfällt bei der BSM-Produktion durch die Nutzung von Ausbauasphalt aus lokalen Ressourcen der Import bzw. Transport dieser Rohstoffe. Somit zeichnet sich BSM im Vergleich zu herkömmlichem Heißmischgut durch ein überaus interessantes Nachhaltigkeitsprofil sowie einen sehr niedrigen CO 2 -Fußabdruck aus. Abb. 10: Detaildarstellung des Fräs- und Mischprozess in-situ <?page no="214"?> 214 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kaltrecycling - Innovative und nachhaltige Straßeninstandsetzung 5. Perspektiven Mit der wachsenden Weltbevölkerung wächst auch der Bedarf an Infrastruktur. Um den Anforderungen des modernen Verkehrs- und Transportwesens gerecht zu werden, braucht es vor allem langlebige und sichere Verkehrsflächen. Gleichzeitig ist das globale Straßennetz vielerorts sichtbar in die Jahre gekommen, einhergehend mit dem rasanten Anstieg des Schwerlastverkehrs. Um die Funktionsfähigkeit der Straßeninfrastruktur langfristig zu erhalten, bedarf es zunehmend einer strukturellen Instandsetzung des Straßenauf baus. Innovative Technologien und Verfahren wie das Kaltrecycling sind hier eine nachhaltige Lösung und Wegbereiter für mehr Mobilität weltweit. EU-Politische Ziele für eine nachhaltige Entwicklung von Straßenverkehrsinfrastrukturen sind im Weißbuch zum Verkehr, der Agenda 2030, dem Übereinkommen von Paris und dem Green Deal definiert. Im Straßenbau der Zukunft müssen alle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden. Für Bauunternehmen bedeutet das, nachhaltig zu arbeiten, natürliche Ressourcen zu schonen, mit einem Höchstmaß an Effizienz. Vor allem hinsichtlich der aktuellen weltweiten Klimakrise müssen neue Konzepte entwickelt werden und es muss auch im Straßenbau ein Umdenken erfolgen. Bei der Straßeninstandsetzung ist Kaltrecycling bereits State-of-the Art. Dieses Verfahren wird den Anforderungen an technischer Qualität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu 100-% gerecht. Abb. 11: Wirtgen W380CRi Kaltrecyclingzug im Einsatz <?page no="215"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 215 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Ressourcenschonung durch hohe Recyclingquote Dr. Bastian Wacker Die Autobahn GmbH des Bundes, Berlin Dr. Ivan Isailović TPA GmbH, Köln Dr. Mehdi Kalantari Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Dr. Dirk Jansen Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Stephan Ehlers STRABAG AG, Lemgo Hans-Werner Seul Die Autobahn GmbH des Bundes - NL Rheinland, Euskirchen Zusammenfassung In wahrscheinlich allen Bereichen der Gesellschaft ist das Thema Nachhaltigkeit angekommen und wird mit verschiedenen Möglichkeiten und Aktivitäten bedient. Im Bereich des Straßenbaus wird der ausgebaute Asphalt bereits sehr gut in den einzelnen Asphaltschichten wiederverwendet. Wertvolle Ressourcen werden somit gespart. Mit der Technologie des Kaltrecyclings ist es möglich, zum einen große Mengen (bis zu 100 %) wiederzuverwenden sowie zum anderen energieärmer und mit kurzen Transportwegen zu produzieren. Entweder wird das ausgebaute Material unmittelbar nach dem Ausbau auf bereitet und wieder eingebaut (In-situ) oder z.-B. auf einem nahegelegenen Parkplatz zwischengelagert und dort mit einer mobilen Kaltrecyclingmischanlage (KMA) zusammen mit Schaumbitumen und Zement auf bereitet (In-plant). Auf der BAB-A-555 südlich von Köln haben sich Auftragnehmer und Auftraggeber bei einer Seitenstreifenertüchtigung auf die In-Plant Lösung verständigt. Der Schwerverkehr wird für die Dauer der Baumaßnahme (ca. 2-Jahre) auf den Seitenstreifen umgelegt. Bei diesem Pilotprojekt musste das Ausgangsmaterial von einer anderen Maßnahme verwendet werden, weil es (Bestand aus Beton) nicht geeignet war. Das Projektteam (STRABAG-AG, TPA-GmbH, Wirtgen Group) hat Ende Mai 2023 anstelle der Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht ein Bitumenstabilisiertes Material (BSM) in zwei Lagen (16-cm und 10-cm) eingebaut und mit einer Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt (SMA-11-S, 4 cm) überbaut (resultierende Belastungsklasse Bk100). Vor der Verkehrsfreigabe wurden zerstörungsfreie Prüfungen (Tragfähigkeitsmessungen mit dem Falling Weight Deflectometer (FWD) und Traffic Speed Deflectometer (TSD) sowie Georadarmessungen) durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführt. Diese werden während der Zeit der baustellenbedingten Verkehrsumlegung auf den Seitenstreifen regelmäßig wiederholt. Im Rahmen der gemeinsamen Projektarbeit zwischen der Autobahn-GmbH (NL-Rheinland, Zentrale), der STRABAG-AG, der TPA-GmbH und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) werden die gewonnenen Daten ausgewertet, analysiert und gemeinsam veröffentlicht. Parallel werden weitere Streckenabschnitte gesucht, bei denen zusätzliche Erfahrungen gesammelt werden sollen. 1. Einführung Vorhandene Ressourcen sinnvoll und dauerhaft zu nutzen ist Bestandteil jeder Überlegung, auch im Straßenbau hat sich dies schon seit Jahrzehnten etabliert und wird stetig verbessert. Das bedeutet, dass das Material, welches bei Erhaltungsmaßnahmen ausgebaut wird, im besten Fall auch in derselben Maßnahme und im gleichen Einsatzbereich (Einbauschicht) eingebaut wird. Dies ist für die Auftraggeber in verschiedenen Bereichen relevant aber auch für die Auftragnehmer ergeben sich positive Möglichkeiten, weil Prozesse optimiert und Materialtransporte reduziert werden können. Durch eine Verwendung direkt innerhalb der Maßnahme können so Umweltbelastungen und der Abbau von neuen Materialien reduziert werden. <?page no="216"?> 216 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Neben der Verarbeitung des Materials in einer nahegelegenen Mischanlage, kann das Material auch durch Kaltrecyclingmaßnahmen (In-Situ, In-Plant) auf bereitet und anschließend eingebaut werden. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem International Erfahrungen aufgebaut und angewendet, aber auch in Deutschland gab es Anwendungen und wissenschaftliche Begleitungen [1]. Auch bei der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) wird das Thema durch verschiedene Arbeitskreise bearbeitet. Die internationalen und nationalen Weiterentwicklungen [2] zeigen weitere Einsatzbereiche als „nur“ den Einsatz in Fundationsschichten und somit auch bei höherwertigen Einsatzbereichen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) konnte auf dem Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal der BASt (duraBASt) eine Teststrecke anlegen und im Rahmen von zeitraffenden Belastungsversuchen sowie zerstörungsfreien, aber auch zerstörenden Prüfverfahren untersuchen. Diese Teststrecke wurde so angelegt, dass anstelle der Asphalttragschicht eine Schicht mit Bitumen-Stabilisierten-Material (BSM) in Kombination einer Deckschicht aus Splittmastixmaterial eingebaut wurde. Parallel wurde ein Testabschnitt nach den Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen (RStO) eingebaut der dieselbe Belastung aufnehmen sollte. Im Rahmen des Projektes konnte durch zwei unterschiedliche Qualitäten des Kaltrecyclingmaterials ein Vergleich zum RStO-Auf bau erzielt werden. Dadurch wurde deutlich, dass ein guter Straßenauf bau mit Kaltrecycling mindestens die gleichen Belastungen aufnehmen kann wie der Standardauf bau [3]. Im Rahmen der Projektvorbereitung auf der BAB-A-555 südlich von Köln haben der Auftragnehmer und der Auftraggeber eine Testanwendung der Kaltrecyclingmethode im Rahmen einer Seitenstreifenertüchtigung abgestimmt. Ziel war es Erfahrungswerte bei der konkreten Projektvorbereitung (z.-B. Materialauswahl, Rezeptur, Einbaumethode) und Projektdurchführung (z.- B. Maschinenanforderungen, Materialverhalten, Baustellenablauf) zu gewinnen. Für die Nutzungszeit von 2-Jahren wurde nach Abschluss der Bauphase ein Monitoringprogramm zusammen mit der BASt abgestimmt und unmittelbar vor der Verkehrsfreigabe gestartet. 2. Rahmenbedingungen Für die Anwendung der Kaltrecycling Bauweise sind verschiedene Rahmenbedingungen zu beschreiben und festzulegen. In diesem Projekt wurden die aktuellen Vorgaben zur Anwendung der Kaltrecyclingbauweise mit Schaumbitumen angewendet und die Technologie wird als Bitumen-Stabilisiertes Material (BSM) bezeichnet. 2.1 Kaltrecycling Technologie - BSM Um Gesteinskörnungen zu einem gebundenen Baustoff zu verarbeiten, wird entweder ein chemisch wirkendes Bindemittel (z.-B. Zement) oder ein durch Erhitzung in der Viskosität reduziertes Bitumen eingesetzt. Zement reagiert mit Wasser zu starren mineralischen Strukturen, welches in einem elastischen Baustoff mit hoher Festigkeit resultiert. Bei Temperaturen über 140-°C wird Bitumen mit Gesteinskörnungen vermischt. Nach Abkühlung bleiben die viskosen Bindemitteleigenschaften erhalten, wodurch Asphalt mit viskoelastischen Bindungseigenschaften resultiert. In beiden Fällen und bei entsprechend hohen Bindemittelgehalten resultieren vollständig gebundene Baustoffe. Während der bitumengebundene Asphalt Zwangsspannungen durch Relaxation abbauen kann, müssen in zement-gebundenen Schichten Fugen oder Kerben angeordnet werden, um wilde Rissbildung zu vermeiden. Ziel der Kaltrecycling-Bauweise ist es, bei Umgebungstemperatur die flexible, viskoelastische Tragfähigkeit einer Asphaltschicht zu erhalten, ohne dass der Baustoff bei der Herstellung erhitzt werden muss. Um dennoch flexible, viskoelastische Bindungen zu erreichen kann das Bitumen entweder in Form von Bitumenemulsion oder als Schaumbitumen in das Mischgranulat eingemischt werden, zusätzlich wird auch eine geringe Menge an Zement hinzugegeben. Das endgültige Produkt wird als Bitumen- Stabilisiertes-Material (BSM) bezeichnet und wird nicht nur in der Fundationsschicht, sondern kann auch als Ersatz von anderen Schichten eingesetzt. Das endgültige Material ähnelt eher einem ungebundenen Material, bei dem die Übertragung der Kräfte durch Verzahnung erfolgt. Die internationalen Erfahrungen wurden schon auf der duraBASt im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht [3]. In dem folgenden Schritt soll ein reales Bauvorhaben verwendet werden, um über eine längere Zeit reale Beanspruchungen aus Verkehrsbelastung und Klimaeinflüssen analysiert zu können. 2.2 Projektstandort BAB A555 und Messsysteme zur Bewertung und Monitoring Die BAB-A-555 gilt als die älteste Autobahn Deutschlands und wurde im Jahr 1932 eröffnet. Durch die direkte Verbindung der Städte Köln und Bonn gilt die Strecke in der Region als eine sehr wichtige Verbindung. Seit 2022 wird auf der Strecke eine grundhafte Erneuerung durchgeführt und schrittweise auch der Lärmschutz durch bauliche Maßnahmen verbessert. Im Rahmen der grundhaften Erneuerung ist es erforderlich für den fließenden Verkehr die Seitenstreifen zu ertüchtigen, um die Anzahl der Fahrspuren, auch während der Bauphase, aufrecht erhalten zu können. Im Rahmen der Vorbereitung eines weiteren Bauloses konnte somit zwischen der bauausführenden Firma und der Autobahn GmbH ein Konzept entwickelt werden, bei der die Kaltrecyclingbauweise für die Seitenstreifenertüchtigung zum Einsatz kommen konnte. Aufgrund der Tatsache, dass der Seitenstreifen mit einer Betonfahrbahndecke hergestellt wurde, konnte das Material nicht für das Kaltrecycling In-situ verwendet werden und musste von der Maßnahme abtransportiert werden. Die ausgewählte Streckenlänge für die Kaltrecyclingbauweise umfasst 500 m und soll für die temporäre 4+0 Verkehrsführung von 2 Jahren als Hauptfahrstreifen in Fahrtrichtung Norden genutzt werden. Der Streckenab- <?page no="217"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 217 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht schnitt liegt nördlich von Wesseling und reicht bis zur Stadtgrenze von Köln. 3. Baustellenbericht Die Erstellung der Eignungsprüfung für das BSM sowie die Qualitätsüberwachung während des Einbaues wurden von der STRABAG-AG eigenen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Innovation (TPA-GmbH) durchgeführt. Die umfassende BSM-Konzeption erfolgte in Anlehnung an das südafrikanische technische Regelwerk TG2 [4] sowie in Anlehnung an das Laborhandbuch für BSM-Kaltrecycling von Wirtgen [5]. Ein Flowchart zur Vorgehensweise im Rahmen der Eignungsprüfung ist in Abb.-1 dargestellt. Abb. 1: Flowchart für die BSM-Konzeption [5] Anhand von Laboruntersuchungen (Korngrößenverteilung, Aktivität des Asphaltgranulats, Proctorversuch, Spaltzugfestigkeit vor und nach Wasserlagerung, Triaxialversuch) wurde eine optimale Zusammensetzung von dem BSM mit 75-M.-% Asphaltgranulat und 25-M.-% frischer Gesteinskörnung der Lieferkörnung 0/ 5 erarbeitet. Die Zugabe von 2,0-M.-% Schaumbitumen und 1,0-M.-% Zement führten zu einer höchst-qualitativen BSM-Zusammensetzung BSM1 gemäß TG2 [4], mit den Spaltzugfestigkeiten von über 470-kPa. Die BSM-Herstellung erfolgte am Standort der Deutschen Asphalt GmbH in Langenfeld mittels einer mobilen Kaltmischanlage KMA240i (siehe Abb. 2). Aufgrund der ungebundenen Beschaffenheit des BSM ist ein sofortiger Einbau nicht notwendig. Daher konnte das Material bereits am Vortag vorgemischt und auf einer Halde, vor Witterungseinflüssen geschützt, abgelegt werden. Abb. 2: mobile Kaltmischanlage KMA240i für die BSM-Herstellung in Langenfeld (Deutsche Asphalt GmbH) Der Einbau vom BSM erfolgte auf einer im Vorfeld vorbereiteten Zementverfestigung nach TL- Beton-StB- 07 [6]. Der zweilagige Einbau hat über zwei Tage verteilt im Mai-2023, in einer Gesamtdicke von 26-cm (16-cm-+ 10-cm), stattgefunden. Im Vergleich zur konventionellen Bauweise mit Asphalt konnte hier auf den Transport mit den Thermomulden sowie auf eine Beheizung der Fertigerbohle verzichtet werden. Außerdem stand aufgrund der überwiegend ungebundenen Eigenschaften des BSM mehr Zeit für den Einbau zur Verfügung. Damit dem BSM die Feuchtigkeit durch den Unterbau nicht entzogen wird, wurde die Verfestigung im Vorfeld leicht bewässert. Auch hinter dem Fertiger wurde die Oberfläche des BSM befeuchtet, um die Verarbeitbarkeit des BSM positiv zu beeinflussen und zu verlängern. Dies soll wetterabhängig und erfahrungsbasiert erfolgen. Der BSM-Einbau erfolgte mit dem Standardfertiger Vögele S1900-3i in drei Metern Breite (siehe Abb. 3). Dabei wurde die Bohle auf einen hohen Entlastungsdruck (ca.- 10-15- bar) und einem Tamperhub von 8- mm gefahren. Dadurch konnte eine hohe Vorverdichtung von ca.- 80- % unmittelbar hinter der Einbaubohle erreicht werden [7]. Die optimale Hauptverdichtung auf ganzer Fläche wurde mittels der 13-t schweren Walze vom Typ Hamm HD+140iVV (13- t) erreicht (siehe Abb. 4). Bei der zweiten BSM-Lage kam auch die Gummiradwalze HP280i (9,5-t) von Hamm zum Einsatz. Laut dem FDVK- System Smart Doc wurde nach ca. 7- Übergängen bereits die maximale Verdichtung erreicht. Die Glättung der BSM Oberfläche erfolgte mit einer leichten Walze Bomag BW120AD ohne Vibration. Am dritten Einbautag wurde die Asphaltdeckschicht SMA-11-S in 4-cm Dicke standardmäßig eingebaut. Zur Sicherstellung eines ausreichenden Schichtenverbundes zwischen Asphalt und BSM wurde im Vorfeld die obere BSM-Lage mit einer polymermodifizierten Emulsion PmB-C60BP4-S angespritzt. Abb. 3: Einbau von BSM (untere Lage) auf der Asphaltverfestigung mit dem Standard Fertiger Vögele S1900-3i <?page no="218"?> 218 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Abb. 4: Hauptverdichtung der oberen BSM-Lage mit der 13 t schweren Walze Typ Hamm HD+140iVV Die Qualitätssicherung der BSM-Herstellung sowie des Einbaues wurde kontinuierlich durchgeführt. Es wurden u.-a. folgende Untersuchungen berücksichtigt: - Probenahme und Bestimmung des Wassergehaltes, - Bestimmung der Spaltzugfestigkeit vor und nach Wasserlagerung, - Verdichtungsüberwachung mittels Troxlersonde und mittels Densitometers. Nach Fertigstellung der Straßenbefestigung wurden weiterhin Bohrkerne entnommen, die für weitere Untersuchungen herangezogen wurden. Anhand der Prüfergebnisse der Spaltzugfestigkeit lässt sich schließen, dass sowohl vor als auch nach der Wasserlagerung geringere Prüfwerte als in der Eignungsprüfung erreicht wurden (siehe Tab. 1). Dies wurde an den Probekörpern festgestellt, die im Labor aus dem entnommenen BSM-Mischgut hergestellt wurden. Jedoch liegen die Prüfwerte immer noch in einem akzeptablen Bereich gemäß dem TG2-Regelwerk. Hingegen weisen die Spaltzugfestigkeiten der an der gleichen Station entnommenen Bohrkerne (Station 6+550, Tab. 1) deutlich höhere Werte auf, welche fast auf dem Niveau der Eignungsprüfung liegen. Dies deutet vermutlich auf eine bessere Verdichtung in Situ als im Labor hin. Tab. 1: Prüfergebnisse der Spaltzugfestigkeit von BSM vor und nach Wasserlagerung Station BSM Lage ITS dry [kPa] ITS wet [kPa] im Labor hergestellte Probekörper Mischanlage - 410 302 6+700 unten 253 182 6+550 unten 246 160 6+400 unten 291 186 6+700 oben 227 137 6+550 oben 219 145 6+400 oben 215 132 aus den Bohrkernen gewonnene Probekörper 6+550 unten 424 335 oben 337 296 Die Ergebnisse der Bohrkernuntersuchung zeigen (mit Ausnahme von 2-Prüfstationen) die Erzielung eines ausreichenden Verdichtungsgrades von über 98-% für beide BSM-Lagen (siehe Tab. 2). Dies wurde auch durch die Dichtenmessung in Situ mittels Densitometer bestätigt. Die obere BSM-Lage weist höhere Verdichtungsgrade als die untere Lage auf. Aus der Bohrkernuntersuchung lässt sich weiterhin schließen, dass alle entnommenen Bohrkerne einen vollständigen Verbund zwischen der oberen BSM-Lage und der Asphaltdeckschicht aufweisen. Die gemäß TP Asphalt, Teil-48-A [8] bestimmten maximalen Scherkräfte liegen bei 14,2-kN, 15,4-kN, 21,9-kN und 23,2-kN. Demzufolge liegt ausschließlich ein Wert unter der gemäß ZTV Asphalt-StB 07/ 13 geforderten Scherkraft von mindestens 15-kN (bei Berücksichtigung der Anforderung Asphaltdeckzu Asphaltbinderschicht). Falls die Anforderung an den Schichtenverbund zwischen Asphaltdeckschicht und den allen übrigen Asphaltschichten von 12-kN in Betracht gezogen wird, liegen alle Prüfwerte über diesem Anforderungswert. Tab. 2: Erzielte Verdichtungsgrade des BSM aus der Bohrkernuntersuchung Station Nr. Verd.grad BSM Lage unten [%] Verd.grad BSM Lage oben [%] 6+700 1 96,3 100,8 2 96,7 101,1 6+550 5 98,6 102,8 6 98,2 101,5 7 99,3 101,7 8 99,9 102,0 6+400 11 98,4 101,1 12 98,7 100,9 <?page no="219"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 219 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Weiterhin zeigt die Bohrkernuntersuchung, dass nur an 30-% den entnommenen Bohrkernen ein Verbund zwischen den zwei BSM-Lagen vorliegt. Ob dies mit der Art der trockenen, luftgekühlten Bohrkernentnahme zusammenhängt, ist nicht bekannt. Aufgrund der ungebundenen Beschaffenheit von BSM, leitet das Material aufgebrachte Verkehrslasten durch den Kontakt zwischen den Partikeln effektiv ab und ermöglicht die vertikale Übertragung von Lasten, ohne dabei horizontale Spannungen zu verursachen. Daher hat der fehlende Verbund zwischen den BSM-Lagen voraussichtlich keinen großen Einfluss auf die Spannungsverteilung in der Straßenbefestigung. 4. Monitoringprogramm und Erfassungsergebnisse Ziel des Monitoringprogramm bei der Maßnahme ist, dass das Verhalten des hergestellten Seitenstreifens über die verschiedenen Belastungszustände ausgewertet werden kann. Hierzu haben sich die Projektbeteiligten auf ein vierteljährliches Befahren der Strecke verständigt. Vor der Verkehrsfreigabe wurden zerstörungsfreier Messungen mit dem Traffic Speed Deflectometer (TSD) der BASt (bezeichnet als Multifunktionale Erfassungssystem zur Substanzbewertung und zum Aufbau von Straßen - MESAS) durchgeführt. Die Oberflächentemperatur des Fahrbahnbelags lag während der Messungen zwischen 18 und 22-°C. Abb. 5 zeigt den berechneten Parameter SCI- TSD in 1-m Intervallen für den BSM Abschnitt (Bk100), den davorliegenden Abschnitt (als HMA_neu bezeichnet) und den darauffolgenden Abschnitt (als JPC_alt bezeichnet). Der HMA_neu Abschnitt wurde mit einem herkömmlichen RStO-Auf bau für die Belastungsklasse Bk100 dimensioniert und hergestellt. Der Abschnitt JPC_alt wurde bislang nicht neu dimensioniert oder hergestellt und ist weiterhin die alte Betonfahrbahndecken- Konstruktion mit Fugen. Abb. 5: SCI-TSD über drei verschiedene Abschnitte (von links, der neu sanierte Standardabschnitt, der mit BSM rekonstruierte Abschnitt und die vorhandene Betonfahrbahndecke) Der SCI-TSD ist ein Tragfähigkeitsindex, der auf zwei Neigungswerten basiert, die vor und hinter dem Belastungsrad gemessen werden. Er spiegelt den Zustand der Tragfähigkeit der oberen Schichten des Fahrbahnbelags wider und ist mit dem bekannten SCI300 (Falling Weight Deflectometer - FWD) vergleichbar. Niedrigere Werte deuten auf eine bessere Tragfähigkeit hin. Beim Vergleich der herkömmlichen und der recycelten Abschnitte zeigt sich, dass beide ein ähnliches Niveau des SCI-TSD aufweisen. Im Vergleich zum bestehenden alten Betonfahrbahndeckenabschnitt ist zu erkennen, dass die Streuung der gemessenen Werte höher ist als bei den neu hergestellten Abschnitten (HMA_neu und BSM), was hauptsächlich auf die Diskontinuität durch die Fugen zurückzuführen ist. Tab. 3 zeigt die 50 und 90 Perzentile des Parameters SCI- TSD (als SCI-TSD50% und SCI-TSD90% bezeichnet) sowie deren Differenz (als Δ90-50 bezeichnet) für die oben genannten Abschnitte und zwei weitere flexible Fahrbahnabschnitte. Ein Abschnitt wurde wie der HMA_ neu-Abschnitt neu hergestellt (als HMA_neu2 bezeichnet), der andere ist noch die bestehende Befestigung in Asphaltbauweise (als HMA_alt bezeichnet). Tab. 3: Verschiedene SCI-TSD Quantile auf der Grundlage der ersten Messung auf verschiedenen Abschnitten Abschnitt SCI-TSD 50% (µm) SCI-TSD 90% (µm) Δ 90-50 (µm) HMA_neu2 31 49 18 HMA_alt 52 78 26 HMA_neu 30 50 20 BSM 31 48 17 JPC_alt 70 240 170 Der Vergleich der SCI-TSD50%-Werte zwischen den HMA-Abschnitten zeigt einen deutlichen Rückgang in den neu hergestellten Abschnitten im Vergleich zu den bestehenden (alten) Abschnitten. Das Gleiche gilt für die Werte von ∆90-50. Diese Beobachtung zeigt, dass das Maß der Inhomogenität in den Tragfähigkeitsdaten eines Abschnitts ein Indikator für den Verlust der strukturellen Integrität sein kann. Dies führt zu der Überlegung, den Parameter ∆90-50 als möglichen Indikator zur Überwachung der strukturellen Integrität im Lebenszyklus einer Fahrbahn zu nutzen. Abb. 6 zeigt diesen Parameter für eine Länge von 400-m für die Abschnitte HMA_neu und BSM bei verschiedenen Messrunden nach der Verkehrsfreigabe. <?page no="220"?> 220 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Abb. 6: Die Veränderung der Differenz von SCI- TSD50% und SCI-TSD90% (∆90-50) in konventionellen (HMA_neu) und recycelten (BSM) Abschnitten Es ist bekannt, dass der Parameter ∆90-50 ebenfalls temperaturabhängig ist, jedoch weniger stark als die Parameter SCI-TSD50% oder SCI-TSD90% selbst. Betrachtet man den Verlauf von ∆90-50, ist erkennbar, dass beide Abschnitte nach der Verkehrsfreigabe einen Rückgang zeigen und danach beide normal ohne Anzeichen plötzlicher Änderungen verlaufen. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass nach fast einem Jahr unter Verkehr keine signifikante Veränderung der strukturellen Integrität aufgetreten ist. Es ist wichtig zu beachten, dass die Tragfähigkeit sich von der Restnutzungsdauer einer Fahrbahn unterscheidet, jedoch ein Parameter ist, der diese beeinflusst. Sie ist auch kein direkter Indikator für gute Leistung oder Haltbarkeit, da diese durch die Überwachung mehrerer Parameter über die Lebensdauer der Fahrbahn bewertet werden müssen. Die Art und Weise, wie die zerstörungsfreien Prüfungen die Tragfähigkeit messen, spiegelt eine steifigkeitsartige Eigenschaft des Fahrbahnbelags wider, die nicht nur von den eingesetzten Materialien abhängt, sondern auch von anderen Parametern wie Temperatur und Feuchtigkeitsbedingungen während der Messung. Unterschiedliche Fahrbahnen mit unterschiedlichen Materialien können bei unterschiedlichen Temperaturen unterschiedlich auf die Tragfähigkeitsmessungen reagieren, selbst wenn sie bei einer bestimmten Temperatur denselben Indexwert aufweisen. Das bedeutet, dass selbst wenn die BSM- und HMA-Abschnitte bei einer Temperatur denselben SCI-TSD-Wert aufweisen, sie bei anderen Temperaturen oder Feuchtigkeitsbedingungen nicht denselben Wert zeigen werden. Darüber hinaus sollte der Wert des SCI-TSD im BSM-Abschnitt nicht höher oder gleich dem des HMA-Abschnitts sein, um dessen Leistung als akzeptabel einzustufen. Die Tragfähigkeitsmessungen können genutzt werden, um die strukturelle Integrität beider Abschnitte unter Verkehr zu überwachen und einen möglichen Verlust dieser zu erkennen, was ein Hinweis auf Schäden im Fahrbahnbelag sein kann. Abb. 7: Die Veränderung der SCI-TSD (normiert auf 20-°C) in konventionellen (HMA_neu) und recycelten (BSM) Abschnitten während des ersten Jahres der Nutzung Abb. 7 zeigt den SCI-TSD-Parameter für die konventionellen (HMA_neu) und die recycelten (BSM) Abschnitte, normalisiert auf 20-°C. Es zeigt sich, dass beide Abschnitte unter der Belastung ähnlich reagieren. Es ist auch bekannt, dass das BSM-Material weniger steif ist als das HMA, weshalb die SCI-TSD-Werte im recycelten Abschnitt höher sind. Trotz der Temperatur-Normalisierung sind noch Änderungen erkennbar, was den Einfluss anderer Parameter (wie Feuchtigkeitsgehalt) auf die Ergebnisse zeigt. Zur Bewertung dieser Hypothese werden im zweiten Nutzungsjahr weitere Messungen durchgeführt. 5. Zwischenfazit und nächste Schritte Die Erfahrungen aus der Projektkonzeptionierung und der Bauausführung zeigen sehr positive Entwicklungen bei der Nutzung der Kaltrecycling-Bauweise. Auch die ersten Ergebnisse der zerstörungsfreien Messverfahren lassen auf ein gutes Level bei der Tragfähigkeit schließen. Dies ist im Rahmen der weiteren Projektlaufzeit durch regelmäßige Messungen aber auch weitergehende Untersuchungen, vor allem während des Rückbaus, zu untersuchen. Die Umsetzung von solchen innovativen Projekten ist ein wesentlicher Teil der Nachhaltigkeitsstrategie der STRA- BAG AG/ TPA GmbH. Damit wird eine hohe Einsparung von natürlichen Ressourcen gewährleistet und der Ausstoß an Treibhausgasemissionen verringert. Die BASt baut mit diesem und anderen Projekten systematisch den Kenntnisstand zu dieser nachhaltigen Bauweise auf. Ziel ist die Schaffung eines belastbaren Erfahrungshintergrundes, der sich auch für hochbelastete Streckenabschnitte im Regelwerk wiederfindet. Die Autobahn GmbH erhofft sich durch diese Testanwendung eine weitere Bauweise etablieren zu können, um bei kurzzeitigen Ertüchtigungen das vorhandene Material zu verwenden und unnötige Transporte zu verhindern. <?page no="221"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 221 Kaltrecycling auf der BAB A555 als Ersatz für Asphalttrag- und Asphaltbinderschicht Literatur [1] Wacker, Kalantari, Diekmann, 2020, Cold Recycling in Germany - Current Experiences and Future Projects, Proceedings of the 9 th International Conference on Maintenance and Rehabilitation of Pavements—Mairepav9, Lecture Notes in Civil Engineering 76, - 2020. [2] Kalantari, 2021, Foamed Bitumen and Cement Stabilized Mixes, Siegen. [3] Kalantari, 2023, Cold recycling with foamed bitumen, gained knowledge from a test track in Germany, MRP’23 - Modern Road Pavements Conference Recycling in road pavement structures, Warsaw. [4] Sabita. 2020. Technical Guideline: Bitumen Stabilised Materials. A Guideline for the Design and Construction of Bitumen Emulsion and Foamed Bitumen Stabilised Materials. TG2 Third Edition. Southern African Bitumen Association (Sabita). [5] Wirtgen. 2017. Laboratory Handbook. BSM Cola Recycling. Wirtgen GmbH. [6] FGSV, 2007, TL Beton-StB. 2007. Technische Lieferbedingungen für Baustoffe und Baustoffgemische für Tragschichten mit hydraulischen Bindemitteln und Fahrbahndecken aus Beton. FGSV Verlag. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. [7] Ehlers, 2023, Aus (k)alt mach neu. Asphalt & Bitumen 6/ 2023. [8] FGSV, 2023, TP Asphalt, Teil 48 A. 2023. Abscherversuch, FGSV Verlag. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. Danksagung Ein besonderer Dank gilt dem gesamtem STRABAG AG, TPA GmbH, Autobahn GmbH und BASt Team für die gute Vorbereitung, Planung und Umsetzung des Projektes. Herzlichen Dank an Firma Wirtgen und Loudon International für die Unterstützung mit modernsten Geräten und erfahrenen Recyclingexperten. <?page no="223"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 223 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Christiane Raab Empa, Beton und Asphalt, Dübendorf, Schweiz Manfred N. Partl Partl Road Research Consulting - PaRRC, Oeschgen, Schweiz Philip Bürgisser Tiefbauamt Basel-Landschaft, Kantonsstrassen, Liestal, Schweiz Einleitung Stetige Verkehrszunahme und- zunehmende Umweltverschmutzung machen umweltfreundlichere Straßenbautechniken und die Schonung natürlicher Ressourcen erforderlich. In diesem Zusammenhang spielt das Kaltrecycling eine wichtige Rolle, da es zum einen eine drastische Reduzierung der CO 2 -Emissionen erlaubt und zum anderen eine Vielzahl von Möglichkeiten für hohe Recyclinganteile bietet. Dies auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Anteil an zu lagerndem Ausbauasphalt (Reclaimend Asphalt Pavement: RAP) weiterhin stark wächst, insbesondere in Regionen mit hochwertiger Infrastruktur, dichter Besiedlung und stark befahrenen regionalen Straßennetzen. Dort übersteigt der Bedarf an Sanierungen jenen an Neubau bei weitem, was die lokalen Behörden u.a. hinsichtlich begrenzter Lagerplätze von RAP vor große Herausforderungen stellt. Eine dieser Regionen ist das Oberrheingebiet, das Teile Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz im Dreiländereck zwischen den Städten Karlsruhe, Straßburg und Basel umfasst. Heutzutage wird RAP sowohl in Heißals auch in Niedertemperatur-Asphaltmischungen wiederverwendet, indem neues Material hinzugefügt wird, entweder als einzelne Materialkomponenten oder in bestimmten Prozentsätzen als neue Asphaltmischung (Hugener und Seeberger, 2015), (Aurangzeb et al., 2012). Beim Heißrecycling werden bitumenhaltige Bindemittel und/ oder Regenerierungsmittel zugegeben, während beim Niedertemperaturrecycling Emulsionen, Schaumbitumen und andere Komponenten verwendet werden (Zaumanis et al., 2013), (Cannone et al., 2019). Die Zugabe von neuem Material bedeutet jedoch, dass man nur einen bestimmten Prozentsatz des Ausbaumaterials verwenden und nie wirklich 100 % Recycling erreichen kann. Durch die Anwendung einer 100 %-Recyclingtechnologie für Straßen mit geringem Volumen unter Verwendung von Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur ohne Zugabe von neuem bitumenhaltigen Bindemittel oder anderen Komponenten kann die derzeitige Recyclingrate weiter erhöht werden. Dadurch werden erhebliche ökologische und ökonomische Vorteile für die Verwaltungen von kommunalen Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen realisiert, die vielerorts, wie auch in der Oberrheinregion, etwa 50 % des Straßennetzes ausmachen. Die Erarbeitung eines Verfahrens zum Kaltrecycling von RAP ohne Bindemittelzusatz war das Ziel des Projekts ORRAP „Optimal Recycling of Reclaimed Asphalts for low-traffic Pavements“, das von EFRE - INTERREG V (3.1 ORRAP), dem Kanton Aargau und der Schweizerischen Eidgenossenschaft gefördert wurde (ORRAP, 2016-2020). Inspiriert von Erfahrungen in Schweden zielte dieses europäische Projekt konkret darauf ab, eine neue Strategie für den Einbau von 100 %-igem RAP bei Umgebungstemperatur (ca. 20 °C) ohne Zugabe von neuen bituminösen Bindemitteln oder Verjüngungsmitteln für Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen zu entwickeln und zu erproben. Nach schwedischen Erfahrungen benötigen die bei Umgebungstemperatur hergestellten Tragschichten eine Nachverdichtung durch den Verkehr sowie eine Aushärtungszeit, um ihre Endfestigkeit zu erreichen. Deshalb wurden sie mindestens 6 Monate lang unbedeckt gelassen. Da dieser lange Nachverdichtungsprozess für die drei am ORRAP- Projekt beteiligten Länder keine praktikable Strategie darstellte, wurde die schwedische Recyclingtechnik überarbeitet und eine verbesserte Technik vorgeschlagen. Um eine homogenere Lastverteilung zu erreichen und Verkehrseinschränkungen zu vermeiden, wurde entschieden, bei der geplanten Teststrecke des Projektes die 100-prozentige Recyclingtragschicht direkt nach dem Einbau mit einer Deckschicht aus Heißasphalt zu überbauen. Das-Forschungsprojekt umfasst neben Laborexperimenten, den Einbau und das Monitoring einer Pilotstrecke im Kanton Basel-Landschaft. Methodik Das ORRAP-Forschungsprojekt beinhaltete eine umfassende Untersuchung der vorgeschlagenen 100 %-Recyclingtechnik für verkehrsschwache Straßen mit dem praktischen Ziel, einen technischen Leitfaden zu erstellen, der beschreibt, was bei der Herstellung, Verarbeitung, beim Einbau und der Qualitätskontrolle eines solchen Belags zu beachten ist. Das ORRAP-Projekt bestand aus verschiedenen unter den Projektpartnern aufgeteilten Arbeitspaketen, wobei der Schwerpunkt auf materialtechnologische Prüfungen im Labor und dem Einbau in Teststrecken lag. Die Materialuntersuchung umfasste eine genaue Analyse des Recyclingmaterials. Sie erfolgte vorwiegend an der Hochschule Karlsruhe und bei der Firma CEREMA (Centre d’études et d’expertise sur les risques, l’environnement, la mobilité et l’aménagement) in Strasbourg. Die <?page no="224"?> 224 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen weiteren Laboruntersuchungen waren in zwei Phasen unterteilt: In der ersten Phase wurden Laborversuche im kleinen Maßstab an der INSA (National Institute of Applied Sciences) in Strasbourg (Gaillard, et al., 2019) und an der Empa in Dübendorf durchgeführt, wobei es hier im Wesentlichen um die Möglichkeiten der Verdichtung im Labor ging (Raab et al., 2019). Die zweite Phase bestand aus einer Verkehrssimulation an der Empa im Labormaßstab, die die Verbindung zur Praxis herstellen sollte und darauf abzielte, durch Spurbildungstests und Überrollversuche an mittelgroßen plattenförmigen Prüfkörpern Erkenntnisse für den Einbau der Teststrecke zu gewinnen. Im vorliegenden Beitrag werden die an der Empa durchgeführten Laborversuche im kleinen und mittleren Maßstab darstellt und über Bau und Überwachung der Schweizer Teststrecke berichtet. Material Das Material für die Laboruntersuchungen wurde von den Partnern der verschiedenen Länder zur Verfügung gestellt, wobei jeweils ein Recyclingmaterial (RAP) aus jedem der 3 beteiligten Ländern im Labor untersucht wurde. Das Material wurde von bestehenden ungeschützten Freilanddeponien entnommen, auf die Größe von 0/ 16-mm gebrochen und in „Big-Bags“ zu den verschiedenen Labors transportiert. Die Entscheidung für RAP der Korngröße 0/ 16-mm wurde unter Berücksichtigung einer möglichst guten Verdichtbarkeit des Materials getroffen. Für die Teststrecke musste wegen der benötigten Schichtdicken allerdings auf RAP der Korngröße 0/ 22-mm zurückgegriffen werden. Vor der Laboruntersuchung wurde RAP 0/ 16 mm homogenisiert und mittels Riffelteiler, wie in der europäischen Norm (EN 932-1, 1996) beschrieben, portioniert. Für die Schweizer Teststrecke zwischen Wahlen und Büsserach im Kanton Basellandschaft wurde RAP 0/ 22-mm ohne weitere Vorbehandlung verwendet. Abbildung 1 zeigt die Korngrößenverteilung der im Labor untersuchten Recyclingmischungen 0/ 16 mm der 3- Länder (a) sowie die für die Teststrecke verwendete Recyclingmischung (0/ 22 mm). (a) (b) Abb. 1: Korngrößenverteilung: (a) Labormischgut aus Schweiz (CH), Frankreich (FR) und Deutschland (DE), (b) Mischgut Teststrecke (Schweiz) Zudem sind in Tabelle 1 die Kennwerte der Recyclingmischungen aufgeführt. Tab. 1: Kennwerte der Recyclingmischungen Kennwert RAP_0/ 16_DE RAP_0/ 16_CH RAP_0/ 16_FR RAP_0/ 22_CH Bindemittelgehalt [%] 4.5 4.7 4.5 4.0 Wassergehalt [%] 5.6 4.3 5.5 3.7 Dichte [t/ m 3 ] 2347 2371 2408 2387 Laboruntersuchungen an der Empa Die Laboruntersuchung an der Empa wurde in zwei Schritten durchgeführt: In einem ersten Schritt wurde die Verdichtbarkeit von kleinen Laborprobekörpern untersucht. Basierend auf diesen Ergebnissen erfolgte dann im zweiten Schritt die Verdichtung an mittelgroßen Probekörpern. Diese mittelgroßen Probekörper wurden für eine Untersuchung im Spurbildungstester mit großem Rad (Europäische Norm EN 12697- 22) und einem Labor-Verkehrssimulator im Maßstab 1: 3, dem so genannten Modell-Mobilen-Last- Simulator MMLS3, zur Bestimmung der Standfestigkeit und des Spurbildungsverhaltens verwendet. <?page no="225"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 225 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Verdichtung kleiner Laborprobekörper Kleinmaßstäbliche Laborprobekörper wurden mittels Marshallhammer oder Gyrator verdichtet. Dabei wurde deutlich, dass für die Herstellung stabiler Probekörper im Labor entweder der Verdichtungsaufwand (Anzahl der Schläge bzw. Umdrehungen) oder die Temperatur erhöht werden musste. Insgesamt zeigte sich, dass eine nur sehr geringe Erhöhung der Temperatur (60 °C anstelle von Raumtemperatur ca. 23 °C) das Verdichtungsverhalten deutlich verbesserte (Raab et al., 2019). Verdichtung, Spurbildungsprüfung und Überrollversuche an mittelgroßen plattenförmigen Laborprobekörpern Für die Verdichtung von Spurbildungsprüfkörpern sowie mittelgroßer plattenförmiger Laborprobekörper wurden folgenden Methoden angewandt, bei denen das RAP-Material ebenfalls auf 60 °C erhitzt wurde (Raab et al. 2017), (Raab et al., 2019): - Spurbildungs-Probekörper (500 mm x 180 mm, Höhe 100 mm) für den Spurbildungstester mit großen Rad wurden mit der für dieses Gerät erforderlichen Verdichtung hergestellt, wobei allerdings eine Stahlwalze anstelle des pneumatischen Rads verwendet wurde, weil dies der Realität am nächsten kam. Obwohl es sich beim ORRAP Material um ein Mischgut für schwachbelastete Straßen mit Mischgut der Kategorie L handelte, wurden die Spurbildungstests mit großem Rad bei 60 °C mit bis zu 30’000 Zyklen durchgeführt, wie es in der Schweizer Norm eigentlich nur für sehr stark befahrene Straßen, d.h. für Mischgut der Kategorie H erforderlich ist. - Mittelgroße plattenförmige Probekörper (1300 mm x 430-mm x 65 mm) für den MMLS3-Verkehrssimulator wurden mit einem speziellen Verdichter hergestellt, der aus einer Stahlwalze mit einer Breite von 90-mm und einem Durchmesser von 35 mm besteht. Die Stahlwalze war auf einem Metallrahmen mit Schienen für die horizontale Verschiebung montiert (Raab et al. 2019). Eine Kurbel ermöglicht die Bewegung der Stahlwalze in vertikaler Richtung. Während der Verdichtung wurde die Stahlwalze mit Wasser besprüht. Die Verdichtung erfolgte manuell durch hin- und her Bewegen der Stahlwalze in Längsrichtung im statischen Verdichtungsmodus ohne Vibration, wobei ein starrer Betonboden als Unterlage und ein Holzrahmen als seitliche Begrenzung dienten. Diese Methode führte zu gut verdichteten Probekörpern mit ebener Oberfläche (Raab et al., 2019). Für die Verkehrssimulation wurde der Verkehrslastsimulator MMLS3 verwendet (Hugo und Epps, 2004), der eine skalierte Reifenlast von 2.1 kN in einer Fahrtrichtung mit vier pneumatischen 300 mm Rädern, aufbringt. Die Maschine (Länge x Breite x Höhe = 2,4-m x 0,6 m x 1,2 m) ermöglicht ca. 7200 Überrollungen pro Stunde bei einer Geschwindigkeit von 2,6 m/ s. Die erste Prüfung von RAP 0/ 16 mm aus der Schweiz wurde im Sommer bei einer Umgebungstemperatur (25 °C) mit bis zu 80’000 Überrollungen durchgeführt (Raab et al., 29019). Später wurde eine weitere Prüf kampagne für Recyclingmaterial aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland bei einer Temperatur von ca. 20 °C und mit bis zu 50’000-Überrollungen durchgeführt. Pro Recyclingmaterial wurden je 2 Probekörper getestet. Die Spurrinnenbildung wurde mit einem automatischen Profilometer an 3 verschiedenen Punkten innerhalb der Radspur der MMLS3 gemessen und gemittelt. Ergebnisse Spurbildungstester mit großem Rad Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse der Spurbildungsprüfung mit großem Rad. Abb. 2: Ergebnisse Spurbildungsprüfung mit großem Rad bei 60 °C inklusiv Grenzwerte für S und H Beläge nach Schweizer Norm Die für die Recyclingmaterialien aus den 3 Ländern ermittelten Verläufe der Spurrinnentiefen liegen recht nahe beieinander und folgen innerhalb der Belastungsphase einem doppeltlogarithmisch linearen Verlauf. Es zeigen sich aber auch einige Unterschiede. So ist die an der Steigung der Kurve ablesbare Spurbildungsgeschwindigkeit des FE-Materials deutlich höher als bei beiden anderen Recyclingmaterialien. Dies wirkt sich aus praktischer Sicht vor allem zu Beginn des Belastungsprozesses negativ aus. Die Steigung des DE-Materials ist vergleichbar mit derjenigen des CH-Materials, jedoch hat DE anfänglich eine deutlich geringere Spurrinnenbildung. Insgesamt ist die DE-Mischung weniger spurbildungsresistent. Im Vergleich zu den Anforderungen für Asphaltbetonbeläge der Schweizer Norm erfüllt nur das CH-Material die Anforderungen an den Mischungs-Typ S für schweren Verkehr (≤ 10 % nach 10’000 Überfahrten) und sehr schweren Verkehr H (≤7.5 % nach 30’000 Überfahrten), während die anderen beiden nur die Anforderung an den Typ S erfüllen. Ergebnisse Verkehrslastsimulator MMLS3 Abbildung 3 zeigt das Ergebnis des der Spurbildungsentwicklung mit dem Verkehrslastsimulator MMLS3 für alle Recyclingmaterialien, wobei jeweils der Mittelwert aus 3 Profilmessungen an 2 Probekörpern dargestellt ist. Um zu zeigen, dass die Temperaturdifferenz von 20 °C bzw. 25 °C vernachlässigt werden kann, ist zusätzlich der Mit- <?page no="226"?> 226 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen telwert der ersten beiden bei 25 °C geprüften CH-Probekörper eingezeichnet. Abb. 3: Ergebnisse Spurbildungsprüfung mit dem Verkehrslastsimulator MMLS3 Es fällt auf, dass das CH-Recyclingmaterial bei Belastung mit dem MMLS3 eine größere Spurrinnenbildung erlitt als das FR-Material, aber eine ähnliche Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit aufwies. Das DE-Material zeigte dagegen eine deutlich höhere Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit, ausgehend der geringsten Anfangsspurbildung. Die Einbeziehung des bei 25 °C getesteten CH-Materials lässt den Schluss zu, dass der Temperatureinfluss hier marginal ist. Auch wenn die Spurrinnen des DE-Materials waren zu Beginn deutlich geringer waren, ergaben sich am Ende der Prüfung aufgrund der deutlich höheren Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit Spurrinnen in der gleichen Größenordnung wie bei den anderen beiden Materialien, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese bei längerer Belastung noch signifikant überschritten worden wäre Im Vergleich zu den Ergebnissen des Spurbildungstesters mit großem Rad bei 60 °C (Abb. 2) ändert sich die Rangfolge zwischen den verschiedenen Recyclingmaterialien. Während die FR-Materialien den höchsten und die DE- Materialien den schlechtesten Spurrinnenwiderstand im MMLS3-Test bei 20 °C zeigen, sind die CH Materialien jenen aus FR und DE im Spurbildungstest mit großem Rad bei 60 °C überlegen. Es scheint, dass das DE-Material stärker spurrinnenanfällig ist als das CH-Material. Man kann auch feststellen, dass von allen drei Mischungen das FR-Material die am wenigsten spurrinnenanfällige Mischung war. Insbesondere mit Blick auf das DE-Material könnte dieses Verhalten auf die RAP-Korngrößenverteilungskurve und die Größe der RAP-Klumpen zurückzuführen sein. Es kann durchaus sein, dass große RAP-Klumpen bei der geringen Verdichtungstemperatur und selbst während der MMLS3-Prüfung bei 20 °C zunächst relativ stabil sind und anfangs zu kleinen Spurrinnen führen, während später der sukzessive Zerfall diese Cluster sich in einer beschleunigten Spurbildung äußert. Demgegenüber würden die Cluster bei den höheren Temperaturen im Spurbildungstest bei 60 °C bereits ganz am Anfang leichter auseinanderfallen, sodass die Spurbildungsgeschwindigkeit während des Tests nicht mehr beeinflusst wird und vergleichsweise moderat ist. In der Praxis würde dies bedeuten, dass die thermische Stabilität der RAP-Cluster für diese Art von Material in Bezug auf die Verdichtung und Verarbeitbarkeit entscheidend ist. Inwieweit diese Hypothese allerdings zutrifft, müsste gezielt noch durch Forschung untersucht werden. Ein Vergleich der MMLS3-Ergebnisse mit zwei Asphaltbeton (AC)-Belägen aus Heißmischgut HMA1 (0 % RAP) und HMA2 (80 % RAP) für verkehrsarmen Straßen AC 8 L, die mit dem MMLS3 im Feld anlässlich eines anderen Projekts bei ca. 32 °C und ca. 27 °C getestet wurden, zeigt, dass die Spurrinnenbildungen aller 3 Recyclingmaterialien mit 100 % RAP als gering einzustufen sind (vgl. Abb. 4). Die Temperaturen während der Belastung, insbesondere von HMA1 waren aber höher als bei den CH-, DE- und FR-Materialien im Labor. Die unterschiedlichen Temperaturgradienten zwischen den Feld- und Laborversuchen sowie die unterschiedliche Verdichtung und Art des Mischguts haben sicherlich die Spurrinnenbildung der Feldversuche im Vergleich zu den CH-, DE- und FR-Mischungen beeinflusst. Auch ist zu beachten, dass HMA1 und HMA2 eine kleinere maximale Gesteinskörnung von 8 mm im Vergleich zu den CH-, DE- und FR- Mischungen mit 16 mm hatten. Abb. 4: Vergleich der Spurrinnenbildung unter MMLS3 mit Heißasphaltbelägen in situ Teststrecke Einbau Bei der zwischen den Schweizer Dörfern Wahlen und Büsserach eingebauten Teststrecke handelt es sich um eine Straße mit einem geringen durchschnittlichen täglichen Verkehrsaufkommen von 200 Fahrzeugen pro Tag. Die Länge der Teststrecke betrug 380 m und die durchschnittliche Breite der Straße ca. 5.5 m, mit einer Schulterbreite von 1.5 m. Für den Bau wurde der vorhandene Asphaltbelagsauf bau um 3 bis 5 cm abgefräst und das ORRAP-Recyclingmaterial RAP 0/ 22 mit einer Dicke von 10 cm auf eine als Haftkleber dienende Bitumenemulsion aufgebracht (Abb. 5a). Am nächsten Tag erfolgte dann der Einbau einer 4 cm dicken Deckschicht aus Heißmischgut AC 11 N und einem Bitumen 70/ 100. Da das eingebaute RAP-Material keine seitliche Abstützung hatte, wurden die Schultern als Schwachstellen betrachtet und die ORRAP-Schicht auf jeder Seite 20 cm breiter als die Deckschicht ausgeführt. Nach dem Bau der Deckschicht wurden diese 20 cm dann mit Erde überdeckt. <?page no="227"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 227 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Der Einbau des ORRAP Materials fand an einem sehr heißen, trockenen Sommertag mit einer Höchsttemperatur von 36 °C statt. Das Material wurde direkt von der Halde entnommen und mit LKWs von der Deponie zur Baustelle transportiert, die sich in ca. 35 km Entfernung befand. Der gemessene Wassergehalt des Recyclingmaterials RAP 0/ 22 mm lag zwischen 4.2 und 4.6 %. Zur besseren Verarbeitbarkeit und Verdichtung sowie zur Vermeidung eines schnellen Austrocknens der Oberfläche, wurde das Material in der Fertigerschnecke und nach der Einbaubohle mit Wasser besprüht (vgl. Abb. 5b). (a) (b) Abb. 5: a) Auf bau der Teststrecke, b) Wasserzufuhr in Fertigerschnecke und hinter Einbaubohle Zur Verdichtung kamen 3 verschiedenen Walzen zum Einsatz: Eine Stahlwalze mit einem Gewicht von 2.5 t zur Vorverdichtung und Nivellierung und 2 Gummiradwalzen mit einem Gewicht von 45 t und 24t. Die Verdichtung mit einer schweren Stahlwalze (12.5 t) im Vibrationsmodus führte, wie Abbildung 6(a) zeigt, zu Querrissen, und musste daher abgebrochen werden. Wie vorausgesehen, erwies sich die mangelnde Schulterstabilität als problematisch, weshalb es, wie in Abbildung 6(b) dargestellt, zu Kantenausbrüchen kam. (a) (b) Abbildung 6: (a) Durch Walze hervorgerufene Querrisse, (b) Kantenabbrüche aufgrund mangelnder Schulterstabilität Abgesehen von den oben genannten Punkten wurden während des Einbaus weitere Feststellungen gemacht, die Probleme und Unterschiede beim Einbau des Recyclingmaterials im Vergleich zu konventionellem Heißmischasphalt verdeutlichen: So war der Anteil an runden Mineralstoffen im Recyclingmaterial beträchtlich, die Bindemittelumhüllung der Mineralstoffe dagegen sehr niedrig. Der Verdichtungsaufwand war etwa doppelt so hoch wie bei konventionellem Heißmischgut und entsprach damit dem Verdichtungsaufwand bei ungebundenem Material. Im direkt von der Halde entnommenen Recyclingmaterial befanden sich auch häufig grobe Gesteine (bis zu 12-cm) und Materialbrocken aus zusammenklebendem Recyclingmaterial, die von der Einbaumannschaft mit Schaufeln wieder von der Einbaufläche entfernt werden mussten. Dadurch wurde zusätzlich das Nachverfüllen an diesen Stellen nötig. Außerdem blockierten große Materialbrocken von Zeit zu Zeit die Einbaubohle, so dass es zu Einbauunterbrechungen von teilweise über einer halben Stunde kam. Weitere Verzögerungen und Einbauunterbrechungen wurden durch im Stau aufgehaltene Transportfahrzeuge oder durch das Nachfüllen der Wassertanks verursacht. Trotz aller Schwierigkeiten war das ORRAP-Material am Ende des Tages gut verdichtet, stabil und eben, sodass es <?page no="228"?> 228 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen eine gute Unterlage für die Heißasphaltdeckschicht am darauffolgenden Tag bildete. Inspektionen der Teststrecke Während die folgenden Jahre wurde die Teststrecke im Auftrag des Kantons Basel-Landschaft weiter überwacht. Dabei fanden in stetigen Abständen auch Messungen des Querprofil statt. Wie eine erste Inspektion im September 2020, also ca. 1-Jahr nach Fertigstellung ergab, zeigte die Deckschicht und damit auch der Recyclingbelag visuell, trotz des recht erheblichen Schwerverkehrsanteils aufgrund der nahegelegenen Industriebetriebe, weder Spurrinnen noch sonstige Verformungen. Auch waren auf der Deckschicht keine Risse oder andere Schäden zu erkennen (vgl. Abb. 7(a)). In den Randbereichen war, wie Abbildung 7(b) zeigt, der Schichtauf bau gut zu erkennen, wobei es durch die reduzierte Deckschichtbreite nicht zu Problemen mit der Randstabilität kam. Das Recyclingmaterial schien sich auch weitgehend verfestigt zu haben, allerdings ließen sich mit der Hand seitlich Körner herauslösen. (a) (b) Abb. 7: (a) Teststrecke 1 Jahr nach Einbau mit Schwerverkehr, (b) Randbereiche Bedingt durch die Corona Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungen, wurden erste messtechnische Querprofilaufnahmen im Jahr 2020 und dann erst wieder im Jahr 2022 durchgeführt. Hierbei wurden die senkrechten Abstände zur Fahrbahn jeweils von der Straßenmitte bis zum Straßenrand mit Hilfe einer Messlatte bestimmt. Es zeigte sich, wie aus Abbildung 8 ersichtlich, dass sich die Straßenquerschnitte im Verlaufe der Zeit verändert haben. So kam es einerseits zu einer leichten Spurrinnenbildung, zum anderen zur Absenkung der Straßenränder. Abbildung 8: Beispiel der zwischen Frühjahr 2020 und Herbst 2022 ermittelten Querprofile (Mittelwerte aus 8-Messungen) Im Herbst 2024 fand eine weitere Inspektion statt, mit dem Ziel, möglichst auch Bohrkernentnahmen durchzuführen. Wie aus Abbildung 9 ersichtlich, konnten Bohrkerne aus dem Belagsauf bau und damit aus der mittlerweile verfestigten ORRAP Schicht entnommen werden. Von insgesamt 8 über die Länge der Teststrecke und den Querschnitt (Rollspur und zwischen der Rollspur) verteilten Entnahmestellen konnten 4 Bohrkerne bis zur Fundationsschicht entnommen werden, während die anderen Bohrkerne in der ORRAP-Schicht auseinanderbrachen. (a) (b) Abbildung 9: Beispiel zweier aus der Teststrecke entnommenen Bohrkernen <?page no="229"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 229 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Visuell zeigte die Teststrecke leichte Spurrinnen. Insgesamt schien der Deckbelag in recht gutem Zustand zu sein, allerdings hatten sich im Bereich des leicht ansteigenden Streckenabschnittes erste Risse gebildet (vgl. Abb. 10). Abbildung 10: Rissbildung in ansteigendem Streckenabschnitt Im Labor wurden die Bohrkerne ausgemessen, was in den unteren Schichten einen der Historie der Straße entsprechenden unterschiedlichen Schichtenauf bau zu Tage förderte (vgl. Abbildung 11). Abb. 11: Bohrkerne mit Schichtenauf bau Tabelle 2 zeigt die an den Bohrkernen bestimmten Kennwerte der ORRAP-Schicht. Die Raumdichte wurde dabei nach SN EN 12697-6. An 3 Bohrkernen durch Ausmessen bestimmt. Tab. 2: Kennwerte der an Bohrkernen bestimmten ORRAP-Schicht Kennwert Raumdichte [Mg/ m 3 ] Hohlraumgehalt [Vol-%] BK 3a 2.236 10.6 BK 3b 2.093 16.3 BK 6 2.176 13.0 BK 8 2.220 11.2 Mittelwert 2.181 12.8 Zusätzlich wurde der Schichtenverbund nach SN EN 12687-48 zwischen Deck- und ORRAP-Schicht an 6-Bohrkernen ermittelt. An einem Bohrkern wurde auch der Schichtenverbund zu Unterlage, einem AC 8 bestimmt (siehe auch Tabelle 3). <?page no="230"?> 230 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Tab. 3: Scherhaftfestigkeit der an aus der Teststrecke entnommenen Bohrkernen Kennwert Scherkraft [kN] DS AC11-ORRAP Scherkraft [kN] ORRAP-AC 8 BK 1 18.9 BK 2 15.5 BK 3b 22.8 6.1 BK 4 20.8 BK 5 19.8 BK 7 12.8 Mittelwert 18.4 Die Schichtenverbundwerte zeigen eine gute Haftung zwischen Deckschicht und ORRAP-Schicht, wobei in allen Fällen der Anforderungswert der Schweizer Norm von 15kN erreicht wird. Die Scherhaftfestigkeit zur Unterlage kann mit einem einzelnen Wert nicht beurteilt werden, weil sich die ORRAP-Schicht für diese Prüfung als zu wenig stabil erwies. Es zeigt sich aber, dass hier geringe Werte zu erwarten sind. Schlussfolgerungen - Zusammenfassend zeigt sich, dass das im Rahmen des Projekts angewendete ORRAP-Verfahren für Tragschichten und Straßen geringer Verkehrsbelastung und Längsneigung durchaus vielversprechend ist und eine Möglichkeit zur Ressourcen- und Energieeinsparung bietet. Für Deckschichten ist das Verfahren nicht geeignet. - Der Einbau muss über 20 °C erfolgen und die 100-% RAP-Schicht muss ca. 30 … 50- cm bereiter eingebaut werden. - Die 100 % Recyclingschicht erfordert eine doppelt so hohe Verdichtung wie beim Heißeinbau. - Bohrungen nach 4 Jahren Betrieb zeigen, dass durch die vorhandenen Bindemittelreste im eingebauten RAP Material eine gewisse Aktivierung des Bindemittels stattfindet, was sich gegenüber bindemittellosem Material als Vorteil erweist. Mit zunehmender Dicke wird der Verbund zur unteren Asphaltschicht schlechter. - Wie auch schon die schwedischen Erfahrungen gezeigt haben, findet während der Betriebsdauer eine Verfestigung des Belags und damit eine Erhöhung seiner Stabilität statt. - Durch weitere Modifikationen der Methode etwa der Zugabe bestimmter Zusätze könnte hier eine Verbesserung der Stabilität und damit die Anwendung der Methode auch für stärker belastete Straßen in Erwägung gezogen werden. Dies würde aber noch eingehende Untersuchungen bedingen. <?page no="231"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 231 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Ronny Sorge Fachhochschule Potsdam Patrick Hörmann BABIC - Bayerische Bitumen-Chemie GmbH, Kaufering Stefan Heberle BABIC - Bayerische Bitumen-Chemie GmbH, Kaufering Hannes Birnstiel Fachhochschule Erfurt 1. Einleitung/ Problemstellung/ Zielsetzung Im Dezember 2019 wurde der European Green als Konzept der Europäischen Kommission vorgestellt. Darin wurden eine Reihe Zielsetzungen und Maßnahmen u. a. mit Hinblick auf die Emission von klimaschädlichen Treibhausgasen verankert [1]. Es folgten 2020 das Europäische Klimaschutzgesetz sowie ein weiterer Aktionsplan der Kreislaufwirtschaft [2]. Die Umsetzung des Europäischen Klimaschutzziele erfolgt auf nationaler Ebene in Deutschland mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz. Abweichend der europäischen Vorgaben soll gemäß KSG eine Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden [3 KSG]. Das bisherige Monitoring zeigt, dass insbesondere der Verkehrssektor den jährlich bewerteten Treibhausgase weit außerhalb der vorgegebenen Werte liegt [4]. In allen Sektoren werden versucht Einsparpotentiale zu detektieren. Im Asphaltstraßenbau beinhalten sowohl Wiederverwendung als auch die Veränderung der Herstell- und Einbautemperatur sowie die Verringerung von Transportwegen Einsparpotential. Aktuell produzieren rund 550 Asphaltmischanlage in Deutschland etwa 38 Mio.-t Asphaltmischgut [5]. In Abhängigkeit der Gesteinsfeuchte liegt der Energiebedarf für Erwärmung des Gesteins von 20 °C auf 180 °C zwischen 61 und 98 kwh/ t. Dementsprechende liegen resultierende die CO 2 -Emissionen des Trocknungsprozesses im Bereich 35 kg CO- 2 eq unter der Verwendung von Braunkohlestaub und in etwa bei 20 kg CO 2 eq/ t bei Erdgas. Allein die Temperierung emittiert somit direkt zwischen 0,7 - 1,33 Mio.t CO 2 bezogen auf die jährliche Mischgutproduktion [6]. Betrachtet nun auch die Vorketten der Gesteine und Bitumen kommen verschiedene Studien i. M. auf 60 - 75 kg CO 2 eq/ t Asphaltmischgut, was wiederum eine jährliche CO 2 -Emission von ca. 2.700 Mio. t CO 2 eq führt [7 Schweizer VÖ plus 9 Ökobaudat 8 Finzel, Sorge]. Eine Möglichkeit Teile dieser Potentiale abzurufen, bieten Kaltrecycling-Bauweisen. Die Bauweise muss dabei hinsichtlich der verwendeten Bindemittel und des Ortes der Auf bereitung des Ausbauasphaltes differenziert werden [10, 11]. Als Bindemittel können hydraulische Bindemittel und Bitumenemulsion oder Schaumbitumen zu Einsatz kommen oder diese auch kombiniert verwendet werden. Gemäß Merkblatt M KRC [10] wird der Bindungstyp bei kombinierter Anwendung in bitumendominant oder zementdominant differenziert. Die Wiederverwendung oder auch Verwertung kann dabei in situ - somit vorort oder auch in plant in einer mobilen oder zentralen Mischanlage geschehen. Die Verwendung des Bindemittels hat direkten Einfluss auf die Parameter der Verarbeitbarkeit und die Festigkeitsentwicklung der Asphaltgemische. Bei kombinierter Verwendung wird das Brechverhalten der Bitumenemulsionen durch die Art und Menge des hydraulischen Bindemittels beeinflusst. Gleichzeitig beeinflussen die Bindemittel die Bilanzierung der Treibhausgas-Äquivalente unterschiedlich. Dabei wird in der nachfolgenden Tabelle Bezug auf die Ökobaudat (Stand 2024) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen [12] und der Datenbank EPD International [13] genommen und das s. g. Global Warming Potential (GWP) der betrachteten Bindemittel abgebildet. Da die Datensätze große Spannweiten aufweisen wird der größte recherchierte Werte aus den Datenbanken dargestellt. Bitumen PmB Bitumenemulsion CEM I CEM II CEM III GWP [kg CO 2 e *t] 297 356 952 876 503 <?page no="232"?> 232 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Abbildung 1 Lebenszyklusphasen gemäß DIN EN 15804 Die Werte der Tabelle beziehen sich dabei auf die Lebenszyklusphasen A1 - A3 gemäß DIN EN 15804. Die Systemgrenzen liegen im Bereich der Rohstoffgewinnung bis zur Produktion der Baustoffe. Trotz Reduktion der Klinkeranteile liegt das Niveau des GWP oberhalb der Werte, für Bitumen und Bitumenemulsion. Die Datenlage für bitumenhaltige Bindemittel ist insgesamt begrenzt. Umfangreiche Untersuchungen der Phasen A1 bis A5 werden aktuell im Bundesland Brandenburg unter Zusammenarbeit des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung (MIL), dem Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (LS Brandenburg) und der Fachhochschule Potsdam (FHP) durchgeführt. Die Datenerhebung geschieht dabei an verschiedenen Erprobungsstrecken. Bei der regelwerkskonformen Anwendung von KRC Bauweisen in Europa gibt es zahlreiche länderspezifischen Variationen hinsichtlich der Mischgutkonzeption, der Probekörperherstellung im Labor und auch der Beprobung der relevanten Eigenschaften der Materialien [12]. Die Gehalte der Bindemittel variieren bei Bitumen zwischen 1 - 6 M-% und bei hydraulischen Bindemitteln bis zu 6 M-% in Abhängigkeit des Bindungstyps der KRC Baustoffe und somit des Anwendungsbereichs. Abbildung 2 Vergleich der Bauweisen nach Tonnage im internationalen Vergleich Unter der Zielsetzung die maximalen Potentiale auszunutzen, sollte im Forschungsvorhaben AsphaPlus der Verzicht von hydraulischen Bindemitteln in kalten Tragschichten unter Verwendung von roher Gesteinskörnung bis hin zu vollständiger Verwendung von Asphaltgranulat untersucht und erforscht werden. Dabei lagen die Schwerpunkte der Entwicklung der Festigkeitsentwicklung über definierte Zeiträume. Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Frankreich Vorreiter bei der Durchführung von Kaltbauweisen ist und Deutschland dieses Potential noch nicht ausschöpft. 2. Vorgehensweise 2.1 Materialien Zur Rezepturfindung wurden alle über bestehende Lieferanten angebotenen kommerziellen Emulgatorsysteme für Bitumenemulsionen, welche kationische langsambrechende Emulsionen erzeugen, erprobt. Hierzu wurden zunächst ein Screening der Emulgatortypen mittels Titration vollzogen, um das Verhalten - insbesondere den Säurebedarf und damit ein grobes Indiz zur Ergiebigkeit - in Abhängigkeit vom pH-Wert zu betrachten. Hierbei wird verglichen, wie sich bei schrittweiser Säurezugabe der pH-Wert einer verdünnten wässrigen Emulgatorlösung verändert. Erläuterung: Der Violette Emulgator im Diagramm hat einen erheblich höheren Säurebedarf als alle anderen. <?page no="233"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 233 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Mit ausgewählten Emulgatortypen wurden Wasserphasen- Mischungen in abgestuften Emulgatorgehalten von 0,5 bis 2,0 % sowie verschiedenen pH-Werten zwischen 4 und 2 hergestellt, mit Straßenbaubitumen in einem Emulsionswerk im Labormaßstab emulgiert und auf Partikelgrößenverteilung (ein Maß für die Stabilität) und Verhalten im Mischversuch mit Gesteinskörnungsgemisch untersucht. Die Emulgatoren basierten primär auf lang(C14-C18)- und kurzkettigen (C10-C12) Fettsäureaminen und -amiden sowie deren Derivaten. Abbildung 3 Titration der Emulgatoren Variante Emulgator- Gehalt [%] C14-C18 Komponente Emulgator- Gehalt [%] C10-C12 Komponente Gesamt Emulgatorgehalt [%] Emulgatorsystem Herstellercode Optimaler pH-Wert der Wasserphase V05 0,325 0,175 0,5 V 2,0 V10 0,65 0,35 1,0 V 3,0 V15 0,975 0,525 1,5 V 3,0 V20 1,30 0,7 2,0 V 3,0 W05 0,325 0,175 0,5 W 2,0 W10 0,65 0,35 1,0 W 2,5 W15 0,975 0,525 1,5 W 2,5 W20 1,30 0,7 2,0 W 2,5 X05 0,325 0,175 0,5 X 3,5 X10 0,65 0,35 1,0 X 3,5 X15 0,975 0,525 1,5 X 3,5 X20 1,30 0,7 2,0 X 4,0 Y05 0,325 0,175 0,5 Y 2,3 Y10 = A 0,65 0,35 1,0 Y 2,5 Y15 0,975 0,525 1,5 Y 2,7 Y20 1,30 0,7 2,0 Y 3,0 Z05 0,325 0,175 0,5 Z 2,5 Z10 0,65 0,35 1,0 Z 2,7 Z15 = B 0,975 0,525 1,5 Z 2,7 Z20 1,30 0,7 2,0 Z 3,0 <?page no="234"?> 234 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Das Mischungsverhältnis der Emulgatorkomponenten von 65: 35 basiert auf Vorversuchen und Erfahrungen zu Löslichkeit, Stabilität und Emulsionsverhalten, wobei die langkettige Komponente das langsame Brechverhalten bewirkt und die kurzkettige zur Lagerstabilität beiträgt. Ausgangspunkt war eine C60B9-BEM mit dem Ziel, dieser den Bedarf nach Zement zur Festigkeitsentwicklung zu nehmen. Vorzugsvarianten nach Beurteilung der Emulsionen sind „Y10“, im Weiteren A genannt und „Z15“, im Weiteren B. Diese Emulsionssorten wurden für die FH Erfurt produziert und geliefert. Für die Produktion der MSV (Mischgutsystemvarianten) standen der FH Erfurt unterschiedliche Ausgangstoffe zur Verfügung. Diese wurden durch den Projektpartner und Bitumenemulsionsproduzenten BABIC, die Bayerische Bitumen-Chemie GmbH, in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt, sodass ein Wechsel in den Materialeigenschaften (mit Ausnahme der Emulsion) während der gesamten Projektlaufzeit ausgeschlossen werden konnte. Als Rohgestein wurde ein vorkonfektioniertes Gesteinskörnungsgemisch der Korngröße 0/ 11 geliefert. Die Asphaltgranulate (Recyclingasphalt) wurden in den Stückgrößen 0/ 8 und 0/ 22 bezogen. Die Eignung aller mineralischen und recycelten Ausgangsstoffe wurde durch Prüfzeugnisse belegt und durch Untersuchungen (Sieblinie, rheologische Versuche am zurückgewonnenen Bitumen) an der Fachhochschule Erfurt bestätigt. Auffällig bei allen untersuchten Proben war der relativ hohe Anteil an hellen, sehr haftkritischen Gesteinen. Diese lagen beim 0/ 22 Fräsgut zum Teil als ungebrochener Rundkies vor. Abbildung 4 Ausgangsstoffe der Mischgutsystemvarianten an der FHE Das Versuchsprogramm wurde im Projektverlauf zudem durch einen Ausbauasphalt der Stückgröße 0/ 16 ergänzt, dass bei einem bereits erfolgreich durchgeführten Einbauversuch zum Einsatz kam. Dies war aufgrund der Limitierung der vor Ort zur Verfügung stehenden Mischtechnologie erforderlich. Während die MSV mit einem Größtkorn von 8- mm, 11-mm und 16-mm bereits gebrauchsfertig und stetig abgestuft verwendet werden konnten, wurden für die Herstellung der Tragschichtvarianten (Größtkorn 22- mm) die Ausgangsmaterialien so zusammengestellt, dass die Sieblinie den Vorgaben der Technischen Lieferbedingungen für Asphalt für Tragschichten für normale Beanspruchungen entsprach (AC 22 T N nach TL-Asphalt-StB). Grundsätzlich konnten, ausgehend von den zuvor beschriebenen Ausgangsmaterialien, fünf verschiedene Sieblinien mit ansteigendem Größtkorn hergestellt werden. Der Recyclinganteil variierte hierbei zwischen 0 %, 70 % und 100-%, wobei die Mischgüter mit einem Größtkorn von 11-mm ausschließlich aus Rohgestein und Mischgüter mit einem Größtkorn von 8-mm nur aus recyceltem Material hergestellt werden konnten. Nur die 0/ 22 Tragschichtvarianten konnten mit einen Recyclinganteil von 70-% und 100-% vergleichend untersucht werden. Durch die Variation des Bitumenemulsions- und Wassergehalts sowie unterschiedlicher Probekörperbehandlungen wurden letztendlich 46 Varianten und über 600 Probekörper in den Laboren der Fachhochschule Erfurt untersucht. Dies entspricht einer Mischgutmenge von etwa 2,5 Tonnen zuzüglich sämtlicher erforderlicher Tastversuche und ergänzenden Untersuchungen. Abbildung 5 Geprüfte Probekörper <?page no="235"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 235 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Tabelle 1: Übersicht der MSV Bezeichnung Emulsion Gesteinskörnung/ Granulat Emulsionsgehalt Wassergehalt n-PK A12 C60B6-BEM 100 % 0/ 11 Rohgestein 8-9 % 8-9 % 114 HMA: A12 Bitumen 70/ 100 100 % 0/ 11 Rohgestein 4,8-5,4 % 0 30 A24 C60B6-BEM 30 % 0/ 11 roh; 20 % 0/ 8 RC; 50 % 0/ 22 RC 5 % 3-5 % 108 A24-Z C60B6-BEM 30 % 0/ 11 roh; 20 % 0/ 8 RC; 50 % 0/ 22 RC (+2 % Zement) 5 % 5 % 18 HMA: A24 Bitumen 70/ 100 30 % 0/ 11 roh; 20 % 0/ 8 RC; 50 % 0/ 22 RC 3 % - 3 A31 C60B6-BEM 100 % 0/ 8 RC 4-9 % 6-11 % 90 HMA: A31 Bitumen 70/ 100 100 % 0/ 8 RC 2,4-5,4 % - 12 A34 C60B6-BEM 40 % 0/ 8 RC; 60 % 0/ 22 RC 5 % 5 % 24 A34-Z C60B6-BEM 40 % 0/ 8 RC; 60 % 0/ 22 RC (+2 % Zement) 5 % 5 % 24 HMA: A34 Bitumen 70/ 100 40 % 0/ 8 RC; 60 % 0/ 22 RC 3 % - 12 B34 C60B9-BEM 40 % 0/ 8 RC; 60 % 0/ 22 RC 5 % 5 % 105 B33 C60B9-BEM 100 % 0/ 16 RC 5-8 % 7-8 % 72 2.2 Untersuchungsprogramm Die als lager- und absetzstabil und prinzipiell im anwendungsnahen Mischtest positiv bewerteten Emulsionen wurden bzgl. der dynamischen Viskosität bei 40 °C am Dynamischen Scherrheometer nach DIN EN13302 mittels C25-Zylinder-Becher-Geometrie, dem Brechverhalten mit Sand nach DIN EN 13075-1 und der Partikelgrößenverteilung mittels Laserstreuung charakterisiert. Die Partikelgrößenverteilungen wurden nach dem Prinzip der Laserstreuung ermittelt und sind der geeignetste Indikator für die Bewertung von Stabilität und Emulgierbarkeit. Dabei wird neben dem Medianpartikeldurchmesser auch die Breite der Streuung dieser Verteilung und die Kurvenform in Betracht gezogen. Abbildung 6 Partikelgrößenverteilung in Emulsionen An der Fachhochschule Erfurt wurden im ersten Arbeitsschritt die Kornbzw. Stückgrößenverteilung der angelieferten Ausgangsmaterialien im Siebverfahren gemäß der DIN EN 933-1 ermittelt. Wegen der hierfür vorgeschriebenen Trocknung der Proben bei über 100 °C wurde das Verfahren für die Asphaltgranulate, aufgrund der Gefahr der Agglomeration der Feinanteile, leicht abgewandelt und eine schonende Trocknung bei 50 °C über eine Zeit von mindestens 24 Stunden als zweckmäßig evaluiert. Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass der geringe Anteil feiner Korngrößen, wie in Abbildung 7 zu sehen ist, auf die Trocknung der Granulate zurückzuführen ist. Es wurden fortlaufende Kontrollsiebungen durchgeführt, um eine gleichbleibende Qualität der Ausgangsstoffe sicherzustellen. Die Ausbauasphalte wurden darüber hinaus für die weitere Analyse nach DIN EN 12697-1 extrahiert. Im Anschluss konnte demnach die Korngrößenverteilung der verbleibenden Gesteinskörnung (≠ Stückgröße) nach DIN 933-1 und verschiedene Bindemittelkennwerte bestimmt werden. Zu den standardmäßig durchgeführten Untersuchungen der extrahierten Bitumen zählen der Erweichungspunkt Ring und Kugel (RuK) nach DIN EN 1427, der Nadelpenetrationswert (Pen) nach DIN EN 1426 und verschiedene Versuche mit dem Dynamischen-Scher- Rheometer (DSR) gemäß der Arbeitsanleitung zur Bestimmung des Verformungsverhaltens von Bitumen (AL DSR-Prüfung). <?page no="236"?> 236 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Abbildung 7 Korngrößenverteilung: Beispiel einer Sieblinie für die Mischgutproduktion Abbildung 8 Bindemitteluntersuchungen an der FH Erfurt Die bereits zur Verfügung stehenden Emulsionen wurden indes einer Fremdkontrolle durch die FH Erfurt unterzogen. Hierzu wurde eine Bindemittelrückgewinnung nach DIN EN 13074-1 durchgeführt und die daraus erhaltenen Bindemittel einem kongruenten Versuchsprogramm wie die extrahierten Bitumen unterzogen. Aus den Ergebnissen der Bindemittelrückgewinnung konnte zudem der Wasser- und Bindemittelanteil der Emulsionen bestimmt werden, welche einen erheblichen Einfluss auf die spätere Probekörperproduktion nehmen. Zur Ermittlung des optimalen Wassergehalts der Ausgangsstoffe wurde der (modifizierte) Proctorversuches nach DIN EN 13286-2 bzw. gemäß Merkblatt M VB-K bestimmt. Aufgrund der sehr flachen Verläufe der Proctorkurven und der daraus ermittelten Maxima, die einen hohen Wasserbedarf der Mischgüter attestierten, welcher sich jedoch als nicht praktikabel erwies, wurde dieses Vorgehen im Projektverlauf verworfen. Da der Wassergehalt der Kaltmischgüter allerdings ein entscheidender Parameter für deren Brechverhalten und deren Verdichtbarkeit darstellt, wurde in Folge eine verkürzte Erstprüfung (vergleichbar mit der Bestimmung des optimalen Bindemittelgehalts bei Heißasphalt) durchgeführt. Hierbei wurden, für jede verwendete Sieblinie, verschiedene Mischgüter mit einer hohen Varianz des Wasser- und Emulsionsgehaltes hergestellt, verdichtet (wird im Folgenden beschrieben) und am Folgetag mittels statischen Spaltzugversuch nach DIN EN 12697-23 beprobt. Ausgehend von diesen Ergebnissen wurde anhand der Spaltzugfestigkeiten, der erreichten Hohlraumgehalte, der Verarbeitbarkeit des Mischguts und unter Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen ein Bereich für die Variation der Einflussgrößen (Wasserbzw. Emulsionsgehalt) für die folgenden Versuchsserien festgelegt. Die Mischgutproduktion für kleinere Versuche erfolgte von Hand. Für die Produktion von Versuchsserien wurde dagegen ein herkömmlicher Zwangsmischer für Heißasphalt (ohne Heizung) verwendet. Hier zeigte sich bereits der große Einfluss der Mischenergie oder der Mischzeit auf das Abbindeverhalten. Zwangsmischung erzeugt ein schneller brechendes Gemisch. Auch bei der kontinuierlichen Mischgutproduktion mittels DSK-Verlegemaschine, wie sie bei dem bereits erfolgreich durchgeführten Probeeinbau verwendet wurde, musste der im Labor ermittelte Wassergehalt der Vorzugsvariante korrigiert werden, um das Brechverhalten der Emulsion zu optimieren. Im Folgenden wird das Verfahren via Labormischer näher beschrieben, dass für die Produktion der meisten Versuchsreihen Anwendung fand. Das aus Fraktionen hergestellte Korngemisch wurde homogenisiert und die Feuchte bestimmt. Zuschlagwasser und Bitumenemulsion wurden zugegeben und gemischt und das Mischgut darauf hin solang im Mischer belassen, bis die Bitumenemulsion vollständig gebrochen war (Vgl. „Grave Emulsion“). Bei niedrigen Wassergehalten war dies bereits unmittelbar nach dem Mischen der Fall, wohingegen feuchtere Mischgüter für diesen Vorgang bis zu einer weiteren halben Stunde benötigten und im Anschluss für weitere 30 Sekunden homogenisiert wurden. Um die Eignung der Mischgüter für die nachfolgende Verdichtung zu verifizieren, wurden diese mit einem weißen Zellstofftuch abgetupft. Blieb keine Bitumenemulsion haften, war die Mischgutproduktion abgeschlossen (Vgl. TP Asphalt-StB Teil 91: Handrührtest). <?page no="237"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 237 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Abbildung 9 Erscheinungsbild des Mischguts der Korngröße 0/ 22 vor der Verdichtung Das fertige Mischgut konnte anschließend in die Verdichtungsformen überführt werden, um Probekörper mit einem Durchmesser von 150-mm eine Höhe zwischen 11 und 13-cm zu erhalten. Verdichtet wurde nach dem Doppelkolbenprinzip aus Merkblatt M-VB-K. Abweichend von diesem Merkblatt wurde eine konstante Anzahl von fünf Verdichtungszyklen mit der Höchstlast von 49-kN (2,6-N/ mm²) angesetzt, um eine einheitliche Verdichtung aller Mischgutvarianten zu gewährleisten. Probekörper, die mit Mikrowellen bestrahlt wurden, und deren Vergleichsserien, wurden zum Teil einen weiteren Verdichtungsdurchlauf unterworfen. Nach diesem Vorgehen wurden verschiedenste Mischgüter mit variierenden Bindemittelgehalt, Wassergehalt und Recyclinganteil hergestellt. Teilweise wurden für diese Mischgüter Vergleichsvariationen in Heißbauweise und mit Zementzugabe angefertigt und beprobt. Die Mischgutvarianten wurden gravimetrisch, jeweils über einen Zeitraum von 28 Tagen, beobachtet und in einem wöchentlichen Intervall mittels statischen Spaltzugversuch nach DIN EN 12697-23 beprobt. Die Prüf bedingungen, insbesondere die Prüftemperatur von 5-°C, wurden aus dem Merkblatt M-VB-K übernommen. Abbildung 10 Doppelkolben und Spaltzugversuchsaufbau Ein weiterer Bestandteil des BMBF Forschungsprojektes AsphaPlus war die Implementierung von mikrowellenbasierenden Technologien. Hierfür wurde durch den Projektpartner Synantik, ein StartUp, dass auf die Entwicklung und Produktion von elektronischen Baugruppen und Geräten für industrielle, wissenschaftliche und private Anwendungen spezialisiert ist, ein Versuchsstand zur Verfügung gestellt, der es ermöglicht Asphaltprobekörper leistungsgesteuert und kontinuierlich mit Mikrowellen zu bestrahlen. Dabei sollte der Einfluss von Mikrowellen auf das Trocknungsverhalten und damit auf die Festigkeitsentwicklung sowie die Verdichtbarkeit von Kaltasphaltmischgut systematisch untersucht werden. Hierzu wurden die Probekörper wie oben beschrieben hergestellt, in den Versuchsstand gegeben und zu verschiedenen Zeitpunkten (unmittelbar nach der Verdichtung beziehungsweise vor der Prüfung) mit unterschiedlichen Intensitäten bestrahlt. Um den Einfluss auf die Verdichtbarkeit zu prüfen, wurden zudem einige Probekörper nach der Bestrahlung ein weiteres Mal verdichtet. Um den Trocknungsverlauf auch im Feldversuch, ohne Probekörperentnahme zu verifizieren und kritische, feuchte Bereiche einer Asphaltflächenbefestigung in Kaltbauweise zu detektieren, wurde zudem durch den Projektpartner Ilmsens ein Radarsystem zur Verfügung gestellt, dass kontaktlose und zerstörungsfreie Feuchtigkeitsbestimmung im Asphalt ermöglicht. Das innovative Kleinunternehmen aus Ilmenau, dass sich auf die Entwicklung von Hochleistungssensoren spezialisiert hat, soll somit dazu beitragen, die angewendete Trocknungstechnologie energieeffizient einzusetzen. Zur Kalibrierung der dazu eingesetzten Rechenmodelle wurden an der Fachhochschule Erfurt diverse Messungen an einzelnen Probekörpern und im Freiflächenversuch durchgeführt. Abbildung 11 Versuchsstände Projektpartner <?page no="238"?> 238 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen 2.3 Versuchsstrecken Abbildung 12 Einbauversuch, Herstellung des Mischgutes in Situ und Einbau mittels Fertiger Es konnte der Einbau einer solchen bitumenstabilisierten Tragschicht am 27.06.24 im Zuge einer Einbau-Vorführung bei der Geiger-Gruppe in Herzmanns bei Immenstadt im Allgäu demonstriert werden. Der Aktionstag mit Live-Einbau-Event bei Geiger stand unter dem Motto der Kreislaufwirtschaft und Verbesserung der Ökobilanz von Asphaltbauweisen. Hierzu wurden in einer selbstfahrenden Arbeitsmaschine Recycling-(RC)-Granulat, Bitumenemulsion und Wasser gemischt und dieses Mischgut auf ein Haufwerk produziert. Nach kurzer Brech- und Reifezeit auf dem Haufwerk kann das Mischgut in einen konventionellen Fertiger beschickt, eingebaut und mit Walzen verdichtet werden. In diesem Versuch vor Publikum und auf einer weiteren bereits im Vorfeld in Kooperation mit der Geiger-Gruppe gebauten Probestrecke konnte gezeigt werden, dass sich ressourcenschonend unter Verwendung von Recyclingmaterial leistungsfähige bitumenstabilisierte Tragschichten realisieren lassen. Im Frühjahr 2025 ist ein Feldversuch mit Probeentnahmen und -untersuchung geplant. Hierbei sollen auch mikrowellenbasierte Trocknungs- und Monitoringtechniken zur Erprobung gelangen. In Vorbereitung hierauf wurde auf dem Gelände der FH Erfurt ein Versuchsfeld angelegt, um die hierfür benötigten Versuchsstände zu erproben. 3. Ergebnisdarstellung und Interpretation Die final für die eingehenden Mischgutuntersuchungen an der FH Erfurt und Einbauversuche im industriellen Maßstab im Werk produzierte Emulsionsvariante Y10 hat durch die gänzliche Verzichtbarkeit auf Zement in der Mischung bestochen und kommt eben hierdurch dem Ziel einer Ressourenschonung durch Unnötig-machen dieses besonders klimakritischen Zuschlagstoffes entgegen. Die Lagerstabilität ist hervorragend und konnte nach mehrmonatiger Lagerung zwischen 10 und 25 °C problemlos verarbeitet werden, eine leichte Sedimentation lässt sich aufrühren. Gerade diese Punkte sind für die Fa. BABIC als Inverkehrbringer sowie Selbstverwender von besonderer wirtschaftlicher und logistisch-organisatorischer Bedeutung. Die Probeeinbaustrecken wurden in der Folge überbaut. Im Folgenden werden die Ergebnisse aus den Untersuchungen der ermittelten Vorzugsvariante dargestellt. Dabei handelt es sich um eine Tragschichtvariante der Korngröße 0/ 22, deren Sieblinie vollständig aus Recyclingasphalt konzipiert wurde. Der optimale Bindemittelsowie Wassergehalt für dieses Mischgut wurde mit fünf Prozent ermittelt. Um eine bessere Einordnung der Ergebnisse im bestehenden Regelwerk zu ermöglichen, sind in Abbildung 13 die Festigkeitssowie Feuchtigkeitsentwicklung der Vorzugsvariante mit und ohne Zementzugabe gegenübergestellt. Da bei der Produktion von Kaltmischgut, aufgrund der zu niedrigen Temperaturen während der Herstellung, keine Aktivierung des im Ausbauasphalt enthaltenen Bindemittels möglich ist und diese daher mechanisch wie rohe Gesteinskörnungen agieren (sogenannte „Black Rocks“), wird zudem nicht näher auf die Ergebnisse der Bindemitteluntersuchungen eingegangen. Das zur Emulgierung verwendete Straßenbaubitumen der Sorte 70/ 100 zeigte dabei keine nennenswerten Auffälligkeiten. Das extrahierte Bitumen der recycelten Asphalte dagegen zeigte einen starken Grad der Alterung. Dieses konnte der Bitumensorte 20/ 30 zugeordnet werden, was die Annahme der Funktion als „Black Rocks“ unterstreicht. <?page no="239"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 239 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Abbildung 13 Vorzugsvariante mit und ohne Zement In Abbildung 13 ist zu sehen, dass es mit der im Forschungsprojekt entwickelten Emulsion möglich ist, ein Kaltasphaltmischgut zu konzipieren, welches trotz dem Verzicht roher Gesteinskörnung und ohne Zugabe von Zement den Vorgaben der bestehenden Normung entspricht. Im Merkplatt für die Verwertung […] von Asphaltgranulat in bitumengebundenen Tragschichten durch Kaltauf bereitung in Mischanlagen (M VB-K) sind hierfür beispielsweise Anforderungen an die Spaltzugfestigkeit nach 7 und nach 28 Tagen gestellt. Bereits ohne die Zementzugabe konnte der Grenzwert von 600 kPa (7 Tage) beziehungsweise 700 kPa (28 Tage) überschritten werden. Dabei zeigt die Vergleichsvariante mit Zement zwar eine höhere Anfangsfestigkeit, welche sich im Beobachtungszeitraum (insbesondere durch die Trocknung der Probekörper im Wärmeschrank) nahezu angleicht. Der Festigkeitsvorteil, der aus der Zementzugabe resultiert, scheint daher auf den Wasserentzug bei der Zementhydration rückführbar zu sein. Um den Festigkeitsnachteil, der sich aus der fehlenden Zugabe von Zement ergibt, auszugleichen, war ein weiterer Schwerpunkt des Forschungsprojektes die Implementierung einer mikrowellenbasierenden Trocknungs- und Verdichtungseinheit. Dabei wurde die Vorzugsvariante mit verschiedenen Intensitäten (Leistung und Zeit) bestrahlt. Die hierdurch erreichte homogene Erwärmung der Probekörper führte dabei in allen Fällen zu einer Reduzierung des Wassergehaltes der Probekörper. Überraschenderweise wurde, wie in Abbildung 14 zu sehen ist, die Festigkeitsentwicklung der Probekörper hierdurch allerdings nicht beeinflusst. Dies könnte mit dem gleichzeitigen Anstieg der Hohlraumgehalte korrelieren, der einerseits durch entstehende Dampf blasen oder durch leichte Verschiebungen der Sieblinie (Versuchszeitraum zwischen den Varianten betrag mehrere Monate) zu erklären ist. Abbildung 14 Vorzugsvariante bestrahlt und unbestrahlt <?page no="240"?> 240 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Kalte Tragschicht - Bitumenstabilisierte Tragschichten mit Bitumenemulsionen Abbildung 15 Nachverdichtung mit und ohne Mikrowelle Da durch die Bestrahlung der Probekörper mit Mikrowellen einerseits die Temperatur erhöht und damit auch die Steifigkeit der Bindemittel reduziert wurden und andererseits der Verformungswiederstand durch den erhöhten Hohlraumgehalt vermindert wurde, wurde eine Nachverdichtung der Probekörper als zielführend erachtet. In der Praxis könnte dieses Vorgehen durch die Implementierung der Mikrowelleneinheit am Walzenzug realisiert werden. Da die Versuchsreihen im Berichtzeitraum noch andauern, sind in Abbildung 15 daher nur die vorläufigen Ergebnisse enthalten. Durch das Nachverdichten konnte bereits ohne den Einsatz von Mikrowellen, die Spaltzugfestigkeit erhöht werden. Ähnlich wie bei den Versuchen mit reiner Probekörperbestrahlung nach der Herstellung ist der Effekt jedoch gering. Erst durch die Kombination aus Mikrowellenbestrahlung und Nachverdichtung konnten die Probekörperkennwerte bereits im frühen Stadium der Probekörperreifung auf das Niveau der Zementvariante angehoben werden. Da zur besseren Veranschaulichung nur die maximale Bestrahlungsintensität (800W, 300s, ∆T ≈ 20K) durchgeführt wurde, müssen weitere Versuche diesen Verhalten bestätigen und aufzeigen ab welcher Leistung sichtbare Effekte eintreten. 4. Zusammenfassung Das Potential kalter Asphaltbauweisen ist in Deutschland noch nicht ausgeschöpft. Forschungsvorhaben wie das laufende Projekt AsphaPlus leisten einen Beitrag zum Verständnis und bei der Einführung innovativer kalter Bauweisen. Literatur [1] Europäische Kommission, 2019, MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUS- SCHUSS DER REGIONEN - Der europäische Grüne Deal, Brüssel [2] Europäische Kommission, 2020, MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLA- MENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRT- SCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN, Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa, Brüssel [3] Bundesgesetzblatt, 2019 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), § 1 Zweck des Gesetzes, Berlin [4] K. Wehnenmann, K. Schultz, Umweltbundesamt, 2024, Treibhausgas-Projektionen 2023 - Ergebnisse kompakt, Dessau [5] Deutscher Asphalt Verband, 2024, Asphaltproduktion in Deutschland, Bonn [6] Verein Deutscher Ingenieure, 2023, VDI Richtlinien 2283, Emissionsminderung - Anlagen zur Herstellung von Asphalt, Düsseldorf [7] S. Kytzia, T. Pohl, 2021, Ökobilanz der Herstellung von Asphaltbelägen, Themenheft Asphaltrecycling, Straßen und Autobahn, Kirchbaum Verlag, Bonn [8] C. Finzel, R. Sorge, 2023, Vergleichende Analyse und Bewertung verschiedener Technologien zur Wiederverwendung von Asphalt im Straßenbau in Hinsicht auf deren Primärenergiebedarf und Treibhausgasemissionen, Fachhochschule Potsdam [9] T. Pohl, P. Bodmer, 2020, RC-Plus Küsnacht - Berichtteil Ökobilanz» Hochschule für Technik Rapperswil HSR, Rapperswil [10] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 2005, Merkblatt für Kaltrecycling in situ im Straßenbau M KRC, FGSV-Verlag, Köln [11] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 2007, Merkblatt für die Verwertung von pechhaltigen Straßenbaustoffen und von Asphaltgranulat in bitumengebundenen Tragschichten durch Kaltaufbereitung in Mischanlagen, FGSV- Verlag, Köln [12] K. Mollenhauer, Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 114, Anhang, 2017, Studie zum Anwendungspotenzial von werksgemischten Kaltbauweisen - Asphalt, BASt, Bergisch Gladbach <?page no="241"?> Erhaltungsmanagement <?page no="243"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 243 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement Dipl.-Ing. Dr. techn. Alfred Weninger-Vycudil FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten Jakob Quirgst, B. Sc. FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Sommerauer FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten Zusammenfassung Eine wesentliche Voraussetzung für eine effiziente und nachvollziehbare Erhaltungsplanung im Bereich des Straßenoberbaus spielt die Bewertung der strukturellen Beschaffenheit auf Netzebene. Diese Bewertung der Substanz liefert eine maßgebende Grundlage für Entscheidungen im strategischen Erhaltungsmanagement sowohl aus bautechnischer aber auch aus wirtschaftlicher und zunehmend ökologischer Sicht. Das Finden des optimalen Zeitpunkts, einer möglichst nachhaltigen technischen Lösung und einer Minimierung der Auswirkungen auf die Straßennutzer sind die übergeordneten Zielsetzungen und definieren auch die Randbedingungen für den Einsatz im Pavement Management System (PMS) auf den Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. 1. Einleitung 1.1 Substanzbewertung auf Netzebene Eine zentrale Rolle für die Auswahl des optimalen Zeitpunkts und der Intensität (Art) von baulichen Erhaltungsmaßnahmen spielt die Bewertung der strukturellen Beschaffenheit, der Substanz des Straßenoberbaus. Das Anfang der 2000er Jahre in Österreich entwickelte Verfahren zur Substanzbewertung auf Netzebene zeigte aufgrund von Änderungen in der Dimensionierung des Straßenoberbaus (Erhöhung Bemessungslebensdauer von 20 auf 30 Jahre für Asphaltbauweisen am Autobahnen- und Schnellstraßennetz im Jahr 2016) sowie in der Gestaltung des gebundenen Schichtpakets bei Asphaltbauweisen deutliche Schwächen auf, die häufig zu einer ungenauen und bedingt nachvollziehbaren Maßnahmenzuordnung führten (Art und Zeitpunkt) - sowohl aus technischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Auch die Verwendung des Substanzwerts für strategische Entscheidungen und Zielsetzungen auf Netzebene gestaltete sich im Rahmen der praktischen Anwendung im österreichischen Pavement Management System (PMS) zunehmend schwierig. 1.2 Schritte zur Aktualisierung der Substanzbewertung Im Rahmen des nationalen Forschungsprojekts BORIS (Bewertung von Oberflächenschäden und Rissen des Straßenoberbaus, Verkehrsinfrastrukturforschung VIF 2021) wurde diese Problematik thematisiert, ein detaillierter Vorschlag für die Überarbeitung bzw. Neugestaltung der Substanzbewertung der Asphalt- und Betonbauweise ausgearbeitet und der ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) sowie dem BMK (Bundesministerium für Klimaschutz) vorgestellt. Ein wesentliches Ziel bestand in der Verbesserung der Nachvollziehbarkeit der Bewertungsschritte und in der Zuordnung möglicher Erhaltungsmaßnahmen (Anwendungsgrenzen) im österreichischen PMS. Dabei wurde ein umfassender Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Verfahren auf einem großen Teil des österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßennetzes vorgenommen. 1.3 Herausforderung nachhaltige Bewirtschaftung Eine wesentliche Zielsetzung für die Beurteilung und Bewertung der Substanz eines Straßenoberbaus liegt in einer nachhaltigen Bewirtschaftung und somit in der Bestimmung des optimalen Eingreifzeitpunkts sowohl aus technischer als auch aus ökologischer und ökonomischer Sichtweise. Die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Kontext der Nachhaltigkeit von Bauwerken, insbesondere in der Lebenszyklusbetrachtung, stellen hier neue und erweiterte Vorgaben für den Straßenerhalter dar. Wenn auch das System Straße aktuell nicht als taxonomiefähig im Sinne der EU-Taxonomie klassifiziert werden kann, müssen sich zukunftsorientierte Infrastrukturbetreiber heute kritisch mit ihren Assets auseinandersetzen. An dieser Stelle ist eben nicht nur das grundsätzliche Bekenntnis zur qualitätsvollen Bewirtschaftung des Bestands von zentraler Bedeutung, sondern insbesondere der möglichst zielgerichtete und (ressourcen)effiziente Einsatz von Erhaltungsmaßnahmen. Um diese zu ermöglichen, bedarf es einer möglichst präzisen Festlegung von Zeitpunkt und Umfang von Interventionen - das wie- <?page no="244"?> 244 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement derum ist nur auf bauend auf möglichst exakte und zutreffende Prognosemodelle möglich. 2. Ausgangssituation 2.1 Allgemeines Die Substanzbewertung des Straßenoberbaus spielt eine zentrale Rolle in der Erhaltungsplanung, da vor allem die Intensität einer Erhaltungsmaßnahme wesentlich von der strukturellen Beschaffenheit des Bestands abhängig ist. Das aktuelle Verfahren zur Berechnung des „Substanzwerts“ auf Netzebene stellt dabei nur die erste Stufe im Bewertungsprozess dar, der bis hin zu einer detaillierten Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen auf Projektebene unterschiedliche Phasen der Planung durchläuft. Die Berechnung des Substanzwerts in der ersten generellen Bewertungsphase erfolgt aus den Daten der messtechnischen bzw. visuellen Zustandserfassung auf Netzebene, die flächendeckend zur Verfügung stehen. Wie im Handbuch Pavement Management in Österreich [1] im Detail beschrieben, ist die Bewertung des Straßenzustands jener Teil der systematischen Erhaltungsplanung, der die erfassten oder erhobenen Daten und Informationen sowie die daraus errechneten Kennzahlen und Kennwerte mit (strategischen) Erhaltungszielen verknüpft. Dazu ist es erforderlich, bestimmte, auf die Eigenschaften des Straßenoberbaus bezogene Grenzwerte und Standards festzulegen, die letztendlich diese Erhaltungsziele repräsentieren. 2.2 Aktuelle Substanzbewertung nach Handbuch Pavement Management in Österreich Das aktuelle Bewertungsverfahren stützt sich in seiner Struktur auf eine Wertsynthese zur Berechnung von Einzelzustandswerten, Teilwerten und einem Gesamtwert, wobei ein entsprechender Bezug auf strategische Erhaltungsziele im Bereich Fahrsicherheit, Fahrkomfort und struktureller Zustand des Straßenoberbaus gegeben ist. Das Verfahren wird durch folgende 3 Einzelschritte definiert [1]: 1. Normierung (Transformation): Die in der Regel dimensionsbehafteten Zustandsgrößen aus der netzweiten Zustandserfassung werden in eine dimensionslose Kennzahl - den Zustandswert - transformiert. Diese Transformation erfolgt durch die Anwendung von auf die Einzelmerkmale bezogenen Normierungsfunktionen. Dabei werden die Einzelmerkmale Griffigkeit, Quer- und Längsebenheit, Risse und Oberflächenschäden (= sonstige strukturellen Schäden) berücksichtigt. 2. Teilwertermittlung: Die einzelnen Zustandswerte werden in Abhängigkeit von ihrer Bedeutung und ihren Eigenschaften über Gewichtungs- und Verknüpfungsvorschriften (gewichtetes Maximalkriterium) zu Teilwerten zusammengefasst. 3. Gesamtwertermittlung: Die Teilwerte werden in Abhängigkeit von ihrer Bedeutung und ihren Eigenschaften über Gewichtungs- und Verknüpfungsvorschriften zum Gesamtwert zusammengefasst. Neben den Zustandsmerkmalen sind auch bestimmte Oberbauinformationen, vor allem als Grundlage für die Bewertung der strukturellen Beschaffenheit, in die Bewertung einzubeziehen. Neben der Bauweise bzw. den eingesetzten Baumaterialien spielt vor allem das Alter der Schichten sowie das Verhältnis zwischen vorhandener (geschätzter) Tragfähigkeit (zulässige Normlastwechsel) und aktueller Verkehrsbelastung (vorhandene Normlastwechsel), welche über den Verkehrsbelastungskoeffizienten VBI definiert ist, eine wesentliche Rolle. Unter Bezugnahme auf die strategischen Erhaltungsziele „Sicherheit und Komfort“ sowie “Substanz“ werden aus den Einzelzustandsmerkmalen und den Oberbauinformationen zwei maßgebende strategische Teilwerte definiert [1]: • Gebrauchswert: Teilwert zur Beschreibung der Fahrsicherheit und des Fahrkomforts • Substanzwert: Teilwert zur Beschreibung der strukturellen Beschaffenheit der Oberbaukonstruktion Die Berechnung des Gesamtwerts, als Zusammenführung von Gebrauchs- und Substanzwert, soll sowohl die auf den Straßennutzer bezogenen Erhaltungsziele (Fahrkomfort und Fahrsicherheit), als auch jene Vorgaben, die zusätzlich aus der Sicht des Straßenbetreibers anzustreben sind (Erhaltung der Substanz), gleichermaßen berücksichtigen und stellt den 3. Schritt in der Bewertung dar [1]. 2.3 Ergebnisse der Analyse des aktuellen Verfahrens Unter Bezugnahme auf die durchgeführten Diskussionen im Rahmen des VIF-Forschungsprojekts BORIS [3] konnten die nachfolgenden Verbesserungsbereiche identifiziert werden. Dies liegt auch darin, dass das aktuelle Verfahren seinen Ursprung im Jahr 2000 (siehe Weninger-Vycudil A., 2001 [4]) sowie in der RVS 03.08.63 aus dem Jahr 1998 hat und nur ausgewählte Veränderungen bzw. Adaptionen aus Anlassfällen (z. B. Änderungen in der RVS 03.08.63 [5] im Jahr 2016) vorgenommen wurden [3]: • Die Unterteilung des Asphaltschichtpakets bei flexiblen Oberbaukonstruktion in Deckschicht, Binderschicht und gebundene Asphalttragschicht wird bei der Bildung der Zwischenergebnisse derzeit nicht berücksichtigt. Der Teilsubstanzwert „Tragfähigkeit“ repräsentiert das gesamte gebundene Schichtpaket und ist ein semi-empirischer Wert, der zwar über den Kalibrierfaktor Risse einen Einfluss aus den Oberflächenzustand beinhaltet jedoch auf einer aus der Dimensionierung abgeleiteten mittleren Ermüdungsfunktion des gesamten Schichtpakets basiert (siehe hierzu [1]). Zum Beispiel kann die Notwendigkeit einer Sanierung im Bereich der Binderschicht nicht klar aufgezeigt bzw. dargestellt werden. • Immer mehr Oberbauabschnitte in Asphaltbauweise besitzen gebundene Tragschichten, die ein sehr hohes Alter und eine hohe Dicke aufweisen und somit den Teilsubstanzwert „Tragfähigkeit“ maßgebend bestimmen. <?page no="245"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 245 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement • Die Dickengewichtung beim Substanzwert (gesamt) führt bei der Asphaltbauweise dazu, dass Deckschichtmaßnahmen nur eine sehr geringe Wirkung im Substanzwert zeigen, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass bei einer Entscheidung für eine Deckschichtmaßnahme die darunter liegenden (alten) Binder- und gebundenen Tragschichten noch eine längere technische Nutzungsdauer aufweisen. • Der Kalibrierfaktor Risse wird beim Teilsubstanzwert Tragfähigkeit bei Asphaltbefestigungen für die Berücksichtigung der Risssituation (an der Oberfläche) herangezogen und bezieht sich dabei auf das gesamte gebundene Schichtpaket. Darüber hinaus hat der Kalibrierfaktor einen sehr sensitiven Einfluss und wird im Rahmen der Anwendung der neuen Rissprognosemodelle im PMS (seit 2019) nicht mehr verwendet, sodass er nur für diesen Teilsubstanzwert berechnet wird. • Die Teilsubstanzwerte sind Hilfsgrößen, die für die Auswahl von Erhaltungsmaßnahmen herangezogen werden. Sie sind für die Festlegung von strategischen Zielsetzungen im Bereich der Substanz nicht geeignet, da sie nur Teilaspekte der strukturellen Bewertung berücksichtigen und kein nachvollziehbares Gesamtbild der strukturellen Beschaffenheit liefern. 2.4 Definition des Verbesserungspotentials und der aktuellen Vorgaben und Rahmenbedingungen Als Grundlage für die Überarbeitung des Bewertungsverfahren wurden als Ergebnis der Diskussion folgende maßgebende Vorgaben und Rahmenbedingungen abgeleitet [2]: • Die Entwicklungen und Vorgaben in den Planungshandbüchern der ASFINAG [8] sowie der aktuellen Vorgaben aus der RVS 03.08.63 [5] sind in das Verfahren einzuarbeiten. • Die Überarbeitung des Substanzwerts als repräsentative Größe für die strukturelle Beurteilung von Asphaltoberbaukonstruktionen im Hinblick auf die Verwendung dieses Teilwerts als strategische Kennzahl ist von zentraler Bedeutung. Es soll nur mehr einen einzigen Substanzwert geben, der auch für strategische Ziele heranziehbar ist und eine klare und nachvollziehbare Aussage über die strukturelle Situation von Straßenoberbaukonstruktionen zulässt. Die Bezeichnung von Teilsubstanzwerten ist zu vermeiden. • Die verbesserten Teilwerte sollen in ihrem zeitlichen Verlauf (für Standardauf bauten) eine Übereinstimmung mit den standardisierten, auf Erfahrungen basierenden Lebenszyklen von Oberbaukonstruktionen im Netz der ASFINAG aufweisen. Dies bedeutet auch eine Überprüfung der theoretischen Ermüdungsfunktionen sowie eine Berücksichtigung der höheren technischen Nutzungsdauern aufgrund der im Lebenszyklus zu erwartenden Erhaltungsmaßnahmen (vor allem im Bereich der Deck- und Binderschicht). Dabei ist es notwendig, die im aktuellen Verfahren häufig nach RVS 03.08.63 [5] verwendete Bemessungslebensdauer für Neubauten (30 Jahre für Asphalt- und Betonbefestigungen), welche einen theoretischen Zeitrahmen bis zum Erreichen der Grenzermüdung (50 % des Ausgangswerts bei Asphaltbefestigungen) definiert und somit auch keine strukturellen Verbesserungen nach der Errichtung vorsieht, durch die technische Nutzungsdauer zu ersetzen und somit nicht nur die Ermüdung sondern auch die Alterung in Abhängigkeit von der Lage der Schicht und dem strukturellen Zustand (von der Oberfläche) zu berücksichtigen. • Die Zuordnung und folglich die Auswahl von (strukturellen) Erhaltungsmaßnahmen hat präziser zu erfolgen. Außerdem sind die möglichen Ursachen nachvollziehbar darzustellen. Speziell bei flexiblen und semi-flexiblen Oberbaukonstruktionen ist eine Aussage im Hinblick auf die technische Nutzungsdauer der maßgebenden Schichten (Deck-, Binder- und gebundene Tragschicht) für die Auswahl der Erhaltungsmaßnahme wesentlich und soll zur Erhöhung der Aussagegenauigkeit führen. 3. Vorschlag neue Substanzbewertung 3.1 Substanzbewertung Asphaltbauweise Die korrekte technische Beurteilung des gebundenen Schichtpakets mit den einzelnen Schichten, deren Lage im Oberbau sowie den verwendeten Materialien spielen eine wesentliche Rolle. Aus den vorhandenen, auf einzelne Schichten bezogene Oberbaudaten lässt sich relativ einfach ableiten bzw. herausfiltern, welche Schicht welche Funktion im gebundenen Straßenoberbau übernimmt und welche Anforderungen sie erfüllen muss. Somit kann der gebundene Oberbau in verschiedene „strukturelle“ Bewertungsbereiche gegliedert werden: • Deckschichtbereich • Binderschichtbereich • Gebundene Tragschicht(en) Auch direkt darunter situierte gebundene (historische) Schichten müssen dabei berücksichtigt werden, wobei die Altersdifferenz zur Binderschicht im neuen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Unter Bezugnahme auf die praktischen Erfahrungen bei der Überbauung von Bestandstragschichten wird davon ausgegangen, dass ältere gebundene Tragschichten dann maßgebend für die Substanzbewertung sind, wenn die Zeitdifferenz zwischen der (neuen) Binderschicht und der Bestandstragschicht innerhalb der Bemessungsperiode von 30 Jahren liegt und somit auch ein entsprechendes Tragfähigkeitspotential noch vorhanden ist [3]. Gemäß den PMS-Daten der ASFINAG beträgt die technische Nutzungsdauer von gebundenen Tragschichten heute im Mittel mehr als 40-Jahre, wenn entsprechende Zwischensanierungen durchgeführt werden. Um die technische Nutzungsdauer der drei Schichtbereiche zu analysieren, werden folgende Eigenschaften berücksichtigt [3]: • Oberflächenzustand, der einerseits über die strukturellen Zustandsmerkmale Risse und Oberflächenschäden, andererseits vor allem im Bereich der Deck- <?page no="246"?> 246 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement schicht auch über die Verformungen in Quer- und Längsrichtung (ausgedrückt durch die Zustandsmerkmale Spurrinnen und Längsebenheit) modelliert wird. • Alter der Schichten des gebundenen Oberbaus zur Beschreibung der irreversiblen Alterung der Materialien, speziell des Bitumens bzw. der Mastix infolge klimatischer Einwirkungen (Temperatur, Oxidation, Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit, etc.) • Materialermüdung bzw. -schädigung als Ergebnis von dynamischen und quasistatischen Verkehrslasten (mit saisonalen Schwankungen der Untergrundtragfähigkeit sowie der Temperatur), speziell an der Unterseite der gebunden Tragschichten. Im Zusammenhang mit der Bewertung der gesamten Lebensdauer einer Straßenoberbaukonstruktion müssen auch jene Zeiträume betrachtet werden, wo irreversible strukturelle Schäden (z. B. Mikrorisse zwischen Mastix und Gestein, Risse an der Unterseite des gebundenen Schichtpakets) bereits vorhanden sind. Es handelt sich daher aus der Sicht der Autoren um eine „irreversible (innere) Schädigung“, die in der Regel eine progressive Entwicklung über die Zeit bzw. Beanspruchung aufweist. Mit zunehmender Tiefe des gebundenen Oberbaus lassen sich aus dem Oberflächenbild nur mehr bedingt Aussagen über die strukturelle Beschaffenheit dieser Schichten herleiten, vor allem dann, wenn der Oberbau bereits ein- oder mehrmals instandgesetzt wurde. Umgekehrt sind bei der Bewertung der Ermüdung bzw. der (inneren) Schädigung vor allem die unteren gebundenen Tragschichten und nicht die Deckschicht(en) von zentraler Bedeutung. Die nachfolgende Tab. 1 definiert die maßgebenden zu bewertenden Eigenschaften in den einzelnen Bewertungsbereichen für das neue Bewertungsverfahren nach [2]. Tab. 1: Maßgebende Oberbaueigenschaften in Abhängigkeit von des Bewertungsbereichs [2] Bewertungsbereich Oberflächenzustand Alterung Ermüdung (innere) Schädigung Deckschichtbereich ● ● Binderschichtbereich ○ (Risse) ● ● Gebundene Tragschicht(en) ● ● Für jeden Bewertungsbereich kann somit ein repräsentativer Zustandswert ermittelt werden: • Zustandswert Deckschicht ZW DE auf der Grundlage des Oberflächenbilds sowie unter Berücksichtigung des Alters der Deckschicht • Zustandswert Binderschicht ZW BI auf der Grundlage des Alters, der Ermüdung bzw. (innerer) Schädigung und des Zustands (Risse) der Oberfläche • Zustandswert für geb. Asphalttragschicht ZW GAT auf der Grundlage des Alters und der Ermüdung bzw. (innerer) Schädigung Die Modellierung der Ermüdung bzw. (inneren) Schädigung erfolgt unter Heranziehung der im aktuellen PMS der ASFINAG verwendeten Ermüdungsfunktion nach Handbuch PMS 2009 [1] und einer entsprechenden Adaptierung an die mittleren technischen Nettonutzungsdauern (ohne dazwischenliegende Erhaltungsmaßnahmen) der Binderschichten (26 Jahre) und der gebundenen Tragschichten (32 Jahre). Das Ergebnis sind die in der nachfolgenden Abbildung dargestellten Funktionen in Abhängigkeit vom Verkehrsbelastungskoeffizienten VBI (= Quotient aus der Anzahl der zulässigen Bemessungsnormlastwechsel des Oberbaus und der Anzahl der vorhandenen bzw. der prognostizierten Bemessungslastwechsel innerhalb der Bemessungsperiode). Abb. 1: Funktion Zustandswert Tragfähigkeit Binderschicht nach [3] Abb. 2: Funktion Zustandswert Tragfähigkeit gebundene Tragschicht nach [3] Aus der Betrachtung der drei zuvor beschriebenen Bewertungsbereiche kann in einem letzten Schritt der Substanzwert für den Asphaltoberbau ermittelt werden. In Abänderung zur aktuellen Berechnung, wo eine Dickengewichtung zur Anwendung gelangt, wird die Verwendung eines arithmetischen Mittelwerts vorgeschlagen, der jedem Bewertungsbereich eine identische Bedeutung im Schichtpaket des gebundenen Oberbaus zuordnet. Da jeder Bereich einen entsprechenden maßgebenden Teilaspekt der Tragfähigkeit der Oberbaukonstruktion beschreibt und die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen hat, würde eine Gewichtung über die Dicke zu einer Überbewertung der gebundenen Tragschichten führen, was wiederum zu den zuvor diskutierten Unschärfen führt. <?page no="247"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 247 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement SI As ....................... Substanzwert Asphaltoberbau ZW DE,As ............... Zustandswert Deckschicht ZW BI .................... Zustandswert der Binderschicht ZW GAT .................. Zustandswert für gebundene Asphalttragschichten Als Ergebnis der zuvor beschriebenen Änderungsvorschläge ist in der nachfolgenden Abbildung 3 das überarbeitete Bewertungsverfahren (Wertsynthese) schematisch dargestellt. Abb. 3: Bildung von Teilwerten und des Gesamtwerts für Asphaltbefestigungen nach BORIS [3] 3.2 Substanzbewertung Betonbauweise Im Vergleich zu flexiblen bzw. semi-flexiblen Oberbaukonstruktionen, wo der gebundene Oberbau aus mehreren (verklebten) Schichten besteht, kann bei der Betonbauweise davon ausgegangen werden, dass es sich um eine monolithische Konstruktion (zumindest innerhalb einer Betonplatte) handelt. Im Gegensatz zum aktuellen Bewertungsverfahren, wo die beiden Einzelmerkmale Risse und Oberflächenschäden die maßgebenden Einflussgrößen aus der Zustandserfassung sind, müssen im Rahmen der gegenständlichen Überarbeitung zusätzliche Einzelmerkmale berücksichtigt werden, sodass eine Erweiterung der Wertsynthese erforderlich wurde. Da die Bewertung des Alters der Betondecke mit Bezug zur theoretischen technischen Nutzungsdauer von Betondecken auch bei den starren Oberbaukonstruktionen eine wesentliche Einflussgröße zur Modellierung einer theoretischen Ermüdung bzw. (inneren) Schädigung darstellt, ist eine Verknüpfung in den überarbeiteten Substanzwert für Betondecken ebenfalls erforderlich [3]. Unter Bezugnahme auf die nach wie vor gültigen Anforderungen an das Bewertungsverfahren, die vorgeschlagenen Erweiterungen im Bereich der Einzelzustandsmerkmale und dem Umstand, dass die Betondecke als ein einziges Konstruktionselement (sofern nicht mit Asphalt überbaut) den Substanzwert definiert, können für die Bautypen BE1 und BE2 nach RVS 03.08.63 [5] folgende strukturellen Einflussgrößen bzw. -bereiche definiert werden [3]: • Strukturelle Zustandsmerkmale Risse, Oberflächenschäden, Restschadensfläche, Reparaturstellen Beton und Asphalt aus der Erfassung und Bewertung der Betondeckenoberfläche • Alter der Betondecke und Verkehrsbelastungskoeffizient als Eingangsgrößen zur Abschätzung einer theoretischen Tragfähigkeit bzw. (inneren) Schädigung im Verhältnis zu einer Idealentwicklung (bezogen auf die mittlere technischen Nutzungsdauer). Für die Beurteilung der theoretischen Tragfähigkeit bzw. (inneren) Schädigung mit den beiden Einflussgrößen Alter der Betondecke sowie dem Verkehrsbelastungskoeffizienten VBI wird in Anlehnung an die aktuelle Berechnungsmethodik wieder auf eine Exponentialfunktion zurückgegriffen [3]. Als Minimalwert liefern die Stan- <?page no="248"?> 248 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement dardlebenszyklen Straßenoberbau der ASFINAG einen Wert von 28 Jahren, als Maximalwert das Forschungsprojekt TAniA [6] einen Wert von 39 Jahren. Daraus ergibt sich die nachfolgende Abbildung 4 für den Zustandswert theoretische Tragfähigkeit Betondecke. Abb. 4: Funktion Zustandswert Tragfähigkeit gebundene Tragschicht nach [3] Für die Verknüpfung der Einzelzustandswerte in den Substanzwert wird auf das nach COST 354 [7] empfohlene erweiterte Maximalkriterium zurückgegriffen, welches bereits im aktuellen Verfahren nach [2] zur Anwendung gelangt. Da die Anzahl der zu berücksichtigenden Einzelzustandswerte deutlich größer geworden ist (insgesamt 6), wird für alle gewichteten Zustandswerte, die kleiner sind als der maximal gewichtete Zustandswert, das arithmetische Mittel der restlichen Einflussgrößen mit 20 % (gem. Empfehlung COST 354 [7]) gewichtet hinzuaddiert [3]. SI Be .............. Substanzwert der Betondecke ZW n,Be ......... Zustandswert des Einzelmerkmals n W n ................ Gewicht des Zustandswerts des Einzelmerkmals n I n .................. Gewichteter Zustandswert des Einzelmerkmals n In der nachfolgenden Abbildung 5 ist das neue Bewertungsverfahren für die Betondeckenbefestigung schematisch dargestellt. Abb. 5: Bildung von Teilwerten und des Gesamtwerts für Betonbefestigungen nach BORIS [3] <?page no="249"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 249 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement 4. Erste Vergleichsrechnungen 4.1 Auswahl der Daten und Bewertungsabschnitte Um eine erste Abschätzung der möglichen Auswirkungen durch die Veränderungen im Bewertungsverfahren vornehmen zu können, wurden sämtliche Oberbauabschnitte (PMS-Abschnitte) des ASFINAG-Netzes einer statistischen Analyse und einem Vergleich zwischen dem aktuellen und dem neuen Verfahren unterzogen. Dies dient dabei als Grundlage für weiterführende Verbesserungsvorschläge sowie als Ausgangslage für eine mögliche Implementierung in die PMS-Standardprozesse. Da zum Zeitpunkt der Analyse noch keine Daten aus der erweiterten Zustandserfassung nach BORIS flächendeckend zur Verfügung stehen, wurde auf die Zustandsdaten der ZEB 2021 zurückgegriffen. 4.2 Ergebnisse der Vergleichsrechnungen Die Vergleichsrechnung für den neuen Substanzwert Asphalt wurde in zwei Schritten durchgeführt. Zuerst wurde die Substanzbewertung in die drei Bewertungsbereiche Deckschicht, Binderschicht und gebundene Tragschicht unterteilt und die Ergebnisse mit dem aktuellen Verfahren verglichen. Nachdem die Berechnung des erweiterten Substanzwerts keine zusätzlichen Zustandsinformationen benötigt, wurde hierfür die Daten-grundlage auf das Gesamtnetz in Asphaltbauweise ausgedehnt. Wie in der nachfolgenden Abbildung 6 ersichtlich, ergeben sich bei der Bewertung der Deckschicht nur geringe Änderungen bzw. Verschiebungen, die das Resultat einer marginalen Änderung der Materialzuordnung zu den Alterungsfunktionen sind. Abb. 6: Vergleich Verteilung Substanzwert Decke (SI_ Decke_AS_aktuell) nach aktueller Bewertungsmethodik und Zustandswert Decke (ZW_Decke_AS_BORIS) nach Adaptierung in BORIS [3] Deutlich differenzierter ist das Bild im Bereich der Binder und der gebundenen Tragschichten (siehe Abbildung-7). Die Aufteilung der Bewertung in Binder- und Tragschicht ermöglicht eine wesentlich genauere Zuordnung der Schädigung zu dem jeweiligen Schichtbereich und in weiterer Folge auch eine treffsichere Maßnahmenzuordnung im PMS. Abb. 7: Vergleich Verteilung Substanzwert Tragfähigkeit (SI_Trag_As_aktuell) nach aktueller Bewertungsmethodik und Zustandswert Binder (ZW_BI_AS_BORIS) sowie Zustandswert gebundene Tragschichten (ZW_ GAT_AS_BORIS) nach Adaptierung in BORIS [3] Wie in Abbildung 7 ersichtlich, ergibt sich der Gesamtzustand der Tragfähigkeit vor allem durch einen größeren Anteil von 25,1 % in der Klasse „schlecht“ (4) und „sehr schlecht“ (5) in der gebundenen Asphalttragschicht. Die Binderschicht weist mit einem Gesamtanteil von 13 % in den Klassen „schlecht“ (4) und „sehr schlecht“ (5) einen besseren Zustand auf. Im aktuell angewandten Verfahren kann nur ein Gesamtanteil von 17,7 % in der Klasse „schlecht“ (4) und „sehr schlecht“ (5) ausgewiesen werden. Die genauen Bereiche (Ursachen) lassen sich dabei nicht quantifizieren [3]. Ein deutlicher Unterschied in der Bewertung ist bei der Bildung des Substanzwerts „Gesamt“ über das gesamte vorhandene Schichtpaket festzustellen (siehe Abbildung-8). Abb. 8: Vergleich Verteilung Substanzwert Gesamt (SI_AS_aktuell) nach aktueller Bewertungsmethodik und Substanzwert Gesamt (SI_AS_BORIS) nach Adaptierung in BORIS [3] <?page no="250"?> 250 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement Wie in Abbildung 8 dargestellt, weist das aktuelle Verfahren in der Klasse „sehr gut“ (1) mit 46,3 % einen höheren Anteil als die dreischichtige Bewertung mit nur 38,8-% in der Klasse „sehr gut“ (1) auf. Noch deutlicher ist die Verschiebung in der Klasse „sehr schlecht“ (5). Das aktuelle Verfahren ergibt einen Anteil von 15,5 % hingegen führt die getrennte Beurteilung der Binder- und Tragschicht zu einer weiteren Spreizung der Bewertung und es kommen nur noch 1,5 % des Netzes in der Klasse „sehr schlecht“ (5) zu liegen. Jedoch ergeben sich höhere Anteile in der Klasse „mittel“ (3) und „schlecht“ (4) [3]. 4.3 Erkenntnisse aus der Erstanwendung Der überarbeitete Substanzwert für Asphaltauf bauten konnte auf Grundlage der vorhandenen Daten für das gesamte Netz der ASFINAG gerechnet werden und bildet den unterschiedlichen Zustand der drei Bereiche Deckschicht, Binderschicht und gebundene Tragschicht(en) gut ab. Auf bauend auf der erhöhten Granularität bei der Substanzbewertung lassen sich in einem weiteren Schritt die strukturellen Erhaltungsmaßnahmen wesentlich besser den jeweiligen Abschnitten zuordnen (über Mängelklassenmatrix, Beispiel siehe Abbildung 8, und Auswahlprozesse, Beispiel siehe Abbildung 9) sodass diese zielgerichteter angewendet werden können und auch die weiterführende Planung auf Projektebene vereinfachen. Abb. 9: Vorschlag Mängelklassenmatrix Asphaltbauweise nach BORIS [3] Für Betondecken ist die Bildung des neuen Substanzwert nur mit Kenntnis der erweiterten Zustandsgrößen möglich und kann daher derzeit noch nicht flächendeckend angewendet werden. Vergleichsanalysen in analoger Weise wie bei den Asphaltbefestigungen sind in Planung. Abb. 10: Beispiel Maßnahmenzuordnung Mängelklasse D (Asphaltbauweise, erweiterte Einzelmerkmalsbewertung nach BORIS) [3] 5. Schlussfolgerung und Empfehlungen für die praktische Umsetzung Die durchgeführten Untersuchungen, Analysen und Vergleichsrechnungen im Rahmen des Forschungsprojekts BORIS zeigen doch eine deutliche Notwendigkeit zur Verbesserung der Zustandserfassung und Bewertung von Rissen und Oberflächenschäden bzw. sonstigen strukturellen Schäden, speziell vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Verbesserung der Zuordnung von Erhaltungsmaßnahmen auf Netzebene, auf. Die Neuinterpretation der Substanzbewertung aufgrund der analysierten Problembereiche, der durchgeführten technischen Diskussionen und der daraus abgeleiteten neuen Anforderungen führten zu folgendem Ergebnis [3]: • Die Vorgaben aus dem Planungshandbuch der ASFI- NAG [8] sowie der aktuellen Vorgaben aus der RVS 03.08.63 [5] sind im neuen Verfahren implementiert. • Es gibt nur mehr einen einzigen Substanzwert, der auch für strategische Ziele heranziehbar ist und eine klare und nachvollziehbare Aussage über die strukturelle Situation von Straßenoberbaukonstruktionen zulässt. • Die Berechnungen wurden im Hinblick auf eine bessere Nachvollziehbarkeit (auch der Nomenklatur) überarbeitet. Dies betrifft auch die Zuordnung von Erhaltungsmaßnahmen zu den beiden Teilwerten (Gebrauchswert und Substanzwert) bzw. weiteren Bewertungsgrößen (Mängelklassenmatrix und Auswahlprozesse). • Die verbesserten Teilwerte weisen in ihrem zeitlichen Verlauf (für Standardauf bauten) eine Übereinstimmung mit den standardisierten, auf Erfahrungen ba- <?page no="251"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 251 Neugestaltung der österreichischen Substanzbewertung von Straßenoberbaukonstruktionen im Erhaltungsmanagement sierenden Lebenszyklen von Oberbaukonstruktionen im Netz der ASFINAG auf. • Die Zuordnung und folglich die Auswahl von (strukturellen) Erhaltungsmaßnahmen kann präziser erfolgen und auch die möglichen Ursachen können nachvollziehbar dargestellt werden. Das neue Bewertungsverfahren zur Berechnung der Teilwerte, speziell des Substanzwerts, kann umgehend in das PMS der ASFINAG übernommen werden. Dies gilt auch für die neuen Prozesse zur Verbesserung der Zuordnung und Nachvollziehbarkeit der Anwendungsgrenzen der Erhaltungsmaßnahmen. Voraussetzung für eine praktische Umsetzung ist jedoch eine umfassende Vergleichsrechnung und Analyse auf dem Gesamtnetz. Nur durch umfassende Vergleichsrechnungen ist es möglich, die Auswirkungen aus strategischer Sicht abzuschätzen und ggf. auch strategische Erhaltungsziele im Nachgang entsprechend anzupassen. Die Neugestaltung des Substanzwerts (sowohl bei Asphalt als auch bei Beton) trägt den Änderungen in der Dimensionierungsrichtlinie RVS 03.08.63 [5] sowie den Erfahrungen mit den technischen Nutzungsdauern von unterschiedlichen Oberbauschichten Rechnung. Auch die Verwendung einer größeren Anzahl von (verwirrenden) Teilsubstanzwerten kann mit einer Implementierung des neuen Verfahren nach BO- RIS beseitigt werden, da nur mehr ein einziger Substanzwert (Gesamt) als Ergebnis der Teilwertbildung berechnet wird. Das Verfahren erfüllt deutlich besser die Anforderungen an eine präzisere, effizientere und auch zielorientiertere Maßnahmenzuordnung im Rahmen der Verbesserung der strukturellen Beschaffenheit von Straßenoberbaukonstruktionen. Damit ist es auch möglich, die Wirkungen der Maßnahmen sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht besser zu beurteilen und die erforderlichen Ressourcen optimal einzusetzen. Literatur [1] Weninger-Vycudil A., Simanek P., Rohringer T. und Haberl J. (2009): Handbuch Pavement Management in Österreich (im Auftrag von BMVIT und ASFi- NAG). Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Schriftenreihe Straßenforschung, Heft 584, Wien, 2009. [2] Weninger-Vycudil A., Brozek B. und Simanek P. (2023): Handbuch Pavement Management in Österreich 2023. Handbuch im Auftrag der ASFi- NAG, Wien, 2023 (unveröffentlicht). [3] Spielhofer R., Weninger-Vycudil A., Brozek B., Litzka J., Hahn M. (2024): BORIS - Bewertung von Oberflächenschäden und Rissen des Straßenoberbaus. Mobilität der Zukunft, MdZ - 2021 Verkehrsinfrastruktur, Forschungsprojekt im Auftrag des BMK und der ASFINAG, Wien, 2024. [4] Weninger-Vycudil A. (2001): Entwicklung von Systemelementen für ein österreichisches PMS. Dissertation, ausgeführt am Institut für Straßenbau und Straßenerhaltung, TU Wien, 2001. [5] RVS 03.08.63: Oberbaudimensionierung. Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, Wien, 2016/ 2021. [6] Weninger-Vycudil A., Brozek B., Kessel T., Pasderski J., Sietas J., Chylik B., Schranz C., Prammer D., Vorwagner A., Curchellas P., and Bühlmann R. (2021): TAniA - Technische Anlagenbewertung im Asset-Management, D-A-CH Verkehrsinfrastrukturforschung 2018, Endbericht, Wien, 2021. [7] Litzka J., Leben B., Torre F. L., Weninger-Vycudil A., Antunes M., Kokot D., Mladenović G., Brittain S., Viner H. (2008). The Way Forward for Pavement Performance Indicators Across Europe. COST Action 354: Performance Indicators for Road Pavements. Vienna - Brussels, 2008. [8] Lohmann-Pichler R. (2020): Planungshandbuch Straße - Bau. Technische Richtlinie der ASFINAG, Wien, 2020. <?page no="253"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 253 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Dipl.-Ing. Kay Degenhardt Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten Zusammenfassung Anhand der mehrjährigen Erfahrungen des Landesbetriebes Straßenwesen Brandenburg beim Auf bau eines ganzheitlichen Asset- und Erhaltungsmanagements für die von ihm betreuten Bundes- und Landesstraßen wird dargestellt, wie komplex sich die Materie in der Praxis darstellt, welche großen Herausforderungen mit dieser Aufgabe verbunden sind, welche Lösungsansätze verfolgt werden und wie deren Erfolgsaussichten derzeit einzuschätzen sind. Digitalisierung und Datenverarbeitung spielen dabei eine wesentliche Rolle. Oft vernachlässigt oder unterschätzt werden hingegen das interdisziplinäre Verständnis aller am Prozess Beteiligten und ein hohes Maß an Kommunikation und Teamfähigkeit. Wie unabdingbar aber auch diese Aspekte für das Gelingen eines ganzheitlichen Ansatzes sind, wird ebenfalls thematisiert. 1. Koordiniertes Erhaltungsmanagement 1.1 Anspruch und Zielsetzung Der Betrieb und die Erhaltung der Straßeninfrastruktur erfolgen zunehmend nach einem ganzheitlichen Ansatz. Was bedeutet das konkret? Im Vordergrund stehen Sicherheit, Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit, die insbesondere den Wert von Strecken und Netzen bestimmen, sowie eine effiziente und wirtschaftliche Betriebsführung. Darüber hinaus sollen Betrieb und Erhaltung besonders nachhaltig erfolgen. Dies betrifft nicht zuletzt die ökologisch und klimatisch wertvollen Elemente der Straßeninfrastruktur wie Alleen und Baumreihen. Für den Straßenbaulastträger (Straßenbauverwaltung) stellt der daraus resultierende Zielkonflikt regelmäßig die Quadratur des Kreises dar. Wie kann ein ganzheitlicher Ansatz gelingen und welche Voraussetzungen sind dafür notwendig? Abbildung 1 gibt einen Überblick über die primären Ziele des Erhaltungsmanagements für die Straßeninfrastruktur und die damit verbundenen Fragestellungen. Dabei ist zwischen der Objektebene und der Netzebene zu unterscheiden. Zunächst empfiehlt sich eine Betrachtung des Erhaltungsbedarfs auf Objektebene, getrennt nach den drei Anlagenteilen Fahrbahnen, Ingenieurbauwerke und sonstige Anlagenteile sowie den darunter zugeordneten Objektarten und Einzelobjekten. Je nach Bedarf und Sinnhaftigkeit können die erforderlichen Betrachtungen bis auf die Ebene von Bauteilgruppen oder Bauteilen ausgedehnt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass die spätere Aggregation bis zur Netzebene umso komplexer wird, je feiner die Betrachtungen und Analysen erfolgen. Insofern ist immer zu hinterfragen, welchen Mehrwert bestimmte Informationen für die Zielerreichung haben und ob deren Verarbeitung bzw. Einbeziehung in den Entscheidungsprozess tatsächlich zielführend ist oder nur die Komplexität erhöht. Abb. 1: Zielsetzungen des Erhaltungsmanagements der Straßeninfrastruktur Die Straßeninfrastruktur setzt sich aus einer großen Vielfalt von unterschiedlichen Objektarten und Objekten zusammen. Abb. 2: Auswahl verschiedener Objektarten der Straßeninfrastruktur Wie bereits erwähnt, lassen sich alle diese verschiedenen Objektarten grundsätzlich den drei Anlagenteilen • Fahrbahnen (FB) • Ingenieurbauwerke (ING) • Sonstige Anlagenteile (SAT) <?page no="254"?> 254 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes zuordnen. Die Fahrbahnen, insbesondere für Straßen und Radwege, und die Ingenieurbauwerke, hier insbesondere die Brücken, sind in ihren Ausprägungen, Materialien und Eigenschaften durch ein umfangreiches Regelwerk erfasst und beschrieben. Die Heterogenität in der Spezifikation innerhalb der beiden Objektarten ist eher gering und ermöglicht daher eine relativ gute Vergleichbarkeit in der Vorgehensweise. Bei den Fahrbahnen außerhalb des kommunalen Bereichs liegt der Schwerpunkt auf den Straßen und Radwegen. Sie stellen eine der beiden wesentlichen Grundvoraussetzungen für die räumliche Mobilität mit Kraftfahrzeugen dar und sind in der Regel gebunden und in Asphalt- oder Betonbauweise hergestellt. Die Fahrbahnen nehmen flächenseitig den größten Anteil der Straßeninfrastruktur ein. Innerhalb von Kommunen können zudem umfängliche Anteile aus Gehweg- und Parkbzw. Nebenbefestigungsflächen hinzukommen. Mit den Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV- ZEB-StB) [1] und den Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE- STRA 01) [2] liegen zwei umfangreiche Regelwerke zur Zustandsbewertung und Maßnahmenspezifikation von Erhaltungsmaßnahmen vor. Bei den Ingenieurbauwerken sind vor allem die Brücken im Zuge der betrachteten Straßen bzw. Radwege hervorzuheben. Die Brücken stellen in Abhängigkeit von der topographischen Situation eine zwingende Voraussetzung für die Gewährleistung der räumlichen Mobilität mit Kraftfahrzeugen dar. Darüber hinaus sind den Ingenieurbauwerken weitere Objektarten zuzuordnen, wie z. B. Verkehrszeichenbrücken, Lärmschutzwände etc., die zwar ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf die verkehrssichere und ordnungsgemäße Verfügbarkeit der Straßeninfrastruktur haben, jedoch für die primäre Mobilität in ihrer auf den Untergrund einwirkenden Form von untergeordneter Bedeutung sind. Mit der DIN 1076: 1999-11 - Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung - [3], der Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen (RI-EBW-PRÜF) [4] und seit Ende 2020 auch mit der Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING) [5] können den Ingenieurbauwerken auch drei grundlegende Regelwerke zur Zustandsbewertung und Maßnahmenspezifikation von Erhaltungsmaßnahmen zugeordnet werden. Die Einheit der Fahrbahnen von Straßen und Radwegen mit den darin enthaltenen Brücken bildet die entscheidende Grundlage für die Nutzbarkeit der Straßeninfrastruktur. Für ein koordiniertes Erhaltungsmanagement haben deshalb zunächst diese zwei Komponenten und ihre Konsolidierung von Maßnahmenstrategien zur Zielerreichung, wie im Abbildung 1 dargestellt, die höchste Priorität. Vorzugsweise sollte auch hier die Maßnahmenstrategie zunächst getrennt nach Fahrbahnen und Brücken sowohl auf Objektals auch auf Netzebene analysiert werden, um dann in einem zweiten Schritt die notwendige Verschneidung in einer ganzheitlichen Sicht vornehmen zu können. Mit Fahrbahnen und Brücken werden nicht nur die primären Mobilitätsvoraussetzungen erfasst, sondern beide Komponenten repräsentieren in der Regel auch ca. 70 bis 90 Prozent des Anlagevermögens der gesamten Straßeninfrastruktur sowie des erforderlichen Aufwandes zu deren Erhaltung. Mit der Fokussierung auf Fahrbahnen und Brücken soll keinesfalls die Bedeutung aller sonstigen Anlagenteile sowie die Bedeutung der anderen Bauwerksarten bei den Ingenieurbauwerken und die Bedeutung der anderen Verkehrsflächenarten, insbesondere im kommunalen Bereich, geschmälert werden. Die ordnungsgemäße und sichere Nutzung der Straßenverkehrsinfrastruktur sowie ihr wirtschaftlicher und umweltverträglicher Betrieb erfordern letztlich das Zusammenwirken aller Elemente. Der Unterschied liegt vielmehr in der großen Heterogenität ihrer Ausprägung und Spezifikation und der damit verbundenen Komplexität sowie Verhältnismäßigkeit für die Gesamtbetrachtung im Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur. Eine regelmäßige Überprüfung wird daher empfohlen. Die Komplexität der sonstigen Anlagenteile kann z. B. [6] entnommen werden. Ebenso ist zu beachten, dass sich durch den Klimawandel weitere Verschiebungen in der Bedeutung der Objektarten ergeben werden. Dies betrifft z. B. die Entwässerungssysteme, aber insbesondere auch alle Gebiete, in denen die Straßeninfrastruktur (noch) durch einen umfangreichen Alleen- oder Baumreihenbestand geprägt ist. Stellten und stellen Alleen, Baumreihen und auch große Einzelbäume zunächst ein Hindernis für den Straßenbetrieb, die Straßenerhaltung und die Verkehrssicherheit der Verkehrsteilnehmer dar, so gewinnen sie gerade durch ihren außerordentlichen ökologischen Mehrwert wieder massiv an Bedeutung und müssen als Natur- und auch als Kulturgut unbedingt erhalten und revitalisiert werden. Welche umfangreichen Anstrengungen damit für die Straßenbauverwaltung verbunden sind, kann beispielsweise der Alleenkonzeption 2030 - Alleenreichtum in Brandenburg erhalten und stärken - [7] entnommen werden. Der Anspruch eines ganzheitlichen Erhaltungs- und Asset-Managements der Straßeninfrastruktur zum Erreichen der in Abb. 1 genannten Ziele: • hohe Verfügbarkeit • stabiler Werterhalt • geringer Aufwand • hoher Umwelt- und Klimaschutz besteht dementsprechend darin, auch alle Anlagenteile in die Gesamtmaßnahmenstrategie mit einfließen zu lassen. 1.2 Anforderungen und Umsetzungsrisiken Voraussetzung für ein umfassendes, ganzheitliches und koordiniertes Vorgehen ist, wie bereits erläutert, zunächst die Kenntnis aller in der Straßeninfrastruktur enthaltenen Objekte, ihrer Spezifikation und Ausprägung sowie ihrer Bedeutung in der Gesamtbetrachtung. Das klingt trivial, ist es aber nicht. <?page no="255"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 255 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Die wesentlichen Basisdaten sollten mittlerweile bei jeder Straßenbauverwaltung digital abruf- und bearbeitbar vorliegen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese auch den qualitativen Ansprüchen gerecht werden. Bei Detaildaten zu den Objekten und ihren Bauteilen erreicht man immer wieder schnell seine Grenzen. Der benötigte Informationsumfang lässt sich wie folgt strukturieren: • Objektdefinition - Um was handelt es sich? • Identifikationsmerkmale • physische Abmessungen und ggf. weitere Unterstrukturen • materielle-(stoffliche) Ausprägung • Herstellungsjahr und somit das Alter • mittlere Lebensdauer und/ oder normative Nutzungsdauer • Zustands- und Nutzungskriterien, deren Verhaltensfunktionen sowie deren Ist- und Sollwerte • Herstellungs-- und/ oder Wiederbeschaffungskosten (Bruttoanlagenwert) • Abschreibung und somit aktueller Zeitwert des Objektes (Nettoanlagenwert) • Einfluss bzw. Abhängigkeiten (Art und Größe) auf und zu anderen Assets (Objekten) Eine weitere wichtige Voraussetzung für ein ganzheitliches, koordiniertes Vorgehen ist der Wille aller Beteiligten, dieses auch wirklich umsetzen zu wollen. Dazu gehört vor allem die Fähigkeit der einzelnen Fachdisziplinen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Allzu oft hat man schon erlebt, dass die Objektverwaltungen der einzelnen Anlagenteile nicht oder nur sehr wenig miteinander kommunizieren. Der konstruktive Ingenieur kümmert sich gerne nur um seine Brücken, der Streckenerhalter/ Meister hat nur die Oberflächenbeschaffenheit der Fahrbahn im Blick und der Verkehrstechniker priorisiert die Anpassung der Schutzeinrichtungen. Jeder für sich und keiner im Kontext der Abhängigkeiten vom anderen. Im Ergebnis endet die Belagssanierung vor der Brücke und die Fahrzeugrückhaltesysteme werden erneuert, ohne dass die Kappen und Lager der Brücke für die höheren Anpralllasten nachgewiesen werden. Die wichtigste Anforderung ist jedoch an die politischstrategische Ebene zu stellen. Sie muss zunächst auf der Basis ihrer verkehrspolitischen Ziele entsprechende Vorgaben für die Erhaltung der Straßenverkehrsinfrastruktur entwickeln und kommunizieren. Erst daraus lassen sich konkrete Vorschläge ableiten, wie die Erhaltungsziele zu gewichten sind und mit welcher Erhaltungsstrategie sie erreicht werden können [8]. Platt gesprochen: Wenn die Gesellschaft, bestimmt durch einen politischen Mehrheitswillen, keinen oder kaum noch einen Mobilitätsbedarf im Straßenverkehr sieht, besteht auch keine Notwendigkeit mehr, Teile oder die Gesamtheit dieser Infrastruktur zu erhalten. Bei Nichtbeachtung einer oder mehrere der drei Anforderungen • umfängliche Netz- und Objektkenntnisse (Datengrundlage) • interdisziplinäres Verständnis und fachübergreifende Zusammenarbeit inklusive zugehörigem Datenmanagement • Verfügbarkeit von Vorgaben zur Erhaltung (Erhaltungskriterien) für Priorisierung und Wichtung wird kaum ein koordiniertes Erhaltungsmanagement im ganzheitlichen Sinne gelingen können. Werden diese Anforderungen jedoch erfüllt, kann der auf Einzelobjektebene bereits etablierte Erhaltungskreislauf, hier exemplarisch für die Ingenieurbauwerke in Abb. 3 dargestellt, mit Strategiesetzung, Maßnahmenvorschlag, Umsetzung und Erfolgskontrolle auch im Sinne eines ganzheitlichen, koordinierten Asset- und Erhaltungsmanagements für alle Objekte der Straßeninfrastruktur betrieben werden. Abb. 3: Ablauf der systematischen Erhaltung aus [9] 2. Datengrundlage und Datenverarbeitung 2.1 Bedeutung und Ausgangssituation Netz- und Objektwissen bedeutet in unserer modernen Gesellschaft im Kern nichts anderes als die dynamische Verfügbarkeit von umfassenden, digital verwertbaren Daten mit möglichst hohem Informationsgehalt bzw. hoher Aussagekraft. Die damit verbundene Komplexität soll anhand des vereinfachten Modells in Abbildung 4 verdeutlicht werden. <?page no="256"?> 256 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Abb. 4: Komplexität der Objektbeschreibung Für die Daten der Objekte der Straßeninfrastruktur stehen heute eine Vielzahl von Datenbanksystemen zur Verfügung. Den Kern bildet in den Straßenbauverwaltungen der Länder und des Bundes fast überall eine sogenannte Straßeninformationsdatenbank auf Basis der ASB [10]. Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg setzt z. B. das System TT-SIB® INFOSYS [11] ein. NWSIB [12] und BISStra [13] sind adäquate Systeme. Die Daten der Ingenieurbauwerke werden modellseitig über die ASB-ING [14] [15] beschrieben und derzeit in dem bundeseinheitlich eingesetzten Programmsystem SIB-Bauwerke [16] gespeichert und verarbeitet. Für die Objektarten der sonstigen Anlagenteile gibt es darüber hinaus zumeist noch verschiedene Fachschalen der Straßeninformationsbank oder aber auch eigenständige Datenhaltungssysteme. Beispielhaft sei hier das Fachinformationssystem FISA [17] für die Straßenausstattung genannt, das derzeit im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg für verschiedene SAT-Objektarten implementiert ist. Die Projektdatenhaltung und das Projektmanagement für Erneuerungs- und Erhaltungsmaßnahmen erfolgen in der Regel getrennt von der Objektdatenhaltung. Dies führt zur grundsätzlichen Problematik eines übergreifenden Datenmanagements für ein ganzheitliches Asset- und Erhaltungsmanagement (vgl. [18]). 2.2 Problem des Datenmanagements Im Rahmen der Erhaltung fällt eine Vielzahl von Daten an. Neben der Zustandserfassung, z. B. im Rahmen der ZEB [1] oder der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [3], betrifft dies zunehmend auch den Einsatz innovativer Verfahren sowohl bei der Zustandserfassung selbst als auch bei der anschließenden Zustandsbewertung und Maßnahmenbestimmung (vgl. [19]). Die Datenquellen und Datenhaltungen werden zukünftig und zwangsläufig noch wesentlich heterogener sein als bisher. Eines der größten Probleme ist dabei die dynamische Verfügbarkeit der Daten. Die Datenhaltung sollte dabei den FAIR-Prinzipien unterliegen. FAIR [20] steht für: • Findable (Auffindbar) • Accessible (Zugänglich) • Interoperable (interoperabel) • Reusable (wiederverwendbar) Die wesentlichen Medienbrüche liegen zum einen im Datenaustausch zwischen internen und externen Nutzern und zum anderen zwischen den einzelnen Anwendungen zur Datenhaltung (Abb. 5). Für die Verwaltung von Bauwerksdaten wurden beispielsweise in einem Workshop [21] bei der Bundesanstalt für Straßenwesen im Juni 2024 folgende fünf Punkte als notwendig priorisiert: • einen zentralen Zugangspunkt zur Ansprache der Daten über standardisierte Schnittstellen • die Verwendung standardisierter Datenmodelle inklusive verbindlicher Metadatenprofile • die Sicherheit der Daten • die anwendungsbezogene Datenqualität • eine langfristig lesbare und interpretierbare Datenarchivierung <?page no="257"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 257 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Abb. 5: Medienbrüche im Datenmanagement Diese Anforderungen können grundsätzlich für alle Anlagenteile der Straßeninfrastruktur verallgemeinert werden. Ebenso ist auf den in den Verwaltungen meist vorhandenen Medienbruch zwischen Projekt- und Objektmanagement hinzuweisen, Abb. 6. Ein klug aufgestelltes Asset- und Erhaltungs-Management-System könnte hier sowohl die Rolle des zentralen Datenhub (Datendrehscheibe) übernehmen als auch als Bindeglied zwischen Projekt- und Objektmanagement fungieren. Abb. 6: Asset-Management-System als Bindeglied zwischen Projekt- und Objektmanagement 2.3 Der Digitale Zwilling als Chance Die Datenverarbeitung erfolgt bisher weitestgehend auf der zweidimensionalen Betrachtungsebene der Infrastrukturobjekte. Grundlage hierfür ist die Netzsyntax nach ASB [10] (Bild 7). <?page no="258"?> 258 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Abb. 7: Geometriemodell des Netzknoten-Stationierungssystems nach [10] Für viele Fragestellungen des Erhaltungsmanagements ist die zweidimensionale Betrachtung völlig ausreichend. Je nach Zweckmäßigkeit wird der sogenannte Digitale Zwilling diese Sichtweise sukzessive um weitere Dimensionen ergänzen. Mit dem Rahmendokument DIGITALER ZWILLING BUNDESFERNSTRASSEN Definition und Konzeption [21] liegt seit Oktober 2024 erstmals eine allgemeingültige Definition des Digitalen Zwillings für den Bereich der Bundesfernstraßen vor. Ein Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen ist dementsprechend eine virtuelle dynamische Repräsentation des realen Systems und seiner Wirkzusammenhänge. Er unterstützt über einen (teil)automatisierten bidirektionalen Daten- und Informationsaustausch-optimierte-Entscheidungsgrundlagen für ein nachhaltiges Management im Lebenszyklus der Infrastruktur. Der digitale Zwilling könnte daher eine große Chance sein, die für ein koordiniertes Asset- und Erhaltungsmanagement notwendigen Daten der verschiedenen Anlagenteile in einer oder wenigen Repräsentationen zu konsolidieren bzw. konsolidiert für verschiedene Fragestellungen verfügbar zu halten. 3. Den ganzheitlichen Gedanken leben 3.1 Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Koordination auf verschiedenen Ebenen Die große Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit für das Gelingen eines ganzheitlichen Asset- und Erhaltungsmanagements wurde bereits mehrfach erwähnt. In gewisser Weise erfordert dies zunächst einen kleinen Kulturwandel. Die Forderung nach einem möglichst hohen Grad an interdisziplinärer Zusammenarbeit darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass Expertenwissen nicht mehr benötigt wird und jeder möglichst alle Themen gleichermaßen beherrscht. Im Gegenteil, gerade in der interdisziplinären Zusammenarbeit sind klare Zuständigkeiten und sehr gut strukturierte Prozesse gefragt. Der Fokus des Kulturwandels liegt vielmehr auf einer anderen Problematik. Es geht vor allem darum, das bisher noch häufig anzutreffende Herrschaftswissens aufzubrechen und stattdessen einen interdisziplinären Teamgeist zu schaffen, der von hoher Transparenz und einem respektvollen Miteinander auf verschiedenen Ebenen geprägt ist. Dies erfordert ein hohes Maß an Koordination und Kommunikation. Hinsichtlich der unterschiedlichen Ebenen/ Zuständigkeiten sind z. B. zu nennen: • die politisch-strategische Ebene in Zuständigkeit für die übergeordneten Zielsetzungen der Erhaltung • die strategische Ebene in Zuständigkeit für die Überführung der übergeordneten, politischen Zielvorgaben in konkrete Erhaltungsstrategie, die Koordinierung und das Controlling • die operative Ebene in Zuständigkeit für die Umsetzung von Maßnahmen Darüber hinaus hat sich im sukzessiven bzw. teilweise iterativen Erhaltungsprozess eine Unterteilung der Zuständigkeiten auf Objekt- und Netzebene bewährt. Sinnvoll kann auch eine mehrstufige räumliche Unterteilung insbesondere des operativen Bereichs in globale und lokale/ regionale Zuständigkeiten sein. Sowohl die Informationen zur Festlegung einer bestimmten Erhaltungsstrategie als auch die spätere Koordination und Umsetzung der Maßnahmen sowie deren spätere Abrechnung bzw. Erfolgskontrolle im Sinne der Wirksamkeit der festgelegten Strategie müssen auf allen Ebenen transparent verfügbar und damit allen Akteuren bekannt sein. Ohne die erforderliche Transparenz wird kein koordiniertes Erhaltungsmanagement die notwendige Akzeptanz bei den beteiligten Akteuren finden und damit immer wieder zum Scheitern verurteilt sein. Da die Koordination und die damit verbundene Kommunikation im ganzheitlichen Erhaltungsprozess sehr wichtig und umfangreich sind, sollten diese Aufgaben an zentralen Stellen mit ausreichenden Ressourcen gebündelt werden. 3.2 Lebenszyklus - Was bedeutet das wirklich? Wenn wir über Lebenszyklus sprechen, meinen wir zumeist den in Abb. 8 dargestellten Kreislauf. Abb. 8: Lebenszyklus im klassischen Sinn <?page no="259"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 259 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Bei der Straßeninfrastruktur gilt dieser Kreislauf jedoch in der Regel nur für einzelne Bauteile, selten aber für eine ganze Trasse und schon gar nicht für ein ganzes Netz. Unser Straßennetz ist praktisch seit Anbeginn der Menschheit kontinuierlich ausgebaut worden. Große, überregional bedeutsame Korridore, wie z. B. die Via Imperii von Stettin über Berlin (Cölln), Leipzig, Nürnberg, Innsbruck nach Rom, gibt es seit vielen Jahrhunderten. Ein ähnliches Beispiel in Europa kann in Ost-West- Richtung mit der alten Reichsstraße Via Regia genannt werden. Wenn wir also über den Bestand unserer Straßeninfrastruktur sprechen, so handelt es sich im umfassenden Sinne nicht um einen Kreislauf, sondern vielmehr um eine äußerst dauerhafte Tatsache. Bislang gab es einen stetigen Zuwachs und kaum einen Rückbau, zumindest aus globaler Netzsicht. So wird die Gesamtlänge der Straßen in Deutschland derzeit mit ca. 830 Tkm angegeben [22]. Die Flächeninanspruchnahme kann jedoch auf Dauer nicht unbegrenzt gesteigert werden. Umso wichtiger wird eine koordinierte Erhaltung des Bestandsnetzes über einen möglichst sehr langen bzw. besser dauerhaften Zeitraum. Eine einmalige Lebenszyklusbetrachtung im klassischen Sinne von Abb. 8 würde daher für eine ganzheitliche Sicht viel zu kurz greifen. 3.3 Wirtschaftlichkeit und Anlagevermögen Straßen sind in Deutschland nach derzeitiger Rechtslage überwiegend nicht ertragsbringend. Sie werden daher nicht als Vermögen angesehen. Dennoch lassen sich grundsätzlich Ansätze zur Bilanzierung des öffentlichen Straßeninfrastrukturvermögens beschreiben [23]. Die Wirtschaftlichkeit orientiert sich vor allem an der Rationalität von Investitionen und Verbräuchen bei Bau, Betrieb und Erhaltung. Sie folgt dem Grundsatz, dass ein bestimmter Erfolg mit geringstmöglichem Mitteleinsatz bzw. mit einem bestimmten Mitteleinsatz der größte Erfolg erzielt werden kann [24]. Ein wesentlicher Faktor in dieser Berechnung ist die Frage nach der Nutzungsdauer von Bauteilen, Bauteilgruppen und ganzen Bauwerken bzw. Objekten der Straßeninfrastruktur. Wann gilt ein Objekt in seiner Nutzung eingeschränkt? Wie verlängert sich die Nutzungsdauer und wie verbessert sich das Nutzungsvermögen nach bestimmten Maßnahmen? Was bestimmt den Erfolg? Allgemein anerkannte, einheitliche und umfassende Kriterien zur Beantwortung dieser wichtigen Fragen gibt es für die Straßeninfrastruktur bisher nicht. Insofern gibt es nach wie vor einen sehr großen Ermessensspielraum, wenn es um die Frage der Wirtschaftlichkeit und des Anlagevermögens geht. Maßgeblich sind die Zielsetzungen der politisch-strategischen Ebene. Veränderungen dieser Zielsetzungen führen unmittelbar zur Frage der Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit im Handeln der beteiligten Akteure. Mit der Vorgabe der politisch-strategischen Ebene, dass die Tragfähigkeit von Brücken einem bestimmten Ziellastniveau entsprechen soll, werden z. B. alle Maßnahmen, die dieses Niveau nicht generieren, per se unwirtschaftlich, da sie einen zusätzlichen und nicht zielführenden Aufwand darstellen, auch wenn sie kurzfristig als notwendig erachtet werden. Hinsichtlich der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit und des Anlagevermögens sowie der Frage des Modernitätsgrades der Straßeninfrastruktur können daher derzeit nur Annahmen getroffen werden, deren Brauchbarkeit als Kriterium für ein ganzheitliches und koordiniertes Asset- und Erhaltungsmanagement immer wieder kritisch zu hinterfragen ist. 3.4 Nachhaltigkeit und Klimaschutz Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz lässt sich auch im ganzheitlichen, koordinierten Asset- und Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur noch nicht statisch und abschließend einordnen. Gerne würden wir unser Handeln auf eine hohe Nachhaltigkeit und den damit einhergehenden Klimaschutz ausrichten. Leider ist dieses Ziel nicht so trivial zu erreichen und schon gar nicht bei der sehr, sehr langlebigen Straßeninfrastruktur. Gleichzeitig ergeben sich bei diesen Aspekten auch die größten Zielkonflikte mit der grundsätzlichen Forderung nach einer möglichst hohen Verfügbarkeit und Nutzbarkeit der Straßeninfrastruktur. Die Herausforderungen sind vielfältig und erfordern zumeist einen sehr umfangreichen und detaillierten Abwägungsprozess. Als Beispiel sei hier der Schutz von Alleen und Baumreihen im Land Brandenburg genannt [7]. Gleichzeitig muss aber auch die Verkehrssicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Fahrbahnen gewährleistet sein, was immer wieder zu der Frage führt: Fahrbahn grundhaft erneuern oder lieber ökologisch wertvolle Alleen erhalten und Geschwindigkeiten begrenzen? Noch komplexer wird es bei einer verkehrsträgerübergreifenden Sicht. Mehrheitsmeinung ist bisher, dass vor allem eine schnelle Beseitigung von Einschränkungen in der Straßeninfrastruktur nützlich ist. Dabei wird gerne sowohl auf die Folgekosten für die Nutzer durch Staus und Reisezeiten als auch auf die ökologische Komponente durch zusätzlichen Kraftstoffverbrauch und höhere Abgasemissionen verwiesen. Könnte aber nicht auch der umgekehrte Fall eintreten, wenn ein belastbarer ÖPNV zur Verfügung steht und in Folge der Einschränkung der Straße somit ein Umdenken in der Nutzung anderer, ökologisch und klimaschutztechnisch wesentlich zielführenderer Verkehrsträger stattfindet? Ein Wechsel des Blickwinkels kann manchmal eine ganz neue Sicht auf die Dinge ermöglichen. Die ganzheitliche Betrachtung sollte sich daher nicht nur und nicht ausschließlich auf die Straßeninfrastruktur selbst beschränken. 4. Praktische Erfahrungswerte 4.1 Aufbau eines Erhaltungsmanagements Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg betreibt seit vielen Jahren aktiv den Auf bau eines umfassenden und koordinierten Erhaltungsmanagements. Ansatzpunkte waren zunächst auf Objektebene die Fahrbahnen und Brückenbauwerke. Bereits vor über 20 Jahren wurden erste umfassende Erhaltungsbedarfslisten für die <?page no="260"?> 260 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Fahrbahnen und Brücken erstellt. Das Vorgehen orientierte sich an den damaligen bundesweiten Überlegungen für ein einheitliches PMS [25] und BMS [9]. Diese Überlegungen wurden sukzessive auf der jeweiligen Objektebene verfeinert. Mit den Erhaltungsbedarfslisten Brücken im Jahr 2020 unter Verwendung des Prognosetools EPING [26] [27] konnte für diesen Objekttyp inzwischen ein sehr hohes Niveau auf Objektebene erreicht werden (vgl. [28]). Für die Fahrbahnen wird derzeit mit ähnlichen Werkzeugen ein ähnliches Niveau angestrebt. Ebenso wird derzeit an einer ersten visuellen Verschneidung von Erhaltungsbedarf und Maßnahmenermittlung für Brücken und Fahrbahnen gearbeitet. Der komplexe Bereich der sonstigen Anlagenteile soll dann sukzessive ebenfalls einbezogen werden, wobei z. B. Anpassungen der Fahrzeugrückhaltesysteme an die Anforderungen der Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS 2009) [29] bereits in den entsprechenden Bedarfslisten für Brücken inkludiert sind. Abb. 9: Übersicht Projekt Asset- und Erhaltungsmanagement des LS Brandenburg Für die Aufgabe des strategischen Erhaltungsmanagements wurde inzwischen ein eigener Organisationsbereich geschaffen. Dieser thematisiert z. B. zweimal jährlich in einer interdisziplinär besetzten Fachgruppe Fragen der Erhaltung und fördert damit aktiv den Gedanken der interdisziplinären Zusammenarbeit und des gegenseitigen Verständnisses für Erhaltungsthemen und die damit verbundenen Zwänge der einzelnen Fachdisziplinen. Die Hauptaufgabe besteht jedoch im Auf bau eines ganzheitlichen, koordinierten Asset- und Erhaltungsmanagements und der Implementierung eines unterstützenden IT-Systems (Abb. 9). In der ersten Projektphase sollen alle Informationen zu Objekten und Objekttypen sowie die Vorgaben der Erhaltungsziele transparent zusammengeführt werden und als Datengrundlage für den weiteren Prozess dienen. In der zweiten Phase werden die Prozesse auf Objekt- und Netzebene spezifiziert und mit der Umsetzungsanalyse die Grundlage für das weitere Controlling gelegt. Im letzten Schritt des Auf bauprojektes soll dann ein IT-System den Prozess weiter automatisieren und professionalisieren. Dazu gehört auch die automatisierte Erstellung eines umfassenden Zustandsberichts der Infrastrukturobjekte, der ab 2020 alle zwei Jahre zu erstellen ist. Für das Controlling und die Steuerung wäre darüber hinaus eine dynamische und damit jederzeit verfügbare Auswertung des Status über Dashboards o. ä. Tools wünschenswert. Die einzelnen Teilprojekte mit ihren umfänglichen Arbeitspaketen werden derzeit im Detail konzipiert und dann sukzessive, zum Teil parallel, abgearbeitet. Die Mehrzahl der Arbeitspakete, wie z. B. das Digital Asset Management System (AMS), stellen zudem weniger kleine Arbeitspakete als vielmehr in sich geschlossene, größere Projekte dar. Dementsprechend kann Abb.-9 nur einen groben Gesamtüberblick über alle Projektaufgaben beim Auf bau eines ganzheitlichen Asset- und Erhaltungsmanagements geben. Die Gesamtaufgabe bietet zudem die Chance, das Datenmanagement zwischen den einzelnen Fachinformationssystemen zu verbessern. Es wird derzeit auch diskutiert, ob das AMS mit einer zukünftigen Anbindung an ein CDE/ Digital Twin später auch als Teil oder als Ganzes einer Datendrehscheibe dienen kann. 4.2 Kontinuität im Erhaltungsmanagement und Ausblicke Die bisherigen Aktivitäten und Überlegungen zeigen, dass der Auf bau eines koordinierten Asset- und Erhaltungsmanagements und eines entsprechenden IT-Systems für eine Straßenbauverwaltung zum einen die individuelle Situation vor Ort (Organisation, Netze, Objekte, Zuständigkeiten) und zum anderen die umfangreichen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene sehr genau berücksichtigen muss. Mittlerweile sind zwar zahlreiche Systeme auf dem Markt. Eine 1: 1-Übertragung frei verfügbarer Originalanwendungen wird jedoch in den wenigsten Fällen langfristig erfolgreich sein. Vielmehr sollte der Auf- und Ausbau möglichst agil und in kleineren Paketen - Schritt für Schritt - erfolgen. So kann der Prozess kontinuierlich etabliert und vor allem immer wieder an den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen der verschiedenen Ebenen gespiegelt und nachjustiert werden. Da das gesamte System mit der Validität seiner Daten steht und fällt, muss jede Ebene, vor allem aber diejenigen, die Daten eingeben, motiviert werden, dies auch verantwortungsvoll und genau <?page no="261"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 261 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes zu tun. Die Erfahrung zeigt, dass dies am besten gelingt, wenn diejenigen, die Daten einbringen, auch einen hohen Mehrwert aus den Informationen der anschließenden Datenverarbeitung ziehen. Die tatsächliche Dauer des Auf bau- und Umsetzungsprozesses im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg ist heute noch nicht final absehbar. Für das eigentliche Projekt wird von den Fachverantwortlichen vorerst ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren veranschlagt. In dieser Zeit müssen auch die operativen Prozesse in der Steuerung, Planung und Umsetzung (Bau) von Erhaltungsmaßnahmen angepasst bzw. an einigen Stellen komplett neu aufgesetzt werden. Die Herausforderungen liegen in den vielen kleinen Details, die es zu berücksichtigen gilt. Um erfolgreich zu sein, sollte Genauigkeit vor Schnelligkeit gehen. Die Kontinuität im Betrieb eines ganzheitlichen, koordinierten Asset- und Erhaltungsmanagements in der gewünschten Professionalität und in vollständig digitaler Form ist daher frühestens zum Ende des Jahrzehnts zu erwarten. Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) Arbeitsgruppe Sonderaufgaben: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB-StB); Ausgabe 2006. [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsausschuss Systematik der Straßenerhaltung: Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE-Stra); Ausgabe 2001. [3] DIN 1076: 1999: DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF); 2017. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING); Stand 12/ 2020. [6] Ulf Zander et al.: Grundlagen für die Einbeziehung der sonstigen Anlagenteile von Straßen in die systematische Straßenerhaltung als Voraussetzung eines umfassenden Asset Managements; Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen; Verkehrstechnik Heft V 256; Hrsg. Bundesanstalt für Straßenwesen; Bergisch Gladbach, Juni 2015. [7] Hrsg. Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg (MIL): Alleenkonzeption 2030 Alleenreichtum in Brandenburg erhalten und stärken; 2. aktualisierte Fassung; Potsdam; April 2024. [8] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsausschuss Systematik der Straßenerhaltung; Hinweise für das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur (H EM-Stra); unveröffentlichter Arbeitsstand 10/ 2024. [9] Haardt, P.: Entwicklung eines Bauwerks-Management-Systems für das deutsche Fernstraßennetz - Stufen 1 und 2; [Bericht zum Forschungsprojekt 99245] B 43. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Brücken und Ingenieurbau. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW. 2003. [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Fachgruppe „ASB“ der Dienstbesprechung, Koordinierung der B/ L-Fachinformationssysteme im Straßenwesen - ITKo“: Anweisung StraßeninformationsBank (ASB); Version 2.04, Stand 2018. [11] NOVASIB GmbH: TT-SIB®-INFOSYS, URL- Zugriff 2023-04-29 19: 26, https: / / www.novasib. de/ ? page_id=5098 [12] Straßen.NRW: Straßeninformationsbank Nordrhein-Westfalen (NWSIB); URL-Zugriff 2024- 11-28- 15: 24; - https: / / www.strassen.nrw.de/ de/ nwsib.html [13] Bundesanstalt für Straßenwesen: Bundesinformationssystem Straße (BISStra); URL-Zugriff 2024- 11-29 15: 38; https: / / www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ v2-bisstra.html [14] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung: Anweisung Straßeninformationsbank für Ingenieurbauten, Teilsystem Bauwerksdaten (ASB- ING), 2013. [15] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Fachgruppe „ASB“ der Dienstbesprechung „Koordinierung der B/ L-Fachinformationssysteme im Straßenwesen - ITKo“: Anweisung Straßeninformationsbank Version 2.05 Teilsystem Bauwerksdaten (ASB-ING), Stand 2024. [16] WPM-Ingenieure GmbH: SIB-Bauwerke 1.9, URL-Zugriff 2024-11-30 10: 32; https: / / sib-bauwerke.de/ [17] Fisa Systemtechnik GmbH: FISA Fachinformationssystem Für Straßenausstattung, URL-Zugriff 2024- 11-30 10: 48; https: / / www.fisa-systemtechnik.de/ [18] Degenhardt, K.: Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Asset-Management für die Straßeninfrastruktur; 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur: Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb, Unterhalt, Rückbau von Brücken, Tunneln, Schienen, Straßen, Wasserwegen digital: Tagungshandbuch 2023/ herausgegeben von Dir- Prof. Dr.-Ing. Jürgen Kriege; Seite 31-40; expert- Verlag, Tübingen; 2023. [19] Hindersmann, I. et al.: Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung, Technische Akademie Esslingen, 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Innovative Lösungen für die Bauwerkserhaltung von heute und morgen, expert-Verlag, Tübingen; 2025 (in Vorbereitung). <?page no="262"?> 262 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Koordiniertes Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur - Anspruch und Wirklichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes [20] GO FAIR International Support and Coordination Office (GFISCO): FAIR Principles; URL-Zugriff 2024- 11-30 10: 22; https: / / www.go-fair.org/ fair-principles/ [21] Degenhardt, K.; Hindersmann, I.; Holst, R.: Workshop „Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung“ - interne Dokumentation. 2024. [22] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Infrastruktur; URL-Zugriff 2024-12-01 17: 15; https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ infrastruktur-statistik.html [23] Stuhr, R.: Ansätze zur Bilanzierung des staatlichen Straßeninfrastrukturvermögens - Einstieg in ein ganzheitliches Asset-Management-System, Springer Gabler, Wiesbaden, 2018. [24] Hess, R. et al.: Infrastrukturmanagement Straße; Kirchbaum Verlag; Bonn; 2018. [25] Bundesanstalt für Straßenwesen: Pavement Management System (PMS); URL-Zugriff 2024-12-01 17: 19; https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Fachthemen/ s1-pms.html [26] Ingenieurbüro Probst GmbH: Leistungen - Erhaltungsbedarfsprognose; URL-Zugriff 2024-12-01 17: 26; https: / / www.ib-probst.de/ leistungen/ [27] Bundesvereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure e. V.: Dokumentation Deutscher Ingenieurpreis Straße und Verkehr 2019; Kategorie Innovation | Digitalisierung; EPING - Erhaltungsbedarfsprognose für Ingenieurbauwerke; München; 2019; veröffentlicht unter: file: / / lshop788/ UEMDesktop$/ degenhardtk/ Downloads/ 190910_IngPreis2019_Preisdokumentation.pdf; URL-Zugriff 2024-12-01 17: 34. [28] Degenhardt, K.: et al.: Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg; 5. Brückenkolloquium - Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken : Tagungshandbuch 2022/ herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger, Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke; Seite 439-446; expert- Verlag, Tübingen; 2022. [29] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsausschuss Verkehrsmanagement: Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS); Ausgabe 2009. <?page no="263"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 263 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte im kommunalen Bereich Amina Wachsmann, M. Eng. Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI) Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI) Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI) Zusammenfassung Die bestehende Straßeninfrastruktur in Kommunen stellt eine wichtige Grundlage für die Gesellschaft dar und muss deshalb erhalten werden. Zur systematischen und strategischen Planung erforderlicher Erhaltungsmaßnahmen können so genannte Straßenerhaltungsmanagementsysteme (oder Pavement Management Systeme) eingesetzt werden. Diese Systeme liefern entscheidungsunterstützende Ergebnisse für die Maßnahmenplanung. Bisher werden in diesen Systemen nur technisch-ökonomische Grundlagen und keine weitergehenden Informationen zur Integration umweltrelevanter Aspekte berücksichtigt. Der vorliegende Beitrag thematisiert vor diesem Hintergrund die Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Pavement Management Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte im kommunalen Bereich. Der Beitrag basiert u.-a. auf Erkenntnissen, die an der Hochschule Karlsruhe im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundforschungsvohabens gewonnen wurden. 1. Einführung Methoden des Pavement Managements wurden rudimentär bereits in den 1960er Jahren entwickelt. In den 1970er Jahren wurden in Kanada und den USA die ersten Bücher zum Thema veröffentlicht. [1] Die Entwicklung sogenannter Pavement Management Systeme (PMS) für deutsche Bundesfernstraßen begann in den frühen 1990er Jahren. [2] Ziel dieser Systeme ist die strategische Erhaltung der Straßeninfrastruktur und der damit verbundenen Werte (Assets). „Der Wert kann materiell oder immateriell, finanziell oder nichtfinanziell sein und schließt die Berücksichtigung von Risiken (..) und Verpflichtungen ein. Er kann in verschiedenen Phasen der Asset-Lebensdauer (..) positiv oder negativ sein“. [3] Unter dem Begriff der strategischen Straßenerhaltung wird dabei die Einhaltung eines bestimmten Budgets oder das Erreichen eines definierten Straßennetzzustandes verstanden, die von der zuständigen Straßenbauverwaltung als übergeordnete Strategie vorgegeben werden. Das zunächst für den Außerortsbereich entwickelten PMS wurden im Rahmen des FE-Vorhabens „Daten und Methoden für ein systematisches Erhaltungsmanagement innerörtlicher Straßen“ [4] für den kommunalen Bereich adaptiert, um dort ebenfalls die Vorteile der strategischen Straßenerhaltung nutzen zu können. Im Laufe der Zeit kamen neben strategischen, infrastrukturbezogenen Zielen noch weitere Anforderungen hinzu. So sollen insbesondere auch Kommunen einen relevanten Beitrag zu einer nachhaltigen Lebensweise leisten und damit die Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) maßgeblich unterstützen. [5] Die SDGs sind 17 globale Ziele, die von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 verabschiedet wurden, um bis 2030 eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Sie zielen darauf ab, Armut zu beseitigen, Ungleichheiten zu reduzieren und den Schutz des Planeten zu gewährleisten, indem sie konkrete Maßnahmen in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Klimaschutz vorschlagen und sind auch Basis der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“ [6]. Demnach ist es notwendig, dass die Kommunen in Zukunft neben den bereits bestehenden Aufgaben auch Ziele der Nachhaltigkeit in ihr Handeln einbeziehen. Um dies zu gewährleisten, ist es notwendig, u.-a. bestehende Vorgehensweisen zu prüfen und an die neuen Zielsetzungen anzupassen. Im Bereich des Infrastrukturbaus und -betriebs sind vor allem die Umweltauswirkungen sowie der Ressourcenaufwand relevante Punkte. Für den Bereich des Tief baus im Sinne von Verkehrsflächen, Brückenbauwerken und Kanalisation widmete sich das Verbundforschungsvorhaben „Ressourcenplan kommunaler Tief bau (ReKoTi)“ unterschiedlichen, damit verbundenen Aspekten (vgl. Abb.-1). Ergebnis des Forschungsvorhabens ist ein Leitfaden sowie eine sogenannte, prototypisch entwickelte Toolbox. Der Ressourcenplan zielt dabei auf die Steigerung der kommunalen Ressourceneffizienz für die oben genannten Infrastrukturanlagen ab. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Bestandsunterlagen und bestehende Vorgehensweisen analysiert, das anthropogene Materiallager <?page no="264"?> 264 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte ermittelt, Stoffstromberechnungen durchgeführt, alternative Bauweisen und Verfahren analysiert und angewendet, kommunale Prozesse optimiert und eine Weiterentwicklung eines PMS avisiert. Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse der Weiterentwicklung des PMS zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte sowie die damit verbundenen Herausforderungen dar. Dazu wird in Kapitel-2 zunächst der Stand der Technik des PMS mit Fokus auf die kommunalen Voraussetzungen sowie eine allgemeine Beschreibung der umweltrelevanten Aspekte dargestellt. Kapitel-3 befasst sich mit einer allgemeinen Methodik zur Integration umweltrelevanter Aspekte in das PMS und den Grundlagen für das in RekoTi untersuchte und in Kapitel-4 dargestellt Praxisbeispiel. Abb.-1: Untersuchungsumfang und Themenbereiche des Forschungsvorhabens RekoTi [7] 2. Stand der Technik 2.1 Voraussetzungen kommunaler Pavement Management Systeme Bei PMS handelt es sich um datengetriebene Systeme, die für die strategische Straßenerhaltungsplanung auf Netzebene gedacht sind. Straßenerhaltung dient dabei als „Oberbegriff für bauliche Unterhaltung, Instandsetzung und Erneuerung von Straßen und/ oder ihrer Bestandteile“ [8], wobei für die strategische Erhaltungsplanung auf Netzebene lediglich Maßnahmen der Instandsetzung und Erneuerung betrachtet werden. Nach [9] handelt es sich bei der Instandsetzung um großflächige Maßnahmen auf oder an der Deckschicht, während der Erneuerung Maßnahmen an der Decke (Deck- und Binderschicht) und an den Tragschichten / am Oberbau zugeordnet werden. So- <?page no="265"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 265 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte mit werden örtlich punktuelle oder kleinflächige Maßnahmen wie beispielsweise das Vergießen von Rissen oder das Ausbessern von Schlaglöchern aufgrund ihrer schlechten Planbarkeit nicht berücksichtigt. Als Datengrundlage des PMS dienen neben Grunddaten zum Netz (z.-B. Verwaltungs-, Querschnitts- und Aufbaudaten) insbesondere auch aktuelle Daten zum Oberflächenzustand der Verkehrsflächen nach den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB-StB)“ [10]. Zusätzlich sind die sogenannten Modellvorgaben zu definieren. Bei diesen handelt es sich beispielsweise um die Definition von maßnahmenspezifischen Kostensätzen und -modellen, Angaben zur Prognose der Entwicklung der Oberflächenmerkmale in Form von Verhaltensfunktionen und sogenannte Mängelklassenmodelle, anhand derer die wahrscheinlichen Schadensursachen zugeordnet werden. Bei der Entwicklung des PMS wurde ein modularer Aufbau gewählt (vgl. Abb.-2), sodass künftige Weiterentwicklungen durch den Austausch einzelner Module integriert werden können (vgl. [11]). Im ersten Modul werden sogenannte homogene Abschnitte ermittelt. Darunter werden Abschnitte verstanden, die in der Regel einen vergleichbaren Auf bau und vergleichbare Oberflächenzustände aufweisen. Zusätzlich können auch noch Verkehrsbelastungen zur Unterteilung von homogenen Abschnitten herangezogen werden. Die im Anschluss an das Modul-1 folgenden Module beziehen sich alle auf die homogenen Abschnitte. So wird im Modul-2 eine Zustandsprognose der in der Regel nach den ZTV ZEB-StB [10] erhobenen Oberflächenmerkmale anhand von Verhaltensfunktionen durchgeführt. Diese dient zum einen der Beschreibung der Zustandsentwicklung eines Abschnittes ohne Maßnahme und wird zum anderen zur Beschreibung der Zustandsentwicklung eines Abschnittes nach einer Maßnahme genutzt. In Modul-3 werden die sogenannten Mängelklassen ermittelt, d.-h. es wird zunächst geprüft, ob ein Abschnitt erhaltungsbedürftig ist. Diese Prüfung erfolgt in der Regel anhand der Zustandsnoten der Oberflächenzustände (dimensionslose Werte zwischen 1- =- Idealzustand und 5- =- dringender Handlungsbedarf). Überschreitet ein oder meh rere Oberflächenmerkmale den Zustandswert von 3,5, wird in Abhängigkeit der Konstellation der Zustandswerte eine Mängelklasse zugeordnet. Anhand dieser Mängelklasse erfolgt in Modul-4 die Maßnahmenzuordnung je Abschnitt. In Abhängigkeit von Abschnitt und zugeordneten Maßnahmen werden im darauffolgenden Modul die Kosten sowie die Wirksamkeit der Maßnahmen ermittelt. Zur Ermittlung der Wirksamkeit „(…) werden die Flächen ‚unter den Verhaltenskurven‘ der einzelnen Zustandsmerkmale für den ‚Nichts-tun‘-Fall ohne Maßnahme und für den Planungsfall mit Maßnahme ermittelt und verglichen. Als qualitatives Maß für die Wirksamkeit einer Erhaltungsmaßnahme wird die Differenz dieser Flächen herangezogen, die das Ausmaß der Zustandsverbesserung von Zeitpunkt einer Maßnahme bis zum Ende des Betrachtungszeitraums kennzeichnet“ [12]. Aus Kosten und Maßnahmenwirksamkeit wird daraufhin ein Wirksamkeits-Kosten-Verhältnis ermittelt. Dieses dient in Modul-6 zur Reihung der Maßnahmenvarianten. In Modul-7 erfolgt schließlich die Betrachtung auf Netzebene, welche die Optimierung der Maßnahmenauswahl bezogen auf das Gesamtnetz umfasst. Hierbei kann das Optimierungsziel entweder die effektive Nutzung eines vorgegebenen Budgets oder das Erreichen eines vorher definierten Netzzustandes sein. Bei Modul-8 handelt es sich um die grafische Auf bereitung der Berechnungsergebnisse in Form von beispielsweise Maßnahmenkosten, Maßnahmenfläche oder Zustandsentwicklung. Wie beschrieben werden somit im Rahmen des PMS lediglich technische und ökonomische Aspekte berücksichtigt. Weitere Ausführungen zum PMS sind auch in [13] dargelegt. Abb.-2: Daten, Modellvorhaben und Berechnungsablauf eines PMS [14] <?page no="266"?> 266 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte Sollen PMS im kommunalen Bereich angewendet werden, stellen insbesondere die notwendigen Datengrundlagen häufig eine Herausforderung dar. Des Weiteren sind die Modellvorgaben kommunalspezifisch anzupassen. Insbesondere bei den für die Zustandsprognose notwendigen Verhaltensfunktionen liegen bislang lediglich für den Außerortsbereich entwickelte Standards vor, die beispielsweise in [15] für die Stadt Münster kalibriert wurden. 2.2 Beschreibung umweltrelevanter Aspekte Um ein PMS um umweltrelevante Aspekte zu erweitern, werden entsprechende Kennzahlen benötigt. Bei dem Betrachten der SDGs werden nicht lediglich - wie in dem aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs - Treibhausgasemissionen berücksichtigt, sondern es wird eine ganzheitliche Betrachtungsweise angestrebt. Abb. 3 gibt einen Überblick über unterschiedliche Ansätze zur lebenszyklusbasierten Umwelt- und Nachhaltigkeitsbetrachtung. Dabei wird zum einen der Entwicklungsgrad, also die Komplexität eines Systems, und zum anderen der Informationsbedarf unterschieden. Beim Lebenszyklusgedanken handelt es sich um einen qualitativen Ansatz. Darin erfolgt demnach lediglich eine Beschreibung aller in [16] definierten Lebenszyklusphasen eines betrachteten Objekts von der Planung über die Herstellung, Errichtung und Nutzung bis zur Entsorgung. Der Lebenszyklusgedanke stellt auch die Grundlage für quantitativen Lebenszyklusansätze dar, allerdings steigt der Informationsgehalt und damit die Aussagekraft in Hinblick auf Umweltaspekte. Mit dem steigenden Informationsgehalt wächst zudem auch der Entwicklungsgrad und damit die Komplexität der Berechnungsverfahren, so dass es sich hierbei um Expert*innensysteme handelt. Wie in [17] dargestellt, stehen bislang keine adäquaten Datensätze zur Beschreibung der Umweltauswirkungen im Bereich der Straßenerhaltung zur Verfügung. In der Regel sollten die Maßnahmen der Straßenerhaltung auf Grundlage von Ökobilanzierungen dargelegt werden, um die damit verbundenen Umweltauswirkungen abzubilden. Aufgrund der bislang fehlenden Datensätze kann auf kommunaler Ebene aktuell lediglich der Materialverbrauch als belastbare Kennzahl herangezogen werden. Abb. 3: Lebenszyklusbasierte Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewertungsansätze in Anlehnung an die Maslowsche Pyramide [14] <?page no="267"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 267 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte 3. Methodik zur Integration umweltrelevanter Aspekte in das PMS 3.1 Allgemein Um das in Abschnitt-2.1 dargestellte PMS um umweltrelevante Aspekte zu erweitern, ist es notwendig Anpassungen im Ablauf des PMS vorzunehmen. Durch eine solche Weiterentwicklung stehen den Kommunen künftig zusätzliche Informationen zum Ressourcenaufwand und damit verknüpften Umweltauswirkungen im Bereich der Straßenerhaltung zur Verfügung. Diese Informationen könnten in einen Ressourcenplan des kommunalen Tief baus integriert werden, wodurch die Informationen zu bevorstehenden Maßnahmen zusätzlich umweltrelevante Informationen enthalten und dadurch beispielsweise strategische Umweltziele besser dargestellt und gesteuert werden könnten. Eine solche Weiterentwicklung eines PMS betrifft zum einen Anpassungen der bestehenden Module, zum anderen auch Ergänzungen durch weitere Module und Datengrundlagen. Abb. 4 zeigt einen in [14] dargelegten Vorschlag zur Integration umweltrelevanter Aspekte in ein PMS und damit einer Entwicklung von der rein techno-ökonomischen Betrachtungsweise hin zu einer techno-ökonomisch-ökologischen Betrachtungsweise. Zum einen sind die Modellvorgaben analog zu den maßnahmenabhängigen Kostendaten, um umweltspezifische Kennzahlen zu erweitern. Diese Daten sind im Modul-5 analog zur Kostenermittlung abschnitts- und maßnahmenabhängig zu bestimmen. Diese neue Kenngröße ist im Anschluss bei der Reihung der Maßnahmenvarianten zu berücksichtigen. Weiterführende Ausführungen zu der Methodik finden sich in [14]. Abb. 4: Vorschlag zur Anpassung des PMS-Ablaufs zur Integration umweltrelevanter Aspekte [14] 3.2 Anwendung der Methodik anhand eines Praxisbeispiels Zur Umsetzung der in Abschnitt-3.1 erläuterten Methodik für ein kommunales Netz, wurde wie folgt vorgegangen. Festlegung des Netzes Als Pilotkommune diente im Projekt RekoTi die Stadt Münster. Das betrachtete Netz umfasst die im Jahr der zu Grunde liegenden Zustandserfassung als erhaltungsbedürftig eingestuften homogenen Abschnitte im Hauptverkehrsstraßennetz der Stadt (Zustandswert mindestens eines Oberflächenmerkmals größer als 3,5). Berücksichtigte Erhaltungsmaßnahmen In den Berechnungen wurden folgende Erhaltungsmaßnahmen betrachtet: • Oberflächenbehandlung (OB) • Dünnschichtbelag (DB) • Tiefeinbau der Deckschicht (DT) • Hocheinbau der Deckschicht (DH) • Rückformung der Deckschicht (DR) • Tiefeinbau der Decke (Deck- und Binderschicht) (TD) • Tiefeinbau gebundene Schichten (TG) • Tiefeinbau Oberbau (TO) Verfolgte Ziele Durch die Einbindung des Aspektes der Ressourceneffizienz, definiert über die benötigten Baustoffmengen und die Wirksamkeit einer Maßnahme, konnte neben dem im PMS üblichen Ansatz der Betrachtung des Wirksamkeits- Kosten-Verhältnisses zusätzlich das Wirksamkeits-Ressourcen-Verhältnis betrachtet werden. Nachfolgend wer- <?page no="268"?> 268 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte den diese als Strategievarianten der monetären Effizienz respektive der Ressourceneffizienz beschrieben. Weitere Modellvorgaben wurden anhand von [18; 19; 11; 4; 20-23; 13; 9; 24-27; 10] festgelegt und sind ausführlich in [28] dargelegt. 4. Praxisbeispiel zur Integration umweltrelevanter Aspekte in ein kommunales PMS Im Rahmen der Praxisanwendung wurden die Module 1 bis 6 (vgl. Abb. 4) für die beiden verfolgten Strategievarianten (vgl. 3.2) durchlaufen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Auswahl der Zielsetzung einen signifikanten Einfluss auf die Maßnahmenauswahl hat. Beispielsweise werden bei der Strategievariante Ressourceneffizienz vorwiegend Maßnahmen der Typen DR, DB, DH und DT ermittelt, da diese lediglich die Deckschicht betreffen und somit keinen (DR) oder einen geringen Ressourcenaufwand aufweisen (vgl. Abb.-5). Bei der Strategievariante monetäre Effizienz werden hingegen DT-, DH- und TD-Maßnahmen als vorteilhafteste Optionen ermittelt (vgl. Abb.-6). Im Hinblick auf den monetären Aufwand der Strategievariante Ressourceneffizienz lässt sich festhalten, dass diese in der vorliegenden Untersuchung zu tendenziell höheren monetären Aufwänden führten, wohingegen die Strategievariante monetäre Effizienz zu höheren Ressourcenaufwänden führten. Zudem konnte dargelegt werden, dass sich der Netzzustand unter der Strategievariante Ressourceneffizienz im Vergleich zur Strategievariante monetäre Effizienz deutlich schneller verschlechtert. Die ausführlichen Ergebnisse und Grafiken des Praxisbeispiels sind in [28] dargelegt. Abb.-5: Reihung der Maßnahmenvarianten für die Strategievariante Ressourceneffizienz [28] <?page no="269"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 269 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte Abb.-6: Reihung der Maßnahmenvarianten für die Strategievariante monetäre Effizienz [28] 5. Ausblick Die Ergebnisse der beiden Strategievarianten in Kapitel-4 müssen noch ingenieurtechnisch gegeneinander abgewogen werden, so dass eine eindeutige Empfehlung unter Berücksichtigung techno-ökonomischer und ökologischer Aspekte aktuell noch aussteht. Im vorliegenden Beitrag konnte gezeigt werden, dass eine wesentliche Herausforderung bei der Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte in einem kommunalen PMS zum einen Daten zur eigentlichen Anwendung eines PMS und zum anderen Daten zur Beschreibung von Straßenerhaltungsmaßnahmen anhand umweltrelevanter Aspekte sind. Sofern kommunale Daten für die Anwendung eines PMS vorliegen, besteht eine weitere Herausforderung darin, Datensätze zu erstellen, die die Umweltauswirkungen von Straßenerhaltungsmaßnahmen ganzheitlich darstellen. Liegen diese Daten künftig vor, können Kommunen auch im Bereich der Straßenerhaltung technische, ökonomische und ökologische Aspekte systematisch berücksichtigen und somit in ihrem Handeln nachhaltiger werden. 6. Danksagung Ergebnisse aus dem Verbundforschungsvorhaben „Ressourcenplan kommunaler Tiefbau (RekoTi)“ bilden u.-a. den Rahmen für diesen Beitrag. Das Verbundforschungsvorhaben wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 033R264 im Rahmen des wissenschaftlichen Programms Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft - Bauen und Mineralische Stoffkreisläufe (ReMin) gefördert und durch die Plattform Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) unterstützt. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt alleinig bei den Autor*innen. Literatur [1] Haas, R.; Hudson, W. R.; Cowe Falls, L. Pavement Asset Management Wiley; Scrivener Publishing. New Jersey, Salem, Massachusetts, 2015. [2] Maerschalk, G.; Krause, G. Erstanwendung der vorliegenden Algorithmen für die Erhaltungsplanung in ausgewählten Bauämtern: Bericht zum Forschungs- und Entwicklungsvorhaben 09.114/ 1998/ MRB des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 878 DMB Bundesdruckerei GmbH & Co. KG. Bonn, 2004. [3] DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. Asset Management - Übersicht, Leitlinien und Begriffe (DIN ISO 55000: 2014) Beuth Verlag. Berlin, 2017. [4] Maerschalk, G.; Socina, M.; Köhler, M.; Stöckner, M. Daten und Methoden für ein systematisches Erhaltungsmanagement innerörtlicher Straßen: Bericht zum Forschungs- und Entwicklungsvorhaben FE 77.482/ 2006 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1079 <?page no="270"?> 270 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH. Bremerhaven, 2013. [5] Bertelsmann Stiftung; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung; Deutscher Landkreistag; Deutscher Städtetag; Deutscher Städte- und Gemeindebund; Deutsches Institut für Urbanistik; Engagement Global; Rat der Gemeinden und Regionen Europas / Deutsche Sektion SDG-Indikatoren für Kommunen, Indikatoren zur Abbildung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen in deutschen Kommunen. (2020). 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Erhaltungsbedarfsprognose - Überarbeitung des <?page no="271"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 271 Herausforderungen bei der Weiterentwicklung eines Straßenerhaltungsmanagement-Ansatzes zur Berücksichtigung umweltrelevanter Aspekte Mängelklassenmodells zur Ableitung geeigneter Erhaltungsmaßnahmen, in: Straße und Autobahn, 73, Heft 1/ 2022, S. 7-15, 2022. [22] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV-Arbeitspapier Nr. 9/ K 3.1 zur Systematik der Straßenerhaltung, Reihe K: Kommunale Belange, Abschnitt K 3: Auswertung, Unterabschnitt K 3.1: Zustandsbewertung bei messtechnischer Zustandserfassung (AP 9/ K 3.1) (FGSV) FGSV-Verlag. Köln, 2015. [23] Stadt Münster - Amt für Mobilität und Tiefbau Handbuch -QZ Straßenbau-, unveröffentlicht. (22. Januar 2020). [24] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12/ 21) (FGSV 499) FGSV-Verlag. Köln, 2012/ 2021. 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[27] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Bauliche Erhaltung von Verkehrsflächenbefestigungen - Asphaltbauweisen (ZTV BEA-StB 09/ 13) (FGSV 798) FGSV-Verlag. Köln, Ausgabe 2009 / Fassung 2013. [28] Wachsmann, A., 2024 Weiterentwicklung Straßenerhaltungsmanagement-System. In: RekoTi-Wiki - Ressourcenplan kommunaler Tiefbau. Online verfügbar unter: https: / / rekoti.inf.bi.ruhruni-bochum.de/ w/ index.php/ 3.4_Weiterentwick lung_Stra%C3%9Fenerhaltungsmanagement- System, abgerufen am: 06.12.2024. <?page no="273"?> Temperaturabgesenkter Asphalt - Rahmenbedingungen <?page no="275"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 275 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Zusammenfassung Derzeit werden grundlegende Regelwerke im Bereich des Asphaltstraßenbaus überarbeitet. Zukünftig werden der Bereich des „Neubaus“ sowie der Bereich der „Erhaltung“ als zweiteiliges Regelwerk in einer gemeinsamen ZTV Asphalt- StB veröffentlicht. Die Entscheidung nur noch Temperaturabgesenkte Asphalte herzustellen und einzubauen, hat die Erarbeitung der zukünftigen Regelwerke wesentlich beeinflusst. In dem vorliegenden Beitrag wird die zukünftige Struktur des asphalttechnologischen Regelwerkes kurz zusammengefasst. Schwerpunkt der Veröffentlichung sind Erläuterungen dazu, wie in der Zukunft Temperaturabgesenkte Asphalte auf Basis der neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 in der Praxis eingesetzt werden können. Die Entscheidung, Temperaturabgesenkte Asphalte zum „neuen Normalfall“ zu machen, beeinflusst zukünftig die Ausschreibung von Baumaßnahmen vor allem im Zusammenhang mit den „Zweckmäßigen resultierenden Bindemittelarten und Bindemittelsorten“ erheblich. Hierbei handelt es sind um die maßgeblichsten Veränderungen im Zusammenhang mit der Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke. 1. Einführung Innerhalb der Arbeitsgruppe 7 „Asphaltbauweisen“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) wird seit April 2015 an der Überarbeitung der Technischen Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen (TL Asphalt-StB 07/ 13) [1] und der Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13) [2] gearbeitet. Inhaltlich basieren diese weitestgehend noch auf den ZTV Asphalt-StB 01 [3]. Mit den Ausgaben 2007 erfolgte im Zuge der Umsetzung der Europäischen Normen eine Aufteilung des bis dahin gültigen Regelwerkes in Technische Lieferbedingungen und Zusätzliche Vertragsbedingungen. Mit den Ausgaben bzw. Fassungen 2007/ 2013 wurden u. a. Änderungen und Ergänzungen des Technischen Regelwerks für den Bereich der Asphaltstraßen zur Optimierung der Dauerhaftigkeit vorgenommen (bekanntgegeben mit ARS 11/ 2012 [4]). Eine inhaltliche Fortschreibung ist seither, d. h. seit 2001, mit wenigen Ausnahmen unterblieben. Aufgrund der Entwicklungen zum Arbeits-platzgrenzwert für Dämpfe und Aerosole traf der Lenkungsausschuss der Arbeitsgruppe 7 (LA 7) im April 2023 die Entscheidung, mit Einführung der neuen Regelwerke nur noch Temperaturabgesenkte Asphalte (TA-Asphalte) herzustellen und einzubauen [5]. Diese Grundsatzentscheidung hatte zur Folge, dass die bis dahin erarbeiteten Inhalte ergänzt und teilweise neu erarbeitet werden mussten. Die Schlussentwürfe zu den neuen TL Asphalt-StB [6] und den neuen ZTV Asphalt-StB, Teil 1 [7] wurden im März 2024 innerhalb des LA 7 vorgestellt, diskutiert und wurden von der FGSV an das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) weitergeleitet. Über das Ministerium wurde die sogenannte „Bund-Länder Umfrage“ organisiert, innerhalb derer die Bundesländer sowie u. a. die „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES)“ und die „Autobahn GmbH des Bundes“ die Möglichkeit haben, zu den vorliegenden Schlussentwürfen Stellung zu nehmen. Die entsprechenden Stellungnahmen wurden gesammelt und an die FGSV weitergeleitet. Parallel dazu lagen der FGSV weitere Stellungnahmen von Baubzw. Baustoffverbänden (z. B. Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V., Verband der Bau- und Rohstoffindustrie e. V. (vero)) zu den Entwürfen vor. Nach Bearbeitung aller Anregungen und Anmerkungen der Kolleginnen und Kollegen ist vorgesehen, im Herbst/ Winter 2024 Jahres die inhaltlichen Fachdiskussionen zu den Regelwerken zu beenden. Die dann überarbeiteten Entwürfe der neuen Regelwerke werden abschließend im LA 7 diskutiert. Im Anschluss erfolgt für die Technischen Lieferbedingungen das Notifizierungsverfahren der Europäischen Gemeinschaft. Es ist daher derzeit davon auszugehen, dass die neuen Regelwerke im Verlauf des Jahres 2025 veröffentlicht und eingeführt werden können. Innerhalb des hier vorliegenden Beitrages wird die zukünftige Struktur des asphalttechnologischen Regelwerkes noch einmal kurz dargestellt. Außerdem werden wesentliche Änderungen, die die zukünftige Arbeitsweise bezüglich der Asphaltbauweisen prägen werden, vorgestellt. Hierbei baut diese Veröffentlichung auf bisherigen Fachveröffentlichungen [8, 9, 10, 11] auf. Es ist durchaus denkbar, dass sich im Rahmen der anstehenden Fachdiskussionen im Herbst 2024 noch entsprechende Änderungen ergeben. <?page no="276"?> 276 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? 2. Struktur des zukünftigen asphalttechnologischen Regelwerks Hauptkapitel Fragen der Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien im Asphaltstraßenbau werden zukünftig in zwei Teilen einer neuen ZTV Asphalt-StB behandelt. Insbesondere von Riechert und Schäfer [10] wurden die Anwendung und das Zusammenwirken der Technischen Regelwerke beim Neubau und der baulichen Erhaltung sowie der „Wirkungsbereich“ der TL Asphalt-StB sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Die zukünftigen ZTV Asphalt-StB, Teil 1 „Neubau und Bau von Schichten in gleichmäßiger Dicke“ regeln den Neubau und bei Maßnahmen der baulichen Erhaltung die Ausführung von Schichten aus Asphalt in gleichmäßiger Dicke, die entweder auf feingefräster Unterlage oder im Rahmen der Erneuerung hergestellt werden. Die neuen ZTV Asphalt-StB, Teil 2 „Bauen im Bestand - Instandhaltung, Instandsetzung und Erneuerung“ regeln entsprechende bauliche Maßnahmen auf grob gefräster Unterlage und u. a. auch die vorbereitenden Arbeiten (z. B. Fräsen, Reinigen der Unterlage, Schichtenverbund mit der Bestandsunterlage, Profilverbesserungen usw.). Trotz dieser strukturellen Änderungen bleibt es dabei, dass sich die Anforderungen an das Asphaltmischgut wie bisher in den TL Asphalt-StB finden. Bauvertragliche Randbedingungen wie die zu Grunde liegenden Baugrundsätze oder die Anforderungen an die fertige Leistung werden jeweils in den beiden Teilen der neuen ZTV Asphalt-StB behandelt. Auch wenn bauvertragliche Inhalte aus dem Bereich des „Neubaus“ und des „Bauens im Bestand“ in zwei inhaltlich abgestimmten Teilen einer ZTV behandelt werden, die da wo es notwendig ist, gegenseitig aufeinander Bezug nehmen, ist es erforderlich, die jeweiligen Schnittstellen der beiden Teile abzuklären. Es ist davon auszugehen, dass in der Praxis voraussichtlich sechs verschiedene Schnittstellen auftreten werden. Abbildung 1 stellt das Zusammenwirken der Teile 1 und 2 der neuen ZTV Asphalt-StB für den Fall eines „wirklichen Neubaus“ und für fünf Fälle dar, bei denen verschiedene Situationen des „Rückbaus“ und der „Erneuerung“ sowie der „Instandsetzung“ bzw. der „Instandhaltung“ vorliegen. 3. TL Asphalt-StB In [10] wurden schon eine Reihe von Änderungen in den neuen TL Asphalt-StB beschrieben. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zukünftig nur noch Temperaturabgesenkte Asphalte produziert und eingebaut werden sollen, waren jedoch weitere Änderungen erforderlich. Die bisherige Tabelle 3 der TL Asphalt-StB 07/ 13, die die niedrigsten und höchsten Temperaturen für Asphaltmischgüter in Abhängigkeit von der Art und Sorte des im Asphaltmischgut verwendeten Bindemittels definiert, entfällt. Die neuen TL Asphalt-StB legen unabhängig vom verwendeten Bindemittel für verschiedene Asphaltmischgutarten Temperaturen fest, die sich auf die Übergabe des Asphaltmischgutes in den Kübel des Straßenfertigers bzw. Beschickers auf der Baustelle beziehen. Hierbei sind folgende Temperaturen einzuhalten: - Asphaltmischgut für Asphalttragschichten, Asphalttragdeckschichten, Asphaltbinderschichten und Asphaltausgleichsschichten: 130 °C bis 150 °C - Asphaltmischgut für Asphaltdeckschichten und Asphaltzwischenschichten aus Walzasphalt: 140 °C bis 155 °C (bei Schichtdicken < 3,0 cm bis 165 °C) - Gussasphalt beim Verlassen des Rührwerkskessels: 200 °C bis 230 °C Zur Vermeidung ggf. auftretender Temperaturverluste bis zur Verarbeitung dürfen bei der Herstellung des Asphaltmischgutes die oberen Grenzwerte um bis zu 5 K überschritten werden. In welcher Form die angestrebte Temperaturabsenkung erreicht werden soll, wird im Folgenden erläutert. Textabschnitte dazu werden sowohl in den neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 als auch in den neuen TL Asphalt-StB zu finden sein. <?page no="277"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 277 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Abb. 1: Zusammenwirken der Teile 1 und 2 der neuen ZTV Asphalt-StB im Bereich des „Neubaus“, des „Rückbaus“ und der „Erneuerung“ sowie der „Instandsetzung“ bzw. der „Instandhaltung“ [11] <?page no="278"?> 278 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? 4. ZTV Asphalt-StB Teil 1 4.1 Unter welchen Randbedingungen erfolgt die „Temperaturabsenkung“? Asphaltmischgut muss zukünftig aus Gründen des Arbeitsschutzes temperaturabgesenkt hergestellt und eingebaut werden. Grundsätzlich ist mit der Temperaturabsenkung des Asphaltmischgutes eine Erhöhung der Viskosität des Bitumens verbunden, so dass entsprechende technische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um z. B. eine Verarbeitbarkeit des Asphaltmischgutes sicherzustellen. Die Temperaturabsenkung kann durch organische, mineralische oder oberflächenaktive Zusätze, die dem Asphaltmischgut zugegeben werden, erfolgen. Außerdem kann sie durch die Anwendung der Schaumbitumentechnologie erreicht werden. Der Schlussentwurf zu den neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 ermöglicht grundsätzlich alle aufgeführten Technologieansätze zur Temperaturabsenkung des Asphaltmischgutes. In der Praxis liegen jedoch bisher weniger Erfahrungen mit dem Einsatz von oberflächenaktiven Zusätzen oder der Schaumbitumentechnologie vor als mit Modifikationen mittels organischer oder mineralischer Zusätze. Daher ist zu erwarten, dass mit Einführung des überarbeiteten Technischen Regelwerkes Festlegungen getroffen werden, die in Abhängigkeit vom Technologieansatz zur Temperaturabsenkung Randbedingungen für den Einsatz in der Praxis definieren. Im Vergleich zu der bisherigen Vorgehensweise nach den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 müssen demnach zukünftig Modifikationen vorgenommen werden. Dabei können organische Zusätze entweder im gebrauchsfertig Viskositätsveränderten Bitumen nach den TL VBit-StB [12] verwendet oder dem Bitumen nach den TL Bitumen-StB [13] im Asphaltmischwerk zugegeben werden. Auch mineralische oder oberflächenaktive Zusätzen werden derzeit noch überwiegend im Asphaltmischwerk zum Bitumen nach den TL Bitumen-StB zugegeben. Für die Anwendung der Schaumbitumentechnologie kommen ebenfalls Bitumen nach den TL Bitumen-StB zum Einsatz. In Abbildung 2 sind diese grundsätzlichen Überlegungen dargestellt. Die dargestellten Maßnahmen verändern in der Folge z. T. jedoch auch die Gebrauchseigenschaften des Bindemittels. Es ist zu berücksichtigen, dass organische Modifikationen die Eigenschaften des Bindemittels im Gebrauchstemperaturbereich verändern. Die Anwendung der Schaumbitumentechnologie bzw. der Einsatz von mineralischen oder oberflächenaktiven Zusätzen dürfen die Eigenschaften des Bindemittels im Gebrauchstemperaturbereich gemäß den neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 jedoch nicht verändern. Dieser grundsätzliche Unterschied muss daher im Zuge der bauvertraglichen Umsetzung vor allem im Zusammenhang mit der Erstellung des Eignungsnachweises und bei der Durchführung von Kontrollprüfungen berücksichtigt werden. Abb. 2: Technologieansätze zur Temperaturabsenkung entsprechend dem Entwurf zu den ZTV Asphalt-StB Teil-1 [11] <?page no="279"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 279 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Neben der beschriebenen Temperaturabsenkung ist zukünftig außerdem davon auszugehen, dass es aus Gründen der Ressourcenschonung zu einer (noch) intensiveren Wiederverwendung von Ausbauasphalt kommen wird. Vor diesem Hintergrund war bei der Überarbeitung des Regelwerkes zu überlegen, wie zukünftig im Zuge der bauvertraglichen Abwicklung sinnvoll festgelegt werden kann, welche Bitumenart und -sorte bei einer Baumaßnahme zur Ausführung kommt. Bisher sind in Tabelle 2 der ZTV Asphalt-StB 07/ 13 zweckmäßige Bindemittelarten und Bindemittelsorten in Abhängigkeit von der zu erwartenden Beanspruchung für verschiedene Asphaltschichten als Richtlinientext angegeben. Im Rahmen der Ausschreibung einer Baumaßnahme wählt der Auftraggeber bisher ein zweckmäßiges Bindemittel aus, welches im Zuge der Bauausführung zur Anwendung kommen soll. Beispielsweise kann für eine Straße der Belastungsklasse Bk10 beim Bau einer Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt ein Bitumen 25-55/ 55 zur Anwendung kommen. Für Asphalttragschichten, in denen Asphaltgranulat verwendet wird, gibt es in den TL Asphalt-StB 07/ 13 und den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 ergänzende Regelung (Stichwort: Zwei-Sortensprung). Die bisherige Vorgehensweise der Festlegung eines „Zugabebindemittels“ (d. h. des Bitumens, welches bisher im Asphaltmischwerk frisch zugegeben wurde) durch den Auftraggeber, ist in dieser Form vor dem Hintergrund der komplexeren Randbedingungen nicht mehr praktikabel und im Grunde auch nicht mehr möglich. Hierfür sind u. a. folgende Gründe ausschlaggebend: - Grundsätzlich legt der Produzent des Asphaltmischgutes dessen konzeptionelle Zusammensetzung fest. Hierzu gehören z. B. Festlegung Bindemittelgehalt, Festlegung Korngrößenverteilung, Entscheidung über die grundsätzliche Verwendung von Asphaltgranulat sowie dessen Menge im Asphaltmischgut (u. a. abhängig von Homogenität des Asphaltgranulates und den maschinentechnischen Randbedingungen im Asphaltmischwerk). - Grundsätzlich wählt der Produzent des Asphaltmischgutes in Abstimmung mit der Einbaufirma, welche Technologie zur Temperaturabsenkung (z. B. Wahl des Zusatzes) verwendet wird. Hintergrund hierfür sind u. a. die jeweiligen technischen Möglichkeiten im Asphaltmischwerk und der vorgesehene Einbauprozess. Die zunehmende Verwendung von Asphaltgranulat und die notwendigen Modifikationen des Asphaltmischgutes zur Temperaturabsenkung sowie die Verwendung eines „Zugabebindemittels“ ergeben ein „resultierendes Bindemittel im Asphaltmischgut“. Die sich alleine aus den verschiedenen Möglichkeiten der Temperatur-absenkung des Asphaltmischgutes ergebenden Vielzahl von Varianten, macht daher die Wahl eines „Zugabebindemittels“ zum Zeitpunkt der Aus-schreibung aus technischen Gründen und aus Gründen des freien Wettbewerbs nicht möglich. Daher musste im Zuge der Erarbeitung des Entwurfes zu den neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 eine Alternative zu der bisher üblichen Vorgehensweise gefunden werden. 4.2 Zweckmäßige resultierende Bindemittelarten und Bindemittelsorten In Abbildung 3 ist die zukünftige Tabelle 2 aus dem Schlussentwurf zu den neuen ZTV Asphalt-StB Teil-1 dargestellt. Die Tabelle enthält „zweckmäßige resultierende Bindemittelarten und -sorten in Abhängigkeit von der zu erwartenden Beanspruchung und vom jeweiligen Anwendungsfall“. Eine Neuerung stellt die Verwendung des Begriffes „resultierend“ da. Aus diesem Begriff ergibt sich, dass dieses Bindemittel ein durch Anteile von Bindemittel aus Asphaltgranulat und/ oder Zusätzen sowie der Rückgewinnung aus dem Asphalt verändertes Bitumen darstellt. Des Weiteren sind in der Tabelle in eckigen Klammern ([ ]) Bitumenpaare angegeben. Die in den eckigen Klammern angegebenen Bitumenpaare (z. B. [30/ 45 / / 35/ 50 VL]) enthalten jeweils sowohl eine Bitumenart und -sorte nach den TL Bitumen-StB als auch eine Viskositätsveränderte Bitumenart und -sorte nach den TL VBit- StB. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass den Bitumen nach den TL Bitumen-StB noch entsprechende viskositätsverändernde Zusätze zuzugeben sind. Die Ausschreibung der in Tabelle 2 aufgeführten Bitumenpaare führen zu einem technisch gleichwertigen Asphaltmischgut. Die konkrete Form der Modifikation legt der Auftragnehmer bzw. der Produzent des Asphaltmischgutes im Einzelfall fest. Unabhängig davon, muss im Rahmen der Erstprüfung das resultierende Bindemittel, die Anforderungen der TL Bitumen-StB bzw. TL VBit-StB erfüllen. Als Kenngröße wird hier die „Äqui- Schermodultemperatur“ zu Grunde gelegt. Zum besseren Verständnis wird im Folgenden anhand verschiedener Beispiele erläutert, welche Informationen aus den jeweiligen Angaben zu den Bitumenpaaren in den eckigen Klammern zu entnehmen sind. <?page no="280"?> 280 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Abb. 3: Darstellung der Tabelle 2 des Schlussentwurfes zu den ZTV Asphalt-StB Teil 1 [7] BEISPIEL 1: Asphaltdeckschicht aus Asphaltbeton Für eine Asphaltdeckschicht aus Asphaltbeton wird für eine Straße der Belastungsklasse Bk32 als zweckmäßige resultierende Bindemittelart und -sorten ein Bitumenpaar [25/ 55- 55 A / / PmB 25/ 45VL] aufgeführt (Abb. 5, grüne Markierung). Bei dem angegebene 25/ 55-55 A handelt es sich um ein Polymermodifizierte Bitumen nach den TL Bitumen- StB. Bei dem angegebene PmB 25/ 45VL handelt es sich um ein Viskositätsverändertes Polymermodifizertes Bitumen nach den TL VBit-StB. Um ein entsprechendes „resultierendes“ Bindemittel zu erhalten, gibt es für den Produzenten des Asphaltmischgutes verschiedene Möglichkeiten: 1. Möglichkeit: organische Modifikation a. Verwendung des gebrauchsfertigen Viskositäts-veränderten Polymermodifizerten Bitumens PmB 25/ 45VL nach den TL VBit-StB oder b. Verwendung eines Bitumens nach den TL Bitumen- StB unter Mitverwendung eines viskositäts-verändernden organischen Zusatzes, der im Asphaltmischwerk zugegeben wird. 2. Möglichkeit: mineralische oder oberflächenaktive Modifikation Verwendung eines Bitumens 25/ 55-55 A nach den TL Bitumen-StB unter Mitverwendung eines viskositäts-verändernden mineralischen oder oberflächenaktiven Zusatzes, der im Asphaltmischwerk zugegeben wird. 3. Möglichkeit: Schaumbitumentechnologie Verwendung eines Bitumens 25/ 55-55 A nach den TL Bitumen-StB unter Anwendung der Schaumbitumen-technologie Neben den vorgenannten verwendeten Modifikationen wird das resultierende Bindemittel durch Anteile von Bindemittel aus einem ggf. verwendeten Asphaltgranulat und Einflüssen aus der Extraktion verändert. In allen drei dargestellten Möglichkeiten muss der Kennwert Äqui-Schwermodultemperatur des resultierenden Bindemittels die jeweilige Anforderung der TL VBit-StB bzw. der TL Bitumen-StB erfüllen und in der Erstprüfung zum Nachweis der ausgeschriebenen Sorte angegeben werden. Für die Kontrollprüfung sind im Schlussentwurf der neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 entsprechende Anforderungswerte enthalten. <?page no="281"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 281 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber im Rahmen der Ausschreibung eine zweckmäßige resultierende Bindemittelart und -sorte als „Bitumenpaar“ auswählt. Wie der Auftragnehmer bzw. der Produzent diese resultierende Bindemittelart und -sorte erreicht (z. B. durch die Art und Form der Modifikation und/ oder die Verwendung von Asphaltgranulat) bleibt ihm überlassen. BEISPIEL 2: Asphaltdeckschicht aus Gussasphalt Bei Betrachtung der Spalte „Asphaltdeckschicht aus Gussasphalt“ in Tabelle 2 (Abb. 3, blaue Markierung) fällt zunächst auf, dass hier kein Bitumenpaar in eckigen Klammern angegeben ist, sondern sich dort „nur“ Angaben zu Bitumen (15/ 25 VH/ VL und PmB 10/ 25 VH/ VL) nach den TL VBit-StB finden. Dem zur Folge darf für eine Asphaltdeckschicht aus Gussasphalt für eine Straße der Belastungsklasse Bk100 zur Temperaturabsenkung lediglich eine organische Modifikation des Asphaltmischgutes erfolgen. Diese kann durch verschiedene gebrauchsfertige Viskositäts-veränderte Bitumen (15/ 25VH, 15/ 25VL, PmB 10/ 25VH oder PmB 10/ 25VL) nach den TL VBit-StB oder durch die Verwendung eines Bitumens nach den TL Bitumen-StB und die Mitverwendung eines viskositätsverändernden organischen Zusatzes, der im Asphaltmischwerk zugegeben wird, erreicht werden. Dementsprechend ist derzeit in Gussasphalt eine Mitverwendung von mineralischen oder oberflächen-aktiven Zusätzen auf Basis der neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 nicht zulässig. Hintergrund dieser Festlegung sind die bisher nicht bzw. nur in sehr geringem Umfang vorliegenden Erfahrungen bei der Verwendung dieser Zusätze in Gussasphalt. In Abbildung 3 fällt zudem auf, dass für Asphaltdeckschichten aus lärmtechnisch optimierten Splittmastixasphalt (SMA LA) oder Offenporigen Asphalt (PA D) in den entsprechenden Spalten keine Bitumenpaare aufgeführt sind (Abb. 3, rote Markierung). Für diese Asphaltmischgüter sind u. a. wegen ihrer strukturellen Zusammensetzung keine besonderen Maßnahmen zur Temperaturabsenkung erforderlich, daher finden sich hier lediglich Angaben zu Bitumen nach den TL Bitumen-StB (45/ 80- 65 A oder 65/ 105-70 A). 4.3 Zweckmäßige Asphaltmischgutarten und Asphaltmischgutsorten In Abbildung 4 ist die Tabelle 1 des Entwurfes zu den neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 dargestellt. Sie enthält wie bisher auch zweckmäßige Asphaltmischgutarten und Asphaltmischgutsorten in Abhängigkeit von der zu erwartenden Beanspruchung. Im Folgenden werden einige Änderungen im Vergleich zu den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 vorgestellt. Für Asphaltbinderschichten ist zukünftig der Einsatz von „Splittmastix-Bindern“ (SMA 16 B S und SMA 22 B S) nach den „Hinweisen für die Planung und Ausführung von Alternativen Asphaltbinderschichten (H AL Abi)“ [14] vorgesehen. Außerdem wurden die bisherigen „klassischen“ Asphaltbinderschichten modifiziert (AC 11 B S und AC 22 B S). Diese entsprechen nun im Wesentlichen den in den H AL Abi angegebenen stetig gestuften Binderschicht-Konzepten. Für Asphaltdeckschichten aus Asphaltbeton ist anzumerken, dass der Einsatzbereich der Asphaltmischgüter AC-11 D S und AC 8 D S auf die Belastungsklassen Bk10 und Bk32 ausgeweitet wurde. Zusätzlich können zukünftig Asphaltdeckschichten aus Splittreichem Asphaltbeton (AC 11 D SP) für Sonderflächen wie zum Beispiel Kreisverkehre oder Busverkehrsflächen eingesetzt werden. Im Bereich der Asphaltdeckschichten aus Splittmastixasphalt wurden in Tabelle 1 lärmtechnisch optimierte Asphaltdeckschichten aus Splittmastixasphalt (SMA 8-D LA) integriert. Diese können im Bereich der Belastungsklassen Bk3,2 bis Bk100 zur Anwendung kommen. In den Belastungsklassen Bk3,2 und Bk10 kann außerdem SMA 5 D S verwendet werden. Diese Bauweise, die bisher mit großem Erfolg im Bereich der baulichen Erhaltung eingesetzt wurde, kann zukünftig auch im Geltungsbereich der neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 zur Anwendung kommen. Im Bereich der Belastungsklassen Bk1,8, Bk1,0 und Bk0,3 war es bisher möglich, Splittmastixasphalt einzusetzen. Dieser Einsatzbereich ist zukünftig für Splittmastixasphalt nicht mehr vorgesehen. Hier liegen Beanspruchungen vor, bei denen die Anwendung von Splittmastixasphalt aus technologischen Gründen keinen Sinn ergibt. <?page no="282"?> 282 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? Abb. 4: Darstellung der Tabelle 1 des Schlussentwurfes zu den ZTV Asphalt-StB Teil 1 [7] Neu aufgenommen wurde die Bauweise „Dünne Asphaltdeckschicht in Heißbauweise auf Versiegelung“ (AC 5 D DSH-V). Diese Bauweise, die ebenfalls aus dem Bereich der baulichen Erhaltung bekannt ist und dort in den letzten Jahren mit großem Erfolg eingesetzt wurde, ist für den Bereich der Belastungsklassen Bk3,2 bis Bk100 vorgesehen. In geringer beanspruchten Belastungsklassen ist die Anwendung dieser Bauweise nicht möglich, da die zulässigen Unebenheiten von Asphalttragschichten eine entsprechende Anwendung in diesen Belastungsklassen nicht ermöglichen. 4.4 Weitere Änderungen In den Entwurf zu den ZTV Asphalt-StB Teil 1 wurden neben den schon beschriebenen Änderungen eine Reihe weiterer Aspekte neu aufgenommen. So wurde z. B. ein Abschnitt „Herstellen von Kompakten Asphalt-befestigungen“ erarbeitet. Dieser Abschnitt fasst die an verschiedenen Stellen in den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 schon vorhandenen Festlegungen zur Kompakten Asphaltbefestigung zusammen. Außerdem wurden aktuelle Erkenntnisse auf Basis des ARS Nr. 05/ 2019 vom 03.05.2019 und Erfahrungen aus der Praxis zu dieser Bauweise eingearbeitet. Zusätzlich wurde eine Reihe von weiteren Themen grundlegend überarbeitet. Hierzu zählen z. B.: - Inhalte und Form des Eignungsnachweises - Regelungen zu Lieferungen aus mehreren Asphaltmischwerken - Regelungen zum Erstellung eines Logistikkonzeptes - Regelungen zur Ausführung von Nähten - Anforderungen an den Hohlraumgehalt von Asphalttrag- und Asphaltbinderschichten - Neufassung der Regelungen zur Durchführung von Kontrollprüfungen - Anforderungen an die Einbaudicke und Einbaumenge - Ergänzung der Eigenüberwachungsprüfungen (Anlaufprobe) - Überarbeitung der Regelungen zur Behandlung von Mängeln und der Verjährungsfristen - Überarbeitung der Regelungen zur Abrechnung der Einbaudicke und Einbaumenge - Ergänzung der Abzugsregelungen (Schichtenverbund, Hohlraumgehalt der fertigen Schicht). Die detaillierte Vorstellung und Diskussion dieser Änderungen können im Rahmen des vorliegenden Beitrages jedoch nicht geleistet werden. 5. Fazit Die Entscheidung zukünftig nur noch Temperaturabgesenkte Asphalte zu produzieren und einzubauen, hat die Erarbeitung beziehungsweise Überarbeitung der TL Asphalt-StB und der ZTV Asphalt-StB Teil 1 maßgeblich beeinflusst. In dem vorliegenden Beitrag wird einerseits noch einmal die Überlegung zum strukturellen Auf bau des grundsätzlich zweiteiligen neuen Regelwerkes dargestellt. Schwerpunkt der Veröffentlichung sind jedoch die Erläuterungen, wie zukünftig Temperaturabgesenkte Asphalte auf Basis der neuen ZTV Asphalt-StB Teil-1 in der Praxis eingesetzt werden können. Die Entschei- <?page no="283"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 283 Die Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke für den Asphaltstraßenbau ist weitgehend abgeschlossen - Was bedeutet das für die Praxis? dung, Temperaturabgesenkte Asphalte zum „neuen Normalfall“ zu machen, beeinflusst zukünftig die Ausschreibung von Baumaßnahmen vor allem im Zusammenhang mit den „Zweckmäßigen resultierenden Bindemittelarten und Bindemittelsorten“ erheblich. Diese Veränderungen sind aus Sicht des Verfassers sicherlich die maßgeblichsten Veränderungen im Zusammenhang mit der Überarbeitung der asphalttechnologischen Regelwerke. Es wird einige Zeit dauern, bis sich alle Beteiligten auf Seiten der Auftraggeber und Auftragnehmer an die neuen Randbedingungen gewöhnt haben werden. Die Inhalte in diesem Beitrag, die den Entwürfen zu den neuen TL Asphalt-StB und neuen ZTV Asphalt-StB Teil 1 entsprechen, können sich im Verlauf der eingangs im Beitrag erwähnten Stellungnahmen ggf. auch noch einmal ändern. Literatur [1] Technische Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen, TL Asphalt-StB 07/ 13, Ausgabe 2007/ Fassung 2013, FGSV-Verlag, Köln. [2] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt; ZTV Asphalt-StB 07/ 13, Ausgabe 2007/ Fassung 2013, FGSV-Verlag, Köln. [3] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Fahrbahndecken aus Asphalt, ZTV Asphalt-StB 01, Ausgabe 2001, FGSV-Verlag, Köln. [4] Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 11/ 2012 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, ARS 11/ 2012 vom 08.08.2012, Änderungen und Ergänzungen des Technischen Regelwerkes Asphaltstraßen, StB 27/ 7182.8/ 3-ARS-12/ 11/ 1753016, Bonn. [5] Niederschrift über die 132. Sitzung des Lenkungsausschusses der Arbeitsgruppe 7 „Asphaltbauweisen“ am 25. und 26. April 2023 in Ottobeuren, unveröffentlicht, FGSV, Köln. [6] Technische Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen, TL Asphalt-StB 25, Schlussentwurf Stand 14.03.2024. [7] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächen aus Asphalt - Teil 1: Neubau und Bau von Schichten in gleichmäßiger Dicke, ZTV Asphalt-StB 25 Teil 1, Schlussentwurf Stand 14.03.2024. [8] Weßelborg, H.-H.: Fortschreibung des Regelwerks Asphalt - Schwerpunkte der Diskussion, Straße und Autobahn, Heft 11, 2017, Kirschbaum Verlag, Bonn. [9] Weßelborg, H.-H.: Eine neue Generation: Fortschreibung des Regelwerkes Asphalt - Aktueller Stand, Straße und Autobahn, Heft 9, 2019, Kirschbaum Verlag, Bonn. [10] Riechert, A.; Schäfer, V.: Fortschreibung des Regelwerkes Asphalt - grundlegende Änderungen auf der Zielgeraden, Straße und Autobahn, Heft 11, 2022, Kirschbaum Verlag, Bonn [11] Flottmann, N.; Weßelborg, H.-H.: Die Schlussentwürfe zu den TL Asphalt-StB und ZTV Asphalt StB Teil 1 liegen vor - Wie soll der Einsatz von temperaturabgesenkten Asphalten in der Praxis erfolgen? , Straße und Autobahn, Heft 10, 2024, Kirschbaum Verlag. Bonn. [12] Technische Lieferbedingungen für gebrauchsfertige Viskositätsveränderte Bitumen, TL VBit-StB 22, Ausgabe 2022, FGSV-Verlag, Köln. [13] Technische Lieferbedingungen für Straßenbaubitumen und gebrauchsfertig Polymermodifizierte Bitumen, TL Bitumen-StB 07/ 13, Ausgabe 2007/ Fassung 2013, FGSV-Verlag, Köln. [14] Hinweise für die Planung und Ausführung von alternativen Asphaltbinderschichten, H Al Abi, Ausgabe 2015, FGSV-Verlag, Köln. <?page no="285"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 285 Temperaturabgesenkter Asphalt - Maßnahmen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) für den Technologiewandel Oberbaurätin Vera Schmidt Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Der Asphaltstraßenbau ist, um den gestiegenen Anforderungen an den Arbeitsschutz gerecht zu werden, in einem technologischen Umbruch. Der Temperaturabgesenkte Asphalt ist durch die Einführung des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) von 1,5 mg/ m³ für Dämpfe und Aerosole bei der Heißverarbeitung von Bitumen ab dem 1. Januar 2020 zum zentralen Thema in der Baubranche geworden. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um temperaturabgesenkten Asphalt (TA-Asphalt) als Standardbauweise zu etablieren. Diese Bemühungen werden von der Fortschreibung der technischen Regelwerke begleitet, insbesondere durch die Ergänzungen zu den Technischen Vertragsbedingungen im Straßenbau Baden-Württemberg (ETV-StB-BW). 1. Einführung Die Anforderungen an die Arbeitssicherheit im Straßenbau haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Bereits im Herbst 2019 wurde durch den Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) ein Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 1,5 mg/ m³ für Dämpfe und Aerosole bei der Heißverarbeitung von Bitumen beschlossen. Obwohl dieser ursprünglich ab dem 1. Januar 2025 verbindlich werden sollte, wurde die Übergangsfrist für Walzasphalt um weitere zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2026 verlängert [1]. Die Anforderungen an Gussasphalt bleiben hiervon unberührt. Die Verlängerung zeigt, dass trotz aller Fortschritte - wie dem Einsatz von Absaugvorrichtungen an Fertigern und temperaturabgesenktem Asphalt - der ambitionierte AGW noch nicht flächendeckend und prozesssicher für Walzasphalt erreicht werden konnte. 2. Rechtliche Rahmenbedingungen Die Einführung des Arbeitsplatzgrenzwertes von 1,5-mg/ m³ für Dämpfe und Aerosole aus der Heißverarbeitung von Bitumen basiert auf der Einstufung von Dampf und Aerosol aus Oxidations-bitumen als krebserzeugend. In den vergangenen Jahren konnten durch den Einsatz von Absaugvorrichtungen an Fertigern und die Weiterentwicklung von temperaturabgesenktem Asphalt (TA- Asphalt) erhebliche Fortschritte erzielt werden. Durch die Reduzierung der Asphalteinbautemperatur wird die Freisetzung von Dämpfen und Aerosolen deutlich minimiert. Diese Maßnahmen führten zu einer signifikanten Reduktion der Exposition - in vielen Fällen bis unter den Grenzwert. Dennoch zeigte sich, dass der ambitionierte AGW bisher nicht prozesssicher eingehalten werden kann. Im Rahmen des ARS 09/ 2021 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) [2] zur Errichtung von Erprobungsstrecken aufgerufen, um praktische Erfahrungen mit temperaturabgesenktem Asphalt zu sammeln. Die SBV BW hat auf diesen Aufruf reagiert und sich an zahlreichen Pilotprojekten beteiligt, die die Realisierbarkeit und Effizienz der neuen Bauweise in der Praxis überprüfen sollten. In Baden-Württemberg konkretisieren die Ergänzungen zu den Technischen Vertragsbedingungen (ETV-StB BW, Teil 3) die Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB) sowie die Technische Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen (TL Asphalt-StB) die Anforderungen an den Einsatz und die Qualität von Asphaltmischgütern in Baden-Württemberg. Die ETV- StB BW stellt damit sicher, dass regionale wie klimatische Bedingungen und rohstoffspezifische Eigenschaften berücksichtigt werden. Die ETV-StB BW, Teil 3.1.1 [3] zur ZTV Asphalt-StB: definiert die technischen Vorschriften an die Anforderungen an Bauweise und Qualitätssicherung im Straßenbau. TA-Asphalt muss den gleichen Prüfkriterien genügen wie herkömmliche Asphaltarten, insbesondere hinsichtlich Verformungsbeständigkeit, Standfestigkeit und Dauerhaftigkeit. Die ETV-StB BW, Teil 3.2.2 [4] zur TL Asphalt-StB: beschreibt die Anforderungen an Ausgangsstoffe, Mischgüter und Prüfmethoden. Für TA-Asphalt gelten zusätzliche Prüfungen, um die Qualität bei niedrigen Einbautemperaturen zu gewährleisten. <?page no="286"?> 286 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Temperaturabgesenkter Asphalt - Maßnahmen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) für den Technologiewandel Abb. 1: Zuordnung Zusätze und Bitumentechnologie in Hinsicht der anzuwendenden Technischen Lieferbedingung Mit der Einführung der ETV-StB-BW, Teil 3.1.1 und Teil 3.2.1, Fassung 2024, wird TA-Asphalt für Asphalttragschichten bei Landesstraßen in Baden-Württemberg zur Regelbauweise. Gleichzeitig werden Ausschreibende ermutigt, auch Binderschichten, Deckschichten und Tragdeckschichten in TA-Asphalt auszuführen. Diese Regelung zielt darauf ab, eine breite Routine im Umgang mit TA-Asphalt zu etablieren. Damit ist Baden- Württemberg eines der ersten Länder, die über das ARS 09/ 2021 hinaus den Umgang mit TA-Asphalt regelt. 3. Technische Aspekte TA-Asphalt wird bei reduzierten Misch- und Einbautemperaturen (ca. 130-160 °C) hergestellt und eingebaut. Die Temperaturabsenkung kann durch organisch modifiziertes Bitumen, chemische/ mineralische Zusätze oder Schaumbitumentechnologie erfolgen (Abb. 1). Dabei sind organische Bitumen gebrauchsfertige Bitumen gemäß Technische Lieferbedingungen für gebrauchsfertige Viskositäts-veränderte Bitumen (TL VBit-StB) oder durch Zugabe viskositätsverändernder Zusätze im Mischwerk verändertes Bitumen. Bei diesen Bitumen ist die Bitumenrheologie verändert. Alternativ können chemische Zusätze verwendet werden, die die Rheologie des Bitumens nicht verändern dürfen. Mineralische Zusätze oder die Verwendung der Schaumbitumentechnologie durch Wassereinspritzung verändern die Bitumenrheologie nicht. Ein in der ETV-StB BW Teil 3 erfolgter Vorgriff auf die neue ZTV Asphalt-StB und TL-Asphalt-StB, ist die Einführung von Bitumenpaaren. Diese definieren technisch gleichwertige Kombinationen aus verschiedenen Bitumenarten (z. B. TL Bitumen-StB und TL VBit-StB), die für spezifische Belastungsklassen und Flächenarten geeignet sind. Tabelle 1 der Ergänzungen 2024 zur ETV- StB-BW ordnet diese Paare entsprechenden Bauweisen zu, z. B. für Tragschichten oder Deckschichten. Um die Temperaturabsenkung bei der Asphaltproduktion zu gewährleisten, dürfen ausschließlich die in den folgenden Dokumenten aufgeführten Zusätze verwendet werden: „Erfahrungssammlung über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt“ sowie die Pilotproduktliste TA der BASt. Diese Sammlungen, veröffentlicht durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), dokumentiert geprüfte und bewährte Produkte, die zur Temperaturabsenkung geeignet sind. Zusätze, die nicht in diesen Dokumenten aufgeführt sind, dürfen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Auftraggebers eingesetzt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Wiederverwendbarkeit des Asphalts, insbesondere im Hinblick auf Recyclingprozesse, nicht eingeschränkt wird. Die ETV-StB-BW Teil 3.1.1 stellt zudem erweiterte Anforderungen an den Eignungsnachweis, die bei TA-Asphalt den Auftraggebern vorgelegt werden müssen. Unter anderem werden zusätzliche Angaben hinsichtlich der Performance-Prüfungen bei organisch modifizierten Bitumen notwendig. • Zugversuche bei niedrigen Temperaturen (-10 °C). • Einaxiale Druck-Schwellversuche nach TP Asphalt- StB, Teil 25 B1. • Abkühlversuche und Verdichtungs-temperaturen, die gemäß den festgelegten Grenzwerten von 130-160 °C variieren. Darüber hinaus müssen Angaben zum verwendeten Verfahren der Temperaturabsenkung, zu spezifischen Bindemittelsorten sowie zu den Zugabeanteilen von Zusätzen gemacht werden. Diese Anforderungen gewährleisten eine einheitliche und qualitativ hochwertige Ausführung der Bauweise. Die Kontrollprüfungen sind ebenso in der ETV spezifiziert. <?page no="287"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 287 Temperaturabgesenkter Asphalt - Maßnahmen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) für den Technologiewandel 4. Fazit und Ausblick Die Einführung von TA-Asphalt bringt technische Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf die Langzeitperformance. Asphalt, der bei niedrigeren Temperaturen produziert wird, kann eine andere Struktur und Konsistenz aufweisen, was sich potenziell auf die Haltbarkeit und Tragfähigkeit der Straßen auswirken könnte. Langzeitstudien sind daher erforderlich, um die Belastbarkeit und Alterungsbeständigkeit des TA-Asphalt unter verschiedenen Witterungs- und Verkehrsbedingungen zu bewerten. Die Erkenntnisse aus den Erprobungsstrecken und der zunehmende Erfahrungsschatz der Bauunternehmen sind dabei entscheidend. Literatur [1] TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ - Bek. d. BMAS v. 20.5.2024 - IIIb 3 - 35125 - 5 Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Bekanntmachung von Technischen Regeln. [2] Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 09/ 2021 Sachgebiet 04.04: Straßenbefestigungen 06.01 Bauweisen Straßenbaustoffe; Anforderungen, Eigenschaften StB 25/ 7182.8/ 3- ARS-21/ 09/ 3480505 Bonn, 25.03.2021 Oberste Straßenbaubehörden der Länder. [3] ETV-StB-BW-Teil 3.1: Ergänzungen zu den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13), Ausgabe 2023, Teil 3.1.1 Ergänzungen zur Herstellung von Asphaltschichten mit Temperaturabgesenktem Asphalt (TA) Ausgabe 22.02.2024. [4] ETV-StB-BW Teil 3.2: Ergänzungen zu den Technischen Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen (TL Asphalt-StB 07/ 13), Ausgabe 2023 Teil 3.2.1 Ergänzungen zur Herstellung von Temperaturabgesenktem Asphaltmischgut (TA) Ausgabe 22.02.2024. <?page no="289"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 289 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Thomas Schönauer, M. Sc. FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Dipl.-Ing. Marco Schünemann TPA GmbH, Hamburg Dr.-Ing. Diana Simnofske TPA GmbH, Hamburg Zusammenfassung Der Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt (TA-Asphalt) und Absaugeinrichtungen an der Fertigerbohle bewirken bereits eine deutliche Reduzierung der Dämpfe und Aerosole bei der Heißverarbeitung von Bitumen. Der derzeit ausgesetzte Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 1,5 mg/ m³ kann jedoch derzeit noch nicht zielsicher eingehalten werden. Das für den AGW maßgebende IFA-Messverfahren ermöglicht dabei keine zeitliche Differenzierung der Emissionen. Um weitere Einflüsse auf die Messergebnisse zu identifizieren, führte die Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) der FH Münster im Auftrag des Koordinierungsausschusse Bitumen (KoA-Bit) Emissionsmessungen mit Photoionisationsdetektoren (PID) beim Einbau von Walzasphalt durch. Zusammen mit Wetter- und Videoaufzeichnungen konnten dabei potenzielle Einflüsse (z.-B. Wind und Trennmitteleinsatz) auf die PID- und IFA-Messergebnisse festgestellt werden. Im Auftrag des KoA-Bit wurden daher zusammen mit der TPA GmbH (Hamburg) fünf verschiedene Trennmittel mit dem PID- und IFA-Messverfahren im Labor untersucht. Der Einfluss auf die Emissionsmessungen stellte sich bei einem pflanzenölbasierten Trennmittel gegenüber den untersuchten mineralölbasierten Trennmitteln deutlich geringer dar. 1. Einführung Durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wurde im November 2019 zusammen mit dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) ein Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 1,5-mg/ m³ für Dämpfe und Aerosole bei der Heißverarbeitung von Destillations- und Air-Rectified-Bitumen eingeführt. Die Bekanntmachung des AGW erfolgte am 13. März 2020 in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe - Arbeitsplatzgrenzwerte (TRGS 900) über das Gemeinsame Ministerialblatt (GMBl). [1] Die Einhaltung des AGW wird u.- a. beim Einbau von Walzasphalt mit dem IFA-Messverfahren (Institut für Arbeitsschutz) nach der IFA-Arbeitsmappe 6305/ 1 (Mineralölstandard) bzw. 6306/ 2 (Bitumenkondensat-Standard) überprüft. Der AGW von 1,5 mg/ m³ bezieht sich dabei auf den Bitumenkondensat-Standard, wobei eine auf dem Mineralölstandard ausgewertete Messung mit dem Faktor 1,4689 (gerundet 1,5) auf den Bitumenkondensat- Standard umgerechnet werden kann. [2] Im April 2020 führte die Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) der FH Münster erstmals Emissionsmessungen mit einem Photoionisationsdetektor (PID) während des Einbaus von Walzasphalt durch. Im Auftrag des Amtes für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster sowie der EUROVIA Services GmbH wurden vier ländlich gelegene Wege, welche zur Hälfte mit konventionell heißgemischtem Asphalt und temperaturabgesenktem Asphalt (TA-Asphalt) hergestellt wurden, messtechnisch mit einem PID begleitet. Hierbei konnten Emissionsschwerpunkte festgestellt sowie potenziell expositionsreduzierende Maßnahmen wie z.-B. der Einsatz einer Absaugeinrichtung an der Fertigerbohle beurteilt werden. [3] Um die Plausibilität des PID-Messverfahrens gegenüber dem IFA-Messverfahren zu prüfen, wurden beide Messverfahren an einer weiteren Versuchsstrecke parallel durchgeführt und die Ergebnisse gegenübergestellt. [4] Die Ergebnisse aus den genannten Untersuchungen wurden u.-a. im Jahr 2021 beim „2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis“ der Technischen Akademie Esslingen e. V. (TAE) vorgestellt. [5] Im Rahmen weiterer beim Einbau von Gussasphaltestrich, Asphaltmastix, Schaumglasplatten und Bitumenschweißbahnen durchgeführten PID-Messungen zeigte sich, dass durch eine zusätzliche Aufzeichnung des Bauablaufes mit Kameras die PID-Messwertverläufe im Nachgang analysiert und somit Ursachen für Emissionsspitzen identifiziert werden können. Die Messungen erfolgten hierbei im Auftrag der Beratungsstelle für Gussasphaltanwendung (bga) e.V. in Bonn. [6] Auf Grundlage der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse entwickelte die FgV der FH Münster das Verfahren zur Erfassung von Emissionen mit dem PID-Messverfahren <?page no="290"?> 290 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen weiter und führte auf drei weiteren Asphaltbaustellen, ergänzend zum IFA-Messverfahren, PID-Messungen durch. Im Rahmen dieser Messungen zeigten sich u.-a. beim Einsatz von Trennmittel Peaks im PID-Messwertverlauf. [7] In Zusammenarbeit mit der TPA GmbH (Hamburg) erfolgten daher erweiterte labortechnische Untersuchungen zum Einfluss von Trennmittel auf den PID-Messwertverlauf sowie auf das IFA-Messergebnis bei der Verarbeitung von Asphalt im Labormischer. [8] Die beiden im Auftrag des Koordinierungsausschusses Bitumen (KoA-Bit) durchgeführten Projekte sowie die daraus erfolgten Ergebnisse und Erkenntnisse bzgl. etwaiger Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen im Asphaltstraßenbau, werden im Folgenden dargestellt. 2. Grundlagen Zur Einordnung des PID-Messverfahrens gegenüber dem IFA-Messverfahren, welches für die Überprüfung der Einhaltung des AGW maßgebend ist, werden beide Messverfahren im Folgenden erläutert und gegenübergestellt. 2.1 IFA-Messverfahren Im Rahmen des IFA-Messverfahrens wird die Luft am Arbeitsplatz mittels einer Pumpe angesaugt und durch einen 37-mm-Glasfaserfilter sowie einen nachgeschalteten XAD-2-Adsorber geleitet. Bei einem konstanten Luftstrom von 3,5 l/ min werden die Aerosole auf dem Glasfaserfilter und die Dämpfe auf dem XAD-2-Adsorber im Filterkopf zurückgehalten. [11] Ein exemplarischer Aufbau für die Anordnung einer IFA-Messeinrichtung an einem Messpunkt (hier: Bohle rechts) kann der folgenden Abbildung (Abb. 1) entnommen werden. Abb. 1: IFA-Messungen mit GilAir Plus Pumpe und Filterkopf [7] Für die Durchführung des IFA-Messverfahrens ist i.-d.-R. eine mehrstündige Probenahmedauer sowie eine nachträgliche Analyse im Labor nötig. Die Mindestprobenahmedauer beträgt bei einem Luftvolumenstrom von 210-L/ h nach der IFA-Arbeitsmappe 6305/ 1 (Mineralölstandard) 2-h mit einer Bestimmungsgrenze von 0,5-mg/ m³ und nach der IFA-Arbeitsmappe 6305/ 2 (Bitumenkondensat-Standard) 5-h mit einer Bestimmungsgrenze von 0,2-mg/ m³. [9] [10] Die quantitative Auswertung des mit Tetrachlorethen extrahierten Filters und Adsorbers erfolgt anschließend mittels Infrarotspektroskopie, wobei alle organischen Verbindungen erfasst werden, welche die aliphatischen C- H-Gruppen aufweisen. Seit 2007 wird der Messwert auf Grundlage des Kalibrierstandards „Bitumenkondensat- Standard“ ermittelt, während zuvor der Kalibrierstandard „Mineralöl“ verwendet wurde. Der Vergleich von Messwerten, die auf den unterschiedlichen Kalibrierstandards basieren, erfolgt über einen Umrechnungsfaktor von 1,4689 (gerundet 1,5). Dabei muss der Messwert, der auf dem Mineralölstandard basiert, mit diesem Faktor multipliziert werden. [9] Aufgrund dieser messtechnischen Randbedingungen stehen Informationen zur Exposition erst mit einer zeitlichen Verzögerung zur Verfügung. Zudem ergibt sich aus der Messung ein Schichtmittelwert, wodurch keine Darstellung des Emissionsverlaufes über einen bestimmten Zeitraum möglich ist. 2.2 PID-Messverfahren Im Gegensatz zum IFA-Messverfahren ermöglichen Photoionisationsdetektoren (PID) die Messung sowie die Darstellung der aktuellen Emissionen direkt vor Ort. Der Vorteil beim PID liegt dabei insbesondere in der Darstellung von zeitlich referenzierten Emissionsverläufen. Anhand dieser Darstellung können Emissionsspitzen identifiziert und mögliche Ursachen mit Hilfe von Videoaufzeichnungen erfasst werden. Ähnlich wie beim IFA-Verfahren wird die Umgebungsluft über eine integrierte Pumpe angesaugt. Die Luftförderrate der Pumpe beträgt bei den im Rahmen der Projekte genutzten PID 300 ml/ min. Hierbei wird die angesaugte Luft unmittelbar an einer Entladungsröhre vorbeigeführt, welche üblicherweise eine UV-Lampe mit einem Ionisierungspotenzial von 10,6 eV enthält. Sofern die Energie des eingestrahlten Lichts das Ionisierungspotenzial der zu analysierenden Stoffe übersteigt, werden diese ionisiert und ein Stromfluss in der Entladungsröhre erzeugt. Der entsprechende Stromfluss wird vom PID verstärkt und als Signal ausgegeben. Zu beachten ist, dass der PID ein Summensignal ausgibt, welches die Gesamtkonzentration der ionisierten Stoffe widerspiegelt. Somit ist eine stoffspezifische Erfassung nicht möglich. [11] Neben den häufig verwendeten, mit Krypton gefüllten 10,6 eV-Lampen kommen im Weiteren UV-Lampen mit einem Ionisierungspotenzial von 11,7 eV (gefüllt mit Argon) zum Einsatz. Diese ermöglichen die gleichzeitige Messung mehrerer gasförmiger Stoffe wie z.-B. Benzol, Toluol, Ethanol, Aceton und Methanol, während Methanol bei der 10,6 eV-Lampe keinen Einfluss auf das Summensignal hat. Bei UV-Lampen mit 9,5 eV, welche mit Xenon gefüllt sind, werden hingegen nur Benzol und Toluol erfasst [11]. Im Rahmen der nachfolgend beschriebenen Projekte wurden bis zu fünf portable PID (PPID) der Firma Analytical Control Instruments GmbH eingesetzt (Abb. 2). Diese basieren ebenfalls auf dem molekularen Photoeffekt und verwenden eine Hohlkathodenlampe mit einer Ionisationsenergie von 10,6 eV [12]. <?page no="291"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 291 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Abb. 2: Portable Photoionisationsdetektor (PPID) der Analytical Control Instruments GmbH (Bild: FH Münster, Thomas Schönauer) 3. Emissionsmessungen - Walzasphalt Im Rahmen eines der bereits genannten Forschungsprojekte wurden insgesamt drei in Nordrhein-Westfalen gelegene Versuchsstrecken (B 474, L 717 und L 647) mit bis zu fünf PID messtechnisch durch die FgV der FH Münster begleitet. Die PID-Messungen erfolgten hierbei parallel zu den ebenfalls durchgeführten IFA-Messungen. [7] Die geographische Lage der einzelnen Versuchsstrecken ist in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Geographische Lage der Versuchsstrecken [13] Alle betrachteten Messabschnitte der drei Versuchsstrecken wurden ausschließlich mit temperaturabgesenktem Asphalt (TA-Asphalt) hergestellt. [7] 3.1 Messpunkte An den Versuchsstrecken B-474 und L-647 erfolgte die Anbringung der PIDsowie der IFA-Messgeräte stationär an den Messpunkten „Beschicker“, „Fertiger“, „Bohle links“, „Bohle rechts“ und „Walze“ (siehe Abb. 4 rechts und Abb. 6). Im Zuge der Versuchsstrecke L-717 wurde hingegen eine personengetragene Messung durchgeführt (siehe Abb. 4 links). Eine Auswertung der Messungen erfolgte innerhalb des Projektes im Wesentlichen für die Messpunkte „Fertiger“, „Bohle links“ und „Bohle rechts“ (siehe rote Markierungen in Abb. 6). [7] Abb. 4: Personengetragene Messung und stationäre Messung [7] 3.2 Videoaufzeichnung Wie bereits beschrieben, zeigte sich innerhalb vorangegangener PID-Messungen, dass die Ursache etwaiger Emissionsspitzen im PID-Messwertverlauf durch den Abgleich mit zeitlich referenzierten Videoaufzeichnungen identifiziert werden können. Daher erfolgte die Aufzeichnung der Arbeitsbzw. Messbereiche mit insgesamt fünf Kameras. [7] Die Positionierung und Aufnahmebereiche der Kameras 1 (Beschicker) und 3 (Bohle rechts) sind exemplarisch in Abb. 5 dargestellt. Abb. 5: Kamera 1 „Beschicker“ (oben) & Kamera 3 „bohle rechts“ (unten) [7] Im Rahmen der stationären Messungen an der B-474 sowie der L-647 erfolgte die Positionierung der Kameras entsprechend den blauen Markierungen in Abb. 6. Für die personengetragene Messung an der L-717 wurde die Positionierung der Kameras entsprechend angepasst, um die Bewegungsbereiche der messtechnisch ausgestatteten Personen zur erfassen. [7] <?page no="292"?> 292 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Abb. 6: Positionierung der Messpunkte und Kameras [7] 3.3 Wetteraufzeichnung Da eine Beeinflussung durch die Windgeschwindigkeit und Windrichtung auf die PID-Messwertverläufe sowie auf die IFA-Messergebnisse zu erwarten war, wurden zeitlich referenzierte Wetterdaten aufgenommen. Die Aufzeichnung erfolgte sowohl mit einer Wetterstation der BG-Bau (Abb. 7 links) als auch mit einer Wetterstation der FgV der FH Münster (Abb. 7 rechts). Im Rahmen der Versuchsstrecken B-474 und L-647 wurden hierfür die Wetterdaten der BG-Bau und bei der L-717 die Wetterdaten der FgV der FH Münster herangezogen. [7] Abb. 7: Wetteraufzeichnung BG Bau (links) und FH Münster (rechts) [7] 3.4 Darstellung und Auswertung Die Auswertung der PID-Messwertverläufe erfolgte im Rahmen des Projektes in mehreren Schritten. Um die Plausibilität der PID-Messungen festzustellen, wurden die Tagesmittelwerte aus den PID-Messwerten den IFA- Messergebnissen gegenübergestellt. Zur Identifizierung etwaiger Einflussfaktoren auf die PID- und IFA-Messergebnisse wurden die PID-Messwertverläufe anhand des zeitlichen Verlaufs der Windgeschwindigkeit und Windrichtung sowie in Bezug auf potenzielle einbaubedingte Einflusszeiträume (z.-B. Trennmitteleinsatz, Zigarettenrauch etc.) dargestellt und ausgewertet. [7] Gegenüberstellung der IFA- und PID-Messergebnisse (Plausibilitätsprüfung) Um die Plausibilität der PID-Messwerte gegenüber den IFA-Messergebnissen zu prüfen, wurden die arithmetischen Mittelwerte der jeweiligen PID-Messreihe mit den Tagesmittelwerten aus den IFA-Messungen qualitativ verglichen. Ein exemplarischer Vergleich kann der Abb.-8 entnommen werden. [7] Zu erkennen ist, dass sich eine ähnliche Reihung der Messergebnisse darstellt. Es ist jedoch zu beachten, dass kein direkter Zusammenhang zwischen den IFA- und PID-Messergebnissen hergestellt werden kann. Beide Verfahren unterscheiden sich in der ausgegebenen Einheit und verfolgen unterschiedliche Messtandards. Zudem basieren sie auf einer unterschiedlichen Kalibrierung bzw. einem unterschiedlichen Messverfahren. [7] Abb. 8: Beispiel für einen qualitativen Vergleich der IFA- und PID-Tagesmittelwerte [7] Die Plausibilitätsprüfung wurde entsprechend für alle innerhalb des Projektes betrachteten Messreihen durchgeführt. [7] PID-Messwertverläufe und spezifische Einflussfaktoren In der folgenden Abbildung (Abb. 9) sind die PID-Messwertverläufe (Fertiger: grün; Bohle links: hellblau; Bohle rechts: dunkelblau) sowie die über die Videoaufzeichnungen erfassten potenziellen Einflusszeiträume (rot umrandet) eines Einbautages dargestellt. <?page no="293"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 293 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Die farbliche Darstellung der potenziellen Einflusszeiträume als horizontale Balken, ergibt sich entsprechend der folgenden Tabelle (Tab. 1). Im Rahmen der Versuchsstrecke L- 717 wurden die in der Tab. 1 bzw. Abb. 9 dargestellten Einflusszeiträume, aufgrund der personengetragenen PID-Messungen durch entsprechende Bewegungszeiträume der messtechnisch ausgestatten Personen (Bohle links und rechts) erweitert. [7] Tab. 1: Farbliche Darstellung der Einflusszeiträume [7] Bebauung/ Bepflanzung Regen Zeiträume mit Regen Links Bebauung/ -pflanzung links Stillstand Einbauzug steht Rechts Bebauung/ -pflanzung rechts - Bohle rechts Sonstiges Sonstige Einflüsse - Verteilerschnecke Verteilerschnecke steht Zigarette Zigarette in der Nähe der Messgeräte Trennmittel Trennmitteleinsatz an der rechten Bohlenseite Bohle links Sonstiges Sonstige Einflüsse - Verteilerschnecke Verteilerschnecke steht Zigarette Zigarette in der Nähe der Messgeräte Trennmittel Trennmitteleinsatz an der linken Bohlenseite Fertiger Sonstiges Sonstige Einflüsse - FB Beschicker Förderband des Beschicker steht Zigarette Zigarette in der Nähe der Messgeräte Trennmittel Trennmitteleinsatz am Fertiger Beschicker Sonstiges Sonstige Einflüsse - Zigarette Zigarette in der Nähe der Messgeräte Trennmittel Trennmitteleinsatz am Beschicker LKW LKW steht an Beschicker und kippt Abb. 9: Beispiel für die Darstellung der PID-Messwertverläufe und Einflusszeiträume [7] <?page no="294"?> 294 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Die Auswertung der potenziellen Einflusszeiträume zeigte, dass u.- a. beim Einsatz von Trennmittel eine Beeinflussung des PID-Messwertverlaufes zu erkennen war. In Abb. 10 ist ein Auszug von einer Stunde aus einem PID-Messwertverlauf am Messpunkt „Bohle rechts“ dargestellt. In Folge des Einsatzes von Trennmittel ergab sich hier an drei Stellen ein Peak im PID- Messwertverlauf (rot markiert). [7] Inwiefern sich der Einsatz von Trennmittel auf die IFA- Messungen auswirkt, wurde im Rahmen eines weiteren Projektes anhand von Laboruntersuchungen betrachtet. Die Untersuchungen werden an späterer Stelle dargestellt. Windgeschwindigkeit und Windrichtung Wie bereits beschrieben, war zu erwarten, dass die Windgeschwindigkeit und Windrichtung einen wesentlichen Einfluss auf die PID-Messwertverläufe sowie auf die IFA-Messergebnisse haben kann. Daher wurde der Verlauf der windbezogenen Messdaten dem jeweiligen PID-Messwertverlauf gegenübergestellt. [7] Windgeschwindigkeit In der folgenden Abbildung (Abb. 11) ist ein Beispiel für die Darstellung der Windgeschwindigkeit gegenüber den PID-Messwerten des Messpunktes „Fertiger“ im zeitlichen Verlauf abgebildet. Abb. 10: Beispiel für den Einfluss von Trennmittel auf den PID-Messwertverlauf [7] <?page no="295"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 295 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Zu erkennen ist, dass bei steigender Windgeschwindigkeit die PID-Messwerte am entsprechenden Messpunkt abnehmen. In Bereichen, wo sich die Windgeschwindigkeit reduziert, ist hingegen eine Zunahme der PID-Messwerte erkennbar. [7] Ob sich dieses Verhalten bei gleichbleibender Windrichtung zeigt oder gerade die Windrichtung einen Einfluss auf den PID-Messwertverlauf aufweist, wird im Folgenden betrachtet. Windrichtung Um den Einfluss der Windrichtung auf die PID-Messwerte zu bewerten, wurde in einem ersten Schritt jeweils die mittlere Windrichtung des jeweiligen Einbautages den entsprechenden PID-Tagesmittelwerten gegenübergestellt. [7] Ein Beispiel ist in Abb. 12 dargestellt. In dem dargestellten Beispiel ist zu erkennen, dass der Wind bezogen auf die Einbaurichtung an diesem Einbautag i.-d.-R. nach rechts wehte. Die blaue Linie stellt hierbei die Anzahl windrichtungsbezogener Messwerte dar. Je öfter der Wind in eine bestimmte Richtung wehte, desto ausgeprägter ist diese Linie. [7] Abb. 12: Gegenüberstellung der durchschnittlichen Windrichtung und PID-Tagesmittelwerte [7] Bei Betrachtung der PID-Tagesmittelwerte ist zu erkennen, dass der Messpunkt „Bohle rechts“, welcher sich gegenüber der fiktiven Einbauachse als einziges auf der rechten Seite befand, den höchsten Wert erreichte. Dieser Umstand scheint plausibel und bestätigt die These, dass die Windrichtung einen Einfluss auf den jeweiligen Tagesmittelwert haben kann. [7] Um die Windrichtung im zeitlichen Verlauf den PID- Messwertverläufen gegenüberzustellen, wurde diese für Abb. 11: Beispiel für die Darstellung der Windgeschwindigkeit [7] <?page no="296"?> 296 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen eine zweidimensionale Darstellung entsprechend der folgenden Tabelle (Tab. 2) umgerechnet. Zu beachten ist, dass hierdurch nicht mehr unterschieden werden kann, ob der Wind in oder gegen die Fahrtrichtung wehte. [7] Tab. 2: Umwandlung der Windrichtung in eine zweidimensionale Darstellung [7] Durch die Umrechnung der Windrichtungen lassen sich diese Daten jedoch den PID-Messwertverläufen im zeitlichen Verlauf gegenüberstellen. [7] Ein Beispiel ist hierzu in Abb. 13 dargestellt (rot umrandeter Bereich). Es zeigt sich, dass insbesondere in den Zeiträumen, wo der Wind überwiegend nach rechts wehte, sich eine Reduzierung der PID-Messwerte am Messpunkt „Fertiger“ einstellte (grüne Umrandung). Im darauffolgenden Zeitraum, in welchem die Windrichtung vermehrt nach links gerichtet war und zudem eine Reduzierung der Windgeschwindigkeit zu verzeichnen ist (siehe auch Abb. 11), ist ein Anstieg der PID-Messwerte zu erkennen (blaue Umrandung). [7] 3.5 Zusammenfassung und Erkenntnisse Neben den bereits beschriebenen Einflüssen aus Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Trennmitteleinsatz, konnten weitere potenzielle Einflüsse auf die PID-Messwertverläufe festgestellt werden. [7] Es zeigte sich u.-a., dass eine seitliche Bebauung bzw. Bepflanzung zu einer Veränderung der PID-Messwerte an den einzelnen Messpunkten führen kann. Dies lässt sich voraussichtlich auf eine Umlenkung bzw. Abschottung des Windes zurückführen. [7] Im Rahmen der IFA-Messungen an der L-717 ergab sich zudem eine konkrete Fragestellung, da dort ein deutlich erhöhter Messwert am Messpunkt „Walze“ zu erkennen war. Der IFA-Messwert lag mit 55,70 mg/ m³ [14] deutlich über dem AGW von 1,5-mg/ m³, welches an dem besagten Messpunkt ungewöhnlich ist. [7] Im PID-Messwertverlauf dieses Messpunktes zeigte sich ein deutlicher Peak zu Beginn des Einbaus (siehe Abb.-14). Im Rahmen der Auswertung von Videoaufzeichnungen sowie der Fotodokumentation konnte erkannt werden, dass Abb. 13: Beispiel für die Darstellung der Windrichtung [7] <?page no="297"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 297 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen vor Beginn des Einbaus das Pflege- und Schmiermittel WD-40 an der Walze eingesetzt wurde. [7] Der Einfluss von WD-40 auf das IFA-Messergebnis sowie auf den PID- Messwertverlauf konnte anhand von Laboruntersuchungen (siehe auch Abschnitt 4) bestätigt werden. [8] Im Weiteren konnte innerhalb einer Messreihe festgestellt werden, dass eine Zigarette, welche nah an das PID des Messpunktes „Bohle rechts“ gehalten wurde, eine Erhöhung des PID-Messwertes verursachte. [7] Inwiefern eine Beeinflussung der IFA-Messergebnisse sowie der PID- Messwertverläufe durch Zigarettenrauch stattfindet, wurde u.-a. in den nachfolgend beschriebenen Labormessungen ergänzend untersucht. [8] 4. Emissionsmessungen - Asphalt-Labor Da sich u.- a. im zuvor beschriebenen Projekt zeigte, dass der Einsatz von Trennmittel sowie der Einsatz von Pflege- und Schmierstoffen einen Einfluss auf die PID-Messwertverläufe und IFA-Messergebnisse haben kann, wurde dieser Einfluss in einem weiteren Projekt labortechnisch untersucht. [8] Im Folgenden werden der Versuchsauf bau, die Versuchsdurchführung und die daraus gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse dargestellt. 4.1 Aufbau Der Versuchsauf bau wurde so gewählt, dass Emissionsmessungen sowohl mit dem IFA-Messverfahren als auch mit der PID-Messmethode durchgeführt werden können. Hierzu wurde der Messkopf (IFA) über einen Schlauch direkt am Labormischer angeschlossen (siehe Abb. 15). Um die Temperatur der Dämpfe und Aerosole zu reduzieren sowie das Eindringen von Feuchtigkeit in den Filter des Messkopfes zu verhindern, wurde zusätzlich eine Woulffsche Falsche in der Anordnung der IFA-Messungen zwischengeschaltet. [8] Im Rahmen der PID-Messungen wurden zwei der in Abschnitt 2.2 beschrieben PID verwendet. Anhand der Doppelbestimmung ließ sich dabei die Plausibilität der PID-Messungen feststellen. Die Positionierung der PID erfolgte etwa 27-cm über einer kleinen Öffnung am Labormischer, welche mit einem Deckel verschließbar war. Durch den Abstand der PID zur Emissionsquelle, sollte das Eindringen von zu heißen Dämpfen in die PID verhindert werden. Über dieselbe Öffnung erfolgte zudem die Zugabe des jeweiligen Trennmittels. [8] Abb. 15: Auf bau des Versuchsstands im Labor [15] 4.2 Durchführung Innerhalb der Laboruntersuchungen wurde der Einfluss von fünf verschiedenen Trennmitteln sowie von Diesel und WD 40 (Pflege- und Schmierstoff) auf die Emissionsmessungen mit dem IFA-Messverfahren und der PID- Messmethode untersucht. [8] Referenzmessungen Um Referenzwerte für diese Trennmitteluntersuchungen zu erhalten sowie den Zeitpunkt für die Trennmittelzugabe festzulegen, wurden vorab drei Referenzmessungen mit dem entsprechenden Asphaltmischgut SMA-8-S ohne Trennmittel durchgeführt. Innerhalb der dort durchgeführten PID-Messungen zeigte sich, dass eine Zugabe des jeweiligen Trennmittels nach etwa 15-min zielführend ist, da sich hier bei allen drei Referenzmessungen ein ähnlicher Verlauf der PID-Messwerte zeigte (siehe Abb. 16). [8] Abb. 14: Einfluss von WD-40 auf den PID-Messwertverlauf am Messpunkt „Walze“ [7] <?page no="298"?> 298 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Abb. 16: Überlagerung der PID-Messwertverläufe aus den drei Referenzmessungen [8] Einmalige Trennmittelzugabe Aufgrund der zu erwartenden hohen Belastungen wurde die Gesamtdauer der jeweiligen Messung auf eine Stunde festgelegt. Vor Beginn jeder Messung erfolgte die Temperierung von jeweils 20-kg Asphaltmischgut (SMA-8-S) auf 155-°C. Nach Befüllen des Labormischers mit dem entsprechenden Asphaltmischgut und nach Erreichen der Zieltemperatur im Labormischer, wurden die IFA- und PID-Messung gestartet. Nach etwa 15 Minuten erfolgte die Zugabe des jeweiligen Trennmittels. Die Messung wurde daraufhin für 45 Minuten fortgesetzt, sodass sich eine Messdauer von insgesamt einer Stunde ergibt (siehe Abb. 17). [8] Abb. 17: Betrachtete Zeitpunkte und Zeiträume der PID-Messungen [8] Gestaffelte Trennmittelzugabe In einem weiteren Versuch wurde eines der Trennmittel (TM- 4) in mehreren Schritten dem Asphaltmischgut zugegeben. Hierbei wurde die vorgesehene Trennmittelmenge auf drei Zeitpunkte aufgeteilt, sodass 1/ 3 der Trennmittelmenge nach 15, 30 und 45 Minuten dem Asphaltmischgut zugegeben wurde. Hierbei sollte untersucht werden, wie sich eine gestaffelte Trennmittelzugabe gegenüber einer einmaligen Zugabe nach 15 Minuten in den IFA- und PID-Messergebnissen darstellt. [8] <?page no="299"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 299 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Zigarettenrauch Da sich im Weiteren zeigte, dass sich Zigarettenrauch auf die Messergebnisse der IFA- und PID-Messungen auswirken kann, wurde dieses ebenfalls untersucht. Hierzu wurde in drei Zeiträumen innerhalb von einer Stunde für jeweils ca. fünf Minuten den Messgeräten Zigaretten zugeführt. Dies erfolgte einerseits über eine direkte Zuführung von Zigarettenrauch (Abb. 18 links) und andererseits über ausgeatmeten Rauch (Abb. 18 rechts). Zu beachten ist, dass diese Messung ohne Asphaltmischgut durchgeführt wurde, sodass ausschließlich von einer Beeinflussung der PID- und IFA-Messwerte durch Zigarettenrauch auszugehen ist. [8] Abb. 18: Versuchsanordnung zur Untersuchung des Einflusses von Zigarettenrauch auf die IFA- und PID- Messergebnisse [8] 4.3 Auswertung Im Folgenden werden die Ergebnisse aus den vorab beschriebenen Laboruntersuchungen dargestellt und bewertet. Im Vordergrund steht hierbei die Untersuchung des Einflusses von Trennmittel auf die IFA- und PID-Messergebnisse, wobei im Weiteren die gestaffelte Trennmittelzugabe sowie der Einfluss von Zigarettenrauch auf die Messergebnisse beschrieben werden. Trennmitteluntersuchungen Wie im Abschnitt 4.2 beschrieben, wurden im Rahmen der Trennmitteluntersuchungen fünf verschiedene Trennmittel sowie der Einfluss von Diesel und Pflegebzw. Schmierstoffen (hier: WD- 40) auf die IFA- und PID- Messergebnisse untersucht. In Abb. 19 sind die IFA-Messergebnisse aus den besagten Trennmitteluntersuchungen zu erkennen. Das Ergebnis aus dem arithmetischen Mittelwert der drei Referenzmessungen mit 117-mg/ m³ (graue Säulen) ist dabei dem jeweiligen Messergebnis gegenübergestellt. Abb. 19: IFA-Messergebnisse (Gesamt) [15] in Anlehnung an [8] <?page no="300"?> 300 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Zu erkennen ist, dass sich die betrachteten fünf Trennmittel unterschiedlich auf das Gesamtergebnis (Dämpfe und Aerosole) der IFA-Messungen auswirkten. Zudem zeigt sich ein deutlich erhöhter IFA-Messwert bei der Zugabe von Diesel und das höchste IFA-Messergebnis bei der Zugabe von WD-40. Der deutliche Einfluss von WD-40 spiegelte sich bereits bei den Emissionsmessungen am Messpunkt „Walze“ der Versuchsstrecke L-717 wider. [8] Außerdem war bei der Betrachtung der Messergebnisse auffällig, dass sich das Trennmittel TM-1 kaum auf das IFA-Messergebnis auswirkte. Der Unterschied zu den Trennmitteln TM-2 bis TM-5 lag dabei in der Zusammensetzung. Das Trennmittel TM-1 basiert als einziges auf Pflanzenöl, während die anderen Trennmittel Mineralöl als Basis besitzen. Es sei darauf hingewiesen, dass ein durch die Zugabe von Trennmittel erhöhtes IFA-Messergebnis nicht bedeuten muss, dass diese gesundheitsschädlich sind. Sie beinhalten jedoch Stoffe, welche innerhalb des Wellenzahlbereiches der Infrarotspektroskopie angeregt und somit in der Auswertung erfasst werden. [8] Neben der Betrachtung der IFA-Messergebnisse erfolgte die Auswertung der einzelnen PID-Messwertverläufe. Der jeweilige Verlauf aus den Trennmitteluntersuchungen wurde hierbei auf eine vereinheitlichte Messreihe bezogen, welche sich aus den drei Referenzmessungen (ohne Trennmittel) ergab (siehe Abb. 20 hellblaue Linie). [8] Abb. 20: Gegenüberstellung der PID-Messwertverläufe bei Trennmittelzugabe (bezogen auf einen vereinheitlichten Messwertverlauf ohne Trennmittel) [8] Es ist zu erkennen, dass die einzelnen Trennmittel eine unterschiedliche Beeinflussung des PID-Messwertverlaufes bewirkten. Während z.-B. bei TM-1 (gelbe Linie) ein kleinerer Peak erkennbar ist, stellt sich dieser bei TM-4 (rote Linie) deutlicher dar. Bei beiden Trennmitteln ist jedoch ein zügiges Abflachen des PID-Messwertverlaufes zu erkennen. Hingegen zeigt sich z.-B. beim Trennmittel „TM-5“ (violette Linie) ein mittelhoher Peak, nach welchem eine deutlich langsamere Reduzierung der PID-Messwerte stattfindet. Dies deutet auf eine unterschiedliche Einflussdauer der Trennmittel auf die Emissionsmessungen hin. Es ist zu vermuten, dass die Einflussdauer mit der Ergiebigkeit des jeweiligen Trennmittels zusammenhängt. [8] Entsprechend den IFA-Messungen wurde im Weiteren der Einfluss von Diesel und WD-40 auf die PID-Messwertverläufe betrachtet (siehe Abb. 21). <?page no="301"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 301 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen Abb. 21: Gegenüberstellung der PID-Messwertverläufe-- TM | Diesel | WD 40 (bezogen auf einen vereinheitlichten Messwertverlauf ohne Trennmittel) [8] In Abb. 21 ist zu erkennen, dass Diesel (schwarze Linie) einen gegenüber den Trennmitteln deutlich erhöhten Peak bewirkte, während mit WD-40 (graue Linie) der höchste Peak erzielt wurde. Eine deutlich erhöhte Beeinflussung durch Diesel und WD-40 zeigte sich bereits in den IFA- Messergebnissen und ist innerhalb der PID-Messungen somit plausibel. [8] Gestaffelte Trennmittelzugabe (TM 4) Neben der einmaligen Zugabe von Trennmittel wurde anhand des Trennmittels TM-4 die Auswirkung einer gestaffelten Trennmittelzugabe auf die IFA-Messergebnisse und PID-Messwertverläufe betrachtet. Hierbei wurde 1/ 3 der Trennmittelmenge nach 15, 30 und 45 Minuten dem Asphaltmischgut im Labormischer zugegeben. [8] In Abb. 22 ist der daraus resultierende PID-Messwertverlauf zu erkennen. Abb. 22: PID-Messwertverläufe bei gestaffelter Trennmittelzugabe (TM-4) [15] in Anlehnung an [8] <?page no="302"?> 302 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen In Folge der jeweiligen Trennmittelzugabe zeigen sich unterschiedlich hohe Peaks. Es ist zu vermuten, dass die Peaks aufgrund der im Labormischer vorherrschenden Temperaturen unterschiedlich hoch ausfallen. Im Rahmen von Voruntersuchungen war eine Hysterese im Temperaturverlauf des Labormischers zu erkennen. Eine mögliche Bedeutung der Asphaltmischguttemperatur in Bezug auf die Emissionshöhe wird hierdurch deutlich. [8] Inwiefern sich die gestaffelte Trennmittelzugabe des TM- 4 auf die IFA-Messergebnisse auswirkte, ist in Abb.-23 dargestellt. Zu erkennen ist das IFA-Messergebnis aus dem arithmetischen Mittelwert der drei Referenzmessungen sowie das Messergebnis bei einmaliger und gestaffelter Trennmittelzugabe. Abb. 23: Gegenüberstellung der IFA-Messergebnisse (Gesamt) bzgl. einer gestaffelten Trennmittelzugabe [15] in Anlehnung an [8] Es zeigt sich, dass durch eine gestaffelte Trennmittelzugabe ein höheres IFA-Messergebnis gegenüber der einmaligen Trennmittelzugabe erreicht wurde. Hypothetisch betrachtet kann sich somit ein Trennmittel, welches ergiebiger ist und dadurch seltener aufgetragen werden muss, positiv auf das IFA-Messergebnis auswirken. [8] Zigarettenrauch Im Rahmen der beim Einbau von Walzasphalt durchgeführten PID-Messungen zeigte sich, dass Zigarettenrauch in besonders ungünstigen Fällen einen Einfluss auf die PID-Messwertverläufe haben kann. [7] Dieser potenzielle Einfluss wurde daher ebenfalls innerhalb der Labormessungen untersucht. [8] Das Ergebnis aus den IFA-Messungen ist in der folgenden Abbildung (Abb. 24) dargestellt. Im Vergleich zum arithmetischen Mittelwert aus den drei Referenzmessungen zeigt sich bei der Messung mit Zigarettenrauch ein geringerer Wert. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Messung ohne den Einfluss von Asphaltmischgut erfolgte und lediglich ein Einflusszeitraum von etwa 18 Minuten innerhalb der Gesamtmessdauer von einer Stunde vorherrschte. [8] Abb. 24: IFA-Messergebnis - Zigarettenrauch [15] in Anlehnung an [8] Die einzelnen Zeiträume, in welchen die IFA- und PID- Messgeräte mit Zigarettenrauch beaufschlagt wurden, sind im PID-Messwertverlauf (siehe Abb. 25) erkennbar. Hierbei wird deutlich, dass ein direkt von der Zigarette stammender Rauch (rot markiert) deutlichere Ausschläge im PID-Messwertverlauf verursachte, während sich die Peaks beim ausgeatmeten Rauch (grün markiert) geringer darstellten. [8] Im Rahmen der im Labor durchgeführten IFA- und PID- Messungen zeigt sich, dass sich Zigarettenrauch auf die Ergebnisse beider Messverfahren auswirken kann. In besonders ungünstigen Fällen, in denen z.-B. eine Zigarette direkt neben den Zulauf des IFA-Messkopfes gehalten wird, kann somit auch während des Einbaus von Walzasphalt eine Erhöhung des IFA-Messwertes stattfinden. [8] <?page no="303"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 303 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen 5. Fazit und Ausblick Durch den Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt (TA-Asphalt) und Absaugeinrichtungen an der Fertigerbohle, konnten die Emissionen aus Dämpfen und Aerosolen bei der Heißverarbeitung von Bitumen, bereits deutlich reduziert werden. Dennoch kann der aktuell ausgesetzte Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 1,5-mg/ m³ bisher nicht zielsicher eingehalten werden. [16] Innerhalb der beschriebenen Projekte galt es daher herauszufinden, in welcher Form sich weitere Einflussfaktoren auf die erzielten Messergebnisse auswirken können. Die hierbei durchgeführten PID-Messungen stellten sich gegenüber den IFA-Messungen als plausibel dar. Es zeigte sich u.-a., dass in den IFA-Messergebnissen auftretende Besonderheiten unter Zuhilfenahme der PID-Messungen sowie einer zusätzlichen Aufzeichnung des Bauablaufes mit Kameras, etwaige Ursachen identifiziert werden können. [7] [8] Neben dem Einfluss durch die Windgeschwindigkeit und Windrichtung konnten somit weitere Einflussfaktoren, wie z.-B. der Einsatz von Trennmittel oder Pflege- und Schmierstoffen sowie der Einfluss von Zigarettenrauch auf die PID-Messwertverläufe und IFA-Messergebnisse festgestellt und ausgewertet werden. [7] [8] Ob durch den Einsatz eines pflanzenölbasierten Trennmittels unter Baustellenbedingungen ein niedrigeres PIDbzw. IFA-Messergebnis gegenüber einem mineralölbasierten Trennmittel erreicht werden kann, wird im Auftrag des KoA-Bit in einem weiteren Projekt zusammen mit der TPA GmbH (Hamburg) untersucht. Literatur [1] Musanke, U.; Nies, E., Welge, P. (2020): Der neue Arbeitsplatzgrenzwert für Bitumen - Schritte zur Umsetzung, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), URL: https: / / forum.dguv.de/ ausgabe/ 4-2020/ artikel/ der-neue-arbeitsplatzgrenzwert-fuer-bitumen-schritte-zur-umsetzung, Zugriff: 27.11.2024. [2] Bartsch, R.; Brinkmann, B.; Brüning, T.; Hartwig, A.; Nies, E.; Pallapies, D.; Schriever-Schwemmer, G.; Steinhausen, M.; Welge, P.; Werner, S.C.M. (2019): Bitumen (Dampf und Aerosol bei der Heißverarbeitung) [MAK value documentation in German language, 2019], Wiley-VCH Werlag GmbH & Co.KGaA (Hrsg.), 2019, URL: https: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ pdf/ 10.1002/ 3527600418. mb805242d0067, Zugriff: 27.11.2024. [3] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.; Hülsbömer, M. (2020): Wissenschaftliche Begleitung des Einsatzes von Warmmix-Asphalt (WMA) auf ländlichen Wegen, Münster, 2020, (nicht veröffentlicht). [4] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.; Hülsbömer, M. (2021): Ergänzungsbericht - Wissenschaftliche Begleitung des Einsatzes von Warmmix-Asphalt (WMA) auf ländlichen Wegen, Münster, 2021, (nicht veröffentlicht). [5] Schönauer, T.; Koordt, M.; Buttgereit, A.; Gogolin,- D.; Johannsen, K.; Weßelborg, H.-H. (2021): Einsatz und messtechnische Überprüfung von emis- Abb. 25: PID-Messwertverläufe - Zigarettenrauch [8] <?page no="304"?> 304 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 PID-Messungen im Asphaltstraßenbau - Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen sionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz, In: 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis- - Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung (Tagungshandbuch 2021); Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer (Hrsg.), Tübingen/ Esslingen, 2021. [6] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T. (2022): Durchführung von PID-Messungen beim Einbau von Gussasphalt, Münster, 2022, (nicht veröffentlicht). [7] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T. (2024), Durchführung von PID-Messungen beim Einbau von Walzasphalt, Münster, 2024, (nicht veröffentlicht). [8] Schönauer, T.; Schünemann, M.; Simnofske, D.; Weßelborg, H.-H. (2023), Untersuchung des Einflusses verschiedener Trennmittel auf Emissionsmessungen mit dem IFA-Verfahren und der PID- Messmethode, (nicht veröffentlicht). [9] Breuer, D. (2008): Bitumen (Dämpfe und Aerosole, Mineralölstandard) - IFA-Arbeitsmappe 6305/ 1, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, 2008. [10] Breuer, D. (2008): Bitumen (Dämpfe und Aerosole, Bitumenkondensat-Standard) - IFA-Arbeitsmappe 6305/ 2, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, 2008. [11] Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (Hrsg.) (2009): Analytische Methoden zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, Band 1: Luftanalysen, 16. Lieferung, 2009, URL: https: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ pdf/ 10.1002/ 3527600418. ammobildevd0016, Zugriff: -27.11.2024. [12] Analytical Control Instruments GmbH (Hrsg.) (2016): Portable PID (PPID) - Bedienungsanleitung - Ab Firmware Revision: 1.00.013, Version 2.01, Berlin, URL: https: / / www.aci-berlin.com/ images/ stories/ products/ ppid/ PPID - User Manual (de) - 2.01.pdf, Zugriff: 27.11.2024. [13] OpenStreetMap Foundation (OSMF), lizenziert unter der Open Data Commons Open Database- Lizenz (ODbL), URL: https: / / www.openstreetmap. org/ copyright, Zugriff: 27.11.2024. [14] Eurofins Umwelt Nord GmbH (2022): Expositionsmessungen gemäß TRGS 402, Eurofins-Bericht 21355-001 B01 vom 28.11.2022, (nicht veröffentlicht). [15] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T. (2024): Einflussfaktoren bei der Erfassung von Emissionen im Asphaltstraßenbau, 22. Deutsche Asphalttage, Berchtesgaden, 2024. [16] Ziegenberg, M. (2022): Auswertung von Messergebnissen, asphalt, Ausgabe 02/ 2022, S. 6/ 7. <?page no="305"?> Ökobilanzierung <?page no="307"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 307 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut Leonie Weber, B. Eng. e-hoch-3 eco impact experts GmbH & Co. KG, Darmstadt Zusammenfassung Nachhaltigkeit im Straßenbau ist aufgrund der Klimaziele und CO 2 -Reduktionsvorgaben von zentraler Bedeutung. Unternehmen sind zunehmend verpflichtet, ihre Umweltwirkungen zu minimieren und transparent darzustellen. Ökobilanzierungen (LCA) bieten eine wissenschaftlich fundierte Methode zur Bewertung der Umweltauswirkungen von Bauprodukten wie Asphalt. Umweltproduktdeklarationen (EPDs), die diese Daten enthalten, sind ein wichtiges Instrument für nachhaltige Bauprojekte. Sie ermöglichen eine transparente Kommunikation der Umweltwirkungen und sind oft eine Voraussetzung für öffentliche Ausschreibungen. Die Inhalte von EPDs basieren auf internationalen Normen und berücksichtigen den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Die Ökobilanzierung hilft, Ressourcenverbrauch und Emissionen zu analysieren und potenzielle Umweltprobleme frühzeitig zu erkennen. 1. Die Bedeutung von Nachhaltigkeit im Straßenbau Nachhaltigkeit ist längst kein Schlagwort mehr, sondern eine zentrale Anforderung an den modernen Straßenbau in Deutschland und der EU. Angesichts der ehrgeizigen Klimaziele - wie dem European Green Deal und den nationalen Verpflichtungen zur CO 2 -Reduktion - stehen wir vor der Herausforderung, Infrastrukturprojekte umweltbewusst zu gestalten. Der Straßenbau, als bedeutender Ressourcen- und Energieverbraucher, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Unternehmen im Straßenbau sind zunehmend verpflichtet, ihre Umweltwirkungen transparent darzustellen und zu minimieren. Dies erfordert eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten - von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis hin zur Nutzung und Entsorgung. Die Ökobilanz ist eine praxisnahe, wissenschaftlich fundierte Methode zur Bewertung von Umweltauswirkungen. Besonders Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration, EPD), die neben allgemeinen Produktinformationen auch die Umweltwirkungen in Form einer Ökobilanz enthalten, sind in der Baubranche weit verbreitet. Sie ermöglichen es, Umweltwirkungen klar und nachvollziehbar gegenüber allen Stakeholdern zu kommunizieren. EPDs schaffen eine wertvolle Entscheidungsgrundlage für eine nachhaltigere Planung und Bauausführung. Da EPDs speziell auf Bauprodukte ausgelegt sind, stellen sie ein etabliertes Instrument in der Baubranche dar, das Unternehmen dabei unterstützt, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. 2. Ökobilanzierungen als Schlüssel zur Nachhaltigkeit: Die Rolle der LCA in EPDs für Asphalt 2.1 Umweltproduktdeklarationen (EPDs) im Straßenbau: Bedeutung und Vorteile In einer Branche, die stark von Rohstoffgewinnung, Energieverbrauch und Emissionen geprägt ist, spielen EPDs eine relevante Rolle, um ökologische Nachhaltigkeit in den Fokus zu rücken und den wachsenden Anforderungen an umweltfreundliche Bauweisen gerecht zu werden. Für Unternehmen im Straßenbau bieten EPDs nicht nur die Möglichkeit, ihre Umweltleistung zu dokumentieren, sondern auch Wettbewerbsvorteile zu sichern, indem sie auf die steigende Nachfrage nach umweltbewussten Lösungen reagieren. Eine Umweltproduktdeklaration ist ein dokumentierter Nachweis über die Umweltauswirkungen eines Produkts. Sie basiert auf internationalen Normen wie ISO 14025 und EN 15804 und enthält transparente Informationen zu den Umweltauswirkungen eines Produkts über dessen gesamten Lebenszyklus - von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und den Transport bis hin zum Einbau, zur Nutzung und Entsorgung. Dabei werden Faktoren wie Energieverbrauch, Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch und Abfallmengen berücksichtigt. Der Bedarf an EPDs wächst vor allem im Zusammenhang mit nachhaltigen Bauprojekten und Zertifizierungssystemen wie dem DGNB. Behörden, Bauherren und Planer setzen zunehmend auf EPDs, um die ökologische Qualität von Bauvorhaben zu bewerten und Nachweise für Ausschreibungen zu erbringen. Insbesondere in öffentlichen Vergabeverfahren spielen sie eine wichtige Rolle, da nachhaltiges Bauen nicht mehr nur ein Zusatzkriterium, sondern oft eine zwingende Anforderung ist. 2.2 Die Rolle der LCA in EPDs Ökobilanzen bilden den Kern jeder Umweltproduktdeklaration. Eine fundierte Ökobilanz - auch als Life Cycle Assessment (LCA) bekannt - ermöglicht es, die gesamten Umweltauswirkungen eines Produkts systematisch über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg zu erfassen und zu bewerten. <?page no="308"?> 308 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut 2.3 Ziele und Nutzen der Ökobilanzierung Die Ökobilanz bietet detaillierte Einblicke in den Ressourcenverbrauch und die Emissionen über alle Lebenszyklusphasen hinweg. Sie dient Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern als verlässliche Grundlage, um fundierte und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Dabei liefert sie keine vorgefertigten Lösungen, sondern objektive Daten, die als Entscheidungsbasis genutzt werden können. Produkte oder Prozesse lassen sich so anhand ihres tatsächlichen Nutzens vergleichen - nicht nur anhand quantitativer Größen wie Gewicht oder Volumen. Zudem hilft die Ökobilanz dabei potenzielle Umweltprobleme frühzeitig zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 2.4 Methodik der Ökobilanzierung: Von der Datenerhebung zur Analyse Die Erstellung einer Ökobilanz folgt klaren methodischen Vorgaben, die in internationalen Normen festgelegt sind. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die wichtigsten Schritte der Ökobilanzierung, von der Definition der Systemgrenzen bis hin zur Auswertung der Ergebnisse. Standards und Richtlinien Die Durchführung einer Ökobilanz folgt internationalen Standards, um Vergleichbarkeit und Konsistenz sicherzustellen. Zentral sind dabei die internationalen Standards DIN EN ISO 14040 und DIN EN ISO 14044. Während die ISO 14040 die allgemeinen Grundsätze und den Rahmen für die Lebenszyklusanalyse (LCA) festlegt, beschreibt die ISO 14044 die konkreten Anforderungen und Verfahren für die Erstellung einer Ökobilanz im Detail. Diese Normen stellen sicher, dass die Erhebung von Daten, die Analyse von Umweltauswirkungen und die Interpretation der Ergebnisse nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Für den Bausektor spielt zusätzlich die DIN EN 15804 eine wichtige Rolle. Sie definiert spezifische Anforderungen an die Erstellung von Umweltproduktdeklarationen für Bauprodukte und legt fest, wie Umweltwirkungen berechnet und dargestellt werden müssen. Diese Norm sorgt dafür, dass die LCA-Ergebnisse konsistent und nachvollziehbar sind, was besonders im Bauwesen für die Vergleichbarkeit verschiedener Materialien und Prozesse von Bedeutung ist. Im Rahmen der Ökobilanzierung für Umweltproduktdeklarationen spielen Product Category Rules (PCR) eine zentrale Rolle. PCRs sind regelwerkartige Vorgaben, die spezifische Anforderungen für die Lebenszyklusanalyse eines Produkts innerhalb einer bestimmten Produktkategorie definieren. Sie ergänzen die allgemeinen Standards wie die ISO 14040 und ISO 14044, indem sie detaillierte Kriterien festlegen, wie die Ökobilanz für bestimmte Produktgruppen, wie etwa Asphalt im Straßenbau, erstellt werden muss. PCRs sorgen dafür, dass die Ökobilanzierung innerhalb einer Produktkategorie einheitlich und vergleichbar erfolgt. Sie legen fest, welche Lebenszyklusphasen berücksichtigt werden müssen und welche spezifischen Umweltauswirkungen zu erfassen sind. Für den Straßenbau bedeutet dies, dass bei der Erstellung einer EPD für Asphalt genau definiert wird, welche Prozesse und Emissionen in die Ökobilanz einfließen und wie diese zu quantifizieren sind. So wird beispielsweise der Energieverbrauch in der Produktion, die CO 2 -Emissionen während des Transports oder die Recyclingfähigkeit des Asphalts berücksichtigt. Darüber hinaus geben PCRs auch Aufschluss über die Datenqualität und die Quellen, die zur Erstellung einer LCA verwendet werden dürfen, um die Verlässlichkeit und Transparenz der Ergebnisse zu gewährleisten. Sie spielen somit eine wichtige Rolle bei der Harmonisierung von Ökobilanzen und der Gewährleistung, dass alle relevanten Umweltaspekte eines Produkts systematisch erfasst und korrekt dargestellt werden. Durch die Einhaltung dieser Standards und Richtlinien wird die Ökobilanz zu einem verlässlichen Instrument, das Transparenz schafft und Unternehmen sowie Behörden dabei unterstützt, fundierte Entscheidungen für eine nachhaltigere Bauweise zu treffen. Die Schritte einer Ökobilanz Das Vorgehen bei der Erstellung einer Ökobilanz gliedert sich in vier zentrale Phasen. Abb. 1: Phasen einer Ökobilanz angelehnt an DIN EN ISO 14040 Die erste Phase umfasst die Ziel- und Rahmenfestlegung. Hier werden das Ziel der Studie, der Untersuchungsrahmen und die Systemgrenzen definiert. Dazu gehört auch die Bestimmung der sogenannten funktionellen oder deklarierten Einheit. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Ökobilanz, da sie als Bezugsgröße dient, auf die sämtliche ermittelten Umweltwirkungen bezogen werden. Beispielsweise könnte im Straßenbau der Lebenszyklus von 1-Tonne Asphalt von der Rohstoffgewinnung bis zum Rückbau analysiert werden. In der zweiten Phase, der Sachbilanz (eng. Life Cycle Inventory, LCI) erfolgt die Erhebung aller relevanten Daten <?page no="309"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 309 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut zu Material- und Energieflüssen. Dabei werden Inputs wie Rohstoffe und Energie sowie Outputs wie Emissionen und Abfälle entlang der betrachteten Lebenszyklusphasen erfasst. Diese Phase erfordert eine sorgfältige Datensammlung, um alle Prozesse und deren Umweltwirkungen präzise abzubilden. Die dritte Phase ist die Wirkungsabschätzung (eng. Life Cycle Impact Assessment, LCIA). Hier werden die erfassten Daten den verschiedenen Umweltindikatoren zugeordnet und bewertet. Zu den wichtigsten Kategorien gehören etwa der Ressourcenverbrauch, die Treibhausgasemissionen (CO 2 -Äquivalente) und die Versauerung. Welche Umweltindikatoren letztlich berücksichtigt werden, hängt jedoch von den spezifischen Anforderungen der Untersuchung ab. Vorgaben hierzu können in den sogenannten Product Category Rules oder ähnlichen branchenspezifischen Dokumenten festgelegt sein. Darüber hinaus kann die Auswahl der Umweltindikatoren auch von den besonderen Umweltauswirkungen eines Produkts oder dessen Einsatzkontext abhängen. In der abschließenden vierten Phase, der Interpretation der Ergebnisse, werden die Daten analysiert und die Erkenntnisse zusammengefasst. Ziel ist es, Hotspots im Lebenszyklus zu identifizieren, also Bereiche mit besonders hohen Umweltbelastungen. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für Handlungsempfehlungen und Optimierungsmöglichkeiten, die Unternehmen helfen, umweltfreundlichere Entscheidungen zu treffen und potenzielle Schwachstellen im Prozess frühzeitig zu erkennen. Der Prozess einer Ökobilanz ist als iterativ zu verstehen, wobei die einzelnen Phasen nicht linear durchlaufen werden, sondern vielmehr dynamisch angepasst werden können. Erkenntnisse und Unstimmigkeiten, die in späteren Phasen auftreten, können dazu führen, dass frühere Schritte überprüft und modifiziert werden müssen. Dies gewährleistet, dass der Untersuchungsrahmen, die Datensammlung und die Analyse kontinuierlich optimiert und an neue Erkenntnisse angepasst werden, um eine möglichst präzise und valide Ergebnisfindung zu ermöglichen. Im Folgenden wird detailliert erläutert, wie eine Ökobilanz im Rahmen einer EPD für Asphalt aufgebaut ist. Dabei wird erläutert, wie Daten zu Rohstoffen, Energieverbrauch und Emissionen gesammelt und ausgewertet werden, um eine transparente und verlässliche Analyse zu gewährleisten. 3. Praktische Erkenntnisse zur Datenerhebung im Asphaltmischwerk: Ein Leitfaden für die Sachbilanz Im Rahmen eines Projekts zur Entwicklung eines Begleitdokuments für die Product Category Rules (PCR) für Asphaltmischgut wurde eine exemplarische Umweltproduktdeklaration erstellt. Diese EPD diente nicht nur als Modell zur Veranschaulichung des Prozesses, sondern auch als wichtige Quelle für praktische Erkenntnisse und Herausforderungen im Bereich der Ökobilanzierung. Insbesondere konzentrierte sich die Datenerhebung auf die Module A1 bis A3, welche die Rohstoffgewinnung, Transportprozesse sowie die Produktion im Asphaltmischwerk umfassen. Diese Module sind für alle EPDs verpflichtend und bilden daher eine essenzielle Grundlage für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Abb. 2: Phasen des Lebenszyklus angelehnt an DIN EN 15804 <?page no="310"?> 310 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut Während der Erstellung der Sachbilanz traten spezifische Herausforderungen und wichtige Lernerfahrungen zutage, die für die Entwicklung des Begleitdokuments von zentraler Bedeutung waren. Das Ziel dieses Kapitels ist es, diese Erkenntnisse detailliert darzustellen und praxisnahe Lösungsansätze aufzuzeigen, die bei der Datenerhebung und -auswertung im Asphaltmischwerk unterstützen. So wird sichergestellt, dass die ermittelten Daten nicht nur den Anforderungen an Transparenz und Genauigkeit genügen, sondern auch eine konsistente und reproduzierbare Basis für künftige EPDs bilden. Der nachfolgende Leitfaden bietet wertvolle Einsichten für alle Akteure, die an der Erstellung von Umweltproduktdeklarationen im Bereich Asphalt beteiligt sind. Ziel ist es, eine einheitliche Datengrundlage zu schaffen und damit zur Vergleichbarkeit von EPDs beizutragen. Die Erfahrungen aus diesem Projekt verdeutlichen die methodischen Anforderungen bei der Sachbilanzierung, also der Erfassung aller relevanten Stoff- und Energieflüsse, sowie die Herausforderungen und Erkenntnisse, die dabei gewonnen wurden. Ziel der exemplarischen EPD war es, die relevanten Herstellungsdaten zur exemplarischen Berechnung der Umweltwirkungen von 1 Tonne Asphaltmischgut (AC-32-T-S) mit einer Siebgröße von 32-mm zur Verwendung von Verkehrsflächen mit besonderer Beanspruchung, zu erfassen. Bevor die Ökobilanz durchgeführt wird, ist es essenziell, ein tiefgehendes Verständnis der Prozesse des zu untersuchenden Systems zu erlangen. Dies wird idealerweise durch eine Vor-Ort-Begehung erlangt. Eine umfassende Begehung des Asphaltmischwerks bildete die Grundlage für die Datenerhebung. Vor Ort konnten alle wesentlichen Prozesse, Parameter und Besonderheiten dokumentiert werden, die in die Ökobilanz einfließen. Ein detailliertes Prozessverständnis ist wichtig, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte des Produktionsablaufs erfasst werden und die damit einhergehenden In- und Output Parameter für die Ökobilanz. Abb. 3: Vereinfachtes Produktsystem zur Produktion von Asphaltmischgut am Werk Im Allgemeinen werden die folgenden Parameter bei der Berechnung von Umweltwirkungen relevant: 1. Rohstoffe In der LCA müssen alle Rohstoffe berücksichtigt werden, die in das Endprodukt einfließen. Dazu gehören Bitumen, verschiedene Gesteinsarten (z. B. Basalt, Splitt, Sand) und Recyclingasphalt (RAP). Dabei ist nicht nur die tatsächlich im Endprodukt enthaltene Menge relevant, sondern auch der Materialinput inklusive prozessbedingter Verluste und Ausschuss. Zusätzlich spielt die Herkunft der Rohstoffe eine wichtige Rolle. Wenn Gestein aus eigenen Steinbrüchen bezogen wird, ermöglicht dies den Einsatz von Primärdaten für die Module A1 (Rohstoffgewinnung) und A2 (Transport). Diese Daten haben eine hohe Qualität und bieten präzisere Einblicke in die Umweltwirkungen des Produkts. Auch Betriebsmittel, die in der Produktion von Asphaltmischgut zum Einsatz kommen, müssen berücksichtigt werden. Herausforderung und Erkenntnis: Die Auf bereitung von Rohstoffen auf dem Werksgelände wird ebenfalls in Modul A3 erfasst. Dabei treten jedoch Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Asphaltmischwerken auf. In einigen Fällen werden die Gesteine bereits auf bereitet angeliefert, sodass der Energieverbrauch für die Auf bereitung nicht in A3 berücksichtigt wird. In anderen Fällen müssen die Gesteine vor der Verarbeitung auf dem Werksgelände zerkleinert werden, wodurch der Energieaufwand für diese Auf bereitung in A3 einfließt. Dadurch verschieben sich die entsprechenden Anteile in den Phasen A1 und A3. Betriebsmittel werden häufig im Rahmen einer jährlichen Wartung beschafft. Dies ermöglicht eine repräsentative Erfassung von Betriebsmittel im Jahresverbrauch. Dieser Verbrauch kann anschließend auf 1 Tonne Asphaltmischgut heruntergerechnet werden. <?page no="311"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 311 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut Wenn RAP bei der Herstellung des zu bilanzierenden Asphaltmischguts verwendet wird, muss der enthaltene Bitumenanteil aus dem RAP sowie die Menge an Neubitumen korrekt in der Rohstoffzusammenstellung berücksichtigt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Bitumenanteile aus RAP und Neubitumen korrekt zugeordnet und nicht doppelt erfasst werden. 2. Energie Für eine vollständige Sachbilanz müssen alle Energieverbräuche erfasst werden, die während der Herstellung anfallen. Dazu zählen für die Erfassung der Energiedaten in Modul A3 elektrische Energie, Heizenergie für Trocknungsanlagen (z. B. Braunkohlestaub, Heizöl) und Kraftstoffverbräuche von Fahrzeugen vor Ort. Diese Daten bilden die Grundlage zur Berechnung der Umweltwirkungen des Energieeinsatzes. Herausforderung und Erkenntnis: Energieverbräuche schwanken stark im Jahresverlauf, insbesondere durch den Feuchtigkeitsgehalt des Gesteins. Um diese saisonalen Schwankungen abzubilden, wurden Verbrauchsdaten eines gesamten Jahres erfasst und auf eine Tonne Asphaltmischgut heruntergerechnet. Diese Methode gewährleistet eine repräsentative Datengrundlage. Die Erkenntnis hieraus war, dass eine punktuelle Erfassung nicht ausreicht, um den tatsächlichen Energiebedarf realistisch dazustellen - eine ganzjährige Betrachtung ist essenziell. 3. Verschleißteile und Betriebsmittel Auch der Verbrauch von Verschleißteilen und Betriebsmitteln muss in der Sachbilanz berücksichtigt werden. Dabei ist es wichtig, jene Teile zu erfassen, die während des Betrachtungszeitraums (in diesem Fall ein Jahr) tatsächlich ersetzt werden. Herausforderung und Erkenntnis: Die Herausforderung besteht darin, zwischen relevanten und vernachlässigbaren Teilen zu unterscheiden. Im Projekt wurde festgestellt, dass Verschleißteile mit langen Austauschzyklen vernachlässigt werden können, während häufig ersetzte Komponenten wie Mischerarme und Schutzbleche in die Bilanz einfließen sollten. 4. Emissionen Emissionen, insbesondere Treibhausgase, sind zentrale Indikatoren in der LCA. Eine Erfassung der relevanten Emissionen, die bei der Produktion des Asphaltmischguts am Werk freigesetzt werden, ist zwingend notwendig. Dabei kann zum Teil auf Daten aus Emissionsmessungen zurückgegriffen werden. Herausforderung und Erkenntnis: Punktuelle Emissionsmessungen liefern keine repräsentativen Ergebnisse, da die sie lediglich über einen kurzen Zeitraum, meist nur wenige Stunden, durchgeführt werden und somit nur eine Momentaufnahme des tatsächlichen Emissionsgeschehens darstellen. Diese Messungen erfolgen typischerweise am Schornstein, wobei die erfassten Emissionswerte stark von den aktuellen Witterungsbedingungen abhängen. Faktoren wie Feuchtigkeitsgehalt des Gesteins, das getrocknet wird, beeinflussen den Verbrennungsprozess der eingesetzten Energieträger, was wiederum zu Schwankungen bei den Emissionen führt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf CO 2 -Emissionen, die in der Branche eine zentrale Rolle spielen. Da punktuelle Messungen hier keine zuverlässige Datengrundlage bieten, wird lediglich der CO 2 -Ausstoß nicht direkt aus den Messungen abgeleitet. Stattdessen erfolgt die Berechnung anhand öffentlich zugänglicher Emissionsfaktoren des Umweltbundesamtes sowie der eingesetzten Heizenergiemengen. Diese Methode ermöglicht eine konsistentere und genauere Ermittlung der CO 2 - Emissionen über längere Zeiträume und berücksichtigt die variablen Einflussfaktoren des Verbrennungsprozesses besser als punktuelle Messungen. Dieses Vorgehen ist rein auf die Erfassung von CO 2 durch Verbrennungsprozesse am Standort bezogen und schließt eine Erfassung anderer Emissionen über Emissionsmessungen nicht aus. 5. Abfälle Die Erfassung von Abfalldaten ist ebenfalls Teil der Sachbilanz. Hierzu zählen kommunale Abfälle, sowie die Entsorgung von Verschleißteilen und Betriebsmittel. Herausforderung und Erkenntnis: Es zeigte sich, dass die Dokumentation von Abfällen stark zwischen Asphaltmischwerken variiert. Während einige Werke detaillierte Berichte führen, fehlen bei anderen verlässliche Daten. Daher ist es wichtig, Unterschiede offenzulegen und transparente Kriterien für die Datenerhebung zu schaffen. 4. Fazit Auf Grundlage der detaillierten Untersuchung und Auswertung der Ökobilanzierungsdaten im Rahmen des Projektes konnte ein umfassendes Begleitdokument für die Product Category Rules (PCR) für Asphaltmischgut entwickelt werden. Die gewonnenen Erkenntnisse aus der Sicht der Sachbilanz, insbesondere die präzise, ausgewählte Erfassung der Rohstoff- und Energieflüsse sowie die Emissionen und Abfälle, fließen direkt in die Ausarbeitung der PCR ein und bilden die Grundlage für eine standardisierte und transparente Ökobilanzierung von Asphaltprodukten. <?page no="312"?> 312 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit messen: Ökobilanzierung im Straßenbau am Beispiel EPD-Asphaltmischgut Das Begleitdokument für die PCR von Asphaltmischgut umfassen nun klare Vorgaben zur Erhebung und Bewertung der Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus des Produkts, von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Entsorgung und dem Recycling [1]. Dabei wurden nicht nur die relevanten Umweltindikatoren wie CO 2 -Emissionen, Energieverbrauch und Abfallmengen berücksichtigt, sondern auch die spezifischen Anforderungen an die Datenerhebung und die Qualität der verwendeten Daten, wie sie in den Ergebnissen der Sachbilanz ermittelt wurden. Ein zentraler Aspekt ist die Berücksichtigung der unterschiedlichen Herstellungsprozesse und die Berücksichtigung von saisonalen Schwankungen im Energieverbrauch, wie sie insbesondere durch den Feuchtigkeitsgehalt des Gesteins entstehen. Zudem wurde ein Standard für die Dokumentation und Berechnung von Emissionen festgelegt, um eine konsistente und vergleichbare Datengrundlage zu gewährleisten. Das Begleitdokument ermöglicht den Asphaltproduzenten, eine einheitliche, transparente und wissenschaftlich fundierte Umweltbewertung ihrer Produkte vorzunehmen und dabei die Anforderungen an Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu erfüllen. Durch die klare Definition der relevanten Umweltauswirkungen und die methodischen Vorgaben zur Datenerhebung können Unternehmen ihre Umweltleistung effizient dokumentieren und verbessern. Literatur [1] DeutscherAsphaltVerband (DAV) e.V.: https: / / www. asphalt.de/ home/ <?page no="313"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 313 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten Dipl.-Ing. (FH) Michael Fuchs, M. Sc. Betonverband Straße, Landschaft, Garten e. V. (SLG), Bonn Zusammenfassung Einen bedeutenden Einfluss auf die Höhe der Umweltwirkungen hat die Herstellungsphase der Baustoffe für die Deckschicht (Module A1-A3). Bei den Bauweisen mit Asphalt, Betonstein und Klinker dominieren die Module A1-A3 die Höhe der Umweltwirkungen in Bezug auf das Treibhauspotenzial GWP (Global Warming Potential) und den nicht erneuerbaren Primärenergiebedarf, total, PENRT (Primary Energy Non-Renewable, Total). Bei den Bauweisen mit Natursteinprodukten ergibt sich der bedeutendste Einfluss jedoch aus dem Transport der Produkte zur Baustelle (Modul A4), was in dem vergleichsweisen hohen Importanteil dieser Produkte begründet liegt. Ein Vergleich der in dieser vorläufigen Studie [1] untersuchten Oberbaukonstruktionen zeigt, dass mit Bauweisen unter Verwendung von Betonprodukten aus Sicht der Ökobilanz vorteilhafte Gesamtlösungen zu erzielen sind, dessen Angaben derzeit im Rahmen des Critical Review überprüft werden. 1. Einführung Die Aspekte Klimaschutz und Ressourcenverbrauch erlangen eine immer größere Bedeutung im Bauwesen. Die Umweltwirkungen von Baustoffen und Bauweisen, insbesondere der damit einhergehende Energieverbrauch und der CO 2 -Ausstoß, sind zwar von hohem politischem Interesse und rücken daher mehr und mehr in den Fokus bei der Planung von Baumaßnahmen, doch gibt es im Hinblick auf belastbare Daten zum Vergleich von Verkehrsflächenauf bauten bisher nur wenige Untersuchungsergebnisse. Diese Tatsache hat den Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.-V. (SLG) dazu bewogen, das Treibhauspotenzial und andere Umweltwirkungen von unterschiedlichen Oberbaukonstruktionen für Verkehrsflächenbefestigungen untersuchen und vergleichen zu lassen. Mit der Erstellung der Ökobilanzstudie wurde der Fachbereich Baubetrieb und Bauwirtschaft der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) beauftragt, der diese im ersten Halbjahr 2024 ausgearbeitet hat. 2. Angewandte Methodik 2.1 Allgemeines Die Erstellung der Ökobilanz wurde entsprechend den normativen Anforderungen für Ökobilanzen, d.- h. gemäß DIN EN ISO 14040 [3] und DIN EN ISO 14044 [4] erstellt. Sie berücksichtigt alle nach DIN EN 15804 [2] geforderten Umweltindikatoren. Die Durchführung erfolgte unter Anwendung von öffentlich zugänglichen Umwelt-Produktdeklarationen (EPD) und generischen Datensätzen aus der Datenbank ÖKOBAUDAT, damit die Ergebnisse belastbar, transparent und nachvollziehbar sind. 2.2 Untersuchte Verkehrsflächenbefestigungen In dieser vorläufigen Studie [1] wurden drei beispielhaft ausgewählte, für den kommunalen Bereich typische Verkehrsflächen-befestigungen untersucht. Die Deckschicht wurde jeweils variiert, wobei auch hier auf für die jeweilige Befestigung typische Deckschichten geachtet wurde. Dabei handelt sich um die nachstehend näher beschriebenen Oberbaukonstruktionen: - Beispiel 1: Sammelstraße, Aufbau gemäß RStO 12/ 24 [5] für Bk3,2. Deckschicht in Asphalt- und Betonpflasterbauweise. - Beispiel 2: Fußgängerzone mit Lieferverkehr, Aufbau gemäß RStO 12/ 24 [5] für Bk3,2. Deckschicht als Großformatbelag (Betonsowie Natursteinplatten) und in Klinkerpflasterbauweise (Hochkantverlegung). - Beispiel 3: Gehweg, Aufbau gemäß RStO 12/ 24 [5], Tafel 6, Zeile 2. Deckschicht in Asphalt-, Betonpflaster-, Klinkerpflaster- und Natursteinpflasterbauweise. 2.3 Datengrundlagen Ein Großteil der verwendeten Datensätze entstammt der ÖKOBAUDAT. Wenn in der Datenbank kein passender Datensatz vorhanden ist, wird ein extern verifizierter Datensatz aus einer veröffentlichten Umweltproduktdeklaration (EPD) gewählt. Welche Datensätze für welche Rohstoffe bzw. welchen Prozess verwendet wurden, kann der Tabelle 1 entnommen werden. Hier sind die Datensätze unter anderem mit Identifikation, Quelle und Gültigkeit aufgelistet. Da alle in der ÖKOBAUDAT hinterlegten Datensätze sowie auch die verwendeten Umweltproduktdeklarationen nach der DIN EN 15804 [2] modelliert wurden, kann die Datenqualität als gut angenommen werden, was jedoch noch im Rahmen des laufenden Critical Review zu überprüfen ist. <?page no="314"?> 314 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten Tab. 1: Übersicht der verwendeten Datensätze Prozess/ Schicht Name Datensatz Identifikation Quelle Gültigkeit Eigentümer Binderschicht Asphaltbinder 3d1b480d-243f-4ff2aa16-428e1a93f5d8 ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Deckschicht Tragdeckschicht 24d554b6-a720-45a3b80d-17a46e612f26 ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Asphalttragschicht Asphalttragschicht f34786e7-0953-4085- 9f3d-955481cdd4ea ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Frostschutzschicht Schotter 16/ 32 85fc79d8-ba39-4236- 993e-eeb928d9ae6f ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Schottertragschicht Schotter 16/ 32 85fc79d8-ba39-4236 -993e-eeb928d9ae6f ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Bettungs- und Fugenmaterial Sand 0/ 2 8125026b-602d-47d5- 9087-7470c457d10a ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Transport (A4) Lkw b086b411-019a-4ddc- 8fe9-0c264051c24b ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Transport (A4) Bahntransport dbd05a45-6ed0-4e8e- 9679-434746979544 ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Transport (A4) Containerschiff 62d19bf5-ef5c-4468b533-e42959fda0f0 OKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Bodenaushub Verkehrsfläche (A5) Bagger 100 kW Aushub e6d99030-e78c-4aa7- 87da-c6a69208b569 ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Bodenaushub Gehweg (A5) Bagger 15 kW Aushub e6d99030-e78c-4aa7- 87da-c6a69208b569 ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Betonstein A2-Betonpflaster- Standardstein grau mit Vorsatz 0fdca580-3027-493da3c7-815758bac55d ÖKOBAU-DAT 2026 Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. Naturstein Natursteinplatte, hart, Außenbereich 72d8921b-8ac0-471b- 943a-47871bd8d76a ÖKOBAU-DAT 2024 Sphera Solutions GmbH Klinker Pflasterziegel und Pflasterklinker EPD-BDZ-20230089- ICG3-DE IBU 2028 Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie e.V. 2.4 Untersuchungsumfang Innerhalb der vorläufigen Studie [1] wird der gesamte Lebenszyklus der Oberbaukonstruktionen mit Ausnahme der Nutzungsphase untersucht (siehe Tab. 5). Er umfasst somit die Herstellungs-, Entsorgungs- und Recyclingphase (Module A1-A5, C1-C4 sowie D). Soweit vorhanden werden für die jeweiligen Module immer die Daten aus den in Tabelle 1 aufgeführten Datensätzen verwendet. Eine Ausnahme bildet hierbei das Modul A4, da dieses für jede Verkehrsflächenbefestigung individuell gerechnet wird. Hierbei werden die in Tabelle 2 definierten Transportentfernungen zugrunde gelegt. Tab. 2: Zugrunde gelegte Transportentfernungen Herkunftsmix- Szenarien und Transportmittel Herkunftsland und Verteilung China Europa Deutschland Herkunftsmix 1 50 % 43 % 7 % Herkunftsmix 2 40 % 30 % 30 % Transportmittel Herkunftsland und Transportentfernung Containerschiff 18880 km Bahntransport 500 km 1000 km Lkw 60 km 100 km 350 km Abweichend von dieser Methodik wird für die Natursteinprodukte der im Modul A4 hinterlegte Wert verwendet, da dieses Modul den Herkunftsmix-1 [siehe Tab. 3] bereits berücksichtigt. Um einen zweiten, weniger pessi- <?page no="315"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 315 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten mistischen Ansatz für die Transportentfernungen für Natursteinprodukte zu berücksichtigen, wird für alle Befestigungen mit Naturstein der Herkunftsmix 2 [siehe Tab. 3] berücksichtigt. Tab. 3: Zugrunde gelegte Herkunftsmix-Szenarien und Transportmittel für Natursteinpflaster Material Transportentfernung (Lkw-Transport) Asphaltbinder 100 km Asphaltdeckschicht 100 km Asphalttragschicht 100 km Material für Frostschutz- und Tragschicht 20 km Sand für Bettung und Fugenfüllung 20 km Betonpflastersteine 50 km Betonplatten (Großformate) 100 km Natursteinplatten (Großformate) Natursteinpflaster in Datensatz inkludiert Klinkerpflastersteine 100 km In Bezug auf die enthaltenen Pflasterdecken basieren die Berechnungen auf den in Tabelle 4 angenommenen Abmessungen und den zugehörigen Fugenanteilen. Tab. 4: Abmessungen der Pflastersteine und Großformate sowie Fugenanteile der Pflasterdecken Steine bzw. Großformate Abmessungen der Steine bzw. Großformate Fugenanteil in der Decke Länge Breite Dicke mm mm mm % Beispiel 1 - Verkehrsfläche mit überwiegend funktionalem Charakter, z. B. Sammelstraße Beton-Verbundpflastersteine 100 4,0 Beton-Verbundpflastersteine 120 4,0 Beispiel 2 - Verkehrsfläche mit funktionalem und gestalterischem Charakter, z. B. Fußgängerzone mit Lieferverkehr Betonplatten (Großformate) 600 400 160 4,1 Natursteinplatten (Großformate) 600 400 160 4,1 Klinkerpflastersteine "hochkant" 244 84 118 6,3 Beispiel 3 - Gehweg Betonpflastersteine 100 200 80 5,9 Kleinpflaster aus Naturstein 100 100 100 15,4 Klinkerpflastersteine „flach“ 244 122 71 4,9 Für die Nutzungsphase wird davon ausgegangen, dass keine Erhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Es wird unterstellt, dass alle Befestigungen fachgerecht geplant und ausgeführt werden und die ihnen zugedachte Nutzungsdauer von z.-B. 30 Jahren erreichen. Eine Unterscheidung der Nutzungsdauer der Pflasterbefestigungen nach den für die Decke verwendeten Baustoffen Beton, Naturstein und Klinker ist weder üblich noch sachlich gerechtfertigt, da zum einen die Leistungsfähigkeit einer Pflasterbefestigung im Wesentlichen von den Tragschichten bestimmt wird und zum anderen für die untereinander verglichenen Befestigungen gleiche Verkehrsbeanspruchungen über den Nutzungszeitraum angenommen werden. Eine Betrachtung der Nutzungs-phase im Rahmen der Module B1-B7 erfolgt daher nicht. Im Hinblick auf die Module C und D wird davon ausgegangen, dass die Frostschutzschichten und die Schottertragschichten nicht gezielt zurückgebaut werden, sondern an Ort und Stelle verbleiben. Es erfolgt demnach keine Entsorgung aber auch keine Auf bereitung infolgedessen etwaige Gutschriften erfolgen würden. Ebenfalls wird für das Fugenmaterial kein gezielter Rückbau angenommen. Dieses Material haftet gegebenenfalls an den Pflastersteinen (Pflasterkitt), wird aber nicht auf bereitet. Demnach umfassen die Module C und D Lasten und Gutschriften infolge der Nachnutzung der Pflastersteine und Großformate aus Beton und Naturstein sowie der Pflasterklinker und der Asphaltdeck- und Asphalttragschichten. Der Rückbau der benannten Materialien erfolgt teilweise maschinell und teilweise manuell. Im Modul C1 sind nur die maschinellen Aufwendungen aus ökobi- <?page no="316"?> 316 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten lanzieller Sicht bewertbar. Der Rückbau erfolgt maschinell mittels Bagger (Modul C1). Der Transport vom Ort der Nutzung zum Ort der Auf bereitung mittels Lkw beträgt durchschnittlich 50 km und wird in Modul C2 adressiert. Die aus der Nachnutzung resultierenden Gutschriften für die rezyklierten Gesteinskörnungen sind Modul D zugeordnet. Direkt nach dem Auf bereitungsvorgang wiederverwendbares Deckschichtmaterial wird ebenfalls in Modul D adressiert. Tab. 5: Systemgrenzen der Ökobilanzberechnungen A1-A3 Herstellungsphase A4-A5 Bauphase B1-B7 Nutzungsphase C1-C4 Entsorgungsphase D Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenze A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 B6 B7 C1 C2 C3 C4 D Rohstoffbereitstellung Transport Herstellung Transport Bau-/ Einbauprozess Nutzung Instandhaltung Reparatur Ersatz Umbau/ Erneuerung betrieblicher Energieeinsatz betrieblicher Wassereinsatz Rückbau, Abriss Transport Abfallbehandlung Deponierung Wiederverwendungs-, Rückgewinnungs-, Recycling- Potenzial x x x x x x x in Ökobilanz enthalten x Modul nicht deklariert Als Referenzgröße wird 1 m² Oberbaukonstruktion der Verkehrsflächenbefestigungen inklusive des dafür notwendigen Bodenaushubs gewählt. 3. Studienergebnisse 3.1 Allgemeines Die Ökobilanz (Life Cycle Assessment - LCA) ist ein Werkzeug zur Analyse und Charakterisierung der Umwelteinflüsse, die durch Produktion, Nutzung, Entsorgung und Recycling eines Produkts oder Produktsystems verursacht werden. Das Ergebnis einer Ökobilanz resultiert nicht aus einer einzelnen Ergebniszahl oder einer einzigen Aussage, sondern ermöglicht eine differenzierte Ergebnisdarstellung zu unterschiedlichen Umweltwirkungen. Die im Abschnitt 2 beschriebene Vorgehensweise ermöglicht die Berechnung verschiedener Wirkungskategorien und Umweltindikatoren. Eine Wirkungskategorie beschreibt den potenziellen Effekt eines Produktionsprozesses auf die Umwelt. Der Einfluss unterschiedlicher Ressourcen und Emissionen wird je Umweltwirkungskategorie normalisiert und zu einer spezifischen Ressource/ Emission in Form von „Äquivalenten“ addiert; z.-B. werden die Treibhaus-gase mit der Einheit „kg CO 2 -Äquivalente“ ausgewiesen. Wirkungskategorien werden durch sogenannte „Elementarflüsse“ der Material- und Energiemengen berechnet. Elementarflüsse beschreiben die Menge an Ressourcen, die für die Herstellung der Vorprodukte und der Erzeugung von Energie aus der Umwelt entnommen werden, wie auch die Emissionen in die Umwelt, welche durch das Produktsystem verursacht werden. Innerhalb der vorläufigen Studie [1] werden die nach DIN EN 15804 [2] geforderten Wirkungskategorien und Umweltindikatoren betrachtet. Es werden insbesondere die Umweltwirkung hinsichtlich des Einsatzes von nicht erneuerbarer Primärenergie sowie des Treibhauspotenzials (CO 2 -Ausstoß) hervorgehoben. Die genannten Indikatoren lassen Aussagen im Hinblick auf den Klimawandel sowie auf die Energie- und Ressourceneffizienz zu, die von hohem politischem Interesse sind und zu den drängendsten Umweltfragen der Gegenwart gehören. Diese Indikatoren dienen daher häufig der Entscheidungsfindung und der Kommunikation. 3.2 Studienergebnisse zum GWP und PENRT Einen bedeutenden Einfluss auf die Höhe der Umweltwirkungen hat die Herstellungsphase der Baustoffe für die Deckschicht (Module A1-A3). Wie den Abbildungen 1 bis 6 zu entnehmen ist, dominieren bei den Bauweisen mit Asphalt, Betonstein und Klinker dominieren die Module A1-A3 die Höhe der Umweltwirkungen in Bezug auf das Treibhauspotenzial GWP (Global Warming Potential) und den nicht erneuerbaren Primärenergiebedarf, total, PENRT (Primary Energy Non-Renewable, Total). <?page no="317"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 317 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten Wie in den Abbildungen 3 bis 6 dargestellt, ergibt sich bei den Bauweisen mit Natursteinprodukten der bedeutendste Einfluss jedoch aus dem Transport der Produkte zur Baustelle (Modul A4), was in dem vergleichsweisen hohen Importanteil dieser Produkte begründet liegt. Die Auswertung des nicht erneuerbaren Primärenergiebedarfs [Abb. 4 und 6] macht deutlich, dass selbst bei Natursteintransporten innerhalb Europas allein durch den Transport dieselbe Größenordnung an nicht erneuerbarer Primärenergie erreicht wird, wie durch die Herstellung der Natursteine selbst. Die Natursteintransporte aus Übersee zeigen am Beispiel China deutlich, dass diese Bezugsform ökobilanziell erheblich nachteilig ist. Auch das Treibhauspotenzial zeigt für einen Natursteintransport aus Übersee höhere Werte als für die alleinige Herstellung. Ein lokaler Bezug von Baustoffen für Verkehrsflächenbefestigungen ist daher aus Sicht der Ökobilanz in jedem Fall vorzuziehen, was prinzipiell für alle in Frage kommenden Baustoffe gilt. Wie den Abbildungen 1 bis 6 zu entnehmen ist, fällt insbesondere für die Verwendung von Beton- und Natursteinprodukten auf, dass Aufwendungen in der Herstellungsphase aufgrund der sehr guten Wiederverwendbarkeit im End-of-Life-Szenario gut kompensiert werden können. Natursteinpflaster und Naturstein-Großformate können nahezu vollständig wiederverwendet werden, wodurch erneute Aufwendungen in der Herstellungsphase sowie teilweise lange Transportwege entfallen. Zusammenfassend ergeben sich bei der Betrachtung „cradle to grave“ für die Betonsteinvarianten innerhalb der miteinander verglichenen Befestigungen vorteilhafte Bilanzergebnisse. Abb. 1: Berechneter GWP-Ausstoß/ m² Verkehrsflächenbefestigungen für das Beispiel Sammelstraße Abb. 2: Berechneter PENR/ m² Verkehrsflächenbefestigung für das Beispiel Sammelstraße Abb. 3: Berechneter GWP-Ausstoß/ m² Verkehrsflächenbefestigungen für das Beispiel Fußgängerzone <?page no="318"?> 318 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten Abb. 4: Berechneter PENR/ m² Verkehrsflächenbefestigung für das Beispiel Fußgängerzone Abb. 5: Berechneter GWP-Ausstoß/ m² Verkehrsflächenbefestigungen für das Beispiel Gehweg Abb. 6: Berechneter PENR/ m² Verkehrsflächenbefestigung für das Beispiel Gehweg 4. Fazit Mit Blick auf die beiden im Fokus der Öffentlichkeit und der Politik stehenden Umweltwirkungen Treibhauspotenzial (CO 2 -Ausstoß) und Verbrauch von nicht erneuerbarer Primärenergie (wesentliche Energieträger sind Erdöl, Erdgas und Kohle) sind die hier untersuchten Verkehrsflächenbefestigungen am vorteilhaftesten, wenn die Deckschicht mit Betonstein zur Ausführung kommt. Ein Vergleich der im vorläufigen Informationspapier Vergleichende Ökobilanz - Oberbaukonstruktionen von Verkehrs-flächen mit unterschiedlichen Deckschichten - Lang-fassung [1] untersuchten Oberbaukonstruktionen, dessen Angaben derzeit im Rahmen des Critical Review überprüft werden, zeigt, dass mit Bauweisen unter Verwendung von Betonprodukten aus Sicht der Ökobilanz in Bezug auf den Treibhausgasemissionen sowie auf dem nicht erneuerbaren Primärenergiebedarf vorteilhafte Gesamtlösungen zu erzielen sind. Die darin enthaltenen Zahlen lassen aber auch die Auswertung aller anderen, gemäß der DIN EN 15804 [2] ermittelten Ökobilanzergebnisse zu. <?page no="319"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 319 Vergleichende Ökobilanz für Oberbaukonstruktionen von kommunalen Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten Literatur [1] (2024), Informationspapier Vergleichende Öko-bilanz - Oberbaukonstruktionen von Verkehrsflächen mit unterschiedlichen Deckschichten - Langfassung, Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. [2] (2022), DIN EN 15804 - Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte, Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN), Berlin, Deutsche Fassung EN 15804: 2012+A2: 2019 + AC: 2021, DIN Media [3] (2021), DIN EN ISO 14040 - Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen (ISO 14040: 2006 + Amd 1: 2020), Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN), Berlin, Deutsche Fassung EN ISO 14040: 2006 + A1: 2020, DIN Media [4] (2021), DIN EN ISO 14044 - Umweltmanagement - Ökobilanz - Anforderungen und Anleitungen (ISO 14044: 2006 + Amd 1: 2017 + Amd 2: 2020), Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN), Deutsche Fassung EN ISO 14044: 2006 + A1: 2018 + A2: 2020, DIN Media [5] (2024), RStO 12/ 24 - Richtlinien für die Standardi-sierung des Oberbaus von Verkehrsflächen, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, FGSV Verlag. <?page no="321"?> Radverkehr <?page no="323"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 323 Online-Beteiligung im Rahmen von Mobilitätskonzepten Schwerpunkt Radverkehrskonzepte Tim Schlatterer, B. Eng. BERNARD Gruppe ZT GmbH, Stuttgart Zusammenfassung Die Aufstellung eines Radverkehrsbzw. Mobilitätskonzeptes bedarf immer auch der Bereitschaft der Akteure, daran mitzuwirken. Mit einer umfassenden und stufenweisen Beteiligung aller Stakeholder können ein annähernd gleicher Informationsstand und eine breite Akzeptanz für das entsprechende Vorhaben erreicht werden. Vor allem digitale Beteiligungsformate im Rahmen öffentlichkeitswirksamer Projekte haben in den letzten Jahren einen deutlichen Zuwachs erlebt. Die Möglichkeiten eines digitalen Formates reichen von der einfachen Datenabfrage (unter anderem Single/ Multiple- Choice, Freitext, kartenbasierte Abfrage) bis hin zur Bewertung von einzelnen Maßnahmenempfehlungen. Im Vergleich zu konventionellen Methoden wie Workshops vor Ort weisen Online-Formate gewisse Vorzüge auf, sollten jedoch immer als Ergänzung zum bestehenden Beteiligungskonzept verstanden werden. 1. Allgemeine Informationen Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen von Mobilitätskonzepten bzw. von Infrastrukturprojekten kann zu einem deutlichen Zuwachs der Akzeptanz bei Projekten der öffentlichen Hand führen. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung von Planungsprozessen kommen webbasierte Beteiligungsformate immer häufiger zur Anwendung. Darüber hinaus hatten vergangene Entwicklungen wie zum Beispiel die Coronapandemie einen erheblichen Einfluss auf eine vermehrte Nutzung digitaler Formate in allen Altersklassen. Online-Formate bieten, vor allem aufgrund der Erweiterung der Zielgruppen, eine sinnvolle Ergänzung zu konventionellen Formaten wie beispielsweise Abendveranstaltungen. Im Folgenden werden die Vorzüge der Einbindung der Öffentlichkeit sowie ein möglicher Auf bau einer Online- Beteiligung im Rahmen eines Radverkehrskonzeptes, anhand von Erfahrungswerten beschrieben, die im Rahmen durchgeführter Projekte gesammelt wurden. 2. Die Vorteile einer strukturierten Partizipation der Öffentlichkeit Transparente Projektdurchführung Infrastrukturprojekte und strategische Konzepte sind häufig für fachfremde Personen schwer nachvollziehbar. Oft wird das Interesse am Projekt erst geweckt, wenn Maßnahmen Auswirkungen auf den eigenen Alltag haben. Durch eine frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit können Projektrisiken (ggf. potenzielle Widerstände) bereits vor unumkehrbaren Meilensteinen identifiziert und im Dialog gelöst werden. Ferner kann mit fachlich gut gestalteten Beteiligungsformaten eine breitere Akzeptanz der Bevölkerung bei der Umsetzung von Projekten erzielt werden [1]. Integration lokaler Expertise Die Projekteinbindung ortsansässiger Personen (Bürgerinnen und Bürger vor Ort, lokale Verbände, etc.) bringt neben fachlicher Expertise auch „lokale Expertise“ in das Konzept ein. Nicht alle Rahmenbedingungen vor Ort lassen sich über eine allgemeine Bestandsaufnahme erfassen. Beispiele hierfür können die Information von häufigem Fehlverhalten im Straßenraum (verkehrswidriges Parken), wichtige, stark genutzte oder mangelhafte Umsteigebeziehungen im öffentlichen Nahverkehr oder aus subjektiver Sicht fehlerhafte Radinfrastruktur darstellen. Aus der Summe der vorliegenden Eindrücke der Planer, der Bürgerinnen und Bürger sowie lokaler Verbände und den Kommunen selbst können lösungsorientiertere Konzepte erstellt werden. Stärkung der Demokratie und des Gemeinwohls Eine aktive Teilnahme Kommune stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung sowie politische Gremien, es wird nicht „über dem Kopf hinweg entschieden“ und keine nicht-umsetzbaren Lösungen entwickelt. Meist können alle Akteure voneinander lernen, da die Sichtweisen und Anliegen der unterschiedlichen Stakeholder besser nachvollzogen werden können. Effizienz und Kostensenkung Strategisch ausgerichteter Planungskonzepte wie Mobilitäts-/ Radverkehrskonzepte weisen in der Regel einen Umsetzungshorizont von 10 bis 15 Jahren auf. Die darin enthaltenen Maßnahmen entfalten ihre Wirkung oft erst nach einer längeren Dauer. Gleichwohl beinhalten strategisch ausgerichtete Konzepte Maßnahmen, dessen Umsetzung viel personelle und finanzielle Kapazitäten binden (z. B. Bau einer Ortsumfahrung, Brücken, Unterführungen, etc.). Nachbesserungen oder ineffiziente Planungen sind im Rahmen von Projekten mit hohem Volumen sehr kostspielig und können durch eine frühzeitige Einbindung aller Stakeholder vermieden werden. <?page no="324"?> 324 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Online-Beteiligung im Rahmen von Mobilitätskonzepten 3. Die Vorteile eines webbasierten Beteiligungsformates Erweiterung der Zielgruppen Veranstaltungen vor Ort finden meist werktags in den Abendstunden statt, was sich in deren Beteiligungsrate widerspiegelt. Oft bestehen neben zeitlichen Aspekten auch physische Hürden wie beispielsweise Einschränkungen in der Mobilität. Berufstätige Personen, Personen aus jüngeren Altersgruppen oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität ohne direkten Bezug zum Projektvorhaben sind in Abendveranstaltungen meist unterdurchschnittlich vertreten. Die Teilnahme von webbasierten Formaten ist zeit- und ortsunabhängig, weshalb hierdurch eine deutlich höhere Teilnehmerzahl erreicht werden kann [2]. Vielfältige Interaktionsmöglichkeiten Die Möglichkeiten von webbasierten Beteiligungsformaten sind bislang nicht voll ausgeschöpft. Neben Abfragemöglichkeiten kann ergänzend über das Projektvorhaben informiert und hierdurch ein schneller und übersichtlicher Umriss des Projekts gegeben werden. Veranstaltungen vor Ort müssen sehr gut strukturiert und geplant sein, um die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden (vor allem in den Abendstunden) durchgehend zu binden. Synergien durch theoretisch unbegrenzte Teilnehmerzahlen Im Rahmen von Präsenzveranstaltungen bestehen, aufgrund des begrenzten Personals, Einschränkungen in der Anzahl der Teilnehmenden. Je nach Projektvorhaben werden im Rahmen eines Konzeptes unterschiedliche Stakeholder beteiligt. Präsenzveranstaltungen müssen hierdurch häufig in mehrere Termine aufgeteilt werden, was einen entsprechend hohen Aufwand in der Vor-/ Nachbereitung, der Durchführung sowie der Ergebnisübermittlung nach sich zieht. Gleichwohl ist die Auswertung einer webbasierten Beteiligung mit einem Auswertungsaufwand verbunden, der jedoch geringer ausfällt als bei einer Präsenzveranstaltung. Beschränkungen in der maximalen Anzahl der Teilnehmenden bestehen (zumindest theoretisch) bei einem webbasierten Format nicht. Datennachbereitung Der Vorteil einer Abendveranstaltung liegt in der direkten Interaktion von Planern, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger untereinander. Die Erfahrung aus vergangenen Projekten hat gezeigt, dass viele Themen zwar besprochen, jedoch nicht schriftlich festgehalten wurden. Trotz des Hinwirkens auf die Niederschrift seitens der Planer („wer schreibt der bleibt“) besteht die Gefahr, dass einzelne Hinweise nicht aufgenommen werden. Die Ergebnisse einer Abendveranstaltung werden im Rahmen der Nachbereitung digitalisiert. In der Praxis kann es hierbei zu Übertragungsfehlern oder unleserlichen Antworten kommen, die die Einarbeitung der Hinweise erschwert. Durch die Festlegung einer strukturierten Reihenfolge von Fragen und deren Auswahlmöglichkeiten kann die Auswertung einer webbasierten Beteiligung deutlich effizienter gestaltet werden. 4. Einbindung der Online-Beteiligung in ein Radverkehrskonzept Im Rahmen zahlreicher Projekte wurden Erfahrungen bei der Einbindung von Online-Beteiligungen Radverkehrskonzeptionen gesammelt. Das folgende Beispiel zeigt bei welchen Schritten eine Abstimmung zum Auf bau bzw. den konkreten Inhalten des Beteiligungsformates erforderlich ist bzw. wie das Beteiligungsformat in die Konzeptbearbeitung eingebunden werden kann. Tab. 1: Einbindung der Online-Beteiligung in eine Radverkehrskonzeption Termin Beschreibung Auftaktgespräch Abstimmung der Projekthintergründe, Identifikation bestehender Verbände, politischer Akteure, etc. innerhalb der Kommune Arbeitstermin Abstimmung des konkreten Vorschlages des webbasierten Beteiligungsformates Auftaktveranstaltung Bewerben/ Informieren über das Vorhaben sowie der Durchführung von Beteiligungsformaten (Präsenz und Online) Bürgerveranstaltung/ Workshop Start der Online-Beteiligung im Rahmen nach dem Abschluss einer Bürgerveranstaltung (QR-Code) Online-Beteiligung Durchführung der Online-Beteiligung für einen Zeitraum von in der Regel 4 - 6 Wochen Arbeitstermin Abstimmung der auf bereiteten Ergebnisse bzw. deren Einbindung in das Konzept Abschlussveranstaltung/ Bericht Transparente Darstellung der Ergebnisse der Beteiligungen in Form von Plänen und Auswertungen, ggf. mit einem Hinweis zur Konzepteinarbeitung bzw. Begründung der Ablehnung 5. Aufbau einer Online-Beteiligung in Rahmen eines kommunalen Radverkehrskonzeptes Erläuterungen zum Projektvorhaben Vor dem Start der Online-Beteiligung können Informationen zum Projektvorhaben anschaulich auf bereitet werden. Hierbei ist darauf zu achten die Teilnehmenden nicht bereits zu Beginn mit zu vielen Informationen zu überfordern bzw. abzuschrecken. Verweise oder Hintergrundinformationen können über ausklappbare Texte oder weiterführende Links bei Interesse zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus ist auch die Erstellung eines Fragenverzeichnisses (FAQ) [3] oder die Einbindung von Videos möglich. Die verschiedenen Möglich- <?page no="325"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 325 Online-Beteiligung im Rahmen von Mobilitätskonzepten keiten können individuell auf das jeweilige Vorhaben und die Begebenheiten innerhalb der Kommune zugeschnitten werden. Statistische Angaben Zur Überprüfung der erreichten Zielgruppen bietet sich die Abfrage von statistischen Daten (Altersgruppen, Geschlecht, Beruf, Wohnort, etc.) an. Anhand dieser Informationen lässt sich überprüfen, ob die Angaben vermehrt aus einer bestimmten Nutzergruppe stammen bzw. ob andere Nutzergruppen unterrepräsentiert sind. Diese Informationen sind bei der Auswertung der Ergebnisse zu berücksichtigen. Bewertung des vorläufigen Radverkehrsnetz Das vorläufige Radverkehrsnetz (Prüfnetz) wird in der Regel durch die Planer, in Abstimmung mit der Kommune, erstellt. Das Netz stellt einen Vorschlag zur Anbindung der vorab definierten Quellen und Ziele (z. B. Teilorte, Bahnhöfe und zentrale Bushaltestellen, Bildungs-/ Verwaltungs-/ Freizeiteinrichtungen, etc.) innerhalb der Kommune sowie zu angrenzenden Nachbarkommunen dar. Im Rahmen der Online-Beteiligung können die Teilnehmenden eine Bewertung des vorläufigen Netzes vornehmen. Es können (subjektiv empfundene) fehlende Strecken hinzugefügt oder problematische Streckenabschnitte gekennzeichnet werden. Durch die frühzeitige Einbindung der Ortsexpertise kann die darauffolgende Befahrung des Netzes präziser ausgerichtet und die Befahrung der Strecken und eventueller Alternativen optimiert werden. Abfrage von Mängeln/ Gefahrenstellen im zu prüfenden Radverkehrsnetz Als Grundlage der Abfrage von Mängeln und Gefahrenstellen dient das vorläufige Radverkehrsnetz (Prüfnetz). Die Teilnehmer können den genauen Standort von Mängeln oder Gefahrenstellen mittels Strecken, Punkten oder Polygonen kennzeichnen und zusätzlich mit der Zuordnung einer Kategorie (z. B. fehlende Radinfrastruktur, gefährlicher Knotenpunkt, fehlende Querungsmöglichkeit, etc.) präzisieren. Die Eintragung von Freitexten ist möglich, sollte jedoch, aufgrund einer zielgerichteten Auswertung, auf eine bestimmte Zeichenanzahl begrenzt werden. Vorschläge für Serviceinfrastruktur/ Radabstellanlagen Die Abfrage von bestimmten Standorten, an denen entlang des Radverkehrsnetzes ergänzende Serviceelemente (z. B. Ladestationen für Pedelecs/ E-Bikes, Radabstellanlagen, Reparaturstationen, Pausenstationen) eingerichtet werden könnten ist ebenfalls möglich. Die Hinweise werden gesammelt und auf die Einrichtung bestimmter Serviceelemente geprüft. Durch die Abfrage kann eine potenzielle Nutzung bereits geplanter Standorte mit ergänzender Radinfrastruktur überprüft und genauer ausgerichtet werden. Die in der Regel begrenzten finanziellen Ressourcen lassen sich durch die vorherige Abfrage zielgerichteter einsetzen. Abschluss der Online-Beteiligung Über eine abschließende Seite können Informationen zum weiteren Vorgehen bereitgestellt werden (Was passiert mit meinen Angaben? Wie fließen meine Angaben in das Konzept ein? Welche Termine finden im Nachgang hierzu statt? ). An dieser Stelle ist der Hinweis zu weiterführenden Informationen nochmals möglich. Exkurs: Bewertung von Maßnahmenempfehlungen Die Empfehlung von Maßnahmen in einem Radverkehrskonzept leitet sich aus den in der Bestandsanalyse gewonnenen Erkenntnisse ab und orientiert sich an den derzeit gültigen Regelwerken bzw. am aktuellen Stand der Technik. Eine Bewertung der Maßnahmenempfehlungen sollte daher auf fachlich eingebundene Personengruppen wie Verbände oder Baulastträger/ zuständige Behörden beschränkt werden. Eine Online-Beteiligung zur Maßnahmenkonzeption bietet sich daher nur im Rahmen größerer Radverkehrskonzepte (kreis- oder landesweit) an, da in diesen Gebietskörperschaften viele unterschiedliche Baulastträger/ zuständige Behörden betroffen sind. Eine webbasierte Bewertung der Maßnahmenempfehlung kann als Vorabfrage zur Vorbereitung auf einen Präsenztermin oder als alleinstehende Beteiligung durchgeführt werden. Hierdurch kann die Anzahl erforderlicher Präsenztermine reduziert und die Termine an sich zielgerichteter durchgeführt werden. 6. Vier vermeidbare Fehler für eine erfolgreiche Beteiligung Zu viel Information/ zu lange Dauer der Beteiligung Im Rahmen der Auswertung von Online-Beteiligungen lässt sich meist eine Abnahme der Angaben/ Teilnahmen von Seite zu Seite beobachten. Hieraus kann geschlossen werden, dass Umfragen mit einer längeren Teilnahmedauer (in etwa ab 20 Minuten) weniger aussagekräftige Ergebnisse liefern, da die Anzahl der Abbrüche mit der Dauer der Umfrage steigt. Im Rahmen der Erstellung einer Online-Beteiligung sollte daher die Dauer der Eintragung, bzw. das Lesen der Hinweise kritisch überprüft und auf das notwendige Maß beschränkt werden. Abfragen, die viel Aufmerksamkeit erfordern oder genau gelesen werden müssen, sollten im ersten Drittel der Umfrage platziert werden. Fehlerhafte Verwendung von Freitexten Die Angabe von freien Texten erzeugt meist großen Aufwand in der Datennachbereitung und sollte daher nur bei spezifischen Anwendungsfällen, in denen eine Vorauswahl der Antworten nicht möglich ist, zur Anwendung kommen. Die Erfahrung vergangener Projekte hat gezeigt, dass Angaben mit freiem Text im Nachhinein meist bestimmten Kategorien zugeordnet werden müssen, um einen Gesamtüberblick über das Meinungsbild der Teilnehmenden zu erlangen. Freitexte eignen sich für wenige, konkrete Hinweise zu speziellen Planungen, dessen Zeichenanzahl dennoch begrenzt werden sollte. <?page no="326"?> 326 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Online-Beteiligung im Rahmen von Mobilitätskonzepten Einseitiges Beteiligungsformat Eine webbasierte Beteiligung kann, zumindest im Rahmen eines Mobilitätskonzeptes, nur ein Teil eines Beteiligungskonzeptes darstellen, das durch Präsenzveranstaltungen zu vervollständigen ist. Viele Teilnehmenden schätzen den direkten Kontakt mit der Verwaltung, den Planern sowie Personen mit abweichenden oder gleichen Interessen. Mit der Durchführung mehrerer Beteiligungsformen ergänzen sich die Vorteile der unterschiedlichen Formate. Hierdurch können möglichst viele Zielgruppen angesprochen werden. Schlechte Bewerbung der Online-Beteiligung Ein Vorteil webbasierter Beteiligungsformate liegt in der einfachen Sammlung einer großen Anzahl an Hinweisen. Dennoch besteht ein gewisser Aufwand im Auf bau eines solchen Formates, weshalb der Nutzen der Online-Beteiligung erst nach einer gewissen Teilnehmerzahl positiv ausfällt. Eine geringe Teilnehmerzahl lässt sich oft auf die unzureichende Bewerbung der Umfrage zurückführen. Bei einer zu geringen Bewerbung birgt sich zudem die Gefahr, dass bestimmte Personengruppen wie z. B. lokale Akteure übermäßig stark vertreten sind. Damit sich die Vorzüge der Beteiligung entfalten ist eine gute Bewerbung der Umfrage/ des Formates auf allen Kanälen (Stadtanzeiger, Presseartikel in lokalen Printmedien, Homepage, Aushang, soziale Medien, etc.) erforderlich. Die Durchführung eines Gewinnspiels oder ähnlichem kann die Teilnehmerzahl weiter steigern. Der Beginn der Online-Beteiligung sollte zudem sorgfältig gewählt werden. Hier bietet sich der Start der Online-Beteiligung im Rahmen einer Abendveranstaltung zum Konzept an, an dem Vertreterinnen und Vertreter der lokalen Presse eingeladen werden. Der Start/ die Bewerbung der Online- Umfrage sollte außerhalb von Ferien/ Haupturlaubszeiten liegen. Die Teilnehmenden sollen die Umfrage nach der Bekanntgabe am besten direkt starten können. 7. Fazit Eine frühzeitige Einbindung lokaler Akteure, Bürgerinnen und Bürger sowie von Verbänden kann zur Einhaltung des Projektzeitrahmens wesentlich beitragen, da Risiken frühzeitig erkannt werden. Die Akzeptanz aller Stakeholder wird verbessert, da unterschiedliche Positionen sowie deren Hintergründe durch eine transparente Darstellung der Ergebnisse sichtbar werden. Online- Formate ersetzen nicht den Prozess der Kommunikation und Diskussion vor Ort. Sie bieten, bei einer fachlich guten Durchführung, durch die Erweiterung der Zielgruppen eine wertvolle Ergänzung zum Beteiligungskonzept und der Projektkommunikation. Mit der stetigen Weiterentwicklung webbasierter Formate steigen auch deren Anwendungsmöglichkeiten fortlaufend. Im Rahmen von Straßenbauprojekten wird ein Potenzial (z. B. bei der Befahrung von Anliegern, etc.) gesehen, das bislang noch nicht voll ausgeschöpft wird. Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): H Beteiligung in der Verkehrsplanung. Köln: FGSV Verlag, 2021, S. 27 [2] Dipl.-Ing. Klaus Müller-Pfannenstiel: Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung. Berlin: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2014, S. 87 [3] Planungsbüro VIA eG: https: / / www.rs9.info/ h%C3%A4ufig-gestellte-fragen, abgerufen am 15.11.2024 <?page no="327"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 327 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur Felix Taubitz, M. Eng. Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur Jiayao Qiu, M. Sc. Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur Ian Brow, M. Sc. Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe, Institut für Verkehr und Infrastruktur Zusammenfassung Der Wandel zur nachhaltigen Mobilität wird vom Radverkehr maßgeblich beeinflusst. Um die Infrastruktur für den Radverkehr im Rahmen eines Asset Managements zu optimieren, müssen Radverkehrsnetze sicher, komfortabel, attraktiv, direkt und zusammenhängend sein. Für den Alltagsradverkehr sind besonders Sicherheit, Komfort, Direktheit und Konnektivität entscheidend, welche in unterschiedlichen Bewertungsbereichen von Strecke, Knotenpunkt, Route und Netz betrachtet werden müssen. Die Definition von Einzelparametern, welche im Rahmen einer netzweiten Analyse der Qualität auf Radverkehrsnetzen berücksichtigt werden sollten, sind dargestellt und können genutzt werden, um auf Basis eines multikriteriellen Bewertungsprozesses, Qualitätsmängel in Radverkehrsnetzen zu identifizieren. Dazu wird ein Lösungsansatz zur Modellierung des Radverkehrsnetzes vorgeschlagen, um die netzweite Analyse digital zu unterstützen. 1. Einführung Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen und sollte in Zukunft nachhaltig und mit wenig Ressourcenverbrauch möglich sein. Deutschland hat sich mit dem nationalen Radverkehrsplan 3.0 das Ziel gesetzt, das Fahrradfahren zu fördern, sodass sich bis 2030 die gefahrenen Kilometer im Vergleich zu 2017 verdoppeln bei gleichzeitigem Fokus auf Innovation und Digitalisierung [1]. Das Fahrrad ist bereits heute in vielen Städten das schnellste und praktikabelste Verkehrsmittel [2]. Gleichzeitig bietet Radfahren viele gesundheitliche Vorteile, indem beispielsweise die Muskulatur, der Kreislauf sowie die Ausdauer gefördert werden, was Krankheiten vorbeugt [3]. Auch die Umwelt profitiert von einer erhöhten Radverkehrsnutzung, da Energieverbrauch, Luftverschmutzung, Lärmbelastung und Flächenverbrauch durchweg deutlich geringer sind als bei Kraftfahrzeugen [3]. Die Nutzung des Fahrrads kann unterschiedliche Gründe haben. Zum einen kann das Fahrrad als Verkehrsmittel für den Alltag genutzt werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Zum anderen kann das Fahrrad als Verkehrsmittel für Freizeit oder Tourismus eingesetzt werden, bei welchem der Fokus weniger auf der Zielerreichung, sondern mehr an der Tätigkeit des Fahrradfahrens an sich liegt. Radverkehr wird folglich in Alltagsradverkehr, Freizeitradverkehr und touristischen Radverkehr unterschieden, welche unterschiedliche Anforderungen an die Infrastruktur haben [4], [5]. Um die nachhaltige Mobilitätswende voranzutreiben, muss es gelingen speziell den Alltagsradverkehr zu erhöhen. Dieser besitzt das größte Potenzial, den motorisierten Individualverkehr auf kurzen Strecken zu reduzieren [3], [6]. Die Radverkehrsförderung hängt wesentlich von der Infrastruktur ab [1], [7]. Die Präferenzen und Anforderungen der Nutzenden sollten bei der Infrastrukturplanung von Radverkehrsnetzen berücksichtigt und bewertet werden. Für eine netzweite Umsetzung ist ein digitales Instrument für die Implementierung der Bewertungsverfahren und Visualisierung der Bewertungsergebnisse zweckmäßig. Diese Anforderungen können nur durch geeignete digitale Unterstützung effizient überwunden werden. Es ist davon auszugehen, dass ein geeignetes Informationssystem je nach gesonderten Anwendungsfällen und Ansprüchen für Radwegenetze analog zur Straßeninformationsbank (SIB) in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen wird und eine Standardisierung dafür von hoher Relevanz sein wird. Obwohl das Radverkehrs-Infrastruktur-System von Baden-Württemberg (RadVIS) dazu eine gute Grundlage bietet, fehlt eine Standardisierung der Geometriemodelle und Datenmodelle bezüglich angestrebter Bewertungsverfahren. 2. Asset Management Ziel eines Asset Managements ist es, den Infrastrukturwert über den gesamten Lebenszyklus bestmöglich <?page no="328"?> 328 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur zu erhalten und die Vermögensverwaltung zu optimieren, sodass die bestehende Infrastruktur auch zukünftig auf gleichem oder besserem Qualitätsniveau funktionstüchtig bleibt [8]. Umwelteinwirkungen und Verkehrsbelastung nutzen die Infrastruktur ab und sorgen für eine kontinuierliche Verschlechterung der Bestandssituation, welche mit gezielten Baumaßnahmen wiederhergestellt werden muss, um den Anforderungen an die Verkehrsnetze weiterhin gerecht zu werden. Die Ermittlung der infrastrukturellen Qualität erfordert jedoch eine Erfassung und Bewertung des bestehenden Zustandes. Dieser vorherrschende Zustand bildet die Grundlage, auf welcher Maßnahmen zur Erhaltung getroffen werden, die unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Mittel in ihrer Entscheidung fundiert sein müssen [9]. Diese sollten sich auf möglichst objektiv und datengetriebene Kennzahlen in digitalen Modellen berufen, um großflächig und georeferenziert Qualitätsmängel zu identifizieren. Im Rahmen der Nachhaltigkeit ist es zwingend erforderlich, die bestehende Infrastruktur zu priorisieren und optimal zu nutzen, sodass nur gezielt und begründet Aus- und Umbaumaßnahmen durchzuführen sind. Ausschlaggebend für ein nachhaltiges Asset Management im Radverkehr ist die möglichst ganzheitliche Evaluation der infrastrukturellen Qualität. Hierzu müssen Einflüsse, die zu baulichen Maßnahmen und betrieblicher Unterhaltung führen, berücksichtigt werden [10]. Basierend auf [10] sollten die bauliche Qualität, die Entwurfsqualität, die Nutzerqualität und die betriebliche Qualität einbezogen werden. Der Ablaufprozess eines Asset Managements für Radverkehrsnetze gliedert sich in die Bestandteile der Datenakquise, Datenbewertung und Maßnahmenumsetzung. Die Datenakquise erfordert ein Netzmodell, welches alle relevanten Bestands- und Zustandsdaten enthält. Dieses digitale Modell bildet die Grundlage für die Datenbewertung in Form einer Qualitätsbewertung. Die Qualitätsbewertung gliedert sich hierbei in mehrere Teilbereiche, welche durch eine Gesamtbewertung fusioniert werden. Nachdem die Bewertung durchgeführt ist, können im Rahmen der Maßnahmenumsetzung zunächst Prioritätenlisten anhand der Qualitäten definiert werden. Anschließend folgen Maßnahmenplanung und Finanzplanung, welche die Basis für die Umsetzung der Maßnahmen liefern. 3. Digitalisierung Laut [11] wird die Zukunft des Planens, Bauens und Betreibens wesentlich durch den digitalen Wandel geprägt. Insbesondere die Erstellung digitaler, virtueller Bauwerksmodelle wird für den Verkehrsinfrastrukturbereich von zentraler Bedeutung sein. In Baden-Württemberg wurde in den letzten 20 Jahren zur Verbesserung der Radverkehrssituation ein online-Radroutenplaner entwickelt sowie ein digitales, landesweites Infrastruktur-System (RadVIS) geschaffen [12]. RadVIS ist eine Datenbank zur Unterstützung von Städten und Kommunen bei der Konzeption und Dokumentation ihrer Radnetze. Im Sinne einer Lebenszyklusbetrachtung gewinnen digitale Arbeitsmethoden wie beispielsweise Building Information Modelling (BIM) immer mehr Aufmerksamkeit. Der Hauptzweck von BIM besteht in der Optimierung von Planungs- und Bauphasen. Wird der Schwerpunkt auf Betriebs- und Erhaltungsphase verlagert, dann werden zusätzliche externe dynamische Echtzeitdaten aus dem Bestand benötigt, um ein immer mit der Realität synchronisiertes, digitales Modell zu erhalten [13]. Im Kontext der Zielsetzung von Qualitätsbewertung und Asset Management des Radwegenetzes spielen geographische Zuordnungen von Qualitätsmerkmalen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund ist eine Kombination zwischen einem Geometriemodell auf Basis von GIS und einem Datenmodell im Sinne von BIM bzw. digitalem Zwilling zielführend. Eine Standardisierung der Modellierung ist anzustreben, um den künftigen Datenaustausch reibungslos zu gestalten. Für Straßen wurde die Anweisung Straßeninformationsbank (ASB) erarbeitet, mit deren Hilfe alle überörtlichen Straßen im Netz bei umfassend genauen Daten analysiert und bewertet werden können. Die in der ASB konzipierte Straßeninformationsbank (SIB) setzt sich aus einem Ordnungssystem, basierend auf Netzknoten und Stationierungssystem, sowie einer damit verbundenen Datenbank zusammen. Das Ordnungssystem ist somit ein Geometriemodell und bildet die Grundlage für die Visualisierung der Daten und Auswerteergebnisse in GIS. Die damit verbundene Datenbank ist ein Datenmodell mit einer standardisierten Struktur, auf dem beliebig viele relevante Daten angehängt werden können. Die Standardisierung für den Datenaustausch wird in dem OKSTRA festgehalten und fortgeschrieben. OKSTRA ist ein Katalog von Objekten des Straßen- und Verkehrswesens, ihren Sachdaten und ihren Beziehungen [14]. Die SIB nach ASB ist somit eine Art von „Semi-“ Digitaler Zwilling, sie übernimmt die Vorteile von BIM, GIS und digitalem Zwilling und passt die Konzipierungsstruktur nach konkreten Anwendungsfällen und Zielsetzungen an. 4. Anforderungen an Radverkehrsnetze Die Anforderungen an Radverkehrsnetze wurden bereits 2002 von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) in den Hinweisen zum Radverkehr außerhalb städtischer Gebiete (H-RaS) definiert [15]. Diese sind Sicherheit, Komfort, Direktheit, Zusammenhang bzw. Konnektivität und Attraktivität [15]. Sowohl national als auch international werden die gleichen Anforderungen wiederholt aufgegriffen, was deren Bedeutung im Kontext hochwertiger Radverkehrsnetze stärkt [16], [17], [18], [19], [20]. Die Radverkehrsinfrastruktur muss so ausgerichtet sein, dass wenig Konflikte mit dem motorisierten Verkehr entstehen [16]. Die Befahrbarkeit von Streckenabschnitten und Knotenpunkten sollte gegeben sein [21]. Außerdem muss die Verkehrssicherheit hoch sein, welche unter anderem durch die Wegebreite, die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten des motorisierten Individualverkehrs (MIV), sowie dessen Zusammensetzung beeinflusst wird [20]. Eine hohe soziale und subjektive Sicherheit sollten vorherrschen, indem die Radverkehrswege beleuchtet sind und eine von anderen Verkehrsträgern getrennte In- <?page no="329"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 329 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur frastruktur zur Verfügung steht [17], [19]coherent (i.e., continuous bicycle facilities. Der Kraftaufwand sollte für Radfahrende außerdem möglichst gering sein [16], [21], [22]. Hierbei können eine gute Oberflächenqualität, flache Steigungen und wenige Hindernisse den Energieverbrauch reduzieren [23]. Die Reisezeit und Entfernungen sollten möglichst gering sein, was zu kurzen und direkten Verbindungen führt [20], [21]. Gute Radverkehrsinfrastruktur ist durch ein zusammenhängendes Netz verbunden, welches gewährleistet, alle Start- und Zielpunkte bei möglichst freier Routenwahl zu erreichen [17]. Attraktivität der Umgebung und der Infrastruktur selbst sind im Freizeitverkehr von Bedeutung. Die visuelle und gestalterische Qualität steigert das Wohlbefinden und schafft eine lebenswerte Umgebung, die damit auch gerne genutzt wird. [17], [19]coherent (i.e., continuous bicycle facilities. Die Infrastruktur kann in die Landschaft eingebunden und sauber sein, sowie grüne Bereiche und eine hohe Erlebnisqualität aufweisen [17], [20]. 4.1 Berücksichtigung von Bewertungsbereichen Für eine ganzheitliche Qualitätsbewertung sollte zu jeder Anforderung auf Radverkehrsnetzen ein Qualitätswert gebildet werden, sodass gezielt Verbesserungen vorgenommen werden können. Bewertungsansätze auf Basis der fünf Anforderungen wurden teilweise schon konzipiert, wobei es Unterschiede hinsichtlich betrachteter Netzelemente und erfasster Parameter gibt [17], [20], [23]. In [17] wurde ein datengetriebener Bewertungsanasatz entwickelt, welcher durch eine Gewichtung unterschiedlicher Parameter, Teilwerte der Anforderungen bildet. Die jeweiligen Teilwerte zu Sicherheit, Komfort, Direktheit, Attraktivität und Zusammenhang können anschließend durch eine erneute Gewichtung zu einem Gesamtwert fusioniert werden. Die Berücksichtigung der qualitativen Kriterien erfolgt hierbei auf Basis bestehender Handbücher, Richtlinien und weiterer Literatur. Die Gewichtung wurde mittels einer Umfrage durchgeführt. [17] unterscheidet die Bewertung des Radverkehrsnetzes in lokal identifizierbare Indikatoren, sowie routenabhängige und netzweite Indikatoren. Knotenpunkte werden nicht separat berücksichtigt, sondern fließen als Parameter der routenabhängigen Bewertung ein. In der Gesamtbewertung des Radverkehrsnetzes wird der Teilwert Sicherheit am stärksten gewichtet. Als geringster Teilwert ist die Attraktivität berücksichtigt. Die wichtigsten Einzelparameter der jeweiligen Teilwerte sind wie folgt: - Sicherheit: Breite der Radverkehrsanlage - Direktheit: Umwegefaktor - Komfort: Breite der Radverkehrsanlage - Zusammenhang: Radnetzdichte - Attraktivität: Luftqualität und Grünflächen In [20] wurde ein Befahrbarkeitsindex für Städte entwickelt, welcher wie in [17] bei der Priorisierungsidentifikation unterstützt. Eine Faktorenidentifikation, welche das Verhalten von Radfahrenden beeinflusst, sowie eine Gewichtung in Abhängigkeit von unterschiedlichen Radfahrertypen wurde definiert. Laut [20] ist für den Freizeitverkehr das Vorhandensein einer eigenen Radverkehrsinfrastruktur das wichtigste Kriterium, wohingegen für den Alltagsradverkehr die Verkehrssicherheit an oberster Stelle steht. Auf Basis einer ausführlichen Literaturrecherche haben [20] bisherige Veröffentlichungen, den Einzelfaktoren Sicherheit, Komfort, Attraktivität, Direktheit und Zusammenhang zugeteilt. Auch hier wurde Sicherheit am stärksten berücksichtigt, gefolgt von Komfort. Direktheit und Zusammenhang wurden gemeinsam betrachtet und Attraktivität war der geringste Teilwert. Die häufigsten Einzelparameter sind wie folgt: - Sicherheit: Geschwindigkeit des MIV - Komfort: Oberflächenqualität - Direktheit und Zusammenhang: Reisezeit - Attraktivität: Vorhandensein von Bäumen In [23] wurde ein Bewertungsinstrument für die Routenauswahl innerstädtischer Radverkehrs-verbindungen für Pendler- und Freizeitverkehr entwickelt. Sämtliche Teilwerte wurden berücksichtigt und Parameter definiert. Auch in [23] wird deutlich, dass die Sicherheit das wichtigste Kriterium für Pendler- und Freizeitverkehr darstellt. Die weiteren Kriterien gewichten sich, je nach Radfahrerverkehr, unterschiedlich, weshalb für den Pendlerradverkehr die Direktheit als zweitwichtigster Faktor gewählt wird und für den Freizeitverkehr die Attraktivität. Somit kann in Abhängigkeit der Zielgruppe, eine variable Kombination der Teilwerte erfolgen. Die Einblicke in die Literatur zeigen, dass bereits unterschiedliche Konzepte und datengetriebene Ansätze zur Qualitätsbewertung auf Radverkehrsnetzen vorliegen. Hierbei wird sich jedoch häufig auf den städtischen Bereich konzentriert. Weniger berücksichtigt in Bewertungsprozessen ist bisher die separate Betrachtung von Knotenpunkten, getrennt von Streckenabschnitten. Es ist jedoch wichtig, beide Elemente in netzweiten Evaluationsprozessen zu berücksichtigen, da Knotenpunkte teilweise andere Qualitätskriterien aufweisen als Streckenabschnitte [24], [25], [26], [27], [28]. In [29] wurden Streckenabschnitte und Knotenpunkte getrennt voneinander untersucht. Die Qualität an Streckenabschnitten war gekennzeichnet durch Einzelparameter wie beispielsweise Steigungen, Breiten der Infrastruktur und Abständen zu parkenden Kraftfahrzeugen, wohingegen bei Knotenpunkten unter anderem Abbiegebeziehungen, Signalisierung und Verkehrsaufkommen berücksichtigt wurden. In [30]and recently, its effectiveness in mitigating the spread of infectious diseases has also been under the spotlight. Fostering its use requires developing and deploying decision tools to help authorities assess the performance of their cycle infrastructure for maintenance and improvements. This paper presents a multicriteria methodology based on engineering best practices and uses the Elimination and Choice Translating Reality (Electre wurden an Knotenpunkten Verkehrsaufkommen, Lichtsignalanlagen und Radverkehrsinfrastruktur analysiert. In [31] wurden Straßen und Kreuzungen nach <?page no="330"?> 330 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur Verkehrsbelastung bewertet. Kriterien für die Streckenbewertung beinhalten die Straßenbreite, die Verkehrsgeschwindigkeit, das Vorhandensein eines Parkstreifens sowie die Führungsform des Radverkehrs. Für Kreuzungen wurden Konflikte zwischen rechtsabbiegendem Verkehr und geradeausfahrenden Radfahrenden ermittelt. Es zeigt sich, dass Streckenabschnitte und Knotenpunkte unterschiedliche Qualitäten aufweisen können, weshalb eine Unterscheidung auch im Kontext einer Bewertung erforderlich ist. Die Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen muss, um alle Anforderungen berücksichtigen zu können, in unterschiedlichen Bewertungsbereichen erfolgen. Durch Einzelbetrachtung des Radverkehrsnetzes in dessen Bestandteile von Strecken und Knoten können georeferenzierte Qualitätsmängel der Infrastruktur identifiziert werden. Streckenabschnitte und Knotenpunkte können in Abhängigkeit der Gegebenheiten vor Ort individuell hinsichtlich der Anforderungen Sicherheit, Komfort und Attraktivität bewertet werden. Eine Evaluation auf Direktheit oder Zusammenhang erfordert die Aggregation der Einzelelemente in Routen oder als gesamtes Netz. In Tab. 1 sind die Bewertungsmöglichkeiten in Abhängigkeit der Bewertungsbereiche aufgezeigt. Tab. 1: Bewertungsmöglichkeiten der Bewertungsbereiche Strecke Knoten Route Netz Sicherheit Komfort Attraktivität Direktheit Konnektivität 4.2 Streckentypen und Knotenpunkttypen Die Einzelelemente des Radverkehrsnetzes von Streckenabschnitten und Knotenpunkten müssen auf unterschiedliche Weise modelliert und bewertet werden. Für einen Streckenabschnitt erfolgt dies in Abhängigkeit der Führungsform. Laut [32] können für den Radverkehr folgende Führungsformen unterschieden werden: - Mischverkehr - Schutzstreifen - Radfahrstreifen - Radweg - Gemeinsamer Geh- und Radweg - Getrennter Geh- und Radweg - Fahrradstraße - Fahrradzone - Radschnellweg - Freigabe für Radverkehr - Mitbenutzung von landwirtschaftlichen Wegen - Mitbenutzung von Waldwegen Für Knotenpunkte können unterschiedliche Knotenpunkttypen unterschieden werden: - Überführung - Unterführung - Kreisverkehr - Kreuzung - Querung 5. Einzelparameter der Bewertung Eine Bewertung erfordert eine multikriterielle Entscheidungsanalyse, welche es ermöglicht, mehrere Faktoren zu berücksichtigen und diese zu Teil- und Gesamtwerten zu kombinieren. Hierzu muss definiert werden, welche messbaren Parameter die jeweiligen Anforderungswerte beeinflussen. Es ist dabei möglich, dass individuelle Parameter mehrere Anforderungswerte beeinflussen. Für Priorisierungen sollten Netzbedeutung und Radverkehrsaufkommen berücksichtigt werden. 5.1 Streckenbewertung Bei der Streckenbewertung werden einzelne Streckenabschnitte bzgl. Sicherheit und Komfort bewertet. Eine Bewertung der Attraktivität spielt für den Alltagsradverkehr eine untergeordnete Rolle, da sich diese auf externe Faktoren der Umgebung bezieht. Hierzu zählen beispielsweise die Integration in die Umgebung, die Aufenthaltsqualität, der Anteil von Grünflächen und Bäumen, Luftverschmutzung oder Lärmbelastung [19], [20]especially over the past decade. This paper presents a systematic literature review of the developed urban bikeability indices (BIs. Mögliche Anwendungsfälle zur Bewertung der Attraktivität wären die Förderung des Freizeitbzw. Tourismusverkehrs oder dessen Routengestaltung. Eine hohe Oberflächenqualität ermöglicht schnelle und sichere Fahrten, ohne Rutsch- oder Sturzgefahr [33], [34], Auf Radverkehrsnetzen können eine Vielzahl unterschiedlicher Oberflächenarten vorkommen. Hierzu zählen Asphalt, Beton, Pflaster, aber auch ungebundene Decken. Je nach Bauweise können unterschiedliche Schäden auftreten. Nach [35] müssen Unebenheiten durch beispielsweise Wurzelhebungen sowohl in Längsals auch Querrichtung erfasst werden. Auch die Griffigkeit, welche sich auf den Rollwiderstand und somit den Kraftaufwand auswirkt, sollte in der baulichen Qualitätsbewertung berücksichtigt werden [35]. Weitere Substanzmerkmale variieren in Abhängigkeit des Oberflächenmaterials. Nach [35] müssen auf Asphaltflächen Ausmagerungen, Ausbrüche, Abplatzungen, Flickstellen, offene Nähte und Risse berücksichtigt werden. Für Pflasterbauweisen sollten Flickstellen, Störungen im Verband, offene Fugen, und beschädigte Pflasterelemente erfasst werden [35]. Die Bewertung der Oberflächenqualität berücksichtigt die Gesamtbewertung der Substanz und des Zustands der Oberfläche. Eine regelmäßige betriebliche Unterhaltung auf Radverkehrswegen erhöht den Komfort und die Sicherheit <?page no="331"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 331 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur der Strecke. Nach [32] müssen für eine vollständige betriebliche Unterhaltung unterschiedliche Aufgaben erfüllt werden. Hierzu zählt unter anderem das Entfernen von Müll, Scherben oder sonstigen verkehrsgefährdenden Schäden im Rahmen der Streckenkontrolle. Eine regelmäßige Grünpflege dient der Einhaltung der Lichtraumprofile für den Radverkehr. Im Winter sollten wichtige Verbindungen geräumt und gestreut werden und in Abhängigkeit der Führungsform mit dem Winterdienst auf Fahrbahnen koordiniert werden. Weitere Aufgaben umfassen die Reinigung der Radverkehrswege, die bauliche Unterhaltung sowie die Wartung der Ausstattung. Für eine durchgängige und hohe Radnetzqualität müssen die betrieblichen Aufgaben baulastträgerübergreifend funktionieren [36]. Eine Bewertung der betrieblichen Unterhaltung berücksichtigt die regelmäßige Durchführung der beschriebenen Aufgaben. Wesentlichen Einfluss auf den Sicherheitsfaktor einer Strecke hat das Vorhandensein und die Art der Führungsform für den Radverkehr [37]. Die Sicherheit auf separat verlaufenden Radverkehrsführungen kann nicht durch Kraftfahrzeuge beeinflusst werden. Eine Trennung zur Führung des motorisierten Verkehrs kann entweder räumlich (beispielsweise Grünstreifen) oder baulich (beispielsweise geschützte Radfahrstreifen) ausgebildet sein [38]. Einflüsse von Kraftfahrzeugen werden relevant, wenn der Radverkehr in unmittelbarer Nähe zu diesen geführt wird, wie im Mischverkehr oder auf Schutz- und Radfahrstreifen. Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der FGSV geben in Abhängigkeit der Verkehrsstärke und Verkehrsgeschwindigkeit Empfehlungen für unterschiedliche Führungsformen [16]. Besonders bei hohem Verkehrsauf kommen mit hoher Geschwindigkeit ist eine Trennung zwischen Rad und motorisiertem Verkehr essenziell. Für Radfahrende können Konflikte mit Leicht- oder Schwerverkehr sehr schnell gefährlich werden [16], [24]. Diese Abhängigkeit von anderen Verkehrsteilnehmern wirkt sich stark auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Radfahrenden aus, weshalb getrennte Führungen zu Kraftfahrzeugen präferiert werden [39]. Bauliche Trennungen wirken sich positiv auf das Sicherheitsempfinden der Radfahrenden aus und können das Risiko eines Unfalls reduzieren [34]. Teilweise werden von Radfahrenden auch Umwege in Kauf genommen, um eine gemeinsame Führung mit dem Kraftfahrzeugverkehr zu vermeiden [40]. Radverkehrsführungen, die Trennungen zum Kfz-Verkehr aufweisen, sollten besser bewertet werden als gemeinsame Führungen mit dem Kfz-Verkehr. Zusätzlichen Einfluss auf den Radverkehr, unter Berücksichtigung der Führungsform, hat das Verkehrsaufkommen des motorisierten Verkehrs [20]. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke, sowie der Anteil von Leichtverkehr und Schwerverkehr können als Bewertungsgrößen dienen, wobei höhere Werte zu niedrigeren Bewertungen führen [41]. Auch die Geschwindigkeit von Kraftfahrzeugen sollte zur Bewertung der Sicherheit von Radverkehrsanlagen berücksichtigt werden [41]. Bei Führungen auf der Fahrbahn steigt bei höheren zulässigen Geschwindigkeiten das Gefahrenpotential für Radfahrende. Zusätzlich verringert sich das subjektive Sicherheitsempfinden der Nutzenden [42]. Eine innerörtliche Geschwindigkeitsreduktion von 50 km/ h auf 30 km/ h wird von Radfahrenden als positiv wahrgenommen [43]. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von Kfz dient als weitere Bewertungsgröße für Streckenabschnitte. Nicht nur der fließende Verkehr kann zum Sicherheitsproblem für Radfahrende werden, auch parkende Fahrzeuge neben der Radverkehrsführung wirken sich auf das Sicherheitsgefühl aus [38]. Für Fahrradfahrende kann das unbedachte Öffnen von Autotüren zum Kollidieren mit der Fahrzeugtür führen. Auch Ein- und Ausparkvorgänge können Gefahren darstellen [24]. Für bestimmte Führungsformen existieren in Abhängigkeit der Parkform Vorgaben für Sicherheitstrennstreifenbreiten zum ruhenden Verkehr [22]. Zur Bewertung der Regelwerkskonformität können die vorhandenen Sicherheitstrennstreifen mit den Vorgaben abgeglichen werden. Alternativ können auch absolute Distanzen zwischen Radverkehrsführung und parkendem Verkehr als Bewertungsstufen genutzt werden [17]. Je breiter die Radverkehrsführung ist, desto komfortabler und sicherer ist diese befahrbar, da ein Nebeneinanderfahren möglich ist und sich die Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern reduziert [29], [44]. Ausreichend breite Fahrradwege sind fehlerverzeihend und ermöglichen schnelleren Radfahrenden ein ungestörtes Überholen [45]. Sofern der Radverkehr auf der Straße geführt wird, wirken sich die Anzahl der Fahrstreifen sowie deren Breiten auf das Sicherheitsempfinden der Radfahrenden aus [41]. Breite Infrastruktur bedeutet auch, dass Kurvenradien so ausgebildet sind, dass eine hohe Fahrtgeschwindigkeit möglich ist [33]. Die Wahl einer eigenen Fahrtgeschwindigkeit trägt zum Komfortempfinden bei [46]. Besonders auf viel befahrenen Strecken sollten keine beengten Situationen entstehen, sodass ein reibungsloser Verkehrsfluss möglich ist [22], [46]. Die Bewertung der Breiten muss in Abhängigkeit der Führungsform erfolgen, da diese unterschiedliche Mindestbreiten und empfohlene Breiten vorgeben [17]. Ein weiteres Sicherheitskriterium ist die Beleuchtung an Radverkehrsverbindungen [30]. Besonders in den Wintermonaten kann es morgens und abends zu Pendlerzeiten bereits dunkel sein, weshalb zusätzliche Beleuchtungen an stark genutzten Radverkehrsverbindungen die Sichtbedingungen verbessern sollten. Beleuchtete Radwege erhöhen die soziale Sicherheit in Angsträumen, wie beispielsweise Unterführungen oder abgelegenen Fahrradwegen [22]. Im Rahmen einer netzweiten Radverkehrsförderung sollten zunächst wichtige Verbindungen, die noch nicht beleuchtet sind, ausgeleuchtet werden. Eine Bewertung der Beleuchtung kann folglich nur zwei Werte annehmen, welche das Vorhandensein einer Beleuchtung oder keine Beleuchtung kennzeichnen. <?page no="332"?> 332 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur Fahrbahnmarkierungen dienen dem Schutz der Radfahrenden, indem beispielsweise Schutzstreifen oder Radfahrstreifen eine klare Abgrenzung der Radverkehrsführung aufzeigen. Dies hilft nicht nur den Fahrradfahrenden, sondern auch den Kraftfahrzeugführenden, welche ihr Fahrverhalten anpassen können. Straßenmarkierungen wurden bisher wenig in Bewertungsprozessen berücksichtigt, haben jedoch einen positiven Einfluss auf das Radverkehrsauf kommen [19]especially over the past decade. This paper presents a systematic literature review of the developed urban bikeability indices (BIs. Das Vorhandensein von Markierungen entlang der Radverkehrsführung ist folglich positiv zu bewerten. Steigungen sind im Alltagsradverkehr zusätzlicher Kraftaufwand, welcher maßgeblichen Einfluss auf den Fahrkomfort hat [17], [20], [47]. Hierbei sind sowohl der Wert der Steigung als auch die Länge der Steigung zu berücksichtigen [17], [48]. Lange mäßige Steigungen können beispielsweise wesentlich anstrengender als kurze starke Steigungsabschnitte sein. Steigungen auf separaten Radverkehrsführungen sind komfortabler für Radfahrende als Steigungen in gemischten Verkehrsflächen mit Kraftfahrzeugen oder Fußverkehr [16]. Eine flache Infrastruktur wird von Radfahrenden gegenüber einer steilen Infrastruktur vorgezogen [40]. Die Bewertung der Steigung kann als Index nach [48] in [17] erfolgen. Zusätzlich zur Trennung von Kraftfahrzeugen kann der Komfort einer Strecke erhöht werden, wenn es außerdem eine Trennung zwischen Radverkehr und Fußverkehr gibt [37], [47]. Um im Alltagsradverkehr möglichst effizient am Ziel anzukommen, sollte der Kraftaufwand geringgehalten werden und eine kontinuierliche Fahrtgeschwindigkeit möglich sein. Interaktionen mit dem Fußverkehr führen zu Abbremsungen sowie neuen Beschleunigungen, welche diesen Ansprüchen entgegenwirken. Auch bei der Separation zum Fußverkehr ist eine bauliche Trennung präferiert gegenüber einer Markierungslösung [16]. Je weniger der Radverkehr durch Beeinträchtigungen anderer Verkehrsteilnehmer gestört wird, desto komfortabler ist der zurückgelegte Weg. Bewertungen können sich in Abhängigkeit der Führungsform orientieren, welche gemeinsam, getrennt oder separat zum Fußverkehr verlaufen können. Hindernisse sind Barrieren entlang der Radverkehrsführung, die eine Reduktion der Fahrtgeschwindigkeit zur Folge haben können. Hierzu zählen beispielsweise Poller, Drängelgitter, Treppen, Schiebestellen, Umlaufschranken, Sperrpfosten, oder sonstige Einbauten [22], [49]. Hindernisse sollten auf qualitativ hochwertigen Strecken nicht vorhanden sein. Die Bewertung von Hindernissen kann in Bezug auf die Streckenlänge erfolgen, wobei eine Zunahme der Hindernisse mit einer Reduktion der Bewertung einhergeht [17]. Die Einordnung der erläuterten Parameter zu den Teilwerten Sicherheit und Komfort ist in Tab. 2 gegeben. Tab. 2: Einordnung der Parameter zu Sicherheit und Komfort für Streckenabschnitte Sicherheit Komfort Baulicher Zustand Baulicher Zustand Breiten Breiten Verkehrsaufkommen Kfz Betriebliche Unterhaltung Höchstgeschwindigkeiten Kfz Steigungen Trennungen zum Kfz-Verkehr Trennungen zum Fußverkehr Parken Kfz Hindernisse Beleuchtungen Markierungen 5.2 Knotenpunktbewertung Die Komplexität einer Bewertung von Knotenpunkten ist verglichen mit Streckenabschnitten wesentlich höher [28]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mögliche Interaktionen vielschichtiger sind, was genaue Analysen erschwert. Für Knotenpunkte kann im Rahmen der Alltagsradverkehrsförderung die Bewertung auf Sicherheit und Komfort erfolgen. Ähnlich zur Streckenbewertung kann die Bewertung der Attraktivität der Umgebung bei Knotenpunkten für den Alltagsradverkehr unberücksichtigt bleiben. Manche Parameter, welche in der Streckenbewertung berücksichtigt sind, sollten auch in die Knotenpunktbewertung einfließen. Der bauliche Zustand muss auch im Knotenpunktbereich eine hohe Oberflächenqualität aufweisen. Genauso müssen die Aufgaben der betrieblichen Unterhaltung gewährleistet werden. Die Reduktion von Interaktionen mit dem Fußverkehr erhöht auch in Knotenpunktbereichen den Komfort. Die Bewertungen entsprechen hierbei den Anforderungen der Streckenbewertung. Die Einflüsse des Kfz-Verkehrs hinsichtlich Trennung, Verkehrsaufkommen und Höchstgeschwindigkeit sind unter erweiterten Bedingungen zu betrachten. Trennungen zum Kfz-Verkehr beziehen sich auf die Radverkehrsführung in Längsrichtung im Knotenpunkt. Auch in Knotenpunkten sind separate Infrastrukturen, die zum motorisierten Verkehr getrennt sind, bei Radfahrenden bevorzugt [29], [30]. Für Querungen, bei welchen der Radverkehr unabhängig vom Kfz-Verkehr geführt wird, wird dieser Parameter nicht relevant. Radverkehrsführungen, die getrennt zum Kfz-Verkehr verlaufen sollten im Knotenpunktbereich besser bewertet werden als gemeinsame Führungen mit dem Kfz-Verkehr. Das Verkehrsaufkommen im Knotenpunktbereich kann sich auf unterschiedliche Richtungen beziehen. Für gemeinsame Führungen mit dem Kfz-Verkehr, wirkt sich das Verkehrsaufkommen von Kraftfahrzeugen in Längsrichtung negativ auf die Qualität aus [28], [50]. Ein hohes Verkehrsaufkommen des querenden Kfz-Verkehrs wirkt sich insbesondere bei unsignalisierten bzw. nicht bevorrechtigten Knotenpunkten negativ auf Sicherheit <?page no="333"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 333 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur und Zeitverlust aus [29], [30]. Die Bewertungen des Verkehrsaufkommens orientieren sich an den Verkehrsstärken und dem Schwerverkehrsanteil auf Basis der Streckenbewertung. Auch die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten des querenden Kfz-Verkehrs wirken sich besonders an nicht durch Lichtsignalanlagen gesteuerten Knotenpunkten negativ auf die Sicherheit der Radfahrenden aus [29]. Die Bewertung reduziert sich mit höheren zulässigen Höchstgeschwindigkeiten des querenden Verkehrs. Die Breiten der Radverkehrsführung sollten in der Knotenpunktbewertung berücksichtigt werden [28]. An Knotenpunkten können verfügbare Aufstellflächen berücksichtigt werden, da diese zu Konfliktreduktionen zwischen Fahrrad und Kfz beitragen sowie den Radverkehr priorisieren und sichtbarer machen [51]. Die Bewertung der Breiten im Knotenpunktbereich wird in Abhängigkeit der Radverkehrsführung gebildet. Markierungen in Knotenpunkten können entweder nur als weiße Furtmarkierungen oder zusätzlich durch farbliche Flächenmarkierungen ausgeführt sein [52]. Farbliche Markierungen vereinfachen die Erkennbarkeit der Radverkehrsinfrastruktur für andere Verkehrsteilnehmer [51], [53]. Die Bewertung von Markierungen im Knotenpunktbereich erfolgt durch keine Markierung, Furtmarkierung oder Furtmarkierung und farbliche Flächenmarkierung. Besonders wichtig für Knotenpunkte ist die Vorfahrtsregelung. Zu diesen zählen signalisierte Knotenpunkte, verkehrszeichengeregelte Knotenpunkte und rechts-vorlinks-Regelungen. Signalisierte Knotenpunkte erhöhen die Sicherheit, da kein kreuzender Verkehr zu Konflikten führen kann [51]. Die Bewertung der Vorfahrtsregelung ist besser, wenn der Radverkehr bevorrechtigt ist. Mit einer Bevorrechtigung des Radverkehrs an Knotenpunkten, erhöht sich auch der Komfort durch die Verringerung von Zeitverlusten. Diese sollten berücksichtigt werden, da Zeitverluste einen zentralen Parameter für den Alltagsradverkehr darstellen [16], [29]. Wartzeiten können als durchschnittliche Wartezeiten berücksichtigt werden, wobei höhere Wartezeiten schlechter bewertet werden. Alternativ können auch Standardverlustzeiten genutzt werden [22]. Wartezeiten an unsignalisierten Knotenpunkten werden auch durch Überquerungslängen bzw. die Anzahl der zu querenden Fahrstreifen beeinflusst [20], [54]. Bei der Überquerung von Straßen sollten Querungshilfen für Radfahrende zur Verfügung stehen [15], [16]. Diese ermöglichen eine unabhängige Überquerung einzelner Fahrstreifen und reduzieren potenzielle Konflikte und Wartezeiten bei erhöhtem Verkehrsaufkommen des querenden motorisierten Verkehrs. Kurze Überquerungslängen sollten bei Vorhandensein von Querungshilfen besser bewertet werden. Die Einordnung der erläuterten Parameter zu den Teilwerten Sicherheit und Komfort ist in Tab. 3 gegeben. Tab. 3: Einordnung der Parameter zu Sicherheit und Komfort für Knotenpunkte Sicherheit Komfort Baulicher Zustand Baulicher Zustand Breiten Breiten Verkehrsaufkommen Kfz Betriebliche Unterhaltung Höchstgeschwindigkeiten Kfz Überquerungslängen und Querungshilfen Vorfahrtsregelungen Wartezeiten Trennungen zum Kfz- Verkehr Trennungen zum Fußverkehr Markierungen Markierungen 5.3 Routenbewertung Auf bauend auf der Streckenbewertung und Knotenpunktbewertung ermöglicht die Routenbewertung eine weitere Betrachtungsebene, welches die Direktheit von Verbindungen darstellt. Eine Routenbewertung erfordert die Definition von Quell- und Zielpunkt, welche beispielsweise durch Points of Interest (POIs) oder Stadtzentren definiert werden können. Zur Evaluation der Direktheit muss der Umwegefaktor als Quotient aus tatsächlicher Strecke und Luftliniendistanz gebildet werden [21]. Die Reduktion von Umwegen und zurückgelegten Distanzen ist für qualitativ hochwertige Radverkehrsnetze von wesentlicher Bedeutung [55]. Je höher die Umwegefaktoren, desto schlechter ist die Bewertung [17]. Eine weitere Betrachtung der Direktheit bieten die zeitlichen Einflüsse entlang einer Route. Auf Basis der Wartezeiten an Knotenpunkten können die durchschnittlichen Zeitverluste pro Routenkilometer gebildet werden [17]. Je geringer die Zeitverluste, desto besser fällt die Bewertung aus. Weitere zeitliche Betrachtungen, welche sich auf durchschnittliche Geschwindigkeiten von Radfahrenden beziehen, sind stark abhängig vom Nutzungsverhalten und individuellen Faktoren, sodass diese nicht in die Bewertung von Routen einbezogen werden. In der Routenbewertung werden Streckenbewertungen und Knotenpunktbewertungen berücksichtigt, welche auf Basis von Durchschnittswerten, Sicherheit und Komfort einer Route beurteilen. Hierbei müssen Streckenbewertungen in Abhängigkeit der Abschnittslängen gebildet werden [17]. 5.4 Netzbewertung Um ein Radverkehrsnetz auf Konnektivität bewerten zu können, muss der gesamte Netzbereich betrachtet werden. Zusammenhängende Radverkehrsnetze verbessern die Erreichbarkeit aller Quell- und Zielpunkte mit dem Fahrrad innerhalb des Gebiets [56]. Hierbei kann die Dichte der Streckenabschnitte und Knotenpunkte in Abhängigkeit der Fläche bewertet werden, da mehr Knotenpunkte und Streckenlängen eine höhere Konnektivität aufweisen [57], [58]. Zusätzlich kann der Anteil an Haupt- <?page no="334"?> 334 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur wegeverbindungen am gesamten Radverkehrsnetz berücksichtigt werden [17], [48]. Je größer das klassifizierte Hauptradwegenetz ist, desto besser ist die Bewertung. Anbindungen an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sollten in Radverkehrsnetzen vorhanden sein, sodass intermodale Mobilitätsformen genutzt werden können. Hierzu sollten Distanzen zwischen Haltestellen und Radverkehrsnetz möglichst kurz sein und Abstellanlagen für Fahrräder vorhanden sein [59]. Die Anbindung des ÖPNV wird bei kürzeren Entfernungen zwischen Haltestelle und Radverkehrsinfrastruktur besser bewertet. Auch an weiteren Zielorten des Radverkehrs müssen Abstellanlagen vorhanden sein. Diese sollten dabei über ausreichend Stellplätze sowie Schutz gegen Diebstahl und Witterung verfügen [60]. Typ und Auslastung der Abstellanlagen können als Bewertung dieser genutzt werden [17]. Die Berücksichtigung der Bewertungen zu Strecken, Knoten und Routen können in Abhängigkeit der Strecken- und Routenlängen in der Netzbewertung eingepflegt werden [17]. Es ergeben sich somit Einzelwerte der Sicherheit, des Komforts, der Direktheit und der Konnektivität des betrachteten Radverkehrsnetzes. Diese bilden eine gesamtheitliche Übersicht der für den Alltagsradverkehr relevanten Anforderungen. Eine Gesamtbewertung kann durch Gewichtung der einzelnen Teilwerte eine Qualitätseinstufung des gesamten Netzes ergeben. Die Identifikation georeferenzierter Schwachstellen ist hierbei jedoch nicht möglich, da Durchschnittswerte des gesamten Netzes gebildet werden. 6. Netzmodellierung Um die Bewertungsverfahren zu implementieren, ist ein digitales Netzmodell aufzubauen. Die wesentlichen Aufgaben bzw. Anwendungsfälle des Netzmodells sind: - Darstellung der Topologie und Geometrie des Radwegenetzes - Georeferenzierung - Dokumentation und Fortschreibung der umfassenden Informationen zum Bestand und Qualität der Infrastruktur - Streckenbezogene, Knotenpunktbezogene, Routenbezogene sowie Netzbezogene Qualitätsbewertung und Schwachstellen-Erkennung anhand der Bewertungsalgorithmen und Zustandsdaten - Visualisierung der Bewertungsergebnisse - Möglichkeit zum automatisierten Datenimport und -export Die Bewältigung der genannten Aufgaben erfordert ein Netzmodell, das sowohl als ein Geometriemodell als auch eine Datenbank fungieren kann. 6.1 Geometriemodell Für Straßennetze ist das GDF (Geographic Data Files) ein etabliertes Datenmodell, in dem drei Darstellungsstufen definiert worden sind: Stufe 0---Geometrie & Topologie, Stufe 1---Objekte und Stufe 2---generalisierte Objekte. Die Straßenelemente bzw. -objekte und die damit verbundenen Eigenschaften werden als Features und Attribute definiert [61]. Ein topologisches Geometriemodell entspricht der Stufe 0 nach dem GDF. In diesem Schritt ist wichtig, die Geometrie und Topologie des Netzes abzubilden. Dies erfolgt als Knoten-Kanten-Modell: Knoten für die Knotenpunkte und Kanten für die Radverkehrsführung. Da eine optimale und aussagekräftige Bewertung des Netzes möglichst detailreiche und genaue Informationen zu den Netzelementen erfordert, sollten Knotenpunkte ausreichend detailliert abgebildet werden. Für komplexe Knotenpunkte mit LSA bietet es sich daher an, die einzelnen Verkehrsbeziehungen getrennt zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die topologischen Verkehrsführungslinien von Radverkehr neben normalen knotenpunktfreien Strecken auch im Knotenpunktbereich ermittelt werden. Die im Knotenpunktbereich als Verbindungsfunktion dienenden Verbindungstrecken sollten als gesonderter Objekttyp definiert und dem zugehörigen Knotenpunkt zugeordnet werden. Im Vergleich zu freien Strecken besitzen Verbindungsstrecken zusätzliche Eigenschaften, welche für die Bewertung des Knotenpunktes relevant sind, wie beispielsweise Reglungsform, Markierung oder Wartezeit. Verbindungsstrecken können, wie normale Strecken, separat als einzelnes Objekt bewertet werden. Da sie Bestandteil von Knotenpunkten sind, sind sie für deren Bewertung essenziell. An Knotenpunkten mit LSA endet eine Strecke immer an der entsprechenden Haltelinie und beginnt an der Haltelinie der Gegenrichtung. Bei einfachen Knotenpunkten ohne LSA können Verbindungsstrecken entfallen, in diesem Fall dient der Schnittpunkt der Achsen von den zu verbindenden Knotenpunktarmen als Verknüpfungspunkt der Strecken. Die Bewertung kann durch pauschale Anhaltswerte je nach Zustandsmerkmal erfolgen. Durch Strecken, Verbindungsstrecken und Knotenpunkte kann ein Basis-Geometriemodell aufgebaut werden. Die eindeutige Kennnummer-Vergabe ist für jedes Element analog zur ASB möglich. Die für das klassifizierte Straßennetz etablierte SIB nach ASB basiert auf einem Ordnungssystem, welches sog. Netzknoten als Grundelemente definiert. Jeder Netzknoten bekommt je nach seiner Position in den Blättern der Topografischen Karte (TK) im Maßstab 1: 25.000, eine 7-stellige Nummernfolge als seine eindeutige Bezeichnung. Die Netzknoten gliedern dann das Straßennetz in einzelne Abschnitte. Nach benachbarten Netzknoten werden die Abschnitte eindeutig nummeriert, die wiederum durch Stationierung feiner aufgeteilt und gekennzeichnet werden können. Auf diese Weise ist jedem Straßenelement im Straßennetz eine Identifikation zugeordnet [14]. Aufgrund der Vielfältigkeit von Knotenpunkten ist in weiterer Arbeit der Modellierungsstandard für verschiedene Knotenpunktformen und Sonderfällen zu ergänzen. 6.2 Datenmodell Zur besseren Austauschbarkeit ist eine Standardisierung für das Datenmodell vorzusehen. Analog zu IFC (Indus- <?page no="335"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 335 Nachhaltiges Asset Management für die Radverkehrsinfrastruktur try Foundation Classes) der BIM Methode und OKSTRA der SIB, bildet [62] eine gute Grundlage mit den Rahmenangaben des Nationalen Datenschemas der Radverkehrsdaten. Auf Basis davon lässt sich ein standardisiertes Datenmodell nach spezifischen Anforderungen der Bewertungsverfahren auf bauen. Neben geometrischen und geographischen Eigenschaften von Straßenobjekten sind weitere qualitätsrelevante Eigenschaften zu ergänzen. Aus verschiedenen Anwendungsfällen der Bewertungsalgorithmen ist die Datenanforderung zu entnehmen. Somit sind der Auf bau und die Ergänzung des Datenmodells stets an dem aktuellen Bewertungsverfahren zu orientieren. Aus derzeitigem Stand lässt sich eine Grundstruktur für das Datenmodell entwerfen. Dabei werden die notwendigen Grundelemente (Feature Type) sowie die Beziehungen dazwischen definiert. In weiterer Arbeit ist für einzelne Grundelemente, analog zu dem OKSTRA sowie dem nationalen Datenschema für Radverkehr, ein ausführlicher Objektkatalog zu erstellen. 7. Fazit und Ausblick Für ein nachhaltiges Asset Management auf Radverkehrsnetzen ist eine ganzheitliche Qualitätsbetrachtung notwendig. Die Infrastruktur sollte in der Lage sein die Anforderungen für den Alltagsradverkehr hinsichtlich Sicherheit, Komfort, Direktheit und Konnektivität zu erfüllen. Eine netzweite Betrachtung erfordert die Berücksichtigung unterschiedlicher Bewertungsbereiche in Strecke, Knotenpunkt, Route und gesamtes Netz. Dies ermöglicht die Identifikation von Qualitätsmängeln als Grundlage für Handlungsbedarfe in Erhaltungsmanagement und Ausbaumaßnahmen. Datenbeschaffungen für die Erprobung der Bewertung auf Knotenpunkt- Routen- und Netzebene in realen Netzen befinden sich in der Umsetzungsphase. Die Testung und Optimierung der Bewertungen in Abhängigkeit der Datenverfügbarkeit ist für die skalierbare Anwendbarkeit in größeren Netzen sicherzustellen. Für eine langfristige Qualitätssicherung müssen auch Erhaltungszuständigkeiten in Bezug auf Verantwortlichkeiten der Instandhaltung geklärt werden. Während der Fokus dieser Arbeit auf der Radverkehrsinfrastruktur liegt, wird zukünftig auch eine Ausweitung auf die Fußverkehrsinfrastruktur vorgenommen, die bislang im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern stark unterrepräsentiert ist. Die Erkenntnisse und Methoden aus der Radverkehrsforschung bieten dabei wertvolle Anknüpfungspunkte und Synergien, um Lösungen für beide Verkehrsträger zu entwickeln und die aktive Mobilität zu fördern. Literatur [1] BMDV, Nationaler Radverkehrsplan 3.0. Berlin: BMDV, 2022. [Online]. Verfügbar unter: https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StV/ Radverkehr/ nationaler-radverkehrsplan-3-0.html [2] „Fahrrad und Radeln | Umweltbundesamt“. Zugegriffen: 12. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ umwelttipps-fuer-den-alltag/ mobilitaet/ fahrrad-radeln#undefined [3] „Radverkehr | Umweltbundesamt“. Zugegriffen: 12. November 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehr/ nachhaltige-mobilitaet/ radverkehr#gtgt-umweltfreundlich-und-klimaschonend [4] FGSV, Hinweise zur Anwendung der RIN. Köln: FGSV-Verlag, 2018. [5] D. Stolten, „Radverkehrstypen im Ausflugsradverkehr.“, Self, Mai 2023. doi: 10.26128/ 2023.41. 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Carl Richter Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Die Betrachtung von Nachhaltigkeitsaspekten spielt im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken aktuell eine untergeordnete Rolle. Mit der Überarbeitung der europäischen Bauprodukteverordnung (BauPVO) und der Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) wird sich der Fokus aber ändern. Im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsbilanzierung stehen drei Säulen, welche gleichsam ökonomische, ökologische und soziokulturelle Aspekte berücksichtigen. Die Nachhaltigkeitsbilanzierung von Ingenieurbauwerken wird aktuell mit verschiedenen Projektausrichtungen untersucht und auch in der Vergangenheit wurden bereits Konzepte und Vorgehensweisen entwickelt. Ein standardisiertes Vorgehen in Bezug auf die Ingenieurbauwerke liegt bislang nicht vor. Dieses gilt sowohl für Datengrundlagen, Nachhaltigkeitsindikatoren als auch Umsetzungskonzepte. Ziel der weiteren Forschung ist daher die Entwicklung eines standardisierten und mit den Stakeholdern abgestimmtes Vorgehen zur Nachhaltigkeitsbilanzierung. Die notwendigen Schritte und deren Umsetzung auf dem Weg zu einer Nachhaltigkeitsbilanzierung für Ingenieurbauwerke werden analysiert. 1. Einführung Mit der Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) wird die Bedeutung der Nachhaltigkeitsbilanzierung gefördert [1]. Ziel der DNS ist es, darauf hinzuarbeiten, mit der Politik gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen weltweit gerecht zu werden und ein Leben in voller Entfaltung ihrer Würde zu ermöglichen.“ [1]. Dennoch spielt im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken die explizite Berücksichtigung der Nachhaltigkeit bisher keine große Rolle. Allerdings wird sich die Bedeutung der Nachhaltigkeit im Bauwesen mit der Überarbeitung der europäischen Bauproduktenverordnung (BauPVO) und der Verpflichtung der Hersteller, Angaben zu den Nachhaltigkeitsindikatoren gemäß DIN EN 15804/ A2: 2018-04 zu machen, stark verändern. Grund ist, dass die BauPVO den verstärkten Einsatz von wiederverwendeten Baumaterialien fördert und die Regeln für Nachhaltigkeitsindikatoren harmonisiert. Aktuell gibt es für Ingenieurbauwerke der Bundesfernstraßen noch kein standardisiertes und gesetzlich vorgeschriebenes Vorgehen zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten im Rahmen des Lebenszyklus. Im Rahmen dieses Artikels werden die notwendigen Grundlagen zur Umsetzung einer Nachhaltigkeitsbilanzierung und ein aktuelles Forschungsprojekt „15.723/ 2024/ RRB: Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen“ vorgestellt, welches im November 2024 gestartet ist und sich den aktuellen Forschungsstand zur Nachhaltigkeitsbilanzierung ermittelt, Wege zur Umsetzung skizziert und den Dialog mit den interessierten und verantwortlichen Personen sucht. Der Fokus liegt bei den aktuellen Fragestellungen insbesondere auf der Nachhaltigkeitsbilanzierung und nicht auf der -bewertung. Eine Bilanzierung beschreibt eine nach bestimmten Kriterien gegliederte, summarische und sich ausgleichende Gegenüberstellung von Wertkategorien. Im Fall der Nachhaltigkeitsbilanzierung sind hier die ökologischen, ökonomischen und sozialen Indikatoren gemeint. Die Bewertung der Nachhaltigkeit erfolgt nach der Bilanzierung, hierbei sind die Festlegung von Grenzwerten, die Gewichtung der Indikatoren und die Kombination der Indikatoren von Bedeutung. Dieser Schritt ist u. a. abhängig von den politischen Zielen, welche erreicht bzw. priorisiert werden sollten. Die Bewertung kann erst erfolgen, wenn auf Grundlage der Bilanzierung erste Ergebnisse vorliegen, diese können dann neben anderen Erkenntnissen dazu genutzt werden, die Grenzwerte festzulegen. <?page no="342"?> 342 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung Zum Einsatz einer umfassenden Nachhaltigkeitsbilanzierung bei Ingenieurbauwerken sind einige Arbeitsschritte notwendig (Abb. 1). Die notwendigen Umsetzungs- und Forschungsschritte werden im Folgenden beschrieben. Abb. 1: Arbeitsschritte zur Umsetzung einer Nachhaltigkeitsbilanzierung bei Ingenieurbauwerken 2. Ingenieurbauwerke Als Ingenieurbauwerke bezeichnet die DIN 1076 Brücken, Tunnel, Trogbauwerke, Stützbauwerke mit mindestens 1,5 Meter sichtbarer Höhe, Lärmschutzwände mit mindestens 2 Meter sichtbarer Höhe und Bauwerke, für die ein statischer Einzelstandsicherheitsnachweis erforderlich ist, wie z. B. Regenrückhaltebecken und Schachtbauwerke [1]. Der Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken erstreckt sich von der Planung über den Bau, den Betrieb bis zum Rückbau. Im Rahmen des Betriebs von Ingenieurbauwerken sind verschiedene Maßnahmen notwendig, welche den Erhalt des Bauwerks bis zum Ende seiner Lebensdauer sicherstellen. Die Ausschreibung und Vergabe von Bautätigkeiten für den Bau und die Erhaltung von Bauwerken werden aktuell über den Preis bestimmt, Nachhaltigkeitsaspekte für einzelne Leistungen werden in einigen wenigen Pilotbeispielen erstmals berücksichtigt. Beim Neubau von Bauwerken werden im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens auch ökologische und soziokulturelle Aspekte einbezogen. Bei der Ausschreibung und Planung spielen Aspekte der Nachhaltigkeit derzeit jedoch kaum eine Rolle. Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Ausschreibung und Vergabe von baulichen Tätigkeiten ist über die Einbeziehung von zusätzlichen Indikatoren, wie bspw. Bauzeitenverkürzung, in die Vergabe möglich, wird aber noch nicht systematisch angewendet. Im Bereich des Hochbaus gibt es bereits gesetzliche Vorgaben, wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und Förderprogramme, welche die Fixierung von Nachhaltigkeitsaspekten im Lebenszyklus fördern und fordern. Auch für die Zertifizierung von Gebäuden liegen bereits verschiedene Möglichkeiten vor, wie beispielsweise das Deutsche Nachhaltigkeitszertifikat der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen [2]. Im Rahmen der Forschung der BASt wurde im Projekt „04.0341- Nachhaltigkeitspotentiale im Straßenbau mit dem Fokus auf Treibhausemission, Energiebedarf und Ressourcenschonung“ ein Tool entwickelt, welches sich mit der Bilanzierung der Umweltwirkungen und hier speziell den Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen), Energieaufwand und Ressourcenschonung für den Beton- und Asphaltstraßenbau befasst. Die Ergebnisse dieses Projektes werden in die weitere Forschung hinsichtlich der Ingenieurbauwerke einbezogen. Allerdings sind die Umweltwirkungen aufgrund vor allem der Einzigartigkeit jedes Ingenieurbauwerks, insbesondere bei Brücken, deutlich aufwändiger zu bestimmen und die Systematisierung ist komplexer [3]. Die einfache Übernahme bzw. Übertragung der Nachhaltigkeitsbewertung aus dem Hochbau oder dem Straßenbau ist für Ingenieurbauwerke also nicht ohne Anpassungen möglich. Weitere Ursachen sind die individuellen Bauweisen, die lange Lebensdauer der Ingenieurbauwerke und die Tatsache, dass Ingenieurbauwerke in den meisten Fällen nur im Rahmen von Vergaben der öffentlichen Hand ausgeschrieben werden. Ein großer Unterschied zwischen dem Hochbau und dem Infrastrukturbau sind die Auswirkungen aus dem Eingriff in den Verkehr. Die Treibhausemissionen durch Stau machen einen großen Faktor aus. Aus diesem Grund wurden Bauzeitenverkürzungen bereits in Pilotprojekten als Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Für Ingenieurbauwerke ist im ersten Schritt der Einsatz der Nachhaltigkeitsbilanzierung im Neubau geplant, eine Übertragbarkeit für den Bestand wird aber bei den Ausarbeitungen berücksichtigt. 3. Nachhaltigkeitsbilanzierung 3.1 Einführung Die Bilanzierung und Analyse der Nachhaltigkeit gewinnen im Ingenieurbau immer weiter an Bedeutung und es gibt bereits einige konzeptionelle und praxisorientierte Arbeiten. Die Nachhaltigkeit wird im Bauwesen unter Einbeziehung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte in den Entscheidungsprozess berücksichtigt. Hierbei wurden in verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aber auch in der Praxis spezifische Indikatoren [4-6] entwickelt und erste Ansätze erarbeitet, die eine Bilanzierung von bestimmten Indikatoren innerhalb einer oder mehrerer Säulen ermöglichen. Die BASt hat im Rahmen der Forschung zum Thema Nachhaltigkeit seit 2010 verschiedene externe und interne Forschungsprojekte [7-9] durchgeführt, welche ein insgesamt integrales Nachhaltigkeitsbewertungsverfahren für die verschiedenen Phasen und Infrastrukturelemente in entsprechenden Modulen darstellt. Dabei war das Ziel das damalige DGNB-System auf den Ingenieurbau zu über- <?page no="343"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 343 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung tragen. Dies wurde aber aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgt. Dazu zählen vor allem die schwere Vereinbarkeit der Zertifizierung mit der öffentlichen Vergabe (beispielsweise aufgrund der Vielzahl der Indikatoren und gleichen Gewichtung aller Indikatoren) und die Priorisierung anderer Themen. Vorgaben in Form von Normen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung und -bewertung liegen bis zu einem gewissen Grad vor. Zu beachten für den Ingenieurbau sind insbesondere die DIN EN 17472: 2024- 06 “Nachhaltigkeit von Bauwerken - Nachhaltigkeitsbewertung von Ingenieurbauwerken - Rechenverfahren“ [10] und EN 15643: 2021-12 “Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken” [11]. Während in der DIN EN 15643 nur die Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeitsbewertung dargestellt werden, sind in DIN EN 17472 die Anforderungen und speziellen Verfahren für die Bewertung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Qualität eines Ingenieurbauwerks unter Berücksichtigung der Funktionalität und die technischen Merkmale und Eigenschaften des Ingenieurbauwerks beschrieben. Der Ansatz umfasst alle Lebenszyklusphasen des Ingenieurbauwerks und kann für neue und bestehende Bauwerke genutzt werden. Die Norm stellt damit eine Grundlage zur Ableitung der Nachhaltigkeitsbilanzierung dar. Der Fokus der Norm liegt auf den Rechenverfahren, für die Umsetzung einer Nachhaltigkeitsbilanzierung ist das ein erster relevanter Schritt. Auch international werden bereits seit mehr als 20 Jahren Bewertungssysteme für die Nachhaltigkeit eingesetzt. In Großbritannien wurde das bis heute meist genutzte Bewertungssystem für Infrastrukturen entwickelt: das Civil Engineering Environmental Quality Assessment and Awards Scheme (CEEQUAL), welches heute unter dem Namen BREEAM Infrastructure (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) bekannt ist [12]. Die Anwendung des Bewertungsverfahrens BREEAM ist für Ingenieurbauwerke möglich, damit kann aber die Zielsetzung der öffentlichen Verwaltung mit einem Fokus auf wirksame Indikatoren nicht umgesetzt werden, daneben spielen hohe Kosten und das nicht unbedingt notwendige Ranking eine Rolle. Neben die Bewertungssystem BREEM haben sich weitere Systeme entwickelt, welche eine Nachhaltigkeitsbewertung für eine Vielzahl von Projekten wie Tunnel, Straßen und Brücken ermöglichen. Diese Verfahren haben jedoch den Nachteil, dass die Indikatoren oft allgemein gehalten sind, da spezifische Anforderungen, wie zum Beispiel Vergleichswerte für die Ökobilanz, nicht über verschiedene Infrastrukturtypen hinweg festgelegt werden können [13]. 3.2 Indikatoren der Nachhaltigkeitsbilanzierung Die Transparenz und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsbilanzierungen ist nur möglich, wenn einheitliche Indikatoren verwendet werden. Indikatoren sind Kennzahlen, also messbare und quantifizierbare Größen. Indikatoren werden Zielen zugeordnet, dieses geschieht u.-a. im Rahmen der Umsetzung der DNS [14]. Ziel ist es, dass im Rahmen von Planung, Bau, Betrieb und Rückbau von Straßeninfrastruktur ein aktiver Beitrag geliefert wird, um die Treibhausgasemissionen, Ressourcenverbräuche sowie weitere negative ökologische, ökonomische und soziale Auswirkungen bestmöglich zu verringern. Die Abb. 2 gibt eine Übersicht zu den relevanten Nachhaltigkeitsindikatoren. Abb. 2: Übersicht zu den Indikatoren Im Bereich der Bundesfernstraßen dominiert bei der Bewertung verschiedener Angebote im Vergabeverfahren die Betrachtung von Angebotspreisen und Baukosten. Das bedeutet, dass Maßnahmen auf ihre Investitionskosten reduziert werden. Eine Entwicklung hin zu einer ganzheitlichen Lebenszyklusbetrachtung ist ein notwendiger Schritt, um u. a. Nachhaltigkeitsaspekten eine größere Bedeutung zukommen zu lassen. Die Lebenszykluskostenanalyse (Life Cycle Costing, LCC) ermöglicht den Vergleich von Verfahren und Produkten hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung aller relevanten, direkten und indirekten Kosten [15; 16]. Während Planungs- und Baukosten präzise ermittelt werden können, ist die Vorhersage der Betriebs- und Rückbaukosten je nach Bauwerksart, Datenqualität und Prognosewerkzeugen unterschiedlich. Der Fokus für die zukünftige bessere Abschätzung der Betriebs- und Rückbaukosten liegt auf dem Vergleich verschiedener Strategien sowie der Qualität der Eingangsdaten und Prognosewerkzeuge. Die ökologischen Auswirkungen von Ingenieurbauwerken sind grundsätzlich bekannt, ihre Quantifizierung ist jedoch mit Herausforderungen verbunden. Um nachhaltiges Planen, Bauen, Betreiben und Rückbauen zu ermöglichen, ist eine umfassenden Quantifizierung durch Ökobilanzierungen notwendig. Diese Verfahren, auch als Life Cycle Assessment (LCA) bekannt [15; 16], erfassen umweltrelevante Prozesse, insbesondere Stoffströme bei der Herstellung von Baustoffen. Sie bilden die Grundlage für die ökologische Bilanzierung hinsichtlich Klimaneutralität und Ressourcenschonung. LCA-Verfahren dienen der Prozessoptimierung und unterstützen Entscheidungen in Planungs- und Vergabeverfahren. Die Berücksichtigung sozialer Aspekte in der Entwicklung von Verfahren und Regelwerken für Ingenieurbauwerke zielt darauf ab, die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen zu erfüllen. Dies erfordert die Einführung weiterer funktionaler Einheiten. Soziale Aspekte beziehen sich u. a. auf den Schutz vor Schadstoffen und Lärm, die Verkehrssicherheit und die Minimierung von Reisezeitverlusten durch optimierte Verfügbarkeit. <?page no="344"?> 344 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung 3.3 Prozess zur Ableitung der relevanten Indikatoren der Nachhaltigkeitsbilanzierung Für die Auswahl und Abstimmung geeigneter Indikatoren zur Nachhaltigkeitsbilanzierung sind verschiedene Arbeitsschritte möglich, welche in Abb. 3 dargestellt sind und Abb. 3folgende Inhalte enthalten: • Zusammenstellung und Bewertung der Grundlagen zur Auswahl der Indikatoren: Als Grundlage sind u. a. [10; 11; 17] zu nennen. • Datengrundlage zur Ableitung der Indikatoren inkl. der Hintergründe und Zuverlässigkeit der Daten und der Darstellung fehlenden Daten zur Ermittlung der Indikatoren. • Berechnungsmethode: Zusammenstellung und Bewertung der Bemessungsgrundlagen der Indikatoren • Die Einbindung der Potenziale der Digitalisierung und hier insbesondere des Building Information Modelling (BIM) • Abstimmung der gewählten Indikatoren mit der Fachöffentlichkeit Abb. 3: Ablauf zur Ableitung von Indikatoren zur Nachhaltigkeitsbilanzierung Im Rahmen des Projekts „15.723/ 2024/ RRB: Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen“ wird ein Tool mit verschieden Bausteinen für die technische Umsetzung der beschriebenen Methodik in die Praxis erstellt. Die Bausteine dieses Tools zur Nachhaltigkeitsbilanzierung sollen hierbei nach den ökologischen, sozialkulturellen und ökonomischen Indikatoren und zwischen den Lebenszyklusphasen Planung und Bau, Betrieb und Rückbau differenzieren. Für jeden Indikator und jede Lebenszyklusphase soll ein eigener Baustein im Tool entwickelt werden. Ziel ist es, eine unabhängige Nachhaltigkeitsbilanzierung für die unterschiedlichen Indikatoren und Lebenszyklusphasen zu ermöglichen. Beispiele für die Umsetzung der Bausteine des Tools sind für die Lebenszyklusphase „Planen und Bauen“ und den ökonomischen Indikator beispielsweise der Baupreis. Für die Lebenszyklusphase Betrieb sind zur Bilanzierung der ökologischen Indikatoren die Eingangsdaten für das Bauwerke und die ökologischen Indikatoren notwendig. Für die Eingangsdaten des Bauwerkes müssen die Erneuerungszyklen sowohl für das gesamte Bauwerk als auch für verschiedene Bauteile (z. B. Überbau, Lager) und Erhaltungsstrategien beachtet werden. Hierbei sind aktuell Daten aus Regelwerken und Forschungsprojekten die Grundlagen. Zukünftig können diese Informationen aber auch mit semantischen Informationen angereicherten dreidimensionalen Modellen entnommen werden. Mit dem verstärkten Einsatz der BIM Methodik im Neubau, stehen diese Modelle in einem ersten Schritt als as-planned-Modelle zur Verfügung (eventuell auch als as-built- Modelle, wenn die Modelle nach der Fertigstellung aktualisiert werden). Neben dem Einsatz von BIM im Neubau gibt es verschiedene Möglichkeiten, um dreidimensionale Modelle von Bestandsbauwerken zu erstellen [18; 19]. Eine Möglichkeit stellt die Aufnahme eines Laserscans und die anschließend durch KI unterstützte Erstellung eines dreidimensionalen Modells dar [19]. In einem weiteren Schritt ist es denkbar, dass die Informationen digitalen Zwillingen oder einer entsprechenden Vorstufe (z. B. Digitaler Schatten) entnommen werden. „Der Digitale Zwilling ist eine virtuelle dynamische Repräsentation des realen Systems und seiner Wirkzusammenhänge. Er unterstützt über einen (teil)automatisierten bidirektionalen Daten- und Informationsaustausch optimierte Entscheidungsgrundlagen für ein nachhaltiges Management im Lebenszyklus der Infrastruktur.“ [21]. Für die Eingangsdaten der ökologischen Indikatoren gilt, dass grundlegende Informationen aus Datenbanken, wie der Ökobaudat und den Umweltproduktdeklarationen (engl.: EPD - Environmental Product Declaration) der Bauprodukte entnommen werden können. 3.4 Zusammenführung der Indikatoren Nach der Auswahl der relevanten Indikatoren besteht der nächste Schritt in der Zusammenführung. Hierbei können unterschiedliche Herangehensweisen genutzt werden. Neben der Monetarisierung der Indikatoren besteht die Möglichkeit, die Ergebnisse einer Skala zuzuordnen. Ein weiterer Punkt stellt die Gewichtung der einzelnen Indikatoren da. In Abhängigkeit des Potenzials zur Verbesserung der Nachhaltigkeit einzelner Indikatoren und politischen Rahmenbedingungen kann diese Gewichtung erstellt werden. Im Rahmen vergangener Projekte wurden beispielsweise allen Faktoren die gleiche Gewichtung gegeben [7-9]. In den aktuell vorhandenen Beispielen zur Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten stehen die CO 2 -Äquivalente im Vordergrund [4]. Die CO 2 -Äquivalente sind eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase. Hierbei wird eine Ge- <?page no="345"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 345 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung wichtung von 100-% auf einen Indikator gelegt. Für die zukünftige Ausprägung der Nachhaltigkeitsbetrachtung ist eine sinnvolle Aufteilung der Gewichtung auf wenige relevante und messbare Indikatoren angedacht. Für den Fall, dass sich eine Zusammenführung (incl. Gewichtung) als nicht zielführend darstellt, ist auch eine getrennte Betrachtung mit jeweils zu definierenden Zielgrößen vorstellbar. 4. Umsetzung der Nachhaltigkeitsbewertung in die Praxis 4.1 Allgemeines Im Rahmen der Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung und der Erreichung von Optimierungen im Sinne der Nachhaltigkeit sind die folgenden Aspekte relevant (vgl. Abb. 1): • Ermittlung und Quantifizierung von Potenzialen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit • Förderung von technischen Entwicklungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit • Umsetzung der Strategie 4.2 Ermittlung und Quantifizierung von Potenzialen Um die Nachhaltigkeit von Bauwerken deutlich zu verbessern, ist es notwendig, die Auswirkungen zu quantifizieren, welche bei der Verbesserung der Nachhaltigkeit das größte Potential haben. In diesen ausgewiesenen Bereichen hat dann auch die Förderung von technischen Entwicklungen das größte Potential. Zur Ermittlung der Indikatoren mit dem größten Einsparpotenzial ist eine Potenzialanalyse notwendig. Diese ermöglicht für verschiedene Interessensgruppen eine langfristig gute Entfaltung entsprechender Wirkungen und kann u.-a. durch eine zukünftige Implementation in Regelwerken erreicht werden. Als Beispiele für die Indikatoren mit einem großen Einsparpotenzial sind Emissionen sowie Ressourcenschonung zu nennen. Bei den Emissionen besteht beispielsweise über die Klinkersubstitution im Beton eine Einsparmöglichkeit. Bei der Ressourcenschonung kann über die Erhöhung der Dauerhaftigkeit der Bauwerke oder Recyclingquoten eine Verbesserung im Bereich der Nachhaltigkeit erreicht werden. 4.3 Förderung von technischen Entwicklungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit Technische Entwicklungen umfassen neben geringfügigen Verbesserungsmaßnahmen auch umfangreichere und tiefgreifende Optimierungsprozesse sowie die Umsetzung baupraktischer Innovationen. Die Förderung technischer Entwicklungen umfasst sowohl Materialien, Konstruktionen sowie Prozesse bei Planung, Bau, Betrieb und Rückbau im Hinblick auf bspw. Ressourcenschonung, Minderung der Emissionen und der Energieverbräuche. Für die Förderung der technischen Entwicklungen sind Forschungsprojekte und -programmen unter Beteiligung maßgeblicher Akteure (universitäre Forschungseinrichtungen, Industrie und Straßenbauverwaltungen) ein relevanter Schritt zur Umsetzung. Als Beispiele für die Umsetzung von technischen Entwicklungen/ Innovationen sind schnelle Bauverfahren und die Restnutzungsdauerverlängerung zu nennen. Mit schnellen Bauverfahren können insbesondere verkehrseinschränkungsbedingte Emissionen verringert werden. Am Beispiel der Baumaßnahme Afferder Weg/ BAB1 konnte im Rahmen einer Studie des Centers Building and Infrastructure Engineering der RWTH Aachen das große Potential zur Einsparung von CO 2 durch Bauzeitenverkürzung gezeigt werden. Dabei wurde mithilfe einiger vereinfachender Annahmen aufgezeigt, dass die Emissionen durch die Zementherstellung bereits nach kurzer durch die Stauvermeidung eingesparter Bauzeit egalisiert werden können. [20] Die Erhöhung der Robustheit und Dauerhaftigkeit von Ingenieurbauwerken hat eine positive Wirkung für die Nutzungsdauerverlängerung. Die Ausnutzung vorhandener Tragfähigkeitsreserven, das frühzeitige Erkennen von Erhaltungsbedarfen, der Einsatz verbesserter Verfahren zur Zustandserfassung und -bewertung, der Einsatz spezifischer auf Randbedingungen bestehender älterer Bauwerke zugeschnittenen Nachrechnungsverfahren und (innovativer) Verstärkungsverfahren zeigen Potenziale für die Restnutzungsdauerverlängerung. 4.4 Umsetzung der Strategie Der letzte Schritt zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung in die Praxis ist die Umsetzung. Der Einsatz der Nachhaltigkeitsbilanzierung ist aus aktueller Sicht über folgende Varianten der Einführung möglich: • Zusätzliche Nachweisformate: Die Einführung von zusätzlichen Nachweisen und Nachweisformaten, die im Rahmen der Planung erfüllt bzw. durchgeführt werden müssen. Diese zusätzlichen Nachweisformate für die Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie, Soziales) sind in Analogie zu den Bemessungsnachweisen (Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit, …) durchzuführen. • Vergabeverfahren: Die Integration von Nachhaltigkeitsindikatoren in Vergabeverfahren; hierfür müssen Bewertungsmethoden definiert werden, auf deren Basis verschiedene Varianten bzw. Angebote vergleichend gegenübergestellt werden können. • Förderung von technischen Innovationen: Die Schaffung von Anreizsystemen, die eine Förderung von technischen Innovationen ermöglichen. • Anpassung von Regelwerken: Die Anpassung von bestehenden Regelwerken, so dass nachhaltigkeitsbezogene Aspekte stärker in den Prozessen der Planung, der Ausführung und der Nutzungsphase berücksichtigt werden. Weiterhin besteht die Notwendigkeit, die Vorgaben zur Einbeziehung der Nachhaltigkeit in die Entscheidungen zum Lebenszyklusmanagement von Ingenieurbauwerken gesetzlich zu verankern. <?page no="346"?> 346 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken - aktueller Stand und notwendige Prozessschritte zur Umsetzung 5. Zusammenfassung und Ausblick Der Einsatz von Nachhaltigkeitsbilanzierungen in der Praxis spielt bei Ingenieurbauwerken derzeit kaum eine Rolle. Dieses ist u. a. auf die hohe Komplexität des Themas und den damit verbundenen hohen zu betreibenden Aufwand sowie auf die nicht in ausreichendem Maß vorhandenen gesetzlichen Regelungen zurückzuführen. Im Rahmen der Umsetzung der DNS und der BauPVO wird die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in den Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken an Bedeutung gewinnen. Mit dem Projekt „15.723/ 2024/ RRB: Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen“ soll für die Ingenieurbauwerke der Bundesfernstraßen ein grundlegender Schritt in die Umsetzung gemacht werden. Hierbei stehen die Abstimmung der relevanten Indikatoren und die Erstellung eines Tools zur Umsetzung der Ideen bei den Eigentümern bzw. Betreibenden der Ingenieurbauwerke im Vordergrund. Ziel ist es, das Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, um die Nachhaltigkeitsbilanzierung insbesondere bei Brücken, aber auch anderen Ingenieurbauwerken im Bundesfernstraßennetz zu fokussieren und wichtige abgestimmt Schritte zur Umsetzung zu erreichen. Literatur [1] DIN 1076: 1999: DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [2] DGNB Das DGNB System: der Global Benchmark for Sustainability [online]2024. https: / / www.dgnb. de/ de/ zertifizierung/ das-wichtigste-zur-dgnb-zertifizierung/ ueber-das-dgnb-system [Zugriff am: 31. Okt. 2024]. [3] Kessel, T.; Pasderski, J.; Falter, C.; Wistuba, M. P.; Büchler, S.; Pohl, T.: Nachhaltigkeitspotentiale im Straßenbau mit dem Fokus auf Treibhausemissionen, Energiebedarf und Ressourcenschonung - unveröffentlichter Entwurf des Schlussberichts zu FE 04.0341/ 2021/ ARB. 2024. [4] Görtz, S.; Dung Pham, T. K.: CO2-Bilanzierung und Optimierung von Brückenbauwerken. Institutsbericht, Institutsbericht Nr. KI- 23/ 01. [5] Haist, M.; Schack, T.; Glock, C.; Heckmann, M.; Wiens, U.: Die neue DAfStb-Richtlinie - Treibhausgas-reduzierte Tragwerke aus Beton, Stahlbeton oder Spannbeton in: Deutsche Ausschuss für Stahlbeton [Hrsg.]: Aachen, 2023. [6] Hüller, F.: Innovation in der Bauausführung in: o.A. [Hrsg.] Ingenieurbau-Symposium »Ulrich Finsterwalder 125«, München, 2023. [7] Fischer, O.; Gehrlein, S.; Lingemann, J.; Jungwirth, J.: Nachhaltigkeitsbewertung für Erhaltungs- und Ertüchtigungskonzepte von Straßenbrücken Heft B132. Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen - Brücken- und Ingenieurbau (B). Bremen: Fachverlag NW. 2016. [8] Mielecke, T.; Graubner, C.-A.; Roth, C. [Hrsg.]: Konzeptionelle Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung im Lebenszyklus von Elementen der Straßeninfrastruktur. Bremen: Fachverlag NW. März 2016. [9] Schmidt-Thrö, G.; Mielecke, T.; Jungwirth, J.; Graubner, C.-A.; Fischer, O.; Kuhlmann, U.; Hauf, G.: Pilotstudie zum Bewertungsverfahren Nachhaltigkeit von Straßenbrücken im Lebenszyklus. 2016. [10] DIN EN 17472: 2024-06 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Nachhaltigkeitsbewertung von Ingenieurbauwerken - Rechenverfahren; Deutsche Fassung EN 17472: 2022. [11] DIN EN 15643: 2021-12 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken; Deutsche Fassung EN 15643: 2021. [12] BREEAM BREEAM Infrastructure [online]2024. https: / / breeam-com.translate.goog/ breeam-infrastructure/ about? _x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_ hl=de&_x_tr_pto=rq [Zugriff am: 31. Okt. 2024]. [13] Müller, M. F.: BIM-gestützte Nachhaltigkeitsbewertung bei Brückenbauwerken. Karlsruher Institut für Technologie (KIT). 2024. [14] Die Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie - Weiterentwicklung 2021. 2020. [15] Strauss, A.; Lener, G.; Schmid, J.; Matos, J.; Casas, J. R.: 2018: Lebenszyklus- und Qualitätsspezifikationen für Ingenieurbauwerke in: Curbach, M. [Hrsg.] Tagungsband 28. Dresdner Brückenbausymposium: 12. und 13. März 2018. Dresden: Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau. [16] Haardt, P.; Schmellekamp, C.: Nachhaltigkeit im Brückenbau - Beitrag zum Fachgespräch Stahlbrücken. 2011. [17] DIN EN ISO 22057: 2022-09 Nachhaltigkeit von Gebäuden und Ingenieurbauwerken - Datenvorlagen für die Verwendung von Umweltproduktdeklarationen (EPDs) für Bauprodukte in der Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) (ISO 22057: 2022); Deutsche Fassung EN ISO 22057: 2022. [18] Bednorz, J.; Hindersmann, I.; Jaeger, K.; Marszalik, M.: Methoden zur Generierung von As-Built-Modellen für Bestandsbrücken . Bautechnik 972020, H. 4 - https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202000011 [19] Hajdin, R.; Rakić, L.; Diederich, H.; Tanasić, N.; Richter, R.; Hildebrand, J.; Schulz, S.: Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand. 2024. [20] Reddemann, T.; Schnetgöke, T.; Maurer, R.; Heinrich, J.: 2024: Schnellbausysteme als Beitrag zum nachhaltigen Brückenbau - Nutzung von weitgespannten Fertigteilen aus C80/ 95 in: Müller, M. [Hrsg.] 6. Brückenkolloquium: Fachtagung über Beurteilung, Instandsetzung, Ertüchtigung und Ersatz von Brücken. Tagungshandbuch 2024. Tübingen: expert verlag ein Imprint von Narr Francke Attempto Verlag. <?page no="347"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 347 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen Dipl.-Ing. Nicole Zakouril Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Leiterin des Referates 26, Stuttgart Dr.-Ing. Tim Weirich Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Brückenreferent im Referat 24, Stuttgart Zusammenfassung Trotz des im Jahr 2011 in Baden-Württemberg vollzogenen Paradigmenwechsels („Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“) und der damit verbundenen Fokussierung auf Erhaltungsmaßnahmen befindet sich der Brückenbestand in Bezug auf Substanz und Tragfähigkeit in weiten Teilen in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Insgesamt muss derzeit für etwa jede zehnte Brücke in Baden-Württemberg eine Erhaltungsmaßnahme eingeleitet werden. Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz wirksam zu begegnen, müssen mittelfristig landesweit jährlich bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt oder neu gebaut werden. Die derzeit zur Verfügung stehenden Investitionsmittel, insbesondere im Landeshaushalt, sowie die personellen Ressourcen reichen jedoch nicht aus, um die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen im erforderlichen Umfang zu erhöhen. Die Straßenbauverwaltung des Landes hat daher bereits verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist es insbesondere, die Planungs- und Bauzeiten zu verkürzen und damit die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu erhöhen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits eingeleitet hat. Daher hat die Straßenbauverwaltung des Landes bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist insbesondere die Planungs- und Bauzeit zu reduzieren und so die Zahl an Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu steigern. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits umgesetzt hat bzw. in Kürze umsetzen wird. 1. Einführung Aufgrund der topographischen Randbedingungen befinden sich in Baden-Württemberg rd. 4.000 Brücken im Zuge von Bundes- und rd. 3.300 Brücken im Zuge von Landesstraßen. Die Brücken stellen die Achillesferse der Straßeninfrastruktur dar und bekommen die in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Verkehrslasten in besonderem Maße zu spüren. Der Brückenbestand befindet sich mit Blick auf die Substanz und die Tragfähigkeit in erheblichem Umfang in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Die Grundlage für die Bewertung des Brückenbestandes bilden dabei sowohl die Zustandsnote, die den baulichen Zustand der Brücke widerspiegelt, als auch der Traglastindex, durch den die Tragfähigkeitseigenschaften bewertet werden. Für die Berechnung der Zustandsnote werden im Zuge der alle drei Jahre durchgeführten Bauwerksprüfung die Schäden und Mängel aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit sowie Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zwischen 1,0 (sehr gut) und 4,0 (ungenügend) zusammengefasst. Abb. 1: Bild von Brückenschäden (Quelle: RP Stuttgart) Der Traglastindex stellt hingegen die Diskrepanz zwischen erforderlicher Brückentragfähigkeit (Ziellastniveau) und vorhandener Tragfähigkeit dar. Die Klassifizierung der Bauwerke erfolgt in fünf Bewertungsstufen von I bis V, wobei Stufe I jene Bauwerke kennzeichnet, welche die geforderten statischen und konstruktiven Anforderungen erfüllen. In der Stufe V sind die Brücken vertreten, die mit einem Alter von 50 Jahren und mehr <?page no="348"?> 348 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen den Zenit ihrer geplanten Nutzungszeit überschritten haben, nicht nach aktuellem Regelwerk geplant sowie gebaut wurden und bei denen aufgrund des seinerzeitigen Stands der Technik im Vergleich zu den heutigen Anforderungen die meisten statisch-konstruktiven Defizite auftreten. Während die Zustandsnote insbesondere ein Instrument für die kurzfristige Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen darstellt, weist der Traglastindex auf die Dringlichkeit einer Erhaltungsmaßnahme hin und stellt somit ein Instrument für eine mittelfristige Prognose dar. Grundsätzlich ist ein Brückenzustand sicherzustellen, der die gestellten Anforderungen an die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit mit ausreichender Zuverlässigkeit erfüllt. Eine nachhaltige Strategie zur Brückenerhaltung erfordert daher sowohl die Berücksichtigung des Brückenzustandes als auch etwaiger Tragfähigkeitsdefizite. So ist bei Brücken in einem „kritischen Bauwerkszustand“ oder schlechter (d.-h. ab Note 3,0 gem. DIN 1076) eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. Tragfähigkeitsdefizite liegen insbesondere bei Brücken mit dem schlechtesten Traglastindex V vor. Diese Bauwerke sind somit prioritär zu behandeln. Zudem sind Brücken mit bauart- und materialbedingten Defiziten, wie Brücken mit spannungsriss-korrosionsgefährdetem Spannstahl, Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten), Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahlrollenlagern, Brücken mit Koppelfugen, usw., ebenfalls kurzfristig durch einen Neubau zu ersetzen. 2. Zustand der Brücken 2.1 Ausgangslage Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz entgegen zu wirken, müssen mittelfristig pro Jahr landesweit bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt bzw. neugebaut werden. Die aktuell zur Verfügung stehenden Investitionsmittel (Landeshaushalt) sowie personellen Ressourcen reichen hierfür allerdings nicht aus. Neben einer Erhöhung der Investitionsmittel (Landeshaushalt) ist für ein zukunftsfähiges Straßennetz insbesondere ein Personalaufwuchs in den kommenden Jahren erforderlich, um das aktuell Erhaltungsdefizit in Höhe von rund 1,5 Mrd. Euro für die Brücken in Baden-Württemberg vor (Bund: 1,020 Mrd. Euro; Land: 0,480. Mrd. Euro) wirtschaftlich und nachhaltig zu bewältigen. Das VM hat bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Anzahl von Brückenerhaltungsmaßnahmen zu steigern, indem Auswirkungen aus den fehlenden Personalressourcen abgemindert und die Planungs- und Bauzeit zu reduziert werden 2.2 Beschleunigung des Genehmigungsverfahren Zur Bewältigung der hohen Anzahl aktuell und perspektivisch notwendiger Brückenersatzneubauten im Bundes- und Landesstraßennetz hat das VM bereits Ende 2022 ein Schreiben herausgegeben, wonach „Ersatzneubauten im Regelfall an Ort und Stelle unter Vollsperrung herzustellen“ sind (vgl. Schreiben vom 14.12.2022, Az. VM2- 3952-34/ 9/ 19). Die baurechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung solcher Ersatzneubauten sind grundsätzlich gegeben. So kann in der Regel auf ein sehr zeit- und personalaufwändiges förmliches Rechtsverfahren zur Erlangung des Baurechts (z. B. Planfeststellungs-, Plangenehmigungs- oder Bebauungsplanverfahren) oder die Feststellung der unwesentlichen Bedeutung verzichtet. Maßgeblich hierfür sind entsprechende Änderungen des Bundesfernstraßengesetzes und des Straßengesetzes für Baden-Württemberg. Danach können Ersatzneubauten von Brücken als „Unterhaltungsmaßnahme“ in eigener Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers durchgeführt werden (Eigengenehmigung nach § 4 FStrG bzw. § 9a StrG BW) und müssen als solche kein förmliches Genehmigungsverfahren durchlaufen. Ziel ist die schnellstmögliche Realisierung des Brückenersatzneubaus, wobei der Ersatzneubau gegenüber dem bestehenden Bauwerk so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig verändert werden soll, um z. B. eine Anpassung an bestehende Regelwerke zu erreichen (Minimalprinzip). Weitere Veränderungen gegenüber dem Bestand sind grundsätzlich nicht vorzusehen. Das materielle Recht (z. B. in Bezug auf natur- und artenschutzrechtliche Belange) ist jedoch weiterhin zu berücksichtigen, wobei dessen Einhaltung im Wesentlichen dem Straßenbaulastträger in eigener Verantwortung obliegt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei fehlendem zweiten Überbau ein geeignetes Umleitungskonzept vor Ort abzustimmen und auszuweisen ist. Außerdem ist bei der Bauausführung in der Regel die Betriebsform 2 zu wählen, um die Verkehrseinschränkungen durch Vollsperrungen möglichst gering zu halten. 2.3 Beschleunigung bei der Vergabe Eine Beschleunigung bei der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen ist möglich, indem die Vergabeverfahren durch „funktionale Ausschreibungen“ verkürzt oder mehrere Projekte in einer „Sammelausschreibung“ zusammengefasst werden. Darüber hinaus sollen verschiedene Ingenieurleistungen künftig in einem Open-House- Verfahren vergeben werden, wie dies bereits in anderen Bereichen der Straßenbauverwaltung der Fall ist. funktionale Ausschreibungen: Bei der Ausschreibung mittels „funktionaler Leistungsbeschreibung“ (kurz: funktionale Ausschreibung) werden nur Angaben zur Funktion, zum Zweck, zur Gestaltung und zu sonstigen Rahmenbedingungen eines Bauvorhabens gemacht. Eine solche „funktionale Ausschreibung“ verlangt daher vom Auftragnehmer sowohl die Konzeption als auch die Planung der ausgeschriebenen Leistung. Die Planungsverantwortung liegt somit beim Auftragnehmer mit dem Ziel, die Kompetenzen der Unternehmen bei der Ermittlung der technisch, wirtschaftlich und gestalterisch besten und funktionsgerechtesten Lösung zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck beschreibt der Auftraggeber die zu erbringende Leistung eindeutig und vollständig. Dabei sind <?page no="349"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 349 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen alle Anforderungen und Randbedingungen eindeutig zu definieren und zu beschreiben. Darüber hinaus ist in der textlichen Beschreibung darauf zu achten, dass zwischen den Vorgaben des Auftraggebers und eventuellen Spielräumen unterschieden wird, d. h., dass bewusst zwischen „muss“ und „kann/ soll“ unterschieden wird. Die Straßenbauverwaltung verspricht sich von der Anwendung der „Funktionalen Ausschreibung“ mehr Flexibilität im Vergabeverfahren und in der Bauabwicklung. Zudem reduziert sich der Personalbedarf in der Straßenbauverwaltung, da der Auftragnehmer mehr Eigenleistung erbringen muss. Um in den nächsten Jahren weitere Erfahrungen mit der „funktionalen Ausschreibung“ zu sammeln, werden derzeit zahlreiche Pilotprojekte im Rahmen der Brückenerhaltung vorbereitet. Sammelausschreibung Im Hinblick auf die notwendige Erhöhung der Anzahl der Brückenersatzneubauten hat die Straßenbauverwaltung mehrere Projekte in einem dialoggeprägten Vergabeverfahren gebündelt. Wichtige Aspekte für das Vergabeverfahren war die Zusicherung der Termin- und Kostensicherheit durch den Bieter. Beides durfte jedoch nicht zu Lasten der Konstruktion gehen, so dass weiterhin robuste und dauerhafte Brückenbauwerke geplant werden sollten. Auf dieser Grundlage wurde die Ersatzneubauplanung für landesweit 31 Brücken im Bundesfernstraßennetz durch die Straßenbauverwaltung in einem „wettbewerblichen Dialog“ (gem. § 18 VgV) ausgeschrieben und Anfang Oktober vergeben. Der Auftragnehmer übernimmt im Rahmen der Sammelausschreibung die Objekt-/ Tragwerksplanung (LPH 1 - 7) sowie alle für das Gesamtprojekt erforderlichen Fachplanungen (z. B. Straßenplanung, Baugrundgutachten, naturschutzfachliche Untersuchungen etc.) Darüber hinaus ist er für die Abstimmung mit den betroffenen Ämtern/ Fachbehörden, Kreuzungsbeteiligten, anderen Baulastträgern etc. zuständig. Hoheitliche Aufgaben, wie die Genehmigung von Bauwerksentwürfen oder die Vergabe von Aufträgen, verbleiben bei der Straßenbauverwaltung. Durch die Bündelung der Projekte reduziert sich sowohl der Zeitaufwand für die Durchführung der Vergabeverfahren als auch der Personalbedarf der Straßenbauverwaltung, insbesondere für die Entwurfsplanung. Open-House-Verfahren: Das „Open-House-Verfahren“ ist kein förmliches Vergabeverfahren. Es handelt sich vielmehr um ein nicht exklusives Zulassungsverfahren, bei dem grundsätzlich alle Teilnehmer, die die festgelegten Kriterien erfüllen, zur Leistungserbringung berechtigt sind. Grundlage ist ein Rahmenvertrag, wobei die Vertragsinhalte, die Bedingungen und das Zugangsverfahren von Anfang an bekannt sind und während der Leistungszeit nicht geändert werden dürfen. Dazu gehört auch die Vergütung, die vom Auftraggeber festgelegt wird und nicht verhandelbar ist. Die Beauftragung der einzelnen Leistungen erfolgt maßnahmenbezogen in Form von Einzelabrufverträgen, wobei der genaue Leistungsumfang anhand des vorliegenden bepreisten Leistungskataloges festgelegt wird. Darüber hinaus besteht für das beteiligte Ingenieurbüro kein Anspruch auf fortlaufende Beauftragung. Im Gegenzug hat das Ingenieurbüro aber auch die Möglichkeit zu entscheiden, ob es den Einzelauftrag annimmt. Um kurzfristig auf mögliche Planungs- und Untersuchungsbedarfe reagieren zu können möchte die Straßenbauverwaltung verschiedene Open-House-Verfahren durchführen. Es ist vorgesehen, zunächst Leistungen im Zusammenhang mit Baugrunderkundungen und Schadstoffuntersuchungen abzufragen, die in der Vergangenheit über konventionelle Vergabeverfahren nur mit immensen Zeitverzögerungen vergeben werden konnten. 2.4 Beschleunigung bei der Planung von Brückenersatzneubauten Auch bei der Beteiligung bzw. Abstimmung mit Dritten ergeben sich Beschleunigungsmöglichkeiten durch klar vorgegebene Strukturen. Derzeit werden „Ergänzende Arbeitshinweise für die Planung von Brückenersatzneubauten in der SBV“ und in Abstimmung mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden- Württemberg (UM) eine Leitfaden „Gewässerkreuzende Verkehrsanlagen“ erarbeitet. Arbeitshinweise für die Planung und Bauabwicklung von Brückenersatzneubauten Mit den jüngsten Änderungen des Bundesfernstraßengesetzes und des Straßengesetzes Baden-Württemberg sind die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen worden, den Brückenersatzneubau regelmäßig als Erhaltungsmaßnahme zu planen und durchzuführen. Eines formalen Zulassungsverfahrens bedarf es grundsätzlich nicht, da die Einhaltung des materiellen Rechts dem Straßenbaulastträger ganz überwiegend in eigener Verantwortung obliegt. Diese neue Situation birgt für die Straßenbauverwaltung die Chance, als „Herrin des Verfahrens“ die zeitlichen Abläufe effektiv selbst gestalten zu können. Andererseits erfordert sie aber auch ein Umdenken, vor allem in den bisher vorrangig mit der Bauwerksplanung, aber weniger mit der Gesamt-Projektplanung befassten Organisationseinheiten. Die größere Verantwortungsfülle erfordert zudem ein solides Wissen über die zu beachtenden Regelwerke und Abläufe sowie eine von Beginn an enge Verzahnung und Abstimmung unterschiedlichster Akteure und Fachbereiche. Dazu müssen zeitliche und sachliche Abhängigkeiten bewusst sein. Schließlich müssen sie relativ früh im Planungsprozess entscheiden, ob die vorzunehmenden Änderungen am Bauwerk als erheblich anzusehen sind, mit der Folge, dass ein Ersatzneubau nicht mehr als Erhaltungsmaßnahme durchgeführt werden kann, sondern in einem formalen Verfahren zugelassen werden muss. Um die an der Planung Beteiligten bei diesen neuen Herausforderungen und bei der Optimierung der Planungsprozesse rund um den Brückenersatzneubau zu unterstützen, wurden die „Arbeitshinweise für die Planung von Brückenersatzneubauten“ durch das VM in der Liste der Regelwerke <?page no="350"?> 350 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen für Baden-Württemberg (LisRe-StB-BW) veröffentlicht. Die Hinweise wurden von einer internen Arbeitsgruppe bestehend aus Ingenieurinnen und Ingenieuren der Regierungspräsidien sowie Vertretern unterschiedlicher Fachrichtungen des VM erarbeitet. Der Leitfaden will als Planungs und Entscheidungshilfe, als Wissensspeicher und Nachschlagewerk dienen. Gleichzeitig ist er als dynamisches Dokument konzipiert, d. h. er ist für eine kontinuierliche Verbesserung und Ergänzung offen und wird daher auch nur in elektronischer Form veröffentlicht. Die jeweils aktuelle Version ist auf der Homepage des VM für Verkehr abrufbar. Leitfaden zu „Gewässerkreuzenden Verkehrslagen“ Der Leitfaden „Gewässerkreuzende Verkehrsanlagen“ enthält Grundlagen und Handlungsempfehlungen für die Planung und das Genehmigungsverfahren von Brücken und Durchlässen. Andere gewässerkreuzende Anlagen wie z. B. Furt werden darin nicht behandelt. Der Leitfaden besteht aus zwei getrennten Teilen und soll dazu beitragen, beim Ersatzneubau (Heft 1) sowie beim Neu-, Um- und Ausbau (Heft 2) von gewässerkreuzenden Verkehrsanlagen alle rechtlichen und fachlichen Belange ausgewogen zu berücksichtigen, die Planung zu straffen und damit die Umsetzung der Maßnahmen zu beschleunigen. Abb. 2: Gewässerkreuzende Verkehrsanlage (Quelle: RP Karlsruhe) Heft 1 behandelt den Ersatzneubau einer bestehenden gewässerkreuzenden Verkehrsanlage, der als „Unterhaltungsmaßnahme“ in eigener Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers durchgeführt werden kann (Eigengenehmigung nach § 4 FStrG bzw. § 9a StrG BW). Heft 2 befasst sich dagegen mit dem Neu-, Um- und Ausbau einer gewässerkreuzenden Verkehrsanlage, die im Regelfall ein Verfahren zur Baurechtserlangung (z. B. Planfeststellungsverfahren) nach sich zieht. Die Veröffentlichung des Leitfadens ist für Mitte 2025 geplant. 2.5 Reduzierung der Bauzeit durch innovative Bauweisen Bei der Reduzierung der Bauzeit kann der Einsatz von innovativen Bauweisen, wie modulare Bauweisen, helfen. Darüber hinaus sind bei Brückenbauwerke, deren Nutzungsdauer noch nicht erreicht ist, auch die Möglichkeiten einer Verstärkung zu prüfen, um möglich Tragwerksschwächen zu kompensieren. Modulare Bauweisen Generelles Ziel beim Einsatz modularer Bauweisen ist es, durch einen hohen Vorfertigungsgrad sowohl die Bauzeit als auch die verkehrlichen Einschränkungen zu minimieren. Allerdings weichen die meisten modularen Bauweisen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik ab, so dass Zustimmungen im Einzelfall und damit projektbezogene Genehmigungen erforderlich sind. Zudem sind die bestehenden Regelwerke teilweise lückenhaft (Ausbildung von FT-Fugen, Dauerhaftigkeit). Dennoch hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl modularer Bauweisen am Markt etabliert. Ein Grund hierfür ist die Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein- Westfalen im Sommer 2021. Allein im Ahrtal wurden durch das Hochwasser ca. 100 Brücken beschädigt oder sogar komplett zerstört. Um den Wiederaufbau der Straßen so schnell wie möglich abzuschließen, wurde auf eine beschleunigte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Bauunternehmen gesetzt, die verschiedene innovative Verfahren wie zum Beispiel ressourcensparende Fertigteilbauweisen für einen schnellen und sicheren Bau der Bauwerke entwickelt haben. Abb. 3: Modulare Bauweise (Quelle: RP Karlsruhe) Auch in Baden-Württemberg sollen in den nächsten Jahren verschiedene Bauwerke im Bundes- und Landesstraßennetz in modularer Bauweise realisiert werden. Das VM verspricht sich davon Beschleunigungseffekte bei Planung und Herstellung (Wiederholungseffekte, Typenbildung) und eine multiplikative Wirkung für vergleichbare Brückenbauwerke, die ebenfalls erneuert werden. <?page no="351"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 351 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen Querkraftverstärkung Aufgrund der enormen Zunahme des Schwerverkehrs sowie der Schwächen der ursprünglichen Bemessungsnormen können Defizite gegenüber den heutigen Anforderungen bestehen, die sich auch nicht unbedingt aus dem äußerlich erkennbaren Zustand der Brücken ableiten lassen. So ist bei Brücken mit größeren Defiziten, wie z. B. der Koppelfugenproblematik oder der Verwendung von spannungsrissgefährdetem Spannstahl, eine Instandsetzung in Verbindung mit einer Ertüchtigung entweder technisch nicht möglich und/ oder nicht wirtschaftlich, so dass in der Regel ein Ersatzneubau erforderlich ist. Werden Defizite in geringerem Umfang festgestellt, kann die Brücke durch eine konstruktive Verstärkungsmaßnahme ertüchtigt und damit zumindest bis zum Ende der theoretischen Nutzungsdauer verkehrssicher weiterbetrieben werden. Mögliche Verstärkungsmaßnahmen sind z. B. Auf beton mit Verdübelung, aufgeklebte Stahllaschen bzw. CFK- Lamellen, zusätzliche (externe) Vorspannung, Querkraftverstärkung durch Schraubsysteme etc. Insbesondere die letztgenannte Verstärkungsmaßnahme eignet sich zur nachträglichen (teilweisen) Beseitigung von Defiziten, die sich aus fehlender Querkraftbewehrung ergeben. Hierbei können z. B. Betonschrauben in vorgebohrte Löcher eingesetzt, mit Injektionsmörtel verpresst und mit einem definierten Anzugsmoment vorgespannt werden. Abb. 4: Querkraftverstärkung durch Schraubsysteme (Quelle: RP Stuttgart) Seitens des VM werden derzeit die Möglichkeiten des Einsatzes moderner Schraubsysteme zur Querkraftverstärkung geprüft. Nichtmetallische Bewehrung: Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung, z. B. aus Basalt oder Carbon, kann zur Einsparung von Material (insbesondere Zement) und CO 2 -Emissionen beitragen. Dem stehen die hohen Kosten von Basalt und Carbon im Vergleich zu Betonstahl gegenüber. Zudem ist insbesondere bei Carbon die Recyclingfähigkeit nicht abschließend geklärt. Dennoch sieht die Straßenbauverwaltung durch den Einsatz nichtmetallischer Bewehrung das Potenzial, bei der (Teil-)Erneuerung eines erhaltungswürdigen Brückenbauwerks die Bauzeit zu verkürzen oder durch eine Verstärkungsmaßnahme an einer exponierten Brücke die Restnutzungsdauer zu „verlängern“ und damit Ressourcen zu sparen. Aufgrund der noch geringen Erfahrungswerte sollen daher in den nächsten Jahren verschiedene Pilotprojekte im Rahmen der Brückenerhaltung durchgeführt werden. 3. Ausblick Die wichtigste Voraussetzung für die zügige Umsetzung und den Erfolg eines Brückenersatzneubaus ist eine gute Planung. Dazu gehört auch eine breite Akzeptanz der Maßnahme im Umfeld, indem trotz der mit einer Baumaßnahme verbundenen negativen Begleiterscheinungen wie Verkehrseinschränkungen, Baulärm, sonstige Umweltauswirkungen etc. die Notwendigkeit anerkannt und damit das Konfliktpotential reduziert wird. Ein politisches Bekenntnis zum Brückenerhalt im Allgemeinen reicht hier nicht aus. Vielmehr bedarf es eines klaren Votums für jedes einzelne notwendige Brückenbauprojekt. Vor diesem Hintergrund wird derzeit eine Projektliste erarbeitet, die alle nach fachlichen Kriterien ausgewählten prioritären Brückenerhaltungsmaßnahmen in Baden-Württemberg enthält. Derzeit ist davon auszugehen, dass die Liste unter Berücksichtigung eines politischen Abstimmungsprozesses voraussichtlich bis Ende 2024 veröffentlicht werden kann. Sie soll regelmäßig entsprechend der aktuellen Zustandsentwicklung überprüft und ggf. angepasst werden. Dabei setzt das VM bei der Umsetzung der Projekte auf die dargestellten Möglichkeiten zur Beschleunigung bei um die Anzahl von Brückenerhaltungsmaßnahmen zu steigern. Im Ergebnis soll die Anzahl der Brückenerhaltungsmaßnahmen, welche grundhafte Instandsetzungen, Ertüchtigungen und Ersatzneubauten umfassen, sukzessive auf ca. 100 Projekte pro Jahr erhöht werden. <?page no="353"?> Temperaturabgesenkter Asphalt in der Ausführung <?page no="355"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 355 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren Stephan Harnischfeger MHI Naturstein & Baustoffservice GmbH, Wächtersbach Zusammenfassung Der nachstehende Beitrag behandelt die Thematik des temperaturabgesenkten Asphalts (TA), einer innovativen Bauweise zur Reduzierung der Misch- und Einbautemperaturen von Asphalt. Diese Methode zielt darauf ab, Emissionen zu verringern, Energie zu sparen und die Verkehrsfreigabe zu beschleunigen. Der Text erläutert die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die verschiedenen Verfahren zur Temperaturabsenkung sowie die praktischen Herausforderungen und Erfahrungen aus der Anwendung. Zudem wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und notwendige Anpassungen in der Praxis gegeben. 1. Vom DNEL zur Temperaturabsenkung Seit 2019 gilt ein neuer Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von nur noch 1,5 mg/ m³ für Dämpfe und Aerosole aus der Heißverarbeitung von Bitumen. Dieser war vorläufig für die Dauer von fünf Jahren ausgesetzt und ist nun nach nochmals zweijähriger Aussetzung ab dem 1. Januar 2027 im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen zwingend zu beachten. Der Grenzwert wurde als „DNEL“ (Derived No Effect Level) vor dem Hintergrund der europäischen REACH- Verordnung ermittelt und beruht im Wesentlichen auf Tierstudien. Um dieser Anforderung zu begegnen, wurde in Zusammenarbeit aus u. a. der BG Bau, Bau- und Industrieverbänden, der IG Bau, dem Ausschuss für Gefahrstoffe und Vertretern von Maschinenherstellern die „Branchenlösung Bitumen beim Heißeinbau von Walz- und Gussasphalt“ [1] erarbeitet und 2021 veröffentlicht. Diese folgt dem „STOP“-Prinzip, und zwar zwingend in nachstehender Eskalationsfolge: „S“ für „Substitution“, beschreibt dabei den Austausch von konventionellem Heißasphalt gegen temperaturreduzierten Asphalt. „T“ für „Technische Schutzmaßnahmen“, beschreibt das Absaugen oder Wegblasen von Emissionen, aber auch Fernsteuerungseinrichtungen. „O“ für „Organisatorische Schutzmaßnahmen“, beschreibt die Optimierung bzw. Veränderung von Arbeitsabläufen mit dem Ziel der Expositionsreduzierung „P“ im Sinne einer „Persönlichen Schutzausrüstung“, sieht erst als letztes Mittel das Tragen eines fremdbelüfteten Schutzhelms vor. Seither wurden und werden auf Grundlage des Rundschreibens ARS 09/ 21 verstärkt Erprobungs- und Messstrecken unter ausschließlich kombinierter Verwendung von temperaturabgesenktem Asphalt und abgesaugtem Einbaugerät sowie bei begleitenden Emissionsmessungen durchgeführt. Hintergrund ist neben einer Verstetigung der Erkenntnislage zum Erfolg der Branchenlösung auch der Erfahrungsgewinn auf Seiten der Asphalt herstellenden und verarbeitenden Unternehmen. 2. Definition Temperaturabgesenkter Asphalt („TA“) beschreibt seit circa Mitte der 1990er Jahre eine Bauweise zur Absenkung der Mischund/ oder Einbautemperaturen von Asphaltmischgut um ca. 30 K. Dazu wird die Viskosität des thermoplastischen Baustoffes Asphalt durch die Zugabe von Zusätzen vorübergehend herabgesetzt. So kann dieser bei niedrigeren Temperaturen hergestellt und/ oder verarbeitet werden. Erfolgt der Einsatz der Zusätze ohne gezielte Temperaturabsenkung bei der Herstellung, spricht man auch von „niedrigviskosem Heißasphalt“. In Deutschland bewährte Verfahren sind in der „Erfahrungssammlung über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt“ [2] der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) dokumentiert, die seit 2006 kontinuierlich geführt und ergänzt wird. Die erste Ausgabe beruhte auf Erprobungsstrecken mit Asphalten unter Verwendung unterschiedlicher Produkte, die im Rahmen eines Beobachtungszeitraums von acht Jahren ausnahmslos eine gleichwertige oder bessere Performance zeigten als der konventionelle Referenzasphalt. Diese Erfahrungssammlung begleitete die Veröffentlichung des Merkblatts für Temperaturabsenkung von Asphalt („M TA“) [3] der FGSV, welches ebenfalls 2006 erstmals erschienen ist. Dieses beschrieb unter Verweis auf die damals bereits bewährten Verfahren der Erfahrungssammlung den weitestgehend ausschließlichen Umgang mit der Bauweise in Deutschland. Uneingeschränkt zugelassen waren in Deutschland lange Zeit nur solche viskositätsverändernden Zusätze („VVZ“) bzw. Fertigprodukte, deren Einsatz sich im Rahmen der ersten Langzeitstudie bewährt hatten: • Mineralische Zusätze • Organische Zusätze bzw. Fertigbindemittel unter deren Verwendung <?page no="356"?> 356 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren Neue Produkte oder Technologien müssen sich seither über einen dokumentierten Zeitraum von mindestens fünf Jahren bewährt haben. Vor dem Hintergrund des ARS 09/ 21 werden solche neuen Produkte als Gegenstand weiterer Forschung derzeit in der Pilotproduktliste [4] der BASt geführt. Stand heute wird die Bauweise der temperaturabgesenkten Asphalte (noch) durch folgende Dokumente beschrieben: • Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt, Ausgabe 2021 [3] • Erfahrungssammlung über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt, Ausgabe 2017 [2] • Technische Lieferbedingungen für gebrauchsfertige viskositätsverändernde Bitumen, Ausgabe 2022 [3] 3. Stand der Technik Insgesamt verfolgt die Temperaturabsenkung von Asphalt gleich mehrere Ziele: • Emissionsreduzierung (Dämpfe, Aerosole, CO 2 , NO x , VOC); durch die Reduzierung der Herstellungsund/ oder Verarbeitungstemperaturen • Energieeinsparung; durch den reduzierten Verbrauch fossiler Brennstoffe • Schnellere Verkehrsfreigabe bei engen Einbaufenstern • SchonendenUmgangmitBindemittelundMischanlage; durch reduzierten thermischen Stress für die betroffenen Werkstoffe und Zuschläge Eine erste Zusammenstellung und Clusterung der Messergebnisse, welche im Rahmen zahlreicher Messstrecken gewonnen wurden, durch den KOA-Bit zeigt bislang noch ein uneinheitliches Bild. Abb. 1: Zusammenstellung von Emissionsmessungen aus Erprobungsstrecken [5] Allerdings zeigt sich, dass der angestrebte Grenzwert durch Temperaturabsenkung und Absaugung bereits ganz oder näherungsweise erreicht wird und in einer weitaus größeren Anzahl bei Einsatz konventionellen Asphalts auch deutlich überschritten wird. Dennoch stellen sich hier u. a. Fragen: • Wurden alle Strecken gemeldet, d. h. zeigt sich hier das gesamte Bild an gewonnenen Erfahrungen? • Wurde das Absenkungspotenzial tatsächlich ausgeschöpft? Diese Frage kann im Falle einiger Erprobungsstrecken eindeutig verneint und mit einer teilweise noch zu vorsichtigen Herangehensweise durch die beteiligten Unternehmen erklärt werden. • Waren die Rahmenbedingungen repräsentativ und vergleichbar (Witterung, Wind, Topographie, vorbeifahrender Verkehr etc.)? Auch hier zeigten sich im Erfahrungsschatz des Autors Strecken, die im Rückblick nur bedingt für den Einsatzzweck geeignet waren. • Gab es Referenzmessungen? Dies konnte leider nicht für alle Maßnahmen gewährleistet werden, womit die Aussagekraft einzelner Messwerte zweifelsohne eingeschränkt bleibt. • Gab es andere Einflussgrößen (z. B. Trennmittel? ) Gerade neuere Untersuchungen zeigen Erkenntnisse zum Einfluss unterschiedlicher Trennmittel auf die gewonnenen Emissionswerte. Hier wird auf Forschungsvorhaben an anderer Stelle verwiesen. Anhand der Abbildungen 2 und 3, aufgenommen im Rahmen eines Einbautages mit morgens temperaturabgesenktem und mittags konventionellem Asphalt, zeigt <?page no="357"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 357 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren sich dennoch ein erkennbarer Unterschied im Emissionsverhalten bei rund 25 K Temperaturunterschied. Abb. 2: Keine erkennbaren Emissionen bei 25 K Temperaturabsenkung Abb. 3: Deutlich erkennbare Emissionen bei konventionellen Temperaturen 4. Methoden der Temperaturabsenkung Aktuell werden im Wesentlichen drei Kategorien an Verfahren zur Temperaturabsenkung von Asphalt unterschieden: 4.1 Organische Zusätze Durch den Einsatz organischer Zusätze (FT-Wachs, Amidwachs, Montanwachs) wird die Viskosität des Bindemittels im Temperaturbereich der Herstellung und des Einbaus von Asphalt durch die schmelzflüssigen Additive herabgesetzt. Während des Abkühlens des eingebauten Asphalts erfolgt der Phasenübergang der Additive zu mikroskopisch fein verteilte Wachspartikeln. Diese erhöhen in der Regel die Viskosität und Steifigkeit des Grundbindemittels. Organische Zusätze sind als Bestandteil der Erfahrungssammlung seit vielen Jahren in Deutschland bewährt. Da Sie in der Regel mit einer Erhöhung der Viskosität im Gebrauchszustand einher gehen, wurden Sie bislang häufig mit dem Ziel der zusätzlichen Stabilisierung von Verkehrsflächen, dann allerdings in Heißasphalt, eingesetzt. Sie sind verfügbar als Feststoff, als Bestandteil von Faserstoffpellets oder vorgemischt in Fertigbindemittel erhältlich. 4.2 Chemische Zusätze Der Einsatz oberflächenaktiver chemischer Zusätze zielt durch die Herabsetzung der Oberflächenspannung des Bindemittels auf eine leichtere und gleichmäßige Umhüllung bei niedrigeren Temperaturen ab und nutzt durch polar gebundene Restfeuchtigkeitsanteile aus dem Mineral zudem einen Gleitfilm (Mizellenbildung) zur Erleichterung der Verdichtung. Reaktiv chemische Zusätze erleichtern die Verdichtungsarbeit bei niedrigeren Temperaturen durch eine Veränderung der Bindemitteleigenschaften. Dieser Vorgang beginnt bei der Modifizierung und ist zeitlich begrenzt. Damit sind sowohl solche chemischen Zusätze bekannt, die die Performance des Asphalts im Gebrauchszustand verändern, als auch solche, bei denen dieser Umstand nicht gegeben ist. Verfügbar als flüssige Zusätze werden chemische Additive derzeit im Wesentlichen noch auf der Pilotproduktliste geführt, wenngleich es bereits einen großen Erfahrungsschatz dazu in anderen Ländern gibt. 4.3 Schaumbildende Verfahren Bei den schaumbildenden Verfahren wird zwischen einerseits Schaumbitumen und andererseits dem Einsatz mineralischer Zusätze (synthetischer Zeolith) unterschieden. Schaumbitumen stellt eine Verfahrenstechnik dar, bei der an der Asphaltmischanlage 2 bis 4 % Wasser in den Bitumenstrahl eingedüst werden. Im Mischer kommt es kurzfristig zu einer deutlichen Expansion des Bindemittels, welches nach einer definierten Halbwertszeit zusammenfällt und währenddessen die Umhüllung der Mineralstoffe bei niedrigeren Temperaturen erleichtert. Schaumbitumen erfordert eine bauliche Veränderung der Mischanlage, danach jedoch nur die definierte Zugabe von Wasser. Da es mit diesem Verfahren bisher nur wenig Erfahrung in Deutschland gibt, wird auch dieses derzeit noch als Gegenstand der Forschung betrachten. Bei der Verwendung von Zeolith wird hingegen kristallin gebundenes Wasser in den Mischer eingebracht, welches entlang einer definierten Austrittskurve über sechs bis acht Stunden ausgetrieben wird - solange die Temperatur im Mischgut über 100 °C liegt. Während des Wasseraustritts bildet sich Dampf, der zur Bildung von Mikroporen, mithin ebenfalls zu einer temporären Erhöhung des Bindemittelvolumens führt. Eine Veränderung der Gebrauchseigenschaften von Bitumen und fertiger Schicht findet nicht statt. Auch Zeolith ist bereits von Anfang an Gegenstand der Erfahrungssammlung und damit vielfach bewährt - nicht zuletzt, da er regelmäßig als Verarbeitungshilfe im Heißasphalt genutzt wird, um schwierige Einbausituationen (Kälte, Wind, lange Lieferwege, Handeinbau etc.) zu meistern. Als mineralischer Zusatz ist Zeolith ausschließlich als Feststoff zur Direktmodifizierung im Mischer erhältlich. <?page no="358"?> 358 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren 5. Verfahren im Vergleich Ein abstrakter Vergleich der Viskositätsverläufe verdeutlicht die unterschiedliche Wirkung und mögliche Zusatzeffekte der beiden bislang bewährtesten Verfahren zur Temperaturbzw. Viskositätsreduzierung, d. h. organische bzw. mineralische VVZ. Abb. 4: Viskositätsverläufe von Straßenbaubitumen mit viskositätsverändernden organischen oder mineralischen Zusätzen im Vergleich [6] 6. Erfahrungen Der Blick auf die anstehenden Veränderungen ist aufgrund vermeintlich nicht vorhandener Erfahrungswerte vielfach mit Sorge verbunden. Gleichwohl wurden in den vergangenen beinahe dreißig Jahren immer wieder temperaturabgesenkte Asphalte erfolgreich verarbeitet, zum Beispiel bereits seit 2007 zwingend im Tunnelbau oder auch bei besonders kurzen Sperrbzw. Einbauzeiten. Andererseits wurden die beiden oben genannten ältesten Technologien in Deutschland regelmäßig für andere Zwecke eingesetzt: So wurden organischer VVZ regelmäßig zur Erhöhung der Standfestigkeit von stark belasteten Asphaltflächen eingesetzt. Mineralische und organische Zusätze hingegen wurden immer wieder eingesetzt, um Einbaubedingungen wie Kälte, Wind, langen Lieferwegen, steifen Bindemitteln und Handeinbau zu begegnen, die ihrerseits zu zwangsläufig - wenn auch nicht gezielt herbeigeführt - niedrigeren Verarbeitungstemperaturen führten. Der Umgang damit hat in vielen Fällen bereits zu wertvollen Erfahrungswerten mit den entsprechend veränderten Einbausituationen geführt. 7. Temperaturabsenkung in der Praxis Wenngleich die Verwendung temperaturreduzierter Asphalte die Einbauunternehmen nach einiger Übung vor keine unlösbaren Herausforderungen stellen sollte, sind doch einige Aspekte in der Praxis zu berücksichtigen: Wenngleich durch das neue Regelwerk möglicherweise nur bedingt berücksichtigt, ist doch letztlich die Temperatur an der Bohle entscheidend für den Verdichtungserfolg. So sind mögliche Temperaturverluste durch den Einsatz von Beschickern, der Absaugung von Einbaugerät, aber immer wieder auch durch Transportwege, Witterung etc. bei der Einbauplanung zu beachten. Umso wichtiger für die Erhöhung der Prozesssicherheit ist die frühzeitige und detaillierte Klärung der Rahmenbedingungen zwischen Produktion und Einbau. Darüber hinaus können sich unter verschiedenen Szenarien (topographische bzw. klimatische Rahmenbedingungen, gewünschte Gebrauchseigenschaften, Anlagentechnik etc.) fallweise einzelne Verfahren geeigneter darstellen als andere. Hier ist ein zu enger Fokus auf nur eine Technologie unter Umständen nicht zielführend. Da temperaturabgesenkter Asphalt über weniger thermische Energie verfügt, um Feuchtigkeit zu verdampfen, als Heißasphalt, ist Restfeuchte auf der Unterlage unbedingt zu vermeiden. Darüber hinaus sollte Einbaugerät stets vorgewärmt, das Walzenregime gegebenenfalls angepasst sein. Wertvolle Hinweise dazu gibt gerade anfangs ein regelmäßiger Einsatz zerstörungsfreier Verdichtungsmessung. 8. Temperaturabsenkung am Mischwerk Auch für das Mischwerk ist eine detaillierte Abstimmung der Rahmenbedingungen der geplanten Asphaltlieferung sowie eine enge labortechnische Begleitung bedeutsam. Bei der Festlegung der konkreten Misch- und Ausliefertemperatur ist neben den Rahmenbedingungen auch die Anlagentechnik zu beachten. Die Festlegung der Mischtemperatur wird im Wesentlichen durch die Temperatur von Mineralstoffen bzw. Recycling-Asphalt bestimmt. Zu beachten ist jedoch auch die Abgastemperatur, welche bei Filtereintritt nicht unter den Taupunkt fallen sollte, da es ansonsten zu Feuchtigkeitseintrag in die Abgasanlage sowie zu Schwefelausfällungen und Korrosion kommen kann. Hier sind in der Regel bauliche Anpassungen in Abstimmung mit dem Anlagenhersteller oder die Veränderung von Drehzahlen möglich und notwendig. Zum Umgang mit den Zusatzstoffen sind in jedem Falle Herstellerhinweise zu beachten. Wesentliche Merkmale sind dabei: • Lagerung des Additivs • Geeignete Dosiertechnik • Sinnvoller Dosierzeitpunkt • Silierung / Vormischen des Asphaltes • Erwünschte / unerwünschte „Nebenwirkungen“ <?page no="359"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 359 Temperaturabgesenkter Asphalt - Additive und Verfahren 9. Ausblick Um bauvertragliche Rechtssicherheit zu schaffen, muss die Temperaturabsenkung schnellstmöglich Regelbauweise werden. Entscheidend hierfür ist eine zeitige Veröffentlichung und Einführung von TL- und ZTV-Asphalt. Beide Dokumente werden derzeit für das zweite Halbjahr 2025 erwartet mit einem Inkrafttreten zum Saisonbeginn 2026. Andererseits haben bereits einige Auftraggeber Übergangslösungen geschaffen oder sind auf dem Weg dahin. Die Temperaturabsenkung an sich ist wie weiter oben beschrieben nur ein Teil zur Einhaltung des neuen Arbeitsplatzgrenzwertes. Absaugtechnik muss weiter ausgebaut und verfeinert werden. Hier sind Maschinenhersteller gefragt und bereits damit beschäftigt, Lösungen zu finden. Da Verarbeitungshilfen mit Einführung der Temperaturabsenkung per Definition nicht mehr verfügbar sein werden, empfiehlt sich nach Möglichkeit eine gleichmäßigere Verteilung von Ausschreibungen und Ausführungen über den Jahresverlauf. Eine Häufung gerade in der kälteren Jahreszeit wie in der Vergangenheit kann zu großen Herausforderungen führen. Auf dem Weg dahin bedarf es nun weiterer Erprobungsstrecken, die einerseits Klarheit über das Verhalten neuer Produkte und eine Verstetigung der Erkenntnisse zum Emissionsverhalten schaffen. Zuallererst dienen diese jedoch auch als „Übungsstrecken“ für die große Zahl kleinerer und mittlerer Bauunternehmen, die bislang noch nicht mit der Bauweise in Berührung kommen konnten. Literatur [1] https: / / www.bgbau.de/ fileadmin/ Medien-Objekte/ Me die n/ Bro s c h u e r e _ Flye r/ Br a n c h e nl%C3% B6sung_Bitumen_beim_Hei%C3%9Feinbau_ von_Walz-_und_Gussasphalt.pdf [2] https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Fachveroeffentlichungen/ Strassenbau/ Downloads/ s3-erfahrungssammlung.html [3] FGSV-Verlag [4] https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Fachthemen/ s3-asphalt-erprobung.html [5] Quelle: M. Ziegenberg, KoA-Bit/ HDB e.V., s. „asphalt“, Ausgabe 2/ 2022, Seite 7 [6] In Anlehnung an „Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt, Ausgabe 2021, Seite 10 <?page no="361"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 361 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt Hendrik Ebbers, B. Eng. FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Thomas Schönauer, M. Sc. FH Münster, Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) Zusammenfassung Das Forschungsprojekt „RekoTi - Ressourcenplan kommunaler Tief bau“ befasste sich mit der Steigerung der Ressourceneffizienz im kommunalen Tief bau. U.-a. wurden hierbei Verkehrsflächen betrachtet, in deren Bereich der Bau einer Versuchsstrecke mit sechs Versuchsfeldern erfolgte. Bei dieser wurde eine Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt SMA-8-S in sowohl temperaturabgesenkter als auch konventionell heißgemischter Bauweise eingesetzt. Es wurden außerdem unterschiedliche Anteile an Asphaltgranulat im SMA-8-S verwendet. Die durchgeführten Untersuchungen lieferten sowohl zufriedenstellende als auch den Erwartungen entsprechende Ergebnisse. Im Rahmen der Kontrollprüfungen wurden nahezu alle Anforderungen eingehalten. Bei der Durchführung der Performanceprüfungen und des Monitorings der Versuchsstrecke wurden in Teilbereichen vereinzelt Auffälligkeiten erkannt, welche jedoch aufgrund der Konzeption der Versuchsfelder erklärbar sind und z.-T. auch erwartet wurden. Während des Bauprozesses sind Erfahrungen gesammelt worden, die u.-a. auf erhöhte Aufwände im Zuge des Einbaus hinweisen. 1. Einführung Das Forschungsprojekt „RekoTi - Ressourcenplan kommunaler Tief bau“ (Förderkennzeichen: 033R264) wurde im Zeitraum von Februar 2021 bis Oktober 2024 umgesetzt. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Leitung des Projektes lag beim IWARU - Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt der FH- Münster. Außerdem waren die Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) der FH Münster, das Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster, der Lehrstuhl für Informatik im Bauwesen der Ruhr-Universität Bochum, das Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI) der Hochschule Karlsruhe sowie die Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH aus Münster Roxel und die Hermann Dallmann Straßen- und Tief bau GmbH & Co. KG als Partner am Projekt beteiligt. Das Forschungsprojekt RekoTi hat sich mit der Steigerung der Ressourceneffizienz im kommunalen Tief bau befasst. Betrachtet wurden dabei die Infrastrukturanlagen Verkehrsflächen, Brücken und Kanalisation. Im Projekt ist u.-a. eine digitale Toolbox entwickelt worden, mit der eine Abschätzung der innerhalb der genannten Infrastrukturanlagen verbauten Materialmengen vorgenommen werden kann. Darüber hinaus wurden Bauverfahren anhand von innovativen Fallbeispielen beschrieben und Handlungsempfehlungen für Kommunen zur Steigerung der Ressourceneffizienz verfasst.-[1] Zur Erprobung nachhaltiger und ressourcenschonender Verfahren ergab sich die Möglichkeit, eine Versuchsstrecke im Rahmen des RekoTi-Projektes anzulegen. Bei der hierfür ausgewählten Strecke handelt es sich um einen ca. 950-m langen Abschnitt der „Kanalstraße“ im Norden von Münster. Diese Versuchsstrecke wurde vom Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster und der Forschungsgruppe Verkehrswesen der FH Münster in Zusammenarbeit mit der Hermann Dallmann Straßen- und Tief bau GmbH & Co. KG sowie dem Asphaltmischwerk der Bergisch-Westerwälder Hartsteinwerke Zweigniederlassung der Basalt-Actien-Gesellschaft (Basalt AG (Mischwerk Legden)) umgesetzt.-[2] Ausgangslage Im Straßenbau, insbesondere im Asphaltstraßenbau, werden derzeit Technologien zur Minderung der CO 2 - Emissionen diskutiert. Außerdem hat der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im November 2019 einen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) festgelegt. Dieser legt eine maximale Konzentration von 1,5-mg/ m 3 für erfasste Dämpfe und Aerosole aus Destillations- und Air-Rectified-Bitumen (gemäß Bitumenkondensat-Standard) fest.-[3] In der Praxis ist dieser Grenzwert ab dem 01.01.2027 einzuhalten.-[4] <?page no="362"?> 362 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt Abb. 1: Lage und Versuchsfelder der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ in Münster (nach-[5]) Zur Verringerung der CO₂-Emissionen während der Asphaltproduktion und zum Schutz des Personals vor gesundheitsschädlichen Stoffen ist beispielsweise vorgesehen, die Temperatur des Asphaltmischgutes sowohl bei der Produktion als auch beim Einbau zu reduzieren. Im Hinblick auf die Ressourcenschonung von Primärbaustoffen besteht ein Erprobungsbedarf im Bereich der Verwendung von Asphaltgranulat. Die aktuellen Regelwerke lassen derzeit die Zugabe von Asphaltgranulat bei den meisten gängigen Asphaltmischgutarten zu. Laut den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13) ist die Zugabe von Asphaltgranulat bei Asphaltdeckschichten aus Splittmastixasphalt jedoch nicht vorgesehen.-[6] Vor diesem Hintergrund erfolgte mit der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ eine vergleichende Gegenüberstellung unterschiedlicher Asphaltmischgutkonzepte für eine Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt. Hierbei wurden in insgesamt sechs Versuchsfeldern verschiedene Asphaltgranulatanteile (0-M.-%, 20-M.-% und 50-M.-%) in jeweils drei temperaturabgesenkten und drei konventionell heißgemischten Varianten betrachtet. Die Entwicklung der Asphaltmischgutkonzeption erfolgte durch die Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH und die Erstellung der Erstprüfungen durch die Basalt AG (Mischwerk Legden). Die Lage der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ und die die Anordnung der Versuchsfelder sind in Abb. 1 dargestellt. 2. Vorgehensweise Um die Anwendbarkeit der oben genannten Konzeption der sechs Versuchsfelder zu bewerten, wurden sowohl baubegleitende Untersuchungen als auch Kontroll- und Performanceprüfungen vorgenommen. Zur Erfassung des Zustandes nach Verkehrsfreigabe, wurde ein entsprechendes Monitoring durchgeführt. Außerdem wurde das Personal des Asphaltmischwerkes sowie das Einbaupersonal zur Sammlung von Erkenntnissen über die bisher wenig erprobte Bauweise, hinsichtlich ihrer gemachten Erfahrungen befragt. 2.1 Baubegleitende Untersuchungen Im Rahmen der baubegleitenden Untersuchungen wurde die Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH mit der Durchführung von Raumdichtemessungen zur Eigenüberwachung beauftragt. Außerdem wurden vor dem Hintergrund des in Kraft tretenden Arbeitsplatzgrenzwertes von der FgV Emissionsmessungen mit dem Photoionisationsdetektor (PID) vorgenommen. Arbeitsplatzmessungen nach der IFA-Messmethode (Institut für Arbeitsschutz) zur messtechnischen Ermittlung von Gefahrstoffen in der Luft am Arbeitsplatz-[7] wurden nicht durchgeführt. Stattdessen war es das Ziel, durch die Untersuchung der PID-Messwertverläufe und parallel vorgenommenen Videoaufnahmen, Auswirkungen von äußeren Faktoren auf die erfassten Emissionen zu identifizieren. 2.2 Kontrollprüfungen Zur Durchführung von Kontrollprüfungen entnahm die Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH zum einen Asphaltmischgut an der Verteilerschnecke des Fertigers und zum anderen Bohrkerne aus der fertigen Fahrbahn. 2.3 Monitoring Im Sommer 2023 wurde durch die FgV und das Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster ein erstes Monitoring der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ durchgeführt, um den Zustand der Straße nach einjähriger Belastung durch den Verkehr zu erfassen. Dabei wurden die Griffigkeit der Asphaltdeckschicht und die Querebenheit der Fahrbahn ermittelt. Außerdem wurde der Zustand der Fahrbahnoberfläche durch eine Fotodokumentation festgehalten, um eventuelle Besonderheiten zu erfassen. Im Sommer 2024 wurde das Monitoring in modifizierter Form fortgesetzt. Geplant ist zudem, das Monitoring auch nach Abschluss des RekoTi-Projekts in Abstimmung mit dem Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster fortzusetzen. 2.4 Erweiterte Kontroll- und Performanceprüfungen Neben den genannten Kontrollprüfungen wurden erweiterte Kontroll- und Performanceprüfungen von der Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH durchgeführt. Diese beinhalteten die Ermittlung der Äquisteifigkeitstemperatur am rückgewonnenen Bindemittel. Außerdem sind der Einaxiale Druck-Schwellversuch und der Spaltzug-Schwellversuch sowie die Bestimmung der Kälte- <?page no="363"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 363 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt eigenschaften durch den Einaxialen Zugversuch (Direkter Zugversuch) und den Abkühlversuch durchgeführt worden. Die Durchführung der genannten Prüfungen zur Ermittlung der Performancekennwerte wird laut Allgemeinem Rundschreiben Nr. 09/ 21 des Bundesverkehrsministeriums für den Bau von Erprobungsstrecken mit temperaturabgesenktem Walzasphalt empfohlen.-[8] 3. Ergebnisse Folgend werden Auszüge der Ergebnisse aus den beschriebenen Untersuchungen dargestellt. 3.1 Baubegleitende Untersuchungen Während des Einbaus wurden Emissionsmessungen mit Photoionisationsdetektoren (PID) an verschiedenen Positionen an den beim Einbau beteiligten Maschinen durchgeführt. Im Zuge der Auswertung wurden die erhaltenen Messwertverläufe untersucht und mit der parallel durchgeführten Kameraaufzeichnung abgeglichen. Dabei konnten Faktoren, die sich auf die detektierten Emissionen auswirken, festgestellt werden. Insgesamt wurden Ergebnisse ermittelt, die mit in weiteren Projekten gewonnenen Erkenntnissen vergleichbar sind.-[9]-[10]-[11]-[12]-[13] Die erhaltenen Auffälligkeiten in den PID-Messwertverläufen scheinen von baustellenspezifischen Randbedingungen beeinflusst zu werden. 3.2 Kontrollprüfungen Kontrollprüfungen wurden am Mischgut und an entnommenen Bohrkernen durchgeführt. Kontrollprüfung am Mischgut Im Rahmen der Kontrollprüfungen am Asphaltmischgut wurden u.- a. Kenngrößen zum Bindemittel sowie der Asphaltmischguteigenschaften ermittelt. Die Anforderungen hierfür basieren auf dem Eignungsnachweis, der sich auf die entsprechenden Erstprüfungen stützt. Zudem gelten die in den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 festgelegten Grenzwerte und Toleranzen. Die Auswertung der von der Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH durchgeführten Kontrollprüfungen am Mischgut ergab, dass die bauvertraglichen Anforderungen bis auf wenige Ausnahmen erfüllt wurden. Es wurden in keinem der betrachteten Versuchsfelder vermehrt Abweichungen von den bauvertraglichen Anforderungen festgestellt.-[2] Kontrollprüfung am Bohrkern In Zusammenhang mit den Kontrollprüfungen an der fertigen Schicht wurden entsprechende Untersuchungen an den Bohrkernen, die aus den Versuchsfeldern entnommenen wurden, durchgeführt. Hierbei wurden jeweils die Einbaudicke, der Verdichtungsgrad, der Hohlraumgehalt und der Schichtenverbund bewertet. Die Untersuchung ergab, dass die Anforderungen bezüglich der genannten Kenngrößen, die in den ZTV Asphalt- StB 07/ 13 an eine Asphaltdeckschicht gestellt werden, von den Asphaltauf bauten aus allen Versuchsfeldern eingehalten wurden. 3.3 Monitoring Im Sommer 2023 wurden Untersuchungen zum Monitoring der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ nach ca. einem Jahr unter Einfluss des Verkehrs durchgeführt. Im Rahmen der Griffigkeitsuntersuchungen, welche in Anlehnung an die Technische Prüfvorschriften für Griffigkeitsmessungen im Straßenbau Teil: Messverfahren-SRT (TP Griff-StB (SRT)) durchgeführt wurden, ließen sich keine relevanten Unterschiede in Bezug auf die Griffigkeit der Asphaltdeckschicht zwischen den Versuchsfeldern feststellen. Bei den Untersuchungen der Querebenheit, welche in Anlehnung an die Technischen Prüfvorschriften für Ebenheitsmessungen auf Fahrbahnoberflächen in Längs- und Querrichtung Teil: Berührende Messungen (TP Eben - Berührende Messungen) durchgeführt wurden, sind keine Unebenheiten in Querrichtung in den Bereichen der Versuchsfelder festgestellt worden. Bei der von der FgV erstellten Fotodokumentation wurden einige Auffälligkeiten an der Oberfläche der Asphaltdeckschicht festgestellt. Diese sind in Abb. 2 dargestellt. Es ist zu erkennen, dass in den Versuchsfeldern VF1 und VF2 sowie VF4 bis VF6 keine Auffälligkeiten festgestellt wurden. Lediglich das Versuchsfeld VF3, in dem Temperaturabgesenkter Asphalt mit einem Asphaltgranulatanteil von 50-M.-% eingebaut wurde, wies einige Auffälligkeiten auf. Bei diesen Auffälligkeiten handelt es sich beispielsweise um eine Stelle, an der sich ein „Gummistück“ in der Asphaltdeckschicht befindet (Abb. 2, Bild 1). Es ist zu vermuten, dass dieses ggf. bei der Produktion im Asphaltmischwerk, dem Transport oder dem Einbau in das Asphaltmischgut gelangt ist. Außerdem wurde ein Schaden in Form von Schrammen, die vermutlich durch den von einem Verkehrsteilnehmer verursachten „mechanischen“ Angriff entstanden sind, festgestellt (Abb. 2, Bild 2). Des Weiteren wurden Kornausbrüche in der Asphaltdeckschicht erkannt, welche voraussichtlich auf eine lokale Konzentration der im Splittmastixasphalt enthaltenen Bindemittelträger (Faserstoffe) zurückzuführen sind (Abb. 2, Bild 3). Bei der Fortsetzung des Monitorings im Sommer 2024 wurde die Fotodokumentation fortgeführt. Dabei wurden in den Versuchsfeldern VF1 und VF2 sowie in den Versuchsfeldern VF4 bis VF6 keine weiteren Besonderheiten festgestellt. Allerdings wies das Versuchsfeld VF3 neben den bereits dokumentierten zwei weitere Schadstellen auf. Im Sommer 2024 wurde zur Erfassung der Makrotexturtiefe der Fahrbahn das sog. „Sandfleckverfahren“ nach DIN-EN-1306-1 durchgeführt. Es wurden mittlere Makrotexturtiefen im Bereich von 0,5-mm (VF3) bis 0,8- mm (VF6) ermittelt. In der genannten Norm wird ein Wertebereich von Laboruntersuchungen von 0,5-mm bis 1,2- mm angegeben.- [14] Da der ermittelte Bereich der Makrotexturtiefe an der Asphaltdeckschicht in jedem <?page no="364"?> 364 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt Versuchsfeld der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ innerhalb des Bereiches der Norm liegt, ist festzuhalten, dass die verschiedenen Asphaltspezifikationen, deren Asphaltgranulatanteil zwischen 0-M-% und 50-M.-% variieren, sich nicht auf die Makrotextur der Oberfläche auswirken.-[2] Abb. 2: Schematische Darstellung der im Rahmen des ersten Monitorings vorgenommenen Untersuchungen (nach-[2]) 3.4 Erweiterte Kontroll- und Performanceprüfungen Äquisteifigkeitstemperatur Die Bestimmung der Äquisteifigkeitstemperatur erfolgte nach der Arbeitsanleitung zur Bestimmung des Verformungsverhaltens von Bitumen und bitumenhaltigen Bindemitteln im Dynamischen Scherrheometer (DSR) - Teil- 4: Durchführung des Bitumen-Typisierungs- Schnell-Verfahrens (AL-DSR-(BTSV)). Zur Bewertung der ermittelten Ergebnisse wurden in diesem Projekt die Anforderungen aus dem Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt Ausgabe 2021 (M-TA) zugrunde gelegt. Demnach darf die am rückgewonnenen Bindemittel ermittelte Äquisteifigkeitstemperatur, die im Eignungsnachweis aufgeführte Äquisteifigkeitstemperatur um nicht mehr als 8-K über- oder unterschreiten.-[15] Diese Anforderung bezieht sich nur auf temperaturabgesenkte Asphalte, welche in den Versuchsfeldern VF1 bis VF3 auf der Kanalstraße eingesetzt wurden. In den Erstprüfungen wurde für das verwendete Bitumen in den Versuchsfeldern VF1 bis VF3 eine Äquisteifigkeitstemperatur von 61,4-°C bestimmt.-[16] Bei der erweiterten Kontrollprüfung wurde im Versuchsfeld VF1 (0-M.-% AG-Anteil) eine Äquisteifigkeitstemperatur am rückgewonnenen Bindemittel von 67,6-°C, im Versuchsfeld VF2 (20-M.-% AG-Anteil) von 66,8-°C und im Versuchsfeld VF3 (50-M.-% AG-Anteil) von 67,8-°C ermittelt.-[17] Es ist festzustellen, dass die im Rahmen der erweiterten Kontrollprüfung bestimmten Äquisteifigkeitstemperaturen in keinem der drei Versuchsfelder um mehr als 8-K von den Äquisteifigkeitstemperaturen, die im Eignungsnachweis aufgeführt sind, abweichen.-[2] Einaxialer Druck-Schwellversuch Zur Bestimmung des Widerstands von Walzasphalt gegen bleibende Verformungen dient der Einaxiale Druck-Schwellversuch. Dieser wurde nach den Technischen Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) Teil 25-B1 durchgeführt. In Anlehnung an diese Technischen Prüfvorschriften wurden ein Erreichen von 10.000 Lastwechseln (Belastungszyklen) oder ein Überschreiten einer Dehnung von 80-‰ als Abbruchkriterium für den Versuch festgelegt.-[18] Die Versuche an den Asphalten aus den Versuchsfeldern VF1, VF2, VF5 und VF6 wiesen einen hohen Widerstand gegen bleibende Verformungen auf, da diese die genannten 10.000 Belastungszyklen erreichten, ohne die maximale Dehnung von 80-‰ zu überschreiten. Bei den Asphalten aus den Versuchsfeldern VF3 (temperaturabgesenkter Asphalt, 50-M.-% AG-Anteil) und VF4 (konv. <?page no="365"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 365 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt heißgemischter Asphalt, 50-M.-% AG-Anteil) mussten die Untersuchungen aufgrund eines Erreichens der maximalen Dehnung von 80-‰ beendet werden.-[17] Es ist zu vermuten, dass dieses Ergebnis mit dem sehr hohen Anteil an Asphaltgranulat (50-M.-%) in Zusammenhang steht. Ein derartig hoher Anteil an Asphaltgranulat ist auch für Asphalte wie Asphaltbeton, für den die Zugabe von Asphaltgranulat zulässig ist, unüblich. Grundsätzlich ist zu beachten, dass es in diesem Projekt nicht das Ziel war, einen „optimierten“ Asphaltgranulatanteil zu ermitteln. Spaltzug-Schwellversuch Anhand des Spaltzug-Schwellversuches sind die Steifigkeitsmoduln für die Asphalte aus den sechs Versuchsfeldern bei verschiedenen Prüftemperaturen ermittelt worden.-[19] Dieser Versuch wurde nach den Technischen Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) Teil 26 Spaltzug-Schwellversuch - Bestimmung der Steifigkeit durchgeführt. Die Gegenüberstellung der ermittelten Steifigkeitsmoduln bei einer Prüftemperatur von 20-°C ergab, dass sich diese Werte im Bereich von ca. 5.500-MPa bis ca. 8.200-MPa befinden.-[17] Im Hinblick auf die untersuchte Fragestellung, die die Anwendung von Variationen verschiedener Anteile an Asphaltgranulat sowie den Einbau von temperaturabgesenktem und konventionell heißgemischtem Asphalt umfasst, lässt sich feststellen, dass die geprüften Asphaltmischgüter hinsichtlich ihrer Steifigkeitsmoduln als vergleichbar einzustufen sind.-[2] Kälteeigenschaften Die Bestimmung des Widerstands gegen kälteinduzierte Rissbildung von Asphalt wird im Teil 46-A der Technischen Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) beschrieben. Es wurden Einaxiale Zugversuche (UTST) und Abkühlversuche (TSRST)-[20] durchgeführt. Eine Bewertung der Untersuchungsergebnisse erfolgte in diesem Projekt u.- a. in Anlehnung an das Arbeitspapier „Tieftemperaturverhalten von Asphalt - Teil-1: Zug- und Abkühlversuche, Ausgabe 2012“ der FGSV. In diesem Arbeitspapier werden Orientierungswerte für die Bewertung der im Abkühlversuch ermittelten Bruchtemperaturen angegeben. Aufgrund der geografischen Lage von Münster, ergibt sich ein Orientierungswert für die Bruchtemperatur von ≤--15-°C. Dieser Wert gilt nicht explizit für Asphaltdeckschichten aus Splittmastixasphalt. Da jedoch ein derartiger Orientierungswert für Asphaltdeckschichten aus Splittmastixasphalt noch nicht vorliegt, erfolgt die Bewertung auf Basis des genannten Wertes. Außerdem wird im oben erwähnten Arbeitspapier ein Orientierungswert für die im Einaxialen-Zugversuch bestimmte Zugfestigkeit (Prüftemperatur T-=--10-°C) angegeben. Dieser fordert für Splittmastixasphalt einen Wert ≥-4,0-MPa.-[21] Die an den unterschiedlichen Asphalten aus den sechs Versuchsfeldern durchgeführten Abkühlversuche ergaben bei den Versuchsfeldern mit Temperaturabgesenktem Asphalt Bruchtemperaturen zwischen -25,0-°C und -28,4-°C und bei den konventionell heißgemischten Asphalten Werte zwischen -20,0-°C und -25,6-°C.-[17] Damit liegen diese Werte unter dem Orientierungswert von ≤--15-°C. Außerdem ist festzustellen, dass die ermittelten Bruchtemperaturen jeweils in einer vergleichbaren Größenordnung liegen. Die durch die Variation der Asphaltgranulatanteile hervorgerufenen unterschiedlichen Asphaltzusammensetzungen scheinen die Bruchtemperaturen nicht zu beeinflussen. Außerdem ist zu erkennen, dass die temperaturabgesenkten Bauweisen die Anforderungen an den Orientierungswert ebenso erfüllen, wie die konventionell heißgemischten Bauweisen.-[2] Bei den durchgeführten Einaxialen-Zugversuchen sind Zugfestigkeiten von ca.-5,6-MPa bis ca.-6,1-MPa (Prüftemperatur T-=- -10- °C)-[17] an den Asphalten aus den sechs Versuchsfeldern ermittelt worden. Damit liegen alle die an den Asphalten bestimmten Zugfestigkeiten über dem angegebenen Orientierungswert von ≥-4,0-MPa. Insgesamt ist vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse zu erkennen, dass sich die unterschiedlichen Zusammensetzungen der Asphaltmischgüter und die reduzierten Produktionssowie Einbautemperaturen nicht auf die Kälteeigenschaften der betrachteten Asphaltmischgüter auswirken. Darüber hinaus kann auf Basis der genannten Orientierungswerte davon ausgegangen werden, dass die Asphaltmischgüter einen ausreichenden Widerstand gegen kälteinduzierte Rissbildung aufweisen.-[2] Abschließend ist festzustellen, dass die Ergebnisse der an den Asphaltmischgütern, die für die Versuchsstrecke „Kanalstraße“ eingesetzt wurden, durchgeführten Erweiterten Kontroll- und Performanceprüfungen im Kontext des Projektes als nachvollziehbar und vor dem Hintergrund der Konzeptionierung als zufriedenstellend und positiv zu bewerten sind.-[2] 3.5 Erfahrungen bei der Herstellung und beim Einbau des Asphaltmischgutes Bei der Herstellung des Asphaltmischgutes für die Deckschicht aus Splittmastixasphalt wurden einige Besonderheiten vom Personal des Asphaltmischwerkes der Basalt AG (Mischwerk Legden) festgestellt. Es zeigte sich, dass alle erforderlichen Arbeitsprozesse mit erhöhter Aufmerksamkeit durchgeführt werden müssen, um das angestrebte Temperaturniveau konstant einhalten zu können. Außerdem ergab sich ein erhöhter Reinigungsaufwand bei der Herstellung des temperaturabgesenkten Asphaltmischgutes aus Splittmastixasphalt unter Verwendung von Asphaltgranulat. Dieser ließe sich allerdings ggf. durch zwischengeschaltete Reinigungsprozesse der Paralleltrommel reduzieren. Des Weiteren wurde festgestellt, dass es einer längeren Mischzeit zur Herstellung des temperaturabgesenkten Asphaltes als zur Herstellung des konventionell heißgemischten Asphaltes bedarf. Zuletzt fiel auf, dass aufgrund der sechs (relativ kurzen) Versuchsfelder, welche mit unterschiedlichen Asphaltmischgütern beliefert und hergestellt wurden, ein im Vergleich zu ununterbrochenen Straßenbaumaßnahmen höherer Aufwand in Bezug auf die Koordinierung der Anlieferungen des Asphaltmischgutes erforderlich war.-[2] <?page no="366"?> 366 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt Die beim Einbau gemachten Erfahrungen wurden vom Baustellenpersonal der Hermann Dallmann Straßen- und Tief bau GmbH und Co. KG gesammelt. Die Rahmenbedingungen während des Einbaus waren „gut“. Es fiel kein Niederschlag, die Außentemperaturen lagen im Bereich zwischen 5-°C und 20-°C und eine kontinuierliche Anlieferung des Mischgutes war gegeben. Außerdem konnten die angestrebten Temperaturbereiche des Asphaltmischgutes eingehalten werden. In den ZTV-Asphalt-StB-07/ 13 wird vorgegeben, dass die niedrigste und höchste Temperatur beim Einbau für konventionell heißgemischtem Splittmastixasphalt (SMA-8-S, PmB-25/ 55-55) zwischen 140-°C und 190-°C liegen müssen.-[6] Beim Einbau des konventionell heißgemischten Asphalts an der Kanalstraße wurden an der Bohle Temperaturen zwischen 150-°C und 175-°C (arithmetischer Mittelwert: 164,2-°C) gemessen. Im M-TA in der Ausgabe von 2021 wird gefordert, dass die niedrigste und höchste Temperatur beim Einbau für Temperaturabgesenkten Splittmastixasphalt (SMA-8-S, PmB-25/ 45-VL) zwischen 130-°C und 160-°C liegen müssen.-[15] Beim Einbau des TA-Asphaltes an der Kanalstraße wurden Temperaturen zwischen 135-°C und 150-°C (arithmetischer Mittelwert: 140,7-°C) an der Bohle gemessen. Bei einer Temperaturabsenkung wird i.-d.-R. eine Temperaturdifferenz zwischen TA-Asphalt und konventionell heißgemischtem Asphalt von 20-K angestrebt. Bei Betrachtung der genannten Temperaturen und Temperaturbereiche ist festzustellen, dass sowohl die nach Regelwerk vorgegeben Temperaturbereiche als auch die angestrebte Temperaturdifferenz zwischen konventionell heißgemischtem und Temperaturabgesenktem Asphalt bei der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ eingehalten werden konnten. In Bezug auf die Verdichtung des Temperaturabgesenkten Splittmastixasphaltes mit Zugabe von Asphaltgranulat wurde (wie erwartet) festgestellt, dass die Verdichtungsleistung angepasst werden musste. Hintergrund hierfür war das im Asphaltgranulat vorhandene Bitumen. Das Asphaltgranulat stammt aus einer Asphaltdeckschicht aus Offenporigem Asphalt und enthält hochpolymermodifiziertes Bitumen, welches als „sehr zäh“ zu bezeichnen ist. Daher wurde erwartet, dass die Zugabe dieses Asphaltgranulats (insbesondere bei erhöhten Anteilen an Asphaltgranulat) einen erhöhten Verdichtungsaufwand mit sich bringt. Im Rahmen der Bauausführung wurde festgestellt, dass sich beim Einbau des konventionell hergestellten Asphaltmischgutes die Zugabe von Asphaltgranulat bis zu einem Anteil von 20-M.-% kaum auf die Verdichtbarkeit ausgewirkt hat. Bei der Zugabe von 50-M.-% Asphaltgranulat ist ein erhöhter Verdichtungsaufwand des Fertigers erforderlich gewesen. Auch hier lässt sich das Verdichtungsverhalten wie oben beschrieben aus der Zusammensetzung des Asphaltgranulates herleiten. Bei der abschließenden Verdichtung des temperaturabgesenkten Asphaltes durch die Walzen wurde ein erhöhter Verdichtungsaufwand festgestellt. Bei der Ausführung aller Versuchsfelder in konventionell heißgemischter Bauweise hätte der Einsatz von zwei Walzen zur Verdichtung ausgereicht. In den Versuchsfeldern, bei denen Temperaturabgesenkter Asphalt eingesetzt wurde, mussten hingegen drei Walzen eingesetzt werden. Eine weitere Differenzierung der erforderlichen Verdichtungsleistung für die Versuchsfelder aus Temperaturabgesenktem Asphalt konnte bezüglich der unterschiedlichen Anteile an Asphaltgranulat nicht festgestellt werden.-[2] 4. Fazit und Ausblick Im Herbst 2022 wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „RekoTi - Ressourcenplan kommunaler Tief bau“ eine Versuchsstrecke an der Kanalstraße in Münster angelegt. Die Maßnahme umfasste die Erneuerung der Asphalttrag-, Asphaltbinder- und Asphaltdeckschicht. Die neue Asphaltdeckschicht wurde aus Splittmastixasphalt (SMA 8 S) hergestellt. Vor dem Hintergrund des Projektziels, u.-a. Maßnahmen zur Ressourcenschonung von Primärrohstoffen zu untersuchen, wurden sechs Versuchsfelder mit unterschiedlichen Anteilen an Asphaltgranulat (0-M.-%, 20-M.-% und 50-M.-%) angelegt. Derartige Zugaben sind derzeit gemäß den ZTV Asphalt-StB 07/ 13 für Splittmastixasphalt nicht vorgesehen. Ergänzend wurde in drei Feldern temperaturabgesenkter Asphalt (TA-Asphalt) und in drei Feldern konventionell heißgemischter Asphalt eingesetzt. Durch die Temperaturabsenkung sollte eine Reduzierung der Dämpfe und Aerosole aus der Heißverarbeitung von Bitumen erzielt werden. Außerdem wurde eine Minderung der CO₂-Emissionen im Produktions- und Einbauprozess der Asphalte angestrebt. An der Umsetzung des Projekts waren mehrere Partner beteiligt. Die Planung übernahmen das Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster sowie die Forschungsgruppe Verkehrswesen (FgV) der FH Münster. Die Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH konzipierte die Asphaltmischungen. Die Herstellung des Asphaltes und die Lieferung erfolgten durch die Basalt-AG (Mischwerk Legden), während der Einbau von der Hermann Dallmann Straßen- und Tief bau GmbH & Co. KG ausgeführt wurde. Untersuchungen im Rahmen der Eigenüberwachung führten das genannte Bauunternehmen und die Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH durch. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm die FgV. Im Vorfeld sowie während der Bauausführung und im Anschluss an den Bau der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Zu diesen gehörten Erstprüfungen, baubegleitende Untersuchungen und Kontrollprüfungen, die „klassische“ Kontrollprüfungen sowie erweiterte Kontroll- und Performanceprüfungen umfassten. Nach der Verkehrsfreigabe wurden durch die FgV in Zusammenarbeit mit dem Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster Maßnahmen zum Monitoring der Versuchsstrecke durchgeführt. Beim Einbau von Splittmastixasphalt mit hohen Anteilen an Asphaltgranulat sowie einer Temperaturabsenkung ist mit einem erhöhten organisatorischen und technischen Aufwand zu rechnen. Dazu gehören die Einhaltung eines konstanten Temperaturniveaus des Asphaltmischgutes, längere Mischzeiten, eine koordinierte Anliefe- <?page no="367"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 367 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt rung und eine ggf. aufwendigere Verdichtung. Dennoch zeigte sich, dass temperaturabgesenkter Splittmastixasphalt unter Einsatz des hier beschriebenen Asphaltgranulats grundsätzlich „prozesssicher“ hergestellt und eingebaut werden kann. Die durchgeführten Untersuchungen mit dem Photoionisationsdetektor (PID) ergaben vergleichbare Ergebnisse wie in anderen Projekten der FgV. Damit in Zusammenhang stehende Fragestellungen werden in weiteren Projekten untersucht. Im Rahmen der Kontrollprüfungen konnten die Anforderungen der ZTV-Asphalt-StB-07/ 13 an Asphaltmischgut und fertige Schicht weitgehend erfüllt werden. Geringfügige Abweichungen bzgl. der Anforderungen an das Asphaltmischgut sind in der täglichen Umsetzung von Baumaßnahmen durchaus üblich und beeinträchtigen die Eignung der entsprechenden Mischgüter nicht. Vergleichende Untersuchungen bezüglich des Widerstandes gegen bleibende Verformung, der Steifigkeit und der Kälteeigenschaften führten zu einem positiven Fazit. Die Ergebnisse sind insbesondere vor dem Hintergrund der Konzeptionierung der Asphalte (Variation der Zusammensetzung hinsichtlich Gehaltes an Asphaltgranulat) aus bautechnischer Sicht als nachvollziehbar und positiv zu bewerten. Aus den genannten Ergebnissen ergibt sich kein Anlass, die Verwendung von Asphaltgranulat in Splittmastixasphalt grundsätzlich in Frage zu stellen. Es sind jedoch bei ggf. zukünftigen Anwendungen der potenziell zusätzliche Aufwand bei der Produktion und beim Einbau der entsprechend konzeptionierten Asphaltmischgüter zu berücksichtigen. Außerdem wird es anlagenbzw. projektspezifisch erforderlich sein, einen jeweils „optimalen“ Asphaltgranulatanteil, ähnlich wie beim Einsatz von Asphaltgranulat in Asphaltbeton, zu ermitteln. Das Monitoring ein und zwei Jahre nach Verkehrsfreigabe zeigte keine Auffälligkeiten in Bereichen der Griffigkeit und der Ebenheit der Asphaltdeckschichten aus den unterschiedlich konzeptionierten Splittmastixasphalten. Eine Ausnahme stellte das Versuchsfeld VF3 (50-M.-% Asphaltgranulat, TA-Asphalt) dar. In diesem Versuchsfeld wurden einzelne Oberflächenschäden an der Asphaltdeckschicht festgestellt. Die Asphaltkonzeptionierung wurde bewusst als „kritische“ Variante gewählt, um „Extreme“ zu testen. Eine Verwendung von 50-M.-% stellt in der Praxis auch in Asphaltdeckschichten aus Asphaltbeton keine Regelanwendung dar. Vor dem Hintergrund der bei der Versuchsstrecke „Kanalstraße“ erlangten Ergebnisse, scheint eine Anwendung von Asphaltgranulat in einer ähnlichen Größenordnung, wie beim Asphaltbeton (ca. 20-M-% bis 30-M.-%) auch beim Splittmastixasphalt in der Praxis umsetzbar.-[2] Zukünftig soll das Monitoring fortgesetzt werden, um weitere Erkenntnisse bezüglich der im Rahmen der Kanalstraße diskutierten Fragestellungen zu gewinnen. Literatur [1] Autoren und Projektkonsortium des RekoTi-Projektes: RekoTi-Wiki - Ressourcenplan kommunaler Tiefbau, URL: https: / / rekoti.inf.bi.ruhruni-bochum.de/ w/ index.php/ Hauptseite, Abruf: 02.12.2024 [2] Ebbers, H., Hartmann, B., Heitmann, M., Schönauer, T., Weßelborg, H.-H., RekoTi-Wiki - Ressourcenplan kommunaler Tiefbau, Versuchsstrecke „Kanalstraße“, URL: https: / / rekoti.inf.bi.ruhr-unibochum.de/ w/ index.php/ Versuchsstrecke_%22Kanalstra%C3%9Fe%22, Abruf: 02.12.2024 [3] BG BAU - Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft: Branchenlösung - Bitumen beim Heißeinbau von Walz- und Gussasphalt, Berlin, URL: https: / / www. bgbau.de/ fileadmin/ Medien-Objekte/ Medien/ Broschuere_Flyer/ Branchenl%C3%B6sung_Bitumen_ beim_Hei%C3%9Feinbau_von_Walz-_und_Gussasphalt.pdf, Zugriff: 16.04.2024 [4] Ausschuss für Gefahrenstoffe (AGS) Bekanntgabe im GMBI durch das BMAS, Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 900, 2024, URL: https: / / www.baua.de/ DE/ Angebote/ Regelwerk/ TRGS/ TRGS-900.html, Abruf: 04.07.2024) [5] OpenStreetMap Foundation (OSMF), lizenziert unter der Open Data Commons Open Database- Lizenz (ODbL), URL: https: / / www.openstreetmap. org/ copyright, Zugriff: 28.11.2024 [6] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13), Köln, 2013 [7] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Hrsg.) (2024): Bewertung von Verfahren zur messtechnischen Ermittlung von Gefahrstoffen in der Luft am Arbeitsplatz, AGS-Liste geeigneter Messverfahren, Stand: 25.01.2024, URL: https: / / www.baua.de/ DE/ Angebote/ Regelwerk/ TRGS/ TRGS-402, Zugriff: 02.12.2024 [8] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 09/ 21, URL: https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Fachthemen/ Daten/ Erfahrungssammlung/ ARS-09-2021.pdf? __blob=publicationFile&v=2, Abruf 22.07.2024 [9] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.; Hülsbömer, M.: Wissenschaftliche Begleitung des Einsatzes von Warmmix-Asphalt (WMA) auf ländlichen Wegen, Münster, 2020 (nicht veröffentlicht) [10] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.; Hülsbömer, M.: Ergänzungsbericht - Wissenschaftliche Begleitung des Einsatzes von Warmmix-Asphalt (WMA) auf ländlichen Wegen, Münster, 2021 (nicht veröffentlicht) [11] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.: Durchführung von PID-Messungen beim Einbau von Gussasphalt, Münster, 2022 <?page no="368"?> 368 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau durch hochwertige Wiederverwendung von Asphalt und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt [12] Weßelborg, H.-H.; Schönauer, T.: Durchführung von PID-Messungen beim Einbau von Walzasphalt, Münster, 2024 (nicht veröffentlicht) [13] Schönauer, T.; Schünemann, M.; Simnofske, D.; Weßelborg, H.-H.: Untersuchung des Einflusses verschiedener Trennmittel auf Emissionsmessungen mit dem IFA-Verfahren und der PID-Messmethode, Münster, 2023 (nicht veröffentlicht) [14] DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Technisches Komitee CEN/ TC 227 „Straßenbaustoffe“: Oberflächeneigenschaften von Straßen und Flugplätzen - Prüfverfahren - Teil 1: Messung der Makrotexturtiefe der Fahrbahnoberfläche mit Hilfe eines volumetrischen Verfahrens; Deutsche Fassung EN 13036-1: 2010, Berlin, 2010 [15] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt (M TA), Köln, 2021 [16] Bergisch-Westerwälder Hartsteinwerke, Zweigniederlassung der Basalt-Actien-Gesellschaft, Erstprüfung Artikelnummer 349757 - 349762, Legden, 2022 [17] Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH, Prüfbericht 22-5724, Dortmund, 2023 [18] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) Teil 25 B1 Einaxialer Druck-Schwellversuch - Bestimmung des Verformungsverhaltens von Walzasphalt bei Wärme, Köln, 2022 [19] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) Teil 26 Spaltzug-Schwellversuch - Bestimmung der Steifigkeit, Köln, 2018 [20] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Technische Prüfvorschriften für Asphalt (TP Asphalt-StB) Teil 46 A Kälteeigenschaften: Einaxialer Zugversuch und Abkühlversuch, Köln, 2022 [21] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Arbeitspapier Tieftemperaturverhalten von Asphalt Teil 1: Zug- und Abkühlversuche, Köln, 2012 <?page no="369"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 369 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität Dr. rer. pol. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dipl.-Ing. (FH) Martin Haberl Institut für Baustoff-Qualitätssicherung GmbH, Fellbach Hart Consult International GmbH, Ernst Zusammenfassung Vor dem Hintergrund der Temperaturabsenkung bei der Produktion von Asphaltmischgut werden aktuell verschiedene Möglichkeiten getestet und in der Praxis erprobt. Erklärtes Ziel der Asphaltbranche ist es, die durch den Gesetzgeber vorgegebenen Immissionsgrenzwerte von max. 1,5 mg/ m³ an Aerosolen und Dämpfen als MAK-Wert für die Verarbeitung bei Asphalt einzuhalten. Hierzu ist eine Absenkung der Herstell- und Verarbeitungstemperaturen des Asphaltmischgutes gegenüber den bisherigen Angaben aus ZTV Asphalt-StB bzw. TL Asphalt-StB notwendig. Somit wird unter dem Terminus Niedertemperaturasphalt (NT-Asphalt) ein Asphaltgemisch verstanden, dass mit niedrigeren Temperaturen als in den vorgenannten Regelwerken angegeben, hergestellt und verarbeitet wird. Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen ist die Verwendung von Schaumasphalt eine geeignete Möglichkeit um damit NT-Asphalt herzustellen. Wie in verschiedenen Publikationen angegeben, kann durch diese Methode die Mischguttemperatur auf ca. 110 °C bis 120 °C abgesenkt werden, bei gleichbleibender Verarbeitbarkeit. In den bisherigen Forschungen wurde das Hauptaugenmerk auf das vorrangige Ziel der Temperaturabsenkung, bei immer noch günstiger Verarbeitbarkeit und anforderungskonformen Eigenschaften der damit hergestellten Asphaltbeläge gerichtet. Die auf den Aufschäumprozess einwirkenden Parameter, die wiederum auch die Eigenschaften der fertigen Schichten beeinflussen, wurden bis dato nur rudimentär untersucht. Aufgeschäumte Bitumen werden vom Grundsatz her durch Einspritzen von Wasser in heißes Bitumen hergestellt. Es entsteht dabei eine Dispersion, bestehend aus Bitumen und Wasser bzw. Wasserdampf. In der Praxis sind zwei unterschiedliche Herstellverfahren, bekannt. Man spricht dabei von dem direkten Verfahren bzw. dem indirekten Verfahren. Teilweise wird auch eine Kombination der beiden Verfahren angewandt. Nachfolgend wird das direkte Verfahren, bei dem Wasser und Luft in heißes Bitumen eingeblasen wird, behandelt. In diesem Vortrag werden die Ergebnisse hinsichtlich der Optimierung der Eigenschaften von aufgeschäumten Bitumen (Schaumbitumen) aufgezeigt. Es werden dabei drei wesentliche Faktoren angesprochen: Einpressdruck der zum Schäumprozess benötigten Luft, Temperatur des eingedüsten Bitumens und die zum Aufschäumen verwendete Wassermenge. Die Versuche wurden mit einem unmodifizierten Bitumen 50/ 70 und einem mit 2,5 M.-% synthetischem Wachst (Fischer-Tropsch) modifizierten Bitumen 50/ 70 durchgeführt. Für die Versuchsdurchführung wurde intern ein Versuchsablaufplan erstellt. Die Parameter „maximales Expansionsverhältnis (ERm)“ und „Halbwertszeit (HL)“ wurden manuell ermittelt. Unter den vorab festgelegten Variationen für die Bitumentemperatur und den Wassergehalt wurden unterschiedliche Ergebnisse für ERm und HL ermittelt. Das maximale Expansionsverhältnis erreichte in Abhängigkeit vom Wassergehalt einen Maximalwert ERmax(T), der mit der Temperatur anstieg und je nach Bindemittelsorte um bis zu 50 % variierte. Dabei stieg der optimale Wassergehalt, der zum Aufschäumen eingedüst wurde, bis zum Erreichen von ERmax. nahezu linear an. Bei allen Versuchen konnte festgestellt werden, dass das Verhältnis von ERmax(T) zum optimalen Wassergehalt, dem sogenannten Schäumungskoeffizienten M unabhängig von der Temperatur des Bitumens war und zwischen 2 und 3 lag Ermittelte ER-Werte unterhalb des optimalen Wassergehaltes waren direkt proportional zum Schäumungskoeffizienten und zum Wassergehalt. Aus den so ermittelten Ergebnissen aus der ER- und HL-Messungen konnte festgestellt werden, dass durch den durchgeführten Aufschäumprozess die Steifigkeit des Bitumens aufgrund der eingetretenen Alterung des Bitumens erhöht wurde. Die ermittelte Alterung lag jedoch unterhalb der für eine Alterung nach RTFOT zu erwartenden Werte. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass durch die untersuchten Parameter eine Steuerung der Eigenschaften des geschäumten Bitumens möglich ist. Weiterhin konnte belegt werden, dass durch die Zugabe von synthetischem FT-Wachs, die Halbwertszeit des Bitumenschaums signifikant verlängert werden kann. Die Schaumbildung wird somit im Wesentlichen durch die Menge des währende des Prozesses verdampfenden Wassers und die dabei stattfindende Energieausbeute gesteuert. Die Halbwertszeit des hergestellten Bitumenschaums nahm mit zunehmendem Wassergehalt zunächst ab und war dann ab erreichen einer bestimmten Temperatur nahezu konstant, sobald der Wassergehalt mindestens die Hälfte des optimalen Wassergehalts überstieg. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass die Halbwertszeit proportional zur Bitumenviskosität ist. <?page no="370"?> 370 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität 1. Einleitung Nicht erst seit der Verpflichtung zur Senkung des MAK- Wertes für Dämpfe und Aerosole von 10 mg/ m³ auf 1,5 mg/ m³ in der Umgebungsluft bei Herstellung und Verarbeitung von Asphalt, wird an der Entwicklung von Niedertemperaturasphalten (NTA) gearbeitet. Unter dem Begriff der WMA-Technologie (Warm Mix Asphalt) wird z. B. in den USA bereits seit vielen Jahren temperaturabgesenkter Asphalt hergestellt und verarbeitet. Eine feste Säule bildet dabei der mit Schaumbitumen hergestellte Asphalt. Bitumenschaum entsteht, wenn Wasser in Verbindung mit Luft in heißes Bitumen eingespritzt wird. Für die Herstellung von dauerhaften Asphalten ist grundsätzlich die Verwendung von Bindemitteln anzustreben, die hinsichtlich ihrer Viskosität dem Asphalt während der Nutzung einen hohen Widerstand gegenüber bleibenden Verformungen bietet, der mit einem hohen Steifigkeitsmodul und einer angemessenen Verarbeitbarkeit während des Herstellungsprozesses korreliert [1,2]. Die Schaumbitumentechnologie zielt dabei zunächst auf eine Viskositätsverringerung des eingesetzten Bitumens ab und wurde ursprünglich zunächst für die Stabilisierung im Kaltrecyclingverfahren von Böden bei Platzbefestigungen und im Straßenbau eingesetzt. Dabei wird geschäumtes Bitumen in ein Mineralstoffgemisch eingefräst. Der so hergestellte Bitumenschaum wird dann als Bindemittel eingesetzt, wobei sich als problematisch herausstellte, dass insbesondere in den oberen Schichten nur eine unzureichende Umhüllung der Zuschlagstoffe stattfand [3,4]. Mit der Entwicklung von halbwarmen Mischungen, bei denen die Zuschläge vorgewärmt wurden, wurde dieses Problem deutlich abgeschwächt. Die Verarbeitbarkeit der so hergestellten Gemische nahm zu, da die Viskosität der Gemische sank. Damit waren die Parameter der halbwarmen Mischungen mit dem konventionellen Heißmischgut vergleichbar [5,6]. Bereits in [7,8] wird ausgeführt, dass die Ausdehnung von Bitumenschaum und insbesondere auch seine Stabilität ganz wesentlich vom eingesetzten Wasseranteil während des Aufschäumprozesses abhängen. Dieser wiederum beeinflusst die Größe der Schaumblasen und damit auch deren Verteilung. Dies beeinflusst dann die Form der Schaumzerfallskurve [9] und den Schäumungsindex (FI), der als Funktion daraus bestimmt werden kann. Dieser Ansatz ist aber aufgrund der Komplexität der Schaumzerfallskurve und der Tatsache, dass eine Abnahme der Halbwertzeit (HL) nicht unbedingt mit einem Anstieg des Expansionsverhältnisses (ER) korreliert, nicht absolut belegbar. Dagegen ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die Bitumenviskosität ein sinnvoller Parameter für die Bitumenschaumqualität sein kann [10]. Die Viskosität des Ausgangsbitumens kann durch den Einsatz von Zeolithen [11] oder synthetischen Wachsen, die die Schaumparameter durch Stabilisierung des Schaumzerfalls verbessern [12], verringert werden. Ebenso kann dies durch die Erhöhung der Asphaltenanteile im Bitumen erreicht werden [13]. Weiterhin können zur Verbesserung der Schaumstabilität auch chemische Additive eingesetzt werden [9]. Damit liegen bereits maßgeblich Möglichkeiten für die Beeinflussung der Schaumqualität und damit auch der Qualität der damit hergestellten Asphaltbeläge vor. Die Bewertung der Schaumverteilung ist wiederum stark abhängig von der Genauigkeit des Messverfahrens. Im Allgemeinen liefern ER- und HL-gestützte Bewertungen keine ausreichenden Informationen darüber, inwieweit der Aufschäumprozess die Bitumenrheologie und die chemische Zusammensetzung des Bitumens beeinflusst oder sogar verändert [14]. Die ER- und HL-Parameter hängen bekannterweise von der Temperatur des zum Eindüsen verwendeten Wassers, der Wassermenge und dem Druck beim Eindüsen ab. Üblicherweise wird an Mischanlagen lediglich der Wassergehalt kontrolliert. Der Einfluss der von weiteren Parametern auf die Eigenschaften und damit die Qualität des Schaums hängt weiterhin von der Art und den Eigenschaften des zur Verwendung kommenden Bitumens ab. Beim Aufschäumen wird binnen kürzester Zeit Wasser innerhalb des heißen Bitumens zu Dampf umgewandelt. Das Vorhandensein von Wasser, respektive Wasserdampf, im Bitumen kann wiederum zu einer erheblichen Versteifung des Bitumens führen. Diese Versteifung ist dann eine Folge aus der destillierenden Wirkung des Wasserdampfs auf Erdöle im Allgemeinen [2]. Der Schäumprozess ist damit mit dem Crackvorgang innerhalb eines Vakuumturms beim Raffinieren von Erdöl vergleichbar. Eine Beschleunigung des Alterungsprozesses von Bitumen unter Vorhandensein von Wasser ist allgemein bekannt [15]. Die beim Schäumprozess vorherrschenden hohen Temperaturen in Verbindung mit hohen Dampfdrücken können daher dazu führen, dass die geschäumten Bitumen eine Art der künstlichen Alterung erfahren. In der Literatur wurden in der Vorbereitung zu diesem Vortrag jedoch nur wenig Informationen über einen optimierten Schäumprozess gefunden, der diese Aspekte berücksichtigt. 1.1 Verwendete Materialien und Versuchsmethoden 1.1.1 Bitumen Die Versuche wurden mit einem Normbitumen 50/ 70 und einem Normbitumen 50/ 70, das mit 2,5 M.-% synthetischem Fischer-Tropsch-Wachs (FT-Wachs) modifiziert wurde, durchgeführt. Das Wachs wurde im Bitumenlabor mit einem Hochschermischer und einem entsprechenden Mischkopf in das Bitumen eingerührt. An den Bindemitteln wurden die grundlegenden Parameter bestimmt. Diese waren: - Steifigkeitsmodul G* - Phasenwinkel δ - Dynamische Viskosität η - Null-Scher-Viskosität η ZSV <?page no="371"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 371 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität Ausgangsmaterialien Parameter Einheit 50/ 70 50/ 70 mit Wachs Penetration 0,1 mm 62 56 Erw. RuK °C 48 71 G*/ sin δ Pa 4171 5527 η bei 60°C Pa*s 358 342 η ZSV bei 60 Pa*s 561 660 1.1.2 Probenahme Schaumbitumen Während der Versuchsdurchführung wurden die hergestellten Schaumbitumenproben in Glasbehältern gesammelt. Die notwendige Anzahl wurde vor Versuchsbeginn definiert und bereitgestellt. Um die Eigenschaften des geschäumten Bitumens untersuchen zu können, wurden die Schaumbitumenproben nach dem Zusammenbruch des Schaums (exakt 15 Minuten nach dem Aufschäumen), auf -10 °C abgekühlt und bei dieser Temperatur bis zur Bestimmung der rheologischen Parameter gelagert. 1.1.3 Dynamische Viskosität Für den Versuch kam ein Dynamisches Scherrheometer der Marke Anton Paar zum Einsatz. Die Versuche wurden nach den geltenden Normen durchgeführt. Die Dynamische Viskosität wurde bei 60°C für zwei Schergeschwindigkeitsstufen durchgeführt. Zum einen wurde der Newtonsche Grenzzustand γ = 1 s-1 bestimmt und dann die Null-Scherviskosität η ZSV bei einer Schergeschwindigkeit von 0.0032 s-1 . 1.1.4 Komplexer Schermodul G* und Phasenwinkel δδ Die rheologischen Versuche zur Ermittlung des komplexen Schermoduls G* und des Phasenwinkels δ wurden mit einem Kegel-Platte Messsystem (25 mm) bei einer Spaltweite von 150 µm zwischen den Messsystemen durchgeführt. Die bei den Versuchen angesetzte Spannungsamplitute betrug 40 Pa und die Versuchstemperaturen betrugen 40°C und 60°C. Der Frequenzbereich lag zwischen 0,1 und 10 Hz. 2. Versuchsaufbau Bei der Planung des Versuchs wurden vorrangig drei Parameter berücksichtigt, die den Schäumungsprozess beeinflussen. Dies waren der Luftdruck, die Bitumentemperatur und die Wassermenge. Die optimale Temperatur für den Aufschäumprozess des Bitumens liegt bekanntermaßen bei über 140°C. Durch die Verwendung eines Modifikators zur Veränderung der Bitumenviskosität, kann üblicherweise die Temperatur des Bitumens bei der Herstellung von Asphalt herabgesetzt werden. Dieser Effekt soll auch hier untersucht werden. Vorliegend kam daher ein synthetisches Fischer- Tropsch-Wachs zum Einsatz, um zu testen, ob auch für den Aufschäumprozess eine Temperaturreduzierung für das Bitumen stattfinden kann. Die Versuche zu diesem Test wurden daher abweichend zu den Standarteinstellung der eingesetzten Laborschaumanlage durchgeführt. Die Versuche wurden mit den folgenden Einstallungen an der Laboranlage durchgeführt: - Luftdruck: 100 kPa, 400 kPa, 700 kPa - Bitumentemperatur: 110°C, 145°C; 180°C - Wassergehalt: 1 M.-%; 2,5 M.-%; 5 M.-% Versuchsplan Versuch Luft, kPa Temp. °C Wasser M.-% 1 100 110 1 2 400 110 2,5 3 700 110 5 4 100 145 1 5 400 145 2,5 6 700 145 5 7 100 180 1 8 400 180 2,5 9 700 180 5 2.1 Messung von Ausdehnungsrate und Halbwertszeit Der Einfluss der Mitarbeiter, die mit der Durchführung der Versuche betraut sind, ist bei der vorliegenden Versuchsdurchführung nicht unerheblich. Es ist daher darauf zu achten, dass immer dieselben Mitarbeiter, die in der Handhabung der Laborschaumanlage eingewiesen sind, die Versuche durchführen. Für die Messungen wurde der produzierte Schaum direkt in einem kalibrierten Behälter mit einer vor dem Bitumenschaum geschützten integrierter Messeinrichtung produziert. Die Messung der Volumenänderung (ER) kann so sehr gut abgelesen werden. Die Ermittlung der Halbwertszeit (HL) erfolgt durch Messung mit einer Stoppuhr. 2.2 Verteilungsmodell für den Bitumenschaum Es wurde jeweils eine Bitumenprobe mit den vorab bestimmten Einstellungsparametern in der Laboranlage mit jeweils einer Menge von 500 g hergestellt. Die kontinuierliche Messung von ER und die zugehörige Expansionszeit ist zwingend notwendig. Um die Schaumparameter ER und HL rechnerisch zu bestimmen, muss eine mathematische Beziehung zwischen diesen beiden Parametern gefunden werden. Auf der Grundlage der in der Literatur gefundenen und dort ausgearbeiteten mathematischen Beziehung des Bitumenschaums [7, 9] wurde eine angegebene Funktion ausgewählt. Da innerhalb der ersten 5 Sekunden ein gewisser Anteil an Blasen bereits wieder sehr schnell zusammenfällt, wurde die nachfolgende Funktion von den Verfassern durch eine Exploration dahingehend angepasst [7,9]. ER(t) = 1 + ERmax 1 + (t/ HL) C ER max = max(b(t)) a <?page no="372"?> 372 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität Dabei steht: • ER(t) für das berechnete Ausdehnungsverhältnis in Abhängigkeit von der Zeit • a ist die Höhe von 500 g ungeschäumten Bitumens im kalibrierten Behälter (konstant) • b(t) ist der Abstand zwischen der oberen Oberfläche des Schaumbitumens und der Messeinrichtung (ändert sich in Abhängigkeit der Zeit) • HL ist die Halbwertzeit • t ist die Messzeit • c ist das Verhältnis, das die Schaumzerfallsrate definiert (Verhältnis zwischen der Änderung von HL in Abhängigkeit von der Zeit). • ERmax ist das Maximum des Ausdehnungsverhältnisses (ER). Mit der von Jenkins ff aus seiner Dissertation übernommenen Funktion besteht die Möglichkeit zu beschreiben, wie schnell sich das Volumen des aufgeschäumten Bitumens verändert. Auf Grundlage der durchgeführten Simulation und unter Berücksichtigung der Messungenauigkeiten konnte festgestellt werden, dass das Ausdehnungsverhältnis in Abhängigkeit von der Zeit, somit die Ausdehnung des Bitumenschaums und seine Stabilität sehr gut darstellt. Zur Verifizierung wurden die Versuche insgesamt dreimal durchgeführt. Es ist hierbei anzumerken, dass das Model nicht alle Verhaltensweisen des Bitumenschaums beschreibt, aber für die untersuchten Bitumen eine sehr hohe Korrelation mit den Versuchsergebnisse zeigt. In den Fällen, in denen der berechnete HL-Wert extrem niedrig lag, nämlich unter 1 s, hat der Schaumeffekt im Bitumen entweder nicht stattgefunden oder war nur schwer abzuschätzen. Ungewöhnlich ist, dass der niedrige Wert von HL entweder mit einer niedrigen Temperatur (110 °C) oder einem niedrigen Druck (100 kPa) zusammenhing. Unabhängig von einem niedrigen HL-Wert wurden alle Testergebnisse zur weiteren Analyse verwendet. Nur in wenigen Fällen lag der R 2 Parameter bei 0,6. In den meisten Fällen lag er bei deutlich > 0,7. Die Ergebnisse des Parameterabgleichs, der Mittelwert der Ergebnisse und die Funktion, die die Verteilung der Schaumparameter beschreibt, wurden gegenübergestellt. Zusätzliche Messungen wurden durchgeführt, um die Varianz der Wiederholbarkeit zu bestimmen, die zur Berechnung der Signifikanz der Parameter erforderlich ist. Die Ergebnisse der zugeordneten Modellparameter wurden verwendet, um einen vorläufigen Vergleich der Schaumverteilungsparameter für die Bitumenschaumabbaurate (Parameter c), ER dabei bestimmt durch die Schaumhöhe im Behälter (Parameter b), ebenso wie HL, durchzuführen. Ergebnisse für Bitumen 50/ 70 (a = 0,6 cm) Kombi b50/ 70 cm HL 50/ 70 s c50/ 70 RMSE cm R 2 100-110-1 1,82 34,11 2,79 0,51 0,96 100-145-5 3,40 56,44 1,66 1,50 0,94 100-180-2,5 3,53 0,001 0,12 0,95 0,65 400-110-5 2,80 16,36 1,31 0,63 0,94 400-145-2,5 11,97 16,56 1,64 1,62 0,94 400-145-2,5 (zusätzlich) 13,02 15,20 1,69 1,71 0,93 400-145-2,5 (zusätzlich) 11,33 16,33 1,58 1,74 0,94 400-180-1 1,17 126,7 1,21 1,09 0,81 700-110-2,5 36,1 0,31 0,79 1,61 0,95 700-145-1 35,8 1,35 0,97 1,49 0,99 700-180-5 5,99 7,41 3,35 1,02 0,83 Ergebnisse für Bitumen 50/ 70 + 2,5 % FT (a = 0,6 cm) Kombi b50/ 70 cm HL50/ 70 s c50/ 70 RMSE cm R 2 100-110-1 1,60 134,67 1,22 0,22 0,99 100-145-5 4,76 20,68 0,87 0,99 0,98 100-180-2,5 35,8 0,005 0,63 1,58 0,63 400-110-5 3,62 45,31 1,87 1,22 0,99 400-145-2,5 5,86 21,33 2,10 1,51 0,93 400-145-2,5 (zusätzlich) 5,68 22,76 2,88 1,68 0,94 400-145-2,5 (zusätzlich) 5,66 19,40 2,59 1,38 0,94 400-180-1 1,29 14,49 4,61 0,36 0,71 700-110-2,5 4,81 19,77 1,37 1,94 0,94 700-145-1 34,2 0,83 0,73 1,56 0,99 700-180-5 7,22 10,9 2,49 0,55 0,96 Beim Vergleich der Werte zeigt sich, dass das Bitumen 50/ 70 +2,5 M.-% FT Wachs einen geringfügig höheren ER-Wert und auch einen höheren HL-Wert aufweist. Die Schaumzerfallsrate (Parameter c) von Bitumen 50/ 70 ist dagegen wieder mit dem modifizierten Bitumen vergleichbar. Dabei ist festzustellen, dass die Werte des modifizierten Bitumens weniger stark streuen als die Werte des nichtmodifizierten Bitumens. Eine längere und nicht so steil abfallende HL sowie ein stabiler c-Wert, verlängern demnach die Zeit, in der der Bitumenschaum verwendet werdend kann. Bei einer längeren Halbwertszeit HL ist davon auszugehen, dass der Bitumenschaum aus dem mit FT-Wachs modifizierten Bitumen demnach besser für Niedertemperaturasphalte geeignet sein wird. Dies scheint wiederum mit den für eine bestimmte Zusammensetzung des Bitumens und den daraus resultie- <?page no="373"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 373 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität renden rheologischen Eigenschaften des Bitumens zusammenzuhängen. Die ER-Variationen, unabhängig vom Bitumentyp, sind von allen unabhängigen Variablen, d. h. von Bitumentemperatur, dem Luftdruck und der Menge des eingedüsten Wassers, mehr oder weniger stark beeinflusst worden. Hinsichtlich des Parameters HL hatte der Luftdruck die geringste Auswirkung in den durchgeführten Versuchen. Die Analyse der Ergebnisse zeigt weiterhin, dass bei einem Wassergehalt von 2,5 M.-% die ER für beide Bitumensorten ähnlich war. Die höchsten ER-Parameter für Bitumen 50/ 70 wurden bei einer Temperatur von 140 °C und einem Druck von über 400 kPa erreicht. Der Temperaturanstieg reduzierte dabei die Viskosität des Bitumens, was wiederum begrenzend auf die Bildung von großen Blasen wirkte. Bei der entsprechenden Einstellung an der Laboranlage war die niedrige HL des Schaums umgekehrt proportional zu den Ergebnissen der ER. Im Fall des modifizierten Bitumens wurde das ER- Maximum bei einer Temperatur von etwa 145 °C und einem Druck von > 600 kPa erreicht. Die ER-Werte von Bitumen 50/ 70 waren jedoch im Allgemeinen niedriger. Was den HL- Parameter des modifizierten Bitumen 50/ 70 mit 2,5 M.-% FT-Wachs betrifft, so zerfiel der Bitumenschaum mit einem Anstieg des Bitumen- und Luftdrucks deutlich schneller. Diese Charakteristik des Zerfalls des Bitumenschaums ist vermutlich auf die niedrige Viskosität des durch die synthetische Wachsphase dispergierten Bitumens zurückzuführen. Infolgedessen trug die Abnahme der Bitumenkohäsion zum schnellen Zusammenfall des Bitumenschaums bei. Daraus wird wiederum deutlich, dass der Wassergehalt von 2,5 M.-% für die geprüften Bindemittelsorten nicht optimal ist. Der Aufschäumprozess verändert weiterhin die rheologischen Eigenschaften des Bitumens auf ganz unterschiedliche Weise. 2.3 Rheologischen Eigenschaften 2.4 Viskoelastische Eigenschaften Die viskoelastischen Eigenschaften des Bitumenschaums wurde durch Messung des komplexen Schermoduls G* und des Phasenverschiebungswinkels δ im Frequenzbereich von 0,01 bis 10 Hz und für Temperaturen von 40 °C und 60 °C bestimmt. Der Phasenverschiebungswinkel gilt als wesentlich empfindlicher Parameter gegenüber chemischen Veränderungen in der Bitumenzusammensetzung. Die ermittelten Ergebnisse für das Normbitumen 50/ 70 zeigen eine leichte Verschiebung der Ergebnisse für G* nach dem Aufschäumen, hin zu höheren Phasenwinkelwerten im Vergleich zum Ausgangsbitumen. Eine solche Veränderung der rheologischen Eigenschaften des Bitumens nach dem Aufschäumen deutet auf eine chemische Veränderung des Bitumens hin. Es ist davon auszugehen, dass durch das Aufschäumen eine Oxidation und damit eine künstliche Alterung, des Bitumens ausgelöst wird. Für das modifizierte Bitumen konnte weiterhin eine Verschiebung nach dem Schäumen hin zu kleineren Werten für den Phasenwinkel festgestellt werden. Es ist zu erkennen, dass im Kurvenbereich der hohen Temperaturen in einigen Fällen die geschäumten Bitumen eine niedrigeren Phasenwinkel im Vergleich zum Ausgangsbitumen aufwiesen. Es ist anzunehmen, dass dies auf das auskristallisierte FT-Wachs zurückzuführen ist, das wiederum das Molekulargewicht erhöht und dem Bitumen eine höhere Elastizität verleiht. Infolgedessen könnte die Modifizierung von Bitumen mit FT-Wachsen einen evtl. Verlust an Elastizität, der durch das Vorhandensein von Luft im Bitumen während des Schäumungsprozesses verursacht wird, wieder ausgleichen. Dadurch werden die rheologischen Eigenschaften des Bitumens gegenüber dem Ausgangsbitumen wesentlich verändert und müssen bestimmt werden, um eine Aussage hinsichtlich der zu erwartenden Alterung treffen zu können. Bei Betrachtung der Ergebnisse fällt weiterhin auf, dass der Anstieg von G*/ sin (δ) für das mit FT-Wachs modifizierte Bitumen nach dem Aufschäumen im Vergleich zu dem nicht modifizierten Bitumen 50/ 70 viel dynamischer verläuft. Fast alle Ergebnisse des modifizierten Bitumens sind höher als die des nicht geschäumten Ausgangsbitumens. Aus den Untersuchungsergebnissen geht hervor, dass das Normbitumen 50/ 70 höhere und damit bessere ER- Werte aufweist als das mit einem FT-Wachs modifizierte Bitumen 50/ 70. Bei dem modifizierten Bitumen ist der HL-Wert deutlich höher, was hier auf einen stabileren Schaum deutet. Trotz des niedrigeren ER-Werts war G*/ sin (δ) bei dem modifizierten 2,23-mal so hoch wie bei dem Normbitumen 50/ 70. Will man den ER-Wert des modifizierten Bitumens erhöhen, muss die Bitumentemperatur erhöht werden, bei gleichzeitiger Erhöhung des Drucks und der Wassermenge. Dies führt zum einen zu einer Erhöhung der Steifigkeit des Bitumens, gleichzeitig aber auch zu einer stärkeren Alterung des Bitumens und zu einer signifikanten Verringerung von HL. Durch eine Optimierung des Aufschäumprozesses kann die Alterung des geschäumten Bitumens sicherlich noch weiter begrenzt werden. 3. Auswertung der Ergebnisse Mit den durchgeführten Versuchen konnte belegt werden, dass die Zugabe von FT-Wachsen die HL-Werte positiv beeinflusst. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass sich Änderungen bei der Bitumentemperatur und des Luftdrucks direkt auf die Parameter G*/ sin (δ) auswirken. Dabei wurde ersichtlich, dass unabhängig von der Bitumensorte nach dem Aufschäumen ein Anstieg von G*/ sin (δ) gegenüber dem Ausgangsbitumen festzustellen ist. Ebenfalls wurden erhebliche Unterschiede bei der dynamischen Viskosität bei einer Prüftemperatur von 60 °C ermittelt. Dabei waren die Unterschiede des modifizierten Bitumens größer als die des nicht modifizierten Bitumens. Dies wird im Wesentlichen auf die auskristallisierten Wachse zurückgeführt. Ebenso wurden für die geschäumten Bindemittel niedrigere Phasenwinkel festgestellt. Die ermittelten Ergebnisse sind mit den Ergebnissen von künstlich gealterten Bindemitteln vergleichbar. <?page no="374"?> 374 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Herstellen von temperaturabgesenktem Asphalt unter Verwendung von Schaumbitumen - Bestimmende Einflussfaktoren auf die Schaumqualität Literaturangaben [1] Kim, Y.R Modeling of Asphalt Concrete; ASCE Press: Reston, VA, USA; McGraw-Hill: New York, NY, USA, 2009 [2] Sificzyk, B; Mieczkowski, S. Mieszanki Mineralno-Asfaltowe: Wykonawstwo i Badania; WKŁ: Warschau, Polen, 2009 [3] Polenski, P; Ivanski, M. 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Constr. Build. Mater. 2014, 72, 423-433 [15] Standard Specification for Performance-Graded Asphalt Binder; AASHTO M 320-05; American Association of State Highway and Transportation Officials: Washington, DC, USA, 2005 <?page no="375"?> Ökobilanzierung - Tools <?page no="377"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 377 Infrastrukturplanung neu gedacht: nachhaltig und digital BIM-basierte Ökobilanzierung mit ORIS Isabelle Armani ORIS SAS, Paris Straßenbau zwischen Tradition und Transformation Der Straßenbau steht heute mehr denn je an einem Scheideweg. Einerseits sind Straßen unverzichtbare Lebensadern unserer Gesellschaft, die Mobilität und wirtschaftliches Wachstum fördern. Andererseits trägt der Verkehrswegebau erheblich zum Ressourcenverbrauch und zu den Treibhausgasemissionen bei. Die massive Nutzung mineralischer Rohstoffe und die CO₂-Intensität des Baus machen den Straßenbau zu einem zentralen Ansatzpunkt für Nachhaltigkeitsstrategien. Dabei sind circa 85 % der CO₂-Emissionen auf den Materialeinsatz zurückzuführen. Regulatorische Entwicklungen wie die EU-Taxonomie- Verordnung, ESG-Berichtspflichten sowie politische Nachhaltigkeitsziele zwingen Bauherren dazu, nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Umweltwirkungen ihrer Projekte nachzuweisen. Gleichzeitig stellen der Klimawandel und die zunehmende Häufigkeit von Extremwetterereignissen neue Anforderungen an die Widerstandsfähigkeit von Infrastruktur. Die Digitalisierung bietet eine einzigartige Gelegenheit, diese Herausforderungen zu adressieren. Methoden wie Building Information Modeling (BIM) und digitale Tools wie die Plattform ORIS Materials Intelligence ermöglichen datenbasierte, transparente und nachhaltige Entscheidungen in jeder Phase eines Bauprojekts. Dieser Beitrag zeigt, wie die Kombination dieser Technologien nicht nur die Planung optimiert, sondern auch langfristig ökologische und ökonomische Vorteile bietet. BIM: Die Grundlage für integrierte Planung BIM ist längst mehr als ein Schlagwort. Die Methode ermöglicht es, Bauprojekte als digitale Zwillinge zu planen, zu simulieren und über ihren gesamten Lebenszyklus zu verwalten. Dabei bildet BIM alle relevanten Informationen zu Geometrie, Materialeigenschaften, Bauabläufen und Kosten in einer gemeinsamen Datenumgebung ab. Für den Straßenbau bedeutet dies eine fundamentale Veränderung: Statt auf fragmentierte Daten und getrennte Systeme angewiesen zu sein, können alle Beteiligten - von der Planung bis zur Bauausführung - auf eine konsistente und aktuelle Datenbasis zugreifen. Diese Transparenz reduziert Fehler und Nachbesserungen und ermöglicht präzisere Entscheidungen, insbesondere in Bezug auf Materialauswahl, Bauzeiten und Kosten. Doch BIM allein reicht nicht aus, um die ökologischen Herausforderungen des Straßenbaus zu bewältigen. Hier kommt die Plattform ORIS Materials Intelligence ins Spiel, die das BIM-Modell um spezialisierte Funktionen für die Nachhaltigkeitsbewertung und die Simulation von Szenarien erweitert. Ein neuer Ansatz für Nachhaltigkeit und Resilienz ORIS Materials Intelligence ist eine digitale Plattform, die speziell für den Infrastrukturbau entwickelt wurde. Sie ermöglicht es, verschiedene Bauweisen hinsichtlich ihrer Umwelt-, Kosten- und Materialeffizienz zu analysieren. Im Kern basiert ORIS auf drei Säulen: 1. CO₂-Bilanzierung: Mithilfe von Lebenszyklusanalysen (LCA) wird der gesamte CO₂-Fußabdruck eines Projekts ermittelt - von der Materialproduktion über den Bau bis zum Rückbau. 2. Materialoptimierung: Die Plattform nutzt Materialdaten, um ressourcenschonende und emissionsarme Alternativen zu bewerten und zu vergleichen. Dabei können die tatsächlichen Transportentfernungen berücksichtigt werden. Auch kreislaufwirtschaftliche Überlegungen können abgebildet und Szenarien verglichen werden. 3. Klimarisikobewertung: Durch die Integration von Klimadaten können zukünftige Risiken wie Starkregen, Hitze, Fluten oder Frostwechsel in die Planung einbezogen werden. Experten führen die Simulation projektspezifisch mit der Plattform durch. Weitere Aspekte, die darüber hinaus berücksichtigt werden können, sind etwa Verkehrssicherheit, Modellierung der Verkehrsemissionen und der Vergleich unterschiedlicher Bauweisen. Ein besonderer Vorteil liegt in seiner Interoperabilität mit BIM-Systemen. Für Civil3D und AutoCAD gibt es ein direktes Plugin, wodurch der Planungsprozess nicht nur nachhaltiger, sondern auch effizienter wird. Andere IFC- Modelle können ebenfalls über ein Interface eingespielt und die Materialinformationen zur Bewertung extrahiert werden. Das reduziert Medienbrüche und Fehlerquellen. Nachhaltigkeit in der Projektbewertung: Ein Paradigmenwechsel im Straßenbau Traditionell wurden Infrastrukturprojekte hauptsächlich nach Kosten und Zeit bewertet. Doch mit dem wachsenden Fokus auf Nachhaltigkeit zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Projekte müssen zunehmend auch ökologische und soziale Kriterien erfüllen. Die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in die Projektbewertung erfordert neue Ansätze. ORIS ermöglicht es, Projekte nicht nur nach ihren Kosten, sondern auch mit ihrem CO₂- Fußabdruck und dem Ressourcenverbrauch zu bewerten. <?page no="378"?> 378 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Infrastrukturplanung neu gedacht: nachhaltig und digital Diese zentralen Kennzahlen ermöglichen es Bauherren, fundierte Entscheidungen zu treffen, die über rein monetäre Aspekte hinausgehen. Dieser neue Bewertungsansatz ermutigt die Beteiligten, innovative Bauweisen und Materialien zu wählen, die langfristig sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind. Szenarienvergleiche: Von der Theorie zur Praxis Ein zentraler Vorteil der digitalen Plattform ist die Möglichkeit, verschiedene Szenarien bereits in der Entwurfsphase zu vergleichen. Dies ist besonders relevant, da Entscheidungen in der frühen Planungsphase oft den größten Einfluss auf die langfristigen Kosten und Umweltwirkungen eines Projekts haben. In einem Pilotprojekt der Autobahn GmbH in Brandenburg wurde beispielsweise die Verwendung von Recycling-Asphalt hinsichtlich der Treibhausgasemissionen untersucht. Mithilfe von ORIS konnten zwei Szenarien simuliert werden: - Standardbauweise: Neubau eines Abschnitts mit konventionellem Asphalt. - RC-Bauweise: Einsatz von 25 % Recycling-Asphalt. Die Analyse zeigte, dass die innovative Bauweise die CO₂-Emissionen und auch die Kosten reduzierte. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie gezielte Materialentscheidungen auf Basis fundierter Daten nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein können. Natürlich ist die Möglichkeit, Varianten zu vergleichen, sehr vielfältig. Es können auch Asphalt- oder Betonbauweisen vergleichen oder der Einsatz von emissionsreduzierten Materialien simuliert werden. Ökobilanzierung: Ein ganzheitlicher Ansatz Die Lebenszyklusanalyse (LCA) ist ein zentraler Bestandteil der Nachhaltigkeitsbewertung. Sie ermöglicht es, die Umweltwirkungen eines Projekts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg zu quantifizieren. Dabei berücksichtigt die LCA nicht nur die direkten Emissionen während des Baus, sondern auch vorgelagerte Prozesse, wie die Materialproduktion, und nachgelagerte Aspekte, wie den Rückbau. ORIS nutzt die Norm DIN EN 15804+A2, um LCA- Daten standardisiert und vergleichbar zu machen. Auf dieser Grundlage können verschiedene Materialien und Bauweisen objektiv miteinander verglichen werden. Besonders im Straßenbau, wo oft große Mengen an Ressourcen bewegt werden, können so erhebliche Einsparpotenziale bei den Emissionen identifiziert werden. Um sicherzustellen, dass die Berechnungen wirklich den Normen entsprechen, wurde die Berechnungsweise extern geprüft und zertifiziert. Der Einsatz einer einheitlichen Plattform kann für Bauherren auch Konsistenz gewährleisten. Ein Fallbeispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, wie der Einsatz von Asphaltbewehrung den CO₂-Fußabdruck einer Straßensanierung um ca. 50 % reduzieren konnte. Gleichzeitig wurde der Materialverbrauch um ca. 30-% gesenkt, was nicht nur die Umwelt, sondern auch das Budget entlastete. Nachhaltige Materialauswahl: Potenziale und Herausforderungen Die Auswahl der richtigen Materialien ist eine der zentralen Stellschrauben, um CO₂-Emissionen und Kosten im Straßenbau zu reduzieren. Der Einsatz digitaler Tools ermöglicht eine differenzierte Betrachtung der Materialeigenschaften und ihrer Umweltwirkungen. Ein Beispiel für nachhaltige Materialwahl ist die Nutzung von Recycling-Asphalt, der in Deutschland bereits in der Breite eingesetzt wird. Recycling-Asphalt bietet nicht nur ökologische Vorteile, da er den Abbau neuer mineralischer Ressourcen reduziert, sondern auch wirtschaftliche Einsparungen. Die Plattform ORIS kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie die regionalen Materialverfügbarkeiten und deren CO₂-Bilanz transparent darstellt (Material A1-A3 und Transport A4). Herausforderungen bei der nachhaltigen Materialwahl liegen jedoch in der Qualitätssicherung und in der Akzeptanz bei den Beteiligten. Bauunternehmen benötigen präzise Daten über die Eigenschaften von Recyclingmaterialien, um deren Einsatz zu optimieren. Hier bietet die Digitalisierung durch datenbasierte Modelle und Simulationen große Vorteile. Digital unterstützte Beschaffung: Effizienz und Nachhaltigkeit vereinen Ein oft übersehener Bereich, in dem Digitalisierung enorme Potenziale bietet, ist die Beschaffung von Baustoffen. Traditionell erfolgt die Materialbeschaffung im Straßenbau auf Basis von Kostenschätzungen und standardisierten Ausschreibungen. Digitale Plattformen wie ORIS ermöglichen jedoch einen anderen Ansatz: die Optimierung der Beschaffung unter Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Aspekte. So kann beispielsweise die Auswahl lokal verfügbarer Materialien nicht nur Transportkosten und -emissionen senken, sondern auch Lieferzeiten verkürzen. Die Integration solcher Daten in den Planungsprozess führt zu einer effizienteren und nachhaltigeren Beschaffungskette. Ein Pilotprojekt zeigte, dass durch die gezielte Nutzung von regionalen Rohstoffen bis zu 20 % der Transportemissionen eingespart werden konnten. In diesem Zusammenhang ist es sehr zu begrüßen, dass auch bereits Ausschreibungen von der Autobahn GmbH veröffentlicht wurden, die die Transportentfernung vom Lieferwerk zur Baustelle neben dem Preis als Bewertungskriterium mit einbezogen haben. Dies erhöht die Transparenz und ermöglicht es Bauherren, Nachhaltigkeitsziele konsequent zu verfolgen. Digitalisierung in der Instandhaltung: Ein Blick auf den gesamten Lebenszyklus Während die meisten Optimierungen vor der Bauphase ansetzen, ist auch die Instandhaltung ein entscheidender Faktor für die Nachhaltigkeit von Infrastrukturpro- <?page no="379"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 379 Infrastrukturplanung neu gedacht: nachhaltig und digital jekten. Die Digitalisierung kann hier ebenfalls wichtige Beiträge leisten. Mit Hilfe digitaler Zwillinge können Straßenmodelle laufend aktualisiert werden, um ihren Zustand zu überwachen und frühzeitig Verschleißerscheinungen zu erkennen. Dies ermöglicht eine proaktive Wartung, die nicht nur kosteneffizienter, sondern auch ressourcenschonender ist. Ein Beispiel ist die Integration von Sensordaten in digitale Modelle. Sensoren, die beispielsweise in der Fahrbahnoberfläche oder in Brückenstrukturen verbaut sind, liefern Daten zu Belastungen, Temperaturen und Feuchtigkeit. Diese Informationen können genutzt werden, um Verschleißmuster zu analysieren und Wartungsmaßnahmen präzise zu planen. In einem Pilotprojekt an einer Autobahn in Bayern konnten durch den Einsatz solcher Technologien die Wartungskosten um 15 % reduziert werden, während gleichzeitig die Lebensdauer der Straße verlängert wurde. Innovationstreiber für den Straßenbau: KI und Automatisierung Die Zukunft des Straßenbaus wird maßgeblich durch neue Technologien geprägt, die über die derzeitigen digitalen Werkzeuge hinausgehen. Besonders der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung bietet vielversprechende Ansätze, um Nachhaltigkeit und Effizienz auf ein neues Level zu heben. Digitale Plattformen wie ORIS erzeugen heute bereits fundierte Datengrundlagen durch den Einsatz von Maschine Learning. Mit dieser Technologie wurden die Materiallieferanten kartiert. Die KI identifiziert dabei aus der Vogelperspektive Produktionsstätten. Durch regelmäßiges Feedback, ob das Ergebnis korrekt war oder nicht, wird die Suche präziser. In Deutschland wurden mit dieser Methode bereits fast 6.000 Materiallieferanten identifiziert. Inzwischen ist die Technologie so ausgereift, dass bei Projekten außerhalb der ORIS Kernmärkte eine Dokumentation der relevanten Materiallieferanten innerhalb weniger Stunden möglich ist. Zukünftig könnte KI künftig dabei helfen, die Daten automatisiert auszuwerten und optimale Bauweisen vorzuschlagen (Generative KI). Algorithmen könnten beispielsweise die Auswirkungen von Materialkombinationen simulieren, ohne dass dafür manuelle Eingriffe erforderlich sind. Dies wird zukünftig nicht nur Zeit sparen, sondern auch die Planungsgenauigkeit erheblich erhöhen. Klimaresilienz: Infrastruktur für die Zukunft Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaveränderungen wird zu einem immer wichtigeren Faktor in der Infrastrukturplanung. Höhere Temperaturen, häufigere Starkregenereignisse und veränderte Frost-Tau-Zyklen stellen Bauwerke vor neue Herausforderungen. ORIS ermöglicht es, diese Risiken systematisch zu analysieren und in die Planung zu integrieren. Es ist möglich einzelne Strecken oder auch nur Abschnitte zu betrachten. Außerdem ist eine gesamte Netzwerkanalyse möglich und in Anbetracht des sich stark verändernden Klimas auch durchaus empfehlenswert. Klimadaten aus verschiedenen Quellen werden dabei miteinander kombiniert, um möglichst aussagekräftige Prognosen treffen zu können. Digitale Plattformen ermöglichen die Verarbeitung dieser großen Datenmengen und können so schnell Informationen bereitstellen und Handlungsempfehlungen ableiten. Ein Autobahnprojekt in Bayern nutzte beispielsweise digitale Simulationen, um die Auswirkungen von Starkregen auf die Streckenstabilität zu bewerten. Auf Basis der Ergebnisse wurde ein Drainagesystem empfohlen, das die Erosion entlang der Strecke reduziert. Regulatorische Rahmenbedingungen: Nachhaltigkeit als Pflicht Der gesetzliche Druck, nachhaltige Infrastrukturprojekte zu planen und umzusetzen, nimmt kontinuierlich zu. Gleiches gilt für die Anforderungen an Lebenszyklusanalysen (LCA). Nicht nur neue Projekte, sondern auch Sanierungen müssen zunehmend auf ihre CO₂-Bilanz hin geprüft werden. Plattformen wie ORIS erleichtern die Erfüllung dieser Vorgaben, da sie standardisierte und nachvollziehbare Daten für die LCA bereitstellen. Auch im Vergaberecht wird Nachhaltigkeit immer stärker berücksichtigt. Öffentliche Bauherren haben bereits die Möglichkeit, ökologische Kriterien in ihre Ausschreibungen aufzunehmen. Digitale Plattformen ermöglichen es, klare und vergleichbare Nachhaltigkeitsbewertungen in die Vergabeprozesse zu integrieren, was die Transparenz und Nachvollziehbarkeit solcher Kriterien erhöht. Die zunehmenden regulatorischen Anforderungen sollten jedoch nicht nur als Verpflichtung, sondern auch als Chance gesehen werden. Sie fördern Innovationen und treiben die Entwicklung nachhaltiger Technologien voran, die langfristig sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Herausforderungen und Potenziale der Digitalisierung Die Einführung digitaler Plattformen wie ORIS bringt sowohl Herausforderungen als auch enorme Chancen mit sich. Eine der größten Hürden ist die Sicherstellung der Datenqualität. Ohne präzise und aktuelle Daten zu Materialien, Transportwegen und Umweltfaktoren können die Analysen ihre volle Wirkung nicht entfalten. Gleichzeitig erfordert die Integration neuer Tools Schulungen und Akzeptanz bei den Nutzern. Dennoch überwiegen die Vorteile. Die Digitalisierung ermöglicht eine bisher unerreichte Transparenz und Präzision in der Planung. Sie schafft die Grundlage für fundierte Entscheidungen, die nicht nur kurzfristige Kosten, sondern auch langfristige Umwelt- und Resilienzfaktoren berücksichtigen. Fazit: Die Zukunft des Straßenbaus ist digital und nachhaltig ORIS zeigt, wie Digitalisierung den Straßenbau revolutionieren kann. Ein bestehendes BIM Modell kann die Grundlage der Ökobilanz sein. Die Daten können naht- <?page no="380"?> 380 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Infrastrukturplanung neu gedacht: nachhaltig und digital los integriert und bewertet werden. Durch die Kartierung der Materiallieferanten kann die Beschaffung optimiert und Transporte reduziert werden. Durch datenbasierte Entscheidungen können Projekte effizienter, nachhaltiger und widerstandsfähiger gestaltet werden. Die Beispiele aus Deutschland verdeutlichen, dass diese Technologien bereits heute praktikable Lösungen bieten. Erwähnenswert ist, dass ORIS nach SOC 2 Typ 2 und ISO 27001 zertifiziert ist, was es noch einzigartiger und zuverlässiger macht. Für Bauherren und Planer ist es an der Zeit, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und die Infrastruktur der Zukunft zu gestalten - nachhaltig, sicher, digital und resilient. <?page no="381"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 381 Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken Dr. Marcus Müller Smart Site Solutions GmbH, Nürtingen Sven Gohl Makadamlabor Schwaben GmbH, Sindelfingen Klaus Groll REIF Bauunternehmung GmbH & Co. KG, Rastatt PD Dr. Jörg Leukel Universität Hohenheim, Stuttgart Zusammenfassung Ökologische Nachhaltigkeit ist im Straßenbau ein zentrales Thema sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Bauunternehmen geworden. Öffentliche Ausschreibungen werden zunehmend über nachhaltige Zuschlagskriterien entschieden. Für Bauunternehmen ist es daher notwendig, über effektive Werkzeuge zur Planung, Steuerung und Dokumentation von nachhaltigen Bauprozessen verfügen zu können. Das Forschungsprojekt „KInaStra - KI für den nachhaltigen Straßenbau“ leistet dazu zwei Beiträge. Auf Basis von maschinellem Lernen wird ein Vorhersagemodell bereitgestellt, das zur Planungs- und Ausführungszeit eine emissionsminimale Mischguttemperatur vorschlägt, ohne dabei die Einbau- und Verdichtungsqualität zu mindern. Bauleitung und Mischwerkspersonal erhalten so eine Entscheidungsunterstützung für CO 2 -minimale Baustellen. Ferner wird ein Verfahren aufgezeigt, das aus Daten der Bauprozesssteuerung automatisch eine baubegleitende CO 2 -Bilanz erzeugt und dadurch Dokumentationsaufwände wesentlich reduziert. Das Vorhersagemodell und das vorgeschlagene CO 2 -Rechenmodell wurden anhand von Fallstudien (vergangene, reale Baustellen) evaluiert. Dabei zeigt sich, dass das in KInaStra umgesetzte Vorhersagemodell auf Basis von maschinellem Lernen das Abkühlverhalten von Asphaltmischgut mit hoher Genauigkeit vorhersagen kann. Das entwickelte CO 2 -Rechenmodell zeigt in den Fallstudien Werte, die mit der internationalen Fachliteratur im Einklang stehen. 1. Einführung Treibhausgase (THG) stellen im wissenschaftlichen Konsens die Hauptursache des anthropogenen Klimawandels dar [1]. Die meisten Länder verpflichteten sich daher, die anthropogenen THG-Emissionen bis 2050 auf netto Null zu reduzieren [2]. Auch die Straßenbauindustrie ist gefordert, ihren Beitrag zu diesen Klimazielen zu leisten. Die im Straßenbau dominierenden öffentlichen Auftraggeber sind durch nationale (u. a. Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, UVPG) und internationale (z. B. dem Green Public Procurement der European Commission) Regelungen zunehmend dazu angehalten, Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibung und in die Angebotsbewertung aufzunehmen. In Deutschland sind bei öffentlichen Auftraggebern bereits entsprechende Initiativen erfolgt, so z. B. in Baden-Württemberg [3] oder Bayern [4]. International laufen ebenfalls entsprechende Vorhaben, wie z. B. „Net Zero Highways“ (National Highways, UK). Auch die Bauwirtschaft bzw. ihre Verbände reagieren national und international mit Positionspapieren und Lösungsvorschlägen [5, 6, 7]. Bislang spielen digitale Technologien für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen im Straßenbau nur eine untergeordnete Rolle. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten konzentrieren sich aktuell auf das Baumaterial (u. a. Erhöhung des Recycling-Anteils, temperaturabgesenkte Asphalte), die Baumaschinen (insb. Elektrifizierung von Baumaschinen) und das Produkt „Straße“, wie u. a. solaraktive oder NO x -reduzierende Beläge. Aktuelle Studien deuten jedoch darauf hin, dass mittels einer digitalen Echtzeitsteuerung von Bauprozessen die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen unterstützt werden kann [8,-9]. Die hierzu erforderlichen datentechnischen Voraussetzungen sind bereits weitgehend gegeben (Stichworte: Straßenbau 4.0 und Building Information Modeling), so dass der nächste Innnovationsschritt in der Entwicklung intelligenter, datengetriebener Steuerungsverfahren zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele im Straßenbau liegt. Im Weiteren wird zunächst der Stand der Forschung im Bereich der Ermittlung von CO 2 -Emissionen im Straßenbau sowie bei der Nutzung von maschinellem Lernen in Straßenbauprozessen ausgeführt. Anschließend werden die beiden Lösungsvorschläge (1) automatisierte CO 2 - Bilanzierung und (2) GreenAI-Bauprozesssteuerung beschrieben und evaluiert. Die Ergebnisse werden abschließend diskutiert und zusammengefasst. <?page no="382"?> 382 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken 2. Stand der Forschung 2.1 CO 2 -Bilanzierung Studien zu THG-Emissionen im Straßenbau nutzen häufig Lebenszyklusanalysen, um die Rohstoffproduktion, den Straßenbau, die Nutzungs- und Unterhaltungsphase sowie den Rückbau (End of Life) zu untersuchen. Metastudien zur Anwendung der LCA im Straßenbau zeigen, dass die Mehrzahl der Arbeiten die Materialgewinnung und die Bauphase betrachten [10]. Werden nur die beiden Phasen betrachtet, so verteilen sich die Emissionen über die Studien hinweg zu 80 % auf die Rohstoffproduktion und zu 20 % auf die Bauphase. Werden zusätzlich die Lebenszyklusphasen Nutzung und Unterhalt betrachtet, so umfassen diese beiden Phasen 40-50 % der Gesamt- CO 2 -Emissionen; Materialgewinnung und die Bauphase somit zusammen nur noch 50-60 %. Forschungsprojekte zur Bestimmung von THG-Emissionen im Straßenbau konzentrieren sich auf einzelne Straßenklassen (z. B. Bundesautobahn im Projekt „Ökobilanz für die Herstellung und Nutzung eines Autobahnabschnitts“ der TU München) oder Unterschiede in den CO 2 -Emissionen verschiedener Baumaterialien (Asphalt, Beton) oder Herstellungsweisen (z. B. temperaturabgesenkter Asphalt im Projekt „PLANET: Energetische und ökologische Bilanz der Auf bereitung von Niedertemperaturasphalten“). Dabei werden häufig sogenannte Normkilometer betrachtet und auf bestehende Umweltdatenbanken (u. a. ÖKOBAUDAT, GaBi-Datenbanken, GreenDelta oder EcoInvent) zurückgegriffen. In Deutschland werden bislang keine Regelwerke zu Produktkategorisierung und Umweltproduktdeklarationen im Straßenbau angewendet. Existierende Studien im Bereich Nachhaltigkeit im Straßenbau behandeln meist nur Teilausschnitte des Themengebiets und die vorhandenen Datenbanken müssen für eine Anwendung im Straßenbau erweitert und/ oder modifiziert werden (s. dazu auch BASt-Projekt „Literaturstudie zur Nachhaltigkeit im Straßenbau“). 2.2 Maschinelles Lernen in Straßenbauprozessen Derzeit liegen im Vergleich zu anderen Anwendungsdomänen nur sehr wenige Forschungsergebnisse zur Anwendung von maschinellem Lernen in Straßenbauprozessen vor. Bisherige Studien konzentrieren sich auf die Vorhersage von physikalischen Größen und hier i. W. auf die Vorhersage von Verdichtungsgraden. Nur wenige Arbeiten nutzen maschinelles Lernen zur Vorhersage von Variablen in der Produktion und dem Transport von Asphalt oder im Bereich der Prozesssteuerung, z. B. Zeiten [11]. Festzustellen ist eine große Bandbreite von Eingangsvariablen und dazu eingesetzter Sensoren. Als Verfahren werden überwiegend Künstliche Neuronale Netze angewendet, obwohl deren höhere Leistung (in Bezug auf die Vorhersagegüte) noch nicht eindeutig belegt ist. In Bezug auf die in der Machine-Learning-Forschung genutzten Metriken zur Bestimmung der Vorhersagegüte ist zu konstatieren, dass in den Arbeiten zum maschinellen Lernen im Straßenbau nur selten einheitslose Leistungsmetriken Anwendung finden, was eine übergreifende Vergleichbarkeit wesentlich erschwert [11]. Die den Studien zugrundeliegende Daten werden häufige nicht oder nur auf Nachfrage zur Verfügung gestellt. Insgesamt ist die Datenverfügbarkeit im Vergleich zu anderen Disziplinen sehr gering. Ebenfalls fehlt eine in anderen Forschungsdisziplinen übliche, öffentlich zugängliche Forschungsdatenbank, welche die verwendeten Daten transparent macht. Dies erschwert eine Nachprüf barkeit der Ergebnisse [11]. 3. Lösungsvorschläge 3.1 Automatisierte CO 2 -Bilanzierung Die Phasen der Lebenszyklusanalyse im Straßenbau werden in Herstellung, Errichtung, Nutzung und Entsorgung unterteilt. Der vorliegende Vorschlag für eine automatisierte CO 2 -Bilanzierung bis auf die Phase der Nutzung alle Phasen des Lebenszyklus einer Straße. Fokussiert wird dabei auf die Materialherstellung, den Transport des Materials vom Mischwerk auf die Baustelle und den eigentlichen Einbau des Asphalts auf der Baustelle mittels Baugeräte (s. Abb. 1). Abb. 1: Phasen der Lebenszyklusanalyse im Straßenbau <?page no="383"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 383 Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken Es wurde ein CO 2 -Berechnungsmodell entwickelt, das die in Abb. 2 dargestellten Einflussgrößen auf die CO 2 - Emissionen im Straßenbau umfasst. Abb. 2: Einflussgrößen auf die CO 2 -Emissionen im Straßenbau Der Teil Produktion (Lebenszyklusphasen A1-A3) umfasst ein detailliertes Modell zur Berechnung von CO 2 -Emissionen im Rahmen der Materialherstellung. Dabei werden Emissionen aus den Vorprodukten (Bitumen, Additive, Gesteine und Asphaltgranulat), die Zusammensetzung des Asphalts gemäß den Angaben aus der Erstprüfung, die Transportentfernungen und die Transportmittel (u. a. Lkw, Schiff) für den Antransport von Gesteinskörnungen, Bindemitteln und Zusätzen berücksichtigt. Ferner werden der an der Mischanlage verwendete Brennstoff sowie die anlagenspezifische technische Ausstattung (u. a. Art der Lagerung) in die Berechnung aufgenommen. Daraus wird ein Emissionswert in kg CO 2 e je Tonne Asphalt für die Materialproduktion bis Ausgang Werkstor berechnet. Für den Transport und den Einbau werden die Art der Lkw (Schadstoffklasse bzw. Antriebsart), die Tonnenkilometer und die Verbräuche ebenfalls in kg CO 2 e je Tonne Asphalt berechnet. Ähnlich erfolgt dies beim Einbau über die Art und Anzahl der Einbaugeräte, deren Verbräuche und Einsatzdauern. Auch dies resultiert in kg CO 2 e je Tonne Asphalt. Alle Werte werden individuell und als Gesamtsumme ausgewiesen. Zur Planungszeit kann das CO 2 -Berechnungsmodell genutzt werden, um Planemissionen zu berechnen. Dies ist bspw. für schattenpreisbasierte Ausschreibungen von Relevanz. Für die automatisierte CO 2 -Bilanzierung werden Werte aus der Bauprozesssteuerung (Tonnage, Lkw, gefahrene Kilometer, Einsatzzeiten, Baugeräte etc.) herangezogen und in das CO 2 -Berechnungsmodell überführt. Dies kann im Nachgang zur Baustelle erfolgen oder auch fortlaufend während der Bauausführung als automatisierte Live- CO 2 -Bilanzierung mit kontinuierlichem Abgleich von geplanter und tatsächlich realisierter Emission (s. Abb. 3). Abb. 3: Live- CO 2 -Bilanzierung mit kontinuierlichem Abgleich von geplanter und tatsächlich realisierter Emission <?page no="384"?> 384 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 3.2 GreenAI-Bauprozesssteuerung Die GreenAI-Bauprozesssteuerung zielt darauf ab, während des Einbaus der Bauleitung sowie dem Personal auf der Mischanlage eine Entscheidungsunterstützung an die Hand zu geben, mit derer sie im laufenden Prozess CO 2 -Einsparpotenziale erkennen und heben können. Wichtigster Einflussparameter - der gleichzeitig noch während der Bauausführung bzw. Materialproduktion beeinflusst werden kann, ist die Produktionstemperatur des Asphaltmischguts (grobe Faustformel: Pro 10- °C Temperaturreduktion wird ca. 1kg CO 2 e/ Tonne Asphalt weniger emittiert). Eine zu niedrige Produktionstemperatur darf jedoch nicht dazu führen, dass auf der Baustelle die Zeit für eine qualitativ hochwertige Verdichtung nicht mehr ausreicht. Ziel ist es also, eine Vorhersage zu treffen, wie weit die Produktionstemperatur gesenkt werden kann, sodass das Zeitfenster für eine qualitativ hochwertige Verdichtung noch ausreicht. Die Vorhersage basiert auf maschinellem Lernen (ML). Zum Auf bau des Modells wurden entlang der Prozesskette Temperaturdaten (Beladetemperatur, Entladetemperatur, Oberflächentemperatur hinter der Bohle, Oberflächentemperatur bei jeder Walzüberrollung, sowie teilweise Temperaturen in der Schichtmitte) gesammelt, die als Trainings- und Testdaten in die Gestaltung einflossen. Berücksichtigt wurden dabei Eingangsgrößen (sog. Features), die von Domänenexperten ausgewählt und über Sensoren bzw. Webservices gesammelt wurden. Das ML-Modell lernt Beziehungen zwischen den Eingangsgrößen (Input) und der zu prognostizierenden Temperatur (Output). So können aus Daten früherer Baustellen Prognosen für die aktuelle Baustelle gestellt werden (s. Abb. 4). Abb. 4: Lernen der Beziehung zwischen Features (Input) & Temperatur (Output) Die hier vorgeschlagene GreenAI-Bauprozesssteuerung nutzt das ML-Vorhersagemodell, um mit aktuellen Werten aus der Bauprozesssteuerung und dem vorherrschenden Wetter das Abkühlverhalten für die Baustelle vorherzusagen, auf dem die GreenAI-Bauprozesssteuerung gerade eingesetzt wird. Dem Mischanlagenpersonal werden Echtzeitempfehlungen über eine optimale Zieltemperatur der Beladung gegeben. Liegt die tatsächliche Beladetemperatur über der optimalen Zieltemperatur, bestehen CO 2 -Einspaarpotenziale; die Beladetemperatur kann reduziert werden (Beispiel in Abb. 5). Liegt die tatsächliche Beladetemperatur darunter, wird mit dem Material ein zu kurzes Zeitfenster für eine qualitativ hochwertige Verdichtung erzeugt; die Beladetemperatur sollte erhöht werden. Abb. 5: Abkühlverhalten vom Asphaltmischwerk bis abgewalzte Schicht (Beispiel einer Landstraße) Sämtliche Daten aus der GreenAI-Bauprozesssteuerung werden der automatisierten CO 2 -Bilanzierung bereitgestellt (s. Abb. 6). Abb. 6: Beziehung zwischen Temperaturmessung (Trainingsdaten), Green-AI-Bauprozesssteuerung und automatisierter CO 2 -Bilanzierung 4. Evaluation 4.1 Automatisierte CO 2 -Bilanzierung Das der automatisierten CO 2 -Bilanzierung zugrundeliegende Rechenmodell wurde auf 54 Einbautage von sechs bereits abgeschlossenen Asphaltbaustellen (2x Autobahn, 2x Bundesstraße, 1x Landstraße und 1x Kreisstraße) der beteiligten Projektpartner angewendet. Dabei wurden in einer manuellen Nachbilanzierung die Emissionen für Produktion, Transport und Einbau in kg CO 2 e je Tonne Asphalt zur Planungszeit und nach Ausführung der Baustelle berechnet und verglichen [12, 13]. Zur Validierung des CO 2 -Rechenmodells wurden die resultierenden Emissionsanteile von Produktion sowie Transport und Einbau mit den Anteilen verglichen, die in der internationalen Fachliteratur veröffentlicht wurden. Ein Vergleich konnte nur über die Emissionsanteile erfolgen, da in der Literatur nur selten über absolute Emissionswerte berichtet wird. Abb. 7 zeigt die Werte in der Literatur im Vergleich zu den KInaStra-Werten. Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken <?page no="385"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 385 Abb. 7: Vergleich der CO 2 -Emissionsanteile von KInaStra mit den Werten aus der Literatur Es konnte somit gezeigt werden, dass über das KInaStra- Rechenmodell berechneten CO 2 -Emissionswerte einem Vergleich mit anderen Rechenmodellen standhalten und diese weiter konkretisieren. 4.2 GreenAI-Bauprozesssteuerung Das entwickelte ML-Vorhersagemodell wurde anhand einer bereits abgeschlossenen Baustelle (s. Abb. 8) evaluiert. Dazu wurden 4.777 Temperaturmessungen im Verhältnis 70: 30 auf Trainings- (3.344) und Testdaten (1.433) aufgeteilt. Mit den Trainingsdaten erlernte das ML-Modell die Zusammenhänge zwischen Input- und Output- Größen. Landstraße Zeitraum 30.04.-03.05.2024 Länge 1,55-km Ø Einbaubreite 4,5-m Mischgut 2.261 t AC 11 DN 50/ 70 TA Baugeräte 1 Fertiger, 2 Walzen Messungen 4.777 (davon 70 % für Training) Ø Überrollungstemp. 101,8 °C Abb. 8: Eigenschaften der Evaluationsbaustelle Die aus dem Trainingsdatensatz erlernten Zusammenhänge wurden auf den Testdatensatz angewendet. Die Für jeden Datenpunkt aus dem Testdatensatz wurde zunächst eine Temperaturprognose aus dem ML-Modell erstellt. Diese Prognose wurde dann der real gemessenen Temperatur im Testdatensatz gegenübergestellt. Abb. 9 zeigt das Streudiagramm, bei dem jeder der 1.433 Punkte den prognostizierten Wert auf der Y-Achse und den tatsächlich gemessenen Wert auf der X-Achse anzeigt. Je weiter die Punkte von der roten Geraden vertikal entfernt sind, desto größer ist der Prognosefehler des ML-Modells. Es zeigte sich bereits bei einer ersten Auswertung der Prognoseergebnisse, dass für 80-% der Prognosen der absolute Fehler weniger als 5 °C betragen hat. Abb. 9: Streudiagramm zur Visualisierung der Prognosegüte des KInaStra-ML-Modells Neben einer grafischen Darstellung haben sich in der KI-/ ML-Forschung verschiedene Metriken etabliert, um die Prognosegüte eines Modells zu bewerten. Abb. 10 stellt die vier gängigsten Metriken dar und weist deren Wert für die Vorhersagen bei der KInaStra- Evaluationsbaustelle aus. Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken <?page no="386"?> 386 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Abb. 10: Metriken der Prognosegüte des KInaStra-ML-Modells Es konnte somit gezeigt werden, dass das KInaStra-ML- Modell im Durchschnitt einen absoluten Prognosefehler von 3,4 °C aufweist. Mit einem R²-Wert von 0,88 erklärt das KInaStra-ML-Modell 88 % der Varianz der Asphalttemperatur. Somit bildet das Modell den Zusammenhang zwischen Input- und Output-Variablen sehr gut ab. Dies spricht zugleich für eine hohe Prognosegüte. 5. Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick Das Forschungsprojekt KInaStra verbindet erstmalig Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeitsbetrachtungen im Straßenbau im Rahmen der Echtzeitprozesssteuerung. Es konnte gezeigt werden, dass das entwickelte CO 2 -Berechnungsmodell ähnliche Ergebnisse erzeugt, wie sie in verschiedenen (Meta-)Studien erhoben wurden. Das KInaStra-ML-Modell weist eine sehr hohe Prognosegüte auf und eignet sich somit als Grundlage für eine GreenAI-Echtzeit-Bauprozesssteuerung. Entgegen den Erwartungen erwies sich die Erhebung von Trainingsdaten auf Baustellen als besonders herausfordernd. Die lückenlose Dokumentation der Temperaturen entlang der Lieferkette stellt hohe Anforderungen an die Organisation der Baustellen und an die eingesetzte Technik. Hierin liegt auch eine Limitation des KInaStra-ML- Modells, das zukünftig mit noch mehr Baustellendaten trainiert und evaluiert werden muss. Für Bauunternehmen zeigen die Ergebnisse, dass mit den heute bereits eingesetzten Werkzeugen für die Bauprozesssteuerung/ Bauprozessoptimierung zukünftig auch Nachhaltigkeitsziele besser erreicht werden können. Außerdem können zukünftige Dokumentationsanforderungen mit einer automatisierten, sensordatengestützten CO 2 -Bilanzierung einfacher und aufwandsärmer erfüllt werden. Der zunehmenden Nutzung von Nachhaltigkeitskriterien in den Ausschreibungen kann mit eine CO 2 - Planbilanz ebenfalls begegnet werden. Insgesamt weist die Bauindustrie jedoch noch einen geringen Durchdringungsgrad von digitalen Werkzeugen und lückenlosen Temperatursensoren auf, sodass die Potenziale einer automatisierten CO 2 -Bilanzierung sowie einer GreenAI-Bauprozesssteuerung derzeit nur bei wenigen Bauunternehmen vollständig gehoben werden können. Dies impliziert, dass für eine nachhaltige (und digitale) Zukunft des Straßenbaus noch mehr in digitale Werkzeuge und in eine entsprechende Qualifizierung von Mitarbeitenden investiert werden muss. Öffentliche Auftraggeber können dies dadurch unterstützen, dass alternative Zuschlagskriterien (Digitalisierung und Nachhaltigkeit) verstärkt genutzt werden und so gestaltet sind, dass sie eine tatsächliche und effiziente Lenkungswirkung entfalten. Literatur [1] Oreskes, N. (2004). The scientific consensus on climate change. Science, 306(5702), 1686-1686. [2] IPCC, 2018: Global Warming of 1.5°C. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA. [3] Hermann, W., Chakar, T., Klinger, H., Schmidt, V. und Klumbach, S. (2022). Der Weg zu einer ressourcen- und klimaschonenden Straßeninfrastruktur in Baden-Württemberg. Straße und Autobahn. Nr. 05, S. 401-407. Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken <?page no="387"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 387 [4] Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr (2024). Handbuch für die Vergabe und Durchführung von Bauleistungen durch Behörden des Freistaates Bayern - Stand August 2024. [5] Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (2024). Klimaverträglich bauen mit einem Schattenpreis für CO 2 -Emissionen. Berlin. [6] EAPA - European Asphalt Pavement Association (2024). Towards Net Zero - A Decarbonisation Roadmap for the Asphalt Industry. Brüssel. [7] NAPA - National Asphalt Pavement Association (2022). The Road Forward - A Vision for Net Zero Carbon Emissions for the Asphalt Pavement Industry. [8] Shahnavaz, F. und Akhavian, R. (2022). Automated Estimation of Construction Equipment Emission Using Inertial Sensors and Machine Learning Models. Sustainability, Bd. 14, Nr. 2750. [9] Arifuzzaman, M., Gul, M. A., Khan, K. und Hossain, S. M. Z. (2021). Application of Artificial Intelligence (AI) for Sustainable Highway and Road System. Symmetry. Bd. 13, Nr. 60. [10] Liu, N., Wang, Y., Bai, Q., Wang, P. S. and Xue, S. (2022). Road life-cycle carbon dioxide emissions and emission reduction technologies: A review. Journal of Traffic and Transportation Engineering. Bd. 9, Nr. 4. S. 532-555. [11] Leukel, J., Scheurer, L. und Sugumaran, V. (2024). Machine learning models for predicting physical properties in asphalt road construction: A systematic review. Construction and Building Materials. Bd. 440. [12] Meisch, L. (2024): Möglichkeiten der CO 2 -Reduzierung im nachhaltigen Asphaltstraßenbau, Bachelorarbeit im Rahmen des Projekts KInaStra. [13] Schreyer, E. (2024): Reduzierung und Verfolgung von CO 2 -Emissionen bei Asphaltbaustellen, Masterarbeit im Rahmen des Projekts KInaStra. Acknowledgement: Die hier veröffentlichten Ergebnisse wurden im Rahmen des Forschungsprojekts KInaStra - Künstliche Intelligenz für den nachhaltigen Straßenbau ( https: / / www.kinastra.de ) erarbeitet. KInaStra wurde gefördert durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg im Rahmen des Programms InvestBW. Wie GreenAI-Bauprozesssteuerung und automatisierte CO 2 -Bilanzierung die CO 2 -Emissionen senken <?page no="389"?> Radwegebau <?page no="391"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 391 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen Dipl.-Ing. (FH) Guido Schilling HanseGrand Klimabaustoffe GmbH & Co. KG, Selsingen Zusammenfassung In einem vergleichenden Blick zu den häufig üblichen gebundenen Bauweisen wird dargestellt, dass - im richtigen Nutzungsrahmen und bei richtiger baulicher Umsetzung - sich Radwege vor allem außerorts oder in Parks und Grünanlagen (also im freizeit-orientierten Bereich) erfolgreich mit ungebundenen, rein mineralischen Decken realisieren lassen. Die Standards für geeignete Auf bauten und Materialanforderungen wurden und werden, insbesondere für befahrbare Flächen, angehoben. Wichtig dabei bleibt zum einen die Wertschätzung für natürliche Bauweisen, damit man die einzugehenden Kompromisse (z. B. Witterungsabhängigkeiten) abwägen und entscheiden kann, zum anderen ein professionelles Konzept bezüglich Baus und Unterhalt. Neben einer deutlich günstigeren CO 2 -Bilanz gegenüber Asphalt- oder Betonwegen leisten die sog. „Wassergebundenen Decken“ einen Beitrag zur Entsiegelung und beeinflussen das Mikroklima positiv, wenn sie qualitätsorientiert gebaut werden. Die Möglichkeiten und Anforderungen des Wegeauf baus werden im Grundsatz gemäß den FLL-Empfehlungen beschrieben. Welche Details weiterhin bezüglich Schichtenfolge, Gesteinskörnungen, Profilierung und Einbau zu berücksichtigen sind, wird aus Sicht und Erfahrung des Autors erläutert, ebenso Aspekte zur Instandhaltung der Wege. Weiterhin wird ein Blick auf das rein subjektive Argument des „Fahrerlebnisses“ geworfen, welches heutzutage an Bedeutung gewinnt. Schließlich die wirtschaftliche Komponente: ein mineralischer Wegekörper ist günstiger in der Herstellung als gebundene Bauweisen. Der Unterhalt lässt sich gut managen, wenn Bauart und Nutzungsintensität aufeinander abgestimmt sind. 1. Einführung „Deutschland wird Fahrradland“ (Zitat „Zeit Online“) - ein Trend, der sich auch in der verstärkten Wahrnehmung und Bewertung von Radweg-Qualitäten widerspiegelt. Beispiel: ADFC Bewertungskatalog Folge: verstärkte Planung und Umsetzung von örtlichen und überregionalen Radwegen durch Länder, Landkreise und Kommunen Beispiel Baden-Württemberg: Bedarfsplan für 2000 km neue Wege bis 2040 Beispiel Bayern: „Radoffensive Klimaland Bayern“ als Förderprogramm, Erstobjekt b. Erlangen: 6 km „naturnaher Ausbau“ / ungebundene Bauweise Bezüglich der baulichen Gestaltung gilt häufig immer noch: Asphalt oder Beton sind das Mittel der Wahl, da einfach in Bau und Unterhalt, sowie abrollfreundliche und witterungsstabile Oberfläche. Ungebundene Bauweisen wie die „DoB“ bzw. „Wassergebundene Wegedecke“ fristen in vielen Regionen ein Stiefkind-Dasein. Dies ist fachlich richtig für stark befahrene innerstädtische Radwege (wie z. B. die Würzburger Teststrecke von 2009), da hier täglich - auch im Winter - eine andauernde Befahrung durch Pendler etc. gegeben ist. Ebenfalls für Radschnellwege, die v. a. einen zweckgebundenen und ganzjährigen Radverkehr sicherstellen müssen. Für viele andere Radwege jedoch, die vor allem dem Freizeitzweck dienen, erscheinen viele der Vorbehalte gegen rein mineralische Bauweisen nicht mehr zeitgemäß, unter anderem weil 1. Asphalt- und Betondecken einen deutlich höheren CO 2 -Ausstoß bedeuten 2. Mittlerweile höhere Standards bei Mineraldecken planbar und umsetzbar sind als noch vor 15-20 Jahren 3. Gut gebaute „Naturradwege“ ein naturverbundenes Radfahr-Erlebnis vermitteln können, anders als Asphalt <?page no="392"?> 392 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen 2. Der ökologische Fußabdruck 2.1 Gegenüberstellung CO 2 -Bilanz der Materialien Asphalt/ Beton/ Wassergebundene Decke u. a. anhand vorliegender Zertifikate <?page no="393"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 393 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen Langfristig gedacht: Argument Unabhängigkeit von Zementen und Erdölprodukt Bitumen 2.2 Wasser-/ Lufthaushalt/ Mikroklima als Argumente für offenporige Bauweisen Effektive Versickerungsleistung bei Einsatz qualifizierter Baustoffe Wasserspeicherleistung und Wiederverdunstung Vorteile Verdunstungskühle, Abflussverzögerung bei Starkregen Luftaustausch: wichtig für Baumwurzeln Wurzelauf brüche werden vermieden! WGD: Geringere Verdichtungsanforderungen (80 bzw. 100 MN/ m2) als bei Asphalt/ Beton, dadurch geringere Bodenverdichtung (Auf bau muss nicht frostsicher sein) 2.3 Instandhaltung und Rückbau 100 % inerte Baustoffe bei WGD, keine Entsorgungsauflagen Regionale Verfügbarkeit Bearbeitbarkeit und Pflege - mit dem richtigen Equipment 2.4 Umbau bestehender schadhafter Asphaltwege Nutzung des gefrästen Asphalts als Tragschicht, darüber WGD Beispiel: Gutachten zu Radweg Itzstedt 3. Mineraldecken für Radwege planen und bauen 3.1 Grundlegende Regelwerke: ZTV SoB-StB, ZTV LW-StB, DIN 18315, vor allem: FLL-Fachbericht „Wassergebundene Wegedecken“ FLL-Empfehlungen im Moment in Überarbeitung. Ausrichtung auf stärker befahrene Flächen ist vorgesehen. Anforderungen werden genauer für Fahrwege definiert. <?page no="394"?> 394 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen Erläuterung zum Längsgefälle bei mineralischen Wegedecken, max. Fließlängen gemäß FLL 3.2 2-Schicht-Aufbau und 3-Schicht-Aufbau Schichtdicken und Verdichtungswerte, geforderte Wasserdurchlässigkeit und Scherfestigkeit, Funktion und Körnung der Deckschicht - Empfehlung für Körnung 0/ 11 und 0/ 8 Funktion der Dynamischen Schicht als Speicher und „Deckschichtversorger“ - Empfehlung für Körnung 0/ 16 und 0/ 22 Quer- oder Dachprofilausbildung; - Empfehlung 3-5 % Querneigung <?page no="395"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 395 Radwegebau mal anders - Entsiegelung und CO 2 -Entlastung mit rein mineralischen Konzepten umsetzen 3.3 Materialeigenschaften bei Wassergebundenen Deckschichten Anforderungen an die Gesteinskörnungen gemäß FLL: Frostwiderstand, Körnungsverteilung als Empfehlung. Die „ideale“ Sieblinie - abhängig von verschiedenen Faktoren wie Gesteinsart, Kornform, Härte, Mischung und Lieferzustand als Kriterien Exkurs: Einsatz von sog. „natürlichen Bindemitteln“ Beispiel: Psyllium-Binder zur Erhöhung der Schicht-Stabilität Exkurs: Einsatz von Ersatzbaustoffen bei ungebundenen Decken Beispiel: ZIM-Forschungsprojekt Radweg Lüneburg Erfolgreiche Versuche mit RC-Material in Wegemischungen 3.4 Der richtige Einbau Gemisch-Homogenität und Erdfeuchte, Planum und Verdichtungsarten, Einbau per Hand oder mit Fertiger/ Gräder, Reifeprozess/ „Wetterwechsel“ nötig, damit gewünschtes Korngefüge entstehen kann. 3.5 Pflege/ Instandhaltung: „wenig, aber regelmäßig“ Thema Stoffeinträge und Laubbeseitigung Vernässung bzw. Überlastung und resultierende Schadstellen (Hinweis Selbstregeneration bei funktionierendem Korngefüge) Nachprofilierung/ Abschleppen/ langfristige Instandhaltung 3.6 Ausschreibung: was ist zu beachten? Schrittweiser Auf bau eines technisch korrekten und produktneutralen Ausschreibungstext-Beispiels für Radwege mit Wassergebundener Wegedecke 3.7 Richtkosten 4. Das „Fahrerlebnis“ als subjektives Kriterium Subjektive Eindrücke spielen heute aufgrund der florierenden Bewertungsszene im Internet eine deutlich stärkere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung. Persönl. Erfahrung: Radwege in der Landschaft mit einem natürlichen und leicht körnigen Wegebelag werden großteils wertgeschätzt. (Ausnahme: Rennradnutzung mit schmaler Bereifung) Beispiel: Bericht Insel Fehmarn Grundsätzlich lässt sich festhalten: Abrollen und Fahrgeräusch gelten als angenehm, wenn der Belag eben und nicht zu grob gekörnt ist. Erfahrung: Ideal scheint der Bereich 0/ 5-0/ 11 mm. Wichtig ist: Korngemisch und Querprofil müssen passen, um bei Nässe nicht stärker aufzuweichen (abgestimmter Stützkornanteil). Einschränkung 1: Frost-Tauwechsel-Phasen/ können die Befahrbarkeit beeinträchtigen Einschränkung 2: Schneeräumen/ nur eingeschränkt möglich im Vgl. zu Asphalt/ Beton Im Bewusstsein der einzugehenden Kompromisse können Radwege in ungebundener, rein mineralischer Bauweise somit erfolgreich und wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden, wenn die Bauart zur vorgesehenen Beanspruchung passt. <?page no="397"?> Einzelthemen <?page no="399"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 399 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Dipl.-Ing. Bau (FH) Edgar Theurer - BDB Selbständiger Berater barrierefreies Planen und Bauen Zusammenfassung Blindenleitsysteme - nachfolgend generell als BLS abgekürzt - tragen wesentlich zur Schaffung einer inklusiven, barrierefreien Umwelt bei. Sie ermöglichen Menschen, die blind sind oder mit einer Sehbehinderung leben müssen die selbständige Orientierung im öffentlichen Verkehrsraum - und nicht nur dort - und schaffen somit Unabhängigkeit. Mittels eines überschaubaren Werkzeugkastens an Materialien und Regeln, die im Folgenden dargestellt werden, gelingt es, nahezu überall Blindenleitsysteme (BLS) einzurichten. Damit diese wirksam ihren Zweck erfüllen, sind einige grundsätzliche Voraussetzungen zu beachten und Detailanforderungen zu erfüllen. Querungsstellen von Straßen oder Verkehrsknoten erfordern die zielgerichtete Auswahl der jeweils optimalen Lösung, normgerecht geplant und umgesetzt. Signifikante Probleme bei der Ausführung, dargestellt an eindrücklichen Beispielen, gilt es zu vermeiden, um die Nutzer bestmöglich zu führen. 1. Inhaltsübersicht Der vorliegende Vortrag gibt eine Übersicht über die Thematik anhand der nachfolgenden Stichworte: - Funktion von Blindenleitsystemen - Ausführung der Blindenleitsysteme - Kontraste und Sichtbarkeit - Sonderfall Querungen - Fehler und Probleme bei Planung und Ausführung 2. Regelwerk Planung und Bau von BLS erfolgen auf Basis der Regeln der DIN 32984-2023-04 „Bodenindikatoren im öffentlichen Raum“. Zu beachten ist, dass ausschließlich diese Ausgabe der Norm Anwendung findet, die sich in wesentlichen, wenn auch kleinen Details von den Vorgängerausgaben unterscheidet. Die Ausführung der BLS muss sich so nahe wie irgend möglich an der DIN entfalten, es ist kein Platz für Experimente und Eigenkreationen. Abweichungen von der Norm beschwören für die Nutzer Gefahren herauf, da sie nicht sehen können, wenn eine Lösung zwar „gut gemeint, aber nicht regelkonform“ ausgeführt wurde und damit den in speziellen Trainings eingeübten Abläufen zuwiderläuft. Nutzer/ -innen müssen sich darauf verlassen können, dass die taktil erfassten Informationen immer denselben Umsetzungsmechanismen folgen. 3. Funktionen eines Blindenleitsystems BLS folgen 3 wesentlichen Funktionsprinzipien: - Auffinden/ Beachten - Leiten - Sperren 3.1 Auffinden Mittels sogenannter Aufmerksamkeitsfelder wird auf Gefahrenstellen, Richtungswechsel, Hindernisse, Funktionsstellen etc. hingewiesen. Die Aufmerksamkeitsfelder werden durch i. d. R. quadratische Felder mit taktilen Bodenindikatoren in Noppenform, ausgeführt als Kegelstümpfe, gebildet. In gefrästen BLS kann die Noppe auch in quadratischer Form eines Pyramidenstumpfes ausgebildet werden. Abb. 01: Aufmerksamkeitsfeld als Abzweig Abb. 02: Aufmerksamkeitsfeld an Querung <?page no="400"?> 400 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 03: Aufmerksamkeitsfeld als Richtungswechsel Abb. 04: Aufmerksamkeitsfeld an einer Kante Abb. 05: Detail Noppen in Kegelstumpfform Die Noppenplatten werden so verlegt, dass sich die Noppen in einem durchgehenden, diagonalen Streifen befinden. Die quadratische Anordnung von Noppen im Feld ist nur in der Sonderform der gefrästen Felder anzuwenden. Noppen in Form von Kugelsegmenten sind eine ältere Form, die auf Grund schlechter taktiler Erkennbarkeit nicht mehr zur Anwendung kommen soll. 3.2 Leiten Mittels sogenannter Richtungsfelder oder auch ausgedehnter Leitstreifen wird den Nutzenden die Richtung vorgegeben, in der sie sich fortbewegen sollen. Die Rippen der Verlegeplatten verlaufen parallel zur vorgesehenen Gehbzw. Bewegungsrichtung und bilden damit den Leitstreifen, an der sich die Nutzenden orientieren. Bögen bis zu 45 ° Richtungswechsel können in Bogenform ausgeführt werden, Richtungswechsel über 45 ° müssen in Form eines Aufmerksamkeitsfeldes ausgeführt werden. Zum Einsatz kommen Rippenplatten mit einem Achsabstand der Rippen von 50 mm. Abb. 06: Richtungsfeld/ Leitstreifen entlang eines Bussteiges <?page no="401"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 401 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 07: Richtungsfeld/ Leitstreifen zur Verbindung einer Treppenanlage mit einer höhengetrennten Straßenquerung mittels Zebrastreifens Abb. 08: Leitstreifen innerhalb eines Gebäudes hin zu einer Aufzugsanlage Abb. 09: Richtungsfeld/ Leitstreifen über einen Gehweg hin zur Querungsstelle an einer Lichtsignalanlage Abb. 10: Versatz eines Leitstreifens um einen Poller mittels leichter Bögen <?page no="402"?> 402 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis 3.3 Sperren Mittels sogenannter Sperrfelder wird das Weitergehen in einer bestimmten Richtung unterbunden. Dies kann z. B. eine Bordsteinabsenkung auf Nullniveau an einer Fahrbahnquerung sein, die taktil nicht erkennbar ist und somit eine Gefahrenstelle darstellt. Die Rippen der Verlegeplatten verlaufen senkrecht zur vorgesehenen Gehbzw. Bewegungsrichtung und bilden damit die Barriere, die den Nutzenden signalisiert, dass es hier nicht weiter geht. Zum Einsatz kommen Rippenplatten mit einem Achsabstand der Rippen von 38 mm. Abb. 11: Sperrfeld an einer Nullabsenkung im Bereich einer höhengetrennten Querung Abb. 12: Sperrfeld in einer Platzfläche vor einem Hindernis Abb. 13: Sperrfeld an einem auf Nullniveau abgesenkten Bordstein im Bereich einer höhengetrennten Querung 4. Ausführung von Blindenleitsystemen BLS können grundsätzlich in gepflasterter, gefräster oder aufgeklebter Bauweise ausgeführt werden. Dabei ist die gepflasterte Bauweise die Standardform, von der bei bestimmten Untergrundbedingungen in gefräst oder geklebt abgewichen wird. 4.1 gepflastert Bei dieser Standardbauweise werden taktile Bodenindikatorelement aus Beton oder Betonverbundstoffen in Pflaster- oder Asphaltbeläge eingebaut. Beim Einbau in Asphaltbeläge werden die Elemente entweder vor Aufbringen der bituminösen Beläge in einem Betonbett verlegt und dann der Belag aufgebracht oder sie werden nachträglich in die Asphaltschicht eingeschnitten und eingepflastert. Abb. 14: in eine Pflasterfläche (Großpflaster) eingelegtes Aufmerksamkeitsfeld Abb. 15: Auffindestreifen hin zu einer Fahrbahnquerung im gepflasterten Gehweg <?page no="403"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 403 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 16: Aufmerksamkeits- und Richtungsfeld an einer Querung, nachträglich eingelegt in einen bituminösen Gehwegbelag Abb. 17: in 2 Bauabschnitten in einen Gehweg eingepflasterter Auffindestreifen hin zu einer Fahrbahnquerung 4.2 gefräst Alternativ zum Einpflastern der taktilen Elemente besteht auch die Möglichkeit, die Bodenindikatorelemente mittels einer Fräsung in den Belag einzubringen. Dies kommt vor allem dann zur Anwendung, wenn komplizierte (nichtlineare) Formen von Leitstreifen zur Ausführung kommen müssen. Ebenfalls wenn taktile Elemente in bestehende (Sonder-) Beläge eingebaut werden müssen. Dabei kann es sich um Natursteinbeläge, bituminöse Deckschichten oder auch Bereiche mit Belägen handeln, die unter Denkmalschutz stehen und damit nicht gegen Betonelemente ausgetauscht werden dürfen. Fräsungen sind in nahezu allen Belägen möglich - Sachkunde des Fräsunternehmens vorausgesetzt. Noppen werden hierbei in quadratischer Form als Pyramidenstümpfe ausgeführt und nicht diagonal zur Verlegerichtung, sondern rechteckig dazu angelegt. Abb. 18: gefräster Leitstreifen in einem Gehweg mit Betonbelag Abb. 19: Leitstreifen und Aufmerksamkeitsfeld in einem denkmalgeschützten Betonplattenbelag Abb. 20: gefrästes BLS mit Übergang zu einem eingepflasterten System an der Schnittstelle eines Gehweges zu einem Bahnsteig <?page no="404"?> 404 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 21: gefrästes BLS in einem Sonderbelag einer Platzfläche Abb. 22: Fräsung im Übergang von einem Natursteinbelag zu einer Asphaltfläche Abb. 23: gefräster Leitstreifen in einem Stadtpark, Wurzelbereich umfahren 4.3 geklebt In Bereichen/ Belägen, in denen nicht in den Untergrund eingegriffen werden kann, ist es möglich, taktile Elemente auch auf den Belag aufzukleben. Das ist z. B. an Übergangskonstruktionen von Brückenbauwerken sinnvoll oder wenn im Untergrund Bauelemente bis nahe an die Oberfläche ragen und Pflaster nicht tief genug einbinden könnte. Ebenfalls auf Belägen, die unter Denkmalschutz stehen und nicht beschädigt werden dürfen (dann mittels frei reversibler Klebstoffe). Abb. 24: Noppenfeld auf einer Brückenkappe im Anschluss an einen eingepflasterten Bereich Abb. 25: Auffindestreifen und Richtungsfeld an einer Querung. Das Fundament des Ampelmastes links endet ca. 5 cm unter Gehwegniveau und darf nicht für die Pflasterung (OK Belag - 15 cm) abgestemmt werden. Abb. 26: BLS auf einem denkmalgeschützten Natursteinbelag in einer historischen Bahnhofshalle <?page no="405"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 405 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 27: Leitstreifen aus Metallelementen im Zuge der Querung einer Buszufahrt zu einem ZOB. Betonelemente würden der Dauerbelastung durch die zahlreichen Busüberfahrten nicht standhalten. Zusätzlich zur Verklebung wurden die Elemente noch im Asphaltbelag verdübelt. 5. Kontraste und Sichtbarkeit Damit in ihrer Sehfähigkeit eingeschränkte Personen taktile Leitelemente erkennen können müssen diese einen gut sichtbaren Kontrast zur Umgebungsfläche aufweisen. Der Leuchtdichteunterschied der Flächen muss ein in der einschlägigen Norm festgelegtes Maß erreichen / überschreiten. Ist dieser Kontrast nicht gegeben sind die Elemente nur mittels Taststock zu erkennen. Menschen mit nur eingeschränkter Sehfähigkeit sind aber oft in der Lage, Hell-Dunkel-Unterschiede oder andere Abstufungen von Kontrasten zu erkennen und können deshalb auf den Taststock verzichten. Um sich eine Vorstellung machen zu können, von welcher Größenordnung auszugehen ist, hier ein kurzer Exkurs in die Statistik zum Thema Sehbehinderungen: Definition „BLIND“ „blind“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 2 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt „hochgradig sehbehindert“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 5 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt „sehbehindert“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 30 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt Statistik „blind“ 2021 in D: Quelle: Statistisches Bundesamt 31.12.2021 aus Schwerbehindertenstatistik = Menschen mit Schwerbehindertenausweis blind (Verlust beider Augen) 71.260 Personen hochgradig sehbehindert 46.820 Personen sehbehindert 440.645 Personen insgesamt also knapp 560.000 Menschen gesicherter unterer Grenzwert, tatsächlich vermutlich höher Es kann also angenommen werden, dass über 75 % der „Blinden“ noch ausreichende Kontraste wahrnehmen können und somit nicht unbedingt auf einen Taststock angewiesen sind - sofern Kontraste AUSREICHEND sind! Beispiele für BLS mit ausreichenden Kontrastwerten: Abb. 28: Einstiegsfeld einer barrierefreien Bushaltestelle Abb. 29: Leitstreifen auf einem Bussteig <?page no="406"?> 406 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 30: Leitstreifen in einer Bahnhofshalle Abb. 31: BLS auf einer Platzfläche Vor allem bei gefrästen BLS besteht das Problem, dass der Kontrast zur umgebenden Belagsfläche oft nicht ausreichend gegeben ist. Die Fräsung selbst erzeugt nur einen leicht helleren Strich, der im Lauf der Zeit nachdunkelt und nicht mehr wahrnehmbar wird. Abb. 32-34: Simulation … … einer Seheinschränkung und der daraus folgenden Wahrnehmung eines gefrästen Leitstreifens ohne begleitende Kontrastverbesserung. Der Leitstreifen ist bald nicht mehr erkennbar. Hier muss dann durch Farbe nachgebessert werden. <?page no="407"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 407 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 35-37: Simulation derselben Situation - nun Verbesserung der Wahrnehmbarkeit durch einen hellen Begleitstreifen Mittels des Einlegens je eines weißen Begleitstreifens in die äußeren beiden Rillen bleibt das BLS auch für stark Seheingeschränkte noch wahrnehmbar. Kleine Maßnahme - großer Effekt! Diese Einlagestreifen können in nahezu jeder Farbe hergestellt werden und dann passend zum jeweiligen Untergrund/ Hintergrund als Kontrastverbesserung dienen. Notfalls wird einfach ein Farbstreifen parallel der Fräslinien auf den Belag aufgebracht (nicht dauerhaft haltbar = wartungsintensiv). Abb. 38: gefräster Leitstreifen in Asphalt mit begleitenden eingelegten Kontraststreifen Abb. 39: Einlegestreifen beidseits in gelber Farbe <?page no="408"?> 408 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 40: Begleitstreifen zur Kontrastverbesserung nur mit Farbe - Abrieb bereits erkennbar = nicht nachhaltig 6. Sonderfall Querungen Fahrbahnquerungen sind an sich kein Sonderfall, deren barrierefreie Ausführung muss zum Regelfall werden. Allerdings haben wir es hier mit einem komplexen Bauwerk mit mehreren relevanten taktilen Elementen im BLS zu tun auf die im Folgenden näher einzugehen ist. Unterschieden wird in höhengetrennte und gemeinsame Querungen. Bei der höhengetrennten Querung queren blinde Menschen die Fahrbahn an einer separaten Stelle, die als 6 cm hohe Bordsteinkante gut fühlbar ist. Für Rollstuhl- und Rollatornutzende wird die Bordsteinkante seitlich davon komplett auf Fahrbahnniveau abgesenkt. Bei einer gemeinsamen Querung wird die Bordsteinkante mit einem 3 cm hohen Absatz ausgeführt, der für Blinde gerade noch tastbar und für Rollstuhl- und Rollatornutzende gerade noch überfahrbar ist. In Summe ein fauler Kompromiss, der wo immer möglich zu vermeiden ist! Es ist mit ganz wenigen Ausnahmen immer vermeidbar - die Praxis hat dies mannigfach bewiesen. Um bei der höhengetrennten Querung die einzelnen Bereiche für Blinde klar erkennbar zu machen, kommt eine komplexe Kombination von taktilen Elementen zum Einsatz. Unterschieden wird in Querungen mit Sicherung durch Lichtsignalanlagen, durch Zebrastreifen oder ungesichert. Hierbei kommen immer die Elemente Auffindestreifen, Richtungsfeld und Sperrfeld zum Einsatz. Der Auffindestreifen leitet zum eigentlichen Blindenquerungsabschnitt. Dort gibt das Richtungsfeld dem Blinden die Gehrichtung vor, in der er die Fahrbahn zu überqueren hat. Die Nullabsenkung für Rollstuhl- und Rollatornutzende wird durch ein Sperrfeld für Blinde kenntlich gemacht und damit verhindert, dass sie aus Versehen bzw. wegen Nichterkennens der Bordsteinkante ungesichert in den Verkehr geraten. Abb. 41: Elemente einer höhengetrennten Querung Nun zu den einzelnen Ausführungsvarianten im Einzelnen: Abb. 42: höhengetrennte Querung an einer Lichtsignalanlage Hier ist v. a. die präzise Position des Ampelmastes innerhalb der Elemente des BLS und der Bordsteinkante von großer Bedeutung. Nur so ist gewährleistet, dass der Blinde den Taster zur Auslösung des akustischen Signals findet, der ihm mittels 2-Sinne-Prinzip durch Hören anzeigt, ob die Ampel für ihn „auf Grün“ steht. <?page no="409"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 409 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 43: höhengetrennte Querung an einem Zebrastreifen Wichtig ist hier der Abstand der Nullabsenkung vom Querungsbereich der Blinden. Abb. 44: ungesicherte höhengetrennte Querung Bei dieser Querung erfolgt keine Sicherung der Querenden durch LSA oder Zebrastreifen. Der Blinde muss selbst erkennen, wann er die Fahrbahn sicher queren kann. Um diese Sondersituation zu erkennen, wird der Auffindestreifen nicht bis an das Richtungsfeld geführt, sondern endet mit definiertem Abstand davor. Ist es nun tatsächlich - nach Prüfung aller Alternativen - nicht zu umgehen, dass eine gemeinsame Querung eingerichtet werden muss, ist diese wie folgt auszuführen: Abb. 45: gemeinsame Querung Von essenzieller Wichtigkeit ist dabei, dass die Bordsteinkante sehr exakt mit einer Höhe von 3 cm ausgeführt wird. Um es nochmals zu betonen: Die Erfahrung zeigt, dass es nahezu IMMER eine Möglichkeit gibt, eine höhengetrennte Querung zu bauen. Es ist dabei allerdings hohe Kreativität gefragt, diese Lösung dann absolut regel- und normenkonform umzusetzen! 7. Fehler und Probleme bei Planung und Ausführung Die in den vorhergehenden Kapiteln aufgezeigten Lösungen für die Einrichtung von BLS im öffentlichen Verkehrsraum, und nicht nur dort, sind Stand der Technik und auch in der baulichen Umsetzung/ Ausführung nicht von überragenden Schwierigkeiten geprägt. Trotzdem gibt es immer wieder Probleme bei der Ausführung, die dann nachträglich bei der Bauabnahme bemängelt werden müssen. Dies führt zu Ärger, Verzögerungen bei der Inbetriebnahme und letztendlich zu vermeidbaren Mehrkosten. Deshalb soll im nachfolgenden Abschnitt auf einige wenige immer wieder festzustellende Fehler in der Ausführung hingewiesen werden - sozusagen die „Hitliste der einschlägigen Ausführungsmängel“. Kanten, Fasen und Versätze im Pflasterbelag sind nicht zulässig. Da dies nicht Stand der Dinge in der Sicht der vieler Auftragnehmer ist müssen hier in den Ausschreibungen explizite Anforderungen definiert werden. DIN 18318 setzt die Maßtoleranz bei Pflasterflächen auf 2-mm fest. Darauf muss in der Ausschreibung hingewiesen und die Norm verpflichtend gesetzt sein. Bei der Bauabnahme sind Abweichungen zu bemängeln und deren Behebung einzufordern. <?page no="410"?> 410 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 46: Kantenversatz und Stolperfalle So geht das nicht! Vor allem beim BLS geht es sehr um Präzision, blinde Menschen können solche Stolperfallen nicht erkenne und deren Gefahren vermeiden. Abb. 47: absolute Ebenheit in der Ausführung Sorgfalt beim Verlegen der taktilen Bauelemente: Abb. 48: unsaubere Verlegung von Noppenplatten Abb. 49: Verlegemuster stimmt nicht, keine durchgehenden Linien Abb. 50: Korrektur der Fehler in Abb. 48 Abb. 51: Korrektur der Fehler in Abb. 49 Noppenplatten sind im gesamten Feld mit einer durchgehenden Verlegerichtung einzubauen. Die Diagonalen müssen überall versatzfrei stimmen. Das ist leider bei sehr vielen Pflasterern noch nicht durchgedrungen. Ent- <?page no="411"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 411 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis sprechend viele Beanstandungen ergeben sich bei den einschlägigen Bauabnahmen! Ein weiteres Thema sind Fluchten bei Richtungsfeldern: Abb. 52: Richtungsfelder weisen über die gesamte Breite der Fahrbahnquerungen Versätze auf Abb. 53: andere Perspektive auf dasselbe Problem Richtungsfelder geben Blinden die Gehrichtung über die Fahrbahn(en) vor. Dabei müssen sich diese darauf verlassen können, dass sie an der nächsten Bordkante wieder auf ein Richtungsfeld treffen. Sind diese dann in der Achse versetzt kann das zu Problemen führen. Dass sich dieser Fehler sehr oft bei Abnahmen zeigt ist ärgerlich, da das einfache Spannen eine Richtschnur zuverlässig verhindert, dass genau solche Versätze entstehen. Das ist Einsatz von „low tech“ in Reinkultur, Grundkenntnis für Ausführende seit deren Lehrzeit… Wohin solche Nachlässigkeit im Extremfall führen zeigt eindrücklich das letzte Beispiel der kleinen Mängelauswahl: Abb. 54: Lebensgefahr! Abb. 55: … gebannt! Bei der Ausführung dieses Richtungsfeldes hat der verantwortliche Verleger die Rippenplatten nahezu beliebig in den Gehweg gelegt. Das war im Plan explizit so nicht eingezeichnet! Die Folge dieser Nachlässigkeit: Der Blinde, der dem Richtungsfeld vertraut und seine Gehrichtung danach ausrichtet gerät geradewegs in den bei Freigabe der Fußgängerfurt der LSA parallel losfahrenden Längsverkehr [Abb.54]. Dabei berührt sein Laufweg nicht einmal den gegenüberliegenden Gehweg, sondern führt auf langer Strecke nur in den Fahrzeugverkehr - Lebensgefahr! <?page no="412"?> 412 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Durch eine entsprechende Korrektur des Richtungsfeldes (nach unmittelbarer Sperrung der Fußgängerfurt noch im Zuge der Bauabnahme zur Vermeidung von Fußgängerunfällen = Gefahr im Verzug! ) [Abb. 55] ist die Gefahr gebannt und die barrierefreie Querung vollumfänglich einsatzbereit. Gespräche mit Ausführenden im Zuge solcher mängelbehafteter Bauabnahmen zeigen leider ein immer noch weit verbreitetes, erschreckendes Unverständnis gegenüber Elementen der Barrierefreiheit im Verkehrsraum. Ein Bewusstsein, was es bedeutet, den Verkehrsraum nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen zu können, ist nicht vorhanden, die Verantwortlichkeit für Präzision und Qualität der Arbeit nur sehr marginal ausgeprägt. Hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf seitens aller Verantwortlicher in der Vermittlung der Bedeutung eines barrierefreien, inklusiven Umfeldes. Allerdings lässt sich auch feststellen, dass die Qualität der Arbeit sprunghaft ansteigt, wenn es erstmal gelungen ist, die Bedeutung dieser Elemente und deren präziser Ausführung zu vermitteln. Dafür bedarf es aber Zeit und Geduld bei allen Verantwortlichen in der Vermittlung der Sachverhalte! Nicht zuletzt aus diesem Grund - anschauliche Vermittlung der einschlägigen Sachverhalte „aus der Praxis für die Praxis“ - hat der Autor dieser Zeilen zusammen mit 2 weiteren Praktikern alle wesentlichen Sachverhalte in einem Anfang 2024 erschienenen Sachbuch dokumentiert. Vor allem anhand umfangreichen Bildmaterials aktueller Baumaßnahmen und eines - leider - doch recht umfangreichen Kapitels „such den Fehler“ wird aufgezeigt, auf was beim barrierefreien Bauen im öffentlichen Verkehrsraum Wert zu legen ist. Abb. 56: Sachbuch „Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum“ - Theurer/ Stirner/ Zakzak <?page no="413"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 413 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen Marcus Herbrecht BERNARD Gruppe ZT GmbH, Aalen Zusammenfassung Steigende Mobilitätsbedürfnisse einerseits sowie zunehmende Flächenkonkurrenz und Umweltwirkungen andererseits stellen hohe Anforderungen an das städtische Verkehrssystem. Um diesen gerecht zu werden, hat sich die Stadt Friedrichshafen zur Aufgabe gemacht, die bestehende Verkehrsinfrastruktur im Sinne einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Mobilität weiterzuentwickeln und sinnvoll zu ergänzen. Hierfür wird ein stadtweites Netz von Mobilitätsstationen geplant, die als Knotenpunkte zur Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel dienen und zusätzliche Angebote bereitstellen sollen. Dies bietet zudem die Möglichkeit, städtische Räume neu zu ordnen und zu beleben. In Zusammenarbeit mit der BERNARD Gruppe ZT GmbH erarbeitet die Stadtverwaltung ein Konzept, das auf einer umfassenden Bestandsaufnahme und Potenzialanalyse basiert. Geeignete Standorte werden identifiziert und sinnvoll ausgestattet, während eine Priorisierung der Stationen nach Lage und Bedeutung Empfehlungen für die schrittweise Umsetzung gibt. Das Projekt wird durch das Land Baden-Württemberg gefördert. 1. Einführung und Methodik Die Stadt Friedrichshafen hat ca. 65.000 Einwohnern und liegt am nördlichen Ufer des Bodensees. Sie stellt in der Region sowohl einen wichtigen Wirtschafts- und Bildungsstandort als auch ein bedeutendes touristisches Ziel dar. Daraus resultieren vielfältige Nutzungsansprüche und Mobilitätsbedürfnisse. Die Stadt hat bereits zahlreiche Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Mobilität ergriffen und plant, diese Initiativen weiter auszubauen. Ein zentraler Aspekt dieser Strategie ist die Einführung von Mobilitätsstationen im Stadtgebiet. Diese Stationen sollen den wachsenden Anforderungen an zeitliche und modale Flexibilität gerecht werden, ohne die individuellen Mobilitätskosten der Nutzerinnen und Nutzer zu erhöhen. Wechselndes und flexibles Mobilitätsverhalten zeigt sich in der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel. Die unterschiedlichen Ausprägungen werden als „Multimodalität“ und „Intermodalität“ bezeichnet. Multimodalität bezieht sich auf die Verwendung unterschiedlicher Verkehrsmittel für verschiedene Strecken innerhalb einer Wegekette, während Intermodalität die Nutzung mehrerer Verkehrsmittel auf einer einzelnen Strecke beschreibt [1]. Um diese Ansätze zu ermöglichen, sind die Verknüpfung von Verkehrsmitteln und die Schaffung ergänzender Mobilitätsangebote erforderlich. Mobilitätsstationen spielen hierbei eine entscheidende Rolle, indem sie diese Angebote bereitstellen und vernetzen. Ihre Effektivität wird durch eine gezielte Vernetzung im städtischen Raum sowie durch zentrale Knotenpunkte im ländlichen Raum maximiert, ergänzt durch eine hohe Angebotsqualität, die sich aus nutzungsspezifischer Ausstattung, barrierefreier Zugänglichkeit und ansprechender Gestaltung ergibt. 2. Analyse des Ist-Zustands und Potentialbewertung 2.1 Mobilitätsverhalten der Bevölkerung Um das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger von Friedrichshafen zu erfassen, wurde eine digitale, kartenbasierte Mobilitätserhebung durchgeführt. Diese Erhebung lieferte wertvolle Informationen über Wegehäufigkeit, Verkehrsmittelwahl und Wegebeziehungen (einschließlich der Start- und Zielorte) sowie Hinweise auf mögliche Verhaltensänderungen (vgl. Abb. 1 und Abb. 2). Besonders die erfassten Quell- und Zielpunkte halfen bei der Identifizierung geeigneter Standorte für Mobilitätsstationen. Die gewonnenen Daten zu Wegelängen und -dauern flossen in die Entwicklung eines Stationsnetzes ein, das eine gezielte Positionierung ermöglicht. Abb. 1: Verkehrsmittelwahl der Friedrichshafener Bevölkerung <?page no="414"?> 414 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen Abb. 2: Mobilitätsbefragung der Friedrichshafener Bevölkerung zum Verzicht auf Pkw-Fahrten 2.2 Bestehende Mobilitätsangebote Ein zentrales Ziel der geplanten Mobilitätsstationen ist die sinnvolle Integration bereits vorhandener Mobilitätsangebote. In der Vergangenheit wurden bereits mehrere solcher Angebote im Stadtgebiet eingeführt und haben sich zwischenzeitlich etabliert, welche allerdings im heutigen Zustand hinsichtlich Qualität und Verfügbarkeit variieren. Um diese Angebote systematisch und flächendeckend zu erfassen, wurde eine Bestandsanalyse durchgeführt. Die erfassten Mobilitätsangebote wurden in sogenannte Angebots-Cluster zusammengefasst, die eine räumliche Gruppierung nahe beieinander liegender Einzelangebote darstellen. Dies soll die spätere Zusammenführung bestehender Cluster und ergänzender Elemente zu neuen Mobilitätsstationen erleichtern. Abb. 3: Analyse der Raumstruktur und Raumtypen (Kartengrundlage: © OpenStreetMap-Mitwirkende) <?page no="415"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 415 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen 2.3 Siedlungsstruktur und Raumtypologie Die Siedlungsstruktur spielt eine wesentliche Rolle bei der Abschätzung der Nachfrage und Potenzialermittlung. Das Stadtgebiet von Friedrichshafen setzt sich aus einer dicht bebauten, urbanen Kernstadt, angrenzenden Stadtteilen mit Verbindungen untereinander sowie ländlich geprägten Siedlungsbereichen zusammen. Die räumliche Einteilung ist in Abb. 3 dargestellt und erfolgt in folgende Typen: • Städtisch (zentral): hohe Siedlungsdichte • Städtisch (peripher): städtische Randlage mit variierender Siedlungsdichte • Gewerbe: zusammenhängende Gewerbe- und Industrieflächen • Ländlich: geringe Siedlungsdichte Diese Einteilung dient der Typisierung von Mobilitätsstationen, wobei je nach Lage und Bedeutung spezifische Dimensionierungen und Ausstattungen zugeordnet werden. Auch bei einer späteren Erweiterung des Netzes können die so gewonnenen Grundlagen eine Bedarfsgerechten und Gleichwertigen Ausweitung sicherstellen. 2.4 Potenzialanalyse und Bedarfsabschätzung Die Potenziale einer Mobilitätsstation sind dort am höchsten, wo eine hohe Nutzungsdichte (flächiger Ansatz) besteht und wichtige Zielpunkte (punktueller Ansatz) liegen. Städtische Bereiche weisen aufgrund ihrer verdichteten und gemischten Nutzung höhere Potenziale auf als ländliche Gebiete. Zielpunkte, wie Bildungseinrichtungen oder Einkaufsmöglichkeiten, stellen wichtige Aufkommensschwerpunkte dar. Um deren unterschiedliche Frequentierung bzw. Attraktivität abzubilden, wurden diese Zielpunkte gewichtet. Die theoretischen Potenziale wurden mit der tatsächlichen Mobilitätsnachfrage aus dem Verkehrsmodell der Stadt Friedrichshafen verknüpft. Dieses Modell bildet alle internen und externen Fahrten ab und ermöglicht Rückschlüsse auf Häufungen von Wegestart- und Zielpunkten sowie linienhafte Beziehungen zwischen Verkehrsbezirken. Zudem wurden Wegelängen differenziert ausgewertet, da insbesondere kurze Kfz-Wege Potenziale zur Verlagerung auf alternative Mobilitätsangebote bieten. Die ermittelten Potenziale wurden in einer Dichtekarte mit einer Auflösung von 100 Metern visualisiert (vgl. Abb. 4). Je dichter und gebündelter die einzelnen Indikatoren, desto höher das Potenzial für die Einrichtung einer Mobilitätsstation. 3. Konzeptentwicklung und Umsetzung 3.1 Standortermittlung Im Rahmen der Bedarfsabschätzung wurde eine erste räumliche Zuordnung der Potenzialstandorte vorgenommen. Im Rahmen der erfolgten Standortermittlung wurden diese vorläufig ermittelten Potentialstandorte mit bestehenden Mobilitätsangeboten überlagert, um geplante städtebauliche Entwicklungen ergänzt und im Sinne eines Gesamtnetzes durch Lückenschlüsse modifiziert. Hieraus ergibt sich ein konsolidiertes Zielnetz aus insgesamt 59 Mobilitätsstationen im Stadtgebiet. Die Verortung der Stationen ist Abb. 5 zu entnehmen. Eine Isodistanzen-Analyse stellte sicher, dass der Großteil der Bevölkerung eine Station in maximal 500 Metern erreichen kann und ein durchgängiges Netz mit flächiger Erschließung entsteht. Lediglich in peripheren und ländlichen Bereichen weicht die Netzdichte minimal ab. Abb. 4: Dichtekarte des Potentials von Quell- und Zielorten (Kartengrundlage: © OpenStreetMap-Mitwirkende) <?page no="416"?> 416 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen Abb. 5: Übersicht Mobilitätsstationen nach Umsetzungsstufen (Kartengrundlage: © OpenStreetMap-Mitwirkende) 3.2 Typisierung der Mobilitätsstationen Auf Grund der unterschiedlichen funktionalen Anforderungen wurden die Mobilitätsstationen sogenannten Stationstypen zugeordnet (Kategorisierung), die sich an den definierten Raumtypen (städtisch zentral, städtisch peripher, gewerblich, ländlich) orientieren. Unterschiedliche Raumtypen stellen verschiedene Anforderungen an das Mobilitätsangebot der Stationen. In städtischen zentralen Bereichen sind Angebote zur Mikromobilität (z. B. Radabstellung, Fahrradverleih) gefragt, während im ländlichen Raum die Nachfrage nach Carsharing und Parkand-Ride-Angeboten überwiegt. Die Überlagerung der ermittelten Stationsstandorte mit den Raumtypen ermöglicht eine vorläufige Zuordnung von Ausstattungsmerkmalen, welche die verschiedenen räumlich bedingten Anforderungen berücksichtigt. 3.3 Dimensionierung und Ausstattung der Stationen Die Art und der Umfang der Mobilitätsangebote müssen an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Für die Mobilitätsstationen wurden verschiedene Ausstattungsvarianten entwickelt, die sich je nach Raumtyp unterscheiden. Jede Station sollte eine Basisausstattung aufweisen, um ein grundlegendes Qualitätsniveau sicherzustellen und die Marke der Mobilitätsstationen zu etablieren. Da im Stadtgebiet von Friedrichshafen ein geschlossenes und dichtes Netz des Öffentlichen Verkehrs besteht, dient als Grundelement der Basisausstattung zunächst eine ÖV-Haltestelle. Darauf auf bauend werden je nach Raumtyp weitere Elemente hinzugefügt. Im städtischen Raum sind die Angebote der Mobilitätsstationen vor allem auf kurze Wege auszurichten und es wird beispielsweise die Bereitstellung von Leihfahrräder oder E-Scootern empfohlen. In außenliegenden, ländlichen Bereichen hingegen nimmt eine Mobilitätstation vielmehr eine Bündelungsfunktion wahr und stellt Mobilitätsangebote für längere Wege bereit (z. B. Carsharing-Fahrzeuge und Fahrradabstellanlagen für den Umstieg). Auf bauend auf dieser Grundausstattung ergeben sich je nach spezifischer Funktion bzw. der räumlichen Lage weitere Anforderungen. So können beispielsweise an Bahnhaltepunkten umfassende und vielfältige Angebote im Sinne einer „Mobilitätsdrehscheibe“ erforderlich sein. <?page no="417"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 417 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen Abb. 6: Übersicht der Ausstattungselemente nach Stationstyp (Grün: Empfohlene Basisausstattung; Gelb: Ergänzende/ Optionale Ausstattung; Rot: Keine Relevanz) Eine ansprechende Qualität und hohe Wiedererkennbarkeit werden durch geeignete Elemente für Aufenthalt, Komfort, Sicherheit sowie Information und Service sichergestellt. Dazu zählen Sitzbänke, Überdachung, Beleuchtung, Entsorgungseinrichtungen, eine Säule, Pläne, Uhr sowie DFI. Auch diese Angebote sind je nach den spezifischen Anforderungen sinnvoll und zweckmäßig zu ergänzen. Die Aussattungsvarianten je nach Raumtyp sind in Abb. 6 aufgezeigt. 3.4 Realisierungskonzept Für eine zeitnahe und gestufte Umsetzung der Mobilitätsstationen wurden alle identifizierten Stationen in aufeinander auf bauende Netze eingeteilt: • Basisnetz: Höchstes Potenzial und hinreichend dichtes Grundnetz • Erweitertes Netz: Erreichung weiterer Potenziale und Schließung von Lücken • Zielnetz: Umsetzung aller Potenzialstandorte als dichtes Netz mit optimaler Erschließungswirkung Diese stufige Aufteilung dient als Umsetzungsempfehlung und wurde zusätzlich anhand der Raumtypen geclustert, um eine Realisierungsmatrix mit Prioritäten zu erstellen. In der ersten Ausbaustufe sind 20 Stationen vorgesehen, gefolgt von 17 in der zweiten und 22 in der dritten Stufe, um das Zielnetz von 59 Stationen zu erreichen (vgl. Abb. 7). Abb. 7: Anzahl Mobilitätsstationen nach Stationstyp und Umsetzungsstufen <?page no="418"?> 418 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Förderung der inter- und multimodalen Mobilität - Konzept zur Einrichtung von Mobilitätsstationen in Friedrichshafen 3.5 Marketing und Kommunikationsstrategie Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Mobilitätsstationen ist eine durchdachte Marketing- und Kommunikationsstrategie, die von der Planung über die Umsetzung bis zum laufenden Betrieb reicht. Das neue Angebot sollte bereits vor der Inbetriebnahme als eigene Marke entwickelt werden, um Wiedererkennung zu schaffen. Eng verbunden mit Vermarktung und Kommunikation ist eine ansprechende und außenwirksame Kennzeichnung und Gestaltung der Mobilitätsstationen. Wichtig sind insbesondere ein einheitliches Erscheinungsbild (Wiedererkennung), gut erkennbare Stelen und das bewusste Aufgreifen von Symbolik und Farbgebung zur Identifikation (Stadtwappen, städtische Farben, etc.). Wesentlicher Aspekt der Nutzbarkeit ist eine durchgehend barrierefreie Gestaltung, die Ausprägung der Mobilitätstationen als Aufenthaltsort und die städtebauliche Integration (gute und schnelle Sichtbarkeit einerseits und optimale Integration ins Umfeld andererseits). Für die Akzeptanz muss eine einheitliche intuitive Orientierung ermöglicht und die Wegweisung entsprechend aufgebaut werden. Mit einem ansprechenden Erscheinungsbild sowie einer offenen, transparenten und gut ausgeleuchteten Gestaltung wird die empfundene Sicherheit gesteigert und die Station auch als Aufenthaltsort etabliert. 4. Fazit und Ausblick Die Mobilität der Zukunft wird individuell, intermodal und multimodal sein. Mobilitätsstationen setzen genau hier an und schaffen ein gut sichtbares, dichtes und verknüpftes Netz aus verschiedenen Mobilitätsangeboten. Mit dem vorliegenden Konzept wurde in Friedrichshafen die Grundlage für die künftigen Mobilitätsbedürfnisse geschaffen. Durch die Auswertung der bestehenden und zu erwartenden Nachfrage sowie die Berücksichtigung realer Ziele im Stadtgebiet wurde sichergestellt, dass die Stationen in einem Gesamtnetz optimal platziert sind. In den nächsten Planungsschritten ist eine detaillierte mikroskopische Standortplanung durchzuführen, um die Standorte der Mobilitätsstationen exakt im Straßenraum zu verorten. Dabei werden zusätzliche Faktoren wie Flächenverfügbarkeit, bestehende Infrastruktur und lokale Nutzungsanforderungen (z. B. Baumbestand, Zufahrten zu Grundstücken) berücksichtigt. Zudem wird in der detaillierten Ausstattungsplanung eine spezifische Ausstattung für jede Station festgelegt, die Aspekte wie Mobilitätsangebote, Aufenthaltsqualität, Sicherheit sowie Informations- und Serviceangebote umfasst. Mit der Betriebsplanung ist die Entwicklung einer einheitlichen Marke voranzutreiben, ein konsistentes Design zu entwickeln und lokale Institutionen, Unternehmen und Vereine in den Betrieb einzubinden. Nach der Sicherstellung der Finanzierung können die Vergabe an Anbieter und die Bündelung der Angebote auf den Mobilitätsstationen erfolgen. Schließlich können die Mobilitätsstationen erfolgreich und bedarfsgerecht in Betrieb genommen werden. Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen wird Friedrichshafen nicht nur seine Mobilitätsinfrastruktur verbessern, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Förderung nachhaltiger Mobilität leisten. Die Mobilitätsstationen werden als zentrale Knotenpunkte fungieren, die den Bürgerinnen und Bürgern eine einfache und flexible Nutzung verschiedener Verkehrsmittel ermöglichen. Dies wird nicht nur die Lebensqualität in der Stadt erhöhen, sondern auch zur Reduzierung von Verkehr und Emissionen beitragen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geplanten Mobilitätsstationen in Friedrichshafen eine zukunftsweisende Lösung darstellen, um den Herausforderungen der urbanen Mobilität zu begegnen. Mit einem gut durchdachten Konzept, das auf den Bedürfnissen der Bevölkerung basiert, wird die Stadt in der Lage sein, eine nachhaltige und effiziente Mobilitätsinfrastruktur zu schaffen, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird. Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Begriffsbestimmungen für das Straßen- und Verkehrswesen. Köln: FGSV Verlag, 2020 <?page no="419"?> BIM in Planung, Ausführung, Erhaltung <?page no="421"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 421 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe, Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität Zusammenfassung In der Erhaltungs- und Betriebsphase von Straßen spielen mittlerweile eine Reihe von Zielen eine Rolle, die gegenseitig abgewogen und im Sinne einer Entscheidungsfindung optimiert werden müssen. Zur Berücksichtigung dieser Ziele werden Infrastruktur-Asset-Management Systeme eingesetzt. Dazu ist ein Asset Information Modell (AIM) notwendig, das ein aufgabenorientiertes Management mit Asset-Informationen auf strategischer, taktischer und operativer Ebene ermöglicht. Ziel dieses Beitrags ist es, die Faktoren zu zeigen, unter denen nachhaltige AIM derzeit und in Zukunft betrieben werden sollten. In diesem Zusammenhang kann auch die BIM-Methode eine wichtige Rolle spielen, ungeachtet der Tatsache, dass es bereits bestehende Datenstandards gibt. Über die BIM-Grundlagen liegen viele Erkenntnisse und auch Fachbeiträge vor, für eine umfassende Anwendung müssen aber noch weitere Vereinbarungen getätigt werden. Mit dem Beitrag wird daher zunächst der Begriff digitales Modell vom digitalen Zwilling abgegrenzt, der Einsatzbereich für die Erhaltungs- und Betriebsphase definiert und die Voraussetzung der Modellgrundlagen erläutert. Dabei müssen sowohl eine einheitliche Taxonomie, ein verbindlicher Objektkatalog und eine einheitliche Semantik vereinbart werden. Ein vergleichbarer Schritt wird derzeit mit der Erstellung des Objektkataloges sowie des Merkmalsservers für Bundesfernstraßen gegangen. Mit entsprechenden praxisorientierten Projektbeispielen auch zur Straßenerhaltung wird gezeigt, wie man aus einem Objektkatalog ein Modell ableiten und in Übereinstimmung mit dem Technischen Regelwerk und den ingenieurtechnischen Arbeitsabläufen einheitlich parametrisieren kann. Kernpunkt dabei ist, dies in wiederholbare Arbeitsabläufe in Zusammenarbeit mit der ingenieurtechnischen Autorensoftware zu fassen, was erhebliche Vorteile für alle Beteiligten mit sich bringt. Letztlich stellen hier einheitliche Standards eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der BIM-Methode und auch das spätere Asset Management dar. 1. Einführung Eine anforderungsgerechte Straßenverkehrsinfrastruktur stellt eine wesentliche Grundlage für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens dar. Sie ist Voraussetzung für das Sicherstellen der Versorgungsfunktion der Bevölkerung und auch der Wirtschaft. Eine wesentliche Anforderung an die Straßenverkehrsinfrastruktur ist daher die Betrachtung des kompletten Lebenszyklus, also der Zeitraum von der erstmaligen Herstellung über die Betriebs- und Erhaltungsphase bis zum Ersatzneubau bzw. der grundhaften Erneuerung. Dieser Prozess wird als Asset Management bezeichnet, dazu sind heute entsprechende Systeme im Einsatz. Die Bedeutung des Asset Managements ergibt sich alleine schon dadurch, dass die deutsche Straßenverkehrsinfrastruktur weniger durch Neubau als ihm vielmehr durch Erhaltung und Umbau im Rahmen der Verkehrswende geprägt ist. Um dieses Ziel in der Praxis zu erreichen, sind aussagekräftige Datengrundlagen unabdingbare Voraussetzung. Damit können dann verschiedene Auswertungen im Asset Management, beginnend bei netzweiten Finanzbedarfsprognosen bis hin zur Planung objektbezogener Maßnahmen durchgeführt werden. Die generelle Methodik bezogen auf die Straßenerhaltung ist in verschiedenen Forschungsprojekten bearbeitet und umfassend beschrieben worden [1], [2]. Das Asset Management unterscheidet dann eine strategische Ebene, eine taktische Ebene und eine operative Ebene, die die verschiedenen Aufgabenbereiche einer Straßenbauverwaltung abdecken. Dabei sind zwei wichtige Aspekte von Bedeutung: Zum einen müssen die technischen und rechtlichen Grundlagen berücksichtigt werden, zum anderen sind eben einheitliche Datengrundlagen und Datenmodelle von Bedeutung, die einer einheitlichen Struktur zur medienbruchfreien Übergabe zwischen verschiedenen Arbeitsschritten folgen müssen. Eine Methode zur medienbruchfreien Übergabe von Daten und Datenmodellen stellt Building Informationen Management, kurz BIM, dar. Die Methode BIM wird für die Straßenverkehrsinfrastruktur derzeit im Rahmen des Masterplans Bundesfernstraßen umgesetzt [3]. Dabei liegen bereits wesentliche Dokumente und Vereinbarungen vor, die sich aber derzeit im Wesentlichen auf die Bauphase und weniger auf die Erhaltungsphase beziehen. Allerdings bestehen für die Straßenverkehrsinfrastruktur bereits verbindliche Datengrundlagen mit der Anweisung Straßen Informationsbank (ASB) [4] sowie dem Objektkatalog Straße, OKSTRA ® [5]. Dies ist für sich genommen kein Widerspruch, die Frage ist nur, wie beide Systeme miteinander arbeiten können und wie aus diesen Bestandsdaten weitgehend automatisiert sogenannte BIM-Modelle erzeugt werden können. Wesentlich sind dabei drei Gesichtspunkte: Es muss erstens eine einheitliche Taxonomie, also eine einheitliche Begriffssystematik vorliegen. Dies ist dem Grunde nach durch das technische Regelwerk geben [6]. Dann muss darauf basierend eine einheitliche Ontologie, also der Objektkatalog erstellt werden, indem die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Objekten bzw. Anlagenbestandteile einer Straße verbindlich geregelt sind. Die Problematik hierbei <?page no="422"?> 422 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung ist, dass bei der Anwendung der BIM Methode dies anlagenübergreifend funktionieren muss, also auch beispielsweise zwischen Bauwerken, Entwässerung und Straßenkörper. Der dritte und letzte Gesichtspunkt betrifft die Semantik, das bedeutet eine einheitliche IT-technische Beschreibung. Der Herausforderung besteht nun darin, für das Asset Management Bauwerksmodelle zu definieren, die diesen drei Anforderungen genügen. Die Problematik ist dem Grunde nach erkannt, allerdings nur in wenigen Teilbereichen umgesetzt. 2. Grundlagen der Datenmodelle für das Asset Management 2.1 Bestehende Datenmodelle für die Verkehrsinfrastruktur Die Straßenbaulastträger verfügen schon seit langem über strukturierte Straßeninformationsbanken. Die aktuellen Datenmodelle folgen den Vorgaben der Anweisung StraßenInformationsbank [4] für Verkehrsflächen sowie der Anweisung StraßenInformationsbank für Bauwerke (ASB-ING) [7]. Darin ist im Grunde nach die Ontologie sowie die zugehörige Parametrisierung definiert. Die Parametrisierung umfasst zum Objekt zugehörige Merkmalsgruppen und Merkmale. Das grundlegende Netzmodell ist ein Knoten-Kantenmodell, in dem verschiedene Elemente wie Querschnittsstreifen angehängt werden können. Dies stellt eine vergleichsweise grobe Beschreibung der Infrastruktur dar, die allerdings für die meisten Anwendungen ausreichend ist. Die Stärke der ASB-Systematik liegt aber in der anschließenden Beschreibung der Eigenschaften der Infrastruktur, die äußerst umfassend alle Datenanforderungen bedienen kann. Einschränkend muss aber erwähnt werden, dass den anwendenden Straßenbauverwaltungen viele Freiheiten bei der Formulierung der Daten im Hinblick auf Genauigkeit eingeräumt werden, was dann im Detail doch zu unterschiedlichen Datenmodellen in einzelnen Straßenbauverwaltungen führt. Die semantische Umsetzung ist im Objektkatalog Straße OKSTRA® [5] beschrieben, was dann die Vorgaben an die Datenmodellierung beinhaltet. Damit kann eine sehr umfangreiche und detaillierte Parametrisierung von Eigenschaften, die damit den kompletten Informationsbedarf eines Lebenszyklus abdecken kann, erzeugt werden. Die ursprüngliche Absicht bei der Entwicklung der ASB bzw. des OKSTRA® war die verlustfreie Übergabe von Daten zwischen verschiedenen Schritten im Lebenszyklus. Allerdings ist dieses Modell nur für die Straßenverkehrsinfrastruktur entwickelt, die Integration von weiteren Anlagenbestandteilen ist damit nicht in allen Fällen abgedeckt. 2.2 BIM Modelle für die Verkehrsinfrastruktur Das Hauptziel des Einsatzes von BIM Modellen für die Verkehrsinfrastruktur besteht darin, aus verschiedenen fachlichen Teilmodellen ein Gesamtmodell zu erstellen und damit gleichzeitig zu prüfen, ob Kollisionen oder Widersprüche im Zusammenwirken der Teilmodelle bestehen. Das erfordert ebenso wie bei den bestehenden Datenmodellen einheitliche Definitionen für eine verlustfreie Übergabe der einzelnen Teilmodelle zu einem Gesamtmodell. In der Praxis besteht dabei die Schwierigkeit, dass unterschiedliche Fachdomänen abweichende Begriffe, Objektdefinitionen und auch semantische Beschreibungen für gleiche oder ähnliche Sachverhalte verwenden. Eine einheitliche Umsetzung für die praktische Anwendung erfordert dahingehend einen hohen Harmonisierungsaufwand. Dieser Aspekt ist ebenfalls unstreitig und wird in relevanten Fachgremien diskutiert und bearbeitet. Ein BIM-Modell besteht vereinfacht aus einem geometrischen 3D-Modell, in dem nach einem definierten Schema bzw. einem Objektkatalog einzelne Objekte definiert sind, denen dann Attribute zugeordnet werden (Abbildung 1). Wenn ein solcher Objektkatalog vergleichsweise offen definiert ist, lassen sich damit flexibel Attribute aus dem technischen Regelwerk zuordnen. Ein BIM-Modell basiert daher zunächst auf dem IFC-Klassenmodell, die Umsetzung in einen definierten und allgemein verbindlichen Objektkatalog beispielsweise für den Straßenbau ist unerlässliche Bedingung für eine erfolgreiche Anwendung im Bundesfernstraßenbau [8]. Abb. 1: Auf bau eines BIM-Modells Insofern wird dadurch ein digitales Modell erzeugt. Weitere Begriffe, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind der digitale Schatten und der digitale Zwilling. Begrifflich sollten diese nicht vermengt werden. Das digitale Modell ist zunächst eine mehr oder weniger exakte <?page no="423"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 423 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung Abbildung der Wirklichkeit. Der digitale Schatten liefert dann kontinuierlich Daten in ein digitales Modell, währen der digitale Zwilling eine direkten bi-direktionalen Datenaustausch beinhaltet. Je nach Art der Infrastruktur entscheidet sich, welche Modellart notwendig ist. Die Entwicklung und Umsetzung der BIM-Methode erfolgt derzeit mit dem BIM-Masterplan Bundesfernstraßen und stellt das umfassendste Vorhaben zur Einführung der BIM-Methode für Verkehrsanlagen dar. Die aktuelle Implementierungsstrategie geht von einer verbindlichen Einführung der BIM-Methode für den Bereich der Bundesfernstraßen im Jahr 2025 aus. Die Einführung ist in verschiedenen Phasen beginnend von der Harmonisierung bis hin zur Entwicklung eines Regelprozesses geplant. Dazu existiert bereits eine Reihe von Rahmendokumenten, die die Vorgaben für eine einheitliche Anwendung setzen. Übergeordnet wird eine Musterrichtlinie BIM zur Verfügung stellt, die drei Themenkomplexe zu (1) Grundlagen, (2) Projektvorbereitung und (3) Projektabwicklung definiert und mit weiteren Unterlagen hinterlegt [9]. Vorgaben zum grundsätzlichen Auf bau eines BIM-Objektkataloges sowie von Merkmalsgruppen und Merkmalen bestehen mit dem BIM-Portal [10] und dem Rahmendokument Objektkatalog [11]. Aktuell sind dabei 20 Anwendungsfälle gelistet, die den Leistungsphasen nach HOAI zugeordnet werden können. Die Einführung der Anwendungsfälle erfolgt in drei Phasen, sodass die zugehörigen Steckbriefe der Anwendungsfälle noch nicht vollständig vorliegen. Die Steckbriefe definieren den jeweiligen Aufgabenbereich sowie die Datenübergabeschnittstellen. So werden vorhandene Eingangsinformationen, beispielsweise Datensätze aus Datenbanken, aus georeferenzierten Daten oder auch aus Textdokumenten benannt. Abschließend wird das erwartete Ergebnis aus diesem Anwendungsfall für die weitere Bearbeitung im Gesamtprojekt definiert. Der Anwendungsfall 200 ist für die Betriebsphase definiert. Die aber eigentlich zu lösende Aufgabenstellung zeigt sich umfassend beim Anwendungsfall 010 „Bestandserfassung und -modellierung“. Die benötigten Informationen werden aus völlig unterschiedlichen Datenquellen stammen. Eine Bestandsstrecke wird Daten aus der Straßendatenbank, aus der Bauwerksdatenbank, aus einem Geländemodell, aus Vermessungsdaten und vielen mehr benötigen, die in ein 3D-BIM Modell überführt werden müssen. Dies erfordert die weitere Strukturierung und Definition von Fachmodellen. 3. Anwendung im Asset Management Für die Anwendung von BIM im Asset Management von Verkehrsanlagen ist die Beziehung zwischen einem Projekt-Informationsmodell (PIM) und einem Asset-Informationsmodell (AIM) von Bedeutung. Dies wird dem Grunde nach in EN ISO 19650-1 [12] beschrieben (Abb.-2). Das Asset Informationsmodell entspricht dem gesamten Modell der Straßenverkehrsinfrastruktur für alle Phasen des Lebenszyklus, also vereinfacht ausgedrückt heute analog der Straßeninformationsbank. Aus dieser Straßeninformationsbank werden für die jeweilige Aufgabenstellung im Lebenszyklus die notwendigen Informationen entnommen, was dann dem Projekt-Informationsmodell entspricht. Dazu ist es erforderlich, dass die Projektinformationsanforderungen so formuliert werden, dass einerseits die für das konkrete Projekt erforderlichen Informationen bereitstehen und andererseits aber auch für das gesamte Asset-Management, also auch die für den weiteren Betrieb der Anlage erforderlichen Informationen geliefert werden. Nur wenn die notwendigen Informationen während der Planungs- und Bauphase gesammelt werden und in die Betriebsphase übergeben werden, können diese Informationen effizient und problemlos weiterverarbeitet werden [13]. Zur Definition der Modelle wird auf die bereits beschriebenen Standards zurückgegriffen, der Informationsbedarf lässt sich aus den ingenieurtechnischen Anforderungen anhand einer Prozessdarstellung ableiten. Abb. 2: Hierarchie der Informationsanforderungen nach DIN EN ISO 19659-1 [12] Die Prozessmodellierungen werden idealerweise nach der BPMN-Methode vorgenommen (Abb. 3). Damit ist es möglich, die einzelnen Prozessschritte, Zuständigkeiten und Datenaustauschpunkte mit Dateninhalten in strukturierter Form dazustellen. Man verzichtet dabei auf die Darstellung der Teilaufgaben innerhalb der einzelnen Aufgaben, da die klare Darstellung der Datenübergabeschnittstellen von Bedeutung ist. In [1] und [2] wurde die generische Darstellung der Erhaltungs- und Betriebsphase eines Asset Managements dargestellt, aus dem die wesentlichen Datenübergabepunkte und Dateninhalte abgeleitet werden können. Wichtig dabei ist, dass die Anforderungen an die Informationsinhalte von der jeweiligen ingenieurtechnischen Fachdomäne strukturiert und zur Verfügung gestellt werden, bevor die IT-technische Umsetzung erfolgt. Dies erfordert ein strukturiertes Zusammenwirken zwischen Fachdomäne und IT-Domäne. <?page no="424"?> 424 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung Abb. 3: Systematik eines BPMN Die Hauptprozesse in einem Asset Management für die Straßenverkehrsinfrastruktur lässt sich in eine strategische Ebene, eine taktische Ebene, eine operative Ebene und in eine abschließende Erfolgskontrolle unterteilen. Im strategischen Aufgabenbereich werden die Ziele einer Organisation definiert, die zum einen von gesetzlichen und technischen Anforderungen und zum anderen vom gewünschten Anforderungsniveau und der geforderten Qualität der Infrastrukturbestandteile abhängen. Im taktischen Teil werden basierend auf einem digitalen Bauwerksmodell Zustandserfassungen und -bewertungen vorgenommen, auf deren Basis dann Finanzbedarfs-prognosen, Risikobewertungen und konkrete Finanzpläne sowie Unterhaltungsprogramme abgeleitet werden. Diese Auswertung stellen einen zentralen Beitrag zur Entscheidungsunterstützung im Rahmen eines Asset-Managements dar. In der konkreten operativen Umsetzung findet das Bauprojektmanagement, also die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen beginnend bei Bauvorbereitung Ausschreibung und Vergabe bis hin zur Baudurchführung und zur Abnahme statt. Der Ablauf des Erhaltungsmanagements als Teil des Asset Managements ist in Abb.-4 dargestellt. Auch wenn es sich hier um Erhaltungsmaßnahmen handelt, können die bisherigen Erkenntnisse der BIM-Umsetzung aus der Bauphase angewandt werden. Abschließend wird der Erfolg der umgesetzten Strategien und Maßnahmen bewertet und Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet. Um einen reibungslosen Ablauf des Gesamtprozesses gewährleisten zu können, ist eben die einheitliche Datengrundlage Voraussetzung. Dazu muss ein definiertes und strukturiertes Bauwerksmodell aus der Bauphase vorliegen und festgelegt werden, welche Objekte und welche Merkmalsgruppen und Merkmale in der Betriebs- und Erhaltungsphase von Bedeutung sind. Im Allgemeinen werden dazu neben dem geometrischen Modell sogenannte Ordnungsdaten, Zustandsdaten, Belastungsdaten, Querschnittsdaten und Auf baudaten benötigt. Ordnungsdaten beschreiben die verwaltungstechnische Zugehörigkeit der Straßeninfrastruktur. Zustandsdaten beschreiben den Zustand des jeweiligen Anlagebestandteils und sind als zeitveränderliche Daten in regelmäßigen Abständen zu erheben. Belastungsdaten beschreiben Verkehrs- und Klimadaten, diese werden als zeitveränderliche Daten ebenfalls regelmäßig erhoben. Querschnittsdaten Schreiben jeweiligen Querschnitte und liefern gemeinsam mit den Auf baudaten die Information zu den gebauten Anlagenbestandteilen. Damit müssen mit Ausnahme der Zustandsdaten und Belastungsdaten (die zu einem späteren Zeitpunkt angefügt werden) alle Informationen aus der Bauphase in geeigneter Form in die Straßendatenbank bzw. das Asset Informationsmodell übergeben werden. Abb. 4: Ablauf des Erhaltungsmanagements 4. Modellierungsgrundlagen 4.1 Definition des Objektkataloges Wie bereits beschrieben, besteht ein BIM Modell vereinfacht aus dem geometrischen 3-D-Modell in dem nach einem definierten Schema bzw. ein Objektkatalog einzelne Objekte definiert sind den dann Attribute zugeordnet werden. Wenn ein solcher Objektkatalog vergleichsweise offen definiert ist, lassen sich damit flexibel Attribute aus dem technischen Regelwerk zuordnen. Ein BIM Modell basiert daher zunächst auf dem IFC- Klassenmodell, dass für die nationale Anwendung ge- <?page no="425"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 425 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung mäß den Erfordernissen des technischen Regelwerks angepasst werden muss. Es steht außer Frage, dass für große Infrastrukturen, wie beispielsweise die Straßenverkehrsinfrastruktur ein einheitlicher Objektkatalog notwendig ist. Grundsätzlich findet man dazu Definitionen in der ASB, die aber nicht direkt auf BIM Modelle übertragen werden können, da sie eine unterschiedliche Abgrenzung zwischen Geometriemodell und Attribuierung aufweisen. Zudem muss ein Objektkatalog für die Straßenverkehrsinfrastruktur alle Anlagenbestandteile abdecken. Gleichwohl können Definitionen aus dem technischen Regelwerk entnommen werden. Dazu sollten die relevanten Regelwerke des Straßen- und Brückenbaus analysiert und damit der Informationsbedarf für alle Anwendungsfälle abgeleitet werden. Insofern ist es erforderlich, die Aussagen des technischen Regelwerks, die verfügbaren Datenstandards, das Klassenmodell des IFC sowie verschiedene weitere nationale BIM-Standards zusammenzuführen und in einem einheitlichen Objektkatalog als „Best-Practice“ zu führen. Dies erfolgt aktuell auch mit dem Objektkatalog Bundesfernstraßen. Ein Beispiel zur Vorgehensweise kann der Entwurfsprozess im Straßenbau bis hin zur Ausschreibung sein. Bei der Analyse des technischen Regelwerks ist es relativ leicht, festzulegen, welche Angaben für die Definition von Objekten dienen und welche die Parametrisierung der Objekte darstellt (Abb. 5) So sind aus den Entwurfsrichtlinien in der Regel Achse, Gradiente und Querschnitt ableitbar, die RStO [14] liefern dann Informationen zu den jeweiligen Schichten, also beispielsweise Schichtart, Belastungsklasse oder Dicke des frostsicheren Aufbaus. Im weiteren Prozess können diese Merkmale dann durch die bautechnischen Ausführungsvorschriften wie den ZTV-Asphalt [15] weiter mit Informationen angereichert werden. Dies wären je Schicht die Festlegung der Mischgutart bzw. -sorte, die Bindemittelsorte und weitere relevante bautechnische Angaben. Die Verknüpfung zu einer Ausschreibung kann dann in der Folge mit der Abbildung des Standardleistungskataloges STLK weitergeführt werden. Auch wenn dieses Beispiel den Neubau oder den Ersatzneubau adressiert, werden hier bereits wesentliche Informationen für die Baudurchführung bis hin zur Erhaltungs- und Betriebsphase strukturiert. Diese Vorgehensweise und die relevanten Ergebnisse sind in [8] detailliert beschrieben. Dies ist insofern von entscheidender Bedeutung, weil das derzeitige Technische Regelwerk eingeführt, teilweise notifiziert und damit in Teilen Vertragsbestandteil im Bauvertrag wird. Ein Abweichen von diesen Vorgaben würde erhebliche juristische Risiken im Bauvertrag nach sich ziehen. Abb. 5: Analyse der Regelwerke [8] Eine entsprechende Umsetzung des Objektkataloges liegt mit dem BIM-Portal sowie dem Rahmendokument Objektkatalog von ihm Bundesfernstraßen vor [11]. Der Objektkatalog dient dann dazu, Modellobjekte eindeutig als Bauteil zu identifizieren. Dabei werden Objektgruppe, Objektliste und Objekttyp unterschieden. Dazu werden sechs Merkmalsgruppen, beispielsweise Projektinformationen oder Bauwerksinformationen angehängt. Der aktuelle Stand des Best-Practice Objektkataloges ist im BIM Portal von BIM Deutschland frei zugänglich [10]. Aktuell sind dort Objekte und Merkmale definiert, ebenso wie Vorlagen für die AuftraggeberInformationsAnforderungen AIA, Objektvorlagen und Prüfwerkzeuge. Im aktuellen Stand wird der Oberbau der Objektgruppe zugeordnet, angehängt sind als Objektklasse die Bezeichnung Auf bauschicht und als Objekttyp die jeweiligen Schichten des Straßenoberbaus (Abb. 6). Diese Definition ist unabdingbare Voraussetzung für die weitere Parametrisierung der BIM Modelle, die für den gesamten Lebenszyklus der jeweiligen Anlagenteile nutzbar sein müssen. Abb. 6: Auszug Objektkatalog für den Straßenoberbau. <?page no="426"?> 426 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung 4.2 Parametrisierung Mit der Definition des Objektkataloges ist dann die Grundlage für die weitere Anreicherung der Modelle mit Informationen geschaffen. In sogenannten Property Sets werden dann die Eigenschaften des Objekts in Merkmalsgruppen und Merkmale gegliedert für die jeweiligen Anwendungsfälle hinzugefügt. Dabei stellt sich die Frage der Strukturierung der Merkmalsgruppen, wobei es sich aus Gründen der Übersichtlichkeit empfiehlt, themenbezogene Informationen in möglichst wenigen Merkmalsgruppen zu gliedern. Dies ist in der Praxis nicht immer ganz einfach, da unterschiedliche Ansprüche bezüglich der Gliederung seitens des Anwenderkreises besteht. Nach aktuellem Stand sollen diese in die Merkmalsgruppen Bauteilinformation, Bauteilklassifikation und Projektinformationen aufgeteilt werden. Im obigen Beispiel erscheint dies recht klar, da im Planungsprozess ingenieurtechnisch bestimmte Entscheidung getroffen werden, aus denen sich dann die entsprechende Parametrisierung ergibt. Letztlich ist es dann Aufgabe der Umsetzung, die Parametrisierung so zu gestalten, dass sie an den entsprechenden Bauteilen eindeutig zuordenbar hängt. Der allgemeine Ablauf ist in Abb. 7 dargestellt. Abb. 7: Ablauf der Erstellung eines BIM-Modells Die nun benötigten Datengruppen für das Asset Management wurden vorab bereits umrissen. Für die Datengruppe Bestandsdaten ist in der nachfolgenden Abbildung 8 ein Beispiel gegeben. Als Objektgruppe ist der Oberbau definiert, der Oberbau besteht unter anderem aus der Objektklasse Auf bauschicht für die wieder verschiedene Schichtarten als Objekttyp definiert sind. Im vorliegenden Fall ist dies exemplarisch eine Deckschicht, an der die Bauteilinformation anhängen. Dies sind die baustofftechnologisch spezifischen Kennwerte, die später im Asset Management für die Lebenszyklusmodelle die notwendigen Informationen liefern. Zudem sind hier die Oberflächeneigenschaften aus der Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) angehängt, wobei dazu in derzeitigen Anwendungen [1], [2] eher eine virtuelle Schicht als weiteres Objekt definiert wird, an der die Oberflächeneigenschaften dann als Attribute angehängt sind. Weitere wertvolle Information für das Asset Management sind die Ergebnisse von Materialentnahmen und -prüfungen sowie weitere relevante Information wie zum Beispiel das Tragverhalten. Letztlich zeigt sich, dass für den Auf bau einheitlicher BIM-Modelle zwei Wege zusammengeführt werden müssen. Zum einen sind dies die ingenieurtechnischen Erfahrungen und die Aussagen der Regelwerke, zum anderen die IT-technischen Erfahrungen in der Anwendung von BIM-Modellen. Abb. 8: Beispielhafter Modellauf bau für die Objektgruppe Oberbau 5. Beispiele 5.1 Parametrisierung des STLK Ein erstes Beispiel mit dem diese Vorgehensweise umgesetzt wurde ist die Parametrisierung des Standardleistungskataloges [8]. Auch wenn damit ein Arbeitsschritt zu Beginn des Lebenszyklus beschrieben wird, werden doch hier bereits wesentliche Festlegungen getroffen, deren zugehörige Informationen für das Asset Management. Der STLK ist eine nach Leistungsbereichen gegliederte Sammlung standardisierter, datenverarbeitungsgerechter Texte zur Beschreibung von Standardleistungen im Stra- <?page no="427"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 427 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung ßen- und Brückenbau. Dabei werden vorwiegend Bauleistungen beschrieben, aber auch Ingenieurleistungen und in geringem Umfang Lieferleistungen. Der Katalog für den Straßen- und Brückenbau umfasst zurzeit 34 Leistungsbereiche, die laufend aktualisiert werden und in digitaler Form zur Bearbeitung mit Hilfe spezieller Software (AVA-Programme) oder auch als Buchausgabe erhältlich sind. Der STLK enthält damit verbindliche Standardtexte zur Übernahme in ein Leistungsverzeichnis als Bestandteil der Ausschreibung- und Vergabeunterlagen für Maßnahmen im Bundesfernstraßenbau. Zur BIM-konformen Parametrisierung wurde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, deren Ergebnisse in [8] beschrieben sind. Dazu mussten die entsprechenden Texte des STLK als Attribute den jeweiligen Objekttypen zugeordnet werden. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass eine solche Zuordnung problemlos möglich ist und daraus ein modellbasiertes Leistungsverzeichnis erstellt werden kann. Allerdings erfordert dies in Zukunft auch die Einrichtung eines Pflegeprozesses, da die inhaltliche Fortschreibung des STLK durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) in Abstimmung mit dem Baulastträger und den Spitzenverbänden der Bauwirtschaft erfolgt. Umgekehrt erfolgt die Fortschreibung eines Best-Practice Objektkataloges durch das BMDV bzw. nachgeordnet durch das Fernstraßenbundesamt. Die Struktur der Zuordnung von Objekten zum STLK ist in Abb. 9 ersichtlich. Abb. 9: Struktur der Verbindung zwischen Objektkatalog und STLK. 5.2 Parametrisierung im Asset Management Die für ein Asset Management notwendige Parametrisierung wurde nach der gleichen Vorgehensweise für den kommunalen Anwendungsfall für das Tief bauinfrastrukturmanagement der Stadt Münster entwickelt [17], für den Außerortsbereich analog im Projekt BIM4AMS [1]. Dabei wurden folgende Informationsgruppen definiert: Vorausgesetzt wird dabei ein entsprechend konform aufgebautes wie-gebaut-Modell. An diesem Modell werden entsprechend der Objektklassifikation alle relevanten Daten zu den Materialeigenschaften der einzelnen Schichten übergeben. Ein dann weiter als erstes Update aufgebautes EMS-Modell enthält alle Merkmale zum Oberflächenzustand und zum strukturellen Zustand einer Fahrbahn. Mit diesen Informationen kann dann mithilfe geeigneter Autorensysteme eine Erhaltungsplanung aufgestellt werden, deren Ergebnisse dann wieder als Erhaltungsmodell in das bestehende Gesamtmodell als zweites Update aufgenommen werden können. Ein drittes Update wird dann nach Durchführung einer Maßnahme aufgestellt und in das Asset Informationssystem zurückgespielt. Das dritte Update orientiert sich an dem dann notwendigen Baugeschehen und aktualisiert dem Grunde nach das wie-gebaut-Modell. Dazu können die Erkenntnisse aus dem Ausschreibungsmodell wie unter Abschnitt- 4.1 dargestellt herangezogen werden. 6. Fazit und Zusammenfassung Zum aktuellen Zeitpunkt kann festgestellt werden, dass wesentliche Grundlagen für die Parametrisierung von BIM-Modellen vorhanden sind. Es bedarf dazu einer Festlegung eines verbindlichen Objektkataloges, damit die Parametrisierung erfolgreich aufgestellt und an die jeweiligen Einzelobjekte angehängt werden kann. Anhand von Einzelprojekten wird ersichtlich, dass dazu eine strukturierte Vorgehensweise sowie ein Zusammenwirken von Fachdomäne und IT-Domäne unerlässlich ist. Allerdings kann dann der ingenieurtechnische Sachverstand mit dem IT-Wissen in sinnvoller Weise verknüpft werden. Kernpunkt dabei sind digitale Modelle, die geeignet sind, die anstehenden Aufgaben im Zusammenwirken mit Autorensoftware zu bewerkstelligen, die aber gleichermaßen für künftige Entwicklungen skalierbar sein sollen. Allerdings muss festgestellt werden, dass für den Bereich des Erhaltungsmanagements bzw. des Asset- Managements das Grundlagenwissen und die notwendigen Prozesse zwar vorliegen, eine geschlossene routinemäßige Umsetzung derzeit aber noch fehlt. Dies ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass für das Beispiel des STLK die Anwendbarkeit in einer Pilotstudie gezeigt werden konnte, eine vollständige Umsetzung derzeit aber noch fehlt. Sobald dies erfolgt, ist eine weitere Optimierung der Arbeitsabläufe darstellbar. Die generelle Funktionstüchtigkeit der Methode wurde in bereits vielen Projekten nachgewiesen. Literatur [1] Hajdin, Rade; Blumenfeld, Tim; Grossauer, Karl; König, Markus; Liu, Liu; Schiffmann, Frank; Stöckner, Markus; Stöckner, Ute: BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS (BI- M4AMS). Österreichische Forschungsförderungs- Gesellschaft (FFG). Wien. Österreich, 2022. [2] Stöckner, Markus; Brow, Ian; Zwernemann, Philipp; Hajdin, Rade; Schiffmann, Frank; Blumenfeld, Tim.; König, Markus; Liu, Liu; Gavin Ken: Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format (AMSfree). CEDR Transnational Road Research Programme. Conférence Européenne des Directeurs des Routes. 2022. [3] BMVI (2021). Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Erläuterung zu den Rahmendokumenten 1.0. <?page no="428"?> 428 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Parametrisierung von BIM-Modellen für die Straßenerhaltung Berlin, 2021. Berlin. [4] Anweisung Straßeninformationsbank - ASB (Version 2.04). Online verfügbar unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Verkehrstechnik/ Unterseiten/ V-ASB. html, zuletzt überprüft am 19.07.2023.ASB. [5] OKSTRA®, Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen. Online verfügbar unter: https: / / www.okstra.de/ , zuletzt überprüft am 19.07.2023. OKSTRA. [6] FGSV: Begriffsbestimmungen Straßenbautechnik. https: / / www.fgsv-verlag.de/ pub/ media/ pdf/ 924.i.pdf. Zuletzt überprüft am 7.12.2024. [7] Anweisung Straßeninformationsbank für Ingenieurbauten, Teilsystem Bauwerksdaten (ASB- ING). Online verfügbar unter: https: / / www.bast. de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Erhaltung/ ASB-ING.html, zuletzt überprüft am 19.07.2023. [8] Stöckner, M; Kuder, S.; Gharavi, R.; Salzer A.; Kirste, M.; Dieterle, A.: Herausforderungen bei der Umsetzung der BIM-Methode für Verkehrsanlagen. Einführung des ersten standardisierten BIM-Parametrisierungssystems im Bundesfernstraßenbau. Deutscher Straßen- und Verkehrskongress 2024, Bonn. Kongressband. FGSV Verlag, Köln, 2024. [9] BIM Masterplan Bundesfernstraßen: Online verfügbar unter: https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html, zuletzt überprüft am 19.07.2023. [10] BMDV (2022): BIM Portal des Bundes. https: / / via. bund.de/ bim/ infrastruktur/ landing [11] BIM Bundesfernstraßen; Rahmendokument Objektkatalog, Version 1.0. [12] DIN EN ISO 19650-1, Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM. Teil 1, Begriffe und Grundsätze (ISO 19650-1: 2018). Berlin: Beuth Verlag GmbH. [13] Stöckner Markus; Hajdin, Rade; König, Markus: BIM im Asset Management für Verkehrsanlagen - Sachstand zur Forschung. OKSTRA Symposium Hamburg, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV, Konferenzband. FGSV-Verlag, Köln, 2022. [14] RStO 12/ 24: Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen. FGSV-Verlag, Köln, 2024. [15] ZTV Asphalt-StB 07/ 13: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt. FGSV-Verlag, Köln, 2024. [16] BIM Bundesfernstraßen; Rahmendokument Objektkatalog, Version 1.0. [17] Buttgereit, Alexander; Stöckner, Markus; Stöckner, Ute: BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen, TAE Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, Juni 2021, Heft 1, pp. 293-302, expert Verlag, Renningen. <?page no="429"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 429 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? Dr.-Ing. Robert Hartung JOHANN BUNTE Bauunternehmung SE & Co. KG, Papenburg Florian Ehmcke, M. Eng. JOHANN BUNTE Bauunternehmung SE & Co. KG, Braak Yanik Runde JOHANN BUNTE Bauunternehmung SE & Co. KG, Papenburg Zusammenfassung Die bundes- und landespolitischen Entwicklungen forcieren die Einführung und Weiterentwicklung der BIM-Methode. Die gesteckten Ziele sind dabei angesichts einer flächendeckenden Ausweitung ambitioniert. Insbesondere im Bereich der Bauausführung sind längst nicht alle Prozesse einer digitalen Baustelle eindeutig definiert. Der Beitrag soll einen Einblick zur realen und praxisorientierten Umsetzung der BIM-Methode unter Berücksichtigung ausgewählter Anwendungsfälle der Bauausführung geben. Es zeigt sich, auch wenn weitere Standardisierungs- und Entwicklungsarbeit notwendig ist, bereits heute zahlreiche digitale Anwendungen umgesetzt werden können. Diese liefern bei weiterer Verstetigung dem Projektgeschäft einen deutlichen Mehrwert, bedürfen jedoch der weiteren Intensivierung von Erfahrungsmaßnahmen zur standardisierten Anwendung. Erst dann können verschiedene digitale Prozessketten zusammenwachsen und ihr vollständiges Potential entfalten. 1. Einführung Die Produktivität der Baubranche stagniert. Bereits seit 2016 und seit dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1] ersucht die Bundesregierung Möglichkeiten, Projektverläufe zu optimieren. Schlüssel für die Projektoptimierungen sind neben der Digitalisierung im Allgemeinen insbesondere die Ansätze der Methode Building Information Modeling (BIM). Vor diesem Hintergrund sind bereits für Bundesprojekte strategische Papiere zum Aufbau und zur Ausweitung der BIM-Kompetenz in den Bereichen Hochbau, Straßeninfrastruktur sowie Wasserstraße entstanden [2], [3], [4]. Diese geben den politischen Willen zur flächendeckenden Anwendung der BIM-Methode wieder. Damit dies gelingen kann, ist die Durchführung von Pilot- und Erfahrungsmaßnahmen unerlässlich. Verschiedene Auftraggeber auf Bundes- und Landesebene haben daher in den vergangenen Jahren Projekte in unterschiedlichen Projektphasen initiiert, jedoch zumeist die Planungsphase betrachtet. Im BIM-Pilotprojekt des Bundes „Dreistreifiger Ausbau der B5 zwischen Tönning und Rothenspieker“ wurden insbesondere die baubezogenen Anwendungsfälle durch den Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (LBV.SH) beleuchtet [5] und durch das Bauunternehmen JOHANN BUNTE umgesetzt. Bei dem Projekt wurde in insgesamt fünf Bauabschnitten auf knapp 6- km Länge der heute zweistreifige Querschnitt auf einen dreistreifigen mit Überholfahrstreifen ausgebaut. Zum Projekt gehörten neben dem Verkehrsweg auch diverse Lärmschutzwände entlang der Strecke, Durchlässe sowie Wirtschaftswege. Abb. 1: Lage des Projektes der B5 in Schleswig-Holstein Da der BIM-Projekteinstieg im Nachgang zur konventionell erfolgten Planung gewählt wurde, sind vorgelagert zur Erarbeitung der eigentlichen baubezogenen Anwendungsfälle, die Umsetzung der Anwendungsfälle zur Erstellung des digitalen Modells notwendig. Hierfür wird die übergebene Ausführungsplanung herangezogen und ein digitales Modell zur baubegleitenden Ver- <?page no="430"?> 430 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? wendung aufgebaut. Nach Abschluss der Bauphase wird zudem ein As-Built-Modell der Strecke an den Auftraggeber übergeben. Dieses dient als Grundlage für den digitalen Zwilling im Betrieb des Verkehrsweges. Insgesamt sind die folgenden BIM-Anwendungsfälle (AWF) im Projekt nach bundeseinheitlicher Anwendungsfallbezeichnung umzusetzen: Tab. 1: Übersicht der umzusetzenden Anwendungsfälle (AWF) mit Bezeichnungen AWF 050 Koordination der Fachgewerke AWF 120 Terminplanung der Ausführung AWF 140 Baufortschrittskontrolle AWF 150 Änderungs- und Nachtragsmanagement AWF 160 Abrechnung von Bauleistungen AWF 170 Abnahme- und Mängelmanagement AWF 190 Projekt- und Bauwerksdokumentation Im weiteren Verlauf wird ein Einblick zur Umsetzung der verschiedenen Anwendungsfälle gegeben. Um die Umsetzung auf der Baustelle Realität werden zu lassen, ist dabei eine Betrachtung und Verknüpfung der BIM- Anwendungsfälle mit der Baustelle und den weiteren Bauprozessen (bspw. digitale Maschinensteuerung) unbedingt notwendig. Nur dann können die erwarteten Produktivitätssteigerungen erzielt und das Thema der Digitalisierung als großes Ganze gedacht werden. 2. Systemlandschaft und Modellierung 2.1 Rolle der Common Data Environment Grundvoraussetzung für die Umsetzung der BIM-Anwendungsfälle im Projekt ist die Bereitstellung einer gemeinsamen Datenplattform - dem CDE. Das Common Data Environment (CDE) sichert allen Beteiligten den Zugriff und die strukturierte Arbeit mit den BIM-Daten. Als Kernelement verknüpft das CDE zentral die digitalen BIM-Prozesse wie in Abbildung 2 ersichtlich. Abb. 2: Systemlandschaft zur Umsetzung der BIM-Prozesse im Projekt Zunächst beginnt auf Basis der Ausführungsunterlagen die Modellierung der Fachmodelle mittels verschiedener Autorensysteme (1). Während des eigentlichen Modellierungsprozesses findet noch keine Datenübergabe in das CDE statt, sondern die Datenhaltung wird über die interne Projektakte und die Serverstruktur des Auftragnehmers organisiert. Dies ermöglicht ein effizientes Handling des Modellierungsprozesses aufgrund der lokalen Anbindungen. Zum Übergabezeitpunkt der Arbeitsstände an den Auftraggeber sowie an das Baustellenteam findet eine Anbindung der Prozesse an das CDE statt (2). Über das CDE haben die weiteren Beteiligten (Projektleitung, Bauleitung, Polier, Bauüberwachung) Zugang zu den Modelldaten und können die baustellenbezogenen Anwendungsfälle umsetzen. Das Modell dient ab diesem Zeitpunkt als Grundlage für die Kommunikationssowie für die Dokumentationsprozesse auf der Baustelle. Dafür ist es relevant, eine Baustellen-geeignete Lösung zur Verfügung zu stellen, sodass die baustellenbezogenen Anwendungsfälle tatsächlich in situ umgesetzt werden können. Hierfür ist, neben der Fähigkeit das CDE von mobilen Endgeräten (Tablet/ Mobiltelefon) aus nutzen zu können, auch das Handling der Anwendung maßgebend. Nur dann ist die intensive Auseinandersetzung mit dem CDE im Baustellenalltag durch die Akteure sichergestellt. Des Weiteren findet vor der Modellübergabe der Prozess der Modellkoordination durch den BIM-Gesamtkoordinator statt. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Modelle die entsprechenden Qualitäten und Strukturvorgaben seitens des Auftraggebers, aber auch seitens der Baustelle besitzen. Durch den BIM-Gesamtkoordinator findet zudem die Auf bereitung und Auswertung der Modelle zur Umsetzung und Begleitung der baustellenbezogenen Anwendungsfälle statt. Hierfür ist ein enger Austausch zwischen dem Baustellenteam und der BIM-Gesamtkoordination notwendig, um die Bauprozesse digital zu unterstützen. Nach Maßgabe des Auftraggebers findet nach Abschluss der baustellenbezogenen Prozesse eine konsolidierte Übergabe der digitalen Baustellenakte in die Projektplattform des Auftraggebers statt (3). Damit sind <?page no="431"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 431 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? die Projektdaten qualitätsgesichert auch über das Projektende hinaus verfügbar. 2.2 Modellierung und Bereitstellung des Modells Für die Modellierung werden zunächst sämtliche Achs- und Trassierungsdaten aus der vorgelagerten Ausführungsplanung herangezogen. Die Daten liefern in Verbindung mit den Querprofilen ausreichende Datengrundlagen, um die Profilkörper des Verkehrsweges zu erstellen und den Auf bau des Verkehrsweges, wie in Abbildung 3 dargestellt, widerzugeben. Abb. 3: Ausschnitt aus dem Projekt im Bereich der Baustelleneinrichtung sowie Anschlussstelle mit Brückenüberfahrt in Verbindung mit einer Punktwolke Durch die Unterstützung von Skripten aus dem Bereich der visuellen Programmierung werden zudem Teilvorgänge der Modellierung automatisiert. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Attribuierung, um vordefinierte Merkmalsätze auf Basis von Attribuierungstabellen in das geometrische Modell zu schreiben. Nach Export des Modells aus der Autorensoftware findet ein Abgleich (Model-Check) des Modells mit der Passfähigkeit zur Ausführungsplanung statt. Hierfür werden die Dateien im offenen Austauschformat IFC (Industry Foundation Classes) in die Koordinationssoftware (vgl. Kapitel-2.1) eingeladen und geprüft. Durch regelmäßige Durchführung dieser Prüfschritte und Kenntnis der Prüfanforderungen können diese Schritte durch vorgefertigte Prüfmethoden zu einem großen Teil automatisiert werden. Neben der Verkehrsanlage wird das Modell dann ergänzt durch die Komponenten und die Objekte der technischen Ausrüstung, der Leitungen sowie der Lärmschutzwände. Gerade die Modelle der Verkehrsanlagen bieten neben der fachlichen Koordination die ideale Grundlage, die digitale Prozesskette über die eigentlichen Anwendungsfälle hinaus zu betrachten. Diese können als Grundlage für die digitale Maschinensteuerung genutzt werden und somit die Produktivität der Arbeitsvorbereitung, bei Erfüllung eines hohen Qualitätsstandards, erheblich steigern. Es zeigt sich, dass auch der Quereinstieg im Lebenszyklus der Bauphase gewinnbringend für die Verwendung und Nutzung digitaler Modelle sein kann. Gerade für die Bauprozesse und für die Dokumentation liefern die Modelle eine hervorragende Grundlage zur Kommunikation und Qualitätssicherung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Es sollte beim Quereinstieg jedoch eine Vorlaufzeit zur Erschaffung der notwendigen Datengrundlagen gegeben werden. 2.3 Abgleich Modellierung Punktwolke Die geschaffenen Modelle für den Verkehrsweg sowie der Auflastschüttungen (Abb. 4) bieten eine geeignete Datengrundlage für die digitale Maschinensteuerung. Nach Herstellung von Teilleistungen erfolgt mittels Drohnenbefliegung die Erfassung des tatsächlich gebauten Ist-Zustands. Über die Erfassung und den Abgleich zwischen Modell und Punktwolke findet eine kontinuierliche Qualitätssicherung der Bauleistung sowie das Schaffen einer Abrechnungsgrundlage statt. Über die Auswertung der Punktwolke wird der Leistungsstand für die Hauptbauleistungen erfasst und dokumentiert. Abb. 4: Vergleich des digitalen Modells (IFC) als Grundlage für die Gerätesteuerung mit den Punktwolken der UAV-Befliegung Aus der baupraktischen Abwicklung zeigt sich, dass die geschaffenen Datengrundlagen und Prozesse des modellbasierten Arbeitens ein hohes Verständnis zum Leistungsstand, zu Störungen und zu Abrechnungsmengen schaffen. Durch die Ergänzung von Herstellungsterminen, Kennzahlen und die Verknüpfung mit Einbaunachweisen erfolgt zudem baubegleitend eine strukturierte Dokumentation der Maßnahme. Dies lässt, wie in der folgenden Abb. 5 dargestellt, neben der Erfassung des eigentlichen Baufortschrittes, auch eine baubegleitende Dokumentation und Transparenz in der Erzeugung der Bestandsunterlagen zu. Abb. 5: Modellbasierte Erfassung des Baufortschrittes an zwei Stichtagen zur Herstellung von GEC-Säulen Im Bild zu sehen ist die modellbasierte Erfassung des Baufortschrittes sowie der technischen Einbaukennwerte von GEC-Säulen (Geotextile Encased Columns), die im Zuge der Maßnahme hergestellt werden. Diese mehr als <?page no="432"?> 432 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? 1.200 Sandsäulen dienen der Erhöhung der Tragfähigkeit des Baugrundes im Bereich der Auflagersituation eines querenden Brückenbauwerks und sind mit entsprechend eng gesteckten Dokumentationsanforderungen verbunden. Durch die modellbasierte Erfassung der vom Gerät aufgezeichneten Herstellungskennzahlen sind stichtagsgenau Auswertungen der tatsächlichen Bodensituation und der Einbauverfahren möglich. 2.4 Festlegungen und BIM-Abwicklungsplan Grundlage für die Umsetzung der digitalen Prozesse ist zunächst die Beschreibung der Auftraggeberseitigen Informationsanforderungen (vgl. Kapitel 1). Im Projekt selbst erfolgt dann die gemeinsame Festlegung der Prozesse im BIM-Abwicklungsplan. Die Grundstruktur ist im Projekt durch den Auftraggeber vorgegeben und wird kontinuierlich durch den Auftragnehmer und in gemeinsamer Abstimmung fortgeschrieben. Neben dem Konzept zur Softwarelandschaft (vgl. Kapitel 2.1) ist auch ein Modellierungskonzept und eine Modellierungsstruktur, ein Projektorganigramm mit Verortung von BIM-Rollen und von Verantwortlichkeiten sowie eine Terminschiene der BIM-Leistungen Bestandteil. Durch die Durchführung von Testfällen werden die im BAP getroffenen Festlegungen validiert, sodass diese als verbindliche Vorlage im Projekt genutzt wird. Im Rahmen der Testfälle werden anhand von exemplarisch gewählten Minimalbeispielen oder Teilmodellen die technische Umsetzbarkeit und die digitalen Workflows zwischen den Beteiligten zu Projektbeginn durchgespielt. Abbildung 6 stellt einen Einblick in die festgelegte Teilmodellstruktur dar. Neben dem Fachmodell (FM) der Verkehrsanlagen erfolgt die Bereitstellung und Koordination der technischen Ausrüstung, der Leitung sowie der Lärmschutzwand. Abb. 6: Zusammensetzung des Koordinationsmodells aus unterschiedlichen Fachmodellen Die Modelle, die aus unterschiedlichen Autorensystemen und von verschiedenen Modellautoren erzeugt wurden, werden im Koordinationsmodell zusammengeführt. Voraussetzung ist die Festlegung gemeinsamer Koordinatenpunkte, die auch über den BIM-Abwicklungsplan modellautorübergreifend festgeschrieben sind. Durch die Fortschreibung der Koordinationsmodelle zum Stand der Planung mit den bauzeitlichen Änderungen und Informationen entsteht das As-Built-Modell. Dieses „wie-gebaut- Modell“ dient dem Auftraggeber zur weiteren Verwendung im Rahmen des Betriebs und der Erhaltung. 3. Mengenermittlung und Abrechnung Das digitale Modell wurde für den Bereich des Verkehrsweges mit den relevanten Positionen des Leistungsverzeichnisses verknüpft. Neben der Trag- und Binderschicht wurden auch die Leistungen zur Herstellung der Deckschicht im Modell mit allen relevanten Nebenflächen und Elementen abgebildet. Dabei wurde die Struktur der Modellierung so gewählt, dass eine Teilmengenermittlung möglich ist und die Modellstruktur den tatsächlichen Herstellungsprozessen entspricht. In Ergänzung zur konventionellen Bauabrechnung wurde ein Vergleich des modellbasierten Arbeitsprozesses (vgl. Abb. 7) zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer entwickelt. <?page no="433"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 433 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? Abb. 7: Grundlegender Prozess zur modellbasierten Abrechnung von Erfassung Baufortschritt, über Auswertung dazugehöriger Abrechnungsmengen bis zur Verknüpfung Abschlagsrechnung Durch die Erfassung und Bestätigung des Baufortschrittes sowie der eingehaltenen Bauqualität und der Toleranzen bietet das fortgeschriebene Ausführungsmodell die Grundlage für die Abrechnung der zugehörigen Bauleistung. Durch Auswertung der zugehörigen Volumenkörper können die Einbaumassen für den Straßenauf bau ermittelt werden. Durch das fortgeschriebene und bestätigte bzw. freigegebene Ausführungsmodell entsteht der zugehörige Abrechnungsnachweis. Voraussetzung ist eine Modellstruktur, die auch der LV- Struktur sowie der baulichen Umsetzung entsprechend ist, sodass die Teilmengen valide ermittelt werden können. Andernfalls ist eine Nachbearbeitung des Modells vor Rechnungsstellung notwendig, um die Bauteilabgrenzungen entsprechend der realen Umsetzung zu erfassen. Zudem ist zu empfehlen, die Mengenermittlungen zu plausibilisieren. Die Kenntnis der genauen geometrischen Parameter und die Validierung dieser ist für die Plausibilität der Abrechnung erforderlich. Es zeigt sich, dass diese eingerichtet werden können und die zur Verfügung stehenden Berechnungsmethoden dann solide funktionieren. Für die Leistungspositionen der Auf bauschichten des Straßenkörpers ergibt sich eine Passfähigkeit der Mengenermittlung von 99,8-% in Gegenüberstellung zu den konventionellen Abrechnungsverfahren. Abweichungen sind in der Detailierungsgenauigkeit der Modelle, aufgrund der nachgelagerten Modellierung zwischen Ausführungsplanung und Bauausführung sowie Rundungsthematiken in der geometrischen Näherung begründet. Die Abweichungen sind im Gesamtergebnis jedoch als vernachlässigbar einzustufen. In einem weiteren Entwicklungsschritt sind diese Erkenntnisse in übergeordneten Prozessen zur modellbasierten Abrechnung zu überführen. Die Kommunikation, die Freigabeläufe und der Datenaustausch bezüglich der Rechnungslegung kann und sollte dabei maßgebend über das eingesetzte CDE erfolgen. 4. Fazit Als Gesamtergebnis zum umgesetzten Projekt zeigt sich, dass die BIM-Methode große Potentiale für die Bauausführung, gerade auch im Bereich des Straßenbaus bietet. Die gezeigte Projektpraxis legt dar, dass auch heute zahlreiche digitale Anwendungsfelder schon erschlossen sind. Für die weitere Verstetigung benötigt es jedoch weiterer Intensivierung von Praxisprojekten im Bereich der Bauausführung, um die Einzelaspekte zu einem gesamten digitalen Prozess zusammenwachsen zu lassen. Durch die verbindliche Vorgabe zu den Erwartungen, Anforderungen und grundlegenden Informationsstrukturen können BIM-Leistungen im Projekt belastbar kalkuliert und erfolgreich umgesetzt werden. Die verbindliche Vorgabe in den Vergabedokumenten schafft die Grundlage für ein einheitliches Verständnis auf allen Seiten. Dabei stellt der „BIM-Eintritt“ im Bereich der Bauausführung kein Hindernis, sondern vielmehr eine Chance dar. Durch die weitere Verstetigung und die Forcierung, BIM- Leistungen auch in der Bauausführung umzusetzen, werden die Themenfelder der digitalen Baustelle weiter zusammenwachsen. Die konsequente Umsetzung auch von „Quereinsteiger“-Projekten hilft dabei allen Beteiligten, weitere Strukturen auf- und auszubauen und Stabilität in den heute bereits umgesetzten Prozessen zu erlangen. Für die erfolgreiche Umsetzung sind die auftraggeberseitig gestellten Ziele projektspezifisch zu erfassen und der Komplexitätsgrad entsprechend den Maßnahmenzielen zu wählen. Durch die Umsetzung von Testfällen können die gemeinsamen Konzepte frühzeitig validiert und bei Bedarf angepasst werden. Somit ist die Grundlage für die weitere Entwicklung und die Standardisierung der BIM-Prozesse gelegt. Die BIM-Prozesse bilden die Grundlage, auch begleitende Effekte und Potentiale nutzbar zu machen, die neben Vermessungsleistungen auch eine digitale Projektkommunikation und Projektdokumentation betreffen. Hier sollte BIM als Teil der gesamten Digitalisierungsbestrebungen gesehen werden. <?page no="434"?> 434 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitale Bauprozesse und BIM - Wie viel Realität steckt im Mythos der digitalen Baustelle? Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016). Stufenplan Digitales Planen und Bauen. Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken. Berlin. [2] BMI (2021): Masterplan BIM für Bundesbauten. Erläuterungsbericht. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) (heute: Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen). Berlin. [3] BMVD (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM). Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVD) (heute: Bundesministerium für Digitales und Verkehr). Berlin. [4] GDWS (2022): Implementierungsstrategie BIM- WSV 2030. BIM-Masterplan für die Wasserstraße. Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMVD) und Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS). Berlin und Bonn. [5] https: / / www.schleswig-holstein.de/ DE/ landes regierung/ ministerien-behoerden/ VII/ Presse/ PI/ 2024/ III_2024/ 240725_B5_Baustellentermin_ BIM, aufgerufen am 03.12.2024. <?page no="435"?> Nachhaltigkeit im Straßenbetrieb <?page no="437"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 437 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Prof. Dr.-Ing. Thorsten Cypra Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Dr. Sonja Cypra Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Zusammenfassung Die Bundesfernstraßen und Landesstraßen in Deutschland werden von über 700 Autobahn- und Straßenmeistereien betreut, um die Verkehrssicherheit und Funktionsfähigkeit des Straßennetzes zu gewährleisten. Aufgrund der Altersstruktur der Meistereigehöfte gibt es heutzutage wie auch zukünftig einen hohen Bedarf an Modernisierungen bei den Bestandbauten und Neubauten bei Meistereigehöften. Bei diesen Maßnahmen wird sich an der aktuell geltenden Richtlinie für die Anlage von Meistereien (RAM) aus dem Jahr 2014 orientiert. Die Richtlinie für die Anlage von Meistereien gibt Planungs- und Gestaltungsgrundsätze für den Neubau von Autobahn- und Straßenmeistereien. Diese Planungs- und Gestaltungsgrundsätze ergeben sich im Wesentlichen aus den Anforderungen des Leistungsheftes für den Straßenbetrieb, die in Abhängigkeit des zu betreuenden Streckennetzes die Ausstattung mit Personal sowie Fahrzeugen und Geräten beeinflussen. Die Grundsätze in der RAM geben nur das Rahmenwerk für die Planung vor, jede Meisterei ist bezogen auf die örtlichen Rahmenbedingungen (z. B. Platzverhältnisse, Umfeldbedingungen, Dimensionierung) individuell zu entwerfen. In der bestehenden Richtlinie sind jedoch keine konkreten Entscheidungsgrundlagen aus Nachhaltigkeitssicht enthalten. Ziel des Forschungsvorhabens war daher die Überarbeitung der aktuellen Richtlinie für die Anlage von Meistereien. Ziel ist es, die Planung, den Bau sowie den Gebäudebetrieb unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte durchführen zu können und somit die Projekte ganzheitlich zu planen und umzusetzen. Diese überarbeitete Richtlinie beinhaltet neben der baulichen und betrieblichen Ausgestaltung der Meisterei auch Vorgaben für die Fuhrpark- und IT-Infrastruktur. Innerhalb des Forschungsprojektes wurde eine Literaturanalyse, Besichtigungen in Straßen- und Autobahnmeistereien in ganz Deutschland durchgeführt und Benchmarks für Energie, Wasser und Betriebskosten erarbeitet. Es wurden unter Nachhaltigkeitsaspekten Planungsgrundlagen für bauliche Anlagen, d. h. für Verwaltungsräume, Fahrzeugabstellbereiche, Fahrzeugwaschbereiche, Werkstätten, Lager und Streustofflagerstätten sowie für die sonstigen Anlagen wie Betriebsfläche, Tankanlagen, Parkplätze und Sicherheitseinrichtungen zusammengestellt. Zusätzlich wurde der Fuhrpark für den Straßenbetriebsdienst von Meistereien analysiert und Vorgaben für die bauliche Infrastruktur zur Umrüstung auf alternative Antriebstechnologien aufgeführt. Die IT-Infrastruktur entspricht bei Straßen und Autobahnmeistereien einer kritischen Infrastruktur und ist aus diesem Grund besonders zu schützen. Bauliche Maßnahmen, welche bei der IT-Infrastruktur eingehalten werden müssen, wurden ausführlich dargestellt. 1. Einführung Die bis heute am weitesten verbreitete Definition der Nachhaltigkeit entstammt dem Brundtland-Bericht, wonach eine Entwicklung nachhaltig ist, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen [1]. Im Laufe der Jahre gewann die Nachhaltigkeit immer weiter an Bedeutung. Im Jahr 2015 haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die UN-Agenda 2030 verabschiedet. In der Agenda wurden 17 globale Ziele für eine nachhaltigere Entwicklung festgehalten, die „Sustainable Development Goals“ (SDGs). Diese Ziele richten sich weltweit an alle Regierungen, Zivilgesellschaften, Privatgesellschaften und die Wissenschaft. Sie sollen eine Grundlage für einen Fahrplan für eine nachhaltigere Zukunft darstellen, unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten. [2] Ziel des Nachhaltigen Bauens ist es, unterschiedliche Interessen von Stakeholdern in Einklang zu bringen und damit die an Gebäude gestellten, vielseitigen und komplexen Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Diese Gebäude haben lange Bestand und sind auf diese Weise zukunftssicher. Nachhaltiges Bauen stellt Anforderungen an die ökologische, soziokulturelle und ökonomische Qualität von Gebäuden. Diese drei Bereiche stammen aus der ursprünglichen Definition der Nachhaltigkeit, sie sind die drei so genannten Nachhaltigkeitsdimensionen. Mittlerweile wurde diese Definition durch verschiedene Querschnittsfunktionen wie z. B die Qualität der Planungs- und Bauprozesse sowie die technische Qualität ergänzt, die teilweise zuvor in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen integriert waren. Mit der zunehmenden Klimaerwärmung und deren Folgen wurden beispielsweise immer mehr Maßnahmen für eine klimaschonendere Entwicklung in der gesamten Gesellschaft entwickelt. Die Deutsche Klimastrategie sieht vor, bis 2045 die Klimaneutralität zu erreichen. Bis 2030 ist das Zwischenziel von einer Reduktion der Treibhausgase um 65 % in Bezug auf das Jahr 1990 zu erreichen. [3] <?page no="438"?> 438 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Betrachtet man die Treibhausgasemissionen in Sektoren aufgeteilt, wird deutlich, dass der Gebäudesektor einen wesentlichen Beitrag leistet. Insgesamt entstehen in Deutschland etwa 40 % der Treibhausgasemissionen beim Betrieb von Gebäuden [3]. Um das Ziel der Treibhausgasneutralität erreichen zu können, stellt die Reduktion der Treibhausgase verursacht durch Gebäude somit ein großes Potenzial dar. Dabei sollten Gebäude, welche von der öffentlichen Hand betrieben werden, als Vorbild dienen. Im Gebäudebereich haben sich sowohl zur besseren Planung, Umsetzung und Betrieb, aber insbesondere auch als Qualitätssicherung Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme entwickelt. Danach werden ökologische, ökonomische und soziale Aspekte mit Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus berücksichtigt. Meistens werden sie durch weitere Querschnittsfunktionen wie z.B. Prozesse und Standort ergänzt. 2. Ausgewählte Anforderungen von Meistereien Die Bundesfernstraßen und Landesstraßen in Deutschland werden von über 700 Autobahn- und Straßenmeistereien betreut, um die Verkehrssicherheit und Funktionsfähigkeit des Straßennetzes zu gewährleisten. Der Gebäudebestand der Straßenmeistereien ist im Durchschnitt 45 Jahre alt. Aufgrund der Altersstruktur der Meistereigehöfte gibt es heutzutage wie auch zukünftig einen hohen Bedarf an Modernisierungen bei den Bestandbauten und Neubauten bei Meistereigehöften. Bei diesen Maßnahmen wird sich an der aktuell geltenden Richtlinie für die Anlage von Meistereien (RAM) [4] aus dem Jahr 2014 orientiert. In der bestehenden Richtlinie sind jedoch keine konkreten Entscheidungsgrundlagen aus Nachhaltigkeitssicht enthalten. Straßen- und Autobahnmeistereien weisen durch ihr besonderes Nutzungsprofil eine hohe Komplexität auf. Durch die besonderen und vielfältigen Aufgaben des Straßenbetriebsdienstes ergeben sich Areale, auf denen Gebäude und Hallen unterschiedlichster Nutzungen stehen. Dazu zählen: Verwaltungsgebäude, Fahrzeughallen, Werkstatt, Salzhalle, Lager und Waschhalle. Entweder werden diese Gebäude als funktionale Einzelgebäude errichtet oder in einer Kompaktbauweise umgesetzt, bei der alle Funktionsbereiche in einem Komplex zusammengefasst sind. Bei Neubau und Sanierung von Meistereien ist eine Nachhaltigkeitszertifizierung mit den entsprechenden Nutzungsprofilen durchzuführen. Es ist ein Gesamterfüllungsgrad von mindestens 50 % zu erreichen, wobei eine höherwertige Auszeichnung des Nachhaltigkeitszertifikats von Vorteil ist. Die Zertifizierung sollte frühestmöglich begonnen und planungsbegleitend durchgeführt werden. Zertifizierungen bei Gebäuden im Betrieb sind anzustreben, da sie zur Optimierung des Betriebs und der strategischen Planung weiterer Maßnahmen eingesetzt werden können. Die verschiedenen Bereiche haben unterschiedliche Anforderungen. Beispielsweise sind der Verwaltungsbereich und die Werkstatt zu beheizen, während weitere Gebäude und Hallen des Straßenbetriebsdienstes nur teilweise auf 12 bis 15 °C geheizt werden, um ein Arbeiten in den Bereichen zu ermöglichen. Neben der Temperierung der Gebäudetrakte entsteht durch die Beleuchtung des Betriebshofes sowie der Gebäude und Hallen, das Laden der Batterien der Vorwarntafeln, der akkubetriebenen Maschinen und elektrisch betriebenen Fahrzeuge Bedarf an Elektrizität. Weitere Verbräuche werden durch die Nutzende verursacht. Durch das spezielle Nutzungsprofil entstehen in den Meistereien überdurchschnittlich hohe Wasserverbräuche. Dabei fallen die größten Wassermengen bei der Soleproduktion im Winterdienst und der eigenen Waschanlage an. Weitere Verbräuche entstehen z. B. durch die Bewässerung von Grünflächen im Zuständigkeitsbereich. In Meistereigehöften ist speziell durch die unterschiedlichen Nutzungen eine prozessorientierte Arbeitsweise zu unterstützen, um ein effizientes und erleichtertes Arbeiten der Mitarbeiter zu erreichen. Einerseits sind Arbeitsbereiche sinnvoll aufeinander abzustimmen, z. B. Platzierung der Stiefelwaschanlage, Ausstattung der Werkstatt etc. Andererseits sind Arbeitsgeräte so zu platzieren, dass sie mit wenig Aufwand eingesetzt werden können und möglichst wenig Platz benötigen. Weiterhin ist der Umgang mit den Fahrzeugen und die entsprechenden baulichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen, z. B. Vermeiden von Rückwärtsfahren und Wenden. Je nachdem, ob ein Neubau geplant ist oder es sich um eine Meisterei im Bestand handelt, sind unterschiedliche Blickwinkel notwendig. Optimal ist eine nachhaltig erstellte Meisterei im Betrieb weiter zu optimieren. Gesamtziel des Forschungsvorhabens war die Überarbeitung der aktuellen Richtlinie für die Anlage von Meistereien. Ziel ist es, die Planung, den Bau sowie den Gebäudebetrieb unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte durchführen zu können und somit die Projekte ganzheitlich zu planen und umzusetzen. Diese überarbeitete Richtlinie beinhaltet neben der baulichen und betrieblichen Ausgestaltung der Meisterei auch Vorgaben für die Fuhrpark- und IT-Infrastruktur. 3. Nachhaltige Planung von Meistereigehöften Nachhaltige Straßen- und Autobahnmeistereien sind aufgrund der Anforderungen unter den verschiedenen Aspekten der Nachhaltigkeitsdimensionen zu betrachten. Im Neubau gibt es mehr Möglichkeiten für eine nachhaltige Konstruktion, Betrieb und Rückbau. Je früher der Nachhaltigkeitsgedanke in die Planung integriert wird, desto geringer ist der Aufwand und die zugehörigen Kosten für ein möglichst nachhaltiges Gebäude. Bei bestehenden Gebäuden sind die Einflussmöglichkeiten geringer. Allerdings gibt es hier sowohl im Betrieb wie auch bei anstehenden Sanierungen, Instandsetzungsmaßnahmen und Umbauten zahlreiche Möglichkeiten. Dies betrifft insbesondere die Optimierung von Prozessen, Reduzierung von Verbräuchen und Abfällen, Zufriedenheit der Nutzenden etc. Jede Meisterei soll eine eigenständige gestalterische Identität aufweisen, die aus der Auseinandersetzung mit den <?page no="439"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 439 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften besonderen klimatischen, regionalen, landschaftlichen, topographischen und städtebaulichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Standortes zu entwickeln ist. Ziel der jeweiligen Objektplanung müssen neben den funktionalen, gestalterischen und konstruktiven Anforderungen stets auch ganzheitliche energie- und umweltschonende Lösungen sein. Die Anordnung der zu einer Meisterei gehörenden Gebäude, wie auch die innere Organisation und die konstruktivgestalterische Ausführung der einzelnen Baukörper, sind dabei so zu planen, dass niedrige Baunutzungskosten und Betriebsabläufe mit kurzen Wegen entstehen sowie die Berücksichtigung der Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes beachtet werden. Die nachfolgend genannten Funktionsbereiche können baulich zusammengefasst werden. Erweiterungen sollen möglich sein. Zusätzlich ist bereits bei der Planung die Ausrichtung des Gebäudes möglichst so zu wählen, dass eine optimale Belegung mit einer Photovoltaikanlage möglich ist. 3.1 Bauweise der Meisterei Ob eine Kompaktbauweise (keine Einzelgebäude, sondern lediglich ein großer zusammenhängender Gebäudekomplex) eine oder offene Bauweise (Meisterei besteht aus funktionalen Einzelgebäuden) gewählt wird, hängt meist von den Grundstücksgegebenheiten ab. Wenn die Größe und die Form des Grundstücks eine Kompaktbauweise zulassen, stellt diese Art der Bauweise die nachhaltigere Gestaltungsoption dar. Durch die Minimierung des Flächen-Volumen-Verhältnisses kann eine höhere Energieeffizienz sichergestellt werden und daraus resultierend geringere Betriebskosten. Zudem ergeben sich Einsparpotenziale bei den Baumaterialien, was im Hinblick auf die Rohstoffknappheit ein wichtiger Faktor darstellt. Weitere monetäre Einsparpotenziale ergeben sich aus kostengünstigeren Synergie-Effekten, die sich aus der Nutzung von mehreren Geschossen beim Bau ergeben. Bei der Technischen Gebäudeausstattung (TGA) werden durch die Kompaktheit des Gebäudes kürzere Leitungen benötigt, außerdem fallen die Leitungs- und Tief bauarbeiten zu weiteren Gebäuden auf dem Gehöft geringer aus. Daraus resultiert ein hohes Einsparpotenzial bei den Kosten. Angesichts des Flächenverbrauchs und der großen versiegelten Flächen bei Meistereigehöften ist speziell auf flächenschonende Bauweisen zu achten. Diese Thematik wurde bereits im vorherigen Kapitel ausgiebig erörtert. Durch die kompakte Bauform entstehen zwischen den einzelnen Funktionsbereichen kürzere Wege für das Personal. Da bei dieser Bauweise ein Großteil der durchgeführten Wege vor der Witterung geschützt stattfindet, wirkt sich das positiv auf die Arbeitssicherheit aus. Wichtig ist, dass trotzdem optimale Bedingungen für die Fahrzeuge des Betriebsdienstes herrschen. Dabei sollten möglichst wenige Rangiervorgänge stattfinden. Dies erleichtert das Fahren und erhöht die Arbeitssicherheit auf dem Gelände. Eine Umfahrbarkeit der Kompakthalle bzw. die Durchfahrbarkeit der Hallen (ggf. Einbahnstraßenregelung) sollte gewährleistet werden, sodass Rückwärtsfahrten größtenteils vermieden werden können. Abbildung 1: Gesamtansicht Straßenmeisterei in Kompaktbauweise Vorteil einer offenen Bauweise ist es, dass sich funktional getrennte Gebäude auch zu einem späteren Zeitpunkt flexibler erweitern bzw. zu anderen Funktionen ändern lassen. Wenn ein Neubau einer Meisterei geplant wird und die Größe und Form des Grundstücks eine Kompaktbauweise zulassen, stellt diese Art der Bauweise die zu bevorzugende Gestaltungsoption dar. Im Fall von Sanierungen auch mit Teilneubauten sollte eine bereits vorhandene Struktur beibehalten werden. Dabei können auch Formen zwischen Kompaktbauweise und offener Bauweise umgesetzt werden. Die Gehöftfläche sollte so gestaltet werden, dass Grünflächen, Dach- und Fassadenbegrünung die Biodiversität unterstützt. Diese Flächen sollten biologisch wertvoll gestaltet werden. Zusätzlich sollte darauf geachtet werden, so wenig Flächen wie möglich zu versiegeln. 3.2 Konstruktion und Baumaterialien Ein Gebäude besteht aus verschiedenen Bauprodukten mit unterschiedlichen Lebenszyklen. Es ist wichtig innerhalb dieser Hierarchien zu planen. Folgende Merkmale sind in Betracht zu ziehen: • Möglichst lange Lebensdauern • Reparierbarkeit und Wartungsfreundlichkeit • Trennung von Primärstruktur (Tragwerk), Sekundärstruktur (Hülle und Innenausbau) und die Tertiärstruktur (Gebäudetechnik), um bei einem Austausch von z. B. der technischen Ausstattung nicht erheblich in die Konstruktion eingreifen zu müssen • Tragende Wände möglichst vermeiden, um eine flexible Raumnutzung zu gewährleisten und andere Raumkonzepte gemäß geänderten Gegebenheiten einfacher umsetzen zu können. Weitere Maßnahmen zur zusätzlichen flexiblen Umnutzung des Gebäudes sind anzustreben, um das Gebäude mit den verbauten Ressourcen längst möglich nutzen zu können <?page no="440"?> 440 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Bei der Auswahl der Baumaterialien sollte der Klimaschutz, die Ressourcenschonung, der Schutz der Gesundheit und Umwelt durch Vermeiden von Schad- und Risikostoffen und das Beachten von nachhaltigen Lieferketten beachtet werden. Generell sollte das Gebäude immer im gesamten Lebenszyklus betrachtet werden. Damit ist auch der Rückbau eingeschossen. 3.3 Biodiversität fördern Auf dem Meistereigelände von Straßen- und Autobahnmeistereien gibt es zahlreiche Möglichkeiten, neben den großen versiegelten Flächen auch begrünte Ausgleichsflächen vorzuhalten und damit die Biodiversität zu fördern. Es ist möglich, die großen Hallendächer zu begrünen. Diese können entweder mit einer extensiven oder intensiven Dachbegrünung bestückt werden. Auch eine Fassadenbegrünung stellt hier eine Möglichkeit dar. Dabei sollte besonders auf die Schaffung wertvoller Verdunstungsflächen wertgelegt werden. Die Schaffung eines Solargründachs ist die Kombination eines Gründachs mit einer Photovoltaikanlage und stellt hier auch eine gute ökologisch wertvolle Möglichkeit zur Förderung der Biodiversität dar. Zusätzlich können auf dem Grundstück Grünflächen vorgehalten werden, die Biotope für heimische Flora und Fauna ermöglichen. Dabei sollte durch Vermeidung invasiver Pflanzenarten die heimische Flora geschützt werden. Das Pflanzen von Bäumen und Sträuchern wie zum Beispiel Obstbäume und -sträucher stellt dabei eine gute Grundlage dar. Zusätzlich wird dadurch ein Lebensraum für Tiere wie Vögel, Reptilien und Insekten geschaffen. Es können Nistkästen und Bienenhotels oder ähnliche Nisthilfen für die heimischen Tierarten eingerichtet werden. Abbildung 2: Streuobstwiese auf Gehöftsfläche (Bild: Cypra) 4. Anlagen zur Ver- und Entsorgung 4.1 Energieversorgung und erneuerbare Energien Nachdem alle Möglichkeiten der städtebaulichen Bestandssituation, Optimierung der Gebäudehülle und Optimierung der Nutzerenergie (Energiebedarf für Stromanwendungen, die zusätzlich zu den elektrischen Systemen zur Gebäudekonditionierung zum Einsatz kommen, z.B. batterie-elektrische Fahrzeuge, Aufzüge genauso wie hausinterne IT-Infrastruktur) ausgeschöpft wurden, kommen die Planung bzw. Prüfung der Versorgungssysteme zum Tragen. Dabei geht es darum, zu ermitteln, welche Versorgungssysteme für einen angepassten, geringeren Energie-bedarf optimal sind. Dabei sind sowohl die Effizienz des Umwandlungssystems, das notwendige Temperaturniveau als auch der CO 2 -Emissionsfaktor der eingesetzten Energieträger wesentliche Aspekte. Zur Bereitstellung der notwendigen Energie stehen u. a. folgende Möglichkeiten zur Verfügung: • Umweltenergie • Biomasse • Fernwärme/ Nahwärme • Solarenergie • Windkraft • Wasserstoff • Elektrische Energie (Strommix, erneuerbare Energien) Bei Neubau oder Sanierung sind alle möglichen Flächen sind mit Solarmodulen zu belegen. Die Dachkonstruktion ist entsprechend statisch auszulegen. Eine Kombination mit einer Dachbegrünung ist anzustreben, da dadurch der Wirkungsgrad der Module erhöht werden kann. Fassadenintegrierte Photovoltaik-systeme sowie der Einsatz von Solarthermie sind zu prüfen. Pufferspeicher sind vorzusehen, damit der Anteil der Eigennutzung u. a. auch für die Versorgung von Fahrzeugen maximiert und der Autarkiegrad erhöht werden kann. 4.2 Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Eine Reduzierung des Trinkwasserbedarfs und der Abwasserentsorgung senkt laufende Kosten. Darüber hinaus schafft ein hohes Maß an Wiederverwertung von Abwässern sowie die Nutzung lokaler Ressourcen (z.B. Niederschlagswasser) eine Unabhängigkeit von Preisschwankungen und Verfügbarkeit. Dadurch kann der Frischwasserverbrauch enorm gesenkt werden, da auch die Soleanlage für den Winterdienst mit Niederschlagswasser problemlos betrieben werden kann und keine Trinkwasserqualität aufweisen muss. Abbildung 3: Rigole zur Versickerung des überschüssigen Niederschlagwassers aus Zisterne (Bild: Cypra) <?page no="441"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 441 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Eine Zisterne zum Sammeln von Niederschlagswasser ist bei Meistereigehöften vorzusehen. Dabei ist ein sinnvolles Fassungsvermögen von mindestens 150 m³ anzustreben. Um möglichst hohe Frischwassermengen einzusparen, ist eine Versorgung möglichst vieler Bereiche im Straßenbetriebsdienst wie Wasser zur Soleherstellung für den Winterdienst, Waschwasser für die Fahrzeugreinigung oder Baumbewässerung und Grünflächenbewässerung zu erzielen. Überschüssiges Niederschlagswasser sollte in einer Rigole vor Ort versickern. 4.3 Heizung, Lüftung und Kühlung Die Gebäude sind soweit notwendig und in gefordertem Maß zu beheizen, belüften und kühlen. Beim Beheizen, Belüften und Kühlen des Gebäudes sind die lokalen Gegebenheiten und das Angebot an Ressourcen zu beachten. Dies könnten bereits vorhandene Fern- und Nahwärmenetze, mögliche Nutzung von Abwärme etc. sein. Weitere Synergieeffekte z.B. benachbarte Energieerzeuger sind zu nutzen. Die Konzepte sind auf einen klimaneutralen Betrieb auszurichten. Sollte dies nicht möglich sein, ist im Rahmen eines Klimaschutzfahrplans aufzuzeigen, wie bis spätestens 2045 oder gemäß den aktuellen gesetzlichen Anforderungen ein klimaneutraler Betrieb erfolgt. 4.4 Steuerung und technisches Monitoring Zur Regelung und Steuerung kommen entsprechende Systeme und Geräte zum Einsatz. Die verschiedenen Komponenten sind meistens über standardisierte Kommunikationssysteme miteinander vernetzt. Dadurch kann ein bedarfsorientierter und damit optimierter Betrieb der Gebäudetechnik mit Berücksichtigung des erforderlichen Nutzerkomforts umgesetzt werden. Daher ist ein technisches Monitoring anzustreben. Hierfür ist es schon in den frühen Planungsphasen notwendig, die entsprechende Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik einzuplanen. Dies bildet die Grundlage für die Soll-Ist-Analyse. Eine moderne und angepasste Mess- , Steuerungs- und Regelungstechnik in Verbindung mit der Gebäudeautomation ist heute die Basis für ein abgestimmtes Zusammenspiel von Gebäudearchitektur, Anlagentechnik und Raumkomfort. Trotz Automatisierung der meisten Abläufe ist die individuelle Eingriffsmöglichkeit durch den Menschen weiterhin Ziel von Gebäudekonzepten. Spezielle Anwendungen setzen auf vorausschauende Steuerung der Gebäudetechnik. So werden automatisch Bauphysik, Wettervorhersagen, Personenbelegung und Nutzerverhalten etc. vorausschauend einbezogen und die Gebäudetechnik nutzerorientiert gesteuert. Diese Anwendungen ermöglichen weitere Ressourcen- und Kosteneinsparungen und sind daher in jedem Neubau und Sanierungsprojekten zu prüfen. 5. Funktionsbereiche einer Meisterei Straßen- und Autobahnmeistereien bestehen aus vielen einzelnen Nutzungsbereichen, die die verschiedenen Aufgaben des Straßenbetriebsdienstes widerspiegeln. 5.1 Räume für Verwaltung, Betrieb und Technik Räume sollten gemäß den Anforderungen der Meisterei bemessen und so konzipiert werden, dass diese im Bedarfsfall in ihrer Funktion zukünftig umgenutzt werden können. Die Räume sollten für ein positives Arbeitsumfeld ansprechend gestaltet sein. Die barrierefreie Gestaltung des Verwaltungsbereiches ist zu gewährleisten. Dazu ist auch gegebenenfalls ein Aufzug zu installieren oder dessen nachträgliche Installation baulich vorzusehen. Bei der Ausstattung der Büroräume sollte auch der Raumkomfort betrachtet werden. Dabei spielt die Ausrichtung des Verwaltungsgebäudes eine wichtige Rolle. Bei einer Süd-Ausrichtung können sich die Büroräume im Winter durch die Sonne aufwärmen und Heizkosten eingespart werden. Zusätzlich werden gute natürliche Lichtverhältnisse geschaffen. Es wird empfohlen, eine außenliegende Verschattung an den Fenstern zu installieren. Diese sollten individuell gesteuert werden können. Durch die Verschattung wird die Auf heizung der Räume im Sommer vermindert. Außerdem sollte bei der Einrichtung auf ergonomische Büromöbel geachtet werden. Abbildung 4: Südwestlich ausgerichtetes Büro des SM- Leiters mit Außenjalousie (Bild: Cypra) 5.2 Fahrzeughalle Die Gestaltung der Stände für die Fahrzeuge unterscheidet sich hinsichtlich der Bauart zwischen Kompaktbauweise oder offener Bauweise. Bei einer Kompaktmeisterei werden die Groß- und Kleinfahrzeuge gemeinsam in einer Fahrzeughalle abgestellt. In die Fahrzeughalle wird in der Regel durch ein Tor gefahren und die Halle wird durch ein weiteres Tor verlassen. Bei den Anforderungen gelten bei der Fahrzeughalle die Abmessungen der Tore und lichten Raumhöhen der Großfahrzeuge. Bei funktional getrennten Gebäudeteilen gelten die für die Fahrzeuggruppen jeweiligen Abmessungen und Anforderungen. Besonders bei den Großfahrzeugen des Straßenbetriebsdienstes sollten Rückwärtsfahrten vermieden werden. Durch das Vermeiden von Rückwärtsfahrten wir das Risiko für Unfälle auf dem Betriebsgelände des Straßenbetriebsdienstes erheblich minimiert. <?page no="442"?> 442 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Abbildung 5: Fahrzeughalle im Einbahnstraßenverkehr mit Materiallager (Bild: Cypra) Abbildung 6: Fahrzeughalle im Zweirichtungsverkehr mit Materiallager (Bild: Arnold, SM Merzig) Alle Fahrzeuge des Straßenbetriebsdienst sollen einen eigenen Platz in der Fahrzeughalle erhalten. Grundsätzlich sollte es möglich sein, typische Fahrzeugkombinationen (z.B. Arbeitsstellensicherung, Anbaukombinationen im Sommer- und Winterdienst) in der Fahrzeughalle abzustellen. Für batterieelektrisch betriebene Kleinfahrzeuge, fahrbare Absperrtafeln und Geräte sind aus-reichend Ladepunkte in der Fahrzeughalle im Abstellbereich vorzusehen. Die Zusammensetzung und Dimensionierung der Lade- und Betankungsinfrastruktur für die Betriebsdienstfahrzeuge richten sich nach dem tatsächlichen oder geplanten Bestand an Fahrzeugen und der Zusammensetzung des Fuhrparks gemäß Maßnahmenkatalog M7 [5]. Hier vor allem ist der Winterdienst entscheidend, da dieser den mit Abstand höchsten Energiebedarf unter den Einsätzen vorweist. Bei der Planung der Lade- und Betankungsinfrastruktur sind zudem die organisatorischen Gegebenheiten (eigene Durchführung des Winterdienstes oder Vergabe an Auftragnehmer) zu beachten. Die zukünftige Energieversorgung der Betriebsdienstfahrzeuge ist gegenwärtig schwer vorhersehbar. Gegenwärtig zeichnen sich folgende Energiearten ab: - batterieelektrische Antriebe oder oder - Antriebe mit Wasserstoff (als Verbrenner oder über Brennstoffzelle) Bei einem Neubau sollte diese Infrastruktur für eine Nachrüstung planerisch einbezogen werden. 5.3 Waschhalle, Außenwaschplatz Die Waschhalle und der Außenwaschplatz dient der Reinigung von Fahrzeugen und Geräten, insbesondere nach Winterdiensteinsätzen. Abbildung 7: Außenwaschplatz ausgestattet mit einer Rampe (Bild: Cypra) Zum Betreiben der Waschplätze eignet sich Wasser aus einer Regenwasserzisterne sehr gut und es kann kostbares Trinkwasser gespart werden. Der Außenwaschplatz für die Grobreinigung der Fahrzeuge ist in ausreichender Größe vorzusehen. Damit Fahrzeuge auch von unten gereinigt oder konserviert werden können, ist der Außenwaschplatz mit einer Rampe bzw. geeigneter Hebeanlage auszuführen. Falls sich ein Gebäude direkt beim Außenwaschplatz anschließt, ist bei der Gestaltung der Fassade darauf zu achten, dass diese leicht zu reinigen und schmutzabweisend ist. Zudem muss beim Außen-waschplatz im Winter darauf geachtet werden, dass der Boden eisfrei gehalten wird, um ein Ausrutschen zu verhindern. Außenwaschplatz und Waschhalle befinden sich bestenfalls in direkter Nähe zueinander. Die Waschbereiche haben eine ausreichende Größe aufzuweisen, sodass ein Fahrzeug mit An- und Auf bauten gereinigt werden kann 5.4 Werkstattbereich Der Werkstattbereich besteht aus der Werkstatt, in welcher sich eine Hebevorrichtung und/ oder einer Inspektionsgrube für Fahrzeuge befindet sowie Arbeitsbereiche mit Werkbänken, Nebenräume der Werkstatt und das <?page no="443"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 443 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Büro des Werkstattleiters. Die Werkstatt kann bei der Kompaktbauweise an die Fahrzeughalle gekoppelt werden. Um die Höhe der Halle effizienter zu nutzen, kann der Bereich mit Ebenen ausgestattet werden. Abbildung 8: Lkw - Stempelhebebühne (Quelle: Hessen Mobil) 5.5 Streustofflagerung Für die Lagerung von Streustoffen für den Winterdienst kommen Streustoffhallen, Streustoffsilos oder eine Kombination daraus zur Anwendung. Im Bereich der Trockensalzlagerung ist auch die Infrastruktur zur Herstellung, Lagerung und Beladung der Sole vorzusehen. Grundsätzlich ist ein Soleerzeuger einzuplanen. Für die Dimensionierung der Trockensalzbevorratung ist der Leitfaden zur Dimensionierung von Tausalzlagern TAUSALA anzuwenden. Weitere Anforderungen und Ausstattungshinweise werden innerhalb der Regelwerke „Hinweise für die Lagerung und Beladung von Streustoffen für den Winterdienst (H LaStreu)“ und „Hinweise für die Beschaffung und den Betrieb von Soleanlagen für den Winterdienst (H SolA)“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) erläutert. Für die Soleherstellung ist Niederschlagswasser aus der Zisterne zu verwenden. Für den Fall, dass das gesammelte Niederschlagswasser nicht ausreicht, ist auch ein Trinkwasseranschluss vorzusehen. Zur Erfassung des Trinkwasserverbrauchs für die Soleerzeugung ist ein separater Zähler einzuplanen 6. Notversorgung Straßen- und Autobahnmeistereien müssen resilient gegen extreme Wetter- und Naturereignisse, bei Versorgungsengpässen oder Angriffen auf die Infrastruktur ausgerüstet werden. Zur Sicherstellung der Betriebsbereitschaft einer Meisterei im Falle eines Ausfalls der Stromversorgung ist die elektrische Infrastruktur für einen Notstrombetrieb zu planen und eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) vorzusehen. Diese soll derart dimensioniert sein, dass für 72 Stunden der Betrieb von • Notbeleuchtung • IT-Infrastruktur • Soleanlage für den Winterdienst • Betankungs- und Lademöglichkeiten für Fahrzeuge des Winterdienstes und der Herstellung einer ausreichenden Verkehrssicherheit • Betriebssprach- und Betriebsdatenfunk • Weitere notwendige Anlagenteile sichergestellt ist. Eine möglichst einfache Erhöhung der Kapazitäten, z.B. durch einen steigenden Elektrifizierungsgrad der Fahrzeugflotte, ist bei der Planung und durch vorbereitende Baumaßnahmen zu berücksichtigen. Eine CO 2 -arme Lösung, beispielsweise durch den Einsatz von Batteriespeichern und/ oder Brennstoffzellen, ist gegenüber fossilen Energieträgern zu präferieren. 7. Fazit Es zeigt sich, dass es bei Straßen- und Autobahnmeistereien als Teile des Gebäudesektors große Einsparpotenziale insbesondere im Hinblick auf Energie- und Wasserverbrauch gibt. Durch eine nachhaltige Planung und Umsetzung sowie nachhaltiger Betrieb einer Meisterei können in allen Bereichen Fehler vermieden werden, die zu besseren Abläufen und Einsparungen sowie Reduktion der Kosten führen. Mit Hilfe von Benchmarks ist man in der Lage, Ziele zu setzen und Vergleiche mit anderen Meistereien durchzuführen. Erkenntnisse aus Kontakten mit Meistereien haben gezeigt, dass bereits zahlreiche Konzepte, Maßnahmen und Ideen bestehen und diese auch umgesetzt werden. Diese Vorzeigeprojekte sind weiter anzuwenden und zu übertragen. Durch die Spezialfunktion deckt die Meisterei verschiedene Bereiche ab, die einerseits die Komplexität erhöhen, andererseits aber auch Potenziale birgt. Diese Spezialfunktion hat auch ihre Grenzen. So kann eine Straßenmeisterei nicht ohne Weiteres selbst erzeugten Strom einspeisen. Es ist wichtig, neben den drei Nachhaltigkeitsdimensionen auch die Querschnittsfunktionen wie z. B. Prozesse zu berücksichtigen. Gerade bei Meistereien gibt in diesem Bereich hohe Anforderungen und gute Optimierungsmöglichkeiten. Mit Nachhaltigkeitsbewertungen und -zertifizierungen können die bestehenden positiven Bemühungen aufgezeigt und erforderliche Maßnahmen identifiziert werden. Die SM Merzig wurde als erste Straßenmeisterei in Deutschland bereits mit dem Nachhaltigkeitszertifikat „Gebäude im Betrieb“ der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifiziert. Dadurch wurden aktuelle Gegebenheiten wie z.B. Verbräuche erfasst und Ziele zur Erreichung der Klimaneutralität formuliert. <?page no="444"?> 444 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Nachhaltige Planung und Gestaltung von Meistereigehöften Abbildung 9: Gemeinschaftsfläche im Außenbereich (Bild: Cypra) Literatur [1] Hauff V. (1987): Unsere gemeinsame Zukunft: der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Eggenkamp, Greven. [2] Vereinte Nationen; UNRIC - Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen (Hrsg.): Ziele für nachhaltige Entwicklung. Online verfügbar unter https: / / unric.org/ de/ 17ziele/ , zuletzt geprüft am 04.11.2020. [3] Die Bundesregierung (2021): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: Weiterentwicklung 2021. Berlin. [4] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen; Richtlinie für die Anlage von Meistereien, RAM; FGSV Verlag. Köln, 2014. [5] Bundesministerium für Digitales und Verkehr. (2013) Maßnahmenkatalog M 7: Teil: Management der Fahrzeug- und Geräteausstattung für den Straßenbetriebsdienst. Bonn. <?page no="445"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 445 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Dr.-Ing. Ute Stöckner Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen, Karlsruhe Prof. Dr. Susanne Kytzia Ostschweizerische Fachhochschule, Rapperswiel, Schweiz DI. Marco Conter AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Prof. Dr. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe, University of Applied Sciences Zusammenfassung Lärmschutzanlagen werden in Deutschland seit den 1970er Jahren errichtet. Zunächst rückte die Flexibilisierung bei der Herstellung, Errichtung und Erhaltung dieser Infrastrukturbauten in den Vordergrund. Aus Gründen des nachhaltigen Ressourceneinsatzes wird heute unter dem Stichwort Dekarbonisierung verstärkt der Fokus auf entstehende Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) gelegt. Potenziell als nachhaltig eingestufte am Markt verfügbare Lärmschutzanlagen sind daher zur Entscheidungsfindung für Baulastträger auch rechnerisch vergleichend zu betrachten. Im Ergebnis fokussiert der Beitrag auf einen modularen Modellauf bau als Systemansatz zur Berechnung von THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen. Es werden damit kritische Einflußgrößen bei der Berechnung offengelegt, so dass deren Sensitivität im jeweiligen Einzelfall geprüft werden kann. Zugleich ermöglicht es der vorgeschlagene Modellaufbau, dass zukünftig eine Fortschreibung der Berechnungsgrundlagen zur THG-Ermittlung bei z. B. einer Erweiterung der eingesetzten Materialien erfolgen kann. 1. Einführung Lärmschutzanlagen (LSA) werden in Deutschland seit den 1970er Jahren errichtet. Steigendes Verkehrsaufkommen und wachsende Sensibilisierung der Bevölkerung führen bis heute zu einem stetigen Ausbau der Lärmschutzinfrastruktur [1], [2], [3], vgl Abbildung 1. Abb. 1: Entwicklung von Lärmschutzanlagen an Bundesfernstraßen (eigene Darstellung nach [3]) Zunächst rückte die Flexibilisierung bei der Herstellung, Errichtung und Erhaltung dieser Infrastrukturbauten in den Vordergrund. Aus Gründen des nachhaltigen Ressourceneinsatzes wird heute unter dem Stichwort Dekarbonisierung verstärkt der Fokus auf entstehende THG- Emissionen gelegt. Die nachfolgend dargelegten Ergebnisse entstammen dem laufenden FFG-Forschungsprojekt DeCarboNoise (10/ 2022-09/ 2025), welches sich zum Ziel gesetzt hat einerseits eine vollständige Bilanzierung des THG-Fußabdruckes in der Lebenszyklusbetrachtung vorzunehmen und andererseits das Anlagenspektrum um eine Betrachtung als umweltfreundlich bezeichneter Anlagen zu erweitern. 1.1 Stand des Wissens Treibhausgasemissionen für Lärmschutzsysteme wurden erstmalig im Projekt QUIESST [4] abgeschätzt im Rahmen einer Multi-Kriterien-Analyse für 13 verschiedene Typen von Lärmschutzsystemen. ([5], [6]) schätzen Treibhausgasemissionen im Rahmen einer Nachhaltigkeitsbewertung für Paneele von Lärmschutzwänden aus Metall, Beton und Holz. [7] publizierten eine Analyse der Treibhausgasemissionen für Lärmschutzsysteme für den Schienenverkehr und [8] . Im Rahmen des Projekts PROCEEDR [9] wurden Instrumente zur Schätzung von Treibhausgasemissionen entwickelt. Weitere Datengrundlagen sind aber nur als Auftragsstudien oder Masterarbeiten veröffentlich ([10], [11], [12], [13] und [14]). Die Ergebnisse dieser Studien sind nicht vergleichbar, da sie von unterschiedlichen funktionalen Einheiten und Systemgrenzen ausgehen. Nur wenige Studien betrachten das gesamte Lärmschutzsystem (inkl. Fundation); anderen Studien betrachten nur Lärmschutzwände in Modulbauweise (ohne <?page no="446"?> 446 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Fundation). Einzelne Studien analysieren nur die Treibhausgasemissionen der Paneele. Die Datengrundlagen sind nicht transparent dokumentiert; es fehlen teilweise Angaben zu den Dimensionen der Bauwerke, zur Materialzusammensetzung und/ oder den verwendeten Ökobilanzdaten. Auf dieser Grundlage ist eine Verwendung dieser Daten zur Entscheidungs-unterstützung in der Planungspraxis nicht möglich. Hier setzt das Projekt DECARBONOISE an mit einem modular aufgebauten Modell zur Schätzung von Treibhausgasemissionen von Lärmschutzsystemen. 1.2 Ausgangslage Im trinational finanzierten Projekt (D-A-CH: Deutschland, Österreich, Schweiz) DECARBONOISE werden Lärmschutzanlagen (LSA) betrachtet, welche Lärmschutzwände und Lärmschutzwälle (inklusive Steilwälle) beinhalten. Tröge, Einhausungen und Tunnel werden als Sonderbauwerke mit zusätzlichen Anforderungen nicht betrachtet, ebenso tiefe Bewuchsstreifen („Grünstreifen“), welche keine Bauwerke darstellen. Damit lassen sich die Lärmschutzsysteme nach ihrer Bauweise in folgende Typen unterteilen: - Modulbauweise mit Pfostensystem (fundamentiert); - Massivbauweise - Begrünte Steilwälle (Tragkonstruktion vorhanden/ konstruktiver Einsatz der Bepflanzung) - Lärmschutzwälle (Schüttung, mit/ ohne Böschungsbefestigung) Betrachtet werden darüber hinaus Kombinationen aus Wand und Wall. In einer Marktrecherche wurde ermittelt, welche -gegenüber konventionellen Systemenpotenziell als nachhaltig anzusehende Lärmschutzsysteme am Markt verfügbar sind bzw. deren Einsatz kurzbis mittelfristig zu erwarten ist. Hierzu konnten insbesondere begrünte Steilwälle identifiziert werden: Diese Wälle werden konventionell mit schräg versetzt gestapelten erdverfüllten begrünten Trögen erstellt, deren Tragkonstruktion zumeist aus Betonfertigteilen besteht. Die Alternative wird bis 12 m Höhe aus vollbegrünter bewehrter Erde hergestellt; sie kann mit und ohne Photovoltaik ausgebildet werden; ein Beispiel zeigt Abbildung 2. Abb. 2: Bewehrte Drahtgitterwand (Steilwall) mit und ohne Photovoltaik [Quelle: RAU Geosystem Süd GmbH] Eine Kombination von Lärmschutz und Photovoltaik ist zum einen standort- und expositionsabhängig, darüber hinaus dort interessant, wo Stromabnehmer vorhanden sind. Im Rahmen des Projektes DECARBONOISE wurde im ersten Quartal 2024 eine Umfrage bei Infrastrukturbetreibern im D-A-CH-Raum durchgeführt, die aufgrund der Rückmeldungen als nicht repräsentativ angesehen wird (vgl. auch Abschnitt 2.2). Obwohl darin Antwortgebende berücksichtigt werden, welche durch ihre Teilnahme als gegenüber Neuerungen und Pilotprojekten potenziell eher aufgeschlossen eingeschätzt werden, geben nur 28 % der Befragten an, dass es in ihrer Verwaltungseinheit LSA gibt, welche mit Photovoltaik kombiniert sind; bei mehr als zwei Drittel der Befragten ist dies nicht der Fall. Befragt nach den Bautypen der LSA im Verwaltungsbereich der jeweiligen Antwortgebenden zeigt sich, dass erste „grüne“ LSA zwar errichtet wurden, konventionelle LSA in Massiv- und klassischer Modulbauweise jedoch neben den ebenfalls traditionell-klassisch errichteten Lärmschutzwällen deutlich dominieren (vgl. Abbildung-3). <?page no="447"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 447 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Abb. 3: Lärmschutzanlagen nach Typ (Quelle: Umfrage DECARBONOISE) 2. Lebenszyklus von Infrastrukturanlagen Der Lebenszyklus von Infrastrukturanlagen kann mit nach Hilfe der DIN EN 17472: 2024-06 beschrieben werden (vgl. Abbildung 4). Abb. 4: Lebenszyklusmodule von Ingenieurbauwerken eigene Darstellung nach [15] <?page no="448"?> 448 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Sie geht von den geforderten technischen Merkmalen und Eigenschaften sowie Funktionalitäten des Ingenieurbauwerks aus, seiner „funktionalen Äquivalenz“. Für eine vergleichende Analyse von Lärmschutzsystemen wird daher im weiteren davon ausgegangen, dass jeweils alle betrachteten Varianten die Mindestvorgaben für die zu erreichende Lärmminderung im relevanten Lärmimmissionsgebiet erfüllen. Für die THG-Analyse der Lärmschutzsysteme werden die Mengen aller Werkstoffe und Produkte quantifiziert, die im gesamten Lebenszyklus verwendet werden. Grundlage bildet die Konstruktionsbeschreibung (vgl. Abschnitt-3.1). Eine geforderte Nutzungsdauer wird als Referenz-Betrachtungszeitraum für den gesamten Lebensweg betrachtet. Die Systemgrenzen der Analyse schließen alle vorgelagerten und nachgelagerten Prozesse ein, welche benötigt werden, um die Funktion(en) des Lärmschutzsystems zu erfüllen und aufrecht zu erhalten. Im Projekt DECAR- BONOISE werden die folgenden Module des Lebenswegs gemäss DIN EN 17472 berücksichtigt: Herstellungsphase (A1-3), Errichtungsphase (A4-5), Nutzungsphase (B1-5) und Entsorgungsphase (C1-4). Eine mögliche Stromerzeugung mit PV-Modulen wird als Teil von Modul D betrachtet, das Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenzen ermöglicht. Die Bewertung der Umweltwirkungen von Lärmschutzsystemen fokussiert auf das Treibhausgaspotenzial durch Emissionen und Bindung von fossilem Kohlenstoff (GWP fossil). Es wird beschrieben durch ein gewichtetes Mittel aller Treibhausgasemissionen im Lebensweg des Bauwerks, ausgedrückt in Kilogramm CO 2 Äquivalent. Gewichtungsfaktor ist die relative Wirkung des Gases auf den Treibhauseffekt im Verhältnis zur Wirkung von Kohlendioxid. 2.1 Materialien Bisherige Studien zu Treibhausgasemissionen fokussierten auf Lärmschutzsysteme in Modulbauweise und vergleichen Wandpaneele aus unterschiedlichen Materialien (z. B. Holz und Beton). Dabei werden nur teilweise auch die Pfosten mit bilanziert. Bei häufig eingesetzten Materialien wie Beton oder Stahl sind Daten zu den Treibhausgasemissionen von Herstellung und Entsorgung in öffentlich zugänglichen Datenbanken wie den Ökobilanzdaten im Baubereich in der Schweiz oder der ÖKOBAU- DAT in Deutschland angegeben. Für Materialien, die ausschließlich für Lärmschutzwände eingesetzt werden, kann auf Umweltproduktdeklarationen zurückgegriffen werden (z. B. [16], [17], [18], [19] und [20]). Vereinzelt stehen auch Studien zur Verfügung, die von Herstellern von Lärmschutzsystemen in Auftrag gegeben wurden [11]. In Verbindung mit den Betrachtungen der Wand- oder Wand-Pfosten-Systeme und ohne ausdrückliche Betrachtung der Fundation ergeben sich relative, projektbezogene Entscheidungshilfen, die Betrachtungsweise erlaubt jedoch z. B. keinen Vergleich mit neuen Materialien: Bereits realisierte prototypische Anwendungen von Wandpaneelen aus Holz in Kombination mit Schilf, Lehm und/ oder Hanf können nicht den Betrachtungen gegenübergestellt werden und bleiben damit vernachlässigt, ebenso wie z. B. schallabsorbierende Hanffüllungen in Holz- oder Aluminiumkassetten (vgl. Abbildung 5). Abb. 5: Prototypische LSA aus. Schilf-Lehm-Kombination im Holzrahmen bzw. Lehm [Fa. REEDuce; Alhambra-Projekt in Nebellin/ Deutschland] 2.2 Aufwendungen im Betrieb Aufwendungen im Betrieb von Lärmschutzsystemen werden in den bisher veröffentlichen Studien entweder vernachlässigt oder grob abgeschätzt ([10], [11] und [12]). Es wurde meist nur der Ersatz von kleineren Teilen einzelner Bauteile der Lärmschutzsysteme pauschal berücksichtigt. Keiner der Studien liegen empirische Daten zu den Aufwendungen im Betrieb zugrunde. Bisher regelmäßig ebenfalls vernachlässigt wurden bei den Treibhausgasbetrachtungen von Lärmschutzanlagen die Emissionen während der Betriebsphase (u. a. [8]). Diese entspricht nach [15] den Modulen B3 bis B8. Dem Straßenbetrieb werden davon die Teile B6 (Energieeinsatz für den Betrieb) und B7 (Wassereinsatz für den Betrieb), B2 (Instandhaltung), B3 (Reparatur), zugerechnet. Abb. 6: Abgrenzung von Straßenbetrieb und Straßenunterhalt nach [21: 12]. Der Grenzfall B4 (Austausch/ Ersatz) entspricht der unscharfen Abgrenzung „bauliche Unterhaltung“ in und nur unter Hinzuziehung der Erläuterungen zu Abbildung 6. Daher werden im Folgenden die Teile B4 (Austausch/ Er- <?page no="449"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 449 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen satz) sowie Teil B5 (Erneuerung) der DIN EN 17472 dem Baulichen Unterhalt zugerechnet [21] 1 . Beide Aspekte der Nutzungsphase wurden im Rahmen des Projektes DeCarboNoise mittels Umfrage vertieft untersucht (vgl. Abschnitt 1.2 und ff.). 2.2.1 Baulicher Unterhalt Grundsätzliche Untersuchungen hierzu wurden vorgelegt in [22) sowie [23]. Es werden neben den „klassischen“ Lärmschutzanlagen (Massivbauweise, Modulbauweise) auch begrünte LSA wie z. B. bewehrte Drahtgitterwände mit Erdfüllung und Steilwälle grundsätzlich thematisiert; es werden neben der Schadenerfassung grundsätzliche Hinweise zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit der Anlagen gegeben (Vermeidung von Baumängeln, visuelle Kontrolle der akustischen Dichtheit etc.) ohne auf einen zeitlichen Bezug näher einzugehen. Auch aus der o. g. Umfrage heraus lassen sich keine verallgemeinerbaren Reparaturbzw. Ersatzansätze ableiten, da sowohl Lage und Exposition als auch streckenabhängige Unfallgefahr i.V. mit der Ausstattung von Anprallvorrichtungen bis hin zu Schäden, die durch den Winterdienst verursacht werden, hier Einfluß nehmen. Für klassische LSA können betreiberabhängig eigene Erfahrungswerte für die Module B2 bis B4 angesetzt werden, deren THG-Fußabdruck sich an denen der Herstellungs- und Entsorgungsberechnung orientiert. Hinsichtlich der potenziell als nachhaltig eingeschätzten LSA (Hanffüllung, Lehm/ Schilf bauweisen) fehlen für die errichteten Prototypen Erfahrungswerte, die durch Langzeitbeobachtung nun gewonnen werden können. Für bereits seit bis zu 20 Jahren am Markt erhältliche drahtbewehrte grüne Steilwälle wurden keine Erfahrungswerte für den baulichen Unterhalt ermittelt: Nach Angaben der Hersteller werden nach der Anwuchsphase (Module B6 und B7) keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Die Maßnahmen der Anwuchsphase werden von 1 Erläuternd ist Abb. 6 im Original hinzugefügt: „D. h., Straßenerhaltung wird nur dann dem Straßenbetrieb zugerechnet, wenn es sich um Maßnahmen geringen Umfangs handelt und diese vornehmlich aus Gründen der Verkehrssicherheit sofort bzw. schnellstmöglich nach Auftreten eines Schadens oder Mangels ausgeführt werden (=Bauliche Unterhaltung). Alle größeren Erhaltungsmaßnahmen, die der Bewahrung und/ oder Wiederherstellung der Substanz dienen (Straßeninstandsetzung und -erneuerung), sind nicht dem Straßenbetrieb zuzurechnen.“ [21: 12]. den Infrastrukturbetreibern regelmäßig zusammen mit der Ausschreibung auf den Hersteller übertragen und gehen daher nicht in die Betrachtung der Betriebsphase ein. Es werden damit für drahtbewehrte grüne Steilwälle ebenso wie für alle LSA mit konstruktivem Einsatz der Begrünung (z. B. Living-Wall-Paneele) keine Aufwendungen für den baulichen und auch nicht für den betrieblichen Unterhalt (vgl. Abschnitt 2.2.2) angesetzt (Module B3 bis B5 sowie B8). 2.2.2 Straßenbetriebsdienste Im Gegensatz zu den LSA mit konstruktivem Einsatz der Begrünung wurde im Rahmen der o. g. Umfrage deutlich, dass LSA aus Holz nicht nur mit einer kürzeren Lebenserwartung (vgl. Abschnitt 2.3.1) sondern auch als pflegeaufwändiger eingestuft werden: Gegenüber klassischen LSA werden eine vermehrte Kontrolle und auch häufigere Kleinreparaturen benannt, jedoch nicht quantifiziert. Begründet werden die Aufwendungen mit der Ritzenbildung durch Schwinden und Verformung des Materials, Beschädigung durch Tiere und resultierende Schäden durch Bewuchs. Insgesamt zeigte sich im Rahmen der o.g. Umfrage, dass klassische begrünte LSA gegenüber solchen ohne Bewuchs einen erhöhten Pflegeaufwand nach sich ziehen. Dies steht in Verbindung mit dem erwünschten Pflanzenwachstum, das jedoch zur Entstehung und Vergrößerung von schallausbreitungsrelevanten Ritzen bis hin zum akustischen Versagen Einfluss auf die LSA nehmen kann. Die Entfernung unerwünschten Bewuchses zur Vermeidung von Schäden an Bauteilen oder der Funktionstüchtigkeit des Bauwerks ist daher erforderlich (vgl. [22], [24]. In der Umfrage allgemein bestätigt werden die in Abbildung 7 genannten Ansätze zu Betriebsaufwendungen für Lärmschutzanlagen, soweit sie die Grünpflege betreffen: <?page no="450"?> 450 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Abb. 7: Betriebsaufwendungen für Lärmschutzanlagen (Quelle: Umfrage DeCarboNoise) Daraus sind für die klassischen begrünten LSA die Betriebsaufwendungen mit einer mittleren Anfahrtsentfernung sowie durch Ansatz der Maschinenstunden aus der Grünpflege abzuschätzen. 2.2.3 Ergebnisse Zur Abbildung unterschiedlicher umfeldtypischer Randbedingungen wird für die THG-Ermittlung im Projekt DECARBONOISE zusätzlich eine Kategorisierung des Lagetyps bzw. der Exposition vorgeschlagen, welche durch Abbzw. Aufschläge auf die Berechnungswerte räumliche Besonderheiten berücksichtigt. Zur Kategorisierung des Lagetyps gehören z. B. Arbeiten im alpinen Bereich bzw. starke Hanglage, die erhöhte Aufwendungen im Handling (Sicherung, Maschinenpark) nach sich ziehen. Als weiterer Punkt werden erhöhte Anforderungen an den Pflegezustand berücksichtigt, welche in Bereichen mit Rastanlagen bzw. Wohn- und Freizeitnutzung gestellt werden. Einen dritten Aspekt könnte die Lage von fraßbzw. grabempfindlichen Bauteile darstellen. Zur Exposition des Lagetyps gehören Abschläge auf die angesetzte Lebensdauer (vgl. Abschnitt 2.3.1), die z. B. bei Waldlage infolge Verschattung etc. zur Berücksichtigung von wasserempfindlichen Bauteilen (Holzpaneele/ Paneelfüllstoffe) beiträgt. 2.3 Wesentliche Einflussgrößen 2.3.1 Lebensdauer Die Lebensdauer von Bauteilen kann als die kritische Einflußgröße auf die Beurteilung der verbundenen THG-Emissionen eines Bauwerks angesehen werden: Ihre Schwankung, die unmittelbar auf die Erneuerung von Bauwerken bzw. den Ersatz von Bauteilen einwirken, können positiv wie negativ das Zusammenspiel „passender“ Ersatzintervalle beeinflussen. Üblicherweise werden theoretische Lebensdauern als Ersatz verwendet, z. B. [25], [26]. 2.3.2 Modellgenauigkeit Aus den o.g. Ausführungen ist ersichtlich, dass die Körnigkeit des Modells bzw. die Feinheit der Auflösung seiner Bestandteile einen wichtigen Baustein zur Beurteilung der verbundenen THG-Emissionen darstellt. Damit verbunden ist die Aufgabe eines flexiblen Ansatzes zur Abbildung klassischer wie prototypisch-neuer und auch ggf. noch zu entwickelnder LSA. Damit soll auch zukünftig die Möglichkeit des Vergleichs von LSA-Typen für Infrastrukturbetreiber gewährleistet werden. 3. Ansatz im Projekt DeCarboNoise Die höchste Auflösung bilden die Konstruktionszeichnungen zur Bauausführung, die jedoch in ihrer Genauigkeit die derzeitigen Ansätze zur THG-Schätzung um ein Vielfaches übersteigen. Als zweckmäßig wird daher im Projekt DECARBONOISE ein gegenüber der zur Ausführung erforderlichen Konstruktionsplanung vereinfachtes Mo- <?page no="451"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 451 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen dell erachtet, welches die Grundkonstruktionselemente aufgreift, jedoch auf eine explizite Berücksichtigung von Schrauben und ähnlichen Kleinteilen verzichtet. 3.1 Modularer Modellansatz Die o.g. Zielsetzung zur Modellgenauigkeit führt zur Wahl eines objektorientierten Ansatzes gemäß bereits bestehender Bauteiltypisierung z. B. nach ASB-Ing [27] bzw. nach dem Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen (OKSTRA) [28]. 3.1.1 Betrachtete Modelle Gemäß der o. g. Gruppenbildung werden als Grundmodelle die LSA-Bauteile nach Bauweise unterschieden. Betrachtet werden Modulbauweise, Massivbauweise, Steilwall sowie Wall/ Damm und -als rechnerische Modellkombinationenauch Wall-Wand-Kombinationen (vgl. Abbildung 8). Unterschiedliche Mengenbzw. Bauteilzusammensetzungen können durch die geometrische Beschreibung der Teilobjekte abgebildet werden, in der Modulbauweise sind dies z. B. Volumina der Wandpaneele, Pfosten, Fundation, ggf. Abdeckung. Abb. 8: Modellauf bau (Objekte) der Lärmschutzanlagen 3.1.2 Parametrisierung Eine parametrisierende Objektbeschreibung in Anlehnung an die BIM-Methode erlaubt weiterhin eine Attributzuordnung zur Beschreibung von Objektbzw. Materialeigenschaften (vgl. [29]). Ein Beispiel möglicher Eigenschaften für die Modulbauweise zeigt Abbildung 9. Eine ergänzende Parametrisierung von Materialeigenschaften kann vorgenommen werden. Damit ermöglicht es der vorgeschlagene Modellauf bau, dass auch zukünftig eine Fortschreibung der Berechnungsgrundlagen zur THG-Ermittlung bei einer Erweiterung oder Veränderung der eingesetzten Materialien erfolgen kann. <?page no="452"?> 452 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Abb. 9: Beispiel zur Objektbeschreibung bei der Modulbauweise 3.2 Lebensdauer Im Ergebnis wird im Projekt DeCarboNoise der Ansatz verfolgt, dass auf Anwenderseite die Lebensdauer maßgebender Bauteile variiert werden kann (vgl. Abschnitt-4.3). Der Modellansatz bietet durch diese Variation die Möglichkeit eine Bandbreite erwartbarer Ergebnisse zu generieren, welche aufgrund der verbundenen Einflüsse aus z. B. zugrunde gelegtem Energiemix und Transportwegen (vgl. Abschnitt 4.4) bei der Einschätzung der Konsequenzen sinnvoll erscheint. Es werden damit kritische Einflußgrößen bei der Berechnung offengelegt, so dass deren Sensitivität im jeweiligen Einzelfall geprüft werden kann. 4. Erste Berechnungen Die nachfolgend dargestellten Berechnungen beziehen sich jeweils als modellbasierte Schätzung der Treibhausgasemissionen von Lärmschutzsystemen auf ein fiktives Beispiel, welches die o.g. Aufwendungen des Betriebs (Module B2, B3 und B6) noch vernachlässigt. Diese vergleichend betrachteten LSA haben jeweils die Dimension einer Länge von 40 Metern und einer Höhe von 4 Metern. Sie sind entlang einer geraden und ebenen Strecke errichtet und es wird eine geforderte Nutzungsdauer von 80 Jahren zugrunde gelegt. 4.1 Modellvalidierung Die Ergebnisse der modellbasierten Schätzung der Treibhausgasemissionen wird in Abbildung 10 dargestellt. Darin werden die genannten Bauweisen in folgenden Ausprägungen betrachtet: Modulbauweise (Pfosten und Paneele in Variation): Alle betrachteten Varianten haben eine Fundation mit einem Bohrpfahl von 4 m Länge mit Bohrpfahlkopf. Für die Pfosten werden Stahlträger verwendet. Es wird außerdem in allen Varianten angenommen, dass die Konstruktion ein Sockelelement aus Stahlbeton mit einer Höhe von 1,2 m verwendet, um den Spritzschutz zu erhöhen und die Konstruktion gegen aufsteigende Bodenfeuchte zu schützen. Es werden die folgenden Varianten für die darüberliegenden Paneele betrachtet: Holz, Beton, Aluminium, Schilf/ Lehm und Glas. Massivbauweise (Stahlbeton): Eine Massivbauwerk aus Stahlbeton, fundiert mit einem durchgehenden Streifenfundament. Als akustisches Element ist eine Vorsatzschale aus Holzbeton enthalten. Konstruktiv begrünter Steilwall (© „Umweltwand“): Exemplarisch für diese Bauweise wird ein System mit vollständig begrünten Drahtgitterwänden aus verzinktem Stahl mit Erdfüllung betrachtet, das auf einer Schottertragschicht errichtet wird. Erdwall: Hier wird von einem vollständig begrünten Erdwall ausgegangen, der nicht fundiert und nicht befestigt ist. Abb. 10: Treibhausgasemissionen unterschiedlicher Bauweisen (Beispiel) Die Ergebnisse stimmen mit [7aa], [8aa], [9aa], [10aa] und [11aa] überein in Bezug auf die relative Bedeutung der unterschiedlichen Phasen des Lebenswegs. Sie kommen übereinstimmend zum Schluss, dass die Materialherstellung am meisten zu den Treibhausgasemissionen beiträgt, in den Phasen A1-3 bzw. B4. Die Errichtung des Bauwerks, die Betriebsphase und die Entsorgung hingegen sind von untergeordneter Bedeutung. Ebenso stimmt die Rangordnung der Varianten ungefähr mit den anderen Studien überein. Auch [11aa] und [8aa] zeigen den Steilwall (V4) als Bestvariante (unter Vernachlässigung des Erdwalls in der vorliegenden Analyse). Die Modulbauweise mit Schilf-Lehm-Paneelen wird in [8aa] ebenfalls als drittbeste Variante eingestuft. Das Modell kann damit als validiert angesehen werden. 4.2 Variation der Fundation Der modulare Auf bau des Modells in DECARBONOISE unterstützt die Variation von einzelnen Bestandteilen des untersuchten Bauwerks. Als Beispiel wird für den Typ „Modulbauweise“ die Art der Fundation variiert. Für ein fiktives Bauwerk in Modulbauweise mit Holzpaneelen werden drei Typen von Fundationen modelliert: Bohrpfahlkopf mit Bohrpfahl aus Stahlbeton, Bohrpfahlkopf mit Mikropfählen sowie Einzelfundamente. <?page no="453"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 453 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Die Ergebnisse in Abbildung 11 zeigen, dass eine Fundation mit Mikropfählen im Vergleich zur Einzelfundation in dieser Variante des fiktiven Bauwerks 32 % der Treibhausgasemissionen im gesamten Lebensweg einspart und 16 % im Vergleich zur Fundation mit Bohrpfahl aus Stahlbeton. Abb. 11: Treibhausgasemissionen bei unterschiedlichen Varianten der Fundation (Beispiel) 4.3 Variation der Lebensdauer von Holzpaneelen Ebenso kann die Lebensdauer der einzelnen Bauteile variiert werden. Als Beispiel wird für den Typ „Modulbauweise“ mit Holzpaneelen die Lebensdauer der Paneele variiert. Es werden alternative Lebensdauern für die Paneele und die Abdeckung von 15 Jahren, 20 Jahren und 30-Jahren gewählt bei einer geforderten gesamten Nutzungsdauer des Lärmschutzsystems von 80 Jahren. Abb. 12: Treibhausgasemissionen von Holzpaneelen bei Ansatz unterschiedlicher Lebensdauern (Beispiel) Die Ergebnisse in Abbildung 12 zeigen, eine Verminderung der Treibhausgasemissionen im Lebensweg des fiktiven Bauwerks um 17 % bei einer Lebensdauer der Holzpaneele von 30 Jahren bzw, 9 % bei einer Lebensdauer von 20 Jahren beides im Vergleich zu einer Lebensdauer von 15 Jahren. 4.4 Variation der nationalen Ökobilanzdaten Die Ergebnisse der modellbasierten Abschätzung der Treibhausgasemissionen hängt auch von den Datengrundlagen ab, die häufig länderspezifisch zur Verfügung gestellt werden. Unterschiede ergeben sich vor allen durch: i. länderspezifische Strommodelle: Die Strombereitstellung wird häufig aufgrund eines länderspezifischen Strommixes modelliert. In Deutschland führt die Stromherstellung beispielsweise zu höheren THG- Emissionen als in der Schweiz, weil der Anteil der Kohlekraftwerke höher ist. Das wirkt sich für alle Baumaterialien aus, deren Herstellung zu einem Stromverbrauch führt. ii. unterschiedliche Anteile von Sekundärmaterialien bei der Herstellung von Baustoffen: Dieser Anteil ist beispielsweise in der Schweiz höher als in Deutschland für Armierungseisen und Beton, da mehr Bauabfälle hochwertig wiederverwertet werden. iii. unterschiedliche Transportdistanzen in der Produktionskette: Die THG-Daten für Baumaterialien enthalten auch Transporte entlang der Wertschöpfungskette, z. B. den Transport von Holz bis zum Sägewerk. Diese Transportdistanzen können länderspezifisch variieren. Die Ergebnisse in Abbildung 13 zeigen, wie sich die Unterschiede länderspezifischer Datengrundlagen auswirken. Als Beispiel wurde hier ein Lärmschutzsystem in Modulbauweise mit Betonpaneelen der Berechnung zugrunde gelegt. Mögliche Unterschiede in den Transportdistanzen wurden vereinfachend vernachlässigt. Abb.-13: Veränderung der berechneten Treibhausgasemissionen aufgrund der Anwendung länderspezifischer Daten aus Österreich und der Schweiz (Beispiel) In diesem Beispiel fallen die Treibhausgasemissionen im Lebensweg in Österreich um rund 20 % höher aus als in der Schweiz - bei gleichen Annahmen zum Bauwerk (Materialisierung und Lebensdauern) und den Transporten. 5. Schlussfolgerungen und Ausblick Es konnte gezeigt werden, dass mit dem Modellansatz des Projektes DECARBONOISE die Projektziele erreicht werden können: Das Modell ist gegenüber Vergleichsrechnungen aus der Literatur validiert und bildet die unterschiedlichen am Markt verfügbaren bzw. prototypischen LSA ab. Gemäß des Projektansatzes kann auf länderspezifische Datensätze zugegriffen werden, so dass national sinnvolle <?page no="454"?> 454 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Modularer Modellaufbau als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen Vergleiche zur Emission von THG genutzt werden können. Die mögliche Variation der Lebensdauer relevanter Bauteile leistet hierzu einen Beitrag. Die Anwendung des modularen Modellauf baus als Systemansatz zur Berechnung der THG-Emissionen im Lebenszyklus von Lärmschutzanlagen leistet damit einen Beitrag zur Ermittlung vollständiger Berechnungsergebnisse. Durch den modularen Modellauf bau wird darüber hinaus den künftigen Anforderungen an BIM-kompatibles Arbeiten Rechnung getragen. Damit können z. B. innerhalb der Modulbauweise auch Vergleiche zwischen dem Ersatz von Wandkassetten mit „klassischer“ Absorberfüllung z. B. aus Mineralwolle gegenüber einer Füllung aus Hanf gezogen werden. Weiterer Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf die Ermittlung tatsächlich realisierter Reparaturmaßnahmen sowie Aufwendungen im Betriebsdienst: Kostenweil personalintensive Aufwendungen müssen aufgrund der eingesetzten Geräte nicht zwingend mit hohen THG- Emissionen einhergehen und aufwändig zu pflegende Anlagen resultieren nicht zwingend aus den originären Anforderungen des Bauwerks selbst. Vielmehr können sie eine Folge von Akzeptanzund/ oder ökologischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen darstellen, die sich dann auf das Bauwerk bzw. seinen Pflegeaufwand auswirken, was gegenwärtig jedoch nicht ex post differenzierbar ist. Darüber hinaus sollten die Lebensdauerbetrachtungen von Bauteilen unter verschiedenen klimatischen-räumlichen Bedingungen differenzierend untersucht werden, um zukünftig verläßliche Aussagen treffen zu können. Eine Erweiterung der bisherigen Systemgrenzen um die Wiederverwendung (Reuse) stellt ebenso eine Herausforderung für die Zukunft dar. Denkbar sind im Rahmen des Modells die Einberechnung der Wiederverwendung von Bauteilen wie z. B. aufgrund lärmtechnischer Erfordernis ausgebauter Pfosten oder der Ersatz von Paneelen mit gebrauchten und wiederauf bereiteten Kassetten mit erneuerter Absorberfüllung. Literatur [1] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2018): Lärmvorsorge und Lärmsanierung an Bundesfernstraßen. Verfügbar unter >>https: / / bmdv. bund.de/ DE/ Themen/ Mobilitaet/ Laerm-Umweltschutz/ Laermvorsorge-Laermsanierung-Bundesfernstrassen/ Laermvorsorge-Laermsanierung- Bundesfernstrassen.html<<, zuletzt abgerufen am 01.12.2024. [2] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (Hrsg., 2022): Lärmschutz an Straßen in Baden- Württemberg. Schritt für Schritt zur „Vision Zero“. 22 S., verfügbar unter >>https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ de/ service/ publikation/ did/ laermschutz-an-strassen-in-baden-wuerttemberg<<, zuletzt abgerufen am 01.12.2024. [3] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2024): Statistik des Lärmschutzes an Bundesfernstraßen 2020 - 2021. Verfügbar unter >>https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ StB/ statistik-des-laermschutzes-an-bundesfernstrassen-2020-2021.pdf<<, zuletzt abgerufen am 01.12.2024. [4] http: / / www.quiesst.eu. [5] Oltean-Dumbrava C, Miah A, Watts G, (2015) Towards a more sustainable surface transport infrastructure: A case study of applying multi criteria analysis techniques to assess transport noise reducing devices. International Journal of Cleaner Production, 112 (4): 2922-2934. [6] Oltean-Dumbrava C. and Miah A., (2016): Assessment and relative sustainability of common types of roadside noise barriers. Journal of Cleaner Production 135 (2016) 919-931. [7] Abdulkareem M., Havukainen J., Nuortila-Jokinen J., Horttanainen M. (2021), Life cycle assessment of a low-height noise barrier for railway traffic noise. Journal of Cleaner Production, 323 (2021) 129169. [8] Ahac M., Ahac S und Lakušic S. (2021): Long-Term Sustainability Approach in Road Traffic Noise Wall Design. Sustainability 2021, 13 (2): 536. [9] https: / / proceedr.project.cedr.eu, zuletzt aufgerufen am 01.12.2024. [10] Werner F. (2019), Arbeitsbericht: Ökobilanz von Ausfachungselementen für Lärmschutzwände. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strassen ASTRA Lignum und des Verbands der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft. [11] Duschen S. und Jorre S. (2021), Ausführlicher Studienbericht zur vergleichenden Ökobilanz für vier Lärmschutzwandsysteme der[k]nord GmbH. TÜV Rheinland Energy GmbH. [12] Tavajoh S. (2023), Comparative Life Cycle Assessment (LCA) of the Roadside Noise barriers. Master’s thesis in Design and Construction Project Management. Dep. Of Architecture and Civil Engineering. Chalmers University of Technology. [13] Afnan A. I. (2023), Comparative Life Cylce Assessment of willow, concrete and transparent noise barriers Master thesis. 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EPD registration number: S-P-01290. Date of publication (issue): 2018-12-13. [19] Hammerglas (2022), Hammerglass Noise barrier system GROUND-2 (Mark-2) from Hammerglass AB. EPD registration number: S-P-05712. Date of publication (issue): 2022-05-16. [20] Bundesverband Leichtbeton e. V. (2019), Lärmschutzelemente. Deklarationsnummer: EPD- BVL20180112IAG1DE. Ausstellungsdatum: 04.04.2019. [21] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV, zuvor Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)) (2021): Leistungsheft für den Straßenbetrieb auf Bun-desfernstraßen. verfügbar unter >> https: / / www.bast.de/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ Daten/ Leistungsheft- Strassenbetrieb.pdf? __blob=publicationFile&v=3 <<, zuletzt abgerufen am 13.05.2024. [22] Ghielmetti, M., Mühlebach, A. & Niederegger, A. (2009): Unterhalt von Lärmschirmen. FE 2004/ 201 (Schweiz). Im Auftrag des Schweizerischen Bundesamtes für Straßenbau (ASTRA). [23] CEDR (2017): Vanhooreweder, Marcocci und De Leo. Technical Report 2017-02. State of the art in managing road traffic noise: Noise barriers. ISBN: 979-10-93321-27-1. [24] Paul Lindner, Benedikt Hartmann, Christian Schulze, Jörn Hübelt (2019): Akustische Wirksamkeit alter Lärmschutzwände. Bericht zum Forschungsprojekt FE 02.0385. V, Verkehrstechnik (316). Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Fachverlag NW in der Carl Ed. Schünemann KG. ISBN: 978-3- 95606-442-5. [25] Anlage zur Verordnung zur Berechnung von Ablösungsbeträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz, dem Bundesfernstraßengesetz und dem Bundeswasserstraßengesetz. Ablösungsbeträge Berechnungsverordnung (ABBV 2010). [26] Weninger-Vycodil et al. (2022): Holistischer Bewertungs- und Analyseprozess für optimiertes Lifecycle-Management von Lärmschutzwänden SMART NOISE (VIF 2017). [27] Anweisung Straßeninformationsbank für Ingenieurbauten, Teilsystem Bauwerksdaten, verfügbar unter >>https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Erhaltung/ ASB-ING. html<<, zuletzt abgerufen am 02.05.2024. [28] (OKSTRA) Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen, verfügbar unter >>https: / / www. okstra.de/ <<, zuletzt abgerufen am 02.05.2024. [29] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg., 2024): Modellbasierte Nachhaltigkeitsbewertung. Praxisdokument Version 1.0 mit Stand Nov. 2023. 33 S., verfügbar unter >> https: / / www. bim-bundesfernstrassen.de/ fileadmin/ user_upload/ Praxisdokumente/ bim-pd-nachhaltigkeitsbewertung.pdf<<, zuletzt abgerufen am 01.12.2024. Weitere Quellen: „Alhambra-Projekt“ siehe unter >> https: / / zentrum-fuer-peripherie.org/ startseite-test/ projekte/ brandenburgs-alhambra/ probewand<<, zuletzt abgerufen am 01.12.2024. <?page no="457"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 457 Photovoltaik- und Ladeinfrastrukturaktivitäten im Zuge der Straßeninfrastruktur in BW Nakibulla Harunkhel, M. Eng. Regierungsbaumeister Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Das Land Baden-Württemberg hat sich zum Ziel gesetzt, spätestens bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen. Um dieses, im Koalitionsvertrag verankerte, Ziel zu erreichen, ist die massive Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien notwendig. Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg hat Anfang 2022 eine Initiative für mehr Photovoltaik-Anlagen an Bundes- und Landesstraßen im Land gestartet und hierfür verschiedene Akteure aufgerufen, sich bei Interesse an einer ungenutzten Fläche entlang eines Verkehrsweges zu melden. Zudem werden im Rahmen von Pilotprojekten mit Dritten auch an ausgewählten Lärmschutzwänden im Bestand Photovoltaik-Module angebracht. Neben der Nutzung der Flächen durch Dritte stellt auch die Eigennutzung von Flächen durch das Land ein großes Potential zur solaren Stromerzeugung dar. Vor allem die Straßentunnel brauchen viel Strom. An rund 90 ausgewählten Tunnelanlagen an Bundes- und Landesstraßen wurde untersucht, wie groß das Potential für den Einsatz von Photovoltaik-Anlagen ist. Auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland ist ein entscheidendes Element zur Unterstützung des Übergangs zu einer nachhaltigen Mobilität. Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg hat hierfür etwa 250 potenzielle Parkplatzflächen identifiziert, die grundsätzlich für den Bau öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur geeignet sind und durch private Investoren realisiert werden könnten. Die erste Tranche mit rund 130 Flächen wurde im Jahr 2023 veröffentlicht, und die zweite Tranche mit weiteren 120 Flächen wurde im Dezember 2024 über das Flächen- TOOL der Nationalen Leitstelle für Ladeinfrastruktur veröffentlicht. Die eingegangenen Anfragen werden derzeit geprüft. 1. Einführung Angesichts der drängenden Herausforderungen des Klimawandels und der Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation des Energie- und Mobilitätssektors rückt die Nutzung bislang ungenutzter Potenziale immer stärker in den Fokus. Insbesondere entlang der Straßeninfrastruktur eröffnen sich Möglichkeiten, Flächen effizient für die Gewinnung erneuerbarer Energien und den Aufbau einer zukunftsfähigen Mobilitätsinfrastruktur zu nutzen. Der aktuelle Koalitionsvertrag Baden-Württembergs sieht vor, ungenutzte Flächen entlang von Verkehrsinfrastruktur künftig verstärkt für den Ausbau klimafreundlicher Energiequellen zu nutzen, um Eingriffe in die Natur möglichst gering zu halten. Hierzu zählen neben Freiflächen entlang von Bundes- und Landesstraßen auch Tunnelanlagen. Diese Zielsetzung ist auch in §-25 des Klima-schutzgesetzes Baden-Württemberg (KlimaG BW) verankert. Demnach ist die Installation von Photovoltaik (PV)-Anlagen beim Neu-, Aus- und Umbau sowie bei der Ertüchtigung von Anlagen der Straßenbauverwaltung in Baulast des Landes, grundsätzlich vorgesehen, sofern ein eigener Energiebedarf besteht. Dabei dürfen die Anlagen die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigen. Ein eigener Energiebedarf liegt beispielsweise bei der Stromversorgung von Tunnelanlagen vor. Hier wird eine große Strommenge für den Betrieb von u.- a. Beleuchtung und/ oder Lüftung benötigt. Auch auf Bundesebene wird der Einsatz erneuerbarer Energien zunehmend gefordert. Die Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten (RE ING, 2023/ 03, Pk. 15) schreiben vor, bei Neubau und Sanierung von Tunnelanlagen den wirtschaftlichen Einsatz von erneuerbaren Energien - insbesondere PV - verpflichtend zu prüfen. Parallel zum PV-Ausbau ist der Auf bau einer leistungsfähigen Ladeinfrastruktur (LIS) für Elektrofahrzeuge ein entscheidender Faktor für die Förderung nachhaltiger Mobilität. Prognosen zufolge werden bis zum Jahr 2030 etwa eine Million öffentliche Ladepunkte benötigt, um erwartete 15 Millionen Elektrofahrzeuge zu bedienen. Bis September 2024 standen in Deutschland jedoch nur etwa 115.000 öffentliche Ladepunkte zur Verfügung, was den erheblichen Ausbaubedarf verdeutlicht. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die rund 900.000 fehlenden öffentlichen Ladepunkte bereitzustellen. Baden-Württemberg nimmt eine führende Rolle beim Ausbau der LIS für Elektrofahrzeuge in Deutschland ein. Das Bundesland hat sich im Koalitionsvertrag 2021 verpflichtet, die öffentlich zugänglichen Ladepunkte deutlich auszubauen. Angesichts eines prognostizierten Bedarfs von 60.000 bis 100.000 Ladepunkten bis 2030 in Baden-Württemberg wird eine weitere Verdichtung des Netzes angestrebt, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. <?page no="458"?> 458 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Photovoltaik- und Ladeinfrastrukturaktivitäten im Zuge der Straßeninfrastruktur in BW 2. Hauptkapitel Nachfolgend werden Aktivitäten und Projekte vorgestellt, die sowohl den Ausbau der PV entlang von Verkehrswegen als auch die Errichtung von LIS für Elektrofahrzeuge umfassen. 2.1 Photovoltaik Das Ministerium für Verkehr hat verschiedene Ansätze verfolgt, um PV-Anlagen entlang von Bundes- und Landesstraßen zu ermöglichen. Diese lassen sich in drei Hauptbereiche unterteilen: PV auf Freiflächen, an Lärmschutzwänden/ -wällen sowie an Tunnelanlagen. a) PV auf Freiflächen Anfang 2022 hast das Ministerium für Verkehr Baden- Württemberg eine Initiative für mehr PV an Bundes- und Landesstraßen im Land gestartet und hierfür Energieversorger, Kommunen, Stadtwerke, Bürgerenergiegenossenschaften, Projektentwickler und Privatpersonen aufgerufen, sich bei Interesse an einer ungenutzten Fläche entlang eines Verkehrsweges zu melden. Der Aufruf fand große Resonanz: 35 Interessenten meldeten insgesamt rund 570 Flächen. Im nächsten Schritt wurden die zuständigen Regierungspräsidien und unteren Verwaltungsbehörden in eine umfassende Detailprüfung einbezogen. Nach Abschluss der Detailprüfung stand fest, dass rund 260 Flächen an Bundes- und Landesstraßen für den Bau von PV-Anlagen in Frage kommen. Die Prüfung umfasste insbesondere die Eigentumsverhältnisse, Ausbauplanungen, naturschutz- und artenschutz-rechtliche Belange, Verkehrssicherheitsbelange und die Flächeneignung. Die Ergebnisse aus den Prüfverfahren wurden den Interessenten mitgeteilt. Diese haben seit dem Frühjahr 2023 die Möglichkeit, auf ausgewählte Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in der Straßenbauverwaltung zuzugehen, um genauere Informationen zu den straßenbautechnischen und -rechtlichen Rahmenbedingungen zu erhalten. Ihnen steht es frei, ob sie unter den genannten Bedingungen die baurechtliche Voraussetzung schaffen möchten. Es besteht weiterhin die Möglichkeit Flächen für die Nutzung von PV-Anlagen bei den jeweiligen Regierungspräsidien zu melden. Abbildung 1: realisierte PV-Anlagen „Lustnauer Ohren“ entlang B 27 in Tübingen (Quelle: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg) b) PV an Lärmschutzwänden-/ wällen Im Rahmen von Pilotprojekten mit Dritten werden an ausgewählten Lärmschutzwänden im Bestand PV-Module angebracht. Die Straßenbauverwaltung stellt hierzu die Lärmschutzwände im Rahmen einer Sondernutzung zur Verfügung. Durch das Anbringen der PV-Module darf die Primärfunktion des Bauwerks, der Lärmschutz, jedoch nicht beeinträchtigt werden. In Zusammenarbeit mit den Regierungspräsidien befinden sich hierzu einige Pilotprojekte in den Anfangsstadien. c) PV an Tunnelanlagen Ein erheblicher Teil des Energieverbrauchs entlang von Verkehrswegen entfällt auf Straßentunnel. Um dieses Potenzial zu nutzen, wurden umfassende Potentialanalysen durchgeführt. Im Jahr 2022 wurde zunächst eine Machbarkeitsstudie an elf exemplarisch ausgewählten Tunnelanlagen an Bundes- und Landesstraßen durchgeführt. Angesichts der positiven Ergebnisse dieser Studie wurde darüber hinaus im Jahr 2023 eine Potentialanalyse für weitere 82-Tunnelanlagen an Bundes- und Landestunnel in Auftrag gegeben. Da es die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen der Straßenbauverwaltung nicht ermöglichen, eine Einspeisung des erzeugten Stroms ins öffentliche Netz als Stromakteur vorzunehmen, war das Ziel der Auslegung, unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit der Anlage, eine Maximierung der Eigenbedarfsabdeckung des Stromverbrauches. Demnach sind die Größenordnungen der PV-Flächen und Batteriespeicher so gewählt worden, dass der größtmögliche Autarkiegrad erreicht wird. Der Autarkiegrad sagt hierbei aus, wieviel Prozent des jährlichen Gesamtstrombedarfs ausschließlich durch die Solaranlage abgedeckt werden kann. Somit lässt sich abschätzen, welcher Reststrom weiterhin durch Drittanbieter bezogen werden muss. Die Ergebnisse der Potentialanalysen bestätigten, dass die Installation von PV-Anlagen zur Versorgung der Tunnelanlagen sowohl aus technischer als auch wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist. Bei 48 Tunnelanlagen sind die technischen Voraussetzungen und die Flächenverfügbarkeit gegeben, sodass sich die PV-Anlagen wirtschaftlich betreiben lassen können. Insgesamt wird das vorhandene Flächenpotenzial der 59 positiv bewerteten Tunnelanlagen (11 Tunnel im Jahr 2022 und 48 Tunnel im Jahr 2023) auf 14.061 Kilowatt-Peak (kWp) geschätzt. Dies entspricht einem Eigenverbrauch von 8.512 Megawattstunden (MWh) pro Jahr und einer Einsparung von Strombezugskosten bei Drittanbietern in Höhe von rund 3 Mio. € pro Jahr bei einem Bezugstarif von 35 ct/ Kilowattstunde (kWh). Zudem lassen sich jährlich durch die Eigenproduktion von Strom bei einem Emissionsfaktor in Höhe von 442 g CO 2 / kWh 3.720 Tonnen CO 2 -Emissionen einsparen. Dies entspricht einer Anzahl von rund 181.000 Bäumen, die für die Bindung der eingesparten CO 2 -Menge erforderlich wären. Bei einem Investitionsvolumen von rund 37,1 Mio. € amortisieren sich die Investitionen in die PV-Anlagen für die 59 Tunnel im Median bereits nach zwölf Jahren. <?page no="459"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 459 Photovoltaik- und Ladeinfrastrukturaktivitäten im Zuge der Straßeninfrastruktur in BW Aktuell bereitet das Verkehrsministerium die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für die weiteren Ingenieurleistungen für die 59 positiv bewerteten Tunnelanlagen aus den Potentialanalysen 2022 und 2023 vor. Die Ausschreibung und Vergabe der Leistungsphasen drei bis acht sowie die fachliche Betreuung der Ausführung wird durch die Regierungspräsidien im Land erfolgen. Beispiele bereits realisierte PV-Anlagen an Tunnel: • Beim Neubau des Arlinger Tunnels (B 463) wurde im Mai 2024 die erste PV-Anlage zur Eigenversorgung eines Tunnels im Zuge einer Bundesstraße in BW eingeweiht. (410 kWp, siehe Abbildung 2) • Der Tunnel Blaubeuren an der B 28 ist hingegen der erste Tunnel im Bestand, der mit einer PV-Anlagen und einer Wallbox ausgestattet wurde. (40 kWp-Anlagen auf dem Betriebsdach,) Abbildung 2: PV-Anlage am Arlinger Tunnel (Westtangente B 463, Pforzheim) (Quelle: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg) 2.2 Ladeinfrastruktur Obwohl es in Baden-Württemberg keine gesetzliche Vorgabe zur Errichtung von Ladeinfrastruktur an Parkplätzen im öffentlichen Straßenraum gibt, möchte die Straßenbauverwaltung in Baden-Württemberg ihren Teil zum Erreichen der Umweltziele im Verkehrssektor beisteuern und ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Daher wurden bundes- und landeseigene Parkplatzflächen identifiziert, die sich grundsätzlich für die Errichtung von Ladeinfrastruktur eignen könnten. Um privaten Investoren eine Bewerbung auf diese Flächen zu ermöglichen, wurden die Parkplätze in das FlächenTOOL der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur eingepflegt. Als Datengrundlage für die Auswahl potenzieller Parkplatzflächen dienten gemeldete Parkplätze entlang von Bundes- und Landesstraßen sowie gemeldete Mitfahrerparkplätze durch untere Verwaltungsbehörden. Kriterien für die Auswahl geeigneter Standorte für die Errichtung von Ladeinfrastruktur in der ersten Tranche waren die Parkplatzauslastung, die Eigentumsverhältnisse sowie die Baulast. Letztere müssen im Bereich der Straßenbauverwaltung bzw. in Auftragsverwaltung liegen. Von insgesamt rund 880 Parkplätzen wurden in einem ersten Aufschlag im November 2023 rund 130 Parkplätze zur Errichtung von Ladeinfrastruktur veröffentlicht. Jeder Standort wurde individuell im FlächenTOOL erfasst. Die Anfragen für Parkplatzflächen werden vom jeweiligen Regierungspräsidium gemäß dem Prioritätsprinzip bearbeitet. Das bedeutet, dass der erste Investor, der eine Anfrage für eine bestimmte Fläche stellt, zur Einreichung eines Grobkonzepts für die dortige Errichtung der Ladeinfrastruktur innerhalb eines Monats aufgefordert wird. Sollte der Investor dieser Aufforderung nicht nachkommen, wird der nachfolgende Interessent kontaktiert. Das eingereichte Konzept wird anschließend einer Überprüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität unterzogen. Im Falle einer Übereinkunft wird die Fläche für den privaten Investor für einen Zeitraum von einem Jahr reserviert. Bis November 2024 meldeten die Regierungspräsidien insgesamt 350 Anfragen von privaten Investoren für 100-Parkplatzflächen. Aufgrund der großen Resonanz hat sich das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg dazu entschieden, in einer zweiten Tranche im Dezember 2024 weitere 120 potenziell geeigneten Parkplatzflächen in das FlächenTOOL einzustellen. 3. Fazit Die Nutzung ungenutzter Flächen entlang von Verkehrswegen bietet ein enormes Potenzial zur Förderung der Energiewende und einer nachhaltigen Mobilitätsinfrastruktur. Das Ministerium für Verkehr BW treibt mit gezielten Maßnahmen sowohl den Ausbau von PV-Anlagen als auch der LIS entschlossen voran. Die Installation von PV-Anlagen auf Freiflächen, Lärmschutzwänden und Tunnelanlagen entlang von Verkehrswegen zeigt, dass diese Flächen einen signifikanten Beitrag zur Eigenstromversorgung leisten können. Besonders Tunnelanlagen sind aufgrund ihres hohen Energiebedarfs für Beleuchtung und Lüftung ideal, um von lokal erzeugtem Strom zu profitieren. Potenzialanalysen bestätigen die technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit in den meisten Fällen. Allerdings begrenzen rechtliche Rahmenbedingungen, wie das Verbot der Einspeisung von Strom ins öffentliche Netz durch die Straßenbauverwaltung, die Nutzungsmöglichkeiten. Die Identifikation geeigneter Flächen und die Berücksichtigung naturschutzrechtlicher Anforderungen stellen zusätzliche Herausforderungen dar. Im Bereich der LIS zeigt Baden-Württemberg trotz des aktuellen Defizits von öffentlichen Ladepunkten (115.000 von erforderlichen 1 Million bis 2030) mit innovativen Ansätzen, wie der Einbindung von Parkplätzen in das FlächenTOOL, großes Engagement. Die hohe Resonanz privater Investoren auf bereitgestellte Parkplatzflächen unterstreicht die Attraktivität dieses Ansatzes. Mit diesen Maßnahmen nimmt Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle bei der Nutzung von Verkehrsflächen für erneuerbare Energien und Elektromobilität ein. Die Fortschritte bei PV und LIS belegen die technische und wirtschaftliche Machbarkeit solcher Projekte. Dennoch sind gesetzliche Anpassungen sowie eine engere Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Investoren notwendig, um die ehrgeizigen Ziele bis 2030 zu verwirklichen. Ein integrativer Ansatz und weitere Optimierungen könnten das Land zu einem Schlüsselfaktor im nationalen Klimaschutz und der Energiewende machen. <?page no="461"?> Digitalisierte Baustelle <?page no="463"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 463 Digitalisierung & Automation im Straßenbau - ein Blick von heute in die Zukunft: Forschung, Entwicklung, Systeme, Projekte Andreas Velten, MBA MOBA Mobile Automation, Limburg 1. Mit Digitalisierung und Automation in die Zukunft Fachkräftemangel, deutliche Steigerungen der Rohstoffbzw. Materialpreise und eine Abkühlung der Baukonjunktur sind ernste, wirtschaftliche Risiken für Straßenbauunternehmen. Die seit Kurzem unsichere politische Lage mit einem vorläufigen Haushalt machen die Situation nicht besser. Die gestiegenen Baukosten und die bange Frage, ob es genügend Ausschreibungen geben wird, machen die Angebotskalkulation zu einem „scharfen Ritt“. Meldungen über Auftragsmangel haben bei Straßenbauern zuletzt wieder zugenommen, selbst wenn die Lage deutlich besser ist als im Hochbau. Personalkosten und Materialpreise können Straßenbauunternehmen nur schwerlich aus eigener Kraft senken. Dennoch ist es entscheidend, dass sie sich in diesen Zeiten gut aufstellen, um sie erfolgreich zu meistern. Welche Unterstützung kann die Digitalisierung und Automation dabei schon heute leisten und wo geht die Reise in Zukunft hin? 2. Baumaterialpreise & Fachkräftemangel: Wirtschaftliches Risiko für Straßenbauunternehmen Asphaltbauer weisen zunehmend darauf hin, dass es ohne eigene Mischgutherstellung sehr schwierig geworden ist, ausreichend Aufträge zu erhalten. Auch wenn Mischgut- und Bitumenpreise im Vergleich zum Vorjahr nachgegeben haben, sind die Preissteigerungen im Vergleich zu Anfang 2021 enorm. Im Oktober 2024 hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) einen Anstieg in diesen 3,75 Jahren von 45,4 % bei Asphalt und sogar 53,8 % bei Bitumen veröffentlicht [1]. Nicht verwunderlich, dass da der Beschaffungspreisvorteil einer eigenen Mischanlage oder einer Beteiligung ausschlagend für die Auftragsvergabe wird. Aktuell ist der Fachkräftemangel in aller Munde. Auch die Baubranche leidet massiv darunter. Knapp ein Drittel aller Bauunternehmen machen laut einer Umfrage des ifo Institutes den Mangel an qualifizierten Fachkräften für Behinderungen ihrer Bautätigkeit verantwortlich [2]. Nicht nur der fehlende Nachwuchs macht Straßenbauunternehmen Sorge, sondern auch der demografische Wandel ist ein Thema. Viele der „alten Hasen“ werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und Lücken hinterlassen, die nicht alle wiederaufgefüllt werden können. Sowohl die gestiegenen Preise als auch der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern stellen für die Straßenbauunternehmen ein wirtschaftliches Risiko dar: Wird das eigene Angebot bei der Ausschreibung nicht berücksichtigt, weil der Preis zu hoch kalkuliert ist, oder kann ein Auftrag nicht angenommen werden, weil die notwendige personelle Kapazität nicht vorhanden ist, fehlt am Ende des Tages das Geld in der Kasse… Wie kann also der Bauunternehmer diesen Herausforderungen begegnen? 3. Stand der Technik: Technologien, die die Bauproduktion vereinfachen und Kosten senken Abb. 1: Beim Asphaltdeckeneinbau bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, Arbeitsschritte zumindest teilweise zu automatisieren und so Kosten einzusparen. 3.1 Ebenheit Beginnen wir von oben, mit der Decke, dem Arbeitsschritt mit den höchsten Materialkosten. Die Automation der Nivellierung beim Asphalteinbau, insbesondere wenn ein Leitdraht verwendet wird, ist heute als Standard zu bezeichnen. Mittels Ultraschalls wird der Draht berührungslos abgetastet und die Bohle auf Basis dieses Höhensignals automatisch gesteuert. Die Vorteile liegen auf der Hand, und es erscheint nicht vorstellbar, hier ohne automatische Nivellierung einzubauen. Es bleibt das Risiko einer Beschädigung des Leitdrahtes, insbesondere wenn dann nochmals der Vermesser benötigt wird. Beim Einbau ohne Leitdraht ist die berührungslose Abtastung des Untergrunds oder einer Zwangsreferenz, wie z. B. ein Bord- oder Rinnstein, auch absolut Stand der Technik, erfreut sich jedoch weniger Anwendungsbeliebtheit. Bei einer Zwangsreferenz besteht immer das Risiko, dass Unebenheiten in der Referenz auf die Decke durchkopiert werden und es dann im Anschluss zu Ebenheitsabzügen kommt. Wird der Untergrund als Referenz verwendet, entfallen die Arbeitszeit und die Kosten für einen Leitdraht. Mit dem sogenannten Big Sonic-Ski kann dann der Unter- <?page no="464"?> 464 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitalisierung & Automation im Straßenbau - ein Blick von heute in die Zukunft: Forschung, Entwicklung, Systeme, Projekte grund auf einer Länge von 9 oder 13 Metern drei- oder vierfach abgetastet werden. Im Sinne eines virtuellen Lineals werden dann mögliche Unebenheiten ausgeglichen. Besonders bei einem mehrschichtigen Einbau werden auf diese Weise sehr gute Ebenheitsergebnisse erzielt, auch wenn direkt auf der gefrästen Oberfläche eingebaut wird. Ein Kritikpunkt an dem System ist der Zeitaufwand für die mitunter tägliche Montage und Demontage der bis zu 13 Meter langen Mechanik, nebst Kabeln, Sensoren und Transport. Dieses wurde mit der 2022 vorgestellten und neu gedachten Nivellierungsautomatik Super-Ski durch die Verschmelzung von Mechanik und Sensorik gelöst. Auf bau und Abbau beschränken sich auf das Einhängen bzw. Aushängen von nur drei 9,5 kg schweren (bzw. leichten) Mess-Elementen. Eine Verkabelung dieser Elemente ist nicht mehr erforderlich, und der Transport ist leicht mit 1 - 2 Personen möglich. Das neue Produktdesign der Sensorelemente macht jetzt Messungen möglich, die gleichmäßig über die gesamte Messlänge von rund 10 Metern (abhängig vom Fertiger) verteilt sind. Dadurch werden auch größere Hindernisse, Fräskanten oder Fahrbahnübergangskonstruktionen korrekt erkannt. Nur wenige Anwendereingriffe sind im laufenden Einbaubetrieb notwendig, es kann ohne großen Aufwand oder Umbauten automatisch weiter eingebaut werden, mit verbesserter Ebenheit im Ergebnis. Ein klarer Vorteil. Abb. 2: Die Nivellierungsautomatik Super-Ski tastet mittels Ultraschalls den Untergrund ab. Die Elemente lassen sich im Handumdrehen ein- und aushängen und verkürzen so die Rüstzeit enorm. Das Schichtdickenmesssystem PAVE-TM ist im hinteren Sensor integriert. 3.2 Einbaustärke Neben der Ebenheit ist die Schichtstärke wichtiges Merkmal eines erfolgreichen Einbaus. Zuviel oder zu wenig Stärke kosten jeden Straßenbauer wertvolles Geld. Bei einem „zu wenig“ drohen Abzüge, bei einem „zu viel“ bleibt der Unternehmer spätestens ab 105 % auf den Materialmehrkosten sitzen. Zur Vermeidung beider Risiken überprüft die Kolonne die tatsächliche Einbaustärke nach der Vorverdichtung durch die Bohle in der Regel mit einer Einstecklanze oder auch mit dem Zollstock. Bei beiden Vorgehensweisen handelt es sich um reine Routinetätigkeiten, die sich gut für eine Automatisierung eignen. Insbesondere deshalb, weil diese manuellen Überprüfungen gerne auch „übersehen“ werden. In Zeiten, in denen weiterhin Fachkräfte fehlen werden, wäre eine solche Automatisierung der Ermittlung der tatsächlichen Schichtdicke und ein Wegfall der manuellen Kontrolle von Vorteil für Straßenbauer. Denn qualifizierte Mitarbeiter stehen dann für anspruchsvollere Aufgaben, die gegebenenfalls auch nicht automatisiert werden können, zur Verfügung. Seit einigen Jahren bietet auch die MOBA bereits eine kontinuierliche Schichtdickenmessung während des Einbaus an. Der Preis für das System, der im Vergleich zum Nutzen beim Einbauer recht hoch lag, stand einer größeren Verbreitung im Wege. Daher wurde an einer kostengünstigeren Lösung geforscht und entwickelt. Mittlerweile wurde das Schichtdickenmesssystem der MOBA in die automatische Asphaltnivellierung Super-Ski integriert. So konnten die Kosten sprich der Verkaufspreis des Systems - gesenkt werden, die Lösung wurde für den Markt nun wirtschaftlich interessant. Nach der erfolgreichen Erprobung sind erste Schichtdickenmesssysteme im Markt im Einsatz. 3.3 Mischguttemperatur Temperaturabgesenkter Asphalt (Niedrigtemperaturasphalt) dürfte im Asphaltstraßenbau ab dem kommenden Jahr ein Thema werden. Dann wird der Einbauprozess noch zeitkritischer, eine Sicherheit für das richtige Verdichtungsfenster und der Nachweis der optimalen Einbautemperatur noch wichtiger. Eine Überwachung der Mischguttemperatur von der Anlieferung durch den LKW, über den Transport durch den Fertiger vom Kübel, über die Schnecke bis hinter die Bohle ist Grundvoraussetzung für ein optimales Einbauergebnis. Die gesamte Einbaumannschaft einschließlich dem Walzenfahrer sieht so rechtzeitig die Beschaffenheit des Mischguts. Der Einbau kann so optimal gesteuert werden: Thermische Entmischungen können direkt erkannt, die Maschineneinstellungen zum richtigen Zeitpunkt optimiert und Gegenmaßnahmen umgehend ergriffen werden. <?page no="465"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 465 Digitalisierung & Automation im Straßenbau - ein Blick von heute in die Zukunft: Forschung, Entwicklung, Systeme, Projekte Abb. 3: Dank einer Darstellung der Einbautemperaturen in Echtzeit kann das Fertigerteam bspw. thermische Entmischungen rechtzeitig erkennen und direkt zu reagieren. Ein Schritt weiter ist die Einbindung der Transportlogistik. Damit kann die Beschaffenheit des angelieferten Mischguts noch eher erkannt und gleichzeitig eine lückenlose Nachvollziehbarkeit geschaffen werden. Wenn dann bei der Endprüfung Bohrkerne Schwachstellen aufzeigen, kann anhand der aufgezeichneten Daten genau nachvollzogen werden, wo die Mängel entstanden sind. Auch weitere Einflussfaktoren wie das Wetter, Außentemperatur, Windverhältnisse oder Temperatur des Untergrunds haben einen Einfluss auf das Einbauergebnis. MOBA bietet hier mit dem System PAVE-IR eine passende, herstellerunabhängige Lösung. Die neue Generation des Sensors ist noch robuster und schmutzresistenter geworden als sein Vorgänger. Der MTPA-Sensor kann mehr Messungen in kürzerer Zeit vornehmen und basiert nach wie vor auf Infrarotmessungen. Diese Aufzeichnung der Asphalttemperatur hat in der Praxis bereits sehr zufriedenstellende Rückmeldungen gebracht. Der Sensor kann neben der Temperaturmessung der Asphaltdecke auch wertvolle Dienste im Arbeitsschutz leisten. Sich im Gefahrenbereich der Maschine auf haltende Personen werden erkannt. Abb. 4: Der neue MTPA-Sensor des Temperaturmesssystems arbeitet mit Infrarotmessungen. 3.4 Verdichtung Ein letzter Faktor für den erfolgreichen Einbau einer Asphaltdecke ist die Endverdichtung durch Walzen. Auch hier finden sich Optimierungspotentiale und Ansatzmöglichkeiten, die die Arbeit vereinfachen. Alle Vorarbeit kann durch eine Überverdichtung in der Mitte oder Unterverdichtung in den Randbereichen zunichte gemacht werden oder wenn die Walze zu früh auf noch zu heißes oder zu spät auf bereits zu kaltes Material fährt. Eine Anzeige der Materialtemperatur in der Walze, wenn diese bereits auf dem Material steht, ist zu spät. Der richtige Verdichtungszeitpunkt kann nur dann durch den Fahrer abgeschätzt werden, wenn er die Temperatur schon vor der Überfahrt angezeigt bekommt. Dann kann die Walze im richtigen Temperaturfenster mit der Endverdichtung beginnen. Eine flächendeckende Verdichtungskontrolle (FDVK) wie das MCA-3000-System von MOBA bieten hier wertvolle Informationen. Es zeigt dem Fahrer die Temperatur, die Anzahl der Überfahrten und die Steifigkeit des Materials an. Dafür wird der Verdichtungsfortschritt gemessen, angezeigt und festgehalten, anhand dessen der Fahrer in Echtzeit sieht, ob bei der aktuellen Überfahrt noch eine Verdichtung erzielt wird. Auch das von MOBA PAVE- IR erfasste Temperaturprofil kann eingebunden werden. Entscheidender Vorteil ist dabei die Vernetzung der Walzenkolonne. Denn mit der zusätzlichen Information über die Verdichtungsleistung der gesamten Flotte ergibt sich ein Gesamtbild, auf dessen Basis das Straßenbauprojekt optimal abgeschlossen werden kann. 4. Ausblick: Was ist technologisch noch möglich Beim Asphalteinbau sind die Ebenheit und die Schichtstärke entscheidende Faktoren für den Erfolg. Dabei stehen sie in einer Wechselwirkung. Die zu jeder Zeit optimale Stärke führt, je nach Untergrund, zu einer suboptimalen Ebenheit - und vice versa. Dieses Problem wurde erkannt die Spezialisten suchen nach praxistauglichen Methodiken und Ansätzen für eine Regelung. Die Entwickler der MOBA arbeiten an einem Ansatz, der sowohl perfekte Ebenheit als auch optimale Schichtdicke automatisch aufeinander abstimmt. Dabei werden auch Kooperationen mit Forschungsgruppen genutzt. Im Projekt QUAST wurde nachgewiesen, dass in der Walzenüberfahrt die tatsächliche Verdichtung gemessen werden kann. Die Walze fungiert dann nicht mehr rein als abschließendes Verdichtungswerkzeug, sondern vermisst als Messinstrument das Einbauergebnis und gleicht die Messwerte mit den vorgegebenen Referenzwerten ab. Dabei werden alle Stationen des Einbauprozesses (Mischanlage, Transport-LKW, Beschicker und Fertiger bis hin zu Splittstreuer und Walze) in einen Regelkreis integriert und bei notwendigen Korrekturen direkt in Echtzeit angesprochen. Bisher hat der Ansatz noch keine finale Marktreife, aber für die Zukunft des <?page no="466"?> 466 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Digitalisierung & Automation im Straßenbau - ein Blick von heute in die Zukunft: Forschung, Entwicklung, Systeme, Projekte Asphalteinbaus ergeben sich hieraus perspektivisch interessante Möglichkeiten. Neueste Forschungsprojekte befassen sich gar mit dem autonomen Asphalteinbau. Im Rahmen des Forschungsprojektes InfraROB, an dem auch die MOBA beteiligt ist, werden zukunftweisende Technologien für die Automatisierung des Asphaltfertigers entwickelt. Ein Testeinbau unter realen Baustellenbedingungen hat gezeigt, dass der autonome Straßenbau nicht nur unter Idealbedingungen, sondern auch in der Praxis funktioniert. Damit ist der erste Schritt getan, um autonome Technologien in Bauprojekte zu integrieren. Ein Fertiger ohne Asphaltkolonne - was wie Sciencefiction klingt, hat seine Wurzeln im harten Baualltag. Gerade auf Asphaltbaustellen im fließenden Verkehr bietet beispielsweise der Platz neben der Bohle aus Sicht der Arbeitssicherheit großes Potential: Nicht wenige Arbeitsunfälle passieren, weil Einbaupersonal mit dem Verkehr kollidiert. Möglich wird der autonome Asphalteinbau durch die Automatisierung verschiedener Bereiche: Der Nivellierungs-Sensor Super-SKI sowie das Advanced Levelling sorgen mithilfe des Schichtdickensensors für eine konstante Schichtstärke ohne manuellen Eingriff. Der Line- Reader, der eine aufgesprühte Linie auf dem Untergrund detektiert, und der Edge-Tracker, der eine Asphaltkante erkennt, werden vom MOBA-Controller zur autonomen Steuerung der Einbaubreite und der Lenkung des Fertigers verwendet. Die Steuerung der Lenkung wird zusätzlich redundant über die GNSS-Lenkung überwacht. Außerdem werden Lidar-Scanner und Kameras mit Objekterkennung zur Umfeldüberwachung eingesetzt, um Personen im Gefahrenbereich zu erkennen und über das Moba CAN-Light visuell und akustisch zu warnen. Diese neuesten Entwicklungsbemühungen geben einen Vorgeschmack und Ausblick auf das, was uns die Zukunft im Asphalteinbau noch bringen wird. Der Vortrag ist somit ein Blick auf die aktuellen Herausforderungen, denen sich Straßenbauunternehmen stellen müssen, ein Blick auf bereits bekannte und neue Technologien, die im Baustellenalltag bereits zum Einsatz kommen und eine Vorausschau auf das, was in Zukunft auf Straßenbaustellen möglich ist, um „weiter mit vorne dabei zu sein“. Literatur [1] Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.: Trotz leichter Preisberuhigung bei einzelnen Produkten seit---Die Deutsche Bauindustrie [2] Allgmeine Bauzeitung, 08.11.2024: Bautätigkeitsbarrieren 2024: Auftrags- und Fachkräftemangel bremsen am meisten <?page no="467"?> Anhang <?page no="469"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 469 Programmausschuss Der Programmausschuss für das Kolloquium Straßenbau in der Praxis setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzender Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer Hochschule Biberach Mitglieder Dr.-Ing. Anne Benner Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Benjamin Butscher, MBA Franz Lohr GmbH, Ravensburg Prof. Dr.-Ing. Leyla Chakar Hochschule für Technik Stuttgart Dr. Thomas Chakar Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Alexander Hofmann HOCHTIEF PPP Transport Westeuropa GmbH, Essen Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft Dr.-Ing. Dirk Jansen Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Dipl.-Geogr. Dirk Kopperschläger BERNARD Gruppe ZT GmbH, Aalen DI (Univ.) Mario Krmek ÖBB-Infrastruktur AG, Wien, Österreich Prof. Dr.-Ing. Steffen Riedl Fachhochschule Erfurt Dr. Wolf-Henrik von Loeben ViaTec Basel AG, Schweiz Dipl.-Ing. Manfred Wacker VSVI Baden-Württemberg, Stuttgart <?page no="471"?> 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 471 Autorenverzeichnis AAnastassiadou, Kalliopi 341 Armani, Isabelle 377 BBielefeld, Jan 75 Birnstiel, Hannes 231 Blab, Ronald 111 Brow, Ian 327 Bürgisser, Philip 223 CCeci, Luigi Paolo 131 Chakar, Thomas 127 Conter, Marco 445 Sonja Cypra 437 Cypra, Thorsten 437 DDegenhardt, Kay 253 Diekmann, Martin 211 Dierkes, Carsten 181 Donev, Valentin 111 EEbbers, Hendrik 361 Eberhardsteiner, Lukas 111 Ehlers, Stephan 215 Ehmcke, Florian 429 Eichler, Alexander 191 FFrancis-Xavier, Austin 19 Friedrich, Heinz 341 Fuchs, Michael 313 GGidde, Claudia 151 Gohl, Sven 381 Grimsehl-Schmitz, Winona 83 Groll, Klaus 381 Gruber, Denis 117 HHaberl, Martin 369 Harnischfeger, Stephan 355 Hartung, Robert 429 Harunkhel, Nakibulla 457 Haverkamp, Pamela 37 Heberle, Stefan 231 Herbrecht, Marcus 413 Hindersmann, Iris 341 Hohenegger, Michael 49 Hollatz, Andreas 15 Holldorb, Christian 19, 263, 327 Hörmann, Patrick 231 IIsailović, Ivan 215 JJansen, Dirk 105, 215 KKalantari, Mehdi 215 Kelzenberg, Markus 165 Kytzia, Susanne 445 LLeukel, Jörg 381 Lorenz, Sebastian 157 MMerkel, Thomas 67 Müller, Andreas 55 Müller, Marcus 381 NNieborowski, Sonja 341 PPartl, Manfred N. 223 Podolski, Claudia 105 Pölzl, Stefan 49 QQiu, Jiayao 327 Quirgst, Jakob 243 RRaab, Christiane 223 Reich, Paul 161 Reinhardt, Uwe 97 Richter, Carl 341 Riedler, Stephanie 55 Roth, Silvio 111 Runde, Yanik 429 SSchäfler, Alexander 75 Schilling, Guido 391 Schlatterer, Tim 323 Schmidt, Vera 285 Schönauer, Thomas 289, 361 Schröder, Mauritz 165 Schubert, Adrian 55 Schünemann, Marco 289 Schweizer, Mischel 175 Seul, Hans-Werner 215 Simnofske, Diana 289 Singbeil, Rüdiger 195 Sommerauer, Thomas 243 Sorge, Ronny 231 Stöckner, Markus 263, 327, 421, 445 Stöckner, Ute 445 TTaubitz, Felix 327 Teschner, Kai 175 Theurer, Edgar 399 Tiede, Marieke 171 Tilger, Klaus 137 Traverso, Marzia 37 UUhlig, Wolf 91 VVelten, Andreas 463 WWachsmann, Amina 263 Wackenheim, Jana 25 Wacker, Bastian 151, 215 Weber, Leonie 307 Weirich, Tim 347 Weninger-Vycudil, Alfred 243 Weßelborg, Hans-Hermann 275, 289, 361 Wieland, Marko 151 Witte, Theda 165 ZZakouril, Nicole 347 <?page no="472"?> Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 70 % Zuschuss möglich Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ go/ bauwesen <?page no="473"?> Im Mittelpunkt des 4. Kolloquiums „Straßenbau in der Praxis“ am 18. und 19. Februar 2025 steht der Erfahrungsaustausch von und mit Praktikern. Durch anwendungsorientierte Vorträge und zahlreiche Praxisbeispiele wird die praktische Seite des Straßeninfrastrukturbaus abgebildet. Fokus auf Nachhaltigkeit Bislang wurde Nachhaltigkeit im Straßenbau häufig nur theoretisch behandelt. Dabei ist es gerade jetzt entscheidend, dass wir uns an greifbaren Erfahrungen orientieren können. Best-Practice-Beispiele können dabei sehr zur Verbesserung der Nachhaltigkeit beitragen. Sei es direkt durch die konsequente Erfassung der CO 2 -Äquivalente, den Einsatz verbesserter Baumaterialien und -verfahren oder indirekt durch innovative Digitalisierungs- und Modularisierungsideen. Es ist an der Zeit, Lösungsansätze mit Praxisbeispielen vorzustellen und im Straßenbau einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Digitale Technologien und Planung: BIM in Planung, Ausführung, Erhaltung Digitale Projektplanung Digitalisierte Baustelle Bauweisen und Infrastruktur: Straßenbau Ingenieurbauwerke Pflasterbauweisen Radverkehr Radwegebau Sonderbauweisen Einzelthemen Instandhaltung und Management: Zustandserfassung Erhaltungsmanagement Die Zielgruppe Ingenieurbüros Baufirmen Kommunen und Straßenbaubehörden Projektsteuerer Forschungseinrichtungen Baustoffhersteller Softwareentwickler Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends im Straßenbau unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Der Inhalt Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeitsbilanzierung Nachhaltigkeitsbewertung und -anwendung Nachhaltigkeit in der Ausführung Nachhaltigkeit im Straßenbetrieb Ökobilanzierung Ökobilanzierung - Tools Recycling und umweltfreundliche Materialien: Baustoffrecycling Kaltrecycling Temperaturabgesenkter Asphalt - Rahmenbedingungen Temperaturabgesenkter Asphalt in der Ausführung www.tae.de ISBN 978-3-381-13831-9
