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Storyporting

Wie aus Storytelling und Reporting eine konstruktive Kommunikationsform entsteht

0307
2022
978-3-7398-8120-1
978-3-7398-3120-6
UVK Verlag 
Rainer Nübel
Susanne Doppler
10.24053/9783739881201

Storytelling hat seine Stärken u. a. in der anschaulichen Vermittlung von Erfahrungswissen. Doch in der öffentlichen Kommunikation werden Narrative zunehmend manipulativ missbraucht. Dieses Buch liefert die Storyporting-Methode: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzbasiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die subjektive Wahrnehmung und Analyse verbindet. Praxisbeispiele und Tools zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Storyportings auf, etwa bei Änderungsprozessen in Unternehmen, Kommunen und Organisationen. Das Buch richtet sich an Lehrende, Studierende, Funktionsträger:innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien und Bildung sowie an interessierte Bürger:innen.

Storyporting Wie aus Storytelling und Reporting eine konstruktive Kommunikationsform entsteht Rainer Nübel / Susanne Doppler Storyporting Dr. Rainer Nübel lehrt als Professor für Me‐ dien- und Kommunikationsmanagement an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Zuvor war er viele Jahre im überregionalen Journalismus tätig. Dr. Susanne Doppler ist Professorin für Event‐ management und Tourismus an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Zuvor war sie Marketing‐ verantwortliche bei verschiedenen B2B-Tech‐ nologie-Start-ups. Rainer Nübel / Susanne Doppler Storyporting Wie aus Storytelling und Reporting eine konstruktive Kommunikationsform entsteht Mit Gastbeiträgen von Lia Hiller und Burkhard Schmidt UVK Verlag · München DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739881201 © UVK Verlag 2022 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7398-3120-6 (Print) ISBN 978-3-7398-8120-1 (ePDF) ISBN 978-3-7398-0578-8 (ePub) Umschlagabbildung: © Johnny Greig · iStock Autorenfoto Rainer Nübel: © Hochschule Fresenius Heidelberg Autorenfoto Susanne Doppler: © Hochschule Fresenius Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 1 15 1.1 15 1.2 25 1.3 28 1.4 30 1.5 34 1.6 50 1.7 69 1.8 82 1.9 85 1.10 93 1.11 99 1.12 105 1.13 106 2 113 2.1 114 2.2 116 2.3 118 2.4 120 2.5 123 2.6 125 2.7 126 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heldenreisen, Erfahrungs- und Erfolgsstorys, Performance- Geschichten und der Clash der Narrative: Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien . . . . . . . . . . . . . Medienpsychologische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Storytelling in der Konfliktberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationswettbewerb in Werbung und Marketing Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus . . . Faktuales Storytelling in den Informationsmedien . . . . . . . Narration in der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . Behördennarrative und ihre strategischen Wirkungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politisches Storytelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Clash der Narrative in sozialen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . Narrative Ansätze in Bildung und Wissenschaft . . . . . . . . . Trends im Storytelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SWOT-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Storyporting als konzeptionelle map für ein Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz . . . . . . . . . . . . Herausforderungen der VUCA-Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partizipation: Konvergenz von top down und bottom up . . Annäherung von Narration und sachlich-nüchterner Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das BANI-Framework für die Zeit des Chaos . . . . . . . . . . . Ressourcenfixierung und Weltbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Narrative Empathie trifft ökonomisches Prinzip . . . . . . . . . Analyse der Ressourcensituation als Basis eines Nachhaltigkeitsnarrativs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 127 2.9 129 2.10 131 2.11 133 2.12 138 2.13 140 2.14 143 2.15 146 3 149 3.1 151 3.2 153 3.3 155 4 161 4.1 161 4.2 170 4.3 171 4.4 174 4.5 178 4.6 181 4.7 183 4.8 186 4.9 190 4.10 193 5 195 5.1 195 5.2 201 205 Das Primat des Besonderen in der ‚Gesellschaft der Singularitäten‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Affektkultur der Extreme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polaritäten in der Gegenwartsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . Verbindendes in der Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der kommunikative Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Storyporting: Storytelling und Reporting . . . . . . . . . . . . . . Das Allgemeine im Besonderen, das Besondere im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Storyporting-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Stufe: Narration - Storytelling und -listening . . . . . Zweite Stufe: Reporting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Stufe: Storyporting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbeispiele, Tools und Formate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting- Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Storyporting-Line . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen als Recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der mediale Storyport und das etwas andere Talkshow- Format . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kommunal- und Regional-Talk | Lia Hiller . . . . . . . . . . Storyporting im sozialen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unite Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Storyporting und szenisches Spiel: „Play, plan & perform“ | Lia Hiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbrechen mit Kompetenz und Persönlichkeit . . . . . . . . . Die Nachhaltigkeits- und Transformationsshow . . . . . . . . . Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodisches Verständnis des Mixed-Methods-Ansatzes . Einordnung von Storyporting im Mixed-Methods-Ansatz . Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 207 209 227 231 232 Über die Autor: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Vorwort Gibt man den Begriff ‚Storytelling‘ bei Google ein, werden um die 100 Mil‐ lionen Ergebnisse angezeigt. Die Methode der narrativen Darstellung und Vermittlung von Erfahrungswissen, Informationen, Themen, Ereignissen oder auch Produkten hat in Deutschland und international Hochkonjunktur, insbesondere im Bereich der Unternehmenskommunikation, speziell im Marketing, sowie in den sozialen Medien. Zahlreiche Fachbücher und Praxisratgeber empfehlen Storytelling, weil es Emotionen, Involvement, Identifizierung, recognition, Persuasion und schließlich Kaufinteresse stär‐ ker zu evozieren scheint als die nüchtern-sachliche, datenzentrierte oder auf Argumente setzende Darstellung (z. B. Müller 2014, S. 9-17). In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Narration und Storytelling wird häufig auf den anthropologischen Aspekt verwiesen, dass Menschen sich schon immer Geschichten erzählt haben, um Informationen auszutau‐ schen, Erfahrungen und Traditionen weiterzugeben oder einfach um sich gegenseitig zu unterhalten (z. B. Müller 2020, S. 18ff.; Thier 2017, S. 3 u. 9.). Dass Menschen, soziale Gruppen und ganze Nationen Narrative haben und auch brauchen, um (Lebens-)Sinn und Identität zu generieren, gilt als unbestritten. Für den Soziologen Hartmut Rosa etwa sind soziale Gemein‐ schaften „Resonanzgemeinschaften“, weil sie „die gleichen Resonanzräume bewohnen“ (Rosa 2016, S. 267). Dies seien sie vor allem als „Narrations‐ gemeinschaften, die über ein gemeinsames, Resonanzen erzeugendes und steuerndes Geschichtenrepertoire verfügen“ (ebd.) Storytelling-Forscher Michael Müller ist der Überzeugung, große Massen erreiche man „mit Narrativen und Geschichten, die auf Resonanz stoßen“ (Müller 2020, S. 15). Anschaulich und emotional erzählte Geschichten mit interessanten Prot‐ agonist: innen, starkem Spannungsbogen, einem Prozess der Veränderung und am Ende gelösten Konflikten gelten weithin als wirkungsvoller als die rein sachlich-logische Darstellung. Der Einsatz von Storytelling gerade im Unternehmenskontext wird daher inzwischen selbst zur Aufbereitung von Daten (Nussbaumer Knaflic 2015) und für Bereiche wie Controlling und Rechnungswesen empfohlen, die bisher eindeutig oder ausschließlich vom Reporting, der nüchternen Darstellung von Daten und Kennzahlen, dominiert waren (z. B. Langmann Consulting & Training o. J.). Storys, so wird häufig argumentiert, nehmen die Rezipierenden mit auf eine (Helden-)Reise in zu‐ nehmend komplexer gewordene Realitäten, aktivieren deren Selbsterfahrung und erzeugen Identifizierung und Akzeptanz. All dies kann gerade heute von großer Bedeutung sein, in dieser Zeit des tiefgreifenden Wandels, von dem sämtliche gesellschaftliche Funktionsbereiche, alle Berufsfelder und Menschen betroffen sind und der bei vielen Unsicherheit und auch Ängste auslöst. Als größter Treiber dieser Transformation gilt die Digitalisierung, doch es sind u. a. auch die weitergehende Globalisierung, demografische, po‐ litische, sozioökonomische und kulturelle Entwicklungen zu berücksichtigen sowie auch und besonders der Wandel der öffentlichen Kommunikation. Gerade in diesem essenziellen Kontext tritt freilich ein großes Aber in den Fokus: Storytelling steht immer stärker unter dem Verdacht des Manipulativen. Im medialen Bereich ist es u. a. die Relotius-Affäre um er‐ fundene bzw. gefälschte Reportagen, die das Misstrauen gegen das publizis‐ tisch-professionelle Erzählen verstärkt und das sowieso schon zunehmend gestörte Verhältnis zwischen Medien und Publikum (Weischenberg 2018; Wolf 2015) weiter beeinträchtigt hat. Dass mit Storytelling Menschen stark beeinflusst werden können, stellen seriöse Forschende nicht in Zweifel (z. B. Müller 2020; Thier 2017; Prinzing 2015). Doch häufig werden fast im selben Atemzug die Vorzüge und Chancen von Storytelling beschworen, häufig verbunden mit dem Hinweis auf das scheinbar größere Wirkungspotenzial von erzählten Geschichten. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend gezeigt, dass strategisch-manipulativ eingesetzte oder häufig auch bewusst verkürzte Narrative Bevölkerungen spalten, Radikalismus und demokratiefeindliche Tendenzen befördern können. Besonders evident wurde dies in der Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump, der mit rassistisch konnotierten Narrativen wie „Make America great again“ oder dem Narrativ eines gänzlich unbewiesenen Wahlbetrugs solche Spaltungs‐ wirkungen evoziert hat. Auch in Deutschland setzen populistische Grup‐ pierungen verkürzte oder lügenhafte Narrative verstärkt und nicht selten wirkungsvoll für demokratiefeindliche Propagandazwecke ein. Hinzu kommen Hatespeech-Narrative in sozialen Medien und die evi‐ dente Zunahme von Verschwörungsgeschichten, die laut einer 2021 erschie‐ nenen Studie im Kontext der Coronapandemie weiter forciert wurde (Schü‐ ler et al. 2021). Gleichzeitig führt die ausgeprägt narrative Performance- Kultur in sozialen Medien, mit immer neuen geposteten Erfolgs- oder Aufreger-Storys, zu einem „endlosen Aufmerksamkeits- und Valorisierungs‐ wettbewerb“ (Reckwitz 2018, S. 179), unter dem nicht wenige User: innen zunehmend leiden. Negative Erfahrungen, etwa des Scheiterns oder der 10 Vorwort Krise, werden nach der Analyse des Soziologen Andreas Reckwitz in der heutigen digitalen Affektbzw. Positivkultur unterdrückt oder vermieden. Einzigartig, singulär sein zu sollen in diesem Aufmerksamkeitswettbewerb generiert einen „Profilierungszwang, der zugleich ein Originalitäts-, Kreati‐ vitäts- und Erlebniszwang ist“ (Reckwitz 2018, S. 266). Darüber hinaus ist die in nicht wenigen Fachbüchern und Praxisratgebern formulierte Euphorie, was die scheinbar deutlich größeren Wirkungspoten‐ ziale narrativer Darstellungsformen gegenüber nichtnarrativen angeht, nur bedingt angebracht und daher mit Vorsicht zu genießen. Dies lässt sich aus Metastudien ableiten, in denen jeweils eine größere Anzahl publizierter Studien zu kognitiven, emotionalen oder evaluativen und motivationalkonativen Wirkungen des Storytellings analysiert wurden. Der Leipziger Kommunikationsforscher Felix Frey hat 2014 einen solchen systematischen Forschungsüberblick vorgelegt, in dem er 70 Studien aus 55 Publikationen analysiert hat (Frey 2014, S. 120-192). Der überwiegende Teil (75 Prozent) der Studien stammt aus den USA (ebd., S. 141). Die untersuchten Studien waren in den allermeisten Fällen (74 Prozent) in einem kommunikations‐ wissenschaftlichen Anwendungskontext realisiert worden, u. a. in den Bereichen Werbung, Journalismus, politische Kommunikation und Gesund‐ heitskommunikation. Studierende machten mit 70 Prozent in den Studien den überwiegenden Teil der Proband: innen aus (ebd.). Im Gesamtergebnis stieß Frey zwar auf einige belastbare Studien, die Effekte narrativer Darstellungsmodi auf die (kurzfristige) Erinnerung und auch Einstellungen sowie für Wirkungen auf Intentionen belegen (Frey 2014, S. 165). Doch wenn, so führt Frey kritisch aus, eine bestimmte Tendenz feststellbar sei, lägen fast immer auch gegenteilige Befunde sowie Studien ohne statistisch abgesicherte Ergebnisse vor (ebd., S. 166). Tendenzielle Belege oder Hinweise, allerdings mit eingeschränkter Aussagekraft, fand er in folgenden Bereichen: „Narrative Kommunikate scheinen im Vergleich zu nicht oder weniger narrativen mehr Aufmerksamkeit zu generieren, eher holistisch verarbeitet zu werden, die Vorstellungstätigkeit bei der Rezeption stärker anzuregen und (auf der Basis von objektiven Maßen wie Lesezeiten) verständlicher zu sein. Sie werden als lebhaf‐ ter und realistischer eingeschätzt, steigern die Selbstwirksamkeitserwartung der Rezipienten bezüglich eines thematisierten Themas, werden tendenziell kurz- und mittelfristig besser erinnert und haben intensiveres Erleben spezifischer Emotionen während der Rezeption zur Folge als nicht narrative Botschaften“ (Frey 2014, S. 166). 11 Vorwort Frey stellte aber auch negative Effekte narrativer Kommunikation fest: Dem‐ nach werden narrative Botschaften als weniger informativ wahrgenommen und mittelfristig schlechter bewertet als nichtnarrative (Frey 2014, S. 166f.). Keine Über- oder Unterlegenheit narrativer Kommunikation könne für die subjektiv wahrgenommene Verständlichkeit, für botschaftskonforme Überzeugungsänderungen und den kurzfristig erhobenen Wissenserwerb konstatiert werden. Denn: Signifikante Befunde in beide Richtungen hielten sich die Waage (ebd., S. 167). Der Kommunikationsforscher hält ein Mehr an methodisch hochwertigen Studien für notwendig, besonders wichtig seien jedoch stärker theoretisch-konzeptionell ausgerichtete Arbeiten (ebd., S. 171). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Ettl-Huber et al. (2019) in einer Analyse von 62 wissenschaftlichen Beiträgen zur Wirkungsforschung von Storytelling, in denen 76 Einzelstudien durchgeführt worden waren. Dem‐ nach weisen 37 Beiträge methodische Mängel auf. So waren z. B. bei fast der Hälfte der 76 Einzelstudien ausschließlich Schüler: innen oder Studierende die Proband: innen, entsprechende Aussagen konnten also nur auf diese eine, junge Zielgruppe und nicht in Bezug auf die Gesamtbevölkerung getroffen werden (Ettl-Huber 2019, S. 38). Die stärksten Effekte konnten laut dieser Metastudie bei Verständlichkeit, Überzeugungskraft/ Handeln und Erinnerung bewiesen werden. Glaubwür‐ digkeit zeigt demnach neben einem starken Effekt auch drei mittlere Effekte (Ettl-Huber et al. 2019, S. 37). Dass die meisten starken Effekte für die Emotionalisierung festgestellt werden konnten, bedeute nicht, dass damit in Marketingkommunikation, PR und Journalismus bereits eine relevante Wirkung beschrieben werde. „Denn eine emotionalisierte LeserInnenschaft bedeutet noch kein kaufendes oder zustimmendes Publikum“ (ebd.). Ettl- Huber et al. weisen zudem auf zwei „eher ernüchternde Ergebnisse zur Wirkung von Storytelling“ (ebd., S. 38) hin. Erstens wurden unter den analysierten Beiträgen 28 kleine, 7 mittlere und 15 starke Effekte konstatiert - in der deutlichen Mehrzahl handelt es sich also um kleine Effekte (ebd.). Und: Ein bebilderter Beitrag oder Bewegtbildbeiträge „erzielen, zumindest was die Wirkungsdimension Interesse betrifft, die stärkere Wirkung als die beste Story“ (ebd.). Ähnlich ernüchternd fallen zentrale Ergebnisse einer systematischen Untersuchung zu Wahrnehmungen und zur Wirkung von Nachhaltigkeits‐ geschichten von 2017 bis 2020 an der Leuphana Universität Lüneburg aus. Die Nachhaltigkeitsstory hatte im Vergleich zu klassischen Berichten 12 Vorwort „weder eine positive Wirkung auf das situative Interesse noch auf die umweltschutzbezogenen und konsumbezogenen Handlungsabsichten der jungen Erwachsenen“ (Sundermann 2020). All diese geschilderten Sachverhalte, Entwicklungen und Faktoren las‐ sen die Entwicklung einer alternativen bzw. neuen Kommunikations- und Darstellungsform, in der die Stärken des Storytellings genutzt und die be‐ schriebenen Risiken vermieden werden, sinnvoll und notwendig erscheinen. Darin liegen der Impetus und die Programmatik dieses Buches. Im Fokus steht dabei zentral die Frage: Wie können ein Kommunikationsprinzip sowie eine Methode zur Darstellung und Vermittlung von Erfahrungswissen, Sachverhalten oder auch Produkten aussehen, welche die Stärken und die sich ergebenden Chancen des Storytellings nutzen, die Schwächen ausgleichen sowie die Risiken reduzieren - und dabei den zentralen Her‐ ausforderungen der (digitalen) Transformation gerecht werden? Das Buch liefert dazu die Storyporting-Methode als eine Möglichkeit bzw. als einen zu diskutierenden Vorschlag: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzba‐ siertem, ethikgeleitetem und zukunftsorientiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die u. a. subjektive Wahrnehmung und Analyse sowie Emotion und Kognition verbindet. Ausgangspunkt und Grundlage für die Methodenentwicklung ist eine ausführliche literaturbasierte Bestandsaufnahme zum Einsatz des Story‐ tellings in verschiedenen Bereichen, darunter Unternehmens- und Behör‐ denkommunikation, Marketing, Events, klassische und soziale Medien, politische und Nachhaltigkeitskommunikation. Sie mündet in eine SWOT- Analyse (→ Kapitel 1). Wissend darum, dass der Begriff des Narrativs wie auch des Storytellings teilweise inflationär verwendet wird (Müller 2020, S. 25) und es sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kommunikations‐ praxis kein einheitliches Begriffsverständnis gibt (Prinzing 2015, S. 13), folgen wir dabei maßgeblich dem Diktum von Früh und Frey: Erzählen ist grundsätzlich eine „funktionale Kulturtechnik“ (Früh/ Frey 2014, S. 9), die unter dem Oberbegriff ,Verständigung‘ oder ,Kommunikation‘ zusammen‐ zufassen ist (ebd., S. 9f.). „Narration ist also eine bestimmte Art der Verständigung bzw. Kommunikation. Je nach Gegenstand und Ziel der Verständigung haben sich deshalb diverse Varianten des Narrativen herausgebildet, bei denen die narrative Grundfunktion durch einzelne Spezifika zu prototypischen Definitionen diversifiziert wird“ (Früh/ Frey 2014, S. 10). 13 Vorwort Eine solche prototypische Definition, die uns sinnvoll auf verschiedene Einsatzfelder anwendbar erscheint, liegt darin, dass Storytelling eine Me‐ thode ist, um Informationen, Sachverhalte, Aussagen, Ereignisse und auch Erfahrungswissen erzählend, damit „dramaturgisch konstruiert“ (Prinzing 2015, S. 14), statt in nüchtern-darstellender bzw. nachrichtlicher Form zu vermitteln. Mitberücksichtigt wird das von Ettl-Huber erarbeitete und auf Erzähltextanalysen von Lahn und Meister basierende Storytelling-Ele‐ mente-Repertoire von Thema, Handlung, Figur, Zeit, Raum, Erzählinstanz, Rede und Stil (Ettl-Huber 2019, S. 28; Ettl-Huber 2014, S. 16; Lahn/ Meister 2013, S. 204). Die narrative Grundstruktur lässt sich wiederum mit Müller, in Rückgriff auf die Poetik von Aristoteles, so fassen: Ausgangszustand - Transformation, durch ein Ereignis ausgelöst - Endzustand (Müller 2020, S. 23). Aus der Bestandsaufnahme und der SWOT-Analyse zum Einsatz von Storytelling sowie dem anschließenden makroperspektivischen Blick auf gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische sowie kommunikative Struktur‐ faktoren und Entwicklungen wird im → Kapitel 2 Storyporting als Kom‐ munikationsprinzip erwünschter Konvergenz abgeleitet - insbesondere vor dem Hintergrund stark polarisierender Tendenzen und des „kommunikati‐ ven Klimawandels“ (Pörksen/ Schulz von Thun 2020, S. 16) in der heutigen digitalen Gesellschaft. Daraus wiederum wird in → Kapitel 3 Storyporting als dreistufige Kommunikations- und Darstellungsmethode entwickelt. An zahlreichen Anwendungsbereichen, neuen Tools und Formaten werden die konkreten Einsatzmöglichkeiten des Storyportings dargestellt, u. a. im Kon‐ text von Zukunftscamps in Unternehmen/ Organisationen und nachhaltiger Entwicklung, als Lerntool, neuem Talkshow-Format oder als szenisches Spiel von Transformationsprozessen (→ Kapitel 4). Schließlich geht es um Überlegungen dazu, wie Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik verortet werden kann (→ Kapitel 5). Da die Frage adäquater Kommunikation, gerade im zeitaktuellen Kontext der (digitalen) Transformation, von grundsätzlicher Relevanz ist, richtet sich dieses Buch an Lehrende, Studierende und Schüler: innen, aber insbesondere auch an Funktionsträger: innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Bildung, Wissenschaft, Medien, Kultur und Sport sowie an interessierte Bürger: in‐ nen. Wir wünschen allen Leser: innen eine möglichst anregende Lektüre, die zu einer regen Diskussion und auch kritischen Gegenrede motivieren mag. 14 Vorwort 1 Heldenreisen, Erfahrungs- und Erfolgsstorys, Performance-Geschichten und der Clash der Narrative: Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Überblick | Das erwartet Sie in diesem Kapitel In welchen Bereichen wird Storytelling eingesetzt, warum und wie ge‐ schieht dies? Diese Bestandsaufnahme zum Einsatz narrativer Konzepte und Tools soll neben den jeweiligen strategischen Zielsetzungen und Wirkungsmustern sowohl Stärken und Chancen als auch Schwächen sowie Risiken des Storytellings beleuchten, um ein möglichst differen‐ ziertes Gesamtbild zu erarbeiten. Am Ende des Kapitels erfolgt daher eine SWOT-Analyse. Die Beschäftigung mit den Einsatzfeldern von Storytelling als Methode der narrativen Darstellung von Sachverhalten, Ereignissen oder Ent‐ wicklungen erfordert die trennende Kategorisierung in fiktionale und faktuale Erzählung (Müller 2019, S. 136f.). Gleichzeitig gilt es auch, den Blick darauf zu richten, wo und in welcher Form beide Bereiche Schnittstellen aufweisen oder sich miteinander verbinden bzw. ineinan‐ derfließen. 1.1 Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien Romane, Theaterstücke, Kino- und Fernsehfilme oder Serien stehen typi‐ scherweise für die fiktionale Narration. Romanautor: innen und Dreh‐ buchschreiber: innen haben die Lizenz zur Erfindung jeglicher nur denkba‐ ren oder imaginären Figuren, Handlungen und Welten. Sie sind nicht an realitäre Räume und Zeiten gebunden, können die unglaublichsten Dinge und kühnsten Utopien schildern. Doch sehr häufig beinhalten fiktionale Texte Bezüge zu realen Orten, historischen Zeiträumen oder Sachverhalten. Und insbesondere in der Rezeption des fiktionalen Storytellings kommen Aspekte des Faktualen zum Tragen: Rezipient: innen erwarten meist nicht nur Kohärenz, Verständlichkeit und Logik, sondern fordern nicht selten, dass auch erfundene Geschichten ,realistisch‘ sein sollen. Tatort-Drehbuchautor: innen kennen dies. Wenn sie in einem - fiktiven - Mordfall die TV-Kommissar: innen mit Strategien und Methoden jenseits des professionellen Polizeialltags ermitteln lassen, lässt die Kritik an den Macher: innen der ARD-Krimikultserie nicht lange auf sich warten: „viel zu unrealistisch.“ Inzwischen werden nach Ausstrahlung der Krimis Fakten- Checks zu deren Realitätsgehalt publiziert. Wahrgenommene Widersprüche zwischen der fiktiven Erzählwelt und der selbst erlebten oder empirisch nachprüfbaren Welt des Faktualen können bei Rezipient: innen also kogni‐ tive Dissonanzen auslösen. Weichen Inhalte eines Spielfilms von gesellschaftlich-konventionellen Denkmustern, Realitätsdarstellungen, Frames, brain scripts und Narrativen ab, kann die evozierte Dissonanz sogar hochpolitisch konnotiert sein. Fast schon zu einer Staatsaffäre wuchs sich 2017 die Stuttgarter Tatort-Folge „Der rote Schatten“ aus. Regisseur Dominik Graf hatte nicht nur zeitgeschichtli‐ che Dokumente zum RAF-Terror im Jahr des ‚Deutschen Herbstes‘ 1977 in den Krimi eingebaut. Vielmehr hatte er die in linken Kreisen lange ventilierte Spekulation, das Führungstrio um Andreas Baader habe im Stammheimer Hochsicherheitstrakt nicht Selbstmord begangen, sondern sei von einem Mordkommando umgebracht worden, szenisch durchgespielt. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich damals, nachdem die Bild-Zeitung bereits großbuchstabig die Skandalisierungsmaschine an‐ geworfen hatte, zu einer staatlich-offiziösen Kritik an einer fiktionalen Krimiserie veranlasst: Der Tatort habe „die Märtyrerlegende vom Justizmord an den Häftlingen“ wiederaufleben lassen (Körte 2017). Gerhard Baum, der in der ‚bleiernen‘ Zeit der RAF-Morde an Generalbun‐ desanwalt Siegfried Buback, Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer und anderen Repräsentanten des Staates Bundesinnenminister war, warf dem Tatort-Regisseur vor, „die unerträgliche Vermischung von Realität und Fiktion“ sei „unverantwortlich“ (Körte 2017). Dies löste wiederum im Feuilleton deutscher Medien Erregung aus. „Was Baum unerträglich findet, man muss leider so trivial werden, ist das Prinzip fiktionalen Erzählens in Literatur, Film und Theater“, schrieb Peter Körte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (ebd.). „Dass er es so unerträglich findet, mag auch damit zu tun haben, dass Graf ein unausgesprochenes Bilderverbot übertreten hat. Zu sehen, wie die Häftlinge getötet werden, hat eine größere Wucht, als würde lediglich darüber gesprochen“ (ebd.). Man solle trotzdem 16 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling das Durchspielen von Möglichkeiten nicht mit einer These verwechseln (ebd.). Und der Kulturjournalist gab zu bedenken: „Wenn die empörten Kritiker im staatstragenden Ton warnen, nach Ansicht des Films werde man die Tötung für die amtliche Version der Wahrheit halten, dann erklären sie implizit das Publikum für unfähig zu begreifen, was sie selbst natürlich durchschaut haben; es treibt sie dabei weniger die Sorge um fatale Auswirkungen auf das politische Bewusstsein der Nation als die Angst um ihre Deutungshoheit, die sie mit Filmen wie dem ‚Baader-Meinhof-Komplex‘ durchge‐ setzt glauben. Für diese Hegemonie ist Grafs Verfahren natürlich ein Affront, weil auch die immergleichen RAF-Bilder, die zirkulieren, nun konkurrieren müssen mit neuen“ (Körte 2017). Reflexion | Was denken Sie? Wie realistisch sollen oder dürfen fiktive Filme sein? Dieses Fallbeispiel zeigt exemplarisch, wie stark die Wirkung von Narrati‐ ven in einem fiktionalen Genre auf das Verständnis oder die Konstruktion von Realität im faktualen Kontext sein kann. Film trifft Journalismus Fundierte und intensive Recherche, so der Tenor in der Filmbranche, gehört zwingend zum Handwerkszeug von Drehbuchautor: innen oder Regisseur: innen. Sie wird von Funktions- und Entscheidungsträger: innen im Film- und Fernsehgeschäft zunehmend eingefordert. Ein Drehbuch für einen ‚schwäbischen Krimi‘ abzuliefern, in dem sich das Schwäbische lediglich darin finde, dass der Kommissar regelmäßig Maultaschen verzehre, erfülle den Rechercheauftrag in keiner Weise, monierte 2015 die damalige Filmchefin des Südwestrundfunks (SWR), Martina Zöllner, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Facts & Fiction, bei der sich Journalist: innen und Drehbuchautor: innen regelmäßig austauschten. An der renommierten Film‐ akademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg sind Recherche-Kurse für Studierende aller Sparten der Filmproduktion seit längerem fester Bestand‐ teil des Curriculums. Häufig werden sie von Journalist: innen gehalten. Es ist nicht das einzige Terrain, auf dem Erzähler: innen fiktionaler Geschichten zunehmend mit Faktenvermittler: innen in Kontakt treten. Die verstärkte Kooperation von Filmmanagement und Nachrichtenme‐ 17 1.1 Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien dien zeichnet sich sogar als medialer Branchentrend ab. Im August 2020 gab Constantin Film die exklusive Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) bekannt. Konkret gehe es darum, dass SZ-Autor: innen Pro‐ duzent: innen und Drehbuchautor: innen bei verschiedenen Filmprojekten beraten. Die neue Partnerschaft sei „ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich journalistische Stoffe in unterschiedlichen Formaten, von Print bis Bewegtbild, erzählen lassen“ (Constantin Film 2020). Als erstes Projekt, so wurde angekündigt, arbeiten Constantin Film und Süddeutsche Zeitung an einer High-End-Dokumentation über die Lovepa‐ rade - von der anfänglichen Erfolgsgeschichte in Berlin bis zur Katastrophe in Duisburg im Jahr 2010. Thematisiert werde auch „der daraus resultie‐ rende, emotionale Impact, den dieses Unglück noch heute auf alle Beteiligten und die Gesellschaft hat“ (Constantin Film 2020). Zudem sei eine neue fiktionale TV-Movie-Reihe mit dem Titel German Crime geplant, in der spektakuläre deutsche Kriminalfälle der vergangenen 30 Jahre neu erzählt werden sollen, mit bislang unbekannten Hintergründen, die sich aus SZ- Recherchen ergeben hätten (ebd.). Die werbende Programmatik, die Oliver Berben als Constantin-Film- Vorstand für TV, Entertainment und digitale Medien in diesem Kontext formulierte, zielt stark auf die Schnittstellen von fiktionalem und faktualem Storytelling: „Das wahre Leben schreibt vielfach die besten Geschichten. Daraus fakten-basierte zeitgemäß und hochwertig produzierte Formate zu erschaffen, die die Zuschauer nicht nur unterhalten, sondern auch informieren, darauf freuen wir uns sehr“ (Constantin Film 2020). Das große, spartenreiche Medienhaus Bertelsmann verfolgt eine ähnliche Cross-over-Strategie: Unter dem Dach der Bertelsmann Content Alliance, so verkündete der Gütersloher Konzern im Oktober 2020, werden der Streaming-Anbieter TVNow, das im Hamburger Verlag Gruner + Jahr erscheinende True-Crime-Magazin stern Crime und die Ufa Show & Fac‐ tual exklusiv den Kriminalfall des sogenannten ‚Maskenmanns‘ verfilmen (UFA 2020; ots 2020). Konvergenz und Partizipation Beide Vorgänge lassen sich als Reaktion von Medienunternehmen auf die großen Herausforderungen deuten, die sich aus der Transformation, dem großen Wandel in allen Funktionsbereichen der Gesellschaft, ergeben. Als deren größter Treiber gilt die Digitalisierung. Im technologischen und 18 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling auch marktspezifischen Kontext hat sie zuvor getrennte Segmente, wie z. B. Telekommunikation und Medien, sich annähern und teilweise auch bereits zusammenwachsen lassen. So agiert Telekom, in analogen Zeiten ein klas‐ sischer Telefonieanbieter, inzwischen auch als Medienunternehmen mit ei‐ nem digitalen Nachrichtenangebot (t-online.de), das mit Online-Portalen von Printverlagen wie dem Spiegel konkurriert. Die Time-Branche (Telekom‐ munikationsunternehmen, Informationstechnik-Unternehmen, Medienun‐ ternehmen, Unterhaltungselektronik-Unternehmen) verliert zunehmend ihre Konturen. „Es entstehen innovative Dienstleistungen, die Konzepte aus verschiedenen Bereichen übernehmen“ (Beyer/ Carl 2012, S. 127). Diese Konvergenz wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachli‐ teratur primär als Annäherung im technisch- und produktspezifischen (gemeinsame Anwendung digitaler Technologien auf Systeme und Netze; Inhalte werden dadurch anpassbar), ökonomischen (medien‐ übergreifendes Agieren von Medienunternehmen, um neue Kunden‐ potenziale zu generieren) oder marktspezifischen Kontext adressiert (Beyer/ Carl 2012, S. 125ff.; Wirtz 2019, S. 65f; Rockenhäuser 1999). Sie zeigt sich, wie die beiden Vorgänge verdeutlichen, auch horizontal in der Kreation von Content, dem core asset eines jeden Medienun‐ ternehmens (Wirtz 2019, S. 37-40). Und Storys bilden wiederum ein wichtiges Content-Segment. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive relevant ist der Um‐ stand, dass sich im Zuge der Konvergenz, konkret mit der gemeinsamen Plattform, auch die Grenzen der Mediengattungen zunehmend verwischen (Mast 2012, S. 32). Die wirtschaftliche Dimension der medialen Konvergenz verdeutlicht Mast am „triple play, bei dem Unternehmen den Kunden Inter‐ net, Telekommunikation und Rundfunk aus einer Hand anbieten“ (ebd.). Kritischer Erfolgsfaktor seien die Inhalte, die über die Plattformen und Kanäle den Kund: innen zugänglich gemacht werden können (ebd.). Zudem verändern Innovationen in der Informations- und Kommunikati‐ onstechnologie die Nutzungsgewohnheiten des Publikums und ermöglichen neue Medienformate (Wirtz 2019, S. 3). Aus den in analogen Medienzei‐ ten weitgehend passiven Rezipient: innen sind aktive Prosument: innen geworden, die erwarten, dass ihre individuellen Bedürfnisse befriedigt werden, und die mitreden, teilweise auch aktiv am Mediengeschehen teil‐ haben wollen. Netflix steht in diesem Kontext für einen weiteren Trend im 19 1.1 Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien Storytelling-Geschäft: Der Streaming-Anbieter nahm 2019 neue interaktive Titel wie „Du gegen die Wildnis“ ins Programm, in denen die Zuschauer den Lauf der Geschichte bestimmen können (Handelsblatt 2020). Das US- Medienunternehmen setzt also auf das Digitalisierungsparadigma der Par‐ tizipation. Die Heldenreise als narratives Grundmuster Bei allen transformationsbedingten Neuerungen und Entwicklungen im Filmbereich scheinen die Grundstrukturen des fiktionalen Storytellings derweil gleichzubleiben und in gewisser Weise archetypisch zu sein. In Ge‐ sprächen, Vorträgen oder Workshops zu ihrem Metier verweisen Drehbuch‐ autor: innen häufig auf dieselben oder zumindest sehr ähnliche Regeln, mit denen sie arbeiten: Authentisch zu sein, lautet eine Regel, eine Geschichte bzw. Handlung aus den Figuren heraus zu schildern, eine andere. Dies bedeutet, sich in die erfundenen Figuren hineinzudenken, ihre mögliche Biografie, ihre Entwicklungen, Gedanken, Gefühle, Sehnsüchte oder auch Abgründe kohärent zu konstruieren und die möglichen Beweggründe für das, was sie tun, auszuloten. „Wenn ich eine Figur einen Mord begehen lasse“, erzählte etwa Jürgen Werner im Dezember 2020 vor Studierenden in Heidelberg, „versuche ich mich zuvor in sie hineinzuversetzen und frage mich: warum tue ich das, geschieht es aus Rache, habe ich ein Sohn-Vater- Problem, oder welches andere Motiv habe ich? “ Für Werner, der Drehbücher sowohl für den Tatort als auch für die ZDF- Romantikserie Traumschiff schreibt, ist es zudem besonders wichtig, die ersten Szenenfolgen in beiden Genres so zu setzen und zu arrangieren, dass sich die Rezipient: innen ‚wohlfühlen‘. Er meint damit, dass das Publi‐ kum Situationen, Figuren und Zusammenhänge antrifft, die ihm vertraut sind. Man könnte auch sagen: die einer bekannten Ordnung entsprechen. Dazu dienen Stereotypen. Das David-Goliath-Prinzip gehört dazu. Jürgen Werner führt in diesem Kontext gerne die Figur des zerknautschten und notorisch unterschätzten Kommissars Columbo aus der gleichnamigen US- Krimiserie an. Dass Columbo am Anfang heillos überfordert und linkisch wirkt, am Ende aber den Mordfall auf seine eigene knitze Weise lösen wird, weiß das Publikum nach den ersten Folgen. „Das ist nicht langweilig“, sagt Werner, „vielmehr will das Publikum wissen, wie Columbo es schafft.“ Gängige Erzähltricks, gerade in Krimis, sind auch der Einsatz des ‚ roten Herings‘ als Handlungselement, bei dem die Erwartungen der Rezipient: in‐ 20 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling nen bewusst in die falsche Richtung gelenkt werden und Überraschung evoziert wird, wenn die falsche Fährte evident wird, oder die überraschende Wendung, der Plot-Twist. Sprechen Drehbuchautor: innen darüber, wie sie erzählen, welchen Mus‐ tern sie folgen, fällt meist ein Schlüsselbegriff des filmischen Storytellings: hero’s journey - die Heldenreise. Grundlage des im Filmbereich mitunter fast schon zu einem Erzählgesetz mutierten Modells sind die Forschungen des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Joseph Campbell in den 1950er-Jahren zu Märchen, Mythen und modernen Erzählungen. Aus seiner Analyse Der Heros in tausend Gestalten leitete er die Heldenfahrt als Grundstruktur des Geschichtenerzählens ab, die der Hollywood-Bera‐ ter, Film-Dozent und Autor Christopher Vogler Ende der 1990er-Jahre in seinem Buch Die Odyssee des Drehbuchschreibers in leichten Abänderungen auf den Film übertrug. Bekannte Filmemacher wie George Lucas, Steven Spielberg oder Francis Ford Coppola ließen sich von Campells Modell sehr stark inspirieren oder es zeigen sich in ihren Arbeiten Einflüsse davon (Vogler 2018, S. 35 u. 41). Die Ausgangssituation der zyklisch strukturierten Heldenreise liegt darin, dass der Held sich in seiner gewohnten alltäglichen Welt befindet, von der aus er in „eine andersartige, neue und fremde Welt“ (Vogler 2018, S. 48) aufbricht. Wenn der Held dann den ‚Ruf des Abenteuers‘ erhält, Stadium zwei, wird er „mit einem Problem konfrontiert; er steht vor einer Herausforderung oder muss sich auf ein Abenteuer einlassen“ (ebd., S. 49). Zunächst weigert sich der Held, dem Ruf des Abenteuers zu folgen, Stadium drei. In dieser Situation begegnet er einem Mentor. Daraufhin überschreitet er die erste Schwelle, nimmt das Abenteuer an und begibt sich „zum ersten Mal völlig in die besondere Welt seiner Geschichte“ (ebd., S. 52). Für Vogler geht die Geschichte im Grunde erst mit diesem fünften Stadium richtig los, er verweist in diesem Kontext auf die gängige Drei-Akt-Struktur von Filmen: „Im ersten geht es um die Entscheidung des Helden zu handeln, im zweiten um die Handlung selbst und im dritten um die Konsequenzen, die daraus entstehen“ (ebd., S. 52f.). Jetzt steht der Held vor Prüfungen und Bewährungsproben, er findet Verbündete, stößt aber auch auf Feinde. Besonders häufig scheinen Kneipen oder Bars die Schauplätze dieses sechsten Stadiums zu sein (Vogler 2018, S. 53f.). Dann betritt der Held einen gefährlichen Ort, er dringt im siebten Stadium der hero’s journey ‚zur tiefsten Höhle‘ vor, wo große Gefahr droht (ebd., S. 55). Bei der ‚entscheidenden Prüfung‘, dem achten Stadium, muss 21 1.1 Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien der Held „seine größte Angst bezwingen; ihm steht der Kampf auf Leben und Tod mit einer feindlichen Macht bevor“ (ebd., S. 56). Nach dem erfolgreichen Bestehen der entscheidenden Prüfung bekommt er seine Belohnung - „den Schatz, um dessentwillen er aufgebrochen war“ (ebd., S. 57). Dabei kann es sich laut Vogler um eine spezielle Waffe, einen symbolisch-essenziellen Gegenstand oder aber um erworbenes Wissen und Erfahrung handeln (ebd., S. 57f.). Mit dem anschließenden ‚Rückweg‘, dem zehnten Stadium, beginnt in Voglers Dramaturgie der filmischen Heldenreise der dritte Akt, in dem sich der Held „den Konsequenzen stellen muss, die sich aus seiner Begegnung mit den dunklen Mächten in der entscheidenden Prüfung ergeben haben“ (Vogler 2018, S. 59). Verfolgungsszenen resultieren daraus, gleichzeitig fasst der Held in diesem Stadium der Handlung die Entscheidung, in seine gewohnte Welt zurückzukehren. Bevor er dort ankommt, verändert durch die erlebten Abenteuer und Herausforderungen, muss er in einer letzten Prüfung seine ‚Auferstehung‘ erleben, d. h. er muss in diesem elften Stadium beweisen, „dass er seine Lektionen aus der entscheidenden Prüfung auch wirklich gelernt hat“ (ebd., S. 60). Schließlich kehrt der Held in seine alltägliche Welt zurück - mit einem erworbenen Elixier, einem Schatz oder neuem Wissen. Nach diesem Grundmuster des Mythos, davon ist Vogler überzeugt, „lässt sich der schlichteste Comic genauso entwickeln wie das anspruchsvollste Drama“ (Vogler 2018, S. 64). Die Reise des Helden sei eine sehr flexible Vor‐ lage, die „endlose Variationen“ (ebd.) erlaube, ohne dabei ihre ursprüngliche Magie zu verlieren, betont der Filmexperte und scheint damit präventiv die Kritik ausräumen zu wollen, dass der Ansatz (allzu) hermetisch oder dogmatisch sein könnte. Es gebe auch Geschichten, in denen der Held eine Reise nach innen antrete (ebd., S. 46). Das Grundmuster gilt demnach auch für das Genre der Romantikfilme. „Die Abenteuer solcher Reisen des Gefühls“, so Vogler, „nehmen das Publikum gefangen und machen eine Geschichte lesens-, hörens- und sehenswert“ (ebd.). Gute Geschichten vermitteln den Rezipient: innen demnach das Gefühl, „etwas Neues über das Leben oder über uns selbst gelernt zu haben“ (ebd., S. 30). Dies bedeutet, dass Storys einerseits die Selbsterfahrung von Menschen abrufen und andererseits neue oder andere Facetten des Lebens vergegenwärtigen, damit das Erfahrungspotenzial erweitern. Die Wirkung und Reichweite dieses Heldenreisen-Modells sind beacht‐ lich. Wie Vogler im Vorwort der 2018 erschienenen Ausgabe seines Buches 22 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling schreibt, „ziehen nicht mehr nur Autoren aller Provenienzen und Genres die Odyssee bei ihrer Arbeit heran, sondern auch Lehrer, Psychologen, Werbeleute, Strafvollzugsexperten, Mythenforscher und Wissenschaftler, die sich mit der Popkultur beschäftigen“ (Vogler 2018, S. 12). Der Hollywood- Berater hat auf seinen Vortragsreisen allerdings festgestellt, dass der Begriff ‚Held‘ nicht überall auf Akzeptanz stößt. Die deutsche Kultur hat nach seiner Wahrnehmung ein sehr ambivalentes Verhältnis dazu, was er historisch begründet. Der Nationalsozialismus und der deutsche Militarismus hätten die Symbole des Heldenmythos für ihre Zwecke missbraucht, indem sie da‐ mit Unterwerfung, Entmenschlichung und Zerstörung beschworen hätten. Nach 1945, im Kontext der Reorganisation kultureller Werte, legte man nach Voglers Darstellung keinen Wert auf die Idee des Helden (ebd., S. 20f.). „Leidenschaftslose, kühle Anti-Helden entsprechen dem derzeit in Deutschland vorherrschenden Geschmack eher; ein Anklang von unsentimentalem Realismus wird hier deutlich bevorzugt, obgleich auch ein gewisser Hang zum Romantizis‐ mus und ein Faible für Fantasy spürbar sind“ (Vogler 2018, S. 20f.). Kritik am Heldenreisen-Modell Kritik an der ‚Odyssee‘ regte sich u. a. dahingehend, dass die lineare Erzähltechnik der Heldenreise mit der Digitalisierung und den daraus entstandenen interaktiven und nichtlinearen Formen obsolet geworden sei. Die neue Art des Erzählens, so gibt Vogler Hauptinhalte dieser Kritik wieder und spricht dabei den Aspekt des user generated content an, würde es möglich machen, dass die Menschen endlich ihre eigenen Geschichten erzählen können - mit jeder beliebigen Abfolge der Ereignisse oder etwa von Punkt zu Punkt springend (Vogler 2018, S. 23). Vogler konzediert, dass digitale Technologie und nichtlineares Denken „aufregende neue Möglichkeiten geschaffen haben“ (ebd., S. 23), meint aber, dass sich gerade die Reise des Helden für Computerspiele und interaktive Formen bestens eigne (ebd., S. 24). Und Vogler formuliert, mit einigem Pathos, seine Grundüberzeugung: „In allen Zeiten werden sich Menschen mit Vergnügen der Trance des Erzählens hingeben oder sich selbst von einem meisterhaften Geschichtenweber durch eine Erzählung führen lassen“ (ebd., S. 23). Revolutioniert durch digitale Spiele, hat sich das Storytelling in der digi‐ talen Welt völlig verändert und es bahnt sich eine vollkommen neue Form des Erzählens an. Zum einen durch die bereits erwähnte Interaktivität, die wie in vielen medialen Bereichen auch Einzug hält im digitalen Story‐ 23 1.1 Fiktionales Erzählen in Filmen und Serien telling, zum anderen dadurch, dass auch Autor: innen in digitalen Welten frei davon sind, sich „physikalischen Gesetzen unterwerfen zu müssen, Anatomie zu studieren oder bekannte Konflikte aufzugreifen“ (Lochner 2014, S. 11). Entsprechend folgt das Storytelling in virtuellen Welten neuen erzählerischen Gesetzmäßigkeiten, als wir es von Büchern und Filmen kennen. Interaktive Erzählschemata in parallelen Handlungssträngen lösen herkömmliche dramaturgische Plot-Szenarien ab (ebd., S. 18). Struktur des doppelten Weges: Individuum und Gemeinschaft Obwohl Vogler in seiner Darstellung der Heldenreise als Story-Grundmuster wiederholt beispielhaft die Artussage anführt, wo die tiefste Höhle (Stadium sieben) die Gralskapelle sei, bleibt unberücksichtigt, dass die deutsche Artusforschung seit den 1970er-Jahren eine andere Struktur ausgemacht hat: die des doppelten Weges. Nach der Analyse mehrerer Mediävisten ‚funktionieren‘ mittelalterliche Artusromane wie der Erec von Hartmann von Aue so: Der aus seiner alltäglichen Welt aufbrechende Held gewinnt nach erfolgreich gemeisterten Herausforderungen sowie der Gewinnung einer Frau persönlichen Ruhm und Ehre und wird von Artus an dessen Hof aufgenommen. Doch plötzlich wird der Held mit eigener Schuld, dem Bewusstsein eigenen Versagens oder einer Schuldzuweisung konfrontiert - das zuvor erreichte ideale Stadium ist gebrochen, verloren gegangen. Daraus ergibt sich für den Helden die Notwendigkeit, noch einmal loszuziehen - auf einen zweiten Weg, eine zweite Abenteuerreise. Auf diesem zweiten Weg geht es nicht mehr nur darum, die persönliche Idealität zu beweisen, sondern vielmehr darum, sich in den Dienst der sozialen Gemeinschaft zu stellen und Hilfsbedürftigen zu helfen. Hat der Held auch diese im Vergleich zum ersten Weg schwierigeren Abenteuer erfolgreich gemeistert, kehrt er ein zweites Mal an den Artushof zurück, jetzt im bleibenden Besitz der vollständigen Ehre und Macht (Mertens 2007; Haug 1990; Ruh 1977). Zwar gibt es in der literaturwissenschaftlichen Mittelalterforschung inzwischen auch Kritik an diesem Modell, u. a. an seiner Dogmatik (Schmidt 1999), doch gilt die Doppelwegstruktur bis heute als ein wesens‐ bestimmendes Merkmal dieser historisch-spezifischen Form des fiktionalen Storytellings. Interessant ist sie auch und besonders deshalb, weil sie das handelnde Subjekt, den Helden, zunächst im individuell-ethischen und dann, auf dem zweiten Weg, im sozial- oder systemethischen Kontext positioniert. Gerade vor dem Hintergrund ethischer, sozialpsychologischer 24 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling sowie narratologischer Aspekte könnte ein solches Modell auch für das Storytelling in unserer postmodernen Zeit relevant sein. Jedenfalls ließe sich ein impliziter Bezug zum Sozialkonstruktivismus herstellen, der davon ausgeht, dass Menschen Wirklichkeit zum einen individuell und zum anderen sozial konstruieren und die damit geschaffenen Wahrheiten innerhalb von Kulturen, Gesellschaften und sozialen Segmenten geteilt werden (Gergen 2002). 1.2 Medienpsychologische Perspektive Aus der Perspektive der Medienpsychologie ist wiederum die Frage relevant, warum Menschen bestimmte TV- oder Kinofilme bzw. Genres auswählen und rezipieren. Der Uses-And-Gratifications-Ansatz geht davon aus, dass Menschen Medien und deren Narrative nutzen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Die aktive Medienselektion und -rezeption erfolgt dem‐ nach immer funktional und dient der Erreichung gewünschter Wirkungen. Wichtig sind dabei das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis. Die Gratifikation stellt die Befriedigung und Motive einer Person dar (Bati‐ nic/ Appel 2008, S. 113f.). Spielfilme und andere Medien können ablenken oder nützlich sein für persönliche Beziehungen, indem man z. B. mit anderen über Filminhalte sprechen kann oder glaubt, mit den Protagonist: innen bzw. Held: innen soziale Beziehungen aufzubauen. Sie können aber auch helfen, eine eigene Identität zu entwickeln oder die eigenen sowie andere Unwahrheiten zu verstehen (ebd., S. 157). Die Entscheidung zur Nutzung eines bestimmten Medienangebots hängt nach diesem Ansatz zum einen von Persönlichkeitsmerkmalen wie Extraversion, Ängstlichkeit oder Offenheit für Erfahrungen ab, zum anderen von den momentanen Befindlichkeiten und Bedürfnissen. Letzteres kann, als affektives Bedürfnis, die Ablenkung von eigenen Problemen durch das stellvertretende Erleben nicht erfüllter Wünsche (emotional release) sein, damit auch ein eskapistisches Bedürfnis, aber auch die Identifikation mit den Helden und deren Lebensstil (wishful thinking) oder, als kognitives Bedürfnis, die Suche nach Anregungen für das eigene Leben (advice) aus anderen, erzählten Lebensgeschichten (Batinic/ Appel 2008, S. 113f.). Der soziale Kontext einer Medien- oder Filmwahl, so lautet eine Kritik an diesem Ansatz, wird dabei kaum berücksichtigt (ebd., S. 116). 25 1.2 Medienpsychologische Perspektive Stimmungsmanagement und Sensationslust Ausgehend von der generellen These, dass es im Fernsehverhalten zwei entgegengesetzte Motive gibt, nämlich Entspannung und Abbau von Stress auf der einen, die Suche nach Aktivation und Aufregung auf der anderen Seite, wurden zwei verfeinerte Ansätze zur Medienselektion und -nutzung entwickelt: Nach der vom US-Forscher Dolf Zillmann in den 1980er-Jahren erarbeiteten Mood-Management-Theorie wählen Menschen TV-Angebote so aus, dass ihr erwünschter emotionaler Zustand erreicht wird. Damit nehmen sie aktiv Einfluss auf ihren aktuellen Stimmungszustand. Ziel der Medienauswahl ist demnach die Herstellung eines positiven Gefühlszus‐ tands und die Minimierung von aversiven Gefühlen. Dieser Prozess erfolgt automatisiert und ist weitgehend frei von willentlicher Steuerung. Positive Erfahrungen führen jedoch dazu, dass auch künftig eine solche Auswahl getroffen wird. Menschen betreiben demnach aktives Stimmungsmanage‐ ment. Wählen sie traurige Filminhalte aus, etwa die Titanic-Tragödie, verbindet sich das Erleben medialer Trauer mit positiver Selbstattribution - man spricht sich z. B. die Fähigkeit zur Empathie selbst zu (Batinic/ Appel 2008, S. 116ff.). Der andere Ansatz adressiert das sensation seeking als wichtiges Motiv der Medienwahl und -nutzung. Sensationslust wird dabei als Persönlichkeits‐ merkmal gesehen. Der amerikanische Psychologe Marvin Zuckerman hat in seinen langjährigen Forschungen zum sensation seeking vier Komponen‐ ten ausgemacht: die Suche nach dem Nervenkitzel (thrill and adventure seeking), nach Lebenserfahrungen, die über die bisherigen hinausgehen (experience seeking), die Suche nach ‚enthemmten‘ sozialen Stimuli (disinhi‐ bition seeking) und die Vermeidung von Langeweile (boredom susceptibility). Spannung wird positiv erlebt und führt zu einer positiven Bewertung des entsprechenden Filmes, wie Untersuchungen zur Wirkung von Filmen zeigen. Sensation seeker bevorzugen Action-, Abenteuer-, Horror- und Ero‐ tikfilme sowie im Musikbereich Hardrock (Batinic/ Appel 2008, S. 160f. u. 118). Im Kontext der affektiven Medienwirkungen spielt gerade bei fik‐ tionalen Medienprodukten wie Filmen oder Fernsehserien das Mitfühlen und Mitfiebern der Rezipient: innen mit den Protagonist: innen oder, in der Terminologie der hero’s journey, mit den Helden der erzählten Geschichten eine wichtige Rolle. Die Rezipient: innen dieses Storytellings versetzen sich emphatisch in die Gedanken und Gefühle positiv konnotierter Akteur: innen, 26 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling bangen mit ihnen mit, wenn sie in gefährliche Situationen geraten oder Schicksalsschläge erleiden. Über dieses emphatische Erleben können aber auch negative emotionale Verbindungen zu Protagonist: innen fiktionaler Storys entstehen (Trepte/ Reinecke 2019, S. 92f.). Die von Rolf Zillmann entwickelte Affective-Disposition-Theorie sieht eine starke Wirkung von positiver und negativer Voreingenommenheit auf das rezeptive Erleben solcher Geschichten: „Während wir mit geliebten Medienfiguren mitfiebern, empathisch auf sie re‐ agieren und uns einen möglichst positiven Ausgang für sie wünschen, verhält es sich bei Charakteren, denen gegenüber wir negative affektive Dispositionen entwickelt haben, genau umgekehrt. Für Filmschurken empfinden wir in der Regel Verachtung und wünschen ihnen die gerechte Strafe“ (Trepte/ Reinecke 2019, S. 94). Emotionale Spannung und Erregung, die sich in der Rezeption von Spielfilmen, damit von fiktionalem Storytelling, aufbaut, kann von einer Szene in die nächste oder übernächste überschwappen, also intensiv nachwirken. Auf dieses Phänomen bezieht sich der Ansatz des excitation transfer. Demnach haben emotionale Reaktionen auf mediale Stimuli eine länger anhaltende, nachhaltigere Wirkung als kognitive. Dies bedingt, dass die in einem Storyteil aufgebaute emotionale Erre‐ gung die Wahrnehmung nachfolgender Sequenzen stark beeinflussen und damit die Rezeptionserfahrung dominant prägen kann. Kommt es, nach dem Aufbau eines großen Anspannungspotenzials in den vorangegangenen Storypassagen, zum Happy End, werden die positi‐ ven Emotionen, z. B. Euphorie und Erleichterung, noch intensiver wahrgenommen (Trepte/ Reinecke 2019, S. 96). Identifizierung mit Story-Figuren Die intensive Auseinandersetzung mit Filmstory-Figuren kann zur Illusion einer direkten realen Interaktion mit diesen führen. Die Rezipient: innen glauben dann, die Protagonist: innen bestens zu kennen, was im TV-Bereich etwa bei Moderator: innen wie Günther Jauch oder Marietta Slomka nicht selten der Fall ist. Die Medienpsychologie spricht in diesem Zusammen‐ hang von parasozialen Interaktionen (Als-ob-Interaktionen), die sich bei mehrfachen Begegnungen mit Medienfiguren zu parasozialen Beziehungen entwickeln können (Trepte/ Reinecke 2019, S. 100-102). Die Identifikation 27 1.2 Medienpsychologische Perspektive mit einer Story-Figur geht darüber hinaus, in diesem Fall liegt keine Trennung zwischen Rezipient: in und Protagonist: in mehr vor. „Vielmehr kommt es zu einem ‚Verschmelzen‘ der Perspektive der Rezipienten und des Mediencharakters, die Rezipienten tauchen also in die narrative Medi‐ enwelt ein, schlüpfen in die Rolle der Medienfigur und machen sich für einen begrenzten Zeitraum deren Eigenschaften und Gefühle zu eigen“ (Trepte/ Reine‐ cke 2019, S. 104). Wie intensiv die Beschäftigung mit einem medialen Reiz, etwa dem fiktiona‐ len Storytelling in einem Film, ausfällt und welche Relevanz Inhalte der darin vermittelten Botschaften haben, ist Gegenstand des Konzepts des Involve‐ ments, das auch aus der Konsumentenforschung bekannt ist (Kroeber- Riel/ Gröppel-Klein 2019). Das Präsenzerleben als medienpsychologisches Konzept hingegen bezieht sich auf die subjektive Wahrnehmung von Rezi‐ pient: innen, tatsächlich vor Ort in der erzählten, medial vermittelten Welt zu sein (Trepte/ Reinecke 2019, S. 109-111). 1.3 Storytelling in der Konfliktberatung Erzählte Geschichten, so zeigen die psychologischen Forschungen zum Fernseh- und Filmbereich, lösen bei Menschen sowohl kognitive als auch affektive Wirkungen differenzierter Art aus. Vor diesem Hintergrund wird fiktionales Storytelling auch in Kommunikationsprozessen von Konflikt‐ klärung und Konfliktlösung eingesetzt. Ein Ansatz des Coachings oder der Therapie mithilfe von Storys adressiert dabei vier verschiedene Wir‐ kungsebenen von Geschichten: die äußere Ebene des Sichtbaren, die sich über rationales Erfassen und logische Schlüsse erschließen lässt; die innere Ebene des Unsichtbaren, der Gefühle, Wünsche, Träume, Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen, die ganzheitliches Denken, bildhaftes Vorstellen, Intuition und Empathie fordert; die kollektive Ebene, also die jeweilige Kultur, in der Menschen aufwachsen, und deren Wertesysteme sowie die urmenschlichen Lebensthemen; die individuelle Ebene, die sämtliche angeborenen und erworbenen Eigenschaften, Merkmale, Gefühle und Be‐ dürfnisse des Einzelnen umfasst. Komplikationen oder Konflikte entstehen demnach, wenn sich die Balance dieser Ebenen verliert, weil eine oder mehrere Ebenen dominieren (Milling 2020, S. 14-17). 28 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Für die promovierte Mediatorin, Trainerin und Dozentin Hanna Milling, die das Storytelling in der Konfliktberatung analysiert hat, sind Geschichten bestens dazu geeignet, dass diese Ebenen erreicht und neue Verhaltens‐ weisen sowie Handlungsmöglichkeiten generiert werden - indem Men‐ schen selbst erlebte oder glaubhaft überlieferte Erfahrungen auf ihre aktuelle Situation übertragen. „Durch ihre Sprachlichkeit auf der einen Seite und ihre Bildhaftigkeit auf der anderen sprechen Geschichten sowohl unseren Verstand an, unser rationales, logisches Denken - also die Ebene des Äußeren, Sichtbaren, Begreifbaren -, als auch unser Herz und unseren Bauch - also die tiefer liegende Ebene der Emotionen und Handlungsimpulse“ (Milling 2020, S. 22f.). Konnex von Emotion und Ratio Im Kontext solcher Ansätze wird häufig auf Ergebnisse und Erkenntnisse der aktuellen Gehirnforschung rekurriert. Bilder und Symbole aktivieren demnach stark das limbische System mit der Amygdala, wo die Emotionen angesiedelt sind. Dieses mittlere Gehirn, das zusammen mit dem Stammhirn, wo das vorbewusste Körpergedächtnis liegt, das subkortikale System bildet, reagiert deutlich schneller als das evolutionsbiologisch jüngere Großhirn (Neocortex), in dem das rational-kausale, abstrakte und logische Denken lokalisiert ist (Milling 2020, S. 25-27). Das limbische System, das zwischen ‚Denkhirn‘ und Stammhirn vermittelt, ist demnach durch bildhafte Geschichten besonders gut zu erreichen. Das Coaching in der Konfliktklärung und -lösung setzt darauf, dass Geschichten über den Kon‐ nex von Emotion und Ratio das Verhalten von Menschen positiv verändern können. Dabei haben Storys unterschiedliche Funktionen: Sie entspannen und unterhalten, fungieren als Spiegel eigener Wünsche oder Probleme, ermöglichen aber gleichzeitig auch Distanz zur eigenen Perspektive und Befindlichkeit, sie transformieren Abstraktes in anschauliche und lebendige Bilder, sie generieren Perspektivwechsel, regen die Fantasie an, bleiben im Gedächtnis und dienen als Modelle für Konfliktsituationen, aber auch für mögliche Lösungen (ebd., S. 3-49). Milling verwendet in ihrer Arbeit gerne Weisheitsgeschichten, Mär‐ chen und Legenden. Ihre Praxisbeispiele zeigen, dass die Betroffenen von Konflikten, sei es im Privaten oder im Kontext eines Unternehmens, durch die fiktiven Texte häufig zunächst irritiert sind und diese dann aber als neue, andere Perspektive oder Handlungsbzw. Verhaltensalternative wahrneh‐ 29 1.3 Storytelling in der Konfliktberatung men und schließlich auf ihre konkrete Situation, also auf ihre faktualen Konfliktgeschichten, beziehen. Daraus entwickelt sich im Erfolgsfall ein Lösungsansatz für die reale Konfliktgeschichte (ebd., S. 51ff.). Wie Milling verfolgen heutzutage zahlreiche Coaches und Mediator: in‐ nen den Ansatz des Konstruktivismus. „Wir konstruieren unsere Welt und damit unsere subjektive Wirklichkeit in und durch Geschichten (= Narrative). Wir erfinden unsere Identität, stricken unsere Biographie und geben Erlebtem und Erfahrenem Sinn, indem wir relevante Elemente des Erlebten auswählen und in einen sinnhaften Zusammenhang setzen“ (Milling 2020, S. 92). Die individuellen Geschichten sind dabei mit den kollektiven Geschich‐ ten des soziokulturellen Umfelds verbunden. Milling legt ein Drei- Schritte-Modell für den narrativ-konstruktivistischen Umgang mit faktualen Konfliktgeschichten vor: (1) Die Konfliktgeschichten aus der individuellen Sicht der Konfliktparteien werden zunächst wertfrei nachvollzogen und als subjektive Realitäten anerkannt. (2) Start einer sensiblen Dekonstruktion der verengten Konfliktgeschichten. Dabei werden diese nicht als ‚falsche Geschichten‘ entlarvt. Vielmehr geht es darum, „das festgezurrte Gewebe der totalisierenden Konfliktbeschrei‐ bungen zu entzerren“ (Milling 2020, S. 94), dabei sichtbar zu machen, welche Elemente für die Geschichte ausgewählt und in einen sinnhaf‐ ten Zusammenhang gebracht wurden, und schließlich den Blick für weitere, bisher nicht berücksichtigte Elemente und Deutungsmöglich‐ keiten zu öffnen. (3) Die Konfliktparteien werden darin unterstützt, mit den entzerrten Strängen und Elementen der verschiedenen Konflikt‐ geschichten eine alternative, gemeinsame Geschichte zu generieren, in die unterschiedliche Sichtweisen sowie bislang unberücksichtigte Elemente und Deutungen integriert werden können (Milling 2020, S. 94f.). 1.4 Kommunikationswettbewerb in Werbung und Marketing In TV-Spots und Werbeclips wurden schon immer Geschichten erzählt. Die kommunikativen Ansätze und die Art der Story haben sich freilich in den vergangenen Jahrzehnten evident verändert. Bis Anfang der 1990er-Jahre 30 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling dominierte die produkt-, zielgruppen- und wettbewerbsorientierte Werbung als Marketingmaßnahme. Werbefiguren wie Clementine oder der animierte Meister Proper standen schon Ende der 1960er-Jahre für die perso‐ nifizierte Qualität eines bestimmten Waschmittels bzw. Reinigungsmittels, während die Jacobs-Krönung-Werbung im nächsten Jahrzehnt - frei von jeglicher Emanzipation - Ehefrauen dringend ins Gewissen rief, morgens im emsigen Hausstand ja die richtige Kaffeesorte zu servieren, damit der Gatte nicht zürnend das Heißgetränk im Büro bevorzugt. Ein Klassiker der Wettbewerbskommunikation in den 1980er Jahren ist wiederum die Drei-Wetter-Taft-Werbung, in der die Frisur der Protagonistin morgens im regnerischen Hamburg genauso perfekt sitzt wie beim Zwischenstopp im windigen München und schließlich bei der Flugankunft im heißen Rom - das schaffte, in der fiktionalen Storywelt der Werbung, nur dieses eine Produkt. Da viele Produkte im Laufe der Zeit immer ähnlicher geworden waren und deren Unique Selling Proposition (USP), also das spezifische Alleinstel‐ lungsmerkmal, dementsprechend schwieriger zu konturieren war, vollzog sich in den 1990er-Jahren der Wandel zum Kommunikationswettbewerb - und damit zur Unique Communication Proposition (UCP). In den Wettstreit um die besseren Werbestorys schickte Coca-Cola damals u. a. einen attraktiven Fensterputzer, dessen Arbeitsauftritt an einem Büroge‐ bäude zum Pflichttermin für Manager: innen wurde, ins (Klischee-)Rennen. Die 2000er-Jahre werden in der Fachliteratur wiederum der Dialogkom‐ munikation zugeordnet - vor dem Hintergrund der zunehmenden Digi‐ talisierung und ihrem Paradigma der Interaktion geht es in Marketing und Werbung seitdem darum, die Kund: innen direkt anzusprechen und zu ihnen eine möglichst enge und wechselseitige Beziehung aufzubauen. Mit der zunehmenden Hinwendung zu Online-Medien, etwa Videoportalen, Podcasts oder Weblogs, entwickelte und intensivierte sich von 2010 an die Netzwerkkommunikation (Bruhn 2019, S. 15-20). Seitdem Neurowissenschaftler: innen Erkenntnisse publizieren, wonach weniger Fakten und Zahlen die Menschen umtreiben als vielmehr Gefühle, Geschichten und andere Menschen (Spitzer 2004) oder dass das Gehirn „In‐ formationen in Geschichten verpackt, speichert und wieder abruft“ (Fuchs 2013, S. 19, zit. nach Milling 2020, S. 31), setzen Marketingstrateg: innen noch stärker auf Storytelling. Um neue Kund: innen zu gewinnen, bestehende zu binden oder ehemalige zurückzugewinnen, zielen sie in der Werbung verstärkt auf das limbische System, das Gefühlszentrum im Gehirn. Dazu werden in Werbespots oder -filmen fiktionale, mitunter aber auch faktuale 31 1.4 Kommunikationswettbewerb in Werbung und Marketing Geschichten mit intendiert hohem affektiven Gehalt oder dramatischen Inhalten erzählt (Heiser 2020). Die Telekom-Werbegeschichte um den un‐ scheinbar wirkenden Briten Paul Potts, der bei einer Castingshow plötzlich stimmgewaltig eine bekannte Verdi-Arie schmettert, damit Jury wie Publi‐ kum zu Tränen rührt und weltweit bekannt wird, ist ein solches faktuales Storybeispiel. Einige Diskussion hat derweil die fiktionale #Heimkommen- Geschichte ausgelöst, in der ein alter Mann vorgibt, tot zu sein, um seine Familie zu sich zu locken. Dass in diesem Spot erst spät das werbende Unternehmen, nämlich Edeka, evident wird, ist ein Merkmal einer solchen ausgeprägt emotionalen Werbung über Storytelling. Die starke affektive Wirkung der Geschichte, die ein Stück weit über das zumindest implizite Evozieren eines schlechten Gewissens (wann habe ich zuletzt meinen Vater/ Großvater besucht? ) generiert wird, soll als UCP das Unternehmen promovieren. Golden Circle: Das Warum in Werbestorys In Zeiten der Digitalisierung und des veränderten Mediennutzungsverhal‐ tens, in denen die Aufmerksamkeitsspannen (noch) kürzer werden, Werbe‐ anzeigen zunehmend als lästig empfunden werden, TV-Blockwerbung häu‐ fig Zapping-Fluchtreflexe auslöst, Direkt-E-Mails im Spam-Ordner landen und Werbeanrufe nerven, vollzieht sich im Marketing ein Strategiewechsel: weg vom verkäuferzentrierten Push-Marketing, also der ‚klassischen‘ Werbung analog und digital, hin zum kundenzentrierten Pull-Marketing bzw. Inbound-Marketing. Auf Webseiten, Blogs, Erklärvideos oder Pod‐ casts werden die Inhalte auf die Interessen der User: innen abgestimmt. Ziel ist es, eine aktive Rezeption der Inhalte sowie ein Bedürfnis bei den Kund: in‐ nen zu generieren. Sie sollen einen nutzenstiftenden Mehrwert erhalten - durch attraktiven Content und die Förderung des Dialogs. Der potenzielle oder bestehende Kunde soll also in seinen individuellen Bedürfnissen und Erwartungen abgeholt und kognitiv wie affektiv angesprochen werden sowie die Möglichkeit zur Partizipation erhalten (Schlömer 2017). Storytelling gilt im Kontext dieser modernen Marketingstrategie als zentrale kommunikative Methode, um Involvement und Identifizie‐ rung zu generieren. Dabei sind Adaptionen des zyklischen Heldenrei‐ sen-Grundmusters aus dem Filmbereich mitunter recht deutlich zu erkennen (Sammer 2017, S. 49). Nach dem von Simon Sinek entwickel‐ 32 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling ten und gerade im Online-Marketing inzwischen stark rezipierten Modell des Golden Circle steht das ‚Warum‘ bei der Kaufentscheidung an erster Stelle - sozusagen das Problem oder der Konflikt, den es zu lösen gilt, ähnlich wie bei der Reise des filmischen Helden. Das auf die Kundenperspektive orientierte ‚Warum‘ sollte nach dem An‐ satz des britisch-amerikanischen Unternehmensberaters und Dozenten für strategische Kommunikation für jedes Unternehmen im Zentrum seiner Kommunikation und konkret des Marketings stehen. Danach folgen das ‚Wie‘, also die Lösung des Problems, und schließlich das ‚Was‘ - die Sache, mit der die Lösung möglich geworden ist. Das Produkt steht also, ganz anders als im traditionellen Marketing, am Ende der werbend-informierenden Geschichte (Sinek 2020, S. 39ff.). „Wenn von innen nach außen kommuniziert wird, dann liefert die Frage WARUM den Kaufgrund und die Frage WAS dient als konkreter Beweis für diesen Glauben. Die Gegenstände, auf die wir hinweisen, um die Gründe zu rationalisieren oder zu erklären, die uns zu einem Produkt, einer Firma oder einer Idee hinziehen“ (Sinek 2020, S. 43). Für Sinek ist es notwendig, Herz und Hirn zu gewinnen. Das Herz stehe für den limbischen, fühlenden Bereich des Gehirns und das Hirn sei der rationale Teil, das im Neocortex angesiedelte Sprachzentrum (Sinek 2020, S. 59). Er präferiert die Inspiration deutlich gegenüber dem manipulativen Moment, das er dem ‚klassischen‘ Marketing zuordnet. „Wenn Firmen es nicht schaffen uns zu vermitteln, WARUM wir etwas kaufen sollen, zwingen sie unsere Entscheidungen ausschließlich auf der Grundlage von Fakten zu treffen. Deshalb erfordern diese Entscheidungen mehr Zeit, fallen uns schwer und machen uns unsicher. Unter diesen Umständen haben manipulative Strategien, die unsere Sehnsüchte, Ängste, Zweifel und Fantasien ausnutzen, großen Erfolg. Wir sind aus einem einzigen Grund gezwungen, uninspirierte Entscheidungen dieser Art zu treffen - die Firmen liefern uns nichts, worauf wir unsere Entscheidung stützen könnten, außer Daten und Fakten, Funktionen und Vorteile. Die Firmen sagen uns nicht WARUM“ (Sinek 2020, S. 58). In der Umsetzung eines solchen dezidiert kund: innen- oder stakeholder: in‐ nenzentrierten Ansatzes ist es für das Storytelling in der Marketingpraxis zunächst wichtig, sich in die Persona hineinzuversetzen, also die Zielgrup‐ penperspektive einzunehmen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, 33 1.4 Kommunikationswettbewerb in Werbung und Marketing sollte die Geschichte zudem einfach oder zumindest allgemeinverständlich sein. Dramaturgisch steht das ‚Warum‘ am Anfang. Zunächst erfahren die Rezipient: innen, was auf sie zukommt. Dann wird der Protagonist mit seinem Konflikt, Problem oder Bedarf eingeführt und vorgestellt. Damit soll Nähe zu den Rezipient: innen bzw. potenziellen Kund: innen aufgebaut wer‐ den. In den nachfolgenden Stationen wird durch eine Reihe von Ereignissen Spannung aufgebaut, der Held ist Komplikationen und Herausforderungen ausgesetzt, bis die Story ihren Plot-Point erreicht, den (emotionalen) Hö‐ hepunkt. Jetzt kommt das Stadium, in dem das Publikum erfährt, wie und mit was das Problem oder der Konflikt gelöst wird - also mit welchem Produkt, welcher Dienstleistung oder welchem Prozess. Im Fazit wird die Story kurz zusammengefasst oder ein positives Ende geschildert. Schließlich wird auf weiterführende Details verwiesen, etwa durch Angabe einer Webadresse (Kleine Wieskamp 2013). Veit Etzold, Strategieberater sowie Krimiautor, und der Wirtschaftsjour‐ nalist Thomas Ramge empfehlen dem Management von Unternehmen wie‐ derum, im Kontext einer strategischen Analyse erst einmal das ‚Wer‘ zu fo‐ kussieren (wer hat das Unternehmen gegründet? ), um dann das ‚Warum‘, das Wertversprechen und das Alleinstellungsmerkmal anzuschließen. Entspre‐ chend zum Krimi-Genre sollte es demnach auch in Corporate Storys nicht nur den strahlenden Hochglanz-Helden geben, sondern Gegenspieler, Hin‐ dernisse, Probleme und überraschende Wendungen (vgl. Veit/ Ramge 2014). 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus Geschichten erzeugen Wirklichkeit. Indem sie Ideen über Charaktere und Si‐ tuationen beispielhaft in konkrete Erlebniswelten übertragen, unterstützen sie Rezipient: innen darin, ‚die Welt‘, Produkte, Marken, Service-Angebote und komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Geschichten haben das Poten‐ zial, Informationen zu transportieren, Probleme zu erklären und Emotionen hervorzurufen (Fischer/ Storksdieck 2018). Dabei dienen Geschichten als „archetypische Rahmen“ (Fischer et al. 2021, S. 31). Tradierte und ver‐ traute Formen der Wissensvermittlung ermöglichen es Rezipient: innen, sich mit komplexen Zusammenhängen, interkulturellen Themen und moralischethischen Fragen auseinanderzusetzen, diese aufzunehmen, zu verarbeiten und aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Dabei entsteht Aufmerksamkeit der Rezipient: innen auf ein Thema und die Möglichkeit, 34 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling neue Sichtweisen kennenzulernen und das eigene Handeln zu adaptieren (ebd., S. 32). Gleichzeitig kann gerade diese Verwendung archetypischer Erzählrahmen, wie z. B. der Einsatz von verstärkten Stereotypen, sich nachteilig auf Kommunikationsziele auswirken, wenn dadurch andere Ziele negativ torpediert und widersprüchliche Botschaften vermittelt werden. Fischer et al. (2021, S. 33) erklären dies am Beispiel der Verwendung von verstärkten Geschlechterstereotypen im Nachhaltigkeits-Storytelling, wodurch das Kommunikationsziel ‚Gleichberechtigung der Geschlechter‘ widersprüchlich aufgegriffen wird. Auch Unterkomplexität sehen die Au‐ toren als problematisch an, da Rezipient: innen sich entmündigt fühlen könnten. Storytelling und Events In den letzten Jahren hat sich das Event-Marketing erfolgreich als Instru‐ ment zur Realisierung kommunikationspolitischer Ziele von Unternehmen, Organisationen, Verbänden und Destinationen etabliert (Lohmann/ Zanger 2020; Zanger 2021, S. 10). In der Literatur besteht Einigkeit, dass Events als Marketinginstrument mit dem Ziel eingesetzt werden, durch die erleb‐ nisorientierte Vermittlung von firmenund/ oder produktbezogenen Kommunikationsinhalten Botschaften und Assoziationen nachhaltig im Gedächtnis der Zielgruppe zu verankern (Nufer 2011; Lohmann/ Zanger 2020). Denn in der modernen hyperkompetitiven Umgebung sind Unter‐ nehmen zunehmend von der Idee überzeugt, dass Erinnerungen dazu beitragen, einen wirtschaftlichen Wert zu generieren (Tanasca et al. 2014). Dabei können Geschichten es für Rezipient: innen, also Teilnehmer: innen und Gäste, erleichtern, erzählte Inhalte später in ihr soziales oder berufliches Umfeld zu übertragen (Fischer/ Storksdieck 2018). Im Eventkontext wird Storytelling als Kommunikationsmethode angewendet, um Content für die Teilnehmer: innen aufzubereiten (Hilker 2017, S. 435-436). Geschichten ermöglichen, die Veränderbarkeit der erlebten Welt zu erfahren, indem Rezipient: innen Anteil daran nehmen, wie das Handeln der Figuren den Lauf der Dinge beeinflusst, verändert und gestaltet (Fischer/ Storksdieck 2018). Events aller Art sind inszenierte Ereignisse und als solche ist ihnen die Methode des Storytellings als fester Bestandteil eines dra‐ maturgisch-inszenierten Produktionsprozesses inhärent. Nach Zanger (2021) kann die Methode des Storytellings als Inszenierungstechnik 35 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus von Markenerlebnissen im Rahmen von Events eingesetzt werden, was bedeutet, dass im Rahmen der Eventinszenierungen Geschichten erzählt werden. Über die bewusste und unbewusste Aufnahme von Inszenierungsreizen wie z. B. Architektur der Location, Bilder, Mu‐ sik, Deko und Catering sollen die Teilnehmenden in die Geschichte hineingezogen werden, der Geschichte eine starke Aufmerksamkeit entgegenbringen, in die Markenerlebniswelt eintauchen und dabei Raum und Zeit vergessen (Zanger, 2021, S. 10; Gruner et al. 2014, S. 13). Dabei entwickeln die Teilnehmer: innen eine kognitive und emotionale Identifikation mit der Marken- und Eventstory. Speziell die Integration digitaler Technologien wie Virtual-Reality-An‐ wendungen (VR) zielen darauf ab, Eventbesucher: innen besondere Erleb‐ nisräume anzubieten, in denen Narrationen mit Produkt-, Marken- und Leistungsbezug erlebbar inszeniert werden und damit deren Präsentation unterstützen (Ruetz 2018; Drengner/ Wiebel 2020). Im Kontext von Messe‐ ständen untersuchen Kießig et al. (2020), inwieweit VR-Erlebniswelten das Nachkaufverhalten von Messebesucher: innen beeinflussen. Im Forschungs‐ design stellen die Autor: innen einen Zusammenhang her zwischen VR- Welten und dem Konzept der vividness, das die „Qualität gedanklicher Vorstellungsbilder von Ereignissen (z. B. Wochenendausflug) oder Objekten (z. B. Leistungsangebote eines Anbieters) im Sinne ihrer Klarheit, Intensität und Güte [beschreibt]“ (MacInnis/ Price 1987, S. 474ff., zitiert in Kießig et al. 2020, S. 46). Das Konzept bezeichnet demnach die Lebhaftigkeit gedanklicher Vorstellungsbilder. Der Kommunikations- und Medienforscher Felix Frey zeigt, dass Storytelling dazu geeignet ist, die Vorstellungstätigkeit bei der Rezeption stärker anzuregen, und - gemessen an z. B. Lesezeiten - zu größerem Verständnis bei Rezipient: innen führt, als dies nichtnarrative Kommunikate vermögen (Frey 2014, S. 166). Daraus kann weiter geschlos‐ sen werden, dass virtuelles Storytelling in VR-Applikationen die vividness befeuert (zu Storytelling in virtuellen Welten siehe auch Lochner 2014). Die Ergebnisse des Feldexperiments am Messestand des Schlösserlands Sachsen im Rahmen der weltweit führenden Tourismusmesse Internatio‐ nale Tourismus-Börse, kurz: ITB, im März 2019 von Kießig et al. (2020) zeigen, dass durch VR-Anwendung die Lebhaftigkeit der Präsentation des Leistungsangebots und das Erlebnis der Besucher: innen am Messestand verstärkt werden (ebd.). 36 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Storytelling und Orientierung Die Megatrends Globalisierung und Individualisierung erzeugen eine Komplexität in der Lebenswelt und im Bewusstsein der Menschen, die zu einem Verlust an Übersicht und zu Orientierungslosigkeit führt. Dieser Verlust bringt in der hochgradig individualisierten und global vernetzten Kultur ein Bedürfnis nach Orientierung und Ordnung hervor, eine Sehnsucht nach Dramaturgie (Varga/ Ehret 2016, S. 33). Im März 2020 zwang die Coronapandemie die gesamte Event- und Tourismusbranche zu einem flächendeckenden Lockdown. Die Eventbranche verlegte sich in der Folge sehr schnell in digitale Begegnungsräume. In Deutschland, aber auch weltweit, fanden Veranstaltungen zunehmend online statt. Mit dieser sprunghaft zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung wuchs das Be‐ dürfnis nach Orientierung, Ordnung und Dramaturgie weiter. Bereits 2011 mutmaßte der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter in seinem Leitartikel zum Schwerpunkt Marketing/ Event, dass „die Virtualisierung der wirklichen Welt […] die Sehnsucht nach echten Gesprächen, nach dem Gesichtsaus‐ druck des anderen, nach Gesten [weckt]“ (Lotter 2011). Interessanterweise stellt Wolf Lotter bereits 2011 in jenem Artikel die kritische Frage, ob „man sich wirklich noch immer einmal im Jahr an engen Messeständen zusammenrotten [muss]“ (ebd.). Im Kontext von Events beinhaltet das Storytelling eine kohärente Geschichte mit einem erkennbaren Anfang, einem Mittelteil und einem Ende. Die Geschichte transportiert Informationen über den zeitlichen und räumlichen Kontext, die handelnden Charaktere und den Konflikt, sie wirft unbeantwortete Fragen oder ungelöste Konflikte auf und bietet Lösungen an (Fischer/ Storksdieck 2018). Die Geschichte wird als ein roter Faden erzählt, der einem dramaturgischen Aufbau folgt, in dem Akteure - das können Menschen, Marken, aber auch Produkte sein - „zu Wort kommen und dem Rezipienten eine Identifikation erlauben“ (Heimes 2016, S. 853, zitiert in Fi‐ scher/ Storksdieck 2018). Gundlach (2007, S. 87-89) unterscheidet im Kontext von Events vier Formen der Dramaturgie: (1) die szenische Dramaturgie, die Szene für Szene unveränderlich und ohne Interaktionsmöglichkeiten abläuft, (2) die architektonische Dramaturgie, bei der Teilnehmer: innen sich durch einen dramaturgisch gestalteten Raum bewegen, (3) die interaktive Dramaturgie, bei der die Teilnehmer: innen durch Interaktion die Handlung und Szenen beeinflussen können, und (4) die strategische Dramaturgie, die die gesamte Zeitspanne einer Kommunikationskampagne betrachtet. 37 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus In der Event- und Tourismusbranche beginnt das Erlebnis, die Reise, bereits in der sogenannten Pre-Eventbzw. Pre-Reise-Phase, also der dem eigentlichen Event bzw. der Reise vorgelagerten Zeit. Die Teilnehmenden informieren sich, vernetzen sich, interagieren untereinander, aber auch mit den Veranstalter: innen und Akteur: innen. Im privaten Bereich werden Fahrgemeinschaften gebildet, Pläne geschmiedet, es wird eingekauft, ge‐ packt, Vorfreude zelebriert. Die ‚Erzählung‘ beginnt. Das Event bzw. die Reise selbst werden live erlebt, aber auch in den sozialen Medien zur Story. Digitale Posts und Instagram-Storys, Tik-Tok-Videos, private oder professionelle Blogs, Postkarten, Online-Tagebücher und vor allem im B2B-Bereich auch Twitterbeiträge erzählen und kommentieren das Erlebte medial. In der Post-Eventbzw. -Reisephase wird das Erlebte in Erzählungen unter Freund: innen, in der Familie und unter Kolleg: innen manifest. Diese Erzählungen über Aktivitäten und Erlebtes über die Pre-, Live- und Post- Event-/ Reisephase konstruieren eine Wahrnehmung der Identität einerseits, andererseits beziehen Aktivitäten und das Erlebte aber ihren Sinn aus der Story, im Kontext derer sie erlebt werden. Diesen Zusammenhang aus eigener Story, Selbstwahrnehmung der Identität und Sinnbezug bestätigt Fernandez (2021) im Kontext seiner Analyse zum Einfluss von Co‐ vid-19-Maßnahmen auf die narrative Dimension des menschlichen Lebens. Der Biologe und Hirnforscher Werner Siefer (Siefer 2015, S. 159ff.) erklärt aus Perspektive der menschlichen Evolution, dass Erzählungen ein autobio‐ grafisches Gedächtnis formen und das „Ich entstehen [lassen]“ (ebd., S. 159). Er betont die Zukunftsgerichtetheit von verinnerlichten Geschichten und deren besondere Bedeutung bei der Entstehung eines Erfahrungsschatzes und bei der Lösung für Probleme, die zuvor bereits in ganz ähnlicher Weise aufgetreten sind (ebd., S. 160f.). Co-Kreation und Dramaturgie Die technologischen Möglichkeiten lösten einen Schub der globalen Vergemeinschaftung aus (Varga/ Ehret 2016, S. 32). Dies führt u. a. dazu, dass sowohl in privaten als auch in beruflichen Lebensberei‐ chen vernetzte Teams und Gemeinschaften kollaborieren und mitein‐ ander teilen, z. B. Wohnungen, Autos, Werkzeuge, Kleidung - und Geschichten (ebd.). Diese Wir-Kultur offeriert dem hochindividuali‐ sierten Ich neben dem ökonomischen und ökologischen Nutzen des 38 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Ressourcensparens und dem relationalen Nutzen des Vernetzens auch eine Art Struktur, einen Beziehungskontext und damit auch eine Sicherheit, vor deren Kulisse sich das Individuum frei entwickeln kann. Daraus entsteht auch eine ‚Schwarm-Kreativität‘, oder auch Co- Kreation und Interactive Storytelling, das Rezipient: innen erlaubt, mit den Medieninhalten zu interagieren und Inhalte selbst zu steuern (Fischer/ Storksdieck 2018). So kann in medialen Räumen jede: r Einzelne die Rollen von Produzent: in und Rezipient: in gleichzeitig einnehmen. Geschichten werden gemeinsam erzählt, Events in co-kreativen Ansätzen gemeinsam gestaltet. Diese Ent‐ wicklung zur Co-Kreation äußert sich beispielsweise in gemeinsamen Fan- Erzählungen (Fan-Fiction) als Gegenentwurf zu den historischen Vorbildern der großen Erzähler und der ‚Auserwählten‘, deren Erzählungen ganze Dörfer und Gemeinschaften folg(t)en (Varga/ Ehret 2016, S. 34). In der Konzeption und Umsetzung von Events findet das Bedürfnis nach Übersicht, Orientierung und Struktur seinen Ausdruck in der Eventdra‐ maturgie. Die Gäste und Teilnehmenden haben das Bedürfnis nach einer erlebbaren und erlebten Geschichte, das Event selbst wird im Idealfall daher selbst eine Geschichte. In der äußeren Dramaturgie eines Events wird der Ablauf und Span‐ nungsbogen des Events festgelegt, um dann in der inneren Dramaturgie mittels Botschafter: innen, Held: innen und Akteur: innen erzählt zu werden (Schäfer-Mehdi 2012, S. 122-125). Dabei unterschieden wird die offene von der geschlossenen Dramaturgie. Die offene Dramaturgie, auch Num‐ merndramaturgie genannt, findet bei Events Ausdruck in einer linearen Ablaufplanung von der Begrüßung bis zur Abmoderation, Verabschiedung und anschließender Party, während sich die geschlossene Dramaturgie in einer Aktstruktur erzählt. Meist wird eine Drei-Akt-Struktur gewählt (Grytzmann 2018; Schäfer-Mehdi 2012), die in einem oder mehreren Hand‐ lungssträngen erlebbar in Szene gesetzt wird (Schäfer-Mehdi 2012) und in der Literatur dem Storytelling zugerechnet wird (Drengner 2015). In der inneren Dramaturgie und Bauform werden die handelnden Figuren festge‐ legt (z. B. Mitarbeiter: innen, Kund: innen, Teilnehmer: innen, Vorstandsvor‐ sitzende) und deren Motive und Entwicklung in einer Handlung erzählt. Den Kern der Erzählung geben ‚die eine Botschaft‘ und das ‚eine Bild‘, die vermittelt werden sollen (Gundlach 2007; Doppler 2016), sowie das Motiv, warum sie erzählt werden (Thinius/ Untiedt 2017). So hat z. B. die führende 39 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus Automobilmesse IAA, die in Frankfurt zuletzt im Jahr 2019 stattfand, die Botschaft „Driving tomorrow“ kommuniziert. Nachdem die IAA im Jahr 2020, bedingt durch die Coronapandemie, abgesagt werden musste, vollzo‐ gen die Macher der internationalen Leitmesse der Automobilindustrie im Coronajahr 2021, nach über 120 Jahren IAA, einen konsequenten Wandel der bis 2019 in Frankfurt beheimateten Messe zu einer international führenden Mobilitätsplattform und zum nachhaltigen Stadtprojekt am Standort Mün‐ chen. Kommuniziert wird die ‚neue‘ IAA mit der Kernbotschaft IAA Mobility 2021 (Verband der Automobilindustrie o. J.). Die Botschaft der IAA sind zukunftsfähige Mobilitätskonzepte, nicht mehr Automobile. Das Bild einer möglichen Mobilität der Zukunft zieht sich als roter Faden durch die Ver‐ anstaltung selbst und konsequenterweise durch die ganze Stadt. München selbst wird zum Veranstaltungsort, rund um die IAA wird ein erlebbares Narrativ für die Marke IAA Mobility, für Anbieter von Mobilitätskonzepten, für die Stadt München und das Thema Mobilität entwickelt. Die Story dient als roter Faden, bietet Orientierung im Eventgeschehen und bereitet die Marketingbotschaften der einzelnen Stakeholder: innen als Inhalt auf. Im Kontext des Events wird dieser Inhalt in eine Erzählstruktur, die Dramaturgie, gebracht und mittels einzelner Akteur: innen und Darstel‐ ler: innen, Bühnenbilder und sonstiger Installationen und Erlebnisfelder erzählt (Storytelling). Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich der Erlebnis‐ rahmen des Events (Drengner 2020, S. 155). Der Besuch einer Veranstaltung geht für Konsument: innen immer mit Erlebnissen einher, die nach Bruhn und Hadwich (2012) Ausdruck finden in den sechs Dimensionen Sensorik, Emotion/ Affektion, Kognition, Ver‐ halten, Lifestyle und Soziales. In Anlehnung an diese sechs Dimensionen identifiziert Drengner (2014) im Kontext von Events die relationale, die atmosphärische, die sensorische, die intellektuelle, die symbolische und die transzendale Erlebnisdimension, die alle sechs auf die emotionale/ affektive Dimension einzahlen. Außergewöhnliche Erlebnisse sind mit einer starken Ausprägung der emotionalen Dimension verbunden, die Drenger (2014) als den zuvor genannten sechs Dimensionen übergeordnet kategorisiert und die bei Events mit einer starken Ausprägung der transzendenten und der relationalen Erlebnis-Komponenten einhergeht. Die transzendente Erlebniskomponente beschreibt dabei eine zeitweise Entkopplung des Selbst vom Alltag durch das Eintauchen in eine Welt. Die relationale Erlebnis‐ komponente beschreibt Erfahrungen, die aus der sozialen Interaktion mit anderen Teilnehmern resultiert (Drengner 2014). Der Soziologe Hartmut 40 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Rosa konkretisiert diese relationale Komponente in seiner Soziologie der Weltbeziehung mit dem Konstrukt der Resonanz als Antwort auf die Hy‐ perindividualisierung, die Abgrenzung voneinander und die Digitalisierung der Gesellschaft (Rosa 2020). Der Begriff drückt aus, dass Menschen in Beziehung treten zur Welt, zu anderen Menschen, zur Arbeit, zu Hobbies, zu Freizeitaktivitäten und zur Natur und in diesem In-Beziehung-Treten ein ‚vibrierender Draht‘ zwischen Menschen und der Welt entstehe (ebd., S. 24). Dieser vibrierende Draht wird laut Rosa gebildet durch intrinsische Interessen, wie z. B. Liebe, das Interesse an der Welt und durch intakte Selbstwirksamkeitserwartungen, also menschliche Erwartungen, die jewei‐ lige Sphäre über diesen vibrierenden Draht zu erreichen und in ihr etwas zu bewegen, sie zu berühren und im Gegenzug aus der Sphäre heraus berührt zu werden (Rosa 2020, S. 24f.). In inszenierten Narrationen entstehen transzendente Erlebnisfelder, in welche die Teilnehmer: innen eintauchen, diese in der Gemeinschaft erleben (relationale Dimension) und in diesem Erlebnis Resonanz erfahren (Doppler et al. 2021). Dabei werden in der Konzeption der inszenierten Narration nach (Fischer/ Storksdieck 2018) sechs Dimensionen festgelegt: Das Set-up für Handlung und Rezeption (z. B. ein Messestand, ein Hotelzimmer), die Tona‐ lität (z. B. persuasiv/ ‚überredend‘, informativ-faktenbasiert, dialogisch, mo‐ ralisch), die Medialität der Erzählung (z. B. mono-, crossmedial, transmedial), der Plot der Erzählung (z. B. Abenteuer-, Rätsel- oder Erlösungsgeschichte), das Thema der Erzählung (z. B. ‚Zukunft der Mobilität‘ am Beispiel der IAA Mobility oder ‚An einem Tag um die Welt‘ im 25hours Hotel The Trip in Frankfurt am Main) und die Modalität der Erzählung (z. B. interaktiv, immersiv). Im Kontext von Veranstaltungen sind große Erzählungen, wie z. B. die des Festivals Tomorrowland, und kleinere Narrationen, wie z. B. Inszenierungen zu Jubiläen und Festen, etabliert. Es werden fiktionale Narrationen von non-fiktionalen Narrationen unterschieden, wobei non-fiktionale Narratio‐ nen die Handlung als etwas Vorgefundenes erzählen, also Begebenheiten miteinander verbinden, die sich tatsächlich so ereignet haben und von Fake-Narrationen unterschieden werden müssen (Köhler 2019). Für virtuelle Welten unterscheiden Drengner/ Wiebel (2020) authentische Objekte, die entweder existent, nicht mehr existent oder noch nicht existent sind, von artifiziellen Objekten, die fantastische Welten und dazugehörigen Objekte darstellen, wie z. B. Mittelerde und Hobbits. 41 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus Fiktionales Storytelling Fiktionales Storytelling erfolgt häufig sehnsuchtsmotiviert (z. B. Paradies) oder literarisch (z. B. Märchen, Mythen). Märchen sind fiktionale Erzählfor‐ men, die oftmals einen moralischen Ansatz verfolgen und aufklärerische oder erziehungsrelevante Funktionen erfüllen (Fischer/ Storksdieck 2018). Im Eventmanagement entwerfen große fiktionale Narrationen Erlebnis‐ welten, wie beispielsweise die Fantasiewelt des jährlich stattfindenden Festivals Tomorrowland. Das Festival öffnet jedes Jahr ein neues ‚Buch‐ kapitel‘ und entführt seine Besucher in fantastische Erzählungen einer besseren Welt, in der die Festivalbesucher: innen als People of Tomorrow in Frieden, Harmonie und Verbundenheit mit der Natur leben. Zuletzt fand das Festival unter dem Motto „Tomorrowland around the World“ im Coronajahr 2020 als digitaler Stream statt. Über eine Million Menschen aus der ganzen Welt wurden in die digital geschaffene Welt The Magical Island Pāpiliōnem entführt, eine fiktive Insel in Schmetterlingsform. Acht Bühnen und über 60 Künstler: innen konnten vor überdimensional großen, märchenhaft gestalteten Bühnenbildern und Lichtershows, die auf einer Bühne z. B. Anklänge an Pandora aus dem Film Avatar zitieren, digital-live erlebt werden (siehe dazu beispielsweise das offizielle Aftermovie (Tommor‐ rowland 2020). Typischerweise werden diese Narrationen in den drei Phasen Pre-, Live-, Post-Event über alle genutzten Medienkanäle gespielt, mit dem Ziel, die Besucher: innen bereits vor dem Event in eine Welt zu entführen, schon in der Pre-Event-Phase einen dramaturgischen Spannungsbogen zu erzeugen und das Live-Event in die Pre- und Post-Phase zu verlängern. Die Zuschauer: innen tauchen früh in diese Welt ein und erzählen über Empfehlungen und eigene Posts bereits in der Pre-Event-Phase ihr eigenes Erleben der Geschichte und erleben das eigentliche Event als Höhepunkt der Narration. Auch aus dem internationalen Sportgeschehen sind fiktionale Narra‐ tionen bekannt, wie z. B. das jährliche Medienspektakel anlässlich der Super-Bowl-Halftime-Show-Inszenierungen der NFL. In der Show 2017 beispielsweise reitet Katy Perry auf einem überdimensionierten Tiger in die Halftime-Show ein und fliegt im weiteren Verlauf am Ende der Show als Sternschnuppe singend durch das Stadion. Aber auch die großen Eröffnungszeremonien der Olympischen Spiele entwerfen kulturelle und historische Narrationen, wie z. B. das russische Geschichtsballett zu Beginn der Winterspiele in Sotchi 2014 (Süddeutsche Zeitung 2014). 42 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Auch im B2B- und B2C-Messegeschehen werden fiktionale Erlebniswel‐ ten für Markeninszenierungen geschaffen. Die Audi-Inszenierung „Hän‐ gende Stadt“ im Rahmen der IAA 2013 beispielsweise bot den Besu‐ cher: innen einen Perspektivwechsel, um das Thema Mobilität aus einem ungewohnten Blickwinkel zu betrachten, neue Sichtweise zu eröffnen, tech‐ nologische Innovationen aktiv zu erleben und Anforderungen an Mobilität der Zukunft mittels Fiktion zu visualisieren. Dazu wurde ein 3.400 m² großer, ‚schwebender‘ Pavillon geschaffen, in dem der städtische Raum von der Decke hing, Straßen und Autos mittels Spiegelung medial an die Decke projiziert wurden (siehe dazu Schmidhuber o. J.). Non-fiktionales Storytelling Non-fiktionale Narrative im Eventmanagement nehmen ihren Ursprung z. B. in persönlichen Biografien, in Produkthistorien und -entwicklungen, in unternehmensinternen Kontexten wie z. B. Teambuilding-Maßnahmen, aber auch in komplexen Themen und Inhalten, wo faktuales Storytelling komplexe Sachverhalte in glaubhafte Geschichten (Murgia/ Bormet 2021) und Bilder (Varga/ Ehret 2016) übersetzt. Im touristischen und Hospitality- Bereich werden Bezüge sehr häufig in kulturellen, lokalen und regionalen Kontexten verankert, z. B. in traditionellen Bräuchen (Pferdeparaden, Um‐ züge, Mittelaltermärkte), nostalgisch motiviert (z. B. Seventies) oder auch mit Bezug zu Trends und Lifestyles (z. B. alles in Weiß, urbane Nomaden, Go Green) (Gruner et al. 2014, S. 122). Faktenbasiertes Storytelling und Informationsdesign Informationsgrafiken sind im Eventdesign auf Messen, Kongressen und Schulungsveranstaltungen als visuelles Kommunikationsmedium fest eta‐ bliert. Dabei werden die Fakten und das Verständnis für diese Fakten kombiniert mit einer Story und einer Grafik sowie für ein Medium passend aufbereitet. Das Zukunftsinstitut entwirft die Formel „(Fakten + Verständ‐ nis) · (Story + Grafik)/ Medium“ als Ausdruck für gutes Informationsdesign (Varga/ Ehret 2016, S. 39). Dabei werden komplexe Inhalte dem menschlichen Bewusstsein schmackhaft gemacht und leichter interpretierbar, indem kom‐ plexe Inhalte auf ‚bezaubernde Weise‘ in Bilder verwandelt werden, die zu Erkenntnissen führen (ebd., S. 40). Aus ‚Fakten‘ werden ‚Fakten mit Gesicht‘. 43 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus Biografische Storys Zu den non-fiktionalen Storys im Eventmanagement zählen typischerweise Inszenierungen anlässlich Jubiläen. In einer klassischen Drei-Akt-Struk‐ tur werden Meilensteine der Firmengeschichte (im Kontext von B2B) oder des persönlichen Lebenswegs (im Kontext privater Feiern) oder eine Mi‐ schung aus beidem beispielsweise bei Geburtstagsfeiern von Gründer: innen erzählt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden geschichtlich und biographisch in Szene gesetzt in Bildern, Ausstellungsexponaten, Dankes‐ reden, Vor- und Beiträgen aller Art bis hin zur Deko und dem Catering. Produkt- und Unternehmensentwicklungen, Lebenswege, Krisen und deren Bewältigung werden faktenbasiert medial inszeniert und gefeiert. Auch diese Form der Erlebniswelt bietet Raum, in eine Geschichte einzutauchen und in der zeitlich begrenzten Dauer des Events darin aufzugehen, mit Freund: innen, Kolleg: innen und Wegbegleiter: innen in Erinnerungen und gemeinsamen Geschichten - der gemeinsamen Geschichte - zu verweilen. Produktbezogene Storys Auch Produktpräsentationen, wie sie beispielsweise auf Messen inszeniert werden, werden in eigens entworfenen und inszenierten Geschichten erleb‐ bar und erinnerbar. So hat beispielsweise der Verlag Kein und Aber bei der Buchmesse Frankfurt 2017 auf dem Außengelände der Frankfurter Messe den Kein & Aber Tower errichtet, bestehend aus vier übereinander gestapel‐ ten begehbaren Schiffscontainern und einer Roof-Top-Bar, erreichbar über eine Außentreppe. Der unterste Container diente dem Verlag als Ort für die Messegeschäfte, in den beiden darüber liegenden Containern konnten die Besucher sich in gemütlicher, urban-minimalistischer Einrichtung nie‐ derlassen und das Verlagsangebot lesend erkunden. Der oberste Container, das ‚Turmzimmer‘ oder auch ‚Penthouse‘, wurde gemeinsam mit einem Partner aus der Hotelbranche als Hotelzimmer eingerichtet. Hier gab es für die Dauer der Buchmesse exklusive Übernachtungen für zwei Menschen, inklusive Frühstück, Zimmerservice und einer ‚Bettkanten‘-Gute-Nacht- Geschichte, gelesen jeweils von Kein-und-Aber-Buchautor: innen. Ein au‐ ßergewöhnliches, stark emotionalisierendes und transzendentes Erlebnis, auf das sich Besucher: innen der Buchmesse im Vorfeld über die Social- Media-Kanäle des Verlags bewerben konnten - die Übernachtungen wurden ausgelost. Der Verlag inszenierte hier in einer Art Pop-Up-Flagship-Store für alle Besucher: innen und die Exklusiv-Übernachtenden die Geschichte 44 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling dessen, was sein Produkt und den Verlag selbst ausmacht: Geschichten erzählen, in Geschichten versinken (Kein und Aber o. J.; Börsenblatt 2017). Storytelling im Raum In der räumlichen Anordnung kann ein weiteres Prinzip des Storytellings bei Veranstaltungen erklärt werden: das der architektonischen Dramaturgie (Gundlach 2007, S. 87) bzw. des Storytellings im Raum. In dem zuvor skizzierten Beispiel des Messestands des Verlags Kein und Aber wird in der architektonischen Dramaturgie vom Erdgeschoss-Container über die beiden Lese-Container bis hoch zum ‚Turmzimmer‘ ein Spannungsbogen aufgebaut. Während das Messegeschäft im Erdgeschoss noch im Alltägli‐ chen verortet ist, sind die beiden Lese-Container bereits Rückzugsorte, die dann im ‚Turmzimmer‘ in eine Art Zufluchts- und Sehnsuchtsort münden: sich hinlegen, ausspannen, die Türen schließen und den Trubel der Messe ausschließen. Höhepunkt des dramaturgischen Bogens ist dann die Roof- Top-Bar, auf der man die aufgebaute Spannung ‚abfeiern‘ kann (Mikunda 2015, S. 65f.). Ein weiteres Beispiel einer non-fiktionalen Erzählung bei einer Messe ist der Messestand der Fluglinie Emirates im Rahmen der ITB 2017. Das Stand-Design anlässlich des globalen Debüts der neuen A380-Onboarding- Lounge erzählte die Customer Journey einer Flugreise vom Check-in bis zum Aufenthalt an Bord in der Luxusklasse und lud die Standbesucher ein, über Virtual-Reality-Welten und physische Standpräsentationen in die Emirates- A380-Markenwelt einzutauchen (Emirates o. J.). Solche räumlichen Storys haben das Potenzial, es den Teilnehmenden zu überlassen, in welcher Reihenfolge sie einzelne Bestandteile konsumieren und erleben, die sich dann zunehmend wie einzelne Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügen (Gundlach 2007, S. 87). Unternehmensbezogene Storys Gundlach (2007) zeigt vielfältige Beispiele, bei denen Storytelling interne Kommunikationsaufgaben in Unternehmen, wie z. B. die Visualisierung eines Unternehmensleitbilds, Change-Prozesse im Zuge von Unternehmens‐ fusionen, Bestandkundenpflege und Neukundenakquise, während Events positiv unterstützt. Dabei wird die beabsichtigte Botschaft des Events in erzählte und erlebbare Geschichten abgebildet, die Zielgruppe und Teilneh‐ mer: innen werden als Mitspieler: innen und Held: innen in die Geschichte 45 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus involviert. Für die Umsetzung während der Events werden zur Eventbot‐ schaft inhaltlich passende Symbole, Analogien und Vergleiche gewählt (ebd., S. 84). Storytelling im Hospitality-Kontext Auch in Hotels und in der Gastronomie werden raumbezogene Erlebniswel‐ ten kreiert. Der Restaurantbesuch soll den Gast nicht nur satt machen, sondern ihn aus dem Alltag entführen in eine Markenwelt, die einzigartige Erlebnisse kreiert, welche dem Gast langfristig in Erinnerung bleiben ( Jo‐ chen Schweizer im Grußwort zu Gruner et al. 2014). Im Kontext von Events kommt dem Catering eine besondere Bedeutung als relationale und somit emotionalisierende Erlebniskomponente zu (Doppler et al. 2020). Essenserlebnisse bei Veranstaltungen ermöglichen den Ausdruck von Gastfreundschaft (Sharples 2014, S. 176), aber auch Pres‐ tige und Status (ebd., S. 171). Event-Catering bietet eine Plattform zur Inter‐ aktion, zum Netzwerken und zur Kommunikation in einer ungezwungenen und informellen Atmosphäre (ebd., S. 173) und erzeugt eine familiäre sowie gemeinschaftliche Atmosphäre (Doppler et al. 2020; Doppler/ Steffen 2020). Caterer entwickelten in der Vergangenheit einen nahezu künstlerischen Ausdruck in der Präsentation des Essens und schaffen Erlebnisse, die alle Sinne einbeziehen (Thinius/ Untiedt 2013, S. V), was zu einer nachhaltigen Erinnerung bei den Teilnehmer: innen führt und Auswirkungen auf die Kund: innenzufriedenheit haben kann (Doppler et al. 2020). Von jeher hat Essen eine starke ritualisierte Komponente mit großer emo‐ tionaler sowie biografischer Bedeutung für Menschen und aktiviert nostal‐ gische Gefühle (Kauppinen-Räisänen et al. 2013). All dies sind relevante Zutaten für unvergessliche Momente. Die Bedeutung der Einzigartigkeit der Präsentation und die Passung zwischen Eventdesign, Atmosphäre und Essen (Kleinhans et al. 2016) führen zum Ansatz, auch im Event-Catering das Instrument Storytelling zur Inszenierung von Veranstaltungen ein‐ zusetzen. Dabei können lokale und regionale, aber auch inhaltliche Bezüge wie z. B. zum Motto oder zum Anlass der Veranstaltung hergestellt werden (Doppler et al. 2020). In einem Experten-Interview, das der Studie von Doppler et al. zugrunde liegt, erzählt beispielsweise ein Catering-Experte, dass anlässlich eines Geburtstagsfestessens des Gründers des Catering- Unternehmens, zu dem auch gute Kund: innen eingeladen waren, dessen Lieblingsessen Schinkennudeln als Mitternachtssnack serviert wurde. 46 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Lebensmittel mit lokalem und regionalem Bezug werden als authentisch, rein und traditionell wahrgenommen (Kauppinen-Räisänen et al. 2013) und kreieren eine Atmosphäre der Wahrhaftigkeit. Dies bietet auch Anknüp‐ fungspunkte für Inszenierungen, in denen das Esserlebnis angereichert wird durch themenbezogene Erzählungen (Doppler et al. 2020). Das Fine-Dining-Restaurant The Fat Duck beispielsweise bietet Gästen eine ‚Reise‘ an, die der Gast mit der Reservierung seines themenbezogenen Restaurantbesuchs beginnt (The World’s 50 Bests Restaurants 2017; The Fat Duck o. J.). Diese Reise erzählt in einem luxuriösen 15-Gänge-Menü die wichtigsten Urlaubserinnerungen aus der Kindheit des Inhabers Heston Blumenthal. Auch in Norbert Nierkoflers Drei-Sterne-Michelin-Restaurant in Südtirol (Italien) werden z. B. nur biologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region verwendet. Der Küchenchef erzählt sein Konzept unter dem Slogan „Den Berg kochen“ mit Verweis auf die Idee, die nachhaltige Landwirtschaft in der Region zu unterstützen. Das Ergebnis ist eine eigene Erzählung, eine Geschichte über Tradition, Herkunft, Erbe und gesundes Essen (Beller 2019). Im Bereich Social-Media-Content spielt Täuschung eine relevante Rolle z. B. im Kaufentscheidungsprozess. Im Umgang mit Influencer: innen warnt Gebel (2020, S. 137) in seinem Buch Social Media im Tourismusmarketing, das sich an Praktiker der Tourismusbranche wendet, davor, Content auf Instagram zu beschönigen, da dies das Vertrauen der User: innen empfindlich stört. Social-Media-Rezipient: innen tendieren dazu, die Story ihrer Reise im ‚besten Licht‘ und möglichst so darzustellen, dass sie Follower: innen gefällt. Vor allem Influencer: innen neigen dazu, Inhalte, die dem ‚perfekten Leben‘ nicht entsprechen, wegzulassen, wodurch eine weniger realistische Story und Szenerie entsteht (Bennet 2014, S. 71). Eine von den beiden Autor: in‐ nen dieses Buchs betreute, unveröffentlichte Bachelorarbeit (Stengel 2020) untersuchte im Kontext von Tourismus, ob und wenn ja wie Instagram- Posts von Influencer: innen zu Täuschung von Reisenden beitragen und inwiefern der Kaufentscheidungsprozess dadurch beeinflusst wird. Dazu wurden Kriterien zur Beurteilung von Täuschung literaturbasiert abgeleitet. Neben weiteren Kriterien ist der Grad, inwieweit Fakten vertrauenswür‐ dig vermittelt werden und Reisekonsument: innen zwischen Storytelling und Fakten unterscheiden können, ein valides Kriterium, um Täuschung durch Social-Media-Content zu beurteilen. Ein Ergebnis der Arbeit ist, dass Reise-Content auf Instagram insgesamt ein hohes Täuschungspotenzial hat, wobei Mega-Influencer: innen deutlich stärker dazu neigen als Mikro- Influencer: innen (ebd.). 47 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus Konstruiertes Reality-Storytelling Auch die öffentliche Dokumentation einer genuin sich dem Öffentlichen entziehenden Privatheit ist potenziell narrativ (Grimm/ Krah o. J.). Daher soll nachfolgend auch kurz die Inszenierung von Reality-Events am Beispiel von Koch-Events kurz beleuchtet werden. Die Fernsehsendung Kitchen Impossible lässt in einem inszenierten Kochduell den Fernsehkoch Tim Mälzer jeweils gegen einen bzw. in einer Best-Friends-Edition 2021 auch gegen zwei Kontrahent: innen aus der Michelin- und Gault&Millau-Szene antreten (TVnow o. J.). Die Kontrahent: innen schicken sich gegenseitig in Restaurants oder auch in Privatküchen rund um die Welt, wo sie sich der Herausforderung stellen, in der für sie fremden Küche ein Gericht zu kochen, das sie zuvor nur einmal vor laufender Kamera serviert bekommen. In drei ineinander verflochtenen Erzählebenen erleben die Zuschauer: innen zum einen die Zubereitung des Gerichts durch beide Kontrahent: innen, während zweitens der Originalkoch des Gerichts den Zuschauer: innen seine eingeübte Zubereitung des Gerichts vorführt und dann in einer dritten Er‐ zählebene ein nachträgliches Gespräch zwischen den Kontrahent: innen das Duell reflektiert, kommentiert und auch das Vorgehen des Originalkochs in Teilen den Kontrahent: innen filmisch vorführt, was ebenfalls kommentiert wird. Die Mission des Fernsehkochs Tim Mälzer, der in diesem Format als der David gegen die Goliaths der Restaurantszene antritt, lautet: Emotionalität der Gerichte, bei der es darum geht, dazu zurückzukehren, was ein gelun‐ genes, beglückendes Essen ausmacht. Er verteidigt diese Mission gegen die intellektuellen, von Technik getriebenen Kreationen der Sterneküche (Bernard 2021). Tim Mälzer wird dabei auf einer Heldenreise inszeniert, auf der er als ‚Antiheld‘ für die Rechte der ‚antiintellektuellen Normalos‘ eintritt und diese gegen den ‚Snobbismus‘ der Luxus-Küche, der Privilegierten und Reichen verteidigt. Verkürztes Reality-Storytelling Dem Potenzial des Storytellings, Information zielgruppenspezifisch zu ver‐ mitteln, Problemlösungen zu kommunizieren und Emotionen hervorzuru‐ fen, stehen auch die Risiken gegenüber, durch zu starke Komplexitätsreduk‐ tion in Geschichten falsche Vorstellungen zu erzeugen und zu manifestieren bis hin zu Manipulationsmomenten (Fischer/ Storksdieck 2018). Der Ausbruch des Coronavirus Covid-19 löste im Februar/ März 2020 in Deutschland und ganz Europa eine Pandemie aus. Krankheiten und Todes‐ 48 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling opfer generierten und transportierten ständig auch eine gesellschaftliche Narration (Horx 2021) und die Coronakrise hat beispielhaft gezeigt, dass vor allem in nichtfaktenbasierten Narrativen große Probleme und Risiken liegen. Für die Auswirkungen auf die Hospitality-Branche steht stellvertretend die weltweit für ihre Après-Ski-Bars und Partys bekannte Tourismus- Destination Ischgl. Unter Freizeit-Ski-Tourist: innen galt die Alpen- Destination als das „Mekka der Spaßgesellschaft“, das „Ibiza der Alpen“ (Schüle 2021) und das „Epizentrum des alpinen Massentourismus“ (Deutsche Welle o. J.). Das Skigebiet umfasst 45 Liftanlangen, auf etwa 1.600 Einwohner kommen rund 12.000 Betten. Zahlreiche Hotels und Restaurants von gehobener Qualität sind in Ischgl ansässig und locken in der Ski-Saison Gäste aus aller Welt mit Luxus, abwechslungs‐ reichen Ski-Pisten und Party-Tourismus (ebd.). Bereits Ende Februar 2020, als das Coronavirus in Deutschland und Österreich noch nicht nennenswert ausgebrochen war und Erfahrungswerte mit dem Virus fehlten, wurden im Norden Europas erste Reiserückkehrer aus Ischgl positiv auf das Virus getestet. Bis Mitte März 2020 steckten sich in Ischgl mehrere hundert Tourist: innen und Service-Mitarbeiter: innen mit dem Virus an. Das Virus verbreitete sich von Ischgl aus nach ganz Europa, als Reiserückkehrer: innen ohne infektionsvermeidende Kontrollen in ihre Heimat zurückreisten (sz.de 2020). Seither kämpft der Ski-Ort mit seinem Image, mit seinem ausufernden Luxus-Party‐ tourismus einzig Schuldiger für die Corona-Ausbreitung in Europa zu sein, und wurde belegt mit verkürzten Narrativen wie z. B. „Corona- Hotspot“, „Kein zweites Ischgl“, „Aus Ischgl nichts gelernt“. Diese Kurz- Narrative stehen bis heute stellvertretend für Managementfehler in der Coronapandemie (Schüle 2021). Hier werden sogenannte narrative, sprachliche Frames erzeugt (Schach 2019, S. 163-165), die mit Bewer‐ tungen verbunden sind (ebd., S. 164). Die in der Coronakrise in Ischgl erzeugten Frames stehen bei Rezipient: innen fortlaufend als ‚Sinnbild‘ für z. B. überzogenen Luxus-Partytourismus und unverantwortliches Handeln, das der Marke Ischgl lange anhaften wird (Mike Peters in sz.de 2020). 49 1.5 Storytelling im Kontext von Events und im Tourismus 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien Während in den Bereichen Werbung, Marketing, Event und Tourismus das angewandte Storytelling sowohl fiktional als auch faktual sein kann, ist bei Nachrichtenmedien die Faktizität von Storys definitorisch ein verbindliches Merkmal. In diesem Kontext gilt es zunächst, drei zentrale Aufgaben des professionellen Journalismus in einem demokratischen Staat zu vergegenwärtigen: (1) die Informationsvermittlung über die Nach‐ richt, (2) die Meinungsbildung, die in den Stilformen argumentierender, wertender Kommentare sowie Leitartikel (als lange Form der Kommentie‐ rung) oder fein-ironischer Glossen als Meinungsangebot für eine pluralis‐ tische Gesellschaft realisiert wird, (3) die Aufklärung und Kontrolle der demokratischen Gewalten und Machtinstanzen, für die der sogenannte investigative oder Enthüllungsjournalismus steht. Was im Fernsehen oder Radio, in Tageszeitungen, Magazinen oder auf Online-Plattformen als Nachrichten publiziert wird, muss der Wahrheit entsprechen, durch eine möglichst intensive, an validen Fakten und Quellen orientierte Recherche abgesichert sein und darf keine Wertung beinhalten. So definiert sich im Informationsjournalismus, entsprechend seiner zentra‐ len Objektivnorm (Hoffjann 2007, S. 67), die Nachricht, die für die zentrale mediale Aufgabe der Informationsvermittlung in der demokratischen Ge‐ sellschaft steht. Journalist: innen wählen aus der täglichen Informationsflut die schließlich publizierten Nachrichten aus. Selektionskriterien sind u. a. die (gesellschaftliche bzw. politische) Relevanz einer Nachricht, ihre Aktualität, ihr Neuigkeitsgehalt, der nationale oder regionale Bezug und auch ihre Exklusivität (Weischenberg 2018). Was das Wesen und die Bestimmung einer Nachricht angeht, wird dazu in der medialen Branche gerne ein konkretes Beispiel verwendet: ‚Hund beißt Mann‘ ist gemeinhin keine Nachricht, da ein solcher Vorgang in der Welt ständig passiert, sozusagen normal ist - es sei denn, es handelt sich um das Ereignis, dass ein Mensch etwa durch einen Kampfhund getötet wurde. ‚Mann beißt Hund‘ erfüllt dagegen gleich mehrere Kriterien einer ‚klassischen‘ Nachricht: Der Vorgang ist neu (Nachrichten sind News) und außergewöhnlich, er hat eine gewisse Exklusivität. Eine Nachricht gilt besonders auch dann als exklusiv, wenn sie nur von dem Medium oder Medienteam generiert bzw. recherchiert worden ist, das sie publiziert. 50 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Struktur der Nachricht Die Nachricht, die in kurzer Form als Meldung und in längerer Form als Be‐ richt medial vermittelt wird, folgt einer klaren, geregelten Dramaturgie. Die Hauptinformationen, von Journalist: innen als solche kontextuell selektiert, stehen am Anfang, im sogenannten Leadsatz oder auch Leadsatz-Bereich, in dem die sieben W-Fragen möglichst kurz und bündig beantwortet werden: Was ist geschehen? Wer ist beteiligt? Wann ist es geschehen? Wo ist es geschehen? Wie ist es geschehen? Warum? Woher stammt die Information? Die danach folgenden Passagen haben zwar auch inhaltliche Relevanz, indem sie z. B. ergänzende Informationen, konkrete Einzelheiten oder Hintergründe liefern und erste Einordnungen (handelt es sich um ein singuläres Ereignis? ) vermitteln. Doch diese Passagen haben definitorisch nicht mehr dieselbe hohe Priorität, wie dies im Leadsatz-Bereich der Fall ist. Die Priorität der in einem Bericht oder einer Meldung publizierten Nachrichtensegmente nimmt also von oben nach unten ab. Damit gleicht die hierarchische Struktur einer klassischen Nachricht in Berichtform der einer umgekehrten Pyramide (Neuberger 2004, S. 417f.). Diese modulartige Struktur ist im weltweiten Regelsystem des Journalismus so festgelegt. Sie hat darüber hinaus auch einen praktischen Aspekt: Wenn ein geschriebener Bericht als nachrichtlicher Text zu lang geraten ist, was rasch passieren kann, wird im meist hektischen Redaktionsalltag gemeinhin ‚von hinten sinnvoll gekürzt‘. Damit ist gewährleistet, dass nichts von den Hauptinfor‐ mationen verloren geht - denn die stehen ja ganz oben im Leadsatz-Bereich. Die Reportage als journalistisches Storytelling Neben dem logisch-nüchternen Bericht gibt es lebendig-erzählende und dramaturgisch komponierende bzw. konstruierende Darstellungsformen der Informationsvermittlung. Dazu zählt vorrangig die Reportage. Diese Textsorte, bei der auch die sieben W-Fragen zu beantworten sind, vor allem aber Hintergründe und Zusammenhänge geschildert werden sollen, stellt häufig ein spezielles Ereignis oder konkretes Geschehen in den Fokus. Die Autor: innen stellen dieses Ereignis oder Geschehen detailliert und anschaulich so dar, wie sie es miterlebt und wahrgenommen haben. Dies bedeutet, dass Reportagen - als journalistische Form des Storytellings - neben ‚objektiven‘ Wahrnehmungen auch subjektive Beobachtungen und Einschätzungen beinhalten. Sie verbinden „Information mit emotionaler Teilnahme“ (Köster o. J.). Dabei selektieren, strukturieren und gewichten 51 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien Autor: innen die persönlichen Eindrücke (Dernbach 2017, S. 152). Reportage- Journalist: innen gehen meist induktiv vor, der Fokus liegt auf dem Beson‐ deren, dem Detail (Lampert/ Wespe 2021, S. 46). „Das Detail zieht seine Kreise ähnlich einem Stein, den ich ins Wasser werfe. Sie bewegen sich in alle Richtungen. Ähnlich löst das richtige Detail Assoziationen, Emotionen, Kritik und Empathie aus“ (ebd., S. 50). Die journalistischen Storyteller: innen bestimmen den Plot der Reportage, den Kerninhalt oder die Kernaussage, die Protagonist: innen, die Handlung sowie den Ort - und „wo die Geschichte beginnt, wie sie verläuft und wo sie endet“ (Dernbach 2017, S. 152). Das Thema einer Reportage kann eine allgemeine Ebene, im Sinne einer Metaebene, haben, ein obligates Merkmal ist dies aber nicht. Charakteris‐ tisch für den Aufbau einer typischen Reportage ist der szenische Einstieg. Völlig konträr zum Bericht, wo die Hauptbotschaft am Anfang, im Leadsatz, zu stehen hat und ohne jegliche Wertung vermittelt werden soll, können Autor: innen einer Reportage in den ersten Passagen mitten in eine konkrete Situation springen oder Protagonist: innen in ganz spezifischen, ausgewähl‐ ten Szenen zeigen, die freilich einen Konnex zum inhaltlichen Kern der Reportage haben sollten. Der szenische Einstieg soll die Rezipient: innen in die Geschichte hineinziehen und Interesse generieren. Um welches Thema es zentral in der Reportage geht, wird im Anschluss an den Einstieg im sogenannten Portal vermittelt. Der nachfolgende inhaltliche Kern der Reportage besteht meist aus weiteren Szenen, in denen die Geschichte weitererzählt, verdichtet oder differenziert wird. Als weiteres wichtiges dramaturgisches Element gilt ein verdichteter, pointierter Schluss, der die Handlungsstränge oder Ebenen zusammenführt und den Rezipient: innen nachhaltig im Gedächtnis bleiben soll (Köster o. J.; Lampert/ Wespe 2021, S. 166). Eine Reportage kann chronologisch aufgebaut sein oder in Episoden erzählt werden. Bei einer Rahmengeschichte wiederum umschließen Anfang und Ende einander, die Story dieser Art kehrt am Ende zurück an den Anfang. Zudem gibt es die Form der Gondelbahngeschichte mit einem dominanten Handlungsstrang, der einem starken Seil ähnelt, an das Informationen, Hintergründe oder Exkurse angehängt werden. Beim journalistischen Storytelling können aber auch zwei Geschichten oder Handlungsstränge parallel nebeneinander laufen, wobei die Protago‐ nist: innen in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen sollten. Auch Rückblenden, also Episoden oder Passagen aus einer anderen, früheren Zeit, sind möglich, wobei darauf geachtet werden sollte, dass nicht zu häufig 52 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling von einer Zeitebene in eine andere gewechselt wird, um die Rezipient: innen nicht zu verwirren (Lampert/ Wespe 2021, S. 180-198). Storytelling-Ratgeber für Journalist: innen empfehlen nicht selten eine spezifische Storykurve, die auf eine möglichst starke Emotionalisierung der Rezipient: innen abzielt: „Sie steigen mit einem Höhepunkt ein, mit Weck-Worten oder Weck-Sätze. Erst nachher liefern Sie die Informationen, die es zum Verständnis des Geschehens braucht. Jetzt steigern Sie die Geschichte auf einen - zweiten - Höhepunkt hin“ (Lampert/ Wespe 2021, S. 28). Qualitätskriterien im journalistischen Erzählen Neben Lebendigkeit und Emotionalität sind auch prinzipielle Qua‐ litätskriterien für Journalismus wie Relevanz, Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Aktualität, Wahrhaftigkeit und Unterhaltsamkeit wichtige Faktoren einer Reportage (Dernbach 2017, S. 157). Die Rezipient: innen, so lernen Journalist: innen in ihrer Ausbildung, sollen so durch die Story geführt werden, dass sie den roten Faden nicht verlieren und insbesondere den Eindruck gewinnen, selbst dabei gewesen zu sein. Die Geschichte soll die Leser: innen oder Zuschauer: innen „,mitnehmen‘ und dabei emotionalisieren“ (Haller 2015, S. 48). Der Medienforscher Michael Haller, Autor eines Standardwerks zur Repor‐ tage, adressiert vier Anforderungen an journalistische Erzähltexte: „1. Wer erzählt, muss etwas zu erzählen haben (Erlebnisse, Beobachtungen, Kolportage und Fakten), d. h. er soll nicht berichten oder kommentieren. 2. Wer erzählt, braucht Akteure, also handelnde Personen (Protagonisten, die durch die Geschichte führen, sowie Nebenrollen - ausnahmsweise nimmt er sich selbst als Akteur). 3. Wer erzählt, der will sein Publikum mit einer Geschichte fesseln. Er braucht Handlungsfaden, Episoden und eine dramaturgische Gestaltung des Erzählablaufs (Storytelling). 4. Wer erzählen will, braucht eine besondere Sprache: er muss sinnlich-konkret-anschaulich schreiben. Denn er will das Publikum miterleben lassen“ (Haller 2015, S. 55f.). Reporter: innen sind also stellvertretende, dabei teilnehmende Beobach‐ ter: innen und Vermittler: innen einer von ihnen selbst geschilderten bzw. 53 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien konstruierten Wirklichkeit. Sie erzählen „von Ereignissen, die sie selbst erlebt haben, von Dingen, die sie gesehen, gehört, gefühlt, geschmeckt, gerochen haben, von Menschen, die sie kennengelernt haben - so präzise, anschaulich, fesselnd wie möglich“, wie es Spiegel Online seinen User: innen vermittelt (Spiegel 2015). Wichtig sind besonders interessante und span‐ nende Ereignisse und/ oder handelnde Protagonist: innen, deren Geschichten und Aussagen relevant oder außergewöhnlich sind. Affinitäten zur Heldenreise Zu den Helden der filmischen Storystruktur ist es da nicht weit, und auch in Reportagen wird mit stilistischen Mitteln Spannung aufgebaut. Zudem werden häufig die Abenteuer und die Entwicklung bzw. ‚Reise‘ von Protagonist: innen geschildert. In seinem Buch Hollywood im journalistischen Alltag sieht der Wissenschaftsjournalist Christian Friedl die Heldenreise als ein dramaturgisches Grundmuster, das es auch Autor: innen journalistischer Texte ermöglicht, aus recherchierten Fakten, Nachrichten und Ereignissen eine Story zu stricken. Ähnlich wie der Filmexperte Christopher Vogler weist Friedl darauf hin, dass man die Heldenreise als eine Art Baukasten beliebig variieren könne. So kann das Abenteuer z. B. auch der Kampf von Weinbauern gegen neue Schädlinge sein. Der Antipode wäre in diesem Kontext kein Mensch, sondern der Klimawandel als Strukturproblem (Friedl 2013). Medienpraktiker: innen und Ausbilder: innen des journalistischen Nach‐ wuchses wie Maria Lampert und Rolf Wespe adressieren, auf Aristoteles Poetik rekurrierend, den Helden, die Ort und die Handlung als elementare Strukturfaktoren des Storytellings in Medien (Lampert/ Wespe 2021, S. 82). Auch sie präferieren die Heldenreise als zentrales Grundmuster für eine gute Geschichte und leiten daraus die erzählerischen Stärken und Möglichkeiten etwa des ‚Schwellen-Plots‘ oder des ‚Konfliktlösungs-Plots‘ ab (ebd., S. 213- 225). Ratgeber für Online-Journalismus wiederum empfehlen, auch bei Berich‐ ten in einführenden Textpassagen, dem sogenannten Teaser, Cliffhanger zu verwenden - also den hängenden Spannungsbogen, dessen Auflösung die Rezipient: innen erst dann erfahren, wenn sie den Text weiterlesen oder das Video weiter anschauen (z. B. Noske 2015). Filmemacher nutzen häufig diese plakative Form der Zuspitzung und des Spannungsaufbaus. Im Online- 54 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Journalismus soll dieses Stilmittel das Interesse potenzieller Rezipient: innen und damit hohe Klickzahlen generieren. Die Reportage hat zudem stilistische und strukturelle Affinitäten zum literarischen Erzählen. Die Relevanz der Kategorien von Raum, Zeit und Handlung sowie der Erzählperspektive, des Aufbaus von Spannung und der erzählenden Darstellung ‚unerhörter Begebenheiten‘ sind dazu beispielhaft anzuführen. Beide Erzählformen befassen sich mit einer Ver‐ mittlung bzw. Konstruktion von Wirklichkeit. Die Unterschiede: „Im Fall der Journalisten geschieht dies mittels der Information über aktuelle Ereignisse, die zu Themen gebündelt werden. Im Fall der Literaten geschieht dies mittels Fiktionen“ (Blöbaum 2003, S. 30, zitiert in Dernbach 2017, S. 154). Die Reportage, so etwa das Credo der Redaktion von Spiegel Online, könne nur subjektiv, dürfe aber nie fiktiv sein. „Sie liefert, was die Naturalisten im 19. Jahrhundert unter Literatur verstanden: ‚Ein Stück Leben, gesehen durch ein Temperament‘“ (Spiegel 2015). Die Affinität von non-fiktionalem Journalismus und literarischer Erzäh‐ lung, die in den frühen 1960er-Jahren im New Journalism als Pioniergenre ihren Niederschlag fand, lässt sich darüber hinaus personalisieren. Bis heute gilt der Schriftsteller und Journalist Egon Erwin Kisch als ‚rasender Reporter‘ (so auch der Titel eines seiner Reportagebände) in der Zeit der Weimarer Republik vielen Journalist: innen als Vorbild in dieser Darstel‐ lungsform. Einer der renommiertesten Preise für Reportagejournalismus in Deutschland war jahrzehntelang nach ihm benannt. Die Reportage gilt in der Medienpraxis als Königsdisziplin des Journalismus. Neben präziser Re‐ cherche und Wahrnehmung erfordert sie „vor allem Einfühlungsvermögen und sprachliche Kunstfertigkeit“ (Haller 2015, S. 48). Risiken der Reportage Im Kontext des für Informationsmedien wesentlichen Faktors der Glaub‐ würdigkeit gibt es im journalistischen Storytelling strategische Möglich‐ keiten. Zum Beispiel kann „durch eine geschickte Selektion und Präsen‐ tation der Fakten eine Illusion der Widerspruchsfreiheit hervorgerufen werden“ (Nünning/ Allrath 2005, S. 187f., zitiert in Dernbach 2017, S. 155). Indem etwa Informationen weggelassen werden, die das Erzählte relati‐ vieren oder in Frage stellen, werden „potenzielle Ungereimtheiten oder Ungenauigkeiten, die die Glaubwürdigkeit einer Erzählung unterminieren 55 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien können, unterdrückt“ (ebd.). Zudem geht ein grundsätzliches Risiko mit dem journalistischen Geschichtenerzählen einher: „Es ist die Neigung der Erzähler, die Wirklichkeitsbeschreibung so umzubauen, bis sie zu der spannenden Geschichte passt, die man eigentlich erzählen möchte. Dem gegenüber erwarten die Leser und User vom Journalismus, dass er die Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen streng einhält und die Welt so beschreibt, wie er sie tatsächlich erfahren und erlebt hat“ (Haller 2015, S. 41). Ein weiteres Risiko kann darin liegen, dass komplexe Zusammenhänge verkürzt oder sogar ausgeblendet werden und Wirklichkeit manipu‐ liert wird (Prinzing 2015, S. 15). Die korrekte und fundierte Recherche ist, wie beim Bericht, gemäß den journalistischen Regeln die Basis einer seriösen Reportage (Lampert/ Wespe 2021, S. 75ff.). Dazu gehört, dass Autor: innen einer Reportage selbst vor Ort gewesen sein sollten. Wie indes eine Studie von Stephan Heijnk zur Print-Reportage ergab, waren bei einer Befragung von 139 professionellen Journalist: innen 80 Prozent der Ansicht, dass in einer Reportage auch Ereignisse geschildert werden dürfen, die der Autor selbst nicht erlebt hat (Heijnk 2014). Für den Leser, so meinten 88 Prozent der Journalist: innen, müsse jedoch klar erkennbar sein, dass der Reportage-Journalist nicht selbst vor Ort war (ebd.). In diesem Kontext werden von Medienwissenschaftler: innen und -ethi‐ ker: innen beispielhaft zwei Vorgänge angeführt, als prominente Beispiele für einen Regelverstoß bzw. eine Grenzüberschreitung. 2011 war der Spie‐ gel-Redakteur René Pfister für ein brillant geschriebenes Porträt über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer („Am Stellpult“) mit dem Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage (ehemals Egon-Erwin-Kisch- Preis) ausgezeichnet worden. Pfister hatte darin u. a. geschrieben, dass Seehofer mehrere Male im Jahr in den Keller seines Ferienhauses steige, wo seine Märklin-Eisenbahn stehe, an der er seit Jahren baue. Lange habe der CSU-Politiker, so wird in der Reportage des Spiegel weitererzählt, überlegt, wohin er Kanzlerin Angela Merkel stellen soll. „Vor ein paar Monaten dann schnitt er ihr Porträtfoto aus und kopierte es klein, dann klebte er es auf eine Plastikfigur und setzte sie in eine Diesellok“ (Pfister 2010, S. 40-43). Diese Geschichte entspricht der Wahrheit, Seehofer selbst hatte sie mehreren Journalist: innen gegenüber bereits bestätigt. Doch: Als bei der prunkvollen Preisverleihung Pfister gebeten wurde zu erzählen, wie es in Horst Seehofers Keller aussieht, musste der Preisträger passen. Er war nicht 56 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling dort gewesen. Vielmehr hatte der Reporter die - authentische - Eisenbahn- Story offenkundig von Kolleg: innen und auch von Horst Seehofer erzählt bekommen, dies aber in seinem Text nicht transparent gemacht. Die Konse‐ quenz: Ihm wurde der renommierte Preis von der Jury aberkannt (Dernbach 2017, S. 157ff.). Am 10. Juli 2012 erschien in der Süddeutschen Zeitung (SZ) ein Porträt über den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Verfasser war der in der Medienszene renommierte, vielfach ausgezeichnete Journalist Heribert Prantl, Mitglied der SZ-Chefredaktion. Um die besonde‐ ren Kompetenzen des obersten deutschen Richters zu verstehen, so erfuhren die Leser: innen, müsse man Voßkuhle am Küchentisch erleben, wie er ein großes Essen vorbereite. „Bei Voßkuhles setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, was aufgetragen wird.“ Eine Einladung, so schildert der SZ-Redakteur detailliert, beginne in der Küche: „Der eine Gast putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeitsessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natürlich hat der Gastgeber alles sorgfältig vorbereitet, natürlich steht die Menüfolge fest; aber es entsteht alles gemeinsam. Jeder hat seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu sieden und zu kochen, jeder etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt. Voßkuhle selbst rührt das Dressing. Man ahnt, wie er als oberster Richter agiert“ (Prantl 2012). Wieder handelt es sich um eine Szenenabfolge, die das Storytelling-Krite‐ rium der Authentizität bestens zu erfüllen scheint. Doch der Autor war, was er in seinem Text unerwähnt lässt, selbst nicht vor Ort, wie der porträtierte Protagonist Andreas Voßkuhle nach der Veröffentlichung des Textes über eine Sprecherin des Gerichts mitteilen ließ: Herr Prantl sei weder für diesen Artikel noch zu einem anderen Zeitpunkt von ihm zu einem privaten Essen eingeladen worden, geschweige denn könne dieser aus persönlicher Anschauung mit den Kochgewohnheiten des Präsidenten vertraut sein (Simon 2012; Dernbach 2017, S. 159). Die Süddeutsche Zeitung entschuldigte sich am Tag nach der Veröffentlichung, wobei diese Entschuldigung wie auch der fragliche Artikel inzwischen „nicht ohne Weiteres im Internet zu finden“ sind (Dernbach 2017, S. 159). 57 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien Feature, Report, Interview Neben der Reportage gibt es in der narrativen journalistischen Darstellung auch Formen mit Mischelementen. Das lebendig geschriebene Feature beinhaltet ebenfalls subjektive Beobachtungen und Einschätzungen, kann gleichzeitig aber auch Merkmale der Dokumentation tragen. Geschildert wird ein Einzelfall, der hier beispielhaft für einen allgemeinen Sachverhalt steht. Kennzeichnend ist wie bei der Reportage der Perspektivenwechsel: „Der Autor kann immer wieder vom Sachlichen, dem Objektiven, ins Persönliche, ins Subjektive, wechseln. Wie beim Fotografieren geht es beim Feature und bei der Reportage um den Wechsel von ‚Kameraeinstellungen‘, von der ‚Nahaufnahme‘ bis zur ‚Totalen‘“ (Köster o. J.). Beim Report finden sich nüchterne Nachrichtenkomplexe und Daten‐ sammlungen, teilweise aber auch szenische Erzählpassagen und fügen sich zu erklärenden und einordnenden Hintergrundberichten zusammen. Diese Darstellungsform „konzentriert sich auf das Wesentliche“ (Spiegel 2015). In der Wirtschaftsberichterstattung wird diese Darstellungsform recht häufig verwendet. Auch Interviews, die eine dialogische Form sowohl der Informationsals auch Meinungsvermittlung darstellen, können narrativen Content mit subjektivem Charakter transportieren. Dies ist z. B. der Fall, wenn Po‐ litiker: innen oder Künstler: innen im Gespräch mit Medienschaffenden Stationen ihrer Karriere schildern oder von konkreten Erlebnissen und Erfahrungen in ihren jeweiligen Handlungsfeldern erzählen. Oder wenn Betroffene wie etwa Flüchtlinge oder Opfer von Katastrophen darüber sprechen, was sie in ganz konkreten Situationen erlebt haben. Wie beim Sach- oder Meinungsinterview (wobei es häufig Mischformen gibt) nutzen Journalist: innen auch beim narrativen Interview verschiedene Fragetech‐ niken und -formen. Dazu zählen u. a. Eisbrecherfragen, die zu Beginn des Interviews eine konstruktive Gesprächsatmosphäre schaffen sollen, oder allgemeiner gefasste Fragen, sogenannte Balkonfragen, die es dem Inter‐ viewten ermöglichen, weiter auszuholen und komplexere Themenaspekte zu behandeln. Offene Fragen verhindern, dass Gesprächspartner: innen nur mit ja oder nein antworten, während Konkretisierungsfragen dazu dienen, als Interviewer: in nachzuhaken, einen Sachverhalt zu hinterfragen oder zu präzisieren. Legitim sind auch Provokationsfragen, mit denen Interviewte bewusst herausgefordert werden (Köster o. J.). 58 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Scrollytelling und user generated content Im Kontext der Digitalisierung entstand als neue Form des journalistischen Erzählens die multimedial aufbereitete Geschichte, das sogenannte Scrolly‐ telling. Die von der New York Times 2012 veröffentlichte Story „Snow Fall“, eine später mit dem Pulitzer-Preis prämierte Rekonstruktion des Lawinen‐ unglücks am Tunnel Creek im Nordwesten der USA, gilt als die Premiere dieser Darstellungsform, die danach auch deutsche Informationsmedien anzubieten begannen. Die Rezipient: innen „scrollen von Episode zu Episode durch die Erzählung und finden zudem Videos, Tondokumente, Karten und Foto-Slides“ (Haller 2015, S. 42). Die User: innen können damit selbst entscheiden, wie intensiv sie die Reportage rezipieren und zusätzliche In‐ formationen, Dokumente oder Interviews einbeziehen (ebd.). Damit werden zwei Ebenen, die in einer Reportage ineinander verwoben sind, zu zwei Linien getrennt, die bei der Multimedia-Story parallel zueinander laufen: „das informierende Beschreiben des Geschehens“, das der Text bietet, „und das emotionalisierende Schildern der Erlebnisse des Protagonisten“ (Haller 2015, S. 43), das in den interaktiv abrufbaren audiovisuellen Elementen (Bilder, Videos, Ton) erfolgt (ebd.). In Deutschland gilt Spiegel Online als medialer Produzent von beson‐ ders professionell aufbereiteten Multimedia-Geschichten. Die Produktion solcher Storys ist nicht nur zeitaufwändig und personalintensiv (Haller 2015, S. 43), sondern auch sehr kostenintensiv. Angesichts der anhaltenden ökono‐ mischen Krise von Informationsmedien, die sich in seit Jahren deutlich rück‐ gängigen Vertriebs- und Werbeerlösen zeigt und durch die Coronapandemie teilweise weiter forciert wurde, erscheint es eher fraglich, dass Medienun‐ ternehmen das aufwändige Scrollytelling ausbauen. Gleichzeitig hat sich das Publikumsinteresse offenkundig als deutlich kleiner erwiesen als gedacht. Im Spiegel-Verlag entschied man Anfang 2021, Geschichten in der Magazin- App des Nachrichtenmagazins „nur noch dann aufwändiger zu produzieren, wenn es das Thema gebietet“ (Spiegel 2021). Die Hintergründe für diese strategische Entscheidung werden offen expliziert: „Mit dem Start des iPad kam in der Medienbranche die These auf, Leser: innen würden erwarten, dass die multimedialen Möglichkeiten der Geräte großflächig genutzt werden. Tatsächlich ist dem nicht so“ (ebd.). Nun lautet die Programmatik wieder: „Gute Texte sind genug“ (ebd.). Der gravierende kommunikative Strukturwandel durch die Digitalisie‐ rung hat es möglich gemacht, dass die Rezipient: innen als Prosument: innen 59 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien selbst aktiv am medialen Geschehen teilnehmen können. Im Zuge der neu entstandenen Two-Way-Kommunikation sowie der Many-to-Many- Kommunikation hat sich für Medien nicht nur die Möglichkeit für einen wechselseitigen Austausch mit den Rezipient: innen ergeben, sondern auch die der Nutzung der von User: innen generierten Inhalte. Manche Medien, darunter das Boulevardblatt Bild, motivieren Bürger: innen, interessante Fotos einzusenden, und honorieren veröffentlichte Bilder. Was narrative Geschichten angeht, wird user generated content von überregionalen Tageszeitungen oder Magazinen bisher eher wenig genutzt, was häufig mit der mangelnden Professionalität von Hobbyautor: innen begründet wird. Im Gegensatz dazu setzen Einrichtungen des Bürgerjournalismus und manche hybriden Medienplattformen ganz stark auf Storys von Bürger: innen. Das Portal myheimat.de machte daraus ein spezifisches Geschäftsmodell. Es begann, regionale Geschichten, die von Bürger: innen geschrieben wurden, digital und eine Auswahl dieser Storys gedruckt zu veröffentlichen. Nach und nach setzten verschiedene deutsche Regionalzeitungen die Nachrichten und Geschichten von Hobbyautor: innen gegen eine Lizenzgebühr in ihren Blättern ein. Heute wirbt myheimat auf der Homepage damit, dass Bür‐ ger: innen aus den unterschiedlichsten Regionen, von Augsburg bis Berlin, berichten (myheimat o. J.). Wenn Meinung als Fakt rezipiert wird Im Kontext der informationsvermittelnden Darstellungsformen gibt es zwei Phänomene, die problematische Züge tragen. Zum einen ist erkennbar, dass die obligate Trennung von Nachricht und Meinung vorrangig in Online-Medien, aber tendenziell auch in ‚klassischen‘ Informationsmedien zunehmend aufgeweicht wird. Sowohl in den Teasern bzw. Vorspannen oder Anmoderationen als auch in den eigentlichen Texten und Beiträgen finden sich immer wieder wertende Passagen, was der Definition einer Nachricht laut den traditionellen journalistischen Regeln widerspricht. Gleichzeitig machen Medienpraktiker: innen die Erfahrung, dass immer mehr Rezipient: innen Schwierigkeiten zu haben scheinen, Nachricht und Meinung in ihren distinktiven Merkmalen selbst zu bestimmen und deren essenzielle Unterschiede jeweils zu erkennen. Auch als Lehrende ist dies wahrzunehmen: Entsprechende Tests des Autor: innenteams mit Studierenden ergaben, dass nicht wenige der jungen Menschen mei‐ 60 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling nungsbildende Darstellungsformen wie den Kommentar als Nachricht einschätzen - also als faktische Darstellung statt einer Argumentation lesen. Zahlreiche Lehrer: innen berichten von ähnlichen Erfahrungen. Eine im Mai 2021 präsentierte Sonderauswertung der PISA-Studie von 2018 im Bereich Lesekompetenz zeigt, dass tatsächlich weniger als die Hälfte der 15-Jährigen in Deutschland Fakten von Meinungen unterscheiden kann. Nach OECD-Angaben konnten demnach nur 45 Prozent der Schüler: innen einordnen, was in Texten Nachricht oder Meinung ist. Der OECD-Schnitt lag bei 47 Prozent. 49 Prozent der 15-Jährigen gaben an, in der Schule gelernt zu haben, was Meinungen von Fakten unterscheidet oder ob Informationen aus dem Internet vertrauenswürdig sind (OECD-Schnitt: 54 Prozent) (OECD 2021; Zeit Online 2021). Dass dieses problematische Phänomen auch bei Erwachsenen anzutreffen ist, zeigt die im März 2021 veröffentlichte Studie „Quelle: Internet? “ der Stiftung Neue Verantwortung, bei der 4194 Internetnutzer: innen ab 18 Jahren auf ihre digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen getes‐ tet wurden. 46 Prozent taten sich dabei schwer damit, Nachrichten von PR, Werbung, Meinungen, Falschinformationen oder Propaganda zu unter‐ scheiden. Knapp ein Drittel der Befragten hielt einen Kommentar für eine faktenorientierte Berichterstattung, weitere 15 Prozent waren sich in diesem Zusammenhang nicht sicher (Meßmer et al. 2021, S. 4f.). Mögliche Gründe für diese alarmierenden Ergebnisse könnten in dem Umstand liegen, dass vor allem in den sozialen Medien, die besonders intensiv von jungen Menschen genutzt werden, Nachricht und Meinung zuweilen wild durcheinander gehen. Die explizite Kennzeichnung eines Kommentars, wie sie in analogen Tageszeitungen oder in den Tagesthe‐ men der ARD noch gängig ist (wobei die Redaktion der Tagesthemen den Kommentar zu nachrichtlich aufbereiteten Themen inzwischen noch deutlicher als Meinung markiert), fehlt dort gänzlich. Laut der im April 2021 veröffentlichten Studie „#UseTheNews“ des Leibniz-Instituts für Medienfor‐ schung (Hans-Bredows-Institut) nutzt nur knapp die Hälfte (46 Prozent) der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren mehrmals pro Woche journalistische Angebote als Informationsquelle. 58 Prozent widmen sich auch nichtjournalistischen Angeboten. Und: Die Hälfte der Jugendlichen hält es demnach nicht für wichtig, sich über aktuelle Ereignisse zu informieren (Hasebrink et al. 2021, S. 7ff.). 61 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien Das kommunikative, aber auch demokratiepolitische Risiko, das in einer Verwischung und Vermischung von Nachricht und Meinung liegt, ist gravierend: Beeinflussung, strategische Persuasion und Manipulation über mediale Kommunikation, aber auch Verschwörungsnarrative könn‐ ten evident zunehmen. Beispiel | Corona-Verschwörungsnarrativ Ein deutscher Sonntag im April 2021. Südlich von Stuttgart, Schauplatz zahlreicher Coronaproteste, geht ein Mann in seinem Wohnort am Fuße der Schwäbischen Alb spazieren. Plötzlich hält ein Fahrzeug neben ihm. Eine etwa 35-jährige Frau springt heraus und drückt ihm 16 vollgedruckte DIN-A4-Seiten in die Hand. „Lesen Sie das bitte. Es ist sehr wichtig“, sagt sie, eilt zurück ins Auto und fährt weiter. „Fakten zu Covid-19“ steht groß und fett gedruckt über der ersten Seite. Und die Aufforderung: „Teilen auf Twitter/ Facebook“. Der Inhalt des Konvoluts u. a.: Die Letalität von Covid-19 liege im Bereich einer starken Grippe, das Sterberisiko für die Allgemeinbevölkerung „im Bereich einer täglichen Autofahrt zur Arbeit“, Impfstoffe gegen das Coronavirus seien als „unnötig oder sogar gefährlich“ einzustufen, für die Schließung von Schulen habe es zu keinem Zeitpunkt einen medizinischen Grund gegeben. Auf einem Blatt ist ein Zitat von George Orwell zu lesen: „Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.“ Darunter der Vermerk: „Weitergeleitet aus QANON MEMES Trump’s Army“ - die Quelle in diesem Fall ist also jene US-Gruppe, die Verschwörungsgeschichten mit teilweise rechtsextremen Inhalten verbreitet und unter deren Mitglie‐ dern etliche Trump-Unterstützer sind. Auf einer anderen Seite wird der Leser gebeten, „alle Fakten“ auf Richtigkeit zu überprüfen - „denn Du bist die letzte Instanz! “ Die Relotius-Affäre und der Grundverdacht des Manipulativen Ein anderer Problemfaktor liegt darin, dass die Relotius-Affäre die journa‐ listische Stilform der Reportage grundsätzlich in Frage gestellt hat. Im Dezember 2018 hatte der Spiegel bekannt gegeben, dass der junge, mehr‐ fach ausgezeichnete Reporter Claas Relotius „in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert“ habe (Fichtner 2018), die das Nachrichtenmagazin 62 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling veröffentlicht hatte. Wie später eine vom Spiegel eingesetzte Kommission konstatierte, erfand Relotius, der rund 60 Texte für den Spiegel verfasst hatte, einzelne Figuren, Szenen und Zitate oder gab Gespräche mit Personen vor, denen er nie begegnet war; wiederholt waren ganze Reportagen gefälscht. Auch anderen Medien, darunter das Magazin der Süddeutschen Zeitung, hatte er Fake-Storys geliefert. Relotius räumte über seinen Anwalt ein, er habe „über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden“ (Spiegel 2019). In der Medienszene wurde diskutiert, ob es sich ausschließlich um einen singulären, individuell gelagerten Betrugsfall handelt oder ob in dieser Affäre auch systemische Problemfaktoren des journalistischen Storytellings kausal eine Rolle spielen bzw. sichtbar werden. Wie aus dem Bericht der vom Spiegel eingesetzten Kommission hervor‐ geht, hatte das Reportage-Ressort innerhalb der Gesamtredaktion des Nachrichtenmagazins eine Art Eigenleben mit recht elitärem Selbst‐ verständnis entwickelt. Die zur neutralen, intensiven und kritischen Faktenprüfung von Texten angehaltene Instanz der Dokumentation war, im Gegensatz zur sonstigen Praxis beim Spiegel, in das Ressort integriert worden. Bei dem jungen Journalisten mit Star-Potenzial wurde offenkundig nicht so genau hingeschaut, wie es üblich sein sollte. Dass solche ‚Edelfedern‘ mit ihren Reportagen regelmäßig Jour‐ nalist: innenpreise generieren, gehörte zu den festen Erwartungen der Ressortleitung (Spiegel 2019). Der Medienforscher Michael Haller sieht mediensystemische Aspekte in diesem groß dimensionierten Fake-Fall und die Notwendigkeit zu einem Umdenken im Journalismus: „Der Glaube an elegant geschriebene Reportagen ist zu groß. Sie werden danach beurteilt, ob sie süffig zu lesen, toll im Stil sind und wunderbare Episoden erzählen. Man muss sich umorientieren. Es kommt darauf an, ob eine Geschichte wichtige Sachverhalte ans Licht bringt. Aufklärungsarbeit ist erstrangig, Stil ist zweitrangig“ (SRF 2018). Bei manchen Nachwuchsjournalist: innen, so machte Haller damals auch deutlich, beobachte er, dass sie die Grenze zwischen Fakten und Fiktion für fließend hielten. „Und manchem ist die elegante Schreibe das Wichtigste. Dieser ordnet er die Tatsachen unter. Oder er verbiegt sie. Oder erfindet 63 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien sie. Das ist der Weg, den Claas Relotius ging“ (taz 2019). Der Medienwis‐ senschaftler führt Erkenntnisse der Leser: innenforschung an, wonach die meisten Leser: inen eine Darstellungsform erwarten, die der Information, dem Thema oder Sachverhalt angemessen sei. „Nachrichtliche Themen brauchen Berichtsformen, Exotisches braucht die Erzählform, Komplexes braucht Analyse - und die Meinung steht im Kommentar“ (ebd.). Seine Konklusion: „Die Journalisten sollten die Stilformen als funktional definierte Vermittlungs‐ weisen wieder ernst nehmen. Deshalb sollten die Formen klarer getrennt und gegenüber dem Publikum transparent gemacht werden. Und die Reportage sollte wieder zur Ausnahmeform werden, sozusagen das Sahnehäubchen“ (taz 2019). Grenze zwischen Fiktion und Nichtfiktion bei filmischen Dokumentationen Die Auseinandersetzung mit den Grenzen dokumentarischer Filmproduk‐ tionen im Frühjahr 2021, u. a. anlässlich des vom Norddeutschen Rund‐ funk (NDR) mitproduzierten Dokumentarfilms Lovemobil der Regisseurin Elke Lehrenkrauss, zeigt wiederum, dass die Grenze zwischen Fiktion und Nichtfiktion beim Publikum empfindlich wahrgenommen und eingefordert wird (Gilbert/ Rosales 2021). Der Dokumentarfilm schildert das Leben von Prostituierten, die in Niedersachsen in Wohnmobilen am Rande von Bun‐ desstraßen arbeiten. Er wurde 2020 mit dem Deutschen Dokumentarfilm‐ preis ausgezeichnet, lief weltweit auf verschiedenen Festivals und war für den Grimme-Preis 2021 nominiert. Aufgrund scharfer Kritik wurde der Preis jedoch zurückgegeben, da zentrale Szenen mit Laienschauspielerinnen nachgestellt oder inszeniert wurden, ohne dies dem Publikum transparent anzuzeigen (ebd.). Zentrale Protagonist: innen im Film erzählten also nicht ihre persönlichen Erfahrungen, sondern spielten eine Rolle. Der NDR distanzierte sich von diesem Dokumentarfilm (NDR 2021; Spiegel 2021). Die Regisseurin entschul‐ digte sich, machte aber auch deutlich, dass Lovemobil auf Basis langjähriger Recherchen und zahlreicher Gespräche mit den Betroffenen entstanden sei (Gilbert/ Rosales 2021). Vertrauensprobleme der Informationsmedien Mit Blick auf die Akzeptanz von journalistischem Storytelling bei den Rezi‐ pient: innen gilt es auf der Makroebene des Mediensystems zu berücksichti‐ 64 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling gen, dass in der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie in der Me‐ dienkritik eine grundsätzliche Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus konstatiert wird. Dabei wird auf verschiedene Umfragen und Studien verwiesen. Bereits 2009 zeigte eine differenzierte Studie des Kommunikationsforschers Wolfgang Donsbach und Kolleg: innen, dass die Mehrheit der Deutschen Journalist: innen u. a. für manipulativ, korrupt und zu mächtig hält (Donsbach et al. 2009, S. 77ff.). Eine Umfrage der Zeit im Dezember 2014 ergab, dass 47 Prozent der Befragten die Berichterstattung als einseitig kritisierten (Wolf 2015, S. 8). Im Oktober/ November 2019 erklärten bei einer vom WDR in Auftrag gegebenen Umfrage 33 Prozent der Befragten, sie hielten die Informationen in den deutschen Medien für nicht glaubwürdig, im November 2015 waren es 42 Prozent. Im Oktober des Coronajahres 2020 sank die Quote auf 26 Prozent (Statista 2021a). Laut einer im Januar 2021 veröffentlichten Studie der Ruhr-Universität Bochum und des Instituts der deutschen Wirtschaft stimmen ein Viertel der rund 1.100 befragten Bürger: innen der Aussage bzw. Verschwörungserzählung „Die Politik und die Medien stecken unter einer Decke“ eher (15 Prozent) oder voll und ganz (11 Prozent) zu (Schüler et al. 2021, S. 12). Ähnliche Ergebnisse generierte eine im März 2021 veröffentlichte Studie der Stiftung Neue Verantwortung. Eine Befragung von insgesamt 4.194 Internetnutzer: innen ab 18 Jahren ergab, dass 24 Prozent glauben, die Bevölkerung in Deutschland werde von den Medien systematisch belogen, weitere 30 Prozent sagten „teils/ teils“. 25 Prozent stimmten der Aussage zu, Medien und Politik würden Hand in Hand arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren, weitere 28 Prozent sagten „teils/ teils“ (Meßmer et al. 2021, S. 4f.). Hingegen kommt die Mainzer Langzeitstudie „Medienvertrauen“ zum Ergebnis, dass im Coronajahr 2020 das Vertrauen in die Medien wieder gestiegen sei. Demnach stimmten Ende 2020 56 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht - etwa Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren, politische Skandale und Krisen - kann man den Medien vertrauen.“ In den vergangenen Jahren hatte dieser Wert zwischen 41 und 44 Prozent gelegen, im Jahr 2015, dem Jahr des großen Flüchtlingsthemas, bei nur 28 Prozent ( Jakobs et al. 2021, S. 153). Als Negativentwicklungen im publizistischen Kontext führen die Medienwissenschaft und auch Medienpraktiker: innen u. a. an: Kom‐ merzialisierung der Medien, Boulevardisierung, Entertainisierung, Entprofessionalisierung, defizitäre Selektionsprozesse und Darstellung 65 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien von Wirklichkeit, Hyperskandalisierung sowie -emotionalisierung und Sensationsjournalismus, Selbstüberschätzung sowie mangelnde Selbst‐ kritik und Distanz zur Macht sowie zu Behörden (Urner 2019; Wei‐ schenberg 2018; Weischenberg et al. 2006; Stapf et al. 2017; Virchow et al. 2015). Das gängige Selbstverständnis von Journalist: innen, ‚objektiv‘ zu berichten, wird in der Medienwissenschaft schon seit längerem kritisch gesehen (z. B. Pöttker 2017, S. 80). Medienforscher: innen sehen bei Redaktionen und Journalist: innen eine Mitverantwortung für das problematisch gewordene Verhältnis zwischen Medien und Publikum: „Die Medien haben durch einseitige Berichterstat‐ tung, durch ein zu intimes Verhältnis zur politischen Macht und durch Missachtung des Publikums viel dazu beigetragen“ (Wolf 2015, S. 14). Umso mehr wird die Notwendigkeit betont, dass die Medien u. a. durch neue dialogische und partizipative Formate bzw. Instanzen ihr Verhältnis zum Publikum intensivieren und nachhaltig verbessen (Wolf 2015; Stapf et al. 2017). Manche Medienpraktiker: innen thematisieren selbst auch Probleme im Verhältnis zwischen ihnen und den Rezipient: innen und konstatieren selbstkritisch, dass dies nicht nur auf ein mangelndes oder falsches Verständnis seitens des Publikums zurückzuführen ist. „Es muss die Verantwortung der Journalistinnen sein, alles dafür zu tun, richtig verstanden zu werden. Missverständnisse wird es immer geben, aber sie zu provozieren ist, abseits von Kunst und Satire, unredlich“, meint etwa die Kolumnistin der Zeit Frida Thurm (Thurm 2021). Es sei wünschenswert, dass Leser: innen besser zwischen Falschnachrichten und Fakten unterscheiden können, „doch wir machen es ihnen oft schwerer als nötig. Es ist nicht unter unserer journalistischen Würde, klar zu benennen, worauf wir hinauswollen oder transparent zu machen, woher wir wissen, dass unsere Informationen stimmen - im Gegenteil“ (ebd.). Reflexion | Was denken Sie? Wie können bzw. sollen Medien Vertrauen zurückgewinnen? Vermittlung eines negativen Weltbildes Vertreter: innen von Informationsmedien sehen sich auch zunehmend der Kritik ausgesetzt, dass sie eine Tendenz zur prioritären Auswahl von Ne‐ 66 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling gativnachrichten haben - gemäß dem brancheninternen Diktum „Only bad news are good news“ oder, vom US-Journalisten Eric Pooley noch drastischer ausgedrückt, „If it bleeds it leads“ (Urner 2019, S. 18ff.). Wie die Neurowissenschaftlerin Maren Urner darlegt, verstärkt der massenmediale Fokus auf Negatives, Skandalöses und Katastrophen das per se schon negative Weltbild der Rezipient: innen (ebd.). Der sogenannte Ignoranztest, der auf den schwedischen Mediziner Hans Rosing zurückgeht, zeigt in seiner Anwendung regelmäßig, dass Menschen in westlichen Industrienationen den Zustand der Welt, was z. B. die Alphabetisierungsrate oder die Ent‐ wicklung der Kindersterblichkeit betrifft, auffallend schlechter einschätzen, als er tatsächlich ist. Dieser Optimism Gap ist laut Untersuchungen besonders evident, wenn es bei der Einschätzung um Zusammenhänge geht, die Menschen in den Medien erfahren. Urner verweist u. a. auf eine wissenschaftliche Studie nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon im Jahr 2013, wonach Menschen, die etliche Medienberichte und Storys in Zeitungen, Radio, Fernsehen oder Internet über das Geschehen verfolgten, ein höheres Stresslevel hatten als diejenigen, die bei dem Anschlag vor Ort waren (Urner 2019, S. 40-43). Als Reaktion auf die Flut negativer Nachrichten würden sich Menschen zunehmend von Medien abwenden, so Urner. Umfragen zur Nachrichten‐ wirkung zeigten, dass fast jeder Zweite, der aktiv versuche, Nachrichten nicht zu konsumieren, seine Entscheidung damit begründe, dass sich die Nachrichten negativ auf seine Stimmung auswirken würden. Im Extremfall kann der Fokus auf Negativnachrichten dazu führen, dass Menschen voll‐ ständig aufhören, Nachrichten zu konsumieren (Urner 2019, S. 48ff.). Urner führt zudem eine deutsche Glaubwürdigkeitsstudie an, laut der 76 Prozent der Befragten angaben, die Medien würden zu viel über Probleme und zu wenig über Lösungen berichten (ebd., S. 71). Da faktuales Erzählen ein Segment der medialen Informationsvermittlung ist, betrifft das Vertrauensproblem der Informationsmedien sowie die Kritik, dass vorrangig negative Nachrichten bzw. Themen selektiert werden, auch das Storytelling. Gerät die narrative Darstellungsform im Journalismus gleichsam wie der sachlich-nüchterne Nachrichtenbeitrag immer stärker in die Kritik des Publikums, kann sich ein solcher Akzeptanzverlust auch auf andere Einsatzbereiche des Storytellings mit journalistischer Affinität übertragen, z. B. die Unternehmenskommunikation oder die politische Kommunikation. 67 1.6 Faktuales Storytelling in den Informationsmedien Konstruktiver Journalismus Vor dem Hintergrund des Primats negativer Nachrichten und dessen Kon‐ sequenzen entstand, aus einem medienkritischen Ansatz, das Konzept des sogenannten Konstruktiven Journalismus. Verfolgt wird dabei ein lö‐ sungsorientierter Ansatz: Artikel und Storys sollen den Rezipient: innen helfen, Probleme und Herausforderungen zu verstehen, und ihnen Wege sowie Möglichkeiten aufzeigen, auf diese Herausforderungen erfolgreich zu reagieren (Urner 2019; Kramp/ Weichert 2020). Das Fragenrepertoire von Journalist: innen soll um die W-Frage „Was jetzt? “ bzw. „Wie kann es weitergehen? “ erweitert werden (Urner 2019, S. 77-79). Der Ursprung dieser Initiative liegt in den USA. 2013 gründete die Journalistin Tina Rosenberg mit ihren Kolleg: innen David Bornstein und Courtney Martin das Solutions Journalism Network (SJN). Diese Organisation bildet weltweit Journalist: innen im Lösungs-Journalismus aus und verwaltet eine Daten‐ bank mit lösungsorientierten Medienbeiträgen aus aller Welt (Solutions Story Tracker). Inzwischen findet dieser Ansatz in der internationalen Medienszene zunehmend Unterstützung, positive Resonanz und Umsetzung. 2016 fand an der niederländischen Hochschule Windesheim eine erste internationale Konferenz zum Konstruktiven Journalismus mit 350 Teilnehmer: innen und Referent: innen statt. Im selben Jahr startete das von Maren Urner mitge‐ gründete Online-Magazin Perspective Daily, das jeden Tag einen Artikel veröffentlicht, der laut Eigendarstellung Themen oder Probleme einordnet und sich auf Lösungen fokussiert (Perspektive Daily o. J.) Gleichzeitig begann man u. a. auch bei NDR Info ein Format (NDR Info Perspektiven) um‐ zusetzen, das lösungsorientierten Journalismus bieten soll. In Deutschland wurden 2018 und 2019 die ersten Auflagen des Constructive Journalism Day realisiert, veranstaltet von der Hamburg Media School und dem NDR. Was die Stilformen angeht, dominiert in Beiträgen des Konstruktiven Journalis‐ mus derzeit eher die nüchtern-logische Darstellung von Zusammenhängen, wobei lösungsorientierte Ansätze genauso über Storytelling realisiert wer‐ den können. 68 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation Die Kommunikation von Unternehmen, zugleich auch von Verbänden und Organisationen, fokussiert sich in der strategischen Zielsetzung maßgeblich darauf, das Leitbild und Image, damit die in der Corporate Governance adressierte Unternehmensidentität, intern und extern zu vermitteln, Aufmerksamkeit für wichtige Unternehmensthemen zu generieren sowie die öffentlichen Interpretationen und Bewertungen dieser Themen zu steuern (Krüger 2015, S. 113). Ein zentraler Kanal dazu ist bisher, neben der Pressekonferenz als mündlicher Kommunikationsform, die Pres‐ semitteilung. Sie gleicht definitorisch und in ihrer formalen Struktur der journalistischen Nachricht, transportiert also die vom Sender selektierte Hauptbotschaft im Anfangsteil (Leadsatz), ist gekennzeichnet von der abfal‐ lenden Priorität bzw. Hierarchie nachfolgender Informationsinhalte und hat einen nüchtern-logischen Berichtstil. Je professioneller, im Sinne des jour‐ nalistischen Regelwerks, eine Pressemitteilung verfasst wird, desto größer sind die Chancen, dass sie von ‚klassischen‘ Informationsmedien so auch publiziert und damit einem Massenpublikum zugänglich wird (Hoffjann 2007, S. 152). Dabei greifen dieselben Selektions- und Relevanzkriterien wie Aktualität, Wichtigkeit, Genauigkeit und Richtigkeit. Die Public Relations (PR), also die öffentliche Kommunikation von Unternehmen und Organisationen, ist dem Journalismus angepasst. Zu dem spezifischen Verhältnis beider Bereiche sind in der Kommunikations- und Medienforschung verschiedene Modelle und Konstrukte erarbeitet worden. Das Spektrum reicht von der Dominanz des Journalismus über verschiedene Formen einer Wechselbeziehung bis hin zur Determinierung des Journalismus durch PR (Krüger 2015, S. 102). Aus kommunikations- und medienpraktischer Perspektive spricht viel für eine Interdependenz: Unternehmen brauchen - auch in digitalen Zeiten, die eigene Kanäle generiert haben - Informationsmedien, um über diese große Reichweiten für ihre Botschaften zu generieren. Journalist: innen wiederum sind für ihre Recherchen und Berichterstattung u. a. auf Informationen von Unternehmen oder Organisationen angewiesen. In der aktuellen PR- und Marketingpraxis wird die starke Ausrichtung auf den Journalismus u. a. an Werbungs- und Content-Strategien wie dem native advertising und advertorials evident: Werbeinhalte bzw. PR-Texte werden so gestaltet oder platziert, dass sie wie redaktionelle, also journalistische Berichte wirken sollen. 69 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation Learning histories Noch 2015 kam Krüger zu der Einschätzung, dass Storytelling in der PR „bislang eher die Ausnahme als die Regel ist“ (Krüger 2015, S. 101), aber nach der Prognose von Kommunikationsmanager: innen zunehmen wird (ebd., S. 158 u. 167). Neben den Pressemitteilungen tragen auch Geschäfts‐ berichte, Informationsbroschüren, Kunden- und Mitarbeiterzeitschriften sowie Internet- oder Intranet-Content insbesondere von mittelständischen oder kleineren Unternehmen bisher meist kaum narrative Züge oder sind ganz im nüchternen Berichtstil gehalten. Einige Großunternehmen und Verbände haben dagegen schon in den 2000er-Jahren das Storytelling als strategisch-kommunikatives Mittel zur Identitäts- und Vertrauens‐ bildung für sich entdeckt (ebd., S. 157ff.). Der wissenschaftliche Hintergrund: Forschungen am Lehrstuhl für Em‐ pirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Ludwig-Maximi‐ lians-Universität München hatten im Jahr 2000 ergeben, dass sich Storytel‐ ling als Methode zur Entwicklung von Erfahrungsgeschichten (learning histories) in Organisationen und damit zum multifunktionalen Wissensma‐ nagement eignet. Von Mitarbeiter: innen oder anderen Stakeholder: innen erzählte Erfahrungsgeschichten können demnach innerhalb einer Organi‐ sation bzw. eines Unternehmens Diskussionen sowie Gespräche und damit auch Reflexion evozieren und so Lernprozesse auf individueller und organisationaler Ebene ermöglichen (Reinmann-Rothmeier et al. 2000, S. 3). „Das Entscheidende beim Story Telling ist, dass der Entstehungsprozess einer Erfahrungsgeschichte bottom up erfolgt: jeder Beteiligte findet sich später in der ‚großen Story‘ in irgendeiner Form wieder. Vor diesem Hintergrund liegt ein ganz wesentlicher Gewinn des Story Telling darin, dass sich fragmentierte Ein‐ zelgeschichten zu einer ‚Wir‘-Geschichte bündeln und letztlich eine gemeinsame Geschichte ausgehandelt wird“ (Reinmann-Rothmeier et al. 2000, S. 3). Das Verbindende, das im Storytelling liegt, kann also die Corporate Iden‐ tity eines Unternehmens fördern und organisationale Änderungspro‐ zesse nachvollziehbar machen (Reinmann-Rothmeier et al. 2000, S. 3 u. 6). Die Münchner Erkenntnisse basieren auf der Forschungsarbeit am Center for Organizational Learning des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort hatte 1997 eine Gruppe von Sozialwissenschaftler: innen, Ge‐ schäftsleuten und Journalist: innen die narrative Methodik im Kontext von 70 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Erfahrungsgeschichten entwickelt und in mehreren Konzernen, darunter Shell und Philips, getestet (ebd., S. 2; Thier 2017, S. 4). Kollektive Reflexion und Zugehörigkeitsgefühl An der Universität Augsburg im Bereich Medienpädagogik sowie am Stutt‐ garter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation wurde in mehreren Forschungsprojekten und in Zusammenarbeit mit deutschen Un‐ ternehmen eine modifizierte Variante des MIT-Storytellingkonzepts entwi‐ ckelt und getestet (Thier 2017, S. 5 u. 21). Demnach erweist sich Storytelling als valide Methode, wenn Organisationen in folgenden Bereichen neue Wege einschlagen möchten: „Projektdokumentation über das Fachwissen hinaus, Erkennen und Sichern von Erfolgsfaktoren, erfolgreiche Durchführung von Kultur- und Strukturverände‐ rungen, Sicherung des Wissens bzw. der Erfahrungen von ‚Leaving Experts‘, Kostensenkung für Arbeitsprozesse in Teams, schnellere Einarbeitung neuer Mitarbeiter, Diagnose und Behebung von Prozessschwächen“ (Thier 2017, S. 6). Das Beraternetzwerk NARRATA Consult setzt seit 2001 diese Variante der Storytelling-Methode um. Zentrale Segmente bzw. Phasen sind dabei Inter‐ views mit Mitarbeiter: innen, Führungskräften und weiteren Stakeholder: in‐ nen, bei denen eine Mischung aus narrativem Interview und halbstruktu‐ riertem Leitfaden angewendet wird. Genaues Zuhören spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Die aus den Interviews generierten Daten werden in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet und verschie‐ denen Themengruppen zugeordnet (Thier 2017, S. 23f.). Diese inhaltlichen Schwerpunkte wird vom Storytelling-Team „zu einer emotionsbetonten, aber auch beweisträchtigen Geschichte zusammengefügt“ (ebd., S. 24). Bevor die Erfahrungsgeschichten distributiert werden, können die befragten Stakeholder: innen den jeweiligen Storyentwurf prüfen und gegebenenfalls ändern oder ergänzen (ebd.). Großer Wert wird, entsprechend dem MIT- Konzept, auf drei Imperative dieses Storytelling-Prozesses gelegt: Fakten, Zitate, Hypothesen und Interpretationen sind wissenschaftlich sauber zu trennen (research imperative), zudem soll die Erfahrungsgeschichte so aufge‐ baut und geschrieben sein, dass sie von den Rezipient: innen akzeptiert wird und einen möglichst großen Lerneffekt im Unternehmen evoziert (pragmatic imperative). Ebenso gilt es, im Sinne des mythic imperative, sowohl den Unternehmenskontext zu berücksichtigen, in den die Erfahrungsstory ein‐ 71 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation gebettet werden muss, als auch Spannung für die Leserschaft zu erzeugen (ebd., S. 25). Erfahrungsgeschichten können demnach u. a. das Vertrauen unter Mitarbeiter: innen, die kollektive Reflexion und das Zugehörig‐ keitsgefühl fördern sowie den Transfer von Wissen und Verän‐ derungsprozesse in Unternehmen anregen. Ein anderer Effekt liegt darin, dass in diesen Storytelling-Prozessen Themen zum Vorschein kommen, über die im Unternehmen noch nicht offen gesprochen wurden (Thier 2017, S. 26f.). Studien zur Evaluation der Storytelling- Methode und der Wirksamkeit ihres Einsatzes zeigten u. a., dass Ein‐ fühlungsvermögen in die interviewten Menschen und deren Situation nötig ist. Zudem zeigten Befragungen in einem Unternehmen, dass die Inhalte von Erfahrungsgeschichten meist als nicht neu betrachtet werden, die Inhalte jedoch durch die Story als Erfahrungsdokument konkretere und fassbarere Konturen bekamen. Die Wirksamkeit von Storytelling konnte u. a. darin festgestellt werden, dass ein solches „narratives Management“ (ebd, S. V) die interne Kommunikation fördert und Sensibilisierung für unternehmenskulturelle Bereiche so‐ wie für Mitarbeiter: innen und Teams anderer Bereiche schafft (ebd., S. 53-55). Erfahrungsgeschichten in Großunternehmen Solche Erfahrungsgeschichten, in diesem Fall von Topmanagern, finden sich etwa in einer Broschüre, die im Jahr 2009 von der in Böblingen ansässigen Hewlett-Packard GmbH 2009 (HP) im Kontext ihres damaligen 50-Jahre- Firmenjubiläums herausgegeben wurde. Neben den üblichen Grußworten enthielt sie drei Geschichten von ehemaligen Geschäftsführern, darunter Jörg Menno Harms. Nach der Analyse des Kommunikationswissenschaftlers Florian Krüger folgen die drei Erzählungen in Aufbau und Akteurstruktur ganz stark dem narrativen Grundmuster der Heldenreise: „Während sich die erste Story (‚Ouvertüre in Böblingen‘) dem Auszug der Helden widmet, werden in der zweiten Story (‚Ein Faible für die Schwaben‘) die Helfer eingeführt, die dem deutschen HP-Management mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die dritte Story (‚Kreuzen und Kurs halten‘) schildert dann, wie Helden und Helfer den zentralen Herausforderungen der Unternehmenserzählung begegnen und sie schließlich erfolgreich meistern“ (Krüger 2015, S. 145). 72 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Der Leiter der HP-Unternehmenskommunikation erklärt im Rückblick, mit der Broschüre sei das Ziel verfolgt worden, die Identifikation der Mitarbeiter: innen mit dem Unternehmen zu unterstützen. Darüber hinaus seien personalisierte Storys für die Positionierung des Unternehmens im Wettbewerb sowie für vertrauensvolle und emotionale Beziehungen zu den Kund: innen geeignet. Zudem könnten Storys über Veränderungen des Unternehmens dazu beitragen, in der Belegschaft Verständnis für Change-Prozesse aufzubringen und Veränderungen besser zu bewältigen (Krüger 2015, S. 164f.). Bereits 2005 setzte der Chemiekonzern BASF auch anlässlich eines Fir‐ menjubiläums, nämlich des 140-jährigen Bestehens, auf Storytelling - und ließ dabei nicht nur die Unternehmensführung in Ludwigshafen, sondern Mitarbeiter: innen aus allen Weltregionen erzählen. Sie waren aufgerufen, individuelle Episoden oder Anekdoten zu schildern, die ihr Verhältnis zum Unternehmen oder auch ihre Erfahrungen mit Veränderungen in ihrem beruflichen Alltag thematisieren. Am Ende wurden 292 Erzählungen aus 72 Konzernstandorten auf den eigens zu diesem Anlass installierten Intranet- und Internetseiten veröffentlicht. Später wurden Storys auch in Mitarbei‐ terzeitschriften abgedruckt und in Buchform als Werbegeschenk publiziert (Krüger 2015, S. 167-181). Ein Jahr zuvor hatte sich BASF strategisch neu positioniert, als „The Che‐ mical Company“. Nach Darstellung der damaligen Projektleitung verfolgte man bei dem Projekt „My BASF Story“ bewusst einem Bottom-up-Ansatz, der die Bedeutung des Konzerns im Leben der Mitarbeiter: innen und deren Erfahrungen sowie Gefühle zum Schwerpunkt haben sollte (Krüger 2015, S. 167-181). Neben der rationalen Darstellung der Markenbotschaft ging es also um einen emotionalen Ansatz, der die Identität des Unternehmens sowie die Identifizierung der Belegschaft mit dem Konzern kommunikativ transportieren sollte (ebd., S. 180). Storytelling und dabei spezifisch user generated content zu diesem Zweck einzusetzen, erwies sich in diesem Fall als Erfolg für die interne und externe Kommunikation: Laut Konzerndarstellung gab es auf der entsprechenden Webseite bereits zwischen April und Oktober 2005 mehr als eine Million page visits. Von fast 1,2 Millionen Seitenaufrufen kamen rund 710.000 von internen und 483.000 von externen Nutzer: innen (Krüger 2015, S. 181). Die damalige Projektleitung bewertet auch das informelle Feedback als überaus positiv. Bewerber: innen würden sich auf die veröffentlichten Erzählungen der Mitarbeitenden beziehen (Krüger 2015, S. 181). 73 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation Strategisches Storytelling in der Finanzwirtschaft Die negativen Auswirkungen der Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/ 09 waren noch sehr präsent und virulent, als die Sparkassen-Finanz‐ gruppe das narrative Magazin Gut. herauszubringen begann. Content-Ex‐ pert: innen im Corporate-Bereich sowie Journalist: innen bekamen Aufträge für die Recherche und Produktion von Reportagen und Interviews, die über rein finanz- oder wirtschaftsaffine Fragestellungen gezielt hinaus‐ gingen - hin zu einem größeren Themenrahmen von gesellschaftlicher Relevanz. „Grenzerfahrung“ lautet z. B. das Schwerpunktthema der im Januar 2010 erschienen Ausgabe von Gut. Auf dem Cover, wo man auf das Sparkassen-Logo verzichtete, sind Grenzerfahrungs-Storys aus dem Sport („Der olympische Spagat“), dem gesellschaftlichen Leben (ein Porträt des Polizisten Mustafa Binici, der aus einer türkischen Familie stammt) sowie aus der Kultur- und Künstlerszene („Udo Lindenberg im Gespräch“) angekündigt (Agentur ZS 2010). Erst im Editorial des damaligen Sparkassenverbandspräsidenten Heinrich Haasis findet sich ein erster inhaltlicher Bezug zu dem Thema, das die ge‐ samte Bankenszene in eine Reputationskrise gestürzt hatte: „Die Finanzkrise 2008/ 2009 war eine solche Grenzerfahrung. Für Unternehmen, von denen einige immer noch mit den wirtschaftlichen Auswirkungen kämpfen, andere sogar in den wirtschaftlichen Abgrund geblickt haben“ (Agentur ZS 2010). Im Heft liest man dann ein Gespräch mit dem Münchner Unternehmer Michael Muth und dem Bremerhavener Sparkassenchef Claus Brüggemann „über das richtige Verhalten in turbulenten Zeiten“ (ebd.). Das Image-Magazin wurde von der Hamburger Agentur Kirchhoff entwi‐ ckelt. „Kundenmagazine sind schon lange keine verkappten Werbebroschü‐ ren mehr, sondern hochwertig gemachte publizistische Produkte, die Nutzen und Glaubwürdigkeit vermitteln“, sagte Klaus Rainer Kirchhoff, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Agentur, im Jahr 2010. Und: „Die zielgruppengerechte Themenwahl legt den Grundstein für eine breite Leser‐ akzeptanz; ein hoher Informationswert, journalistische Qualität der Beiträge und eine ansprechende Gestaltung erhöhen die Akzeptanz. Dabei geht es nicht nur um gute Unterhaltung: Das Kundenmagazin leistet einen wichtigen Beitrag zur Imageförderung und dient der kontinuierlichen Ansprache wertvoller Bestands‐ kunden“ (CP Monitor o. J.). 74 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Rückgewinnung von Vertrauen dürfte, wie am inhaltlichen Zuschnitt des Magazins zu erkennen ist, mit zu den strategischen Zielen beim Ein‐ satz von Storytelling gehört haben. Seit der Finanz- und Bankenkrise gilt es für Finanzdienstleister das Misstrauen von Stakeholder: innen‐ gruppen als kritischem Faktor besonders intensiv zu berücksichtigen. Umso wichtiger ist „eine glaubwürdige Darstellung des Unternehmens, die Image und Reputation stärkt und langfristig das Vertrauen und die Unterstützungspotenziale der Bezugsgruppen sichert“ (Knöß 2014, S. 73). Narration im Kosten-Nutzen-Kontext Kunden- und Corporate-Magazine mit narrativem Content, der von pro‐ fessionellen Storyteller: innen bzw. Journalist: innen produziert wird, sind recht kostenintensiv. Beim Konzern Bilfinger wurde unter dem CEO Roland Koch das von Reportagen und Profifotos geprägte Print-Kundenmagazin eingestellt. Inzwischen gibt es ein Online-Magazin. Im Frühjahr 2020 ent‐ schied die Fluggesellschaft Lufthansa vor dem Hintergrund der Coronakrise, die Produktion und Auslieferung sämtlicher Kundenmagazine, darunter das Bordmagazin sowie Lufthansa Exclusive, zumindest vorübergehend zu stoppen. Produziert werden die Magazine der Fluggesellschaft, wie auch das Bahn-Magazin DB mobil, vom Content-Marketing-Dienstleister Territory, einer Tochter des Hamburger Verlags Gruner + Jahr, bei dem u. a. auch der stern und GEO erscheinen (Meedia 2020). Der Daimler-Konzern ging in den 2000er-Jahren dazu über, in seine Nachhaltigkeitsberichte professionelle Reportagen und Features zu the‐ menaffinen Projekten oder Prozessen an verschiedenen internationalen Standorten zu integrieren. Damit standen narrative Darstellungsformen neben nüchternen, auf Zahlen und Daten konzentrierten Reporting-Tei‐ len. Inzwischen kehrte der Automobilhersteller in seinen Nachhaltigkeits‐ berichten zum reinen Reporting zurück (Daimler 2019). Storytelling ist im Stuttgarter Konzern jedoch eine wichtige Form der internen und externen Kommunikation geblieben. Das 2007 gestartete Daimler-Blog vermittelte in den zwölf Jahren seines Bestehens narrative ‚Einblicke in einen Konzern‘, laut Unternehmensdarstellung mit 2.184 Bei‐ trägen von mehr als 1.243 Mitarbeiter: innen und zahlreichen Gastautor: in‐ nen sowie 350.000 Seitenaufrufen pro Monat in der Spitze (Daimler o. J.). Mit der Umwandlung der Daimler AG in eine Holding im Jahr 2019 wurde 75 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation das Blog geschlossen und das Magazin für Mobilität und Gesellschaft online an den Start gebracht. Es trägt ebenfalls deutlich narrative Züge. So wird z. B. das Ziel von Mercedes-Benz, bis 2039 eine komplett CO 2 -neutrale Pkw-Neuwagenflotte anzubieten, in einem Feature („Jäger der Null“) über den promovierten Umweltschutzingenieur Martin Henßler, der an diesem Zukunftsprojekt arbeitet, transportiert (Daimler o. J.). Das Online-Magazin kombiniert Storys mit Reporting-Beiträgen und nutzt u. a. user generated content (Daimler o. J.). Auch und besonders im Kontext des 2016 gestarteten Transformationsprojekts „Leadership 20X“, das einen internen Kulturwan‐ del generieren soll, setzt Daimler auf die identitäts- und vertrauensbildende Wirkung von Storytelling. Emotionales Involvement und Identifizierung In Fachbüchern und Praxisratgebern wird auch mittelständischen und kleinen Unternehmen der Einsatz narrativer Kommunikations- und Darstel‐ lungsformen als Bestandteil einer „neuen Öffentlichkeitsarbeit“ (Steinke 2015) empfohlen. Für den Narrationsforscher Michael Müller sind Geschich‐ ten aus drei Gründen ein erfolgreiches Mittel der Unternehmenskommu‐ nikation. Zum einen verarbeite das Gehirn im episodischen Gedächtnis, das im Gegensatz zum Faktenwissen-Gedächtnis narrative Strukturen spei‐ chert, Geschichten so, als ob sie selbst erlebt worden seien. „Jemandem eine Geschichte zu erzählen ist also fast so, als ob wir ihm ein Erlebnis verschaffen würden“ (Müller 2014, S. 17). Zweitens aktivierten Geschichten die Spiegelneuronen, denen Menschen die Fähigkeit verdanken, sich in andere Menschen hinzuversetzen und deren Trauer, Freude oder Angst mitzufühlen. Sie lösen demnach emotionales Involvement aus. Und einen dritten Wirkungs- und Erfolgsfaktor narrativer Darstellungsformen sieht Müller darin, dass durch Geschichten die Identität eines Unternehmens entsteht und diese Identität das Unternehmensbild in der Öffentlichkeit beeinflusst (ebd., S. 13-17). Ganz in der Tradition der aristotelischen Poetik steht Müllers Diktum, dass es zwischen dem Anfang und dem Ende einer Geschichte eine Veränderung geben müsse, damit sie für Zuhörer: innen interessant und spannend wird. Dazwischen müsse irgendetwas geschehen, „was entweder den Protagonis‐ ten oder die Welt um ihn herum oder beides verändert“ (Müller 2014, S. 50), als zentrales Ereignis der Geschichte. Im Kontext dieser „Transformation“ (ebd., S. 52) seien Anfang, Ereignis und Ende aufeinander bezogen wie drei 76 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Variablen in einer Gleichung: „Ändere ich eines dieser Elemente, muss ich meist auch ein anderes oder beide ändern“ (ebd., S. 53). Als Einsatzfelder und Anwendungsbeispiele von Storytelling werden in der Fachliteratur u. a. Kund: innengeschichten, Geschichten aus der Ge‐ schichte des Unternehmens, Storys über Werte- und Qualitätsversprechen oder Erzählungen für die Zielgruppen und Stakeholder: innen angeführt (Krüger 2015, S. 127). Häufig findet sich in der Unternehmenskommunika‐ tion die Success-Story, daneben gibt es weitere narrative Muster wie die Trust-Story, die das Vertrauen in Personen oder Marken fördern soll, die Collaboration-Story, um das Teamwork zu stärken, die visionäre Future- Story, Kundengeschichten oder die Insight-Story, die das Kundenver‐ halten und -bedürfnis fokussiert (Krüger 2015, S. 127; Sammer 2017, S. 79- 86). Narratives Identitätsmanagement Eine systemtheoriebasierte kommunikationswissenschaftliche Analyse von Storytelling in der Unternehmenskommunikation hat Florian Krüger 2015 vorgelegt. Darin adressiert er Corporate Storytelling als Kommunikati‐ onsoperation, die bei der Beeinflussung der drei operativen Steuerungs‐ größen Unternehmensidentität, Aufmerksamkeit für Unternehmensthemen sowie öffentliche Deutungen und Interpretationen dieser Themen beson‐ ders erfolgsversprechend ist und strategisches Potenzial hat (Krüger 2015, S. 113). Im Kontext des narrativen Identitätsmanagements vermitteln Corporate Storys demnach Identitätsmerkmale von Unternehmen, indem die Charakteristika von dessen Akteuren, aber auch besondere Ereignisse an relevanten Orten zu bestimmten Zeiten vermittelt werden (ebd., S. 114). Akteure könnten dabei das jeweilige Unternehmen selbst sein, aber auch menschliche Akteur: innen wie Führungskräfte und Mitarbeiter: innen (ebd.). Als wichtige Identitätsmerkmale in Corporate Storys identifiziert Krüger Reputation, Produktbezug, Kompetenz (z. B. der Mitarbeiter: innen), Rang als öffentlicher Erfolg und Stellung im Markt, strategische Absichten (Vision und Mission), Ortsbezug (z. B. regionale Verankerung), Tradition sowie kulturelles Selbstverständnis (Krüger 2015, S. 116). Im Zusammenhang mit dem narrativen Aufmerksamkeitsmanage‐ ment verweist Krüger darauf, dass Storys aufgrund ihrer spezifischen Elemente und Strukturen über Narrationsfaktoren verfügen. „Ähnlich wie bei journalistischen Nachrichtenfaktoren entscheiden diese Narrationsfak‐ 77 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation toren über die Relevanz der Story und damit über ihren Erzählwert und die Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wird“ (Krüger 2015, S. 122). Ziel des PR-Managements, so Krügers Konklusion, müsste es daher sein, „Storys mit möglichst hohem Narrationswert zu erzählen“ (ebd.). Narra‐ tive Aufmerksamkeitsfaktoren sieht er in: Eindeutigkeit, Faktizität, Nähe (Verwendung bekannter Orte und kulturell tradierter Erzählweisen sowie Handlungsmuster), Nutzen/ Erfolg, Schaden/ Misserfolg, Kontroverse, Über‐ raschung, Personalisierung, Prominenz (des ‚Helden‘ bzw. der Identifikati‐ onsfigur) sowie Emotionalisierung (ebd., S. 122f.). Haben Unternehmen auf sich aufmerksam machen können, ist noch nicht ihre Deutungshoheit über die vermittelten Themen gesichert. Narratives Framing kann ein strategisches Mittel sein, um erwünschte Deutungsmus‐ ter zu transportieren und auf den Meinungsmärkten diese Deutungshoheit zu generieren. „Mit Hilfe von Corporate Storys kann also der Versuch unternommen werden, Mitteilungen des Public Relations-Managements mit narrativen Frames zu versehen, die eine Interpretation im Sinne des Unternehmens nahelegen“ (Krüger 2015, S. 125). Relevante Anlässe und Handlungsfelder für Corporate Storytelling sieht Krüger u. a. in Meilensteinen der Unternehmensentwicklung, also z. B. Jubiläen, in der Reflektion der Unternehmenskultur, der Entwicklung neuer Unternehmensleitbilder und in sämtlichen Veränderungsprozessen. „Ge‐ schichten handeln selbst grundsätzlich von einer Veränderung von einem Anfangszu einem Endzustand“ (Krüger 2015, S. 128). Daher kann Storytel‐ ling in der Change-Kommunikation helfen, „Veränderungen zu erläutern und mit einem bestimmten Deutungsmuster zu versehen“ (ebd., S. 129). Mit Blick auf das Rezeptionsverhalten fokussiert Krüger dabei eine relevante Differenzierung: „Während Unternehmensmitglieder Geschichten möglicherweise positiv gegen‐ überstehen, da sie ihnen die Möglichkeit zur Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber eröffnen, interessieren sich die Shareholder des Unternehmens vermutlich stärker für Zahlen, Daten und Fakten. Während private Konsumenten Storys als emotionalen Mehrwert für die von ihnen erworbenen Produkte erleben, legen Geschäftskunden vermutlich größeren Wert auf Preise und Leistungen des Produktes“ (Krüger 2015, S. 130). Tenor der im empirischen Studienteil erfolgten Befragung von Kommuni‐ kator: innen aus den Unternehmen HP und BASF ist, dass die Nutzung von Storytelling im Corporate Publishing von Unternehmen zunehmen wird. 78 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Der Ansatz der integrierten Kommunikation, die auf ein konsistentes Narrativ und Erscheinungsbild ausgerichtet ist und inhaltliche, formale so‐ wie zeitliche Abstimmung innerhalb des Unternehmens zwingend erfordert (Bruhn 2019, S. 75-111), fördert die Öffnung der PR hin zu narrativen Dar‐ stellungsformen (Krüger 2015, S. 191). Storytelling bietet insbesondere durch die Authentizität narrativer Darstellungsmuster Chancen. Corporate Sto‐ rys nehmen Menschen mit und leisten Orientierung (ebd., S. 191). Neben Authentizität und Glaubwürdigkeit zählen Emotionalität, Personalisie‐ rung, Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit zu den spezifischen Charakteristika und Stärken von Storytelling (ebd., S. 182). Die meisten der von Krüger befragten Kommunikator: innen sehen es als möglich und sinnvoll an, dass Storys auch Probleme, Misserfolge und Fehlschläge, also auch das Scheitern, thematisieren. Aus ihrer Sicht „trägt die Behandlung problematischer Entwicklungen sogar mehr zur Glaubwürdigkeit der Ge‐ schichten bei, als eine ‚schönfärberische‘ Darstellung“ (Krüger 2015, S. 161). Ein Beispiel für die bewusste Wahl einer Misserfolgs-Story ist der Corporate Film The Power of Dreams Failure von Honda, in dem Konstrukteure, Rennfahrer und Designer von ihren schlimmsten Erfahrungen erzählen. Damit wird vermittelt, dass das Unternehmen aus Fehlern lernt und wie souverän es mit Misslingen umgeht (Sammer 2017, S. 134). Risiken des Corporate Storytelling liegen laut der Analyse von Krüger in der offenen Rezeptionssituation. Im Kontext der durch die Digitalisierung möglich gewordenen direkten Response des Publikums und der Many-to-Many-Kommunikation können eigendynamische Prozesse aufseiten der Rezipient: innen bzw. Stakeholder: innen entste‐ hen, die im gravierenden Negativfall zu einem Shitstorm und Glaub‐ würdigkeitsverlust des Unternehmens führen (Krüger 2015, S. 191). Ein weiteres Risiko liegt darin, „sich in seine eigene Geschichte zu verlieben und blind für Realitäten zu werden“ (Sammer 2017, S. 97). Zudem kann der Umstand, dass Erfolgsgeschichten meist rückwärts erzählt werden, zu Verzerrungen führen. Was in der Nachbetrachtung etwa als bewusste, intendierte Handlung dargestellt wird, kann tatsächlich einfach nur durch Zufall und Glück erfolgt sein (ebd., S. 98). Für ein authentisches, wertebasiertes Corporate Storytelling ist für Erlach und Thier Storylistening die zwingende Grundlage: 79 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation „Das bedeutet ein Hinhören und Hinspüren, wie eine Organisation tickt, was sie besonders macht und welche Geschichten sich Mitarbeiter, Kunden und Management über das Unternehmen erzählen. Kurz gesagt, es geht um das Finden und Beschreiben der ‚Seele‘ des Unternehmens. Auf die Spur ist dieser zu kommen, indem man Mitarbeitern, Kunden und Führungskräften zuhört und sie über Ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit der Organisation erzählen lässt“ (Erlach/ Thier 2019, S. 115). Wenn das faktische Handeln dem Unternehmensnarrativ widerspricht Auf der Makroebene sollte, ähnlich wie im journalistischen Kontext, be‐ rücksichtigt werden, dass bei der strategisch eingesetzten Narration die Einhaltung der Authentizität als wichtiges positives Merkmal von Unter‐ nehmensstorys zwingend erforderlich ist. Dies bedeutet auch und beson‐ ders, dass das kommunizierte Leitbild, die eigens definierte Corporate Governance und damit auch zentrale ethische Standards intern wie extern konsequent und damit glaubhaft realisiert werden. Zwei häufig transportierte Narrative sind in diesem Zusammenhang das Narrativ des auf nachhaltiges Handeln in den drei gängigen Segmenten Ökologie, Ökonomie und Soziales bedachten Unternehmens und das der seriösen, nach dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns agierenden Firma. Zahlreiche prominente Unternehmen haben in den vergangenen Jahren jedoch eklatant entgegen diesem Authentizitätsgebot gehandelt und damit diese Narrative faktisch ad absurdum geführt. Dazu zählen die Siemens-Kor‐ ruptionsaffäre um illegale Schmiergeldzahlungen in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Euro und der Dieselskandal, bei dem VW sowie andere Au‐ tohersteller gesetzlich vorgegebene Grenzwerte für Autoabgase manipuliert hatten. ‚Dieselgate‘ geht, im negativen Sinne, über die Kosmetikstrategie des Greenwashing hinaus. Vielmehr hat es straf- und privatrechtliche Implikationen und Konsequenzen, die bis heute andauern. Die Überwa‐ chung von Mitarbeiter: innen bei Lidl, der Telekom-Bespitzelungsskandal (‚Handygate am Rhein‘), in dessen Kontext der Bonner Konzern sich 2005 und 2006 die Verbindungsdaten von 55 Manager: innen, Journalist: innen und Gewerkschaftsmitgliedern sowie sieben Aufsichtsräten beschafft hatte, oder der ADAC-Skandal um eine manipulierte Mitgliederbefragung zu den beliebtesten und zuverlässigsten Autos sind ähnlich evidente Beispiele (Mischler 2017). 80 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Auch der Verkauf von Schrottimmobilien an tausende von Kleinanle‐ ger: innen durch eine Bausparkasse oder bekannt gewordene Fälle des fragwürdigen Umgangs einzelner Versicherungsunternehmen mit Kund: in‐ nen bei Arbeitsunfähigkeit widersprechen gravierend den jeweiligen Un‐ ternehmensnarrativen. Dasselbe gilt für den mutmaßlichen Fall eines groß dimensionierten Steuerbetrugs im Zusammenhang mit Cum-Ex- und Cum- Cum-Wertpapiertransaktionen, in den mehrere Banken involviert sind. Bilanzfälschung, Manipulation des Aktienkurses, besonders schwerwie‐ gende Veruntreuung von Firmenvermögen, Durchführung von Scheinge‐ schäften und -bilanzierung in Milliardenhöhe sowie gewerbsmäßiger Ban‐ denbetrug - so lauten inzwischen die staatsanwaltlichen Vorwürfe gegen ehemalige Topmanager eines Unternehmens, das jahrelang das Narrativ eines höchst erfolgreichen deutschen Vorzeige-Digitalunternehmens selbst transportierte und zugleich von Medien sowie auch von Politiker: innen zugeschrieben bekam. Der Fall des mittlerweile bankrotten Zahlungsdienst‐ leisters Wirecard zeigt nicht nur einen drastischen Bruch des Authentizi‐ tätsgebots in der Narration eines Unternehmens, sondern offenbart auch, wie Corporate Storytelling zur Beschönigung oder Verschleierung von Krisen, Konflikten oder zweifelhaftem Verhalten strategisch funktionalisiert werden kann. Als 2016 der Konzern bereits wegen undurchsichtiger Geschäftsdaten im Blickpunkt mancher Journalist: innen und Investor: innen stand, legte die für Wirecard arbeitende PR- und Lobby-Agentur WMP dem Unternehmen ein Kommunikationskonzept mit dem Titel „Drachenblut für Wirecard“ vor. Eine Anlehnung an die Nibelungensage und deren Helden Siegfried. Laut in‐ ternen Unterlagen, aus denen im Januar 2021 das Magazin stern zitierte, ver‐ sprach WMP „eine dreisträngige Kommunikationsstrategie, um Wirecards Reputation zu stärken und das Unternehmen unverwundbar zu machen" (Tillack 2021). WMP, so geht aus den Unterlagen weiter hervor, wolle ge‐ meinsam mit Wirecard „eine konsistente Corporate Story“ entwickeln und „diese bei den relevanten Medien an den Finanzplätzen in Deutschland und Großbritannien“ platzieren. Gemeinsam mit einer Anwaltskanzlei sollten zudem offensichtlich juristische Schritte gegen vermeintliche oder echte Wirecard-Gegner: innen umgesetzt und medial verkauft werden. „WMP entwickelt eine wirksame Storyline für die Medien und verhindert, dass die Gegenseite die Deutungshoheit über den Vorgang gewinnt“, steht in dem neunseitigen Papier. WMP stelle dafür eigene „Netzwerke, Plattformen und Medienkontakte zur Verfügung" (Tillack 2021). 81 1.7 Narration in der Unternehmenskommunikation Erweisen sich Success-Storys, Nachhaltigkeits- oder Seriositätsnarra‐ tive von Unternehmen in der Realität als defizitär oder gar als intenti‐ onaler Fake, kann dies nicht nur die Glaubwürdigkeit der betroffenen Firmen erheblich mindern, sondern auch das Image der gesamten Wirtschaft in der Öffentlichkeit negativ konnotieren. 1.8 Behördennarrative und ihre strategischen Wirkungsmuster Gilt unternehmerisches Storytelling als ein in der PR-Forschung „weitge‐ hend unerschlossenes Gebiet“, über das „noch wenig spezifisches Wissen vorliegt“ (Krüger 2015, S. 135), so trifft dies genauso auf Narrative zu, die von Behörden generiert werden. In Praxisratgebern wird als Hauptaufgabe behördlicher Öffentlichkeitsarbeit die Erfüllung des öffentlichen Informa‐ tionsbedürfnisses adressiert (Altenburg 2012, S. 19). Es geht darum, der Pflicht zur amtlichen Informationsvermittlung nachzukommen, bezogen auf die jeweilige Institution und deren Themen sowie Tätigkeiten, „um der Zielgruppe die Basisinformationen zu geben, die sie zur freien Meinungs- und Willensbildung benötigt“ (ebd., S. 19). Der Verwaltungswissenschaftler Thomas Altenburg verweist darauf, dass von staatlichen bzw. behördlichen Informationsquellen niemand getäuscht werden dürfe (ebd., S. 33). Vielmehr sei stets der Dialog zwischen Informationsabsender: innen und Bürger: innen bzw. Rezipient: innen das erklärte Ziel (ebd.). Bürger: innen sollen „durch sachliche und inhaltlich richtige Informationen in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild des Ganzen zu machen“ (Altenburger 2012, S. 33). An der einen oder anderen legalen ‚Stellschraube‘ könne gedreht werden, um das Ergebnis im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen, etwa durch eine ansprechende Aufbereitung der veröffentlichten Materialien, die Verwen‐ dung moderner Medien wie Podcasts oder den Einsatz beliebter Persönlich‐ keiten als Testimonials (ebd.). Laut Altenburger müssen die Bürger: innen „durch Öffentlichkeitsarbeit überwiegend in die Lage versetzt werden, im Umgang mit der Exekutive die Wahrnehmung seiner Rechte (aber auch Pflichten) bewältigen zu können“ (ebd., S. 38). Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass neben der Informations‐ vermittlung auch die Sicherung der Deutungshoheit über Themen, die Behörden kommunikativ setzen oder in die sie institutionell involviert sind, 82 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling ein wichtiges strategisches Ziel sein kann. Die Relevanz dieses Sujets soll exemplarisch an einem Fallbeispiel des behördlichen Umgangs mit der Terrormord-Serie in Deutschland verdeutlicht werden, der zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine junge Polizistin zum Opfer fielen. Die‐ ser kommunikationswissenschaftlich relevante, zugleich politisch brisante Komplex gibt Hinweise auf die Wirkung spezifischer Behördennarrative in der Öffentlichkeit. Das von Medien übernommene Narrativ der ‚Dönermorde‘ Erst seitdem am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach aufgefunden worden waren und sich Beate Zschäpe kurz danach der Polizei gestellt hatte, ist klar, dass die rechtsterroristische Gruppierung des sogenannten Nationalsozia‐ listischen Untergrunds (NSU) für die zehn Morde verantwortlich ist. Zuvor waren die zuständigen Ermittlungsbehörden jahrelang fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Hintergründe der neun Migrantenmorde im ‚Ausländer-Milieu‘, in Verbindung mit organisierter Kriminalität, lägen und die türkischbzw. griechischstämmigen Opfer einen Bezug zu den Tätern gehabt hätten. Ein ganzes Jahrzehnt war in die falsche Richtung ermittelt worden. Diese fehlerhaften Mutmaßungen von Polizeibehörden, die eine Kriminalisierung der Opfer implizierten, wurden zum öffentlichen Narrativ - sie wurden „von vielen Medien unkritisch übernommen und öffentlich verstärkt“ (Virchow et al. 2015, S. 3). Dieser „bittere Befund“ (ebd., S. 10) ist das Ergebnis der von der Otto-Brenner-Stiftung in Auftrag gegebenen und 2015 veröffentlichten Studie „Das Unwort erklärt die Untat“. Die von dem Rechtsextremismus-Forscher Fabian Virchow und den Medi‐ enwissenschaftlerinnen Tanja Thomas und Elke Grittmann geleiteten Unter‐ suchungen zur medialen Berichterstattung sind differenziert und aufwändig. Analysiert wurden rund 300 Artikel, die zwischen dem ersten Mord im Sep‐ tember 2000 und dem offiziellen Bekanntwerden des NSU im November 2011 in der deutsch- und türkischsprachigen Presse erschienen sind. Zudem führten die Verfasser: innen der Studie Interviews mit einzelnen Journalist: innen, u. a. zu der Frage, wie es zu einer solchen Berichterstattung über Gewaltverbrechen an Migranten kommen konnte (Virchow et al. 2015, S. 10). Demnach übernahm ein sehr großer Teil der Medienschaffenden, ohne das behördliche wie auch das eigene journalistische Handeln zu hinterfra‐ gen, in den Berichten dieses Narrativ - und dies teilweise bis hinein in den 83 1.8 Behördennarrative und ihre strategischen Wirkungsmuster rassistischen Begriff ‚Dönermord-Serie‘, mit dem seit 2005 in zahlreichen Medien die tödlichen Anschläge auf die Migranten bezeichnet wurden. Die mediale Berichterstattung, so ergab die Analyse der Wissenschaftler: innen, „folgte bis auf wenige Ausnahmen der Logik und den Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden und hat dadurch zur Ausgrenzung der Opfer beigetragen, die Angehörigen stigmatisiert und sich zudem teilweise selbst mit umfangreichen Spekulationen an der Tätersuche beteiligt“ (Virchow et al. 2015, S. 10). Demonstrationen von Opferangehörigen, die auf mögliche rechtsextreme Hintergründe der Mordserie hinwiesen, sind „medial weitgehend unbeach‐ tet geblieben“ (Virchow et al. 2015, S. 28). Als 2006 ein von einer Polizeibe‐ hörde neu erstelltes Täterprofil bekannt wurde, bei dem als eine mögliche Motivation auch Hass auf Migrant: innen genannt wurde, sei dieses Motiv in den Medien auf doppelte Weise entpolitisiert worden: Zum einen sei es zur Folge individueller Erfahrung heruntergespielt worden, zum anderen seien eine verfestigte rassistische Weltanschauung oder Einbindung in rechtsex‐ treme Strukturen über die Figur des vermeintlichen Einzeltäters kategorisch ausgeschlossen worden. „Dies entspricht der von den Ermittlungsbehörden verfolgten Medienstrategie“ (ebd., S. 28), wird in der Studie festgestellt. Solche Fallbeispiele zeigen, wie groß die Wirkmacht von Behörden‐ narrativen sein kann, zumal wenn sie von medialer Seite kritiklos übernommen werden und sich damit in der Öffentlichkeit verfestigen. Zudem geben sie Hinweise darauf, wie schwierig es für Bürger: innen sein kann, in der (medialen) Rezeption behördlicher Narrative Wir‐ kungsmuster zu erkennen und die für das faktuale Storytelling zentra‐ len Kriterien der Authentizität und Faktizität valide einzuschätzen. Gleichzeitig bedeutet dies für Behörden wie auch Medien, dass der Transfer von Narrativen - gerade im gesellschaftlichen Kontext - größtmögliche Transparenz verlangt. Nur so kann garantiert werden, dass die demokratische Zivilgesellschaft, gemäß dem Gebot der rich‐ tigen, sachlichen und umfassenden Informationsvermittlung durch Behörden, ein differenziertes (Meinungs-)Bild von öffentlichkeitsrele‐ vanten Themen generieren kann. Und nur so ist zu gewährleisten, dass die Sicherung der Deutungshoheit über solche Themen als strate‐ gisches Ziel behördlicher Öffentlichkeitsarbeit sichtbar und in einer demokratischen Gesellschaft letztlich auch prüfbzw. kontrollierbar bleibt. Dies gilt auch für die politische Kommunikation. 84 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling 1.9 Politisches Storytelling Als Kommunikationsoperation bzw. -methode dient Storytelling im politi‐ schen Bereich nicht nur der Beeinflussung der Steuerungsgrößen Identität, Aufmerksamkeit für Themen sowie öffentliche Deutungen dieser The‐ men (Krüger 2015, S. 113), sondern insbesondere auch der Persuasion. Es ist ein maßgebliches Ziel von Politiker: innen, Bürger: innen von ihren Positionen und der Qualität des konkreten politischen Handelns zu über‐ zeugen und sie damit als Wähler: innen für sich und die eigene Partei zu gewinnen, sie zu binden oder zurückzuholen. Der politische Wettbewerb wird themenbezogen sowohl argumentativ als auch mit dem Einsatz und der Konstruktion von Narrativen geführt, Letzteres häufig unter bewusster strategischer Verwendung symbolischer Bilder und Gesten, die auf affek‐ tive und konative Wirkungseffekte abzielen. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die Persuasionskraft von Narrativen größer ist als die von reiner Argumentation (Braddock/ Dillard 2016). Gerhard Schröder bei der Elbeflut: ‚Alles wird gut‘ Ein prominentes Fallbeispiel in diesem Kontext ist die Elbeflut im Bundes‐ tagswahljahr 2002. Bei Unglücken oder in Katastrophenfällen erwarten Bürger: innen von führenden Politiker: innen in besonderer Weise, dass sie ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Staat und Gesellschaft nachkommen. Amtierender Bundeskanzler war damals Gerhard Schröder, sein Herausforderer der bayerische CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber. Für die regierende SPD und ihren grünen Koalitionspartner lief der Wahl‐ kampf bis dahin eher schwierig, Umfragen signalisierten die Möglichkeit eines Regierungswechsels. Bis im August 2002 extreme Regenfälle die Hochwasserkatastrophe an Elbe und Mulde auslösten. Während Stoiber die politische Argumentation favorisierte, sich dezidiert gegen Hochwas‐ sertourismus aussprach und es als abwegig ansah, aus der Katastrophe in Sachsen wahlpolitischen Nutzen zu ziehen, setzte der ‚Medienkanzler‘ auf die politische Story. Gerhard Schröder reiste in den Osten des Landes, zeigte sich vor Ort, in Anorak und Gummistiefeln, sprach mit Betroffenen und vermittelte, über die Medien, so das Narrativ des zupackenden, bürger‐ nahen Machers. Gleichzeitig knüpft dieser Vorgang an ein bestehendes Narrativ an, das im historischen Gedächtnis sehr vieler Deutscher veran‐ kert ist: das konsequente Handeln von Helmut Schmidt als damaligem 85 1.9 Politisches Storytelling Hamburger Innensenator bei der Elbeflut 1962. Schröder gewann schließlich die Bundestagswahl, mit einem Vorsprung von wenigen tausend Stimmen. Politische Kommentator: innen sahen in seinem emotionalisierenden Hoch‐ wasser-Auftritt einen wichtigen Faktor für den knappen Sieg gegen Stoiber (Welt 2012). ‚Ich, der Kanzler, bin da, bei Euch. Alles wird gut‘ - darin lag eine wesentliche Message der damaligen Schröder-Story. Ein solcher Gebrauch eines narrativen Ansatzes im politisch-gesellschaftlichen Bereich (Müller 2020, S. 26) garantiert nicht per se kommunikativen und politischen Erfolg. Er setzt die Generierung von Resonanz voraus, im besten Fall von positiver Resonanz. Diese kann einerseits vom Image der Kommunikator: innen bzw. Protagonist: innen abhängen, andererseits liegt ein wesentlicher Faktor darin, wie homogen oder heterogen das vorherrschende Stimmungs- oder Meinungsbild in der Bevölkerung zum jeweiligen Thema und damit der Resonanzraum ist. Angela Merkels „Wir schaffen das“ Ein nicht weniger prominentes Fallbeispiel dafür, wie ein narrativer Ansatz evident gegenteilige Wirkung zeitigen kann als intendiert oder erhofft, ist die kommunikative Botschaft, die Angela Merkel am 31. August 2015 vor dem Hintergrund der Flüchtlingsströme vorrangig aus den syrischen Kriegsgebieten und der zunehmenden Aufnahme von Geflüchteten formu‐ lierte: „Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft - wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden. Der Bund wird alles in seiner Macht Stehende tun - zusammen mit den Ländern, zusammen mit den Kommunen -, um genau das durchzusetzen“ (Bundesregierung 2015). Merkels Äußerungen in der Bundespressekonferenz, die sie danach zu‐ nächst mehrfach wiederholte, lassen zunächst den für ihren politischen Kommunikationsstil typischen Ansatz einer logischen Argumentation erkennen. Gleichzeitig aber bemüht sie dabei das Narrativ des starken Deutschlands, das schon zahlreiche Herausforderungen erfolgreich meis‐ tern konnte. 86 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Die damalige Kanzlerin, von den Medien gerne als ‚Physikerin der Macht‘ apostrophiert, hatte sich, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder, kommunikativ bis dahin eher selten auf dem narrativ-emotionalen Terrain bewegt. Darin lag kein bestimmendes Merkmal ihres Images. Viel entscheidender für den Umstand, dass ihre Äußerungen bekanntlich eine heftige kontroverse Diskussion in Politik, Medien und Gesellschaft mit spal‐ tender Wirkung evozierten, scheint jedoch der verkürzte und zu plakative Gebrauch dieses Narrativs zu sein. Dass für die Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten teilweise noch nicht die nötige Infrastruktur vorlag, dass zahlreiche Kommunen überfordert wurden und Merkels Flüchtlingspolitik zudem auch noch juristische Angriffspunkte bot, solche realitären Aspekte hatte ihre narrative Botschaft ausgeblendet. Diesem kommunikativen Akt fehlte es sozusagen an Weltbezug, an Resonanz (Rosa 2020). Zumal weder das ‚Wir‘ näher bestimmt noch von Merkel expliziert worden war, was genau und konkret gemeinsam geschafft werde (Minkmar 2016). Hinzu kam, dass ihre Äußerungen in der öffentlichen Diskussion häufig auf den einen Satz „Wir schaffen das“ fokussiert bzw. reduziert wurden. Angela Merkel selbst konstatierte ein Jahr später in einem Medieninter‐ view dieses Defizit: Dieser Satz, der durchaus einen Teil ihrer politischen Arbeit wiedergebe, sei „zu einer Art schlichtem Motto, fast zu einer Leer‐ formel geworden“ (Meckel/ Schmitz 2016). Er sei nie provozierend gemeint gewesen, sondern anspornend und dezidiert anerkennend. „Und zwar weil ich genau weiß, dass wir alle in unserem Land gemeinsam sehr viel zu schultern haben, aber dass sich das in den übertrieben oft wiederholten drei Wörtern nicht sofort abbildet“ (ebd.). Zukunftsnarrative und Storylistening Dass Menschen, soziale Gruppen, ganze Nationen und auch Kontinente Narrative haben und auch brauchen, um (Lebens-)Sinn zu konstruieren oder Identifizierungsmuster und damit soziale und geistige Kohäsion zu generieren, gilt als unbestritten. Für den Soziologen Hartmut Rosa sind soziale Gemeinschaften „Resonanzgemeinschaften“, da sie „die gleichen Resonanzräume bewohnen“ (Rosa 2020, S. 267). Dies seien sie vor allem „als Narrationsgemeinschaften, die über ein gemeinsames, Resonanzen erzeugendes und steuerndes Geschichtenrepertoire verfügen“ (ebd.). Der Narrationsforscher Michael Müller ist, mit explizitem Verweis auf Rosas Resonanz-Ansatz, der Überzeugung, große Massen erreiche man „mit Nar‐ 87 1.9 Politisches Storytelling rativen und Geschichten, die auf Resonanz stoßen“ (Müller 2020, S. 15 u. 108f.), wobei Geschichten und Narrative für ihn stets Konstruktionen sind (ebd., S. 70). Als Beispiele für aktuelle Metanarrative führt er u. a. das Klimaschutznarrativ, das durch die Aktionen von Fridays for Fu‐ ture sichtbare Wirkung, gerade auch in der Politik, entfaltet hat, sowie Digitalisierungsnarrative mit ihren dystopischen und positiv-utopischen Varianten an (Müller 2020, S. 103-106). Politiker: innen, meint Müller, werden aufgrund ihrer Zukunftsnarra‐ tive gewählt, die in politischen Programmen und Versprechungen stecken (Müller 2020, S. 51). Er unterscheidet im Wesentlichen zwei Typen von Zukunftsnarrativen: Contra-Geschichten, die gegen einen Missstand eintre‐ ten und das Bild einer Zukunft zeichnen, die sich durch das Fehlen dieses Missstandes auszeichnet (z. B. Fridays for Future), und Pro-Geschichten, die ein positives Zukunftsbild mit neuen Entwicklungen zeichnen, für die seiner Einschätzung nach die Hippie-Bewegung ein Beispiel ist (ebd., S. 51f.). In den vergangenen Jahren habe es primär Contra-Geschichten gegeben. „Das Fehlen eines mitreißenden, begeisternden oder zumindest überzeugenden Zukunfts-Narrativs, das den Wählern eine Perspektive und das Gefühl, an einer positiven Zukunft mitwirken zu können gibt, öffnet populistischen Narrativen und damit Ideologemen Tür und Tor“ (Müller 2020, S. 59). Müller empfiehlt politischen Parteien und Bewegungen dringend Storylis‐ tening. Bevor sie mit dem Storytelling beginnen, sollten sie den Bürger: in‐ nen erst einmal zuhören, deren Erfahrungsgeschichten sowie die darin sich konturierenden Mindsets wahrnehmen und im Anschluss daran die politische Story im Austausch mit den Betroffenen entwickeln (Müller 2020, S. 87, 91 u. 111). So könne vielleicht ein neues Politikverständnis entstehen, indem „sich eine Partei oder eine Bewegung nicht als ‚die, die wissen, wie es geht‘ präsentiert, sondern als Angebot, gemeinsam zu entwickeln, ‚wie es gehen könnte‘“ (ebd., S. 87). Die Totalausleuchtung des Alltags Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen verweist der‐ weil auf eine Entwicklung, die sich durch die in digitalen Zeiten enorm verstärkte mediale Durchdringung der Gesellschaft ergeben hat und sich gerade im politischen Kontext manifestiert: die „Totalausleuchtung 88 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling des Alltags“ (Pörksen 2019, S. 94), die bedingt, dass Protagonist: innen gesellschaftlicher Funktionsbereiche wie der Politik kaum mehr einen Rückzugsraum haben, sondern auch in vulnerablen Situationen öffent‐ lich fokussiert werden. Als ein Beispiel für diesen digital evozierten Mediatisierungseffekt führt er die in kürzester Zeit multimedial verbreitete Story von Hillary Clintons Schwächeanfall bei einer Gedenkveranstaltung am 11. September 2016 in New York für die Terroropfer von 09/ 11 an. Die damalige demokratische US- Präsidentschaftskandidatin litt an diesem schwülen Tag in der Wahlkampf- Hochphase an einer Lungenentzündung, wie später bekannt wurde. Sie verließ frühzeitig die Veranstaltung. Als ein Wagen heranfuhr, ergriff ein Hobbyfotograf sein Smartphone und filmte 20 Sekunden lang eine Szene, die wenig später viral ging: Hillary Clinton sackten die Beine weg, Mitarbeiter griffen ihr unter die Arme, stützten sie. Die digitale Kaskade startete. Der Hobbyfotograf postete das Video auf Facebook, knapp zwei Stunden später wurde es von Fernsehsendern und auf YouTube veröffentlicht und in sozialen Netzwerken geteilt (Pörksen 2019, S. 93f.). Für Pörksen zeigt sich an solchen Vorgängen, „dass die Schonräume der Intransparenz, Sphären der Unschärfe und Unbefangenheit schwinden, weil permanent beobachtet, gefilmt oder fotografiert wird, weil alle senden und posten und die Archive der Gegenwart mit frischem Material versorgen“ (ebd., S. 94). Während Storys über Politik und ihre Protagonist: innen das Risiko der Enthüllung, der Blamage, des Shitstorms und damit der Reduzierung oder gar des Verlusts von Reputation und Autorität in sich tragen, gilt es gleich‐ zeitig, das manipulative Potenzial zu berücksichtigen, das im politischen Storytelling liegt und auch genutzt wird. Kommunikationsmanager: innen und spin doctors in PR-Agenturen, die für Parteien und Politiker: innen arbeiten, produzieren nicht selten Hochglanz-Erfolgsgeschichten für ihre Klientel - oder versuchen medialen Geschichten über ihre Auftraggeber: in‐ nen einen entsprechenden Dreh zu geben, um Persuasion, Reputation und Identifikation zu steigern oder die Deutungshoheit über Themen zu sichern. Strategische Verkürzung von Narrativen Womit startet ein Narrativ, wo werden inhaltliche Schwerpunkte aus wel‐ chen - vielleicht strategischen - Überlegungen oder Gründen gesetzt, was 89 1.9 Politisches Storytelling wird eventuell weggelassen, wie wird das Ende erzählt? Der für das Storytel‐ ling typische Selektionsprozess kann manipulativ funktionalisiert werden. Am vieldiskutierten Flüchtlingsthema wird exemplarisch darstellbar, dass ein solch selektiver Eingriff ein Narrativ gravierend ändern kann, wie der Politikberater und Autor Erich Flügge 2018 bei einer Veranstaltung zum Storytelling in Stuttgart herausgearbeitet hat: Ausgangspunkt der großen Flüchtlingswelle 2015 waren die Kriegsereignisse in Syrien, die sehr viele Menschen zur Flucht nach Europa gezwungen haben. Deutschland zählte zu den Ländern, die eine große Zahl an Flüchtenden aufgenommen und ihnen Asyl gewährt hat (Müller 2020, S. 72f.). Erzählt man das Narrativ so, von seinem Anlass und Anfang her, fundiert es die ‚Begrüßungskultur‘ im Spätsommer 2015, als sehr viele Menschen die Flüchtenden in verschiedenen Städten herzlich empfingen und versorgten. Wird freilich der Anfang des Narrativs gekappt, ändert es sich grundle‐ gend: Deutschland hat, vermeintlich in Person der damaligen Kanzlerin, 2015 die Grenzen geöffnet, wodurch eine riesige ‚Flut‘ an Flüchtenden nach Deutschland kam und das Land überforderte (Müller 2020, S. 72f.). Dieses verkürzte Narrativ wurde und wird insbesondere von rechtspo‐ pulistischen Strömungen politisch-strategisch eingesetzt und regelmäßig wiederholt. Nicht selten wird es mit dem Narrativ der ‚Islamisierung‘ und anderen „Monstergeschichten“ (Müller 2020, S. 61f.) verknüpft und manipulativ genutzt. Das Andere, Diverse oder Neue wird als bedrohlich und illegitim stigmatisiert. Vorrangig in sozialen Medien, dort, wo sich z. B. die AfD ganz stark präsent zeigt, finden Contra-Geschichten solch verkürzter bzw. manipulativer Art rasche und intensive Verbreitung. Mit Gegennarrativen gegen Extremismus? Im Zusammenhang mit extremistischer Propaganda im Internet - so‐ wohl aus dem rechten als auch dem islamistischen Bereich - gibt es inzwischen eine Diskussion darüber, ob ihr mit counter narratives entge‐ gengetreten werden soll. Lena Frischlich, die 2019 die interdisziplinäre Nachwuchsforschungsgruppe „DemoRESILdigital“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster leitete, hält es grundsätzlich für sinnvoll, mit demokratischen Gegenerzählungen, etwa in Form von Online-Videos, extremistische Narrative als einschlägige Interpretationen von Ereignis‐ sen und Gegebenheiten zu durchbrechen, indem glaubwürdige alternative Handlungskonzepte aufgezeigt oder Widersprüche in der extremistischen 90 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Ideologie evident gemacht werden (Frischlich 2019). Dabei verweist sie auf Ergebnisse verschiedener Studien, u. a. zur erzählerischen Qualität in Videos: „Gute Geschichten zu erzählen lohnt sich für die Extremismusprävention. Je höher die erzählerische Qualität von Videos gegen Extremismus ist - je drama‐ tischer, emotionaler sie wirken - desto eher förderten sie die Identifikation mit demokratischen Akteuren und die Attraktivität demokratischer Gruppen“ (Frischlich 2019, S. 6). Dies gelte insbesondere für persönliche Geschichten, in denen z. B. Ausstei‐ ger ihre Veränderungsprozesse darlegten, ihre eigenen Irrtümer anerkann‐ ten und aufzeigten, warum sie sich von extremistischen Gruppen abgewen‐ det hätten (Frischlich 2019, S. 6). Es reicht nach Frischlichs Einschätzung nicht aus, nur ‚gegen‘ Extremismus zu sein. „Es braucht gut geplante und beständig überprüfte alternative Erzählungen im Netz, die sich für eine demokratisch-pluralistische Gesellschaft stark machen und dem ‚Wir-gegen-die‘-Denken extremistischer Gruppierungen etwas entgegenset‐ zen. Die Veröffentlichung derartiger Erzählungen ist aber nur ein Baustein ge‐ lungener Extremismusprävention; die Vorteile der demokratisch-pluralistischen Gemeinschaft müssen auch im eigenen Alltag erlebbar sein“ (Frischlich 2019, S. 9). Trumps Tabubrüche: Manipulativer Einsatz von Narrativen Eine neue negative Qualität des propagandistisch-manipulativen Einsatzes von politischem Storytelling zeigt sich in den Vereinigten Staaten. Schon die von Donald Trump in Live-Veranstaltungen, TV- Auftritten und primär über Twitter verbreiteten Narrative „America First“ und „Make America great again“ trugen teilweise undemokrati‐ sche, auch rassistische Züge. Mehr als 20.000 Falschbehauptungen bzw. Lügen des Präsidenten registrierte die Washington Post im Laufe der vierjährigen Amtszeit von Trump (Washington Post 2020). Dennoch votierten bei der US-Wahl im November 2020 74,2 Millionen amerika‐ nische Bürger: innen für ihn, noch mehr als vier Jahre zuvor. Das für das faktuale Storytelling wie auch für jeden politischen und gesellschaft‐ lichen Diskurs zwingende Authentizitätsgebot setzte Trump nach seiner Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden endgültig und 91 1.9 Politisches Storytelling vollständig außer Kraft - mit dem gänzlich unbelegten Narrativ der ‚gestohlenen Wahl‘. Wie stark die persuasive Wirkung einer solch undemokratischen Narra‐ tionsstrategie, gepaart mit großer innerparteilicher Macht, sein kann, gibt sehr zu denken. Trotz einer evidenten Korrelation seines unbelegten ‚Wahlbetrugsnarrativs‘, das er in einer Kundgebung am 6. Januar 2021 in Washington wiederholt formuliert hatte, und dem anschließenden ge‐ walttätigen Angriff von Trump-Anhängern auf das Kapitol fand der Ex- Präsident auch danach noch einige Unterstützung in der Bevölkerung. Bei einer Ipsos-Umfrage wenige Tage nach den bürgerkriegsartigen Szenen im Kapitol waren zwar 67 Prozent der US-Bürger: innen der Ansicht, dass Trump die Verantwortung für diesen Angriff habe. 33 Prozent der Befragten waren jedoch nicht dieser Meinung (Statista 2021b). Sie negierten damit einen Bezug zwischen dem von Trump wiederholt strategisch eingesetzten ‚Wahlbetrugsnarrativ‘ und dem damit evozierten Handeln radikaler Trump- Anhänger. Und obwohl einige führende Vertreter: innen seiner republikani‐ schen Partei diese Korrelation von Trumps Narration und dem Sturm auf das Kapitol selbst thematisierten, stimmten auch im zweiten Impeachment- Verfahren gegen Trump die allermeisten Republikaner: innen im Senat gegen eine Verurteilung des Ex-Präsidenten wegen Anstiftung zum Aufruhr. Auch in der darauffolgenden Zeit hielt die Mehrheit der im Repräsentan‐ tenhaus sitzenden Republikaner: innen an Trumps Narrativ einer ,gestoh‐ lenen Wahl‘ fest. Wer in den Reihen der US-Konservativen daran Kritik übte und ein Zurück zu einer demokratischen Politik mit authentischen Inhalten forderte, wie es Liz Cheney tat, wurde von Parteikolleg: innen bekämpft. Cheney verlor ihren Posten als Nummer drei der Republikaner im Repräsentantenhaus an eine Trump-Anhängerin. „Man hat den Eindruck: Da wird eben die Lüge zur Wahrheit erklärt und die Wahrheit zur Lüge“, kommentierte im Mai 2021 der Korrespondent des Spiegel Roland Nelles, dies sei „sicherlich eine Gefahr für die amerikanische Demokratie“ (Nelles 2021). Reflexion | Was denken Sie? Wie lässt sich begründen, dass sich politische Verschwörungsnarrative bei nicht wenigen Menschen verfangen? 92 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling 1.10 Clash der Narrative in sozialen Medien Die digitale Kommunikation ist in heutigen Zeiten von einer sehr großen Ambivalenz gekennzeichnet. Im Wandel von der massenmedialen One-to- Many-Kommunikation in analogen Zeiten, bei der die Rezipient: innen weitgehend passive Konsument: innen waren, zur Two-Way-Kommuni‐ kation stecken einerseits Potenziale zu mehr öffentlichem Austausch, mehr Transparenz und Partizipation. Alles wichtige Strukturfaktoren einer demokratischen Zivilgesellschaft, die maßgeblich davon lebt, dass Vertre‐ ter: innen verschiedener Gewalten und wichtiger Funktionsbereiche mit einer interessierten Bürgerschaft regelmäßig und intensiv über zentrale oder akute Fragen der gesellschaftlichen Befindlichkeit sprechen, diskutieren und auch streiten. Über digitale Medien könnten kollaborative Gegenwarts- und Zukunftsnarrative mit politischer und sozialer Kohäsionskraft ent‐ stehen. Gleichzeitig birgt der Umstand, dass die medial veröffentlichte Meinung in Zeiten der digitalen Transformation nicht mehr die primäre ‚öffentliche Meinung‘ sein muss, die Chance zu einem ausgeprägteren Pluralismus. Die digital realisierbare Many-to-Many-Kommunikation wiederum hat die Möglichkeit geschaffen, dass Menschen, insbesondere in den sozialen Medien, ihre Alltags- und Erfahrungsgeschichten mit den jeweiligen Hoffnungen, Visionen, Sehnsüchten, auch Sorgen und Ängsten austau‐ schen, teilen und gemeinsam neue schaffen können - lokal wie global, rasch und in Echtzeit, über alle räumlichen Grenzen hinweg. Dabei wandeln Messenger-Dienste wie WhatsApp und Videokonferenztools die Distanz‐ kommunikation (fast) zur Face-to-Face-Kommunikation um. All dies kann Partizipation und soziale Nähe, auch Empathie fördern und Isolation oder soziale Kälte reduzieren. Empathie, Hatespeech: Die Ambilanz im Digitalen Dies geschieht auch in den digitalen Medien täglich und in besonderen, schwierigen oder widersprüchlichen Zeiten, wie sie etwa die Coronakrise 2020 evoziert hat, wohl auch besonders intensiv. Berichte oder Reportagen zu bestimmten politischen und gesellschaftlichen Themen, wie etwa gerade die Pandemiepolitik der Bundesregierung, sind 2020 und 2021 auf Online- Plattformen von Nachrichtenmedien zuweilen massenhaft kommentiert worden. In Foren und Chatrooms erörtern und diskutieren Bürger: innen 93 1.10 Clash der Narrative in sozialen Medien als Prosument: innen intensiv aktuelle Ereignisse und Entwicklungen. Men‐ schen, die ähnliche Schicksale teilen oder an den gleichen Krankheiten lei‐ den, erzählen sich in sozialen Medien gegenseitig ihre Geschichten, tauschen Informationen aus, geben Tipps. In Zeiten des Social Distancing treffen sich Familien, Freunde oder getrennt lebende Paare in digitalen Räumen, um ihre ganz privaten Geschichten zu teilen. Enkel kommunizieren darin mit den Großeltern, Erlebtes wird weitergegeben, die Erfahrungen der An‐ deren aufgenommen. Nicht selten entstehen Narrative des gemeinsamen Durchhaltens, mitunter auch einer neuen Solidarität. In und mit eigenen oder geteilten Storys wird mood management betrieben, und sei es mit dem hunderttausendsten Foto eines kitschig-schönen Sonnenuntergangs oder mit neuen Bildkaskaden niedlicher Katzen. Doch es zeigen sich gerade in digitalen Medien zunehmend kommuni‐ kative Verzerrungen, die das Gegenteil eines auf Fairness, Transparenz und Authentizität angewiesenen öffentlichen Austausches beinhalten. Ha‐ tespeech, häufig in anonymer Form, Fake News, Lügenstorys und Ver‐ schwörungsnarrative sind einige der Problemphänomene, welche die „Entwicklungen hin zum Postfaktischen“ (Appel 2020, S. 3) kennzeichnen. „Das Internet bietet in nie dagewesener Form Zugang zu Informationen. Ferner ermöglicht es Personen, die weder medientechnische oder journalistische noch inhaltliche Expertise besitzen, Informationen zu verbreiten und weiterzugeben. Dies birgt neben Chancen im Sinne einer größeren Teilhabe an der Mediengesell‐ schaft auch die Gefahr, dass die Qualität der Beiträge sinkt, gerade im Hinblick auf deren Wahrheitsgehalt und Wahrhaftigkeit“ (Appel 2020, S. 2). Gefühlte Wahrheit Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der ‚gefühlten Wahrheit‘ führe im postfaktischen Zeitalter zum Erfolg, konstatierte die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache, als sie 2016 ‚postfaktisch‘ zum Wort des Jahres erklärte (Gesellschaft für deutsche Sprache 2016). Im digitalen Kontext sind Teilöffentlichkeiten, Parallelwelten, filter bub‐ bles und Echoräume entstanden, in denen ‚postfaktische‘ Narrative ihren Raum und ihre Resonanz finden. Um exemplarisch aufzuzeigen, dass viele Internet-Nutzer: innen für ‚offizielle Fakten‘ heute nicht mehr erreichbar sind, hat Florian Harms als Chefredakteur von t-online.de am 9. Januar 2021 eine Auswahl an entsprechenden Storys aus sozialen Medien von diesem Tag veröffentlicht. Sie dokumentiert die Virulenz ‚postfaktischer‘ Narrative: 94 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Beispiel | Postfaktische Narrative Eine gewisse Luisa verbreitet die Behauptung, in Wahrheit sei das Kapitol in Washington von Antifa-Aktivisten gestürmt worden, dafür gebe es „unbestreitbare fotografische Beweise“. Sie appelliert an die 5.200 Follower: „Lassen Sie sich nicht täuschen. Trump-Unterstützer sind friedlich.“ Eine Behauptung des Verschwörungssängers Michael Wendler wird verbreitet: Chinas Präsident Xi Jinping habe angeboten, 250.000 Soldaten zur Befriedung der Lage nach Washington zu schicken. Katharina S. teilt einen Text, demzufolge die Bundesregierung den gegenwärtigen Lockdown nutzt, um insgeheim gefährliche Insektizide in Lebensmitteln zuzulassen. Andere Nutzer diskutieren darüber, wie „Merkels Corona-Diktatur“ bekämpft, das deutsche Grundgesetz ausge‐ hebelt und eine „neue Verfassung“ in Kraft gesetzt werden könnte. Anspielungen auf Gewalt sind dabei nicht zufällig. Ein Nutzer postet ein Video, das suggeriert, das World Trade Center sei am 11. September 2001 absichtlich gesprengt worden. Er beruft sich auf den Schweizer Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser, dessen Bücher Bestseller sind. Zudem prasseln unzählige „Meldungen“ in die Kanäle, die von den angeblichen Todesgefahren einer Coronaschutz‐ impfung berichten. Ein Arzt in Miami sei an einer Verabreichung des Impfstoffs gestorben. Der neue Moderna-Impfstoff sei in Wahrheit ein „medizinisches Betriebssystem“, mit dem Menschen programmiert und ihre biologischen Fähigkeiten „gehackt“ werden könnten (Harms 2021). Emotional ansteckende Geschichten Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht die digitale Gegenwart als „eine Zeit der Empörungskybernetik, in der miteinander verschlungene, sich wechselseitig befeuernde Impulse einen Zustand der Dauerirritation und der großen Gereiztheit erzeugen“ (Pörksen 2019, S. 7). Die Grundregel in sozialen Netzwerken laute: Was emotionalisi‐ ere, funktioniere. Was überrasche und errege, was Begeisterung und Wut, Mitgefühl und Hass auslöse, werde geteilt, erscheine als Nachricht von Freunden, die man für gewöhnlich ebendeshalb nicht unmittelbar anzweifle (ebd., S. 34f.). Pörksen diagnostiziert einen „Clash der Codes“ (ebd., S. 7). Man könnte auch von einem Clash der Narrative sprechen. 95 1.10 Clash der Narrative in sozialen Medien Nach der Analyse des Medienwissenschaftlers kommt es nach und nach zu einer Zweiteilung der Netzöffentlichkeit: hier das wenig wahrgenom‐ mene Netz mit unentdeckten Ideen, vergessenen Postings und kaum ge‐ klickten Videos, dort das „um Beliebtheitsskalen und Hitlisten zentrierte Netz der berechnend erzeugten Aufreger und der emotional ansteckenden Geschichten, über die auf einmal alle reden, weil universale Schlüsselreize der Interessantheit systematisch und mit aller Macht verstärkt werden“ (Pörksen 2019, S. 148). Neben einer Wahrheitskrise konstatiert Pörksen u. a. eine deutliche Verschlechterung des Kommunikationsklimas sowie, im Kontext einer permanenten Skandalisierung und mit Blick auf digitale Pranger, eine Reputationskrise (Pörksen 2019, S. 24ff.). ‚Singularitätswettbewerbe‘ um die Aufmerksamkeit Status-Storys ist für die international tätige PR- und Marketingexpertin Petra Sammer das Schlüsselwort, das Geschichten zur neuen Währung im Netz mache: „Während wir unseren Status im wahren Leben durch Jobtitel und Karrierestufen, sportliche Autos, dicke Uhren, repräsentative Häuser und das neueste Smart‐ phone-Modell zur Schau stellen, so tun wir dies im Netz durch das Erzählen und Teilen von Geschichten. Wer auf Facebook & Co. die beste Geschichte erzählt, der wird ‚gelikt‘, ,kommentiert‘ und ,geshart‘. Die aufmerksamkeitsstarke Story hebt unser Ansehen und unseren Status unter unseren ‚Freunden‘ und ‚Fans‘ im Netz. Daher sind wir, zumindest die Extrovertierten unter uns, ständig wachsam und auf der Suche nach der ‚besten Geschichte‘“ (Sammer 2017, S. 12). Hinzu kommen Blogger: innen oder YouTuber: innen als neue Publisher: in‐ nen und Storyteller: innen, die in ihrer thematischen und auch qualitativen Vielfalt und Unterschiedlichkeit „ihre eigene Welt an Geschichten“ (Sammer 2017, S. 13) entstehen lassen. Der „Hunger nach guten Geschichten“ (ebd., S. 12) und nach Neuem mag Kommunikator: innen von Unternehmen, Organisationen und Marken große Chancen und Möglichkeiten bieten, „sich mit guten Geschichten als Inspirationsquelle zu empfehlen“ (ebd., S. 13). Doch die zahllosen Status- und Performance-Storys, etwa auf Insta‐ gram, in denen Konstruktionen und Inszenierungen vermeintlich perfekter Personen, Biographien und Körper regelmäßig gepostet werden, bergen auch das Risiko in sich, dass User: innen ihr Selbstwertgefühl verlieren, wenn sie mit diesen ,Idealen‘ nicht mithalten können oder im Kontext des Mecha‐ 96 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling nismus von digitalen Rankings und Dauerbewertungen selbst nicht gelikt werden oder im Performance-Wettbewerb kaum oder nicht wahrgenommen werden. „Durch die Digitalisierung lässt sich die Quantifizierung von Auf‐ merksamkeiten automatisieren und wird ubiquitär“, schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz in seiner Analyse der spätmodernen „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz 2018, S. 177). Objekte und Subjekte gelten als wertvoll, „wenn es ihnen gelingt, im endlosen Aufmerksamkeits- und Valo‐ risierungswettbewerb Sichtbarkeit zu generieren und affizierend zu wirken“ (ebd., S. 179). Derartige „Singularitätswettbewerbe“ (ebd.) finden auch und besonders in den sozialen Medien statt, nicht selten über hypergestylte Performance- und Erfolgsstorys, in denen der angestrebte Aufmerksam‐ keitsgrad signifikant über dem Authentizitätswert liegt. Aufmerksamkeit ist zur wichtigsten Währung in der Medien- und Informationsgesellschaft geworden. Das Zukunftsinstitut bezeichnet dieses Phänomen als „Attention Economy“ (Sammer 2017, S. 11). Gegennarrative zum Performancezwang Während manche Neurowissenschaftler: innen und Psycholog: innen vor kognitiven Defiziten (z. B. Spitzer 2012; Urner 2019) sowie gesundheitlichen Schäden durch die permanente Nutzung digitaler Medien (z. B. Spitzer 2015; Diefenbach/ Ullrich 2016) warnen, haben sich im digitalen Publikum Ver‐ weigerungsbewegungen, Digital-Detox-Initiativen und Narrative gegen Performancezwänge und deren Folgen entwickelt (Pörksen 2019, S. 152f.). Ein Beispiel für solche Gegennarrative ist der Kurzfilm Social Media Bubble, den die Studierenden Sarah Bender, Hanna Engelhart, Marie Herklotz und Marie-Sophie Krastel im Wintersemester 2020/ 21 an der Hochschule Fresenius Heidelberg inhaltlich konzipiert, produziert und dabei die ver‐ schiedenen Rollen selbst gespielt haben. Lena, die 20-jährige Protagonistin in dem Kurzfilm, folgt intensiv der scheinbar perfekten Influencerin Bella, rezipiert permanent deren Posts und ist dabei gefährdet, sich selbst als Eigenpersönlichkeit zu verlieren: „Ich sehe sie und frage mich: Was stimmt nicht mit mir? Ich sehe sie und ihren Feed und denke mir: Ich bin nicht gut genug, Ich frage mich, was mache ich falsch? Warum hat sie das perfekte Leben? Es scheint so, als würde sie alles richtig in ihrem Leben machen. Als würde ihr aufgrund ihres makellosen Aussehens alles in den Schoß fallen. 97 1.10 Clash der Narrative in sozialen Medien Es tut weh. Ich habe das Gefühl, ich mache alles falsch. Ich sehe mich, aber ich gefalle mir nicht. Ich hasse dieses Gesicht, meine Haut, meine Augen, meine Falten. Meine Freunde sagen, dass ich wundervolle Augen hätte, aber ich sehe das nicht. Bin ich zu selbstkritisch? Wie kann ich mein eigenes Spiegelbild lieben, wenn ständig um mich herum diese perfekten Menschen sind? Ich möchte sein wie sie. Hätte gerne so eine Figur wie sie. Ich sehe mich. Aber das bin ich nicht. Das gefällt mir nicht. Ich sehe ein Mädchen, das dick ist. […] Ich werde nie so makellos aussehen wie sie, wenn ich nicht gesund esse. Meine Beine nicht dünner werden und mein Bauch nicht flacher. Dabei scheint es bei ihr doch so einfach zu sein. Aber warum fühle ich mich so? Warum will ich unbedingt so sein wie sie? Wer bin ich? Was mache ich hier und möchte ich die Person sein, die ich gerade versuche zu sein? Ich habe oft das Gefühl, alles nimmt mich ein. Dabei vergesse ich, ich selbst zu sein. Und obwohl ich mir dessen bewusst bin, verschlingt mich alles und ich bin gefangen wie in einer Blase. Ich bin gefangen in einer Welt, in der man sich darüber definiert, was man besitzt, was man trägt und wie man aussieht. Warum versuchen wir ständig jemand zu sein, der wir eigentlich gar nicht sind? Schaut irgendjemand noch hinter die Fassaden? Oder sind wir alle schon so geblendet von dem perfekten Schein, den jeder versucht aufrechtzuhalten? “ (Bender et al. 2021) Am Ende realisiert Lena, dass nicht alles in Bellas Leben so perfekt ist, wie die Influencerin in ihren Performance-Storys suggeriert. Der Kurzfilm der Studierenden endet mit der Botschaft: „Du bist gut genug“ (Bender et al. 2021). Utopie der ‚redaktionellen Gesellschaft‘ Solche aufklärenden, nachdenklichen Narrative konkurrieren in den digi‐ talen Medien mit lauten Ich-Performance-Geschichten oder Werbespots, schrillen Sensationsstorys, eskapistischen Narrativen, schrägen Verschwö‐ rungsgeschichten oder auch mit Storys voller Häme und Hass. In der digitalen Medienwelt stoßen mitunter polare Denk- und Erzählwelten aufeinander, bei diesem Clash der Narrative bestimmen nicht selten die Lautstärke oder das Extreme den Aufmerksamkeitsgrad. Im Kontext von Shitstorms spricht der Soziologe Christian Stegbauer von einem „Zusam‐ menprall digitaler Kulturen“ (Stegbauer 2018). Mitzuberücksichtigen ist, dass es neben professionellen Storyteller: innen, wie etwa Journalist: innen oder PR-Expert: innen, semiprofessionelle und 98 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling auch Erzähler: innen gibt, die kaum oder keine Kenntnis von Narrations- oder Rechercheregeln haben. Im World Wide Web und insbesondere in den sozialen Netzwerken sind potenziell alle Menschen zu Medienschaffenden geworden. Die Verantwortung für den öffentlichen Bereich ist inzwischen „auch ins Lager derjenigen diffundiert, die einst das Publikum genannt wurden“ (Pörksen 2019, S. 187). Vor diesem Hintergrund hat der Medi‐ enwissenschaftler Bernhard Pörksen die Utopie der „redaktionellen Gesellschaft“ (ebd., S. 189) entwickelt. In einer solchen ‚redaktionel‐ len Gesellschaft‘ gehören die Normen und Prinzipien eines „ideal gedachten Journalismus zum Bestandteil der Allgemeinbildung und zum selbstverständlichen Ethos“, das den Einzelnen dazu motiviert, „die Folgen der eigenen Kommunikation kompetent zu reflektieren“ (ebd: , S. 189). Diese Normen müssten laut Pörksen in ihrer konkreten Anwendung an Schulen, Hochschulen und bürgernahen Journalist: innenschulen gelehrt werden. So könnte sich eine allgemeine Kommunikationsethik bzw. eine Plattform-Ethik entwickeln (Pörksen 2019, S. 189f.). Wahrheitsorientie‐ rung, Skepsis, Kritik und Kontrolle sowie Transparenz zählen dabei für Pörksen zu den elementaren Prinzipien (ebd., S. 190-201). Reflexion | Was denken Sie? Wie könnte die Utopie einer ‚redaktionellen Gesellschaft‘ in der Praxis verwirklicht werden? 1.11 Narrative Ansätze in Bildung und Wissenschaft Medienkompetenz, die neben technischen und datenschutzspezifischen Aspekten auch kulturelle und kreative Aspekte umfasst, gilt als wichtiger Resilienzfaktor im Kontext der digitalisierten Gesellschaft (Moser 2019, S. 280). Der Einsatz von analogem, digitalem und visuellem Storytelling kann Medienkompetenz und damit auch Stressbewältigung fördern. Ein medienpädagogischer Ansatz in diesem Zusammenhang sind third spaces, neutrale Räume zwischen Zuhause und Schule oder Arbeitsplatz, die das 99 1.11 Narrative Ansätze in Bildung und Wissenschaft Technische mit dem Kulturellen verbinden. Potter und McDougall (2017) realisierten dazu verschiedene Projekte in einer summer school. In einem Projekt wird die tradierte Kulturform des Geschichtenerzählens mit dem virtuellen Gaming verbunden. Die Kinder entwickeln aus Storys, die sie sich zuvor ausgedacht haben, einfache Computerspiele mit der Program‐ miersoftware Scratch (Moser 2019, S. 246). Third spaces als medienpäda‐ gogische Handlungsräume können u. a. in Form von außerschulischen Jugendaktivitäten in Jugendzentren oder Bibliotheken sowie als schulische Projektarbeiten umgesetzt werden (ebd., S. 246). Ein medienpädagogisches Anwendungsfeld, bei dem der kreative, aber auch kritisch-reflektierte Umgang mit Narration vermittelt wird, sind Me‐ mes, also jene Texte mit häufig witziger oder satirischer Tonalität, die im Internet und in sozialen Netzwerken zirkulieren und Bild-, Audio- und Vi‐ deo-Elemente enthalten. Diese Medienbotschaften werden von User: innen immer wieder verändert, erweitert oder neu kombiniert, sie tragen also den für das Storytelling prägenden Aspekt des Partizipativen in sich. Im politischen Kontext fungieren Memes oft als oppositionelle Deutungsmuster und Lesarten. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass im Rechtsextremismus häufig mit Memes gearbeitet wird (Moser 2019, S. 265-270). Daher ist es umso wichtiger, dass bei der medienpädagogischen Beschäftigung mit dieser Form des digitalen Storytellings den jungen Menschen neben den kreativen erzählerischen Chancen von Memes auch die Möglichkeiten des strategisch-manipulativen Missbrauchs sowie ethische Aspekte vermittelt werden (ebd., S. 269). Aus Erfahrungsgeschichten lernen Storytelling wird bei Schüler: innen und Studierenden immer wieder auch zur Vermittlung von Erfahrungswissen und Generierung von Anschluss‐ kommunikation eingesetzt. Beispielhaft zeigt dies ein Narrationsprojekt, an dem ein Verfasser dieses Buches beteiligt war. Die Rheinische Fachhoch‐ schule Köln lud im Juni 2016 zusammen mit der Katholischen Hochschule Studierende und Schüler: innen verschiedener Kölner Gymnasien zu einer Veranstaltung ein, in der persönliche Geschichten von Geflüchteten aus sieben Jahrzehnten erzählt wurden. Acht Menschen mit Fluchterfahrungen aus dem Sudetenland, Vietnam, Syrien und dem Irak schilderten ihre teilweise traumatischen Erfahrungen (Rheinische Fachhochschule 2016). 100 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Während der rund dreistündigen Veranstaltung hörten die 300 Schüler: in‐ nen und Studierenden den Fluchtgeschichten konzentriert zu, stellten im Anschluss zahlreiche Fragen und traten in einen Dialog mit den Betroffenen. Die Resonanz bei den jungen Menschen war sehr positiv. Vor der Veran‐ staltung hatten in den verschiedenen Schulklassen Storytelling-Workshops stattgefunden, in denen die Spielregeln der Recherche, des Strukturierens und des faktualen Erzählens vermittelt wurden. Aus einem ähnlichen Workshop war einige Monate zuvor an der Wolf‐ ram-von-Eschenbach-Schule in Wiesbaden der Song „Your Story“ entstan‐ den. Schüler: innen mit Migrationshintergrund hatten ihn selbständig ge‐ textet und zusammen mit ihrem Lehrer und Schulbandleader Olli Back komponiert. Bei der Dialogveranstaltung in Köln führte die Schülergruppe ihren Song, der auch von Fluchtnarrativen handelt, zum ersten Mal öf‐ fentlich auf. Mit dabei war der syrische Pianist Aeham Ahmad, der in seinem Heimatland gegen Krieg und Terror angespielt hatte, bis Terroristen des sogenannten Islamischen Staats sein Klavier in Brand gesetzt hatten und er fliehen musste. Der inzwischen weithin bekannte und u. a. mit dem Internationalen Beethovenpreis ausgezeichnete Künstler hatte spontan zugesagt, als er von den jungen Storyteller: innen gefragt worden war, ob er bei der Uraufführung des Songs mitwirken könne (YouTube o. J.). Den Wert von learning histories sieht die Leitung der Rheinischen Fach‐ hochschule darin, dass „wir über Erfahrung auch unseren Studierenden Dinge ganz anders vermitteln können als über reine Wissensvermittlung. Denn hinter der Erfahrung steht immer etwas ganz Persönliches, etwas Lebendiges“ (Rheinische Fachhochschule 2016). Narrative Ansätze in Psychologie und Medizin In der Wissenschaft dominiert sicherlich die nüchtern-logische Darstellung von meist komplexen Themenbereichen, Fragestellungen und Zusammen‐ hängen sowie die möglichst differenzierte Argumentation und Diskussion als akademischer Diskurs. In diversen wissenschaftlichen Disziplinen kom‐ men jedoch narrative Konzepte oder Tools durchaus zum Einsatz. So zählen etwa in den Sozialwissenschaften und in der Psychologie narrative Inter‐ views zum qualitativen Methodenrepertoire. Dabei wird nur die Thematik vorgegeben, Inhalte und Abfolge von Fragen ergeben sich meist erst im Verlauf des Interviews. Eine befragte Person erzählt ihre Erfahrungen oder Erlebnisse, also ihre Geschichte zu einem spezifischen Thema, dabei 101 1.11 Narrative Ansätze in Bildung und Wissenschaft strukturiert sie dieses Thema eigenständig und wird nicht durch Fragen unterbrochen. Erst am Ende des Interviews können Nachfragen gestellt werden, um einzelne Aspekte der Geschichte zu präzisieren oder Missver‐ ständnisse zu vermeiden (Batinic/ Appel 2008, S. 11). In der Medizin wird der Einsatz von Storytelling als Möglichkeit erörtert, die Kommunikation mit Patient: innen über deren Krankheitsbild, Therapien oder Behandlungsmethoden in dem Sinne zu verbessern, dass sie für die Betroffenen verständlicher und nachvollziehbarer als bei der gängigen Pati‐ entenaufklärung ist. Auch der Zugang zu besonders sensiblen Patient: innen wie etwa Demenzkranken kann eventuell über die emotionalen und parti‐ zipativen Wirkungsmuster von Geschichten erleichtert werden. Diskutiert wird daher in der Medizinwelt, ob Ärzte im Studium zusätzlich auch im Storytelling ausgebildet werden sollen (Sammer 2017, S. 11f.). Die Coronapandemie hat im Jahr 2020 das öffentliche Interesse an Wis‐ senschaft und ihren Protagonist: innen evident verstärkt, was insbesondere die Virologie und Epidemiologie betrifft. Fast täglich waren akademische Expert: innen medial präsent, in Nachrichtensendungen oder Talkshows. In der Bevölkerung war ein starker Bedarf an validen Informationen zu erkennen. Der aufklärende NDR-Podcast Coronavirus-Update des Virologie- Institutschefs an der Berliner Charité, Christian Drosten, stieß auf große Resonanz und löste wiederholt intensive Diskussionen aus. Als besonders erfolgreich erwies sich in dieser Zeit ein digitales Format, das wissenschaftli‐ che Studieninhalte, Daten und Rechnungen mit Elementen des Storytellings verbindet: Die lebendig gestalteten YouTube-Videos (MaiLab) der jungen promovierten Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim erreichten ein Millionen‐ publikum und schafften es, Menschen für wissenschaftliche Themenstel‐ lungen, Methoden und Diskussionen zu interessieren. Ähnliches gilt für TV-Formate wie Terra X (ZDF), in denen u. a. historische, archäologische, anthropologische oder naturwissenschaftliche Fragestellungen mit großem Aufwand narrativ aufbereitet werden. Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation Kann angesichts der Komplexität wissenschaftlich relevanter Themen und Fragestellungen Storytelling in diesem Kontext tatsächlich eine sinnvolle und nützliche Methode sein? Diese für die Wissenschaftskommunikation essenzielle Frage spiegelt sich beispielhaft in der Diskussion, ob Storytel‐ ling ein valider Ansatz zum Umgang mit Komplexität speziell in der 102 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Nachhaltigkeitskommunikation ist. Neben dem Umstand, dass das Sto‐ rytelling an bestehende Rezeptionsmuster anschließt, daher eine verstärkte Aufmerksamkeit generieren kann und Geschichten zudem moralische Be‐ wertungen evozieren und so einen normativen Resonanzraum schaffen, gilt auch die Anschlussfähigkeit von Storys an Lebenswirklichkeiten der Rezipient: innen als potenzielle Chance narrativer Konzepte. „Im Storytelling können wir anhand der dargestellten Menschen andere Lebenswirklichkei‐ ten stellvertretend nachvollziehen und uns gar mit ihnen identifizieren“ (Fischer/ Storksdieck 2018). Fischer und Storksdieck sehen jedoch auch zwei gravierende Risiken. Zum einen kann die Reduktion von Komplexität durch Erzählen „unerwünschte Kollateralschäden“ (ebd.) dergestalt verursachen, dass Zusammenhänge allzu verkürzt werden und dies aufseiten der Rezipi‐ ent: innen zu Fehlvorstellungen führt. Zum anderen liegt im strategischen Storytelling die Möglichkeit, zu manipulieren und für Zwecke instrumenta‐ lisiert zu werden, die nicht aufklärerisch und kompetenzstärkend sind im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung (ebd.). Eine systematische Untersuchung zu Wahrnehmungen und Wirkungen von Nachhaltigkeitsgeschichten erfolgte von 2017 bis 2020 an der Leuphana Universität Lüneburg. Das Forschungsteam ging in seiner Studie, die einen experimentellen und einen explorativen Teil hat, der Frage nach, wie junge Erwachsene Storys zu Themen der Nachhaltigen Entwicklung wahrnehmen und durch sie beeinflusst werden. Die experimentelle Studie untersuchte, ob Storys zu Nachhaltigkeitsthemen in Bezug auf das situative Interesse und der umweltsowie konsumbezogenen Handlungsintentionen positiver auf diese Zielgruppe wirken als ein Bericht im typischen nüchternen Nachrichtenduktus. Dabei wurde auch differenzierend danach geschaut, inwieweit Unterschiede bestehen, je nachdem wie groß oder gering das jeweilige Interesse an Nachhaltigkeitsthemen ist und ob die jungen Er‐ wachsenen studieren oder eine Berufsausbildung absolvieren. Dazu wur‐ den 1.000 Versuchspersonen unterschiedliche Textbedingungen vorgelegt und anschließend per Fragebogen nach dem subjektiven Interesse und den Handlungsabsichten befragt. Nach dem Feldexperiment wurden über Gruppendiskussionen die Wahrnehmungen der jungen Erwachsenen zur jeweiligen Nachhaltigkeitsstory eruiert. Wie sie Nachhaltigkeitsgeschichten in verschiedenen Medienformaten - Podcast, Video, Text, Bild - rezipie‐ ren und interpretieren, wurde in der explorativen Studie erforscht. Dazu bekamen 139 Versuchspersonen über einen Zeitraum von sechs Monaten insgesamt 50 Storys über ein Blog zugesendet, die nachhaltigen Konsum zum 103 1.11 Narrative Ansätze in Bildung und Wissenschaft Thema haben. Neben der Erhebung und Auswertung von Kommentaren und Bewertungen der jungen Erwachsenen wurden auch Einzelinterviews mit ausgewählten Studienteilnehmer: innen geführt (Sundermann 2020; Fischer et al. 2021). Die zentralen Ergebnisse der Studie zum SusTelling, einer Verschmel‐ zung von Storytelling und Sustainability, lauten: Die Nachhaltigkeits‐ story hatte im Vergleich zu klassischen Berichten „weder eine positive Wirkung auf das situative Interesse noch auf die umweltschutzbezoge‐ nen und konsumbezogenen Handlungsabsichten der jungen Erwachse‐ nen“ (Sundermann 2020). Zudem wirkte der SusTelling-Text bei jungen Erwachsenen mit mehr Interesse an Nachhaltiger Entwicklung nicht anders als bei denjenigen mit weniger Interesse. Auch konstatierte das Studienteam bezüglich der Wirkung keinen Unterschied zwischen Studierenden und Berufsschüler: innen. Eine unterschiedliche Wahrnehmung der Nachhaltigkeitsgeschichte ergab sich freilich in einer vertieften Gruppendiskussion mit vier Studentinnen der Umweltwissenschaft und einer weiteren Gruppendiskussion mit neun Be‐ rufsschüler: innen: „Während die Student: innen den Text im SusTelling-Stil als lebensnahes Beispiel für das Engagement junger Menschen ansahen, bezeichneten die Berufsschülerinnen und -schüler die Charaktere als wenig mitreißend und die Botschaft als unklar“ (ebd). In den Wirkerwartungen zeigten sich ähnliche Unterschiede. Während sich die Studierenden moti‐ viert und positiv in ihrem eigenen nachhaltigkeitsbezogenen Engagement bestärkt fühlten, hätten Berufsschüler: innen die Textgestaltung so wahr‐ genommen, „dass sie sich teilweise ,für dumm verkauft‘ fühlten, mehr Sachinformationen wünschten und den Text insgesamt nur widerwillig weiterlasen“ (ebd). Die Studie generierte zudem Einsichten dazu, welche Ansprüche junge Erwachsene an Storys stellen: „Sie sollen an ihre Lebenswelt anknüpfen, glaubhaft und sachlich sein und dabei Themen und Probleme aus unter‐ schiedlichen Blickwinken betrachten“ (Sundermann 2020). Reflexion | Was denken Sie? Mit welchen Kommunikationsstrategien und -tools könnte das Bewusst‐ sein für Nachhaltige Entwicklung in der Bevölkerung gefördert werden? 104 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling 1.12 Trends im Storytelling Längst ist Storytelling, wie gesehen, zum Buzzword, zuweilen zum regel‐ rechten Hype geworden und wird in den verschiedensten Bereichen mit vielfältigen Motiven und strategischen Zielen eingesetzt. Wohin wird es sich entwickeln, wie wird die Methode der narrativen Darstellung von Fakten, Ereignissen oder Entwicklungen in Zukunft genutzt werden? Im Kontext von Unternehmenskommunikation und Marketing sieht Petra Sammer zentrale Trends in neuen, experimentellen Erzählformaten wie etwa dem Crowdsourcing-Erzählen, bei dem eine von Storyteller: innen initiierte Geschichte von User: innen weitererzählt wird und sich damit in viele Geschich‐ ten splittet, sowie im uneingeschränkten Umgang mit Zeit und Raum (always on & everywhere), ähnlich entsprechenden TV-Formaten wie Berlin Tag & Nacht bei RTL II. Ein dritter wesentlicher Trend liegt demnach im nachhaltigen Erzählen, also in Geschichten, die etwas bewegen oder verändern (Sammer 2017, S. 240-250). Sammer stützt sich dabei auf Ergebnisse einer Studie des internationalen Trendforschungsinstituts Latitude im Jahr 2012/ 13, bei der 1250 Kommunikationsexpert: innen und Meinungsbildner: innen in diesem Bereich danach befragt wurden, wie Unternehmen und Marken künftig Storys erzählen sollen. Demnach präferieren 91 Prozent der Befragten Storytelling in Echtzeit, wobei die Rezipient: innen in die Geschichten involviert sind, also Teil von ihnen sind. 78 Prozent gaben an, mit der Hauptfigur einer - auch fiktiven - Story auf sozialen Netzwerken ‚befreundet‘ sein zu wollen. Neben einem noch stärkeren Involvement und einer forcierten Interaktion wird offenbar auch Multiperspektivität vom künftigen Storytelling erwartet: 87 Prozent der Befragten wollen ein Event nicht nur aus dem Blickwinkel des ‚Helden‘ erleben, sondern aus der Perspektive mehrerer und verschiedener Protagonist: innen (Sammer 2017, S. 242; Latitude 2012/ 13). Erzählen als Kunstform Für den Narrations- und Kommunikationsexperten, Hochschuldozenten und Autor Hermann Sottong liegt die weitere Entwicklung des Storytel‐ lings im Kontext von PR und Marketing keinesfalls in Geschichten, die primär narrative Verpackung für Marken- und Produktbotschaften sind, sondern in „intermedialen Synergien und in hoch professioneller Intertex‐ tualität“ (Sottong 2013). Seine eigentlichen Stärken werde Storytelling erst da entfalten, wo es um die Kommunikation komplexer Ideen, Produkte 105 1.12 Trends im Storytelling und die Selbstverständigung neuer kultureller Bewegungen gehe. Dabei gehe es darum, an bestehende Narrative anzuknüpfen oder die eigentliche Konstruktion der Story an die Rezipient: innen zu delegieren. Neue sinnvolle Erzählstrategiemuster sieht Sottong u. a. in Fragmenten von Geschichten, die bestimmte Vorbilder evozieren, in offenen Enden sowie Ausgängen mit bewusst offengehaltenen Vorgeschichten (ebd.). „Die Möglichkeiten sind nahezu unerschöpflich - ihre Nutzung setzt aber voraus, dass man sich tatsächlich, gründlich und hoch reflexiv mit der Narratologie und den vorhandenen Erzählungen auseinandergesetzt hat. Das alles setzt außerdem voraus, dass wirklich gute Geschichten vorhanden sind und das literarische, filmische, dokumentarische Erzählen lebendig bleibt und sich immer weiter ent‐ wickelt: Jede Institution, die an ,Storytelling‘ Interesse hat und von der Kraft des Erzählens profitieren möchte, müsste daher eigentlich ein natürliches Interesse daran haben, das Erzählen als Kunstform zu fördern, wo es nur geht (anstatt, wie es derzeit leider manchmal den Eindruck macht, es zu trivialisieren oder gar schludrig respektlos mit erzählerischen Ressourcen umzugehen)“ (Sottong 2013). 1.13 SWOT-Analyse Zusammenfassend zeigt → Tabelle 1 die in der Literatur identifizierten Stärken und Schwächen des Storytellings, sowie die aktuellen Chancen und Risiken als ‚externe Faktoren‘, die den Kontext stellen, vor dem die Methode zur Anwendung kommt. Stärken Schwächen - Strategie zur Komplexitätsreduktion - Die Vorstellungstätigkeit (vividness) bei der Rezeption wird stärker ange‐ regt und ist anschaulicher als bei nichtnarrativen Kommunikaten - Intensive Ansprache, mehr Auf‐ merksamkeit - Storys emotionalisieren, berühren (Resonanz), wühlen auf, bewegen; intensiveres Erleben spezifischer Emotionen während der Rezeption - Anregung zu Gesprächen - Schafft Erlebniswelten beispiels‐ weise mit Produktbezug - Geschichten reduzieren Angriffsflä‐ chen für Skepsis und Gegenargu‐ mente - Tendenz zur Vereinfachung und Zu‐ spitzung - Subtile Persuasion (unterstützt Po‐ pulismus) - Potenzial, mit Geschichten zu ma‐ nipulieren, zu lügen, Menschen zu verführen - Narrative Botschaften werden häu‐ fig als weniger informativ wahrge‐ nommen als nichtnarrative 106 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling - Kuratieren von Lebensstilen - Sozialer Effekt: Inhalte können Em‐ pathie auslösen - Erzeugt Alltagsfluchten/ Eskapis‐ mus (mood management) - Bietet Interaktionsmöglichkeiten - Ermöglicht Partizipation - Fähigkeit zur Anschlusskommuni‐ kation - Erzeugen von Persuasion - Abrufen von Selbsterfahrung - Vermittlung von Erfahrungswissen (learning history) - Steigert die Selbstwirksamkeitser‐ wartung der Rezipient: innen bezüg‐ lich eines Themas - Geeignet für Change-Prozesse - Gegenentwurf zur Nachrichtenflut - Langsamer, einordnender, anschau‐ licher - Spricht Hirn und Herz an; der Rezi‐ pient denkt und fühlt mit - Vermittelt die Präsenz der Rezipi‐ ent: innen im Thema - Storys werden als lebhafter und rea‐ listischer eingeschätzt - Inhalte bleiben nachhaltig im Ge‐ dächtnis haften und werden tenden‐ ziell kurz- und mittelfristig besser erinnert - Sinnstiftend - Verbindet Information mit unter‐ haltsamen Elementen - Bietet Orientierung - Schafft Vertrautheit - Weckt Aufmerksamkeit - Involvement kann gefördert werden - Kann Lösungsfindung von Konflik‐ ten unterstützen - Lösungsfindungen können transpa‐ rent und nachvollziehbar dargestellt werden - Unternehmen können Leitbilder griffiger vermitteln - Kann Menschen zum Handeln ani‐ mieren - Transportiert den purpose (Sinn, Überzeugung, Bestimmung) und be‐ wirkt so einen Perspektivwechsel und Empathie bei Rezipient: innen - Professionelles Storytelling ist sehr anspruchsvoll (Kompetenzen müs‐ sen aufgebaut werden) - Glaubwürdigkeitsverlust - Kann Shitstorms auslösen - Eigendynamische Prozesse, die au‐ ßer Kontrolle geraten können; kann zu Demotivierung und Demorali‐ sierung von Mitarbeiter: innen und Bürger: innen führen - Unternehmen scheuen Storytelling, weil sie die nüchterne Darstellungs‐ form (Reporting) verinnerlicht ha‐ ben - Manager: innen, vor allem ältere, scheuen Storytelling, da es begriff‐ lich mit erfundenen Geschichten verbunden wird - Das Gefühlsbetonte widerspricht dem Rationalen im organisationalen Kontext - Einseitiges, erfolgsorientiertes Er‐ zählen (z. B. Greenwashing) - Verengen der Perspektiven - Spielregeln sind in der breiten Be‐ völkerung und im Unternehmen kaum oder nicht bekannt - Zielkonflikte durch Vermittlung un‐ gewollter oder widersprüchlicher Botschaften - Entmündigung der Rezipient: innen durch Unterkomplexität 107 1.13 SWOT-Analyse Chancen Risiken - Große, komplexe Themen sind om‐ nipräsent (z. B. Flüchtlingsthema, Globalisierung, Nachhaltigkeit) - Megatrend Konnektivität führt zu dem Wunsch nach Partizipation, In‐ teraktion und Beteiligung - Megatrend Individualisierung, die Entwicklung der Singularisierung und der creative economy (Reckwitz) - Resonanz (Rosa) - Change-Management und Transfor‐ mationsprozesse - Megatrend Neo-Ökologie - Verstärkte Präsenz von Wissen‐ schaft in der Öffentlichkeit - Konvergenz - Wissensgesellschaft - Megatrend Digitalisierung - Demokratisierung und Weiter‐ entwicklung der Konsensgesell‐ schaft/ integrative Gesellschaft über Storytelling fördern - Bedürfnis nach Orientierung und Ordnung, Bedürfnis nach Drama‐ turgie - Ausbildung der Fehlerkultur - Emotionalisierte Gesellschaft - Zunehmender Populismus - Etablierte Many-to-Many-Kommu‐ nikation in den sozialen Medien; Risiko von Shitstorms - Profilierungszwang - Zielkonflikte - Realitätsverlust durch Eskapismus und Immersion - Echokammern: Förderung von Se‐ paratismus, wenn Geschichten sich selbst verstärken in kleinen sozialen Gemeinschaften - Zerstörung von Übereinkünften über Kommunikation in einer Ge‐ sellschaft - ‚Postfaktisches Zeitalter‘ - Verstärkung polarisierender Ten‐ denzen in der Gesellschaft Tabelle 1: SWOT-Analyse Storytelling; Quelle: eigene Darstellung. Chancen erkennen, Stärken nutzen, Schwächen und Risiken minimieren Die Kombination aus Chancen, Stärken, Schwächen und Risiken zeigt nachfolgend jeweils in der Zeile „Fazit“, welche ‚Lücken‘ sich aus der durchgeführten Analyse der Methode Storytelling auftun (→ Tabelle 2). Aus dieser Analyse wird auch die nachfolgende Forschungsfrage abgeleitet. Forschungsfrage Wie können ein Kommunikationsprinzip und eine Methode zur Darstellung von Sachverhalten, Produkten, Marken, Entwicklungen etc. aussehen, wel‐ che die Stärken und die sich ergebenden Chancen des Storytellings nutzen, die Schwächen ausgleichen sowie sich ergebende Risiken reduzieren - 108 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling und dabei den zentralen Herausforderungen der (digitalen) Transformation gerecht werden? Chancen Stärken Schwächen Risiken - Omnipräsenz ‚großer‘ The‐ men - Strukturiert und reduziert die Komplexi‐ tät des Themas, verlangsamt Ei‐ gendynamiken und unterstützt bei der Einord‐ nung und Be‐ wertung gesell‐ schaftspolitischer Probleme; mei‐ nungsbildend - Fokus auf Ein‐ zelfälle kann Tendenzen zur Vereinfachung und Zuspitzung erzeugen - Populismus - Emotionale Ge‐ sellschaft - Erzeugt Empa‐ thie und Reso‐ nanz, Gefühl der Selbstwirk‐ samkeit - Reduktion des Rationalen - Reduktion des rationalen Dis‐ kurses - Verlust an Auf‐ klärung - Verlust von ganzheitlichem Denken (emo‐ tional/ rational) Fazit: Konvergenz von Emotionalität und Rationalität Chancen Stärken Schwächen Risiken - Demokratisie‐ rung und Wei‐ terentwicklung der Konsensge‐ sellschaft/ inte‐ grativen Ge‐ sellschaft - Communitybil‐ dend, woraus sich konkrete anwendungs‐ orientierte Pro‐ jekte ergeben können, z. B. Engagement in der Flüchtlings‐ hilfe, Nachbar‐ schaftshilfe, im Klimaschutz u. v. m. - Profilierungs‐ zwang - Selbstbestäti‐ gung/ Affirmie‐ rung von Fra‐ mes (confirmation bias) - Eigendynami‐ sche Prozesse, die außer Kon‐ trolle geraten; kann zu Demo‐ tivierung und Demoralisie‐ rung von Mitar‐ beiter: innen - Möglichkeit des intentional manipulativen Einsatzes - Parzellierung der Gesell‐ schaft, u. a. durch Erzeugen von Echokam‐ mern - Autokratie durch entspre‐ chende Narra‐ tive - Zerstörung von Übereinkünf‐ ten über Kom‐ 109 1.13 SWOT-Analyse und Bürger: in‐ nen führen munikation in einer Gesell‐ schaft Fazit: Notwendigkeit einer transparenten und authentischen Kommunikation, die sowohl Gemeinsinn als auch Selbstverantwortung fördert Chancen Stärken Schwächen Risiken - Transforma‐ tion in Unter‐ nehmen und Organisationen - Abrufen von Selbsterfah‐ rung - Vermittlung von Erfah‐ rungswissen (learning history) - Orientierung - Vertrauen - Partizipation - Menschen im Change mit‐ nehmen - Thematisie‐ rung und Lö‐ sung von Kon‐ flikten - Unternehmen scheuen Story‐ telling, weil sie nüchterne Dar‐ stellung (Re‐ porting) verin‐ nerlicht haben - Manager: in‐ nen, vor allem ältere, scheuen Storytelling, da es begrifflich mit erfundenen Geschichten verbunden wird - Das Gefühlsbe‐ tonte wider‐ spricht dem Ra‐ tionalen im organisationa‐ len Kontext - Einseitiges, er‐ folgsorientier‐ tes Erzählen (z. B. Greenwa‐ shing) - ‚Postfaktisches Zeitalter‘ - Verengung der Perspektive - Fehlen von em‐ pirischen Grundlagen und Control‐ lingtools (Da‐ ten, Kennzah‐ len, Statistiken) Fazit: Konvergenz von Narration und Reporting 110 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling Chancen Stärken Schwächen Risiken - Omnipräsenz ‚großer‘ The‐ men - Partizipation, Co-Kreation - user generated content und Co- Kreation; ‚re‐ daktionelle Ge‐ sellschaft‘ - Erzeugt Erfah‐ rungswissen, das weitergege‐ ben werden kann - Mangelnde Professionalität bei ‚Amateur- Storytelling‘ - Subjektiv ge‐ färbte Darstel‐ lung - Mangelnde Einordnung in gesellschaftli‐ che Kontexte - Beliebigkeit der Narrative (pro‐ fessionelle ga‐ tekeeper fehlen) Fazit: ‚Redaktionelle Gesellschaft‘, kollektive Medien- und Storytelling-Kompe‐ tenz, ethische Kompetenz (Plattformethik) Chancen Stärken Schwächen Risiken - Bedürfnis nach Orientierung und Ordnung, Bedürfnis nach Dramaturgie - Anregung zu Gesprächen - Bietet Orientie‐ rung - Schafft Ver‐ trauen - Schafft Erleb‐ niswelten, bei‐ spielweise mit Produktbezug - Mood manage‐ ment - Potenzial mit Geschichten zu manipulieren, zu lügen, Men‐ schen zu ver‐ führen - Narrative Bot‐ schaften wer‐ den als weniger informativ wahrgenom‐ men und mit‐ telfristig schlechter be‐ wertet werden als nichtnarra‐ tive - Unternehmen scheuen Story‐ telling, weil sie Fakten und Re‐ porting verin‐ nerlicht haben - Manager, vor allem ältere, scheuen Story‐ telling, da es mit erfundenen Geschichten verbunden wird - Realitätsverlust durch Eskapis‐ mus und Im‐ mersion - Fehlen von em‐ pirischen Grundlagen und Control‐ lingtools (Da‐ ten, Kennzah‐ len, Statistiken) - Anerken‐ nungskrise 111 1.13 SWOT-Analyse - Das Gefühlsbe‐ tonte wider‐ spricht dem Ra‐ tionalen im organisationa‐ len Kontext - Einseitiges, er‐ folgsorientier‐ tes Erzählen, Success- und Performance- Storys (z. B. Greenwashing) Fazit: Konvergenz von Emotionalität und Rationalität (auch im Eventkontext und Tourismus) Tabelle 2: Fazit als Identifikation der ‚Lücken‘ des Storytellings; Quelle: eigene Darstellung. 112 1 Eine Bestandsaufnahme zum Einsatz von Storytelling 2 Storyporting als konzeptionelle map für ein Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz Überblick | Das erwartet Sie in diesem Kapitel Ausgehend von der Bestandsaufnahme und der SWOT-Analyse zum Einsatz von Storytelling sowie der daraus generierten Forschungsfrage gilt es nun, in einer Makroperspektive die zentralen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen, medialen sowie kommunikativen Ent‐ wicklungen im Kontext der Transformation zu fokussieren. Daraus wird ‚Storyporting‘ als Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz abgeleitet - insbesondere vor dem Hintergrund stark polarisierender Tendenzen und des „kommunikativen Klimawandels“ (Pörksen/ Schulz von Thun 2020, S. 16) in der heutigen digitalen Gesellschaft. Wie können ein Kommunikationsprinzip und eine Methode zur Darstel‐ lung von Sachverhalten, Produkten, Marken, Entwicklungen etc. aussehen, welche die Stärken und die sich ergebenden Chancen des Storytellings nutzen, die Schwächen ausgleichen sowie sich ergebende Risiken reduzieren - und die dabei den zentralen Herausforderungen der (digitalen) Trans‐ formation gerecht werden? Die Untersuchung unserer zentralen Frage verlangt zunächst die Berücksichtigung von Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Einsatzbereichen der narrativen Darstellungsmethode. So zeigt sich etwa am gravierenden Risikofaktor des Manipulativen, dass entsprechende Vorbehalte gegen mediales Storytelling, die z. B. durch die Relotius-Affäre um erfundene und gefälschte Reportagen befeuert wurden, in journalismusaffine Bereiche wie die Unternehmenskommunikation dif‐ fundieren können. Im Falle des intentionalen, strategisch-manipulativen Narrationseinsat‐ zes im Politischen, wie er bei Rechtspopulisten und in drastischer Weise bei Donald Trump evident geworden ist, besteht sogar die Gefahr, dass das Manipulative sämtliche Anwendungsfelder des faktualen Storytellings kontaminieren könnte. Dasselbe gilt für Hassrede, extremistische Hetze und Verschwörungsnarrative in der digitalen Kommunikation, die ähnli‐ che polarisierende Effekte inkludieren. Dies gilt es zu beachten, wenn nun zentrale gesellschaftliche Entwicklungen, Herausforderungen der Transfor‐ mation, die Nachhaltige Entwicklung sowie insbesondere Modifizierungen des medialen und insbesondere kommunikativen Systems beleuchtet wer‐ den. 2.1 Herausforderungen der VUCA-Welt Wir leben in einer Zeit des großen Wandels, von dem sämtliche gesellschaft‐ lichen Funktionsbereiche, Berufsfelder und alle Individuen betroffen sind und der bei nicht wenigen Menschen Irritationen, Ängste und dystopische Zukunftssichten evoziert. Als wesentlicher Treiber dieser Transformation gilt die Digitalisierung, doch es sind u. a. auch die weitergehende Globa‐ lisierung, demografische, politische, ökologische, kulturelle und sozioöko‐ nomische Entwicklungen sowie ebenjener Wandel der öffentlichen Kom‐ munikation zu berücksichtigen. Dabei hat die Coronapandemie nicht nur den Digitalisierungsprozess beschleunigt, sondern auch bewusst werden lassen, wie disruptive Veränderungen Unsicherheit, Mangel an rationaler Prognosemöglichkeit, erhöhte Komplexität und auch Ohnmachtsgefühle generieren bzw. forcieren können. In den Wirtschaftswissenschaften, speziell in der Managementforschung, wird häufig das VUCA-Modell zur Deskription zentraler Aspekte der Transformation herangezogen: volatility, uncertainty, complexitiy, ambi‐ guity. Die Herausforderungen sind unerwartet und nicht stabil, Verände‐ rungen und deren Dauer unklar, ständig ändern sich die Rahmenbedingun‐ gen (volatility). Es fehlen gesicherte Informationen zu den potenziellen Änderungen, die eintreten können, aber nicht müssen. Ursachen und Auswirkungen sind häufig nicht klar zu bestimmen und einzuschätzen (uncertainty). Viele Aspekte, die in Interdependenz zueinanderstehen, müs‐ sen beachtet werden. Dabei können im Kontext von Big Data nicht alle Informationen berücksichtigt werden. Sie müssen selektiert werden. Die wachsende Vernetzung innerhalb eines Unternehmens bedingt eine Zu‐ nahme des Abstimmungsaufwands (complexity). Schließlich sind auch die kausalen Bezüge zwischen einzelnen Phänomen und Aspekten unklar, ambivalente Handlungs- und Entscheidungsoptionen können Verzerrungen und Konflikte evozieren. Zudem fehlen in Transformationsprozessen Vorerfahrungen (ambiguity) (Petry 2019; Moskaliuk 2019; Bennett/ Lemoine 2014). 114 2 Storyporting als konzeptionelle map Die Modifizierung der Rahmenbedingungen, Strukturfaktoren, Ge‐ schäftsmodelle und Arbeitsprozesse als Konsequenz der (digitalen) Trans‐ formation provoziert neue Anforderungen für die Unternehmen und ihre jeweilige Führung sowie Änderungen in der Führungskultur. Zur Bewältigung der Volatilität als einer transformationalen Herausforderung wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Fachliteratur die Etablierung agiler Prozesse und Modelle empfohlen. Dazu gehört, unternehmensintern eine stärkere Flexibilität zu realisieren, den Mitarbeiter: innen mehr Verant‐ wortung und auch Freiheiten zu übertragen sowie Teams eigene Entschei‐ dungsmöglichkeiten zu geben, um sich an die veränderten Umgebungen erfolgreich anzupassen (Bennett/ Lemoine 2014). Der Faktor der Unsicherheit erfordert wiederum die Beschaffung valider Informationen und die Generierung neuer Datenbzw. Informationszu‐ flüsse. Deren jeweilige Analyse soll die Unsicherheiten reduzieren. Was die Bewältigung der Komplexität angeht, stehen die Unternehmen oft vor der Aufgabe, interne Prozesse und Abläufe neu zu strukturieren und den jewei‐ ligen Herausforderungen anzupassen. Gleichzeitig kann die Implementie‐ rung einer Experimentierkultur in Unternehmen eine adäquate Reaktion auf die herausfordernde Ambiguität sein. Neue Lösungsansätze oder Strategien werden getestet, können justiert werden. Dazu ist es erforderlich, Defizite selbstkritisch zu erkennen und insbesondere eine neue Fehlerkultur zu etablieren (Bennett/ Lemoine 2014.). Mitzuberücksichtigen ist der gravierende kommunikative Wandel in den Unternehmen aufgrund digitaler Technologien und Entwicklungen. Sämtliche Mitarbeiter: innen können sich in Echtzeit erreichen und sind po‐ tenziell permanent erreichbar. Der Informationsfluss ist evident schneller geworden und damit auch der Austausch zwischen der Führungsebene und den einzelnen Abteilungen sowie deren Mitglieder. Was umgekehrt auch gilt: Die Two-Way-Kommunikation auf digitalen Kanälen gibt den Mitarbeiter: innen die Möglichkeit, direkt und in Echtzeit auf Mitteilungen oder Anordnungen des Managements kommentierend zu reagieren. Kom‐ munikation kann also viel spontaner als in analogen Zeiten erfolgen. Im Kontext der Many-to-Many-Kommunikation qua sozialer Medien be‐ deutet dies, dass sich Stakeholder: innen jenseits der unternehmenseigenen Kommunikationskanäle austauschen und unmittelbar, in kürzester Zeit, auf das Handeln der Führungsebene reagieren können - positiv oder negativ. Dies bedeutet, dass sowohl die Notwendigkeit als auch der Aufwand, 115 2.1 Herausforderungen der VUCA-Welt Kommunikationsbeziehungen zu koordinieren und vor allem erfolgreich zu gestalten, größer geworden sind. Daran ist zu erkennen: Kommunikationskompetenz kann nicht mehr, wie es in nicht wenigen Unternehmen noch der Fall zu sein scheint, als reiner Soft Skill oder gar als Nice-to-have-Fähigkeit angesehen wer‐ den. Und es reicht nicht mehr aus, dass Unternehmensführungen die strategische und operative Kommunikation primär oder ausschließlich an die PR-Abteilung delegieren. Vielmehr ist strategische Kommu‐ nikation zu einer essenziellen Managementaufgabe geworden, wie ja auch schon die Bestandsaufnahme zum Storytelling verdeutlicht hat (Sammer 2017, S. 94). Entscheidend ist in diesem Kontext, welchen kommunikativen Stil die Unternehmensführung intern wie extern pflegt, welchem Kommunikationsprinzip sie folgt und welche Darstel‐ lungsmethode(n) sie verwendet, um strategische Kommunikationsziele zu erreichen. Reflexion | Was denken Sie? Welche Ziele und Aspekte strategischer Kommunikation sind in der Unternehmensführung besonders wichtig? 2.2 Partizipation: Konvergenz von top down und bottom up Die VUCA-Situation, kombiniert mit radikal geänderten Kommunikations‐ strukturen, führt zwangsläufig oder notwendigerweise zu einer Änderung der Unternehmenskultur und insbesondere des Führungsstils. Hierarchische Strukturen oder der ‚klassische‘ Top-down-Ansatz, der jahrzehntelang im Management zahlreicher Unternehmen umgesetzt wurde, werden in Zeiten der digitalen Transformation stark hinterfragt. Wie wichtig und notwendig die Implementierung und Realisierung neuer, anderer Führungsansätze sind, zeigt etwa die Studie „New Work Culture“ aus dem Jahr 2019, in der Arbeitnehmer: innen zu ihrer Wahrnehmung des gegenwärtigen Zustands und zu der von ihnen für die Zukunft gewünschten Arbeitskultur befragt wurden. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Für die Zukunft ihres situativen Arbeitsumfeldes wünschen sie sich eine offene, gelebte Fehlerkultur, Eigenverantwortlichkeit und Partizipation. 116 2 Storyporting als konzeptionelle map Zentralisierte Prozesse und Hierarchie sollen reduziert, stattdessen Flexibi‐ lität und Innovation gefördert werden (Wörwag 2020). Veränderte Anforderungen und Erwartungen an Führungskräfte, im Kontext von digital leadership und der Bewältigung der dargestellten VUCA- Herausforderungen, sind im VOPA+-Modell aufgegriffen und adressiert worden. Das Akronym steht für Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität. Das von Buhse (2014) entwickelte Grundmodell hat Petry mit dem emotionalen Element ‚Vertrauen‘ zu VOPA+ erweitert (Petry 2014). Der Wunsch nach Partizipation aufseiten von Arbeitnehmer: innen und zugleich die Notwendigkeit, dass digital leadership in den Unternehmen par‐ tizipative Konzepte realisiert, um den Herausforderungen der Transforma‐ tion erfolgreich zu begegnen, weisen eine Kongruenz zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auf. Protestbewegungen gegen Großprojekte wie Stuttgart 21 haben gezeigt, wie intensiv und bewusst Bürger: innen neben Transparenz inzwischen vor allem die Teilhabe an politisch oder wirt‐ schaftlich zentralen Vorhaben einfordern. Gerade in Baden-Württemberg, einem zentralen Schauplatz dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung, hat die Politik im Wissen um die Notwendigkeit darauf reagiert. Seit der Zeit des großen Widerstands gegen das milliardenschwere Bahnprojekt laufen bei verschiedensten Vorhaben im Land verstärkt und regelmäßig differenzierte Beteiligungsverfahren. Unter dem grünen Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde in diesem Kontext eine eigene Staatsratsstelle eingerichtet mit dem Auftrag, in den Zuständigkeitsbereichen sämtlicher Ministerien Konzepte der bürgerlichen Teilhabe und Mitwirkung zu imple‐ mentieren und umzusetzen. Reflexion | Was denken Sie? Wie kann in einem Unternehmen bzw. einer Organisation Vertrauen gefördert werden? Die Umsetzung partizipativer Ansätze und Projekte erfordert die Konver‐ genz zweier ganz unterschiedlicher Ansätze in Führung, Planung und Entscheidungsfindung: top down und bottom up. Dies gilt gleichermaßen für den politischen Kontext wie für Unternehmen. Organisationen, in denen die Verantwortlichen bisher primär oder ausschließlich top down dachten und handelten, benötigen strukturell und operational eine An‐ näherung an das Bottom-up-Muster. Gleichzeitig sollte bottom-up-orien‐ 117 2.2 Partizipation: Konvergenz von top down und bottom up tierten Mitgliedern von Organisationen, seien es politisch interessierte Bürger: innen oder Mitarbeiter: innen von Unternehmen, bewusst sein, dass die letzte Entscheidung und die zentrale Verantwortung bei der Führung der jeweiligen politischen Einheit (Staat, Land, Kommune) oder bei der Spitze eines Unternehmens liegen. Dies bedeutet, dass Partizipation neben der organisational-strukturellen Annäherung auch eine Konvergenz im Denken beider Seiten verlangt. Ähnliches gilt für das Element Agilität im VOPA+-Modell, etwa im Kontext der zeitlich begrenzten Implementierung von selbständig agierenden Teams mit voller Entscheidungsfreiheit. Und auch für den Aspekt der Offenheit: Wenn Führungskräfte beim 360-Grad-Feedback, wie es Konzepte des digi‐ tal leadership vorsehen, nicht nur von ihren Vorgesetzten, sondern auch von Mitarbeiter: innen und Arbeitskolleg: innen Rückmeldung bekommen, liegt darin eine Konvergenz verschiedener hierarchischer Ebenen. Diese Konvergenz sollte im Mindset aller Organisationsmitglieder verankert sein und so auch unternehmensintern kommuniziert werden, um sie mit Leben zu füllen. Die informelle Vernetzung innerhalb von Organisationen, die der adäqua‐ ten, raschen Reaktion auf Änderungen dient und Wissenstransfer gene‐ riert, spiegelt sich in den strukturellen Bedingungen der globalen Netzwelt. Als Paradigma der Digitalisierung steht Vernetzung, wie in → Kapitel 1 be‐ reits ausgeführt, per se für die Konvergenz im technischen, ökonomischen, marktspezifischen und auch personellen Kontext, was sich besonders stark in den Informations- und Kommunikationsindustrien zeigt (Wirtz 2019; Beyer/ Carl 2012; Rockenhäuser 1999). 2.3 Annäherung von Narration und sachlich-nüchterner Analyse Narrative Kommunikationsmuster und Darstellungsmodi eignen sich, wie die Bestandsaufnahme gezeigt hat, für partizipative Zwecke, auch und ge‐ rade bei Change-Prozessen. Storys schildern grundsätzlich die Entwicklung bzw. Veränderung von einem Anfangszu einem Endpunkt. Die bottomup-orientierte Generierung von Erfahrungsgeschichten kann aufseiten der Mitarbeitenden (oder Bürger: innen) die Identifikation mit einem Unternehmen oder einem Projekt fördern, ein Wir-Bewusstsein schaffen und ihnen das 118 2 Storyporting als konzeptionelle map Gefühl vermitteln, in Wertschätzung ihrer eigenen Leistung und Erfahrung mitgenommen zu werden bei Entscheidungen und wichtigen Veränderungen. Gleichzeitig erkennt die Organisationsführung aus den learning histories, wie strategische Entscheidungen oder operative Maßnahmen bei den Mitarbeiten‐ den ankommen, was z. B. nicht bedacht worden ist oder wo eventuell Probleme, Konflikte oder Widerstände auftreten. Dies kann wichtige Reflexions- und Lernprozesse auslösen (Thier 2017, S. 26f.). Doch in heutigen Zeiten der Transformation, in denen die Dauer und das Ende gravierender Änderungsprozesse oft nicht fixierbar sind, spielt der VUCA-Faktor uncertainty eine wesentliche Rolle. Um Unsicherheit zu reduzieren, ist, wie mit Blick auf die wirtschaftswissenschaftliche Fach‐ literatur schon dargelegt wurde, eine analytische, erklärende und einord‐ nende Darstellung von zentralen Daten, Fakten, Entwicklungsfaktoren oder statistischen Werten sinnvoll und notwendig. Eine solche Aufbereitung erfolgt in Unternehmen und anderen Organisationen bekanntermaßen in der methodischen Form des sachlich-nüchternen Reportings. Mitzuberücksichtigen ist, dass für Mitarbeiter: innen in ausgeprägt daten‐ affinen Bereichen wie dem Controlling das Reporting als Darstellungsme‐ thode sehr vertraut ist, narrative Modi hingegen eher ein noch fremdes oder zumindest ungewohntes Terrain bedeuten. Zudem interessieren sich auch Investor: innen oder Shareholder: innen eines Unternehmens „vermut‐ lich stärker für Zahlen, Daten und Fakten“ (Krüger 2015, S. 130) als für Erfahrungsgeschichten. Und auch die in Organisationen nach wie vor anzutreffende Skepsis, was die Relevanz bzw. Authentizität von Geschichten betrifft, gilt es zu beachten. All diese Gesichtspunkte führen, entsprechend den Ergebnissen unserer SWOT-Analyse, zu der Konklusion, dass zur Bewäl‐ tigung der heutigen VUCA-Herausforderungen auch eine kommunikativmethodische Konvergenz sinnvoll und sogar nötig sein kann - die von Storytelling und Reporting. Für die transformational geprägte Alltagspraxis von Organisationen würde dies in der Umsetzung bedeuten: Bereiche, die bisher primär oder ausschließlich mit der nüchtern-sachlichen Darstellung von Da‐ ten, Fakten oder Kennzahlen operieren, ,nähern‘ sich auch dem parti‐ zipations- und identitätsfördernden Storytelling ,an‘ - und umgekehrt werden beim Einsatz narrativer Kommunikations- und Darstellungs‐ modi innerhalb der Organisation, gerade bei Änderungsprozessen, Reporting-Elemente bewusst integriert. 119 2.3 Annäherung von Narration und sachlich-nüchterner Analyse 2.4 Das BANI-Framework für die Zeit des Chaos Das VUCA-Modell kommt ursprünglich aus einem US-militärischen Kontext der 1980-Jahre (Mauritz 2021). Dies wirft die Frage auf, ob das Modell heute - 40 Jahre später - die Realität noch angemessen beschreiben kann. Gegenwärtig befindet sich die Menschheit inmitten großer Krisen, wie z. B. der Flüchtlingskrise, der Klimakrise, der Coronakrise. Die Autoren und Futuristen Jamais Cascio (o. J.) und Stephan Grabmeier (o. J.) sprechen von einer Zeit des Chaos, in der Strukturen abgelehnt werden und verloren gehen. Das VUCA-Modell der 1980er-Jahre reiche daher nicht mehr aus, um die Realität zu beschreiben und zu verstehen. Cascio plädiert deshalb für ei‐ nen neuen sprachlichen Rahmen, der es ermöglichen könne, das Ausmaß der Störungen - das Chaos - zu veranschaulichen und Überlegungen darüber anzustellen, welche Arten von Reaktionen sinnvoll wären. Einen solchen neuen Rahmen eröffnet das BANI-Framework (Mauritz 2021). BANI steht für brittle (porös), anxious (ängstlich, besorgt), non-linear (nichtlinear) und incomprehensible (unverständlich, unbegreiflich) und liefert den Rahmen zur Beschreibung einer brüchigen, mit Ängsten beladenen, nichtlinearen und nichtverstehbaren Welt. Das Modell geht zurück auf den Artikel „Facing the Age of Chaos“ des Autors und Futuristen Jamais Cascio (o. J.). BANI biete eine Art Linse, durch die nicht nur instabile Strukturen, sondern auch chaotische Zustände verstehbar werden, indem mehrdeutige, komplexe und auch völlig unverständliche Systeme aufgedeckt und sichtbar gemacht wer‐ den (Mauritz 2021). Laut der Resilienz Akademie (ebd.) ist BANI zwar kein originäres Lösungsmodell, doch es hilft aktuelle ‚chaotische‘ Situationen in ihren Facetten zu artikulieren und schafft so die Basis, darauf reagieren zu können. Dies kann im Rahmen einer Erzählwerkstatt, wie sie in → Kapitel 1 am Beispiel der Flüchtlingsthematik skizziert wurde, umgesetzt werden. Im Gegensatz zu VUCA ist BANI also vor allem ein auf die Situation angepasstes Modell und nähert sich dem Chaos induktiv vom Einzelfall kommend. Die Resilienz Akademie (Mauritz 2021) erklärt in einem Blogbeitrag, dass das Brüchige (BANI) eine Antwort sei auf das Volatile (VUCA). Wenn Systeme bzw. vernetzte Systeme nicht belastbar sind und/ oder nicht flexibel genug auf einen schnellen Wandel reagieren können, werden sie zunächst porös, sehen aber in diesem Stadium noch stabil aus. Bei anhaltender Belastung werden diese Systeme brüchig. Produktionen, die an internationalen Liefer‐ ketten gebunden sind, waren während der Coronapandemie ein Beispiel ausgereizter, brüchiger Systeme. Länder, die schnell auf das sich ausbreitende 120 2 Storyporting als konzeptionelle map Virus reagierten, wie etwa Südkorea und Singapur, sind laut WHO-Bericht weit besser durch die Krise gekommen als viele Staaten, die zu langsam auf die Pandemie reagierten, wie z. B. Deutschland, Italien, Spanien und England sowie die USA (Simmank 2021). Auch einzelne Gesundheitssysteme lassen sich als Beispiel für bereits vor der Coronakrise poröse und unter der Coronalast dann brüchige Systeme anführen. Gewinnmaximierungen in Unternehmen, die Mitarbeiter: innen an ihr Leistungs- und Motivationslimit führen, sind ebenfalls Beispiele poröser und dann brüchiger Systeme. Das System wird von innen heraus porös, mangelnde Mitarbeiter: innenbindung bewirkt Abwanderungen zu Konkurrenten, Know-how geht verloren, Kon‐ kurrenz ‚überholt‘ das Unternehmen. In unsicheren Zeiten und auf unsichere Situationen (VUCA) reagieren Menschen mit Sorge und Angst (BANI). Angst wiederum verhindert eine innovative Zukunftsgestaltung (Mauritz 2021). In komplexen Systemen (VUCA) sind Ursache und Wirkung nicht immer eindeutig erkennbar und nachvollziehbar (Mauritz 2021). Das BANI-Modell kennzeichnet dies mit der Nichtlinearität. Die modellgestützten Szenarien zur Verbreitung des Coronavirus beispielsweise haben in den Pandemiejahren 2020 und 2021 diese Nichtlinearität zutage gefördert. Modelle, die unter Annahmen, z. B. zur Impfgeschwindigkeit und zu Schulöffnungen, Szena‐ rien zur Ausbreitung des Virus berechnen, berücksichtigen nicht, dass sich gleichzeitig auch das Verhalten der Menschen in der Pandemie ändert. So lesen Bürger: innen beispielsweise in der Zeitung über neueste Prognosen zur Fallzahlenentwicklung und meiden von sich aus noch stärker Kontakte, gehen nicht mehr im stationären Einzelhandel einkaufen, sondern bestellen alles online. Die Linearität der für komplexe Systeme gesetzten Annahmen wird durchbrochen durch unvorhersehbare Parameter, die in Wechselwirkung mit getroffenen Annahmen treten und die lineare Systemreaktion aufbrechen (siehe vertiefend dazu beispielsweise die Analyse von Schieritz 2021). Unverständlichkeit (BANI) ist das Gegenteil von Verstehbarkeit. Sie re‐ sultiert letztlich aus der Nichtlinearität und Komplexität von Systemen und geht weiter als die Mehrdeutigkeit (VUCA). Wenn etwas nicht verständlich ist, ist es tendenziell überfordernd, ein Mehr an Informationen ist dann nicht immer hilfreich (Mauritz 2021). Cascio (o. J.) nennt hier das Beispiel eines Software-Codes, der in der Programmierlogik keine Funktion hat, ein 121 2.4 Das BANI-Framework für die Zeit des Chaos Entfernen des Codes aber zu nicht verstehbaren Fehlern bis hin zum Stopp des Programmablaufs führt. Reflexion | Was denken Sie? In welchen Bereichen stoßen Sie auf eine BANI-Welt und wie können Sie dieser begegnen? Der Autor des BANI-Modells (Cascio o. J.) schlägt vor, den vier Faktoren mit resilience, mindfulness, flexibility und transparency - ins Deutsche übersetzt mit Resilienz, Achtsamkeit, Adaptation und Transparenz (RAAT) - zu begegnen (Mauritz 2021). Daraus können Kommunikationsprinzipien abgeleitet werden. Resilienz beschreibt allgemein (1) die Fähigkeit, flexibel mit Stress umzugehen, und (2) die Widerstandskraft in Krisensituationen. Das Konzept findet Anwendung auf Menschen und auf Unternehmen (Mauritz 2021). Zur organisationalen Resilienz hat die International Organisation for Standardization eine ISO- Norm veröffentlicht (ISO 2017). Laut Mauritz (o. J.) geht von der Klarheit über eine geteilte Vision, über den Unternehmenszweck und über gemein‐ same Werte sowie von gemeinsamen Zielen eine starke Kraft aus, die das Unternehmen zusammenhält. Um Kontexte zu verstehen, kann es hilfreich sein, Beziehungen zu Unternehmen zu pflegen, die gleichgesinnt agieren und sich in vergleichbaren Kontexten bewegen, um gemeinsam an strategi‐ schen Fragestellungen zu arbeiten, sich auf zukünftige Veränderungen z. B. mittels Szenario-Analysen vorzubereiten und zukünftigen Veränderungen ggf. auch frühzeitig entgegenzusteuern. Das Unternehmen wird flexibel bzw. flexibler. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, um Verhalten und Fehler immer wieder neu zu ana‐ lysieren und Verbesserungen einzuleiten. Hieraus resultiert auch eine An‐ passungsfähigkeit an sich nichtlinear entwickelnde Kontexte. Transparenz in der Führung und in der internen Kommunikation unterstützen darin, Angst zu nehmen und Nichtverstehbares verstehbar zu machen. Speziell beim Faktor Angst könnte zudem die Konvergenz von (1) Storytelling, also dem Erzählen einer konkreten Situation der Angst, und (2) Reporting, also der logisch-sachlichen Bestandsaufnahme der Faktoren, die in dieser Situation auftreten, sinnvoll sein. Diese Gegenüberstellung eröffnet den Blick auf das, was sich wie verändern kann, damit die Angst zunehmender Sicherheit weichen kann. 122 2 Storyporting als konzeptionelle map Als nützliche strategische Management-Tools im Analyseprozess kön‐ nen z. B. die DESTEPbzw. PEST(EL)-Analyse, die SWOT-Analyse, die Analyse von Michael Porters 5-Forces und die Szenariotechnik herangezo‐ gen werden. Bei der Zielformulierung sind etwa Mittel-Zweck-Schemata sowie Tools zur Problemstrukturierung, wie z. B. die Kernfragenanalyse, sinnvoll. Für die Problemlösung kommen Kreativtechniken, wie z. B. die 6-3-5-Methode oder brainwriting zum Einsatz. Agile Methoden, wie z. B. der Design-Thinking-Ansatz, unterstützen bei der Implementierung von Lösungen und kontinuierlichen Verbesserungen (Lippold 2020). Ein för‐ derndes Kommunikationsprinzip kann das der kritischen Reflexion von Entscheidungsoptionen sein (Scherm/ Julmi 2019, S. 246ff.), die auf den vorgenannten Analysetools aufbauen und mögliche Anpassungsprozesse einleiten. Die Autoren betonen dabei die Relevanz intuitiver Denkprozesse und einer ganzheitlichen Wahrnehmung von Situationen (ebd., S. 62-64), über die Erfahrungswissen einfließt. Dieses Erfahrungswissen erzeugt eine Mustererkennung und umfasst auch die Kompetenz, bestehende Muster produktiv und kreativ zu neuen Mustern zu verarbeiten. Reflexion | Was denken Sie? Wie sollte Transparenz in der Führung eines Unternehmens bzw. einer Organisation konkret aussehen? 2.5 Ressourcenfixierung und Weltbezug Zieht man soziologische Gesellschaftsanalysen und Transformationsansätze heran, rücken weitere Formen möglicher bzw. erwünschter Konvergenz in den Blick. Hartmut Rosa etwa konstatiert eine evidente Fixierung auf Ressourcen in der heutigen Zeit: Gesundheit, Geld, stabile soziale Beziehun‐ gen, Bildung und Anerkennung (Rosa 2020, S. 16). Der Soziologe sieht die Entwicklung hin zu einer Kultur, „in der das ultimative Ziel der Lebensführung darin besteht, seine Ressourcenlage zu optimieren: seine Berufsposition zu verbessern, sein Einkommen zu erhöhen, gesünder, attraktiver, fitter zu werden, seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, sein Beziehungsnetz auszubauen und zu stabilisieren, Anerkennung zu erwerben etc“ (Rosa 2020, S. 17). 123 2.5 Ressourcenfixierung und Weltbezug Dabei gerate uns jedoch das „Lebenskunstwerk“ (Rosa 2020, S. 19) aus dem Blick. Das permanente Bestreben, die Ressourcenlage zu verbessern, hat nach Rosas Analyse maßgeblich zum gesellschaftlichen Phänomen bzw. Problem der Beschleunigung geführt, definierbar als Mengenwachstum pro Zeiteinheit. Die Moderne könne sich nur dynamisch stabilisieren und sei daher systematisch auf Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung angewiesen, um sich zu reproduzieren und den Status quo zu erhalten (ebd., S. 77). Die durch Wettbewerb und Beschleunigung bestimmte Steigerungs‐ logik des Immer-mehr oder Immer-schneller untergrabe „die Bedingungen für die Verwirklichung eines guten Lebens“ (ebd., S. 19). Rosas These liegt darin, dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung bzw. der Weltaneignung ankomme, also darauf, wie der Einzelne Welt erfahre, zu ihr Stellung nehme und zu ihr in einer resonanten Beziehung stehe (ebd., S. 19). „Die für die Moderne in vielerlei Hinsicht maßgebliche Vorstellung, die Lebens‐ qualität werde durch die Vermehrung von Ressourcen und Optionen per se verbessert, ist irreführend; vielmehr gibt es gute Gründe für die Annahme, dass die eigendynamische, selbstzweckhafte Steigerungslogik der Moderne das menschliche Weltverhältnis immer stärker belastet - oder gar selbst schon Ausdruck und Ausfluss eines problematischen Weltverhältnisses ist. Ob Leben gelingt oder misslingt, hängt davon ab, auf welche Weise Welt (passiv) erfahren und (aktiv) angeeignet oder anverwandelt wird und werden kann“ (Rosa 2020, S. 52f.). Wettbewerb und Beschleunigung, so ein weiterer Gedanke Rosas, erzwingen eine auf Steigerung und Ressourcen orientierte Lebensausrichtung, in der die Welt in all ihren Dimensionen, als Ding-, Sozial- oder Welt der Emotio‐ nen, funktional als Ressource erscheint - „und gerade dadurch ihre Reso‐ nanzqualitäten verlustig geht“ (Rosa 2020, S. 77). Dies zeigt sich für ihn in den großen Krisen der heutigen Gesellschaft. Die ökologische Krise bestehe im Kern nicht darin, dass die Menschen mit den natürlichen Ressourcen nicht vernünftig umgehen, sondern sie die Natur als Resonanzsphäre verlieren, wenn Natur ausschließlich als Ressource und nicht als Resonanzraum gesehen wird. Die Demokratiekrise wurzelt laut Rosa darin, dass die Politik den Bürger: innen „nicht mehr zu antworten scheint, dass sie keine Resonanz‐ sphäre mehr bildet“ (ebd., S. 77) - also eine Entfremdung stattfindet. Die Psychokrise wiederum, konkret der deutliche Anstieg von Depressions- und Burnouterkrankungen, resultiert für Rosa „aus dem Zusammenbruch der 124 2 Storyporting als konzeptionelle map für die Subjekte konstitutiven Resonanzachsen“ (ebd., S. 77f.), also aus einem starken Defizit an Weltbezug. 2.6 Narrative Empathie trifft ökonomisches Prinzip Damit eine „Transformation des Weltverhältnisses“ (Rosa 2020, S. 56) gelingt, ist es im Kontext von Rosas Resonanz-Ansatz wichtig, dass die Menschen aus ihrer Entfremdung herausfinden und sich (wieder) berühren, erreichen, bewegen und ergreifen lassen - von anderen Menschen, von der Natur, von Herausforderungen und insbesondere auch von Geschichten (ebd., S. 25). Im Erzählen von Geschichten schaffen Menschen die Voraus‐ setzungen für „narrative Empathie“ (ebd., S. 267) - ein Begriff, der auf den Literatur- und Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt (2009) zurück‐ geht. Geschichten, so Rosa, versetzen Menschen in emotionale, physische und sogar sensomotorische Resonanz. So wie Kinobesucher im Mitvollzug des Filmgeschehens weinen und lachen, sich die Haare raufen oder den Atem anhalten, verhalte es sich beim Lesen und auch beim Anhören von Geschichten (Rosa 2020, S. 267). Folgt man der Analyse und Argumentation von Rosas Soziologie der Weltbeziehung, ergibt sich für gesellschaftliche Funktionsbereiche sowie auch für den einzelnen Menschen die Notwendigkeit, ein primär oder ausschließlich ressourcenfixiertes Denken und Handeln aufzubrechen und die Neu- oder vielleicht auch Rückgewinnung eines resonanten, maßgeblich auch von sinnlichen und emotionalen Dimensionen geprägten Weltbezugs zu erreichen. Auf Knopfdruck kann und wird eine solche Transformation des Welt‐ verhältnisses nicht vonstattengehen. Allein mit Blick auf Wirtschaftsor‐ ganisationen wird deutlich, wie stark die Ressourcenorientiertheit als Managementparadigma dominiert. Die rationale Analyse physischer, fi‐ nanzieller, personeller, technologischer und intangibler Ressourcen sowie der gewinn- oder wettbewerbsorientierte Umgang damit gehören zum festen Handlungsfeld jeder strategischen Unternehmensführung. Sie sind für die Lebensfähigkeit und den Erfolg von Organisationen essenziell. Was den Kommunikationsbzw. Darstellungsmodus angeht, bewegen wir uns hier ganz in der funktionalen, sachlich-nüchternen, der Logik des ökonomischen Prinzips verpflichteten Darstellung, also im klassi‐ 125 2.6 Narrative Empathie trifft ökonomisches Prinzip schen Reporting. Auch wenn es in privaten Haushalten ums Geld oder um andere Ressourcen wie Gesundheit geht, sind rationales Kalkül, Summen, Daten, Messwerte, Parameter oder Statistiken ausschlagge‐ bend. Im ökonomischen, organisationalen und auch (gesellschafts-)politischen Kontext wird die Ressourcenorientierung, pragmatisch betrachtet, weiter‐ hin Bestand haben - als eine feste Größe von Umfeldanalysen und strate‐ gischen Entscheidungen. Im Kontext der organisationalen Beschäftigung mit ökologischen oder sozialen Ressourcen kommen wissenschaftliche Analyseverfahren und Modellentwicklungen hinzu. Rosas Resonanz-Ansatz ist ja auch nicht so zu verstehen, dass ein bewusster Blick auf die Ressourcen und der rationale Umgang damit überwunden werden sollen. Vielmehr geht es darum, nicht ausschließlich darauf fixiert zu sein, sondern sich in einen, wenn man so will, ganzheitlichen Weltbezug zu bringen, der kognitive wie auch emotionale Dimensionen hat. Kommunikationsmethodisch kann dieser Weg als Annäherung oder zumindest Bezugnahme von sachlichnüchterner, analytischer Darstellung und Narration gesehen werden. 2.7 Analyse der Ressourcensituation als Basis eines Nachhaltigkeitsnarrativs Auch auf dem Feld der Nachhaltigen Entwicklung zeigt sich die Sinn‐ haftigkeit und Notwendigkeit einer solchen Konvergenz. Die sachlichnüchterne, datenbasierte, wissenschaftlich valide Analyse der Ressourcen‐ lage, bezogen auf historische Entwicklungen, den gegenwärtigen Status quo und die Zukunft, bildet die informelle Basis einer gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskussion. Erstrebenswert ist derweil, ausgehend von die‐ ser Grundlage, die Entwicklung eines konsensfähigen und authentischen Nachhaltigkeitsnarrativs, das den Menschen in einen Weltbezug bringt sowie in authentischer Weise sein Verhältnis zur Natur klärend konturiert - unter Berücksichtigung der jungen und künftigen Generationen. Recht verbreitet ist heutzutage das Diktum bzw. das Narrativ, dass angesichts der großen Herausforderungen und Gefahren aufgrund des Klimawandels ‚die Welt‘ gerettet werden müsse. Ist es tatsächlich die Welt oder geht es in der aktuellen Diskussion häufig nicht vor allem darum, das menschliche Leben auf dieser Erde zu sichern? 126 2 Storyporting als konzeptionelle map Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die in → Kapitel 1 dargelegten Ergebnisse der an der Leuphana Universität Lüneburg reali‐ sierten Studie zum SusTelling, einer Verschmelzung von Storytelling und sustainability. Während sich Student: innen nach der Lektüre von Nachhal‐ tigkeitsstorys motiviert und positiv in ihrem eigenen nachhaltigkeitsbezo‐ genen Engagement bestärkt fühlten, wünschten sich Berufsschüler: innen mehr Sachinformationen. Auch hier scheint die Relevanz der beschriebenen kommunikationsmethodischen Konvergenz auf. 2.8 Das Primat des Besonderen in der ‚Gesellschaft der Singularitäten‘ Auf konvergente, aber vor allem auch polare Strukturen stößt man in der Gesellschaftsanalyse des Soziologen Andreas Reckwitz. Er fokussiert einen spezifischen Strukturwandel von der industriell-funktional geprägten Moderne hin zur Spätmoderne ab den 1970er-Jahren. Die soziale Logik des Allgemeinen verliert ihre Dominanz an die soziale Logik des Besonderen, des Einzigartigen, Nicht-Austauschbaren, das Reckwitz mit dem Begriff der Singularität beschreibt (Reckwitz 2018, S. 11). Ökonomie und Technologie sind demnach zu „großflächig wirkenden Singularisierungsgeneratoren, zu paradoxen Agenten des massenhaft Besonderen“ (ebd., S. 15) geworden - ein Prozess, dessen soziale, psychische und politische Folgen wir laut Reckwitz im Moment erst ansatzweise zu begreifen beginnen. Zwischen der Moderne und der Spätmoderne sieht er in seiner Analyse der Gegen‐ wartsgesellschaft einen zweifachen strukturellen Bruch. Der erste entstehe durch den Strukturwandel von der alten industriellen Ökonomie zur Ökonomie der Singularitäten mit einer creative economy als Leitbranche, der zweite durch die digitale Revolution, die singularisiere, was sich etwa im Digitaltrend der Personalisierung (z. B. von Angeboten) zeige (ebd., S. 15f.). An die Stelle der Massenproduktion funktionaler Güter tritt demnach die postindustrielle Logik der kulturellen Singularitätsgüter; „sie gewinnen zunehmend ihr Profil beispielsweise über Bioprodukte mit Au‐ thentizitätsanspruch, Automarken mit Erlebnisqualitäten, über Zeitmesser oder Sportschuhe als Designobjekte, solitäre Architektur, gastronomische Originalität oder maßgeschneiderte Gesundheitspakete“ (Reckwitz 2018, S. 116). 127 2.8 Das Primat des Besonderen in der ‚Gesellschaft der Singularitäten‘ Vormals funktionale Massengüter, aus einer Ordnung des Allgemeinen, können durch eine narrativ-ästhetische Einbettung zu Singularitäten wer‐ den. Reckwitz verweist als ein Beispiel auf die Geschichte des Vespa- Motorrollers, der schon 1946 auf den Markt kam, jedoch erst in den 1990er-Jahren über Storytelling zu einem singulären kulturellen Gut bzw. Kultobjekt wurde (Reckwitz 2018, S. 144). Singularitätsgüter, die Dinge, Dienstleistungen, Events und mediale Formate sein können, zeichnen sich im Kontext der kreativen Ökonomie des Besonderen durch Originalität und Rarität bzw. Exklusivität aus, sind selbst Performanz und haben oder brauchen Authentizität. Sie werden nicht nur benutzt, sondern erlebt (ebd., S. 120-143). Dabei sieht Reckwitz in „der extremen Relevanz der Affekte“ (Reckwitz 2018, S. 17) ein zentrales Merkmal der Gesellschaft der Singularitäten. Während die in der industriellen Moderne dominante Logik des Allgemei‐ nen mit Prozessen gesellschaftlicher Rationalisierung und Versachlichung zusammenhänge, „ist die Logik des Singulären mit Prozessen gesellschaft‐ licher Kulturalisierung und Affektintensivierung verknüpft“ (ebd., S. 17). Funktionale (Massen-)Güter erfüllen einen praktischen Nutzen und folgen einer zweckrationalen Logik, kulturelle Güter der heutigen creative economy hingegen sind Affektgüter, z. B. Konzerte, Festivals, Sportevents oder Tou‐ rismusangebote (ebd., S. 121-126). Aus dieser soziologischen Darstellung der für unsere Gegenwart prägenden Transformation können, aus kommunikationsspezifischer Perspektive, Indizien für das funktional-versachlichende Reporting als dem bestimmenden Modus der industriellen Moderne und die affektbezogene Narration als dominantem Modus der Spätmoderne abgeleitet werden - im Sinne eines gegenwärtigen Nebeneinanders bzw. Sowohl-als-auch oder einer Entwicklung vom einen hin zum anderen. Tatsächlich stellt Reckwitz Singularitätsgüter als Kulturgüter in einen di‐ rekten Bezug zu Narration: „Kulturelle Güter haben häufig eine narrative und hermeneutische Qualität, indem sie die Form von Erzählungen annehmen, die für den Rezipienten bedeu‐ tungsvoll sind. Dass kulturelle Güter nicht selten Geschichten erzählen, kann gar nicht genug betont werden. Eine Narration kann direkt zu einem Gut werden - 128 2 Storyporting als konzeptionelle map in Form eines Romans, eines Sachbuchs, eines Films oder eines journalistischen Artikels beispielsweise. Oder aber es entspinnt sich um das Gut ein komplexes storytelling (ob marketinggetrieben oder nicht): die Geschichte eines Designstils oder eines Designers, mit der ein bestimmtes Objekt assoziiert wird, oder die vielschichtige Geschichte einer Stadt, die sich bei deren Besuch erfahren lässt“ (Reckwitz 2018, S. 121f.). 2.9 Digitale Affektkultur der Extreme Doch mitzubeachten sind die Spannungsfelder, Paradoxien und Problembe‐ reiche der digitalen Welt bzw. Netzkultur, die sich auch und gerade aus der extremen Relevanz der Affekte ergeben. Reckwitz spart sie nicht aus. Er konstatiert u. a. ein „Regime des affektiven Aktualismus“ (Reckwitz 2018, S. 269), das sich in immer neuen kurzen Aufreger-Storys in Form von Posts zeige, die bei User: innen nicht selten auch negative Gefühle wie Angst auslösten (ebd., S. 269). Zudem herrsche im Internet eine digitale Affektkultur der Extreme: Die Profil-Subjekte konstruierten sich als attrak‐ tiv, die Kommunikation unter den sogenannten ‚Freunden‘ sei überwiegend phatisch. „Negative Affekte (von der Irritation bis zur Abstoßung) und Erfahrungen (Enttäuschungen, Scheitern, schwere Erkrankungen, Lebens‐ krisen) werden in dieser digitalen Positivkultur unterdrückt, vermieden oder ausgeschlossen“ (ebd.; S. 270). Einzigartigkeit, Singularität, immer wieder neue attraktive Details aus dem eigenen Leben, all dies wird erwartet und generiert einen „Profilierungszwang, der zugleich ein Originalitäts-, Kreativitäts- und Erlebniszwang ist“ (ebd., S. 266). Im spätmodernen Digitalzeitalter stehen also nicht nur die Dinge, sondern auch die Menschen in ständigen affektbezogenen Singularitätswettbe‐ werben um Einzigartigkeit, Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit und performati‐ ven Erfolg. Das digitale Subjekt bewegt sich „auf einem medialen Attrakti‐ vitätsmarkt; es wird gewissermaßen selbst zu einem kulturellen Gut, das um Aufmerksamkeit und Valorisierung kämpft“ (ebd., S. 252). Für den Soziologen Reckwitz findet im Internet eine Zementierung des Individuums statt. Zudem sieht er die Gefahr, dass eine intensive Ausrich‐ tung des Sozialen am Besonderen zu einer Erosion des Allgemeinen führen könne, mithin eine Schwächung der allgemeinen Öffentlichkeit durch das Entstehen zahlreicher Parallelöffentlichkeiten, Neogemeinschaften, Echokammern und Filterblasen mit einer kontakterhaltenden, selbstaf‐ 129 2.9 Digitale Affektkultur der Extreme firmierenden Kommunikation nach innen und möglicherweise einem pola‐ risierenden Freund-Feind-Denken nach außen (Reckwitz 2018, S. 268f.). Was Reckwitz hier alles an Spannungs- und Problemfeldern des Digitalen beschreibt, kann auch als Risiko einer primär oder ausschließlich auf affektive Narration konzentrierten Kommunikation interpretiert werden. Reflexion | Was denken Sie? Wo sind heute kommunikative Räume und Kanäle, die sich für einen perspektivenreichen gesellschaftlichen Diskurs eignen? Reckwitz beschreibt die spätmoderne Gesellschaft als eine Drei-Drittel- Gesellschaft mit einer neuen akademischen, bildungsbürgerlichen Mittel‐ klasse. Im Kontext einer neuen sozial-kulturellen Polarisierung steht ihr eine neue, immer größer werdende Unterklasse mit niedrigen oder keinen formalen Bildungsabschlüssen gegenüber. Dazwischen befindet sich die alte, nichtakademische Mittelschicht (Reckwitz 2018, S. 277-282). „Die ehemalige Mitte erodiert, es bildet sich mehr und mehr eine Polarität zwischen einer Klasse mit hohem kulturellen (sowie mittlerem bis hohem ökono‐ mischen) Kapital sowie einer Klasse mit niedrigem kulturellen und ökonomischen Kapitel heraus“ (Reckwitz 2018, S. 277). Primär in dieser neuen akademischen Mittelklasse ist laut Reckwitz der singularistische Lebensstil anzutreffen. Ihre Mitglieder führen ein kuratier‐ tes Leben, wählen aus den verschiedensten Kultursegmenten und -gütern konsumbewusst aus, was für sie authentisch und singulär ist (Reckwitz 2018, S. 295-303). Es dominiert nicht das Entweder-oder, sondern das Sowohl-alsauch: „Man muss sich nicht zwischen dieser oder jener Kultur entscheiden, sondern kann problemlos kulturelle Versatzstücke aus indischer Spiritualität, italieni‐ scher Früherziehung, lateinamerikanischer Bewegungskultur und deutschem Ordnungssinn miteinander kombinieren“ (Reckwitz 2018, S. 301). Kultur ist für die neue akademische Mittelklasse, auch im Beruf, eine Ressource zur Bereicherung und Aufwertung des Selbst sowie zur Selbst‐ verwirklichung, die auch performativ dargestellt wird - das singuläre Leben hat einen Prestigewert (Reckwitz 2018, S. 298-306). Die Lebensform bei den Mitgliedern der (heterogenen) Unterklasse, häufig Modernisierungs‐ 130 2 Storyporting als konzeptionelle map verlierer, ist laut Reckwitz eher das muddling through: Sie müssen sich durchbeißen, von Tag zu Tag, ihre Beziehung zur Arbeit ist instrumentell und gar nicht von Selbstverwirklichung geprägt (ebd., S. 350-355). Ein sehr problematisches Merkmal der Gesellschaft der Singularitäten ist demnach die „Kulturalisierung der Ungleichheit“ (ebd., S. 350). Die Polarität zwischen der neuen Mittel- und Unterklasse ist nicht nur sozioökonomisch, sondern auch kulturell geprägt. 2.10 Polaritäten in der Gegenwartsgesellschaft Die Singularisierung als Paradigma der Spätmoderne generiert bzw. erklärt weitere Probleme und Antagonismen der Gegenwartsgesellschaft. In der Arbeitswelt, wo das tätige Subjekt zum „Performanzarbeiter“ (Reckwitz 2018, S. 209) geworden ist, „stehen die ‚Hochqualifizierten‘ den ‚Geringqua‐ lifizierten‘ gegenüber“ (ebd., S. 185). Die strukturelle Polarität zwischen der kreativen, am Neuen orientierten und meist projekthaften, von narrativen Modi geprägten (Team-)Arbeit einerseits und sich ständig wiederholenden, standardisierten und funktionalen Tätigkeiten andererseits ist laut Reckwitz immens. Und sie spiegele sich in der gesellschaftlichen Bewertung: Während die kreative Arbeit als wertvoll und befriedigend gelte, werde die routini‐ sierte Tätigkeit nur als profanes Arbeiten adressiert (ebd., S. 184). Eine weitere Polarität ergibt sich aus dem Umstand, dass in den Märkten und Wettbewerben der creative economy meist nur wenige die Gewinner sind (Winner-take-all- oder Winner-take-the-most-Logik), was genauso für die Singularitäts-, Performance- und Aufmerksamkeitswettbewerbe der Menschen in der Netzkultur gilt. Verstärkt wird dieser Antagonismus durch die oben schon beschriebene Steigerungslogik. Davon besonders stark betroffen ist gerade die neue akademische Mittelklasse. Der Maßstab deren singulären Lebensstils, so Reckwitz, ist „die größtmögliche Fülle des Lebens“ (Reckwitz 2018, S. 343), die Selbstverwirklichung ein wichtiges Ziel: Karriere und Familie sollen zugleich verwirklicht werden, „lokale Verankerung und globale Weite, Abenteuer und Verlässlichkeit etc.“ (ebd., S. 344). Diese anspruchsvolle Lebensführung ist enttäuschungsanfällig und kann gleichzeitig zu Selbstüberforderung führen (ebd., S. 343f.). „In der Kultur der Spätmoderne kann man, was den empfundenen Lebenserfolg angeht, besonders hoch steigen - höher als in der nivellierten Mittelstandsgesell‐ 131 2.10 Polaritäten in der Gegenwartsgesellschaft schaft - und umgekehrt besonders tief fallen, das heißt subjektiv ‚versagen‘“ (Reckwitz 2018, S. 349). Andreas Reckwitz verweist an dieser Stelle auf die häufig formulierte Feststellung, dass die Depression das charakteristische Krankheitsbild der spätmodernen Kultur sei (Reckwitz 2018, S. 348). Neben einer Krise der Anerkennung - im Kontext der Polarität von Gewinnern und Verlierern des Wandels von industrieller Massenöko‐ nomie zur Wissensökonomie - sieht der Soziologe daher auch eine Krise der Selbstverwirklichung. Beide Krisen seien charakteristisch für die Gegenwartsgesellschaft der Singularitäten, wobei die Krise der Anerkennung großen sozialen, psychischen und politischen Sprengstoff enthalte. Hinzu komme eine Krise des Politischen. Sie generiert sich demnach aus dem Verlust an gesamtgesellschaftlichen Steuerungsmög‐ lichkeiten seit dem Ende der industriell-organisierten Moderne. Die Eigendynamiken der Ökonomie, der Technologie und der Kultur der Lebensstile hätten stattdessen ein Primat erlangt. Und: Maßgeblich durch die Digitalisierung der Medien verlagert sich die politische Debatte in Teilöffentlichkeiten (Reckwitz 2018, S. 432-435). Alle drei Krisen inkludieren eine Dominanz des Singulären, Besonderen und Separaten gegenüber dem sozial, kulturell und politisch gemeinsam Geteilten. Daher lassen sie sich laut Reckwitz allesamt als eine Krise des Allgemeinen interpretieren. Dies wirft für ihn die Frage auf, „ob die Gesellschaft der Singularitäten nach ganz anderen und neuen normativen Maßstäben verlangt, so dass aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammende Kriterien von Fortschritt, Gerechtigkeit oder Glück gar nicht mehr anwendbar scheinen. Die Antwort auf diese Frage ist offen. Zugleich ist ein Zurück in die industrielle Moderne, in ihre nivellierte Mittelstandsgesellschaft, ihre kulturelle Homogenität des Lebensstils, ihre industrielle Massenökonomie, die Massenme‐ dien, die sozialräumliche Gleichförmigkeit und ihr System politischer Planung definitiv versperrt - auch wenn die Möglichkeit eines solchen Pfades gegenwärtig von manchen populistischen Bewegungen suggeriert wird“ (Reckwitz 2018, S. 437). Eine im Juni 2021 veröffentlichte Studie von Soziolog: innen, Politolog: innen und Psycholog: innen an der Universität Münster kommt zu dem Ergebnis, 132 2 Storyporting als konzeptionelle map dass in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, die gesellschaftliche Spaltung zunehmend fortschreitet. Befragt wurden 5.000 Menschen in Deutschland, Polen, Frankreich und Schweden. Laut dieser Stu‐ die haben sich zwei feste Lager gebildet: auf der einen Seite die ‚Entdecker‘, die ein offenes Zugehörigkeitsprinzip befürworten würden und wenig Angst vor kulturell fremden Gruppen hätten, auf der anderen die ‚Verteidiger‘, die Bevölkerungsgruppen mit anderer religiöser oder kultureller Prägung eher als Bedrohung wahrnähmen (Back et al. 2021). „Bei dieser Spaltung“, so der Politikwissenschaftler Bernd Schlipphak, Mitautor der Studie, „handelt es sich nicht mehr nur um einen Konflikt über identitätspolitische Themen, sondern um eine grundlegende Konfliktlinie zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die vieles berührt: die eigene Identität, die Wahrnehmung von Politik, die Zufriedenheit mit der Demokratie in un‐ serem Land“ (Garbe 2021). Während sich die ‚Entdecker‘ mit der Demokratie zufrieden zeigten, würden sich die ‚Verteidiger‘ stark benachteiligt fühlen, Bundesregierung und Parlament kaum vertrauen, Populismus befürworten und eher zu verschwörungsideologischen Narrativen tendieren (ebd.). 2.11 Verbindendes in der Verschiedenheit Vor diesen Hintergründen lässt sich zu Reckwitz’ Frage nach anderen, neuen normativen Maßstäben eine weitere hinzufügen: Verlangt die Gegenwarts‐ gesellschaft angesichts all ihrer sozialen, kulturellen und politischen Asy‐ metrien, Heterogenitäten und Polaritäten nicht auch nach einem anderen Kommunikationsprinzip - einem Kommunikationsprinzip, das konvergie‐ rend das Besondere, Singuläre mit dem Allgemeinen, auch Gemeinsamen, in einen Bezug bringt und umgekehrt? Konvergenz, verstanden als - erwünschte - Annährung von Größen, Strukturbereichen oder Positionen und nicht als Übereinstimmung, bedeutet, dass die Elemente, die sich aufeinander zu bewegen, ihre eigenen definitorischen Merkmale und Konturen maßgeblich behalten. Gleichzeitig inkludiert sie das postmodern-kuratierende Sowohl-alsauch im Gegensatz zum Entweder-oder. Im Kontext dieses Begriffs‐ verständnisses geht es also nicht darum, Unterschiede, Gegensätze oder Polaritäten vollständig aufzuheben, was allein schon mit Blick auf die soziale Segmentierung unserer Gesellschaft utopisch wäre, 133 2.11 Verbindendes in der Verschiedenheit sondern darum, Verbindendes in der Verschiedenheit zu generieren - im pluralistischen und auch partizipativen Sinne. Dabei wird mit‐ berücksichtigt, dass Divergenz oder sogar Paradoxa in spezifischen Zusammenhängen sinnvoll und sogar notwendig sein können, um ver‐ schiedene Perspektiven zu generieren bzw. zu erhalten oder Systeme zu erneuern. Solche Denkansätze finden sich z. B. in der europapolitischen Diskussion und Europa-Forschung (Scholz et al. 2019). Eine konvergente Struktur, die sich durch den radikalen Kommunikations‐ wandel in Folge der Digitalisierung ergeben hat, machen sich zunehmend Unternehmen und auch andere Organisationen wie etwa Hochschulen zunutze. Die forcierte Two-Way-Kommunikation und insbesondere die neue Möglichkeit der Many-to-Many-Kommunikation mit der Entstehung von Netzgemeinschaften sowie der Wandel ehemals passiver Konsument: innen zu potenziell aktiven Prosument: innen geben Organisationen die Möglich‐ keit, die unterschiedlichsten Expertisen ihrer Stakeholder: innen abzurufen. Das Konzept der open innovation als strategische und gleichzeitig kreative Nutzung der Außenwelt dient dazu, das eigene Innovationspotenzial zu erweitern. Es eignet sich daher für die kollaborative und partizipative Ent‐ wicklung neuer Produkte, Dienstleistungen, Geschäfts- oder Gründungs‐ ideen. Gleichzeitig kann es die Identifizierung von Stakeholder: innen mit der jeweiligen Organisation und deren Narrativ fördern. Als Co-Kreatoren gestalten Konsument: innen und andere Gruppen mit ihrem user generated content z. B. die Marke mit. Das von McDonald’s 2009 in Deutschland erstmals getestete Konzept „Mein Burger“, bei dem Kund: innen über ein Toolkit Burger-Kreationen vorschlugen, über die in der Netzcommunity ab‐ gestimmt und die dann in den Restaurants angeboten wurden, ist ein Beispiel für Co-Kreation im Branding-Bereich (Baumgarth/ Kristal 2015). Andere Unternehmen, u. a. in der Automobil- und Eventbranche, nutzen inzwischen auch diese erwünschte Konvergenz im Verhältnis von Organisation und Stakeholder: innen. Ähnliches gilt für den Einsatz von Kreativtechniken und -metho‐ den wie etwa design thinking, derer sich zunehmend auch ‚klassische‘ Unternehmen und Organisationen bedienen, um Lösungen bei komplexen Problemen oder innovative Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsideen zu generieren. Erwünschte konvergente Elemente finden sich hier zum einen im Grundansatz, dass sich Vertreter: innen ganz unterschiedlicher Funktionsbereiche und Disziplinen mit ihren jeweiligen Expertisen, Erfah‐ 134 2 Storyporting als konzeptionelle map rungen, Meinungen und Ideen gemeinsam einbringen. Damit treten auch potenziell polare Denk-, Erfahrungs- und Arbeitswelten miteinander in Verbindung und werden Bestandteil von etwas Neuem und Anderem. Zum anderen verlangt das Ziel, die Innovationen dezidiert kund: innenbzw. stakeholde: innenrorientiert zu entwickeln, dass sich die Teilnehmer: innen des design thinking in unterschiedlichste Personae hineinversetzen und sich so deren Bedürfnissen, Erwartungen, Perspektiven und letztlich auch deren Erfahrungsgeschichten gedanklich nähern. Neben dem Einbezie‐ hen narrativer Momente gilt es bei dieser Methode aber auch, in nüchternsachlicher, teilweise auch wissenschaftlicher Darstellungsform die Wirt‐ schaftlichkeit und Machbarkeit von Innovationen zu prüfen. Bereits an der digitalen Konvergenz zeigte sich, wie ursprünglich se‐ parate ökonomische Sektoren und Märkte zusammenwachsen, und auch open innovation respektive Co-Kreation weist eine erwünschte stärkere Verbindung von Organisationen und Stakeholder: innen aus. Daher scheint dieser strukturelle Trend paradigmatisch bzw. sinnvoll für das Herangehen an die Herausforderungen der Transformation zu sein. Um der spätmo‐ dernen VUCA- oder BANI-Welt möglichst erfolgreich zu begegnen und dabei die Nachhaltige Entwicklung fortzuführen, bedarf es offenkundig eines verstärkten Zusammenwirkens der verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche und Disziplinen sowie der authentischen Teilhabe von Bürger: innen an den Transformationsprozessen. Die disruptive Zeit der Coronapandemie hat dies in besonders deutlicher Weise gezeigt. Gesundheitliche Folgen und Risiken für die Menschen waren intensiv zu beachten, gleichzeitig aber auch problematische Befindlichkeiten und Konsequenzen für verschiedene ökonomische, soziale und kulturelle Einheiten und deren Subjekte. Zudem ging es um Bürger- und Freiheits‐ rechte in einer demokratischen Zivilgesellschaft. Die Politik im Bund und in den Ländern war gefordert, all diese verschiedenen Bereiche von Betroffen‐ heit und deren Relationen zu berücksichtigen. Und sie hatte konkrete, nicht selten besondere bzw. singuläre Entscheidungen zu treffen, die mit dem Allgemeinen des Gemeinwohls sowie der demokratischen Werte vereinbar sein sollten. Dazu gab es im Laufe der Zeit eine immer stärkere, kritische Diskussion in der Öffentlichkeit. Dabei wurde u. a. bemängelt, dass von exekutiver Seite, insbesondere in der ersten Pandemiephase, zu viel im Alleingang entschieden worden sei, ohne intensive Einbindung der jeweiligen Parlamente oder auch von Ethik-Instanzen. Nach und nach erhoben Vertreter: innen verschiedener 135 2.11 Verbindendes in der Verschiedenheit gesellschaftlicher Bereiche, etwa aus der Gastronomie oder von Kulturein‐ richtungen, Kritik daran, dass ihre Leistungen, Aufgaben und Interessen we‐ niger berücksichtigt würden als andere, z. B. die der ‚klassischen‘ Wirtschaft. Populistische Kreise wiederum nutzten die Coronakrise zum strategischen Einsatz verkürzter, verschwörerischer und nicht selten demokratiefeindli‐ cher Narrative. Eine demokratisch und zivilgesellschaftlich erwünschte Konvergenz sähe in diesem Fall so aus, dass gemeinsam, in Verbindung des Ver‐ schiedenen und auch Gegensätzlichen und unter Mitwirkung sowie Berücksichtigung unterschiedlichster Dispositionen und Positionen, adäquate Lösungen entwickelt werden. Komplementär dazu wäre eine politische und auch öffentliche Kommunikation der Konvergenz sinnvoll und notwendig. Durch die Coronapandemie wurde zudem ein Fokus darauf gerichtet, dass die Wissenschaft bei solchen gravierenden Transformationsprozessen einen relevanten Part spielen kann bzw. soll - in Form von logisch-nüchter‐ nen, methodisch sauberen Analysen und Studien, die als Diskussionsgrund‐ lage und Orientierung für politische oder gesellschaftliche Entscheidungen dienen können. Realiter wurde freilich das Phänomen bzw. Problem sichtbar, dass die wissenschaftlich-immanente Vorläufigkeit von Ergebnissen und das obligate Falsifikationsprinzip wenig oder nicht zu gängigen Denk- und Kom‐ munikationsschemata in Politik und Medien ‚passen‘. Dort werden häufig definitive, gültige Resultate erwartet oder gehandelt und keine vorläufigen, in der wissenschaftlichen Community noch streng zu überprüfenden und zu diskutierenden Studienergebnisse. Zudem zeigte sich in der Coronakrise, dass ein Teil der Bevölkerung, insbesondere Anhänger: innen von Verschwö‐ rungstheorien, wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, negieren oder leugnen, insbesondere wenn diese nicht ihre Positionen affirmieren. Hinzu kommt, dass das in medialen Stilformen bzw. Formaten wie Interviews und Talkshows häufig fast schon habitualisierte Schema des emotionalisierenden Gegeneinanders, Entweder-oder und der kleinen oder größeren Skandalisierungen buchstäblich Denkwelten entfernt liegt vom wissenschaftlichen Vorgehen und Kommunizieren. Als erstrebenswert kann da ein stärkeres Aufeinander-zu-Denken von Wissenschaft und medialer Öffentlichkeit sowie eine sich annähernde Kommunikation erscheinen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat als Reaktion auf 136 2 Storyporting als konzeptionelle map einschlägige Erfahrungen in der Coronakrise eine Denkwerkstatt zur Frage eingerichtet, wie die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte an ein breites öffentliches Publikum besser gelingen kann (#FactoryWisskomm). Vor der Abschlussveranstaltung im Juni 2021 skizzierte Jens Rehländer, Kommu‐ nikationschef der VolkswagenStiftung, in der Zeit die Krisensituation in ziemlich drastischer Weise: „Während in der akademischen Bubble noch nach alter Sitte mit dem Florett um das bessere Argument gefochten wird, toben in der wirklichen Welt - zu der ich die sozialen Medien rechne - wütende Stämme, die mit Streitaxt und Gebrüll der Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit rauben wollen und dabei furchterregend effektiv sind“ (Rehländer 2021). Fakten allein würden nicht überzeugen, konstatiert Rehländer. Wenn Wis‐ senschaft in der medialisierten Gesellschaft eine Stimme behalten wolle, müsse sie etwas tun, was ihr ureigentlich widerstrebe: „schnell sein, laut sein und angriffslustig“ (Rehländer 2021). Im Endeffekt ist es die Empfehlung, die Empörungsrituale der öffentlichen Kommunikation zu kopieren. In einer kritischen Replik auf Rehländer betonen Elisabeth Hoffmann, Kom‐ munikationschefin der Technischen Universität Braunschweig, und Markus Weißkopf, Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH Wissenschaft im Dialog, ein angriffslustiges Auftreten würde der Wissenschaft schaden. Vielmehr sollte „sie lieber sorgfältig hinhorchen, welche Botschaften die Gesellschaft überhaupt empfängt“ (Hoffmann/ Weißkopf 2021, S. 41). Eine besonders ‚laute Aufklärung‘ führe in hochpolitisierten Themenfeldern zu einer verstärkten Polarisierung. Das wichtigste Anliegen sollte sein, die Prozesse und Methoden, die sorgfältige Qualitätssicherung sowie die Werte von Wissenschaft zu vermitteln. Wie Wissenschaftler: innen besser und erfolgreicher auf zweifelnde Bürger: innen zugehen sollen, sehen Hoffmann und Weißkopf als „eine der größten Herausforderungen des Wissenschafts‐ systems“ (ebd., S. 41). Wie unsere bisherigen Ausführungen zeigen, könnte ein gangbarer Weg darin liegen, Fakten, wissenschaftliche Ergebnisse und Studieninhalte über seriöse narrative Darstellungsmodi eingängiger, verständlicher und partizi‐ pativer zu kommunizieren und gleichzeitig die Prinzipien und Regeln des wissenschaftlich-analytischen Vorgehens transparent zu machen. Gleichzeitig verlangen die Herausforderungen der Transformation dar‐ über hinaus einen intensiveren Austausch zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, auch über methodische Fragen. 137 2.11 Verbindendes in der Verschiedenheit 2.12 Der kommunikative Klimawandel Blickt man auf den derzeitigen Zustand der öffentlichen Kommunikation - wobei heute auch persönliche Informationen, Statements oder Storys durch die digitale Verbreitung über Blogs, Instagram und Co. rasch zu öffentlicher Kommunikation werden -, drängt sich der Gedanke an erwünschte und auch notwendige Konvergenz besonders auf. Die evidenten Polaritäten und Spaltungstendenzen in der Gesellschaft spiegeln sich in der Kommu‐ nikation wider oder werden durch aktuelle kommunikative Strukturen und Strategien insbesondere im Digitalen zementiert. Ständig werden „auf der Weltbühne des Netzes Polaritäten sichtbar und Kaskaden von Unter‐ schieden in neuer Unmittelbarkeit transparent - zwischen Reichen und Armen, Religionen und Nationen, Stadt und Land, zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Anywheres und Somewheres, also zwischen kosmopolitischen Globali‐ sierungsgewinnern und milieuverhafteten Globalisierungsverlierern“ (Pörksen/ Schulz von Thun 2020, S. 27f.). Die Kommunikation radikalisiert sich, das Miteinander-Reden eskaliert zu einem Aufeinander-Einbrüllen, der Diskurs verwildert, die Grenzen des Sagbaren verschieben sich hin zu einer Normalisierung des Extrems, hoch emotional wird über gefühlte Wahrheiten gestritten, es dominiert die Empörungsrhetorik, das Netz hat sich zum Medium der radikalen Differenzerfahrung entwickelt, das Misstrauen gegenüber den Medien wächst und die Empörungsdemokratie löst langsam die Mediendemokratie ab (Pörksen/ Schulz von Thun 2020, S. 10-36) - so deutlich beschreibt der Tü‐ binger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in seinem Buch geworde‐ nen Dialog mit dem Hamburger Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun (Die Kunst des Miteinander-Redens) den „kommunikativen Klimawandel“ (ebd., S. 16). Hinzu kommt, wie in → Kapitel 1 ausgeführt, der strategisch-manipula‐ tive Einsatz von Hatespeech, z. B. gegenüber politischen Konkurrent: innen, sowie von unbelegten Verschwörungsnarrativen in populistischen sowie extremen Kreisen. Die neue negative Qualität liegt darin, dass damit Politik, sogar Weltpolitik, betrieben wird und eine große Menge an Bürger: innen für die eigenen politischen Zwecke mobilisiert werden kann, wie der Blick in die USA zeigt. Donald Trump erfüllt in bizarrer, intentionaler Weise, was der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt über den ‚narrativen Menschen‘ 138 2 Storyporting als konzeptionelle map schreibt: Dieser könne das von ihm Dargestellte gar nicht unmanipuliert lassen (Breithaupt 2020, S. 118). Und: „Er fingiert, findet Ausreden, lügt“ (ebd., S. 120). Die öffentliche Kommunikation zeigt sich gegenwärtig in weiten Teilen als so problematisch, dass es nicht verantwortungsvoll erscheint, sie in diesem Zustand an junge und weiter nachfolgende Generationen zu übergeben. In Verbindung mit den zunehmend evident geworde‐ nen Polarisierungstendenzen, die sich darin abbilden, relativiert oder gefährdet sie sogar den gesellschaftlichen Diskurs und Konsens. So gesehen ist die derzeitige öffentliche Kommunikation - die in die verschiedensten Organisationen und gesellschaftlichen Funktionsbe‐ reiche diffundieren kann - als nicht nachhaltig zu bezeichnen. Reflexion | Was denken Sie? Sollte im Kontext der Nachhaltigen Entwicklung neben der ökologi‐ schen, ökonomischen und sozialen Ebene auch die kulturelle bzw. kommunikative Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen? Neben einem Übermaß an verbaler Aggression, einer „Verpöbelung von Diskurs und Debatte“ (Pörksen/ Schulz von Thun 2020, S. 39) und gleichzeitig einer moralisierenden Hypersensibilität diagnostiziert der Medienwissen‐ schaftler Pörksen in der Gesellschaft aber auch ein „echtes Bemühen um eine achtsame, wertschätzende Kommunikation“ (ebd., S. 39). Letzteres gilt es als Ziel zu fokussieren, wenn nach einem Kommunikationsprinzip zu suchen ist, das den großen Herausforderungen der (digitalen) Transformation gerecht wird und die gesellschaftliche ‚Gereiztheit‘ zu mindern versucht. Von einem Minimum an Wertschätzung auszugehen, wenn man mit dem anderen sprechen möchte, darin liegt für Pörksen und Schulz von Thun die Basis von Kommunikation (ebd., S. 23). Zudem empfehlen sie, „stets möglichst genau hinzuschauen und die diffamierende Verallgemeinerung nach Möglichkeit zu vermeiden“ (ebd., S. 23), sowie Verstehen zu entwickeln (ebd., S. 24). Für sie geht es um Annäherung und Auseinandersetzung. Im Zweifel ist die Position des anderen hart zu kritisieren, aber bei gleichzeitiger Wertschätzung der Person (ebd.). Menschen und Probleme getrennt voneinander zu behandeln, hart in der Sache, aber weich zu den Menschen zu sein, dies haben William L. Ury 139 2.12 Der kommunikative Klimawandel und Roger Fisher bereits in ihrem erstmals 1981 veröffentlichtem Harvard- Konzept als wichtiges Prinzip adressiert. Die von den US-amerikanischen Rechtswissenschaftlern entwickelte Methode des sachbezogenen Verhan‐ delns sieht zudem u. a. vor, sich auf Interessen und nicht auf Positionen zu konzentrieren, Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil zu entwickeln und auf die Anwendung neutraler Beurteilungskriterien zu bestehen. Das Ziel der Verhandlungsmethode liegt darin, eine für beide Seiten sinnvolle und konstruktive Einigung zu erreichen (Fisher et al. 2015). 2.13 Storyporting: Storytelling und Reporting In der Gesamtschau lassen das bereits präsente technologische und öko‐ nomische Paradigma der digitalen Konvergenz, die transformationalen Herausforderungen der VUCA- und BANI-Welt für Organisationen und deren Mitglieder, der Mangel an Resonanz, die polarisierenden Tendenzen und Krisen in der postmodernen Gesellschaft sowie vor allem auch der ‚kommunikative Klimawandel‘ ein Kommunikationsprinzip erwünsch‐ ter Konvergenz so sinnvoll wie notwendig erscheinen. Die Konvergenz des Realen und Digitalen wird in dem Megatrend der Konnektivität konsequent in ein neues Verständnis der vernetzten Realität als einem ganz‐ heitlichen Zusammenspiel beider Dimensionen überführt. Dabei werden menschliche Bedürfnisse konsequent ins Zentrum gestellt mit dem Ziel, das Reale und Digitale „im Sinne humaner Kriterien und Grenzen“ auszu‐ balancieren (Zukunftsinstitut 2021). Dieses neue Verständnis verdeutlicht, dass es bei der digitalen Transformation und der daraus resultierenden Konvergenz im Kern weniger um technologische Neuentwicklungen geht, sondern vor allem um real-digitale soziale Resonanzen und eine real-digitale Unternehmens- und Führungskultur (ebd.). Das Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz kann begrifflich mit Storyporting gefasst werden. Bezeichnet wird damit die Verbindung von faktualem, identifikationssowie partizipationsförderndem Storytelling und dem logisch-nüchternen, auch wissenschaftlich-analytischen Darstel‐ len von Daten, Fakten und Kennzahlen. Storyporting ist in diesem makrospezifischen Kommunikationskon‐ text als eine konzeptionelle map zu verstehen (→ Abbildung 1). Als solche steht Storyporting programmatisch für eine erwünschte Kon‐ 140 2 Storyporting als konzeptionelle map vergenz - von (Zukunfts-)Narrativ und datenbasierter Analyse, von Emotion und Kognition, Besonderem und Allgemeinem, bottom up und top down, Annäherung und Auseinandersetzung, Resonanz und Res‐ sourcenbezug, Erfahrung und Wissen, Singularität und Gemeinsinn, Beziehungs- und Inhaltsaspekt von Kommunikation, Individual- und Systemethik, medialer Öffentlichkeit und Wissenschaft, Heuristik und wissenschaftlicher Methodik, Hermeneutik und empirischer Sozialfor‐ schung. Und Storyporting steht für das Sowohl-als-auch. Emotion Kognition Erfahrung Wissen Individualethik Systemethik Annäherung Auseinandersetzung Singularität Gemeinsinn mediale Öffentlichkeit Wissenschaft das Besondere das Allgemeine bottom up top down Vision Realität Heuristik wiss. Methoden Beziehungsaspekt Inhaltsaspekt Narrativ datenbasierte Analyse Resonanz Ressourcenbezug Hermeneutik empirische Sozialforschung Konvergenz Abbildung 1: Erwünschte Konvergenz - konzeptionelle map; Quelle: eigene Darstellung. Zu den zentralen Struktur- und Zielaspekten des Storyportings als konzep‐ tionelle map für ein Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz sollten Transparenz, Authentizität, Verlässlichkeit, Multiperspektivität, To‐ leranz und Partizipation zählen, aber auch Zugehörigkeit, Selbstverantwor‐ tung, Gemeinsinn - und Vertrauen. Welcher Kommunikations- und Darstellungsmodus ist geeignet, um eine Verbindung des Verschiedenen zu ermöglichen und die erwünschten Kon‐ 141 2.13 Storyporting: Storytelling und Reporting vergenzen in Kommunikationsprozesse einzubringen? Wie schafft man es, kommunikativ und darstellend die Bestandteile der Konvergenzen in eine Gleichzeitigkeit zu bringen? → Abbildung 2 zeigt das Kommunikationsfeld der erwünschten Kon‐ vergenzen in einer Art Trichter. Die einzelnen Punkte markieren dabei die relevanten Makrofaktoren, aus denen sich Storyporting, auf der opera‐ tionalen Ebene, als Kommunikations- und Darstellungsmethode ableitet. Storyporting Abbildung 2: Der Storyporting-Trichter; Quelle: eigene Darstellung. Diese Storyporting-Methode gilt es nun unter Berücksichtigung der dar‐ gestellten Makrofaktoren zu entwickeln. Bevor dies geschieht, sollen tra‐ dierte Denkmuster ins Bewusstsein gerückt werden, die affin zu einem Kommunikationsprinzip der erwünschten Konvergenz und elementar für eine differenzierte bzw. ganzheitliche Kommunikation sind. 142 2 Storyporting als konzeptionelle map 2.14 Das Allgemeine im Besonderen, das Besondere im Allgemeinen Sowohl die soziologische Gesellschaftsanalyse von Andreas Reckwitz, der eine Dominanz des Besonderen und eine Krise des Allgemeinen konstatiert, als auch das VOPA+-Element der Partizipation als Konvergenz von top down und bottom up führen zu zwei Denkmustern bzw. Verfahren, die für Verstehens- und Erkenntnisprozesse, aber spezifisch auch für eine konvergenzschaffende Kommunikation essenziell sind: Deduktion und Induktion. Die deduktive Denkbewegung verläuft bekanntlich vom Allge‐ meinen zum Besonderen, von oben nach unten, von der Theorie zur Empirie; der induktive Denk- oder Verfahrensschritt vom Besonderen zum Allgemei‐ nen, von unten nach oben, vom empirischen Befund zur Theorie(bildung). Eine bewusste und korrekte Umsetzung beider Denkbewegungen liefert die Basis für eine perspektivenreiche, mithin ganzheitliche Wahrnehmung, Darstellung, Analyse, Interpretation und Bewertung von Informationen, Themenkomplexen, Situationen, Vorgängen und Entwicklungen. Und genau darin wiederum liegt eine intellektuelle Voraussetzung oder auch Chance, bestehenden Polaritäten, Antagonismen und Asymmetrien kommunikativkonvergierend zu begegnen oder die Bildung neuer Brüche zu verhindern. Eine weitere basale Voraussetzung für einen perspektivenreichen (statt po‐ lar-einseitigen) intellektuellen und kommunikativen Umgang mit relevanten Themenkomplexen ist logisches, strukturierendes Denken und Vorge‐ hen. Und auch dies setzt die Fähigkeit voraus, etwa die einzelne Beobachtung, das Detail, oder die eigene, in diesem Sinne besondere Wertung induktiv in Bezug zum Allgemeinen zu setzen, z. B. zu übergeordneten Zusammenhängen oder gesellschaftlichen Werten - und umgekehrt das Allgemeine auf den Einzelfall. Induktive und deduktive Denkschritte anwenden zu können, bildet zudem die Grundlage dafür, systemimmanente Wertigkeiten einzelner Infor‐ mationen und Inhaltssegmente im Kontext eines übergeordneten Themas zu realisieren, was in Zeiten digitaler Instant-Kommentierungen und -bewer‐ tungen besonders wichtig ist (Nübel 2018, S. 257). Obwohl die Relevanz von Induktion und Deduktion für wissenschaftli‐ ches Arbeiten unbestritten ist und auch für schulisches Lernen wie für berufliche Kontexte auf der Hand liegt, machen Lehrende regelmäßig eine bemerkenswerte Erfahrung: Fragen sie Studierende von Eingangssemestern nach Induktion und Deduktion, müssen die allermeisten passen. Zuweilen signalisieren Studierende, die in der Schule im Philosophie-Kurs waren, dass 143 2.14 Das Allgemeine im Besonderen, das Besondere im Allgemeinen sie schon einmal davon gehört hätten. Und ganz wenige können es auch erklären. Ähnliches kann einem aber auch bei Vorträgen passieren, die von Personen im fortgeschrittenen Alter besucht werden. Fast gänzlich zur ‚Orchideen-Disziplin‘, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, scheint derweil die Beschäftigung mit dem Universalien‐ streit geworden zu sein. Dabei tradiert die jahrhundertalte, in der mittel‐ alterlichen Scholastik besonders heftig geführte Gelehrtendebatte um die Allgemeinbegriffe, um Wirklichkeit, Wahrheit und die Realität des Seins einen konvergierenden Denkansatz, der gerade in der ganz stark auf das Besondere, Singuläre fixierten Gegenwartsgesellschaft besonders relevant sein könnte. Schematisch dargestellt finden sich im Universalienstreit, zu dessen modernen Protagonist: innen etwa der französische Soziologe und Sozial‐ philosoph Pierre Bourdieu zählt, drei Grundpositionen. Da ist zum einen der auf Platon zurückgehende Realismus-Ansatz, dass die Universalien, die Allgemeinbegriffe (man könnte auch sagen: das Abstrakte, Theoretische), real existieren, unabhängig von den konkreten Einzeldingen (res) und sozu‐ sagen vor ihnen stehend (universalia ante rem). Konträr dagegen steht der nominalistische Ansatz, wonach Universalien lediglich verstandesmäßige Begriffsbildungen sind, nur die Dinge (also das Besondere) real sind und die Universalien quasi hinter ihnen rangieren (universalia post rem). Eine natur‐ wissenschaftlich-affine Denkweise, in der die Empirie dominiert. Zwischen diesen Denkpolen steht indes der auf Aristoteles zurückgehende Ansatz des gemäßigten Realismus. Danach existieren die Allgemeinbegriffe in den Dingen (universalia in rebus), und in den Dingen scheint das Allgemeine auf. Dieser Ansatz verbindet damit das deduktive und das induktive Denk‐ muster: das Allgemeine im Besonderen, das Besondere im Allgemeinen. Man kann darin sowohl ein Moment der Konvergenz als auch einen Aspekt der Ganzheitlichkeit sehen. Wenden wir die drei verschiedenen Grundpositionen des Universalien‐ streits auf den Umgang mit Themenkomplexen und auf Kommunikation an, zeigt sich beim Realismus-Ansatz die Gefahr, dass primär oder sogar ausschließlich die Ebene des Allgemeinen, Theoretischen und Abstrakten dominiert. Dies kann dazu führen, dass die Auseinandersetzung mit einem Thema bzw. die Kommunikation zu einem Thema im allzu Theoretischen, Grundsätzlichen oder Unbestimmten bleibt - dass sozusagen vor lauter Wald die einzelnen, konkreten Bäume nicht gesehen werden. Im Kontext des Nominalismus-Ansatzes kann wiederum die Gefahr lauern, dass die 144 2 Storyporting als konzeptionelle map Beschäftigung mit einem Thema bzw. die Kommunikation dazu in singulä‐ ren Einzeldingen, Details oder konkreten Beispielen steckenbleibt, ohne Übergeordnetes, vielleicht auch Normatives mitzubeachten. Oder um es wiederum populär auszudrücken: dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Passiert es nicht gerade in heutigen gesellschaftlichen Diskussionen und alltäglichen Kommunikationskontexten sehr häufig, dass es ent‐ weder (zu) stark im Allgemeinen, auch Vagen bleibt (man denke z. B. an so manche Wortwolken in der Politik) oder aber dass das Einzelne, der besondere Fall, das spezifische Beispiel verabsolutiert wird und solche Einzeldinge nicht selten ohne rechten Zusammenhang nebeneinanderstehen? Mit Blick auf die Gesellschaftsanalyse von An‐ dreas Reckwitz könnte man sich darüber hinaus auch pointiert fragen: Spiegelt sich in der Gegenwartsgesellschaft der Singularitäten mit all ihren ich-betonten Performances und Aufmerksamkeitswettbewerben eine durch Subjektivität nominalistisch zersetzte Realität? Da der konvergente Ansatz des gemäßigten Realismus es erfordert, das Allgemeine und das Besondere, damit etwa auch die Idee und deren konkrete Gestaltung, immer in einen wechselseitigen Bezug zu stellen, kann seine konsequente Umsetzung das Denken und auch Kommunizieren perspektivenreicher, präziser und reflexiver werden lassen. Dies lässt sich vergegenwärtigen, wenn dieser Universalia-in-rebus-Ansatz beispielhaft an einem der vorher genannten Struktur- und Zielaspekten durchdekliniert wird, nämlich an Toleranz. Auf der Ebene des Allgemeinen handelt es sich bei Toleranz um einen ethi‐ schen Wert, der für eine demokratische, pluralistische Zivilgesellschaft von großer grundsätzlicher Bedeutung ist. Er ließe sich etwa geistesgeschichtlich herleiten und definieren, und über seine hohe allgemeine Wertigkeit könnte trefflich räsoniert werden. Wird nun der Denkansatz herangezogen, dass die Idee sich im Besonderen erfüllen und sich im Konkreten die Idee zeigen soll, kann die Beschäftigung mit diesem Thema analytisch-präziser werden und gleichzeitig einen selbstreflexiven Effekt generieren. Dies bedeutet nämlich, dass Toleranz handelnd bzw. kommunizierend im ganz Konkreten einer Organisation, zwischen verschiedenen Individuen, aber auch in einer Gesellschaft oder zwischen einzelnen Staaten umgesetzt werden sollte. Und 145 2.14 Das Allgemeine im Besonderen, das Besondere im Allgemeinen umgekehrt: Im eigenen konkreten Handeln bzw. Kommunizieren muss Toleranz aufscheinen und gelebt werden (Nübel 2018, S. 263). Zugespitzt ließe sich im Kontext eines zentralen Transformationsthemas sagen: Nachhaltigkeit als allgemeines Handlungsprinzip der zukunftsori‐ entierten Ressourcenschonung kann ohne eine solche Denkhaltung nicht erfolgreich umgesetzt werden. Sie sollte daher in der Nachhaltigkeitskom‐ munikation aufgegriffen, unterstützt und forciert werden. 2.15 Zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht Zu einem Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz gehört auch, statt dem oft dominanten Binären das Dazwischen mitzudenken, wahrzu‐ nehmen und auszusprechen. Darin liegt ein wichtiges Moment für das gegenseitige Verständnis, sowohl was den Sach- und Beziehungsaspekt als auch das Selbstoffenbarende und Appelative in der Kommunikation angeht, um das bekannte Vier-Seiten-Modell (Kommunikationsquadrat) von Schulz von Thun zu bemühen (Schulz von Thun 2019). Auch oder gerade bei Entscheidungsfindungen kann es wichtig sein, Zwischenräume, Nuancen oder auch Zwischentöne mitzuberücksichtigen. Zudem ist jeder größere Veränderungsprozess und allzumal jede Variante von Transforma‐ tion im Zeit-Raum zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht situiert. Umso sinnvoller erscheint es daher, sich die Existenz und Relevanz dieses Dazwischen (wieder) bewusst zu machen. In der Literatur lassen sich dazu Spuren und Denkmuster finden. Im Zwischenraum des Nicht-mehr und Noch-nicht spielt sich Leben ab - und eine weltberühmte Szene: Zwei Liebende, Romeo und Julia, die nicht zusammen sein dürfen, haben gemeinsam eine Nacht verbracht. Am Morgen dämmert beiden, dass sie jetzt ein Problem haben - und sich entscheiden müssen. Die Frau hofft, dass der singende Vogel die Nachtigall war, der Nachtsänger, der morgens seinen Schnabel halten kann, und nicht die Lerche, der Tagvogel, der die Liebenden verpfeifen wird. Diese Konstellation gibt es in der Literatur seit langem. Es ist die Gat‐ tung des ‚Tagelieds‘, ihre typische Situation wird bereits in mittelalter‐ lichen Gedichten thematisiert, etwa vom Autor des Parzival, Wolfram von Eschenbach. Dem Wunsch nach einer erlebbaren, selbstbestimm‐ 146 2 Storyporting als konzeptionelle map ten Liebe zweier Menschen steht die Normkontrolle der Gesellschaft darüber entgegen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Existenziell greifbar wird das Denkmuster des Dazwischen bei Paul Celan. Der jüdische „Todesfuge“-Dichter („Der Tod ist ein Meister aus Deutsch‐ land“) sucht das nach dem Holocaust wieder mögliche Wort, das Sagbare und das Du - in seiner Muttersprache Deutsch, die gleichzeitig die Sprache der Verfolger ist, die auch seine Eltern getötet haben. Das Gedicht, so sagte Celan 1960 in seiner Büchner-Preis-Rede poetologisch-programmatisch, „ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nichtmehr in sein Immer-noch zurück“ (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung o. J.). Und: „Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu“ (ebd.). Beispiel | Gedicht In Paul Celans Gedicht „Sprachgitter“ werden dieser existenzielle Zwi‐ schenraum und die lyrische Annäherung eindrucksvoll nachvollziehbar - in vier Zeilen, die er in Paranthese gesetzt hat: „Wär ich wie du. Wärst du wie ich. Standen wir nicht unter einem Passat? Wir sind Fremde.“ Das Gleich-Sein von Ich und Du, in den Konjunktiv gesetzt, ist irreal geworden, nicht mehr möglich. Ein Bezug von Ich und Du muss erst wieder neu gesucht und gefunden werden. Die gemeinsame Geschichte wird fragend thematisiert: „Standen wir nicht / unter einem Passat? “ Und darauf folgt der Satz, der vordergründig negativ konnotiert zu sein scheint, beim genauen Wahrnehmen aber etwas Optimistisches freigibt: „Wir sind Fremde.“ Das Wir ist (wieder) möglich, im Sinne des Seins, wenn das Fremde und Andere mitgedacht werden - und akzeptiert werden. Ein Ausdruck von Zwischen-Menschlichem, der existenzieller, schwie‐ riger, aber wohl auch authentischer ist als die bloße Rede davon, wie wichtig kulturelles, religiöses und soziales Miteinander ist. 147 2.15 Zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht 3 Die Storyporting-Methode Überblick | Das erwartet Sie in diesem Kapitel Aus dem konzeptionell adressierten Kommunikationsprinzip erwünsch‐ ter Konvergenz wird jetzt die Storyporting-Methode entwickelt. Sie verbindet seriöses Storytelling mit evidenzbasiertem Reporting und lässt in einem dreistufigen Prozess eine Kommunikations- und Darstellungs‐ form entstehen, die u. a. subjektive Wahrnehmung und Analyse sowie Emotion und Kognition verbindet. In Ableitung der konzeptionellen map für ein Kommunikationsprinzip er‐ wünschter Konvergenz (→ Abbildung 1) und des Storyporting-Trichters (→ Abbildung 2) muss es der Anspruch und das Ziel sein, dass die zu bestimmende Kommunikations- und Darstellungsmethode in sämtlichen gesellschaftlichen Funktions- und Lebensbereichen einzusetzen ist. Dies ist aus zwei Gründen notwendig und sinnvoll: (1) sind die polarisierenden Tendenzen, die in → Kapitel 2 dargelegt wurden, ein Phänomen der gesamten postmodernen Gesellschaft. Sie lassen sich nicht auf einzelne Sektoren reduzieren, etwa auf die öffentliche Kommunikation. Antagonis‐ men, Singularitätswettbewerbe und auch die ‚Gereiztheit‘ der digitalen Gesellschaft oder konkrete problematische Faktoren wie Fake News, Ver‐ schwörungsnarrative oder Hatespeech können in jedem einzelnen Funkti‐ ons- und Lebensbereich auftreten oder dorthin diffundieren. Unternehmen, Kommunen, Verbände, politische Instanzen, soziale oder kulturelle Einrich‐ tungen sowie die individuellen Lebens- und Arbeitswelten von Bürger: innen sind davon gleichermaßen betroffen. (2) unterliegen alle gesellschaftlichen Funktions- und Lebensbereiche dem derzeitigen großen Wandel, dessen Herausforderungen, wie gesehen, einen anderen bzw. neuen Kommunika‐ tionsmodus erforderlich machen. Ausgehend von unserer zentralen Frage nach einem Kommunikationsprinzip sowie einer Kommunikations- und Darstellungsmethode, welche die Chancen des Storytellings nutzen, die Risiken reduzieren und dabei den Herausforderungen der (digitalen) Trans‐ formation gerecht werden, gilt: Diese Methode sollte konvergenzfördernd, transformational umsetzbar und ganzheitlich orientiert sein. Bei unserer Methodenentwicklung setzten wir bei der validen Storytel‐ ling-Methode an, die vom MIT Ende des vergangenen Jahrtausends erarbei‐ tet, an der LMU München analysiert sowie an der Universität Augsburg und am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart auf die deutsche Unternehmenswelt angepasst worden ist. Sie wird, wie gesehen, in zahlreichen Unternehmen bereits seit einiger Zeit realisiert. Der Blick auf weitere Einsatzfelder des faktualen Storytellings, vor allem aber die Bestandsaufnahme zur Nutzung narrativer Kommunikations- und Darstellungsmodi vor dem Hintergrund gegenwärtiger transformationaler Entwicklungen und Veränderungen ließen uns freilich konzeptionelle und methodische Modifikationen als sinnvoll und auch notwendig erscheinen. Der in verschiedenen Kontexten, u. a. im politischen Kontext, evident gewordene manipulative Missbrauch des faktualen Storytellings in intentio‐ nal-strategischer Form war und ist dafür ein ganz entscheidender Faktor. Bei der Methodenentwicklung flossen auch eigene Erfahrungen mit diversen Storytelling-Projekten ein. Die von uns konzipierte - und als Vorschlag zur Diskussion gestellte - Storyporting-Methode konvergiert das stark emotionsbezogene, potenziell identitätsstiftende und partizipationstaugliche Storytelling mit einem stär‐ ker kognitionsbezogenen, sachlich-nüchternen, analytischen und evidenz‐ basierten Kommunikations- und Darstellungsmodus, der insbesondere in der Wirtschaft begrifflich als Reporting firmiert. Daraus wird, als drittes und neues methodisches Element, ein Kommunikations- und Darstellungsmo‐ dus entwickelt, der Storytelling und Reporting beinhaltet - das eigentliche Storyporting. Storyporting wird damit als ein dreistufiger Kommunikations- und Darstellungsprozess definiert, der zwei grundlegenden Zielen folgt: (1) soll der dreistufige Prozess die gewünschten Konvergenzen, die in der konzeptionellen map aufgeführt sind, befördern und im besten Fall herbeiführen und (2) soll er partizipative, konsensfähige Transformationsbzw. Zukunftsnarrative generieren, die eine analytische, evidenzbasierte und kritisch-reflektierte Grundlage haben. Der gesamte Prozess wird bei der Umsetzung in Organisationen von einem professionellen Storyporting-Team begleitet. Im Einzelnen stellt sich das dreistufige Storyporting-Methodenkonzept folgendermaßen dar: 150 3 Die Storyporting-Methode 3.1 Erste Stufe: Narration - Storytelling und -listening Die Menschen erzählen anhand möglichst konkreter, erlebter Szenen oder Beispielen ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen, Gefühle und Gedanken zu einem vorgegebenen Thema, einer Situation, Veränderung oder Entwick‐ lung. Zuvor werden ihnen wesentliche Faktoren des Storytellings vermittelt, in Abgrenzung zum sachlich-nüchternen Bericht, der als schriftliche Dar‐ stellungsform erfahrungsgemäß bekannt(er) ist, u. a. aus dem Schulunter‐ richt oder aus Protokollen, z. B. im Kontext von Vereinen. Die Storys dürfen subjektiv und emotional sein, sie sollten verständlich, klar, offen, möglichst lebendig, ehrlich und zwingend glaubwürdig sowie authentisch sein. Zum Ehrlichkeits- und Authentizitätsgebot zählt auch, dass wesentliche Teile der Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte nicht aus strategischen Gründen weggelassen oder verkürzt werden. Den Teilnehmer: innen wird zudem empfohlen, allgemeinere Wahrnehmungen oder Sachverhalte mög‐ lichst an Beispielen zu konkretisieren (Deduktion) sowie ganz konkrete Wahrnehmungen und Sachverhalte, wenn möglich, in einen übergeordne‐ ten, allgemeinen Kontext zu stellen (Induktion). Zu berücksichtigen ist, dass Storytelling, wie die Bestandsaufnahme gezeigt hat, für viele Menschen, auch z. B. für Unternehmer: innen, noch recht ungewohnt ist und somit Barrieren oder Widerstände auftreten können. Daher werden die Teilnehmenden darauf hingewiesen, dass von ihnen keinesfalls eine professionelle Story erwartet wird, wie sie etwa die journalistische Reportage darstellt, sondern dass sie die Geschichte mit den stilistischen und sprachlichen Mitteln erzählen sollen, über die sie selbst verfügen. Es geht nicht um erzählerische Performance oder gar die Block‐ buster-Story, sondern um das eigene, originäre und lebensnahe Schildern von Wahrnehmungen und Erfahrungen - und auch darum, Erfahrungen im Storytelling zu sammeln. Dazu gehört, dass die Wahrnehmung von Widersprüchen oder Brüchen sowie die Erfahrung bzw. Befürchtung von Misslingen und Scheitern offen geschildert werden können/ sollen. Dieses Moment des Originären und der unmittelbaren Selbsterfahrung im Storytelling begründet den Umstand, dass - im Gegensatz zu dem vom MIT erarbeiteten Konzept - methodisch von (narrativen) Interviews abgesehen wird, aus deren Rohmaterial dann professionelle Storyteller: innen die jewei‐ lige Erfahrungsgeschichte verfassen. Vielmehr erfolgen die Erzählungen je nach Talent der Menschen als geschriebener Text, mündliche Schilderung, 151 3.1 Erste Stufe: Narration - Storytelling und -listening als Video, als Graphic Novel, als szenisches Spiel, Improvisationstheater, als Fotocollage usw. Das vorgegebene Thema wird den Teilnehmenden möglichst eingängig und verständlich nahegebracht. Dabei gilt es zu erläutern, worin seine Relevanz sowohl für die Institution, z. B. ein Unternehmen oder eine Kommune, als auch für die Menschen selbst liegt. Verständnisfragen sind klar und verständlich zu beantworten. Mit Blick auf die transformational wichtigen Aspekte der Partizipation und des Vertrauens (VOPA+-Modell) muss es auch möglich sein, dass Mitglieder einer Institution, ungeachtet ihrer hierarchischen Position, ein Thema begründend vorschlagen können, das in dem dreistufigen Kommunikationsprozess behandelt wird. Geichzei‐ tig sollten sich Führungskräfte in den gesamten Prozess aktiv einbinden, im ersten methodischen Schritt also auch eine Wahrnehmungs- und Erfah‐ rungsgeschichte erzählen. Erfahrungen aus dem Storytelling-Projekt „ErzählRaum“ (Müller 2020, S. 147-150), das ein Mitglied des Autor: innenteams gemeinsam mit dem Stuttgarter Storytelling-Experten Michael Müller und der Stiftung Geiß‐ straße in Stuttgart konzipiert und realisiert hat, zeigen, dass es sinnvoll sein kann, den Teilnehmenden ‚Wegweiser’ für ihre Geschichten an die Hand zu geben. Das Projekt bietet Menschen die Möglichkeiten, ihre Erfahrungsgeschichten zu teilen, „ohne sofort in einen Austausch von Meinungen, Haltungen, Argumenten zu kommen“ (ebd., S. 148). Gerade bei Transformationsstorys bietet sich dabei die Trias von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an: ■ Vergangenheit: Erzählen Sie bitte ein Erlebnis oder eine Erfahrung aus Ihrem (Arbeits-)Leben, das/ die Ihnen Mut für die Zukunft macht oder Sie zweifeln lässt, ob wir auf dem richtigen Weg sind. ■ Gegenwart: Erzählen Sie erst kürzlich stattgefundene Erlebnisse, die Ihnen das Gefühl geben, dass sich gerade etwas verändert - im Positiven wie im Negativen. ■ Zukunft: Erzählen Sie (fiktive) Erlebnisse, Situationen oder Erfahrun‐ gen, die Sie in naher oder ferner Zukunft gerne erleben würden. Was den narrativen Blick aus der Gegenwart in die nahe oder fernere Zukunft angeht, können die Teinehmenden auch dazu angeregt werden, in ihren Geschichten neben Best-Case-Szenarien auch Worst-Case-Sze‐ narien zu schildern. Nimmt man als Beispiel das Thema Digitalisierung 152 3 Die Storyporting-Methode in einem mittelständischen Unternehmen oder einer kommunalen Verwal‐ tung, könnten solche ,Wegweiser’ so aussehen: ■ Bitte schildern Sie konkrete Situationen aus Ihrem gegenwärtigen Arbeitsleben, in denen Sie bereits Erfahrungen mit Digitalisierung gemacht haben. ■ Wie sieht für Sie das künftige digitale Arbeitsleben im Idealzustand aus? ■ Welche negativen Szenarien sollten für ihr künftiges Arbeitsleben in diesem Zusammenhang vermieden werden? Im Sinne des Storylistenings werden die Geschichten der Teilnehmenden nicht kommentiert, interpretiert oder bewertet, sondern stehen zunächst für sich, als narrative Dokumente von Wahrnehmungen, Erfahrungen, Gefüh‐ len und Gedanken zum jeweiligen gegenwartsbezogenen und gleichzeitig zukunftsorientierten Thema. Aus diesen Geschichten werden - möglichst auch in einem partizipativen, zumindest aber transparenten Vorgehen - Themensegmente identifiziert, geclustert und kategorisiert. Methodisch können hier die qualitative Inhaltsanalyse oder auch klassische Moderati‐ onstechniken eingesetzt werden. Dabei könnten z. B. aus einem Themen‐ cluster die Kategorie ,Angst vor Jobverlust‘ oder auch ,Neue Chancen für das eigene Arbeitsleben‘ identifiziert werden. 3.2 Zweite Stufe: Reporting Die aus den Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichten identifizierten Themen(segmente) und Kategorien werden nun - in partizipativer Form - einer sachlich-nüchternen Betrachtung bzw. evidenzbasierten Analyse unterzogen. Dies erfolgt zunächst in Form eines Fakten- und Quellenchecks (z. B. Wo sind subjektive Wahrnehmungen und Schilderungen belegbar falsch? An welchen Stellen und in welchen Zusammenhängen beziehen sich Wahrnehmungen und Darstellungen auf Informationsquellen, die nachge‐ wiesenermaßen nicht valide genug sind? ). Wichtig ist zudem die Differen‐ zierung zwischen deskriptiven Storypassagen im Nachrichtenduktus und reinen Meinungsäußerungen - und einer Klarstellung, wenn vermeintliche Fakten tatsächlich Meinungen sind oder Meinungen bzw. Bewertungen als Fakten dargestellt worden sind. Der Fakten- und Quellencheck dient insbesondere dazu, eine authentische und verlässliche Datengrundlage zu generieren und frühzeitig zu verhindern, dass eventuelle Fake News 153 3.2 Zweite Stufe: Reporting oder Ansätze von Verschwörungsnarrativen in den Kommunikations- und Darstellungsprozess einfließen und diesen verzerren. Zum methodischen Reporting-Schritt gehört aber auch die Bereitstel‐ lung und Berücksichtigung von relevantem Datenmaterial und/ oder empirischen Methoden. Dazu zählen z. B. Kennzahlen, statistische Da‐ ten, KPIs, datenbasierte Prognosen, Bedarfserhebungen, Ressourcenberech‐ nungen, Kosten-Nutzen-Analysen, Entwicklungspläne, wissenschaftliche Erkentnisse, qualitative und/ oder quantitative Analysen, rechtliche Fakten und weitere Arten von Informationen sowie Methoden, die für das jeweilige Thema oder die jeweilige Kategorie zentrale Bedeutung haben. Im Falle des Digitalisierungsthemas in einem mittelständischen Unternehmen wären dies z. B. Angaben darüber, wie viele Zeitstunden bei Mitarbeiter: innen durch die Digitalisierung etwa im Einkauf im operativen Geschäft freigesetzt werden und wie diese für andere Themen wertstiftend eingesetzt werden können. Die Kategorie erhält dadurch faktische Kontur und analytische Evi‐ denz, z. B. Zeiteinsparung im katalogbasierten Einkauf von 30 Prozent - Zeit, die wertstiftend in die Qualität der Lieferantenbeziehung investiert werden kann. Entsprechend könnten es im Falle einer kommunalen Verwaltung z. B. Ergebnisse einer Umfrage unter Bürger: innen sein, wie wichtig ihnen Digitalisierungsschritte in welchen Verwaltungssektoren sind, oder auch datenschutzrechtliche Bestimmungen, die es zu beachten und einzuhalten gilt. Führungskräfte sind angehalten, diese Datenbasis offenzulegen und mit derselben Transparenz auch strategische Zielsetzungen und, wenn bereits vorhanden, geplante operative Maßnahmen zu kommunizieren. Die Mitar‐ beiter: innen eines Unternehmens bzw. Mitglieder einer Organisation stehen wiederum in der Pflicht, vertraulich mit diesen Daten umzugehen und sie im Kontext des jeweiligen Themas bzw. der jeweiligen Kategorie mit der nötigen Intensität zu berücksichtigen. Ein weiteres essenzielles Reporting-Element besteht in der - auch wie‐ derum partizipativen - Auseinandersetzung mit Best-Case-Szenarien und Worst-Case-Szenarien, die in den Storys explizit geschildert oder implizit thematisiert worden sind. Im Fokus stehen zwei Fragen: Was muss von der Organisation und ihren Mitgliedern alles beachtet und getan werden, um den Best Case zu erreichen? Und: Was muss alles beachtet und getan werden, um den Worst Case zu vermeiden? Es geht also darum, anhand der generier‐ ten Storys und der nun vorhandenen Datenbasis gemeinsam verschiedene 154 3 Die Storyporting-Methode transformationale bzw. zukunftsorientierte Handlungsoptionen, Kon‐ zepte und Lösungsansätzen analytisch-reflektiert zu identifizieren. In diesem Kontext ist ein weiteres Reporting-Element besonders wich‐ tig: die gemeinsame (selbst-)kritische Reflexion aller am Storyporting- Prozess Beteiligter. Es gilt die Umsetzbarkeit von transformationalen Hand‐ lungsoptionen, Konzepten und Lösungsansätzen nicht nur funktional zu reflektieren, also z. B. in technologischer, organisationaler oder juristischer Hinsicht. Vielmehr sollten insbesondere auch die Nachhaltige Entwicklung mit ihren drei Ebenen Ökonomie, Ökologie und Soziales intensiv berück‐ sichtigt werden - sowie Werte, die auf organisationaler, Team- und indivi‐ dueller Ebene relevant sind (Erpenbeck/ Sauter 2020, S. 8), mögliche ethische Dilemmata, Widersprüche zur Corporate Governance und Standards bzw. Modelle zu deren Lösungen. Reflexion | Was denken Sie? Worin können bei Transformationsthemen und -prozessen ethische Dilemmata liegen? Es ist zu erkennen, dass Reporting im Kontext dieses Methodenkonzepts begrifflich und inhaltlich deutlich weiter gefasst ist als im wirtschaftsspe‐ zifischen Zusammenhang. Grundsätzlich dient es dazu, das Warum, Wie und Was im Kontext eines (transformationalen) Themenkomplexes oder Prozesses möglichst objektiv und systematisch zu konturieren. Sämtliche Reporting-Schritte erfolgen partizipativ, das bedeutet, dass alle Storyteller: innen und Storylistener: innen, d. h. Mitarbeiter: innen bzw. Organisationsmitglieder, aktiv eingebunden werden. Am Ende dieses zwei‐ ten methodischen Schrittes sind die Voraussetzungen für eine Konvergenz gegeben, indem Narration und datenbasierte Analyse zusammengesetzt werden. 3.3 Dritte Stufe: Storyporting In diesem dritten Schritt erzählen die Menschen - über alle Hierarchieebe‐ nen z. B. eines Unternehmens oder einer Behörde hinweg - die Geschichte neu, wie sie sich ihnen jetzt darstellt. Das heißt erstens, dass sie die aus dem Reporting-Schritt gewonnenen Daten, Fakten, Quellen, Informationen 155 3.3 Dritte Stufe: Storyporting oder auch Methoden in ihre eigene Story einbauen. Damit soll die subjektive und emotionsbezogene Darstellung des Themas aus dem ersten Storytelling- Schritt objektiviert und die kognitive Auseinandersetzung mit dem Thema befördert werden. Dies kann zu inhaltlichen Korrekturen der bisherigen Darstellung und darüber hinaus zur Generierung weiterer oder neuer Perspektiven auf das Thema oder auf eine spezifische Kategorie führen. Die Geschichte wird durch solche Korrekturen und Ergänzungen sachlich präziser und an Stellen, die bisher eventuell eher abstrakt bzw. allgemein gehalten waren, auch ein Stück konkreter sowie in der Perspektivik diffe‐ renzierter. Zweitens integrieren die Teilnehmenden Ergebnisse aus der gemeinsa‐ men Erörterung im Reporting-Teil, was geschehen muss/ soll, damit Best- Case-Szenarien realisierbar und Worst-Case-Szenarien verhindert werden (Handlungsoptionen, Lösungsansätze), in ihre jeweilige Geschichte. Dies kann Unsicherheiten, Befürchtungen, Ängste oder Widerstände aufseiten der Organisationsmitglieder reduzieren und deren Motivation, am Thema bzw. Transformationsprozess aktiv sowie konstruktiv mitzuwirken, er‐ höhen. Zugleich kann damit aber auch ein Wissen und Bewusstsein dafür gefördert werden, dass und welche Fehler, Hindernisse, Probleme oder auch Konflikte im Kontext des Themas bzw. des Transformationsprozesses auftreten können - und dass auch ein Scheitern nicht auszuschließen ist. Reflexion | Was denken Sie? Wie wichtig oder sinnvoll ist es, bei Veränderungsbzw. Transformati‐ onsprozessen auch die Möglichkeit des Scheiterns offen anzusprechen? Drittens greifen die Teilnehmenden an entsprechenden Stellen der jeweili‐ gen Geschichte Aspekte der Nachhaltigen Entwicklung, Wertevorstel‐ lungen sowie eventuelle ethische Dilemmata und mögliche Lösungs‐ ansätze auf. Dies erweitert zusätzlich die Pespektive auf das jeweilige (Transformations-)Thema oder auf eine spezifische Kategorie um Aspekte, die im Kontext des Wandels besonders relevant sind. Es ist auch möglich, dass Teilnehmende, die eine Geschichte bzw. ein darin geschildertes Thema als Storylistener: innen rezipiert haben, diese Story bzw. dieses Thema auf der Basis des Reportings neu erzählen und dies so an die ursprünglichen ,Urheber: innen‘ zurückspiegeln. Damit intensiviert 156 3 Die Storyporting-Methode sich der Kommunikations- und Darstellungsprozess in partizipativer bzw. kollaborativer Weise. Für die Storyporting-Geschichte gilt ebenfalls das Gebot von Ehrlich‐ keit, Transparenz und Authentizität. Die entstandenen Geschichten werden allen Mitgliedern der Organisation zugänglich gemacht. Dies kann z. B., wenn vorhanden, via Intranet erfolgen, denkbar ist aber auch die Generierung eines digitalen Storyporting-Magazins zu dem jeweiligen (Transformations-)Thema. In begründeten Fällen können Teilnehmer: in‐ nen, wenn sie es wünschen, die Geschichten anonymisiert abgeben. Im Sinne eines transparenten, partizipativen Prozesses ist es freilich erstrebens‐ wert, dass der überwiegende Teil der Teilnehmenden ihre Geschichten mit ihren Namen zeichnen, was letztlich auch Indikator für eine offene und vertrauensvolle Organisationskultur wäre. Mit Blick auf den Aufwand und das Engagement aller Organisationsmitglieder bei der Realisierung des gesamten Kommunikationsprozesses sollte die interne Präsentation der Storyporting-Geschichten in jedem Fall wertschätzenden Charakter haben. Was für alle Segmente des dreistufigen Prozesses gilt. Indem alle Teilnehmenden daten- und evidenzbasiert, best-case- und worst-case-bezogen, ethikgeleitet und in der Nachhaltigkeit verankert die jeweiligen Geschichten erzählen, entsteht ein transparenter und differen‐ zierter 360-Grad-Blick auf das jeweilige (Transformations-)Thema oder die jeweilige Kategorie, zugleich aber auch auf das Unternehmen bzw. die Organisation. Dies erzeugt eine Identifikation der Mitglieder mit der Unternehmensbzw. Organisations-Story, was wiederum die Bereitschaft zum aktiven, konstruktiven und reflektierten Mitwirken am Transforma‐ tionsprozess steigert. Zugleich ist die jeweilige Storyporting-Geschichte für das einzelne Organisationsmitglied auch ein ganz eigenes, sozusagen persönliches Dokument der bzw. seiner Transformation. Es identifiziert seine eigenen Stärken und daraus entstehende Möglicheiten, freilich auch Schwächen und mögliche Risiken, denen er oder sie sich stellen sollte, um die transformationalen Herausforderungen möglichst erfolgreich zu bewältigen. Zudem lassen sich aus den Storyporting-Geschichten mögliche generationsspezifische Unterschiede sowie intergenerative Bedarfe und auch Chancen ableiten, was für einen erfolgreichen Transformationspro‐ zess, der alle Organisationsmitglieder betrifft und alle mitnehmen sollte, elementar wichtig ist. In → Abbildung 3 sind die drei Schritte zusammenfassend dargestellt. 157 3.3 Dritte Stufe: Storyporting Abb. 3: Storyporting in drei Schritten ❶ Narration Storytelling und -listening ❷ Reporting Datenbasis, Methoden, Analyse, Reflexion ❸ Storyporting Neu-Erzählung daten- und evidenzbasiert, reflektiert Abbildung 3: Storyporting in drei Schritten; Quelle: eigene Darstellung. Abb. 4: Storyporting-Loop ❶ Narration Storytelling und -listening ❷ Reporting Datenbasis, Methoden, Analyse, Reflexion ❸ Storyporting Neu-Erzählung daten- und evidenzbasiert, reflektiert Abbildung 4: Der Storyporting-Loop; Quelle: eigene Darstellung. 158 3 Die Storyporting-Methode Bei größeren Änderungsprozessen, vor allem aber bei Transformations‐ prozessen, deren Abschluss terminlich nicht definitiv zu bestimmen ist, sollte der dreistufige Kommunikationsprozess wiederholt werden. Dazu bieten sich Zeitpunkte an, an denen Meilensteine realisiert worden sind und neue an‐ stehen. Damit wird die Storyporting-Methode verstetigt und gleichzeitig an neue situative oder strukturelle Gegebenheiten angepasst. So entsteht ein Storyporting-Loop, über den die Organisationsmitglieder gemeinsam die Transformation in Echtzeit erleben, gestalten und umsetzen (→ Abbildung 4). Bei der beschriebenen Storyporting-Methode handelt es sich um einen Prototyp. Er wird jeweils den spezifischen Bedarfen, Zielsetzungen und Rahmenbedingungen sowie der Größe der jeweiligen Organisation ange‐ passt. Dies geschieht in enger Abstimmung des professionellen Storypor‐ ting-Teams sowohl mit der Leitung der Organisation als auch mit deren Vertreter: innen. Zeitlich kann sich der jeweilige dreistufige Storyporting-Kommunika‐ tionsprozess über mehrere Tage oder auch Wochen erstrecken. Der Storyporting-Loop wiederum kann, je nach Größe und Nachhaltigkeit des (Transformations-)Projekts, mehrere Jahre andauern. Möglich ist es aber auch, diese Methode in Tagesveranstaltungen bzw. Formaten umzusetzen, die nur von kurzer Dauer sind. Anwendungsbeispiele und Vorschläge für entsprechende Veranstaltungen, Tools und Formate finden sich im nächsten Kapitel. 159 3.3 Dritte Stufe: Storyporting 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Überblick | Das erwartet Sie in diesem Kapitel In zehn ausgewählten Tools und kreativen Formaten werden Anwen‐ dungsbeispiele und -möglichkeiten aus den Bereichen der Schul- und Hochschulbildung, der Kommunen, des bürgerlichen Engagements, der Medien und der sozialen Arbeit gezeigt. Die Formate sind insbesondere auch in unternehmerischen Kontexten anwendbar. 4.1 Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting- Methode Wie wollen, sollen und werden wir in Zukunft leben und arbeiten? In partizipativer Form und in Anwendung der Storyporting-Methode Men‐ schen dazu zu motivieren, Wege in die Zukunft und damit die Transfor‐ mation zu denken und ein konkretes Stück weit auch mitzugestalten, darin liegt der inhaltliche Schwerpunkt dieses ca. dreistündigen Veran‐ staltungstools. Zielgruppen sind sowohl Bürger: innen einer Kommune oder einer Region sowie Mitglieder einer spezifischen Organisation, z. B. eines Unternehmens. Das erste thematische Segment, wie Menschen in Zukunft leben und arbeiten wollen, also ihre Wünsche, Träume und auch Sehnsüchte oder Visionen, wird im dreistufigen Soryporting-Kommunikationsprozess via Storytelling und Storylistening (Stufe 1) aufgegriffen. Das Sollen wie‐ derum impliziert ethische Fragestellungen sowie Aspekte der Nachhaltigen Entwicklung, die wesentliche Bestandteile der zweiten, analytischen und evidenzbasierten Stufe, des Reportings, sind. Aus dem Wollen, sprich den zukunftsorientierten Best-Case-Szenarien, und der reflektierten Aus‐ einandersetzung mit dem Nötigen und auch Normativen (Sollen) entwickelt sich in der dritten Storyporting-Stufe die (Handlungs-)Perspektive des Werdens. In der ersten Stufe wird den Teilnehmenden dieses Zukunftscamps zu‐ nächst strukturierendes Denken in Form von Deduktion und Induktion vermittelt. Es wird dargelegt, dass es beim Storytelling wesentlich darum geht, ein allgemeineres, übergeordnetes Zukunftsthema an konkreten Szenen und Beispielen zu schildern (Deduktion) und umgekehrt an konkre‐ ten Beispielen ein allgemeines Thema zu adressieren (Induktion). Darauf aufbauend werden die Teilnehmenden dazu eingeladen, Themen, Trends oder Entwicklungen, aber auch Werte zu benennen, die ihnen mit Blick auf die eigene Zukunft oder die ihres Unternehmens, ihrer Kommune oder der gesamten Gesellschaft als besonders wichtig erscheinen. Dabei bezie‐ hen sich allgemeine Themen, z. B. Mobilität, auf konkrete Konsequenzen, Einzelphänomene oder Beispiele wie autonomes Fahren (Deduktion). Und umgekehrt ordnen die Teilnehmenden konkrete Aspekte, die ihnen als besonders wichtig erscheinen, systemisch den übergeordneten Themenbe‐ reichen zu (Induktion). Zudem überlegen sie, wie einzelne Themensegmente aufeinander Bezug nehmen, z. B. autonomes Fahren/ juristische und ethische Fragen. Im Anschluss werden die Teilnehmenden von zwei Moderator: innen dazu motiviert, aus der Gegenwart heraus zukunftsorientierte Geschichten zum selbst ausgewählten Thema mündlich zu erzählen, die möglichst in ihrer Kommune/ Region bzw. in ihrer Organisation spielen, und dabei Best-Case-Szenarien und/ oder Worst-Case-Szenarien zu entwickeln. Im Sinne des Storylistenings werden die Geschichten an dieser Stelle nicht kommentiert oder diskutiert, sie stehen sozusagen im Raum. Sinnvoll kann es sein, dass das Publikum am Anfang aufgefordert wird, Überschriften zur jeweiligen Story zu finden. Dies intensiviert die Beschäftigung mit der Geschichte und fördert gleichzeitig das partizipative Moment. Die vorgeschlagenen Überschriften werden möglichst gut sichtbar auf einem Board festgehalten, damit bleiben das jeweilige Thema und die Story dazu präsent. Und die Themen werden in diesem Kontext gleichzeitig geclustert. Mit Einwilligung der Teilnehmenden werden die mündlich vorgetragenen Geschichten aufgenommen und damit als narrative Dokumente festge‐ halten. Bei kleineren Gruppen bis zu 20 Personen haben alle Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Geschichte vorzutragen. Dies ist natürlich freiwillig. Bei einer größeren Zahl an Teilnehmenden wird vereinbart, dass zehn Storys vor dem Publikum erzählt werden, damit der Gesamtzeitrahmen eingehalten werden kann. Um sämtliche Zukunftsgeschichten wertzuschätzen und zu sichern, werden alle Storyteller: innen gebeten, im Nachgang ihre Geschichte aufzuschreiben und der veranstaltenden Einrichtung (z. B. Kommunalver‐ waltung oder Unternehmensleitung) zukommen zu lassen. Diese Storys 162 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate werden dann in einer weiteren Veranstaltung aufgegriffen und in den Story‐ porting-Prozess gegeben. Alternativ ist es möglich, dass die Bürger: innen bzw. Organisationsmitglieder im Vorfeld der Veranstaltung dazu aufgerufen werden, zukunftsorientierte Geschichten zu verfassen. Zehn ausgewählte Storys werden dann in der Veranstaltung von den jeweiligen Autor: innen vorgetragen, die anderen Geschichten bilden wiederum die Grundlage für weitere Veranstaltungen. In diesem Fall erfolgen die einführenden Erläu‐ terungen zum Storytelling vorab schriftlich oder in Form eines digitalen Meetings. Wie Anwendungserfahrungen zeigen, kann die kurze Präsentation einer Geschichte durch die Moderator: innen den Einstieg zum ersten Prozessschritt befördern bzw. erleichtern. Bei der Umsetzung dieses Storytelling-Teils in mehreren baden-württembergischen Städten im Rahmen einer Städtetag-Veranstaltungsreihe („Aufbrechen - wie wol‐ len wir leben? “) wurde einmal der Text einer 17-jährigen Abiturientin vorgelesen. Sie erzählt darin, wie ihre Freund: innen und sie in einer Kneipe sitzen und überlegen, wie es jetzt nach dem Abi mit ihnen weitergehen soll. Eine Ausbildung zu einem Beamtenjob? Das wäre et‐ was Sicheres, Rente garantiert. Ein Freund mit großem künstlerischen Talent sagt frustriert, er habe sich für das Studium der Betriebswirt‐ schaftslehre entschieden. Und dann erzählt die Abiturientin von Angst. Es sei nicht die Angst vor Krieg oder Krankheit, sondern die Angst, nicht zu funktionieren, die Erwartungen ihres Umfeldes nicht erfüllen zu können. Warum, so fragt sie schließlich, hätte ihre Generation nicht dieselbe Freiheit, einfach zu leben, wie sie die Eltern früher für sich in Anspruch genommen hätten. Als Reaktion auf diesen Text stand eine ältere Frau auf und richtete sich ans Publikum: „Was haben wir falsch gemacht, dass die jungen Leute heute diese Angst haben? “ Daraufhin schilderten Bürger: innen spontan Zukunftsgeschichten, die individuelle Freiheiten zum Thema hatten, und einen Dialog zwischen den Generationen. Im zweiten, analysierenden und reflektierenden Reporting-Teil geht es schwerpunktartig um die Frage, wie die gegenwärtige faktische Situation in der Kommune/ Region (bzw. in der Organisation) hinsichtlich der jeweili‐ gen Zukunftsgeschichten aussieht. Vertreter: innen der Kommune(n) bzw. der Organisation liefern dazu entsprechende Informationen und Daten. Auf 163 4.1 Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting-Methode dieser Grundlage werden gemeinsam konkrete Handlungsoptionen oder mögliche Maßnahmen erörtert, mit denen die in den Zukunftsgeschichten geschilderten Ideal- oder Wunschzustände realisierbar oder negative, gar dystopische Szenarien vermieden werden könnten. Auch ethische Fragestellungen, Werte und Aspekte der Nachhaltigen Entwicklung werden angesprochen. Dabei kommt es wesentlich darauf an, realistisch zu bleiben, mögliche Barrieren oder Probleme offen anzusprechen und von zuständiger Seite keine Versprechungen zu äußern, die nicht einzuhalten sind. Im geschilderten Fall thematisierten und diskutierten die Teilneh‐ menden die Einrichtung eines kreativen kommunalen Ortes, an dem sich regelmäßig junge und ältere Bürger: innen zu konkreten Anliegen, Bedarfen und Fragen der verschiedenen Generationen austauschen und gemeinsam alltagstaugliche Lösungen angehen könnten. Wo sich ein solcher Ort in der Kommune finden lassen könnte, wie es dort künftig aussehen und wie sich ein solcher Austausch im Einzel‐ nen gestalten kann, all dies wird im dritten (Storyporting-)Teil in die entsprechende Zukunftsgeschichte neu eingebaut. Damit wird das emo‐ tionsbezogene Bedürfnis nach einer Änderung oder Innovation kognitiv zur Handlungsoption entwickelt und konkretisiert. Die Teilnehmer: innen denken, präfigurieren und erleben so ein Stück Transformation, gemein‐ sam mit den verantwortlichen Vertreter: innen der Kommune/ Region bzw. der jeweiligen Organisation. In analoger Weise wird mit allen geclusterten und im Reporting-Teil mit zentralen Informationen, Daten oder ethischen Aspekten fundierten Storythemen verfahren. Dies geschieht partizipativ, d. h. es ist auch möglich, dass die (neue) Storyporting-Geschichte von Teilnehmenden geschildert wird, die nicht die ursprüngliche Story geliefert haben. Sinnvoll und spannend kann es sein, wenn Verantwortliche der Kommune/ Region bzw. des Unternehmens die kollaborativ entstandene Storyporting-Geschichte erzählen und dabei etwa einfließen lassen, welche Meilensteine nötig sind und wie ein erster Zeitplan aussehen kann. Han‐ delt es sich um größere Projekte der nahen oder ferneren Zukunft, bietet sich ein Storyporting-Loop zu diesem Transformationskomplex an. Als empfehlenswert hat sich erwiesen, dieses Veranstaltungstool mit einem kleinen Kulturbzw. Unterhaltungsprogramm zu arrondieren, um eine anregende, kreative Grundatmosphäre zu schaffen. Dabei muss es sich keineswegs um große Acts handeln. Schon ein eingängiges Gitarrenspiel (vielleicht von Kunstschaffenden aus der Kommune/ Region oder des Unter‐ 164 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate nehmens) beim Entree und zwischen den Storyporting-Schritten kann die Kreativität und das Engagement der Teilnehmenden befördern. Präsenzveranstaltungen bieten sich bei diesem Tool besonders an. Doch auch eine hybride oder vollständig digitale Form (per Videokonferenztool) sind realisierbar. Für das Setting bei Präsenzveranstaltungen ist es wichtig, einen geeig‐ neten Ort für „Wie wollen, sollen und werden wir leben? “ auszuwählen. In Stadt- oder Gemeindehallen bzw. in Räumen einer Organisation/ ei‐ nes Unternehmens kann dieses Tool, wie sich gezeigt hat, durchaus erfolgreich umgesetzt werden. Anregender und konstruktiver kann es freilich sein, wenn Orte genutzt werden, mit denen die Teilnehmenden in besonderer Weise Positives verbinden, die einen partizipativen Charakter tragen oder sich in einem Terrain befinden, auf dem be‐ reits Zukunftsplanungen oder Transformationsprojekte laufen. Insbe‐ sondere für Organisationen erscheint es zudem überlegenswert, ein solches Zukunftscamp jenseits der räumlichen Alltagsgewohnheit stattfinden zu lassen, um dort das Neue, Andere oder Künftige im Storyporting-Prozess gemeinsam zu entwickeln und die Ergebnisse zurück in das gewohnte Umfeld zu transferieren. Dies können z. B. Hotel- oder Konferenzräume oder auch Co-Working-Spaces an atmo‐ sphärisch reizvollen Orten in der Umgebung, in anderen Regionen oder auch im Ausland sein. Spaziergänge in schöner landschaftlicher Atmosphäre, zwischen den Storyporting-Teilen und am Ende, bieten die Möglichkeit, den Storys, Themen und verschiedenen Reporting- Aspekten buchstäblich nachzugehen und sie dabei zu verinnerlichen. Schimpfen, spinnen, schaffen Dieses Format stellt eine Variante zum oben beschriebenen Veranstaltungs‐ tool dar. Als Adaption des Zukunftswerkstatt-Konzepts von Robert Jungk mit seinen drei zentralen Elementen der Kritikphase, Phantasie- und Utopiephase sowie Realisierungs-Strategiephase ( JBZ, o. J.) wurde es zusammen mit dem Experten für bürgerschaftliches Engagement, Hannes Wezel, mit schwäbischer Konnotation („schaffen“, Hochdeutsch: machen, arbeiten) konzipiert und mit dem Städtetag Baden-Württemberg umgesetzt. Im ersten Teil ‚Schimpfen‘ erzählen die Teilnehmenden in Geschichten möglichst lokalbezogen, in welchen konkreten Erfahrungen, Situationen 165 4.1 Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting-Methode und Entwicklungen der Gegenwart sie Defizite oder Probleme sehen und welche Kritik sie daran haben. Danach ‚spinnen‘ sie darüber, wie diese Defi‐ zite oder Probleme in naher Zukunft behoben werden können. Sie schildern in zukunftsorientierten Geschichten ihre Wünsche, Träume, Sehnsüchte und Visionen. ‚Schimpfen‘ und ‚Spinnen‘ erfolgt also im Kommunikations- und Darstellungsmodus des Storytellings. Die jeweiligen Storythemen wer‐ den von den Moderator: innen zusammen mit den Teilnehmenden geclustert und auf einer Pinnwand dokumentiert. Beim ‚Schaffen‘ geht es zunächst, ganz im Sinne des Reportings, darum, gemeinsam eine informelle, fakten- und evidenzbasierte Basis dafür zu schaffen, wie die angestrebten Änderungen realisierbar werden können. Diese Lösungsansätze und Handlungsoptionen sowie (ethikgeleitete) Ver‐ einbarungen zum bürgerschaftlichen Engagement werden wiederum auf der Pinnwand festgehalten. Daraus entstehen die Stoffe für die Storyporting- Geschichten, in denen diese adressierten Änderungen oder Innovationen so konkret wie möglich als künftige Realität präfiguriert werden. Bei der Umsetzung dieses Formats an einem Tübinger Gymnasium entwickelten die 250 teilnehmenden Schüler: innen, Lehrer: innen, El‐ tern und Gäste u. a. eine Initiative zur Neugestaltung des Schulgartens und zum Bau eines Waldspielplatzes. Die städtische Beauftragte für Bürgerengagement erklärte sich bereit, als Koordinatorin der Projekte zu fungieren ( Jatscha 2013). Digitale Zusammenarbeit im Mittelstand Um sich kooperativ mit wandelnden Bedarfen innerhalb der Gesellschaft auseinanderzusetzen, hat die Hochschule Fresenius Heidelberg einen Transformation-Loop ins Leben gerufen. Dieser dient dem regelmäßigen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden der Hochschule und Vertreter: innen regionaler Funktions- und Lebensbereiche zu zentralen Aspekten der Transformation. Durch Formate wie Zukunftscamps, Pitches, Diskussionsrunden usw. treten die gesellschaftlichen Funktionsbereiche miteinander in einen Wissens- und Kompetenzaustausch im Sinne der open innovation und gestalten damit Transformation kollaborativ in Echtzeit. In einer der Diskussionsrunden erzählte eine Interessensvertreterin des Mittelstands in der Metropolregion Rhein-Neckar (Schritt 1: Narration) von der Problematik, dass die coronabedingte Homeoffice-Regelung den 166 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Mittelstand vor sehr große Herausforderungen gestellt hat. Lehrlinge und neue Mitarbeiter: innen, die aufgrund der Homeoffice-Regelung der Bundes‐ regierung nicht ins Unternehmen kommen konnten, waren schwer ins Unternehmen zu integrieren. Der Wunsch der Unternehmen, den Lehrlin‐ gen und neuen Mitarbeiter: innen dennoch ein Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen zu vermitteln, war für viele mittelständische Unternehmen auch aufgrund der mangelnden Vertrautheit mit den Möglichkeiten digitaler Meetings schwer bis gar nicht zu erfüllen. Auch ältere Mitarbeiter: innen im Mittelstand waren in dieser Zeit vor große Herausforderungen gestellt, da die Technikakzeptanz und Vertrautheit mit den digitalen Medien häufig nicht gegeben waren. Diese Schilderung der Interessensvertreterin des Mittelstands wurde in einer Lehrveranstaltung von einer Autorin dieses Buches, Dr. Susanne Doppler, die an der Hochschule Fresenius Heidelberg u. a. Eventmanage‐ ment lehrt, in einem Zukunftscamp zum Thema Digitalisierung in der Eventbranche aufgegriffen (Schritt 2: Reporting). Aufbauend auf den Schilderungen und den beim Zuhören gesammelten Eindrücken erarbeite‐ ten die Student: innen zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen aus der Wirtschaftspsychologie, mit dem Ziel, relevante Theorien zu verstehen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. So wurden z. B. die Konstrukte „Organisationales Commitment“ (Felfe et al. 2014), „wahrge‐ nommene organisationale Unterstützung“ (Siebenaler/ Fischer 2020) und „Technologie Commitment“ (Neyer et al. 2016) analysiert und verständlich aufbereitet. Ziel war es also zunächst, aus der Theorie kommend die Faktoren zu identifizieren, die z. B. die von Mitarbeiter: innen wahrgenom‐ mene und empfundene organisationale Unterstützung von Unternehmen beeinflussen. Darauf aufbauend waren die Studierenden dann in der Lage, Konzepte für digitale Kommunikations- und Begegnungsräume zu kreieren und neue Mitarbeiter: innen und Lehrlinge ganz gezielt in mittelständische Unternehmen, in deren Unternehmenskultur und in die bestehenden Teams zu integrieren, ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und die Mitarbei‐ ter: innen trotz coronabedingter Homeoffice-Phasen in die Teams zu inte‐ grieren und eine positive Mitarbeiter: innenbindung zu erzeugen. In Schritt 3, dem Storyporting, werden in einer nächsten Transforma‐ tion-Loop-Veranstaltung die Ergebnisse dieses Reportings und der darauf aufbauend entwickelten Szenarien als neue Narration an die Interessens‐ vertreterin zurückgespielt. Die Studierenden greifen dabei das Ursprungs‐ narrativ aus Schritt 1 auf, reichern dieses mit ihren analysebasierten Er‐ 167 4.1 Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting-Methode kenntnissen aus Schritt 2 an und entwickeln dann in diesem dritten Schritt digitale Meeting-Formate, in denen die Mitarbeiter: innen neue Narrationen entwerfen können. Zum Beispiel wurde aus der Skala zur Technikbereitschaft (Neyer et al. 2016) und dem Marketingansatz der Persona abgeleitet, dass Technikbereitschaft und technische Herausforderungen eben nicht bei jedem bzw. jeder Mitarbeiter: in gleichermaßen vorhanden sind, son‐ dern sich alters-, typen- und aufgabenbezogen unterscheiden. Auf Basis der Charakterisierung dieser Personae wurden Tandems eingerichtet, deren Charaktere beim Thema Technikbereitschaft unterschiedlich ausgeprägt sind und die sich fortan in digitalen Meeting-Formaten gegenseitig zu ausgewählten Themen unterstützen (erarbeitet von den Student: innen Ina Holzwarth, Bonnie Lohmann, Minh Pohl). Die Interessenvertreterin des Mittelstands wiederum kann dieses neue Narrativ aufgreifen und es zurück in die mittelständischen Betriebe tragen. Von dort aus kann der nächste Storyporting-Zyklus im Sinne von → Abbildung 4 (Storyporting-Loop) gestartet werden. Vom Zukunftstraum zur nachhaltigen Strategie In dieser Form des Zukunftscamps erzählen die Teilnehmenden zunächst ihren Zukunftstraum im Kontext Nachhaltiger Entwicklung: „Wie sieht Ihre Zukunft in 2050 aus? “ Nach diesem ersten narrativen Teil erörtern alle gemeinsam, welche Entwicklungen und Änderungen jetzt in der Ge‐ genwart und in den nächsten Jahren angegangen oder intensiviert werden müssen, damit aus dem jeweiligen Traum Realität werden kann, um welche konkreten Aspekte von Nachhaltigkeit es geht und welche fachlichen, wissenschaftlichen Inhalte, Erkenntnisse und Modelle in diesem Kontext relevant sind. Zudem werden ethische Fragestellungen eruiert und behan‐ delt. Aus diesem Reporting-Teil werden im dritten Teil spezifische Nachhal‐ tigkeitskonzepte zu den jeweiligen Themenkomplexen generiert und zum evidenzbasierten Narrativ entwickelt. Der Nachhaltigkeitsexperte Prof. Dr. Will Ritzrau setzt dieses Tool in Lehrveranstaltungen an der Hochschule Fresenius Heidelberg seit dem Wintersemester 2020/ 21 um. Im Modul „Einführung ins verantwor‐ tungsbewusste Management“ schilderten die Studierenden zunächst 168 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate ihre Zukunftsträume. Zwei Beispiele seien angeführt: „In 2050 ist die Work-Life-Balance für alle ausgeglichen. Mobiles und zeitlich flexibles Arbeiten ist Standard. Jeder Mensch hat mehr Sinn-Zeit für sich selbst. Es gibt ein Bedingungsloses Grundeinkommen, welches zur Auflösung der finanziellen Ungleichheit führt. Jeder hat die Möglich‐ keit seine Arbeitswelt selbst zu gestalten. Alle Menschen werden fair bezahlt und der Stakeholderansatz ist optimiert. Dies führt zu einer ganzheitlichen Unternehmensverantwortung für alle Beteiligten.“ Und: „In 2050 wird das Pflegepersonal respektvoll behandelt und fair bezahlt, außerdem gibt es neue Durchbrüche bei unheilbaren und chronischen Krankheiten. Alle Menschen auf der Welt haben Zugang zu einer umfassenden medizinischen Versorgung. In der Gentechnik gibt es enorme Fortschritte, sodass Erbkrankheiten vermieden wer‐ den können. Herkömmliche Prothesen werden durch neue Roboter‐ technologien und Künstliche Intelligenz ersetzt. Präventive Medizin statt reaktiver Behandlung.“ Andere Studierende formulierten den Zukunftstraum, dass es in 30 Jahren keinen Müll mehr gibt, nur noch erneuerbare Energien genutzt werden oder der Klimawandel gestoppt ist, die Erderwärmung unter 1,5 Grad bleibt und ein respektvoller Umgang mit der Natur normal ist. In der zweiten analytisch-reflektierenden Stufe wurden wissenschaftliche Definitionen, Modelle und Forschungsergebnisse zu den einzelnen Themen der Zukunftsträume herangezogen, z. B. zur Kreislaufwirtschaft, Künstli‐ chen Intelligenz, zum Bedingungslosen Grundeinkommen, zu erneuerbaren Energien oder zum Stakeholderansatz. Damit werden die subjektiven Zu‐ kunftsträume fachlich und sachlich fundiert bzw. objektiviert. Gleichzeitig setzten sich die Studierenden mit ethischen Grundpositionen (u. a. Pflicht- und Folgenethik) auseinander, die bei Themenkomplexen wie etwa dem KI- Einsatz im Gesundheitsbereich relevant sein können. Im Wintersemester 2021/ 22 werden die Studierenden in einem inhalt‐ lich weiterführenden Modul die Aufgabe haben, auf der Basis der ersten beiden Stufen differenzierte nachhaltige Strategien zu den jeweiligen Themenkomplexen zu erarbeiten. Am Ende werden aus den Zukunfts‐ träumen daten- und evidenzbasierte Nachhaltigkeitsnarrative. 169 4.1 Zukunftscamps und -werkstätten mit der Storyporting-Methode 4.2 Die Storyporting-Line Die Idee hinter der Storyporting-Line liegt darin, dass der dreistufige Pro‐ zess Storytelling-Reporting-Storyporting im buchstäblichen Sinne durch‐ schritten, also sinnlich erlebbar wird. Dazu wird in einer Gemeinde, einer Stadt oder in freier Landschaft eine möglichst reizvolle Wegstrecke mit drei Stationen ausgewählt. Der Startpunkt gibt das Thema vor, das entweder auf einer gut sichtbaren Tafel ablesbar oder digital per spezifischer App abrufbar ist. Die Teilnehmenden machen sich auf den ausgeschilderten Weg und überlegen sich im Gehen konkrete Szenen, Beispiele und Storys zu dem Thema, die sie selbst erlebt haben. Nach einer bestimmten Wegstrecke kommen sie an die entsprechend markierte Reporting-Station. Dort finden und rezipieren sie kompakte Informationen, Daten und Quellen zum jewei‐ ligen Thema. Diese können wiederum haptisch zur Verfügung stehen, z. B. in einem wettergeschützten Kasten, oder über eine spezifische App abgerufen werden. Die Teilnehmenden brechen nun zum Storyporting auf. Auf dem weite‐ ren Weg bauen sie die erhaltenen Informationen, Daten und Quelleninhalte in ihre Storys aus dem ersten Streckenteil ein. Daraus entstehen neue, fak‐ tenbasierte und auch differenziertere Geschichten zum jeweiligen Thema. Die Konvergenz von Emotion und Kognition, Erfahrung und Wissen, Wahrnehmung und Einordnung, Erzählung und Analyse soll dabei buch‐ stäblich als Bewegung spürbzw. erlebbar und somit verinnerlicht werden. Während des zweiten Streckenabschnitts, am Endpunkt der Storyporting- Line oder auch im Anschluss dieses Erlebnisses können die Teilnehmenden bei Interesse ihre Storyporting-Geschichten aufschreiben, mündlich doku‐ mentieren oder auch visualisieren. So entstehen evidenzbasierte Narrative zum Thema, die es wert sind, gesammelt und, mit Einwilligung der Teilneh‐ menden, in ein größeres Umfeld transferiert zu werden. Neben Gegenwarts-, Zukunfts- oder Transformationsfragen von indivi‐ dueller, organisationaler oder gesellschaftlicher Relevanz können auch lite‐ rarische, philosophische oder ethische Themenstellungen die Storypoting- Line inhaltlich bestimmen. Denkbar ist etwa, einen Philosophenweg, wie es ihn prominent in Heidelberg gibt, zum tatsächlichen Ort des bewegten Denkens und Erzählens werden zu lassen. Auf der ersten Etappe den‐ ken Teilnehmende über ein philosophisches bzw. ethisches Thema nach, überlegen sich Storys dazu, wo und wie dieses Thema in ihrem Alltag schon einmal eine Rolle gespielt hat. Die Reporting-Station liefert ihnen 170 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate dann dazu eine Quellenbasis, etwa zentrale Auszüge aus philosophischen bzw. ethischen Standardwerken zum jeweiligen Thema, deren Inhalte sie danach mit auf den weiteren Denk- und Erzählweg nehmen und in ihre Erfahrungsgeschichten einbauen. Sozusagen en passant entstehen erneut reflektierte Narrative, die in gesammelter und publizierter Form einen (gesellschaftlichen) Diskurs aufscheinen lassen. Da Bildung für viele Men‐ schen mit zu den Beschäftigungsfeldern in Freizeit und Urlaub zählt, kann die Storyporting-Line auch touristisch genutzt werden. 4.3 Lernen als Recherche Das inhaltliche und didaktische Hauptziel bei diesem Tool liegt darin, Schüler: innen das datenbasierte Storyporting im Zusammenhang mit einer möglichst intensiven Recherche zu vermitteln und sie darin eigene Erfah‐ rungen sammeln zu lassen. Es dient damit auch der Medienbildung sowie der Entwicklung hin zu einer „redaktionellen Gesellschaft“ (Pörksen 2019, S. 189) - vor dem Hintergrund des bereits dargelegten Umstandes, dass in diesen digitalen Zeiten potenziell alle Menschen und insbesondere junge als Prosument: innen von Content journalistisch aktiv sind. Zunächst werden den Schüler: innen die Wichtigkeit der Recherche als zwingend notwendige Basis jeder Darstellung bzw. jeder Form von Publi‐ kation nahegebracht und mit ihnen an konkreten Beispielen elementare Rechercheregeln erarbeitet, die auch für das Lernen relevant sind. Dazu zäh‐ len genaues Beobachten/ Wahrnehmen, auf verschiedene Perspektiven und möglichst viele Details zu achten, möglichst viele relevante Quellen, Infor‐ mationen und auch Zeugen zu generieren, die Quellen oder Zeugen kritisch zu prüfen, Zusammenhänge herzustellen, einzelne Informationen nach ihrer Relevanz für das jeweilige Thema zu bewerten sowie das selbstkritische Überprüfen des Wahrgenommenen. Zudem erfahren die Schüler: innen, wie sinnvoll und notwendig strukturierendes Denken und Vorgehen im Sinne von Deduktion und Induktion ist. Es gilt allgemeine, übergeordnete Themensegmente (z. B. Toleranz an der Schule) an konkreten Beispielen (z. B. gelebte Toleranz in einer speziellen Klassensituation) festzumachen und umgekehrt ganz konkrete Rechercheinhalte in Bezug zu übergeordne‐ ten Zusammenhängen zu stellen. 171 4.3 Lernen als Recherche Vermittelt wird die ‚Gleichung‘: Je mehr und genauer ich recher‐ chiere/ wahrnehme und je gekonnter ich strukturieren kann, umso mehr und besser werde ich erzählen/ schreiben und auch lernen kön‐ nen. Im Anschluss stellen Referent: innen das Thema der Schüler: innen-Recher‐ che vor, aus der dann ein (Storyporting-)Text entstehen soll. Als didaktisch besonders effizient hat sich das Thema „Pause an mei‐ ner Schule“ erwiesen. Es ist einerseits allen Schüler: innen vertraut, an‐ dererseits realisieren sie durch eine Recherche, wie spannend und neu das Bekannte sein kann und auch ist - wenn man genau(er) hinschaut und einzelne konkrete Szenen intensiv und bewusst wahrnimmt. Die Schüler: innen erarbeiten gemeinsam verschiedene Rechercheorte und damit Recherchethemen, die sie später in Gruppen angehen: z. B. Pausenszenen auf dem Schulhof oder im Foyer, Mensa, Bolzplatz, Szenen vor dem Lehrerzimmer, Getränkeverkauf, Bäcker. An dieser Stelle erzählen die Schüler: innen mündlich, was sie bisher an den einzelnen Orten erlebt haben, wie es dort aussieht und welche Szenen sich nach ihrer Erfahrung immer wieder abspielen. In diesem Storytelling-Teil wird damit, in Vorbereitung der Recherche, ihr Erfahrungswissen aktiviert. Zudem entwickeln die Schüler: innen verschiedene Recherchefragen zum jeweiligen Gruppenthema, für das sie sich entschieden haben, obligat sind dabei W-Fragen (was, wer, wo etc). Sie bekommen die Aufgabe, in der Pause neben konkreten Szenen auch relevante Daten und Informationen zum jeweiligen Rechercheort bzw. -thema zu sammeln. Dazu zählen z. B. die Preise der Backwaren und Getränke, der erzielte Umsatz, logistische Aspekte (u. a. wann genau wird der Bäckerstand aufgebaut, wie werden die Produkte angeliefert? ) oder auch Erfahrungen der Verkäufer: innen mit drängelnden Schüler: innen oder entsprechendem Kund: innenverhalten. Dies erfordert, dass die Schüler: in‐ nen auch Interviews mit den entsprechenden Expert: innen/ Zeug: innen führen, also qualitative Methoden anwenden. Sie werden dazu angehal‐ ten, sämtliche Szenen, Daten, Informationen und Interviewinhalte auf einem Notizblock schriftlich festzuhalten. Nach ihrer Recherche während der Pause (Reporting-Teil) listen die einzelnen Gruppen auf Flipchartbögen ihre sämtlichen Rechercheergeb‐ 172 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate nisse zunächst unstrukturiert auf. An einem ausgewählten Recherchethema strukturiert dann die Klasse mit den Referent: innen exemplarisch die ge‐ wonnenen Wahrnehmungen, Daten, Informationen und Interviewinhalte dahingehend, wie ein Text dazu aussehen kann. Was sind die wichtigsten Inhalte und Informationen, die unbedingt geschildert werden müssen? Wie kann der Einstieg aussehen? In welche Reihenfolge werden die verschie‐ denen Wahrnehmungen und Rechercheergebnisse gesetzt? Die Gruppen wenden diese strukturierende Übung für ihr Thema an. Bevor es an das Schreiben der datenbasierten (Storyporting-)Geschich‐ ten geht, bekommen die Schüler: innen elementare Regeln vermittelt: Wiederholungen vermeiden (Synonyme suchen), treffende Verben und Adjektive verwenden, direkte und indirekte Zitate (Indikativ/ Konjunk‐ tiv), solide Orthografie. Beim Schreiben der Texte geben Referent: innen bei Bedarf Tipps und Anregungen. Aus Gründen der Wertschätzung und der Partizipation werden alle entstandenen Texte vorgelesen und gemeinsam besprochen. Als zusätzliches Element des Transfers in den schulischen Unterricht steht am Ende die ‚Recherche‘ eines Gedichts als Übung des strukturierenden Denkens und Vorgehens im Sinne von Deduktion und Induktion. Verwendet wird dazu das Gedicht „Schuttablage“ von Günter Eich, in dem an konkreten Dingen (u. a. an zerschlagenem Festtagsgeschirr mit verzerrter goldener Tafelschrift und einem verrosteten Helm) auf einer Müllhalde die Pervertie‐ rung und Zerstörung christlicher Werte (Glaube, Hoffnung, Liebe) durch Krieg deutlich wird. Die Schüler: innen recherchieren gemeinsam, welche Begriffe dem Bereich des Konkreten zuzuordnen sind und welche dem Bereich des Allgemeinen, Ideellen (u. a. „Liebe, Hoffnung, Glaube“). Daraus entwickeln sie induktiv oder deduktiv Bezüge zwischen dem Konkreten und dem Allgemeinen und umgekehrt (z. B. Tassen und Teller, auf denen ursprünglich „Glaube, Hoffnung, Liebe“ stand, sind zerbrochen und liegen auf dem Müll - christliche Werte sind pervertiert und zerstört worden und liegen jetzt in der veränderten Reihenfolge „Liebe, Hoffnung, Glaube“ in Scherben). Auffallend dabei ist, dass Haupt- und Realschüler: innen häufig primär induktiv vorgehen - und nicht selten in kürzerer Zeit zu validen Interpretationen kommen als so manche Gymnasiast: innen, die stärker allgemeine ‚Ideen‘ vom Text formulieren (Nübel 2018, S. 287-290). 173 4.3 Lernen als Recherche Das Tool „Lernen als Recherche“, das von einem Mitglied des Autor: in‐ nenteams, Dr. Rainer Nübel, konzipiert wurde, ist in den vergangenen Jahren in 110 Schulklassen baden-württembergischer Schulen aller Arten umgesetzt worden. Die Resonanz von Schüler: innen und Lehrer: innen ist positiv (Körschtalschule Stuttgart-Plieningen o. J.). Eine große Mehrheit der Schüler: innen schaffte es in bemerkenswerter Weise, in ihren Texten Storytelling mit dem Reporting zum Storyporting zu verbinden. 4.4 Der mediale Storyport und das etwas andere Talkshow- Format Im medialen Kontext könnte die Storyporting-Methode in einer namentlich neuen journalistischen Darstellungsform, dem Storyport, umgesetzt werden - und darüber hinaus in einem Talkshow-Format, das bewusst anderen dramaturgischen Regeln folgt als die üblichen TV-Diskussionsrun‐ den. Der Storyport als mediale Darstellungsform ähnelt strukturell dem Report, der narrative Darstellungsmodi mit nüchtern-informierenden, auch dokumentierenden Passagen verbindet. Essenzielle Unterschiede liegen in der dreistufigen Prozesshaftigkeit des Storyports, seinem gezielten Aufgrei‐ fen von user generated content als verbindlichem partizipativen Element sowie dem zwingenden Einlösen einer lösungsbzw. zukunftsorientierten Perspektive, worin sich beabsichtigt eine Affinität zum Konstruktiven Journalismus spiegeln soll. Nehmen wir als thematisches Beispiel für einen Storyport den Berufsein‐ stieg junger Akademiker: innen. Im Vorfeld der Berichterstattung motiviert das Medium über seine digitale Plattform und Social-Media-Kanäle Hoch‐ schulabsolvent: innen dazu, ihre Erfahrungen zu diesem Thema zu erzählen und diese Geschichten an die Redaktion zu senden. Die Journalist: innen wählen aus den eingegangenen Storys einzelne Protagonist: innen aus, nehmen Kontakt zu ihnen auf, versichern sich in einer professionellen Recherche der Authentizität der Erfahrungsgeschichten und vertiefen die‐ selben mit relevanten Details. Damit die anderen Storys nicht verloren gehen, werden möglichst viele unter einem speziellen Link parallel zum Storyport interessierten Rezipient: innen zugänglich gemacht. Bedingungen für die Veröffentlichung sind die Zustimmung der Betroffenen und deren Erklärung, dass die jeweiligen Schilderungen authentisch sind. 174 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Im ersten Teil des Storyports, der als Print-, Online-, TV- oder Hör‐ funkbeitrag erscheinen kann, werden die Geschichten mehrerer Hoch‐ schulabsolvent: innen geschildert. In ihnen zeigen sich konkrete Erfahrun‐ gen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch Erwartungen, Wünsche, Träume, Gefühle und subjektive Realitäten. In Fällen einer erfolgreichen Jobsuche lassen die Storys Aspekte von Best-Practice-Beispielen evident werden. In negativen Fällen zeigt sich wiederum ein mögliches Problem von Ver‐ treter: innen der vielzitierten ‚Generation Praktikum‘, das sich im Kontext der Coronapandemie und deren wirtschaftlichen Folgen verstärkt haben könnte. Die verschiedenen learning histories konturieren das Thema auf sachlicher und auch affektiver Ebene. Gleichzeitig fördern sie die Ausein‐ andersetzung bzw. Identifikation junger Menschen und deren persönlichfamiliärem Umfeld mit den geschilderten Sachverhalten. Der anschließende Reporting-Teil liefert relevante aktuelle Informatio‐ nen, Daten, Statistiken und wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Chan‐ cen junger Akademiker: innen auf dem Arbeitsmarkt. Damit werden die Storys einzelner Betroffenen in einen übergeordneten Kontext gesetzt, eingeordnet und gleichzeitig objektiviert. Dabei reicht es nicht aus, etwa auf den kontinuierlichen statistischen Rückgang der Arbeitslosigkeit von Akademiker: innen in den Jahren 2015 bis 2019 zu verweisen, vielmehr gilt es, die Situation differenziert nach verschiedenen Studien- und Be‐ rufsfeldern darzustellen sowie aktuelle Entwicklungen, wie gerade die Auswirkungen der Coronapandemie, mitzuberücksichtigen. Zudem können Informationen oder statistische Daten dazu aufschlussreich sein, inwieweit sich die konkreten Berufswünsche junger Menschen mit den Gegebenhei‐ ten der gefundenen Stellen decken und entsprechende Erwartungen sich bestätigt haben oder nicht. Ein weiterer Reporting-Aspekt liegt in den Erfahrungen, die Unternehmen mit akademischen Berufseinsteiger: innen machen. Daraus können u. a. spezifische Kompetenzen abgeleitet werden, die von Hochschulabsolvent: innen erwartet werden, eventuell aber nicht immer ausreichend vorhanden sind. So zeigt z. B. eine 2014 publizierte Studie von McKinsey, dass jeder vierte Arbeitgeber mangelnde Fähigkeit zur systematischen Problemlösung bei Hochschulabsolvent: innen beklagt (FAZ 2014). Im dritten Teil des Storyports werden sowohl die Best-Practice-Storys als auch die geschilderten Fälle eines eher problematischen Berufseinstiegs mit zentralen Reporting-Erkenntnissen angereichert und damit vertieft. Dies bedeutet z. B., dass Betroffene an konkreten Praxisbeispielen beschreiben, 175 4.4 Der mediale Storyport und das etwas andere Talkshow-Format welche Kompetenzen, vielleicht auch Strategien sich beim Bewerbungspro‐ zess sowie in den ersten Monaten nach dem Berufsstart als besonders wichtig und erfolgreich erwiesen haben - oder mit welchen konkreten Barrieren und Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten oder haben. Zu‐ dem werden Einschätzungen, Tipps und Anregungen von Expert: innen des Arbeitsmarkts, der Berufsberatung oder auch des HR-Managements von Unternehmen und Organisationen eingeholt und in den Storyport eingebaut. Dieser lösungsorientierte Ansatz erhöht den unmittelbaren Nutzwert des medialen Beitrags für aktuell Betroffene unter den Rezipi‐ ent: innen und zugleich für junge Menschen, die in absehbarer Zeit ihren Hochschulabschluss machen und damit vor dem Berufseinstieg stehen. Zudem wird an dieser Stelle erneut bewusst user generated content ein- und umgesetzt: Die Rezipient: innen werden am Ende des Beitrags per Hyperlink auf die Erfahrungsgeschichten anderer Betroffenen verwiesen - und insbesondere dazu ermuntert, eigene lösungsspezifische Erfahrungen, Strategien, Tipps und Anregungen, soweit vorhanden, als Online-Beiträge in diesen Storyport einzubringen. Daraus kann ein für Betroffene sowie für Interessierte sinnvoller und nützlicher Austausch entstehen, im Kontext und im Sinne einer konstruktiv-partizipativen Berichterstattung zu gesellschaftlich relevanten Themen. Journalist: innen nehmen bei einem solchen Storyport die Rolle neutraler Chronist: innen und gleichzeitig die von Ermöglicher: innen eines gesellschaftlichen Transfers ein - was ihrer Reputation in Zeiten der Vertrauenskrise zuträglich sein könnte. Storylistening zu Beginn der Talkrunde Die Storyporting-Methode, in Verbindung mit dem konstruktiv-partizipati‐ ven Ansatz, kann auch eine neue bzw. andere Form der Talkshow entstehen lassen. Sind gängige Talkshow-Formate, insbesondere mit politischem Zu‐ schnitt, stark von emotionalisierten und nicht selten polarisierenden Pro- und Contra-Diskussionen geprägt, wird in diesem Fall eine partizipative zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlich re‐ levanten Thema favorisiert, die eine Konvergenz von Emotion, Kognition und lösungsorientiertem Handeln anstrebt. Dazu gehört, dass nicht primär oder ausschließlich Expert: innen und die üblichen Verdächtigen aus Politik und öffentlichem Leben die Talkrunde bestreiten, sondern auch hier gezielt die Erfahrungen und Kompetenzen von Bürger: innen als user generated content genutzt werden. 176 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Im Sinne von Storytelling und Storylistening erzählen zunächst Bür‐ ger: innen ihre Erfahrungsgeschichten zum jeweiligen Thema. Wie zuvor schon dargestellt kann im Vorfeld ein entsprechender Aufruf an interessierte Rezipient: innen erfolgt sein. Diese ausgewählten Bürger: innen können sich im Studio befinden oder zugeschaltet sein, sie bleiben jedenfalls während der gesamten Zeit Teilnehmende der Talkshow. Ihre Storys werden zunächst nicht kommentiert, die anderen Talkshow-Gäste, wie etwa Politiker: innen, hören ausschließlich zu. Der anschließende Reporting-Teil dient zum einen dazu, dass eingela‐ dene Expert: innen unter Nennung der jeweiligen Quellen oder des eigenen methodischen Vorgehens eine themenbezogene Basis an validen Informa‐ tionen, Daten, Statistiken und wissenschaftlichen Erkenntnissen schaffen. Dabei greifen sie Inhalte der zuvor geschilderten Erfahrungsgeschichten auf, ergänzen, vertiefen oder korrigieren sie mithilfe ihrer Expertise. Zum anderen formulieren die Expert: innen ihre Positionen und Einschätzungen, was die gegenwärtige themenbezogene Situation angeht, aber auch, was sich in naher oder ferner Zukunft in diesem Kontext tun soll, um Best-Case- Szenarien zu erreichen und Worst-Case-Szenarien zu verhindern. Politi‐ sche Talkshow-Teilnehmer: innen wiederum schildern sowohl ihre jeweilige Position zum Thema als auch Entwicklungen oder Lösungsstrategien, die sie für nötig erachten bzw. in Angriff nehmen wollen. In diesem Kontext findet nun eine Diskussion der Positionen und Ansätze zwischen den Expert: innen, Politiker: innen und den eingeladenen Bürger: innen statt, in die auch das Publikum einbezogen wird. Doch es bleibt nicht nur bei dieser Diskussion. Vielmehr mündet sie ins Storyporting als drittem Teil: Die Expert: innen, Politiker: innen und Bürger: innen sollen nun in Szenen oder an Beispielen schildern, wie sie in nächster Zeit jeweils mit dem Thema bzw. Problem umgehen werden, was sie mit Blick auf die Daten-, Informations- und Erkenntnislage konkret tun werden. Damit werden auf organisationaler, politischer und individueller Ebene Handlungsbzw. Lösungsoptionen und -absichten als Narrative formuliert, die transparent und überprüfbar sind. Und die wiederum in ein größeres gesellschaftliches Umfeld transferiert werden können, indem Rezipient: innen der Talkshow unter Nennung eines Links dazu eingeladen werden, weitere Handlungsbzw. Lösungsoptionen zu formulieren. Entsprechend des Storyporting-Loops kann einige Zeit später dieselbe Talkshow-Runde stattfinden. Jetzt geht es darum, wie sich das Thema wei‐ terentwickelt hat, welche neuen Informationen, Daten oder wissenschaftli‐ 177 4.4 Der mediale Storyport und das etwas andere Talkshow-Format chen Erkenntnisse inzwischen vorliegen - und vor allem, ob und in welcher Form die jeweiligen Handlungsoptionen und -absichten tatsächlich reali‐ siert worden sind. So kann sich im Erfolgsfall ein differenziertes positives Zukunftsnarrativ entwickeln. Als besonderen Stresstest für ein solches Talkshow-Format bietet sich das Megathema Klimawandel an. Im Storytelling-Teil könnten neben deutschen Bürger: innen, etwa aus den Gebieten der Hochwasserka‐ tastrophe vom Sommer 2021, auch Betroffene aus anderen Ländern und Kontinenten eingeladen werden, ihre Erfahrungsgeschichten zu erzählen - wie auch Personen, die wiederum den menschengemachten Klimawandel nicht anerkennen. Als Reporting- und Diskussionsbasis würde u. a. der jüngste Bericht des Weltklimarates dienen. Sinnvoll er‐ scheint es, neben Expert: innen, Politiker: innen und Bürger: innen auch Unternehmer: innen in die Talkshow-Runde zu nehmen. Damit wäre die Trias, die bei notwendigen nachhaltigen Veränderungen in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielt, vollständig: Politik, Unternehmen, die einzelnen Menschen. Als umso spannender würde sich erweisen, wie die - überprüfbaren - Handlungs- und Lösungsoptionen bzw. Zukunftsnarrative auf politischer, ökonomischer und individueller Ebene aussehen - und realisiert werden. 4.5 Der Kommunal- und Regional-Talk | Lia Hiller Städte, Gemeinden und Regionen mit ihren verschiedenen Funktionsberei‐ chen wie Wirtschaft, Soziales, Bildung, Kultur, Sport und ihren zivilgesell‐ schaftlichen Gruppen stehen vor wichtigen transformationsbedingten Herausforderungen, die durch die Coronakrise noch größer geworden sind. Gleichzeitig haben sich ihre finanziellen Ressourcen in den meisten Fällen weiter deutlich reduziert. Dieses Projekt versteht sich daher als kos‐ tenloses Angebot für die Bürger: innen, die zivilgesellschaftlichen Gruppen und die Verwaltung interessierter Gemeinden und Regionen. Es wendet in seinen zentralen Formaten die Storyporting-Methode an. Ein Prototyp des Kommunal- und Regional-Talks ist in der baden-württembergischen Gemeinde Beuren am Fuße der Schwäbischen Alb erfolgreich umgesetzt worden. 178 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Schwerpunkt des Projekts, das analog, digital oder hybrid realisiert werden kann, sind moderierte wertschätzende Gespräche mit und zwischen örtlichen/ regionalen Gruppen des bürgerschaftlichen Engagements, loka‐ len/ regionalen Vereinen und Unternehmen sowie interessierten Bürger: in‐ nen zu aktuellen Themen und zu Aspekten des Wandels. Es handelt sich um einen intrabzw. interkommunalen Austausch von Erfahrungs‐ geschichten und zukunftsorientierten Ideen im Sinne eines bürgerschaft‐ lichen, intergenerativen Dialogs. Im ersten Teil des Kommunal- und Regional-Talks schildern die Teilneh‐ menden in konkreten Geschichten und Szenen Erfahrungen, Erlebnisse und Best-Case-Beispiele, die für ihr jeweiliges bürgerschaftliches oder un‐ ternehmerisches Handeln stehen (Storytelling/ Storylistening). Motiviert von der Moderatorin erzählen sie auch, warum sie sich z. B. im sozialen Bereich oder in einem Verein engagieren und was dies für sie bedeutet. Indem Vertreter: innen unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen und Organisationen diese Erfahrungsgeschichten erzählen, generieren sie Anregungen für ihr eigenes Handeln und mögliche Kooperationen. Daten, wie z. B. die aktuelle Mitgliederzahl der jeweiligen Gruppe und deren Entwicklung, Informationen, etwa zur Organisationsstruktur oder zur Praxis von Förderanträgen, sowie interne oder externe Bedarfe stehen anschließend im Fokus des Reporting-Teils bei diesem wertschätzenden Talk. Dies sorgt für Transparenz, auch und besonders für teilnehmende Bürger: innen, die unter Umständen für eine Mitgliedschaft interessiert werden können. Aufbauend auf beide Talk-Teile entwickeln die Vertreter: innen der verschiedenen lokalen/ regionalen Ehrenamtsgruppen, Vereine und Unter‐ nehmen u. a. neue Angebote, Veranstaltungen, Projekte oder Kooperati‐ onsinhalte. Sie greifen dabei Anregungen oder Bedarfe teilnehmender Bürger: innen auf. Die bürgerschaftlich Engagierten, Vereins- oder Unter‐ nehmensvertreter: innen schildern in größtmöglicher Konkretion, wie z. B. ein neues Projekt inhaltlich aussehen bzw. ablaufen soll, und bauen diese Innovationen in ihre eingangs erzählten Erfahrungs- und Motivationsge‐ schichten ein (Storyporting). Damit werden die Narrative der einzelnen zi‐ vilgesellschaftlichen Gruppen und zugleich auch ein Stück weit das Narrativ des Ortes als Gemeinde mit intensivem bürgerschaftlichen Engagement konturiert. 179 4.5 Der Kommunal- und Regional-Talk | Lia Hiller Unter dem Eindruck des disruptiven Wandels aufgrund der Corona‐ krise startete die Verfasserin dieses Beitrags im Mai 2020 in der 3.600-Einwohner-Gemeinde den „Beuren-Talk“ als digitales Tool. Via Videokonferenz fanden in der Zeit des Lockdowns jede Woche donnerstags das einstündige Morgen-Format Guten Tag, Beuren! und abends das ebenfalls einstündige Format Zeit des Wandels: Heraus‐ forderungen, Ideen, Innovationen statt. Im Morgen-Talk gab es u. a. wertschätzende Gespräche mit Vertreter: innen des örtlichen Vereins Miteinander-Füreinander-Beuren, der Landfrauen und der örtlichen Kurverwaltung. Gäste und Gesprächspartner: innen beim kommunalen Abend-Talk waren u. a. Vertreter: innen der örtlichen Grundschule und Kindergärten, der Kirche, der Ortsbücherei und ortsansässiger Geschäfte sowie ehrenamtliche Gästeführer: innen. Diese Talk-Gäste und Gesprächspartner: innen aus verschiedenen Generationen nutzten den „Beuren-Talk“ dazu, sich innerhalb ihrer zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie mit anderen Gruppen, interessierten Bürger: innen und Gemeinderatsmitgliedern über aktuelle Themen und Aspekte des gravierenden Wandels erzählend und analysierend auszutauschen. Wiederholt sind daraus neue bürgerschaftliche Projekte entstanden. So lud etwa die Grundschule, angeregt durch einen Donnerstag-Talk, ihre Schüler: innen ein, Geschichten zu schreiben oder Zeichnungen anzufertigen, die dann alten Menschen im Ort, die besonders stark unter den Kontakteinschränkungen zu leiden hatten, als Aufmerksam‐ keit übergeben wurden. In einem anderen Fall evozierte der „Beuren- Talk“ eine Diskussion über nachhaltige Mobilität im ländlichen Raum, konkret zu einem genossenschaftlichen ÖPNV-Konzept für die nahe Region. Zudem initiierte der „Beuren-Talk“ die erste LiteraTour im Ort, bei der Ehrenamtliche, der Bürgermeister und die Schulleiterin Literatur in schöner Landschaft vermittelten. Auch die Gründung einer digitalen ‚Gesprächsstube‘ im Herbst 2020 und einer Schreibwerkstatt Anfang 2021 geht auf dieses Storyporting-Tool zurück. Darüber hinaus gewannen zwei Ehrenamtsgruppen neue Mitglieder. Die Resonanz auf den „Beuren-Talk“ fiel in der gesamten Projektzeit sehr positiv aus. 180 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate 4.6 Storyporting im sozialen Bereich Der Einsatz der Storyporting-Methode im Kontext der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialen Frage- und Problemstellungen sowie möglichen Lösungsansätzen wird derzeit an der Hochschule Fresenius Heidelberg in einem interdisziplinären Forschungsprojekt erprobt. Auslöser waren dezidierte Äußerungen von Schüler: innen und Studierenden im Rahmen des bereits beschriebenen Transformation-Loops. Bei einem der regelmäßig stattfindenden Gesprächsrunden von Schüler: innen, Studieren‐ den und Lehrenden der Hochschule mit Vertreter: innen regionaler Funkti‐ onsbereiche zu Aspekten der Transformation hatten die jungen Menschen betont, dass Partizipation eine zentrale Aufgabe im Umgang mit dem großen gesellschaftlichen Wandel sei. ‚Echte‘ Partizipation, wie sie hervorhoben, in möglichst allen Bereichen, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Bildung - und genauso im Sozialen. Mangelnde Bildungs- und soziale Gerechtigkeit war zuvor als aktuelles Problem adressiert worden, und deren Überwindung als wichtige Zukunftsaufgabe. Dies war der Impetus für das wissenschaftliche Vorhaben, in Form einer möglichst ausgeprägt partizipativen Forschung konkrete Bedarfe, Bedürf‐ nisse und Anliegen prekär lebender Menschen erst einmal zu eruieren, um in einem nächsten Schritt Möglichkeiten, Ansätze und Strategien einer Lösungsfindung zu erforschen. Das Projekt wird von einer Psychologiepro‐ fessorin aus dem Studiengang Soziale Arbeit, Dr. Stefanie Jonas-Klemm, und einem Autor dieses Buches, Dr. Rainer Nübel, realisiert, der als Professor Medien- und Kommunikationsmanagement lehrt. Im ersten Schritt geht es darum, dass prekär lebenden Menschen angeboten wird, ihre subjektiven, emotionalen Erfahrungsgeschichten zu erzählen - je nach Wunsch in Einzel- oder Gruppengesprächen, in jedem Fall ohne vorbereiteten, gar standardisierten Leitfaden und möglichst ohne aktive Einmischung, Storytelling und Storylistening also. In diesen Erfahrungsgeschichten können bereits konkrete Anliegen, Bedarfe und Bedürfnisse implizit aufscheinen oder expliziert werden. Um eine inhaltlich valide Grundlage für die Explorierung und Konturierung konkreter Bedarfe zu generieren, werden die Betroffenen, nachdem sie ihre Erfahrungsge‐ schichten erzählt haben, gezielt danach gefragt. Teil des Projekts ist es auch, Personen von ihren Erfahrungen in der methodisch gleichen Weise erzählen zu lassen, die beruflich mit prekär lebenden Menschen umgehen, sie betreuen oder im Kontext entsprechen‐ 181 4.6 Storyporting im sozialen Bereich der Programme Kontakt zu ihnen haben. Dazu zählen Sozialarbeiter: innen, Psycholog: innen oder auch Mitarbeiter: innen von Jobcentern oder Behör‐ den. Diese Perspektive mitzuberücksichtigen, erscheint deshalb sinnvoll, da sich erstens Bedarfe prekär lebender Menschen so eventuell näher be‐ stimmen lassen und zweitens mögliche Forschungsbzw. Lösungsansätze von dieser beruflich-professionellen Seite hinsichtlich deren Relevanz und Validität kritisch eingeschätzt werden können. Gleichzeitig ergibt sich die Möglichkeit, aus dem Storytelling und Storylistening der Betreuenden deren spezifische Bedarfe ableiten zu können oder eventuelle inhaltliche Schnittstellen zwischen den Erfahrungsgeschichten von Betroffenen und Betreuenden zu erkennen. Die wissenschaftlich-analytische Beschäftigung mit den jeweiligen Erfahrungsgeschichten in methodischer Anwendung der qualitativen In‐ haltsanalyse, die Ableitung von Hypothesen und Ansätzen sowie die Suche und, im Erfolgsfall, das Finden von Lösungsansätzen auf der Grundlage der empirisch gewonnenen Daten und der Analyseergebnisse sowie einer intensiven Literaturrecherche bestimmen den zweiten Schritt bei diesem Forschungsprojekt. Er entspricht im Kontext des Storyporting-Prozesses dem Reporting-Teil. Das Forschungsdesign sieht vor, dass im Sinne des partizipativen Ansatzes die generierten Ergebnisse an die Betroffenen und Betreuenden zurückgespiegelt werden. Dies erfolgt methodisch in Form des Storypor‐ tings. Die in prekären Verhältnissen lebenden Menschen werden zunächst detailliert und möglichst eingängig über die erarbeiteten Ansätze und Handlungsoptionen informiert, die dazu dienen sollen, die jeweiligen konkreten Bedarfe zu decken und so eine möglichst positive Änderung der Lebenssituation herbeizuführen. Dann werden sie gebeten, in konkreten Szenen ihre potenzielle Zukunftsgeschichte zu erzählen, in denen diese Lösungsansätze und Handlungsoptionen integriert sind. Das damit verbundene Ziel liegt darin, dass die Betroffenen das jeweilige Zukunftsbzw. Änderungsszenario so realitätsbezogen wie möglich erzählend erleben bzw. präfigurieren und daraus die Motivation gewinnen, diese Änderung(en) realiter anzugehen. Dabei soll und darf freilich die Mög‐ lichkeit von auftretenden Problemen, Barrieren oder des Scheiterns nicht ausgeklammert werden. Dasselbe methodische Vorgehen erfolgt in Bezug auf die Betreuenden. 182 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Vorbereitende Gespräche haben eine wertschätzende Kommunikation als möglichen Bedarf von prekär lebenden Menschen adressiert. Dies bezieht sich augenscheinlich primär auf den kommunikativen Umgang, den Betroffene in Jobcentern erfahren. Wie wichtig externe, aber auch eigene Wertschätzung für diese Menschen ist, zeigt sich nach Schilderungen von Betreuenden in Kreativprojekten, die in Mannheim umgesetzt wurden. Betroffene hätten aus dem, was sie bei diesen Pro‐ jekten im öffentlichen Raum eigenständig geschaffen haben, erhöhten Selbstwert und ein gewisses Maß an Anerkennung gewonnen. Innerhalb der Systematik der Ansätze in der partizipativen Forschung stellt dieses Forschungsprojekt eine spezifische Variante dar. Betroffene werden in den Forschungsprozess einbezogen, doch sie bestimmen nicht den Forschungsprozess, wie es etwa bei Ansätzen der nutzergesteuerten oder betroffenenkontrollierten Forschung der Fall ist (Von Unger 2014, S. 36). Vielmehr liegt das partizipative Moment primär darin, dass die Betroffenen über ihre Erfahrungsgeschichten und die darin adressierten Bedarfe Forschung anstoßen und an den wissenschaftlich generierten Er‐ gebnissen persönlich teilhaben. Das Ziel ist, dass alle Beteiligten von der Zusammenarbeit profitieren. Darin kann eine Affinität zum Ansatz der communitybasierten partizipativen Forschung gesehen werden (ebd., S. 27-32), wobei der Community-Begriff im Zusammenhang mit prekär lebenden Menschen schwer zu definieren ist, was allein schon am Kriterium des Zugehörigkeitsgefühls (ebd., S. 28) sichtbar wird. Spezifisch an dem von der Storyporting-Methode bestimmten Ansatz ist, dass die jeweilige Biografie und Existenz der Betroffenen zum Gradmesser dafür werden, ob diese Forschung erfolgreich war oder nicht. Dies gilt es im Verlauf dieses Projekts zu berücksichtigen und (selbst-)kritisch zu prüfen. 4.7 Unite Europe Wie kann europäische Integration durch publizistische Formate und Sport-/ Eventformate gefördert, gelebt und vollzogen werden? Diese Frage beschäf‐ tigte Joshua Burkhardt, der an der Hochschule Fresenius Heidelberg Sport‐ management studiert, seit längerem. Zusammen mit seiner Kommilitonin Nadine Welzbacher aus dem Studiengang Medien- und Kommunikations‐ management entwickelte er ein Konzept mit dem Ziel, virtuell und analog 183 4.7 Unite Europe die bestechende Vielfalt Europas, aber auch die mit dem Kontinent verbundenen Probleme und Ängste partizipativ zu beleuchten. Daraus entstand das Praxisprojekt „Unite Europe“, das von vier Studierendenteams im Wintersemester 2020/ 21 umgesetzt und von den beiden Autor: innen dieses Buches betreut wurde. Das Projekt greift zentrale Elemente des dreistufigen Storyporting-Prozesses auf. Ein Team kreierte narrativen Content für die publizistische Digital- Plattform Unite Europe, die parallel entwickelt wurde. Die Studierenden konnten zahlreiche namhafte Sportler: innen für Interviews gewinnen, in denen diese in selbsterlebten Geschichten, Szenen und Beispielen ihre konkreten Europa-Erfahrungen schildern. Darunter der Para-Leichtathlet Niko Kappel, die Skilangläuferin Katharina Hennig und der italienische Skirennläufer Christof Innerhofer. Dabei werden auch Problemthemen wie die Situation von Flüchtlingen in Europa, Rechts- und Linkspopulismus sowie Terrorismus angesprochen. Das Team kooperierte mit Studierenden des sportwissenschaftlichen Instituts an der Universität Tübingen, die, betreut von ihrer Dozentin Dr. Verena Burk, auch Gespräche mit Sport‐ funktionär: innen führten und Reportagen zu Europa-Themen verfassten. Inzwischen ist die Online-Plattform Unite Europe - We create change and exchange through sport mit den Interviews für alle Interessierte über den Link https: / / www.touniteeurope.com/ abrufbar. Reflexion | Was denken Sie? Worin liegen die zentralen Stärken, aber auch Probleme von Europa? Ein zweites Team hat ein Europa-Café als Eventformat konzipiert, das unter dem Motto „Create Change“ erstmals im Herbst 2022 in Heidelberg und im Anschluss in verschiedenen europäischen Städten umgesetzt werden soll. Die Gäste werden in einer eindrucksvollen Galerie empfangen, in der sie u. a. relevante Informationen und visuell ansprechend aufbereitetes Datenmaterial zu verschiedenen Europa-Themen bekommen. Neben diesem Reporting-Teil, zu dem ein intensiver Gedankenaustausch, Diskussionsrun‐ den und Workshops gehören, wird die Vielfalt Europas in diesem ‚Café‘ aber auch in kulinarischer Weise erlebbar. Weitere Teams erarbeiteten ein Marketingkonzept für „Unite Europe“ und konzipierten die Leitung und Steuerung, aber auch einen Wertekodex für das Projekt. 184 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Aus den Interview-Storys der Sportler: innen und den Informationen, Da‐ ten sowie Analysen des Europa-Cafés werden im Austausch der Event-Teil‐ nehmenden unterschiedlichste Storyporting-Geschichten entstehen. Das von Joshua Burkhardt und Nadine Welzbacher auf den Weg gebrachte Projekt, das Start-up-Qualitäten in sich birgt und noch Sponsor: innen sucht, soll wesentlich dazu beitragen, dass über den Sport ein bürgernahes, partizipatives Europa-Narrativ entsteht - jenseits der primär negativen (finanz-)politischen Konnotation des Kontinents. Challenge Europa als Filmformat In einem Praxisprojekt mit dem Titel „Europa als filmische challenge“ setzten sich die Studierenden Leonie Gere, Lukas Hanek, Katharina Holzner, Mina Kaderi und Kira Plößer der Hochschule Fresenius Heidelberg mit den Folgen der digitalen Kommunikation und Medien in ihrer Lebenswelt auseinander. Startpunkt des Projektes war die Eigenwahrnehmung und Selbstreflexion der Studierenden, dass junge Menschen ihrer Generation zwar gemeinsam in einem Raum, auf einer Party, in einem Club oder Restaurant verweilen - aber dennoch abgetaucht in digitalen Kanälen nebeneinander ‚vereinsamen‘, die Welt viel zu oft durch digitale Filter wahrnehmen und sich perma‐ nent dem sozialen und emotionalen Druck ausgesetzt fühlen, etwas zu versäumen, nicht ,schön‘ oder ,cool‘ genug zu sein. Das Storytelling in diesem Projekt wurde filmisch in kurzen, gescripteten Videosequenzen verarbeitet, in denen die Studierenden sich selbst in ihren Ängsten und Sorgen spielen. In einer Online-Umfrage wurde der Medienkonsum in der Zielgruppe analysiert, um so die eigene Wahrnehmung in einem größeren Kontext bewerten zu können. Im nächsten Schritt erfolgte die Diskussion, was denn notwendig wäre, um aus der Enge dieser Eigenwahrnehmung herauszutreten. Eine Antwort lautete: Digital Detox - also der befristete komplette Verzicht auf digitale Medien und Technologien. Daraus wurde die Idee geboren, sich der Herausforderung zu stellen, ein Leben ohne digitale Medien zu führen. Als Challenge und Erlebnishin‐ tergrund für den nun folgenden Reporting-Teil stellten sich die Studie‐ renden die Frage, was z. B. passieren würde, wenn man eine Gruppe von Menschen quer durch Europa schickte, ohne dass diese digitale Hilfsmittel 185 4.7 Unite Europe verwenden dürften. Wie würden sie zurechtkommen, wenn sie nicht die Möglichkeit haben zu googeln? Wie würden sie mit Menschen sprechen, deren Sprache sie nicht kennen? Was würden sie erleben? Wie würden sie ihre Erlebnisse weitererzählen? Würde ihnen etwas fehlen? Könnten sie sich aus den eingeübten Verhaltensmustern befreien? Wären sie auch ohne digitale Kommunikationsmittel in der Lage, zu interagieren und sich in der Gesellschaft zu orientieren? So entstand die Idee, zwei Gruppen junger Menschen auf eine Reise durch Europa zu schicken, bei der sie sich in einer Art Schnitzeljagd in den bereisten Ländern unterschiedlichen Challenges stellen müssen. Die einzelnen Challenges werden in einem nichtgescripteten Serienformat filmisch erzählt. Das optimale Serienformat und die optimale Folgenlänge wurden in einer Online-Befragung innerhalb der Zielgruppe evaluiert. In einer Folge - also Challenge - müssen die Teilnehmenden beispiel‐ weise mit Pferden durch Litauen reiten und dabei die Zutatenliste für das Rezept der litauischen Kugelis, eines traditionellen litauischen Kartoffelauflaufs, sammeln und das Gericht gemeinsam mit einer tra‐ ditionell gekleideten, älteren Litauerin kochen. Während des Kochens erzählt die Litauerin den Teilnehmenden und den Zuschauer: innen die Geschichte der Speise und erzählt auch darüber, welche persönliche Erinnerungen sie mit dem Gericht verbindet. Die Zuschauer: innen sollen über die persönliche Geschichte der älteren Frau mehr erfahren über das Leben in Litauen. 4.8 Storyporting und szenisches Spiel: „Play, plan & perform“ | Lia Hiller „Play, plan & perform“ ist ein partizipatives Format, das mit Methoden der Theaterpädagogik arbeitet. Mittels szenischen Spiels werden Impulse zur Realisierung nachhaltiger Entwicklungen und Innovationen im Sinne des Gemeinwohls gesetzt und Wandlungsprozesse begleitet und unterstützt. Es folgt der Logik des dreistufigen Storyporting-Prozesses. In der wertschät‐ zenden Atmosphäre einer Workshop-Reihe entwickeln die Mitwirkenden nach themenorientierter Recherche Zukunftsideen, spielen sie, reflektieren sie und inszenieren einen Prototyp. Am Ende werden externe Interessierte, z. B. Bürger: innen einer Kommune bzw. einer Region oder Mitarbeiter: innen 186 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate von Unternehmen, aktiv eingebunden. Das spielerisch-kreative Format eignet sich für die zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit unterschied‐ lichen Aspekten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders und Zusammenlebens. „Kreativität, das Hervorbringen neuer Formen, ist eine Schlüsseleigen‐ schaft aller lebendigen Systeme“, schreibt Fritjof Capra, Physiker, System‐ theoretiker und Ökologe, im Vorwort des Buchs Theater zum Leben von David Diamond (Diamond 2013, S. 31). Ein wichtiger Fortschritt im wis‐ senschaftlichen Verständnis von Leben sei die Erkenntnis gewesen, dass allen lebendigen Systemen Kreativität innewohnt (ebd.). Angesichts der ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen in regiona‐ len und globalen Kontexten ist es von großer Bedeutung, „menschlichen Organisationsformen Leben einzuhauchen, um ihre Integrität, Kreativität und ihr Potenzial für Veränderung zu stärken“ (ebd., S. 33). Mit dem partizipativen Theater, das im Sinne von Diamond nicht Theater für Gemeinschaften, sondern Theater mit Gemeinschaften macht (Diamond 2013, S. 28), werden Möglichkeiten eines ganzheitlichen Lern‐ prozesses eröffnet. Zuschauende werden selbst miteinbezogen. In David Diamonds Konzept vom theatre for living (Theater zum Leben) geht es um die Erforschung von Möglichkeiten, die uns helfen sollen, auf gesündere Art und Weise zusammen zu leben - „Theater, um in einer gesunden Gesellschaft zusammen zu leben“ (ebd., S. 40). Theaterspielen weckt nach Gabriele Czerny (2011) die individuellen Selbstbildungskräfte, fördert ästhetisches Bewusstsein, generiert die Mög‐ lichkeit, eigenen und fremden Perspektiven nachzuspüren, unterstützt die subjektive Rezeptionsfähigkeit und erfordert gleichzeitig intersubjektiven Austausch. Zudem mobilisiert es „die Fähigkeit selbst initiativ zu werden und ermutigt Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten zu durchbre‐ chen, neue kennenzulernen und auszuprobieren. Es appelliert an soziales Verantwortungsbewusstsein“ (Czerny 2011, S. 19). Die Methoden aus der Theaterpädagogik ermöglichen aktives Interagieren und öffnen mittels Perspektivwechsel neue Erfahrungshorizonte, auch im Trainieren mög‐ licher Best-Case- oder Worst-Case-Situationen. Durch den wichtigen Punkt der individuellen und gemeinsamen Reflexion kann die persönliche und gemeinschaftliche Entwicklung gestärkt werden, was zu einer höheren Identifikation mit dem Thema, der Organisation oder dem Unternehmen führt und für einen Motivationsschub sorgt, um bessere Resultate zu erzie‐ len. 187 4.8 Storyporting und szenisches Spiel: „Play, plan & perform“ | Lia Hiller Durch das szenische Spiel bei „Play, plan & perform“ sollen zukunfts‐ orientierte Situationen präfiguriert, erlebbar, fühlbar und erfahrbar gemacht werden. Play, die erste Stufe, bedeutet das Spielen idealer Zukunftssze‐ nen (wie soll es künftig sein? ). Sie entspricht dem Storytelling-Schritt im dreistufigen Soryporting-Prozess. Bei plan werden, entsprechend des Reportings, Informationen, Daten oder auch wissenschaftliche Erkenntnisse herangezogen (was brauche ich, damit das Ideale Realität wird? ). In der dritten Stufe wird, analog zum Storyporting-Schritt, auf der analytischen Basis der (auch in Diskussionen) erarbeiteten Inhalte oder Konzepte das konturierte und reflektierte Zukunftsszenario als Prototyp performt (wie sieht die realisierbare Zukunft aus? ). Durch die Aufführung der erarbeiteten Szenen vor Publikum im sozialen/ organisationalen Umfeld bzw. in der Öffentlichkeit wird das für den gesamten Storyporting-Prozess elementare partizipative Moment besonders akzentuiert. Das Publikum wird miteinbezogen. Zuschauende können so selbst zu Agierenden werden. Die Theaterworkshops können analog, aber auch digital oder in Mischform stattfinden. Um Zukunftsszenarien zu planen, vorstellbar zu machen und um Be‐ wusstsein für Transformationsprozesse zu schaffen - sei es im sozialen oder wirtschaftlichen Kontext - ermöglicht das Format „Play, plan & perform“ die Entfaltung von Kommunikations- und Gestaltungspotenzial im individuel‐ len und gemeinschaftlichen Sinn. Basis ist das szenische Spiel. Im geschützten Raum werden gemeinsam themenbezogene Szenarien entwickelt, gespielt, inszeniert und reflektiert. Sollte sich daraus die inhaltliche Notwendigkeit der Optimierung erge‐ ben, beginnt der Zyklus von Neuem. Es kann sich daraus also ein Innova‐ tionsloop ergeben. Im Laufe dieses Prozesses wird zwar ein Plan entwickelt, es besteht aber die Möglichkeit, auf Veränderungen mit Improvisations‐ vermögen zu reagieren und das erarbeitete Konzept anzupassen bzw. zu verbessern. Damit stellt „Play, plan & perform“ eine Adaption und Erweiterung der u. a. in Unternehmen angewandten Szenario-Technik mit theaterpädago‐ gischen Mitteln dar. Mit ihr werden unterschiedliche Zukunftsbilder ent‐ worfen, wobei alternative Entwicklungsannahmen berücksichtigt werden (Kollmann 2016, S. 158). „Szenarien stellen dabei jedoch keine Prognosen dar, sondern beschreiben, welche Entwicklungspfade in der Zukunft existieren und welche Grenzfälle eintreten können“ (ebd.). 188 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Wie wollen und werden wir künftig leben? In diesem Kontext können mit „Play, plan & perform“ auch zivilgesellschaftliche Themen bearbeitet werden. Dieses Format ist ein Instrument der Mitgestaltung und Mitbe‐ stimmung von Bürger: innen, Mitarbeiter: innen von Unternehmen bzw. Organisationsmitgliedern. Spielerisch erforscht und umgesetzt werden kann beispielsweise, wie Zukunftstechnologien für das Allgemeinwohl nutzbar sind. Teilnehmende erleben eine Identifikation mit dem erarbeiteten Resultat und spüren ihre individuelle Selbstwirksamkeit. Das spontane Spiel, zu Anfang im geschützten Raum, erlaubt im wahrsten Sinne des Wortes das Probieren. Sollte eine Idee in der spielerischen Umset‐ zung nicht funktionieren, also scheitern, liegt darin die positive Chance des Neustarts und der Verbesserung. Bei den teilnehmenden Teams soll zuallererst Begeisterung für das Spiel geweckt werden. Zudem sollen ihnen einige grundlegende Theaterprinzi‐ pien vermittelt werden. Es geht bei „Play, plan & perform“ nicht um eine Bewertung (schau-)spielerischer Leistung, sondern um die gemeinsame Entwicklung und Verwirklichung neuer Ideen und Projekte sowie um das Erreichen der gestellten Aufgabe im Sinne des Miteinanders oder der organisationalen bzw. unternehmerischen Ziele. Im szenischen Spiel kann die Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Selbst und den anderen Teilnehmenden zu einer Stärkung der Empathiefähigkeit führen und soziale, interkulturelle und intergenerative Kompetenz stärken. Diese Fähigkeiten spielen eine wichtige Rolle beim Transfer in die Gesell‐ schaft bzw. in Unternehmen. In dem intergenerativen theaterpädagogischen Projekt „Flowers“ (2015, ‚Blattform‘, Nürtingen) wurden nach impulsgebender Anleitung von den Teilnehmenden selbst Szenarien entwickelt, die sich u. a. mit dem Salat- und Gemüseanbau unter Laborbedingungen in Fukushima beschäftigen sowie mit dem Thema Urban Gardening. In Auseinan‐ dersetzung mit verschiedenen Quellen und Informationen entstanden Szenen zu Gemeinschaftsgärten, die gleichzeitig für bürgerschaftliche Veranstaltungen genutzt werden können, in die auch geflüchtete Men‐ schen miteinbezogen werden - ein zu der Zeit sehr aktuelles Thema. Im Anschluss an die Präsentation der szenischen Collage wurde mit dem Publikum diskutiert. Das Theaterlabor an der Volkshochschule Nürtingen beschäftigte sich im Wintersemester 2019/ 20 mit zukunftsorientierten Themen 189 4.8 Storyporting und szenisches Spiel: „Play, plan & perform“ | Lia Hiller wie Künstliche Intelligenz (KI), Klimawandel, Wohnen und Arbeiten, Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung sowie Mobilität. Nach einem ersten improvisierten Spiel mehrerer Gruppen (play) wurden verschiedene Recherchequellen zu den jeweiligen Themen herangezo‐ gen, darunter aktuelle Zeitungs- und Fernsehpublikationen. Sie waren Grundlage für ein analytisch-kritisches Umgehen mit den einzelnen Zukunftsthemen, bei dem auch ethische Aspekte eine Rolle spielen (plan). In der anschließenden szenischen Auseinandersetzung (perform) zeigte sich dann, dass eine neue und differenziertere Sichtweise auf das jeweilige Thema gewonnen werden konnte, beispielsweise beim Einsatz von KI in der Pflege. Zunächst war bei den Teilnehmenden eine zurückhaltend-zögerliche Haltung zum Thema wahrzunehmen. Nach dem Entwickeln von Spielszenen auf der Grundlage von fakten‐ basierten Informationen änderte sich dies, und es wurde auch eine positive Seite des Einsatzes von Pflegerobotern gesehen - zumal eine Teilnehmerin, selbst Krankenschwester, auf die Vorteile dieser Hilfsmöglichkeit im pflegerischen Alltag hinwies. In die laufenden Szenen wurden Mitglieder anderer Gruppen direkt miteinbezogen. Dies brachte neue Impulse und intensivierte die kollaborative Ausein‐ andersetzung mit den verschiedenen Zukunftsthemen. „Play, plan & perform“ ist ein Instrument, um gesellschaftliche Veränderun‐ gen nachvollziehbarer und verständlicher zu machen und um aktiv an ihnen mitzuwirken. Es kann auch im Kontext der beschriebenen Zukunftscamps und -werkstätten eingesetzt werden. 4.9 Aufbrechen mit Kompetenz und Persönlichkeit Die Kombination von Narration, Analyse/ Reflektion und szenischem Spiel prägt diesen Workshop. Es ist ein Angebot für junge und ältere Menschen, in bevorstehenden Aufbrüchen bzw. Änderungsphasen die eigenen Kompe‐ tenzen und die Persönlichkeit zu konturieren. Dies können der Wechsel von Schule zu Studium bzw. Ausbildung, von Studium zum Berufsstart, ein beruflicher Wechsel oder auch die Phase vor der Pensionierung sein. Das Tool ist auch als Assessment für die Personalauswahl bei Unternehmen, Organisationen und Hochschulen oder als unternehmensinternes Angebot für Mitarbeiter: innen vor dem Ruhestand denkbar. 190 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate Zu Beginn erzählen die jeweiligen Teilnehmer: innen an biografischberuflichen Szenen und Beispielen, was sie bisher getan haben, wel‐ che Erfahrungen sie dabei gemacht haben, welche Kompetenzen und Fähigkeiten sie sich angeeignet haben und welche förderungswürdigen Dinge sie an sich wahrnehmen - und wie sie sich die anstehende neue Phase vorstellen, welche Erwartungen, Träume und Hoffnungen, aber auch eventuelle Befürchtungen oder sogar Ängste sie damit verbinden. Zudem schildern sie Wertevorstellungen, die für sie wichtig sind. Möglich sind auch kleine Erfolgsstorys, aus denen nach dem Ansatz des US-amerikanischen Karriereberaters Richard N. Bolles Kompetenzen und Fähigkeiten abgeleitet werden können (Bolles 2019). Im zweiten Schritt wird den Teilnehmenden ein Kompetenzsystem vermittelt, das sowohl für den Start eines Studiums/ einer beruflichen Ausbildung als auch für den Einstieg in den gewählten Beruf elementar ist. Basis dieses Kompetenzsystems ist das strukturierende, analytische Denken im Sinne von Deduktion und Induktion. Beide Denkbewegun‐ gen bilden die kognitive Grundlage für die Recherche als strukturiertes Generieren von Informationen, Wissen und Handlungskompetenz sowie als perspektivenreiche, bewusste Wahrnehmung und Analyse von Realität. Die strukturierte Recherche ist wiederum die wesentliche Basis für Textver‐ ständnis, logisches, kohärentes Schreiben sowie mündliches Präsentieren und Moderieren. In einer 2016 von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichten Studie zur Ausbildungsreife und Studierfähigkeit wird dargelegt, dass trotz zuneh‐ mend guter Schulabschlüsse die Anzahl junger Menschen steige, die gleich zu Beginn einer Berufsqualifikation bzw. eines Studiums mit fehlenden Grundlagenkompetenzen u. a. hinsichtlich Sprache zu kämpfen haben (Henry-Huthmacher/ Hoffmann 2016, S. 5). Als Reaktion auf diese Defizite erteilen mehr als ein Drittel der IHK-Betriebe sowie zahlreiche Hochschulen „nachholenden Schulunterricht wie z. B. Schreibberatung, Texterfassung und -verständnis“ (ebd., S. 5f.). Jeder vierte Arbeitgeber beklagt, wie bereits angeführt, laut einer 2014 publizierten Studie von McKinsey, dass es bei Be‐ rufsanfängern an der Fähigkeit zur systematischen Problemlösung mangele (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014). Praktische Erfahrungen aus entsprechenden Projekten mit jungen Men‐ schen zeigen, dass das Vermitteln und anwendungsorientierte Trainieren dieser Kompetenzbereiche - als ein Kompetenzsystem - gerade bei Studi‐ enanfänger: innen sowie Schul- und Hochschulabsolvent: innen eine größere 191 4.9 Aufbrechen mit Kompetenz und Persönlichkeit Sicherheit erzeugen kann. Speziell beim Übergang zum Beruf bilden diese Kompetenzbereiche auch die Grundlage für adressaten- und zielorientiertes Kommunizieren fachlicher Inhalte, also für eine erfolgreiche Kommunika‐ tion innerhalb der jeweiligen beruflichen Tätigkeit. Wird das Tool als Assessment genutzt, informieren Vertreter: innen von Unternehmen, Organisationen oder Hochschule in diesem Reporting-Teil über zentrale Daten und Strukturen der jeweiligen Einrichtung sowie über die entsprechenden Ausbildungs- und Berufsfelder bzw. Studieninhalte. Zudem wird den Teilnehmenden eine konkrete Aufgabe gestellt, die sie in einer bestimmten Zeit in Gruppen bewältigen und bei der sie das zuvor vermittelte Kompetenzsystem anwenden sollen. Bei Personen, die vor der Pensionierung stehen, geht es derweil primär um die Reflexion, wie etwaige Wünsche, Träume oder Idealvorstellungen hin‐ sichtlich der Zeit des Ruhestands realisiert werden können, was dazu alles nötig ist und welche Chancen, aber auch Herausforderungen bestehen. Denkbar ist in diesem Kontext, dass Vertreter: innen zivilgesellschaftlicher Gruppen über die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements in‐ formieren. Im dritten Schritt spielen, in Umsetzung von Methoden aus der Thea‐ terpädagogik, die Workshop-Teilnehmer: innen mögliche künftige Inhalte und Situationen ihrer neuen Lebensphase. Dabei fließen die biografie- und emotionsbezogenen Storys aus dem ersten Teil sowie die Inhalte, Informa‐ tionen und Reflexionen des Reporting-Schritts ein. Gleichzeitig erproben die Teilnehmenden persönliche Entwicklungsprozesse, neue Perspektiven und Ziele im gemeinschaftlichen Kontext - und in Wertschätzung ihres Erfahrungswissens. Dabei wird das Ich als Bestandteil des Wir erlebt und damit das Individuum als aktiver Part einer Gemeinschaft, damit auch der Zivilgesellschaft positioniert. Mittels des darstellenden Spiels ist es den Teilnehmenden möglich, allgemeine Ideen und Wünsche, aber auch Herausforderungen am konkreten (Bei-)Spiel selbst zu erfahren und daraus Rückschlüsse für mögliches zukünftiges Handeln zu ziehen. Neben Gestaltungskompetenz sowie der Stärkung des eigenen Aus‐ drucksvermögens in Sprache und Gestus und damit der Konturierung der eigenen Persönlichkeit werden in diesem dritten Teil auch soziale Kompetenz sowie Kreativität und Improvisationsvermögen vermittelt. Ziel ist es, den Teilnehmer: innen das Werkzeug dafür zu geben, den eige‐ nen Entwicklungsprozess bewusst zu gestalten im Kontext sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung. Der theaterpädagogische Workshop-Part 192 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate findet, wie der Storytelling- und Reporting-Teil, in einem geschützten Raum statt. 4.10 Die Nachhaltigkeits- und Transformationsshow An der Hochschule Fresenius Heidelberg wird derzeit in verschiedenen Stu‐ diengängen und Lehrveranstaltungen das Konzept für eine Nachhaltigkeits- und Transformationsshow entwickelt. Diese soll zunächst als gestreamte Live-Events, konkret als regionale Veranstaltungen realisierbar sein und im Erfolgsfall zum TV-Liveformat weiterentwickelt werden. Bisher wurde folgender Ansatz erarbeitet: In je zweistündigen Shows treten intergenera‐ tive, inklusive und integrative Teams aus vier verschiedenen Kommunen einer Region gegeneinander an. Sieger: in ist jeweils das Team, das in einer Show die höchste Punktzahl erzielt. Diese Punkte generieren sich aus Wettbewerben sowie aus der Bewertung durch eine Expert: innen-Jury sowie des Publikums, das sowohl vor Ort in Präsenz als auch digital via Streaming der Show beiwohnt. Die vier kommunalen Teams haben regional bekannte Persönlichkeiten als Mentor: innen an ihrer Seite. Das Themenspektrum der Show umfasst die Nachhaltige Entwicklung im Kontext der drei gängigen Ebenen Ökologie, Ökonomie und Soziales sowie der kulturellen Dimension von Nachhaltigkeit. Hinzu kommen Me‐ gatrends und Zukunftsthemen wie Mobilität, Gesundheit, Konnektivität, Ernährung, Landwirtschaft, Mode, Wohnen und Arbeiten, Tourismus etc. Im ersten Showteil (Storytelling und Storylistening) erzählen Bür‐ ger: innen aus Deutschland und aus verschiedenen anderen Ländern der Erde ihre Erfahrungsgeschichten, z. B. zum Klimawandel, Umgang mit Ressourcen, zu sozioökonomischen Realitäten, zu Bildungsgerechtigkeit, Fluchterfahrungen, Freiheitsrechten sowie zu Transformationsthemen wie Smart City, Mobilität, Künstliche Intelligenz usw. Dabei kann es sich sowohl um Problemschilderungen als auch Best-Practice-Beispiele handeln. Schwerpunkt des zweiten Teils (Reporting) sind Quizwettbewerbe, bei denen die Teams Fragen zur Nachhaltigen Entwicklung, zu Megatrends und diversen Transformationsthemen aus verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereichen in einer vorgegebenen Zeit richtig beantworten müs‐ sen. Die Fragenkomplexe sollten dezidiert alltagsbezogen sein, damit der informative Nutzen für die Rezipient: innen besonders groß ist - und sie 193 4.10 Die Nachhaltigkeits- und Transformationsshow sollten Inhalte der im ersten Teil geschilderten Erfahrungsgeschichten spiegeln. Im dritten Showteil (Storyporting) geht es zentral darum, dass in Chal‐ lenges nachhaltigkeitsbezogene Zukunftsszenarien im szenischen Spiel präsentiert, präfiguriert und erfolgreich bewältigt werden müssen. Beispiele sind etwa: ein intergeneratives Exit-Spiel, bei dem Vertreter: innen der ‚Generation Greta‘ mit Babyboomern kooperieren; ein Nachhaltigkeits- und Transformationsparcours mit themenspezifischen Challenges, die partizi‐ pativ gemeistert werden müssen. Eine in allen Shows ‚gesetzte‘ Challenge besteht in einer konkreten nachhaltigkeitsbezogenen Aufgabe, zu der die kommunalen Teams eine Lösung bzw. Präsentation mitbringen und in der Show spielerisch vorstellen, z. B. die Entwicklung eines Quartiers unter Aspekten und Zielen der Nachhaltigkeit. Zudem präsentiert sich jeweils ein bestehendes nachhaltigkeitsorientiertes Start-up aus der teilnehmenden Kommune mit seinem Geschäftsmodell vor der Expertenjury sowie dem Publikum. In Call-in-Aktionen wird das nicht vor Ort anwesende Publikum nicht nur für das Votum zu den jeweiligen Challenges eingebunden, vielmehr können Interessierte auch eigene Erfahrungsgeschichten, Fragen, Anregun‐ gen, und Kommentare liefern. Zudem wird ein Chatroom für den parallelen Austausch von Interessierten eingerichtet. 194 4 Anwendungsbeispiele, Tools und Formate 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt Überblick | Das erwartet Sie in diesem Kapitel Nach der Darstellung praktischer Anwendungsfelder geht es nun ab‐ schließend um die Frage, wie Storyporting im Kontext des wissenschaft‐ lichen Methodensystems kritisch einzuschätzen und zu positionieren ist. Dazu wird zunächst eine Kondensierung von Methodenwissen vorge‐ nommen: Es wird auf wichtiges Grundlagenwissen verwiesen, das nötig ist, um methodisch korrektes Vorgehen zu verstehen und anwenden zu können. Die methodologischen Überlegungen zum - konvergenzorien‐ tierten - Storyporting fokussieren den Mixed-Methods-Ansatz, bei dem qualitative und quantitative Methoden kombiniert werden. Eine Methode durchzuführen, ohne sie verstanden zu haben und in ihrem relevanten Kontext anwenden zu können, birgt die Gefahr schlechter Ergeb‐ nisse, daraus folgender Fehlinterpretationen und somit der Beschädigung des Erkenntnisgewinns allgemein. Im Kontext von Storyporting liegt also eine Gefahr darin, dass gegebenenfalls ein unvollständiges oder falsches Wissen weiterberichtet wird, das aber den methodischen Anspruch von Wissenschaftlichkeit für sich proklamiert. Die korrekte Anwendung erfor‐ dert somit eine hohe Professionalisierung. 5.1 Methodisches Verständnis des Mixed-Methods-Ansatzes Forschungsdesigns dienen dem Forschenden oder überhaupt jedem, der das Ziel eines Erkenntnisgewinns hat, als Basis für die Sicherheit und Verläss‐ lichkeit des gewonnenen Wissens. Dass hierbei verschiedenste Strategien möglich sind und angewendet werden, hängt u. a. von der Fragestellung/ Hy‐ pothese, dem bereits bekannten Forschungsstand/ Wissen/ Diskurs und nicht zuletzt der Disziplin des Forschenden ab. Innerhalb des Forschungsprozes‐ ses sind Forschungsdesigns pragmatisch anzuwendende Werkzeuge, um relevante Fragen/ Hypothesen zu beantworten (Schreier/ Echterhoff 2013). In der Wissenschaft gibt es in dem Kontext von Forschung einen Konsens, wie Designs zu gestalten sind, damit die Ergebnisse tatsächlich zu einem Erkenntnisgewinn führen und somit auch in der Realität von Bedeutung sind, und welche Gütekriterien hier eine übergeordnete Rolle spielen: Objektivität, Reliabilität und Validität (Döring/ Bortz 2016). Ein hoher Grad an Objektivität (Anwenderunabhängigkeit) ist gegeben, wenn Forschende selbst keinen oder so wenig wie realistisch möglich Einfluss auf den Forschungsprozess ausüben. Der Anspruch muss sein, dass sowohl die Durchführung und Auswertung als auch die Interpretation der Untersuchung so objektiv gestaltet werden wie möglich. Die Reliabilität bzw. Zuverlässigkeit/ Präzision gibt an, wie stark bzw. gering ein möglicher Messfehler (der in der Modelltheorie immer angenom‐ men wird, da es kein hundertprozentig vollständiges Modell geben kann) das postulierte Modell (also eine Abstraktion der Wirklichkeit) beeinflusst. Es wird also hinterfragt, wie realitätsnah oder wahr das beschriebene Modell im gegebenen Kontext ist, was wiederum eine hohe Bedeutung hat für die Aussagen, die auf dessen Basis getroffen werden können. Hierzu gehört in Bezug auf eine Methode wie beispielsweise dem Storyporting der Nachweis konsistenter Ergebnisse bei Wiederholung unter gleichen Rahmenbedin‐ gungen. Andere Personen müssen bei korrekter Durchführung zu ähnlichen Ergebnissen kommen und die Interpretation der Daten (in welcher Form auch immer) muss transparent und nachvollziehbar sein. Somit verbleibt die Validität als Kriterium für die Gültigkeit einer Me‐ thode, simpel gesprochen, wenn ein Instrument möglichst präzise, also ohne oder mit marginal kleinem Fehler, das misst, was es messen soll. Diese Gütekriterien unter Realbedingungen sind z. B erfüllt, wenn eine Waage als Instrument eingesetzt wird, um Gewicht in Kilogramm zu messen, die Waage dies bei jeder Art von Element und unter jeder möglichen Rahmenbedingung tut und dabei nur kleinste Abweichungen aufzeigt. Diese methodische Strenge in anderen wissenschaftlichen Verfahren anzulegen und nachzuweisen, ist natürlich nicht immer vergleichbar einfach und erfordert die hohe Sorgfalt der Durchführenden, um dies zu gewähr‐ leisten. Um den hier relevanten Mixed-Methods-Ansatz verdeutlichen zu kön‐ nen, braucht es ein Verständnis seiner Bestandteile, nämlich des qualitativen und des quantitativen Paradigmas, um gleich vorwegzunehmen, dass es sich hierbei nicht um sich gegenseitig ausschließende Merkmale handelt. 196 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt Beide Ansätze tragen in ihrem jeweiligen Bereich der wissenschaftlichen Methodik zum Verstehen und Erkenntnisgewinn bei. Aus der Tradition der experimentellen Forschung und den damit verbun‐ denen Annahmen von möglicher Kausalität zwischen einer unabhängigen Variablen (Prädiktor), die die Veränderung einer abhängigen Variablen (Ergebnis/ Outcome) vorhersagen soll, und möglichst vielen Störeinflüssen, verstärkenden, abschwächenden oder mediierenden Einflüssen generieren sich eine Vielzahl quantitativer Forschungsdesigns (→ Tabelle 1). Experimente, Befragungen, Untersuchungen mit mehreren Variablen, so‐ wohl bei den vorhersagenden als auch bei den Ergebnisvariablen, mit einem oder mehreren Messzeitpunkten und einem hohen Grad an statistischen Regeln für die korrekte Durchführung und Interpretation kennzeichnen quantitative Ansätze. Quantitative Forschung folgt demnach meist dem deduktiven Ansatz, d. h. bereits bestehende Theorien oder Wissen werden auf ihre Falsifizierbar‐ keit geprüft. Das erfordert, dass Forschende ihre Hypothesen auf bestehende Theorien bzw. Fachwissen aufbauen, daraus theoretische Hypothesen for‐ mulieren, die sich falsifizieren lassen müssen, um diese dann durch das Forschungsdesign zu bestätigen oder abzulehnen. Dies erfordert wiederum eine trennscharfe Definition der Forschungsfrage, damit eine Falsifikation überhaupt möglich ist. Die Frage, ob der Mensch eine Seele besitzt oder nicht, ist philosophisch spannend und relevant, aber durch quantitative Hypothesenbildung empirisch nicht falsifizierbar und damit, Stand heute, nicht beantwortbar. Somit ist das Erreichen einer möglichst hohen Objekti‐ vität, und damit verbunden das Ziel möglichst allgemeingültige Aussagen und Vorhersagen über den Untersuchungsgegenstand oder die Zielgruppe machen zu können, handlungsleitend. Qualitative Forschung folgt eher dem induktiven Ansatz, ist also theoriebildend und explorierend und vor allem dort sinnvoll einzusetzen, wo es noch kein umfangreiches theoretisches Wissen gibt oder soziale Phäno‐ mene in ihren jeweiligen Kontexten verstehend-interpretativ rekonstruiert werden sollen (Döring/ Bortz 2016, S. 63). Neue Theorien können aus quali‐ tativen Ansätzen entstehen, die beschreibend und aufdeckend operieren. Die Untersuchungsgegenstände sind somit subjektiver und weniger objektiv als im quantitativen Paradigma, verfolgen inhaltlich aber stärker das Ziel des ‚Verstehens‘ als das der Allgemeingültigkeit. Um ein Grundverständnis von Mixed-Methods-Forschung zu bekommen, sei hier zunächst eine zusammenfassende Lehrbuchdefinition gegeben. 197 5.1 Methodisches Verständnis des Mixed-Methods-Ansatzes Im Mixed-Methods-Ansatz (Creswell/ Plano Clark 2017) ■ sammelt und analysiert der Forschende sowohl qualitative als auch quantitative Daten gewissenhaft als Antwort auf Forschungsfragen und Hypothesen, ■ integriert (oder vermischt oder kombiniert) die beiden Datenformen und ihre Ergebnisse, ■ gliedert diese Verfahren in spezifische Forschungsdesigns, die die Logik und die Verfahren für die Durchführung der Studie liefern, ■ ordnet diese Verfahren in den Kontext von Theorie und Philosophie ein. Dies wird in der Literatur auch als Triangulation bezeichnet. „Unter Trian‐ gulation im weiteren Sinne versteht man das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven auf denselben Forschungsgegenstand. In der Methodenlitera‐ tur und auch im vorliegenden Kontext bezeichnet Triangulation die Erhe‐ bung von Daten zu einem Gegenstand unter Anwendung von (mindestens) zwei verschiedenen Methoden“ (Schreier/ Echterhoff 2013, S. 288). Creswell/ Plano Clark (2017) illustrieren im Kontext dieser Definition mehrere Beispiele für die Anwendung eines Mixed-Methods-Ansatzes: ■ Ein Forscher sammelt Daten zu quantitativen Instrumenten und zu qualitativen Datenberichten auf der Grundlage von Fokusgruppen, um zu sehen, ob die beiden Arten von Daten ähnliche Ergebnisse zeigen, aber aus unterschiedlichen Perspektiven. ■ Ein Forscher sammelt Daten mithilfe quantitativer Erhebungsverfah‐ ren und führt anschließend Interviews mit einigen Personen, die die Umfrage ausgefüllt haben, um die Gründe und die Bedeutung der quantitativen Umfrageergebnisse zu erklären. ■ Ein Forscher untersucht, wie Einzelpersonen ein Thema beschreiben, indem er Interviews führt, die Informationen analysiert und die Er‐ gebnisse zur Entwicklung eines Erhebungsinstruments nutzt. Dieses Instrument wird dann an einer Stichprobe einer Population angewandt, um zu sehen, ob die qualitativen Ergebnisse auf eine Population verall‐ gemeinert werden können. ■ Der Forschende führt ein Experiment durch, bei dem quantitative Messun‐ gen die Auswirkungen einer Behandlung auf ein Ergebnis bewerten. Vor Beginn des Experiments sammelt der Forscher qualitative Daten, um die Behandlung und die Standardbehandlung zu planen und um Strategien zur Rekrutierung von Teilnehmenden für die Studie zu entwickeln. 198 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt ■ Ein Forscher möchte ein Programm bewerten, das in der Gemeinde ein‐ geführt wurde. Der erste Schritt besteht in der Erhebung qualitativer Daten im Rahmen einer Bedarfsanalyse, um zu ermitteln, welche Fragen behandelt werden sollten. Anschließend wird ein Instrument zur Messung der Auswirkungen des Programms entwickelt. Dieses Instrument wird dann verwendet, um bestimmte Ergebnisse vor und nach der Programm‐ durchführung zu vergleichen. Auf der Grundlage dieses Vergleichs werden Folgebefragungen durchgeführt, um festzustellen, warum das Programm funktioniert hat oder nicht. Diese mehrphasige Mixed-Methods-Studie findet sich häufig in langfristigen Evaluierungsprojekten. Ein aktives Beispiel des Autors ist die Durchführung einer Unternehmensbefra‐ gung in einem international operierenden Pharmaunternehmen zum Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz (Schmidt 2017; Schmid et al. 2017). Hier wurden gemäß Design zuerst Fokusgruppenworkshops entwickelt und die Gruppen statistisch nach Alter, Geschlecht, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Art der Tätigkeit etc. besetzt. Für Führungskräfte wurden eigene Fokusgrup‐ penworkshops entwickelt. Anhand eines halbstandardisierten Gruppendesigns wurden die Kernthemen für die Unternehmensbefragung erarbeitet. Konkret wurden also für das Unternehmen und die spezifischen Zielgruppen die Prädik‐ toren und Outcomes erarbeitet, die für diese Menschen die größte Relevanz hatten. Dies war teilweise theoriekonform, also wie aus dem Wissenstand erwartet. Aber es tauchten eben auch spezifische Themen auf, die ein rein quantitativer Ansatz nicht aufgedeckt hätte, schlicht weil die Forschenden nicht danach gefragt hätten. Im Anschluss wurde, basierend auf der qualitativen Auswertung und Rückmeldung an die Teilnehmenden zur Verifizierung der Ergebnisse, die Unternehmensbefragung nach wissenschaftlichen Maßstäben entwickelt und umgesetzt. Aus den empirischen, quantitativen Ergebnissen wurden mit der Arbeitsmedizin und dem betrieblichen Gesundheitsmanage‐ ment Maßnahmen entwickelt, umgesetzt und nach Effektivität und Effizienz kontinuierlich evaluiert. Der Vorteil des sicherlich aufwändigen Mixed-Methods-Ansatzes liegt darin, dass, wenn nur ein empirischer Standardfragebogen eingesetzt wor‐ den wäre, relevantes Erleben und Probleme der Beschäftigten nicht identi‐ fiziert worden wären. Zusammenfassend nach Creswell/ Plano Clark (2017) kann festgehalten werden, dass Mixed-Methods-Forschung dort sinnvoll ist, wo eine einzige Datenquelle nicht ausreichend ist, um eine Forschungsfrage ausreichend sinn‐ 199 5.1 Methodisches Verständnis des Mixed-Methods-Ansatzes voll zu beantworten bzw. die generierte Evidenz eben nicht die ganze ‚Story‘ verlässlich abbilden kann oder, um auf die obige Ausführung zu rekurrieren, um methodisch abgesichert den Modellfehler zu verkleinern. Somit ist der Mixed- Methods-Ansatz in seinem Grundverständnis holistischer. Die Herausforderungen dieser Methoden sind aber ebenfalls zu beachten und nicht von der Hand zu weisen (Teddlie/ Tashakkori 2009): ■ Der Durchführende muss ausreichend methodisches Wissen in zwei methodischen Ansätzen aufweisen, um nicht in die ‚Fallen‘ der jewei‐ ligen Durchführung zu treten, und somit auch Erfahrung in Mixed- Methods-Forschung haben. ■ Der Ressourcenaufwand (vor allem Zeit/ Personen mit Expertise) ist bedeutend höher als bei den einzelnen Verfahren. ■ Es muss sauber erklärt werden können, wie die Ergebnisse einer Studie entstanden sind und wie sie interpretiert werden müssen unter den gegebenen Einschränkungen der Methode insgesamt. Eine Methode gleicht nicht automatisch Schwächen der anderen aus, schon gar nicht in nicht korrekter Durchführung. In jedem Falle ist demnach ein valides Design a priori festzulegen, da sonst die Gefahr droht, in eine willkürliche Kombination von Methoden abzudriften. Hierbei muss auch geklärt sein, in welchem Verhältnis die gewonnenen Daten zueinanderstehen (Gewichtung des Einflusses der ge‐ wählten Methode) (vgl. hierzu auch Schoonenboom/ Johnson 2017). quantitativ qualitativ mixed methods ■ Experimentaldesigns ■ nichtexperimentelle Designs (z. B. Fragebö‐ gen) ■ Designs mit meh‐ reren Messzeitpunk‐ ten (Längsschnittun‐ tersuchungen) ■ Narrative Forschung ■ Phänomenologie ■ grounded theory ■ Ethnographie ■ Fallstudien ■ Konvergent ■ Explanatorisch se‐ quenziell ■ Explorativ sequenziell ■ Komplexere Designs (aggregiert aus kleine‐ ren Subdesigns) Tabelle 3: Verschiedene Forschungsdesigns; Quelle: in Anlehnung an Creswell/ Creswell 2018, S. 49, eigene Übersetzung. 200 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt 5.2 Einordnung von Storyporting im Mixed-Methods-Ansatz Im Folgenden soll Storyporting im inhaltlichen Kontext des Mixed-Methods- Ansatzes verortet werden. Gemäß der in → Kapitel 2 dieses Buches beschriebenen Logik des Ansatzes einer möglichst hohen erwünschten Konvergenz zeichnet sich ab, dass oft ein einzelner methodischer Zugang zu einem Forschungsgegenstand nur eine bestimmte Bandbreite der kon‐ zeptionellen map (→ Abbildung 1) abbilden kann. Storyporting setzt in seinem Grundansatz auf ein breiteres Kommunikationsfeld, das sowohl deduktives wie auch induktives Denken (→ Kapitel 3) als methodischen Ansatz berücksichtigt. Im Mixed-Methods-Ansatz könnte dies beispielsweise über konvergente Designs abgebildet werden (Creswell/ Plano Clark 2017), die in Grundzügen in → Abbildung 5 beschrieben sind. Die Besonderheit hier ist, dass die Informationen zu einem Forschungsgegenstand parallel gesammelt werden und nicht sequenziell und im Anschluss verglichen und zusammengeführt werden können. 201 5.2 Einordnung von Storyporting im Mixed-Methods-Ansatz Schritt 1 Analyse der quantitativen Daten mit deskriptiven und inferenzstatistischen Methoden Analyse der qualitativen Daten anhand der festgelegten Systematik der gewählten Methode Strategien des Zusammenführens beider Ergebnisteile » Identifikation von Inhalten, die in beiden Datensätzen auftauchen und Vergleich/ Kontrastierung dieser Bereiche » Diskrepanzen und Gemeinsamkeiten herausstellen anhand der identifizierten Dimensionen in beiden Datensätzen » graphische/ inhaltliche Gegenüberstellung der Ergebnisse beider Ansätze » mögliche Anpassung/ Umwandlung von Daten zu einem neuem, transformierten Datensatz Interpretation der zusammengeführten Ergebnisse » Zusammenfassung der Interpretation jedes einzelnen Ergebnisteils » Herstellen eines konvergenten Verständnisses der Daten durch Herausarbeiten, wo Ergebnisse sich gegenseitig verstärken, zusammenhängen oder divergieren » Diskrepanzen adressieren und erklären » eine neue Fragestellung aufgrund der Ergebnisse generieren Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Quantitatives Design Quantitative Forschungsfrage(n) benennen und methodischen Ansatz festlegen Quantitative Daten sammeln Erlaubnisse einholen/ Ethik, Population festlegen, Messung/ Operationalisierung geschlossener Datensätze mit Instrumenten Qualitatives Design Qualitative Forschungsfrage(n) benennen und methodischen Ansatz festlegen Qualitative Daten sammeln Erlaubnisse einholen/ Ethik, Population festlegen, Messung offener Datensätze mit Protokollen Abbildung 5: Konvergente Mixed-Methods-Ansätze; Quelle: in Anlehnung an Creswell/ Plano Clark 2017, S. 70, eigene Übersetzung. 202 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt Weiterhin könnte im Kontext von Storyporting ein explanatorisches (erklä‐ rend), sequenzielles Design eingesetzt werden. Solche Ansätze sind sinnvoll, wenn beispielsweise empirische quantitative Daten (bei korrekter Durch‐ führung! ) Ergebnisse liefern, die kontraintuitiv sind, der theoretischen Grundannahme widersprechen oder einfach nicht sinnvoll aus den gege‐ benen Informationen interpretierbar sind. Oft ziehen Publizierende hier Alternativerklärungen aus der Forschungsliteratur hinzu, was nicht falsch ist, aber letztlich handelt es sich um Mutmaßungen, die an die Forschungsge‐ meinschaft zurückgegeben werden. Die Möglichkeit, Proband: innen hierzu deduktiv zu befragen, kann die Annahmen des Forschenden validiert bestä‐ tigen oder neue Erkenntnisse generieren, die aus dem rein quantitativen Ansatz nicht möglich gewesen wären. Eine weitere methodische Anwendung, die im Funnel des Storyportings sinnvoll einsetzbar ist, ist das explorativ sequenzielle Design. Hier wird eine qualitative, induktive Phase zur Exploration eines Themas vorgeschaltet, um die geplante nachfolgende quantitative Studie bezüglich ihres Inhalts und ihrer Form/ Anwendung zu gestalten. Wie bereits oben beschrieben eignet sich dieser Ansatz besonders, um empirische Befragungen (z. B. die Stres‐ soren von Mitarbeitenden einer bestimmten Firma/ Branche) trennschärfer zu gestalten. Damit erhöht sich die Präzision des deduktiven Vorgehens und potenzielle blinde Flecken und Modellfehler in den Grundannahmen können aufgedeckt werden. Dies ist für Storyreporting der initial einfachste Ansatz, ohne andere Anwendungen in Zukunft ausschließen zu wollen. Der induktive Teil und meist halbstandardisiert qualitative Anteil ist die Narration (Storytelling und -listening). Die hier gewonnenen Erkenntnisse müssen nun im empirisch quantitativen Paradigma eingeordnet und überprüft werden. Dies erfor‐ dert eine intensive Literaturrecherche zur aktuellen empirischen Evidenz. Hieraus kann das Ergebnis entstehen, dass die Evidenz im Kontext der Fragestellung gar nicht ausreichend ist und somit eine Forschungslücke identifiziert wurde, welche die Notwendigkeit empirischer Testung nach sich zieht. Die im Ansatz beschriebene Konvergenz der Ergebnisse liegt nun aus methodischer Sicht im methodisch korrekten Berichten der Gemeinsam‐ keiten der Datenquellen sowie ihrer Unterschiede (Diskrepanzanalyse) und der Bedeutung für die Interpretation (Creswell/ Plano Clark 2017). Diese Reflexion ermöglicht das eigentliche Storyporting, sprich die Neuerzählung bzw. Redefinition der ursprünglichen Fragestellung. 203 5.2 Einordnung von Storyporting im Mixed-Methods-Ansatz Ein Beispiel an dieser Stelle wäre, die Mitarbeitenden von Pflegeein‐ richtungen deren Erleben und Wahrnehmung des Alltags ‚reporten‘ zu lassen, um, zusätzlich zu den aus der Literatur bekannten Phänomenen von Resilienz, Selbstwirksamkeit oder Ressourcenschonung (z. B. Hobfoll 1989), die Faktoren identifizieren und vor allem gewichten zu können, die im Alltag dieser Menschen die höchste Relevanz haben. Somit sollte es, nach Durchlauf des Storyporting-Zyklus, möglich sein, relevante bzw. wirksame Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Das Ziel der möglichst hohen Varianzaufklärung, der Reduktion des Modellfehlers, des möglichst hohen Informationsgehalts bzw. der dar‐ aus möglichen trennscharfen Ergebnisse verortet Storyporting im Mixed-Methods-Ansatz. Zukünftige Anwendungen dieses Ansatzes müssen sich an diesen Maßstäben messen lassen und dienen gleichzei‐ tig als methodischer Leitfaden für die korrekte und sichere Umsetzung. 204 5 Die Verortung von Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik | Burkhard Schmidt Nachwort Die Stärken und Möglichkeiten des Storytellings zu nutzen und - insbeson‐ dere mit Blick auf den problematischen Zustand der öffentlichen Kommu‐ nikation - gleichzeitig den Risiken des strategischen Missbrauchs narrativer Modi möglichst konstruktiv zu begegnen, darin lag und liegt der Impetus für die Entwicklung der Storyporting-Methode. Der dreistufige Kommuni‐ kations- und Darstellungsprozess soll erwünschte Konvergenzen, darunter die von Emotion und Kognition sowie von subjektiver Wahrnehmung und kritischer, faktenbasierter Analyse und Reflexion, ermöglichen, um kommu‐ nikatives Handeln perspektivenreicher und ein Stück weit ganzheitlicher, vielleicht auch nachhaltiger werden zu lassen. In (digitalen) Zeiten von Fake News, Hatespeech, Verschwörungsgeschichten, Skandalisierungstendenzen und hyperemotionalisierten Aufmerksamkeitswettbewerben, aber auch von populistischen Narrativen, in denen oftmals verkürzte Darstellungen und evidente Lügen intendiert zu ‚objektiven‘ Wahrheiten erklärt werden und damit demokratiefeindliche Politik betrieben wird, erscheint uns dies so sinnvoll wie notwendig. Gleichzeitig galt es anwendbare Tools und Formate des Storyportings zu finden, die sich für eine möglichst adäquate, partizipa‐ tive und bürger: innennahe Auseinandersetzung mit den Herausforderungen sowie auch Chancen des großen gesellschaftlichen Wandels, der Transfor‐ mation, eignen können. Die Storyporting-Methode, die faktuales Storytelling mit evidenzbasier‐ tem Reporting konvergiert, um daraus im Erfolgsfall neue differenzierte (Zukunfts-)Narrative entstehen zu lassen, verstehen wir keineswegs als absolutes Postulat, sondern als Vorschlag und Anregung - ein modellhafter Vorschlag, der zum kritischen Diskutieren, Hinterfragen, Ergänzen, Prüfen oder Weiterentwickeln einladen soll. Als Forscher: innen sehen wir uns Karl R. Poppers weisem Denkprinzip des Falsifikationismus verpflichtet. Wis‐ senschaftliche Ergebnisse oder Modelle sind immer vorläufig, bedürfen des intensiven kritischen Diskurses, um modifiziert, weiterentwickelt oder auch widerlegt zu werden. Gerade disruptive Zeiten wie die der folgenschweren Coronapandemie haben die Sinnhaftigkeit dieses Denkprinzips eindrücklich gezeigt - nicht nur in der Wissenschaft, sondern in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Wir selbst stellen uns der notwendigen, kritischen, anwendungsorien‐ tierten Prüfung, indem wir die Validität der Storyporting-Methode in Kooperation mit verschiedenen Organisationen, Unternehmen und Einrich‐ tungen weiter intensiv testen und evaluieren. Neben dem angelaufenen Forschungsprojekt im Sozialbereich wird es in nächster Zeit u. a. darum gehen zu eruieren, inwieweit Storyporting in der Gesundheitskommuni‐ kation einsetzbar ist, etwa im sensiblen Terrain des Kontakts zwischen Patient: innen und Ärzt: innen oder auch innerhalb von Pflegeeinrichtungen. Spannend erscheint uns zudem die Frage, ob die Wissenschaftskommuni‐ kation, deren hohe gesellschaftliche Relevanz gerade im Coronakontext evident geworden ist, ein Einsatzfeld der Storyporting-Methode sein kann oder auch die Werteerfassung und -entwicklung in Organisationen, Teams und auf Individualebene, zu der Erpenbeck/ Sauter (2020) ein valides Modell erarbeitet haben. Darüber hinaus gilt es die Wirkungen von Storyporting wissenschaftlich zu analysieren. Es freut uns sehr, dass sich bereits im Laufe unserer wissenschaftlichen Recherche und des Verfassens dieses Buchs diverse Organisationen und Personen interessiert an der Anwendung und Prüfung des Storyporting- Prozesses gezeigt haben. Dafür sagen wir an dieser Stelle herzlichen Dank. Gleichzeitig wollen wir alle Leser: innen dazu einladen, sich mit uns über den Vorschlag des Storyreportings auszutauschen. Sie erreichen uns per Mail unter rainer.nuebel@hs-fresenius.de und susanne.doppler@hs-fresenius.de. 206 Nachwort Über die Autor: innen Susanne Doppler lehrt als Professorin für Eventmanagement und Tou‐ rismus an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Zuvor war sie Marke‐ tingverantwortliche bei verschiedenen B2B-Technologie-Start-ups. Sie hat einschlägige wissenschaftliche Fachpublikationen zu Event- und Destinati‐ onsmarketing verfasst. Lia Hiller ist beruflich als PR-Redakteurin tätig. 2014/ 15 absolvierte sie das Kontaktstudium Theaterpädagogik an der PH Ludwigsburg. Sie hat inten‐ sive Erfahrungen in der Realisierung und Leitung von Schreibwerkstätten im Kontext des bürgerschaftlichen Engagements. Rainer Nübel ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement sowie Präsidiumsmitglied an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Er hat langjährige Erfahrungen im überregionalen Journalismus und publiziert u. a. zu medienpraktischen, medienkritischen und medienethischen Aspekten. Burkhard Schmidt lehrt als Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Or‐ ganisationspsychologie an der Hochschule Fresenius Heidelberg, leitet den Studiengang Wirtschaftspsychologie und ist Präsident dieser Hochschule. Inhaltliche Schwerpunkte seiner einschlägigen Fachpublikationen sind die Themen Arbeit und Gesundheit. Literatur Alle im Buch verwendeten Links waren am 1. Dezember 2021 aktiv. 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Fähigkeiten 191 Fake 63, 82, 149 Faktizität 84 filter bubbles 94 Finanzwirtschaft 74 Fluchtgeschichten 101 Forschung qualitativ 197 quantitativ 197 Frames 49 Framing 78 Gegenerzählungen 90 Gegennarrative 90, 97 Golden Circle 32f. Gratifikation 25 Handlungsoption 164 Hatespeech 93 Heldenreise 21, 54 Kritik 23 Hospitality 46 Identifizierung 32, 76 Identifizierungsmuster 87 Identitätsmanagement 77 Induktion 161, 171, 173, 191 Informationsbedürfnisse 82 Informationsdesign 43 Inszenierung 36 Interaktivität 23 Interdependenz 69 Interview 58 Involvement 28, 32, 76 journalistische Darstellungsform 174 journalistisches Erzählen 53 Kommunal-Talks 178 Kommune 162f. Kommunikationsethik 99 Kompetenzen 191 Konfliktberatung 28 Konstruktiver Journalismus 68 konstruktiv-partizipative Berichterstattung 176 Konvergenz 18, 170, 176 Kosten-Nutzen-Kontext 75 Kreativtechniken 134 learning histories 70, 175 Leitbild 80 manipulatives Potenzial 89 Many-to-Many-Kommunikation 60, 79 Marketing 30 Inbound- 32 Pull- 32 Push- 32 Mediatisierungseffekt 89 Medienbildung 171 Medienkompetenz 99 Medienpsychologie 25 Medizin 101 Megatrends 193 Memes 100 Mixed-Methods-Ansatz 195, 202 Mood-Management-Theorie 26 Multimedia-Story 59 Nachhaltigkeit Berichte 75 Entwicklung 193 Kommunikation 102 Storytelling 35 Nachricht 51 Narration fiktionale 15 Interview 58 verkürzte 49 narrative Dokumente 162 narrative Empathie 125 One-to-Many-Kommunikation 93 open innovation 166 optimism gap 67 Parallelwelten 94 Partizipation 18 partizipative Formate 66, 186 Forschung 183 Momente 162 Theater 187 Plattform-Ethik 99 Play, plan & perform 186 Plot-Point 34 Politik 85 postfaktisches Zeitalter 94 228 Register postmodern 25 Pressemitteilung 69 Prosument 19 Psychologie 101 Public Relations 69 qualitative Forschung 197 quantitative Forschung 197 Recherche 191 redaktionelle Gesellschaft 98f., 171 Region 162f. Regional-Talks 178 Reportage 55 Resonanz 41 Ressourcenfixierung 123 Scrollytelling 59 Selektionsprozess 90 Sensationslust 26 Serienformat 186 Solutions Story Tracker 68 soziale Medien 61 Sozialkonstruktivismus 25 Stereotypen 20 Stimmungsmanagement 26 Storylistening 79, 87f., 153, 161f., 179, 193 Storyport 174 Storyporting 113, 155, 179, 181, 195 Line 170 Loop 159, 164 Prozess 163 Storys biografische 44 Collaboration- 77 Fake- 63 Future- 77 Insight- 77 Performance- 96 personalisierte 73 politische 85 produktbezogene 44 Status- 96 Success- 77, 82 unternehmensbezogene 45 von Bürger: innen 60 Storytelling 91, 161 Corporate 77, 79, 81 digitales 23, 100 faktenbasiertes 43 faktuales 43, 50 fiktionales 15, 24, 42 Hospitality 46 Nachhaltigkeits- 35 non-fiktionales 43 politisches 85 räumliches 45 strategisches 74 Trends 105 Storythemen 164 SusTelling 104 SWOT-Analyse 106 Szenarien 167 szenisches Spiel 186 Talkshow 176 Talkshow-Format 174 Täuschung 47 Teilöffentlichkeiten 94 Theaterpädagogik 186 Tourismus 34 Transfer 173 Transformation 18, 76, 113-116, 119, 125, 128, 135, 137, 139f., 146, 149 Loop 166 229 Register Transparenz 84 Two-Way-Kommunikation 60, 93 Unique Communication Proposition 31 Unique Selling Proposition 31 Unite Europe 183 Unternehmenskommunikation 69 user generated content 23, 60, 73, 174, 176 Veranstaltungstool 161, 164 Verantwortung 85 Verkürzung 89 Verschwörungsnarrative 94, 149 Vertrauen 64, 75, 152 Virtual Reality 36 vividness 36 VOPA+-Modell 117f., 152 VUCA-Modell 114 Wahrheit gefühlte 94 Wahrnehmung 191 Weltbezug 123 Wissenschaft 136 Worst-Case-Szenarien 162 Zukunftscamp 161, 165, 168 Zukunftsgeschichten 162f. Zukunftsnarrative 88 230 Register Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Erwünschte Konvergenz - konzeptionelle map; Quelle: eigene Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abbildung 2: Der Storyporting-Trichter; Quelle: eigene Darstellung. . 142 Abbildung 3: Storyporting in drei Schritten; Quelle: eigene Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Abbildung 4: Der Storyporting-Loop; Quelle: eigene Darstellung. . . . . 158 Abbildung 5: Konvergente Mixed-Methods-Ansätze; Quelle: in Anlehnung an Creswell/ Plano Clark 2017, S. 70, eigene Übersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: SWOT-Analyse Storytelling; Quelle: eigene Darstellung. . . 106 Tabelle 2: Fazit als Identifikation der ‚Lücken‘ des Storytellings; Quelle: eigene Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Tabelle 3: Verschiedene Forschungsdesigns; Quelle: in Anlehnung an Creswell/ Creswell 2018, S. 49, eigene Übersetzung. . . . . . . . 200 www.uvk.de ISBN 978-3-7398-3120-6 Storytelling hat seine Stärken u.-a. in der anschaulichen Vermittlung von Erfahrungswissen. Doch in der öffentlichen Kommunikation werden Narrative zunehmend manipulativ missbraucht. Dieses Buch liefert die Storyporting-Methode: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzbasiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die subjektive Wahrnehmung und Analyse verbindet. Praxisbeispiele und Tools zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Storyportings auf, etwa bei Änderungsprozessen in Unternehmen, Kommunen und Organisationen. Das Buch richtet sich an Lehrende, Studierende, Funktionsträger: innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien und Bildung sowie an interessierte Bürger: innen. Dr. Rainer Nübel lehrt als Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Zuvor war er viele Jahre im überregionalen Journalismus tätig. Dr. Susanne Doppler ist Professorin für Eventmanagement und Tourismus an der Hochschule Fresenius Heidelberg. Zuvor war sie Marketingverantwortliche bei verschiedenen B2B- Technologie-Start-ups.