eBooks

Erfolgreiche Managementtools

Was junge Führungskräfte an keiner Uni lernen

0711
2022
978-3-7398-8185-0
978-3-7398-3185-5
UVK Verlag 
Christian Pede
10.24053/9783739881850

Ist das Management oder kann das weg? Du bist jung, (angehende) Führungskraft und fragst Dich, wie Führung in digitalen Zeiten funktioniert? Dich interessiert, welche Managementtools sich unter diesen neuen Bedingungen eignen? In diesem Buch erfährst Du genau die hilfreichen Tipps und Tricks über Führung und Management, die Du an keiner Uni lernst. Christian Pede hat die "alten Wahrheiten" der Arbeitsorganisation und des Managements einem Update unterzogen und auf die digitale Arbeitswelt übertragen. Er zeigt, wie Du mit bewährten, aber neu gedachten Methoden effizient arbeitest, Teams erfolgreich führst und gleichzeitig beste Ergebnisse erzielst. Dazu gibt er zahlreiche Anregungen, wie Du Deinen Tag stimmig planst und Terminstress vermeidest. So klappt es auch mit einer ausgeglichenen Work-Life-Balance.

<?page no="0"?> mit Tipps zum stressfreien Arbeiten Erfolgreiche Managementtools Was junge Führungskräfte an keiner Uni lernen Christian Pede <?page no="1"?> Christian Pede Erfolgreiche Managementtools <?page no="2"?> Christian Pede ist Manager, Unternehmer, Berufsoptimist und Burn-out-Bezwinger. Nachdem er viele Jahre als festangestellter Manager tätig war, gründete er 2015 sein eigenes Interim-Management-Unternehmen (www.christian-pede.de). Seitdem reist er durch Deutschland und stellt dabei immer wieder fest, dass Führung und Management auf ein paar simplen, schon immer gültigen Wahrheiten beruhen, die lediglich an die digitalisierte und globalisierte Welt angepasst werden müssen. Das hat er nun getan. Denn das ist die wichtigste dieser Erkenntnisse: einfach machen. <?page no="3"?> Christian Pede Erfolgreiche Managementtools Was junge Führungskräfte an keiner Uni lernen UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagabbildung: © iStock ‒ prapassong Autorenfoto: privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739881850 © UVK Verlag 2022 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7398-3185-5 (Print) ISBN 978-3-7398-8185-0 (ePDF) ISBN 978-3-7398-0572-6 (ePub) <?page no="5"?> Vorwort Du bist jung? Du willst Führungskraft werden? Du bist es vielleicht schon? Du hast das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Glück gehabt: Denn hier geht es um Dich. Hier lernst Du Dinge über Führung und Management, die Dir kein Professor beibringen kann. Am besten studierst Du dieses Handwerk bei erfahrenen Praktikern, die es beherrschen und denen Du vertraust. Aber ich will ehrlich zu Dir sein: Die meisten meiner Kollegen machen es Dir schwer. Sie bilden Dich nicht oder falsch aus. Viele werden Dich nur unterstützen, wenn Du es genauso machst wie sie. Du zahlst also für ihr vermeintliches Herrschaftswissen mit Freiheit. Je länger Du das tust, umso mehr wirst Du wie sie. Warum gehen sie so mit dem Nachwuchs um? Sie entstammen einer anderen Zeit. Damals hat man das so gemacht: Command and Control, Monitoring, Controlling und Micromanagement. Mit diesen Werkzeugen des Industriezeitalters neandern sie vor sich hin. Sie übersehen dabei, was sie Mitarbeitern, dem Unternehmen und sich selbst antun. Und ignorieren, was ihr Umfeld täglich einfordert: eine grundlegende Veränderung von Führung und Management. Denn die Organisation, das Synonym für Hierarchie und Starrheit, trifft auf Freiheitswillen, Kreativität und Selbstverwirklichung von Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Das sind die Ergebnisse des Bestehens unserer Demokratie. Sie kommen mit Macht in den Unternehmen an. <?page no="6"?> 6 Warum gerade jetzt? Ein Booster wirkt. Es ist die Stufe der Digitalisierung, in der wir uns befinden. Was erwartet Dich also in diesem Buch? Teil 1 beantwortet die Frage: Wie führst Du in digitalen Zeiten? Es geht um das Mindset, das Du in der vernetzten Wirtschaft brauchst. Das ist eine Art zu denken, die in vielen Unternehmen kaum angekommen ist. Warum ist das so? Das zu verstehen, benötigt eine Zeitreise aus dem Maschinenzeitalter bis hierher. Danach wird auch klar werden, warum die alten Führungskonzepte nicht mehr taugen und was die Alternativen dazu sind. Denn eines ist klar: Führung muss sich verändern, sonst laufen einem die Menschen weg und ganze Unternehmen sind in ihrer Existenz bedroht. Was ist die andere Seite von Führung? Organisation, in Deutschland gerne auch mit Management bezeichnet. Das ist der Umgang mit all dem, was nicht Mensch ist: Prozesse, Systeme, Ziele usw. Damit beschäftigen wir uns im zweiten Teil des Buches. Dort findest Du Werkzeuge, die Du benötigst, um in diesem Change erfolgreich zu sein. Sie sind Jahrtausende alt und heute mehr denn je gültig. Es sei angemerkt, dass ich denke, dass auch viele Deiner Ausbilder sie nicht kennen. Täten sie es, wären sie mit der Digitalisierung und dem daraus entstehenden Tempo nicht so heillos überfordert. Fügst Du die beiden Teile dieses Buches zusammen,  das digitale Führen und  das Organisieren, bekommst Du ein Update dessen, was eine Führungskraft heute können muss. Vorwort <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................................................... 5 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 11 Teil 1 | Die digitale Führungskraft.............................................................................. 11 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? ............................................. 14 Houston, wir haben ein Problem! ................................................................................. 14 Wie wandert man am besten? ........................................................................................ 16 Die Essenz von Digitalisierung ...................................................................................... 25 Der Unterschied? Mensch! .............................................................................................. 30 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer................................................................................ 32 Verrückte führen Blinde (und Eseltreiber ihre Esel)................................................. 32 Wer erntet das Rübchen? ................................................................................................. 37 Zu Besuch bei kanadischen (Hochleistungs-)Nonnen ............................................. 39 3 Rien ne va plus … ohne Kreativität! ............................................................................. 44 Was aber ist Kreativität? .................................................................................................. 46 Wie weckt man Kreativität? ........................................................................................... 46 4 Finde Deine Rolle .............................................................................................................. 50 Theater, Theater, der Vorhang geht auf ....................................................................... 50 <?page no="8"?> 8 Inhaltsverzeichnis Ein gutes Theaterstück führt sich selbst auf .............................................................. 51 Und was macht der Regisseur? ...................................................................................... 54 5 Sei flüssiger als Wasser.................................................................................................... 57 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte ................................................ 63 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! ......................................................................... 64 Die Bedeutung von Fragen in unserem Denken........................................................ 64 Wie Du Dich erfolgreich selbst sabotierst................................................................... 69 Mit unseren Fragen erschaffen wir die Welt .............................................................. 73 Praxisbeispiel: Wie man Finanzvorstand bei Siemens wird ................................... 75 Beobachte Dich selbst ...................................................................................................... 79 Mit bewusstem Fragen zum Erfolg ............................................................................... 83 Exkurs: Q-Storming .......................................................................................................... 86 Wer fragt, der führt? ! - Eine Zusammenfassung ...................................................... 90 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? ................................................. 92 Ein Bock der Geschichte .................................................................................................. 92 Die korrekte Anwendung von Pareto .......................................................................... 93 Pareto im Management.................................................................................................... 96 Pareto versus Eisenhower und ABC-Analyse ............................................................ 98 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? ................................................................... 103 Dringlichkeit und Wichtigkeit: Definitionen ........................................................... 104 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 Hilfe, alle wollen etwas von mir! ................................................................................. 106 Exkurs: Warum wir Druck allzu leicht nachgeben …............................................. 110 Der Unterschied zwischen Managern und dem Rest der Truppe........................ 111 9 Was ist das Parkinson’sche Gesetz? ........................................................................... 113 Der Rohstoff Zeit............................................................................................................. 113 Parkinson vs. Pareto ....................................................................................................... 115 Das neue Parkinson’sche Gesetz ................................................................................. 116 10 Das Effizienzoptimum................................................................................................... 120 Die herkömmliche Definition von Faulheit............................................................. 120 Die neue Definition von Faulheit............................................................................... 126 Punktlandung - Ein Beispiel für Effizienz............................................................... 131 11 Das 2P-Kontinuum......................................................................................................... 136 12 Musst Du alles tun, was geht? .................................................................................... 139 Das Multitasking-Missverständnis ............................................................................ 139 Theorie: Das Leistungsmaximum eines Menschen ............................................... 142 Praxis: Das Leistungsmaximum eines Menschen tatsächlich erreichen .......... 146 13 Der Anfängergeist.......................................................................................................... 150 Wenn nichts mehr funktioniert.................................................................................. 150 Du bist bereits Profi im Anfängergeist..................................................................... 154 Der Weg in den Anfängergeist ................................................................................... 156 <?page no="10"?> 10 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten............................................................................. 162 Wie man den Verstand verliert und wiederfindet ................................................. 162 Interne Störquellen beseitigen.................................................................................... 164 Externe Störquellen beseitigen: das Beispiel Terminstress ................................. 166 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 175 Stichwortverzeichnis........................................................................................................... 177 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich darauf verzichtet, Personen- und Berufsbezeichnungen in der weiblichen und männlichen Form zu verwenden. Die männlichen Begriffe schließen die weibliche Bezeichnung selbstverständlich ein. Inhaltsverzeichnis <?page no="11"?> Abbildungsverzeichnis Abb. 1 | Wie wanderst Du am besten? .............................................................................. 20 Abb. 2 | Die Polarität des SSC ............................................................................................. 21 Abb. 3 | Das digitale Mindset .............................................................................................. 23 Abb. 4 | Digitalisierung: Mittel vs. Ziel............................................................................. 29 Abb. 5 | Mensch vs. KI .......................................................................................................... 32 Abb. 6 | Die Sprache analoger Managementtechniken................................................. 35 Abb. 7 | Agilität und Kreativität ......................................................................................... 44 Abb. 8 | Eine RACI-Matrix ................................................................................................... 53 Abb. 9 | Reflexartiges Fragen und Denken ...................................................................... 66 Abb. 10 | Die sich selbst erfüllende Prophezeiung......................................................... 72 Abb. 11 | Von der Frage zum Ergebnis.............................................................................. 78 Abb. 12 | Choice Map (sinngemäß nach Adams) ........................................................... 81 Abb. 13 | Erfolg durch Fragen ............................................................................................. 85 Abb. 14 | Brainvs. Q-Storming ......................................................................................... 87 Abb. 15 | Q-Storming: Regeln und Rahmen..................................................................... 88 Abb. 16 | Die Pareto-Cluster................................................................................................ 94 Abb. 17 | Beispiel Pareto (1)................................................................................................. 97 Abb. 18 | Beispiel Pareto (2)................................................................................................. 97 <?page no="12"?> 12 Abbildungsverzeichnis Abb. 19 | Eisenhower-Prinzip............................................................................................ 100 Abb. 20 | Eine Pille für den Erfolg.................................................................................... 101 Abb. 21 | Dringlichkeit vs. Wichtigkeit .......................................................................... 106 Abb. 22 | Ist etwas wichtig, obwohl es dringend ist? .................................................. 109 Abb. 23 | Beispiel Parkinson.............................................................................................. 114 Abb. 24 | Beispiel Parkinson grafisch.............................................................................. 114 Abb. 25 | Unterschied Pareto vs. Parkinson................................................................... 116 Abb. 26 | Das Parkinson’sche Gesetz - ein Update ..................................................... 118 Abb. 27 | Beispiel Fleiß........................................................................................................ 128 Abb. 28 | Beispiel Fleiß 2 .................................................................................................... 128 Abb. 29 | Was ist Effizienz? ................................................................................................ 129 Abb. 30 | Was ist Selbstbetrug? ......................................................................................... 130 Abb. 31 | Das Effizienzoptimum ....................................................................................... 135 Abb. 32 | Das 2P-Kontinuum............................................................................................. 137 Abb. 33 | Sägezahneffekt (ungesteuerte Störkurve) .................................................... 142 Abb. 34 | Gesteuerte Störkurve......................................................................................... 143 Abb. 35 | Leistungsmaximum............................................................................................ 144 Abb. 36 | Die Evolution des Denkens.............................................................................. 153 Abb. 37 | Der Geist, der alles weiß (… ist ein Problemgeist! ) .................................... 155 Abb. 38 | Der Weg zum Anfängergeist ........................................................................... 157 Abb. 39 | QT vs. Anfängergeist......................................................................................... 160 <?page no="13"?> Teil 1 | Die digitale Führungskraft Einleitung | Einer der Wege, zu verstehen, was das Wesen von etwas ist, kann der Vergleich sein. Stelle dem Manager von heute einen von vor fünfzig Jahren gegenüber. Die für den Erfolg nötigen Fähigkeiten sind völlig andere. Die beiden Bereiche Führung (von Menschen) und Organisation (von Prozessen) existieren zwar immer noch, doch ihre Ausprägung hat sich stark verändert. Denn die Organisation findet heute überwiegend digital statt. Folglich brauchst Du als Führungskraft ausgeprägtes Wissen in diesem Fachbereich. Ich spreche hier nicht über die Kenntnis von Systemen, Schnittstellen etc. pp. Nein, Digitalisierung erfordert anderes Denken und Handeln. Das hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Du als Manager mit den Dir anvertrauten Menschen umgehst. Schauen wir also einmal zurück, um zu verstehen … <?page no="14"?> 14 Teil 1 | Die digitale Führungskraft 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? Houston, wir haben ein Problem! „Hast Du mal einen Moment? “ Dave deutet auf den Hörer am Kopf. Er hebt die Hand und spreizt alle Finger. Das soll sagen: Ich bin in 5 Minuten bei Dir. George schlurft zurück in sein Büro. Nach einer Weile klopft es und, ohne ein Zögern, öffnet sich die Tür. Dave kommt herein. „Sorry, George, das war San Fran, die haben wieder Probleme mit dem Abschluss, jeden Monat die gleichen Fragen. Das nervt.“ George nickt nachdenklich. „Genau darüber wollte ich mit Dir sprechen.“ Er steht auf und stemmt seine Hände, fast trotzig, auf den Tisch. „Es kann doch nicht sein, dass wir uns alle vier Wochen mit demselben Blödsinn beschäftigen. Überall in den Staaten haben wir Buchhaltungsabteilungen. Die sollen nahe an den Einheiten sein, damit sie gut und schnell bedient werden. Oft klappt das auch, aber bei uns explodieren die Kosten für die Zentralfunktionen und wir beide haben immer mehr Arbeit.“ „So ist es, George.“ Dave klingt erschöpft, resigniert. „Komm“, sagt George, „lass uns einmal ein paar Gedanken sammeln und überlegen, was die Probleme sind.“ Dave nickt. Er greift sich Block und Stift und fällt in den Sessel vor Georges Schreibtisch. Sie beginnen, sich Stichworte zuzuwerfen. Es geht hin und her, jedem Gedanken des einen folgt einer des anderen. Dave schreibt alles mit, nein, eigentlich malt er es. In der Mitte des Blattes steht „Probleme“. Er hat einen Kreis darumgezogen. Jeder Einwurf bekommt einen eigenen. Dave verbindet die Kreise mit der Mitte und setzt sie auch zueinander in Bezug. Das, was da entsteht, sieht aus wie die Wurzel einer Kartoffel. Oder doch eher wie ein Spinnennetz <?page no="15"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 15 mit viel fetter Beute? Später wird man es Mindmap nennen und die Art seiner Entstehung Brainstorming. Fertig: hohe Kosten, Missverständnisse, langsam, viele Fehler, enormer Konsolidierungsaufwand. Dies und einiges mehr steht auf dem Papier. Da ist sie, eine erste Beschreibung der aktuellen Situation. Lauter schmerzvolle Wörter für die beiden. „Puh, das ist eine Menge.“ Dave lehnt sich zurück. Er rollt mit den Augen. Sie sind sich einig, dass es so nicht bleiben kann, dass es so nicht weitergehen darf. Aber was tun? „Das hier hat doch ganz gut funktioniert“, meint George mit Blick auf das Mindmap. „Wir sollten auf dieselbe Art versuchen, Lösungen zu finden.“ Dave greift sich ein leeres Blatt. Als er darauf „Mögliche Lösungen? “ schreibt, hat er das Gefühl, dass sie jetzt, endlich, einen Weg aus der Misere finden werden. Wieder umkreist er die Wörter. Einfach von vorne beginnen, alles neu denken, andere Wege gehen. Die gedrückte Stimmung verfliegt. „Was meinst Du, George? Wie wäre es, wenn wir erst einmal nur Fragen aufschreiben, um Ideen zu sammeln? “ George denkt nach. „Warum Fragen und keine Antworten? “, gibt er zurück. „Na, weil Antworten nur Ergebnis sind.“ Dave steht auf. „Wenn Du die richtige Frage stellst, bekommst Du eine entsprechende Antwort. Je mehr es sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass die korrekte darunter ist. So erweitern wir die Anzahl unserer Optionen.“ George hebt leicht den Kopf. „Gut, lass uns das probieren. Aber dann beginnen wir von vorne, wie auf einer grünen Wiese und spinnen ein bisschen, okay? “ Dave nickt. Sie haben dasselbe Gefühl gedacht. „Ja, lass uns Fragen stellen, egal, wie verrückt sie sind. Und der andere darf sie nicht anzweifeln, nicht jetzt zumindest.“ George grinst. „Das wird Spaß machen. Come on, let´s go.” Dave hat sich nicht wieder hingesetzt. Stattdessen läuft er vor Georges Schreibtisch auf und ab. Er wirft ihm Gedanken zu, während er mit den Händen durch die Luft fährt. Fast scheint es, als würde er sie einsammeln, bevor er sie ausspricht. Die <?page no="16"?> 16 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Fragen schießen wie Blitze durch den Raum. George fängt sie auf und reagiert mit Gegenfragen. Diesmal schreibt er alles auf. Daraus entstehen wilde, außergewöhnliche, ja zum Teil sogar merkwürdige Ansätze. Sie sind beweglich, sie sind wendig. Sie überschreiten Grenzen, die nie gezogen wurden. Am Ende steht die Vision einer Eier legenden Wollmilchsau. Die Quadratur eines Kreises ist nichts im Vergleich zu dem, was nun auf dem Papier steht. Da ist zum Beispiel dieses Fragenpaar: „Wie können wir den besten individuellen Service leisten? “ und „Wie vereinheitlichen wir die Prozesse so, dass sie schnell sind? “ Dave und George wissen, dass das ein Widerspruch ist, Individualität versus Standardisierung. Oder wie wäre es hiermit: „Wie werden wir die schnellsten und besten Buchhaltungen der Welt? “ Gleich daneben steht: „Wie kommen wir auf die geringste Anzahl an Mitarbeitern? “ Wie soll das gehen, Schnelligkeit und hohe Qualität bei niedriger Kapazität? Eine verrückte Frage erzeugt die nächste. Vermeintliche Gegensätze haben die beiden bei ihrem Fragensturm einfach ignoriert und keinen einzigen Gedanken in Zweifel gezogen. Nur darum haben es alle Ideen auch auf das Papier geschafft. Und sind auch dortgeblieben. „George, ganz ehrlich, kann man das alles überhaupt umsetzen? “ Der schaut auf. „Falsche Frage, Dave, Du musst sie anders stellen. Versuchen wir es mit dieser hier: Wie geht das? “ Er lächelt und schiebt hinterher: „Komm, machen wir uns auf den Weg.“ Wie wandert man am besten? So ähnlich könnte es vor 60 Jahren gewesen sein. Daraus entstand die Idee, das Prinzip der Fließbandproduktion auch in der Verwaltung einzusetzen. Der arbeitsteiligen Logik folgend erhielt sie den Namen Shared Service. Die Orte, an denen <?page no="17"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 17 das stattfand, hießen Shared-Service-Center (SSC). Damals gab es nur Brief, Fax, Telefon und Telex. Informationen wurden in Papierform oder halbelektronisch übermittelt, also: langsam. Digitalisierung? Kaum. Dennoch waren diese Wege keineswegs rein analog. Briefe wurden auf Schreibmaschinen verfasst und dann gefaxt. Das Telex war ein Apparat, der den Buchstaben eines Textes einen elektromagnetischen Impuls zuwies, den der Empfänger mit seinem Gerät dann decodierte. Dave und George verfügten also über einen technisch fixen Rahmen und eine Situation, die unbefriedigend war. Sie analysierten, wo sie standen und definierten, wo sie hinwollten. Damit hatten sie einen Ausgangs- und einen Zielpunkt. Nun ging es also nur noch um das Wie, den Weg. Wie gehst Du einen Weg? Ist das eine merkwürdige Frage? Man startet einfach, macht sich vielleicht auch einen Plan und kommt irgendwann am Ziel an. Hm, so einfach ist es dann doch nicht. Da kommt noch mehr dazu. Denn was ist, wenn ein Hindernis auftaucht? Was tust Du dann? Du wirst es umgehen, überwinden, durchqueren, was auch immer. Vorausgesetzt, Du bist motiviert (genug), bedeutet es also nicht, dass Du stehen bleibst oder umkehrst. Du änderst Deinen Plan und hast dabei den Blick auf das Ziel gerichtet. Meine Frage nach dem „Wie gehst Du einen Weg? “ hat Antworten erschaffen. Du hast Dir damit bewusst gemacht, wie das funktioniert, ein Ziel zu erreichen. Das ist eine Weisheit, die Du besitzt, ohne nachdenken zu müssen. Es ist etwas, das Dir die Natur mitgegeben hat. Ohne würdest Du nicht überleben. Ich gebe Dir ein Beispiel für dieses Können. Wie lernen Kinder laufen? Sie sehen jemandem dabei zu und entscheiden sich, es auch zu tun. In diesem Moment stehen sie auf und setzen einen Fuß voran. Sie fallen wieder hin. Erstaunen, vielleicht auch ein paar Tränen, aber dann versuchen sie es erneut. Immer wieder, bis sie es können. Erkennst Du Deine grundlegende Fähigkeit, Ziele zu erreichen? Das wird <?page no="18"?> 18 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Agilität genannt: „von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig“ (Duden, 2021). Ist es Dir aufgefallen? Be weg lichkeit? Wenn Du also regsam und wendig auf die Hindernisse reagierst, die sich Dir in den Weg stellen, dann bist Du agil. Agilität ist eine bei Dir standardmäßig vorhandene Programmierung, mithin ein unbewusster Vorgang. Aufregend wird es erst, wenn Du diese Fähigkeit aktiv einsetzt, um Ziele zu erreichen. Schauen wir also genauer auf die Methode und machen sie uns bewusst. Dein Weg besteht aus drei Teilen:  Du hast einen Anfangspunkt (A).  Du hast einen Endpunkt (E).  Dazwischen liegt Dein Weg (W). A ist der Zustand, von dem Du wegwillst, und er ist das, was ist. Darum heißt das, was Deinen Startpunkt beschreibt, auch IST-Analyse. Nimm einmal an, Du hast bei der Arbeit eine Situation, die Dir nicht gefällt. Bevor Du sie verändern kannst, musst Du ihre Bestandteile, die Ursachen, verstehen. Das Mittel der Wahl ist die IST-Analyse. Nur so findest Du (A). Bevor Du Dich auf den Weg machst, solltest Du genau wissen, wo Du hinwillst. Du beschreibst also das, was Du Dir wünschst. Anders ausgedrückt ist es das, was sein soll, nämlich (E). Das nennt sich SOLL-Zustand. Der wiederum entsteht aus dem Vergleich zum IST. Jetzt fehlt Dir noch das verbindende Glied, Dein Weg (W). Den solltest Du bewusst agil gehen und nicht einfach so darauf los wandern. Wie wandert man agil? Das Instrument basiert auf drei Annahmen. <?page no="19"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 19 1. Agilität ist die Akzeptanz des Prinzips von Versuch und Irrtum. Erst wenn Du auch emotional, also mit der ganzen Tiefe Deines Herzens, verstanden hast, dass trial and error von der Natur als Prinzip der Transformation vorgesehen ist, wirst Du keine Angst mehr vor Fehlern haben. Denn die Furcht vor dem Scheitern ist es, die Dich davon abhält, sich auf den Weg zu machen bzw. ihn zu Ende zu gehen. Angst ist der Grund, warum sich so viele Menschen nicht bewegen, unbefriedigende Zustände akzeptieren und unbeweglich sind. 2. Das Prinzip von Versuch und Irrtum fühlt sich chaotisch an? Agilität, bewusst eingesetzt, ist dennoch planvolles Handeln. Das gilt allerdings nur durch die Kombination mit einer IST-Analyse und der Definition des SOLL-Zustandes. Kalkulierst Du dann auch noch ein, wie Du mit Hindernissen auf dem Weg umgehst, wird Agilität zu einem machtvollen Instrument. Es ist einfach. Denn stellst Du Dir die Fragen nach dem „Wo stehe ich gerade? “, „Wo will ich hin? “, „Was mache ich mit den Hindernissen auf meinem Weg? “, wirst Du Lösungen bekommen und, schwuppsdiwupps, hast Du einen Plan. Ob der dann zur Realität passt, steht auf einem anderen Blatt. Wenn nicht, veränderst Du einfach Deinen Weg, bis Du den gewünschten Zustand erreichst. Du kannst auch Deinen Wunsch anpassen. Oder Du analysierst noch einmal das IST und startest von vorne. Und so weiter und so fort. Genau das ist Agilität. Es gibt nicht den einen Weg oder ein immer gültiges Ziel. Selbst das IST kann sich verändert haben, während Du unterwegs warst. Damit ergibt sich als letzter Aspekt: 3. Du reagierst entsprechend der Bedingungen und hast dabei Deinen Blick immer auf Dein Ziel gerichtet. <?page no="20"?> 20 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Abbildung 1 | Wie wanderst Du am besten? Zurück zu unseren Protagonisten. Sie machten es genauso. Was wurde daraus? George und Dave schlossen die lokalen Buchhaltungen und verlegten die Abteilungen in die Zentrale. Das erste SSC war geboren. Die erhofften Effekte stellten sich jedoch nur vorübergehend ein. Nach einigen Monaten explodierten die Zeitaufwände über das Niveau vor der Verlagerung hinaus. Da war es, ein Hindernis. Und es hatte das Potenzial zum Spielverderber. Was war zu tun? Dave und George analysierten den neuen IST-Zustand. Sie stellten fest, dass sie den Widerspruch zwischen dem Wunsch des Leistungsempfängers nach einer individuellen Betreuung (= tendenziell zeitfressend) und den Zwang des SSC zur Standardisierung (= tendenziell zeitsparend) auflösen mussten. Wie gingen sie mit dieser Herausforderung um? Es begann mit dem Willen und dieser einen Frage: Wie? Die Antworten kamen danach von selbst. Den beiden half die Erkenntnis, dass sich die größten Effekte bei repetitiven Prozessen erzielen lassen. George und Dave mussten nur alles, was einfach ist und sich oft wiederholt, in einem effizienten Standardprozess definieren. <?page no="21"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 21 Abbildung 2 | Die Polarität des SSC Sie starteten mit der Vereinheitlichung der Kommunikationswege und -zeiten. Dann folgte die Anpassung der Formate der Datenlieferung. Sie machten auch nicht vor den Auswertungen halt. So wurden nun die Buchungsdaten per Fax zu definierten Zeiten versandt. Telefonische Kommunikation war ungenau und deshalb weitestgehend untersagt. Dafür verwandte man nun das Telex. Ausgangs- und Eingangsrechnungen schickten die Standorte am 3. Arbeitstag nach Monatsende per Eilversand an das SSC. Die Auswertungen kamen dann am 15. Arbeitstag an die Standorte zurück. Alles wurde angepackt. Der fixe technische Rahmen wurde nun so genutzt, dass die Geräte ihre volle Unterstützungswirkung entfalten konnten. Dadurch erhöhten sich die Geschwindigkeit und die Qualität der Dienstleistung des SSC. Im Gegenzug wurden den Standorten geringere Kosten berechnet. Sie akzeptierten dafür eine eingeschränktere individuelle Betreuung. Am Ende hatten George und Dave ihn: den quadrierten Kreis. Zu dieser Zeit war das, schaut man auf die zur Verfügung stehenden technischen Mittel, fast rein analoges Prozessmanagement. Heute hast Du viel weitreichendere digitale Möglichkeiten. Das verbindende Element ist jedoch, immer noch, das Fließbandprinzip von Henry Ford. Aber: Genauso wie an den Bändern von Audi und Co heute kaum noch Menschen zu sehen sind, werden in einem SSC mit der- <?page no="22"?> 22 Teil 1 | Die digitale Führungskraft selben Anzahl an Mitarbeitern 1.000.000-mal mehr Daten verarbeitet, angereichert, daraus Informationen produziert und an die Stakeholder kommuniziert als noch vor 60 Jahren. Die Einfachheit der repetitiven Prozesse ist also relativ. Simpel ist, was sich maschinell umsetzen lässt. Aber reicht ausgefeilte Software, um ein SSC heute erfolgreich zu machen? Stell Dir vor, Dave und George würden uns per Zeitreise besuchen kommen und es leiten wollen. Was würde ihnen fehlen? Eine bestimmte Denkhaltung, das digitale Mindset. Das ist kein „bestimmtes Technologie-, Softwarewissen oder ein bestimmtes E-Skillset, sondern solche Persönlichkeitsmerkmale bzw. Verhaltensdispositionen, die nicht direkt beobachtbar sind und das Denken, Fühlen und Handeln in sozialen und instrumentellen Handlungskontexten der digitalen Transformation bedeutsam strukturieren und kanalisieren“ (Knorr, Bredendiek, 2020). Merke | Die digitale Mentalität ist eine Denkhaltung, die  aus der Nutzung von digitalen Hilfsmitteln entstanden ist und dadurch  Dein Denken und Handeln auch über den Bereich der Digitalisierung hinaus bestimmt. Letzteres ist der Grund, warum Menschen mit dieser Ausrichtung anders „ticken“, andere Erwartungshaltungen haben, anders führen und anders arbeiten als solche, die in einem analogeren Zeitalter geprägt wurden. Die Autoren der zitierten Publikation beschreiben die Fähigkeiten, aus denen sich diese Denkhaltung zusammensetzt, wie in Abbildung 3 dargestellt. Auch hier kommt Agilität vor. Sie ist nach dieser und allen anderen mir bekannten Definitionen Bestandteil des digitalen Mindsets. <?page no="23"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 23 Abbildung 3 | Das digitale Mindset Wie steht es mit den übrigen Anforderungen? Würden Dave und George sie erfüllen können? Vermutlich nicht, zumindest dann, wenn Du sie im Verhältnis Mitarbeiter zu Führungskraft denkst. Denn vor 60 Jahren bestand Führung im Erteilen von Aufträgen und der Kontrolle der Umsetzung. Wie passen da die Begriffe Kreativität, Offenheit, Kritikfähigkeit und offener Umgang mit Scheitern hinein? Wären die beiden in der Lage, sich von Mitarbeitern kritisieren zu lassen? Würden sie ihr eigenes Scheitern vor ihrem Team zugeben können? Wären sie offen für Vorschläge der Mitarbeiter? Zweifel scheinen angebracht. Was bedeutet das digitale Mindset also für Dich als Führungskraft? Oft hilft ein Spaziergang, wenn man sich etwas klar machen will. Also wandern wir ein wenig: <?page no="24"?> 24 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Geschichte | Stelle Dir bitte eine Frau, nennen wir sie Nancy, vor, die mit ihrer Deutschen Dogge Gassi geht. Die Dame ist Managerin und viel älter als ihr Hund. Manchmal ist ihre Art zu wandern etwas altmodisch und will nicht mehr so recht in die Zeit passen. Sie geht gerne geradeaus und folgt bekannten Wegen im Park. Langsamer als das Tier ist sie in jedem Fall. Gemächlich spaziert Nancy mit dem Hund an der Leine. Und der? Hüpft um Frauchen herum. Mal hierhin, mal dahin, mal zurück, in Summe aber immer - voran. Früher war das kein Problem. Als er ein Welpe war, fand die Dame das Gezerre noch ganz niedlich. Aber heute? Freddy ist ausgewachsen. 90 kg wiegt er jetzt und misst 103 cm Schulterhöhe. Auf den Hinterpfoten stehend sind es sogar 226. Er ist jung und stark, gerade erst erwachsen geworden. Freddy treibt sein Frauchen an, zieht an ihr und schiebt auch schon mal. Das ist anstrengend für beide. Fakt ist: Die Geschwindigkeit der Grand Old Lady ist das reale Tempo, in dem sich das Pärchen fortbewegt. Aber Freddy könnte und will auch viel mehr. Nancy ist damit zunehmend überfordert. Denn sie kann ihn kaum noch halten und manchmal reißt er sie mit seiner Kraft um. Die Digitalisierung hat, genau wie Freddy auf Nancy, entscheidenden und steigenden Einfluss auf alles in Deiner Managementwelt: Auf Deine Mitarbeiter, Kollegen, Deinen Chef und auf das Unternehmen, in dem Du arbeitest. Diese Dogge fängt gerade erst an, aufzudrehen. Zieht der Hund auch an Dir? „Natürlich! “, denkst Du. Aber hast Du das digitale Mindset auch als Grundlage jeglichen Handelns akzeptiert? Ich hoffe es. Denn wenn Digitalisierung allgegenwärtig ist und eine eigenständige Denkhaltung erzeugt, dann muss das auch Einfluss auf Deine Art zu führen und zu managen haben. Wenn wir uns die beiden Zeitreisenden ansehen, würden sie heute dafür sorgen müssen, dass die Mitarbeiter des SSC die digitalen Prozesse am Laufen halten, effizientere definieren und Probleme eigenständig lösen. Warum? Für die einfachen repetitiven Prozesse gibt es Soft- <?page no="25"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 25 ware. Die Mitarbeiter kümmern sich also um die hochwertigen Arbeiten, die kein Computer erledigen kann. Sie sind weniger Buchhalter, eher Fibutroniker. Ob Dave und George solche Menschen mit Command and Control, also dem analogen Mindset, führen könnten? Zwischenstopp 1 | Ein digitaler Manager vergisst nie die IST-Analyse. Er nimmt sich Zeit für das Beschreiben des SOLL-Zustandes. Auf seinem Weg ist er agil. Er nutzt das digitale Mindset als Basis allen Handelns. Die Essenz von Digitalisierung Schauen wir genauer darauf, was Digitalisierung ist. Gemeinhin wird sie der Spielerei einiger Nerds in den Kinderzimmern merkwürdiger Familien zugeschrieben. Die blassen Brillenträger gab es tatsächlich. Aber warum haben sie den ersten Computer entwickelt, Software geschrieben und an das Internet gedacht? Ich glaube an den Wunsch aller Menschen nach Freiheit. Dieser Wille ist umso größer, je unfreier Menschen sind. Und er ist umso kleiner, je zufriedener sie leben. Das Abtauchen in eine andere Welt, das „Nerdsein“, ist eine Form von Befreiung. Denn was ist unbändiger als Deine Gedanken? Wer braucht diese Unabhängigkeit mehr als einer, der als Spinner ausgegrenzt wird? Vielleicht ist Digitalisierung also nur entstanden, weil sie der Befreiung Einzelner diente. Das haben dann die anderen Unfreien für sich entdeckt. So gesehen ist sie die weitere Vervollkommnung der Menschheit hin zu einer freien Gesellschaft. Einer hatte die Idee und so viele spürten die Macht darin, ohne bewusstes Wissen oder einen Plan dahinter zu vermuten. Nur die Genies verstanden das Potenzial in Gänze. Steve Jobs und Co dienen <?page no="26"?> 26 Teil 1 | Die digitale Führungskraft und taugen darum auch heute noch als Identifikationsfiguren, denn sie sind die Che Guevaras unserer Zeit. Die Botschaft ist: Jeder kann es schaffen! Technisch gesehen leben wir in einer digitalisierten Welt. Aber all die Geräte und Programmierungen täuschen über das hinweg, was noch fehlt. Denn wenn Agilität das Akzeptieren des Prinzips von Versuch und Irrtum ist, dann ist Fehlermachen ein unvermeidbares Ergebnis. Agilität von Mitarbeitern zu fordern, setzt also beispielsweise einen positiven Umgang mit Scheitern voraus. Wie passt das zur Realität in unseren hierarchisch organisierten Unternehmen? Was ist eigentlich eine Hierarchie? Sie ist die „Gesamtheit der in einer Rangfolge Stehenden“ (Duden, 2021). Reden wir nicht darum herum: In einer Hierarchie gibt es Menschen, die mehr wert (zu sein scheinen) und solche, die es weniger sind (zu sein scheinen). Und darum ist es in einem solchen System für die meisten schwer, offen, kreativ, mutig und damit auch fehlerhaft zu sein. Diejenigen, die es dennoch sind, werden vom Kollektiv abgelehnt. Das endet nicht selten im Ausschluss dieser Individuen. Wir haben in der realen Welt da draußen also ein strukturelles Problem. Hierarchische Systeme stehen der Digitalisierung diametral gegenüber. Warum? Erinnern wir uns kurz an die Dimensionen des digitalen Mindsets: Proaktivität, Offenheit, Kreativität, Kritikfähigkeit, Agilität, offener Umgang mit Scheitern. Das alles riecht nach Unabhängigkeit, oder? So ist es. Das digitale Mindset trägt ein ganz bestimmtes Gen in sich: das Prinzip der Freiheit. Das ist auch die Essenz von Digitalisierung - Befreiung, zum Beispiel von der stupiden Fließbandarbeit, auch im Büro. Damit torpediert das digitale Mindset alle nach dem Prinzip der Über- und Unterordnung arbeitenden Unternehmen. Bums. Was nun? Das ist einfach. Entweder Du stoppst die Digitalisierung oder Du veränderst die Unternehmen. Da das Erste kaum möglich ist, bleibt Dir nur Change- <?page no="27"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 27 management. Wenn Du etwas verändern willst, musst Du es zunächst verstehen. Beginnen wir also wieder mit einer IST-Analyse und schauen einmal auf unseren Weg vom Maschinenin das digitale Zeitalter. Wie funktionierte das damals, vor dem ganzen technischen Schnickschnack von heute? Edward Somerset erfand eine Dampfmaschine. Warum tat er das? Weil er es konnte. Richard Trevithick nahm sie und machte daraus eine Anwendung, die Dampflok. Warum tat er das? Weil er eine Wette gewinnen wollte. Mr. Stephenson wiederum verwendete das Prinzip und baute eine Dampfpresse. Und so ging es weiter. Halten wir fest: Die Möglichkeit des Potenzierens eines Prinzips führt zu seiner beschleunigten Anwendung. Warum? Es scheint, unter anderem, Spieltrieb, also Kreativität zu sein, der uns Menschen antreibt. Das Ergebnis ist, dass alles, was geht, auch gemacht wird. Also wurden Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Anwendungen erfunden und Maschinen gebaut. Die Geräte entwickelten sich weiter, bis an das Mögliche heran. Was geschah dann? Neues musste her, andere Funktionsweisen wurden geprüft und gefunden. Was war ehedem die Aufgabe der meisten Menschen? Manchmal waren sie Bediener, meist jedoch Bestandteil des Produktionsprozesses. Sie gingen in Symbiose mit den Stahlmonstern und wurden Borg (Star Trek, 1987 bis 1994). Wer ist schuld daran? Henry Ford? Der Mann wird gemeinhin als Erfinder des Fließbandprinzips gesehen und dafür gleichermaßen gehuldigt wie gehasst. Was hat er, unter soziologischen Gesichtspunkten, tatsächlich getan? Er hat Menschen zu Maschinen gemacht, gegen ein wenig Bezahlung, versteht sich. Nur deswegen wird diese Art zu produzieren nicht Sklaverei genannt. Neben Effizienzsteigerungen, Massenproduktion und technischem Fortschritt hatte die industrielle Revolution also einen viel wichtigeren Aspekt. Sie hat die soziale Ordnung zugunsten der Arbeiter ver- <?page no="28"?> 28 Teil 1 | Die digitale Führungskraft ändert. Menschen hatten nun die Möglichkeit, durch Arbeit zu ein wenig und durch Ideen zu noch mehr Wohlstand zu kommen. Was ist Wohlstand? Er bedeutet die Möglichkeit zu tun, was man möchte. Sicher, ein Fließbandarbeiter ist nicht frei im absoluten Sinne. Aber er ist unabhängiger als Generationen von Leibeigenen und Sklaven in den tausenden Jahren davor. Ich bin mir zwar sicher, dass es viele kaum so sehen werden, aber: Henry Ford hat einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung der Menschen geleistet. Denn sein Schritt war Teil eines Prozesses, der sich immer noch, durch die Digitalisierung, fortsetzt. Dieser allerdings steht heute unser Denken gegenüber, das durch diese Ford’sche Vergangenheit geprägt ist. Denn die sklavische Einbindung in den Produktionsprozess erzeugte eine bestimmte Sichtweise auf das Wesen Mensch. Er wird, zumindest unterbewusst, auch heute noch nicht als Individuum betrachtet, sondern wie der Bestandteil einer Maschine. Der Mitarbeiter soll funktionieren und die Produktion am Laufen halten. Man muss ihn pflegen. Schmier- und Treibstoff sowie Ersatzteile sind die Stichworte. Das Pendant beim Menschen sind Entlohnung und Gesundheitsversorgung. Davon bekommt er genau so viel, dass er nicht aufmuckt und motiviert genug arbeitet. Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel? Das ist es in Westeuropa heute nicht mehr. Denn die Methode wurde verfeinert. Das Ziel ist aber immer noch dasselbe. Der Mitarbeiter soll gerade so zufrieden sein, dass er leistet. Und wenn das nicht funktioniert? Dann wird er ausgetauscht wie eine Maschine. Kommt Dir dieses Verhalten bekannt vor? Im Übrigen ist es genau diese Art von Bestechung der Menschen durch Zufriedenheit, die ihre Agilität vernichtet. Kann eine solche Sichtweise auf Mitarbeiter heute noch angemessen sein? Wir sind uns sicher einig: Menschen sollten so nicht behandelt werden. Aber unabhängig <?page no="29"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 29 von dieser Feststellung gibt es heutzutage noch einen weiteren, handfesten wirtschaftlichen Grund, seine Mitarbeiter nicht wie Objekte zu benutzen. Kehren wir noch einmal zurück zu dem, was industrielle Revolution ist. Sie ist „die dauerhafte Umgestaltung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse durch den Einsatz neuartiger technischer Mittel“ (Wikipedia, 2021). Neuartige technische Mittel? So beschrieben ist Digitalisierung also nur eine weitere Stufe der industriellen Revolution. Und, sicher hast Du es bemerkt, sie ist Mittel und kein Zweck. Digitalisierung dient mithin zwei Bestimmungen. Die erste ist die Veränderung der Wirtschaft in einer Art und Weise, die mehr Produktion und Gewinn ermöglicht, zunächst einmal nur für die Eigentümer von Wirtschaft. Würde nur das umgesetzt, käme es über kurz oder lang zu sozialen Unruhen. Um dem vorzubeugen, werden Teile des privaten Gewinns an den Rest der Gesellschaft verteilt. Abbildung 4 | Digitalisierung: Mittel vs. Ziel Karl Marx ist präsenter denn je. Allerdings befand er sich mit einer Einschätzung im Irrtum. Die Revolution, die er propagierte, bestand im physischen Übergang der Produktionsmittel in die Hände des Proletariats. Das ist nun nicht mehr mit Gewalt <?page no="30"?> 30 Teil 1 | Die digitale Führungskraft nötig. Die Macht geht schon über. Nicht physisch, sondern virtuell, durch Digitalisierung, den Gleichmacher unter den Menschen. Heute brauchst Du kaum Produktionsmittel mehr, um Macht zu haben. Es ist das, was in Deinem Kopf ist, das Dich mächtig macht. Kombinierst Du es mit digitalen Mitteln, kannst auch Du es schaffen. Das ist er, der handfeste Grund für einen respektvollen Umgang mit Mitarbeitern: Du bist auf sie angewiesen, wenn Dein Unternehmen in der Wettbewerbswirtschaft bestehen will. Ursache dafür ist nicht die immer wieder bemühte demografische Entwicklung. Nein, es ist die Digitalisierung. Sie fordert etwas von Mitarbeitern, dass den Unterschied ausmacht. Hast Du Kollegen, die digital ticken, bist Du klar im Vorteil. Das wissen diese Kollegen und gehen, wenn Du sie wie Objekte behandelst. Merke | Die Essenz von Digitalisierung ist die Befreiung des Menschen, vor allem aber der Mitarbeiter von der Dominanz der Hierarchie. Was also ist Digitalisierung in Wirklichkeit? Sie ist, wie die gesamte industrielle Revolution, ein Mittel der Befreiung des Menschen von all der stumpfsinnigen Arbeit, die nun Maschinen verrichten können. So war es mit Pfeil und Bogen, mit dem Pflug, mit der Dampfmaschine und so weiter. Es ging immer nur darum, dass wir uns das Leben einfacher machen. Der Unterschied? Mensch! Du wendest nun vielleicht ein: Aber vieles von meiner Arbeit übernimmt doch heute schon oder bald künstliche Intelligenz (KI). Gefährdet das nicht meine Position als Arbeitnehmer? Das ist falsch, denn auch Deine Frage ist es. Richtig wäre sie so gestellt: Welche Aufgaben kann Software von mir übernehmen? Begriffe wie <?page no="31"?> 1 Digitalisierung: Wie konnte es nur so weit kommen? 31 KI, Bot, Machine und Deep Learning vernebeln Dir den Blick auf die Realität. Die letzten drei Anwendungen stehen schon einmal nicht im Verdacht, intelligent zu sein, also den Menschen vollständig ersetzen zu können. Und KI? Lass uns den Begriff Intelligenz genauer anschauen: Es ist die „Fähigkeit (des Menschen), abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“ (Duden, 2021). Intelligenz besteht mithin aus den drei Teilen  abstrahieren,  vernünftig denken und  zweckvoll, also entsprechend, mithin ebenfalls vernünftig, handeln. Wenn Du „vernünftig“ dann auch noch mit „einsichtig und besonnen“ (Duden, 2021) beschreibst, also ohne die Wirkung von Emotionen, dann „ist KI etwas, was bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachbildet, damit ein Computer relativ eigenständig Probleme nachbearbeiten kann“. (Wikipedia, 2021) KI ist folglich eine Kopie menschlicher Denkmuster. Das ist alles? Ja, künstliche Intelligenz ist nur Programmierung. Gute, das mag sein, aber eben doch nur Programmierung. Sie ist lediglich der Versuch, den Menschen hinsichtlich seiner Fähigkeit „Intelligenz“ nachzubauen. Was kann KI nicht? Sie kann keine Emotion. Was muss ein Mensch beachten, wenn er intelligent sein will? Er muss seine Emotionen im Zaum halten. Wenn der Mensch jedoch seine Emotion benutzt, also nicht intelligent denkt, dann entsteht: Kreativität. Das ist die Fähigkeit zu erschaffen, was es vorher noch nicht gab. Neues also. Genau das kann KI (bisher) nicht. Ein kreativer Mensch ist größer als jede Software. Das gibt ihm die Machtposition, von der ich sprach. Digitalisierung ist das Ergebnis unserer Agilität, also zwingende Folge des Menschseins. <?page no="32"?> 32 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Abbildung 5 | Mensch vs. KI Also los, digitalisieren wir weiter! Nichts spricht dagegen. Oder doch? Leider ja. Es sind bestimmte Menschen, die das anders sehen. Und es gibt eine Menge davon. 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer Verrückte führen Blinde (und Eseltreiber ihre Esel) Die Mentalität der meisten Manager ist immer noch geprägt durch die Interpretation des Menschen als Maschine, über die sie wie Objekte verfügen können. Das <?page no="33"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 33 Objektsein und die Unfreiheit spüren alle. Viele der Benutzten sind jung. Sie kennen nichts als Demokratie und sind gewohnt, ihre Meinung frei zu äußern. Und sie sind Kinder der Digitalisierung, was ihren Drang nach Unabhängigkeit noch einmal verstärkt. Die meisten der Digital Natives haben ein Bewusstsein für das, was Recht ist. Viele Führungskräfte hingegen sind verrückt genug zu glauben, dass objektbezogener Umgang mit Menschen Erfolg hat. Bis vor zwanzig Jahren hat das noch gut funktioniert. Der Chef wies an und die Borg gehorchten. Wir hatten das bereits: Command and Control, Controlling, Monitoring, Micromanagement. Stelle Dir solch einen Vorgesetzten vor, heute, als altes Möbelstück, das von seinem Platz verschoben, also verrückt worden ist. Oder als eines, um das herum alle Möbel verstellt wurden. Nun steht es da und passt nicht mehr so recht in die neue Ordnung. Denn die ist eine freiheitliche, weil digitale. Aber wie ist es mit den verrückt geführten Mitarbeitern? Ich habe viele Gespräche mit Kollegen geführt und weiß: Sie leiden unter ihrer gefühlten Machtlosigkeit innerhalb der Hierarchie. Sie glauben auch, das müsse so sein und fügen sich. Sie können nicht sehen. Sie sind blind für das, was jetzt schon ist und das, was ganz sicher sein wird. Die meisten Mitarbeiter haben nicht verstanden, dass es auf sie als kreative Wesen ankommt. Hätten sie es, würden sie einfordern, was ihnen zusteht. An dieser Konstellation liegt es, dass immer noch gilt: „Das ist die Seuche unserer Zeit: Verrückte führen Blinde.“ (Shakespeare, König Lear). So ist es, verrückte Manager führen blinde Mitarbeiter … Wie genau machen die Chefs das? Die Geschichte vom Eseltreiber und Esel wurde so lange erzählt, bis wir sie geglaubt haben. Wir halten sie für wahr und hinterfragen darum auch die Botschaft nicht: der Manager als Eseltreiber und der Mitarbeiter als Esel. <?page no="34"?> 34 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Wie bringst Du den Esel zum Laufen? Mit Möhre und Peitsche? Alle analogen Führungsmethoden basieren auf diesem Prinzip. Das glaubst Du nicht? Beispiele gefällig?  Management by Objectives: Das ist „Führen durch Zielvorgaben, die Mitarbeiter eigenständig zu erfüllen haben“ (bwl-lexikon.de, 2021). Kommentar: Lauf Esel, lauf, mir doch egal, wie du das schaffst - Peitsche.  Management by Results: „Führungstechnik, die dem Mitarbeiter […] Leistungsziele vorgibt und deren Erreichung überprüft“ (Wikipedia, 2021). Kommentar: Wo ist der Unterschied zu MbO? Kontrolle? Also mehr Peitsche.  Management by Exception: „Führungstechnik, bei der die übergeordneten Führungsorgane die Erledigung von Routinefällen den zuständigen Mitarbeitern überlassen und sich die eigene Entscheidung nur in Ausnahmefällen vorbehalten“ (Wikipedia, 2021). Kommentar: Steigerung des vorherigen Prinzips, aber der Chef greift erst später ein. Also immer noch Peitsche.  Management by Participation: „Führungskonzept mit starker Betonung der Mitarbeiterbeteiligung an den sie betreffenden Entscheidungen.“ (Wikipedia, 2021). Kommentar: Beteiligung an der Erarbeitung von Zielen? Danke, lieber Eseltreiber, dass du mich wahrnimmst. Ein Stück Demokratie ist eine schimmelige Möhre. Und irgendwo wird schon noch eine Peitsche herumliegen.  Management by Information and Communication: „Führungskonzept, das darauf basiert, den Fähigkeiten und der Verantwortungsbereitschaft der einzelnen Mitarbeiter (durch Information und Kommunikation, Anmerkung des Autors) Spielraum zu gewähren.“ (Nissen, 2021). Kommentar: Auch einmal einen Schritt nach links machen ist erlaubt. Und nach rechts? Peitsche, getarnt als Möhre.  Management by Motivation: „Mitarbeiter zu motivieren, härter zu arbeiten […], Verwendung von verschiedenen Werkzeugen und Instrumenten, die mensch- <?page no="35"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 35 liches Handeln und Denken beeinflussen. […] läuft im Wesentlichen auf Folgendes hinaus: Schaffung spezifischer Anreize, sowohl materiell (Bonus, Gehalt, Belohnung) als auch immateriell (Lob, Bitte, Wertschätzung) und Mitarbeiter zwingen durch Befehle, Drohungen und alle Arten von Strafen.“ (betriebswirtschaft-lernen.net, 2021). Kommentar: Heute ist das der Standard, weil alles Vorgenannte nicht funktioniert. Alle reden davon, dass Mitarbeiter motiviert werden müssen und meinen nichts anderes als zu belohnen und zu bestrafen. Sie sagen Motivation und meinen „Motivierung“ (Sprenger, 2010). Schauen wir uns das Thema noch einmal im Bild an: Was fühlst Du, wenn Du Abbildung 6 anschaust? Was sagt Dir das? Abbildung 6 | Die Sprache analoger Managementtechniken Der Mitarbeiter als Objekt? Der Manager als gottgleiches Wesen? Das ist es, was ich hier sehe. Der Verrückte entscheidet, was richtig ist und der Blinde hat zu folgen. Mal mit mehr Peitsche, mal mit weniger. Mal mit mehr Möhren, mal mit weniger. Selbst Management by Participation ist nur ein Placebo. Klingt gut, soll die Mitarbeiter aber doch nur zu mehr Leistung überlisten. Tatsächlich ist es doch so: Der Eseltreiber entscheidet am Ende immer allein. Schon darin liegt ein Fehler, berücksichtigt es doch das Wissen und die Ziele des Mitarbeiters nicht. Den dahinter <?page no="36"?> 36 Teil 1 | Die digitale Führungskraft liegenden fehlenden Respekt spürt jeder Blinde, selbst wenn er es nicht klar erkennen kann. Betrachtest Du die vorgestellten Methoden realistisch, weisen sie alle immer wieder stufenweise Verbesserungen im Vergleich zum Maschinenzeitalter des Henry Ford auf: Die Freiheit der Mitarbeiter wächst stetig. Geheuer scheint das den Managern nicht zu sein. Denn irgendwie muss man die Leute doch zwingen, zu tun, was man selbst will. Das ist ein schwieriges Thema, wie ich aus diversen Diskussionen mit Kollegen weiß. Körperliche Gewalt im Rahmen von Führung? Heute undenkbar. Auch rechtlich sind Arbeitnehmer mittlerweile gut geschützt. Genau darum hat sich Führung auf die Anwendung emotionalen Drucks verlegt. Es ist wie eine der Techniken der Samurai-Leader: Das Schwert ist gut sichtbar für alle. Ab und an legt der Samurai die Hand an den Griff und zieht es etwas heraus. Er zeigt, dass es einsatzbereit ist (sinngemäß nach Steiner, 2014). Schon das reichte früher, um die Ordnung wiederherzustellen. Dieser hinter allen Werkzeugen stehende Masterplan basiert auf dem Glauben,  dass eine Führungskraft alles weiß und kann, und  dass Möhre und Peitsche probate Mittel der Führung sind. Ihre Klarnamen sind: Training, Coaching, Ermahnung, Abmahnung, Controlling, Mitarbeitergespräch, Zielvereinbarung. Dieses ganze Zeugs wird Führungskräften immer noch in die Köpfe gezwungen. Es macht etwas mit Managern, wenn sie von allen Seiten derart manipuliert werden. Nur wenige Menschen haben den Charakter und die Erfahrung zu erkennen, wie falsch das alles ist. Wenn Du so nicht geführt werden willst und so auch nicht führen möchtest - wie dann? Was ist denn überhaupt „führen“? „Jemandem den Weg zeigen und dabei mit ihm gehen, ihn geleiten.“ (Duden, 2021). Da steht nichts von Möhren und Peitschen. Der Duden hat es exzellent beschrieben. Genau so möchte ich behandelt <?page no="37"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 37 werden. Das zeigt Respekt und das Akzeptieren der jeweiligen Aufgabe als eine partnerschaftliche. Es gibt tatsächlich schon lange Teams, die das so tun. Wer erntet das Rübchen? Geschichte | Großvater hat ein Rübchen gesteckt und spricht zu ihm: „Wachse, mein Rübchen, wachse, werde süß! Wachse, mein Rübchen, wachse, werde fest! Das Rübchen ist herangewachsen: süß, fest und groß - riesengroß. Großvater geht, die Rübe herauszuziehen. Er zieht und zieht und bekommt sie nicht heraus. Da ruft der Großvater die Großmutter. Die Oma fasst den Opa an, der Opa fasst die Rübe an. Sie ziehen und ziehen und schaffen es nicht. Da ruft die Großmutter das Enkelkind. Das Mädchen fasst die Oma an, die Oma fasst den Opa an, der Opa fasst die Rübe an. Sie ziehen und ziehen und können es nicht. Da ruft das Enkelkind das Hündlein. Das Hündlein fasst das Mädchen an. Das Mädchen fasst die Oma an. Die Oma fasst den Opa an. Der Opa fasst die Rübe an. Sie ziehen und ziehen und können es nicht. Da ruft das Hündlein das Kätzchen. Das Kätzchen fasst das Hündlein an. Das Hündlein fasst das Mädchen an. Das Mädchen fasst die Oma an. Die Oma fasst den Opa an. Der Opa fasst die Rübe an. Sie ziehen und ziehen und können es nicht. Da ruft das Kätzchen das Mäuslein. Das Mäuslein fasst das Kätzchen an. Das Kätzchen fasst das Hündlein an. Das Hündlein fasst das Mädchen an. Das Mädchen fasst die Oma an. Die Oma fasst den Opa an. Der Opa umfasst die Rübe. Sie ziehen und draußen ist das Gemüse. <?page no="38"?> 38 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Eine großartige Geschichte! Ein paar Fragen habe ich dazu:  Was ist die Rübe? Die Aufgabe, die Dein Team zu erfüllen hat?  Wer ist die Führungskraft? Opa: Warum? Weil er vorne steht, ein Mann ist oder das Rübchen pflanzte? Oma: Warum? Warum nicht? Mädchen? Hündlein? Kätzlein? Mäuslein? Kann ein Mädchen führen? Kann ein Hund eine Katze führen? Kann eine Katze einen Hund führen? Was passiert mit der Maus, wenn die Katze Hunger bekommt?  Wer hat das Rübchen herausgezogen? Opa, Oma, Mädchen, Hund, Katze oder doch die Maus? Würde nur einer von ihnen fehlen, wäre die Rübe dann immer noch im Boden? Würde es die Rübe nicht geben, was hätten die Sechs dann zu tun? Was für ein Wahnsinn, oder? Alte, Junge, Männer, Frauen, Tiere, Jäger, Futter, sie alle ziehen an der Rübe. Keiner sticht heraus. Und niemand nimmt den Erfolg für sich in Anspruch. Jeder leistet, was er kann. Das zieht auch keiner der anderen in Zweifel. Selbst wenn es offensichtlich ist, dass eine Maus weniger Kraft als der Opa hat. Das stört hier niemanden. Eine Geschichte, die ganz offensichtlich nicht von dieser Welt ist. „Verstanden“, denkst Du, „Kooperation ist jetzt das Thema. Das ist nichts Neues.“ Korrekt. Und dennoch muss dieser Aspekt auf den Tisch, wenn wir den digitalen Manager suchen. Denn die Bedeutung von Teamarbeit steigt in einer virtuellen Arbeitswelt exponentiell. Das kannst Du zum einen sehr gut an der Funktionsweise unserer Kommunikation festmachen. Zusammenarbeit ist Grundlage von Social Media. Und Digitalisierung ist das Verbinden von Produkten und Dienstleistungen. Wäre es da nicht logisch, dass wir auch verbundener arbeiten? Einen weiteren Grund dafür findest Du im Kapitel „Rien ne va plus … ohne Kreativität! “. Meine Stoßrichtung ist jedoch nicht die übliche. Hier geht es nicht nur darum, dass <?page no="39"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 39 Sachbearbeiter zusammenwirken. Das ist die Basis, der Standard, der oft genug schon nicht funktioniert. Nein, das Thema sind die nicht kooperativen Kollegen. Davon gibt es in jedem Team mindestens einen. Der hält sich meist für etwas Besseres, jedenfalls nicht für einen stinknormalen Angestellten. Ich spreche über die Führungskraft. Die ist heute kaum Bestandteil des Teams, das sie führen soll. Die Integration der Manager wird uns später in diesem Buch noch intensiver beschäftigen. Jetzt halten wir zunächst einmal ein weiteres Puzzleteil fest: Zwischenstopp 2 | Ein digitaler Manager erkennt Teamarbeit als Grundlage von Erfolg an. Ich bin in diesem Kapitel verstärkt auf das analoge Umfeld eingegangen, in dem Mitarbeiter gefangen sind. Kritik an diesem Zustand zu äußern ist sehr einfach, wenn der Missstand so offensichtlich ist. Was in solchen Fällen meist fehlt, ist ein Lösungsvorschlag. Es geht um das Stellen der Frage: Wie geht es besser? Wenn die Antwort darauf dann auch noch mit wissenschaftlichen Studien unterlegt wäre? Ein Traum. Ich würde sagen, dass wir es genauso machen sollten, oder? Dazu müssen wir uns aber schon wieder auf den Weg machen. Also, ab ins Kloster … Zu Besuch bei kanadischen (Hochleistungs-)Nonnen Geschichte | In den 1980er-Jahren wurde an der Kentucky-Universität eine Studie mit kanadischen Ordensschwestern durchgeführt. Die 600 Damen waren zum Zeitpunkt der Studie zwischen 76 und 107 Jahre alt. Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen dem Altern und der Alzheimerkrankheit. Aus Obduktionen vieler Demenzerkrankter war bekannt, dass sich Plaques, Tangles und Tau- Proteine im Gehirn chemisch veränderten, wenn die Erkrankung fortschritt. So <?page no="40"?> 40 Teil 1 | Die digitale Führungskraft beschloss das Who-is-Who der Wissenschaftler, dies als die Ursache von Demenz zu sehen. Wie aber verhielt es sich bei den Ordensschwestern? Sie alle hatten das Einverständnis gegeben, ihr Gehirn nach dem Tod diesbezüglich untersuchen zu lassen. Auch ihre Denkapparate waren teilweise „weggeschrumpelt“ (Hüther, 2020). Aber keine der Damen wies Anzeichen von Alzheimer auf, als sie das Zeitliche segneten. Also nix da mit chemischen Prozessen, die Demenz erzeugen? So muss man es wohl sehen, auch wenn sich die Mär von den kaputten Dingen im Kopf sehr hartnäckig hält. Ja, die Gehirne waren chemisch zerstört. Aber: Die Leistung war, bei den Nonnen, erhalten geblieben. Und zwar durch Verwenden anderer Teile des Gehirns. Diese Transformationsfähigkeit nutzt man heute aktiv bei Schlaganfallpatienten. Sie ist Teil des Rehabilitationstrainings. Die Frage, wie Demenz entsteht, war also eine falsche. Denn sie hat ein irreführendes Ergebnis erzeugt. Die erstbeste Erklärung musste als Antwort herhalten: Plaques, Tangles und Tau-Proteine. Stellst Du Fragen, bekommst Du Antworten und das unabhängig davon, ob die Frage sinnvoll ist. Es ist mithin eine Kunst, Fragen richtig zu stellen. In diesem Fall hätte sie lauten müssen: Was verhindert Alzheimer? Gerald Hüther nennt es günstige Bedingungen, unter denen Menschen, so wie diese Ordensschwestern, leben müssen, damit ihnen das erspart bleibt. Was hat das mit Führung zu tun? Stelle Dir vor, Du würdest das erwähnte Umfeld für Deine Mitarbeiter schaffen. Wenn solche Bedingungen die Zerstörung eines Gehirns verhindern, welche Wirkung hat es dann auf gesunde Menschen? Zu welchen Leistungen wäre Dein Team fähig? Also: Was macht ein Gehirn fit? Eine Antwort darauf fand, zufällig, Aaron Antonovsky. Er führte Studien an weiblichen Vergleichsgruppen durch, die sich eigentlich mit der Menopause beschäfti- <?page no="41"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 41 gten. Die eine hatte deutsche Konzentrationslager überlebt, die andere nie eines von innen gesehen. Beide Gruppen waren im Jahr 1939 zwischen 16 und 25 Jahren alt. Verglichen wurde der Gesundheitszustand der Frauen. Was war das Ergebnis? 29 von 100 der Inhaftierten waren psychisch und physisch gesund, in der anderen waren es 51. „Nicht der Unterschied an sich, sondern die Tatsache, dass in der Gruppe der KZ-Überlebenden 29 Prozent der Frauen trotz der unvorstellbaren Qualen eines Lagerlebens mit anschließendem Flüchtlingsdasein als körperlich und psychisch gesund beurteilt wurden, war für Antonovsky ein unerwartetes Ergebnis.“ (Wikipedia, 2021) Anders ausgedrückt: Er hätte bei den KZ-Gefangenen deutlich weniger erwartet. Um einer drohenden Missinterpretation vorzubeugen, das könne am Geschlecht der Teilnehmer liegen: Viktor Frankl kam bei Männern zu ähnlichen Ergebnissen (Frankl, 2018). Schaut man auf die, für alle inhaftierten Frauen gleich schlechten, Lebensbedingungen, dann war die Frage hier also nicht, wie Krankheit entsteht, sondern: Wie entsteht Gesundheit? Antonovsky beantwortete diese Frage mit dem Konzept der Salutogenese. Das ist sie, die Wundermedizin. Und hier sind sie, die drei Zutaten für psychische und physische Gesundheit:  Das, was einem Menschen passiert, muss für ihn verstehbar sein.  Das, was verstanden worden ist, muss für ihn gestaltbar sein.  Das, was verstanden und gestaltbar ist, muss für ihn einen Sinn machen. Werden diese Regeln eingehalten, ist man glücklich, motiviert und gesund. Was denkst Du? Verstehen Nonnen das, was ihnen im Leben passiert? Gestalten sie ihr Leben so, wie sie es für richtig halten? Macht das Leben von Nonnen einen Sinn? Die Antwort überlasse ich Dir. Beachte bitte, dass es nicht darauf ankommt, ob Du ein Gott geweihtes Leben als sinnvoll erachtest. Es geht hier ausschließlich um die Sicht der Nonnen. Wenn Du es als Manager schaffst, dass Deine Mitarbeiter ihren <?page no="42"?> 42 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Job verstehen und gestalten können, dann wird er auch Sinn für sie machen. Nimmst Du die Erkenntnisse der Salutogenese ernst, versuchst Du nicht mehr, Menschen zu etwas zu bringen, das Du möchtest. Stattdessen beginnst Du, mit ihnen gemeinsam zu entwickeln, was ihr möchtet. „Wir müssen aufhören, die Natur und andere Menschen zu benutzen, und in eine Beziehung mit ihnen treten.“ (Hüther, 2020) Dieses „in Beziehung treten“ zeigt Deinen ganzen Respekt gegenüber dem Wesen Mensch. Wer so mit seinen Kollegen umgeht, dem folgen sie meist auch ohne Command and Control. Lass uns das einmal mit Beispielen konkretisieren:  Verstehbarkeit: Wenn der Mitarbeiter den Hintergrund einer Regel nicht überblickt, erkennt er auch die Abweichung davon, den Fehler, nicht. „Ist das hier jetzt ein Fall, wo ich den Lieferanten vor Fälligkeit bezahlen kann? Ist das eine Situation, wo ich dem Kunden eine weitere Zahlungsfrist gewähre? Muss ich fragen? Wen? “ Nicht verstanden zu haben macht unsicher und führt zu Fehlern. Verstehen dagegen schafft Sicherheit.  Gestaltbarkeit: Schon das Fehlen von Verstehen nimmt Dir die Möglichkeit zu reagieren. Du weißt aber, wie es geht, hast also verstanden? Dann muss das Fehlen von Gestaltbarkeit die Hölle sein.  Sinnhaftigkeit: Du verstehst Deinen Job nicht? Du verstehst ihn, kannst aber nichts gestalten, weil Deine Vorschläge niemanden interessieren? Bei den meisten Menschen ist es spätestens diese Kombination, die jeden Sinn verloren gehen lässt. Du erkennst, dass es keineswegs reicht, nur zu kommunizieren, also Verstehen zu ermöglichen. Es hilft ebenso wenig, Deinen Kollegen mehr Handlungsspielraum zu geben. Wenn sie nicht verstanden haben, werden sie ihn nicht nutzen. Und wenn doch: Warum sollten sie Verantwortung für das übernehmen, was der Manager be- <?page no="43"?> 2 Shakespeare, Esel und Erntehelfer 43 zahlt bekommt? Meist sind gewährte Gestaltungsmöglichkeiten nur ein Placebo, das Mitarbeiter zu mehr Leistung überlisten soll. Die aber sind nicht so dumm, dass sie das nicht bemerken würden. Durch solche Pillen bewirkt eine Führungskraft das Gegenteil. Es ist die Erkenntnis, dass Gestaltungsmacht von Mitarbeitern tatsächlich nicht willkommen ist. Wie auch? Analoge Manager definieren ihr Selbst über genau diese Kraft. Die sollen sie mit dem Mitarbeiter teilen? Vergiss es. Das, was wir über unser Gehirn heute wissen, deutet darauf hin, dass es mindestens die drei genannten günstigen Bedingungen braucht, damit ein Mensch sein Potenzial entfalten kann. Die Salutogenese steht damit im krassen Widerspruch zu den althergebrachten Führungstechniken. Denn deren Druck erzeugt Stress. Das ist nur ein anderes Wort für Angst. Die wiederum weckt den Überlebenswillen des Mitarbeiters. Kommt dieser Instinkt erst einmal auf Touren, wird es schwer für die Salutogenese. Belohnungen wie Boni sind ebenfalls schlecht. Denn sie nehmen dem Mitarbeiter seine Agilität. Zusätzlich manövrieren sie ihn in die Richtung, die der Manager schon als korrekt entschieden hat. Aber kann das die richtige sein, wenn nur dieser eine Mensch etwas beurteilt? Ich denke nicht. Eine Führungskraft ist heute nicht mehr in der Lage, alles zu wissen, zu beurteilen und richtig zu entscheiden. Dazu ist die Menge an Daten und Informationen zu groß, ebenso wie die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen. Das alles prasselt auf ihn ein, meist auch noch schlecht kommuniziert. Damit bleibt der Führungskraft nur das Einbinden aller Kollegen in das Managementteam. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie den Mitarbeitern das Verstehen und die Gestaltbarkeit der Arbeit ermöglicht. Sinn ergibt sich dann regelmäßig von allein. Lass uns also Dein Profil weiter schärfen: <?page no="44"?> 44 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Zwischenstopp 3 | Mitarbeiter und Führungskraft führen und managen gemeinsam. Ein digitaler Manager ermöglicht seinen Kollegen das Verstehen und das Gestalten der Arbeit als Basis für Sinn bei der Arbeit. Du willst wissen, wie diese neue Art der Führung konkret funktioniert? Dazu noch einmal der Hinweis auf die -Definition: „jemandem den Weg zeigen und dabei mit ihm gehen, ihn geleiten“ (Duden, 2021). Lass mich Dir also zeigen, was ich meine. 3 Rien ne va plus … ohne Kreativität! Weiter oben hatten wir uns mit der Denkhaltung beschäftigt, die eine digitale Führungskraft benötigt. Sie bestand aus verschiedenen Fähigkeiten. In diesem Buch ist nicht der Platz, alle zu besprechen. Eine allerdings ist essenziell für die Digitalisierung. Erinnerst Du Dich an diese Abbildung? Das Wort „Agilität“ hatte ich hervorgehoben. Schau einmal links daneben. Abbildung 7 | Agilität und Kreativität <?page no="45"?> 3 Rien ne va plus … ohne Kreativität! 45 Nichts geht mehr … ohne Kreativität! Vor allem in der aktuellen Phase der Industrialisierung funktioniert es auf keinen Fall mehr ohne. Wie das? Ich hatte es im Vorwort erwähnt. Es geht um das Verbinden von Vorhandenem zu etwas Neuem. Die Suche nach diesem Besseren ist ein Grundgesetz der Natur. Um das zu ermöglichen, hat sie sich verschiedene Varianten einfallen lassen. Beim Menschen ist eine spezielle Methode stark ausgeprägt. Erst Kreativität hat unsere Reise aus den Steinzeithöhlen in den Weltraum ermöglicht. Ohne sie wären wir entweder vom Säbelzahntiger gefressen worden oder mangels Waffen verhungert. Denn, körperlich betrachtet, sind wir für den Ausleseprozess der Natur nur schlecht gerüstet. Langsame Beine, schwache Arme, keine Reißzähne. Nicht einmal gut klettern können wir mehr, seit wir uns aus der afrikanischen Savanne erhoben haben. Es scheint fast, als wären wir Menschen ein Experiment. Dessen Fragestellung ist: Kann ein Wesen auch ohne eine spezielle körperliche Überlegenheit überleben? Das Universum gab uns anstelle von Kraft und Schnelligkeit eine geistige Gabe. Es ist die Kreativität, die „Genialität, die überragend schöpferische Veranlagung“ (Duden, 2021), die unsere Schwächen ausgleichen konnte. Experiment gelungen, liebe Mutter Natur. Heute sind wir auf dem Sprung in eine neue Ära. Denn die Zeit der menschengetriebenen Massenproduktion an den Fließbändern Henry Fords ist längst vorbei. Der Wertund, vor allem, der Zeitanteil des Menschen an dieser Art zu produzieren, sinkt rapide. Immer mehr Tätigkeiten werden von Maschinen erledigt. Der Prozess der Substitution hat gerade erst begonnen. Auf der anderen Seite steigt der Beitrag von Forschung, Entwicklung, Design, mithin der Kreativität, immer weiter. Darum brauchen wir den Menschen heute zunehmend nicht mehr als Teil einer Unternehmensmaschine, sondern genau in jenen Kompetenzen [Kreativität, Anmerkung des Autors] , die ihn von der Maschine unterscheiden (sinngemäß nach Sprenger, 2018). <?page no="46"?> 46 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Was aber ist Kreativität? Der Duden sieht hier eine schöpferische Kraft und erklärt das dann mit „etwas Bedeutendes schaffend, hervorbringend, gestaltend; kreativ“ (Duden, 2021). Bedeutendes? Kreativ? Wir drehen uns im Kreis. Folgen wir ihm zum Anfang und schauen noch einmal in das Buch. 2. Versuch: „Mit der sprachlichen Kompetenz verbundene Fähigkeit, neue, nie gehörte Sätze zu bilden und zu verstehen.“ Aha! Sprache in dieser Form besitzt nur der Mensch. Also ist nur er kreativ. Was zu beweisen war. Lass uns Kreativität abschließend definieren: Merke | Kreativität ist das Verbinden von Vorhandenem zu Neuem, bisher nicht Dagewesenem. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ohne Kreativität wäre ich in meinem Job als Interim Manager erledigt. Regelmäßig komme ich in Unternehmen, die sich in verfahrenen Situationen befinden. Rien ne va plus, da geht tatsächlich nichts mehr. Alles scheint gesagt und getan und dennoch steckt die betroffene Abteilung weiter in der Krise. Was mache ich? Ich schaue mir an, was existiert. Das nehme ich, mische eigenes Wissen hinzu, verbinde es mit Bestehendem, ordne es anders an, lasse etwas weg, priorisiere neu. So entstehen Lösungen, die vorher nicht denkbar waren. Aber wie komme ich an sie ran, an meine Superkraft? Anders gefragt: Wie weckt man Kreativität? Hier ist sich die Forschung noch nicht einig. So viel jedoch kann bereits gesagt werden: Sie ist dem Menschen angeboren, sonst könnte er nicht überleben. „Im Grunde kann man Kreativität nur lahmlegen.“ (Hüther, 2020) Sind Menschen nicht kreativ, liegt es daran, dass diese Fähigkeit unterdrückt wird. Unterdrückt? Druck? <?page no="47"?> 3 Rien ne va plus … ohne Kreativität! 47 Als Synonym für Stress und Wort zum Verschleiern des uncoolen Begriffs Angst? Exakt. Angst ist im Wesentlichen das, was Kreativität killt. Es geht also nicht darum, Kreativität „anzuschalten“, sondern um das Abschalten der Störfaktoren. Damit stoßen wir auf das nächste Problem. Wir haben uns im letzten Jahrhundert darauf verständigt, dass Wettbewerb das ist, was unsere Zivilisation voranbringt. Fast alle spüren ihn, den Wettbewerbsdruck. Als Mitarbeiter versuchen Kollegen und Chefs, Dich in die gewünschte Richtung zu schieben. Als Manager nehmen Dich Deine Mitarbeiter, andere Führungskräfte und zusätzlich Dein Vorgesetzter in die Zange. Auch der Markt setzt Unternehmen unter Druck. Druck, Druck und noch einmal Druck, sogar zu Hause. Die übermäßige Last aktiviert die Notfallprogramme unseres limbischen Systems und unsere antrainierten Reflexe. Wir greifen darum auf Bewährtes zurück und probieren nichts Neues mehr aus. Denn das wäre ein Risiko. Und das macht noch einmal Angst. Ein Teufelskreis. Da nehmen wir lieber das Bekannte, das immer geholfen hat. Und so stellen wir uns tot und reagieren nicht mehr, weichen aus und ducken uns weg. Genau diese Logik führt zum Erstarren von Unternehmen und Gesellschaft. Du musst nur genügend Deiner Kollegen unter ausreichend hohen Druck setzen und dann tun sie alle dasselbe: nämlich nichts (Neues). Merke | Druck zu machen ist die sicherste Möglichkeit, Kreativität zu verhindern. Genauso funktioniert auch Führung heute - nicht mehr. Denn unter Druck beschäftigst Du Dich nur mit dem Ausweichen und nicht mit der Transformation, dem nächsten Level der Entwicklung. Transformation erreichst Du nur durch Anzapfen aller Deiner Ressourcen (sinngemäß Hüther, 2020). Andere, neue Wege fin- <?page no="48"?> 48 Teil 1 | Die digitale Führungskraft dest Du nur durch Träumen, Spinnen und Ausprobieren - also auch mit der Freiheit, das zu tun. In welchem Umfeld lässt sich das am besten bewerkstelligen? Da wir hier über Teams und Führung sprechen, geht es also um die Gemeinschaft, in der sich die Beteiligten bewegen. Die Frage ist, was Kreativität in Gruppen ermöglicht. Die Antwort: Vertrauen. Denn nur das „feste Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person“ (Duden, 2021) ist in der Lage, Druck zu kompensieren. Es geht um Vertrauen in Mitarbeiter, durch Kollegen, durch den Chef, in die Organisation. Wenn Du Kreativität von anderen Menschen haben willst, musst Du für sie den Raum schaffen, in dem sie kluge Fragen stellen können. Denn die wird Dein Kollege nicht aufwerfen, wenn er befürchten muss, ausgelacht, angegriffen oder ausgegrenzt zu werden. Kreativität kannst Du dann logischerweise auch nicht einfordern. Denn Fordern ist Druck und der steht dem Geforderten immer diametral gegenüber. Merke | Kreativität kannst Du ermöglichen, indem Du vertraust. Es bleibt eine letzte Diskussion: Würdest Du Elon Musk im Team haben wollen? Warum ist er, neben einem unbestritten hohen Anteil an Kreativität, so erfolgreich? Er steht an der Spitze. Die Mitarbeiter folgen ihm. Seine überragende Leistung ist zuallererst Leadership, nicht Kreativität. Glaubst Du, dass er seinen Erfolg als genialer Nerd in der Garage erzielt? Offensichtlich nicht, auch wenn Dir solche Steve- Jobs-Legenden immer so verkauft werden. Schon Thomas Alva Edison hatte ein Team von fast hundert Wissenschaftlern, mit denen er zusammen arbeitete. Kaum jemand verbringt heute noch großartige Leistungen ohne Team. Du erinnerst Dich an Dave und George? Auch das war kreative Teamarbeit. <?page no="49"?> 3 Rien ne va plus … ohne Kreativität! 49 Kreativität lebt offensichtlich vom Austausch. Je mehr Austausch, desto mehr geniale Ergebnisse kannst Du, tendenziell, erwarten. Warum solltest Du nur das Potenzial Einzelner nutzen, wenn Du durch die Verbindung vieler zu einem Kreativteam deutlich mehr und bessere Lösungen generieren kannst? Es ist sinnvoller, die Erfindungsgabe aller anzuzapfen, als sich Kreativstars ins Team zu holen. Denn meist sind diese nur insoweit kooperationsfähig, als dass sie an der Spitze stehen oder entsprechend behandelt werden (wollen). So wie die Fußballdiven früherer Zeiten. Mein Rat ist: Verzichte auf Typen wie Elon Musk. Das vermindert auch Deine Abhängigkeiten. Einen von zehn Mitarbeitern ersetzt Du einfacher als den einen. Und wer weiß, vielleicht macht ja der neue Eine von zehn genau die kreative Mischung, die Du brauchst. Sind wir uns einig? Um Digitalisierung zu gestalten, brauchst Du Kreativität. Am besten die aller Mitarbeiter, verbunden in einem Kreativteam mit Dir. Ergänzen wir die nötigen Fähigkeiten eines digitalen Managers also weiter: Zwischenstopp 4 | Er weckt die Kreativität des Einzelnen durch Vertrauen und formt aus allen Kollegen ein Kreativteam. Teamwork in der Führung? Beim Organisieren und Managen? Als gemeinsame Aufgabe von Mitarbeitern und Führungskraft? Kreativteams? Ja, das habe ich formuliert. Ein Schauer des Grauens läuft nun so mancher Führungskraft über den Rücken. Wo bleibt da der Manager? Ganz ruhig, lass uns das Modell zu Ende denken … <?page no="50"?> 50 Teil 1 | Die digitale Führungskraft 4 Finde Deine Rolle Theater, Theater, der Vorhang geht auf Epiktet hat es einst so formuliert: „Deine Aufgabe ist es, die Rolle, die Dir zugeteilt worden ist, gut zu spielen. Die Auswahl der Rolle steht einem anderen zu.“ Nach diesem Motto wurden nicht nur jahrtausendelang Bühnenprogramme gespielt, auch alle Gesellschaftssysteme basierten auf diesem Prinzip. In diesem Sinne waren auch die Unternehmen Theateraufführungen. Daran ist heute immer weniger wahr. Ihre Rollen suchen sich Menschen zunehmend selbst. Die für sie vorgesehenen akzeptieren sie nicht mehr. Wie führst Du einen solchen Haufen selbstbewusster Menschen? Indem Du zuerst einmal Deine eigene Position findest und akzeptierst. In einem solchen Team bist Du vielleicht per Definition Führungskraft. Dein Titel ist jedoch nicht mehr Ausdruck von Hierarchie, sondern von Aufgabe. Das ist ein Kulturschock, sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter. Schauen wir zurück auf die Managementtheorie. Sie beschreibt die Aufgabengebiete (Sprenger, 2018) einer Führungskraft wie folgt:  Was ist Management? Das systematische Setzen von Zielen, Budgetieren, Organisieren der Zielerreichung, Durchführen und Prozesscontrolling.  Demgegenüber steht Führung. Was ist dort das Wesentliche? Sie beschreibt, wie ein Ziel aussehen soll, bringt Mitarbeiter hinter diese Vision und inspiriert sie zur Umsetzung, trotz aller Hindernisse. Wenn meine Behauptung stimmt, dass eine Führungskraft nicht mehr genug Zeit hat, alles zu wissen, zu beurteilen und richtig zu entscheiden, dann müssen logischerweise Teile der Management- und der Führungsaufgaben an Mitarbeiter übergehen. Eine digitale Führungskraft muss mehr führen und weniger managen. Im <?page no="51"?> 4 Finde Deine Rolle 51 Gegenzug managen Mitarbeiter mehr, in Teilen führen sie sogar. Würde man das so umsetzen, wären alle Teile des Teams, die Führungskraft eingeschlossen, mit neuen Fähigkeiten auszustatten. Wie sähe das konkret aus? Wir müssen nichts Neues erfinden. Es gibt bereits, seit Langem, funktionierende Lösungen. Es sind die virtueller Shared-Service-Center oder die von IT-Projektteams. Die nehmen wir und passen sie auf das Thema Führung und Management an. Seien wir also kreativ. Ein gutes Theaterstück führt sich selbst auf Die Überschrift ist ein Zitat von Elmar Kupke aus „Der Stadtphilosoph 2“ und trifft das Wesen des Arbeitens in virtuellen Teams perfekt. Es bedarf während einer Theateraufführung keiner Regieanweisungen mehr. Geht etwas schief, gleichen die Schauspieler das mit Improvisieren, also Kreativität, aus. Da ist kein Regisseur, der eingreift. Alles läuft von selbst. Warum? Zum einen kennt jeder seine Rolle. Des Weiteren stecken Üben, Üben und noch einmal Üben (dieser Rolle) dahinter. Und der letzte Grund, warum ein Theaterstück sich selbst aufführt, ist: weil es muss. Es gibt keine Entschuldigungen, keine Ausreden, kein Ende vor dem Ende. Das virtuelle Arbeiten hat auch die Rolle der Führungskraft im virtuellen Team radikal verschoben. Die digitale Führungskraft muss remote führen, kommunizieren und delegieren. Das ist etwas anderes, als es in Präsenz zu erledigen, denn:  Virtuell führst Du anhand von Ergebnissen, nicht von Anwesenheit. Denn Letzteres kannst Du im digitalen Raum schwer überprüfen. Also musst Du vertrauen. Vertrauen als Konzept in Hierarchien? Das hatten wir schon. Unvorstellbar, denn alles dort basiert auf Vorgabe und Kontrolle. Wer vorgibt, vertraut nicht. Wer kontrolliert, noch weniger. Vertrauen ist also auch hier, wie bei Kreativ- <?page no="52"?> 52 Teil 1 | Die digitale Führungskraft teams, ein wesentlicher Faktor. Virtuelle Teams basieren auf Vertrauen. Präsenzteams funktionieren durch personifiziertes Misstrauen, nämlich Kontrolle.  Ein zufälliges Treffen auf dem Flur, beim Rauchen oder in der Küche? Oder ein „Haben Sie mal kurz Zeit? “ - Das ist in virtuellen Teams nicht möglich. Kommunikation ist ein Schlüssel für den Teamerfolg und muss darum in solchen Arbeitsgruppen organisierter und asynchroner stattfinden. Sie kann weniger dem Zufall überlassen werden. In Präsenzteams dagegen wird zeitaufwendig synchron und meist auch unorganisiert kommuniziert. Warum ist das so? Weil es geht. Die meisten Menschen arbeiten halt lieber auf der Beziehungsebene statt an Lösungen. Mit dem Verschieben der Elemente von Misstrauen hin zu Vertrauen und von unorganisierter, synchroner hin zu organisierter, asynchroner Kommunikation, müssen sich auch die Rollen der Mitarbeiter verändern, wenn das Team erfolgreich sein will. Alle übernehmen neue Aufgaben, auch der Manager. Wie findet man eine Rolle? Schauen wir hinter die Kulissen. Ich erläutere das hier am Beispiel von RACI. Das ist eine verbreitete Technik zur Analyse und Darstellung von Verantwortlichkeiten. Das Tool dient  dem Sichern der Arbeitsqualität,  dem Vermeiden von Doppelarbeit,  dem Vermeiden von Aufgabenlücken,  und das alles ohne permanente Abstimmung mit der Führungskraft! Die einzelnen Buchstaben stehen für  (R) = Responsible - Wer führt die Aufgabe durch?  (A) = Accountable - Wer beurteilt die Durchführung der Aufgabe?  (C) = Consulted - Wer steht (A) und (R) beratend zur Seite? <?page no="53"?> 4 Finde Deine Rolle 53  (I) = Informed - Wer wird über die Ergebnisse informiert? Das folgende Beispiel zeigt Dir, wie so etwas aussehen kann. Name/ Team → Aufgabe/ Aufgabenbereich ↓ Name 1 Name 2 Team 1 Team 3 Name 5 Aufgabe 1 R C A I R Teilaufgabe 3 R A I R C Aufgabenbereich 1 C C R A I Aufgabe 2 R I A C I Abbildung 8 | Eine RACI-Matrix RACI ist die Blaupause für jegliche Form von Kooperation. Solche Teams kommen weitestgehend ohne Manager aus. Warum ist das so? Weil sich der Projektleiter/ die Führungskraft, nach Rollenklärung und entsprechend der eigenen Rolle, heraushält. Denn was passiert in Gruppen, wenn es niemanden gibt, der die Richtung detailliert vorgibt und kontrolliert und sich stattdessen alle an der gemeinsamen Aufgabe, am Rübchen, orientieren? Selbstorganisation ist die Folge. Das ist eine der Fähigkeiten, die Kollegen eines solchen Teams brauchen. Andere sind beispielsweise  die Kenntnis und das Einhalten der eigenen Rolle,  die eigenen Schwächen und Stärken identifizieren können,  die Schwächen des anderen kennen und ausgleichen können,  das eigenständige Aufrechterhalten des Informationsflusses,  Coach und Berater sein für andere Teammitglieder usw. <?page no="54"?> 54 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Du erkennst sicher, dass das meiste davon vorher Aufgabe des Managers war. Nun muss es jedes Teammitglied leisten. Das ist die angesprochene Verschiebung von Management- und Führungsaufgaben. Glaubst Du, dass damit ein Team in der Lage ist, sein Theaterstück selbst aufzuführen? Ich schon. Doch diese Aufgaben erfordern viel Wissen, Übung und Persönlichkeit. Hinzu kommt: Selbst Führungskräfte haben diese Fähigkeiten nicht immer. Wie sollen das dann Mitarbeiter schaffen? Auch wenn ein Manager alle genannten Eigenschaften besitzt: Akzeptiert er das beschriebene Rollenverständnis der Mitarbeiter, bliebe ihm nur, seine Kollegen mit diesen Fähigkeiten auszustatten. Das könnte er durch die Weitergabe eigenen Wissens bewerkstelligen oder Coaches dafür engagieren. Wie auch immer, es bleiben einige Fragen offen: Würde ein analoger Manager das tun? Würde er das, was sein Alleinstellungsmerkmal ist, anderen kostenfrei zur Verfügung stellen? Würde das nicht seine Machtposition gefährden? Was hätte es für Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl eines Menschen, der sich über die Stellung in einer Hierarchie definiert? Gehen wir aber einmal davon aus, er könnte über diesen Schatten springen. Und was macht der Regisseur? Schauen wir uns die Rolle des Managers in einem solchen Team an. Als digitale Führungskraft verlierst Du einige Aufgaben. Im Gegenzug gewinnst Du Zeit für jene Aufgaben, die Du wahrscheinlich schon immer vernachlässigt hast. Denn Du warst ja mit Command and Control beschäftigt. Es sind Tätigkeiten wie die folgenden, die nun für Dich wichtig werden:  das Unterstützen der Kollegen beim Einhalten der Rollen und Aufgaben,  die Identifikation von Stärken und Schwächen der Teammitglieder,  das Aufrechterhalten des Informationsflusses, <?page no="55"?> 4 Finde Deine Rolle 55  das Ausbilden aller Teammitglieder, auch im Ausbilden anderer,  die Koordination an den Schnittstellen zu anderen Teams usw. Bringen wir es auf den Punkt: Ein digitaler Manager muss führen, ausbilden und coachen. Mit diesem Dreigestirn schafft er den Rahmen für die Arbeit aller. Wie sieht das heute in einer analogen Realität aus? Das Arbeitsumfeld ist vergleichbar mit einer Carrera-Rennbahn. Der Untergebene sitzt im Auto. Die Wege sind vorgegeben und nicht zu ändern. Klar, man kann sie abbauen und neugestalten. Doch selbst wenn: Der Mitarbeiter sitzt im Fahrzeug und kann nicht einmal Gas geben. Auch das Lenken ist nicht sein Job. Denn der Manager bewegt ihn auf den voreingestellten Wegen, also mit Hierarchie und Organisation. Tempo erzeugt eine analoge Führungskraft, indem sie den Mitarbeiter mit Peitsche und Möhre antreibt. Wie ist es im digitalen Zeitalter? Auch Rennbahn, aber Mario-Kart-Deluxe auf der Konsole. Überraschende Geschwindigkeiten, nicht so begrenzt wie bei Carrera. Rennstrecken, die sich erst beim Fahren ergeben. Ups, eine Schlucht, der Fahrer fällt hinein. Das passiert, es war ein Versuch - und ein Irrtum. Ist halt schiefgegangen. Jeder Kollege fährt seinen Wagen selbst. Das Rennen? Alle müssen ankommen. Nur dann ist der Gegner besiegt. Der Weg? Unbestimmt, also fährt unter Umständen jeder einen anderen. Vorgegeben ist er, vom Team, nur hinsichtlich des Zieles. Aber auch das kann sich während der Fahrt ändern. Der Sieger? Alle, wenn alle im Ziel sind. Der Manager? Kaum zu erkennen in diesem Team. Er fährt mit auf der Rennbahn und Kontakt wird über Funk gehalten. War der Rahmen früher sehr eng gesteckt, musst Du ihn heute möglichst weit öffnen. Denn nur so haben Deine Mitarbeiter Platz und keinen Druck, nur so entfalten sich Kreativität, Spaß an der Arbeit und Geschwindigkeit. Die Autos der Kollegen stoßen an die Leitplanken? Geleite sie auf den Weg zurück. Sie werden abgehängt, <?page no="56"?> 56 Teil 1 | Die digitale Führungskraft die Strecke ist zu schwierig? Gib ihnen Fahrstunden. Ein Motorschaden? Schleppe selbst ab und hilf bei der Reparatur. Als Manager und Regisseur bist Du wahrscheinlich der am besten Ausgebildete in Deinem Team. Du weißt, was wichtig ist. Du kannst Dich fokussieren. Du hast Dein Zeitmanagement im Griff. Du bist der Größte in Deinem Team. Also diene und bringe Deinen Kollegen bei, wie das geht: Den Informationsfluss aufrechterhalten und strukturieren, richtig kommunizieren, fokussiert arbeiten, eigene Schwächen und Stärken identifizieren, Schwächen des anderen erkennen und ausgleichen usw. Hier die vorletzte Ergänzung dessen, was einen digitalen Manager ausmacht: Zwischenstopp 5 | Die Funktion eines digitalen Managers im Ensemble ist die eines Regisseurs: Ausbilden, Coachen und Führen durch Koordinieren. Das ist die Basis für den einen letzten, genialen Trick des digitalen Managers. Bevor ich Dir den erkläre, lass mich das bis hierher Gelesene kurz zusammenfassen: Fazit | Wir hatten herausgefunden, was Agilität ist und wie Du sie am besten benutzt. Dass sie wesentlicher Bestandteil des digitalen Mindsets ist, konnte dann nicht mehr wirklich überraschen, denn Tempo und Beweglichkeit sind passende Synonyme für die Digitalisierung. Wir leben in einer digitalen Gesellschaft. Und wir wollten verstehen, wie wir hierhergekommen sind. Darum haben wir uns unsere Entwicklung aus dem Maschinenzeitalter bis in die Gegenwart angesehen. Dabei sind wir auf einen unschönen Aspekt gestoßen. Leider behandeln wir Menschen immer noch wie Objekte. Das ist dumm, denn es verschwendet deren dringend benötigten Ressourcen. Wir haben also kanadische Nonnen befragt, wie wir an die Potenziale der Mitarbeiter herankommen können. Das führte uns zum Kon- <?page no="57"?> 5 Sei flüssiger als Wasser 57 zept der Salutogenese. Uns ist aufgefallen, dass, wenn wir Menschen das Verstehen, Gestalten und Sinn bei der Arbeit ermöglichen, sie auch noch kreativ werden. Das wiederum ist die Basis in der Phase der Digitalisierung, in der wir uns heute befinden - es geht um das Schaffen von Neuem. Agilität, Kreativität und das Respektieren des Mitarbeiters als Menschen - das sind die Faktoren, die bei allen Beteiligten neue Rollen erfordern. Es blieb eine Essenz übrig, wenn wir auf die Zukunft von Unternehmen schauen: alle, nicht einer. Management, Führung und Kreativität sind Teamarbeit. 5 Sei flüssiger als Wasser Der Trick für ein glückliches, arbeitsarmes, selbstbestimmtes und vor allem erfolgreiches Leben als Manager ist folgender: Tipp | Organisiere Teams immer so, als wären sie virtuell. Diese Herangehensweise hilft nicht nur Dir, sondern auch Deinem Team, Deiner Firma und allen Stakeholdern, die sich in Deinem Umfeld so herumtreiben. Wir hatten viel über Rollen gesprochen. Deine als Manager in virtuellen Teams ist die eines Lehrers. Und der beste Lehrer ist der, den kein Schüler mehr braucht, oder? Wenn Deine Mitarbeiter sich motivieren können und alle Erfolgstools beherrschen, bist Du nicht mehr vonnöten. Doch: Ist dann Dein Job in Gefahr? Wenn Du Dir diese Frage mit Ja beantwortest, bist Du immer noch verhaftet in der Welt von Herrschaftswissen und Hierarchie. Das ist eine schlechte Vorbereitung auf das <?page no="58"?> 58 Teil 1 | Die digitale Führungskraft „Blutbad“, das die digitale Transformation in den nächsten Jahren unter den Führungskräften anrichten wird. In der analogen Statuswelt sind Manager umso größer, je mehr Budget- und Mitarbeiterverantwortung sie haben. Sie sind umso wichtiger, je aufregendere Titel sie tragen. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren mehrere hundert Führungskräfte kennengelernt. So einige davon wurden, nach ähnlich langer Zeit in ihren Unternehmen, kurz und schmerzfrei „entsorgt“. Budgetverantwortung und Position halfen ihnen dann nur noch bei der Höhe der Abfindung. Wie kommt es zu solchen Entlassungen? Die Betroffenen hatten ihre Beweglichkeit verloren. Sie waren nicht agil und ihr digitales Mindset nur eine Worthülse. Genauso führten sie dann auch. Und die Welt um sie herum? Sie drehte sich mit hoher Geschwindigkeit weiter. Ihre eingeschlafenen Abteilungen jedoch kamen nicht mehr mit. Kreative Ideen? Fehlanzeige. Im Verhältnis zum Wettbewerber bewegte sich nichts oder nicht genug. Also Stagnation allenthalben. Was folgte, war klar und dasselbe wie im Fußball: Der Trainer wurde gefeuert. Wie entgehst Du einem drohenden Stillstand? Baue Deine Abteilung so, dass sie ohne Dich funktioniert. Dann wirst Du ruhiger, entspannter und kreativer arbeiten können und mehr Zeit für die wichtigen Aufgaben finden. Dein Team wird in einer vertrauensvollen Umgebung kreative Lösungen erschaffen. Probleme sind dann nur noch Herausforderungen, auf die ihr gemeinsam wartet, um den Tag mit dem Spaß von Ergebnissen zu füllen. So macht ein Führungsjob Freude. Der Druck hält sich in Grenzen. Urlaub ist dann auch das, was er sein sollte: Entspannung und nicht Rufbereitschaft. Ich weiß, dass das Gefühl von Ersetzbarkeit belasten kann. Denn auch ich habe am Anfang meiner Karriere sehr darunter gelitten. Eines Tages entschied ich jedoch, keine Angst mehr zu haben. Ja, Du hast richtig gelesen, es war eine Entschei- <?page no="59"?> 5 Sei flüssiger als Wasser 59 dung. Denn mich nervten all die schlaflosen Nächte und Alkoholkonsum als Schlafmittelersatz. Was tat ich stattdessen als „Rückversicherung“? Ich lernte und lernte und lernte und lernte. Ich wechselte die Jobs wie Unterhosen, um zu lernen. Ich verbrannte mir die Finger. Ich verlor. Ich gewann. Ich bereitete mich auf die eine, auf die große Veränderung vor. Tatsächlich jedoch nahm ich, unbewusst, den Change vorweg und wartete nicht darauf, bis er bei mir ankam. Ich lebte und lebe Veränderung permanent. Irgendwann wurde ich Interim Manager. Was ist, dialektisch betrachtet, dessen Job? Ein Interim Manager kommt und übernimmt mit dem Ziel, wieder zu gehen. Also arbeitet er die ganze Zeit daraufhin, sich ersetzbar zu machen. Das schafft er nur, wenn er aus den vorhandenen Mitarbeitern ein virtuelles Team formt. Denn nur so läuft es ohne ihn, bis sein Nachfolger da ist. Das kann dauern, der Arbeitsmarkt ist eng. Wenn denn seine Stelle überhaupt noch besetzt wird. Warum empfehle ich Dir diese Herangehensweise auch als Festangestellter? Weil sie das beste Rüstzeug für die sich dramatisch verändernde Arbeitswelt ist. Mitarbeiter warten nicht mehr auf Arbeitgeber, sie gehen einfach. Auch Manager kommen und gehen. Wir sprechen nicht mehr über Jobs, sondern über Projekte. Immer mehr Menschen sind Freelancer, also Fachkräfte auf Zeit. Freier Mitarbeiter zu sein ist eine Mentalität. Der rechtliche Status ist dafür nicht entscheidend. Das vermindert die Bindungen zum Geldgeber. Er ist Projekt, nicht mehr und nicht weniger. Das haben viele Unternehmen noch nicht verstanden. Sie glauben immer noch, dass sie Arbeit geben. Tatsächlich fragen sie aber Leistung nach. Die Machtpositionen haben sich zugunsten der Dienstleister, seien es nun Mitarbeiter oder Freelancer, verschoben. Wir haben den viel zitierten Arbeitnehmermarkt. Und der wird sich weiter verschärfen. Nämlich umso stärker, je mehr „Objekte“ verstehen, dass es nur noch auf sie ankommt und eben nicht auf die Maschinen und KI. <?page no="60"?> 60 Teil 1 | Die digitale Führungskraft Ich behaupte, dass es besser ist, sich mit seinem Mindset auf diese Entwicklungen einzustellen. Auch Führungskräfte werden in Zukunft ersetzbarer sein. Denn die Teams werden zunehmend virtueller arbeiten (müssen). Damit wird es auch tendenziell weniger Manager geben. Genau das ist Deine Chance, Deine Marktlücke. Lerne, wie Du Dich überflüssig machst, indem Du Teams zur Selbstorganisation befähigst. Das ist eine Kompetenz und ein Alleinstellungsmerkmal. Es lässt sich gut verkaufen, wenn Du einmal einen neuen Job suchst. Fakt ist: Mitarbeiter wirst Du in Zukunft nur halten, wenn Du mehr gibst als Arbeit und Gehalt. Verschenke Ausbildung, Wertschätzung und die Freiheit zu gestalten. Wenn Du Kollegen selbst formst, werden sie es wertschätzen. Wenn Du von Deinen Kompetenzen abgibst, werden sie Dich dafür respektieren. Vielleicht bleiben sie deswegen nur ein wenig länger im Team. Aber in jedem Fall wird es für Dich einfacher. Du wirst vom anstrengenden Micromanagement befreit. Das schafft Raum für Kreativität und das, was meist zu kurz kommt: Gespräche, Austausch, Menschsein … Zusammenfassung | Was macht einen digitalen Manager aus?  Ein digitaler Manager vergisst nie die IST-Analyse. Er nimmt sich Zeit für das Beschreiben des SOLL-Zustandes. Auf seinem Weg ist er agil. Er nutzt das digitale Mindset als Basis allen Handelns.  Ein digitaler Manager erkennt Teamarbeit als Grundlage von Erfolg an.  Mitarbeiter und Führungskraft führen und managen gemeinsam. Ein digitaler Manager ermöglicht seinen Kollegen das Verstehen und das Gestalten der Arbeit als Basis für Sinn bei der Arbeit.  Er weckt die Kreativität des Einzelnen durch Vertrauen und formt aus allen Kollegen ein Kreativteam. <?page no="61"?> 5 Sei flüssiger als Wasser 61  Die Funktion eines digitalen Managers im Ensemble ist die eines Regisseurs: Ausbilden, Coachen und Führen durch Koordinieren.  Damit schafft er den Rahmen, in dem sich die Teammitglieder selbst organisieren, sodass sie ihr Potenzial bestens entfalten können. Gib Kontrolle auf und habe Vertrauen in Deine Mitarbeiter. Und dann mache Dich, Stück für Stück, flüssiger als Wasser - überflüssig. Bevor Du all das tun kannst, musst Du selbst die wichtigsten Methoden beherrschen, um sie Deinen Mitarbeitern beizubringen. Erst dann solltest Du Dich selbst abschaffen. Daher geht es im zweiten Teil um Managementinstrumente, die Dich zu einem Gewinner machen. Nur damit wirst Du zu einer kompletten Führungskraft. Ob Du dieses Wissen an Deine Mitarbeiter weitergibst, bleibt Dir überlassen - meine Meinung kennst Du ja … <?page no="63"?> Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Einleitung | Die Basis allen Denkens ist das Stellen von Fragen. Darum starten wir den zweiten Teil auch mit diesem Thema. Wir werden uns dann, anders fragend, mit bekannten, unbekannten und neuen Managementtheorien beschäftigen. Vilfredo Pareto wird uns ganz andere Antworten als die üblichen geben. Herr Parkinson war lange vergessen, gemeinsam erwecken wir ihn wieder. Die Kombination aus beiden Methoden bringt uns ein machtvolles Zeitmanagementtool. Wir hinterfragen die Termini „wichtig“ und „dringend“, und auch die übrigen gefundenen Antworten sind unmittelbares Resultat anderen Fragens: Es wird um Faulheit, Multitasking und den Anfängergeist gehen. Wesentlicher Treiber für die Bearbeitung aller folgenden Themen war mein Ziel, Dir Werkzeuge für ein möglichst stressfreies Arbeiten zu geben. Nur ohne Druck kannst Du hohe Qualität bei Deiner Arbeit gewährleisten. Darum habe ich Dir, als letzten Abschnitt, die „Stressfrei-Tipps“ beigefügt. Er basiert auf den vorangegangenen Kapiteln 6 bis 13 und ist deren praxisnahe Zusammenfassung. Du kannst das als tägliche Erinnerung für Dich verwenden. Allerdings empfehle ich Dir dringend, die genannten Kapitel zu lesen. Denn nur mit Kenntnis deren Inhaltes und Akzeptanz bist Du in der Lage, die Tipps für Dich zu nutzen. <?page no="64"?> 64 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! Die Bedeutung von Fragen in unserem Denken Weißt Du, was uns hierhergeführt hat? Es waren 215 Fragen. Von hier sind es noch einmal 218 bis zum Ende des Buches. Ich hoffe, Du erinnerst Dich noch an Dave und George? Sie hatten ihre Lösung durch Fragen gefunden. Warum hat das funktioniert? Was passiert, wenn Dir jemand eine Frage stellt? Du antwortest, zumindest in Gedanken. Jedenfalls reagierst Du auf das, was der andere Dich fragt, in irgendeiner Weise. Dein Gegenüber triggert damit das, was Du denkst und, wenn seine Frage spezifisch genug ist, auch die Richtung Deiner Gedanken. Wenn Du führen willst, ist jedoch entscheidend, dass Du diese Richtung selbst vorgibst. Daher musst Du als Manager vorrangig Fragen stellen und nicht Antworten geben. Wenn Du das erst einmal verinnerlicht hast, kommt es nur noch darauf an, die richtigen Fragen so zu stellen, dass Du an Dein Ziel gelangst. Die Bedeutung von Fragen in unserem Denken ist offensichtlich. Sie erzeugen Antworten und diese stellen die Ausgangspunkte für neue Fragen oder Handlungen dar. Gehen wir einmal in eine Alltagssituation (Adams, 2017): Beispiel | Du bist morgens aufgestanden, hast geduscht, gefrühstückt und Zähne geputzt. Nun stehst Du vor dem Kleiderschrank und überlegst, was Du anziehen willst. Dann greifst Du Dir ein paar Sachen, streifst sie über und verlässt das Haus. Was ist passiert, als Du Dir die Kleidung ausgesucht hast? Du hast Dir Fragen gestellt wie diese: Wie wird das Wetter heute? Habe ich einen geschäftlichen Termin? Welche Kleidung passt dazu? Worauf habe ich heute Lust? Als Ergebnis erhältst Du Antworten und triffst in der Folge Entscheidungen. Einige <?page no="65"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 65 Fragen sind von Gefühlen geprägt. Beispielsweise diejenige danach, worauf Du Lust hast. Sie wird von der Stimmung erzeugt, in der Du Dich im Moment befindest. Diese wiederum könnte Ergebnis eines Traumes sein, der in Dir nachwirkt. Die Fragen, um die es hier geht, hast Du Dir automatisch gestellt. Wenn Du das Stellen der Fragen an sich nicht bemerkt hast, ist das zudem unbewusst geschehen. Fragen sind also auch ein Teil unseres Denkens, das unbewusst und automatisch abläuft: des Unterbewusstseins. Dieses automatisierte und unterbewusste Stellen von Fragen und das ebenso automatische Erhalten von Antworten und die sich daraus ergebenden Entscheidungen sind wesentlicher Bestandteil des Überlebens jedes Lebewesens: Eine Katze trifft auf der Straße einen Hund. Sie fragt sich, unbewusst, was der Köter von ihr will. Er knurrt. Also ist klar, es kann nichts Gutes sein. Die Katze entscheidet, mithilfe der im Unterbewusstsein vorhandenen Programmierungen, auf den nächsten Baum zu flüchten. Du verhältst Dich beim Anziehritual nicht anders. Das ist der Pawlow’sche Reflex. Du hast gelernt, wie das geht, sich anzuziehen, und hinterfragst es auch nicht mehr. Pawlows berühmtes Experiment bezog sich auf das Verhalten von Hunden. Er stellte fest, dass, wenn er den Tieren Futter zeigte, diese mit vermehrtem Speichelfluss reagierten. Es handelte sich um eine automatisch ablaufende Reaktion, die jedem Hund angeboren ist. Pawlow bezeichnete das als einen „unbedingten Reflex“. Er veränderte anschließend sein Experiment so, dass unmittelbar vor dem Verabreichen des Futters eine Glocke zu hören war. Von nun an gab es Fressen immer erst nach dem Ertönen der Glocke. Nach einigen Wochen begannen die Hunde schon zu sabbern, wenn die Glocke erklang und von der Mahlzeit weit und breit noch keine Spur war. Die Tiere hatten das „Glockenläuten“ mit „Futterzufuhr“ verknüpft. Pawlow hatte sie umprogrammiert. Das nannte er einen „bedingten“ Re- <?page no="66"?> 66 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte flex. Es handelt sich dabei um eine erlernte, also nicht von Geburt an vorhandene Reaktion (so wie das Anziehritual bei Dir). Egal, ob Du auf eine Situation durch angeborenen oder erlernten Reflex reagierst: Dein Unterbewusstsein stellt sich vorher immer eine Frage und beantwortet sie auch gleich noch für Dich mit. Ungefragt. Ohne Deine Erlaubnis. So ist es, Dein Unterbewusstsein. Und, schwuppsdiwupps, bist Du angezogen. Oder findest Dich auf einem Baum wieder. Abbildung 9 | Reflexartiges Fragen und Denken Führt der Prozess von Reiz → Frage → Antwort → Handlung immer zu denselben, unausweichlichen Reaktionen? Natürlich nicht. Denn die Variable zwischen der Ursache (Reiz) und der Wirkung (Handlung) ist die Frage. Wenn Du eine andere Frage stellst, kann sich daraus eine abweichende Antwort und als Folge eine andere Handlung ergeben. <?page no="67"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 67 Merke | Du hast auf die Ergebnisse Deines Denkens und die daraus folgenden Handlungen Einfluss, indem Du Deine Fragen bewusst aussuchst. Reflexe haben sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen, denn sie ermöglichen eine Entlastung unseres Gehirns und unser Überleben. Ohne bedingte und unbedingte Programmierungen würden wir in manchen Situationen einfach nicht schnell genug reagieren und sterben. In anderen wiederum bräuchten wir zu lange, bis wir uns entschieden hätten und würden vielleicht drei Stunden zum Anziehen benötigen. Viele Menschen verhalten sich in den meisten Lebenslagen wie Pawlow’sche Hunde. Ein Reiz wirkt und eine Reaktion folgt. Wir sprechen hier nicht nur über die tagtäglich auf uns einprasselnde Werbung. Es geht um alle Reize, denen wir ausgesetzt sind und darum, wie die Fragen, die wir uns unter deren Einfluss unbewusst stellen, unsere Handlungen und damit auch unser Leben beeinflussen. Bei Führungskräften ist das noch bedeutsamer, denn die Fragen, die sie ihren Mitarbeitern stellen, prägen deren Arbeitsergebnisse. Nur wir Menschen haben, über das bewusste Stellen von Fragen, die Wahl, das zu denken, was wir wollen. Erst so gewinnen wir Kontrolle über die automatisch ablaufenden Programme des Unterbewusstseins, die unser Verhalten sonst steuern würden. Es geht in diesem Kapitel darum zu lernen, Fragen bewusst zu stellen und dadurch unterbewusstes Fragen, Schlussfolgern und Handeln zu verhindern. Beherrschst Du diese Technik, kannst Du  Dich selbst führen und reflexartige Handlungen vermeiden und  automatisch denkende und dadurch unbewusst handelnde Kollegen führen. <?page no="68"?> 68 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Letzteres kann, unter ethischen und auch Produktivitätsgesichtspunkten, nicht Dein Ziel sein. Die Methode des bewussten Fragens zu kennen und in der Führung anzuwenden ist hilfreich, verschenkt aber das Potenzial der so manipulierten Menschen. Darum ist noch wie folgt zu ergänzen:  sowie Mitarbeiter befähigen, sich Fragen bewusst zu stellen und sich so auch selbst zu führen. Gelingt Dir das, wird der Erfolg Deiner Arbeit überproportional steigen. Erfolg im Umgang mit Menschen besteht aus einer „magischen“ Mischung von Fragen und Antworten. Kommunikation ist zum einen das zielgerichtete Fragen und zum anderen das bewusste Auf- und Annehmen der Antworten. Das Einnehmen einer solchen Position erfordert eine bestimmte Grundhaltung: Neugier darauf, was der andere zu sagen hat. Das widerspricht jedem autoritären Führungsstil und bietet an, die Antworten des Gegenübers als relevant zu akzeptieren. Erst dadurch wird Fragen zum Führen, denn die Mitarbeiter werden motiviert, weil es sie einbindet und wertschätzt. Führung war schon immer das Nutzen des Wissens und der Kraft vieler, um in eine Richtung und auf ein Ziel hinzuarbeiten. Heute ist Wissen so komplex geworden, dass nur das Beteiligen vieler Menschen zu Ergebnissen führt, die sich signifikant von denen der Konkurrenz unterscheiden. Das verändert die Rolle des Managers weg vom Anweisungen Erteilenden und hin zum Wissenscoach. Natürlich trifft eine Führungskraft auch heute noch Entscheidungen und verantwortet sie. Eine zunehmend wichtigere Aufgabe besteht jedoch im lenkenden Fragen, dem Strukturieren von Informationen, im Analysieren und Coachen der Mitarbeiter, damit auch diese lenkend fragen, Informationen analysieren und so strukturieren, dass der Vorgesetzte eine gute, weil auf dem Wissen aller basierende, Entscheidungsvorlage erhält. Das kennst Du bereits aus dem Kapitel „Und was macht der Regisseur? “. <?page no="69"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 69 Fazit | Fragen stehen an der Schnittstelle zwischen dem, was Dir passiert und dem, was Du als Folge davon tust. Fragen ist darum das einzige Instrument, das Dir Einfluss auf die Ergebnisse Deines Handelns verschafft. Es ist also entscheidend für Erfolg und Misserfolg. Letzteres verdient eine genauere Betrachtung. Wie Du Dich erfolgreich selbst sabotierst Die Macht von Fragen lässt sich gut am Beispiel der sich selbst erfüllenden Prophezeiung illustrieren. Kennst Du Situationen wie diese hier? Beispiel | Du hast für die Abteilung, in der Du arbeitest, eine Prozessoptimierung konzipiert und willst Deinen Chef überzeugen, den Vorschlag umzusetzen. Das Ganze wird am Anfang erst einmal Geld kosten. Nach 15 Monaten jedoch hat sich Deine Idee amortisiert und von da an läuft Gewinn auf. Zur Vorstellung des Konzeptes hast Du einen Termin vereinbart. Schon Tage vorher bist Du nervös und unsicher. Das Bild Deines Chefs taucht immer wieder in Dir auf und manchmal träumst Du von der anstehenden Sitzung. Mit der Summe all Deiner Erfahrungen, die Du mit ihm gemacht hast, so, wie Du ihn kennst, glaubst Du nicht wirklich an den Erfolg des Gesprächs. Manchmal denkst Du sogar: „Das wird nicht funktionieren, diesem Vorschlag stimmt er auf keinen Fall zu.“ In solchen Momenten bist Du Dir dessen sogar sicher. Aber Dein Pflichtgefühl treibt Dich an, es trotzdem zu versuchen. Denn eigentlich weißt Du, dass Du recht hast und willst es darum auch wenigstens probieren. Dann ist der Termin gekommen. Du sitzt mit dem Manager zusammen und ihr tauscht Euch aus. Die Argumente gehen hin und her und es ist merkwürdig. Der <?page no="70"?> 70 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Funke Deiner, schon nicht mehr ganz so großen, Begeisterung will und will nicht auf ihn überspringen. Innerlich sackst Du immer weiter zusammen und hörst Dich irgendwann, selbst irritiert, seiner Meinung zustimmen. Und dann: klack, abgelehnt. „Ich habe es doch gewusst! “, denkst Du noch und trottest aus dem Büro. Na ja, Du hast es versucht, Dein Gewissen ist rein und jetzt hast Du eine weitere Begründung dafür, dass Du in dieser Firma nicht vorankommst und nichts bewegen kannst. Das ist ärgerlich, aber was kannst Du schon tun? Irgendwie stimmt Dich diese Erkenntnis dann doch versöhnlich und Du trällerst mit im Chor der fingerzeigend Jammernden. Dein Chef ist das Übel! Mehr war nicht drin. Wie konnte das passieren? Du hast Dir Fragen gestellt, bevor Du in seinem Büro warst, vielleicht solche wie diese:  Warum ist er nur so anstrengend?  Warum lehnt er immer alles ab, was Geld kostet?  Warum interessiert er sich nicht für meine Themen? Und Dein Unterbewusstsein hat vielleicht so geantwortet:  Der hat keine Ahnung.  Der denkt immer nur an Umsatz, Umsatz, Umsatz.  Der ist ein Ignorant. So konditioniert bist Du in Deinen Termin gegangen. Das, was Dir passiert ist, hast Du selbst hervorgerufen, nämlich  durch Deine Fragen und  die aus ihnen folgenden Antworten, aber auch <?page no="71"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 71  durch die daraus entstandene Gemütsverfassung und in der Folge  durch Dein Handeln im Termin. Deine Zweifel haben Dich tagelang schwanken lassen zwischen „Ja, das ist eine gute Sache“ und „Nein, ich habe sowieso keine Chance“. Und dann, im entscheidenden Moment, fühltest Du Dich wie ein Verlierer und hast wohl auch so ausgesehen. Das, was Du erwartet hast, führte zu einem bestimmten Ergebnis. Erst Deine unbewussten Fragen, die daraus folgenden Antworten und Handlungen machten es möglich. Du hast Dich selbst, wie einen Pawlow’schen Hund, auf Nachgeben und Ablehnung konditioniert. Wie das? Lass uns das an der Logik von Reiz → Frage → Antwort → Handlung einmal aufarbeiten:  Der Reiz war die Gegenwehr Deines Chefs.  Deine unbewusste Frage war: Warum lehnt er immer alles ab …?  Deine erste unbewusste Antwort war vielleicht: Aber ich habe doch recht, das kann ich sogar beweisen.  Deine nächste unbewusste Annahme könnte gewesen sein: Aber er will nicht, das weiß ich doch. Er will nie etwas, was Geld kostet.  Dann könntest Du unbewusst so geantwortet haben: Das macht doch alles sowieso keinen Sinn. Und so weiter und so fort bis hin zu dem Augenblick, in dem Du nicht mehr für Dein Ziel gekämpft, sondern aufgegeben und seiner Meinung zugestimmt hast. So kam es, wie Du es Dir selbst vorhergesagt hast. Das ist das ganze Geheimnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. <?page no="72"?> 72 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 10 | Die sich selbst erfüllende Prophezeiung <?page no="73"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 73 Was hättest Du anders machen können? Bewusst andere Fragen stellen. Schauen wir uns das genauer an: 1. Der auf Dich wirkende Reiz war die vorher erwartete und im Termin auch tatsächlich vorhandene Gegenwehr auf Deinen Vorschlag. 2. Deine erste bewusste Frage hätte sein können: Wie kann ich ihm deutlich machen, dass das, was zunächst einmal Geld kostet, in Summe Ertrag einbringt? 3. Nun würde sich Dein Gehirn mit der Beantwortung dieser, in eine andere Richtung gehende, Frage beschäftigen und abweichende Antworten finden. 4. Deine erste neue Antwort wäre vielleicht folgende gewesen: Ich muss ihm den Return on Investment vorrechnen und zeigen, dass ab Monat 16 jeden Tag Geld zurückfließt. Und so weiter und so fort. Natürlich ist dieses Fragestellen in Stresssituationen schwierig. Umso wichtiger ist es, sich den möglichen Ablauf vor dem Termin vorzustellen und sich damit auf das richtige Verhalten (Fragen) zu konditionieren. Fazit | Deine Fragen beeinflussen die Bewertung einer Situation, in der Folge die Richtung Deines Denkens, dadurch Deine Gefühle und über diese Kausalkette die Antworten darauf, wie Du auf einen Trigger reagierst. Mit unseren Fragen erschaffen wir die Welt Marilee Adams (Adams, 2017) entwickelte, als Gegenmittel zum Pawlow’schen Denken, das Question Thinking (QT). Wortwörtlich übersetzt bedeutet es „Frage denken“. Durch die Verwendung der Aktivform „thinking“ wird deutlich, was gemeint ist: Es, das Fragen, tun, und zwar handelnd. Fragen ist so ein bewusster Akt <?page no="74"?> 74 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte und nicht Ergebnis von Denkmustern des Unbewussten. Bei QT geht es um die Fähigkeit, das eigene Denken mit bewusstem Fragen zu kontrollieren. Merke | QT nutzt bewusstes Fragen, um die  Anzahl der für real gehaltenen Antworten (Lösungen für ein Problem)  so weit wie möglich auf die tatsächlich vorhandenen auszudehnen.  Dadurch erweitert sich die Menge der vorstellbaren Entscheidungen. Fragen sind zentraler Teil unserer Kommunikation, auch der mit uns selbst. Wenn Du eine Antwort als das verstehst, was sie ist, nämlich die Wirkung einer Frage, wird klar, dass  das Agieren eines Menschen unmittelbar mit Fragen und  das Reagieren mit den daraus folgenden Antworten zusammenhängt. Da Fragen mithin die Richtung unserer Gedanken vorgeben, im Denkprozess also Ursache sind, solltest Du, nein, musst Du, sie aktiv stellen, wenn Du Herr der Antworten sein willst. Schauen wir uns das auch noch einmal sprachwissenschaftlich an. Mein Lieblingsbuch kennzeichnet eine Frage als „die Beschreibung eines Sachverhaltes, der eine Lösung benötigt“ (Duden, 2021). Mit Fragen definierst Du zunächst einmal nur etwas durch das Festhalten eines Zustandes. Mit der Veränderung der Fragen (also auch der Definitionen) beschreibst Du den Sachverhalt neu und lenkst das Denken in eine andere Lösungsrichtung. Die „Antwort“ indes ist eine „Erwiderung, Entgegnung, Reaktion“ (Duden, 2021). Sie entsteht als Ergebnis einer Frage und ist damit Wirkung. Auch das bestätigt, wie wichtig es ist, sich auf das Fragenstellen zu konzentrieren. Antworten sind im Denkprozess nicht entscheidend. Denn sie entstehen automatisch als Ergebnis Deiner Fragen und der Summe des Wissens, <?page no="75"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 75 auf das diese Fragen treffen. Damit ist auch logisch, dass, wenn Fragen auf potenziertes Wissen treffen (z. B. über das Einbinden vieler Mitarbeiter), sich auch die Anzahl und die Qualität der Antworten steigern. Fazit | Wir können feststellen, dass neue Fragen zu anderen Antworten und in der Folge zu abweichenden Lösungen führen. Also verändern Fragen auch das, was einem im Leben so passiert, denn durch sie wird gesteuert,  was Du denkst,  was Du für möglich hältst und  was Du in der Folge tust und damit letztlich,  was Du tatsächlich erreichst. Die bisher angewandte Prozesskette erweitert sich damit um ein weiteres Glied, nämlich das „Ergebnis der Handlung“ und sieht nun wie folgt aus: Reiz → Frage → Antwort → Handlung → Ergebnis der Handlung Ich werde das einmal an einem realen Fall erläutern. Praxisbeispiel: Wie man Finanzvorstand bei Siemens wird Im Alter von 20 studierte ich an einer Offiziershochschule in der DDR. Die Mauer fiel. Die Situation war für viele Menschen im Osten ein Schock. Auch für mich. Darum quälte ich mich ein paar Monate damit herum, was ich aus meinem Leben machen sollte, und probierte ein wenig aus. Zuerst arbeitete ich als Horterzieher. Danach schrieb ich mich zum Lehramtsstudium für Mathematik und Physik ein, ließ es aber doch bleiben. Ein Studium im Maschinenbau hielt ich sechs Monate durch. Das Ergebnis war eine Umschulung zum Steuerfachgehilfen. <?page no="76"?> 76 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte In dieser Zeit las ich erstmals Bücher von Tony Robbins und beschloss, auch ganz „doll erfolgreich zu werden“. Erklärtes Ziel, wenn ich danach gefragt wurde (und auch, wenn nicht), war: Finanzvorstand bei Siemens. Ich forschte nach, was ich dafür benötigen würde. Als erste Antwort bekam ich: Studium, ohne geht es nicht. Und schon die nächste war: Als Ossi wirst Du es sowieso nicht bis nach oben schaffen. Meine Reaktion auf beide Aussagen: unakzeptabel. Ein Studium kann ich mir nicht leisten, also muss das anders gehen. Und meine Herkunft abzulegen ist unmöglich. Ich bohrte also weiter und jammerte nicht darüber, wie ungerecht die Welt war. Und ich stellte die Frage noch einmal, diesmal anders, konkreter: Welche Fähigkeiten brauche ich, um mein Ziel zu erreichen? Die Antworten änderten sich: Fachwissen, Konzernerfahrung, SAP, Führungserfahrung, Englisch. Das hörte sich schon anders an. Ich begann mit der Umsetzung: Schritt 1 - Fachwissen aufbauen: Die Ausbildung zum Steuerfachgehilfen hatte ich erledigt. Das passte, aber reichte natürlich nicht. Bei einem Studium verlor ich zu viel Zeit, da ich nebenbei hätte arbeiten müssen. Also ging ich den Weg über die IHK. Das bedeutete, den Steuerfachwirt in Wochenendkursen zu machen. Dann habe ich die Prüfung gemacht und nicht geschafft. Egal, weiter. Also dasselbe noch einmal mit dem Bilanzbuchhalter IHK. Hier war ich erfolgreich. Schritt 2 - Raus aus der Steuerberatungsbranche: Nach meiner Ausbildung war ich sechs Jahre in Steuer- und Wirtschaftsprüfungskanzleien beschäftigt. Damit hatte ich genug Erfahrung gesammelt, um den Absprung zu schaffen, denn ein Bilanzbuchhalter IHK galt als Eintrittskarte in Firmen außerhalb der Steuerbranche. Also kündigte ich meinen Job, ohne dass ich schon etwas Neues gehabt hätte. Ich fuhr nach Hamburg und klapperte die bekanntesten <?page no="77"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 77 Zeitarbeitsfirmen nach einer Leiharbeitsstelle ab. Und siehe da: Es dauerte nur einen Tag und dann hatte ich die erste in der Buchhaltung. Der Auftraggeber übernahm mich zwei Monate später als Leiter der Abteilung. Von nun an wechselte ich gezielt alle drei Jahre meinen Arbeitgeber. Das war meine Strategie, um zu lernen und die Karriereleiter hochzuklettern. Viel Führungserfahrung zu bekommen war dabei ein angenehmer Nebeneffekt. Schritt 3 - SAP: Etwas schwieriger war es mit diesem Thema. Die Software war damals längst nicht so verbreitet wie heute. Ein Job in Unternehmen mit SAP war nicht leicht zu bekommen, dafür brauchte man entweder Konzern- oder SAP-Erfahrung, am besten beides. Da biss sich doch, verdammt noch mal, die Katze in den Schwanz. Mein Weg aus dieser Misere: Ich besuchte entsprechende Softwarekurse auf eigene Kosten und in der Freizeit. So funktionierte es. Bei einem meiner Arbeitgeber durfte ich eine SAP-Einführung begleiten und von da an hatte ich sie, die praktischen Fähigkeiten. Während der Jobsuche habe ich später darauf geachtet, dass potenzielle Arbeitgeber auch SAP im Einsatz hatten. In diesen Firmen habe ich dann auch als Key User gearbeitet. Schritt 4 - Englisch: Meine Ausbildung beschränkte sich auf den Schulunterricht in der DDR. In Russisch war ich viel besser, denn ich hatte die Möglichkeit, die Sprache zu sprechen. Das bedeutete, dass ich nun an Kursen teilnahm, in denen Native Speaker unterrichteten. Auch diese bezahlte ich selbst und suchte mir einen Arbeitgeber, bei dem Englisch Pflicht war. So landete ich in der Schifffahrt. Etwas Glück kam noch dazu, denn genau dieses Unternehmen führte dann auch, siehe Schritt 3, SAP ein. <?page no="78"?> 78 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 11 | Von der Frage zum Ergebnis <?page no="79"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 79 Schritt 5 - Konzernerfahrung: Nach weiteren sechs Jahren und zwei Jobs wechselte ich in den OTTO-Konzern und von der Führungszurück auf die Sachbearbeiterebene. Konzernerfahrung? Haken dran. In meinem neuen Unternehmen wurde ich später Leiter Finanzen bei einer Tochtergesellschaft. Finanzvorstand bei Siemens? Ganz knapp vorbei, aber den CFO habe ich später geschafft. Aus dem Hinterfragen und dem Nichtakzeptieren von Annahmen resultierten andere Fragen und Antworten als jene, die ich vorher erhalten hatte. Mithin ergab sich für mich ein anderer Lebensweg. Kann man das Glück nennen? Nein, es war die Anwendung des Prinzips „Denke in Fragen, nicht in Antworten“. Beobachte Dich selbst Der Mensch ist vermutlich das einzige Wesen, dass in der Lage ist, selbst zu bestimmen, was es denkt. Das gelingt ihm durch das bewusste Stellen von Fragen. So weit, so gut. Das Problem besteht jedoch in der Tatsache, dass wir uns oft unbewusst Fragen stellen. Du musst also im ersten Schritt überhaupt bemerken, dass Du Dir bereits Fragen stellst. Denn sind sie erst einmal in Deinem Kopf, folgen die entsprechenden Handlungen auf dem Fuß. Wie kannst Du verhindern Fragen zu folgen, die Dir nicht bewusst sind? Das gelingt Dir, indem Du Dich selbst beobachtest. <?page no="80"?> 80 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Geschichte | Vor einigen Jahren arbeitete ich für einen deutschen Konzern in einer Holding. Ich war dort Sachbearbeiter und sollte eine Führungsposition in einer Tochterfirma übernehmen. In der Unternehmensgruppe jedoch war das ohne die Zustimmung der Gesellschaft, die den Mitarbeiter abgab, eigentlich nicht möglich. Ich hätte meinen Vorgesetzten fragen müssen, ob er mit einem Wechsel einverstanden ist. Das tat ich nicht, denn ich konnte die Antwort erahnen. Ich unterschrieb einfach meinen neuen Arbeitsvertrag. Damit brach ich ein ungeschriebenes Gesetz und stellte mich außerhalb der Gruppe, der ich formal angehörte. Als Folge kam es in der Zeit bis zu meinem Wechsel zu zahlreichen Konflikten zwischen mir und diesem Manager. Und so fand ich mich bald im Büro des Betriebsrates wieder, den ich um Hilfe bat. Der Kollege gab mir einen Rat, der mir bis heute sehr eindringlich geblieben ist. Er meinte, ich müsse bei Konflikten berücksichtigen, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt: Ein Vater mit Kindern, einer Ehefrau, Problemen, Ängsten, mit guten und schlechten Tagen. Dieser Mensch habe denselben Respekt verdient, den ich für mich erwarte. Wenn ich mich in der Konfrontation mit ihm befände, sollte ich mir das zuerst in Erinnerung rufen. Da der Betriebsrat von meiner Vergangenheit als Pilot wusste, gab er mir, als zweiten Tipp, den symbolischen Rat: „Steigen Sie in einem Helikopter aus Ihrem Körper auf und beobachten Sie sich in der Situation, in der Sie gerade sind. Was sehen Sie? Ist Ihr Verhalten angemessen? Wie würde ein Dritter es beurteilen? “ Genau das tat ich beim nächsten Mal. Und mir war peinlich, was ich sah. Ich hatte begonnen, mein Beobachterselbst (Adams, 2017) zu entwickeln. <?page no="81"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 81 Das Herausbilden des Beobachters in Dir ist ein Prozess, der nie endet. Doch je länger Du diesem Weg folgst, umso seltener wirst Du in die Fallen tappen, die Deine Emotionen für Dich bereithalten. Das Beobachterselbst ist der Kompass, der Dir zeigt, in welche Richtung Du gerade gehst. Mit ihm nimmst Du Dein Fühlen und das daraus folgende Denken und Handeln bewusst wahr und kannst daraus schließen, was die Fragen sind, die Dich antreiben. Ja, Du sollst Deine Emotionen beobachten. Und Deine Handlungen und deren Ergebnisse. Einfach nur beobachten. Und nichts von dem, was Du siehst, bewerten. Das Beobachten von etwas, ohne es zu bewerten, schafft Abstand und die erwähnte symbolische Helikopterperspektive. Hinter diesem Instrument steckt die Annahme, dass die Problematik einer Situation nicht in ihr selbst begründet ist. Ursächlich sind vielmehr die durch den jeweiligen Menschen  automatisch vorgenommenen Bewertungen,  mit den sich daraus ergebenden Fragen sowie  Antworten, Emotionen und anschließenden Handlungen. Abbildung 12 | Choice Map (sinngemäß nach Adams) <?page no="82"?> 82 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Marilee Adams hat, zur Entwicklung des Beobachterselbst im Allgemeinen und zur Einnahme der Beobachterposition im Speziellen ein Instrument entwickelt, das sie Choice Map (Adams, 2017) nennt (Abbildung 12). Der Entdeckerpfad steht für eine konstruktive Wahl. Du öffnest Dich für Lösungen, die anders sind als diejenigen, die Du bisher favorisiert hast. Der Zerstörerpfad ist derjenige, auf dem Du Dich gerade befindest. Denn gehst Du ihn weiter, wirst Du keine Lösung für Dein Problem finden und stattdessen, das, was Du erreichen willst, sabotieren, also zerstören. Ich benutze diese Karte auch. Bei mir reicht es mittlerweile aus, wenn ich mehrfach täglich einen Blick darauf werfe. Dadurch fällt mir bei wichtigen Entscheidungen und Konflikten die Choice Map ein. Ich weiß dann, dass ich meine Fragen und die Richtung meines Denkens ändern muss. Das Modell macht mir meine Möglichkeiten bewusst. Meist wähle und gehe ich dann einen anderen Weg als denjenigen, auf dem ich gerade bin. Darum habe ich heute beispielsweise viel weniger Streit. Und wenn doch einer auftritt, endet er wesentlich schneller und eskaliert nicht so stark wie früher. Die Choice Map erinnert mich, dass ich immer die Wahl habe: Welche Fragen will ich mir stellen? Wie will ich die Welt sehen? Doch selbst mit Choice Map fällt es mir manchmal schwer, den Trip, auf dem ich mich befinde, zu verlassen. Das liegt dann daran, dass ich zu stark emotionalisiert bin. Gefühle stören die Fähigkeit logischen Denkens. Ich kann in diesen Augenblicken nicht auf meine innere Karte zurückgreifen. Was tue ich dann? Fragen führen, über die Antworten, die wir auf sie erhalten, auch immer zu Gemütszuständen. Negative Fragen erzeugen destruktive Gefühle und Handlungen (Adams, 2017). Beispiele sind Denk- und Verhaltensweisen wie Arroganz, innere Unruhe, Selbstgerechtigkeit, eine Verteidigungshaltung, das Gefühl der Überlegenheit, plötzliche Anspannung oder schlechte Laune. Erkenne ich eines davon an mir, nehme ich eine Auszeit und unterbreche sofort, um mich zu sammeln. <?page no="83"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 83 Fazit | Das Beobachterselbst lässt Dich erkennen, wann Du Dir unbewusst Fragen stellst. Es hilft Dir dabei, die Dich triggernden Ereignisse und Emotionen von Dir abzukoppeln. So kannst Du die gerade entstehende Kausalkette unterbrechen und Dir neue, bewusste Fragen stellen. Immer dann, wenn Du emotional wirst oder unter Druck entscheiden sollst, musst Du Dir eine Auszeit nehmen, um Dein Beobachterselbst zu aktivieren. Mit bewusstem Fragen zum Erfolg Nehmen wir an, Du bist in einer schwierigen Situation und hast die Beobachterposition eingenommen. Wie geht es nun weiter? Der zweite Schritt ist herauszufinden, welche Annahmen hinter Deinen Fragen stecken. Diese zu kennen ist wichtig, denn sie sind Ausgangspunkt für weitere Fragen, Schlussfolgerungen und Handlungen. Annahmen funktionieren wie das Ruder eines Schiffes. Sie geben den Weg vor, auf dem Du weiterdenkst. Adams nutzt, um die eigene Wahrnehmung herauszufinden, sogenannte Umschaltfragen. Es handelt sich dabei um Fragen, die grundsätzlicher Natur sind wie z. B.:  Wie kann ich anders darüber denken?  Welche Annahmen stecken hinter meiner Meinung? Umschaltfragen bringen Dich dazu, dass Du innehältst und reflektierst. Du kannst sie immer verwenden. Sie sind universell einsetzbar. Tipp | Merke Dir diese Umschaltfragen und wende sie einfach an. <?page no="84"?> 84 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Schauen wir zurück auf das Beispiel aus dem Abschnitt „Wie Du Dich erfolgreich selbst sabotierst“: Deine Annahme war, dass es nichts bringt zu versuchen, Deinen Chef zu überzeugen. Zur Analyse Deiner Perspektive stellst Du Dir nun beispielsweise die Frage: Welche Annahme steckt hinter meiner Meinung? Die gefundenen Annahmen änderst Du im dritten Schritt. Eine Möglichkeit dabei ist, die Annahmen in ihr Gegenteil zu verkehren. Diese Vorgehensweise hat sich für mich bewährt, sodass ich sehr schnell auf den Entdeckerpfad gelange. Das erfordert zwar Willenskraft, denn das bisherige Denken wird komplett auf den Kopf gestellt. Doch diese Vorgehensweise hat einen entscheidenden Vorteil: Sie verändert die Folgefragen so rigoros, dass sich Raum für bisher undenkbare Lösungen auftut. Tipp | Verkehre die gefundenen Annahmen einfach in ihr Gegenteil. So könnten in unserem Beispiel die veränderten Annahmen wie folgt aussehen:  Mein Chef ist hoch kompetent.  Er denkt immer strategisch.  Er ist kein Ignorant. Es folgt Schritt 4, das Kanalisieren Deines Denkens mit weiteren Fragen. Dabei nimmst Du die neuen Annahmen und erweiterst sie um Folgefragen. Im Beispiel sieht das dann so aus:  Schritt 3, also das Gegenteil war: Mein Chef ist hoch kompetent. Darauf folgt Deine neue Frage: Wie kann ich sein Können nutzen?  Die nächste Annahme war: Er denkt immer strategisch. Darauf folgt Deine neue Frage: Wie kann ich ihn überzeugen, dass mein Thema wichtig ist? <?page no="85"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 85  Die letzte gegenteilige Annahme war: Er ist kein Ignorant. Darauf folgt Deine neue Frage: Wie bringe ich ihn dazu, zuzuhören? Aus diesen Fragen ergeben sich weitere. Denn nun hast Du den Denkmotor angeworfen und er arbeitet an der Lösung des Problems. Abbildung 13 | Erfolg durch Fragen <?page no="86"?> 86 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Fazit | Question Thinking ist ein sehr wirksames Problemlösungstool in verfahrenen Situationen. Es funktioniert in 4 Schritten: Beobachten - Annahmen identifizieren - Annahmen umkehren - Denken kanalisieren. Das Tool unterbricht das Pawlow’sche Denken mit dem bewussten Einsatz von Fragen. Exkurs: Q-Storming Vielleicht erinnerst Du Dich noch an den Fragensturm von Dave und George? Den bezeichnet Marilee Adams als Q-Storming (QS). Es basiert auf dem Brainstorming. Das wiederum stellt eine These, eine Annahme oder eine Frage in den Raum, die dann näher betrachtet wird. Daraus folgen Diskussionen, Analysen und Antworten. Dieser Fokus auf einen einzigen Ausgangspunkt kann ein Nachteil sein. Denn er wird von nur einem Menschen, dem Moderator, bestimmt. Ist die Eingangsfrage nicht korrekt, führt der Weg von Beginn an in die falsche Richtung. Zumindest jedoch wird der Startpunkt der Diskussion verengt und dadurch auch womöglich bessere Denkrichtungen und Lösungsansätze verhindert. Q-Storming funktioniert nach den folgenden Regeln:  Es werden nur Fragen gestellt.  Es werden möglichst viele Fragen gestellt (Quantität geht vor Qualität).  Keine der aufgeworfenen Fragen wird im Rahmen des Q-Storming bewertet. Letzteres verhindert den voreiligen Ausschluss von Fragen über deren Sinnhaftigkeit. Absurde Fragen sind im Q-Storming ausdrücklich willkommen. So wird Folgefragen Raum gegeben. Ein Fragensturm ist die Folge. QS vergrößert also noch einmal die Menge an Lösungsansätzen. Es geht nur darum, Initialzündungen für neue Denkrichtungen zu erzeugen. QS ist damit ein angepasster Bereich innerhalb des Brainstormings. <?page no="87"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 87 Abbildung 14 | Brainvs. Q-Storming Um QS mit Erfolg durchzuführen, ist es entscheidend, dass alle Beteiligten miteinander kooperieren wollen und können. Basis ist das Vertrauen der Teilnehmer untereinander. Nur das bringt den Fragensturm in Gang. Voraussetzung für seinen Einsatz ist ein Klima des „Verantwortung-übernehmen-Wollens“ und ein „Wir-Gefühl“. Hierarchische Zwänge in einer Sitzung sind also kontraproduktiv. Zudem sollten die Q-Stormer im Entdeckermodus sein. Der wird durch „Wir-“, „Ich-“ und offene Fragen unterstützt. Mutige, provozierende oder absurde Fragen sind ausdrücklich willkommen. <?page no="88"?> 88 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 15 | Q-Storming: Regeln und Rahmen Q-Storming ist immer dann hilfreich, wenn  Du Dich in einer Sackgasse befindest, also (schon wieder) am Anfang stehst, <?page no="89"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 89  Du viele Lösungsansätze benötigst und dabei  die Fragestellungen (bzw. Thesen und Annahmen) konkret genug sind. Typische Themen für Q-Storming sind solche, die bestimmte Gruppen einbinden sollen. Dadurch wird die Akzeptanz einer Lösung unterstützt, da ja sämtliche Betroffene am selben Tisch gesessen haben. Beispiele sind Fragen wie diese:  Wie lässt sich dieser Prozess optimal für alle Beteiligten gestalten?  Wie verteilen wir die Aufgaben so, dass Doppelarbeit vermieden wird?  Und wie so, dass wir immer eine Urlaubsvertretung haben? QS stößt immer dann an Grenzen, wenn es um komplexere Probleme geht. Dabei stellt sich die Frage, was komplex ist. Das beurteilst Du vor dem fachlichen und emotionalen Hintergrund der Beteiligten. Personalthemen beispielsweise mit QS lösen zu wollen, ist nur dann sinnvoll, wenn alle Beteiligten ausreichend Erfahrung mit Führung haben und emotional nicht involviert sind. Ähnlich verhält es sich mit Bereichen, die Expertenwissen erfordern. Und letztlich versagt Q-Storming auch, wenn in der Gruppe Spannungen oder hierarchische Strukturen existieren. Das führt dann eventuell dazu, dass einige Q-Stormer sich mit Fragen zurückhalten. QS ist auch ein Instrument für den Einzelnen. So, wie Du allein brainstormen kannst, funktioniert das auch mit QS. Dabei gelten die Regeln mit dem Unterschied, dass die Interaktion mit anderen Menschen entfällt. Einzel-QS kann ein Vorteil sein, wenn Du Dir eine Meinung ohne „störende“ Aktionen anderer bilden willst. Nachteilig wirkt die quantitative Beschränkung der Fragen im Vergleich zu einer QS-Sitzung in der Gruppe. Ich starte QS immer erst einmal mit mir selbst, bevor ich später mit den Ergebnissen (und so auch hervorragend vorbereitet) in der Gruppe weiter mache. <?page no="90"?> 90 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Wer fragt, der führt? ! - Eine Zusammenfassung Schauen wir uns die beiden Seiten dieser Behauptung einmal genauer an: 1. Fragen als Form von Mitarbeiterführung: Ich erlebte das zum ersten Mal bewusst, als ich eine spezielle Methode am eigenen Leibe erfuhr. Mein Vorgesetzter hatte mich damit mehrfach in Meetings öffentlichkeitswirksam mundtot gemacht. Wie er das schaffte, erschloss sich mir zunächst nicht. Das verstand ich erst nach einem erhellenden Gespräch mit dem schon erwähnten Betriebsrat. Mein Chef war wie folgt vorgegangen: Immer, wenn ich aus eigenem Antrieb am Gespräch teilnahm, richtete er eine kurze, weite Frage an mich. Zum Beispiel: „Wie kommt diese Zahl zustande? “. Menschen neigen dazu, Fragen sofort zu beantworten. Sie reagieren unmittelbar. So wie ich. Es war die Prozesskette „Reiz → Frage → Antwort → Handlung → Ergebnis der Handlung“, die er sich zunutze machte. Wenn ich dann antwortete „Die Position setzt sich aus X, Y und Z zusammen“, hakte er sofort, wie ein Terrier, nach und fragte: „Und wie kommt X zustande, kann das überhaupt sein? “ Das tat er so lange, bis ich irgendwann zwangsläufig eine Antwort schuldig bleiben musste. Welches Ergebnis also hatte meine Handlung, das sofortige Antworten? Ich war raus aus dem Spiel. Auf meine Frage an den Betriebsrat nach dem „Warum“ des Anwendens dieser Technik meinte er lapidar: „Nun, hier ist es üblich, dass ein Untergebener erst spricht, wenn er gefragt wird. Ihr Chef hat Sie so zum Schweigen gebracht.“ Das war ihm tatsächlich auch dauerhaft gelungen, denn irgendwann habe ich in Meetings, instinktiv, den Mund gehalten und nur noch auf Fragen geantwortet, denn eine weitere Demütigung vor versammelter Mannschaft wollte ich mir ersparen. Später las ich von Tony Robbins’ Konzept der Primärfrage. Dabei geht es darum, dass wir von richtunggebenden Fragen angetrieben werden. So kam ich auf … <?page no="91"?> 6 Denke in Fragen, nicht in Antworten! 91 2. Fragen als Form von Selbstcoaching: Hier geht es um die nach innen gerichteten Fragen. Weiter oben hatten wir uns mit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung beschäftigt. Das Beispiel dort zeigt, was es mit einem macht, wenn man sich die falschen Fragen stellt. Gerade als Manager kannst Du Dir solche Fehler nicht leisten. Hast Du keinen Erfolg bei Deinem Chef, dann wirkt das auf Dein Team (zum Beispiel mit unnötiger Arbeit), auf Dich (durch möglichen Ansehensverlust beim Team) oder auf das Unternehmen (überflüssige Prozesskosten). Stellst Du Dir hingegen die richtigen Fragen, führst Du Dich (in die richtige Richtung) und betreibst Selbstcoaching. Fazit | „Denke in Fragen, nicht in Antworten! “ bedeutet, das eigene Denken oder das der anderen bewusst in eine bestimmte Richtung zu lenken. Bewusstes Fragen ist das einzige Mittel, Dein Denken zu steuern und damit auch die sich daraus ergebenden Handlungen und Ergebnisse. Diese wiederum beeinflussen die Umgebung. Also sind bewusste Fragen das wirksamste Mittel, mit dem Du die Welt verändern kannst. Allein die Möglichkeit der bewussten Auswahl Deiner Fragen unterscheidet Dich von anderen Geschöpfen. Wählst Du nicht bewusst, verhältst Du Dich nicht anders als ein Tier. Umschaltfragen helfen Dir, in den Entdeckermodus zu kommen. Richtiges, den anderen respektierendes Fragen ist gewaltloses Führen. Nur so werden Menschen nicht zu etwas gezwungen oder manipuliert. Darum hat solches Fragen auch die höchste Motivationswirkung bei Deinen Mitarbeitern. Richtiges Fragen weckt Kreativität. Diese wiederum ist Voraussetzung für gute Lösungen. Du tust mit Fragen das, was Deine Aufgabe ist: Du führst. Der Erfolg von Digitalisierung ist abhängig von der Kreativität des Einzelnen und der Kreativteams. Wenn die richtigen Fragen also Voraussetzung für Kreativität sind, dann sind sie es umso mehr für die Digitalisierung. Q-Stroming in Kreativteams steigert diesen Effekt. <?page no="92"?> 92 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? Ein Bock der Geschichte 2010 schrieb der zu dieser Zeit bereits todkranke Schriftsteller Wolfgang Herrndorf: „Ziemliches Motivationsproblem, von morgens bis abends an etwas zu arbeiten, das man mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit als Ergebnis nicht sehen wird. Ich versuche es mit dem Gedanken, dass ich mir in zwei Jahren mit zwanzigprozentiger Wahrscheinlichkeit in den Arsch beißen werde, wenn ich es dann nicht geschrieben habe.“ (Herrndorf, 2019). Angesichts seines nahenden Todes und dem daraus resultierenden Zeitmangel brachte der Mann es perfekt auf den Punkt: Merke | Das korrekte Verständnis des Pareto-Prinzips zwingt Dich zur Konzentration auf das Wesentliche. Damit könnten wir dieses Kapitel beenden, es ist alles gesagt. Allerdings wissen wir, dass Menschen sich sehr selten auf das Fundamentale beschränken. Und ebenso scheint es schwer zu beantworten, was denn genau das Wesentliche (siehe auch weiter im nächsten Abschnitt) eigentlich ist. Das Pareto-Prinzip wurde erstmals durch Vilfredo Pareto im Jahr 1896 beschrieben und bezeichnet den Umstand, „dass eine kleine Anzahl von hohen Werten einer Wertmenge mehr zu deren Gesamtwert beiträgt als eine hohe Anzahl an kleinen Werten dieser Menge“ (Pareto, 2007). Gerne spricht man, als Vereinfachung gedacht, von der sogenannten 80/ 20-Regel. Sie baut ihrem Verwender eine Esels- <?page no="93"?> 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? 93 brücke dergestalt, dass 20 Prozent der Aufwendungen zu 80 Prozent der Erträge führen (sollen). Ist das tatsächlich so? Woher kommen diese Zahlen? 80/ 20 ist das, was ich von jedem Befragten zu hören bekomme. Alle wiederholen, schon fast mantra-artig, „dass 20 Prozent der Aufwendungen 80 Prozent der Erträge einbringen“ und meinen, das sei es, was Pareto entdeckt hat. Schlimmer noch: Die tägliche Arbeit wird auf diese Verteilung ausgerichtet. Eine „ 80/ 20-Regel“ hat Pareto allerdings niemals beschrieben. Um das zu bemerken, reicht das Lesen des Originaltextes. Da steht nichts von 20 Prozent, auch nichts von 80 und ich sehe auch die Begriffe „Aufwand“ und „Ertrag“ nicht. Die Banalisierung des Prinzips zur 80/ 20-Regel birgt das Risiko erheblicher Fehlinterpretationen. Merke | Pareto hat tatsächlich etwas anderes herausgefunden, nämlich, dass es eine optimale Verteilung gibt und nicht, dass diese 80 zu 20 ist. Im Rahmen seiner Forschungen führte Pareto viele Experimente durch, unter anderem auch das eine, berühmte, das als Ergebnis die Verteilung von 80 zu 20 hervorbrachte. Pareto hat mit seiner obigen Definition lediglich, wissenschaftlich korrekt, die Ergebnisse aller Experimente abstrahiert. Er selbst hat das nie anders als „Pareto-Optimum“ bzw. „Pareto-effizienter Zustand“ bezeichnet. Die korrekte Anwendung von Pareto Die Auslegung seines Prinzips als 80/ 20-Regel muss aus den Köpfen verschwinden. Denn mit der Herstellung eines solchen Zustandes verschwenden Führungskräfte ihre Arbeitszeit und erreichen in der Regel nicht den optimalen Wirkungsgrad. Das ist fatal, nämlich, wenn der bei 90 liegt und der Manager sich mit 80 zufriedengibt, weil ja die Regel erfüllt ist. Grotesk wird es, wenn 10 reichen, die Führungskraft <?page no="94"?> 94 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte aber 80 umsetzt. Die Aufgabe ist stattdessen, die optimale Verteilung zu finden. Wie ermittelst Du diese? Abbildung 16 | Die Pareto-Cluster <?page no="95"?> 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? 95 Beispiel | Im Credit-Management kannst Du das Risiko offener Positionen über eine Warenkreditversicherung (WKV) decken. Wenn Du an eine 80/ 20-Regel glaubst, wirst Du höchstwahrscheinlich einen Fehler machen. Spielen wir den Entscheidungsprozess einmal durch: Variante 1: Die mögliche, durch den Glauben an eine 80/ 20-Regel getriggerte Frage könnte lauten: Welche sind die 80 Prozent meiner Kunden, die das größte Risiko darstellen? Diese Frage stößt einen Prozess an, der Dich z. B. über die folgenden Fragen weiterführt: Wer ist versicherbar? Welche allgemeinen Risiken will ich abdecken? Welche Kundengruppen sind besonders gefährdet? Wie sind die Versicherungslimits zu gestalten? Wie wirken diese in meinen Vertrieb hinein? Was sind die Pflichten aus meinem Vertrag? Nach welchen Kriterien wähle ich den Anbieter aus? Du teilst also Deinen Forderungsbestand in zwei Gruppen, nämlich in versicherte Forderungen (Cluster 1) und nichtversicherte Forderungen (Cluster 2). Am Ende des (Frage-)Prozesses bist Du versichert. Dabei macht der Anteil der gedeckten Forderungen (Cluster 1) 95 Prozent des Bestandes aus und der der nichtgarantierten (Cluster 2) die restlichen 5. Spätestens jetzt müsstest Du stutzig werden, denn 80/ 20 hast Du ja gar nicht erreicht, oder? Variante 2: Schauen wir uns das Thema nun noch einmal mit der korrekten Herangehensweise an, also unter der Annahme, dass es eine optimale Verteilung gibt, diese aber nicht 80 zu 20 sein muss. Die mögliche, durch das Wissen um das Pareto-Optimum getriggerte alternative Frage könnte lauten: Benötige ich eine WKV? Das stößt eine völlig andere Fragenkette an. Auch hier wird in Cluster 1 und 2 unterschieden. Allerdings ist das Ergebnis ein anderes, sodass die meisten Forderungen nicht versichert sind und stattdessen das Risikomanagement stark verbessert wird. <?page no="96"?> 96 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Wenn Du an die 80/ 20-Regel glaubst, wirst Du Entscheidungen auch unter der Annahme treffen, dass dies die einzig mögliche optimale Verteilung ist. Bist Du dagegen nur der Meinung, dass es eine optimale Verteilung gibt und die eigentliche Arbeit ist, das Pareto-Optimum zu finden, gehst Du anders an eine Problemlösung heran. Logischerweise verhalten sich Pareto und Perfektionismus wie Hund und Katze. Selten befinden sich beide im selben Raum-Zeit-Gefüge. Ein Perfektionist ist nie zufrieden, denn er wird nach Vollkommenheit streben. Darum versucht er zum Beispiel, die vollständige Digitalisierung eines Prozesses umzusetzen. Dem Paretisten reichen dagegen, abhängig von der Zieldefinition, auch schon einmal 70 Prozent aus. Oder er entscheidet sich, dass eine Automatisierung gar nicht lohnt, also 0 Prozent. Der Anspruch eines Perfektionisten kann einen Manager daran hindern, erfolgreich zu sein, und zwar immer dann, wenn er den Wünschen des Experten nachgibt (vor allem wenn dieser er selbst ist). Die meisten Fachleute sind Perfektionisten. Für Führungskräfte jedoch ist diese Ausrichtung fatal. Pareto im Management Die Entdeckung von Pareto war, „dass eine kleine Anzahl von hohen Werten einer Wertmenge mehr zu deren Gesamtwert beiträgt als eine hohe Anzahl an kleinen Werten dieser Menge“ und damit, dass es eine optimale Verteilung gibt. Merke | Übersetzt auf die Bereiche Organisation und Führung bedeutet das Pareto-Optimum schlicht, dass es Maßnahmen mit unterschiedlichen Wirkungsgraden und unterschiedlichen Umsetzungsgeschwindigkeiten gibt. <?page no="97"?> 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? 97 Beispiel: Ein Manager will einen bestimmten Effekt erreichen. Er hat analysiert, mit welchem Grad die einzelnen Maßnahmen zum Ergebnis beitragen. Der Paretist entscheidet sich, dass 70 Prozent ausreichen (Zieldefinition). Maßnahme Wirksamkeit Zeitaufwand 1 2 3 4 5 6 20 Prozent 10 Prozent 10 Prozent 40 Prozent 10 Prozent 10 Prozent 5 Tage 1 Tag 1 Stunde 1 Tag 2 Tage 3 Tage Abbildung 17 | Beispiel Pareto (1) Unserer Manager hat eine Woche Zeit für die Umsetzung. Das ergibt folgende optimale Zusammensetzung: Maßnahme Wirksamkeit Zeitaufwand 2 3 4 5 10 Prozent 10 Prozent 40 Prozent 10 Prozent 1 Tag 1 Stunde 1 Tag 2 Tage Abbildung 18 | Beispiel Pareto (2) <?page no="98"?> 98 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Das nenne ich schnell, zielgenau und eben auch Mut zur Lücke. In jedem Experten zuckt es nun. Ein Manager allerdings muss seine Reflexe, die Ergebnis von Emotionen und Denkmustern sind, im Griff haben und sich auf das Wichtige konzentrieren. Das bedeutet im Beispiel, sich mit 70 Prozent zufriedenzugeben, auch wenn Du Dich mit 90 besser fühlen würdest. Wie wir gesehen haben, geht es bei der Anwendung des Pareto-Prinzips darum, dasjenige Bündel an Maßnahmen zu finden, welches optimal für die Zielerreichung ist. Im Beispiel sind das 70 Prozent, die im zeitlichen Rahmen von einer Woche (1 Tag + 1 Tag + 1 Stunde + 2 Tage) umgesetzt wurden. Pareto versus Eisenhower und ABC-Analyse Es gibt weitere Methoden, die dem Pareto-Prinzip ähnlich sind. Dazu zählen die ABC-Analyse und das Eisenhower-Prinzip. Die ABC-Analyse geht davon aus, dass die Prozentanteile der wichtigen und weniger wichtigen Aufgaben an der Menge der Gesamtaufgaben im Allgemei-nen relativ konstant sind. Das klingt wie Pareto. Und tatsächlich handelt es sich um eine Weiterentwicklung, und zwar durch die Kombination mit der sogenannten Lorenz-Kurve. Dabei werden alle Aufgaben in drei Gruppen eingeteilt. A - Wichtige Aufgaben: Sie müssen erledigt werden und sind nicht delegierbar. Der verwendete Zeitanteil liegt bei 15 Prozent der Arbeitszeit. Der Wertanteil der Funktion soll bei 65 Prozent liegen. B - Durchschnittlich wichtige Aufgaben: Auch sie müssen erledigt werden, sind aber delegierbar. Die aufgewandten Zeit- und Wertanteile liegen bei je 20 Prozent. C - Aufgaben von geringem Wert: Dies sind Aufgaben wie Routinearbeiten, Ablage, lesen, telefonieren usw. Der genutzte Zeitanteil ist 65 Prozent, es sei denn, Du delegierst. Der Wertanteil liegt bei 15. <?page no="99"?> 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? 99 Die ABC-Vorgehensweise bedeutet nicht, dass ihr Nutzer nur noch A-Aufgaben zu erledigen hätte. Sie empfiehlt nur, die ertragreichsten Aufgaben zuerst in Angriff zu nehmen, um den größtmöglichen Wirkungsgrad zu erreichen. Nach dieser Theorie verteilt sich die Arbeitszeit auf die  A- und B-Aufgaben auf ca. 3 Stunden pro Tag und die  C-Aufgaben auf den Rest. Durch diese Methode ist eine präzisere Analyse von Fachthemen möglich, außerdem könnte es ein Tool für Zeitmanagement sein. Zunächst jedoch erzeugt das Instrument hohen Aufwand, denn die dargestellte Einteilung muss ja, basierend auf einer umfangreichen Analyse, erst einmal gemacht werden. Darum ist „A-B-C“ eher für größere Arbeitspakete (z. B. im Rahmen von Projekten) sinnvoll, in denen der Ertrag einer Entscheidung langfristig wirkt und/ oder das Risiko einer Fehlentscheidung potenziell belastender ist. Nicht konform gehe ich damit, dass wichtige Aufgaben selbst erledigt werden müssen. Auch diese kannst Du meines Erachtens delegieren. Und schon bist Du im Wirrwarr der Interpretation gefangen. Denn: Was ist durchschnittlich wichtig? Was ist delegierbar? Schwierig, schwierig, würde ich sagen und sehr individuell beantwortbar. Hinzu kommt auch hier: Wenn die ABC-Analyse die Weiterentwicklung von Pareto ist, vermute ich eine ähnliche Fehlinterpretation. Eine konstante Verteilung zwischen A, B und C? Unwahrscheinlich. Einen anderen Ansatz wählte der amerikanische General Eisenhower, der dem gleichnamigen Prinzip seinen Namen gab. Er hat erstmals Wichtigkeit und Dringlichkeit unterschieden und die folgenden Regeln (Eisenhower, 1954) aufgestellt. <?page no="100"?> 100 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 19 | Eisenhower-Prinzip (eigene Darstellung nach Eisenhower, 1954) Diese Vorgehensweise wird heutzutage kritisch gesehen, denn sie läuft gängigen Zeitmanagementsystemen zuwider, die die Erledigung dringlicher Themen als hinderlich für eine gute Zeiteinteilung ansehen. Das Verdienst von Eisenhower liegt für mich in der erstmaligen Unterscheidung der Begriffe „Dringlichkeit“ und „Wichtigkeit“. Aber auch hier gilt: Fragen über Fragen. Denn was ist wichtig? Und was ist dringend? Dazu empfehle ich Dir das nächste Kapitel. Auch ich versuche, nur wichtige Aufgaben zu erledigen. Das ist manchmal schwer durchzuhalten, da es Menschen gibt, denen die für mich bedeutsamen Themen egal sind und die stattdessen auf Erledigung ihrer eigenen Wünsche bestehen. Ein angemessener Kompromiss scheint, unter Einbeziehung der Logik des vorstehenden Prinzips, der folgende: Nach mehreren wichtigen Aufgaben wird eine dringende erledigt. Innerhalb der Cluster „wichtig“ und „dringend“ wird nach Pareto (also den wirksamsten Maßnahmen) priorisiert. <?page no="101"?> 7 Wie arbeitet ein Manager mit dem Pareto-Prinzip? 101 Abbildung 20 | Eine Pille für den Erfolg Ergebnis: Du bist zufrieden (aufgrund der Erledigung der für Dich wichtigen Tätigkeiten) und kannst jeden Abend mit einem guten Gefühl das Büro verlassen, denn Du hast sowohl Dich als auch die fordernden Kollegen zufriedengestellt. Ich <?page no="102"?> 102 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte nenne dieses System „Beruhigungspille“ und nutze es, um meiner als wichtig eingestuften Arbeit entspannt nachgehen zu können und dabei Drängler ruhigzustellen. Durch die obige Verteilung erledigst Du die Aufgaben in angemessenem Tempo und stellst, sehr werbewirksam, dringlich geforderte Ergebnisse zur Verfügung. Fazit | Lass uns die Methoden aus Sicht eines Managers bewerten: Du sitzt im Büro. Outlook quillt über vor E-Mails und Aufgaben. Ständig klingelt das Telefon. Dein Chef will Ergebnisse. Die Kollegen nerven und Du denkst: „Nimmt der Wahnsinn denn gar kein Ende? “ Und die Uhr tickt und tickt und tickt. Wie also priorisierst Du am besten? Pareto scheint mir für einen Manager eine gute Methode zu sein, schnell und mit geringem Zeitaufwand hohe Wirksamkeitsgrade zu erzielen. Nutzt Du dann zusätzlich auch noch die Möglichkeiten des Eliminierens und Delegierens und setzt „Beruhigungspillen“ ein, steht Deiner erfolgreichen Karriere nichts mehr im Wege. Die ABC-Analyse ist für Managementzwecke meines Erachtens nicht geeignet. Berechtigung hat sie evtl. bei umfangreichen Fachthemen und Projekten. Mit der Eisenhower-Methode kann ich nichts anfangen. Warum, das erkläre ich im folgenden Abschnitt. <?page no="103"?> 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? Wozu beschäftige ich mich mit dieser Frage? Zum einen ist die Kenntnis dessen, was wichtig ist, wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit. Zum anderen haben viele das Gefühl, dass heutzutage alles wichtig ist und dabei auch noch dringend. Das scheint ein Dilemma zu sein. Zugleich beschleicht uns alle Unzufriedenheit, weil zu viel liegen bleibt und wir unseren Plänen hinterherhecheln. Einige Kollegen brechen unter dem eigenen Druck und dem anderer zusammen, denn fast immer findet sich da auch ein Mitarbeiter, der bereits krankgeschrieben an einem Burn-out leidet. Ich hatte vor einiger Zeit ein intensiveres Gespräch mit jüngeren Mitarbeitern Anfang zwanzig über Fragen wie diese: Was ist ein Burn-out? Können Berufsanfänger davon betroffen sein? Ist das alles nur Gejammer? Was sind die Ursachen von Burn-out? Die Diskussion war kontrovers. Allgemein wurde die Meinung vertreten, dass die heutige Arbeitswelt so, wie sie ist, normal sei und jemand mit Burn-out halt nicht hart genug. Da sich meine Arbeitserfahrung mittlerweile über mehr als 30 Jahre erstreckt, ging ich damit nicht konform. Anfang der 1990er-Jahre bewegte sich das Berufsleben, verglichen mit heute, wie in Zeitlupe. Die Anforderungen an die Mitarbeiter haben sich im Vergleich dazu vervielfacht. Das liegt an der seit mehr als zwei Dekaden andauernden unkoordinierten Einführung und Nutzung von Kommunikationsmöglichkeiten und einem daraus resultierenden Verlust an Organisationsfähigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Die meisten Menschen sind nur noch Sklave von Outlook, Internet und Co und den Ansprüchen ihrer Umgebung. <?page no="104"?> 104 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Ein heute Mitte Zwanzigjähriger wird seit zwei Jahrzehnten dem Stress der beschriebenen Entwicklungen ausgesetzt. Also ja, junge Menschen können Burn-out haben. Wie kann man dem begegnen? Unter anderem mit der Kenntnis dessen, was der Unterschied zwischen wichtig und dringend ist. Wenn Du also den Stress bei der Arbeit erheblich reduzieren willst, helfen Dir ein paar Fragen. Die erste lautet: Frage 1 | Ist das, was ich tun soll, wichtig oder nur dringend? Dringlichkeit und Wichtigkeit: Definitionen Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Begriff der Dringlichkeit. Die Suche nach einer Beschreibung von „dringend“ ergibt den „Grad, in dem etwas drängt“ (Duden, 2021). „Drängen“ wiederum bedeutet „jemanden [trotz seines Widerstands] irgendwohin drücken oder schieben“ und „ungeduldig schiebend“. Die wesentlichen Aspekte von Dringlichkeit sind somit folgende: Merke | Dringendes  wirkt von außen  auf jemanden (vornehmlich Dich) ein.  Derjenige (also Du) will das Gewünschte nicht (Widerstand).  Das alles geschieht unter Aufbau von Zeitdruck (ungeduldig). Bei der Unterscheidung von „Dringlichkeit“ und „Wichtigkeit“ herrschte lange Zeit auch in meinem Kopf wenig Klarheit. Lange vor dem Schreiben dieses Buches hatte ich jedoch den Slogan „Dringend kommt von drängeln“ propagiert und dabei, unbewusst, das Wesentliche formuliert. Denn auch ich wurde davon geprägt, dass <?page no="105"?> 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? 105 mehrmals täglich ein Drängler um die Ecke schaute. Das macht den entscheidenden Punkt klar: Dringende Dinge kommen von außen und von jemandem. Sie drängeln sich in Dein (Arbeits-)Leben. Immer ist das Drängen mit dem Erzeugen von Druck beim Opfer verbunden und wird offen („Erledigen Sie das bitte bis …“) oder manipulativ („Es wäre wirklich dringend, könnten Sie …“, gefolgt von demütigem Lächeln und Augenklimpern) aufgebaut. Im Gegensatz dazu steht Wichtigkeit als „etwas, das Gewicht hat“ und „mit Gewicht auf jemanden einwirkt“ (Duden, 2021). Als ein Synonym wird auch „Gewichtigkeit“ genannt. Wenn etwas (ge)wichtig ist, überwiegt ein Gefühl des „Das muss ich (und zwar für mich) erledigen“. Auch bei wichtigen Angelegenheiten verspürst Du Druck. Der jedoch entsteht als Ergebnis eigener Einsicht und nicht durch einen dringlich Drängelnden. Aus Wichtigkeit wiederum wird Motivation. Reinhard Sprenger (Sprenger, 2010) hat dazu treffend festgestellt, dass Motivation der Eigensteuerung (der Impuls einer Handlung kommt von innen) und Motivierung der Fremdsteuerung (der Impuls kommt von außen) zuzuordnen ist. Damit ist auch nach Sprenger „Dringlichkeit“ ein von außen einwirkender Versuch der Motivierung durch einen anderen. Merke | Wichtiges erkennst Du an Deiner emotionalen Reaktion. Es bewegt Dich, es elektrisiert Dich. Darauf hast Du Lust. Wichtiges kommt immer von innen und motiviert Dich, aktiv zu werden. <?page no="106"?> 106 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 21 | Dringlichkeit vs. Wichtigkeit Hilfe, alle wollen etwas von mir! Basierend auf diesen Definitionen ist es möglich, dass etwas wichtig und dringend zugleich ist. Das ist zunächst einmal schlecht, denn eigentlich willst Du ja immer das tun, was wichtig ist. Wie erkennst Du einen solchen Konflikt? Auch hier kannst Du, als Indikator, Deine Emotionen nutzen. Immer dann, wenn Du auf etwas keine Lust hast, handelt es sich um etwas Dringendes, denn: Du fühlst Dich unmotiviert, das Betreffende bewegt Dich nicht in positiver Weise. Das bedeutet nicht, dass ich Dir empfehle, nur auf Dein Gefühl zu hören und die Angelegenheit abzuwehren. Nein, an dieser Stelle geht es zunächst nur darum, herauszufinden, ob Du Dich in einem emotionalen Konflikt zwischen Wichtigkeit und Dringlichkeit befindest. Denn natürlich gibt es Dringendes, das in Wirklichkeit auch wichtig ist. Du stellst Dir also, sicherheitshalber, die Frage: <?page no="107"?> 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? 107 Frage 2 | Befinde ich mich in einem Konflikt zwischen einer für mich (wichtig) und einer für jemand anderen bedeutsamen (dringend) Angelegenheit? Manchmal ist es schwer, die eigenen (wichtigen) und fremden (dringenden) Bedürfnisse auseinanderzuhalten. Schnell werden die Ansprüche anderer zu eigenen Wünschen, und zwar immer dann, wenn es eine emotionale Abhängigkeit zwischen den Beteiligten gibt. Beispiel | Da ist der Wunsch des Vorgesetzten ein Befehl, denn Du willst ja Karriere machen und dafür brauchst Du ihn. Oder: Die Bitte der Kollegin erfüllst Du gerne, sie erinnert Dich an Deine verstorbene Mutter. Obwohl nur Du weißt, was wichtig (für Dich) ist, kommt es unter dem Einfluss solcher Emotionen schnell zu Fehlinterpretationen. Wie kommst Du aus dieser Situation heraus? Dabei hilft eine einfache Erklärung, die Du Dir immer wieder in Erinnerung rufen kannst: Ein Drängler interessiert sich ausschließlich für sein Problem, das er Dir als wichtig (ja, das ist es auch, aber vor allem für ihn) verkauft. Dabei baut er Druck auf, meist ist es Zeitdruck. Denkbar sind auch die Möglichkeiten kraft seiner Position oder durch Manipulation (das Wimpernklimpern der süßen Kollegin). Mit diesen Mitteln versucht ein Drängler, Dich zur Umsetzung seines Wunsches und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu bewegen. Er handelt aus egoistischen Motiven. Das gilt für Dich und die Dir wichtigen Dinge analog. Aus dem Blickwinkel eines anderen ist das, was Du von ihm möchtest, ebenfalls selbstbezogen. Das ist in Ordnung. <?page no="108"?> 108 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Ist Dir klar, ob etwas wichtig oder dringend ist, kannst Du Dich entscheiden, wie Du damit umgehen willst (z. B. Abbildung 20). Was aber ist, wenn Du das Gefühl hast, das etwas so dringend ist, dass Du dem Druck schwer ausweichen kannst? Ich habe dafür eine Methode entwickelt: Schritt 1 besteht in der Frage: „Was ist eine Bitte“? Die Antwort lautet: Menschen haben Bedürfnisse und können diese meist nur oder zumindest einfacher mithilfe anderer erfüllen. Auf diesem Wunsch nach Befriedigung basiert das gesamte Sozialverhalten der Zivilisation. Der Kit, der unser Gemeinwesen bindet, ist Egoismus. Und zwar einer im Sinne von „Lehre, Anschauung, nach der alles, auch das altruistische Handeln, auf Selbstliebe beruht“ (Duden, 2021). Altruistische Menschen erhalten Erfüllung aus dem Geben und dem damit verbundenen Glück anderer Menschen, das auf sie zurückstrahlt. Das ist Egoismus in Reinform. Es geht bei der Bitte eines Menschen an Dich also immer um die Befriedigung des Interesses des anderen. Das ist weder schändlich oder böse, es ist schlicht wahr. Diese Erkenntnis sollte Dir helfen, einen nichtemotionalen Zugang zu den Bitten anderer zu erhalten. In Schritt 2 wenden wir diese Wahrheit auf den Sachverhalt an, den wir gerade vor uns haben. Wir präzisieren, und zwar wie folgt:  Welches Interesse hat mein Gegenüber?  Welches Problem soll ich für ihn lösen?  Gibt es verdeckte Wünsche? Die Antworten darauf helfen Dir zu bestimmen, worum es dem anderen tatsächlich geht. Sie führen Dich in die tieferen Schichten einer Situation. Wenn Du herausgefunden hast, welche Wünsche den anderen antreiben, musst Du im dritten Schritt den Bogen zu Deinen Bedürfnissen spannen. Das macht den Unterschied zwischen einem Befehlsempfänger und einer Führungskraft, Motivie- <?page no="109"?> 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? 109 rung und Motivation, Misserfolg und Erfolg. Jetzt kommt es auf die weitere Vertiefung durch Fragen an, um den Abgleich der Interessen des anderen mit den eigenen durchzuführen:  Ist sein Interesse auch meines?  Ist die Erfüllung seines Wunsches ein Gewinn für beide? Kannst Du diese Fragen mit Ja beantworten, dann ist etwas sowohl wichtig als auch dringend. Und Du solltest Dich darum kümmern. Abbildung 22 | Ist etwas wichtig, obwohl es dringend ist? <?page no="110"?> 110 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Exkurs: Warum wir Druck allzu leicht nachgeben … Gehen wir zurück auf den Fall, in dem etwas nur dringend ist. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, dem eindringlichen Druck eines Chefs zu folgen. Das ist jedoch nach meiner Ansicht zunächst einmal eine Ausnahme und darf keinesfalls Regel sein. Tatsächlich etabliert sich jedoch oft die Unsitte, jedem Drängler nachzugeben. Hat man damit erst einmal begonnen, ist es schwer, aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen. Teilweise lassen sich notorische Nachgeber schon an ihrem Ruf erkennen. „Der ist gut, der kümmert sich immer“ oder „Der ist immer da, wenn man etwas von ihm will“. Gerne tarnen diese Mitarbeiter ihren mangelnden Mut, Nein zu sagen, unter dem Deckmantel von Kollegialität und Hilfsbereitschaft. Verantwortungsvolle Führungskräfte hingegen sind nicht nur kollegial und unterstützend. Sie haben auch das Durchsetzen der als wichtig erkannten Ziele im Blick und darum keine Zeit für Nebensächlichkeiten (dringende Themen) und Faulenzer (die ihre eigene Arbeit loswerden wollen). Darum sind es meist diese Manager, die von ihrer Umgebung als schwierig empfunden werden. Tatsächlich jedoch leisten sie die bessere Arbeit. Sie fokussieren, trotz aller Widerstände, auf das Wichtige und lassen sich vom dringlich Unwichtigen (der Kollegen) nicht ablenken. Aber warum geben viele Menschen so häufig einem Drängler nach? Auch das hat seine Ursache in ihren Emotionen und Wertvorstellungen. Es geht um  Angst vor dem Jobverlust im Konkreten,  Angst vor Autorität im Allgemeinen,  Suche nach Anerkennung usw. Der Motivierungsversuch eines anderen hat immer dann Erfolg, wenn sich Manager von ihren Programmierungen leiten lassen. Der Vorgesetzte oder die Kollegin <?page no="111"?> 8 Ist das wichtig oder doch nur dringend? 111 bekommen, was sie wollen, indem sie den „richtigen Knopf“ bei Dir drücken. Das erhalten sie zum Preis des Verlustes dessen, was Du willst. In solchen Momenten bist Du eine gut programmierte Maschine, die den Befehlen des Nutzers gehorcht. Dann bist auch Du ein Pawlow’scher Hund. Das ist gefährlich, wenn Du die Macht von Managern bedenkst. Sicher, Du kannst die so verschwendete Dienstzeit nach einem achtstündigen Arbeitstag nachholen. Du wirst dann möglicherweise noch drei weitere Stunden schuften, um die wichtigen Dinge zu erledigen. Dabei machst Du mit Sicherheit Fehler, denn nach acht Stunden bist Du nicht mehr so frisch. Und Du wirst unproduktiver. Ich nenne die Unsitte, dem Dringlichen nachzugeben, Selbstbetrug. Denn beantworte Dir bitte eine Frage: Kannst Du am Ende Deines Lebens irgendjemanden bitten, die so anderen geschenkten Stunden, Tage, Wochen, wahrscheinlich sogar Jahre Deines Lebens hinten ranzuhängen? Selbst wenn das ginge, es bliebe immer noch die vergeudete Energie, die Du für unwichtige Themen eingesetzt hast. Das alles solltest Du Dir klar machen, wenn Du wieder einmal bedrängt wirst und versucht bist, jemandem nachzugeben. Das gilt vor allem deshalb, weil Du als Führungskraft mit Deinem Verhalten die Arbeit Deiner Mitarbeiter beeinflusst. Im Zweifel müssen sie das, was Du nicht schaffst, ausbügeln. Vor diesem Hintergrund hast Du nicht einmal das Recht, irgendeinem Druck nachzugeben, es sei denn, es geht um wichtige Angelegenheiten. Der Unterschied zwischen Managern und dem Rest der Truppe Es bleibt eine letzte Frage. Die musst Du immer dann beantworten, wenn Du eine Angelegenheit als wichtig identifiziert hast und jemand darauf besteht, an deren Stelle seine dringliche zu bearbeiten. Sie ist vor allem dann von Bedeutung, wenn Du Manager bist, denn die Antwort darauf zeigt meines Erachtens, ob Du führen kannst bzw. willst: <?page no="112"?> 112 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Frage 3 | Habe ich den Mut, mich gegenüber einem Drängler zu behaupten? Der Weg bis hierher war einfach, denke ich. Schwierig wird es beim Thema Mut, für die eigenen Belange einzutreten. Wie das gehen kann, habe ich an einer Übung im Kapitel „Musst Du alles tun, was geht? “ erläutert. Dort wird deutlich: Es ist möglich, die wirklich wichtigen Dinge zu erledigen, selbst wenn Du keine Führungskraft bist. Es ist meines Erachtens sogar essenziell, das zu tun, wenn Du eine bist. Auch ich bin nicht nur Vorgesetzter. Mit meinem Chef ringe ich, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, um die „angemessene“ Sicht der Dinge. Das tue ich mit Zuhören, Offenheit und Argumentation. Analog mache ich das mit Kollegen. Wenn ich die Wichtigkeit einer Sache nicht erkenne, gebe ich dem Drängler nicht nach. Aber ich bespreche das Thema mit ihm, um zu verstehen, was so wichtig (für den anderen) ist. Oft steht als Ergebnis: Es war doch bedeutsam, auch für mich. Mir war vorher die Dimension des Problems nur nicht klar. Und dann kümmere ich mich natürlich auch darum. So erledige ich meine wichtigen Angelegenheiten und die meiner Teams. Meist funktioniert das. Diesen Weg kannst Du nicht gehen, wenn Du autoritätsgläubig und mutlos bist. Also sei nicht feige, Dein Chef kocht auch nur mit Wasser und ist wahrscheinlich sogar dankbar, wenn ihn jemand ernst nimmt und eine andere Meinung vertritt. Fazit | Dringend ist das, was jemand anderes von Dir für sich will. Der dringlich Drängelnde ist immer ein Egoist. Nur Du weißt, was wichtig ist, und zwar für Dich (und Deine Arbeit). Darum musst Du das Wichtige immer zuerst erledigen. Wenn Du zu sehr bedrängt wirst, nutze Beruhigungspillen. Die allerdings sind nur eine Show. Das Einzige, was Dir wirklich hilft, ist der Mut, das Wichtige zu erledigen. <?page no="113"?> 9 Was ist das Parkinson’sche Gesetz? Der Rohstoff Zeit 1865 beobachtete William S. Jevons ein Phänomen, das durch technischen Fortschritt verursacht wird. Danach führt die effizientere Nutzung eines Rohstoffes immer zu einem erhöhten Verbrauch eben dieser Ressource. Wem würden solche Beispiele nicht einfallen? Strom, Öl, Wasser - es ist immer dasselbe. Ein Wirtschaftsgut wird so lange exzessiv genutzt, bis es knapp wird und durch ein anderes ersetzt werden muss. Zeit ist auch eine solche Ressource. Und sie unterliegt demselben Paradoxon mit dem Unterschied, dass die meisten Menschen verdrängen, dass Zeit endlich, also nicht substituierbar, ist. Denn ein Mensch hat nur eine Arbeitszeit, nur eine Kindheit, nur eine Lebenszeit usw. Hier kommen die Erkenntnisse von Cyril Northcote Parkinson ins Spiel. Der Mann war sowohl Historiker als auch Soziologe und studierte das menschliche Verhalten. Er fand heraus, dass „sich Arbeit in genau dem Maße ausdehnt, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht“ und „nicht in dem Maß, wie komplex sie tatsächlich ist“ (Parkinson, 1981). Bezogen auf das durch Herrn Jevons entdeckte Phänomen ist die Ressource in dieser Gleichung die „Zeit“ und der technische Fortschritt wird mit „Arbeit“ gleichgesetzt. Parkinson machte das wie folgt deutlich: Beispiel | Eine ältere Dame braucht einen halben Tag dafür, ihrer Nichte eine Postkarte zu schicken (Postkartenauswahl, Brillensuche, Adresssuche, Text verfassen, Entscheidung treffen, ob für den Weg zum Briefkasten ein Schirm mitzunehmen ist usw.). Den Kontrast bildet der viel beschäftigte Manager, der die gleiche Aufgabe in 3 Minuten am Schreibtisch erledigt. <?page no="114"?> 114 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte In seinen Studien schilderte Parkinson beispielhaft die Sitzung eines Finanzausschusses, in der es um die Bewilligung von Geld für diverse Projekte ging. Danach wurden folgende Besprechungszeiten aufgewandt: Abbildung 23 | Beispiel Parkinson Schon diese Darstellung gibt einem ein Gefühl für das Missverhältnis zwischen Kosten(-risiko) und aufgewendeter Arbeitszeit der Teilnehmer. Es folgt ein Versuch, das optisch noch deutlicher zu machen. Abbildung 24 | Beispiel Parkinson grafisch <?page no="115"?> 9 Was ist das Parkinson’sche Gesetz? 115 Ich hatte vorher nie eine solche Analyse gemacht. Mein Gefühl sagt mir allerdings: Das könnte so passen, Stichwort Meeting. Parkinson stellte also, bezogen auf den Rohstoff Zeit, fest, dass im Rahmen der Zusammenarbeit von Menschen „die einfachsten Themen am ausführlichsten diskutiert werden, da davon die meisten Teilnehmer etwas verstehen“ (Parkinson, 1981). Auf der anderen Seite bleiben die Gebiete auf der Strecke, die deutlich komplexer sind. Persönliche Inkompetenz in Sachfragen wird so, laut Parkinson, durch eine ausführliche Kommunikation zu trivialen Aspekten wettgemacht. Dadurch kommt es nicht nur zu Fehlentscheidungen, sondern vor allem zu einer massiven Verschwendung von Ressourcen. Parkinson nennt das Fehlallokation. Fazit | Was ist Zeit? Sie ist eine Ressource. Und ich erweitere hiermit offiziell den Kreis der von Misswirtschaft betroffenen Grundstoffe um die „Zeit“. Warum verhalten sich Menschen so? Parkinson vs. Pareto Objekt der parkinsonschen Studien war menschliches Verhalten. Das ist der Unterschied zur Pareto-Verteilung, mit deren Hilfe optimale, nennen wir sie einmal naturgegebene, Konstellationen ohne menschlichen Einfluss dargestellt werden. In Parkinsons Forschungen dagegen werden die Objekte unter dem Einfluss (der Emotionen) von Menschen betrachtet. Schon ein Einzelner hat mit der Wirkung seiner Emotionen zu kämpfen. Noch komplexer wird es mit einer steigenden Anzahl von Beteiligten. Hier kommen die Phänomene der Massenpsychologie zum Tragen. Die eigene, tatsächliche oder <?page no="116"?> 116 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte auch nur vermutete, Inkompetenz erzeugt die Emotion Angst. Die wiederum zwingt einige Menschen, sich zu verstecken und sich nicht mit der Lösung wichtiger Sachverhalte zu beschäftigen. Das beruht beispielsweise auf Sorge vor Gesichtsverlust, wenn offenkundig wird, dass man ein Fachgebiet nicht beherrscht. Und letztlich, wer kennt sie nicht, diejenigen Teilnehmer eines Meetings, deren Beiträge von Geltungssucht getrieben scheinen. Ursache kann die Suche nach Anerkennung sein, die wiederum auf den Bedürfnissen Liebe und Verbundenheit und damit der Angst vor Ablehnung als Form von Liebesentzug beruht. Damit lässt sich das Prinzip konkretisieren. Abbildung 25 | Unterschied Pareto vs. Parkinson Das neue Parkinson’sche Gesetz 1. Das Parkinson’sche Gesetz wirkt durch den Einfluss von Emotionen: Das Gesetz tritt in Erscheinung, wenn Menschen im Spiel sind, die ihren Emotionen nachgeben . Also faktisch immer. Das Prinzip arbeitet umso stärker, je größer die Anzahl der Beteiligten ist. Je mehr Involvierte, desto mehr emotionale Energie befindet sich im Raum. <?page no="117"?> 9 Was ist das Parkinson’sche Gesetz? 117 2. Logik ist das Mittel gegen Emotionen: Das Gesetz „von der Ausdehnung der Arbeit in dem Maße, wie Zeit zur Verfügung steht“ ist nicht gottgegeben. Es kann durch den Einsatz von Logik, also Emotionsmanagement, ausgehebelt werden. Das führt dann zu: 3. Der Einsatz von Logik wirkt umgekehrt potenzierend: Jede Arbeit ist in der zur Verfügung stehenden Zeit zu schaffen, wenn Emotionen eliminiert werden und Logik Deinen Verstand regiert. Beispiel | Der Chef kommt herein und überträgt Dir eine Aufgabe. Das ist ein richtiger Brocken. Du weißt, trotz oder gerade wegen Deiner großen Erfahrung, dass das schwer zu bewältigen ist. „Ich habe doch davon überhaupt keine Ahnung“, denkst Du und „Warum gerade ich? “. Du schaust aus dem Fenster, grübelst. Deine Stimmung wird so dunkel wie die Gewitterwolke, die sich langsam vor die Sonne schiebt. Ist da etwa ein Anflug von Panik? Solche Momente von Unsicherheit kenne ich auch. Ich zücke dann meine „Parkinsonliste“, die ich auch als „Antipanikliste“ bezeichne. Darauf stehen alle Situationen meines Lebens, bei denen ich ähnlich gefühlt habe wie vorstehend beschrieben. Ich notiere mir diese Momente und die Auslöser sofort, wenn mich Emotionen überrennen. Und ich schaue dabei auf das, was bereits auf meiner Liste steht, und lese nach, wie das damals alles endete. Sofort kehrt Ruhe zurück in mein Gemüt. Die Erinnerung an all diese schwierigen Augenblicke, in denen ich das Gefühl hatte, etwas unmöglich schaffen zu können, kommt zwar wieder. Mit dem Blick auf die Liste fühle ich dann aber auch die Momente des Sieges und Triumphes über mich selbst. Diesen guten Emotionen folgt die Erinnerung daran, wie ich das geschafft habe. Fachwissen war dabei nie die wirkliche Herausforderung. Fragen oder <?page no="118"?> 118 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Recherchieren hat hier immer geholfen. Dennoch blieb regelmäßig das Zeitproblem übrig, das tatsächlich nie eines war, denn: Ich habe immer alles (Wichtige) rechtzeitig erledigen können. Schon die Existenz der Parkinsonliste ist ein Beweis für die Wirksamkeit des Gesetzes und der These, dass es umgekehrt wirken kann. Abbildung 26 | Das Parkinson’sche Gesetz - ein Update <?page no="119"?> 9 Was ist das Parkinson’sche Gesetz? 119 Beispiel | Ich bin neu in einem Interim Mandat. Die Gesellschafter der Firma verlangen „sofort“ eine Liquiditätsplanung. „Quick and dirty mache ich nicht, schnell wird das also nichts“, denke ich. „Ich kenne das Unternehmen nicht, das ist alles zu komplex, wie soll das gehen? “ Doch dann fällt mir wieder das Parkinson’sche Gesetz ein. Ich vertraue darauf. Die Angst verfliegt. Wie geht es weiter? Fertigstellungstermin vereinbaren und den am besten selbst vorschlagen. So werde ich nicht getrieben, sondern bin Herr des Prozesses. Okay, geschafft, 2 Monate Zeit (Woran man erkennt, wie relativ „sofort“ ist und Formulierungen sein können). Sacken lassen und von nun an die Aufgabe im Hinterkopf behalten. Termine im Kalender für die Bearbeitung blocken, keine Störungen zulassen. Doppelt so viel Zeit reservieren, wie Du glaubst, eigentlich zu benötigen. Das Ergebnis ist: ich habe nur 25 Prozent der geplanten Zeit genutzt und die Deadline gehalten. Das ist für mich der Kern des Parkinson’schen Gesetzes: Es beschreibt die Wirkung des Faktors Mensch, getrieben von seinen Emotionen, auf das Pareto-Optimum. Fazit | Zeit ist eine Ressource. Du füllst sie immer mit Arbeit, wenn Du Dich von Deinen Emotionen leiten lässt, auf Deutsch: Du beschäftigst Dich! Aufgaben schaffst Du in der minimal nötigen Zeit, wenn Du Deine Emotionen außen vorlässt. Das Parkinson’sche Gesetz wirkt, durch die Beteiligung von Menschen (und deren Emotionen), dem Pareto-Optimum entgegen. Umgekehrt führt das Ausschalten von Emotionen wieder in Richtung Pareto-Verteilung. <?page no="120"?> 120 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte 10 Das Effizienzoptimum Die herkömmliche Definition von Faulheit Geschichte | Vor einigen Jahren startete ich wieder einmal in einen neuen Job. Meine Aufgabe war der Monatsabschluss für mehrere Tochtergesellschaften eines Konzerns. Die Kapazität der Stelle war nicht gut geplant, jedenfalls hatte ich nicht viel zu tun und Mühe, die vertraglich vereinbarten acht Stunden pro Arbeitstag zu füllen. Darum zog ich mir Arbeit auf den Schreibtisch, wo immer das ging. Ich organisierte mir ein paar Dokumentationsarbeiten und auch einige Rückstellungsthemen aus dem Konzern, die längst schon einmal für ein Update fällig waren. Doch es reichte nicht. Diese verfluchten acht Stunden quälten sich jeden Tag unendlich dahin. Das Parkinson’sche Gesetz wirkte, nur leider in die falsche Richtung. Es war wie mit Gras, das man zum Wachsen bringen will: Du kannst immer wieder daran ziehen, aber es wächst, verdammt noch mal, nicht schneller. Ich bettelte meinen Vorgesetzten förmlich um Arbeit an, erntete dafür aber irgendwann nur noch ein irritiertes „Ich habe im Moment nichts für Sie“. Das Verhältnis zu den meisten meiner Kollegen wurde zunehmend schlechter. Ich fühlte mich nicht wohl. Darum stach ich jeden Tag pünktlich aus, denn genügend Arbeit war nicht vorhanden und meine Stimmung miserabel. Die Krönung jedoch war mein schlechtes Gewissen, wenn ich ging und meine Kollegen bis über den Kopf in Arbeit vergraben zu sein schienen. Das fiel auch meinem Chef auf und eines Tages rief er mich zu sich. „Herr Pede, ich habe mir Ihre Stundenzettel angesehen. Mir ist aufgefallen, dass Sie jeden Tag pünktlich nach Hause gehen.“ Die Art, wie er das sagte, hatte etwas von “Igittigitt“. Ich erwiderte, dass ich ja auch immer schon sehr früh um 7 Uhr da wäre und, da ich um 16 Uhr das Haus verließ, trotzdem meine Stunden schaffen würde, Mittags- <?page no="121"?> 10 Das Effizienzoptimum 121 pause inklusive, versteht sich. Das schien ihm wohl etwas zu gut vorbereitet auf eine Frage, mit der er mich doch eigentlich überraschen wollte. Jedenfalls stockte er einen Moment und zog die rechte Augenbraue hoch. Jetzt wirkte er wie Mr. Spock, wenn er „Faszinierend“ sagt. Er schien zu überlegen und meinte dann: „Wann Sie kommen, kann ich nicht wissen, ich bin ja immer erst um zehn Uhr im Büro. Ich sehe nur, wann Sie gehen. Und das ist sehr früh, viel früher als alle Ihre Kollegen.“ Ich verkniff mir die Anmerkung, dass er meine Ankunftszeit auf dem Corpus Delicti sehen könne, und fragte ihn stattdessen, ob er denn mit der Qualität und Menge der erledigten Arbeit nicht zufrieden wäre. Das verneinte er sehr klar und entgegnete, ihm ginge es um den Eindruck, den mein frühes Gehen mache. Ihn und die Kollegen beschliche das Gefühl, ich hätte keine Lust zu arbeiten (mit anderen Worten, ich wäre faul). Da war ich tatsächlich einmal sprachlos. Ähnliche Erlebnisse habe ich auch heute noch. Meine Irritation allerdings ist der Überzeugung gewichen, sich solchem Blödsinn nicht beugen zu müssen. Faulheit ist die „Unlust, sich zu betätigen“ (Duden, 2021). In der vorherigen Geschichte war der Verurteilte nicht faul, zumindest nach dieser Definition, denn von fehlender Lust keine Spur. Das Verbrechen war ein anderes: Der Täter verhielt sich nicht regelkonform. Ich behaupte, dass die meisten Menschen ähnliche Instinkte haben wie mein Vorgesetzter. Und selbst ich nehme mich von dieser Art Fehlbetrachtung nicht aus. Menschen verlassen sich häufig auf den ersten Anschein und vergleichen ihn mit den Regeln, die als allgemein anerkannt gelten. Fakten interessieren dann nicht. In meinem Fall wäre es für die Kollegen sonst wohl unangenehm geworden. Stattdessen analysierten sie, unterbewusst, wahrscheinlich wie folgt: „Kann es sein, dass der da schneller arbeitet als ich und das bei sehr guter Qualität? Das würde bedeu- <?page no="122"?> 122 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte ten, ich bin schlechter als er und müsste meine Arbeitsweise hinterfragen. Nein, Herr Pede macht seine Arbeit garantiert nicht gut. Oder er hat einen Trick, den ich nicht kenne. Und außerdem habe ich viel mehr zu tun. So ein fauler Sack.“ Unter dem Eindruck von Fakten und Ausschluss von Emotionen betrachtet ist diese Bewertung dennoch falsch. Versuchen wir uns dem Thema „Faulheit“ einmal vom Gegenteil her zu nähern, dem Fleiß: „Strebsames und unermüdliches Arbeiten; ernsthafte und beharrliche Beschäftigung mit einer Sache“ (Duden, 2021). Also, ich war, verdammt noch einmal, fleißig! Aber hilft das bei dem mir verpassten Stigma? Nein. Da retten mich nur Tatsachen. Und eine andere Maßeinheit als „Arbeitszeit“ für die Bewertung der Leistung eines Menschen. Jede Führungskraft hat einen hohen Anspruch an sich selbst. Auch darum kann kein Manager mit Faulheit etwas anfangen. Schlimmer noch: Wenn er von sich selbst glauben würde, faul zu sein, würde er sich als Versager fühlen. Was ist das Ergebnis einer solchen Denkhaltung? Er beschäftigt sich permanent und ist „in action“, nur um dem Eindruck von Müßiggang zu entgehen. Sich beschäftigen? Damit meine ich die Erledigung der Arbeit ohne Priorisierung nach Wichtigkeit. Würde man das Gegenteil von Faulheit, also den Fleiß, messen können, wäre Faulheit auszuschließen, denn niemand kann gleichzeitig faul und fleißig sein. Wie jedoch misst man Fleiß? Auch das ist schwierig, allenfalls die Ergebnisse von Arbeit geben Dir Hinweise, aber keine verlässliche Aussage, ob jemand fleißig war. Zeit dagegen ist messbar. Wohl auch darum hat die Welt sich darauf verständigt, Fleiß mit der Anzahl der Stunden zu verwechseln, die man beschäftigt ist. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Wird schon passen, werden die meisten denken. Versuchen wir trotzdem, ein Gefühl für Fleiß zu bekommen, und schauen uns dazu zwei Fälle an. <?page no="123"?> 10 Das Effizienzoptimum 123 Beispiel 1 | Der Buchhaltungsmitarbeiter A sitzt zehn Stunden im Büro und schafft 90 Buchungen (Mittagspause eine Stunde, morgens eine halbe Stunde Schwätzchen nach Arbeitsbeginn und noch weitere 30 Minuten über den Tag verteilt, dadurch ist er auch gut vernetzt.). Mitarbeiter B ist sechs Stunden im Büro (Teilzeitvertrag), macht keine Pausen, ist ruhig und sozial deutlich weniger engagiert als A. Der wiederum würde seinen Kollegen als „komischen Vogel“ bezeichnen. B schafft 80 Buchungen mit ähnlicher Qualität. Ich versuche einmal, Fleiß mit dem Begriff „Produktivität“ nahezukommen. Die Produktivität von Mitarbeiter A wird für acht Stunden (zehn Stunden minus eine Stunde Mittag minus zweimal eine halbe Stunde Schwätzchen) verglichen, damit ergibt sich: Produktivität von B = 80 Buchungen * 8 Stunden / 6 Stunden. Das Ergebnis ist 106,67 Belege, wenn man Mitarbeiter B ebenfalls volle acht Stunden arbeiten lassen würde. B hat eine um 18,52 Prozent höhere Produktivität (= 106,67 Belege * 100 Prozent / 90 Belege) als A. Überzeugend, nicht wahr? Wie aber sieht es aus, wenn Mitarbeiter das sind, was sie sein sollen? Nämlich Kollegen? Beispiel 2 | Wie würde man Fleiß (besser: Produktivität) bewerten, wenn Mitarbeiter B bei seiner Tätigkeit auch noch Dinge im Auge behielte, welche die Leistung von C positiv beeinflussen? B erstellt regelmäßig einen Abzug von Daten aus dem ERP-System und ihm fällt auf, dass darin Informationen enthalten sind, die C täglich benötigt und die dieser im Moment selbst erstellt. Dafür braucht C eine Stunde pro Tag. B entscheidet, die Daten Mitarbeiter C zur Verfügung zu stellen. Er braucht dafür fünf Minuten mehr Zeit als sonst und muss nur einmalig die Datenbankabfrage anpassen und dann täglich die nötigen Informationen herauslösen. <?page no="124"?> 124 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Also, wer ist fleißiger? Anders gefragt: Wer ist besser für das Unternehmen? Fleiß zu bewerten ist ebenso schwierig wie Faulheit. Beides hat auch nichts mit den Arbeitsstunden eines Einzelnen zu tun. Wiederholen wir noch einmal die Definition von Fleiß: „strebsames und unermüdliches Arbeiten; ernsthafte beharrliche Beschäftigung mit einer Sache“. Da ist keine Rede von zwölf (anstelle acht) Stunden pro Arbeitstag, auch nicht von Ergebnissen oder Qualität. Die Definition des Dudens taugt folglich ebenfalls nicht als Bewertungskriterium für die Leistung eines Menschen. Was also tun? Menschen wollen bewerten. Nur das erlaubt ihnen den Vergleich und damit die Abgrenzung zur Umwelt. Genau darum sind sich fast alle insgeheim darin einig, Leistung mit der aufgewendeten Arbeitszeit verwechseln zu wollen. Dieses Geheimabkommen entfaltet Wirkung auf Generationen von beruflichen Karrieren. Ich kenne eine Unmenge männlicher Kollegen, die sich, mangels anderer Möglichkeiten, die eigene Karriere mit Gefälligkeiten in Schwung zu bringen, regelrecht „nach oben gesessen“ haben. Natürlich waren sie alle hervorragend qualifiziert. Das jedoch hebt Konkurrenten um einen Job noch nicht von den vielen anderen Kandidaten für höhere Positionen ab. Als logische Folge verbringen sie darum zehn bis zwölf Stunden täglich im Unternehmen in der Hoffnung, befördert zu werden, wenn sie nur lange genug demütig dienen. Als Ergebnis dürfen sie, nach dem hart ersessenen Aufstieg, dann zwölf bis vierzehn Stunden pro Tag im Büro verbringen. Das sind echte Gewinnertypen, oder? Nun magst Du vielleicht denken: „Okay, das ist ihre persönliche Entscheidung, wenn sie keine Familie haben, warum nicht? “. Weil das Stigma wirkt. Und zwar auf alle Mitarbeiter in allen Unternehmen. Es führt zur Selbstausbeutung von Menschen, die sich nicht trauen, das Büro vor dem Chef oder dem Kollegen zu verlassen und sich an deren Arbeitszeit orientieren statt an der Leistung, die sie erbringen. Selbst wenn in solchen Fällen alle Überstunden bezahlt werden, frage ich Dich: <?page no="125"?> 10 Das Effizienzoptimum 125  Wozu sollte ich mehr als die vertraglichen Arbeitsstunden leisten, wenn ich in der maximal notwendigen Zeit alles vollständig erledigen kann?  Warum nur eine Minute länger im Unternehmen verbringen als nötig, selbst wenn sie bezahlt wird?  Gibt es nicht andere, wichtigere Dinge in Deinem Leben? Bedenke bei der Beantwortung dieser Fragen bitte: Du bezahlst Deinen Arbeitgeber nicht mit Arbeitszeit und bekommst dafür Geld. Nein. Du zahlst mit Lebenszeit. Dieser Vorgang ist unumkehrbar. Denn Du kannst das Geld, das Du verdienst, nicht wieder zurücktauschen. Ich denke deshalb, wir alle sollten auf solche Art Selbstbetrug verzichten und beginnen, uns ehrlich zu machen. Der erste Schritt dazu ist zu verinnerlichen: Merke | Vergiss die Wörter Fleiß und Faulheit. Sie sind für die Bewertung von Leistung untauglich. Denn anders zu arbeiten, heißt nicht, faul zu sein. Und weniger als andere zu arbeiten auch nicht. Wenn Du weniger als andere arbeitest und glaubst, faul zu sein, unterliegst Du der Illusion, dass Fleiß über die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden messbar ist. Du schließt Dich dann dem Geheimpakt an und beschwörst einen nicht existierenden Zusammenhang zwischen Leistung und Anzahl der erbrachten Arbeitsstunden. Dass das alles nicht wahr ist, kannst Du jetzt auch logisch begründen. Gefühlt hast Du es schon immer, aber darüber möglicherweise nie nachgedacht. Oder Dir fehlte der Mut, es auszusprechen. Warum? Weil das für Dich einfacher war, Du dadurch nicht aufgefallen bist und keine Probleme bekommen hast. Eher im Gegenteil. Spielst Du das Spiel der anderen mit und bleibst lange im Büro, dann sagt jeder: <?page no="126"?> 126 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Schau mal, wie viel der arbeitet. Der ist fleißig. Du bekommst also unmittelbar Anerkennung. Das tut gut. Falsch ist Dein Handeln dennoch. Die neue Definition von Faulheit Um Dich von der Kraft des Vorurteils „faul“ lösen zu können, musst Du den Begriff neu definieren und anders interpretieren. Warum etwas erfinden, wenn es schon perfekt existiert? Merke | „Faul zu sein bedeutet, eine unbefriedigende Existenz zu ertragen, äußere Umstände oder andere Menschen über sich bestimmen zu lassen, während man das Leben lediglich als Zuschauer aus dem Bürofenster heraus betrachtet. Die Summe auf Ihrem Bankkonto ändert nichts daran und auch nicht die Anzahl an Stunden, die Sie im Büro damit verbringen, unwichtige E-Mails und Kleinkram zu bearbeiten. Seien Sie lieber produktiv als beschäftigt.“ (Ferris, 2009) Menschen, die beschäftigt sind, also im Sinne der vorstehenden Definition das qualitative Ergebnis ihres Tuns nicht hinterfragen, sind in Wirklichkeit die Faulen. Denn sie machen sich nicht die Mühe, über die Wirksamkeit ihrer Handlungen nachzudenken. Menschen, die sich entgegengesetzt verhalten (siehe Mitarbeiter B), sind also im Umkehrschluss fleißig. Ferris bezieht sich auf „produktiv“ als Gegenteil von Faulheit. Der Duden gibt einen Hinweis darauf, was das ist, und zwar „viel (konkrete Ergebnisse) hervorbringend; ergiebig“. Nun sind diese Begriffe wohl auch kein hinreichend konkreter Maßstab für Leistung. Schauen wir weiter bei den Synonymen. Dort finden wir „effektiv“ und „effizient“. Produktivität ist also das Ergebnis von Effektivität und Effizienz. <?page no="127"?> 10 Das Effizienzoptimum 127 Effektivität ist laut Duden auch ein Synonym für Erfolg oder Wirksamkeit. Erfolg wiederum definiert sich über ein Ziel, dass man beschreiben und messen kann. Merke | Die grundlegenden Fragen der Effektivität lauten also:  Was ist mein Ziel? Und:  Wie dicht komme ich daran heran? Das hast Du schon irgendwo einmal gelesen? Stimmt, in diesem Buch, und zwar beim Pareto-Optimum. Bei Effizienz handelt es sich um eine Kombination aus „Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit (Duden, 2021). Tara! Man nehme also „Wirksamkeit“ (Effektivität) und füge als Zutat „Wirtschaftlichkeit“ hinzu, dann erhält man Effizienz. Wirtschaftlichkeit wiederum ist die „Übereinstimmung mit dem Prinzip, mit den gegebenen Mitteln den größtmöglichen Ertrag zu erwirtschaften oder für einen bestimmten Ertrag die geringstmöglichen Mittel einzusetzen" (Duden, 2021). Effizienz kannst Du also, im Gegensatz zu Faulheit oder Fleiß, messen, weil Du eine Vergleichsgröße hast, nämlich  den als Ziel definierten Ertrag und  den als Ziel definierten Mitteleinsatz. Schauen wir uns das abschließend am Beispiel von weiter oben an: Du definierst (Zielsetzung) die Forderungslaufzeit z. B. als max. zehn Tage nach Faktura. Das ist Dein Wunsch- und auch Dein Vergleichswert, an dem Du Deinen Erfolg später misst. Du setzt ein Projekt auf und nach einem halben Jahr bist Du bei zehn Tagen angekommen. Das jedoch ist noch nicht Effizienz. Das ist erst einmal nur Effektivität. Denn Du hast zwar das Ziel erreicht, den Mitteleinsatz (hier: Zeit, welche die Umsetzung Deines Ziels benötigt) aber nicht betrachtet. <?page no="128"?> 128 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Im Fall sahen die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wie folgt aus: Maßnahme Wirksamkeit Zeitaufwand 1 2 3 4 5 6 20 Prozent 10 Prozent 10 Prozent 40 Prozent 10 Prozent 10 Prozent 5 Tage 1 Tag 1 Stunde 1 Tag 2 Tage 3 Tage Abbildung 27 | Beispiel Fleiß Die Lösung des Problems hatten wir so angenommen: Maßnahme Wirksamkeit Zeitaufwand 2 3 4 5 10 Prozent 10 Prozent 40 Prozent 10 Prozent 1 Tag 1 Stunde 1 Tag 2 Tage Abbildung 28 | Beispiel Fleiß 2 Das Ziel war, 70 Prozent des Möglichen zu erreichen, das sind die definierten zehn Tage. Ergebnis: Du hast das Ziel unter Berücksichtigung von  Wirksamkeit (Effektivität) = Senkung auf zehn Tage und  Wirtschaftlichkeit = das binnen 4,5 Tagen <?page no="129"?> 10 Das Effizienzoptimum 129 erreicht. Erst beides zusammen, mein Freund, ist Effizienz. Die Realisierung erfolgte mit einer Punktlandung bezüglich der Zieldefinitionen  Effektivitätsziel = Forderungslaufzeit und  Wirtschaftlichkeitsziel = Zeitraum der Umsetzung. Die Forderungslaufzeit von 10 Tagen wurde mit minimalem Zeitaufwand erzielt: 1 Tag + 1 Tag + 2 Tage + 1 Stunde = 4 Tage und 1 Stunde. Es war die wirtschaftlichste Lösung, die Maßnahmen 4 und 2 und 3 und 5 umzusetzen, um eine Senkung der Forderungslaufzeit auf 10 Tage zu erreichen. Etwas ist also immer dann effizient, wenn es für ein Ziel einen möglichst geringen Aufwand benötigt. Merke | Die grundlegende Fragestellung der Effizienz lautet also: Was ist der minimale Aufwand, um an das (effektive) Ziel zu kommen? Wir sollten die Erkenntnisse noch einmal visualisieren: Abbildung 29 | Was ist Effizienz? Diese Definition hilft jedoch nicht bei dem Störgefühl, das einen beschleicht, wenn sich beispielsweise jemand stolz zeigt, dass er mit wenig Aufwand im Schulabschluss die Durchschnittsnote 3 erreicht hat. Eitel kolportiert er, nicht so blöd gewesen zu sein, seine Zeit mit Lernen verschwendet und stattdessen das Leben genossen zu haben. Dieser Jemand ist tatsächlich effizient, denn: <?page no="130"?> 130 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Zielsetzung = Note 3 (erreicht) + geringstmöglicher Aufwand (kaum gelernt) = Effizienz ? Klasse Leistung. Wie gesagt, eine gewisse Irritation bleibt. Solche Menschen sind effizient, begehen den Fehler aber am Anfang bei der Zieldefinition. Sie sind nicht motiviert genug, das „richtige“ Ziel zu bestimmen. Ein solches Verhalten hat seine Ursachen in der dauerhaften Wirkung von Gefühlen, aus denen Wertvorstellungen wie folgende entstehen:  Waren sie als Kinder gute Schüler und wurden von ihren Eltern nicht entsprechend gelobt, hat sich möglicherweise die Wertvorstellung „Leistung lohnt sich nicht“ bei ihnen verfestigt.  Hatten sie dagegen schlechte Leistungen und die Eltern hat das ebenfalls nicht interessiert, könnte sich die Einstellung „Schlechte Leistung hat keine Folgen“ festgesetzt haben. Auch das ist wieder Selbstbetrug. Abbildung 30 | Was ist Selbstbetrug? <?page no="131"?> 10 Das Effizienzoptimum 131 So weit, so gut. Als Mitarbeiter wird Dir diese Herangehensweise bei der Umsetzung Deiner Ziele helfen. Als Manager ist das nur der kleinere Teil Deiner Arbeit. Denn Du musst Dich nicht nur um Dich (Selbstcoaching), sondern vor allem um die Ergebnisse Deiner Kollegen (Mitarbeitercoaching) kümmern. Schauen wir uns Deine Arbeit an Dir selbst einmal in der Praxis an. Punktlandung - Ein Beispiel für Effizienz Geschichte | „Viel Glück, Christian“, ruft Matze herüber. Ich nicke ihm kurz zu. Er grinst und brüllt fragend: „Hose voll? “ Ein gequältes „Nee“ schiebt sich zwischen meinen Zähnen hindurch. Aufgeregt bin ich schon, aber Hose voll? Das wäre übertrieben. Ich steige in die Z42. Anschnallen, Checks machen, Triebwerk anlassen. Alles Routine. „Das kannst Du“, denke ich und „Entspanne Dich! “ Ich lasse das Flugzeug sanft anrollen. Es ist ein diesiger Tag in diesem April 1988. Das Triebwerk brummt vor sich hin und mein Gefährt schiebt sich genüsslich in Richtung Startlinie. Das Fahrwerk holpert über die nasse, bucklige Grasnarbe. „Hm“, denke ich, „das könnte bei der Landung etwas rutschig werden. Du darfst auf keinen Fall zu weit hinter das Landekreuz kommen, sonst wird es bei diesem Boden zu kurz zum Ausrollen.“ Denn das würde, im besten Fall, bedeuten durchstarten zu müssen, im schlimmsten Fall lande ich in der Baumreihe am Ende der Piste. Durch die Prüfung zu fallen wäre dann das geringste Problem. Denn heute ist der Tag, an dem ich meinen Alleinflugschein mache. An der Startlinie angekommen trete ich in die Eisen. Erlaubnis zum Start erteilt. Volllast. Bremsen lösen. Die Maschine rollt, immer schneller. Es wird ruppig, der Boden zeigt, was er kann, so, als wenn er das Flugzeug abschütteln wollte. Ich ziehe den Steuerknüppel an mich. „Heb schon ab, los, hoch mit Dir.“ Mit einem Hüpfer verlässt die Z42 den Boden. Das Triebwerk klingt in diesem Moment anders. Heller. Freier. Das <?page no="132"?> 132 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte fällt mir heute sehr deutlich auf. „Darüber habe ich früher nie nachgedacht“, schießt es mir durch den Kopf. „Woran das wohl liegen mag? “ Ah, wahrscheinlich die Abstandsveränderung zum Boden, dadurch wird … „Ruhe, verdammt noch mal, konzentriere Dich“, herrsche ich mich in Gedanken an. „Fokus, mein Freund, Fokus.“ Der Doppelsitzer hat Normalflughöhe erreicht und biegt in die Platzrunde ein. Nun habe ich ein wenig Zeit. Ich genieße den Ausblick. Linkerhand liegt Beelitz, und ich kann eine Menge gammliger Häuser erkennen. Auch Ruinen sind darunter. Oder sind das doch alles Ruinen? Gardinen in den Fenstern sagen gar nichts aus darüber, ob ein Haus bewohnt ist. Es ist nicht nur das Wetter, das diese Stadt so trist aussehen lässt. Die Kurve 2 ist erreicht, ich trete links in die Pedale und kippe den Steuerknüppel in dieselbe Richtung. Sanft dreht sich die Maschine in die Seitenlage, stopp, hier sind es etwa 30 Grad Neigung, Ruder wieder in die Ausgangsposition. So, und jetzt wieder zurück auf die Gerade kommen, die Ruder allesamt in die andere Richtung und das Flugzeug waagerecht bringen. Gut so. „Westberlin müsste jetzt nördlich, rechts parallel zum Rumpf liegen“, denke ich noch und habe auch schon die dritte Kurve passiert. Vorbereitung auf die Landung. Die Höhe stimmt, es sind exakt 200 Meter. Ich biege in die letzte Kurve ein. „Ruhig bleiben, das wird schon“, habe ich noch Matzes Worte von gestern Abend im Ohr. Landebahn gerade voraus. Ich ziehe den Schubhebel vollständig an mich heran, das Triebwerk dreht im Leerlauf. Es wird gespenstisch ruhig, das Brüllen der Maschine ist sanftem Brummen gewichen. Ein leiser Wind zischt über die Tragflächen. Jetzt lasse ich die Landeklappen herausfallen, ein Ruck geht durch die Z42, sie wird für einen Moment zurückgeworfen. Die Strömung bricht sich an den überraschenden Barrieren und rüttelt daran. Die Ruhe ist verschwunden und weicht einem ungeduldigen Lärm. Die Luft wird lauter, unruhiger, fast ein bisschen wie, bei Sturm an der Ostsee. Man kann <?page no="133"?> 10 Das Effizienzoptimum 133 spüren, wie die Strömung mit den Landeklappen kämpft, an ihnen reißt und zerrt und die Maschine dadurch unruhig werden lässt. „Ja, das wird passen“, denke ich, „das Landekreuz müsstest Du so in etwa treffen können.“ Ich halte die Nase des Flugzeuges leicht oben, sodass die Maschine auf dem Luftkissen unter ihr zu Boden gleiten kann. Immer wenn der Wind die Z42 aus der Bahn drückt, steuere ich mit den Rudern dagegen an. Einmal muss ich ein wenig korrigieren und wieder Schub geben, sonst würde es nicht bis zum Zielpunkt reichen. Und das wäre eine 5, ZK, zu kurz, also auch durchgefallen. Unmittelbar vor dem Kreuz ist die Maschine knapp über dem Boden. Die Nase weiter oben halten, ein kurzes Rumsen, das Flugzeug hat den Boden berührt und rollt aus. Ich schaue nach links. Da ist es, das Landekreuz. Direkt neben mir. Punktlandung! Diese Geschichte ist ein Beispiel für Effizienz. Was waren die wesentlichen Zutaten für den geglückten Flug und vor allem für die Landung (die Effizienz des Piloten)? Das Landekreuz ist das (z. B. mit Pareto bestimmte) Ziel, das dem Piloten als optimal gilt. Zu kurz zu landen hätte ihn durch die Prüfung fallen lassen. Zu weit vielleicht auch oder doch zumindest eine schlechte Note einbringen können, denn er hätte durchstarten und, Platzrunde inklusive, den Landeanflug wiederholen müssen. Dieser Pilot hatte früher nur auf Anweisung seines Fluglehrers im Rahmen der Ausbildung versucht, eine Punktlandung zu machen. Nie beteiligte er sich am Kräftemessen der Kameraden, wenn es darum ging, wer die meisten davon schafft. An diesem einen Tag allerdings erschien sie ihm die richtige Wahl, weil sie mit dem geringsten Risiko für eine erfolgreiche Landung und Prüfung verbunden war. Der Pilot hatte das Effizienzoptimum erreicht. Er hat <?page no="134"?> 134 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte  ein Ziel (heute einmal am Landekreuz runterkommen, denn heute ist es wegen der Wetterverhältnisse sinnvoll) definiert und es  mit der geringstmöglichen Energie umgesetzt (Schub raus, dann segeln, kein Neustart nach Landung wegen nicht ausreichender Landebahn). Sicher, ab und an musste er nachsteuern und mit den Rudern und der Last arbeiten. Aber das war nicht seine „Schuld“. Ohne die kaum vorhersehbaren Wettereinflüsse hätte er die Z42 mit noch weniger Aufwand heruntergebracht. Dagegen lag es in seiner Verantwortung, die nötigen Korrekturen vorzunehmen. An diesem Beispiel kannst Du erkennen, wie wichtig es ist, das Effizienzoptimum anzustreben. Dass es selten erreicht wird, darf nicht dazu führen, dass Du Dir nicht dieses Ziel setzt und so handelst, dass Du es erreichen kannst. Nur das Anstreben des Effizienzoptimums bringt Dich in seine Nähe. In meinem Beispiel mit der Abschlussnote habe ich die Wirkung von Emotionen auf Ziele, also unter Effektivitätsgesichtspunkten, beschrieben. Aber haben Gefühle nicht auch Einfluss darauf, in welcher Art und Weise wir Angelegenheiten erledigen, also auf die Wirtschaftlichkeit unserer Handlungen? Ich denke: Ja. Denn da werden zum Beispiel Aufträge so ausgeführt, „wie man es immer schon getan hat“. Hier geht es demjenigen nicht um wirksame Arbeitsleistung, sondern um die eigene Sicherheit („Ich mache es wie immer, dann kann mir nichts passieren.“). Auch das Sicherheitsbedürfnis ist ein Gefühl, das auf Angst basiert. Also können Emotionen auch im Rahmen des „Wie viel Aufwand benötige ich dafür? “ eine Rolle spielen. <?page no="135"?> 10 Das Effizienzoptimum 135 Abbildung 31 | Das Effizienzoptimum Peter F. Drucker schrieb einmal: „Es ist besser, die richtige Arbeit zu tun, als eine Arbeit richtig zu tun.“ Besser ist es wohl, aber nicht effizient. Der Aussage stimme ich darum nicht zu, sie müsste wie folgt lauten: Merke | Erledige die richtigen Arbeiten (= Effektivität) und diese auch auf richtige Art und Weise (= Effizienz). Damit sind wir am Ende dieses Kapitels. Fazit | Effizienz fügt Effektivität eine Art und Weise der Umsetzung hinzu, die den geringsten Aufwand (Wirtschaftlichkeit) erzeugt. Bei der Entscheidung, was effektiv und was wirtschaftlich ist, müssen Emotionen außen vor bleiben. Was bedeutet das in der Führung? Schau immer nur auf die Ziele, die Deine Mitarbeiter haben und auf die Art und Weise, wie sie diese erreichen. Die Anzahl der geleisteten Stunden ist kein Maßstab. Dafür kann nur das Effizienzoptimum herangezogen werden. <?page no="136"?> 136 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte 11 Das 2P-Kontinuum Eines der Synonyme für die Digitalisierung ist Tempo. Betrachtest Du deren Wirkung auf den Einzelnen, dann ist es Zeitdruck. Daraus kann ein Mangel an Qualität entstehen. Wie Du die beiden Bereiche erfolgreich kombinierst, also in kurzer Zeit hohe Qualität ablieferst, verrate ich Dir im folgenden Abschnitt. „Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will.“ Das sagte einst Leonardo da Vinci und meinte damit wohl die Erfahrung, dass Du immer genügend Zeit für das hast, was Du erledigen möchtest. Das klingt ein wenig wie das Parkinson’sche Gesetz, beinhaltet aber eine weitere Dimension. Es geht um den Willen desjenigen, „der sie (die Zeit) nutzen will“. Daran fehlte es der oben erwähnten älteren Dame offensichtlich, vergleichst Du sie mit dem Manager. Bei letzterem wirkt das 2P-Kontinuum. Ein Kontinuum beschreibt etwas „kontinuierlich, lückenlos Zusammenhängendes“ (Duden, 2021). In diesem Kapitel geht es um die kontinuierlich und lückenlos aufeinander wirkenden Gesetze der Herren Pareto und Parkinson. Das Instrument hat Tim Ferris bereits in der hier benutzten Quelle erwähnt. Ich habe es für Managementzwecke beschrieben und in Selbstversuchen eingehend getestet. Es funktioniert vorzüglich als Booster für Zeitmanagement bei gleichzeitig hoher Qualität der Arbeit. Das klingt, schon wieder, wie ein Quadratkreis. Tatsächlich ist es nur die bewusste und konsequente Anwendung bekannter Gesetzmäßigkeiten. Schauen wir zunächst auf die beiden „P“: Das Pareto-Optimum: Du erinnerst Dich? Zielsetzungsprozess. Der basiert auf der Frage „Wie viel Prozent eines Problems will ich lösen? “. Das ist Effektivität. Was sparst Du mit dieser Frage? Zeit, denn Du fokussierst Dich, durch die pass- <?page no="137"?> 11 Das 2P-Kontinuum 137 genaue Beschreibung des Zieles, auf das Wichtige eines Themas. Nebensächlichkeiten lässt Du beiseite und verschwendest keine Ressourcen darauf. Das Parkinson’sche Gesetz: Ich hatte folgendes Update formuliert: Du schaffst Arbeit immer in der zur Verfügung stehenden Zeit. Stelle Dir die Frage: Wie erreiche ich mein Ziel mit möglichst minimalem Aufwand? Das Ergebnis ist Wirtschaftlichkeit. Was sparst Du damit? Ebenfalls Zeit. Denn je weniger Zeit Du Dir für die Erledigung einer Aufgabe nimmst, desto effizienter wirst Du, notgedrungen, arbeiten. Abbildung 32 | Das 2P-Kontinuum Merke | Das 2P-Kontinuum beschreibt die dauerhaft auf- und miteinander wirkenden Gesetze der Herren Pareto und Parkinson auf den produktiven Einsatz der Ressource Zeit bei gleichbleibendem Output. <?page no="138"?> 138 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Wo ist der Unterschied zum Effizienzoptimum? Es gibt keinen. Das 2P-Kontinuum beschreibt es lediglich bezüglich der Ressource Zeit. Es ist also ein Zeitmanagement-Werkzeug. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du keine Idee hast, was gemeint ist. Wenn Du jedoch erahnst, wo ich hin will, dann fehlt Dir vermutlich der Glaube, dass ich es ernst meine. Um Missverständnisse auszuräumen, beschreibe ich im Folgenden meine Vorgehensweise in ihrer zeitlichen Abfolge: Beispiel | Erstellen einer Konzeption zur Senkung der Forderungslaufzeit Schritt 1 - Zielbestimmung mit Pareto: Die Vorgabe meines Auftraggebers ist: binnen 30 Tagen. Darauf habe ich keinen Einfluss gehabt. Weitere Einschätzung: Ich benötige 8 Stunden für die IST-Analyse und 6 Stunden für die SOLL-Konzeption. Die Präsentation sollte in ca. 2 Stunden erstellbar sein. Schritt 2 - 2P-Zeitplanung: Wir haben den 1. des Monats. Nach meiner Erfahrung ist es besser, zwischen IST-Analyse und SOLL-Konzept ein paar Tage Abstand zu lassen, damit sich die gesammelten Informationen setzen und unterbewusst verarbeitet werden können. Am 31. werde ich präsentieren. Daraus ergibt sich: IST-Analyse = 20. des Monats - 4-Stunden-Block anstelle 8 Stunden SOLL-Konzeption = 26. des Monats - 3-Stunden-Block anstelle 6 Stunden PPT-Präsentation = 28. des Monats - 1-Stunden-Block anstelle 2 Stunden Ich reduziere also die gefühlt nötige Arbeitszeit bewusst auf 50 Prozent. Die Puffer zwischen den Terminen dienen dem Schutz vor Überraschungen. Wichtig sind sie auch als Priming-Phasen. So hat das Unterbewusstsein Gelegenheit, den Problemlösungsmotor vorzuglühen. Zu dieser Methode würde da Vinci wohl zusammenfassen: „Du hast Dir genügend Zeit genommen, indem Du sie genutzt hast.“ <?page no="139"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 139 Oder, wie es einer der Skatkumpane meiner Jugend immer treffend formuliert hat: „Ein guter Spieler nimmt sich so viel, wie er braucht.“ Fazit | Willst Du das 2P-Kontinuum nutzen, musst Du Dir zweierlei merken: 1. Reduziere die Aufgabe auf das Wichtige, um den Zeiteinsatz zu verkürzen - nutze also das Pareto-Prinzip als Zielsetzungsinstrument. 2. Verkürze Deine Arbeitszeit weit unter das gefühlt nötige Level, um Dich zur Wirtschaftlichkeit zu zwingen - nutze also bewusst das Update des „Parkinson’schen Gesetzes“. 12 Musst Du alles tun, was geht? Das Multitasking-Missverständnis Geschichte | Eine Gruppe Schüler geriet in Streit über die Frage, was Zen denn sei. Sie entschieden, Meister Sazen zu fragen. „Meister, kannst Du uns erklären, was Zen ist? “ „Nun“, sagte dieser, „das ist einfach: Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich, und wenn ich gehe, dann gehe ich. Das ist Zen.“ Enttäuscht meinten die Schüler: „Aber das tun wir doch auch. Wenn das Zen ist, wozu müssen wir dann auf dieser Schule sein? “ „Nun“, sagte Sazen, „Ihr habt Zen nicht verstanden. Denn während Ihr esst, dann steht Ihr in Gedanken auf. Wenn Ihr steht, dann geht Ihr schon in Eurem Geist, und wenn Ihr geht, dann seid Ihr in Eurer Fantasie bereits am Ziel angekommen.“ (Moestl, 2013) <?page no="140"?> 140 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Die meisten Menschen tun mehrere Dinge gleichzeitig und sind darum nicht fokussiert auf die eine, wichtige von den vielen Angelegenheiten, die sie gleichzeitig tun. Sie erledigen alle ihre Aufgaben jeweils nur mit einem Teil der Kraft, die sie nutzen könnten. Woher kommt das? Zum einen gibt es in der westlichen Welt keine Kultur der Ruhe und des Fokus. Alles muss, kann und wird gleichzeitig getan, die Menschen leben in einem Rausch von Geschäftigkeit. Wesentlicher Treiber dafür ist die falsch verstandene Digitalisierung. Und zum anderen ist da diese eine, verrückte Sache, die auf viele wie eine heilige Schrift wirkt, nämlich: Multitasking. Gemeinhin wird mit Vergnügen kolportiert, wenn jemand, vor allem eine Frau, multitaskingfähig ist. Wegen des süffisanten Grinsens der Damen beim Zitieren dieser Behauptung lässt sich vermuten, dass das auch etwas Großartiges sein muss und dass derjenige, der diese Eigenschaft nicht hat, doch arm dran sei. Da lohnt es sich, vor allem als Mann, einmal genauer hinzusehen. Schließlich wird mein Geschlecht gerne als unfähig beschuldigt, mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen zu können. Schauen wir uns daher einmal zwei Kombinationen an:  Autofahren und Musikhören und  Duschen und Musikhören. Hast Du einen Führerschein? Hast Du während Deiner ersten Fahrstunde Musik gehört? Bei mir war es nicht so, bei jedem anderen, den ich kenne, auch. Ich kann mich zudem nicht erinnern, überhaupt jemals bei den Fahrstunden das Radio angemacht zu haben, geschweige denn, der Fahrlehrer hätte das getan. Warum war bzw. ist das so? Weil ein Fahrschüler noch nicht über ausreichend Übung im Autofahren verfügt, um auch noch gleichzeitig mit Ablenkung durch Musik umgehen zu können. <?page no="141"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 141 Wie ist es beim Duschen, kannst Du da problemlos Musik hören? „Natürlich! “, wirst Du sagen. Wo ist der Unterschied zwischen Musikhören in der Fahrstunde und beim Duschen? Er liegt im jeweils unterschiedlich notwendigen Fokus auf die beiden Tätigkeiten „Autofahren“ und „Duschen“. Bezogen auf das Thema Leistung bedeutet das: Nur, weil man etwas gleichzeitig tun kann, heißt das noch lange nicht, dass es auch sinnvoll ist, das zu tun. Die Aussage, dass Multitasking möglich ist, führt Dich auf einen Irrweg. Denn sie vernachlässigt, dass es mit Qualitätsverlust bei den erledigten Tätigkeiten einhergeht. Dieser Fakt gewinnt erst recht an Bedeutung, wenn Du den Anspruch hast, Deine Arbeit immer hochwertig ausführen zu wollen. Ja, wir sind in der Lage, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Aber wahr ist auch:  Je anspruchsvoller die Tätigkeit ist, die wir erledigen, umso mehr Konzentration verlangt sie.  Und je weniger Fokus wir einsetzen, desto geringwertiger ist das Ergebnis der Arbeit. Ich für meinen Teil bin nicht multitaskingfähig, wenn ich den Anspruch an meine Leistung mit einbeziehe. Und Frauen sind es im Übrigen auch nicht. Durch den Glauben an das Multitasking-Missverständnis füllst Du den Motor der geistigen Arbeit, Deine Konzentration, mit schlechtem Sprit. Er läuft, stottert aber wegen der andauernden Fehlzündungen. Wenn Du so arbeitest, entscheidest Du Dich dafür, dass das Ergebnis Deiner Arbeit schlechter wird. Das kannst Du auch als Störung Deiner Leistungsfähigkeit bezeichnen, die Du selbst verursachst. Es gibt auch noch eine andere Ursache für mangelnde Konzentration. Das sind die Unterbrechungen, die Du nicht selbst entschieden hast. <?page no="142"?> 142 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Theorie: Das Leistungsmaximum eines Menschen Tritt eine Unterbrechung auf, wird in der Literatur gerne vom sogenannten Sägezahneffekt gesprochen. Immer dann, wenn Du gestört wirst, benötigt es eine gewisse Zeit, um wieder voll im Thema zu sein. Abbildung 33 | Sägezahneffekt (ungesteuerte Störkurve) Eine Störung bedeutet nichts anderes, als dass Dir Kapazität für die wichtigen Themen weggenommen wird. Ob es nun fünf oder zehn Minuten sind, unbestritten bleibt: Du verlierst Zeit und vielleicht auch wertvolle Gedanken. So, wie hier dargestellt, wird Dein Arbeitstag aussehen, wenn Du nicht eingreifst. Um das zu vermeiden, musst Du die Phasen möglicher Unterbrechungen auf feste Zeitfenster begrenzen: <?page no="143"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 143 Abbildung 34 | Gesteuerte Störkurve Wie wir oben festgestellt hatten, ist Leistung ein Synonym für Effektivität oder auch Wirksamkeit. Das Leistungsmaximum eines Menschen setzt sich aus Leistungspotenzial mit den Faktoren Wissen und Fähigkeiten, interne sowie externe Störfaktoren zusammen. <?page no="144"?> 144 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Abbildung 35 | Leistungsmaximum Dass der Erwerb von Wissen nötig ist, steht außer Frage. Wie aber wirken Störungen auf unser Leistungsmaximum? Fähigkeiten unter dem Einfluss von Störungen abzurufen ist erlernbar und kann trainiert werden (z. B. Autofahren und dabei Musik hören). Dennoch ist sicher, dass Du in Deinen Ergebnissen tendenziell schlechter wirst, wenn Du gestört bist. Darum sage ich: Nur, weil es geht, muss man es nicht tun! Schauen wir einmal in Deinen Arbeitstag. Die Gehirnforschung behauptet, dass ein Mensch ca. 15 Minuten braucht, um nach einer Unterbrechung wieder in das Thema zu finden, das er gerade bearbeitet hat. 15 Minuten! Mein Gefühl sagt mir: Ja, das kommt hin. Zumindest dann, wenn ich mich mit anspruchsvollen Denkaufgaben beschäftige. Die genannte Zeitspanne umfasst den Zeitpunkt der Störung, das Reagieren darauf, das Interagieren mit dem Störenfried etc. pp. Schauen wir uns das einmal an einem Beispiel an. Für diesen Fall habe ich den Rückfindungszeitpunkt bei 4 min gekappt. <?page no="145"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 145 Diese Zeitspanne ist realistisch, wenn Du überhaupt etwas von Deiner Arbeit schaffen willst. Du würgst also den Störenfried ab. Beispiel | Eine Mitarbeiterin erzählt dem neuen Interim Manager, dass sie andauernd gestört wird. Auf die Frage „Wie oft? “ sagt sie, dass es etwa fünfzig Mal am Tag sei. In diesem Termin (Dauer eine Stunde) kamen drei Anrufe herein und vier Kollegen störten das Gespräch persönlich. Hochgerechnet auf einen Arbeitstag ergeben sich so 56 Störungen (7 * 8 h). Die Behauptung der Mitarbeiterin war also realistisch. Wenn man nun annimmt, dass eine Störung im Durchschnitt zwei Minuten dauert und dazu noch zwei Minuten zum Wiedereinfinden in die Tätigkeit kommen, erhält man folgendes Ergebnis: (2 Min. + 2 Min.) * 50 Stück = 200 Min. = 3 h und 20 Min. = 41,66 % des 8-h- Arbeitstages Heutzutage wird der Fokus der Entwicklung und der Bewertung der Leistung eines Menschen meist auf sein Potenzial gelegt. Störfaktoren werden dabei regelmäßig außer Acht gelassen. Ein Mitarbeiter wird vor allem hinsichtlich seines Wissens und seiner Fähigkeiten (z. B. Methodenkompetenzen) ausgebildet und bewertet. Dafür werden große Summen ausgegeben, wenn man die Kosten der vorschulischen Betreuung, der Schule, der Universitäten, Fachschulen, Coaches, Personalentwickler usw. bedenkt. Aber es wird nicht dafür gesorgt, dass die nun gut ausgebildeten Mitarbeiter ungestört arbeiten können. Denn:  Das Telefon klingelt permanent und der Chef erwartet, dass man rangeht.  E-Mails schlagen im Minutentakt auf.  Alles ist dringend und eine Antwort ist sofort erwünscht. <?page no="146"?> 146 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Was ist zu tun? Fazit | Wenn Du davon ausgehst, dass Du genug Wissen hast, Deine Fähigkeiten hervorragend ausgeprägt sind und Du Dich fokussierst (also innere Störfaktoren beseitigt hast), dann schreit es Dich förmlich an: Eliminiere externe Störquellen! Praxis: Das Leistungsmaximum eines Menschen tatsächlich erreichen Eine Voraussetzung für Höchstleistungen ist, neben Fachwissen und Fähigkeiten, die Konzentration auf die eine Tätigkeit, die Du gerade ausübst. Darum ist meine Empfehlung, nur immer eine Sache zu erledigen und, vor allem, dabei so wenig Störungen wie möglich zuzulassen. Merke | Dein Leistungsmaximum erreichst Du durch die Kombination von Fokus und dem Eliminieren aller Störfaktoren. Ein Problem ist, dass Unterbrechungen durch Störer nicht als das gesehen werden, was sie sind: eine egogetriebene Behinderung Deiner Leistungsfähigkeit. Das hat mit fehlendem Bewusstsein des anderen und seiner Unkenntnis der obigen Definition zu tun. Zusätzlich glauben viele Menschen auch an das Multitasking-Missverständnis und denken deshalb, dass Störungen in Ordnung sind. Hinzu kommt, dass Kollege Störenfried sein Problem loswerden will, es ihm also um die Durchsetzung eigener Interessen geht. Diese Ausrichtung impliziert Egoismus, sprich: Deine Ungestörtheit ist ihm tendenziell zunächst einmal egal. Menschlich ist das nachvollziehbar. Störer verhalten sich immer egoistisch, denn sie wollen Lösungen von Dir <?page no="147"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 147 für etwas, was in ihrer Verantwortung liegt. Im Gegenzug verlierst Du bei Deinen (wichtigen) Themen Zeit, weil Du von vorne beginnen musst. Im schlimmsten Fall ist jedoch der Gedanke, der vielleicht gerade da und entscheidend war, einfach weg. Ich löse das Problem über störungsfreie Zeiten. Wie jedoch bekomme ich das hin? Dabei hilft mir eine Regel aus dem Bereich Führung und Kommunikation, die erst in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Sie lautet: Merke | Sei immer erreichbar, aber nicht immer ansprechbar. Ursächlich dafür sind verschiedene Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Durch die exponentiell steigenden Datenmengen wuchs auch die Menge der übermittelten Informationen entsprechend. Damit einher ging eine umfangreichere und komplexere Kommunikation. Das alles müssen Menschen in derselben zur Verfügung stehenden Zeit wie früher bewältigen. Ein echtes Problem, wie jeder Betroffene bestätigen kann. Mit dem Aufkommen von Homeoffice und virtuellen Teams wurde klar, dass das Remote einen elementaren Unterschied zum Präsenzarbeiten hat: Es fehlt an zufälliger Kommunikation. Kein Treffen auf dem Flur, in der Küche, bei der Mittagspause oder beim Rauchen und damit auch kein zufällig möglicher Austausch. Stören wird so unmöglich. Hingegen geht in virtuellen Teams ohne organisierte Kommunikation kaum etwas. Die Mitglieder dieser Gruppen erkannten schnell: Das ist ein Vorteil gegenüber der Präsenzkultur. Dort kannst Du kaum „nicht-ansprechbarsein“, ohne ungläubiges Staunen zu ernten. In virtuellen Teams ist das anders. Denn niemand weiß, warum Du nicht ansprechbar bist. Vielleicht sitzt Du ja gerade in einem Meeting. Das „Nicht-ansprechbar-Sein“ ist in der virtuellen Arbeitswelt Normalität, Ansprechbarkeit ist dort ein (zu organisierender) Ausnahmefall, nämlich <?page no="148"?> 148 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte mit virtuellen Meetings. Die Regel „Sei immer erreichbar, aber nicht immer ansprechbar“ habe ich aus der digitalen in die Präsenzarbeitswelt zurücktransferiert. Die spannende Frage für Dich ist sicherlich: Wie mache ich das konkret? Tipp | Ich arbeite hier mit einer Doppelstrategie. Teil 1 besteht im Organisieren störungsfreier Zeiten über Outlook:  Ein Baustein ist, dass ich alles in vorher organisierten Terminen bespreche. Das verringert die Wahrscheinlichkeit von Störungen, weil die Mitarbeiter sich natürlich umfassend vorbereiten und dadurch weniger unvorhergesehene Nachfragen entstehen.  Ein weiterer ist der fixe tägliche Termin, den ich für Nachfragen reserviert habe. Der ist dann auch allen bekannt. Ich bin immer in einer bestimmten Zeit ansprechbar. Da die Kollegen das wissen, verzichten sie meist auf Störungen.  Letztlich habe ich verschiedene Terminblöcke für das Bearbeiten wichtiger Themen für mich reserviert. Teil 2 ist der des Erklärens und Durchhaltens von Teil 1 und damit führen und sich selbst führen. Es ist Standard, dass ich einem Störer sage,  dass ich mich jetzt nicht um sein Problem kümmern werde/ kann und ihn um einen Termin per Outlook bitte, und ich  dem Störenfried den Unterschied zwischen Dringlichkeit und Wichtigkeit erläutere, und  ich alle Telefone auf lautlos stelle und auch konsequent nicht rangehe, wenn es blinkt und  ich Outlook offline schalte, um nicht versucht zu sein, mich von eingehenden Mails ablenken zu lassen etc. pp. <?page no="149"?> 12 Musst Du alles tun, was geht? 149 Es scheint, als wäre ich permanent nicht ansprechbar? Korrekt. Zumindest nicht für dringlich drängelnde Störer. Diese Vorgehensweise ist immer ein Kampf in jedem Unternehmen und wird am Beginn eines Mandats wenigstens mit Stirnrunzeln kommentiert. Die Menschen sind es nicht gewohnt, dass jemand nicht permanent ansprechbar ist. Wenn Du nicht darin geübt bist, einen Störer abzuwimmeln, musst Du Dich auf entsprechende Situationen vorbereiten. Übung | Stelle Dir vor, dass einer Deiner Mitarbeiter, Dein Chef oder irgendeine Person, bei der Du Dich sonst nicht traust, Nein zu sagen, in Dein Büro kommt und Dich in einer dringenden Sache um Hilfe bittet. Wie sieht sein Gesicht aus? Wie warm ist es im Raum? Wie hell? Kannst Du etwas riechen, vielleicht ein Parfüm? Dein Gegenüber fragt Dich, ob Du etwas für ihn tun kannst. Jetzt sprich Deine Antwort, ganz langsam, selbstsicher und ohne Angst, und laut vor Dich her: „Ich bin gerade in einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt, kannst Du bitte einen Termin machen? “ Stelle Dir nun vor, Dein Gegenüber schaut irritiert und sagt: „Es dauert nicht lange, können wir kurz …? “ Du lässt ihn ausreden und sagst, freundlich lächelnd: „Mir wäre ein Termin lieber, das hier ist sehr wichtig für mich. Oder schreib mir eine Mail, ich melde mich dann nachher noch einmal dazu.“ Der Kollege nickt verständnisvoll oder verständnislos und zieht von dannen. Es ist klar, dass diese Vorgehensweise zunächst dieselbe Zeit kostet, als wenn Du Dich sofort um die Bitte gekümmert hättest. So wie beschrieben vorzugehen ist <?page no="150"?> 150 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte dennoch besser. Es wird Chefs geben, die das nicht akzeptieren. Es wird Kollegen geben, die Dich weiter nerven. Aber wenn Du unbequem bist und es nicht jedem möglich machst, Dich zu unterbrechen, wirst Du mittelfristig aus dem Störteufelskreis ausbrechen können. Irgendwann werden die meisten Kollegen von allein eine Mail schreiben oder einen Termin einstellen, anstatt „nur mal kurz“ dringlich drängelnd in Deinem Büro vorbeizuschauen. Die Anzahl der Unterbrechungen reduziert sich merklich. Fazit | Multitasking ist ein Missverständnis. Diese Fähigkeit zu besitzen, heißt nicht, dass Du sie einsetzen musst. Denn je mehr Arbeiten Du gleichzeitig erledigst, umso weniger Konzentration hast Du für jede einzelne. Das bedeutet, dass die Qualität sinkt, selbst wenn Du mehr schaffst (Quantität). Benutzt Du Deine Multitasking-Fähigkeit, dann entscheidest Du Dich, tendenziell, gegen Qualität. Erledige also immer nur eine Arbeit zur selben Zeit. Und schaffe Dir dafür störungsfreie Zeiten. 13 Der Anfängergeist Wenn nichts mehr funktioniert In Deinem Leben gibt es täglich eine Unmenge an Situationen, mit denen Du umgehen musst. Du bewältigst sie in der Regel sehr gut. Allerdings lassen sich einige der Herausforderungen nicht sofort überwinden. Auf diese kannst Du beispielsweise QT anwenden. Hin und wieder aber gibt es Phasen, in denen die üblichen Herangehensweisen nicht mehr taugen. <?page no="151"?> 13 Der Anfängergeist 151 Beispiele | Du startest in einen Job in einem neuen Unternehmen, vielleicht sogar in einer Position, die Du bisher noch nicht ausgeübt hast. Kannst Du das wirklich schaffen? Du kennst die Kultur des neuen Arbeitgebers nicht. Wie sollst Du Dich verhalten, wenn es Gegenwind gibt? Schließlich hast Du eine Probezeit. Du bist seit 20 Jahren in Deinem Unternehmen beschäftigt, dass nun pleite gegangen ist. Der Job ist weg. Bewerbungen hast Du seit Ewigkeiten nicht geschrieben. Das letzte Vorstellungsgespräch ist genauso lange her. Dein Selbstvertrauen ist passé. Wie findest Du, in diesem Zustand, einen neuen Job? Dein Partner hat sich von Dir getrennt. Den Schmerz hast Du schon einigermaßen im Griff. Aber wie findest Du einen neuen Lebensgefährten? Willst Du das überhaupt? Und wenn ja, wie soll die Beziehung aussehen? Wenn Du auf solche Fragestellungen keine Antwort mehr weißt, dann machst Du noch immer den einen selben Fehler: Du stellst die falschen Fragen und kannst die richtigen, verdammt noch einmal, nicht finden. An dieser Stelle hilft Dir nur noch der Anfängergeist. Mit ihm zapfst Du Dein Kreativitätszentrum an. Nichts anderes ist der Anfängergeist. Ohne Kreativität wäre ich in meinem Job als Interim Manager erledigt. Denn regelmäßig komme ich in Unternehmen, die sich in verfahrenen Situationen befinden. Rien ne va plus, nichts geht mehr, das ist tatsächlich Realität, wenn ich auftauche. Alles scheint gesagt und getan, und dennoch steckt die betreffende Abteilung weiter in der Krise. Es ist offensichtlich: Ein Neu anfang ist nötig. Was mache ich? Ich schaue mir an, was existiert. Das nehme ich, mische eigenes Wissen hinzu, verbinde es mit Bestehendem, ordne es anders an, lasse etwas weg, priorisiere neu. So entstehen Lösungen, die vorher nicht denkbar waren. Diese Vorgehensweise sieht <?page no="152"?> 152 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte nach QT aus, oder? Wenn Du Question Thinking einsetzt, ist das zunächst eine IST- Analyse. Diese beinhaltet zugleich eine Bewertung des vorgefundenen Zustandes. Im Anfängergeist funktioniert das an dieser Stelle anders. Geschichte | Einst wollte ein Professor, der Zen lehrte, noch mehr darüber erfahren. Und so besuchte er den Meister Sazen. Nachdem sie einander begrüßt hatten, bat der Meister den Gelehrten, Platz zu nehmen. Sazen ging in die Küche, um Tee zu machen. Währenddessen referierte der Ordinarius über das, was Zen sei. Der Meister stellte eine Tasse auf den Tisch vor den Professor. Der sprach dabei unbeirrt weiter. Bald kochte das Wasser. Meister Sazen goss es in die bereitstehende Kanne. Und der Dozent? Schwätzte. Sazen wartete noch, bis das Getränk durchgezogen war. Unterdessen schossen Worte im Überfluss aus dem Mund seines Gastes. Der Meister nahm die Kanne mit dem heißen Tee, begab sich zu seinem Gast und begann einzugießen. Sein Besuch sprach dabei weiter. Als die Tasse des Professors voll war, stockte er kurz, sagte „Danke“ und erzählte dann unbeirrt weiter. Der Meister seinerseits hörte nicht auf, solange Tee einzugießen, bis die Tasse überquoll. Das Getränk ergoss sich zunächst in die Untertasse. Etwas später tröpfelte es auf den Tisch und schickte sich an, in Richtung Kante zu kriechen. Der Professor war erstaunt, redete aber weiter. Und Sazen? Er fuhr fort, Tee in die Tasse zu schütten. Als die Flüssigkeit die Tischkante erreichte, rief der Gelehrte: „Warum gießen Sie weiter, Meister, die Tasse ist doch bereits übervoll! “ Sazen erwiderte: „Wie kann ich Euch Zen lehren, mein lieber Professor, wenn Euer Geist mit Euren Vorurteilen über Zen so voll ist wie diese Tasse Tee hier? “ (Moestl, 2013) <?page no="153"?> 13 Der Anfängergeist 153 Abbildung 36 | Die Evolution des Denkens Was bedeutet die Antwort des Meisters? Das Wort „Vorurteil“ ist ein Synonym für „Bewertung“. Wenn Du etwas glaubst zu verstehen (Vorurteil/ Bewertung), es sich aber dennoch unverständlich verhält (Fehler), dann weißt Du logischerweise nicht alles. Das bedeutet, Du musst die Sache neu verstehen lernen. Das wiederum funktioniert nur, indem Du Dein „Wissen“ loslässt. Du betrachtest die ganze Angelegenheit so, als würde sie Dir zum ersten Mal begegnen. Das ist der Geist eines Anfängers. Um ihn zu verstehen, ist eine Abgrenzung zum QT und zum Pawlow’schen Denken hilfreich. Beim Question Thinking geht es darum, das automatisierte Stellen von Fragen durch ein bewusstes zu ersetzen. Im Anfängergeist dagegen fragst Du bewusst nichts mehr und erhältst dennoch bzw. genau darum <?page no="154"?> 154 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Antworten. Das ist auch etwas anderes als das Pawlow’sche Denken, bei dem Du Dir über Deine unbewussten Fragen und Antworten nicht klar bist. Wenn Du Antworten aus dem Anfängergeist erhalten willst, schaffst Du das nur über bewusstes Zulassen des unterbewussten Denkens, das Du vorher auf das Antwortgeben konditioniert hast. Im Anfängergeist beziehst Du die beiden Arbeitsbereiche Deines Gehirns, das Bewusstsein und das Unterbewusstsein, aktiv in die Lösungsfindung ein. Du erweiterst damit das Potenzial Deines Denkens, indem Du sie beide koordiniert benutzt. Du bist bereits Profi im Anfängergeist Die Beispiele oben kennt jeder von uns. Und viele dieser Situationen haben wir alle schon erfolgreich bewältigt. Das zeigt, dass jeder Anfängergeist „kann“. Eine andere Beschreibung dafür ist neugierige Aufmerksamkeit. So wie ein Kind es tut, betrachtest Du dann eine Situation offen und vorurteilsfrei. Wenn Du so denkst, ist Deine Tasse leer und bereit, mit neuen, aufregenden Getränken gefüllt zu werden. Der Zen-Meister Bernie Glassman bezeichnet Anfängergeist auch als Nichtwissen: „Sobald wir über etwas Bescheid zu wissen glauben, machen wir dadurch einen anderen Verlauf der Dinge unmöglich . Sobald wir nicht mehr aus dem Nichtwissen heraus leben, fixieren wir unsere Situation so, dass wir das unablässige „In-Erscheinung-Treten“ der Dinge und Ereignisse nicht mehr zu erleben vermögen. Die Dinge geschehen aber und nichts bleibt so, wie es ist. Indem wir … Vorstellungen darüber hegen, was unserer Meinung nach geschehen sollte, hindern wir uns selbst daran zu sehen, was tatsächlich geschieht. Uns entrüstet, wenn unsere Erwartungen sich nicht erfüllen. Gelingt es uns hingegen, sie loszulassen, befinden wir uns im Einklang mit dem, was in Erscheinung tritt.“ (Glassmann, 2012). Ich formuliere es einmal kurz und verständlich. <?page no="155"?> 13 Der Anfängergeist 155 Merke | Wenn Du alles zu wissen glaubst, wirst Du nicht erkennen, wenn Du den Punkt erreichst, an dem Dein vorhandenes Wissen nicht anwendbar ist. Ein solcher Glaube ist gefährlich. Denn die Dinge um Dich herum befinden sich in permanenter Veränderung. Damit ist die Zahl der möglichen Lebensumstände theoretisch unendlich groß. Du musst also zwangsläufig an einen Punkt kommen, an dem Deine in der Anzahl begrenzten Lösungsansätze Dir nicht mehr weiterhelfen können. Was ist der Ausweg aus diesem Dilemma?  Schritt 1: Erkenne, was wirklich ist (Realität respektive Wahrheit).  Schritt 2: Passe Dein Denken daran an.  Die meisten Menschen versuchen das andersherum. Sie benutzen Aspekte der Realität als Bestätigung für ihre Denkkonzepte. So entstehen dann zum Beispiel Verschwörungstheorien. Ich nenne das den „Geist-der-alles-weiß-Zustand“. Das ist Dein, sagen wir einmal, „Normalgeist“. Er ist die Basis Deiner Existenz. Und es ist der, in dem sich auch unser Professor befindet. Abbildung 37 | Der Geist, der alles weiß (… ist ein Problemgeist! ) <?page no="156"?> 156 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Würdest Du nicht annehmen, dass Du alles weißt, wäre Dein Leben voll von Unsicherheit. Du könntest, erst recht als Führungskraft, kaum (über)leben. Dieser Geist ist jedoch auch das Denken, das die Situationen erzeugt, die unlösbar erscheinen und darum problematisch für Dich sind. In diesem Zustand kannst Du die Facetten einer Situation oder eines Menschen nicht wahrnehmen. Weil Du glaubst, alles zu wissen, versuchst Du nicht, die Dinge anders zu sehen. Genau darum findest Du auch die Lösung für ein vertracktes Problem nicht. Der Anfängergeist ist das ultimative Problemlösungstool für die ganz schweren Fälle, denn: „In einem Anfängergeist existieren unzählige Möglichkeiten, im Geist eines Experten nur einige wenige.“ (Suzuki, 2016) Wir hatten festgestellt, dass wir alle Experten im Anfängergeist sind. Allerdings benutzen die meisten Menschen ihn nur, wenn sie nicht anders können, siehe die Beispiele eingangs des Kapitels. Warum eigentlich? Wäre es nicht besser, dieses mächtige Werkzeug gezielt einzusetzen? Wären wir nicht alle viel erfolgreicher? Der Weg in den Anfängergeist Um diesen Zustand zu erreichen, musst Du Deinen „Geist-der-alles-weiß“ für einen Moment schlafen legen. Lass ihn sich einmal ausruhen, er arbeitet schließlich Tag und Nacht. Indem Du Dich von ihm löst, befreist Du Dein Denken von den gewohnten Bewertungen und Urteilen, die Dich ja erst zu den Punkt geführt haben, an dem Du keine Lösung mehr findest. Bildlich gesprochen: Wenn Du Deine Teetasse auskippst, wird die Leere umgehend von etwas anderem ausgefüllt: dem Anfängergeist. Wenn Du das tust, bleibt Dein Wissen verfügbar. Du zapfst es nur nicht mehr, aktiv fordernd, an und malträtierst es mit falschen, von Vorurteilen gesteuerten Fragen. <?page no="157"?> 13 Der Anfängergeist 157 Stattdessen lässt Du es einfach machen und selbst eine Lösung finden. Dass das funktioniert, hast Du schon oft erlebt. Abbildung 38 | Der Weg zum Anfängergeist Kennst Du das? Du quälst Dich tagelang mit einem Problem, ohne ein Ergebnis zu bekommen. Dann, irgendwann, wenn Du das (vorläufig) Unlösbare akzeptiert hast, legst Du Dich eines Abends ins Bett und wachst am nächsten Morgen mit der Antwort auf. Da hat er gearbeitet, der Anfängergeist. Er wirkt immer dann, wenn Du das, was Dein Bewusstsein festhält, loslässt. Dabei geht es nicht darum, Dein Wissen zu „entsorgen“. Es geht nicht um Dein Know-How, dass Du loswerden musst, sondern um Deine Art, es zu benutzen. Das Ausrichten des Denkens (auf den Anfängergeist) geschieht durch eine Kombination aus zwei Handlungen:  Beobachten: Du beschränkst Dich auf das Betrachten des Problems. Fokussiere Dich darauf und versuche, all seine Facetten bewusst wahrzunehmen),  ohne zu bewerten: Das Nichtbewerten von Etwas basiert auf einer Handlung, wie wir gleich sehen werden, denn Du musst dabei etwas anderes tun. Beide Teile des Konditionierens werden sich zu Beginn Deines Weges in den Anfängergeist immer wieder abwechseln: Du versuchst zu beobachten, bemerkst aber, <?page no="158"?> 158 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte dass Du gleichzeitig bewertest. Eliminiere nun sofort Deine Bewertung und beginne von Neuem zu beobachten. Diesen Kreislauf wirst Du oft durchlaufen müssen, bevor das Denken zum Erliegen kommt und Du nur noch beobachtest. Ist das geschafft, befindest Du Dich im Anfängergeist. Das Eliminieren Deiner Urteile ist die Handlung, die dem Nichtbewerten vorausgeht und es erst möglich macht. Beispiel | Stelle Dir vor, Du sitzt im Auto. Hinter Dir fährt ein Pkw mit sehr geringen Abstand auf Dich auf. Du schaust genauer hin und glaubst einen jungen Mann zu erkennen. „Typisch“, denkst Du, „es ist immer dasselbe mit diesen Jungs. Sie fahren aggressiv und glauben, sie wären Michael Schumacher.“ Du bist in der Bewertungsspirale angekommen. Dein Urteil fiel blitzschnell und unbewusst: Ein junger Mann = aggressiver Fahrer. Es ist Ergebnis dessen, was in Deinem Unterbewusstsein als Vorurteil (= Programmierung) verankert ist. Deine Reaktion darauf könnte nun auch aggressiv sein, der andere ist es ja, in Deiner Bewertungswelt, ebenfalls. Also ein kurzes Antippen der Bremse, Scheibenwaschanlage betätigen, ein Hupen, einen Vogel zeigen usw. Du allerdings tust das alles nicht und gehst zurück auf Los. Du ignorierst Deine Bewertung und beobachtest wieder. Der Fahrer hinter Dir bewegt sich sehr viel während des Fahrens, als würde er etwas anderes tun, als sich auf die Straße zu konzentrieren. „Fummelt der da etwa im Fußraum rum? Mann, schau auf die Straße, wenn Du mir schon so dicht am Hintern klebst.“ Stopp, mein Freund, schon wieder hast Du bewertet. Unterbrich das und beobachte von Neuem. Du schaust noch einmal kurz in den Rückspiegel. Der Wagen ist immer noch dicht hinter Dir. Das Zappeln hat aufgehört. „Überhol doch, Spinner“, denkst Du und hast schon wieder bewertet. Du kannst das unendlich lange so weitermachen. <?page no="159"?> 13 Der Anfängergeist 159 Ich fahre sehr viel Auto und gebe zu, dass mich die Fahrstil anderer über Gebühr aufregen kann. Darum sind die beschriebenen Situationen auf der Autobahn eine perfekte Übung für mich geworden, in den Anfängergeist zu kommen. Fährt ein Fahrzeug dicht auf, beobachte ich es. Ich denke dann, nicht immer, aber viel öfter als früher:  Das ist ein Auto. (Beobachten, ohne zu bewerten = einfach etwas feststellen)  Es fährt dicht auf. (Beobachten, ohne zu bewerten = einfach etwas feststellen)  Was tue ich jetzt? (Fragen, ohne vorher bewertet zu haben) Sofort bin ich im Anfängergeist. Ich habe mich so konditioniert, dass die Abfolge der Sätze „Das ist …“, „Es macht …“, „Was mache ich …/ Muss ich überhaupt etwas machen? “, mich unmittelbar in den Anfängergeist bringen. Ich bewerte eine Situation dann nicht mehr durch den Filter von Emotionen, sondern betrachte die Fakten und stelle etwas fest. Meine Gefühle sind dabei außen vor und ich bin in der Lage, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Die lautet dann, bezogen auf das Beispiel, meist: Ich fahre schneller, um den Abstand zu vergrößern. Die Folge ist leider oft, dass das andere Fahrzeug die Geschwindigkeit ebenfalls erhöht, dran bleibt und nach kurzer Zeit wieder an mir klebt. Ergebnis: Nichts erreicht. Wenn das wie beschrieben passiert, warte ich den nächsten Lkw ab und hänge mich an diesen dran. Das hilft in den meisten Fällen und meine „Gegner“ fahren an mir vorbei. Oft sehe ich in dem anderen Fahrzeug dann eine junge Frau oder einen älteren Herrn (mit Hut) etc. pp. Spätestens jetzt fällt mir ein, dass  viele Menschen entweder anders Auto fahren als ich und dass das in der Regel nichts mit Aggressivität zu tun hat oder  ich selbst die Situation falsch wahrnehme/ interpretiere, denn, ab und an, fahre ich auch wie der „Spinner“ hinter mir und merke es gar nicht. <?page no="160"?> 160 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte  Das alles klingt wie das Beobachterselbst von Marilee Adams, nicht wahr? Und tatsächlich handelt es sich um dieselbe Vorgehensweise. Glück gehabt, mein Freund, Du musst also nichts Neues lernen. Abbildung 39 | QT vs. Anfängergeist <?page no="161"?> 13 Der Anfängergeist 161 Lass mich den Unterschied zwischen den Methoden noch einmal deutlich machen: Entscheidend ist der Punkt, an dem Du im Beobachterselbst angekommen bist (bis dorthin ist der Weg identisch). Bei QT fragst Du nun bewusst, im Anfängergeist lässt Du Dein Gehirn einfach machen. An einem Beispiel will ich nun noch erläutern, wie der Anfängergeist im Job wirkt. Beispiel | Ein neuer Mitarbeiter hat in der Abteilung begonnen. Du begrüßt ihn und weißt: Ich mag ihn nicht.“ Viele kennen dieses erste Gefühl. Woher kommt so etwas? Deine Reaktion auf den Kollegen hat zunächst einmal nichts mit Fakten zu tun, sondern mit Deinem Urteil über diesen Menschen  auf Basis Deiner Wertvorstellungen,  der Erfahrungen, die Du bisher im Leben gemacht hast und  sogar Deiner Tagesform. Natürlich findest Du später noch weitere Gründe, die Deine Bewertung bestätigen. Lässt Du Dir diese Herangehensweise durchgehen, führt das früher oder später zu Konflikten. Diese haben immer Auswirkungen auf Dich und Deine Kollegen und wirken auf die Qualität der Arbeit der Abteilung. Nun magst Du, als Mitarbeiter, denken: „Dann ist das halt so, das kommt vor.“ Diese Wahl hast Du in meinen Augen nicht, wenn Du verantwortlich handeln willst. Bist Du dagegen Manager und würdest mir so antworten, hättest Du meines Erachtens Deinen Job nicht verstanden. Was ihr beide nicht seht, Du (Sachbearbeiter) und Du (Führungskraft), sind die beschriebenen Risiken und vor allem die Chancen, die Euch mit dieser Denkweise <?page no="162"?> 162 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte entgehen. Im Anfängergeist würdest Du den neuen Kollegen, nicht wertend, beobachten und dadurch auch nicht durch den Filter Deiner Meinungen pressen. Du wärst offen für alles, was Du siehst. Vorurteilsfrei, im Entdeckermodus: Du lernst diesen Menschen richtig kennen. Du bist aufgeschlossen für alle seine Seiten. Für die guten, für die schlechten, für die, die Dir egal sind. Eben für alle. Du erkennst so diejenigen seiner Fähigkeiten, die der Abteilung helfen. Und genauso siehst Du die Schwächen, die Du beachten und ausgleichen musst. Du betrachtest diesen Menschen als Ganzes und Wertvolles. Nur im Anfängergeist gibst Du ihm eine echte Chance, auch ein Teammitglied zu werden. Fazit | Anfängergeist ist das wirksamste Werkzeug, Probleme angemessen zu lösen. Allerdings musst Du seinen Einsatz, um erfolgreich zu sein, permanent üben. Denn er schaltet das aus, was Menschen gewohnt sind, immer einzusetzen: Das Bewerten von etwas. Erst, wenn Du etwas nicht bewertest, wirst Du seine wahre Natur erkennen können. Nur mit dieser Form der IST-Analyse kannst Du sicher sein, dass Deine Entscheidung immer die richtige ist. 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten Wie man den Verstand verliert und wiederfindet Wie kam es zu diesem Kapitel? Es ist Ergebnis eines Burn-outs, den ich erleben durfte. Ja, durfte. Denn erst durch meine Krankheit verstand ich, was ich mir und auch den Menschen um mich herum jahrzehntelang angetan hatte. <?page no="163"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 163 Geld abholen am Automaten? Da brauchte ich einen Zettel mit meiner Geheimnummer. Denn merken konnte ich sie mir nicht (mehr). Lebensmittel einkaufen? Unmöglich, die riesige Auswahl an Angeboten lies mich ratlos zurück. Daraus wurden regelmäßig mehrere Panikattacken pro Shoppingtour. Spazierengehen in meiner Heimatstadt? Immer wieder verlief ich mich und wusste nicht annähernd, wo ich war. Ein beängstigendes Gefühl für jemanden, der als Pilot darauf trainiert wurde, niemals die Orientierung zu verlieren. Die Folge waren wieder Panikattacken. An einen klaren Gedanken war in diesen Phasen nicht zu denken. Wie kam ich an diesen Punkt? Es war vor allem mein Job, den ich falsch gemacht hatte: Termin folgte auf Termin, hunderte Mails am Tag, ich war für jeden ansprechbar, keine Pausen, auch nach Büroschluss nicht, am Wochenende weiterarbeiten. Ich hatte jahrelang Dauerstress zugelassen und dadurch, buchstäblich, den Verstand verloren. Mein Gehirn war nicht mehr in der Lage, die Informationsflut zu verarbeiten und schaltete in einen Notfallmodus. Minimale Energie. Burn-out. Stelle Dir das einmal vor: Eine Führungskraft mit Angst, Orientierungsverlust und unfähig, Entscheidungen zu treffen. Die Ärzte machten zwei Vorschläge. „Lassen Sie sich verrenten, Sie werden sowieso nicht mehr gesund“ und „Nun nehmen Sie doch endlich Medikament XYZ, dann geht es Ihnen besser“. Obendrauf gab es Psychotherapie. Wir identifizierten, wie sollte es anders sein, meine Eltern als die Schuldigen. Irgendwann reichte es mir und ich beschloss wieder einmal, Antworten auf nicht gestellte Fragen zu ignorieren und eine andere zu stellen: Wie werde ich gesund? Ich fand Lösungen und wurde langsam wieder fit. Das Ganze dauerte ca. 5 Jahre. Aber immer war da die Angst vor einem Rückfall. Dann wäre Ende, mit Karriere, mit Geld verdienen, mit Leben. <?page no="164"?> 164 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Wie konnte ich das verhindern? Ich fand zwei Antworten. Die eine ergab sich aus dem neuen Umgang mit dem emotionalen Druck, den ich mir selbst machte. Die andere ersann Werkzeuge, die mir halfen, stressige Situationen zu vermeiden bzw. zu meistern. Zu meiner Überraschung entspannte mich das, was ich da entwickelt hatte, nicht nur. Es war viel mehr. Die Ergebnisse meiner Arbeit verbesserten sich enorm, verglichen mit der Zeit vor meiner Krankheit. Und dass, obwohl ich trotz Burn-out ein eigenes Unternehmen führte, immer noch Panikattacken hatte und älter geworden war. Wie war das möglich? Interne Störquellen beseitigen Deine Emotionen sind der eine Faktor, der Dich, von innen heraus, bei der Arbeit stört. Wenn es Dir also gelingt, sie zu beherrschen, steigen die Ergebnisse Deiner Arbeit exponentiell an. Ein Beispiel dafür ist Angst. Du weißt es längst: Stress ist ein Synonym für dieses uncoole Wort. Jede Emotion (lateinisch = Energie in Bewegung) bindet zunächst einmal Deine Kraft. Diese fehlt Dir dann für Deine Arbeit. Zudem beeinträchtigen Emotionen, vor allem aber Angst, logisches Denken. Verhinderst Du also Stress bei der Arbeit, dann hast Du einen der mächtigsten inneren Störfaktoren beseitigt, denn Du wirst dann nur noch 1. logisch und damit zielorientiert arbeiten (Neues Parkinson’sches Gesetz) und 2. gleichzeitig Deine Energie nicht in Emotionen verschwenden. Mit anderen Worten: Du wirst mühelos exzellente Ergebnisse erzielen. Hast Du Deine Emotionen im Griff, musst Du Dich noch um den anderen Faktor kümmern, der Deine Arbeitsergebnisse negativ beeinflusst. Das ist Dein, nennen wir es einmal, chaotisches Denken. Denn oft bist Du gedanklich nicht nur an einer Sache dran, sondern an mehreren. So wie die Schüler des ZEN-Meisters. Oder anders ausgedrückt: Du bist nicht konzentriert, nicht fokussiert, sondern beschäftigst Dich mit verschiedenen Themen gleichzeitig. <?page no="165"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 165 Merke | Die inneren Störfaktoren bestehen im Wesentlichen aus Emotionen und abschweifendem Denken.  Eliminiere also Deine Emotionen und  konzentriere Dich auf die eine Sache, die Du gerade zu tun hast. Letzteres kannst Du bereits (siehe Kapitel 12). Schauen wir also darauf, wie es geht, Emotionen in den Griff zu bekommen. Vorweg sei angemerkt, dass diese Vorgehensweise für alles Dich Bewegende funktioniert (Angst, Wut, Ärger, Euphorie etc. pp.). Ein Mittel ist Priming. Stressfrei-Tipp | Priming (täglicher Zeitaufwand: ca. 15 min.) Das Erste, was Du morgens vor der Arbeit tun solltest: Rekapituliere den Plan für Deinen Tag gedanklich und stelle Dir ein paar Fragen wie diese:  Was steht heute an?  Was erwartet mich in meinen Terminen?  Welche Aufgaben sind wichtig?  Welche Aufgaben kann ich im Zweifel liegen lassen?  Muss ich etwas umplanen?  … Ich prime mich mehrfach pro Tag, z. B. vor jedem Termin, vor jedem Telefonat, wenn ich in einer stressigen Situation bin, zum Feierabend und am Sonntag für die kommende Woche. Aber schon durch das Rekapitulieren des Planes, eines Meetings/ des Arbeitstages, erhältst Du emotionale Kraft für das, was wichtig ist und kannst bei unvorhergesehenen Ereignissen angemessen reagieren. <?page no="166"?> 166 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Ich habe festgestellt: Wenn ich unter Druck entscheide, sind meine Ergebnisse nicht perfekt (genug). Stressfrei-Tipp | Nie unter Druck entscheiden (täglicher Zeitaufwand: null) Ich unterscheide dabei in inneren und äußeren Druck: Verhalten bei innerem Druck: Ein sicheres Zeichen dafür ist, wenn ich beginne, gedanklich hin und her zu springen. Dann unterbreche ich alles, was ich gerade tue und nehme mir eine Auszeit. Ich gehe kurz vor die Tür oder koche mir einen Kaffee, je nachdem, was gerade möglich ist. Die anstehende Entscheidung treffe ich erst, wenn das Gedankenkarussell aufgehört hat, sich zu drehen. Verhalten bei äußerem Druck: Ich sage niemals etwas zu, bei dem ich mich nicht wohl fühle. In solchen Fällen antworte ich bei Anfragen, dass ich noch mal kurz darüber nachdenken muss und mich melde. Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, für den das nicht in Ordnung ist. Wie mache ich das konkret? „Sorry, da kann ich im Moment nichts zu sagen, ich denke noch einmal darüber nach. Wollen wir morgen kurz darüber sprechen? “ Schauen wir nun auf die äußeren Ursachen von Stress und die Tools, die ich dagegen einsetze. Externe Störquellen beseitigen ‒ Beispiel: Umgang mit Terminstress Ich habe dazu diverse Methoden entwickelt. Das vollständig auszuführen, würde den Rahmen sprengen. Dennoch will ich Dich damit nicht allein lassen und meine Vorgehensweise an einer Frage erläutern, die viele Mitarbeiter umtreibt: Wie vermeide ich den üblichen Terminwahnsinn? <?page no="167"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 167 Beginnen wir vom Ergebnis her. Die Zieldefinition ergibt sich aus den nachfolgenden Fragen: 1. Wie kann ich möglichst wenige Termine wahrnehmen? 2. Wie kann ich sinnfreie Termine vermeiden? 3. Wie kann ich Termine effizient gestalten? Ziel eines Meetings ist das Produzieren von guten Ergebnissen. Dagegen machen zu viele Termine produktive Arbeit unmöglich. Denn Du bist dann nicht mehr in der Lage, die gewonnenen Informationen zeitnah zu verarbeiten und daraus Handlungen folgen zu lassen. Stressfrei-Tipp | Begrenze die Anzahl Deiner Meetings. Ich mache maximal 2 Termine pro Tag mit je höchstens einer Stunde Dauer. Ist also ein Meeting länger angesetzt, lasse ich kein weiteres zu. Habe ich 2 Treffen à 30 min im Kalender, ist die Grenze ebenfalls schon erreicht. Denn die Länge eines Termins sagt nichts über dessen Intensität oder die daraus folgenden Tätigkeiten aus. Das durchzuhalten ist schwierig, wendest Du jetzt ein? Du bist so wichtig, dass Du in jeden Termin eingeladen wirst? Kann sein, dass andere das so sehen. Was aber denkst Du, ist für Dich wichtig? Dass Du Deine Aufgaben erledigen kannst. Wenn Du also mit Terminen bombardiert wirst, dann  lerne, abzulehnen.  Akzeptiere keinen zeitlichen Druck.  Nimm nur die Anfragen an, die wichtig sind.  Wenn Du nicht ablehnen kannst, dann verschiebe andere Termine. Es gibt nur ein Ziel: Maximal 2 Termine pro Tag. <?page no="168"?> 168 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Hast Du das geschafft, stehst Du vor der nächsten Aufgabe. Dir werden 2 Meetings nacheinander in den Kalender gedrückt. Ist das sinnvoll? Kannst Du zwei Termine à eine Stunde, die Du am Vormittag hast und die unmittelbar aufeinander folgen, richtig aufarbeiten? Nein, denn Du wirst einiges vergessen haben, vielleicht auch Wichtiges. Stressfrei-Tipp | Blockiere die Zeiten vor und nach dem Termin. Der vorher dient der Vorbereitung und dem Priming, der danach der sofortigen Aufarbeitung. Stressfrei-Tipp | Lege diese Blocks sofort in Deinen Kalender, wenn ein Termin fix ist. Ansonsten wird es Dir passieren, dass in der Zeit zwischen Deiner Zusage und dem Planen der Blöcke Deine Kollegen diese Lücke für Terminvorschläge nutzen. Oft bekommst Du Terminanfragen, deren Zweck Dir nicht klar ist. Gemeint sind solche mit z. B. dem Titel „Kurze Abstimmung“. Kann Sinn machen, muss es aber nicht. Frage also bei jedem Terminvorschlag ab, was der Zweck des Meetings sein soll. Nur so kannst Du einschätzen, ob der Zeiteinsatz sinnvoll ist oder ob man ihn auf ein Telefonat begrenzen kann. Umgekehrt solltest Du bei Deinen eigenen Einladungen ebenso verfahren. Das kann auch Deine Zeit sparen. Stressfrei-Tipp | Bestehe auf einer Agenda. Wenn Du selbst Termine machst und den Abschnitt 8 berücksichtigst, stellst Du Dir immer, bevor Du eine Einladung verschickst, die Frage: Wie relevant ist das <?page no="169"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 169 Thema für meine Arbeit? Essenziell? So lala? Nice to have? Diese Fragen stellst Du Dir ja auch, wenn Du eine Einladung bekommst (siehe vorheriger Tipp). Also: Stressfrei-Tipp | Frage Dich: Ist der Termin, für den ich meine Zeit aufwenden will, wichtig oder doch nur dringend? Entsprechend Deiner Antwort nimmst Du dann Terminanfragen an (essenziell), schickst einen Kollegen (so lala) oder lehnst ab (dringend). Es gibt Tage, an denen das Universum gegen Dich zu arbeiten scheint. Alle wollen etwas. Was hilft? Ich löse das Problem, solche Tage erwartend, über einen Termin im Kalender, den ich nur mit mir selbst habe. Das ist ein Dauerblock in Outlook, der jeden Tag ansteht. Der ist innerhalb des Tages verschiebbar, fällt aber niemals aus. Meist belege ich ihn mit Themen, die ich abzuarbeiten habe. Und wenn da einmal nichts drinsteht, mache ich mir auch keine Sorgen, faul zu sein. Da wird sich schon etwas Wichtiges (produktiv sein) finden. Stressfrei-Tipp | Blockiere täglich 2 Stunden für Deine eigene Arbeit. Dein Ziel ist es, ungestört zu arbeiten. Vor allem als Führungskraft ist das schwierig. Denn Du musst für Deine Kollegen ansprechbar sein. Tatsächlich? Wer hat eigentlich den Blödsinn von „Meine Tür ist immer offen“ in die Welt gesetzt? Und was hat mich dazu gebracht, das ungeprüft als wahr zu akzeptieren? Heute jedenfalls organisiere ich auch das Gestört-Werden. Stressfrei-Tipp | Richte eine Sprechstunde ein und kommuniziere diese. <?page no="170"?> 170 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Denn sonst hält sich sowieso niemand daran. Ein wichtiges Instrument ist, dass ich jeden Termin und jede Aufgabe sofort einplane. Das verhindert, dass ich bei zu vielen Anfragen den Überblick verliere. Planst Du sofort, dann siehst Du auch unmittelbar, wenn Du Gefahr läufst, in Terminstress zu kommen. Zu diesem Vorgehen gehört dann logischerweise auch, dass Du keine Terminanfrage ohne Prüfung annimmst, also: Was ist die Agenda? Gibt es zeitliche Kollisionen mit anderen Terminen/ Blöcken? Etc. pp. Stressfrei-Tipp | Plane jede Aufgabe und jeden neuen Termin sofort ein. Etwas, das vor allem Führungskräfte und Projektmitarbeiter stark belastet, ist der E-Mail-Wahnsinn. An dieser Stelle geht es nicht darum, wie Du den konkret bewältigst. Wir sprechen hier über das „Ob“ und nicht über das „Wie“. Auch ich bekomme täglich mehrere hundert E-Mails, selbst wenn ich nicht im Mandat bin. Mein Postfach ist dennoch an jedem Abend leer. Wie geht das? Ich schaffe mir einfach den Raum, das abarbeiten zu können und erledige es nicht irgendwann nebenbei, wenn es passt. Denn wenn Du fokussiert arbeiten willst, dann passt es nie, außer Du kümmerst Dich ausschließlich darum. Warum sollte das bei der Arbeitsaufgabe „E-Mails bearbeiten“ anders sein? Ich nutze den Fakt, dass die konzentrierte Durchführung einer Tätigkeit zu einer effizienten Erledigung führt und lese und bearbeite Mails deswegen ausschließlich zu bestimmten Zeiten. In diesen lasse ich dann, wie überraschend, auch keine Störungen zu. Stressfrei-Tipp | Richte Termine mit Dir selbst für die Bearbeitung von E-Mails ein. <?page no="171"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 171 Ich habe dafür morgens, gleich nach dem Priming, einen Block von 30 Minuten. Am Abend nehme ich mir noch einmal 60 Minuten dafür. Während dieser Zeit ist mein Outlook offline geschaltet. Denn wäre es online, würde ich durch eingehende Mails gestört. Es kommt also nichts mehr rein, aber ich kann im System arbeiten (antworten, Termine verschicken etc. pp.). Stressfrei-Tipp | Schalte Outlook während der E-Mailbearbeitung offline. Und so sieht dann zum Beispiel ein typischer Arbeitstag bei mir aus: Uhrzeit Aufgabe Anmerkung 07: 00 bis 07: 15 07: 15 bis 07: 45 07: 45 bis 08: 30 08: 30 bis 09: 00 09: 00 bis 10: 00 10: 00 bis 10: 30 10: 30 bis 11: 00 11: 00 bis 12: 00 12: 00 bis 12: 30 12: 30 bis 13: 00 13: 00 bis 15: 00 15: 00 bis 16: 00 16: 00 bis 17: 00 Priming für den Tag E-Mail-Block Block Terminvorbereitung Meeting 1 Terminnachbereitung Terminvorbereitung Meeting 2 Terminnachbereitung Mittagspause Termin mit mir selbst Sprechstunde E-Mail-Block lesen und bearbeiten Terminanzahl voll Protokoll/ Maßnahmen Protokoll/ Maßnahmen allein spazieren gehen Konzeption erstellen lesen und bearbeiten <?page no="172"?> 172 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte Lass uns noch einmal kurz über die Termine mit sich selbst sprechen. Dir ist es schon aufgefallen: Mein Fokus ist Fokus, denn jede Ablenkung senkt die Qualität meine Ergebnisse. Darum hörst Du in meinem Büro kein Radio. Anrufe nehme ich grundsätzlich nicht an. Ich höre und sehe sie auch nicht, denn mein Telefon ist lautlos geschaltet, das Handy drehe ich um und das Festnetztelefon decke ich ab. Meine Tür ist zu, das erhöht die Hemmschwelle für Störer und minimiert die von außen eindringenden Geräusche. Wenn es trotzdem zu laut ist (z.B. Baulärm, Meetings nebenan, telefonierende Kollegen), dann helfen mir die guten alten Ohropax. Was ist das, was ich hier beschreibe? Es ist ein Filter für mein Gehirn, damit es vor Ablenkung geschützt wird. Stressfrei-Tipp | Vermeide jegliche Störung, die Du selbst verursachst und minimiere Störquellen, die Du nicht beeinflussen kannst. Termine mit anderen gestalte ich aktiv. Du erinnerst Dich an das Beispiel beim Parkinson’schen Gesetz? Ich bin nicht bereit, meine Zeit durch Ineffizienz solcher Art zu verschwenden. Denn durch die verlorene Kapazität bleiben unweigerlich wichtige Themen auf der Strecke. Das führt tendenziell zu Stress. Also müssen Meetings, die Du nicht verhindern kannst/ willst, wenigstens produktiv sein: Stressfrei-Tipp | Halte Dich an folgende Meetingregeln:  Es gibt keinen Termin ohne Agenda (Zielbestimmung).  Beginne und ende pünktlich und manage die Zeit aktiv.  Verhindere Störungen (z.B. alle Telefone lautlos).  Verhindere Abschweifen (Ziel beachten! ), ggf. Folgetermin machen.  Am Ende eines Termins immer Ergebnisse zusammenfassen und <?page no="173"?> 14 Tipps für ein stressfreies Arbeiten 173  weitere Vorgehensweise festlegen (nie ohne Vereinbarung enden).  Arbeite mit einer Termindramaturgie.  Nach dem Termin ist vor dem Termin: Meeting sofort aufarbeiten. Was uns nun noch bleibt, sind ein paar allgemeine Tipps, die für jede Terminplanung gelten. Beim ersten geht es um das Sicherstellen von Planungssicherheit: Stressfrei-Tipp | Nimm Dir weniger vor, als Du schaffen möchtest. So baust Du Dir weitere zeitliche Puffer ein. Der nächste Tipp geht in eine ähnliche Richtung: Stressfrei-Tipp | Plane Termine länger als wahrscheinlich nötig. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du nun ein paar Einwände hast. Vielleicht diese? „Christian, Du bist ja gar nicht erreichbar! “ → Stimmt nicht. Ich bin dann erreichbar, wenn ich erreichbar sein will. Das ist auch mein Recht, denn sonst erfülle ich die Aufgabe, die ich in meinen Aufträgen übernommen habe, nicht. „Aber die Arbeit muss doch gemacht werden, das kriege ich nicht umgesetzt.“ → Frage: Welche Arbeit: Die der anderen oder die wichtige? „Das lässt mein Chef mir nicht durchgehen! “ → Hast Du es schon einmal probiert? <?page no="174"?> 174 Teil 2 | Management für digitale Führungskräfte „Christian, Du hast ja Puffer über Puffer eingebaut! “ → Korrekt, das ist auch der Grund, warum ich alles schaffe. Sorry, das war unpräzise: das Wichtige 😊😊 . Gestatte mir einen letzten Tipp, den wichtigsten: Merke | Keiner der Tipps funktioniert, wenn Du ihn nicht durchhältst. Also: Bleibe konsequent! <?page no="175"?> Literaturverzeichnis Alle angegebenen Links waren am 17.11.2021 aktiv. Adams, Marilee QT - Question Thinking: Die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen. München: dtv Verlagsgesellschaft, 2017. betriebswirtschaft-lernen.net https: / / www.betriebswirtschaft-lernen.net/ erklaerung/ management-by-motivation/ . bwl-lexikon.de https: / / www.bwl-lexikon.de/ wiki/ management-by-objectives/ #was-ist-management-by-objectives. Duden www.duden.de. Ferris, Timothy Die 4-Stunden-Woche: Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben. Stuttgart: Der Audio Verlag, 2009. Frankl, Viktor ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München: Penguin Verlag, 2018. Glassmann, Bernie Das Herz der Vollendung: Unterweisungen eines westlichen Zen-Meisters. Berlin: Theseus, 2012. Herrndorf, Wolfgang in: https: / / www.deutschlandfunk.de/ soziologie-die-80-20pareto-verteilung-und-ihre-wirkung.1184.de.html? dram: article_id=278114. Hüther, Gerald Das Gehirn-Gießkannenprinzip: Von der Ressourcennutzung zur Potentialentfaltung. Neusäß: Co-Creare, 2020. Knorr, Julian/ Bredendiek, Markus Digitales Mindset - Wertschöpfungstreiber für die Zukunft - Ökonomische und unternemerische Potenziale. Nürnberg: ONESTOPTRANSFORMATION AG, 2020. Moestl, Bernhard Der Weg des Tigers: Erkenne und nutze Deine innere Kraft. München: Knaur HC, 2015. <?page no="176"?> 176 Literaturverzeichnis Nissen, Regina in: https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de. Pareto, Vilfredo Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Carlo Mongardini. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007. Parkinson, Cyril Northcote Parkinson’s law, and other studies in administration. Reinbek bei Hamburg: rororo, 1981. Shakespeare, William König Lear. Ditzingen: Reclam, 2016. Sprenger, Reinhard Mythos Motivation - Wege aus einer Sackgasse. Frankfurt (Main): campus, 2010. Sprenger, Reinhard Radikal digital. Weil der Mensch den Unterschied macht. 111 Führungsrezepte. 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Berlin: Theseus Verlag, 2016. <?page no="177"?> Stichwortverzeichnis 2P-Kontinuum 136 80/ 20-Regel 92 ABC-Analyse 98 Agilität 18 Anfängergeist 150 Angst 19, 163, 164 Antonovsky, Aaron 40 Brainstorming 15 Burn-out 103, 162 Choice Map 82 digitales Mindset 22 Digitalisierung 29 Dringlichkeit 104 Druck 166 emotionaler 36 Edison, Thomas Alva 48 Effektivität 127 Effizienz 127 Effizienzoptimum 120, 134 Egoismus 108 Eisenhower-Prinzip 99 emotionaler Druck 36 Faulheit 120 Fehlallokation 115 Fleiß 122 Fließbandprinzip 21 Ford, Henry 21, 27, 28, 36 Fragen 64 Primärfrage 90 Führung, Definition 50 Gestaltbarkeit 42 industrielle Revolution 29 IST-Analyse 18 Kommunikation 52, 68 asynchrone 52 <?page no="178"?> 178 Stichwortverzeichnis synchrone 52 Konditionierung 70, 73 Kooperation 38 Kreativität 31, 45 Kreativteam 49 künstliche Intelligenz 30 Lorenz-Kurve 98 Management, Definition 50 Management by Information and Communication 34 Motivation 34 Objectives 34 Participation 34 Results 34 Marx, Karl 29 Massenpsychologie 115 Mindmap 15 Mindset 60 digitales 22 Motivation 105 Motivierung 105 Multitasking 139 Musk, Elon 48 optimale Verteilung 93 Pareto, Vilfredo 92, 136 Pareto-Optimum 93 Pareto-Prinzip 92 Parkinson, Cyril Northcote 113, 116, 136 Pawlow’scher Reflex 65 Perfektionismus 96 Primärfrage 90 Priming 165 Prinzip von Versuch und Irrtum 19, 26 Produktivität 126 Prophezeiung, sich selbst erfüllende 71 Prozessmanagement 21 Q-Storming 86 Question Thinking 73, 86 Robbins, Tony 90 Sägezahneffekt 142 <?page no="179"?> Stichwortverzeichnis 179 Salutogenese 41 Samurai 36 Scheitern 19 Selbstorganisation 53 Shared Service 16 Sinnhaftigkeit 42 SOLL-Zustand 18 Stress 43, 164 Teamarbeit 38 Terminstress 166 Transformation, digitale 58 Umschaltfragen 83 Unterbewusstsein 70 Verstehbarkeit 42 Vertrauen 48, 49, 51, 60, 87 virtuelle Arbeit 60 Wichtigkeit 105 Wissen 68 Wohlstand 28 <?page no="180"?> BUCHTIPP Michael Mayer Die Business-Toolbox Trainingsbuch zur Persönlichkeits- und Teamentwicklung 1. Auflage 2021, 181 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-7398-3113-8 eISBN 978-3-7398-8113-3 Michael Mayer bietet in seinem Buch über 80 Tools, die das Individuum und die Gruppe dabei unterstützen, Veränderungsprozesse positiv zu gestalten und Ziele leichter zu erreichen. Die Toolbox zur Teamentwicklung hilft in den Bereichen Unternehmenskultur, (Online-)Meetings, lernende Organisation, Personalentwicklung, agile Arbeitsmethoden und Führung. Für die Persönlichkeitsentwicklung der Leser: innen sind Tools zur Selbstreflexion, zur Entspannung und Energiegewinnung, zur Gedankenhygiene und zur Problemlösung enthalten. UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="181"?> BUCHTIPP Dennis Willkomm Roadmap durch die VUCA-Welt Für Führungskräfte, Scrum Master und Agile Coaches 1. Auflage 2021, 403 Seiten €[D] 29,90 ISBN 978-3-7398-3118-3 eISBN 978-3-7398-8118-8 Dennis Willkomm stellt in seinem Buch Ansätze zur Persönlichkeitsforschung und Teamführung vor, die Führungskräften, Scrum Mastern und Agile Coaches helfen, die Herausforderungen der VUCA-Welt zu meistern. Anschaulich erklärt er deren Anwendung und gibt Anregungen, wie sich die Theorie in die Praxis umsetzen lässt. Für alle, die sich in der VUCA-Welt erfolgreich bewegen wollen! UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="182"?> ISBN 978-3-7398-3185-5 www.uvk.de Ist das Management oder kann das weg? Du bist jung, (angehende) Führungskraft und fragst Dich, wie Führung in digitalen Zeiten funktioniert? Dich interessiert, welche Managementtools sich unter diesen neuen Bedingungen eignen? In diesem Buch erfährst Du genau die hilfreichen Tipps und Tricks über Führung und Management, die Du an keiner Uni lernst. Christian Pede hat die „alten Wahrheiten“ der Arbeitsorganisation und des Managements einem Update unterzogen und auf die digitale Arbeitswelt übertragen. Er zeigt, wie Du mit bewährten, aber neu gedachten Methoden effizient arbeitest, Teams erfolgreich führst und gleichzeitig beste Ergebnisse erzielst. Dazu gibt er zahlreiche Anregungen, wie Du Deinen Tag stimmig planst und Terminstress vermeidest. So klappt es auch mit einer ausgeglichenen Work-Life- Balance. Christian Pede ist Interim Manager. Bei seiner Arbeit stellt er immer wieder fest, dass Führung und Management auf ein paar simplen, schon immer gültigen Wahrheiten beruhen. Diese hat er nun der digitalisierten und globalisierten Welt angepasst.