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Bischöfliche Botschaften

Missiven als Medien der spätmittelalterlichen Herrschaft (Biel 14.–16. Jahrhundert)

0808
2022
978-3-7398-8198-0
978-3-7398-3198-5
UVK Verlag 
Isabelle Schürch
10.24053/9783739881980

Im Raum der heutigen Schweiz wurden Missiven ab dem 14. Jahrhundert immer häufiger eingesetzt, um zwischen und innerhalb von Herrschaften zu kommunizieren. Die vorliegende Studie setzt bei dieser Praxis der Missivenkorrespondenz an, um damit einen Zugang zur Kommunikation und medialen Vermittlung von Herrschaft zu erschließen. Die Arbeit argumentiert dafür, Missiven als Medienensemble zu begreifen, über das Herrschaft zwischen den Korrespondenzpartnern verhandelt und organisiert wurde. Am Beispiel der Missivenkorrespondenz zwischen dem Basler Bischof als Landesherr und der Stadt Biel zwischen 1380 und 1525 nimmt die Untersuchung die sukzessive Umstellung von einzelnen Briefen hin zu einem kontinuierlichen Missivenkorrespondenzwesen über einen großen Zeitraum hinweg in den Blick. So lassen sich einem Brennglas gleich die medialen Bedingungen und medienbedingten Effekte von Herrschaftsausübung und ihrem Wandel genauer erkennen.

<?page no="0"?> Spätmittelalterstudien Im Raum der heutigen Schweiz wurden Missiven ab dem 14. Jahrhundert immer häufiger eingesetzt, um zwischen und innerhalb von Herrschaften zu kommunizieren. Die vorliegende Studie setzt bei dieser Praxis der Missivenkorrespondenz an, um damit einen Zugang zur Kommunikation und medialen Vermittlung von Herrschaft zu erschließen. Die Arbeit argumentiert dafür, Missiven als Medienensemble zu begreifen, über das Herrschaft zwischen den Korrespondenzpartnern verhandelt und organisiert wurde. Am Beispiel der Missivenkorrespondenz zwischen dem Basler Bischof als Landesherr und der Stadt Biel zwischen 1380 und 1525 nimmt die Untersuchung die sukzessive Umstellung von einzelnen Briefen hin zu einem kontinuierlichen Missivenkorrespondenzwesen über einen großen Zeitraum hinweg in den Blick. So lassen sich einem Brennglas gleich die medialen Bedingungen und medienbedingten Effekte von Herrschaftsausübung und ihrem Wandel genauer erkennen. Isabelle Schürch arbeitet als Assistentin (Postdoc) an der Abteilung für mittelalterliche Geschichte der Universität Bern. Nach der Promotion im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Mediality“ in Zürich war sie von 2015 bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Reinhart- Koselleck-Projekt „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ an der Universität Konstanz. Von 2020 bis 2021 hatte sie ein Marie Skłodowska Curie-Fellowship an der Universität Sheffield inne. ISBN 978-3-7398-3198-5 Isabelle Schürch Bischöfliche Botschaften Botschaften Isabelle Schürch Missiven als Medien der spätmittelalterlichen Herrschaft (Biel 14.-16. Jahrhundert) Bischöfliche <?page no="1"?> Bischöfliche Botschaften <?page no="2"?> Spätmittelalterstudien herausgegeben von Gadi Algazi (Tel Aviv) · David Collins (Washington) · Christian Hesse (Bern) Nikolas Jaspert (Heidelberg) · Hermann Kamp (Paderborn) Martin Kintzinger (Münster) · Pierre Monnet (Frankfurt a.M. / Paris) Joseph Morsel (Paris) · Eva Schlotheuber (Düsseldorf ) Hans-Joachim Schmidt (Fribourg) · Gabriela Signori (Konstanz) Birgit Studt (Freiburg i. Br.) · Simon Teuscher (Zürich) Band 9 <?page no="3"?> Isabelle Schürch Bischöfliche Botschaften Missiven als Medien der spätmittelalterlichen Herrschaft (Biel 14.-16. Jahrhundert) UVK Verlag · München <?page no="4"?> Die vorliegende überarbeitete Publikation wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2015 auf Antrag von Prof. Dr. Simon Teuscher und Prof. Dr. Marcus Sandl als Dissertation angenommen. Die Kosten der Drucklegung wurden großzügig unterstützt durch den Friedrich- Emil-Welti-Fonds. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739881980 © UVK Verlag 2022 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1868-7490 ISBN 978-3-7398-3198-5 (Print) ISBN 978-3-7398-8198-0 (ePDF) Einbandmotiv: Missive des Basler Bischofs and die Stadt Biel, Stadtarchiv Biel 1, 45, XXI, Nr. 41. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 11 11 14 15 21 25 35 42 47 50 1 55 1.1 57 1.2 62 1.3 70 71 78 1.4 82 1.5 88 93 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinführendes und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikation, Medien und Medialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrschaft und Administration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel . . . . . . . . . . Forschungsstand und Übersicht: Die Stadt und das Gebiet Biel . . . . . Material und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missiven: Schrifthandeln mit Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Briefen und Urkunden: Historische Terminologie und Typologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristika einer Missive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstitutive Bestandteile einer Missive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verortung der Information: Ihr Platz und ihre Funktion in der Missive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missive: Zusammenspiel von Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrschaftsrelevantes Schrifthandeln via Missivenkorrespondenz als Wissens- und Informationstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 98 103 111 1.6 116 126 2 131 2.1 135 2.2 146 150 153 156 2.3 158 161 170 175 182 189 3 195 3.1 199 3.2 203 203 206 208 Schrifthandeln mit Beilagen: Eine erste Hinführung . . . . . . . . Cedulae und Kopien: Informatives Schrifthandeln mit eingeschlossener Zettelwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missiven als Medien und Behälter im intraherrschaftlichen Schrifthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schrift brauchen - ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Meier und der Rat: Die Adressierungslogik der Missiven und die Bieler Administrationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der statt nutzen und ere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Eid des Meiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Eid der Räte: alt und neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bischof, Biel und das Dazwischen: Der Bieler Meier zwischen Anwesenheitsherrschaft und Abwesenheitskommunikation . Konstante Schnittstelle zwischen Biel und Bischofshof: Meier Reinhard von Malleray (1390-1405) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Manager: Meier Rudolf Hofmeister (1406-1415) . . . . . . . . Die Nachfolge Bernhards von Malleray: Der Statthalter als doppelte Mittlerfigur (1460) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Bürger als Meier und Biels Aufruhr: Meier Göuffi (1490er-Jahre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missiven und Amt - ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boten und Botschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Briefe und Boten: Zum Medienensemble der Botschaft . . . . . . Das Spektrum der Übermittler: Boten, Vertreter, Ratsbeauftragte, Gesandtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die bischöflichen Boten: Ein Wirtschaftsbuch gibt die bischöfliche Sicht wieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bieler Boten und Läufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 212 215 3.3 217 3.4 224 228 231 3.5 236 239 242 246 255 257 261 261 264 266 271 271 271 272 272 305 Bieler Ratsdelegationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die treffenlich botschaft: Semantiken der Delegation . . . . . . . . Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung . . . . . . . . . . . Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben . . . . Empfehlungen und Erbe: Interessenszusammenschlüsse . . . . Empfehlungen und Glaubwürdigkeit: Delegierte mit Briefen im Auftrag des Bischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienensemble 2: Tagsatzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit und frühe „Tagsatzungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagsatzungskorrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biel zwischen Bern und Bischof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom angebotenen Tag zum Tagsatzungsangebot . . . . . . . . . . . Boten und Botschaften - ein Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Verhältnis von Präsenz und Absenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Glaubwürdigkeit und Treue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Erwartbarkeit und Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="9"?> Vorwort Das Bündel Briefe, das im dunklen, mit allerhand Archivalien überstellten Le‐ sesaal des Stadtarchivs Biel fein säuberlich zusammengeschnürt vor mir lag, war erst einmal eine Enttäuschung: ein Haufen alter Briefe, manche fast zerfallend, die von irgendwelchen Personen handelten, die nicht genauer genannt wurden, zu irgendwelchen Angelegenheiten, die auch nicht genannt wurden, in Zusam‐ menhängen, die erst recht nicht genannt wurden. So wenig der Bieler Meier und Rat die bischöflichen Missiven ihres Landesherrn ignorieren konnten, so wenig ließ mich die Frage los, warum diese Briefe eigentlich geschrieben wurden, was ihre formelhafte Inhaltslosigkeit über spätmittelalterliche Herrschaft aussagen könnte. Manche Arbeiten setzen mit einer klaren Problemstellung ein, manche mit einem Zufallsfund und manche eben mit einem großen Fragezeichen. Dass ich dieses Unterfangen überhaupt angegangen bin und weiterverfolgt habe, liegt zuallererst daran, dass ich in einem Umfeld arbeiten durfte, das viel mehr als unterstützend war und viel mehr als nur kritisch. An erster Stelle möchte ich Simon Teuscher (Zürich) von Herzen dafür danken, dass er mir in Zürich als Doktorvater die Voraussetzungen und den Freiraum bot, mich intensiv mit den Bieler Missiven auseinanderzusetzen. Herzlichen Dank möchte ich auch Marcus Sandl (Zürich) und Arndt Brendecke (München) aussprechen, die beide dem Projekt von Beginn an mit entscheidenden Hinweisen auf den Weg halfen. Christian Kiening, Martina Stercken und dem ganzen NCCR Mediality danke ich für die Möglichkeit, in einem interdisziplinären und vielfältigen Forschungsverbund zu arbeiten, und dabei immer wieder ermuntert zu werden, sich mit anderen Perspektiven und Forschungsfragen auseinanderzusetzen. Die Kommentare und Anregungen von Christian Hesse (Bern), Valentin Groebner (Luzern), Lucas Burkart (Basel), Benjamin Scheller (Duisburg-Essen), Ludolf Kuchenbuch (Berlin) und Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld) haben das Pro‐ jekt in unterschiedlichen Phasen maßgeblich weitergebracht. Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle den Dank an eine Gesprächspartnerin, welche alles überhaupt erst ins Rollen gebracht hat: Jeannette Rauschert (Staatsarchiv Aargau). Besondere Gespräche und Unterstützung verdanke ich zudem Roland Gerber (Stadtarchiv Bern), Michael Jucker (Luzern), Claudius Sieber (Basel), Margrit Wick-Werder (Biel) und Armand Baeriswyl (Bern). En plus, j’adresse mes remerciements les plus profonds et mes appréciations à Chantal Greder (anciennement Archives municipales Bienne) et Jean-Claude Rebetez (Archives de l’ancien Evêché de Bâle, Porrentruy). <?page no="10"?> Ein ganz herzlicher Dank geht zudem an das gesamte Lehrstuhlteam von Simon Teuscher und allen Bündnispartner: innen an der Culmannstrasse Nummer 1, die das ideale Umfeld für ein solches Vorhaben bot, allen voran Bettina Schöller, Julia Heinemann, Christoph Stätzler, Colette Halter-Pernet, Tobias Hodel, Petra Gablinger Hornung, Juliane Schiel, Frieder Missfelder und schließlich Nadja Schorno. Ein besonderes Merci geht zudem an Gabriela Signori (Konstanz) für die hilfsbereite und -reiche Betreuung bei der Drucklegung. Ganz besonderen Dank schulde ich zudem Uta Preimesser und Fabiola Valeri vom UVK Verlag für die umsichtige Produktions- und Lektoratsarbeit. Arbeiten werden jedoch nicht nur unter der Anleitung und den kritischen Kommentaren von Professorinnen, Professoren, Fachkolleginnen und Arbeits‐ kollegen geschrieben. Ohne das Verständnis, die Aufrichtigkeit und das Wohl‐ wollen von geliebten Personen wäre ein Projekt wie dieses trotz allem ein einsames Vorhaben. Ich danke Dominique Raphael Kläy und Marcel Müllerburg für die härtesten Kritiken und das liebevollste Auffangen. Zum Schluss möchte ich meinen Eltern dafür danken, dass sie mich immer meinen Weg haben gehen lassen. Röthenbach, im April 2022 Isabelle Schürch 10 Vorwort <?page no="11"?> 1 Im Folgenden wird gemäß deutschem Sprachgebrauch ‚Missive‘ als Singularform und ‚Missiven‘ als Pluralform verwendet. In der Literatur begegnen jedoch zahlreiche wei‐ tere Begriffe, die sich zudem am lokalen Gebrauch orientieren (Missiv, Sendschreiben etc.). Vgl. dazu den Eintrag zu „Brief “ in: J O H A N N H E I N R I C H Z E D L E R , Großes vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 4, Halle/ Leipzig 1733, Sp. 1359-1360 sowie zu „Missiv“ in: ebd., Bd. 21, Halle/ Leipzig 1735, Sp. 498. 2 Vgl. Stadtarchiv Biel (StadtA Biel) 1, 45, XXI, Nr. 1. 3 Sie dazu StABE A V UP 14.-18. Jahrhundert (Unnütze Papiere). Im Staatsarchiv Solothurn wiederum finden sich Missiven im Sammelbestand „Denkwürdige Sachen“, vgl. StASO DS. Einleitung Hinführendes und Problemstellung Die erste Missive 1 , die mir im Stadtarchiv Biel in die Hände geriet, war ein Schreiben des Basler Bischofs Imer von Ramstein (1382-1391) an Meier und Rat der bischöflichen Stadt Biel. Darin beklagte sich der Bischof über den Ungehorsam seiner Untertanen in einer unbestimmten sache. 2 Eine erste Lektüre dieses Briefes führte - wie so oft bei historischen Dokumenten - zu mehr Fragen als Antworten, denn seine Formelhaftigkeit und die wenig konkreten Inhaltsangaben verstellten zunächst einen unmittelbaren Zugang. Als ich den Blick auf die gesamte überlieferte Serie der bischöflichen Missiven ausweitete, bestätigte sich dieser erste Eindruck. Fast allen diesen Schriftstücken war zu eigen, dass sie weniger preisgaben, als ich erhofft hatte, und mir begann zu schwanen, warum die Missiven in einigen Archiven Sammlungen zugeschlagen worden waren, die so sprechende Titel wie „Unnütze Papiere“ trugen. 3 Der Ausgangspunkt der hier vorliegenden Arbeit ist es, diese Beobachtung ernst zu nehmen und in eine Problemstellung zu wenden, die neben dem Inhalt die Eigenlogiken dieser Korrespondenzform und deren mediale Bedingungen als Teil der spätmittelalterlichen Herrschaftspraxis ins Zentrum der Betrachtung stellt. Weit davon entfernt, jene unnützen Papiere zu sein, als die sie der Nach‐ welt erschienen, waren Missiven das schriftliche Kommunikationsmittel des Spätmittelalters. Im Raum der heutigen Schweiz wurden Missiven ab dem 14. Jahrhundert immer häufiger eingesetzt, um zwischen und innerhalb von Herrschaften zu kommunizieren. Im Gegensatz zu Urkunden und anderen Rechtsdokumenten, die zumeist punktuelle Entscheidungen belegen, erlangten <?page no="12"?> 4 Vgl. dazu die Forschungsdiskussion im folgenden Unterkapitel. 5 Zu Herrschaftsvermittlung einschlägig ist B E R N D S C H N E I D M Ü L L E R , Konsensuale Herr‐ schaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hrsg. von Paul Joachim Heinig et al., Berlin 2000, S. 53-87. Für die kritische Weiter‐ entwicklung des Konzepts siehe B E R N D S C H N E I D M Ü L L E R , Verantwortung aus Breite und Tiefe. Verschränkte Herrschaft im 13. Jahrhundert, in: König, Reich und Fürsten im Mittelalter. Abschlusstagung des Greifswalder „Principes-Projekts“. Festschrift für Karl-Heinz Spieß, hrsg. von Oliver Auge, Stuttgart 2017, S. 115-148. Nicht nur für frühneuzeitliche Studien anschlussfähig ist S T E F A N B R A K E N S I E K , Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Die Frühe Neuzeit als Epoche, hrsg. von Helmut Neuhaus, München 2009, S. 395-406 sowie S T E F A N B R A K E N S I E K , Herrschaftsvermittlung als kulturelle Austausch, in: Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, hrsg. von Michael North, Köln 2009, S. 163-174. Für eine ausführliche Diskussion dieser unterschiedlichen herrschaftsprak‐ tischen Vermittlungskonzepte vgl. die nachfolgende Forschungsdiskussion. 6 Vgl. C H R I S T I A N K I E N I N G , Medialität in mediävistischer Perspektive, in: Poetica. Zeit‐ schrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 39/ 3-4 (2007), S. 285-352, hier S. 329. Missiven ihre Funktionalität und Bedeutung nicht als einzelne Schreiben mit einem spezifischen Inhalt, sondern in der Serie: Sie ermöglichten eine zusam‐ menhängende Korrespondenz und damit die Verstetigung herrschaftlicher Be‐ ziehungen. Indem Missiven nicht nur einen Zugriff auf das, was kommuniziert wurde, sondern auch auf das Wie bieten, legen sie offen, in welcher Form - sprachlich wie materiell - herrschaftsbezogene Anliegen mitgeteilt und realisiert wurden und vor allem, wie sich diese Form der Kommunikation in einer Korrespondenzpraxis ausgestaltete. Wie Missiven gebraucht wurden, wie die durch sie vermittelte Kommunikation ablief und welche Implikationen bezüglich des Umgangs mit Schriftlichkeit allgemein damit verbunden waren, soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Obwohl das späte Mittelalter verschiedene Schriftguttypen und Formen der symbolischen Kommunikation kannte 4 , eignen sich gerade Missiven hervorragend, um Herrschaftspraxis im Modus der Über- und Vermittlung und damit gleichsam in ihrem „Alltag“ nachzuverfolgen. 5 Die vorliegende Arbeit geht also von der These aus, dass man es bei Missiven mit einem Medienensemble zu tun hat, über das Herrschaft verhandelt, und vor allem organisiert wurde. Folgt man der Aufforderung des Mediävisten C H R I S TIAN K I E NIN G , das Erkenntnisinteresse weg vom Medium hin zur Medialität zu verschieben, stellt sich nicht die Aufgabe, die Geschichte eines bestimmten Mediums - etwa ‚des Briefes‘ - zu erzählen, sondern die historischen Bedin‐ gungen zu beschreiben, unter denen etwas zu einem Medium wurde. 6 Ein solcher medialitätsgeschichtlicher Ansatz setzt sich also dezidiert mit den 12 Einleitung <?page no="13"?> 7 Ebd., S. 293. „historischen Eigendynamiken“ 7 der Medien auseinander. Dabei wird mit dem Begriff ‚Medienensemble‘ der Beobachtung Rechnung getragen, dass Missiven ihre spezifische historische Funktion in medialen Kombinations- und Bezugs‐ konstellationen entfalteten. Der Fokus auf Medienensembles ermöglicht es, die historischen und gleichzeitig medialen Bedingungen schriftvermittelter Interaktion (Brief und Bote) sowie die differenzierte Mediennutzung und deren Konsequenzen in den Blick zu bekommen. Dabei soll der Blick nicht allein auf den Mediencharakter der Missive verengt werden, vielmehr soll eine Analyse der medialen Praktiken, der materiellen Bedingungen und der semantischen Möglichkeiten der Missivenkorrespondenz die Effekte von Medialität auf und ihre Wechselwirkungen mit Herrschaftsvermittlung offenlegen. Aus der Entscheidung, Missiven in ihren historischen Gebrauchsbedin‐ gungen als über Distanz hinweg vermittelnde Medienensembles zu untersu‐ chen, ergeben sich unterschiedliche Untersuchungsschritte, die in der vor‐ liegenden Arbeit anhand der Missivenkorrespondenz zwischen den Basler Bischöfen und der Stadt Biel zwischen 1380 und 1525 exemplarisch erörtert werden. Das Beispiel Biel soll aufzeigen, wie ein entsprechendes Schrifthandeln innerhalb einer Herrschaft und damit in einer grundsätzlich asymmetrischer Korrespondenzbeziehung zwischen Bischof und Stadt Biel angelegt war. Zu‐ sätzlich ist danach zu fragen, ob - und allenfalls wie - sich herrschaftliche Integrationsformen und Handlungsspielräume über das korrespondenzbasierte Schrifthandeln ergaben. In drei aufeinander aufbauenden Schritten wird von der Missive als Schriftstück über die durch sie in Bezug gesetzten Briefsteller und Adressaten zum herrschaftspraktischen Umfeld der Konflikt- und Austausch‐ regelung fortgeschritten. In einem ersten Schritt muss also zunächst geklärt werden, warum Missiven sich nicht als Sammlung loser Briefe, als die man sie heute in den Archiven auffindet, begreifen lassen, sondern sie vielmehr als Dokumente zu verstehen sind, die in ihren „Lebensphasen“ unterschiedliche mediale Konfigurationen durchlaufen haben. Eine medialitätsgeschichtlich ori‐ entierte Arbeit muss sich dabei auch die Frage stellen, wie die Etablierung und die rasante Verbreitung der Missive als Kommunikationsmedium spätestens ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu erklären sind. Liegen die Ursachen in einem generellen Wandel im Umgang mit Schriftlichkeit und Schriftgut oder ist diese Konjunktur spezifischen Bedürfnissen der Herrschaftspraxis geschuldet? Daran anschließend muss in einem zweiten Schritt die Frage geklärt werden, wie sich Herrschaftsausübung und die medialen Formen ihrer Vermittlung zueinander verhielten. Stellt nämlich Herrschaftsvermittlung von punktueller 13 Hinführendes und Problemstellung <?page no="14"?> Präsenz des Herrn auf schriftbasierte Praktiken der Absenz vermittelnden Korrespondenz um, verändert sich das Verhältnis von Nähe und Distanz für die involvierten Akteure. Für diesen Schritt wird das in der Missivenkorrespondenz meist als Adressatenkollektiv angeschriebene Führungsgremium von „Meier und Rat“ von Biel eingehend untersucht. Dabei muss der Blick auf das Medium erweitert werden, damit die Akteure der Adressierung, die vor allem im über‐ lieferten kommunalen Schriftgut fassbar sind, herausgearbeitet werden können. Indem die adressierten Akteure, also die Bieler Führung, in die Untersuchung miteinbezogen werden, kann überhaupt erst gefragt werden, ob die Missiven‐ korrespondenz mit ihrer einheitlichen Adressierungsstruktur gegenüber der an‐ wesenheitsorientierten Kommunikation neue Handlungsspielräume eröffnen, aber auch neue Formen der Druckausübung hervorbringen konnte - und zwar für beide Korrespondenzseiten. In einem letzten Schritt kann dann untersucht werden, inwiefern Missiven immer auch als „Werkzeug“ in einem erweiterten Kommunikationsumfeld (Tagsatzungen, Gerichtstage, Bündnispartnerschaften etc.) zu verstehen sind. Herrschaft gibt dabei den Rahmen und den Bezugspunkt von Missivenkorrespondenz vor. Gerade dem seriellen Charakter der Korre‐ spondenz muss dabei Beachtung geschenkt werden, hatte er doch womöglich Konsequenzen für die Herrschaftspraxis: Auf Missiven musste in irgendeiner Form geantwortet werden, das galt für die Bieler wie auch die bischöfliche Seite. Wählt man also den Ausgangs- und Zugangspunkt von den medialen Prak‐ tiken der Missivenkorrespondenz her, erlaubt dies nicht den Zugang zu einer gleichsam essentialistisch gesetzten Herrschaft, sondern zur medial-kommuni‐ kativen Verfasstheit von Herrschaft verstanden als Interaktionsprozess. Indem die Arbeit die sukzessive Umstellung von einzelnen Briefen im 14. Jahrhundert hin zu einem kontinuierlichen Missivenkorrespondenzwesen im Verlauf des 15. Jahrhunderts in den Blick nimmt, lassen sich gleich einem Brennglas die Praktiken und medialen Bedingungen von Herrschaftsausübung und deren Wandel genauer erkennen. Die Frage, wie in einem herrschaftlichen Kontext Kommunikation zwischen Adressaten und Adressierenden hergestellt und medial aufrechterhalten wurde, lässt uns begreifen, wie Herrschaft praktiziert wurde. In diesem Sinne zielt der Titel „Bischöfliche Botschaften“ durchaus auf beide Seiten der Herrschaftsvermittlung. Forschungsdiskussion Die Beschäftigung mit Missiven als Medienensemble führt an die Schnittstelle dreier Forschungsfelder, die die Mediävistik in den letzten Jahrzehnten stark 14 Einleitung <?page no="15"?> 8 Kommunikation als Grundoperation sozialer Vollzüge - der Handlungsbegriff soll hier bewusst nicht in Anschlag gebracht werden - erweist sich gemäß C H R I S T I A N K I E N I N G zudem als Brücke, um an disziplininterne Rhetorik-, Politik- und Religionstraditionen anzuschließen, vgl. dazu K I E N I N G , Medialität, S. 306. S Y B I L L E K R Ä M E R unterscheidet Formen von Übertragungsleistungen in zwei Modelle: erstens das „postalische“ oder „technische Übertragungsmodell“, das sich paradigmatisch in den von C L A U D E S H A N N O N und W A R R E N W E A V E R entwickelten Nachrichtenübertragungs- und Datenverarbei‐ tungstheorien und deren Nachfolger zeigt. Dem zweiten Modell, dem „personalen Verständigungsmodell“ (hier benutzt K R Ä M E R chiffrenhaft J Ü R G E N H A B E R M A S ’ Kommu‐ nikationstheorie), liegt die Konzeption eines reziproken Prozesses sozialer Interaktion (i. S. des Dialogs) zugrunde und orientiert sich an der Verständigung (bei K R Ä M E R auch als „erotisches Konzept“ bezeichnet). Beide Konzepte, das postalische wie das erotische, dominieren die Forschungsfelder zu Kommunikation, jedoch versucht K R Ä M E R das postalische Prinzip zu „rehabilitieren“, indem sie Kommunikation als erstes immer unidirektional fasst, was in der Folge bedeutet, dass in ihrem Essay Kommunikation nicht in den Kategorien Kommunizieren und Verständigen gedacht werden soll, sondern als asymmetrisches, eben gerade nicht dialogisches „Wahrnehmbarmachen“ und „Erscheinenlassen“. Hier liegt die Stärke ihres postulierten Botenmodells, das die kultur- und gemeinschaftsstiftende Funktion des Wahrnehmens und Wahrnehmbar‐ machens herausarbeiten soll, vgl. S Y B I L L E K R Ä M E R , Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt a. M. 2008, hier S. 12-19. 9 Vgl. dazu besonders auch V O L K E R D E P K A T , Kommunikationsgeschichte zwischen Medi‐ engeschichte und der Geschichte der sozialen Kommunikation. Versuch einer konzep‐ tionellen Klärung, in: Medien der Kommunikation im Mittelalter, hrsg. von Karl-Heinz Spieß, Stuttgart 2003, S. 9-48. geprägt haben: die Theorieangebote aus den historisch orientierten Kommuni‐ kations-, Medien- und Medialitätswissenschaften, die seit den 1990er-Jahren etablierte Erforschung des Verhältnisses von Schriftlichkeit und Mündlichkeit und schließlich die geschichtswissenschaftliche Herrschafts- und Administrati‐ onskulturforschung. Im Folgenden werden diese Felder als methodisch-theore‐ tischer Rahmen der vorliegenden Arbeit kurz skizziert. Kommunikation, Medien und Medialität Missiven ermöglichen bestimmte (historische) Formen des Kommunizierens. 8 Um die sich etablierende Missivenkorrespondenz als Kommunikationsform zu fassen, eignet sich ein systemtheoretisch informierter Kommunikationsbegriff, wie N IK LA S L U HMAN N ihn vorgeschlagen hat und für den die Loslösung von herkömmlichen Übertragungs- und Verständigungsmodellen der Kommunika‐ tion zentral ist. 9 Kommunikation ist L U HMAN N zufolge nicht ein Vorgang von Verständigung und Konsensetablierung, sondern durch eine dreifache Selektion bestimmt: bezüglich Information, Mitteilung und Verstehen. Daraus ergibt sich für L U HMAN N , dass es grundsätzlich unwahrscheinlich ist, dass diese drei Selek‐ 15 Forschungsdiskussion <?page no="16"?> 10 N I K L A S L U H M A N N , Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisa‐ tion, Opladen 1981, S. 27. 11 Ebd., S. 83. Den rekursiven Prozess der Selbstreproduktion von Kommunikation aus Kommunikation versteht N I K L A S L U H M A N N als durch die Sprache und Sinn vermittelt, die wiederum miteinander in Bezug stehen. Sprache als psychische oder soziale Opera‐ tionsform muss dabei im Medium des Sinns prozessieren, um kommunikativ zu wirken. Sinn nimmt bei der rekursiven Verknüpfung von Kommunikationen eine wichtige Rolle ein, indem Sinn jeweils verschiedene Anschlussmöglichkeiten für nachfolgende Kommunikationseinheiten zur Verfügung stellt. Vor diesem Hintergrund kann Kom‐ munikation rekursiv Kommunikationseinheit an Kommunikationseinheit anknüpfen, vgl. N I K L A S L U H M A N N , Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M 4 1994, S. 194. 12 Vgl, R U D O L F S C H L Ö G L , Symbole in der Kommunikation. Zur Einführung, in: Die Wirklichkeit der Symbole, hrsg. von Rudolf Schlögl, Bernhard Giesen und Jürgen Osterhammel, Konstanz 2004, S. 9-38, hier S. 11 sowie L U H M A N N , Soziale Systeme. Zur Bedeutung der „Intersubjektivität“ als Voraussetzung sozialer Ordnung vgl. A L F R E D S C H Ü T Z und T H O M A S L U C K M A N N , Strukturen der Lebenswelt, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1984, S. 190-192. tionen auf eine Weise vorgenommen werden, die einen Anschluss, ein Weiter‐ machen ermöglichen: „Unwahrscheinlichkeiten des Kommunikationsprozesses und die Art, wie sie überwunden und in Wahrscheinlichkeiten transformiert werden, regeln deshalb den Aufbau sozialer Systeme.“ 10 Nichts stellt zunächst sicher, dass die Kommunikation vom ‚Empfänger‘ so verstanden wird, wie es vom ‚Sender‘ intendiert war. Dennoch kann der ‚Empfänger‘ an diese Kommu‐ nikation seinerseits Kommunikation anschließen. Dieser Anschluss ist in der systemtheoretischen Logik das Kriterium für das Zustandekommen des kommu‐ nikativen Operierens sozialer Systeme. Für die soziale Operation ist somit nicht entscheidend, was übertragen wird. Entscheidend ist vielmehr, wie erstens die Mitteilung als solche verstanden wird und wie zweitens weitere, aber in jedem Fall andere Kommunikation daran anschließt: „Schon die Kommunikation des Annehmens oder Ablehnens des Sinnvorschlags einer Kommunikation ist eine andere Kommunikation und ergibt sich, bei allen thematischen Bindungen, nicht von selbst aus der vorigen Kommunikation.“ 11 Kommunikation ist mithin nicht eine Übertragung von Inhalt, sondern entsteht dadurch, dass irgendwie „weitergemacht“ und von anderen Kommu‐ nikationen auf sie Bezug genommen wird. Gesellschaft - und Herrschaft ist eine Form, Gesellschaft zu strukturieren - entsteht nach L U HMAN N überhaupt nur dadurch, dass Kommunikation an Kommunikation anschließt. Soziale Ordnung wird durch Kommunikation möglich, die die „Unwahrscheinlichkeit kontingenter Sinnkoordination“ reduziert und zum Aufbau stabiler - sowohl im zeitlichen wie räumlichen Sinn - Handlungs- und Kommunikationszusam‐ menhänge und deren Vernetzung untereinander führt. 12 R U D O L F S C HLÖG L hat 16 Einleitung <?page no="17"?> 13 Vgl. R U D O L F S C H L Ö G L , Anwesende und Abwesende. Grundriss für eine Gesellschaftsge‐ schichte der Frühen Neuzeit, Konstanz 2014. Die im Folgenden angeführten Aufsätze und Buchkapitel von R U D O L F S C H L Ö G L sind in mehrerlei Hinsicht als Vorarbeiten dazu zu verstehen. 14 S C H L Ö G L , Symbole, S. 11. 15 N I K L A S L U H M A N N , Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2001, S. 81-82. 16 Vgl. dazu auch R U D O L F S C H L Ö G L , Vergesellschaftung unter Anwesenden, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, S. 9-60. die Überlegungen L U HMAN N s für eine Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neu‐ zeit fruchtbar gemacht und herausgearbeitet, wie sich dieser Gesellschaft die Daueraufgabe der Integration von Abwesenden in Kommunikation unter Anwesenden stellte. 13 Die zentralen Fluchtpunkte dieses Ansatzes sind Komple‐ xitätsreduktion durch Wiederholbarkeit und Erwartbarkeit innerhalb eines zwischenmenschlich geteilten Erfahrungsraums: „Kommunikation gewinnt Form und Struktur […] durch medial vermittelte Repräsentation des Sinns, die wiederum zu komplexeren Bedeutungskonfigurationen verdichtet und in dieser Codierung gemeinschaftlich verfügbar sind.“ 14 Damit eignet sich dieser „serielle“ Begriff von Kommunikation besonders gut für die Untersuchung des Medienensembles Missivenkorrespondenz, deren Interesse dem Aufbau stabiler sozialer (genauer: herrschaftlicher) Strukturen aus rekursiver Kommunikation gilt, einem Aufbau, der als Abwesenheitskom‐ munikation unter den Bedingungen einer Anwesenheitsgesellschaft vollzogen wurde. Missiven trugen dazu bei, Herrschaft zu kommunizieren und sie durch ständige Rekursion, also den Anschluss von Kommunikation an Kommunika‐ tion, auf Dauer zu stellen. Sie banden Akteure in Prozesse ein, ließen unter‐ schiedliches Verhalten zu und strukturierten es zugleich. Damit reduzierte die Missivenkorrespondenz Komplexität, ohne jedoch die Austauschformen per se unterkomplex zu machen. L U HMAN N s Setzung ermöglicht es zudem, Kommunikation nicht an Differenzierungsvorentscheide von ‚schriftlich‘ oder ‚mündlich‘ zu binden: „Sie [das heißt die Kommunikation, Anmerkung IS] schließt überdies mit den Bedingungen ihres eigenen Funktionierens aus, dass die Bewusstseinssysteme den jeweils aktuellen Innenzustand des oder der anderen kennen können, und zwar bei mündlicher Kommunikation, weil die Beteiligten mitteilend/ verstehend gleichzeitig mitwirken, und bei schriftlicher Kommunikation, weil sie abwesend mitwirken.“ 15 Ein derart gefasster Kom‐ munikationsbegriff versteht das Soziale als etwas, das sich in Prozessen der Sinnbildung vollzieht. 16 Kurz: Kommunikation bringt Bedeutungen prozesshaft hervor. 17 Forschungsdiskussion <?page no="18"?> 17 Paradigmatisch zur Medialität als heuristische Kategorie für vormoderne Verhältnisse vgl. K I E N I N G , Medialität (inkl. ausführlicher Bibliografie zu Medien und Medialität). Als Überblicksdarstellungen vgl. etwa D I E T E R M E R S C H , Medientheorien zur Einführung, Hamburg 2009; D A N I E L A K L O O C K , Medientheorien. Eine Einführung, Paderborn 3 2007; R A I N E R L E S C H K E , Einführung in die Medientheorie, München 2003. Aus historischer Perspektive vgl. vor allem H O R S T W E N Z E L , Mediengeschichte vor und nach Gutenberg, Darmstadt 2 2008 sowie W E R N E R F A U L S T I C H , Grundwissen Medien, München 5 2004. 18 Zum Begriff des Plastikwortes siehe U W E P Ö R K S E N , Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1988. 19 Als Einstieg und zugleich als Zeugnis der Antwortspielarten vgl. Was ist ein Medium? , hrsg. von S T E F A N M Ü N K E R und A L E X A N D E R R O E S L E R , Frankfurt a. M. 2008. 20 Vgl. dazu paradigmatisch K I E N I N G , Medialität. Zur Reflexion des Verhältnisses von Geschichte, Geschichtswissenschaft und Medialität vgl. F A B I O C R I V E L L A R I , K A Y K I R C H ‐ M A N N , M A R C U S S A N D L und R U D O L F S C H L Ö G L , Einleitung. Die Medialität der Geschichte und die Historizität der Medien, in: Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, hrsg. von Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl und Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, S. 9-45. 21 Vgl. dazu S C H L Ö G L , Anwesende und Abwesende, S. 36. Zu Medialität in historischer Perspektive vgl. zudem F A B I O C R I V E L L A R I und M A R C U S S A N D L , Die Medialität der Ge‐ schichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaften, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 619-654. Als besonders lohnend hat sich in der medientheoretischen Forschung die Begriffsbestimmung erwiesen, die als Funktion des Mediums seine eigene Nicht‐ wahrnehmbarkeit setzt. Im Prozess der Kommunikation bleiben Medien im Idealfall „unsichtbar“. Erst bei Störungen, Interferenzen und Unzulänglichkeiten der medial vermittelten Kommunikation ziehen die Medien Aufmerksamkeit auf sich und ihre Form, vgl. dazu vor allem J O S E P H V O G L , Medien-Werden. Galileis Fernrohr, in: Mediale Historiographien. Archiv für Mediengeschichte, hrsg. von Lorenz Engell und J O S E P H V O G L , Weimar 2001, S. 115-123. Die Formung der Kommunikation respektive die Sinnbildung im sozialen Raum erfolgt dabei ganz grundsätzlich über Medien. 17 Die Antworten auf die Frage „Was ist ein Medium? “ sind vielfältig. Sie reichen von Versuchen der Negativdefinition bis hin zu einem radikalen Relativismus bezüglich der Ver‐ wendung von ‚Medium‘ als „Plastikwort“. 18 Dabei kann sich der Medienbegriff auf das zwischen zwei Instanzen Vermittelnde beziehen, auf materiell-techni‐ sche Aufzeichnungs- und Speichersysteme, auf Verfahren der Symbolisierung (Schrift, Zahl etc.) oder er kann (im Sinne etwa von ‚Literatur‘) als allgemeines Aufzeichnungsdispositiv verstanden werden. 19 Die jüngere geschichtswissen‐ schaftliche Betrachtung historischen Mediengebrauchs hat sich von der kaum zu beantwortenden Frage, was ein Medium sei, durch Pragmatismus gelöst: Nicht das Identifizieren von einzelnen Dingen oder Phänomenen als Medien ist ihr Ziel, sondern sie nimmt ‚Medialität‘ als qualitative Bestimmung medialer Arrangements in den Blick 20 , denn „alles, was in einer konkreten Situation der Bereitstellung von Unterschieden dient, ist […] ein Medium“. 21 Das ver‐ 18 Einleitung <?page no="19"?> 22 Vgl. K I E N I N G , Medialität, S. 293. 23 R U D O L F S C H L Ö G L , Der Raum als Universalmedium in der frühneuzeitlichen Stadt, Manuskript, November 2017, S. 4 und 30, URL: http: www.uni-konstanz.de/ FuF/ Philo/ Geschichte/ Schloegl/ Schloegl/ Publikationen.html. 24 Vgl. dazu auch die in Kapitel 3.1. vorgenommene ausführliche Diskussion und Begriffs‐ bestimmung. 25 Vgl. hierzu F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S , Gesten, Kleidung und die Etablierung von Diskursräumen im städtischen Gerichtswesen (1350-1650), in: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter, München 2005, S. 461-498, hier vor allem S. 463-465. Zur Ausstattung und Bekleidung von Boten vgl. K L A R A H Ü B N E R , Im Dienste ihrer Stadt. Boten- und Nachrichtenorganisa‐ tionen in den schweizerisch-oberdeutschen Städten des späten Mittelalters, Ostfildern 2012, S. 139-148. langt, dass die „historischen Eigendynamiken von Medialität“ 22 kontext- und gebrauchsspezifisch herausgearbeitet werden. Hier setzt S C HLÖG L an, um sein Modell der frühneuzeitlichen Anwesenheits‐ gesellschaft zu erklären: „Weil Medien die Formung von Kommunikation tragen, hat es Folgen, wenn Gesellschaften überwiegend auf die Kommunikation unter Anwesenden angewiesen sind, um soziale Strukturen aufzubauen.“ 23 Kommu‐ nikation in einer Anwesenheitsgesellschaft ist, so S C HLÖG L , von den Faktoren Präsenz, Körper und Raum sowie deren Verhältnis untereinander geprägt. Durch den konkret gegebenen oder gestalteten Raum, der sinnlich erfahrbar ist, können einer Kommunikationssituation Richtungen, Relationen, Hierarchien, Grenzen etc. zugeschrieben und vorgegeben werden. Solche materiellen, räumli‐ chen und zeitlichen Arrangements sollen hier als „Medienensembles“ 24 begriffen werden. Die Institution des spätmittelalterlichen Botenwesens kann als ein Beispiel für ein solches Medienensemble dienen. Der Bote war die Antwort der Anwesenheitsgesellschaft auf ihren Bedarf an Abwesenheitskommunikation. Nur durch ihn bewegten sich die Schriftstücke, in denen die Kommunikation zwischen Adressat und Adressant stattfand. Zugleich war der spätmittelalter‐ liche städtische Bote durch Farbe und Schnitt seiner Kleidung und etwaige weitere Objekte wie Stab oder Briefbüchse gekennzeichnet. Diese visuellen und dinglichen Markierungen wiesen ihn als Beauftragten einer bestimmten fürstlichen oder kommunalen Herrschaft für alle sichtbar aus. 25 Sie hoben den Boten aus der Alltäglichkeit heraus und stellten damit sicher, dass hier nicht „irgendwer“ ein Schreiben überbrachte. Der so gekennzeichnete Bote 19 Forschungsdiskussion <?page no="20"?> 26 Für das städtische Gerichtswesen des Spätmittelalters beispielsweise konnte F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S einen durch Kleidung, Gesten, Attribute und räumliche Gestaltung markierten Diskursraum feststellen, der eine Differenzmarkierung zum kollektiven städtischen Alltag vornahm und somit Konflikten respektive deren Lösung einen eigenen Raum und eine spezifische Temporalität zuwies. A R L I N G H A U S arbeitet luzide heraus, wie durch das für die Vormoderne angenommene Zusammenfallen von Person und Rolle städtischer Amtsträger eine Differenzmarkierung (vor allem bei visuell Wahrnehmbarem wie Kleidung, Gestik und Attributen) vollzogen wurde. Dies ist besonders deutlich sichtbar im städtischen Gerichtswesen. A R L I N G H A U S argumentiert, dass Kleidung und Schmuck in diesem Kontext zu einer „Reduktion von Komplexität“ verhalfen und Erwartungssicherheit herzustellen vermochten, vgl. A R L I N G H A U S , Gesten, S. 496. 27 Vgl. dazu generell M I C H A E L T. C L A N C H Y , From Memory to Written Record. England 1066-1307, Oxford 2 1994. Obwohl C L A N C H Y nicht von Medialität oder Intermedialität spricht, so beschrieb er doch bereits 1979, wie Schreiben und Aufschreibsysteme im Hoch- und Spätmittelalter immer mehr waren als einfache Schriftlichkeit. 28 C O R N E L I A B O H N , Schriftlichkeit und Gesellschaft. Kommunikation und Sozialität der Neuzeit, Opladen 1999, S. 59. 29 Hierzu ebenfalls K I E N I N G , Medialität, S. 343-348. So hat etwa M A R C U S S A N D L die Reformation als Ereignis, das sich gleichsam selbst (medial) beobachtete und unter neue Bedingungen der Medialität stellte, aus dezidiert medialitätshistorischer Perspektive untersucht. Vgl. M A R C U S S A N D L , Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation, Zürich 2011. verlieh dem übermittelten Schriftstück in gleichem Maße Autorität, wie er seine Existenz nur der Funktion verdankte, das Schriftstück zu übermitteln. 26 Der Fokus auf intermediale Konstellationen hat die Frage nach den mittel‐ alterlichen Medien erweitert und entspricht dem mediävistischen Anliegen, spezifisch historische Gebrauchs-, Umgangs- und Wirkweisen von Medien und Medienkonstellationen zu verstehen. Ein mittelalterlicher Codex war nie nur ein zwischen zwei Buchdeckeln gefasster Text, genauso wenig wie ein Brief ohne den ihn überbringenden Boten Distanz überwinden konnte. 27 Gerade die Leistung von Medien, Absenz zu vermitteln, führt jedoch immer wieder zu der intuitiven Annahme, dass Medien Distanzen überwinden. Das ist wohl wahr, jedoch darf dabei nicht vergessen werden, dass diese Überbrückungsleistung mehr leistet, als es den Anschein hat. Die Soziologin C O R N E LIA B O HN hat dies prägnant formuliert: „Medien sind niemals Substitute. Sie verändern, indem sie zu ersetzen scheinen.“ 28 Phänomene des Medienwechsels und Medienwandels zu untersuchen, scheint deswegen besonders lohnenswert, weil sie historische fassbare Momente der Reflexion und der Wahlmöglichkeiten sowie das trans‐ formative Potenzial bestimmter Medienkonstellationen hervortreten lassen. 29 Wenn die vorliegende Arbeit die Medialität der Missiven untersucht, be‐ trachtet sie diese also als Kern eines Medienensembles, um die Wirkweisen und Effekte von Missiven im Verbund mit anderen Medienformen (Verwal‐ 20 Einleitung <?page no="21"?> 30 Siehe etwa den von R U D O L F S C H L Ö G L fruchtbar gemachten Ansatz, Kommunikation im systemtheoretischen Sinne nicht als linearen Informationstransfer zu behandeln, sondern als „zirkuläres Geschehen zwischen Alter und Ego“, das Bedeutungskonfigura‐ tionen und kollektiv wirksame Codierungen ermöglichte, vgl. hierzu S C H L Ö G L , Symbole, hier vor allem S. 11. 31 Zum Problem der Repräsentation von Schrift und Schriftlichkeit als wissenschaftlichem Erkenntnisinstrument, das maßgeblich aus ethnographischen Diskussionen heraus breitere Debatten auslöste, vgl. M A R T I N F U C H S und E B E R H A R D B E R G , Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation, in: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, hrsg. von dens., Frankfurt a. M. 1993, S. 11-108. Die Writing-Culture-Debatte wurde vor allem durch J A M E S C L I F F O R D und G E O R G E E. M A R C U S initiiert, vgl. Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography, hrsg. von J A M E S C L I F F O R D und G E O R G E E. M A R C U S , Berkeley (CA) 1986. 32 Für die geschichtswissenschaftliche Forschung besonders einflussreich sind etwa P E T E R K O C H , Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgebrauch, in: Romanistisches Jahrbuch 36 tungsschriftgut, Boten- und Gesandtschaftswesen etc.) und dem Serienformat der Korrespondenz sichtbar zu machen. Die zentrale Frage lautet also, ob das Medienensemble Missivenkorrespondenz, indem es unterschiedliche (me‐ diale) Kommunikationsformen bündelte (mündlich/ schriftlich, Missive/ Bote, Original/ Kopie etc.), die Chancen von Anschlusskommunikation erhöhte und damit das soziale Gefüge stabilisierte. 30 Schriftlichkeit Missiven treten der Historikerin im Archiv zunächst als Schriftstücke gegen‐ über. Doch dass sie als Medienensembles zu begreifen sind, als Komplexität also, die intermediale Relationen stiftet, wurde weiter oben bereits angedeutet. Dem komplexen Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit trägt die mediävisti‐ sche Schriftlichkeitsforschung Rechnung, die weniger orale und literale Phasen der Gesellschaft unterscheidet, sondern jedes Schriftstück in verschiedene Gebrauchsweisen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einzubetten trachtet. Schriftlichkeit zu erforschen, heißt immer auch, den Forschungsgegenstand einerseits als Objekt zu analysieren und dieses andererseits gleichzeitig als Erkenntnisinstrument in der eigenen Arbeit zu verwenden. Diese der Schrift innewohnende Charakteristik ist es denn wohl auch, die sie in den letzten gut drei Jahrzehnten zu einem der einflussreichsten (mediävistischen) Forschungs‐ gebiete werden ließ. 31 So sind zur weiten Forschungslandschaft rund um das komplexe Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit auch Arbeiten zum Schriftgebrauch hin‐ zugekommen. 32 Die bis heute einflussreiche Studie von M I C HA E L T. C LAN C H Y 21 Forschungsdiskussion <?page no="22"?> (1985), S. 15-43; W U L F O E S T E R R E I C H E R , Verschriftung und Verschriftlichung im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit, in: Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, hrsg. von Ursula Schaefer, Tübingen 1993, S. 267-292; Verschriftung und Verschriftli‐ chung. Aspekte des Medienwechsels in verschiedenen Kulturen und Epochen, hrsg. von C H R I S T I N E E H L E R und U R S U L A S C H A E F E R , Tübingen 1998 sowie Varieties and Consequences of Literacy and Orality = Formen und Folgen von Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Franz H. Bäuml zum 75. Geburtstag, hrsg. von U R S U L A S C H A E F E R und E D D A S P I E L M A N N , Tübingen 2001. 33 Vgl. hierzu C L A N C H Y , From Memory to Written Record. Für H A G E N K E L L E R s Ansatz vgl. vor allem H A G E N K E L L E R , Vom heiligen Buch zur Buchführung. Lebensfunktionen der Schrift im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 1-31; D E R S ., Die Veränderung gesellschaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Admi‐ nistration in den italienischen Stadtkommunen, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Akten des Internationalen Kolloquiums, 17.-19. Mai 1989), hrsg. von dems., München 1992, S. 21-36; D E R S ., Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungs‐ stufen. Einführung zum Kolloquium, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Akten des Internationalen Kolloquiums, 17.-19. Mai 1989), hrsg. von dems. und Nikolaus Staubach, München 1992, S. 1-7. Aus diesen Arbeiten gingen zudem zwei konzeptionell zugeschnittene Sammelbände hervor, vgl. Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, hrsg. von H A G E N K E L L E R und T H O M A S B E H R M A N N , München 1995 sowie Schriftlichkeit und Lebenspraxis. Erfassen, Bewahren, Verändern. Akten des Internationalen Kollo‐ quium (8.-10. Juni 1995), hrsg. von H A G E N K E L L E R , C H R I S T E L M E I E R und T H O M A S S C H A R F F , München 1999. KELLERs Ansatz aufgenommen, empirisch angereichert und weiterentwickelt haben vor allem H E D W I G R Ö C K E L E I N , Kommunikation. Chancen und Grenzen eines mediävistischen Forschungszweiges, in: Das Mittelalter 6/ 1 (2001), S. 5- 13; T H O M A S B E H R M A N N , Verschriftlichung als Lernprozess. Urkunden und Statuten in den lombardischen Stadtkommunen, in: Historisches Jahrbuch 111 (1991), S. 385-402 sowie F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S , Rituelle und referentielle Verwendung von Schrift. Textgebrauch in der spätmittelalterlichen Stadt, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 393-413. Zur intensiven Auseinandersetzung von M A R C O M O S T E R T mit der Bedeutung von Schriftlichkeit für urbane Kulturen, vgl. zudem M A R C O M O S T E R T , New Approaches to Medieval Communication? , in: New Approaches to Medieval Commu‐ nication, hrsg. von dems., Turnhout 1999, S. 15-37; Writing and the Administration of Medieval Towns, hrsg. von D E M S . und A N N A A D A M S K A , Turnhout 2014 sowie Uses of the Written Word in Medieval Towns, hrsg. von D E M S ., Turnhout 2014. „From Memory to Written Record“ (1979) hat ebenso wie der schriftpragmati‐ sche Ansatz von H A G E N K E L L E R das Bewusstsein für die Gebrauchsdimension mittelalterlicher Dokumente - vor allem ab dem 12. Jahrhundert - geschärft. 33 Gemein ist diesen Forschungsarbeiten, dass es ihnen nicht nur um das Text‐ verständnis geht, sondern darum, Schriftstücke - wie zum Beispiel Missiven - in ihren Gebrauchssituationen und Gebrauchslogiken zu verstehen. Damit gehen auch eine differenzierte Vorstellung von Schriftlichkeit sowie die Über‐ zeugung einher, dass nicht Schriftlichkeit als kulturelle Technik ein wie auch 22 Einleitung <?page no="23"?> 34 Vgl. hierzu die knappe Zusammenfassung der Forschung bei S I M O N T E U S C H E R , Zur Mediengeschichte des „mündlichen Rechts“ im späteren Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 131 (2014), S. 69-88, hier S. 70-76. 35 Vgl. O E S T E R R E I C H E R , Verschriftung und Verschriftlichung sowie diesen Ansatz weiter‐ führend E H L E R und S C H A E F E R , Verschriftung und Verschriftlichung. 36 R O G E R S A B L O N I E R , Schriftlichkeit, Adelsbesitz und adliges Handeln im 13. Jahrhundert, in: Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hrsg. von Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1997, S. 67-100, hier S. 76. immer gelagertes Stadium von vorherrschender Mündlichkeit abgelöst habe. 34 Die Differenzlinie zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit wurde in den 1990er-Jahren nachhaltig verschoben, etwa durch die konzeptionellen Arbeiten von W U L F O E S T E R R E I C H E R . Er schlug vor, Verschriftlichung und Verschriftung als zwei distinkte Prozesse zu beschreiben. Er unterschied ‚Verschriftung‘ als Prozess des intensivierten schriftlichen Verfassens von konzeptioneller ‚Verschriftlichung‘ als Prozess, der auf die kognitive und soziale Verfasstheit einer Gesellschaft wirkt. 35 Konkret auf mittelalterliche Herrschaftskulturen bezogen, hat R O G E R S A B L O ‐ NI E R bereits 1997 gefordert, „Schriftgut auf seine konkrete Rolle in Kommunikati‐ onsvorgängen hin zu beurteilen, also auf seinen Gebrauch in der sozialen Praxis und auf seine Funktion im sozialen Beziehungsnetz hin“. 36 S IM O N T E U S C H E R hat dies in seiner Habilitationsschrift zu Kundschaften und Weistümern im Spätmittelalter aufgenommen und konnte darlegen, wie Vorstellungen über mittelalterliche orale Rechtstraditionen entscheidend durch den spätmittelalter‐ 23 Forschungsdiskussion <?page no="24"?> 37 In einem ganz anderen historischen Kontext, nämlich dem kolonialen Südafrika, untersuchte G E S I N E K R Ü G E R Schrift und deren Auswirkungen auf soziale Verhältnisse. Anhand von Fällen afrikanischer Wanderarbeiterbriefe argumentiert sie ähnlich wie S I M O N T E U S C H E R gegen J A C K G O O D Y s These, dass nämlich sozialer Wandel nicht aus der Schriftlichkeitsleistung per se entsteht, sondern durch die Aneignungen und Adaptionen von Schriftgebrauch vollzogen wird, vgl. G E S I N E K R Ü G E R , Schrift - Macht - Alltag. Lesen und Schreiben im kolonialen Südafrika, Köln/ Weimar/ Wien 2009. Hier folgt G E S I N E K R Ü G E R G E O R G E L W E R T , der J A C K G O O D Y s Argumentation zum Verhältnis von Schrift und gesellschaftlicher Transformation umdrehte. Während G O O D Y den Schriftgebrauch an sich als Transformationsgenerator wertete, stellte E L W E R T spezi‐ fisch gesellschaftliche Institutionen als Bedingungen heraus, die den Gebrauch und die Bedeutung von Schrift stabilisierten und gleichsam einen „Mehrwert“ als reine Ver-Schriftlichung mündlicher Inhalte ermöglichten, vgl. G E O R G E L W E R T , Die gesell‐ schaftliche Einbettung von Schriftgebrauch, in: Theorie als Passion. Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dirk Baecker et al., Frankfurt a. M. 1987, S. 238-268, hier S. 259-260. Zur Kritik an ideologisch unterlegten Schriftlichkeits-/ Mündlichkeits‐ implikationen früher literacy-Theorien vgl. zudem P A U L G O E T S C H , Der Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit. Die kulturkritischen und ideologischen Implikationen der Theorien von McLuhan, Goody und Ong, in: Symbolische Formen - Medien - Identität, hrsg. von Wolfgang Raible, Tübingen 1991, S. 113-129. lichen gelehrten Umgang mit administrativem Schriftgut geprägt wurden und bis heute geprägt sind. 37 Diese Arbeiten mögen exemplarisch zeigen, wie Mündlichkeit und Schrift‐ lichkeit in der aktuellen mediävistischen Forschung nicht mehr als Entwick‐ lungs- oder Machtphänomene einander gegenübergestellt werden, sondern in der Praxis, im konkreten Umgang mit Schrift, als komplexe, in Wechselwirkung stehende Verschränkungen zu verstehen sind, die soziale und herrschaftliche Verhältnisse erhellen können. In diesem Forschungskontext verortet sich die vorliegende Arbeit, indem Missiven gerade nicht auf ihren verschriftlichten In‐ halt reduziert werden und der allenfalls mündlichen Rede von Briefüberbringern gegenübergestellt werden, sondern mit ihren kommunikativen und medialen Bedingungen als Element der sozialen und herrschaftlichen Herrschaftspraxis verstanden werden. In Anlehnung an H A G E N K E L L E R hat sich in diesem Forschungsfeld der Begriff des „Schrifthandelns“ als produktiv erwiesen, um nicht in die statische Gegenüberstellung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit zu verfallen. Schrift‐ handeln bezeichnet dabei den historisch spezifischen Umgang mit Schrift und Schriftlichkeit, der in die jeweiligen sozialen Kommunikationssettings eingelassen ist. Innerhalb des Schrifthandelns lässt sich zwischen Praktiken des Niederschreibens (Verschriftlichung/ Verschriftung), des Vorlesens, aber auch des materiell-physischen Einsatzes von Schriftstücken und Codizes als Objekte 24 Einleitung <?page no="25"?> 38 Vgl. dazu K E L L E R , Pragmatische Schriftlichkeit, hier vor allem S. 1. Als Anwendungsbei‐ spiel bezüglich kompilationspraktischem Schrifthandeln vgl. S I M O N T E U S C H E R , Kompi‐ lation und Mündlichkeit. Herrschaftskultur und Gebrauch von Weistümern im Raum Zürich (14.-15. Jahrhundert), in: Historische Zeitschrift 273 (2001), S. 289-333. Für einen Überblick zu Herrschaft und Herrschaftsformen im Mittelalter vgl. K A R L U B L , Art. Herrschaft, in: Enzyklopädie des Mittelalters, Bd. 1, hrsg. von Gert Melville und Martial Staub, Darmstadt 2 2013, S. 9-10. 39 Vgl. dazu auch R O G E R S A B L O N I E R , der Schrifthandeln als „Verwendung von Schrift und Schriftgut im sozialen Handeln“ definiert hat: R O G E R S A B L O N I E R , Verschriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbariales Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch, in: Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur, hrsg. von Christel Maier et al., München 2002, S. 91-120, hier S. 92. 40 So sei an dieser Stelle etwa auf den bereits 1991 erschienenen interdisziplinär angelegten Sammelband zu Herrschaft als sozialer Praxis hingewiesen, vgl. Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, hrsg. von A L F L Ü D T K E , Göt‐ tingen 1991. Breit rezipiert wurde L Ü D T K E s Mahnung in der Einleitung des Bandes, dass Herrschaft nicht ein ausgeübtes Machtinstrument darstellt, das normativ bedingt ist, sondern dass Herrschaft sich aus sozialen Beziehungen konstituiert und auch immer wieder konstituieren muss. Damit wird Herrschaft zu einem sozialen Raum, in dem Akteure aufeinander reagieren und miteinander agieren und der daher in konkreten Interaktionsformen zu analysieren ist, vgl. A L F L Ü D T K E , Einleitung. Herrschaft als differenzieren. 38 Der Begriff des Schrifthandelns kann, da er von graduellen und nicht von binären Differenzierungen wie mündlich/ schriftlich ausgeht, zweckhafte oder sinnstiftende Vollzüge erfassen und ihnen damit als einem integralen Bestandteil sozialer Praktiken gerecht werden. 39 Gerade für die Analyse von Missiven als distanzüberwindende Kommunika‐ tionsform und intermedial angelegte Korrespondenzpraxis, die sich entlang von herrschaftlichen Strukturen entwickelte und diese wiederum mitprägte, sollte sich sinnvoll an das Konzept des Schrifthandelns anknüpfen lassen. Deshalb drängt sich für die vorliegende Studie auch die Verschränkung des Blicks auf die Medien mit dem Blick auf die durch sie in Beziehung gesetzten Korrespondenzteilnehmer als kommunikative Akteure auf. Dabei wird das Konzept des Medienensembles, das vor allem die medialen und intermedialen Qualitäten erfassen soll, um soziale und herrschaftliche Praktiken des Umgangs mit Schrift, Verschriftlichung und Schriftstücken im Sinne von Schrifthandeln ergänzt. Herrschaft und Administration Spätmittelalterliche Missiven entfalteten ihre Funktion im Kontext der Herr‐ schaftspraxis und wirkten so ihrerseits wiederum auf das zurück, was als Herrschaft verstanden wurde. 40 Herrschaftsausübung steht an der Schnittstelle 25 Forschungsdiskussion <?page no="26"?> soziale Praxis, in: Herrschaft als soziale Praxis: Historische und sozial-anthropologische Studien, hrsg. von dems., Göttingen 1991, S. 9-63. 41 M A X W E B E R , Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, mit textkritischen Erläuterungen, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 5 1980, hier S. 126. 42 Vgl. dazu vor allem Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit, hrsg. von S T E F A N B R A K E N S I E K , C O R I N N A V O N B R E D O W und B I R G I T N Ä T H E R , Berlin 2014. Das Einleitungs‐ kapitel dieses 2014 erschienenen Sammelbandes fasst die wichtigsten Konzepte und Verfahren zu Herrschaft und Verwaltung konzise zusammen. Siehe zudem frühere Arbeiten wie etwa B R A K E N S I E K , Herrschaftsvermittlung sowie Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, hrsg. von D E M S . und H E I D E W U N D E R , Köln et al. 2005. 43 S T E F A N B R A K E N S I E K , Einleitung, in: Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Dem., C O R I N N A V O N B R E D O W und B I R G I T N Ä T H E R , Berlin 2014, S. 9-24, hier S. 11. zwischen Herrschaft und Administration, wobei mit der Grenzziehung zwi‐ schen Herrschaft und Verwaltung bereits eine fortwährende Forschungsdiskus‐ sion berührt ist. Seit M AX W E B E R s berühmtem Diktum zum Typus der legalen Herrschaft gilt es als Lehrbuchwissen, dass Verwaltung im täglichen Gebrauch das charakteristische Herrschaftshandeln sei: „Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung.“ 41 Die Frühneuzeitforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den Formen und Medien von Herrschaft und Verwaltung ausein‐ andergesetzt. Besondere Beachtung verdient dabei das von S T E F AN B R AK E N S I E K herausgearbeitete Konzept der Herrschaftsvermittlung: 42 Jede Herrschaft bedarf „der Vermittlung ihrer Ziele und Zwecke an die Betroffenen“. 43 Diese Bestim‐ mung betont zwei zentrale Punkte: Erstens war Herrschaft immer vermittelt. Sie konstituierte sich also dadurch, dass sie in unterschiedlichen medialen Formen sichtbar wurde und sich in deren Nutzung erst konstituierte. Zweitens geht B R AK E N S I E K s Bestimmung von Herrschaft von einer „relationalen Beziehung“ aus. Damit setzt dieses Konzept nicht bei der Herrschaftsausübung an, die gleich einer sich ausbreitenden Flut vom Herrn zu den Untertanen fließe. Vielmehr findet Herrschaft als Kommunikation zwischen dem Herrn und den Untertanen statt und unterliegt damit den Bedingungen mehrfacher Selektion, wie sie oben beschrieben worden sind. Auf diese Weise wird das Herrschaftskonzept anschlussfähig für Untersuchungen, die nach dem Wie einer kommunikativ-in‐ termedial grundierten Herrschaftspraxis fragen. Um die Vermittlung von Herrschaft zu realisieren, wurden spezifische Ver‐ fahren und mediale Formen entwickelt oder adaptiert, mit denen die Kom‐ munikation zwischen herrschaftlichem Zentrum und Peripherie und somit 26 Einleitung <?page no="27"?> 44 Vgl. dazu auch die 1995 verfasste Arbeit Battenbergs zum politischen Prozess im Heiligen Römischen Reich (13.-15. Jahrhundert) als spezifischer Verfahrensform: F R I E D ‐ R I C H B A T T E N B E R G , Herrschaft und Verfahren. Politische Prozesse im mittelalterlichen römisch-deutschen Reich, Darmstadt 1995. Für den städtischen Bereich vgl. F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S , Gnade und Verfahren. Kommunikationsmodi im spätmittelalterlichen Stadtgerichtsverfahren, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitli‐ chen Stadt, hrsg. von Rudolf Schlögl und Uwe Goppold, Konstanz 2004, S. 137-162. 45 Zu Kirchenvisitationen vgl. zudem H E L G A S C H N A B E L -S C H Ü L E , Landesvisitationen und Kirchenvisitationen als Mittel der Kommunikation zwischen Herrscher und Unter‐ tanen, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation im Mittel‐ alter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Heinz Durchhardt und Gert Melville, Köln 1997, S. 173-186. 46 Vgl. hierzu B R A K E N S I E K , Akzeptanzorientierte Herrschaft. Mit diesem Begriff ersetzt S T E F A N B R A K E N S I E K jedoch nicht die Terminologie für das in der Mittelalterforschung bekannte Konzept der konsensualen Herrschaft, das maßgeblich von B E R N D S C H N E I D ‐ M Ü L L E R eingeführt wurde und in erster Linie die auf Konsens zwischen Königen und Fürsten abzielende Herrschaft charakterisiert, vgl. S C H N E I D M Ü L L E R , Konsensuale Herrschaft. In einem Aufsatz von 2017 hat S C H N E I D M Ü L L E R seinen eigenen Ansatz revidiert, indem er das Konzept der verschränkten Herrschaft in die Diskussion um das hoch- und spätmittelalterliche Herrschaftsverständnis einführte, das Herrschaft aus ihrer wechselseitigen Verankerung in sozialer Breite und Tiefe fassen soll. Denn obwohl die Annahme von konsensual abgestützter Herrschaft horizontale Rangphänomene gut zu fassen vermag, erklärt es nur unzureichend agonale Dynamiken der Konkurrenz und Phänomene des sozialen Aufstiegs, vgl. S C H N E I D M Ü L L E R , Verantwortung aus Breite und Tiefe. Einen anderen Fokus nehmen U L R I C H M E I E R und K L A U S S C H R E I N E R ein, wenn sie als konsensgestützte Herrschaft das obrigkeitliche Verhältnis von städtischen Räten zu ihren Bürgern verstehen. Hier wird die Legitimierung der obrigkeitlichen Politik durch die städtische Gemeinde in den Blick genommen, die häufig vor allem durch Rituale und den gezielten Einsatz von symbolischen Akten gekennzeichnet und weniger auf einen kommunikativ-partizipativen Austausch hin angelegt war, vgl. U L R I C H M E I E R und K L A U S S C H R E I N E R , Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von dens., Göttingen 1994, S. 11-34. Aufgenommen wird das Konzept des konsensgestützten Ratsregiments auch bei W O L F G A N G M A G E R , auch zwischen Herrscher, Amtsträgern und Untergebenen ermöglicht wurde. 44 Für die Frühe Neuzeit wurde hier vor allem auf Supplikationen, Visitationen und Beschwerden hingewiesen, die als Dokumente herrschaftlicher Verfahren die Schnittstellen zwischen Obrigkeit, Amtleuten und den jeweiligen Unter‐ tanen(gruppen) fassbar werden lassen. 45 Dieses Bündel an unterschiedlichen herrschaftlichen Kommunikationsformen zeugt laut B R AK E N S I E K davon, dass die jeweilige Legitimationsbasis möglichst breit abgestützt werden sollte. In diesem Zusammenhang schlägt B R AK E N S I E K den Begriff „akzeptanzorientierte Herr‐ schaft“ vor. 46 Dieses Konzept fokussiert analytisch auf die spezifischen kommu‐ 27 Forschungsdiskussion <?page no="28"?> Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzep‐ tualisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie - Res-Publica-Verständnis - konsensgestützte Herrschaft, hrsg. von Luise Schorn-Schütte, München 2004, S. 13-122. Einen guten Überblick über die herrschaftliche Konsensthematik bietet zudem S T E F F E N P A T Z O L D , Konsens und Konkurrenz. Überlegungen zu einem aktuellen Forschungskonzept der Mediävistik, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), S. 75-103. 47 B R A K E N S I E K , Akzeptanzorientierte Herrschaft, S. 401. Vgl. zudem D E R S ., Herrschaftsver‐ mittlung. 48 R E N A T E B L I C K L E s Studie zum Supplizieren im Herzogtum Bayern (15./ 16. Jahrhundert) legt nahe, dass die Supplikationsnachfrage der Untertanen zur Herausbildung neuer ad‐ ministrativer Strukturen führte, vgl. R E N A T E B L I C K L E , Laufen gen Hof. Die Beschwerden der Untertanen und die Entstehung des Hofrats in Bayern. Ein Betrag zu den Varianten rechtlicher Verfahren im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Gemeinde und Staat im alten Europa, hrsg. von Peter Blickle, München 1998, S. 241-266. 49 Vgl. A N D R É H O L E N S T E I N , Introduction, in: Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300-1900, hrsg. von Wim Blockmans, Dem. und Jon Mathieu, Farnham 2009, S. 1-31. nikativen Praktiken und Formen der Kooperation zwischen Fürsten, lokalen Herrschaftsträgern und Untertanen. Für die Frühe Neuzeit bedeutet Koopera‐ tion gemäß B R AK E N S I E K eben genau nicht konsensuale Verfahren, sondern „in‐ stitutionalisierte Formen der Kommunikation, in die das hierarchische Gefälle bereits eingelagert war“. 47 Damit ist aber nicht eine simple top-down-orientierte Gebots-/ Verbotskommunikation gemeint, sondern Verfahrensformen, denen eine christlich-moralische Herrschaftsvorstellung zugrunde lag, die durch ein relational angelegtes Beziehungsgefüge von Gehör-Finden und -Geben geprägt war. 48 Gerade für die Spätmittelalterforschung könnte der Ansatz der akzep‐ tanzorientierten Herrschaft ebenfalls gewinnbringend eingesetzt werden, da sich hier wechselseitige kommunikative Formen der Herrschaftspraxis bereits auffinden lassen könnten, jedoch noch vor einer institutionalisierten Ausgestal‐ tung. Einen anderen Ansatz, der aber keineswegs quer zur Herrschaftsvermittlung liegt, hat A N D R É H O L E N S T E IN in die Diskussion eingebracht: Zwar ist für ihn weiterhin die Staatsbildung das zentrale Forschungsproblem, doch verschiebt er die Perspektive auf die „empowering interactions“. 49 Administrativ-staatliche Strukturen entstanden und verfestigten sich im Zusammenspiel hierarchisch unterschiedlich positionierter Akteursgruppen, die durch ihr (gegenseitiges) Handeln erst Formen von Macht ermöglichten. Damit rücken auch andere Akteure ins Blickfeld. Die Beziehung zwischen Herrn und Beherrschten wird zu 28 Einleitung <?page no="29"?> 50 Vgl. dazu vor allem den Sammelband mit kritischen Kommentaren Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300-1900, hrsg. von W I M B L O C K M A N S , A N D R É H O L E N S T E I N und J O N M A T H I E U , Farnham 2009. 51 Vgl. dazu unter anderem G U I D O C A S T E L N U O V O , Centres et périphéries. Les châtelains en terre syvoyard (moitié XIVe-moitié XVe siècle), in: Savoie et Région alpine. Actes du 116e Congrès National des Sociétés Savantes, Chambéry, Mai 1991, Paris 1994, S. 97-108; K U R T W E I S S E N , „An der stuer ist ganz nuett bezalt“. Landesherrschaft, Verwaltung und Wirtschaft in den fürstbischöflichen Ämtern in der Umgebung Basels (1435-1525), Basel 1994 sowie B E R N A R D A N D E N M A T T E N , Office princier et patrimoine familial. Châtelains et vidomnes dans le Pays de Vaud savoyard (XIIIe-XIVe siècle), in: De part et d’autre des Alpes. Les chatelains des princes à la fin du Moyen Age, hrsg. von Guido Castelnuovo und Olivier Mattéoni, Paris 2006, S. 177-188. 52 Vgl. ausführlich S I M O N T E U S C H E R , Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftlichung und Traditionsbildung im Spätmittelalter, Frankfurt a. M. 2007. Exemplarisch zur Adaption und Rezeption von politischer Rhetoriktheorie (anhand der sogenannten Briefsammlungen des Petrus de Vinea) in fürstlichen und kommunalen Notariaten vgl. B E N O Î T G R É V I N , Rhétorique du pouvoir médiéval. Les „Lettres“ de Pierre de la Vigne et la formation du langage politique européen (XIIIe-XVe siècle), Rom 2008. 53 Dass dabei aber die Bezugsgröße eines „state-building from below“ - und sei es auch implizit - der sich formierende Territorialstaat bleibt, schmälert den Ansatz nicht, sondern verweist eher auf einen Richtungswechsel, was den Umgang mit Herrschaft am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit anbelangt. Vgl. dazu die Kritik von W O L F G A N G R E I N H A R D , der dem Konzept zu wenig Radikalität bei dessen eigenen Prämissen vorwirft: W O L F G A N G R E I N H A R D , No Statebuilding from Below! A Critical Commentary, in: Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300-1900, hrsg. von Wim Blockmans, André Holenstein und Jon Mathieu, Farnham 2009, S. 299-304. einem differenzierten Beziehungs- und Delegationsnetz, innerhalb dessen sich vor allem lokale Amtleute maßgeblich an der Herrschaftsausübung beteiligten. 50 Gleich mehrere Arbeiten haben in den letzten 20 Jahren die Rolle dieser „local powerbrokers“ herausgearbeitet, denen Herrschaftsbefugnisse übertragen worden waren. 51 Im Zusammenhang mit der Arrondierung und Intensivierung von territorialer Herrschaft im Spätmittelalter sieht man seit langem nicht mehr nur Fürsten und Herren mit Vereinheitlichungs- und Kontrollvisionen als die zentralen Akteure, sondern auch Personen in fürstlichen und kommunalen Verwaltungen und Kanzleien, die ihre gelehrten Praktiken und Ordnungsvor‐ stellung in der herrschaftlichen Administration adaptierten und umsetzten. 52 Zunehmend zeigt sich, dass Mittlerfiguren wie Vögte und Kastellane, aber auch die städtische und ländliche Bevölkerung in ihren Handlungsfeldern und -op‐ tionen zu mitwirkenden Akteuren im herrschaftlichen Gefüge zu zählen sind. 53 Dass in signifikanter Weise verwandt- und bekanntschaftliche Beziehungen die herrschaftlichen Kommunikationsordnungen mitprägten, zeigen die Arbeiten von S IM O N T E U S C H E R . Anhand einer Studie zum Missivenaustausch zwischen 29 Forschungsdiskussion <?page no="30"?> 54 Vgl. S I M O N T E U S C H E R , Threats from Above on Request from Below. Some Dynamics of the Territorial Administration of Bern (1420-1450), in: Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300-1900, hrsg. von Wim Blockmans, André Holenstein und Jon Mathieu, Farnham 2009, S. 101-114. Siehe auch die frühere Studie zu Patron-Klientel-Verhältnissen in Bern von S I M O N T E U S C H E R , Bekannte - Klienten - Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500, Bern, Köln et al. 1997. 55 T E U S C H E R , Erzähltes Recht, S. 131. Zur Funktion und Einordnung von lokalen Amtleuten zudem vgl. A N D R E A S B I H R E R , Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Zusammen‐ fassung und Forschungsperspektiven, in: Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Die Rolle von Funktions- und Führungsgruppen in der mittelalterlichen Urbanisierung Zentraleuropas, hrsg. von Elisabeth Gruber et al., Innsbruck 2013, S. 377-398; G U I D O C A S T E L N U O V O , Quels offices, quels officiers? L’administration en Savoie au milieu du XVe siècle, in: Études Savoisiennes 2 (1993), S. 5-41; D E R S ., Centres et périphérie sowie die prosopographische Studie von C H R I S T I A N H E S S E , Amtsträger der Fürsten im spätmit‐ telalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350-1515, Göttingen 2003. 56 Bereits vor fast 20 Jahren hat M I C H A E L A H O H K A M P in ihrer Dissertationsschrift sich damit beschäftigt, „wie landesherrliche Absichten, bäuerliches Verhalten und Hand‐ lungsspielräume der lokalen Obrigkeit vor Ort ineinandergegriffen haben und sich relational zueinander definierten. Denn erst im Zusammenspiel dieser Komponenten entstand das Kräftefeld, in dem sich Herrschaft letztlich doch stabilisieren und eta‐ blieren konnte.“ Vgl. dazu M I C H A E L A H O H K A M P , Herrschaft in der Herrschaft. Die vorderösterreichische Obervogtei Triberg 1734-1780, Göttingen 1998, hier S. 20. Bern und dessen Landstadt Thun führt er aus, wie sich einzelne Thuner Bürger über ihre sozialen Beziehungen Zugang zum Berner Rat verschafften, um ihre Anliegen durchzusetzen. Was im Einzelausschnitt als Top-down-Anordnung der Berner Ratsherren erscheint, entpuppt sich bei der Verfolgung des Kommu‐ nikationsverlaufs als „requests from below“ der Thuner Einwohnerinnen und Einwohner. 54 Richtet man den Blick auf den Alltag der Herrschaftsausübung, so „wurde Herrschaft von lokalen Akteuren ausgeübt, die Rechte in Vertretung ausübten und als persönliche Ressourcen nutzten“. 55 Die Verknüpfung von Herrschaft und Verwaltung hat, so die Zwischenbilanz, ein spezifisches Konglomerat in der Forschungslandschaft geschaffen. Die jüngste Forschung hat hier angesetzt und begreift Herrschaft nicht länger als Verwaltungsakt in einer top-down-angelegten Herrschaftsordnung, sondern nimmt dezidiert die sozialen Beziehungen in den Blick, die von den herrschaft‐ lichen Vorgängen immer auch mitgeprägt waren, aber diese auch mitprägen konnten. 56 Konfliktregelung und Konfliktlösung erwiesen sich dabei für kultur‐ wissenschaftlich ausgerichtete Ansätze als besonders lohnenswerte Settings der Herrschaftspraxis, da hier deren Probleme und Dynamiken am offensicht‐ lichsten wurden und ihnen in der Regel eine intensivere Schriftdokumentation 30 Einleitung <?page no="31"?> 57 Vgl. dazu allgemein A R N O L D E S C H , Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), S. 529-570. Zu Konfliktlösung vgl. etwa M A R T I N K A U F H O L D , Deutsches Interregnum und europäische Politik. Konfliktlösung und Entscheidungsstrukturen 1230-1280, Hannover 2002 sowie S T E F A N E S D E R S , Mittelalterliche Konfliktaustragung zwischen rechtlichem Verstehen und zielorientiertem Handeln. Zur Einführung in das Thema, in: Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter, hrsg. von dems., Köln/ Weimar/ Wien 2007, S. 1-13. Siehe zudem die grundsätzlichen Debatten zum Landfrieden bei H A N N A V O L L R A T H , Probleme um die Landfrieden. Fragen an Geschichte und Rechtsgeschichte, in: Landfrieden. Anspruch und Wirklichkeit, hrsg. von Arno Buschmann und Elmar Wadle, Paderborn 2002, S. 11-29. 58 So konnte M I C H A E L A H O H K A M P zeigen, dass seitenverwandte Beziehungen, beispiels‐ weise Nichte - Tante, einen erheblichen Faktor in verwandtschaftlichen und damit auch politischen Ökonomien ausmachten. Die Herrschaft wird nicht lediglich von einer patrilinear ausgerichteten Herr-schaft ausgeübt, sondern ziseliert sich bei der ge‐ naueren Betrachtung in komplexe verwandtschaftlich durchwirkte Familien-schaften, vgl. M I C H A E L A H O H K A M P , Eine Tante für alle Fälle. Tanten-Nichten-Beziehungen und ihre Bedeutungen für die reichsfürstliche Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und Recht, hrsg. von Margareth Lanzinger und Edith Saurer, Göttingen 2007, S. 147-169. 59 Vgl. A N D R E A S R E C K W I T Z , Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozial‐ theoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32 (2003), S. 282-301, hier S. 290. zugrunde lag als nicht konfliktuösen Situationen. 57 Es geht also jüngst weniger um die Erklärung der Entstehung staatlicher Institutionen oder Prozesse, son‐ dern um Beobachtungen zu sozialen Vorgängen und administrativen Praktiken, die gleichermaßen an der herrschaftlichen Ordnung mitwirkten. 58 Der Vorschlag von S T E F AN B R AK E N S I E K , Herrschaft und Verwaltung als Herr‐ schaftsvermittlung in ihrer Akteursintegration und analytisch unter dem Ge‐ sichtspunkt einer akzeptanzorientierten Herrschaft anzugehen, wurde für die hier vorliegende Studie zum Ausgangspunkt genommen. Als Konsequenz ergibt sich, dass zwei Bedingungen in den Blick genommen werden müssen. Erstens ist Herrschaft relational zu denken, sodass die in die Herrschaftsvermittlung involvierten Akteurinnen und Akteure in Beziehung gesetzt werden müssen. Versteht man zweitens Herrschaft als vermittelt, rücken die sie vermittelnden und mitstrukturierenden Medienensembles ins Zentrum der Untersuchung. Diese beiden Konsequenzen führen dazu, Herrschaft in einem bestimmten histo‐ rischen Setting zu betrachten, das besonders durch die jeweiligen kommunika‐ tiven und damit medialen Praktiken charakterisiert werden kann. Damit Prak‐ tiken als Vollzüge tatsächlich wahrgenommen und gedeutet werden können, müssen ihre Ausformungen anhand ihrer Materialitäts- und Medialitätsqualität untersucht werden. 59 Im Falle der spätmittelalterlichen Missiven kann an dieser Stelle thesenhaft formuliert werden, dass das Aufkommen und die Etablierung 31 Forschungsdiskussion <?page no="32"?> 60 B A R B A R A S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Einleitung, in: Herstellung und Darstellung von Ent‐ scheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne, hrsg. von dems. und André Krischer, Berlin 2010, S. 9-31, hier S. 9. 61 Vgl. N I K L A S L U H M A N N , Legitimation durch Verfahren, Frankfurt a. M. 1997. 62 Für die Geschichtswissenschaften fruchtbar diskutiert und sich kritisch mit L U H M A N N s Verfahrenstheorie auseinandergesetzt haben sich S T E F A N B R A K E N S I E K und A N D R É K R I ‐ S C H E R . Krischer konnte überzeugend darlegen, dass vormoderne Entscheidungspro‐ zesse, sobald sie in irgendeiner Hinsicht formalisiert waren, spezifische Praktiken und Logiken zeitigten, die man sinnvoll mit idealtypisch angelegten Verfahrenstheorien in Bezug oder Kontrast setzen kann, vgl. A N D R É K R I S C H E R , Das Problem des Entscheidens in systematischer und historischer Perspektive, in: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne, hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger und dems., Berlin 2010, S. 35-64. Siehe zudem S T E F A N B R A K E N S I E K , Legitimation durch Verfahren? Visitationen, Supplikationen, Berichte und Enquêten im frühmodernen Fürstenstaat, in: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne, hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger und André Krischer, Berlin 2010, S. 363-377. der Missivenkorrespondenz eine Form der Herrschaftsvermittlung darstellt, die quasi vorinstitutionell funktionierte. Mit ‚vorinstitutionell‘ ist hier jedoch keine Zwangsläufigkeit hin zu einer Institutionalisierung gemeint. Vielmehr soll betont werden, dass die Missivenkorrespondenz im Spätmittelalter durchaus Funktionslogiken oder Ordnungsvorstellungen folgen konnte, ohne dass sich daraus zwingende Strukturen ergaben. Die Missivenkorrespondenz lässt sich allenfalls als herrschaftsrelevantes Kommunikationsmedium im Spannungsfeld von Flexibilität und Verfahrensförmigkeit situieren. Während ‚Herrschaft‘ also gleichsam den Rahmen und die Bedingungen der Missivenkorrespondenz absteckt, eröffnet der Verfahrensbegriff einen Zugang zu herrschaftsrelevanten Handlungsprozessen. Wie auch ‚Herrschaft‘ gehört ‚Verfahren‘ seit einigen Jahren nicht mehr nur zur rechtswissenschaftlichen Terminologie, sondern ist über die Disziplingrenzen hinweg zum Grundbegriff geworden. Aus historischer Perspektive bezeichnet er „Handlungssequenzen, deren äußere Form generell (zumeist schriftlich) geregelt ist und die der Herstellung verbindlicher Entscheidungen dienen“. 60 Allerdings hat der Begriff in den Geschichtswissenschaften nicht mit rechtswissenschaftlichen Studien Einzug gehalten, sondern vor allem mit N IK LA S L U HMAN N S These der Erzeugung von Legitimität durch Verfahren. 61 Im Gegensatz zu Ansätzen, die - wie beispielsweise J ÜR G E N H A B E R MA S ’ Moralphilosophie - von einer normativen Legitimitätssetzung ausgehen, kann Legitimität für L U HMAN N nur durch und im Verfahren geschaffen werden. 62 B A R B A R A S T O L L B E R G -R ILIN G E R sieht in dieser Praxisverankerung der L U HMAN N ’‐ schen Verfahrenstheorie das Potenzial für Historikerinnen und Historiker, die 32 Einleitung <?page no="33"?> 63 S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Einleitung, S. 15. Siehe dazu auch Vormoderne politische Ver‐ fahren, hrsg. von B A R B A R A S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Berlin 2001 sowie D I E S ., Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? , Berlin 2005. Genau an dieser Schnittstelle zwischen Systemtheorie und Geschichte des Sozialen setzt R U D O L F S C H L Ö G L s Theorie der Verge‐ sellschaftung an, vgl. R U D O L F S C H L Ö G L , Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34/ 2 (2008), S. 155-224 sowie D E R S . Anwesende und Abwesende. 64 Vgl. L U H M A N N , Legitimation, S. 124. 65 K R I S C H E R , Problem des Entscheidens, S. 41. 66 Zum Verfahrenswandel in englischen Hochverratsprozessen vom 16. bis ins 19. Jahr‐ hundert vgl. A N D R É K R I S C H E R , Die Macht des Verfahrens. Englische Hochverratspro‐ zesse 1554-1848, Münster 2017. 67 Vgl. hierzu vor allem A N D R É K I E S E R L I N G , Simmels Formen in Luhmanns Verfahren, in: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhan‐ deln in der Vormoderne, hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger und André Krischer, Berlin 2010, S. S. 109-125, hier S. 120-122. sich mit (vormoderner) politischer Kultur und Praxis auseinandersetzen: Die Verfahrenstheorie „trägt dazu bei, eine essentialistische durch eine prozedurale Sicht auf politische Phänomene zu ersetzen, und sie erlaubt es, makrohistorische Prozesse auf eine mikrohistorische Beobachtungsebene herunterzubrechen und politische Strukturen als konkrete Kommunikationsvorgänge zu beschreiben“. 63 Zentral ist dabei weiterhin, dass das Verfahren nicht ein obskurer Ablauf ist, eine Black Box sozusagen, die nach undurchsichtigen Vorgängen am Ende Entscheidungen „auswirft“. Vielmehr ist die Darstellung der Verfahrensabläufe selbst Teil des Verfahrens. Verfahren garantieren nicht nur eine Lösung oder Entscheidung in problematischen Situationen, sondern implizieren immer auch die „Darstellung der Herstellung des Entscheidens“. 64 Die konkreten Kommuni‐ kationsvorgänge und ihre medialen Formen sind somit zentrale Bestandteile der Verfahrenslogik und müssen in Beschreibung und Analyse einbezogen werden. A N D R É K R I S C H E R hat sich - ebenfalls in Anlehnung an L U HMAN N - dezidiert mit der Leistungsfähigkeit von ‚Verfahren‘ als historischem Begriff auseinanderge‐ setzt und dabei betont, dass Verfahren einen Konflikt nicht nur begrenzen, sondern diesen auch „in seiner spezifischen Virulenz“ 65 erhalten sollten. 66 Durch das Verfahren sollte es den streitenden Parteien ermöglicht werden, zu Wort (oder zur Schrift) zu kommen und sich dabei gegenseitig das Recht zum Verfahren und zum potentiellen Konfliktaustrag einzuräumen. 67 Zudem hat K R I S C H E R dafür plädiert, den Begriff des Verfahrens für historische Erkenntnis‐ interessen als Idealtypus und Analyseinstrument zu verwenden, denn „[d]ie Leistung von Idealtypen besteht darin, der ganzen Unbestimmtheit, Komplexität und Widersprüchlichkeit der sozialen Empirie die größtmögliche Eindeutigkeit 33 Forschungsdiskussion <?page no="34"?> 68 K R I S C H E R , Problem des Entscheidens, S. 47. Zu Recht weisen Luhmann-Kritikerinnen und -Kritiker darauf hin, dass er sich bei seinen Ausführungen zum Verfahren vor allem auf neuzeitliche Beispiele berufen hat und darüber hinaus auf mikrosoziologische Settings im Gerichtswesen. Politische Makroebenen benötigen eine noch komplexere Herangehensweise. Für die vorliegende Arbeit spielt diese Kritik nur bedingt eine Rolle. So bewegt sich der Untersuchungsgegenstand, also die Missivenkorrespondenz, in einem mikrosoziologischen Setting. 69 Vgl. hierzu H A R M V O N S E G G E R N , Herrschermedien im Spätmittelalter. Studien zur Informationsübermittlung im burgundischen Staat unter Karl dem Kühnen, Ostfildern 2003. Für den Raum der heutigen Schweiz vgl. zudem den Überblick in C H R I S T I A N K I E N I N G und M A R T I N A S T E R C K E N , Einleitung, in: Das Mittelalter 15/ 2 (2010), S. 3-8. auf der Ebene der Begrifflichkeit gegenüberzustellen“. 68 In diesem Sinne wird auch in der vorliegenden Arbeit mit dem Verfahrensbegriff umgegangen. Mit diesen drei umfangreichen Forschungsfeldern ist eine facettenreiche For‐ schungslandschaft skizziert, die sowohl spätmittelalterliche wie frühneuzeit‐ liche Felder einschließt. Aus den eben dargelegten Forschungsbeobachtungen soll jedoch Folgendes geschöpft werden: Indem von Missiven als einem spezifi‐ schen Medium ausgegangen wird und nicht von der Annahme einer wie auch immer gelagerten bischöflichen Herrschaft, wird bei der Vermittlung als Modus der Herrschaftspraxis angesetzt, deren mediale und materielle Qualität den Untersuchungsgegenstand eingrenzt. 69 Diese Eingrenzung geht jedoch nicht mit einer Einengung auf Missiven als Medium einher, sondern nimmt die Forderung der Medialitätsforschung auf, das Zusammenspiel von Medienen‐ sembles ebenso wie Formen des Medienwandels und Medienwechsels in deren historischer Bedingtheit zu verstehen. Die Zunahme und Intensivierung von herrschaftsrelevanter schriftlicher Korrespondenz (Medienwandel) bietet als Ausgangsphänomen die Möglichkeit, Herrschaftsvermittlung in einer Phase des Wandels von personaler Stellvertretung zu schriftbasierter Abwesenheitsüber‐ brückung en détail zu verfolgen (Medienwechsel). Geht man - wie die aktuelle Forschung zu vormoderner Herrschaftsvermittlung vorschlägt - davon aus, dass Herrschaft sich für in sie involvierte Akteure an Formen der Akzeptanz orientieren musste, um Konflikte vorzubeugen, zu schlichten oder auch virulent zu halten, dann müssen auch die Herrschaftsvertreter vor Ort und Mittlerfiguren in den Diensten eines Herrn oder einer Stadt in die Untersuchung integriert werden. Im Falle Biels muss konsequenterweise dem in den Missiven meist zusammen mit dem Rat adressierten Meier als Schnittstelle zwischen lokalem Amtmann und bischöflichem Vertreter besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Damit läuft die Blickrichtung nicht mehr von der als gesetzt geltenden 34 Einleitung <?page no="35"?> 70 Für die Schweizer Mittelalterforschung haben vor allem R O G E R S A B L O N I E R und die in seinem Umfeld entstandenen Arbeiten diesen Perspektivenwechsel maßgeblich beein‐ flusst. In Auseinandersetzung mit der anthropologischen Schriftlichkeitsforschung ver‐ schob er das Erkenntnisinteresse hin zu Fragen nach dem Gebrauch von Schriftlichkeit (und den damit verbundenen Implikationen) und den Eigenlogiken des Schriftgutes, vgl. hierzu unter anderem S A B L O N I E R , Verschriftlichung; Wirtschaft und Herrschaft. Beiträge zur ländlichen Gesellschaft in der östlichen Schweiz (1200-1800), hrsg. von T H O M A S M E I E R und R O G E R S A B L O N I E R , Zürich 1999; T H O M A S H I L D B R A N D , Herrschaft, Schrift, Gedächtnis. Das Kloster Allerheiligen und sein Umgang mit Wissen in Wirt‐ schaft, Recht und Archiv (11.-16. Jahrhundert), Zürich 1996 sowie D O R I S K L E E , Konflikte kommunizieren. Die Briefe des Grüninger Landvogts Jörg Berger an den Zürcher Rat (1514-1529), Zürich 2006. Für die Frühe Neuzeit vgl. zudem die Bestandsaufnahme und die Problematisierung von kultur- und praxisgeschichtlichen Ansätzen zu administra‐ tivem Handeln in B I R G I T N Ä T H E R , Die Normativität des Praktischen: Strukturen und Prozesse vormoderner Verwaltungsarbeit. Das Beispiel der landesherrlichen Visitation in Bayern, Münster 2017. Herrschaft zu Momenten ihrer Durchsetzung oder Infragestellung, sondern von den medialen Praktiken hin zu Herrschaft als Kommunikationsprozess. 70 Mit einem systemtheoretischen Begriff von Kommunikation kann dabei auf eine Theoriesprache zurückgegriffen werden, die Missiven nicht als schlichte Medien der Distanzüberwindung erfasst, sondern die sich etablierende Missi‐ venkorrespondenz als sich rekursiv stabilisierende, strukturbildende Kommu‐ nikation in der Herrschaftspraxis begreift, die eigene mediale Logiken mit sich brachte und Medienensembles bedingte. Diese können als Schematisie‐ rungen in der sich verfestigenden Missivenkorrespondenz begriffen werden und lassen sich aus medialer und sozialer Perspektive mit dem Begriff der Anschlusskommunikation grundsätzlicher erfassen als mit einem justiziellen Verfahrensbegriff. Mit anderen Worten: Man kann beschreiben, wie sich durch rekursive Kommunikation ein soziales System der Herrschaft Abwesender unter den Bedingungen der Anwesenheitsgesellschaft formierte und aufrechthielt. Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel Die Arbeit untersucht die Korrespondenz des Basler Bischofs mit der in seinem weltlichen Gebiet gelegenen Stadt Biel zwischen 1380 und 1527 als Fallbeispiel. Die Forschungsdiskussion zu spätmittelalterlicher Bischofsherrschaft im Allge‐ meinen und zum Hochstift Basel im Besonderen lässt sich jedoch grundsätzlich 35 Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel <?page no="36"?> 71 Die Leitungskörperschaft der Bischofskirche scheint zwar seit Ende des 13. Jahrhun‐ derts direkt mit der kirchlichen Verwaltung betraut zu sein, jedoch gestaltete sich das Verhältnis zwischen Bischof und Domkapitel je nach Machtposition, familialen und lokalen Interessenslagen und Kompetenzen unterschiedlich. Besondere Relevanz kam dem Domkapitel in zweierlei Situationen zu: Die Domherren konnten zu entschei‐ dendem Einfluss bei Bischofswahlen (Wahlkapitulationen) oder bei Sedisvakanzen gelangen, womit sie die Bischofsherrschaft nachhaltig mitprägen konnten. A N D R E A S B I H R E R kam zum vorläufigen Schluss, dass sich im 14. Jahrhundert Domherren zwar noch nicht auf episkopale Verwaltungspositionen verlassen konnten, jedoch die meisten Bischöfe einen Großteil ihrer Amtsträger aus dem Kapitel rekrutierte, vgl. dazu A N D R E A S B I H R E R , Der Konstanzer Bischofshof im 14. Jahrhundert. Herrschaftliche, soziale und kommunikative Aspekte, Ostfildern 2005, hier S. 132-149. Zum Basler Domkapitel in der Frühen Neuzeit vgl. die unveröffentlichte Basler Lizenziatsarbeit von K A S P A R A L B I N , Das Basler Domkapitel an der Wende zur Neuzeit. Seine politische Stellung, seine verfassungsmäßige Struktur und seine wirtschaftliche Organisation von 1400-1529, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit der Universität Basel, Basel 1978. Zum Verhältnis von Bischof und Domkapitel in geistlichen Territorien des Alten Reiches (15.-16. Jahrhundert) vgl. zudem G Ü N T E R C H R I S T , Bischof und Domkapitel von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87 (1992), S. 193-235. Zur Frage nach dem herrschaftlichen Verhältnis von Bischof und Domkapitel vgl. H E L M U T F L A C H E N E C K E R , Bischof oder Domkapitel. Wer regiert eine Diözese bzw. ein Hochstift im Mittelalter? , in: Das Hildesheimer Domkapitel. Dem Bistum verpflichtet, hrsg. von Thomas Scharf-Wrede, Sarstedt 2012, S. 5-30. Siehe weiter A N D R E A S B I H R E R , Die Kon‐ stanzer Bischofswahlen im 14. Jahrhundert. Zu den Gruppenbildungen am Bischofshof und im Domkapitel, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 33 (2014), S. 17- 26. Lange Zeit einschlägig blieb zudem der von F R I E D R I C H P R I N Z 1988 herausgegebene Sammelband zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Orga‐ nisationsformen vgl. F R I E D R I C H P R I N Z , Herrschaft und Kirche. Beiträge zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Organisationsformen, Stuttgart 1988. Hervorzuheben sind vor allem G E R H A R D F O U Q U E T , Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350-1450). Adlige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel, Mainz 1987sowie B I H R E R , Bischofshof, hier vor allem S. 132-180. 72 Davon zeugt auch der Umstand, dass bis heute das Standardwerk zum Basler Episkopat und dem Domstift der entsprechende Band der Helvetia Sacra darstellt, vgl. dazu den Artikel zum Alten Bistum Basel von 1972, bearbeitet von A L B E R T B R U C K N E R , W E R N E R K U N D E R T , J O H A N N B. V I L L I G E R und P E T E R L. Z Ä S L I N , Das Alte Bistum Basel, in: Helvetia Sacra, Bd. 1,1 (HS I,1), Bern 1972, S. 127-315, hier S. 127-315. Zu erwähnen sind allenfalls noch V A U T R E Y , L O U I S und L A C H A T , E U G E N I U S , Histoire des évêques de Bâle, Einsiedeln 1884-1886. Siehe zudem die Jubiläumsgabe 175 Jahre Bistum Basel: Jubiläumsschrift = 175 ans du Diocèse de Bâle, hrsg. von R O G E R L I G G E N S T O R F E R et al., Solothurn 2003 sowie der Überblicksband G R E G O R J Ä G G I , Das Bistum Basel in seiner Geschichte. Mittelalter, Straßburg 1999. als großes Desiderat bilanzieren. 71 Auch für das Bistum Basel und seine Bischöfe liegt bislang keine Übersichtsdarstellung vor. 72 Einen ersten Einstieg in die Geschichte und Entwicklung des Bistums bietet der 2006 erschienene, reich illustrierte Band Pro Deo, der von der Stiftung Archiv 36 Einleitung <?page no="37"?> 73 Vgl. Pro Deo. Das Bistum Basel vom 4. bis ins 16. Jahrhundert, hrsg. von J E A N -C L A U D E R E B E T E Z et al., Porrentruy 2006. Siehe hier vor allem D E R S ., Einleitung. Die Kirche von Basel: Fürstbistum und Diözese, in: ebd., S. 10-25. 74 Besonders C L A U D I U S S I E B E R -L E H M A N N betont an mehreren Stellen, die zu stark auf die Stadt Basel ausgerichtete Basler Geschichtsschreibung, vgl. C L A U D I U S S I E B E R -L E H M A N N , Mit Wackernagel weiter kommen, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums‐ kunde 112 (2012), S. 19-31. Zurzeit läuft jedoch ein großes Publikationsprojekt zu einer neuen Basler Stadtgeschichte, vgl. URL: http: / / www.baslergeschichte.ch/ . 75 Vgl. R U D O L F W A C K E R N A G E L und J O H A N N K A R L L I N D A U , Geschichte der Stadt Basel, 3 Bde., Basel 1907-1924. 76 Vgl. H A N S B E R N E R , „die gute correspondenz“. Die Politik der Stadt Basel gegenüber dem Fürstbistum Basel in den Jahren 1525-1585, Basel/ Frankfurt a. M. 1989. 77 Vgl. W E I S S E N , stuer sowie D E R S ., Die weltliche Verwaltung des Fürstbistums Basel am Ende des Spätmittelalters und der Ausbau der Landesherrschaft, in: La donation de 999 et l’histoire médiévale de l’ancien évêché de Bâle, hrsg. von J E A N -C L A U D E R E B E T E Z , Porrentruy 2002, S. S. 213-240 sowie sehr knapp auch M I C H A E L S C H A A B , Hochstift Basel, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2: Die Territorien im alten Reich, hrsg. von Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier, Stuttgart 1995, S. 460-465. Zudem hat K O N R A D W I L H E L M Hieronimus bereits 1938 eine kommentierte Quellenedition zum Basler Hochstift vorgelegt, vgl. K O N R A D W I L H E L M H I E R O N I M U S , Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter, Basel 1938. 78 Vgl. H A N S B E R N E R , Gemeinden und Obrigkeit im fürstbischöflichen Birseck. Herr‐ schaftsverhältnisse zwischen Konflikt und Konsens, Liestal 1994. 79 Vgl. B E R N D F U H R M A N N , „doch wils mins gneger heren nit, so wil ich sy wider nehmen“. Anmerkungen zu Territorium, Verwaltung und Wirtschaftsführung im Bistum Basel gegen Ende des Mittelalters, in: Scripta Mercaturae 33/ 1 (1999), S. 1-45; D E R S ., Amtsrech‐ nungen des Bistums Basel im späten Mittelalter. Die Jahre 1470-1472/ 73, St. Katharinen 1998 sowie D E R S ., Die Rechnung der Hofschaffnei Basel 1475/ 76, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte und Landeskunde 20 (2002) S. 27-50. des ehemaligen Fürstbistums Basel für ein breiteres Publikum herausgegeben wurde. 73 Die Geschichte Basels ist bis heute mehrheitlich eine Geschichte der Stadt Basel, die in ihren Grundzügen als Ablösungsgeschichte von der bischöflichen Herrschaft angelegt ist. 74 Diese Sichtweise wurde durch die Dominanz und die bis heute nachwirkende Rezeption der Basler Geschichte R U D O L F W A C K E R NA G E L s geprägt. 75 In diesen Kontext gehört auch eine erste Arbeit zur städtischen Briefkorrespondenz: Hans Berner untersuchte 1989 anhand des regen Briefwechsels zwischen der Stadt Basel und dem Basler Bischof die städtische Abgrenzungspolitik in dem durch die Reformation geprägten Zeitraum. Dabei legte er die Perspektive jedoch von städtisch-obrigkeitlicher Seite her an und stellte diese dem bischöflichen Wirkungsbereich gegenüber. 76 Für das Hochstift hingegen liegen seit den 1990er-Jahren vor allem wirt‐ schafts- und verwaltungsgeschichtliche Studien vor. Vor allem K U R T W E I S S E N77 , H AN S B E R N E R78 und B E R N D F U H R MAN N79 haben hier Grundlagenarbeit geleistet. Zudem wurde das Jubiläumsjahr 1999 genutzt, um nicht nur der Schenkung 37 Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel <?page no="38"?> 80 Vgl. hierzu vor allem die Aufsätze, die im Rahmen des Kolloquiums zur 1000-Jahr-Feier der Schenkung Moutier-Grandvals entstanden sind in R E B E T E Z , La donation de 999. 81 Vgl. J E A N -C L A U D E R E B E T E Z , L’intégration du chapitre et de la prévôté de Mou‐ tier-Grandval dans la seigneurie épiscopale, in: La donation de 999 et l’histoire médiévale de l’ancien évêché de Bâle, hrsg. von dems., Porrentruy 2002, S. 101-138, hier S. 110. 82 Vgl. D O R O T H E E R I P P M A N N , Herrschaftskonflikte und innerdörfliche Spannungen in der Basler Region im Spätmittelalter und an der Wende zur Frühen Neuzeit, in: Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne, hrsg. von Mark Häberlein, Konstanz 1999, S. 199-225 sowie D I E S ., Unbotmässige Dörfler im Spannungsverhältnis zwischen Land und Stadt. Pratteln im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Stadt und Land in der Schweizer Geschichte: Abhängigkeiten - Spannungen - Komplemen‐ taritäten, hrsg. von Ulrich Pfister, Basel 1998, S. 110-156 (Itinera, Bd. 19). 83 H A N S -J Ö R G G I L O M E N , Neuere Forschungen zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (2009), S. 482-510, hier S. 493. Für wirtschaftsgeschichtliche Forschungen zum Thema vgl. U L F D I R L M E I E R und G E R H A R D F O U Q U E T , Bischof Johannes von Venningen (1458-1478) auf Reisen. Aufwand und Konsum als Merkmale adliger Lebensführung, in: Symbole des Alltags - Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gertrud Blaschitz et al., Graz 1992, S. 113-145; B E R N D F U H R M A N N , Verwaltungsstruk‐ turen und Finanzen im Fürstbistum Basel - Erste Ergebnisse, in: Interregiones 5 (1996), S. 106-123; D E R S ., Rechnung; D E R S ., doch wils mins gneger heren nit; B E R N D F U H R M A N N und K U R T W E I S S E N , Einblicke in die Herrschaftspraxis eines Fürsten im 15. Jahrhundert. Das persönliche Notizheft des Basler Bischofs Friedrich zu Rhein 1441/ 42-1445, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 145 (1997), S. 1-43 sowie F O U Q U E T und H A R M V O N S E G G E R N , Ubstadt-Weiher, S. 135-148. Moutier-Grandvals als Beginn der bischöflichen Herrschaft im Jura zu ge‐ denken, sondern auch neuere Perspektiven auf das Alte Bistum zusammenzu‐ bringen. 80 So stellte J E AN -C LAU D E R E B E T E Z deutlich heraus, dass sich der Prozess einer Etablierung bischöflicher Herrschaft in den jurassischen Gebieten bis ins 13. Jahrhundert hinzog. 81 Der ländlichen Gesellschaft des Basler Gebietes (unter anderem) und der Etablierung von Herrschaft im ländlich-dörflichen Raum hat sich zudem D O R O TH E E R I P P MAN N angenommen, indem sie dörfliches Handeln und Aushandlungsprozesse mit Obrigkeiten anhand von baselländischen Fall‐ studien minutiös aufarbeitete. 82 H AN S -J ÖR G G IL O M E N konstatierte 2009 in einem Resümee zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte, dass „die Wirtschaftsgeschichte des Basler Bistums zu einem der meistbeachteten Forschungsfelder der letzten Jahre“ 83 geworden sei. Das Bistum Basel stellt insofern einen bemerkenswerten Gegenstand der Wirt‐ schaftsgeschichte dar, als die Verschuldungs- und Konsolidierungspraktiken des ökonomisch wenig einträglichen Gebietes besonders deutlich hervortreten. Dies liegt nicht zuletzt an der außergewöhnlich guten und dichten Überlieferung von 38 Einleitung <?page no="39"?> 84 Vgl. hierzu vor allem W E I S S E N , Stagnation sowie F U H R M A N N , Amtsrechnungen. 85 Vgl. dazu die Edition von V O L K E R H I R S C H und G E R H A R D F O U Q U E T , Das Haushaltsbuch des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478), Basel 2009. Zur Wirtschaftsfüh‐ rung vgl. V O L K E R H I R S C H , Zur Wirtschaftsführung im Territorium des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478), in: Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hrsg. von Harm von Seggern und Gerhard Fouquet, Ubstadt-Weiher 2000, S. 99-119. Für die als Dissertation publizierte Studie zur Hofführung vgl. D E R S ., Der Hof des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478). Verwaltung und Kommunikation, Wirtschaftsführung und Konsum, Ost‐ fildern 2004. Als Vorarbeiten zu den Rechnungen siehe G E R H A R D F O U Q U E T , Die Edition der Territorialrechnungen der Grafschaft Nassau-Dillenburg und des Hochstifts Basel im Spätmittelalter - ein Forschungsprojekt, in: Archivpflege in Westfalen und Lippe 38 (1993), S. 20-28. Diese Arbeiten entstanden im Umfeld der Residenzenforschung, vgl. in diesem Zusammenhang auch D I R L M E I E R und F O U Q U E T , Bischof Johannes von Venningen. 86 Vgl. etwa die kürzlich erschiene Arbeit von A N D R E A S S C H M I D T zur spätmittelalterlichen Erhebung der geistlichen Reichsfürsten in Trier, Bamberg und Augsburg: A N D R E A S S C H M I D T , Bischof bist Du und Fürst. Die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Spät‐ mittelalter (Trier, Bamberg, Augsburg), Heidelberg 2015. 87 Vgl. dazu W I L H E L M J A N S S E N , Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr. Das 14. und 15. Jahrhundert, in: Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festschrift für Joseph Kardinal Höffner, hrsg. von Peter Berglar und Odilo Engels, Köln 1986, S. 185-244. Zu geistlicher Territorialherrschaft allgemeiner, jedoch mit einem dezidiert frühneuzeitlichen Fokus vgl. Geistliche Staaten in Oberdeutschland im Rahmen der Reichsverfassung. Kultur - Verfassung - Wirtschaft - Gesellschaft. Ansätze zu einer Neubewertung, hrsg. von W O L F G A N G W Ü S T , Epfendorf 2002. S T E F A N B U R K H A R D T betrachtete 2008 in vergleichender Perspektive die beiden einflussreichsten Kirchenfürsten des 12. Jahrhunderts, die Erzbischöfe von Köln und Mainz, um das reichspolitische Herrschaftsverständnis und die entsprechende Reprä‐ sentationsleistung systematisch zu erschließen. Vgl. S T E F A N B U R K H A R D T , Mit Stab und Rechnungsquellen. 84 Mit den Wirtschaftsbüchern des Basler Bischofs Johannes von Venningen etwa hat sich V O L K E R H I R S C H systematisch auseinandergesetzt und zudem das reichhaltige Haushaltsbuch Johannes von Venningen zusammen mit G E R HA R D F O U Q U E T ediert und kommentiert, um die bischöfliche Wirtschafts‐ führung, Verwaltungsorganisation, aber auch das Konsumverhalten und die Bautätigkeit des Bischofshofs zu beleuchten. 85 Diese im Zuge der Residenzenforschung intensivierte Beschäftigung mit den Bischofshöfen hat jedoch auch offengelegt, dass sich kaum klar sagen lässt, ob und, wenn ja, wodurch sich bischöfliche Herrschaft von anderen Formen der Herrschaft unterscheidet. 86 Das Forschungsdesiderat zur Herrschaft der Basler Bischöfe stellt somit keinen Sonderfall dar. Selbst die Bischöfe des Alten Reiches, die nicht nur Geistliche innerhalb einer Kirchenorganisation, sondern zugleich Reichsfürsten und Territorialherren waren, haben jenseits der jewei‐ ligen regionalen Bistumsgeschichte bislang kaum Aufmerksamkeit erhalten. 87 39 Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel <?page no="40"?> Schwert. Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich, Ostfildern 2008. 88 Vgl. vor allem A N D R E A S B I H R E R , Research on the Ecclesiastical Princes in the Later Middle Ages. State-of-the-Art and Perspectives, in: Princely Rank in Late Medieval Europe. Trodden Paths and Promising Avenues, hrsg. von Thorsten Huthwelker, Jörg Peltzer und Maximilian Wemhöner, Ostfildern 2011, S. 49-70; D E R S ., Forms and Struc‐ tures of Power. Ecclesiastical Lordship, in: The Origins of the German Principalities 1100-1350. Essays by German Historians, hrsg. von Graham A. Loud, London 2017, S. 83-100 sowie Jenseits des Königshofs. Bischöfe und ihre Diözesen im nachkarolin‐ gischen ostfränkisch-deutschen Reich (850-1100), hrsg. von D E M S . und S T E F A N B R U H N , Boston 2019. Der bischöflichen Herrschaftspraxis in ottonischer Zeit widmet sich zudem die 2015 erschienene Studie von Tina Bode, vgl. T I N A B O D E , König und Bischof in ottonischer Zeit. Herrschaftspraxis - Handlungsspielräume - Interaktionen, Husum 2015. Immer noch einschlägig ist zudem R O B E R T L. B E N S O N s Studie zur Bedeutung des gewählten Bischofs, da sich diese Aushandlungsphase zum Verständnis des Amtes als besonders aufschlussreich erweist, vgl. R O B E R T L. B E N S O N , The Bishop-Elect. A Study in Medieval Ecclesiastical Office, Princeton 1968. Für eine ältere, regional ausgerichtete Archivarbeit zur Würzburger Hochstiftskanzlei vgl. T H O M A S F R E N Z , Kanzlei, Registratur und Archiv des Hochstifts Würzburg im 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongress für Diplomatik, hrsg. von Gabriel Silagi, München 1983, S. 139-146. 89 So lässt sich die Ausbildung einer episkopalen Kanzlei (neben der jeweiligen Kapelle) als allgemeine Tendenz seit dem 14. Jahrhundert fassen, jedoch bleibt deren personale Zusammensetzung und Abgrenzung - ebenso wie die Bestellung der gleichzeitig an‐ wachsenden Offizialatskurie und der Notariate - kaum systematisch erfassbar. Profes‐ sionalisierungstendenzen hingegen sieht B I H R E R nicht nur bei der Ausdifferenzierung der Schriftlichkeitsexperten, sondern auch im Verwaltungsstab. Spätmittelalterliche bischöfliche Herrschaft zentrierte sich immer mehr im bischöflichen Residenzhof und wurde von bepfründeten Domherren ebenso wie Amtsmännern der weltlichen Verwaltung mitgetragen, vgl. B I H R E R , Konstanzer Bischofshof, S. 169-182, 211-220 und 273. 90 Zur gleichen Einschätzung kommt auch A N D R E A S B I H R E R , vgl. B I H R E R , Research, S. 50. Die Frage, inwiefern episkopale Herrschaft im Spätmittelalter eine spezifische Form von Herrschaft darstellte, wurde erst in den letzten Jahren vor allem mit den Arbeiten von A N D R E A S B IH R E R als Forschungsfeld etabliert. 88 In seiner umfassenden Studie zum Konstanzer Bischofshof im Spätmittelalter skizziert er die bischöfliche Herrschaftspraxis mit den untereinander verschränkten Parametern von zunehmender Schriftlichkeit, Institutionalisierung und Zentra‐ lisierung. 89 Neben vorrangig regionalgeschichtlichen Arbeiten zum früh- und hochmit‐ telalterlichen Wirkungs- und Herrschaftsbereich einzelner Bischöfe und Bis‐ tümer 90 hatten Forschungen der 1970er- und 1980er-Jahre die Spannungen und konfligierenden Interessen zwischen Bischof und Bischofsstadt als duale Konkurrenz in den Blick genommen. Jüngere Forschungen stellen jedoch nicht 40 Einleitung <?page no="41"?> 91 Vgl. etwa Bischofsstadt ohne Bischof ? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöflichen Städten des Mittelalters (1300-1600), hrsg. von A N D R E A S B I H R E R und G E R H A R D F O U Q U E T , Ostfildern 2017; B I H R E R , Einzug sowie Bischof und Bürger. Herr‐ schaftsbeziehungen in den Kathedralstädten des Hoch- und Spätmittelalters, hrsg. von U W E G R I E M E , N A T H A L I E K R U P P A und S T E F A N P Ä T Z O L D , Göttingen 2004. Für Basel vgl. C H R I S T I A N H E S S E , Interaktion zwischen Bischof und Bischofsstadt. Bischöfliche Amtsträger als Angehörige residenz- und amtsstädtischer Eliten, in: Bischofsstadt ohne Bischof ? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöflichen Städten des Mittelalters (1300-1600), hrsg. von Andreas Bihrer und Gerhard Fouquet, Ostfildern 2017, S. 289-310. 92 Vgl. zudem die Forschungsdiskussionen in A N D R E A S B I H R E R , Bischofsstadt ohne Bi‐ schof ? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöflichen Städten des Mittel‐ alters (1300-1600). Forschungsfelder und Forschungsperspektiven, in: Bischofsstadt ohne Bischof ? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöflichen Städten des Mittelalters (1300-1600), hrsg. von dems. und Gerhard Fouquet, Ostfildern 2017, S. 9-37, hier S. 9-10. Siehe zudem J Ö R G W E T T L A U F E R , Zwischen Konflikt und Symbiose. Über‐ regionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Fürstenhof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von dems. und Werner Paravicini, Ostfildern 2006, S. 19-33 sowie und B I H R E R , Research. Zum Fokus auf Kooperation vgl. M I C H A E L S C H O L Z , Konflikt und Koexistenz. Geistliche Fürsten und ihre Städte in Mitteldeutschland im späten Mittelalter, in: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt, hrsg. von Werner Freitag, Klaus Erich Pollmann und Matthias Puhle, Halle 1999, S. 79-99; A N D R E A S B I H R E R , Winterthur als Bischofsstadt. Auszug, Aussperrung und Vertreibung von Konstanzer Bischöfen im Mittelalter, in: Zürcher Taschenbuch 124 (2004), S. 117-134 sowie U W E G O P P O L D , Politische Kommunikation in den Städten der Vormoderne. Zürich und Münster im Vergleich, Köln 2007. Für Basel hat sich etwa C H R I S T O P H W E B E R in zwei Aufsätzen der Beziehung zwischen Bischof und Stadt Basel zugewandt, dabei aber neueste Ansätze zu symbolischer Kommunikation, Schriftgebrauch und politischer Kultur aufgenommen und die Beziehung differenziert dargestellt, vgl. C H R I S T O P H F R I E D R I C H W E B E R , Vom Herrschaftsverband zum Traditionsverband? Schriftdenkmäler in öffentlichen Begeg‐ nungen von bischöflichem Stadtherrn und Rat im spätmittelalterlichen Basel, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 449-491 sowie D E R S ., Schriftstücke in der symbolischen Kommunikation zwischen Bischof Johann von Venningen (1458-1478) und der Stadt Basel, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 355-383. länger nur auf den konflikthaften Charakter dieser Beziehung scharf 91 , vielmehr kann seit der Jahrtausendwende von einer Trendwende hin zu Formen der Kooperation und Aushandlung gesprochen werden, die nicht selten jenseits der Polarität von Bischof und Stadt zu verorten sind. 92 41 Forschungsstand und Übersicht: Die Bischöfe von Basel <?page no="42"?> 93 Vgl. M A R G R I T W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen bis zum Badener Vertrag 1610, in: Bieler Geschichte, hrsg. von der Stadt Biel, unter der Leitung von David Gaffino und Reto Lindegger, Bd. 1, Baden 2013, S. 16-267, hier S. 65. 94 Vgl. P A U L B L O E S C H , Einleitung, in: Die Rechtsquellen der Stadt Biel mit ihren „Äusseren Zielen“ Bözingen, Vingelz und Leubringen (SSRQ BE I/ 13), bearbeitet von Paul Bloesch, mit einem Register von Achilles Weishaupt, Basel 2003 (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Stadtrechte I/ 13), S. XXI-XLII, hier S. XXI. 95 Vgl. dazu die in zwei Bänden herausgegebene Bieler Geschichte, 2 Bde., hrsg. von der Stadt Biel, unter der Leitung von D A V I D G A F F I N O und R E T O L I N D E G G E R , Baden 2013. M A R G R I T W I C K -W E R D E R dankt die Verfasserin an dieser Stelle herzlich für die bereit‐ willige und hilfreiche Unterstützung und das Teilen ihrer damals noch unpublizierten Aufsätze. 96 Vgl. C É S A R A D O L P H B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel und ihres Panner-Gebietes, Biel 1855-1856; G U S T A V B L O E S C h, Chronika von Biel von den ältesten Zeiten bis zu Ende 1873, Biel 1875; E M I L A N T O N B L O E S C H , Verfassungsgeschichte der Stadt Biel von der Frühzeit bis zum Sturz des Familienregiments im Jahre 1798, Biel 1977 (Gekürzte Ausgabe der 1925 erschienenen Arbeit); H A N S B L O E S C H , Bieler Soldatenbriefe aus dem 15. Jahrhundert, in: Festschrift Friedrich Emil Welti, hrsg. von Hektor Ammann, Aarau 1937, S. 116-127 und schließlich siehe auch: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13. Forschungsstand und Übersicht: Die Stadt und das Gebiet Biel Das weltliche Herrschaftsgebiet des Basler Bischofs umfasste während seiner größten Ausdehnung im 14. Jahrhundert die Stadt Basel, weite Gebiete des heutigen Kantons Jura, das Laufental, Birseck, den Sisgau, die beiden kleineren oberrheinischen Besitzungen Istein und Schliengen sowie den heutigen Berner Jura mit den Landstädten La Neuveville und eben Biel. 93 Biel bezeichnete dabei einerseits die Stadt Biel, andererseits das Meiertum Biel als territoriales Gebilde. Die zunehmende Unterscheidung von Stadt und Meiertum zeitigte zudem Konsequenzen für die Bedeutung Biels als Verwaltungszentrum, von dem aus der Meier als bischöflicher Vertreter vor Ort agierte. Diese Kompetenzteilung wird im Folgenden immer auch eine Rolle spielen. Noch 2003 hatte P A U L B L O E S C H in seiner Einleitung zur Rechtsquellenedition der Stadt Biel bemerkt, dass eine zeitgemäße Gesamtdarstellung der Geschichte Biels fehle. 94 Lokalhistorisches Interesse hat zwar einige Arbeiten hervorge‐ bracht, doch erst 2013 kam eine umfassende Bieler Geschichte in zwei Bänden zum Abschluss. 95 Bis heute dominieren die Arbeiten der Familie Bloesch, mit deren Archiv- und Schreibtätigkeit die Stadt Biel auf das engste verbunden ist. 96 Hauptrefe‐ renzen bildeten bis dahin C É S A R A D O L P H B L O E S C H S Geschichte der Stadt Biel und 42 Einleitung <?page no="43"?> 97 C É S A R A D O L P H B L O E S C H war zwischen 1826 und 1841 hauptverantwortlich für die Neuorganisation und Inventarisierung aller Bestände des Stadtarchivs. Jedes einzelne Dokument ist durch seine Hände gegangen und fein säuberlich in General- und Spezialregister eingetragen worden, vgl. dazu die Einführung ins Stadtarchiv Biel von H E I N R I C H T Ü R L E R , Inventar des Stadtarchivs von Biel, in: Inventare Schweizerischer Archive, hrsg. auf Veranstaltung der Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz. Beilage zum Anzeiger für Schweizerische Geschichte, Bd. 1, Bern 1895, S. 73-82, hier S. 74. Für das Generalregister vgl. B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. I-XVI, hier S. V-VI und für die Spezialregister vgl. StadtA Biel, Spezialregister, 8 Bde. Nach Abschluss dieser Inventarleistung schrieb er die oben erwähnte erste umfassende Geschichte der Stadt Biel und ihres Bannergebietes. Mit dem Begriff „Panner-Gebiet“ bezeichnet B L O E S C H das Gebiet, in dem die Stadt Biel ihr Mannschaftsrecht ausübte, vgl. dazu auch B L O E S C H , Einleitung, S. XXVIII. Beide Werke B L O E S C H S zeugen von einem äußerst genauen Umgang mit den Schriftstücken, welche häufig direkt im Text zitiert und angeführt werden. 98 Vgl. dazu C H R I S T I A N W I L H E L M B I N D E R , Geschichte der Stadt Biel und Landschaft Biel in ihrem Zusammenhange mit der Geschichte der Eidgenossenschaft, Bd. 1, Biel 1834; J O H A N N E S E R N I , Über die älteste Geschichte der Stadt Biel und die Art und Entstehung ihrer Connexion mit dem Bistum Basel, Biel 1897 sowie H E I N R I C H T Ü R L E R , Das alte Biel und seine Umgebung, Biel 1902. 99 Vgl. dazu auch H A N S M I C H E L , Die Grenzziehung zwischen Bern und dem Fürstbistum Basel, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 50 (1966), S. 57-402. 100 Vgl. W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen, S. 67. ihres Panner-Gebietes  97 von 1855/ 56 sowie die 1925 erschienene Verfassungsge‐ schichte von E MIL A N T O N B L O E S C H . Weitere Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert beschäftigten sich indes vor allem mit der Frage, welche Rolle Biel innerhalb der Eidgenossenschaft eingenommen hat. 98 Bieler Geschichte ist somit immer Regionalgeschichte geblieben. 99 Wie und wann sich der bischöfliche Zugriff auf das städtische Gebiet im Verlaufe des 12. und 13. Jahrhunderts genau etabliert hat, bleibt eine offene Forschungsdiskussion, denn erst ab dem 13. Jahrhundert lassen sich entspre‐ chende Ansprüche fassen. 100 So verpfändete 1234 Berchtold von Neuenburg dem Basler Bischof Heinrich II. von Thun die Vogtei Biel, die er zuvor als Lehen von demselben erhalten hatte. Die Vogtei umfasste wohl die Stadt Biel wie auch das Gebiet zwischen Ligerz-Kalchofen und Bözingen. Die Bedeutung der Vogtei lässt sich anhand der schriftlichen Überlieferung kaum erschließen, jedoch deutet die Präsenz eines bischöflichen Meiers und die spätere Zuordnung der Dörfer Ligerz, Twann und Tüscherz zum Einflussbereich der Grafen von Nidau darauf hin, dass die Vogtei kaum nachhaltige Strukturen hinterlassen hat. Die Geschichte Biels im Spätmittelalter ist jedoch in jedem Fall untrennbar mit den Entwicklungen des in Sichtweite gelegenen Nidau verbunden. Gerade der Ausbau der beiden Burgen im 13. Jahrhundert deutet darauf hin, dass die 43 Forschungsstand und Übersicht: Die Stadt und das Gebiet Biel <?page no="44"?> 101 Vgl. ebd., S. 68-69. 102 Zum Meier vgl. auch das entsprechende Unterkapitel. Zur Entwicklung des Meieramtes und dessen Verbindung zu den sogenannten „Herren von Biel“ vgl. ebd. 103 Vgl. ebd., S. 82. 104 B L O E S C H verweist darauf, dass zwar Mett neben den anderen drei Dörfern meist erwähnt wird, im verwaltungspraktischen und organisatorischen Alltag der Stadt aber kaum eine Rolle spielte, vgl. B L O E S C H , Einleitung, S. XXVI-XVII. 105 Gerichtlich waren die Dörfer jedoch nicht einheitlich organisiert, so unterhielten Bözingen und Mett zunächst je einen Dinghof. Zu den Grenzziehungen im Allgemeinen und zu den Ausscheidungen mit Bern vgl. M I C H E L , Grenzziehung. Für die Bedeutung des Sees im Zusammenhang mit der Stadt Biel vgl. A R M A N D B A E R I S W Y L , Biel - eine Stadt am See? Einige Überlegungen zum Verhältnis von Stadt und See im Mittelalter, in: Siedlungsforschung 27 (2009), S. 185-198. 106 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Stadtsatzungen, Nr. 57, S. 93-104. 107 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 78, S. 120-122. Bischöfe von Basel und die Grafen von Neuenburg-Nidau sich hier strategisch aneinander ausrichteten. 101 Die Bieler Bürgerschaft lässt sich als kommunale Größe spätestens ab Mitte des 13. Jahrhunderts fassen. Die Geschäfte der Stadt wurden von einem Rat geführt, dem der Meier als bischöflicher Stellvertreter vorstand. 102 Für das kom‐ munale Selbstbewusstsein Biels bedeutsam war das 1275 ausgestellte Stadtrecht von Großbasel, das Rudolf I. von Habsburg verlieh. Vier Jahre später zeigte sich der kommunale Handlungsspielraum Biels, indem die Stadt ein Vertragsbündnis mit Bern einging. Der Einbezug in Bündnisnetzwerke spielte in der Folge - vor allem in Bezug auf Biels Mannschaftsrechte im Erguel - eine große Rolle, sowohl zunächst in der sogenannten Burgundischen Eidgenossenschaft, später dann auch in der „Schweizerischen“ Eidgenossenschaft. 103 Biel als Stadt mit ihrem städtischen Umland und ihren Einflussgebieten lässt sich für das Spätmittelalter folgendermaßen beschreiben: Der städtische Rechts- und Gerichtskreis war ab 1300 in etwa festgelegt und umfasste zwei mehr oder weniger distinkte Räume. Neben dem durch Ringmauern begrenzten Stadtraum gehörten die sogenannten „äußeren Ziele“ des Stadtgebietes mit den Dörfern Bözingen, Vingelz, Leubringen und Mett 104 sowie das Gebiet entlang der Schüss bis zur Mündung der Zihl in den Bielersee dazu. 105 Innerhalb dieser äußeren Ziele regelte die Stadt spätestens ab dem 15. Jahrhundert Erbrecht, Bau- und Güterwesen, Pfänder und weitere Aufgaben gemäß den Stadtsatzungen. 106 Im Grundsatz lag die Hohe und Niedere Gerichtsbarkeit beim Basler Bischof und wurde durch den Meier als lokalem Herrschaftsvertreter ausgeübt. Erst ab 1468 erhielt die Stadt von Bischof Johannes von Venningen Anteil an der Hohen Gerichtsbarkeit. 107 Die Überlappung unterschiedlicher Rechtskreise blieb jedoch typisch für eine Landstadt wie Biel. Folgendes Beispiel verdeutlicht in 44 Einleitung <?page no="45"?> 108 Vgl. C H A R L E S S I M O N , Les rivalités de co-souveraineté à la Montagne de Diesse sous le régime des princes-évêques, in: Actes de la société jurasienne d’émulation (1949), S. 75-82. 109 Vgl. Das Stadtrecht von Bern (SSRQ BE I/ 4.1), bearbeitet von H E R M A N N R E N N E F A H R T , Aarau 1955 (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Stadtrechte I/ 4.1), Nr. 167, S. 425-426. 110 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Nachkommen der ehemaligen Eigen‐ leute der von Ligerz, vgl. A N N E -M A R I E D U B L E R , Art. Ligerz, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D443.php (zuletzt aufgerufen am: 21.12.21). 111 Auf kommunaler Stufe kämen weiter die sozioökonomisch bedeutsamen Rechtsorga‐ nisationen der Gesellschaften hinzu. In Biel waren die Gewerbe in die Zünfte Rebleute, Wald, Pfauen, Schal, Pfister und Schuhmacher eingeteilt, vgl. B L O E S C H , Einleitung, S. XVII. 112 Vgl. W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen, S. 85-86. prägnanter Weise, wie sich der Umgang mit Rechtstiteln und -kreisen in diesem zwar äußerst überschaubaren, aber rechtlich stark partikularen Stadtgebiet gestaltete. So besaßen in diesem Rechtsgebiet auch die Grafen von Nidau Rechte, wie das einträgliche Recht zur Aburteilung von Dieben. Dieses Recht, das zudem auch auf dem Montagne de Diesse und in der Herrschaft Orvin galt, war 1388 an die Rechtsnachfolgerin der Grafen, die Stadt Bern, gelangt. 108 Dass diese Rechtsordnungen jedoch oft einen Spielraum boten, zeigt die Auseinanderset‐ zung zwischen Bischof und Stadt Bern bezüglich des Verurteilungsrechts von Diebinnen. Erst ein Zürcher Spruch von 1472 entschied den Konflikt zugunsten Berns, indem Diebinnen und Diebe unter das gleiche Recht gestellt wurden. 109 Die Bevölkerung wiederum gehörte ebenfalls unterschiedlichen Rechts‐ kreisen an und gruppierte sich - schematisch - in folgende Zugehörigkeiten: kommunale Bürgerschaft, bischöfliche Gotteshausleute und Erbbürger in den Seeorten 110 , Ausburger, Verburgrechtete sowie Hintersassen. 111 Wie bereits eingangs erwähnt, existierte zudem ein Meiertum Biel. Der Bieler Meier war ab dem 13. Jahrhundert in zweierlei Funktion tätig: In der Stadt und ihren äußeren Zielen amtete er als Stellvertreter des Stadtherrn, im Tal von Saint-Imier und in Tramelan ab 1264, in den Dörfern Pieterlen, Meinisberg und Reiben wiederum ab 1282 übernahm er die bischöflichen Vogteirechte. Das Meieramt Biel umfasste sowohl den städtischen Rechtsbezirk wie die landschaft‐ lichen Rechtsbezirke. 112 Aus dieser Kompetenzteilung ergibt sich auch - was in der vorliegenden Arbeit ebenfalls deutlich werden wird - die Bedeutung von Biel als Verwaltungs- und Informationszentrum der bischöflichen Herrschaft. Nach 1360 verkauften oder verpfändeten die Basler Bischöfe wichtige Gebiete ihrer alten Herrschaft. Bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts hielten sie nur noch die Täler von Delémont, Moutier und Saint-Imier sowie die Städte La 45 Forschungsstand und Übersicht: Die Stadt und das Gebiet Biel <?page no="46"?> 113 Gegen Ende des hier untersuchten Zeitraums konnte zudem der herrschaftliche Be‐ sitz zwischen Schliengen und Porrentruy noch einmal ausgebaut werden, vgl. dazu W E I S S E N , Verwaltung, S. 213. Neuveville und Biel in direktem administrativem und wirtschaftlichem Zugriff. Das episkopale Kerngebiet um Basel war dabei, wie K U R T W E I S S E N gezeigt hat, auf kaum nennenswerten Besitz zusammengeschrumpft, was durchaus auf die bischöfliche Herrschaftsintensivierung im Bieler Raum zurückgewirkt haben könnte. 113 Die spätmittelalterlichen Jahrhunderte sind für die Stadt Biel aus mehreren Gründen ein besonders wichtiger Zeitraum. Biel kann so als Paradebeispiel einer Stadtgemeinde mit einem bischöflichen Stadtherrn gelten, die sich zwar seit dem 13. Jahrhundert in der eidgenössischen Bündnispolitik engagierte, der jedoch der Sprung in die Riege der eidgenössischen Orte nicht gelang. Aus eidgenössischer Sicht blieb Biel auf der historischen Ersatzbank als allenfalls „zugewandter“ Ort. Dies hängt wohl nicht zuletzt mit der besonderen Lage Biels am südwestlichen Rand des bischöflichen Herrschaftsgebietes zusammen. Mit den Grafen von Nidau und ab Ende des 14. Jahrhunderts mit der Stadt Bern stießen mächtige und auf Expansion ausgerichtete Herrschaften unmittelbar an das Bieler Gebiet an. Expansion und Konsolidierung von Herrschaftsrechten, wie man sie aus fast allen Regionen im Raum der heutigen Schweiz und des 46 Einleitung <?page no="47"?> 114 Zu spätmittelalterlichen Territorialisierungsprozessen allgemein vgl. einführend P E T E R M O R A W , Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, in: Lan‐ desherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongress für Diplomatik, hrsg. von Gabriel Silagi, München 1983, S. 61-108 sowie D E R S ., Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Frankfurt a. M. 1989. Siehe zudem die grundlegende Studie von D I E T M A R W I L ‐ L O W E I T , Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hrsg. von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh, Stuttgart 1983, S. 21-65. Zur königlichen Reichsfriedenspolitik und Gerichtsbarkeit im Reich vgl. H E N D R I K B A U M B A C H , Königliche Gerichtsbarkeit und Landfriedenssorge im deutschen Spätmittelalter. Eine Geschichte der Verfahren und Delegationsformen zur Konfliktbehandlung, Köln/ Weimar/ Wien 2017. Für die eidgenössischen Territori‐ alisierungsbestrebungen vgl. etwa R O G E R S A B L O N I E R , Schweizer Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert. Staatlichkeit, Politik und Selbstverständnis, in: Die Entstehung der Schweiz. Vom Bundesbrief 1291 zur nationalen Geschichtskultur des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Josef Wigert, Schwyz 1999, S. 9-42; M A R T I N A S T E R C K E N , Kleinstadtgenese und herrschaftliche Raumerfassung in habsburgischen Gebieten westlich des Arlbergs, in: Raumerfassung und Raumbewusstsein im späteren Mittelalter, hrsg. von Peter Moraw, Stuttgart 2002, S. 233-273; D I E S ., Herrschaftsausübung und Landesausbau. Zu den Landfrieden der Habsburger in ihren westlichen Herrschaftsgebieten, in: Landfrieden. Anspruch und Wirklichkeit, hrsg. von Arno Buschmann und Elmar Wadle, Paderborn et al. 2002, S. 185-211; D I E S ., Städte der Herrschaft. Kleinstadtgenesen im habsburgischen Herrschaftsraum des 13. und 14. Jahrhunderts, Köln 2006 sowie C H R I S T I A N H E S S E , Expansion und Ausbau. Das Territorium Berns und seine Verwaltung im 15. Jahrhundert, in: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. von Ellen J. Beer et al., Bern 1999, S. 330-348. Eine knappe Übersicht über die Schweizer Verhältnisse findet sich zudem in R A I N E R H U G E N E R , Herrschaftsverhältnisse in der spätmittelalterlichen Schweiz, in: Traverse 1 (2013), S. 19-31. 115 Vgl. dazu StadtA Biel 1, 45, XXI (Missiven der Fürstbischöfe von Basel). 116 So zum Beispiel im Burgerarchiv Burgdorf. Abgesehen von den in der Mitte des 16. Jahr‐ hunderts einsetzenden Missivenbüchern finden sich für frühere Zeiträume kaum mehr Einzelbriefe. Die Verfasserin dieser Arbeit dankt an dieser Stelle Frau Graziella Borelli (Burgerarchivarin) herzlich für ihre Auskunft. Heiligen Römischen Reiches kennt, lassen sich in Biel als kleiner Landstadt an der Herrschaftsgrenze gleichsam mikrohistorisch verfolgen. 114 Material und Methodik Die Entscheidung, den Fokus der vorliegenden Arbeit auf die Missiven der Basler Bischöfe an ihre Landstadt Biel 115 zu legen, ist zunächst in der äußerst guten Überlieferungslage begründet. In vielen anderen ehemals herrschaftli‐ chen Lokalarchiven sind diese oft sehr kurzen „unnützen“ Schreiben im Verlauf der Neuzeit kassiert 116 oder, am Pertinenzprinzip orientiert, unterschiedlichen 47 Material und Methodik <?page no="48"?> 117 Vgl. hierzu Kapitel 1.1. Zur kultur- und administrationsgeschichtlichen Einordnung der Archivgeschichte allgemein vgl. M A R K U S F R I E D R I C H , Die Geburt des Archivs. Eine Wissensgeschichte, München 2013. 118 Vgl. dazu W E I S S E N , Verwaltung, S. 239. 119 Vgl. hierzu die Untersuchung von V O L K E R H I R S C H zum Haushalt des Basler Bischofs Johannes von Venningen. Ein Unterkapitel widmet sich den Außenbeziehungen (Ge‐ sandtschaften, Botenwesen), siehe H I R S C H , Hof, S. 102-118. Für die Stadt Basel findet sich bei G R O L I M U N D ein exemplarischer Versuch, Korrespondenzpartner auszuzählen und zu systematisieren. Die quantitative Untersuchung liefert jedoch den nicht unbe‐ dingt überraschenden Beleg, dass die häufigsten Korrespondenzpartner der Stadt die benachbarten Herrschaftsorte und -träger (oberrheinische und elsässische Städte sowie Bern, Solothurn und Zürich) waren, vgl. dazu C H R I S T O P H G R O L I M U N D , Die Briefe der Stadt Basel im 15. Jahrhundert. Ein textlinguistischer Beitrag zur historischen Stadt‐ sprache Basels, Tübingen/ Basel 1995, S. 182-184. Neben der zentralen bischöflichen Missivensammlung (Stadt A Biel 1, 45, XXI) muss an dieser Stelle auch auf die punktuelle und sehr karge Überlieferung der Missivenserie der Bistumspfleger und Coadjutoren hingewiesen werden, vgl. StadtA Biel 1, 51, LXIII (1392-1537). 120 Vgl. StadtA Biel 1, 4, XIII. Dossiers zugeteilt worden, was ihre systematische Untersuchung als Serie stark erschwert. 117 Die Bieler Missiven hingegen sind dank der handschriftlichen Regesten des früheren Stadtarchivars César Adolph Bloesch auf Einzeldoku‐ mentstufe erschlossen. So bietet dieser Bestand die Möglichkeit, medial ver‐ mittelte Herrschaftspraxis anhand einer zusammenhängenden Serie über fast zwei Jahrhunderte hinweg zu beobachten (1380-1527). Damit steht nicht die Korrespondenz eines bestimmten Basler Bischofs (zum Beispiel Johannes von Venningen) oder ein bestimmtes Ereignis, um das herum sich die Überlieferung verdichtete (zum Beispiel die Burgunderkriege), im Zentrum, sondern der Untersuchungszeitraum folgt vielmehr den Überlieferungsbedingungen des Bestandes: Vor 1380 sind keine bischöflichen Missiven überliefert. Das Ende des Untersuchungszeitraums in den 1520er-Jahren wird durch die Restrukturie‐ rung der Ämterorganisation und Verwaltung des Bistums nach dem Episkopat Christophs von Utenheim (1502-1527) markiert. 118 Die Basler Bischöfe führten - wie dies auch parallel für andere geistliche und weltliche Herrschaften üblich war - Korrespondenz mit den umliegenden und je nach Anliegen mit weiter entfernten Herrschaftsträgern. 119 Für Biel selbst sind vor allem Briefwechsel mit einzelnen eidgenössischen Orten überliefert, allen voran mit Bern, Freiburg, Solothurn und Basel. 120 Quantitativ weniger umfas‐ send, aber bis heute im Stadtarchiv Biel ebenfalls nach Korrespondenzpartnern geordnet, finden sich weitere Missivenkorrespondenzserien mit Zürich, Glarus, Schaffhausen, Appenzell AR, St. Gallen (sowohl Stadt wie Abt), Mulhouse, 48 Einleitung <?page no="49"?> 121 Diese Kategorisierung nach Orten und Institutionen zeugt von neuzeitlichen Vorstel‐ lungen. So wurden die eidgenössischen Orte in der Archivordnung nachträglich in diese Eidgenossenschaftsordnung gebracht. Auch die Einteilung der Orte nach konfessioneller Ausrichtung spiegelt eine historische Kategorisierung wider, vgl. dazu allgemein Franz, Archive. Zu Staatsarchiven als Projekten des 19. Jahrhunderts vgl. J Ü R G E N O S T E R H A M M E L , Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2008, hier S. 32f. 122 Vgl. H E I N R I C H T Ü R L E R , Heinrich, Inventar des Stadtarchivs von Biel, in: Inventare Schweizerischer Archive, hrsg. auf Veranstaltung der Allgemeinen Geschichtsforsch‐ enden Gesellschaft der Schweiz. Beilage zum Anzeiger für Schweizerische Geschichte, 1. Teil, Bern 1895, S. 73-82, hier S. 75-80. 123 Vgl. AAEB B 138, 64, 1 Biel. 124 Vgl. AAEB COD 332a (Missivenbuch 1510-1519) und COD 332b (Missivenbuch 1507- 1509). 125 Die frühesten erhaltenen Missivenbücher aus dem Raum der heutigen Schweiz stammen aus der Basler Kanzlei und setzen 1386 bzw. 1409 ein. Aus Zürich sind die ersten Missivenbücher ab 1421, in Bern ab 1442 und in Freiburg ab 1449 überliefert. Flächendeckende Ausmaße nehmen die Missivenbände jedoch erst ab dem frühen 16. Jahrhundert an. 126 Für eine erste auf Missivenbücher ausgerichtete Untersuchung vgl. P E T E R H E S S E und M I C H A E L R O T H M A N N , Zwischen Diplomatik und Diplomatie. Städtische Briefbücher als serielle Schlüsselzeugnisse städtischer Kommunikation im deutschen Spätmittelalter. Die Kölner Briefbücher von 1418 bis 1424. Ein Werkstattbericht, in: Geschichte in Köln 52 (2005), S. 69-88. Für den in dieser Arbeit untersuchten Raum vgl. zudem die Auswertung von Missivenbücher für den Burgunderkrieg in A R N O L D E S C H , Berns Weg in den Burgunderkrieg, in: Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. von Arnold Esch, Bern/ Stuttgart/ Wien 1998, S. 11-86, hier S. 37-48. Daneben finden sich zahlreiche Arbeiten, die thematisch, aber ebenfalls kursorisch auf Missivenbücher als Alternativüberliefe‐ rung zurückgreifen, vgl. etwa B A S T I A N W A L T E R , Informationen, Macht und Wissen. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik. Bern, Straßburg und Basel im Kontext Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Graubünden. 121 Dazu kommen als einzeln ausgewiesene Adressaten die Abtei Bellelay, die Probstei Moutier sowie Nidau und Neuenburg. Weitere Orte und adlige Herrschaftsträger sind mit Biel in mehr oder weniger konstantem Briefwechsel. 122 Die Archivrecherchen in Biel werden zudem mit den Bieler Beständen in den Archives de l’ancien évêche de Bâle in Porrentruy ergänzt. 123 Neben den teilweise in Abschriften vorliegenden Missiven und dem disparaten Archivgut zu Biel können hier besonders die ab dem frühen 16. Jahrhundert überlieferten bischöflichen Missivenbücher mit der in Biel überlieferten Missivenserie in Beziehung gesetzt werden. 124 Missivenbücher, also Zusammenstellungen von Sendbriefen in Form von Entwürfen oder Konzepten, setzen im Raum der heu‐ tigen Schweiz erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts vermehrt ein. 125 Funktion und Gebrauch dieser Missivenbücher bleiben vorerst ein Forschungsdesiderat. 126 49 Material und Methodik <?page no="50"?> der Burgunderkriege (1468-1477), Stuttgart 2012 oder auch M I L E N A S V E C G O E T S C H I , Klosterflucht und Bittgang. Apostasie und monastische Mobilität im 15. Jahrhundert, Köln 2015, hier vor allem S. 283-287. 127 Zum Begriff ‚Schrifthandeln‘ vgl. die vorangegangenen Ausführungen in der Einlei‐ tung. Grundlegend dazu siehe K E L L E R , Pragmatische Schriftlichkeit, hier vor allem S. 1. In der vorliegenden Arbeit wird darum ein Vergleich von Missivenkonzepten und -abschriften mit den nach Biel verschickten Missivenbriefen vorgenommen, der einen Zugang zu den unterschiedlichen Gebrauchslogiken dieser Medien‐ formen ermöglicht. Die über 800 bischöflichen Missiven, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit transkribiert und in eine Datenbank überführt worden sind, bilden neben Meieramtsbriefen, Missiven anderer Orte, Missivenbüchern und weiterem administrativen Schriftgut den Hauptbestandteil des hier untersuchten Doku‐ mentkorpus. Die datenbankbasierte Erfassung der Missiven ermöglicht es zum einen, Frequenzen und Konjunkturen des Missivenverkehrs im untersuchten Zeitraum (1380-1527) auszumachen, zum anderen macht sie Entwicklungsten‐ denzen in den Adressierungsformeln, in Worthäufigkeiten und -verteilung, aber auch Referenzen der Missiven untereinander erkennbar. Durch die Sammlung dieser intertextuellen Bezüge konnte zudem die von Bloesch vorgeschlagene chronologische Ordnung in einigen Fällen korrigiert werden. Es zeigte sich weiterhin, dass nicht alle Missiven zu einem bestimmten Thema einander chronologisch unmittelbar folgten, sondern Schreiben auch über größere Un‐ terbrechungen hinweg aufeinander Bezug nahmen. Mithilfe der Datenbank lässt sich so auch die Eigentümlichkeit spätmittelalterlicher Herrschaftsausübung, Konfliktaustragung und Einigungsfindung herausarbeiten, die sich gerade durch lange Dauer, Verzögerungen und Unterbrechungen in Entscheidungsfin‐ dungsprozessen auszeichnet. Aufbau der Arbeit Mit den Erkenntnissen aus der Forschungsdiskussion, den Befunden aus dem Untersuchungsraum und -setting der Herrschaft und aus den Bedingungen des ausgewählten Materials lassen sich die eingangs formulierten Fragen nach der Bedeutung von Missiven in der bischöflichen Herrschaftspraxis präzisieren und in drei Untersuchungsbereiche gliedern. In einem ersten Untersuchungsbereich (Kapitel 1) wird die Missive als Me‐ dium und Brieftyp mit dem Ziel untersucht, zeitgenössische Differenzierungs‐ weisen und damit verbundene Formen des Schrifthandelns zu erschließen. 127 50 Einleitung <?page no="51"?> 128 Vgl. dazu vor allem die methodischen Vorarbeiten von J O S E P H M O R S E L , Brief und Schrift. Überlegungen zu den sozialen Grundlagen schriftlichen Austauschs im Spätmittelalter am Beispiel Frankens, in: Textus im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hrsg. von Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine, Göttingen 2005, S. 285-320. Zur Interpretation spätmittelalterlicher Briefe als materielle Objekte vgl. zudem J Ü R G E N H E R O L D , Die Interpretation mittelalterlicher Briefe zwischen historischem Befund und Medientheorie, in: Text - Bild - Schrift. Vermittlung von Information im Mittelalter, hrsg. von Andreas Laubinger, Paderborn 2007, S. 101-126. 129 Vgl. dazu Untersuchungen zur Korrespondenz zwischen eidgenössischen Orten, etwa M I C H A E L J U C K E R , Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenös‐ sischen Tagsatzungen im Spätmittelalter, Zürich 2004 sowie die 2010 an der Universität Münster eingereichte Dissertation von W A L T E R , Informationen. Welches Ausmaß dieser Schriftenaustausch annahm, ist bislang auch auf regionaler Ebene kaum systematisch angegangen worden. Dabei geht es zunächst um die Frage, in welcher Form und ab welchem Zeitpunkt sich Missiven aus historischer Perspektive überhaupt als einheitlicher Schriftguttyp fassen lassen. Ausgehend von der aktuellen Überlieferungsform wird der Begriff ‚Missive‘ als Archivkategorie kritisch hinterfragt: Dabei geht es einerseits um die historische Unterscheidung von Briefen und Urkunden (Kapitel 1.1), andererseits wird dem heute einheitlichen Begriff ‚Missive‘ die mittelalterliche Bezeichnungsvielfalt für Missiven gegenübergestellt, um in einer historisch-semantischen Analyse zeitgenössische Differenzierungsweisen und damit verbundene Gebrauchslogiken zu erschließen, die in Bezeichnungen wie etwa brief, schriben oder schrift ausgedrückt wurden (Kapitel 1.2). 128 Er‐ gänzend zu den terminologischen und typologischen Fragen wird dann nach den inhaltlichen Charakteristika von Missiven gefragt (Kapitel 1.3). Zugleich sind Missiven immer auch materielle Objekte, deren physische und gestalteri‐ sche Form, deren Papier, Siegel, Textlayout etc. weitere Rückschlüsse auf ihre Rolle im (spät-)mittelalterlichen Schrifthandeln gestattet (Kapitel 1.4). Welche Bedingungen und Möglichkeiten des Schrifthandelns mit Missiven gesetzt wurden, wird daran aufgezeigt, dass Missiven oft als Begleitschreiben und Briefumschläge dienten, um weitere Dokumente zu verschicken (Kapitel 1.5). Als Anschlussfrage kommt hier also dazu, wie Dokumente im Spätmittelalter innerhalb einer Herrschaft und zwischen Herrschaften ausgetauscht und damit auch Formen des Wissenstransfers organisiert wurden. 129 Auf diese Formen des Schrifthandelns soll deshalb besonders eingegangen werden, weil damit einer‐ seits thematische, andererseits verwaltungstechnische Momente herausgear‐ beitet werden können, die den Einsatz dieser Schriftstücke als Kommunikation 51 Aufbau der Arbeit <?page no="52"?> 130 Vgl. hierzu besonders auch J U L I A N H O L Z A P F L s systematische und typologische Unter‐ suchung der Bayrischen Kanzleikorrespondenz im Spätmittelalter: J U L I A N H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz des späten Mittelalters in Bayern. Schriftlichkeit, Sprache und politische Rhetorik, München 2008. Für die vorliegende Arbeit konnte leider der 2015 erschienene Sammelband zu Briefschreiben in herrschaftlichen Kontexten nicht mehr berücksichtigt werden, vgl. Briefe aus dem Spätmittelalter. Herrschaftliche Korrespon‐ denz im deutschen Südwesten, hrsg. von Peter R Ü C K E R T , N I C O L E B I C K H O F F und M A R K M E R S I O W S Y , Stuttgart 2015. 131 Vgl. dazu vor allem auch die methodischen Forderungen von B R I G I T T E B E D O S -R E Z A K , Medieval Identity. A Sign and a Concept, in: American Historical Review 105/ 5 (2000), S. 1489-1533 sowie D I E S ., Ego, Ordo, Communitas. Seals and The Medieval Semiotics of Personality (1200-1350), in: Die Bildlichkeit korporativer Siegel im Mittelalter. Kunst‐ geschichte und Geschichte im Gespräch, hrsg. von Markus Späth, Köln/ Weimar/ Wien 2009, S. 47-64. Konzeptionell zu ihrem Ansatz vgl. B R I G I T T E B E D O S -R E Z A K , Semiotic Anthropology. The Twelfth-Century Approach, in: European Transformations. The Long Twelfth Century, hrsg. von Thomas F.X. Noble und John Van Engen, Notre Dame 2012, S. 426-467. Zum Umgang mit mittelalterlichen Quellen als Texten wiederum siehe L U D O L F K U C H E N B U C H , Sind mediävistische Quellen mittelalterliche Texte? Zur Verzeitlichung fachlicher Selbstverständlichkeiten, in: Die Aktualität des Mittelalters, hrsg. von Hans-Werner Goetz, Bochum 2000, S. 317-354. strukturierende Elemente der Herrschaftspraxis verdeutlichen. 130 Während im 14. Jahrhundert die einzelnen Sendbriefe nach Abfassung unmittelbar verschickt worden sind und uns kaum Vorlagen oder Kopien vorliegen, setzten sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts sogenannte Missivenbücher als Vorlagen- und Ord‐ nungshandreichungen mehr und mehr durch (Kapitel 1.6). Methodisch gilt es hier, die Missiven als Briefe und die Missiventexte in Missivenbüchern nicht nur als Texte zu vergleichen, sondern sie anhand ihrer je spezifischen materiellen und gestalterischen Eigenheiten sowie anhand der jeweiligen Gebrauchssitua‐ tionen als unterschiedliche Verschriftlichungstypen in Beziehung zu setzen. Der Vergleich zwischen Missiven und ihren Vorlagen in den Missivenbüchern gibt Aufschluss über Ordnungsvorstellungen und Archivierungspraktiken, die - stark vom Kanzleialltag geprägt - auf funktionale, aber auch übergeordnete Ordnungsprinzipien des jeweiligen Gemeinwesens abstellten. 131 Um zu verstehen, wer sich hinter den formalisierten Adressierungsformeln der Missivenkorrespondenz verbirgt, wird in einem zweiten Kapitel auf die Ämter der bischöflichen Herrschaft eingegangen, unter denen der Bieler Meier als bischöflich lokaler Amtmann und der städtische Rat von Biel besonders hervorzuheben sind. Mit der Briefkorrespondenz war eine spezifische Adres‐ sierungsordnung angelegt, die typischerweise dual (Adressat/ Adressant) funk‐ tionierte. Gerade wenn es sich bei den Adressaten um Kollektivakteure wie den städtischen Rat handelte, die zusammen mit dem Meier angeschrieben wurden, musste sich dieses mediale Setting jedoch in einem herrschaftsprag‐ 52 Einleitung <?page no="53"?> 132 Der Begriff der Tagsatzung wird hier als Begriff verwendet, der die Praxis der spätmit‐ telalterlichen Verhandlungs- und Aushandlungstreffen bezeichnen soll, und verweist damit nicht automatisch auf die in der Forschung dominierende eidgenössische Tag‐ satzung, vgl. dazu Kapitel 3.5. matischen Umfeld bewähren, das durch unterschiedliche Parteiungen und Machtkonstellationen konstituiert war. In einem ersten Schritt werden die Ämter der Adressaten anhand der städtischen Überlieferungssituation vorge‐ stellt (Kapitel 2.1). Um zu verstehen, wie ihr Zuschnitt in jeweils spezifischen medialen Konstellationen immer wieder neu verhandelt wurde, werden in einem weiteren Schritt die überlieferten Eide respektive Eid- und Stadtbücher herangezogen, deren Entstehung im gleichen Zeitraum wie die Missiven zu verfolgen ist. Vorstellungen vom jeweiligen Amt und Gremium lassen sich so auch als intertextuell angelegte Verweise zwischen kommunalem Schriftgut und Missivenkorrespondenz nachverfolgen (Kapitel 2.2). In einem dritten Schritt wird das Amt des Meiers anhand von vier Fallbeispielen untersucht (Kapitel 2.3). Diese rekonstruieren anhand des Meieramtes die Einsatz- und Besetzungsmög‐ lichkeiten von lokalen Herrschaftsträgern als „local powerbrokers“, aber auch als zentrale Kommunikationsfiguren zwischen herrschaftlicher An- und Abwe‐ senheit. Das abschließende dritte Kapitel setzt die Missiven in Bezug zu ihren me‐ dialen Übertragungssituationen. Da Briefe immer mit Boten überbracht wurden, wird die Beziehung zwischen Brief und Bote als Medienensemble der Botschaft vorgestellt und diskutiert (Kapitel 3.1). Ausgangspunkt sind dabei die in den Missiven selbst angeführten intertextuellen Verweise auf Botschaftssituationen Zudem wird das Spektrum der unterschiedlichen Botenformen (Gelegenheits‐ läufer, Botenorganisation, Gesandtschaften, Bittsteller etc.) beschrieben und in seiner Breite reflektiert (Kapitel 3.2). Neben einer systematischen Auswertung der Botschaftsreferenzen und punktuellen semantischen Analysen kann bezüg‐ lich der Botenorganisation auf aktuelle Forschungsarbeiten zurückgegriffen werden, um die Bedingungen des Medienensembles ‚Botschaft‘ und die Aus‐ wirkungen der Bedürfnisse autorisierter Kommunikation auf die Kommunika‐ tionsorganisation herauszuarbeiten (Kapitel 3.3). Anhand der Missivenserie lassen sich zwei Botschaftsanlässe ausmachen, die nicht nur anteilsmäßig pro‐ minent hervorstechen, sondern auch spezifische Medienensembles bedingten: Bittstellungen und „Tagsatzungen“ 132 . Diese beiden Medienensembles, die die Missiven und ihre Träger direkt aufeinander bezogen, werden in je einem Kapitel vertieft untersucht, um die unterschiedlichen medialen Bezugsformen von Form, Inhalt und Überbringer herauszuarbeiten (Kapitel 3.4-3.5). So soll anhand von Empfehlungsschreiben gezeigt werden, wie das mediale Ensemble 53 Aufbau der Arbeit <?page no="54"?> von Bittsteller und autorisierendem Schreiben dem Überbringer eine ganz spezifische Botschaftssituation eröffnete. In Bezug auf Tagsatzungen wieder bietet die Missivenkorrespondenz die Möglichkeit, Tagfahrten nicht mit dem Fluchtpunkt der institutionsförmigen eidgenössischen Tagsatzungen, wie sie sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts im und um den Raum der heutigen Schweiz etablierten, zu diskutieren, sondern sie als Bestandteil des kommunikativen Herrschaftsgeschehens zu verorten, das nicht nur zwischen, sondern gerade auch innerhalb von Herrschaften stattfand. Die Untersuchung dieser beiden Medienensembles führt über die grundsätzlich offene Inhaltsform der Missiven hinaus und zeigt den intermedialen Zusammenhang der Missiven als immer umfassendere Botschaftsform auf, deren Erfolg - so die These - wohl nicht zuletzt in der seriellen kommunikativen Anschlussfähigkeit und dem damit korrespondierenden Gesamtzusammenhang der Herrschaftskommunikation begründet war. In der Zusammenfassung schließlich wird aufbauend auf die ausgearbei‐ teten Befunde gezeigt, wie sich das Phänomen ‚Missivenkorrespondenz‘ analy‐ tisch fassen lassen könnte. Dabei gilt es, die Umstellung spätmittelalterlicher Herrschaftsvermittlung auf Missivenkorrespondenz als zunehmende Kommu‐ nikationsorganisation im Prozess eines Medienwechsels zu verstehen. Die Zusammenschau prüft daher, ob und welche Elemente und Effekte des Medien‐ ensembles der Missiven die letztlich erfolgreiche Etablierung der über Distanz hinweg vermittelten Herrschaft ermöglichten. Anhand dreier Aspekte, nämlich dem Verhältnis von Präsenz und Absenz, der Bedeutung von Glaubwürdigkeit und Treue sowie der medialen Ermöglichung von (erwartbarer) Anschluss‐ kommunikation, rückt die abschließende Diskussion die Ergebnisse in einen erweiterten Deutungsrahmen der Herrschaftsvermittlung. 54 Einleitung <?page no="55"?> 133 Vgl. StadtA Biel 1, CCXLVII, 235, Bd. 1-3 (Urkundensammlungen). 134 T Ü R L E R , Inventar, S. 73. 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen Der heutige Missivenbestand in Biel ist untrennbar verknüpft mit einzelnen Administrationspersönlichkeiten, deren Wirken in der Bestandsordnung und in Dokumentationen über Archivierungs- und Ordnungsvorgänge mitüberliefert ist. So trug der Bieler Stadtschreiber Peter Seriant in den 1460er-Jahren die Abschriften von als „alt“ klassifizierten Briefen und Dokumenten in drei Stadt‐ büchern zusammen. 133 Um aber erst Ordnung in die Schriftstücke zu bringen, ließ er Truhen anfertigen, die verschiedenen Kategorien entsprachen. Diese Ordnung wiederum wurde von Ludwig Sterner, der zwischen 1510 und 1541 das Amt des Stadtschreibers ausübte, weitergeführt und noch 1756 legte sein späterer Nachfolger im Amt, Johann Heinrich Bloesch, folgende Kategorien fest, welche der Schubladenordnung des Archivraums entsprachen: Königl. französische Schriften Missiv vom Hochlöbl. Stand Zürich Missiv vom Hochlöbl. Stand Bern Missiv vermischt von Löbl. Eydg. Ständen Missiv vom Bischoff von Basel Missiv von Neuenburg, Neuenstatt und aussern Orten Militär-, Panner- und Recrue-Sachen Erguel betreffend Verträg und Tractat Bürgschaft-Zedel und allerhand Contracten Obligationen gültig und ungültige Oeconomey-Sachen Urkunden, Heymath-scheine Wittwen und Waysen-Sachen  134 Im 18. Jahrhundert machte der Dokumenttyp „Missive“ also ganze fünf von insgesamt 14 Schubladenkategorien des Archivguts aus. Die weitere Unterschei‐ dung der Missiven nach Ausstellungsinstanzen (Provenienz) spiegelt sich in der Ablageordnung ebenfalls wider. Während mit Zürich und Bern die wichtigsten neuzeitlichen Korrespondenzpartner separate Schubladen erhielten, wurden die anderen eidgenössischen Orte zusammen in einer weiteren Schublade gesam‐ <?page no="56"?> 135 B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 3. 136 Vgl. T Ü R L E R , Inventar, S. 74. 137 Gleichsam als Resultat dieser Ordnungs- und Erfassungsarbeit schrieb er bis 1854 an seiner Bieler Geschichte, die bis heute umfassendste Darstellung der Geschichte Biels: „Zu Folge Rathsbeschlusses vom 21. März 1840 und 20. Hornung 1841 wurde das Inventar expedirt, das Register ausgefertigt und die gegenwärtige Geschichte geschrieben, in welcher die Vergangenheit so dargestellt sich findet, wie sie sich bei der Inventur und Registratur aus den Urkunden ergeben hat.“ Vgl. B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 4. 138 Vgl. das Generalregister von B L O E S C H in B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. I-XVI, hier S. V-VI sowie T Ü R L E R , Inventar, S. 75-87, hier S. 78-79. 139 Dabei sind ihm jedoch mehrfach Datierungsfehler unterlaufen. Dies hängt vor allem mit dem Umstand zusammen, dass die Datumsangabe auf den Missiven teilweise das Jahr nicht ausweist und nur durch textuelle Verweise zuzuordnen ist. 140 Vgl. B L O E S C H , Spezialregister, 8 Bde., im Stadtarchiv Biel. melt. Die Missiven der Basler Bischöfe, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, sind hier ebenfalls bereits als eigener Bestand ausgewiesen. Es scheint also plausibel, dass in dieser Schublade nicht nur die aktuelle eingehende Korrespondenz gesammelt wurde, sondern auch jene „alten“ bischöflichen Missiven, die seit Ende des 14. Jahrhunderts überliefert sind. Die Bestandsbil‐ dung unter der Signatur „Missiv“ spiegelt also direkt die kommunikations- und mediengeschichtlichen Bedingungen der frühneuzeitlichen Archivierung wider. Eine Zäsur setzte 1798 erst die französische Herrschaft. Den damaligen Zeitgeist fasste C É S A R A D O L P H B L O E S C H 1855 folgendermaßen zusammen: „Die grösste Dilapidation fand unter der französischen Herrschaft statt; als unnützer Quark einer Zeit, die sich selbst überlebt habe, wurden die alten Akten durcheinander auf einen Haufen in das ehemalige Kalt geworfen, wo Jeder nahm, was seiner Neugierde beliebte.“ 135 Viele Dokumente und darunter vermutlich auch ein Großteil der Missiven wurden entweder als „Quark“ auf einen Haufen geworfen oder überstanden die 1814 durchgeführte Umsiedlung in die neuen Archivräume nicht, wo die alten Akten wiederum haufenweise in feuchten Kellerräumen gelagert wurden. 136 Ab 1826 wurde dann eine grundsätzliche und umfassende Neuordnung und Inven‐ tarisierung der Akten durchgeführt, deren Abschluss C É S A R A D O L P H B L O E S C H 1841 stolz vermerkte. 137 Der bischöfliche Missivenbestand in Biel spiegelt also in seiner heutigen Form die Ordnung Bloeschs wider. 138 Er hat die Missiven chronologisch nach Episkopaten geordnet, als ganze Serie durchnummeriert 139 und auf Einzeldo‐ kumentebene Kurzregesten erstellt. 140 B L O E S C H notierte diese Angaben auf den jeweiligen Dokumenten, um so ein optimales Verweissystem zwischen 56 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="57"?> 141 Bei der Lektüre wird jedoch deutlich, dass auf Briefe verwiesen wird, die heute nicht mehr vorhanden sind, oder dass es ganze Jahreslücken in der Briefüberlieferung gibt. So fehlt bedauerlicherweise sämtliche Korrespondenz zwischen 1426 bis 1443. Da sich diese zeitliche Lücke auch nicht mit einer Amtszeit eines Bischofs deckt und vermutlich auch nicht mit einer Änderung in der Kanzleitätigkeit, muss davon ausgegangen werden, dass die Briefe in späterer Zeit kassiert oder verloren gegangen sind. Dokument, Register und Archivplan einzurichten. Die einzelnen Missiven wiederum wurden zu Missivenbündel geschnürt und sind bis heute über die handschriftlichen Register zugänglich (vgl. Abbildung 1). 141 Diese Rekonstruktion der Bieler Bestandsbildung zeigt, wie aus dem Umgang mit Briefeingängen und -ausgängen in der lokalen Kanzlei das heutige Missi‐ venkonvolut der Basler Bischöfe entstand. Damit einher ging auch die Durch‐ setzung des frühneuzeitlichen Begriffs ‚Missiv‘ als einheitlichem Kanzleibegriff für diese Sendbriefe. Im Folgenden interessiert uns jedoch die Frage, wie es sich denn mit den spätmittelalterlichen Vorstellungen von Missiven verhält. Abbildung 1: Missivenbündel (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 1-13) 1.1 Zwischen Briefen und Urkunden: Historische Terminologie und Typologien Während man im Archiv diverse Papiere nur nach Aussteller geordnet in Truhen unter dem Begriff ‚Missive‘ zusammenfasste, weist der Sprachgebrauch 57 1.1 Zwischen Briefen und Urkunden: Historische Terminologie und Typologien <?page no="58"?> 142 Vgl. hierzu zum Beispiel den Eintrag im Zedler, wo Missive „ein Zeitungs- und bey den Hollaendern gar gebräuchliches Wort, wodurch ein abgelassenes Schreiben verstanden wird“, bezeichnet (Z E D L E R , Universal-Lexicon, Bd. 21, Sp. 498). 143 M A T T H I A S L E X E R , Art. missive, in: Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Lexer), URL: woerterbuchnetz.de/ Lexer/ ? sigle=Lexer&; mode=Vernetzung&lemid=LM02306 (zuletzt aufgerufen am: 21.12.20). 144 Vgl. ebd. sowie den Art. Missive im Deutschen Rechtswörterbuch (DRW), URL: dr w-www.adw.uni-heidelberg.de/ drw-cgi/ zeige? term=missive&; index=lemmata (zuletzt aufgerufen am: 10.01.18). 145 Zu Typisierung von Akten und Verwaltungsschriftguttypen vgl. H A N S P A T Z E , Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, hrsg. von dems., Sigmaringen 1971, S. 9-64. 146 Eine ähnliche Definition findet sich bei J U C K E R , Gesandte, S. 195. der Zeitgenossen, die Missiven als Teil eines Medienensembles verwendeten, eine weit größere Differenzierung auf. Um der historischen Begriffsbildung auf die Spur zu kommen, drängt sich zunächst der Blick in historische Wörterbücher auf. 142 Im Mittelhochdeutschen Wörterbuch von M AT THIA S L E X E R wird mit ‚Mis‐ sive‘ ein aus dem mittellateinischen missiva abgeleiteter Begriff für einen Send‐ brief oder ein Beglaubigungsschreiben verstanden. 143 Die Bezeichnung scheint jedoch weder überregional noch diachron einheitlich verwendet worden zu sein. Gemäß dem entsprechenden Eintrag im Deutschen Rechtswörterbuch (DRW) häuft sich der Wortgebrauch nach ersten Einzelnennungen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts schließlich im süddeutschen und Deutschschweizer Raum ab 1500. 144 Anhand des modernen Sprachgebrauchs zeichnet sich eine Begriffsbestim‐ mung ab, die mit Missive ein „amtliches“ Sendschreiben meint, das von einem herrschaftlichen oder mit einer Herrschaft verbundenen Amtsträger - dabei kann es sich um einen städtischen Rat, den Stadtherrn, Meier etc. handeln - veranlasst und autorisiert wurde. 145 Diese meist auf die Formel „Amtliches Schreiben von A nach B“ verkürzte Definition stellt somit den Briefcharakter und den amtlichen Kontext der Kommunikation in den Vordergrund. 146 Das Definitionsangebot konzentriert sich also auf die Vorstellung eines Schriftgut‐ typs, der als Brief in einem nichtprivaten Kontext verschickt wurde. Noch weiter gehen Ansätze, die die Missive in die Nähe des Schriftguttyps der Urkunde rücken. Für die Briefforschung nachhaltig einflussreich erwies sich das Verwandtschaftspostulat von G E O R G S T E INHAU S E N (1866-1933), demzufolge es für die Analyse mittelalterlicher Verhältnisse nicht zielführend sei, zwischen Kanzleibrief und Urkunde strikt zu unterscheiden: „Was für die Urkunde gilt, gilt auch für den Brief; denn um die Entwicklung des deut‐ schen Briefes und Briefverkehrs verstehen zu können, ist diese Verwandtschaft stark 58 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="59"?> 147 G E O R G S T E I N H A U S E N , Geschichte des deutschen Briefes. Zur Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Teil 1, Berlin 1889, hier S. 22. 148 Nach der Augsburger Ausgabe von Anthonius Sorg (ca. 1483), zitiert nach: J O H A N N E S M Ü L L E R , Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachigen Unterrichts bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Gotha 1882, hier S. 362. 149 Vgl. hierzu auch J O A C H I M K N A P E , Einleitung, in: Rhetorica deutsch. Rhetorikschriften des 15. Jahrhunderts, hrsg. von dems. und Bernhard Roll, Wiesbaden 2002, S. 11-36, hier S. 13. hervorzuheben. So wenig sie von den Menschen jener Zeit in ihren Formelbüchern und sonst geschieden werden, so wenig sind sie thatsächlich zu trennen. […] Der Kanzleibrief war geschäftlich, er wurde der Urkunde gleich geachtet.“ 147 S T E INHA U S E N verweist für die Verwandtschaft von Kanzleibrief und Urkun‐ denbrief nachvollziehbarerweise auf mittelalterliche Formel- und Briefsteller‐ bücher, sind doch zeitgenössische Charakterisierungen der Schriftguttypen hier ausformuliert. Sowohl in praktisch angelegten Formelbüchern wie theore‐ tisch konzipierten Standardwerken zur Brieflehre werden Funktionsweisen, Ge‐ brauchskontexte und Textkonventionen besonders systematisch festgehalten. In einem der im ausgehenden 15. Jahrhundert am weitesten verbreiteten deutschsprachigen Formularbücher, der Formulare und Deutsche Rhetorica, findet sich schließlich eine Definition, die Missiven ausdrücklich herausstellt und zudem auf die zentralen Elemente des kommunikativen Kontexts zu spre‐ chen kommt: Darnach so volgent die missiven, das seind sendbrieffe, in welcher form man umb ein yegkliche sache einem yeden nach sein wirden schreiben sol.  148 Diese Definition hebt drei Aspekte von Missiven hervor: Erstens handelt es sich um „Sendbriefe“, womit zwar die Briefverwandtschaft angezeigt ist, aber der Sendungscharakter der Mitteilung wird als bestimmendes Merkmal hervorgehoben. Anders als der Brief, bei dem dies oft, aber nicht notwendig der Fall ist, verlässt das Sendschreiben seinen Entstehungsort, es wandert in der Büchse eines Boten (oder in einem anderen Medium) durch den Raum, um trotz Abwesenheit Kommunikation zu ermöglichen. Zweitens zeigt die Definition, dass es keine inhaltlichen Beschränkungen gibt, sondern alles als Schreibanlass dienen kann (umb ein yegkliche sache). Drittens wird im Formular betont, dass die Würde der anzusprechenden Person oder Institution die Form der Missive maßgeblich bestimmt. Das korrekte Verfassen eines Briefes erfor‐ dert es, den Adressaten in seiner jeweiligen Funktion und sozialen Position anzuschreiben und die damit korrespondierenden Ehrenattribute anzuführen. So erstaunt es kaum, dass die meisten Brieflehren in erster Linie alle mögli‐ chen Adressatenbeziehungen und die ihnen entsprechenden korrekten Adres‐ sierungsformulierungen behandelten. 149 So sehr Briefsteller die angemessenen 59 1.1 Zwischen Briefen und Urkunden: Historische Terminologie und Typologien <?page no="60"?> 150 Allgemein zu Urkundenlehre vgl. H A R R Y B R E S S L A U , Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 2, Leipzig 1912. 151 Als Textmuster werden in der Linguistik Texte bezeichnet, die eine linguistische Kohärenz aufweisen. Ein bestimmtes Textmuster zeichnet sich durch ein festgelegtes, Adressierungen auch theoretisch fixierten und standardisierten, so musste bei der praktischen Umsetzung darauf geachtet werden, welche Effekte damit hervorgerufen werden konnten: Eine übermäßige Standardisierung konnte eine Sinnentleerung der Titulierungen zeitigen, gezielte Abweichungen wiederum konnten herrschaftliche Beziehungsverhältnisse in Frage stellen oder zumindest anders gewichten. Damit wird zugleich augenfällig, wie entscheidend über Briefeschreiben soziale Positionierung vorgenommen wurde. Durch die Adres‐ sierung und Gestaltung von Briefen wurden soziale Zuteilungen und Hierarchi‐ sierungen gesetzt, die damit in der Briefkorrespondenz als kommunikativem Beziehungszusammenhang je nach Situation symmetrische oder asymmetrische Beziehungen festigen, adaptieren oder in Frage stellen konnten. Später wird darauf zurückzukommen sein. Damit erschließt sich jedoch in erster Linie der Versuch der Typologisierung und Standardisierung, weniger die schriftpragmatische Umsetzung der Katego‐ rien. Folgt man also S T E INHAU S E N s Beobachtung, dass der Begriff ‚Brief ‘ eine Familie von Briefformen bezeichnete, zu denen neben anderem auch Urkunden und Missiven gehörten, dann schließt sich die Frage an, was die verbindende Eigenschaft der Brieffamilie ist. Tatsächlich folgen Urkunden und Missiven ähnlichen Aufbau- und Formu‐ lierungsvorgaben, auch wenn sie sich in ihrem Inhalt, ihrer äußeren Form und ihrem (rechtsrelevanten) Verwendungskontext stark unterscheiden können. 150 Beide Gattungen teilen Gestaltungs- und Beglaubigungselemente wie Querfor‐ matierung und Besiegelung und folgen einem Textaufbau mit den seit der Antike konzeptualisierten rhetorischen Elementen Salutatio, Exordium, Narratio, al‐ lenfalls Petitio und Conclusio. In dieser Gemengelage von Rhetoriktradition und Briefkultur zeichnete sich für S T E INHAU S E N ab, dass dem mittelalterlichen Leit‐ medium Urkunde der Kanzleibrief in seiner Bedeutung als herrschaftsrelevantes Dokument an die Seite gestellt werden muss. Leider verschiebt sein Zugang über Briefsteller das Augenmerk nahezu ausschließlich auf die sprachliche Gestaltung der Texte (Adressierung, Textelemente, Anordnung, Phrasierung etc.). Gerade die dokumentgestalterische und materielle Dimension des Schrift‐ guttyps verliert dabei gegenüber der geschäftlichen Funktionsbestimmung an Aufmerksamkeit. Von textlinguistischer Warte können dann Definitionen ent‐ stehen, wie etwa C H R I S T O P H G R O LIM U N D s Vorschlag, Missiven als „globales Text‐ muster“ 151 zu charakterisieren. Konsequenterweise ist eine Missive dann „ein 60 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="61"?> formales Aufbauprinzip aus, vgl. hierzu zum Beispiel W O L F G A N G H E I N E M A N N und D I E T E R V I E H W E G E R , Textlinguistik. Eine Einführung, Tübingen 1991, S. 170. Im Falle von Missiven zeigt sich einerseits eine Textsorte ‚Missive‘, die unterschiedliche Aufbauele‐ mente und Funktionen beinhalten kann, und andererseits ein Textmuster, das gleichsam als Reduktion der situativen, funktionalen, thematischen und formalen Aspekte die Grundfunktion der Übertragung übernimmt. 152 G R O L I M U N D , Briefe, S. 178. G R O L I M U N D kommt zudem zum Schluss, dass Missiven als „globales Textmuster“ gleichsam als Oberbegriff zu den untergeordneten Urkunden ver‐ standen werden müssen. Diese Umkehrung des Verwandtschaftsverhältnisses scheint jedoch aus gebrauchslogischen Gründen nicht einleuchtend, da der zentrale Begriff brief damit nicht erklärt werden kann. 153 Vgl. etwa das aktuelle Teilprojekt C08 des SFB 950 „Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa“ in Hamburg. In dem Projekt untersuchen P H I L I P P E D E P R E U X und T I L L H E N N I N G S ostfränkische Manuskripte mit Sammlungen von Musterbriefen. Allgemein vgl. M A R T I N C A M A R G O , Ars dictaminis, ars dictandi, Turnhout 1991. Als Fallstudie zur Frage der Autorität von Briefrhetoriken sei zudem verwiesen auf J A N K. H O N , Alexander Huges Briefrhetorik und die Autorität der Mustertextsammlung, in: Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte - Praxis - Diversität, hrsg. von Georg Strack und Julia Knödler, München 2011, S. 433-453. 154 Vgl. dazu die immer noch einflussreiche Begriffsgeschichte in der Tradition R E I N ‐ H A R D K O S E L L E C K s, siehe etwa Historische Semantik und Begriffsgeschichte, hrsg. von R E I N H A R D K O S E L L E C K , Stuttgart 1998 sowie D E R S ., Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2006. Das Forschungsfeld zur Historischen Semantik hat sich in den letzten Jahren geöffnet und stark differenziert, für einen guten Überblick vgl. aus geschichtswissenschaftlicher Sicht vor allem B E R N H A R D J U S S E N , Historische Semantik aus der Sicht der Geschichts‐ wissenschaft, in: Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte 2 (2011), S. 51-61. Als kulturgeschichtlicher Zugang vgl. R O L F R E I C H A R D T , Historische Semantik zwischen lexicométrie und New Cultural History. Einführende Bemerkungen zur Standortbe‐ stimmung, in: Aufklärung und Historische Semantik. Interdisziplinäre Beiträge zur westeuropäischen Kulturgeschichte, hrsg. von dems., Berlin 1998, S. 7-28. Für eine stärker interdisziplinäre Ausrichtung siehe auch das ältere Einführungswerk von D I E T R I C H B U S S E , Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart 1987. Als zwischen räumlich und zeitlich getrennten Kommunikationspartnern durch Boten übermitteltes handschriftliches Textmuster“. 152 Sowohl das S T E INHAU S E N ’sche Verwandtschaftspostulat von Urkunde und Geschäftsbrief und dessen Umkehrung in G R O LIM U N D s Forderung, Missiven müssten als das „globale Textmuster“ für Briefe verstanden werden, verbleiben bei Differenzierungs- und Annäherungsbestimmungen, die die Bedeutung von brief im mittelalterlichen Verwendungskontext nicht einfangen. Aus dieser Perspektive fällt es schwer, eine mittelalterliche Vorstellung von brief zu rekon‐ struieren, die nicht in unterschiedliche Schriftguttypen unterteilt war, sondern diese unter einem bestimmten Gesichtspunkt vereinte. 153 Folglich geht es im Folgenden weniger um die Frage, ob sich ein spezifischer Schriftguttyp ‚Mis‐ sive‘ aus begriffsgeschichtlicher Perspektive herausarbeiten lässt 154 , sondern 61 1.1 Zwischen Briefen und Urkunden: Historische Terminologie und Typologien <?page no="62"?> aktuelles Standardwerk und Kompendium sei verwiesen auf E R N S T M Ü L L E R und F A L K O S C H M I E D E R , Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016. Zu methodischen Fragen vgl. F R I E D R I C H O H L Y , Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, in: Typologie, hrsg. von Volker Bohn, Frankfurt a. M. 1988, S. 22-63. 155 Eine andere Entwicklung zeichnet sich in Oberitalien ab. So konnten sowohl B E N O Î T G R É V I N und F L O R I A N H A R T M A N N aufzeigen, dass hier bereits im 12. respektive 13. Jahr‐ hundert Rhetorik- und Briefstellerliteratur sich direkt auf Verwaltung und kommunale Schriftlichkeit auswirkten und entsprechend adaptiert wurden, vgl. G R É V I N , Rhétorique sowie F L O R I A N H A R T M A N N , Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013. 156 Einen sehr guten, lehrbuchartigen Überblick über die Wort- und Bedeutungsgeschichte von ‚Brief ‘ bietet R E I N H A R D M. G. N I C K I S C H , Brief, Stuttgart 1991, hier S. 24-28 (mit ausführlicher Bibliografie). 157 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (1486), 277 (1492) und 290 (1494). darum, die Bezeichnungen in ihrem Verwendungskontext zu untersuchen, um Phänomene im herrschaftspragmatischen Umgang mit Schriftstücken adäquat zu erfassen. Es ist schwierig, den Einfluss von Briefstellern auf eine gattungsty‐ pologische Vereinheitlichung der verschickten Missiven abzuschätzen, zeichnet er sich doch allenfalls gegen Ende des 15. Jahrhunderts ab. 155 Während uns Briefsteller und Rhetorikschriften viel über zeitgenössische Ordnungsvorstel‐ lungen und Typologisierungsweisen verraten, müssen für eine praxisorientierte Perspektive die Missiven selbst ins Blickfeld gerückt werden. Dazu werden in einem nächsten Schritt die Bezeichnungen untersucht, die in den Schreiben verwendet werden, um auf sich selbst zu verweisen (Endonyme). 1.2 Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften Der erst im ausgehenden Mittelalter erkennbare schriftguttypologische Be‐ griff ‚Missive‘ wird in den untersuchten Briefdokumenten kaum verwendet. 156 Gerade mal drei Vorkommen von missiv sind im hier behandelten Bestand nachweisbar, und sie alle datieren auf das späte 15. Jahrhundert. 157 Der zeitge‐ nössisch spätmittelalterliche Begriff, der in den Dokumenten zu deren Selbst‐ bezeichnung verwendet wird, ist im Untersuchungsraum der heutigen Nord- und Westschweiz im Gebiet der Diözesen Basel und Lausanne nicht missiv, 62 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="63"?> 158 Vgl. eine Auswahl von Eigenbezeichnungen der Missiven als brief in StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 1, 3, 38 (träger diss brieffes), 43, 55 (zoiger dis briefs), 61 (zoiger dis briefs), 63 (zoiger dises briefs), 68, 71, 78, 79, 80 82 (zoiger diess brieffes), 81, 82 (zoiger diess brieffs), 86 (ouger dis brieffs), 88 (zoiger diss brieffes), 89 (zoiger diss brieffes), 90, 92, 97, 116, 121, 123, 124, 132, 134, 135, 140, 149, 152, 157, 166, 168, 180, 183, 184, 199, 202, 210, 216, 230, 231, 237, 259, 261, 267, 268, 336, 339 und 343. 159 Vgl. eine Auswahl von Eigenbezeichnungen der Missiven als geschrifft in StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 99, 115, 116, 121, 123, 126, 133, 136, 144, 149, 152, 157, 165, 244, 246, 250, 254 und 269. 160 Diese Beobachtung bestätigen Archivbesuche in den Kantonen Bern (StABE), Solothurn (StASO), Aargau (StAAG), Zürich (StAZH) und Basel (StABS). 161 Vgl. S T E I N H A U S E N , Brief, S. 22-24. Es gibt allerdings daneben auch Nennungen beider Schriftformen, zum Beispiel die selben des glichen urkundt unnd brieff, StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 230 (18. Januar 1486). 162 Vgl. dazu die nach wie vor als Standardwerk zu Briefen geltende Untersuchung von S T E I N H A U S E N , Brief, S. 22-24. Besonders wertvoll sind die darin aufgelisteten Textele‐ mente sowie Adressierungsformulare. Durch die unterschiedliche Aufbewahrungst‐ radition in Archiven sind Briefwechselserien relativ schwierig auszumachen. Eine Ausnahme hiervon bilden private Korrespondenzen wie zum Beispiel der Baumgartner Briefwechsel vgl. Briefwechsel Balthasar Paumgartners d. jüngeren mit seiner Gattin Magdalena [Paumgartner] geb. Behaim (1582-1598), hrsg. von G E O R G S T E I N H A U S E N , Tübingen 1895. 163 Ein erster Text, der hierzu die Kategorisierungsfrage vor allem in Bezug auf Privat‐ briefe gewinnbringend aufwirft, liegt vor, vgl. S I M O N T E U S C H E R , Bernische Privatbriefe aus der Zeit um 1500. Überlegungen zu ihren zeitgenössischen Funktionen und zu Möglichkeiten ihrer historischen Auswertung, in: Mittelalterliche Literatur im Lebens‐ zusammenhang, hrsg. von Conrad Eckhart Lutz, Freiburg i. Ue. 1997, S. 359-385. 164 Ein erster Schritt zur Untersuchung von Gattungsverfestigungen bietet die Einleitung und das Fazit (zusammen mit U T A K L E I N E ) von L U D O L F K U C H E N B U C H in einem Sammel‐ band zur Frage nach der Historizität des Textus-Begriffs, vgl. L U D O L F K U C H E N B U C H und U T A K L E I N E , Einleitung, in: Textus im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hrsg. von dens., Göttingen 2006, S. 7-13 sowie D I E S ., Textus im Mittelalter - Erträge, Nachträge, Hypothesen, in: Textus im sondern es sind unterschiedliche Ausdrücke wie brief  158 oder geschrifft  159 . 160 Eine einheitliche Terminologie ergibt sich somit aus dem zeitgenössischen Kommunikationszusammenhang nicht, und auch Standardisierungsversuche sind nicht erkennbar. 161 Das heißt jedoch im Umkehrschluss keineswegs, dass die unterschiedlichen Bezeichnungsweisen nichts über die Gebrauchszusammen‐ hänge aussagen. Gerade die Nichtkategorisierung anhand von Gesichtspunkten, an denen sich bis heute gängige schriftgut- und archivtypologischen Begriffe ausrichten, könnte Hinweise auf den spätmittelalterlichen Deutungshorizont geben, an dem sich andere Gebrauchslogiken abzeichnen. 162 Hier könnte zudem auch das Potenzial von Missiven als flexiblem Kommunikationsmedium liegen, weisen sie doch sowohl eine Nähe zu Privatbriefen 163 als auch zu Rechtsdoku‐ menten auf. 164 Wenn also ein missiph auch als brief bezeichnet werden kann, 63 1.2 Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften <?page no="64"?> Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hrsg. von dens., Göttingen 2006, vor allem S. 417-453. 165 Vgl. M O R S E L , Brief und Schrift, S. 287. oder als geschrifft, dann stellt sich die Frage, ob diese vermeintlichen Synonyme ein Ausdrucksspektrum abbilden und ob dieses nicht doch eine zeitgenössische Begriffsdifferenzierung erkennen lässt. Die Forderung, Sprache als Medium sozialer Logiken zu verstehen, hat beispielsweise J O S E P H M O R S E L aufgenommen, indem er sein Augenmerk weg von den einzelnen Wörtern und ihrer Bedeutung auf die „Verwirklichungsregeln der Sprache“ 165 gerichtet hat. So unterzog er die beiden Quellenbegriffe brief und schrift als häufigste Brief-Bezeichnungen einer historisch-semantischen Analyse, die nicht nur die einzelnen Belegstellen der Wörter erfasst hat, sondern auch ihre typologische Frequenz in unterschiedlichen Dokumenttypen. Durch den Abgleich mit Schriftguttypen stellte sich heraus, dass die scheinbar willkürliche Verwendung von unterschiedlichen Wörtern aus dem Wortfeld ‚Brief ‘ durchaus einer Logik folgte. Seine Untersuchung nach Endonyme (Selbstbezeichnungen) und Exonyme (Fremdbezeichnungen) differenzierend, konnte M O R S E L zeigen, dass brief als Exonym einen generischen Verwendungs‐ zusammenhang bezeichnet (im Sinne von „urkundenartige Schriftstücke“) und sich in diesem Kontext von anderen Dokumenttypen wie Register, Instrument oder Zettel abgrenzt. Als Endonym hingegen wird brief nicht als Oberbegriff verwendet, sondern ermöglicht die Unterscheidung zwischen brief und schrift. Ferner zeigte sich, dass schrift als Dokumenttyp zwar durchaus mit brief verwandt war, sich jedoch gleichzeitig als Wort für eine andersartige Deutungs‐ weise durchzusetzen begann: schrift konnte nun nämlich für den schriftlichen Inhalt eines Dokuments verwendet werden. Um diese beiden unterschiedlichen Wortgebrauchsmöglichkeiten und ihre Verwirklichungsregeln zu erklären, hilft die Analyse der jeweiligen Kommuni‐ kationsanlage. So scheint den briefen ein dreiseitiges Kommunikationsmodell zugrunde zu liegen: Sender, Empfänger der „message“ (Publikum) und Emp‐ fänger des Dokuments als betroffene Person(engruppe). In dieser Form sind briefe als „Einwegkommunikation“ zu verstehen, die auf die Übergaberespek‐ tive Empfangssituation ausgerichtet ist: Ein brief wird überbracht, übergeben und angenommen. Die schrift hingegen ist dialogisch zwischen Aussender und Empfänger angelegt. Die schrift soll von den Adressaten gelesen und verstanden werden. Brief und schrift folgen somit zwei unterschiedlichen Kommunikati‐ onsanlagen, was die beiden distinkten endonomastischen Terminologieunter‐ schiede erklären könnte. Nimmt man medientheoretische Grundlagen dazu, lässt sich argumentieren, dass der unterschiedliche mediale Einsatz eigene 64 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="65"?> 166 Vgl. ebd., S. 303. 167 Vgl. ebd., S. 304-305. 168 Die ethnolinguistische Begrifflichkeit von Endonym (Eigenbezeichnung) und Exonym (Fremdbezeichnung) wird hier auf Schriftstückebene so adaptiert, dass im engeren Sinne die tatsächliche Eigenreferenz einer Missive auf sich selbst bezeichnet werden kann (Endonym) oder die Referenz auf andere Missiven (Exonym). performative Wirkung zeitigte und diese wiederum nicht von der sozialen Bedeutung jedes materiellen Zirkulierens zu trennen ist. 166 Auf die soziale Bedeutung lässt sich beispielsweise von der Archivierungs‐ praxis her schließen. Während Urkunden (also briefe) eher Eingang in Archive fanden und ihre Überlieferung durch Abschriften noch zusätzlich begünstigt wurde, waren die Überlieferungschancen von schriften eher gering. Im Gegen‐ satz zur Einwegkommunikation und dem damit einhergehenden materiellen Objektstatus der briefe stand bei den dialogisch angelegten schriften weniger die materielle Überlieferung, sondern die situative Wirkung des Inhalts im Vordergrund. 167 Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass die Nomenklatur (brief oder schrift) nicht auf den Inhalt eines Dokuments verweist, sondern auf seinen Gebrauchsmodus (Art der Übertragung und Aufbewahrung). Gerade diese sozial verankerten, differenzierten kommunikativen Gebrauchslogiken werden verschleiert, wenn Dokumente nach modernen Schriftgutklassifizie‐ rungen geordnet werden, also meist anhand ihres Rechtsgehalts (Urkunden, Akte, Korrespondenz etc.). Was bedeutet dies nun für die Untersuchung von Missiven? M O R S E L s These der differenzierten spätmittelalterlichen Bezeichnungspraxis aufnehmend wird zunächst der Frage nachgegangen, wie sich die Missiven selbst bezeichneten (Endonyme) und wie sie auf andere Schreiben verwiesen (Exonyme). 168 Damit werden andere Dokumenttypen zunächst ausgeklammert, also etwa, wie Brief‐ steller oder Missivenbücher Missiven bezeichnen. Um die Gebrauchslogiken dieser Schriftstücke im kommunikativen Schriftverkehr zu verstehen, soll eine zusätzliche begriffliche Differenzierung vorgenommen werden: Je nachdem, ob eine Missive auf sich selbst als Schriftstück verweist oder auf andere Missiven, wird im Folgenden von endonomastischer Selbstbezeichnung oder endonomastischer Gattungsbezeichnung gesprochen. Nur so lassen sich an‐ hand von semantischen Entscheidungen Rückschlüsse auf Verwendungslogiken ziehen, die vom kommunikativen Gebrauchskontext geprägt waren und wo‐ möglich nicht den Vorgaben normativer Anleitungstexte entsprachen. Von diesen Befunden ausgehend wird in einem zweiten Schritt danach gefragt, inwiefern die herausgearbeiteten Sprachgebrauchsmuster historischem Wandel 65 1.2 Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften <?page no="66"?> 169 Dabei werden unterschiedliche Schreibvarianten verwendet, die hier in diesen vier Nennungen standardisiert zusammengefasst werden. Also beispielsweise „missiv“ wird als missiff und missiph geschrieben, vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233, 277 und 290. 170 Varianten sind schriften im Plural oder geschrift. 171 Ab dem 16. Jahrhundert nimmt die Verwendung von missiv dann allerdings stark zu und gehört dann im 17. und 18. Jahrhundert gerade auch im Zusammenhang von Neuerungen und Standardisierungen von Verwaltungs- und Archivierungstechniken zu den Standardbezeichnungen. 172 Für brief im Sinne von „Missive“ vgl. unter anderem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3, 14, 18, 26, 38, 43, 55, 61, 63, 68, 78, 79, 80, 81, 82, 86, 88, 89, 90, 92, 97. Für brief im Sinne von „Urkunde“ vgl. unter anderem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 2, 12, 26, 47, 51, 71, 91, 99, 101, 113. 173 Vgl. dazu als Erstnennung in diesem Bestand StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 99 (12. Dezember 1423). 174 Ebd. unterworfen waren und ob sich in diesem Wandel eine Modifizierung respektive Ausdifferenzierung in der Verwendungspraxis von Missiven und - im weiteren Sinne - im herrschaftspragmatischen Umgang mit Schriftstücken zeigt. Nimmt man die gesamte Missivenserie vom 14. bis zum Ende des 15. Jahrhun‐ derts als Auswertungsgrundlage, lassen sich vier Bezeichnungen ausmachen: brief, schriben, (ge-)schrift und missiv. Diese Begriffe werden in den Briefen selbst entweder als endonomastische Selbst- oder Gattungsreferenz verwendet. 169 Rund 53 % der Missiven im Bestand verwenden Endonyme. Darin zeigt sich, dass die Sendschreiben dazu tendieren, sich durch Referenzen auf sich selbst in einen fortwährenden Korrespondenzzusammenhang einzuordnen. In rund 22 % aller Missiven findet sich das Endonym brief. Weitere knappe 17 % weisen die Verwendung von schriben und 13 % von schrift  170 auf. Daneben verbleibt knapp 1 %, das sich schließlich als missiv bezeichnet. 171 Bis in die 1420er-Jahre ist brief das einzige Endonym. Dabei konnte brief das jeweilige Schriftstück selbst bezeichnen oder aber auf eine Urkunde hin‐ weisen. 172 Somit zeigt sich keine systematische funktionale oder inhaltliche Ausdifferenzierung von Brief und Urkunde. Erst nach 1420 findet sich ein zweites Wortfeld: schrift oder geschrift. 173 Dieses neu hinzutretende Wortfeld wurde dabei von Beginn an in Abgrenzung zu brief verwendet: und bottschafft so sy von uns in unsser geschrifft [Hervorhebung IS] gehebt hant noch innhaltung derselben unser briefen [Hervorhebung IS]. 174 Während sich geschrifft auf eine vorangegangene Missive und den Inhalt derselben bezieht, also als endonomastische Gattungsbezeichnung fungiert, wird brief im Plural hier für Urkunden als rechtshafte Dokumentensammlung verwendet. Schriften geben hier also Inhalte weiter, während Urkunden zwar 66 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="67"?> 175 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 152 (11. Januar 1471). 176 Vgl. als Auswahl StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 183, 185, 186, 187, 192, 194, 250, 252 (copyen), 272, 273a, 299 (copy) und 318 (concept). 177 Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3. zum Umgang mit Schriftstücken und deren Austausch sowie zur Rolle Biels als Verteilzentrale der bischöflichen Herrschaft. 178 Zur Diskussion von Kopie und Original vgl. O T H M A R H A G E N E D E R , Original, Kopie, Ausfertigung. Beiträge zur Terminologie und Glaubwürdigkeit mittelalterlicher Ur‐ kunden, in: Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Arend et al., Bielefeld 2006, S. 559-574. Nach wie vor sind C L A N C H Y s Überlegungen zum Umgang mit mittelalterlichen Urkunden grundlegend, vgl. dazu M I C H A E L T. C L A N C H Y , Tenacious Letters. Archives and Memory in the Middle Ages, in: Archivaria 11 (1980), S. 115-125. auch inhaltlich relevant sein mögen, jedoch im kommunikativen Kontext der Missive in erster Linie auf ihre rechtliche Bedeutung hinweisen, also auf die Rechtsgrundlage des verbrieften Inhalts. Die unterschiedliche Bezeichnung deutet klar auf eine unterschiedliche Gebrauchslogik hin. Mit dem Auftauchen des semantischen Feldes schrift als Endonym wird die Bezeichnung brief enger gefasst. Während brief zwar noch als Bezeichnung für Briefe im Sinne von Missiven in Gebrauch bleibt, fällt er als endonomastische Selbstbezeichnung - das heißt im Sinne von in disem brief - fast vollständig weg, wie folgendes Beispiel einer Missive von 1471 zeigt: Uff uewer geschrifft [Hervorhebung IS], uns zugesannt, haben wir unsern gueten frunden von Bern in disem brief [Hervorhebung IS], den wir uech hiemit senden, ernstlich geschriben. 175 Wiederum ist die Differenzierung der Briefsemantik innerhalb eines einzigen Satzes äußerst aufschlussreich. Während die Verwendung von geschrifft einen inhaltlichen Bezug auf den darin formulierten Handlungsbedarf herstellt, wird mit brief ein Schriftstück als mitgeschicktes Objekt ausgewiesen. Zieht man dazu weiter in Betracht, dass zeitgleich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Nennungen von Abschriften (copy oder concept) zunehmen, lässt sich eine erweiterte Praxis des Schrifthandelns skizzieren. 176 Immer häufiger werden nun weitere Briefe und Urkunden als Abschriften und Konzepte mitgeschickt. 177 Dies zeugt von einem zunehmenden Austausch von Schriftstücken, der oft auch die Grenzen von Original und Kopie verschwimmen lässt. Eine klare Markierung des Originalstatus eines Schriftstücks erscheint daher für das Schrifthandeln im herrschaftspragmatischen Schriftverkehr von großer Bedeutung. 178 Auf das Schrifthandeln mit Anlagen und die Rolle der Missiven bei der Strukturierung herrschaftlicher Kommunikation wird an späterer Stelle noch ausführlich ein‐ gegangen. Für die semantischen Überlegungen indes lässt sich festhalten, dass der Einbezug von Abschriften und Konzepten das textuelle und kommu‐ nikative Referenzfeld und seine Gebrauchslogiken derart erweiterte, dass es 67 1.2 Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften <?page no="68"?> 179 Für einen Überblick zu phraseologischen Ansätzen vgl. Phraseologie disziplinär und interdisziplinär, hrsg. von C S A B A F Ö L D E S , Tübingen 2009. 180 Zwar ist eine einzige Nennung von schriben bereits 1407 belegbar (StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 53: uwer schriben), jedoch bleibt diese bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts singulär und wird hier nicht systematisch für die Argumentation verwendet. Erst ab 1460 wird die Verwendung allerdings regelmäßig vgl. unter anderem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 136, 139, 140, 142, 143, 148, 151, 158, 160, 166, 169, 172, 185, 189, 192, 193, 199, 206, 210, 214, 216, 217, 231, 233, 236, 238, 239, 241, 245, 247, 256, 260, 261, 263, 264, 272, 273, 277, 279, 280, 289, 292, 294, 299, 307, 308, 309, 313, 317, 318, 322, 327, 334, 340, 341, 343 und 345. auf die Bezeichnungspraxis durchschlug: Es machte in der zeitgenössischen Briefkommunikation einen Unterschied, ob auf die inhaltlichen Ausführungen (geschriften) oder auf Schriftstücke als Ganzes (briefe) Bezug genommen wurde. Anhand der ausgewerteten Missiven wird deutlich, dass sich mit dem Auf‐ kommen des Wortfelds schrifften ein grundsätzlicheres Verständnis von inhalts‐ funktionalen Texten etablierte, das sich an der Häufigkeit von Formulierungen wie beispielsweise uff uewer geschrifft, wie dan die selb schrifft dz wist oder inhalt uwer schrift hand wir gehoert/ vermerkt zeigen lässt. Die Verwendung von schrift bezieht sich in diesen Phrasemen auf die vorausgesetzte Kenntnis einer vorgängig zur jeweiligen Missive geschriebenen Missive. 179 Dagegen wird brief häufig objektfunktional gebraucht und findet sich in Formulierungen wie gebent mit kraft diss briefes, zoiger/ träger diss briefes oder uwern brief, den ir uns gesant hant. In Ergänzung zur inhaltsfokussierten Bezeichnung schrift kann mit brief eine Differenzierung vorgenommen werden, die den Verweischarakter des Schriftstücks als materielles Objekt besonders hervorheben kann. Kommu‐ nikationstheoretisch gewendet ermöglicht die Unterscheidung von inhalts- und objektfunktionalen Referenzen differenziertere Anschlussmöglichkeiten. Wäh‐ rend mit brief etwa auf die Korrespondenzsituation an sich hingewiesen werden konnte, bot schrift die Möglichkeit, direkt auf mitgeteilte oder mitzuteilende Inhalte (wie Anweisungen, Anfragen etc.) Bezug zu nehmen. Betrachtet man die Missivenserie in diachroner Perspektive wird sichtbar, wie diese grundsätzliche Unterscheidung nach inhalts- und objektfunktionalen Verweismöglichkeiten ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts weiter ausdif‐ ferenziert wurde. Ab den 1460er-Jahren taucht nämlich zusätzlich die Bezeich‐ nung schriben regelmäßig auf. 180 Dies hängt wiederum mit einer phraseologi‐ schen Gebrauchssituation zusammen, denn meist wird schriben in Wendungen wie uff uewer schriben oder uwer schriben haben wir gehoert/ vermerkt/ verstanden gleich im Anschluss an die Salutatio, also die Grußformel, als Eingangsphrase verwendet. Die Positionierung der schriben-Formel entspricht dabei einer der älteren Verwendungsweisen von brief. Gerade in der ersten Wendung (uff 68 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="69"?> 181 Vgl. dazu auch M O R S E L , Brief und Schrift. Für eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Status von Text vgl. K U C H E N B U C H und K L E I N E , Textus. 182 Zum spätmittelalterlichen Umgang mit Dokumenten und Schriftpraktiken vgl. S I M O N T E U S C H E R , Document Collections, Mobilized Regulations, and the Making of Customary Law at the End of the Middle Ages, in: Archival Science 10/ 3 (2010), S. 211-229. uewer schriben) löst der Begriff die ältere Formulierung brief ab. In der zweiten Wendung jedoch tritt schriben neben die Verwendung von schrift als inhalts‐ funktionaler Begriff eines Briefes, auf dessen Inhalt man im Folgenden Bezug nehmen konnte. Folgende Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Beobachtungen: Was spä‐ testens ab dem 16. Jahrhundert in erster Linie unter der Bezeichnung ‚Missive‘ verstanden wurde, lässt sich im spätmittelalterlichen Gebrauch vorwiegend mit drei Bezeichnungen fassen (brief, schrift, schriben). Obwohl die Bezeichnungen im Sprachgebrauch nicht in jedem Fall systematisch verwendet wurden und durchaus von den Launen, Vorlieben und der Konzentrationsfähigkeit des Schreibers abhingen, lassen sich dennoch deutliche Tendenzen bestimmen, die auf einen Wandel im Umgang mit Briefen und Schriftdokumenten im Verlauf des 15. Jahrhunderts hinweisen. Erstens lässt sich eine Ausdifferenzierung des brief-Begriffs ausmachen. Während brief lange Zeit die dominierende Bezeich‐ nung für Schriftstücke insgesamt darstellte, ergänzten und erweiterten schrift und andere Formen dieses Wortfeldes allmählich die Bezeichnungsweisen, um sich ausdifferenzierende Umgangsweisen mit schriftlichen Dokumenten ausdrücken zu können. Dies machte, zweitens, den Begriff brief für einen Bedeutungswandel und eine Funktionsschärfung frei. Wenn von briefen die Rede ist, dann oft, um auf deren Objektcharakter zu verweisen: So zum Beispiel als in der Überbringersituation tatsächlich materiell vorliegendes Objekt oder als rechtliche Bezugseinheit. Während des 14. und 15. Jahrhunderts vollzogen sich wichtige Neuerungen im Umgang mit Schriftstücken, die sich jedoch nicht einfach als Verschriftlich‐ ungstendenzen beschreiben lassen. Die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen einer inhalts- und objektfunktionalen Verwendungsweise lässt sich in den größeren Kontext dieser vermehrt textbezogenen Gebrauchslogiken im Umgang mit Dokumenten stellen. Der Text gewinnt gegenüber dem Objektcharakter eines Schriftstückes im Verlaufe des Spätmittelalters zunehmend an Bedeutung und mit ihm intertextuelle Referenzmöglichkeiten, die über den Status des Schriftstücks als Urkunde oder Brief hinausgehen. 181 Dieser Wandel lässt sich am besten als Transfer von Praktiken fassen. 182 An Universitäten ausgebildete Schriftexperten verwendeten Ordnungs- und Verweistechniken nicht mehr nur 69 1.2 Historische Terminologie vor der Missive: Briefe, Schreiben, Schriften <?page no="70"?> 183 Vgl. hierzu auch K E L L E R , Buchführung. Für eine Fallstudie zu Rechtshandschriften vgl. K E R S T I N S E I D E L , Vorzeigen und Nachschlagen. Zur Medialität und Materialität mittelalterlicher Rechtsbücher, in: Frühmittelalterliche Studien 42 (2009), S. 306-328. 184 Vgl. dazu auch M A R C E L B U B E R T und L Y D I A M E R T E N , Medialität und Performativität. Kulturwissenschaftliche Kategorien zur Analyse von historischen und literarischen Inszenierungsformen in Expertenkulturen, in: Experten, Wissen Symbole. Performanz und Medialität vormoderner Wissenskulturen, hrsg. von Frank Rexroth und Teresa Schröder-Stapper, Berlin/ Boston 2018, S. 29-68. auf theologische oder liturgische Texte, sondern begannen, diese Praktiken im Umgang mit Verwaltungs- und Herrschaftsschriftgut zu adaptieren und weiterzuentwickeln. 183 Damit veränderte sich sowohl der Status wie auch die Funktion von Schriftstücken, die nun vermehrt auf ihren textuellen Inhalt und auf ihre intertextuellen Verweise hin verstanden und ausgelegt wurden. Nun wurde es möglich, Dokumente als autonome, interpretier- und auslegbare Texte zueinander in Beziehung zu setzen. Der Schluss liegt daher nahe, die hier untersuchten Missiven je nach Gebrauchskontext im eben geschilderten Sinne als Texte (schriften) zu verstehen. Denn die Briefe wurden von den gleichen professionell ausgebildeten Personen verfasst, die Stadtrechtssamm‐ lungen anlegten, Kopialbücher zusammenstellten und die Anlage von Archiven vornahmen. 184 Drittens zeugen Veränderungen von Formulierungen auch von einem Wandel im Kommunikationsverhalten der Korrespondenzteilnehmer. Wenn Briefe ab den 1460er-Jahren mit den formelhaften Wendungen Uff uewer schriben oder Uewer schriben haben wir gehört eingeleitet wurden, so ist damit nicht nur die Verwendung neuer Phrasen angezeigt, sondern diese neue Gebrauchsweise deutet auch auf einen Wandel im herrschaftlichen Umgang mit Briefen hin. Die Bieler schrieben nämlich ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verstärkt Briefe an den Bischof. So nahmen sie zunehmend eine aktive Rolle in der Korrespondenz ein und forderten damit auch eine bischöfliche Aus‐ einandersetzung mit ihren Anfragen. Die verschickten Missiven schufen An‐ schlussmöglichkeiten für Kommunikation, die auf beiden Korrespondenzseiten weiterführende kommunikative Handlungen zeitigten und damit überhaupt eine zusammenhängende Korrespondenzserie erzeugten. 1.3 Charakteristika einer Missive Während also die historisch-semantische Analyse der endo- und exonomastisch verwendeten Bezeichnung von Missiven einen differenzierten Umgang mit diesen Schriftstücken und spezifische Verweis- und Anschlussmöglichkeiten in 70 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="71"?> 185 Zusammenstellungen von Brieftypen, Titulatio-Listen, Grußformeln etc. sind äußerst hilfreiche Instrumente bei der wissenschaftlichen Analyse. So beispielsweise das Standardwerk von G I L L E S C O N S T A B L E zu Briefen und Briefsammlungen, das zwar schon etwas älter und eher trocken gehalten ist, aber nach wie vor viele wertvolle Hinweise enthält, vgl. G I L L E S C O N S T A B L E , Letters and Letter Collections, Turnhout 1976. Als Nachschlagewerk vgl. zudem die ältere Arbeit von G E O R G E J . M E T C A L F , Forms of Address in German (1500-1800), St. Louis 1938. Besonders hilfreich ist zudem H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz. 186 Vgl. hier die Übersicht über die Aufbautypen des Briefes in den Artes dictandi in: Repertorium der Artes dictandi des Mittelalters, hrsg. von F R A N Z J O S E F W O R S T B R O C K , M O N I K A K L A E S und J U T T A L Ü T T E N , München 1992, hier S. 181-182. Auch bei S T E I N H A U S E N findet sich ein systematischer Einstieg in die unterschiedlichen Briefelemente, vgl. S T E I N H A U S E N , Brief, S. 40-49. 187 Vgl. C H R I S T O P H E G G E R , Littera patens, littera clausa, cedula interclusa. Beobachtungen zu Formen urkundlicher Mitteilungen im 12. und 13. Jahrhundert, in: Wege zur Urkunde - Wege der Urkunde - Wege der Forschung. Beiträge zur europäischen Diplomatik des Mittelalters, hrsg. von Karel Hruza und Paul Herold, Wien/ Köln/ Weimar 2005, S. 41-64. 188 Vgl. A H A S V E R V O N B R A N D T , Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die histori‐ schen Hilfswissenschaften, Stuttgart 1958, vor allem S. 96 und 116. der herrschaftspragmatischen Korrespondenz belegen, blieb die Frage, wie sich eine Missive als Schriftstück gestaltete, bislang unbeantwortet. Dabei geht es um die Klärung scheinbar einfacher Fragen wie: Was gehört in eine Missive? Wie präsentiert sich eine Missive bezügliche Materialität und Beschaffenheit? Und wie interagieren Form und Inhalt? Die Beantwortung dieser Fragen nach der Beschaffenheit und nach dem Verhältnis von Form und Inhalt einer Missive soll nicht zuletzt im Hinblick auf ihre zunehmende Bedeutung als Kommunika‐ tionsmedium erfolgen. 185 Konstitutive Bestandteile einer Missive Welches sind also die konstitutiven Bestandteile einer Missive? Die Brieflehren in der Tradition der ars dictandi unterscheiden zwar unterschiedliche Anfor‐ derungen an den Briefaufbau, jedoch gibt es einige Elemente, die - mit variie‐ render Terminologie - einer Missive zu eigen sind. 186 Wird die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Brief- und Urkundenausstellungen ange‐ wendet, zählt die Missive zu den litterae clausae. 187 Formal handelt es sich also um eine falt- und verschließbare Briefform, die in der Regel im Querformat angelegt ist und mit einem aufgedrückten Siegel verschlossen und autorisiert wurde. 188 Die inneren Merkmale, so die traditionelle ars dictaminis, folgen den Prinzipien der Rhetorik und damit einem prinzipiell fünfgliedrigen Briefdispo‐ 71 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="72"?> 189 Vgl. dazu die Ausführungen zum epistolographischen Textbausteinschema in: Rhetorica deutsch. Rhetorikschriften des 15. Jahrhunderts, hrsg. von J O A C H I M K N A P E und B E R N ‐ H A R D R O L L , Wiesbaden 2002, S. 22-24. In dem im Jahre 1484 in Augsburg gedruckten Formulare und Deutsch Rhetorica von Heinrich Geßler findet sich die Gliederung als Auflistung der fünf Artikel, vgl. M Ü L L E R , Quellenschriften, S. 362-363. 190 So sieht es etwa das Frage- und Antwortschema im Formulare und Deutsch Rhetorica vor, vgl. M Ü L L E R , Quellenschriften, S. 362-363. 191 Zu Konventionen der super- und subscriptio in der Korrespondenz zwischen Rangglei‐ chen und -ungleichen, vgl. H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz. 192 S T E I N H A U S E N , Brief, S. 49. sitionsschema: Salutatio, Exordium, Narratio, Petitio und Conclusio. 189 Auf die Frage, ob denn alle fünf Textbausteine zwingend zu einem korrekten Brief gehörten, antworten die meisten Briefsteller mit einem Nein, denn letztlich stellte der Inhalt unterschiedliche Anforderungen. 190 Zur Veranschaulichung seien an dieser Stelle die charakteristischen Merk‐ male einer Missive und ihr Textaufbauschema ausführlich vorgestellt (Abbil‐ dung 2). Abbildung 2: Recto-Seite einer Missive (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 8r [1390]) Als Aussteller des Dokuments setzte Bischof Imer von Ramstein (1382-1391) in der intitulatio seinen Namen, Titel und Funktion als superscriptum. 191 Die Überschreibung des Briefes scheint vor allem unter geistlichen Würdenträgern üblich gewesen zu sein, obwohl S T E INHA U S E N diese Handhabung auch bei „Fürsten, grosse[n] Herren und mitunter auch Städte[n] (z. B. civitas Colo‐ niensis)“ 192 beobachtet hat. Tatsächlich finden sich bei Schreiben zwischen eidgenössischen Städten und zwischen weltlichen Institutionen in der Regel Namen, Titel und Amt in der subscriptio. Die Positionierung des Adressanten 72 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="73"?> 193 Als Beispiele seien die Missiven von Dekan und Kapitel erwähnt: StadtA Biel, 1, 52, LXIV. 194 H E R O L D , Interpretation, hier S. 111. 195 Vgl. dazu allgemein E C K H A R T H E N N I N G , Anreden und Titel, in: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, hrsg. von dems. und Friedrich Beck, Köln/ Weimar/ Wien 3 2003, S. 231-244. 196 H O L Z A P F L sieht eine ähnliche Zunahme von Zierelementen in der bayrischen Kanzlei‐ schriftpraxis ab den 1420er-Jahren, vgl. H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz, S. 89-90. 197 Einschlägig zu Perspektiven spätmittelalterlicher symbolischer Kommunikation vgl. Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommu‐ nikation, hrsg. von B A R B A R A T O L L B E R G -R I L I N G E R et al. Köln 2013 sowie grundlegend G E R D A L T H O F F , Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 31 (1997), S. 370-389. hing einerseits vom Selbstverständnis der jeweiligen Instanz und der inten‐ dierten Selbstdarstellung ab, andererseits vom jeweiligen Hierarchieverständnis zwischen den korrespondierenden Instanzen. Allerdings gilt auch hier, dass es zu unterschiedlichen Praktiken kam, sowohl was regionale wie traditionelle Präferenzen anbelangt. Die Basler bischöfliche Kanzlei hielt sich ausnahmslos an die Tradition der superscriptio. Im Gegensatz dazu wurde im Schriftverkehr des Kapitels jedoch die subscriptio verwendet. 193 Mit J ÜR G E N H E R O L D kann dabei von einer „Semantisierung des Schriftbildes“ 194 gesprochen werden, indem hierarchisch verstandene Rangordnungen nicht nur in der Titulierung und in den Bezeichnungen ausgedrückt, sondern direkt in der Positionierung der intitulatio visualisiert wurden. 195 Ab dem Episkopat von Bischof Hartmann Münch von Münchenstein (1418- 1422) lassen sich zudem vermehrt Tendenzen fassen, das Schriftbild mit Zier‐ elementen auszustatten, so etwa bei der Adressierung auf der Verso-Seite der Briefes, die gefaltet und versiegelt den verschickten Brief verschlossen hielt (vgl. Abbildung 3). 196 Sowohl bei der Adressierung auf der Verso-Seite wie bei der superscriptio und der Einleitungsinitiale der Salutatio auf der Recto-Seite wurden dekorative Elemente eingefügt, die die Adressierung der Empfänger (Unsern lieben getruwen), aber auch den bischöflichen Briefaussteller hervor‐ hoben. Damit wurde das Schriftbild in eine semantische Struktur überführt, die nicht nur auf die korrekte Adressierung im Sinne der Wortwahl abstellte, sondern auch Elemente der visuellen Repräsentation mittransportierte. Begreift man mittelalterliche Gesellschaft als stark auf performative und symbolische Kommunikation, auf Zeichen und Gesten ausgerichtete Sozialform unter An‐ wesenden 197 , so muss der Anrede in der schriftlichen Distanzkommunikation besonders Rechnung getragen werden, konnte sie doch sowohl gestalterisch wie in der Formelselektion Mitteilungen aufnehmen, die der abwesende Absender als nonverbale Zeichen kommunizieren konnte. 73 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="74"?> 198 Zu Bedeutung und Wandel der „öffentlichen“ Anredeformeln im Spätmittelalter vgl. T H O M A S B E H R M A N N , Zum Wandel der öffentlichen Anrede im Spätmittelalter, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hrsg. von Gerd Althoff, Stuttgart 2001, S. 291-317. Abbildung 3: Beispiel von Zierelementen bei der Adressierung auf der Verso-Seite einer Missive (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 153v [1472]) Der Brieftext im engeren Sinne setzt mit der Salutatio, der Anrede der Adres‐ saten, ein. In der Beispielmissive von 1390 (vgl. Abbildung 2) werden der Bieler Meier und die Räte mit Unsern gruos vor, lieben fründe angesprochen. 198 Den diffizilen Anredeformeln, die Stand und Titel des Adressaten angemessen her‐ vorheben sollten, galt nicht nur die Hauptaufmerksamkeit der zeitgenössischen Briefsteller, sondern auch die der sozialgeschichtlichen Briefforschung. Über die Konventionen der Anredeformeln und den Verstoß gegen sie können soziale und herrschaftliche Über- und Unterordnung sowie Nähe und Distanz der Beziehung ausgedrückt und damit die Konstituierung von sozialen Gruppen nachvollzogen 74 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="75"?> 199 So bei der relationalen Anrede ‚Herr‘, die im Verlauf des 15. Jahrhunderts differenziert werden muss, da an Versammlungen unterschiedliche Herrschaftsträger und -vertreter (König, Fürsten, Gesandte von Städten etc.) in unterschiedlichen Beziehungen zuein‐ ander stehen und der Begriff ‚Herr‘ überstrapaziert wird, vgl. B E H R M A N N , Wandel, S. 297. Vgl. dazu besonders auch die Studien der beiden Linguisten R O G E R B R O W N und A L B E R T G I L M A N , die für den Zeitraum zwischen 1100 und 1300 einen Wandel im Anredesystem (insbesondere im Englischen, Französischen, Deutschen und Italienischen) postulieren, vor allem die Formen von ‚Du‘ und ‚Ihr‘, aber auch ‚Ich‘ und ‚Wir‘ erhalten in diesem Zeitraum eine neue Prägung, vgl. R O G E R B R O W N und A L B E R T G I L M A N , The Pronouns of Power and Solidarity, in: Style in Language, hrsg. von Thomas A. Sebeok, Cambridge (MA) 1968, S. 253-276. 200 Vgl. B E H R M A N N , Wandel, S. 297. 201 Vgl. etwa eine Missive von 1471 mit dem Wortlaut als ir […] sehen und vernaemen moegent. Neben der eigenen Einsichtnahme (sehen) wurden der Inhalt vorgelesen oder mitgeteilt (vernaemen), StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 80. 202 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 83 (10. Dezember 1414). 203 Vgl. Kapitel 1.6. zu Missiven als Medien und Behälter im innerherrschaftlichen Schrift‐ handeln. werden. 199 Dies erklärt womöglich auch die zum Teil extensiven Ausführungen und Auflistungen von Anreden in den zeitgenössischen Briefstellern. 200 Das Wissen um die korrekte Adressierung war entscheidend, um die soziale und rechtliche Relation der Korrespondenz auszudrücken und im Kommu‐ nikationsakt herzustellen, gerade weil mit ihr der Brieftext eröffnet wurde und gleichsam in allem, was folgte, dieses Adressaten/ Briefsteller-Verhältnis mitkommuniziert wurde. Die Salutatio stand zudem in aller Regel in direkter Beziehung zur Adressierung auf der Verso-Seite. Bei den Bieler Missiven kommt hinzu, dass sie meist vor einer begrenzten Öffentlichkeit (dem städtischen Rat und dem Meier) laut vorgelesen wurden und damit die Beziehung zwischen Adressat und Adressant immer wieder in Erinnerung gerufen wurde. 201 So wichtig die korrekte Salutatio in einem Schreiben war, um den Status des Adressaten und dessen Beziehung zum Aussteller explizit auszudrücken, so konnten bei den Schreibern doch gewisse „Abnützungserscheinungen“ bei den Formulierungen auftreten. So findet sich in einer Missive von Bischof Humbert von Neuenburg (1395-1417) folgende Wendung, in der die eigent‐ liche Salutatio, also der Gruß, schlichtweg ausgelassen worden ist: Unsern fruntlichen [sic! ] zevor, lieben frunden. 202 Da keine Reklamationen der Bieler diesbezüglich vorliegen, scheint der Formularfehler vielleicht auch bei den Adressaten überlesen worden zu sein. Wie noch zu zeigen sein wird, konnten solche Verschreiber als Formfehler durchaus als Argumente in einem Konflikt zwischen den Korrespondenzpartnern angeführt werden. 203 Im Anschluss an die Salutatio folgen im Exordium (auch Proömium) Ausfüh‐ rungen zum Schreibgrund und zur inhaltlichen Zuordnung: Als von des tages 75 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="76"?> 204 Vgl. P E T E R K O C H , Urkunde, Brief und öffentliche Rede, in: Das Mittelalter 3 (1999), S. 13-44, hier S. 22. 205 Ein gutes Beispiel dafür bietet Johannes von Venningen (1458-1478), dessen Itinerar anhand seines Haushaltsbuchs bereits wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, vgl. H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. 102ff. 206 Vgl. dazu auch die in Kapitel 1.7. gemachten Ausführungen. Ein schönes Beispiel hierzu ist StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 140: Im Zusammenhang mit einem Viehraub in den Stiftlanden kommt es 1468 zur Auseinandersetzung mit einem österreichischen Fähn‐ lein bei Altkirch. Mehrere Gefolgsleute des Bischofs werden gefangengenommen. Die Missiven dienen zur Klärung der Rechtslage sowie zum Vorgehen. Als Verdeutlichung der Dringlichkeit wird eine kurze, anekdotenhaft verfasste Notiz auf einem kleinen Papierstreifen mitgeschickt, die das knappe Entkommen zweier Herren schildert. Diese soll folgendes verdeutlichen: Also wirt mit uns und den unsern umb gangen. 207 In diesem Sinne vgl. zudem J Ü R G E N F R Ö H L I C H , Spätmittelalterliche Rhetorik im medialen Umbruch, in: Das Mittelalter 9 (2004), S. 113-123. wegen, so ir vor unserm capittel haben soellent […]. Dieser Teil geht in der Regel nahtlos in die eigentliche Narratio, also die Schilderung des Sachverhaltes über: […] von der stoesse und misshellungen wegen, als ir wol wissent. Das Ziel des Schreibens wird durch die Petitio gegeben. Im Anschluss an P E T E R K O C H kann die Petitio im Briefschema als das „pragmatische Zentrum“ 204 eines Briefes cha‐ rakterisiert werden, da sie oft als Anweisungs- oder Beratungsansuchen verfasst wurde: Da raten wir uch in gantzem truwen, das ir zuo dem tag also koment. Die abschließende Conclusio hebt in den untersuchten Missiven meistens auf die erwartete Treue oder ein nachdrückliches Ermahnen ab: Da lassent uch dar an nût sumen, ir koment uff den egenannten tag. Die Missive schließt dann unter Angabe des Datums: Scriptum Basiliensis tercia die mensis junii LXXXX. Dabei wurde die Ortsangabe vor allem dann vermerkt, wenn die Bischöfe zwischen den Residenzen in Basel, Delémont und Porrentruy hin und her wechselten. 205 Durch den Ortsvermerk wird das Korrespondenzwesen entsprechend umgeleitet und kann durch diese Form der Steuerung effizient aufrechterhalten werden. So wurden zusätzliche, oft im Nachhinein eingetroffene Informationen meist in Form kleiner Zettel (cedulae) mitgeschickt. 206 An dieser Stelle hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Distanzkommunikation zwischen Bischof und Stadt Biel eine Distanz - je nach Residenz - von 60 bis 90 Kilometern überbrückte. Weder der Herrschaftsbereich noch die Distanz waren damit über die Maßen groß, aber dennoch musste mehr als ein Tag Zustellungszeit eingerechnet werden. Der an der klassischen Brieflehre orientierte Aufbau verführt aus einem heutigen Textverständnis heraus schnell dazu, ihn zwar als Grundstruktur auf‐ zuzeigen, dann aber möglichst nahtlos auf den ‚eigentlichen‘ Inhalt zu sprechen zu kommen. 207 Dabei stellt das Formelhafte der Formulierungen ein schwieriges 76 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="77"?> 208 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 78. 209 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 80. 210 Vgl. dazu etwa die Auflistung von Prädikaten als Bestandteil der colores rhetoricales im Translationen-Druck von Niklas von Wyle (1410-1479), in: K N A P E und R O L L , Rhetorica deutsch, S. 306. 211 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 80. methodisches Problem dar, denn allzu oft ist unklar, ob eine Abweichung von den üblichen Mustern als intentional oder als Ausdrucksvariante zu werten ist. So konnten Variationen in der Positionierung der Intitulatio, semantische Verschiebungen bei den verwendeten Attributen in der Salutatio, aber auch der konkrete lokale Bezugspunkt der Datumsangabe das Beziehungsgefüge zwischen Bischof und Stadt Biel nuancieren. Während etwa in einer Missive des Bischofs Humbert von Neuenburg der Meier und Rat von Biel 1413 wie üblich mit Unsern getruwen lieben dem meier und dem rate unserer stat Byell  208 adressiert wurden, wechselte die Adressierung in einer Missive, die ebenfalls von Bischof Humbert und dazu noch im selben Jahr ausgestellt wurde, auf die Formel Den wisen, frommen unsern guten frunden dem meier und dem rat unserer stat Byell.  209 Der Wechsel der eingesetzten Adjektive verläuft gemäß Adjektivlisten in Brief‐ stellern im Rahmen des konventionellen Spektrums. 210 Nicht die Adjektivwahl an sich ist daher besonders aussagekräftig, sondern der Wechsel im medialen Kontext. So handelt es sich bei der zweiten Missive nicht um ein reguläres Schreiben, sondern im weiteren Sinne um ein Kredenzschreiben. Dieses blendet den Überbringungskontext nicht aus, sondern bezieht den Überbringer als durch das Schreiben akkreditierten Bittsteller in den Kommunikationszusam‐ menhang ein. In diesem Falle ist es ein gewisser Stefan von Vogtsberg, dem die Bieler auf Bitten des Basler Bischofs Gehör schenken sollten, als ob sie uns selber antreffende werent.  211 Die Petitio, das pragmatische Zentrum des Schreibens, ändert dabei ihren Bezugspunkt und verdoppelt ihre Funktion: Der Aussteller bittet die Adressaten, der Bitte des Bittstellers zu entsprechen. Der kommunikative Zusammenhang der Kredenzsituation scheint daher auch in der medialen Ausgestaltung reflektiert. Vor diesem Kommunikationsarrangement, das eine dritte Partei einführen sollte, erstaunt es folglich wenig, dass die Adressierung gegenüber der regulären Korrespondenz variiert wurde. Dieses Beispiel soll vorerst genügen, um zumindest schlaglichtartig die Bedeutung und das Zusammenspiel der Formularbestandteile einer Missive zu beleuchten. Es gilt, in jedem Fall grundsätzlich zu prüfen, ob die Briefelemente trotz ihrer Textbausteinschematik nicht doch im Sinne von H E R O L D s Semantisierung des Schriftbildes als Bedeutungs- und Positionierungselemente zu verstehen sind, welche die jeweilige Kommunikationsstruktur im Rahmen von bekannten 77 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="78"?> 212 So schwierig und nicht immer klar eingrenzbar dieses Untersuchungsfeld auch ist, soll hier vor allem auf die problematische forschungsgeschichtliche Gegenüberstellung von mündlichen Gerüchten und schriftlicher Informationsübergabe hingewiesen werden. R O B E R T S C R I B N E R hat bereits in den 1980er-Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass das „Hörensagen“ hier treffender ansetzt. Von „Hörensagen“ anstelle von Gerüchten zu sprechen, ermöglicht es, die mediale Verfasstheit von Gerüchten von der Mündlichkeit zu lösen. Nicht Gerüchte sind mündlich, sondern der Kommunikationsvorgang des Hörensagens, vgl. R O B E R T W. S C R I B N E R , Oral Culture and the Transmission of Refor‐ mation Ideas, in: The Transmission of Ideas in the Lutheran Reformation, hrsg. von Helga Robinsin-Hammerstein, Dublin 1989, S. 83-104, hier vor allem S. 90-93. 213 Gerüchte als historiographisches Untersuchungsfeld haben in letzter Zeit viel Beach‐ tung gefunden, vgl. etwa A N D R E A S W Ü R G L E R , Fama und Rumor. Gerücht, Aufstand und Presse im Ancien Régime, in: WerkstattGeschichte 15 (1996), S. 20-32. Konzeptionell zu Nachrichten und Gerüchten vgl. C O R N E L Z W I E R L E I N , Gegenwartshorizonte im Mit‐ telalter. Der Nachrichtenbrief vom Pergamentzum Papierzeitalter, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 12 (2010), S. 3-60. H A N N A V O L L R A T H hat sich kommunika‐ tionsgeschichtlich den Gerüchten rund um Canossa angenähert, vgl. H A N N A V O L L R A T H , Lauter Gerüchte? Canossa aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweise - Strategien - Darstellungsformen, hrsg. von Stefan Weinfurter, Ostfildern 2012, S. 159-198. Zu Gerüchten vom Tod des Herrschers vgl. F L O R I A N H A R T M A N N , Das Gerücht vom Tod des Herrschers im frühen und hohen Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 302 (2016), S. 340-362. 214 Als Kategorie hat ‚Information‘ in der Forschung seit längerer Zeit dem Wahrheits- und Tatsachenbegriff den Rang abgelaufen. So haben wissensgeschichtlich ausgerichtete Zugänge über den Leitbegriff ‚Information‘ neue Fragestellungen nach Verfahren und Praktiken des Informierens und Informiertseins eröffnet. Der Informationsbegriff läuft dabei jedoch Gefahr zum „Plastikwort“ zu werden. Nachdem die Forschung ihre Schwerpunkte einerseits auf ‚Neuigkeiten‘ und ‚Tatsachenberichte‘, andererseits auf Informationsübertragung gelegt hatte, interessieren aktuell vor allem Funktionsweisen, Logiken und Effekte von Wissen. Siehe dazu vor allem die kritische und perspektivisch angelegte, sehr luzide Einleitung zu „Information“, vgl. A R N D T B R E N D E C K E , M A R K U S F R I E D R I C H und S U S A N N E F R I E D R I C H , Information als Kategorie historischer Forschung. Heuristik, Etymologie und Abgrenzung zum Wissensbegriff, in: Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände, Strategien, hrsg. von dens., Berlin 2008, S. 11-44. Die Logiken und Effekte von Wissen wiederum müssen nicht immer intendiert sein, und geteilten Erfahrungswerten, Wissensformen und Erwartungshaltungen mitgestalteten. Die Verortung der Information: Ihr Platz und ihre Funktion in der Missive Das „Hörensagen“ 212 und Einholen von Neuigkeiten war selbstverständlich ein wichtiges Element der Herrschaftspraxis, und es ist naheliegend, Missiven auf ihren Informationsgehalt hin abzuklopfen. 213 Gerade in konflikthaften und pre‐ kären Situationen ging es tatsächlich oft darum, ‚Informationen‘ 214 im heutigen 78 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="79"?> sondern können durchaus sekundär, gleichsam kollateral mitwirken. Dies einbezie‐ hend definierten A R N D T B R E N D E C K E , S U S A N N E F R I E D R I C H und M A R K U S F R I E D R I C H den Leitbegriff „Information“ als „das, was an Repräsentationen der Welt in Hinsicht auf eine Aufgabe verfügbar ist.“ (ebd., S. 16). Eine besonders luzide Untersuchung von Informationsbeschaffung und Wissen aus herrschafts- und kommunikationspragmati‐ scher Sicht stellt A R N D T B R E N D E C K E s Habilitationsschrift dar. Er untersucht dabei das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Spanischen Krone, die entera noticia über die Neue Welt zu erlangen, und dem pragmatischen Alltag am Hof und der königlichen Amtleute, vgl. A R N D T B R E N D E C K E , Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der spanischen Kolonialherrschaft, Köln 2009. 215 Obwohl systematische etymologische Untersuchungen zum mittelalterlichen und früh‐ neuzeitlichen Begriff ‚Information‘ fehlen, scheint sich abzuzeichnen, dass sich um ihn im spätmittelalterlichen deutschen Sprachgebrauch kein semantisches Feld gebildet hat, vgl. hierzu die kurze etymologische Zusammenstellung in B R E N D E C K E , F R I E D R I C H und F R I E D R I C H , Information, S. 20-30. Besonders hervorgehoben wird hier die dabei das Auftauchen von „Information“ im Zusammenhang mit dem Aufkommen eines neuen Prozesstyps, nämlich der Inquisition, vgl. dazu vor allem S U S A N N E F R I E D R I C H , Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immer‐ währenden Reichstags um 1700, Berlin 2007, hier S. 154-156. 216 Für eine Studie mit einem ganz anders gelagerten Erkenntnisinteresse, jedoch mit einem starken Fokus sowohl auf der Materialität von Nachrichtenbriefen, aber vor allem auf der Nachrichtenkommunikation, ihrer Funktionsweise, als auch auf der Empfängerseite (Wahrnehmung von Gegenwart als historischer Größe des „Gegenwartshorizontes“ einer Gesellschaft/ Epoche), vgl. Z W I E R L E I N , Gegenwartshorizonte. Sinne zu erlangen. 215 Die Reduktion von Briefen auf ihren faktischen Informa‐ tionsgehalt ist jedoch - gerade aus medialitätsgeschichtlicher Perspektive - zu einseitig. 216 Gleichwohl drängt sich die Frage auf, wie Nachrichten und Neuigkeiten ausgetauscht wurden und welchen Platz sie in der Missivenstruktur einnahmen. Wie wird also das, was man heute als ‚informieren‘ bezeichnet, in den spät‐ mittelalterlichen Missiven ausgedrückt? Welche Differenzierungen finden sich in den semantischen Feldern des Vernehmens und Einholens von Informationen und welchen Effekt haben diese? Gerade das Exordium als einleitender Briefbestandteil im Anschluss an die Salutatio wird oft als phrasenhaftes Briefelement überlesen. Ein erster Blick auf das Formulierungsspektrum möglicher Exordia zeigt, dass auch hier aus einer begrenzten Auswahl von Standardphrasen ausgewählt wurde. Trotzdem zeugen sie, aus einer vergleichenden Perspektive betrachtet, von differenzierten Ge‐ brauchsweisen und Vorstellungen der Nachrichten- und Neuigkeitsvermittlung. Nimmt man die bischöflichen Missivenexordien zur Ausgangslage, finden sich Formulierungen wie etwa uns ist furkommen, daz, wir haben vernommen, daz, wir lassen uch wissen, daz oder uns wurd furgetragen, daz. Diese Ausdrucksent‐ 79 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="80"?> 217 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 159. Dabei handelt es sich um die Kopie einer Missive, die 1475 von Bischof Johannes von Venningen an Bern verschickt wurde. So konnte der Informationsstand der Bieler auf dem aktuellen Stand gehalten werden und gleichzeitig fungierte sie als Beweis für das aktive Vorgehen des Bischofs in Bieler Angelegenheiten. scheidungen lassen sich anhand von drei herrschaftspragmatischen Aspekten systematisch diskutieren. Erstens wird in den bischöflichen Missiven bei Informationen, die zunächst dem Bischof zugetragen worden waren, meist nicht darauf verwiesen, von wem die Information eigentlich stammte. Zwar bleibt unklar, wie der Informations‐ fluss verlief, jedoch scheint er vor allem über die Amtleute an den Bischof herangetragen worden zu sein. Wenn dem Bischof also etwas furkommen war oder er etwas „vernommen“ hatte, dann wurde er vermutlich auf erwartbarem Kommunikationsweg über Amtmänner und Hofpersonal informiert und gab die Informationen entsprechend über die Missive weiter. So etwa im Exordium einer Missive an Bern, die Bischof Johannes von Venningen im Februar 1475 den Bielern als Kopie zukommen ließ: Uns ist furkommen, wie der vogt von Nydouw den unnsern von Biel irr netz uff dem Bieler see genommen. 217 Dass dabei oft kein Informant angegeben wurde, deutet darauf hin, dass sich die Informationspraxis im spätmittelalterlichen Kontext stärker an den thematischen Inhalten zu orientieren schien als an den Informationsquellen. Die Missivenexordien, so eine erste These, verweisen auf einen Status des Informiertseins, nicht auf die Angaben zur Informationsgenese. Es handelt sich dabei also nicht etwa um eine Art „Quellenschutz“, wie sie der moderne Journalismus kennt, sondern um einen Ausweis von Herrschaftswissen: Die Herrschaft weiß und gibt von ihrem Wissen das weiter, was ihre Untergebenen wissen müssen, um in ihrem (das heißt der Herrschaft) Sinne handeln zu können. Als zweiter Aspekt sind die semantischen Unterscheidungsmöglichkeiten bei der Wahl der Exordiumformel zu beachten. Eine im Dezember 1491 von Bischof Kaspar zu Rhein nach Biel verschickte Missive weist neben dem eingangs formulierten Exordium ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen Informations- und Nachrichtenqualifizierungen aus, die sich allesamt über die Wahl der Verbform unterscheiden: Unnsern fruentlichen grus zuvor, lieben getruwen. Wir vernemen, wie unnser guten frundt gemeynen eidgenossen uff morn zu nacht gein Bern komen sollen. Nuo wer nuet uns solichs zu wissen, dwil dan solichs redt von den uwern usgangen, so zu Telsperg gewesen. So ist unnser ernstlich begern, uns das furderlich by disem botten zu berichten. Wa ir aber des nit gruntlich bericht weren, uch des so tag so nacht zu Bern by egenanten guten frundt, den ir des vertruwetten [Randnotiz: zuerfaren, 80 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="81"?> 218 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 276. 219 Hier scheint auf semantischer Ebene unterschieden zu werden, wie die Information einzuordnen ist. Verlief die Informierung „offiziell“, wird mit dem Verb ‚wissen‘ ope‐ riert. Dagegen entsprechen Verben wie ‚vernehmen‘ oder auch ‚hören‘ und ‚berichtet werden‘ dem stärker wahrnehmungsorientierten Informiertsein auf „informellem“ Weg. 220 Vgl. als Beispiel StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 170. 221 Vgl. als Beispiel StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 62. 222 Ebd. Anmerkung IS] unnd furderlich an alles verziehen ylends verkunden wellen, tund ir uns guder gevallen. 218 Dass sich zurzeit eidgenössische Tagsatzungsgesandte in Bern treffen, davon „weiß“ Bischof Kaspar also nichts. Hingegen hat er von den Bielern Gesandten in Delémont „vernommen“, dass in Bern eine Tagsatzung stattfinden solle. 219 Die Bieler sollen nun schleunigst „in Erfahrung bringen“, was genau in Bern vonstattengeht. Hier zeigt sich ein semantisches Muster, das sich auch in an‐ deren Missiven wiederfindet: Es gibt eine Differenzierung zwischen vernommen respektive furkommen und wissen. Was dem Bischof vermutlich über seine Amt‐ leute über die Tagsatzung zur Kenntnis gebracht wurde, wird hier als vernemen bezeichnet. Im Gegensatz dazu informieren Inhalte, die mit Formulierungen rund um ‚wissen‘ und ‚kundtun‘ eingeleitet werden, auf die Urheberschaft der Information und beziehen diese wiederum autoritativ auf den Bischof. Diese Differenzierungen scheinen also zumindest in ihrer Tendenz darauf ausgerichtet zu sein, Informationen über den Status des Kommunikationswegs und damit auch über die kommunikative Kontextualisierung mitzuteilen. Als letzter Aspekt sei auf Formulierungen hingewiesen, die sich auf eine au‐ ßerhalb der Kommunikation liegende Informationsquelle beziehen. Wurde etwa auf ein vorangegangenes Schreiben Bezug genommen, heißt es in der Missive uns hat XY geschriben.  220 Bittsteller dagegen werden im Exordium oft eingeführt mit uns het furtragen XY. 221 In diesen kommunikativen Kontexten wurde also in der Regel die mediale Form der Informationsübertragung über eine benennbare Quelle herausgestellt und damit autoritative Referenzen hergestellt. Den Fall, dass auf ein Schreiben verwiesen wurde, ohne den Aussteller in seiner Funktion zu nennen, gibt es nach Durchsicht des bischöflichen Missivenbestandes in Biel nicht. Ging es um konkrete Anliegen von Personen oder Amtsträgern, wurde dies mit dem Namen und der rechtlich-sozialen Zugehörigkeit markiert, wie in folgender Missive: Uns het furgetragen unser hindersesse und gotzhuos man Hans Botteron, gesessen ze Cort, wie daz er vor ziten etwas erbteils in unser stat Byell geerbet hatte von einem siner frunden.  222 81 1.3 Charakteristika einer Missive <?page no="82"?> 223 Als Anregung zum Gebrauch und Wandel im Umgang mit spätmittelalterlichen artes dictandi vgl. A L B R E C H T H A U S M A N N , Überlieferungsvarianz und Medienwechsel. Die deutschen Artes dictandi des 15. Jahrhunderts zwischen Manuskript und Buchdruck, in: Revue belge de Philologie et d’Histoire 83/ 5 (2005), S. 747-768. Liest man also Exordiumphrasen nicht als schlichte Formularelemente, welche lediglich die bedeutsamen Informationen und Nachrichten einleiten, sondern nimmt sie als differenzierte Kommunikationssituierungen ernst, ge‐ langt man zu wertvollen Hinweisen zur Qualifizierung von Informationen. Zwar konnten sich Formulierungen wandeln und unterschiedliche Schreiber oder Schreibschulen mögen unterschiedliche Schreib- und Phrasenwendungen bevorzugt haben, aber dennoch zeugt die Wahl der Brieferöffnung, wenn sie über die serielle Überlieferung hinweg verfolgt wird, von einem spezifischen Informationsverständnis. 223 Jede Missive, so verlangt es das zeitgenössische Formular, wurde prinzipiell damit eingeleitet, dass der Anlass des Schreibens angeführt wurde (wir haben vernommen, daz / uns ist furkomen, daz etc.). Die Differenzierung in der Informationseinleitung ermöglichte es, in der Missiven‐ korrespondenz die Beziehung zwischen dem Schreibanlass und den folgenden Ausführungen herauszustellen. Damit ließ sich auch der herrschaftsrelevante Hintergrund der Information abbilden. Die Differenzierung auf der sprachlichen Ebene der Missivenkommunikation deutet darauf hin, dass es im zeitgenössi‐ schen Verständnis im Umgang mit Informationen einen Unterschied machte, von wem und in welcher medialen Form Neuigkeiten und Nachrichten generiert wurden. So konnte bei der Qualifizierung von Informationen unterschieden werden, ob Informationen direkt durch Amtleute und herrschaftsinterne Funk‐ tionsträger zum Bischof gelangten oder ob ihm diese medial vermittelt ge‐ schrieben oder vorgetragen wurden. Denn entscheidend war ja nicht zuletzt, von wem welche Information stammte und welchen autoritativen Anspruch sie damit besaß. 1.4 Missive: Zusammenspiel von Form und Inhalt Die vorangegangenen Ausführungen zum Aufbau der Missive dienten vor allem dem Zweck aufzuzeigen, dass sich diese Schreiben zwar aus Formular‐ bausteinen zusammensetzten und klaren Konventionen folgten, zugleich aber größtmögliche inhaltliche Flexibilität zuließen. Die Missive war somit eine flexibel einsetzbare mediale Form, die den Anforderungen und Bedürfnissen der spätmittelalterlichen Herrschaftsausübung und -verwaltung entsprach. Zwar blieb das Formularschema des Briefes, also die Aneinanderreihung von 82 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="83"?> 224 Als Beispiel vgl. die Einleitung (inklusive Auflistung von Aspekten pragmatischer Schriftkultur) in: C H R I S T E L M E I E R , Einleitung, in: Pragmatische Dimensionen mittel‐ alterlicher Schriftkultur (Akten des internationalen Kolloquiums 26.-29. Mai 1999), hrsg. von dems. et al., München 2002, S. XI-XIX. Nach wie vor forschungsprägend hat sich C L A N C H Y s Ansatz erwiesen, vgl. C L A N C H Y , From Memory to Written Record. Zum Umgang mit Schriftstücken in herrschaftlich-politischen Kontexten vgl. vor allem J E A N N E T T E R A U S C H E R T , Herrschaft und Schrift. Strategien der Inszenierung und Funktio‐ nalisierung von Texten in Luzern und Bern am Ende des Mittelalters, Berlin/ New York 2006. Zum Prozess der Verschriftlichung im Kontext von Herrschaftsintensivierung vgl. H I L D B R A N D , Herrschaft. 225 Die Arbeiten B E D O S -R E Z A K s stellen Siegel und deren Verbreitungsgeschichte in den Kontext eines semiotischen Diskurses des 11. und 12. Jahrhunderts zu Personalität, Identität, Autorität. So arbeitete sie heraus, wie sich aus präscholastischen Diskursen über theologisch-ontologische Fragen zusammen mit Kanzleipraktiken im nordfranzö‐ sischen Adel ein neuer Umgang und ein neuartiges Verständnis des besiegelten Wortes entwickelte, vgl. insbesondere B E D O S -R E Z A K , Medieval Identity sowie D I E S ., Ego. Salutatio, Exordium, Narratio, Petitio und Conclusio unveränderlich, die Länge der Schreiben konnte jedoch beträchtlich variieren. Während im Durchschnitt sechs bis zehn Zeilen Länge üblich waren, finden sich auch sowohl sehr kurze Kredenzschreiben mit drei bis vier Zeilen als auch ausführliche Informations‐ schreiben, die sich über drei bis vier Seiten erstreckten. Die Länge kann somit in gewisser Hinsicht als Indikator für die Art des Gebrauchs gedeutet wurden. Geht es - wie im Falle eines Kreditivs - darum, eine Person kraft der mitgebrachten Missive in eine autorisierte Sprech- und Bittposition zu versetzen, geschieht dies nicht nur durch den schriftlichen Inhalt, sondern auch durch die materielle Form der Missive. Die Wahl des Schreibstoffes, der Adressierungsformel und der Überbringungssituation, aber auch die Sorgfalt der materiellen Ausgestaltung transportierten Vorstellungen von der herrschaftlich-sozialen Beziehungsord‐ nung mit. 224 So setzte die Gestaltung der Missive als littera clausa mit dem aufgedrückten Siegel des Basler Bischofs den kommunikativen Akt noch vor der Lektüre des Inhalts in den Kontext bischöflicher Autorität und entsprechender Herrschaftsgewalt. Wie Form und Inhalt in Wechselwirkung traten und welche Effekte dies für die Herrschaftspraxis zeitigte, soll nun anhand ausgewählter Missiven thematisiert werden. Dabei wird ein Ansatz zum Zusammenspiel von Siegeln und Repräsentation in mittelalterlichen Dokumenten aufgenommen, der von B R I G ITT E M I R IAM B E D O S -R E ZAK in die materialitätsgeschichtliche Diskussion eingebracht worden ist. 225 Damit wird auch die Forderung impliziert, Siegel nicht als Einzelobjekte und ausschließliche Forschungsgegenstände der Sphragistik zu betrachten, sondern sie in ihrem historischen Gebrauchs- und Bedeutungs‐ zusammenhang zu verstehen. Siegel boten die Lösung für ein Grundproblem 83 1.4 Missive: Zusammenspiel von Form und Inhalt <?page no="84"?> 226 Vgl. B E D O S -R E Z A K , Ego, S. 47f. Methodisch rekurriert B R I G I T T E B E D O S -R E Z A K dabei auf das semiotisch-anthropologische Modell von P E I R C E , das ihr einen konzeptionellen Rahmen bietet, in dem Siegel als Zeichen und Objekte eines präscholastischen Diskurses verstanden werden können, der sich mit der Kanzleiwelt vermischte und Siegel sodann in einen breiteren sozialen Kontext stellte. Das P E I R C E ’sche semiotische Methodenkon‐ zept rund um die Triade von image - object - meaning ist für den Ansatz grundlegend, jedoch zeigt sich der Gewinn vor allem in der Umsetzung B E D O S -R E Z A K s, wenn sie das Siegel als Objekt, Zeichen, Metapher und Erkenntnisinstrument in historische Gebrauchszusammenhänge setzt und Wechselwirkungen offenlegt. So versteht sie „semiosis as enacted social practice“, vgl. B E D O S -R E Z A K , Medieval Identity, S. 1518. 227 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 61r. bei der hochmittelalterlichen Ausstellung von Urkunden und Privilegien, indem sie die Autorität und Rechenschaft einer Person über räumliche wie zeitliche Distanz gleichsam verlängerten. Siegel inkorporierten Autorität und Erkennbar‐ keit. Die eingedrückte Form des Siegels wies nicht nur den Aussteller erkennbar aus, sondern zeugte von seiner realen Präsenz sowohl im Ausstellungsakt als auch im materiell überlieferten Objekt. Damit stellten sie die Re-Präsentation im Sinne einer materiell wahrnehmbaren Vergegenwärtigung nahezu auf Dauer. Sie re-präsentierten nicht einmalig, sondern konnten Repräsentation durch ihre materielle Qualität immer wieder reproduzieren und ermöglichten damit, so B E D O S -R E ZAK s These, dass Repräsentation als stabile Form von persönlicher Präsenz anerkannt wurde. 226 Überträgt man diese These auf die Präsentation einer Missive als littera clausa mit aufgedrücktem Siegel, so kann man davon ausgehen, dass eine Missive bereits bei der Übergabe an ihren Adressaten durch ihr Erscheinungs‐ bild das entsprechende kommunikative Herrschaftssetting festlegte. Die im wahrsten Sinne des Wortes eingeschriebene Herrschaftsbeziehung war im Falle der Korrespondenz zwischen Bischof und Basel über Adressierung und Siegel sichtbar. Sämtliche Missiven wurden zum Versand mit Siegeln versehen. Dadurch unterscheiden sie sich materiell ganz grundsätzlich von Missivenko‐ pien, Konzepten oder Missivenabschriften in Missivenbüchern. Das Aufdrücken des Siegels gehörte spätestens seit dem Spätmittelalter zum standardisierten Prozedere des Ausstellens und prägte die zeitgenössische Vorstellung dieser Schriftstücke als briefe mit, wie bereits anhand der Unterscheidung von objekt- und inhaltsfunktionalen Semantiken deutlich wurde: Die Bezeichnung brief bezieht sich dabei auf das besiegelt vorliegende Schriftstück, also ein materielles Objekt und seinen beglaubigten Status. Wie die medialen Wechselwirkungen zwischen Form und Inhalt im kon‐ kreten Fall zu verstehen sind, verdeutlicht eine Missive, die im Frühjahr 1409 den Kaplan Reinhard in bischöflichem Auftrag nach Biel führte. 227 Dieser sollte 84 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="85"?> 228 Vgl. das Konzept von Rolle und Status wird luzide und historisch gewendet erläutert und diskutiert bei A R L I N G H A U S , Gesten, hier vor allem S. 463. 229 Vgl. hierzu die Ausführungen zu dieser Doppelfunktion bei V O L K E R S C I O R , Veritas und certitudo, oder: Warten auf Wissen. Boten in frühmittelalterlichen Informationsproz‐ essen, in: Das Mittelalter 11/ 1 (2006), S. 110-131. Zur Bedeutung von zoiger als ‚Bote‘ und ‚Zeuge‘ vgl. den Eintrag zu „Bote“ in: Deutsches Rechtswörterbuch (DRW), Bd. II, Weimar 1932-1935, Sp. 427f. 230 Aus verschiedenen Wortlauten anderer Missiven geht hervor, dass diese in der Regel vor dem Rat verlesen wurden, vgl. etwa eine Missive von 1471 mit dem Wortlaut als ir […] sehen und vernaemen moegent. Neben der eigenen Einsichtnahme (sehen) wurden der Inhalt vorgelesen oder mitgeteilt (vernaemen), StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 80. 231 Zur Bedeutung des Siegels als Präsenzform im Siegelabdruck und dem Verhältnis von imago und simulacrum vgl. B E D O S -R E Z A K , Medieval Identity sowie D I E S ., Ego. 232 Zum Vortragen von Briefen und anderen Schriftstücken vgl. V O N S E G G E R N , Herrscher‐ medien. Allgemein zum Verhältnis von Schrift und Bild einerseits, aber auch zum Umgang mit (historischen) sensorischen Schriftsituationen vgl. H O R S T W E N Z E L , Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995. 233 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 61r. - so der schriftliche Auftrag - in bischöflichen sachen mit dem Bieler Meier und Rat verhandeln. Auf die angesprochenen Angelegenheiten wurde dabei nicht weiter eingegangen. Der entscheidende Punkt dabei ist jedoch, dass die Kommunikationsstruktur durch die Missive herrschaftlich angelegt und damit gegenüber Biel asymmetrisch organisiert wurde. Die Missive setzte den Kaplan als Stellvertreter des Bischofs in eine entsprechende Sprecherposition: Durch das mit dem roten Bischofssiegel versehene Schreiben nahm er die ihm durch den Bischof zugewiesene und von den Bielern anerkannte Rolle als Vertreter der bischöflichen Herrschaft ein. 228 In diesem Fall überbrachte nicht ein bezahlter Bote den Brief, sondern der Kaplan selbst in seiner Funktion als Amtsträger. Die Missive weist ihn als zoiger des Schriftstücks aus. Der Begriff zoiger verdeutlicht hier die Doppelfunktion des Wortes im Sinne von „Bezeuger des Ausstellungsaktes“ wie auch „Vorzeiger des Briefes“. 229 Durch die beidseitig anerkannten Abläufe des Auftretens, des Überreichens der Missive und des Vorlesens derselben vor dem Rat 230 verknüpfte sich das Schriftstück mit der bischöflichen Präsenz im aufgedrückten Siegel 231 und der durch den Bischof vorgegebenen Rede des Kaplans: 232 [D]az ir dem selben unserm caplan wullent glouben, was er von muonde also von unsern wegen sagende wirt, und wullent och in und zu den selben sachen tuon, als wir das uwer fruntschaft wol getruwent. 233 In diesem medialen Arrangement wurde der Auftritt des Kaplans vor dem Bieler Meier und Rat, zu einem für alle Beteiligten erwart- und verortbaren Vorgehen. Mit der Missive wurde eine herrschaftlich grundierte kommunikative Situation 85 1.4 Missive: Zusammenspiel von Form und Inhalt <?page no="86"?> 234 Vgl. S C H L Ö G L , Anwesende und Abwesende, S. 29-33. 235 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 181. 236 Ebd. unter Anwesenden ermöglicht, in der ein Vertreter des Bischofs legitime Auto‐ rität in Form der Missive mitbrachte, die von den Bieler Ratsherren anerkannt werden musste. Die Missive, so zeigt das Beispiel des Kaplans Reinhard neben anderen, erbringt nicht die inhaltliche Informationsleistung des Schreibanlasses, sondern bereitet den Rahmen für die Legitimität der Sprecherpositionen. Im Sinne R U D O L F S C HLÖG L s wird der Raum und der Moment der Kommunikation unter Anwesenden insofern ermöglicht, als dass er Erwartbarkeiten strukturiert und damit das kommunikative Setting anschlussfähig macht. 234 Durch die besiegelte Missive ist der Bischof gleichsam anwesend, wenn seine Anwesenheit seinen Repräsentanten autorisiert, und so kann der Bischof für die weitere Kommunikation als ein Abwesender behandelt werden, mit dem aber trotz seiner Abwesenheit gerechnet werden muss. Der mündlichen Rede kam zwar entscheidendes Gewicht zu, doch die Missive erfüllte die unerlässliche Funktion, eine Interaktion unter Anwesenden einzuleiten, die nicht durch die schriftliche Fixierung in ihrer Flexibilität eingeschränkt war. Eine Ausnahme dieser sich zunehmend einspielenden Kommunikationsprak‐ tiken soll an dieser Stelle als Kontrast zur Verdeutlichung beitragen. Da die Missiven in aller Regel durch einen Schreiber erstellt wurden, sticht aus der bischöflichen Missivenkorrespondenz eine Missive besonders hervor: Bischof Johannes von Venningen verschickte im März 1476, während eines Höhepunkts der Burgunderkriege, ein eigenhändig verfasstes Sendschreiben. Sogar die Adressierung auf der Verso-Seite wurde vom Bischof eigenhändig notiert. Johannes antwortete auf den in aller Frühe erhaltenen Bericht der Bieler von ihrem Erfolg in der Schlacht von Grandson am 2. März 1476. Er bedankte sich am nächsten Tag gleichsam postwendend für die Berichterstattung und teilte zugleich Neuigkeiten über die Kriegszüge mit. Zwar entspricht die formale Gestaltung der Missive weitgehend den übrigen Sendbriefen des Korpus, sie unterscheidet sich von diesen jedoch deutlich im sprachlichen Stil und Register, wie folgender Auszug zeigt: [S]o schpielet der almechtig got sin gluck darzuo und huetten uch all vor trageri, nit me wissen wir uch uff dismal ze schriben. Geben mit unser eigen handtgeschrifft mentag noch dem sonnentag innvocavit uf die drytte stund noch mittag anno LXXVI. 235 Auch im übrigen Text finden sich neben wiederkehrenden Verweisen auf den allmächtigen Gott eher kolloquiale Ausdrücke wie wir sint nye erschrocken gesein und aber unser edelut hie gesessen wollen den fuchs nit byssen  236 , wie sie in 86 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="87"?> 237 Zum intermedialen Zusammenspiel konventionell distinkter Medien (also zum Beispiel Schrift und Bild), die sich gegenseitig beeinflussen vgl. I R I N A O. R A J E W S K Y , Intermedi‐ alität, Tübingen 2002, S. 6-14. Zu Intermedialität und Kommunikation vgl. Intermedial. Kommunikative Konstellationen zwischen Medien, hrsg. von C H A R L E S G R I V E L und B E A T E O C H S N E R , Tübingen 2001. anderen Missiven nicht zu finden sind. Zudem fällt auf, dass Bischof Johannes zwar den Ort der Ausstellung nicht nennt, jedoch die Abfassung des Schreibens mit unser eigen handtgeschrifft betont. Nicht der Ort der bischöflichen Kanzlei und ihre Nähe zur Person des Bischofs verbürgen die Legitimität und Autorität der Missive, vielmehr ist Johannes selbst durch seine Handschrift physisch präsent. Auf den ersten Blick entspricht die materielle Ausgestaltung weitgehend den üblichen Konventionen. Die Wahl des Hochformats und das im Vergleich zur professionellen Kanzleischrift wenig geordnete Schriftbild zeugen jedoch vom außergewöhnlichen Verfassungsumstand. Das Autograf zeigt eindrücklich, dass in einer dringlichen Informationslage die Kommunikation allenfalls über die eigenhändige Korrespondenz des Bischofs aufrechterhalten werden konnte. Offenbar war der Basler Bischof mit dem Ausstellungsprozess der Missiven zumindest so weit vertraut, dass er diesen selbst ausführen konnte, ohne dass er jedoch das professionelle und formal gehaltene Sprachregister der üblichen Missivenkorrespondenz direkt übernahm. Gerade weil diese Missive unter au‐ ßergewöhnlichen Umständen entstanden ist, gibt sie Hinweise auf sprachliche und materielle Formalisierungsgrade der missivenbasierten Kommunikation. Nimmt man Missiven als Dokumente in den Blick, deren Form und Inhalt als mediales Arrangement ineinandergreifen, lässt sich nicht nur die materielle Bedingtheit dieser Distanzkommunikation besser verstehen, sondern auch der darin eingelagerte Modus der herrschaftsrelevanten Legitimierung und Autorisierung qua Re-Präsentation. 237 Ein versiegelter Brief des Bischofs ist bei der Überbringung zunächst ein materielles Objekt, dessen autoritativer Status mit der Adressierung, der Papierwahl und dem in Wachs eingedrückten Herr‐ schaftszeichen des Bischofs hergestellt wird und den Inhalt des Schreibens in einen bestimmten Beziehungskontext stellt. Im Falle Biels war dieser asymme‐ trisch in der Herrschaftsbeziehung zwischen dem Bischof und Biel begründet. Gerade weil das Kommunikationsgefüge intermedial angelegt war, eröffneten sich immer auch Möglichkeiten, über das Formular, Layout oder Siegel Justie‐ rungen von Beziehungen vorzunehmen, Spannungen auszudrücken und ganz grundsätzlich Mitteilungen nicht nur auf textueller Ebene vorzunehmen. Was aber die Gestaltung der Missiven besonders auszeichnet, ist ihre kommunikative Integrationsleistung. Während das äußerlich gestaltete und noch versiegelte 87 1.4 Missive: Zusammenspiel von Form und Inhalt <?page no="88"?> 238 Für eine intensive Diskussion der Bedeutung von Empfehlungsschreiben als Medien‐ ensemble vgl. Kapitel 3.4. Schriftstück die Herrschaftsbeziehung in einem spezifischen Adressaten- und Adressantenrahmen aufspannt, konnte der Kreis der an der Kommunikation be‐ teiligten Akteure durch den Briefinhalt - wie etwa in unterschiedlichen Formen von Kreditivschreiben - erweitert werden. Nicht die Inhalte der Kommunika‐ tion wurden damit über die Missivenkorrespondenz transportiert, sondern die Kommunikationsstruktur der durch sie in Kommunikation tretenden Akteure. Damit kommt dem Bischof eine besondere mediale Bedeutung zu. Bittstellern, die sich Gehör vor dem Bieler Rat verschaffen wollten, ermöglichte er den ent‐ sprechenden Zugang, indem er sie über die Missivenkommunikation integrierte und in eine Sprecherposition versetzte. Die grundsätzlich duale Grundstruktur der Missivenkorrespondenz (Bischof von Basel auf der einen Seite, Meier und Rat von Basel auf der anderen) konnte so auf Drittparteien ausgeweitet werden. Damit eröffnete die herrschaftlich grundierte Kommunikation eine Praxisform, die Interaktion auch in persönlicher Abwesenheit des Bischofs ermöglichte. 238 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln Zwar wurde jede Missive für sich losgeschickt, aber sie reihte sich immer auch in ein Kommunikationsgeschehen ein, das über die aktuelle Kontaktauf‐ nahme hinausging, auf vorangegangene Kommunikation verwies und allen‐ falls spätere erwarten ließ oder gar initiierte. Man kann zunächst fragen, ob es die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Missivenversands zulässt, für die bischöfliche Herrschaftspraxis ab dem 15. Jahrhundert von einer veritablen Missivenkorrespondenz zu sprechen. Der Begriff der Korrespondenz setzt voraus, dass die Kommunikation a) eine bestimmte Häufigkeit erreicht, sodass sie b) erwartungsgemäß verläuft und dadurch c) eigene mediale Effekte der Serialität wie intermediale Bezugnahmen oder Anschlussmöglichkeiten und -erwartungen hervorbringt. Hier schließt sich dann in einem zweiten Schritt die Frage an, ob sich aus diesen medialen Bedingungen der Missivenkorrespondenz auch spezifische Formen des herrschaftlichen Schrifthandelns als Wissens- und Informationsaustausch herausbildeten. Mit einer quantitativen Analyse der Jahres-, Monats- und Tagesfrequenzen der bischöflichen Missiven an Biel werden im Folgenden zunächst die Intensität und die Rhythmen des Missivenoutputs von 1383 bis 1502 herausgearbeitet. 88 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="89"?> 239 Hierzu vor allem A R N O L D E S C H s Beobachtungen zur verdichteten Überlieferung wäh‐ rend der Burgunderkriege, vgl. A R N O L D E S C H , Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Bern/ Stuttgart/ Wien 1998. E S C H aufnehmend und ergänzend auch H Ü B N E R , Im Dienste, S. 189-192. Da die Missivenüberlieferung für die Amtszeit von Bischof Christoph von Utenheim (1502-1525) besonders lückenvoll und unregelmäßig ist, wurde diese von der quantitativen Analyse ausgenommen. Wertet man also den jährlichen Missivenoutput zwischen 1383 und 1502 aus, zeigt sich eine erwartbare Zunahme der Missivenkorrespondenz in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (vgl. Abbildung 4). Trotz einiger Überlie‐ ferungslücken, deren Gründe an dieser Stelle nicht erörtert werden können, lassen sich Tendenzen festhalten. So lassen sich die Spitzen der Überlieferungs‐ häufigkeit unterschiedlich erklären. Eine erste Spitze lässt sich 1394 festmachen. Thematisch kreisen die für dieses Jahr vorliegenden Missiven jedoch um ganz unterschiedliche Schwerpunkte (Landgericht, Meiereinsetzung, Forderungen, Tagsatzung etc.). Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Missiven der Spitze von 1425 um die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Diebold von Neuenburg. Den Befund, dass eine dichtere Überlieferung vor allem im Umfeld von Konflikten auszumachen ist 239 , bestätigen auch die Spitzen von 1468 (Einfälle ins Stiftsland, Viehraub), von 1474 bis 1476 (Burgunderkriege) sowie von 1484 bis 1487 (Auseinandersetzungen unter anderem mit Bern im Erguel) und 1499 (Unruhen im Stiftsland). Obwohl es nahezu ein Gemeinplatz ist, dass Konflikte erhöhte Schriftlichkeit produzierten, deuten die Spitzen der Überliefe‐ rungshäufigkeit auf zwei unterschiedliche herrschaftspragmatische Funktionen hin. Einerseits verdichtete sich die bischöfliche Korrespondenz, wenn Ausein‐ andersetzungen mit Biel selbst entstanden, also etwa bei der Meierbestallung 1393/ 94. Der Konflikt wurde zu großen Teilen über die Missivenkorrespondenz ausgetragen. Andererseits intensivierte sich der Missivenverkehr auch dann, wenn Biel nicht direkt involviert war. Diese Integration Biels in die regionale Korrespondenz - besonders ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts - zeugt von der zunehmenden Bedeutung Biels als regionalem Informations- und Schrifthandelszentrum. 89 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="90"?> Abbildung 4: Anzahl bischöflicher Missiven an Biel pro Jahr zwischen 1384 bis 1508 (Quelle: eigene Darstellung) 90 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="91"?> Aufschlussreich ist weiterhin die Gruppierung der in diesem Projekt erfassten Missiven nach Ausstellungsmonaten (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Verteilung der überlieferten Missiven nach Ausstellungsmonaten (Quelle: eigene Darstellung) Die Verteilung zeigt, dass zu allen Monaten Missiven verschickt wurden und ihre Anzahl nur in engen Grenzen saisonal schwankte. Die Korrespondenz fand grundsätzlich ganzjährig statt und scheint zumindest in der Tendenz nicht mit wiederkehrenden saisonalen Ereignissen wie zum Beispiel sommerlichen Kriegszügen oder der Meierbestallung jeweils Ende des Jahres zu korrelieren. Überträgt man diese saisonalen Befunde auf die Kommunikationsebene, kann konstatiert werden, dass Kommunikation äußerst konstant aufrechterhalten wurde und dabei ganz in den Dienst akuter Informations- und Kommunikations‐ bedürfnisse verschiedenster Belange gestellt werden konnte. Die über das Jahr verteilte Konstanz der Korrespondenz verstärkt sich wiederum im Verlauf des untersuchten Zeitraums und unterstützt indirekt die These des sich zunehmend intensiver und zusammenhängender gestaltenden Korrespondenzwesens. Die Tendenz zur Konstanz wird noch deutlicher, wenn die Ausstellungsdaten nach Wochentagen geordnet werden (vgl. Abbildung 6). 91 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="92"?> 240 In einigen Missiven finden sich Hinweise auf die direkte Beantwortung am selben Tag. So konnte derselbe Bote gleich mit dem Antwortschreiben zurückgeschickt werden. Vgl. dazu etwa folgenden Auszug: Uwer schriben unns uff hutt by dysem botten getan haben, in StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 238. Abbildung 6: Verteilung der überlieferten Missiven nach Ausstellungswochentagen in % (Quelle: eigene Darstellung) Die Wochentagverteilung erstaunt auf den ersten Blick, lassen sich doch die Ausstellungszeitpunkte überaus regelmäßig allen sieben Wochentagen zuordnen. Dass dabei die Sonntage als ebenso schriftproduktiv wie andere Wochentage zu gelten haben, zeigt, dass die Dynamik der Korrespondenz von einer grundsätzlichen Verfügbarkeit geprägt war. Da in der Korrespondenzserie viele Missiven als Antwortschreiben an Biel konzipiert waren, liegt die Erklä‐ rung nahe, dass die Antwortschreiben - wenn immer möglich - zügig, oft am gleichen Tag beantwortet wurden, um die Antwort dem mitgeschickten Boten mitzugeben. 240 Die quantitative Auswertung der Missivenüberlieferung muss selbstver‐ ständlich mit Vorsicht betrachtet werden. Um die hier vorgestellten Ergeb‐ 92 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="93"?> 241 Im Basler Fall liegt uns mit dem Lehenbuch von Bischof Friedrich zu Rhein aus dem Jahr 1441 ein besonders eindrückliches und prachtvolles Schriftobjekt vor, vgl. Lehenbuch des Bistum Basel. Angelegt unter Bischof Friedrich zu Rhein (1441), Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Generallandesarchiv Karlsruhe, Hfk-Hs Nr. 133. nisse zu Jahres-, Monats- und Wochenverteilungen zu erreichen, wurden die Missivendaten aus jeglichem Zusammenhang herausgelöst. Wichtiger als die absoluten Zahlendaten sind die Tendenzen, die sich dabei aus der Masse von Missiventexten abzeichnen. Die Missivendichte nahm selbst in einem kleinen herrschaftlichen Raum ab Mitte des 15. Jahrhunderts bedeutend zu und stützt damit den Befund, dass sich eine regelmäßige herrschaftsrelevante Missivenkorrespondenzform etablierte. Saisonalen Schwankungen unterlag der Briefverkehr kaum. Die Missivenkorrespondenz war theoretisch immer möglich, wurde jedoch - wenig erstaunlich - besonders dicht in konfliktreichen Situationen eingesetzt. Wobei es im Falle Biels zu unterscheiden gilt, ob Biel als Konfliktpartei selbst oder aber als regionales Informations- und Kommuni‐ kationszentrum eine Schlüsselposition in der herrschaftlichen Korrespondenz einnahm. Grundsätzlich unterstützen die Befunde die These einer zunehmenden Intensität des Briefschreibens hin zu einem regelrechten Briefverkehr. Dabei ist eben nicht nur die anhand der Forschung erwartbare absolute Zunahme der Korrespondenzdichte entscheidend, sondern die konstante Kommunikationsbe‐ reitschaft, die sich nicht grundsätzlich an saisonalen Zyklen oder bestimmten Geschäftszeiten der Schreibstube ausrichtete. Geschrieben wurde, wenn es nötig war - auch an Sonntagen. Herrschaftsrelevantes Schrifthandeln via Missivenkorrespondenz als Wissens- und Informationstransfer Lag der Fokus bislang auf dem medialen Ensemble rundum den Schriftguttyp ‚Missive‘ und um serielles Kommunikationsgeschehen, geht es nun im Fol‐ genden darum, wie Missiven herrschaftsrelevantes Schrifthandeln als Wissens- und Informationstransfer mitgestalteten. Um die Bedeutung von Schriftstücken im kommunikativen Umfeld von Herrschaftsausübung zu verstehen, soll in einem ersten Schritt der breitere Kontext des herrschaftlichen Schriftgebrauchs beleuchtet werden. Herrschaft konstituierte sich zunächst über die rituell durchgestalteten Herrschaftsakte von Huldigungen und Belehnung. Für das 15. Jahrhundert liegen uns für den Basler bischöflichen Kontext zumeist soge‐ nannte Lehenbücher vor, die nicht nur die Lehenbriefe von Grafen, Freiherren und Ministerialen beinhalten, sondern auch Rechtsaufzeichnungen zu den jeweiligen Ämtern und Herrschaften. 241 Die Gestaltung und die aufwändigen 93 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="94"?> 242 Zum Lehenbuch vgl. W A C K E R N A G E L , R U D O L F , Das Lehenbuch des Bistums Basel, in: Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde 6 (1889), S. 267-270. Zum ebenfalls 1441 entstandenen Liber Marcarum, dem Verzeichnis der Einkünfte und Benefizien aus der Diözese, vgl. L A U R E N T F R E Y T H E R , Der bischöflich-baslerische Liber Marcarum vom Jahre 1441 in seiner Vorgeschichte, seinem Zweck und seiner Bedeutung, in: Archiv für Elsässische Kirchengeschichte 7 (1932), S. 113-160. 243 Vgl. Das Lehenbuch von Bischof Gabriel von Eyb, Staatsarchiv Nürnberg, Hochstift Eichstätt, Lehenbücher Nr. 8. Zu den Lehenbüchern des Hochstifts Eichstätt vgl. E C K A R D L U L L I E S , Die ältesten Lehenbücher des Hochstifts Eichstätt. Text und Kommentar, Ansbach 2012. Wappendarstellungen zeichnen diese oft als Prachtbände angelegten Bücher nicht als schriftpragmatische Verwaltungsdokumente aus, sondern als repräsen‐ tative Objekte summierter Herrschaftsrechte. 242 So zeigt das Basler Lehenbuch (1441) von Friedrich zu Rhein prominent, wie der Graf von Pfirt als Vertreter des Herzogs von Österreich, Albrecht II. von Habsburg, vom Bischof von Basel 1325 mit der Grafschaft Pfirt belehnt wird (Abbildung 7). Während im Basler Fall ein Herrschaftsakt als zentrales historisches Ereignis prominent in Szene gesetzt wurde, ließ sich der Eichstätter Bischof Gabriel von Eyb (1496-1535) ein halbes Jahrhundert später in der Eingangsminiatur gleichsam inmitten der herrschaftlichen Schriftproduktion darstellen (vgl. Abbildung 8). 243 94 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="95"?> Abbildung 7: Lehenbuch des Bistum Basel. Angelegt unter Bischof Friedrich zu Rhein (1441) (Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Generallandesarchiv Karls‐ ruhe, Hfk-Hs Nr. 133, fol. 1r) 95 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="96"?> Abbildung 8: Das Lehenbuch von Bischof Gabriel von Eyb (um 1500) (Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Hochstift Eichstätt, Lehenbücher Nr. 8, Innenseite des Vorderdeckels) 96 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="97"?> 244 K O N R A D K R I M M zeigt diese Praktik anhand des Lehensbuchs des Pfalzgrafen Friedrich I. sowie dessen „Neuauflage“ von 1538. Dort heißt es (gleichlautend in beiden Bänden), dass der Vasall beim feierlichen Lehensakt uff sollich manbuch sprechen soll, vgl. K O N R A D K R I M M , Ein königsgleicher Lehenshof. Die Eingangsminiatur im pfälzischen Lehenbuch von 1471, in: Mittelalter. Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter, Begleitpublikation zur Ausstellung der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg und des Generallandesarchivs Karlsruhe, hg. von Volker Rödel, Regensburg 2000, S. 61-73., hier S. 64. Die Szene im Lehenbuch des Eichstätter Bischofs verdeutlicht idealtypisch, in welche Handlungs- und Gebrauchskontexte und damit auch in welche Bedeutungsfelder Schriftstücke eingebettet sein konnten. Der Raum, in dem die schriftliche Fixierung von Rechten und Freiheiten stattfand, ist hier geprägt von einem komplexen Ineinandergreifen von Anwesenheit der belehnenden und belehnten Akteure, administrativer Schriftproduktion und ostentativer Zurschaustellung von Schriftstücken (briefen). Die Miniatur stellt den Akt der Sammlung und Ordnung der im Lehensbuch kompilierten Lehensbriefe als noch auf dem Schreibtisch verstreuter Zettel selbstreferentiell dar. Der Bischof wird - im Gegensatz zum Basler Beispiel - nicht als thronender Lehnsherr dargestellt, der den Treueeid abnimmt, sondern zusammen mit seinem Verwaltungsstab als Aussteller von Schriftstücken. Damit wird das um den Schreibtisch grup‐ pierte administrative Kollektiv ins Zentrum gerückt, während das Ausstellen, Verwenden und Archivieren der Dokumente zur zentralen Herrschaftspraxis avanciert. Führt man sich zudem vor Augen, dass das Lehensbuch wohl auch beim eigentlichen Belehnungs- und Huldigungsakt als integraler Bestandteil physisch präsent war 244 , so wird deutlich, dass nicht der symbolische Akt der Belehnung oder die Inhalte der Dokumente hier als Herrscherhandeln inszeniert wurden, sondern die geradezu „bürokratische“ Inbezugsetzung von herrschaftlicher Schriftlichkeit, Schriftstücken und Administration. Schrifthandeln wurde im Verlauf des 15. Jahrhunderts nicht nur verstärkt zum integralen Bestandteil von Herrschaftshandeln, sondern wirkte sich direkt auf die Bedingungen von Herrschaftsausübung aus. Während uns die Rolle von Lehenbüchern und -briefen, Privilegienurkunden oder anderen herrschaftlich bedeutsamen Schriftstücken hinlänglich bekannt ist, wissen wir nach wie vor wenig über die Bedeutung des alltäglicheren Austausches von Schriftgut über die Verwaltung hinaus und welche Bedeutung dieses Schrifthandeln für das Verständnis von Herrschaftsbeziehungen hatte. 97 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="98"?> 245 Eingehend mit cedulae inclusae als Informationsmittel beschäftigt hat sich B A S T I A N W A L T E R , vgl. B A S T I A N W A L T E R , Transmettre des secrets en temps de guerre. L’impor‐ tance des cedulae inclusae pendant les guerres de Bourgogne (1468-1477), in: Revue d’Alsace 138 (2012), S. 173-190 sowie D E R S ., A Technique to Ensure Safety: The Cedulae Inclusae of Strasbourg, Berne and Basle During the Burgundian Wars (1468- 77), in: Speaking About Medieval Literacy, hrsg. von Marco Mostert, Turnhout 2014, S. 267-282. Zu cedulae inclusae äußert sich allerdings bereits S T E I N H A U S E N , vgl. bei S T E I N H A U S E N , Brief, S. 33. H E R R M A N N M A U É hat sich zudem intensiv mit der Praxis des Verschlusssiegels beschäftigt, vgl. H E R M A N N M A U É , Verschlossene Briefe - Briefver‐ schlusssiegel, in: Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, hrsg. von Heinz-Dieter Heimann und Ivan Hlavacek, Paderborn et al. 1998, S. 205-231. 246 Vgl. dazu auch T O B I A S H O D E L , Das Kloster in der Region. Herrschaft, Verwaltung und Handeln mit Schrift, in: Königsfelden. Königsmord, Kloster, Klinik, hrsg. von Simon Teuscher und Claudia Moddelmog, Baden 2012, S. 90-127. 247 Vgl. W A L T E R , secrets sowie D E R S ., technique. Schrifthandeln mit Beilagen: Eine erste Hinführung Die materielle Gestaltung der Missiven als litterae clausae ermöglichte es den Absendern nämlich, weitere Notizzettel oder Briefe als sogenannte cedulae inclusae miteinzuschließen und damit den kommunikativen Rahmen der Kor‐ respondenz zu erweitern. 245 Dabei gibt es unterschiedliche Arten der Missi‐ venanlage. Als Anlagen wurden Briefe an andere Adressaten mitgeschickt, erste Entwürfe von Briefen zur Durchsicht beigelegt, Einlagezettel mit Notizen ergänzt, aber auch Abschriften von Urteilssprüchen und Urkunden mitvers‐ endet. Im Folgenden wird einerseits auf die unterschiedlichen Anlageformen eingegangen, andererseits aber auch deren strukturelle Bedeutung für das Schrifthandeln. Auf regionaler Ebene ist bislang nicht systematisch angegangen worden, wie Dokumente und damit auch Informationen und Wissen innerhalb einer Herrschaft und zwischen Herrschaften ausgetauscht wurden, welches Ausmaß dieser Schriftenaustausch annahm und wie dieser Wissensaustausch die Herrschaftsbeziehungen mitgestaltete. 246 Ziel dieses Abschnitts ist es daher, das Mitverschicken von Schriftstücken in Missiven als Element der Herrschafts‐ praxis aufzuzeigen und die kommunikative Bedeutung dieser Integration des Schrifthandelns in die Missivenkorrespondenz herauszuarbeiten, erlaubt dieses doch Einblicke in die Formierung und Prozesshaftigkeit herrschaftlichen Han‐ dels. B A S TIAN W AL T E R hat bereits auf die Bedeutung von beigelegten Zettelchen, so‐ genannten cedulae inclusae, hingewiesen. 247 Diese beigelegten Zettel qualifiziert W AL T E R als das Medium, in dem Entscheidungsträger „die wichtigsten, vertrau‐ lichsten und geheimsten Informationen mitteilten, politische Einschätzungen 98 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="99"?> 248 W A L T E R , Informationen, S. 284. Er weist an dieser Stelle zudem auf H O L Z A P F L s Unter‐ suchung zum Kanzleiwesen hin, vgl. H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz, hier S. 277ff. 249 Darauf weist W A L T E R auch hin, vgl. W A L T E R , Informationen, S. 284. 250 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 170ar. abgaben und taktische Überlegungen anstellten“. 248 Die Tendenz, in diesen Einlagen besonders wertvolle und gleichsam die eigentlich wichtigen Informa‐ tionsträger zu sehen, hängt wohl nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, dass besonders herausragende Situationen der verdichteten und drängenden Kommunikation (Krieg, Konflikte, Katastrophen etc.) diese Zettelwirtschaft begünstigten. Mit Blick auf die serielle Überlieferungslage der Bieler Missiven drängt sich die Frage auf, inwiefern diese irregulären Gebrauchssituationen den schriftpragmatischen courant normal womöglich überschatten. Denn das Hinzufügen von gerade erst beim Absender eingetroffenen Informationen mittels cedulae in die bereits verfasste, jedoch noch nicht losgeschickte Missive erscheint im Rahmen der Missivenserie als eine nicht untypische Verwendungs‐ weise. 249 Bezüglich ihrer materiellen Ausgestaltung und Form unterscheidet sich eine cedula deutlich von der Missive, der sie beigelegt wurde (vgl. Abbildung 9). In ihrem Übersendungs- und Gebrauchskontext sind sie jedoch im Zusam‐ menspiel als Medienensemble zu verstehen. Um den autoritativen amtlichen Korrespondenzkontext zu garantieren, wurden die cedulae als Beilage einer Missive übermittelt. Der Rahmen der Informationsweitergabe mittels Anlagen war somit durch den etablierten und fest in den Herrschaftsalltag integrierten Missivenversand definiert und stellt weder ein Parallelphänomen noch einen Sonderfall der Nachrichtenweitergabe dar. Folgendes Beispiel einer cedula soll dies verdeutlichen. Mitten in den Burgun‐ derkriegen, am Jakobstag 1475, zur fünften Stunde vor Mittag, schickt Bischof Johannes von Venningen dem Bürgermeister und Rat von Biel eine Missive mit folgendem Inhalt: Unnsern fruntlichen gruss, lieben getruwen. Uns hat Jacop Rich jetzt geschryben, als ir inn dieser ingeslossen abschrifft vernaemen, dem nach so wollend dar inn geflissen synn, das uwern halb keyn sümniss geschee, dessen wir uch ermannen, als hoch wir uch zu ermannen haben. Geben heutz inn der funfften stund vor mittag noch sant Jacobstag anno 1475. 250 Die cedula inclusa ist hier also eine Abschrift eines Informationszettels, den Jakob Reich dem Bischof hat zukommen lassen. Die Missive bildet dabei in zweierlei Hinsicht den Rahmen, indem die Einlage eingebettet wurde. Erstens fügt das bischöfliche Schreiben als ‚Umschlag‘ den Zettel in die autorisierte 99 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="100"?> 251 Transkription von StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 170: Item eynn sloss ist des von Franck‐ muntz heisset Mengi ist erobert worden hut frü. Ist eyn edeler mit etlichen reisigen dar inn gesyn, sint mit der hab hinweg gelassen. Inn diesen dingen ist denen von Strassburg geschriben von eym kauffmann vonn Antrissp, wie der hertzog vonn Burgund eyn gross arme liegen hab zu Mastrich und ziehe wieder inn stifft vonn Roll etc. 252 Vgl. dazu H I R S C H , Hof, S. 53 und 109. H I R S C H deutet hier einen Wandel im Tätigkeitsfeld der bischöflichen Hofmeister an, da sie weniger gezielt als Diplomaten eingesetzt wurden. Allerdings bietet seine Grundlage, das Haushaltsbuch und die Rechnungsbü‐ cher, ab 1474 weniger gezielt Informationen. Gerade das Beispiel dieser Missive scheint jedoch diesen Eindruck etwas abzumildern, da Peter Reich hier in direktem Kontakt mit Strassburg und den angrenzenden Herrschaften zu sein scheint. Korrespondenzstruktur ein. Die materielle und formale Gestaltung der Missive beglaubigen dabei die Kommunikationsanlage. Zweitens bietet der textuelle Inhalt der Missive, der in der Gebrauchslogik als Begleitschreiben zuerst zu lesen ist, eine Einführung und Kontextualisierung der cedula. Anhand des Missiventextes konnte nachvollzogen werden, wer den Zettel geschrieben hatte, ob es sich um eine Abschrift handelte und wie mit der Information umgegangen werden sollte. Bei dem eingeschlossenen Zettel handelt es sich zwar um die Abschrift eines anderen Zettels, jedoch scheint sowohl das kurze Querformat wie auch der Inhalt im Vergleich mit anderen cedulae ungefähr dem originalen Zettel zu entsprechen (Abbildung 9). Abbildung 9: Cedula (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 170r) 251 Anhand dieses Zettels lässt sich die Informationsweitergabe konkret nachvoll‐ ziehen: Ein Kaufmann schrieb an den Rat von Straßburg, worauf die Information direkt weiter an Jakob Reich von Reichenstein ging, seines Zeichens Hofmeister des Basler Bischofs Johannes von Venningen. 252 Dieser wiederum veranlasste sogleich ein Schreiben an seinen bischöflichen Herrn. Von Bischof Johannes ging am selben Tag dann das eben zitierte Schreiben an Biel aus. Dass sich die schnelle und relativ zuverlässige Weitergabe von Informationen besonders in Zeiten von Bedrohung und Krieg als nötig erwies, liegt auf der Hand. Daraus, 100 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="101"?> 253 Dazu kommt, dass viele beigelegten Zettel nicht bis in unsere Zeit überliefert wurden und diejenigen Zettel, die im Nachhinein für „wichtig“ Befundenes enthielten, womög‐ lich eine höhere Überlieferungschance hatten. 254 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265c. 255 Ebd. wie W AL T E R es tut, zu schließen, dass es sich dabei um die zentrale Funktion der Zettel handelt, muss jedoch als verkürzte Folgerung gewertet werden. 253 Um den Punkt zu verdeutlichen, dass das Beilegen von Notizen, Abschriften und anderen Briefen als übliches Schrifthandeln zu verstehen ist, sei ein weiteres Beispiel eines beigefügten Zettels angeführt. Im September 1490 erhielten die Bieler von Bischof Kaspar zu Rhein eine Missive, in der sich ein auf Französisch verfasster Zettel des Vogts von St. Ursanne (diser inbeslossner zedel) und dazu ein weiterer Zettel mit der deutschen Übersetzung desselben befand (Abbildung 10 bis Abbildung 12). Die Bieler erhielten also ein Konvolut aus Missive, Zettel und Übersetzung. Inhaltlich geht es in der cedula inclusa um ein Gerücht, das im Gebiet des Vogts von St. Ursanne kursierte. An einer Tagsatzung wegen den Franches Montagnes seien zwischen den dortigen Gesandten und denen von Luzern und Schwyz rüde Worte gewechselt worden. Zwar hätte sich die Gesandtschaft aus den Franches Montagnes in der Folge entschuldigt, dennoch wurde in der Juraregion gemunkelt, dass die Meinungsverschiedenheit ein rechtliches Nachspiel haben werde: aber ir bekennen das volck wol mit irem furnemen, darumb ob weiswas daran wer.  254 Daher sollte nun besprochen werden, was in der Sache zu tun sei, denn so weisst man nit, was den luten zu truwen ist.  255 Mit der Missive als Begleitschreiben leitete Bischof Kaspar die Nachricht von einem Gerücht, das für Unruhe sorgen könnte, an die Bieler weiter, um von diesen Klärung zu erhalten. Es gab keinen inhaltlichen Grund, die Informationen der Missive von denen der cedula zu trennen. Weder die Auswahl des Adressatenkreises noch der Inhalt verlangten nach einer Aufteilung auf mehrere Schriftstücke. Die Information des Zettels hätte problemlos in den Missiventext integriert werden können (im Sinne von „Unser Vogt in St. Ursanne hat uns berichtet, dass …“). Das Mitversenden des Originalzettels und dessen Übersetzung scheint hier dem Zweck gedient zu haben, den genauen Wortlaut zu übermitteln, der für die Beurteilung gerüchteweise im Umlauf befindlicher Informationen offenbar von Bedeutung war. Das Konvolut stellte den Bielern, die durch ihre Nähe und ihre Kontakte mit dem Treiben und dem Gerede in den Franches Montagnes 101 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="102"?> 256 Neben einer einzigen, undatierten Missive von Bischof Jean de Vienne (StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 15) sind nur wenige Schreiben unter Bischof Humbert von Neuenburg in französischer Sprache geschrieben (StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 28, 29, 31, 32, 33, 39 und 49). Dennoch scheint es zumindest bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts (Nr. 49 vom 27. Juli 1406) kein Problem dargestellt zu haben, dem Bieler Meier und Rat eine französische Missive zu schicken. besser vertraut gewesen sein dürften als der Bischof selbst, also die erforderliche Grundlage für eine Beratung der Sache zur Verfügung. 256 Abbildung 10: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265r (Missive) Abbildung 11: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265br (Zettel) 102 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="103"?> Abbildung 12: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265cr (Übersetzung des Zettels) Cedulae und Kopien: Informatives Schrifthandeln mit eingeschlossener Zettelwirtschaft Das Mitverschicken von Dokumenten - sei es im Original oder als Abschrift - gehörte zum herrschaftspragmatischen Korrespondenzalltag. Bislang ist wenig darüber bekannt, wie der Umgang mit Schriftstücken vor sich ging, in welchem Ausmaß und wie Dokumente ausgetauscht wurden. Zwar weisen Marginalien, Dorsualnotizen oder andere Vermerke auf konkrete Gebrauchsweisen hin, jedoch ist es oft schwierig, anhand eines einzelnen Bestandes oder Archivs auf den Weg der Schriftstücke in die jeweilige Archivordnung zu schließen. Kopial‐ bücher und Dokumentenbücher von mittelalterlichen Schreibern geben in ihrer gebundenen Form allenfalls Auskunft über archivalische und zugriffsorientierte 103 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="104"?> 257 Jüngst hat vor allem A D A M J . K O S T O das Forschungsinteresse am Umgang mit Archiv‐ dokumenten und Kopialbüchern besonders angeregt, vgl. A D A M J . K O S T O , Laymen, Clerics, and Documentary Practices in the Early Middle Ages. The Example of Catalonia, in: Speculum 80/ 1 (2005), S. 44-74. Siehe dazu auch den Sammelband Charters, Cartu‐ laries and Archives. The Preservation and Transmission of Documents in the Medieval West. Proceedings of a Colloquium of the Commission Internationale de Diplomatique (Princeton and New York, 16.-18. September 1999), hrsg. von A D A M J K O S T O und A N D E R S W I N R O T H , Toronto 2002 sowie jüngst den Sammelband Documentary Culture and the Laity in the Early Middle Ages, hrsg. von Warren Curtis Brown, Marios J. Costambeys, Matthew J. Innes und Adam J. Kosto, Cambridge 2013. Vgl. zudem die französische Forschung vor allem im Umfeld der École des Chartres zu Chartularen wie unter anderem P I E R R E C H A S T A N G , Lire, écrire, transcrire. Le travail des rédacteurs de cartulaires en Bas-Languedoc (XIe-XIIIe siècles), Paris 2001. Spezifischer mit Archi‐ vordnungen und Herrschaftsrespektive Rechtsvorstellungen beschäftigt haben sich R A N D O L P H C. H E A D , Modes of Reading, Community Practice and the Constitution of Textual Authority in the Thurgau and Graubünden 1520-1660, in: Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300-1900, hrsg. von Wim Blockmans, André Holenstein und Jon Mathieu, Farnham, Surrey 2009, S. 115-130 und T E U S C H E R , Document collections. 258 Vgl. als besonders ausführliche Fälle folgende Missiven: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3, 122, 124, 132, 155, 157, 181, 228, 318 und 339. 259 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 271 (7. Oktober 1490). Ordnungsvorstellungen und erlauben kaum Rückschlüsse auf Austauschprak‐ tiken. 257 Die Korrespondenz zwischen dem Basler Bischof und Biel dürfte keine Aus‐ nahmeerscheinung gewesen sein, was das Schrifthandeln als Austauschpraxis betraf. Das Verschicken und damit auch Teilen von Schriftstücken ging über das (Mit-)Teilen von Informationen und die gegebenenfalls daraus resultierenden Aufgaben und Dienste hinaus und hing ganz grundsätzlich mit herrschaftlicher Beziehungspflege zwischen den Korrespondenzparteien zusammen. 258 Folgende Missive von Kaspar zu Rhein, die im Herbst 1490 an die Bieler verschickt wurde, verdeutlicht diesen Punkt: Unnsern fruntlichen grus, lieben getruwen. Wir schriben denen von Bernn abermals inhalt inbeslosser copy, damit sy unsern ernst sechen. So soll diser unser bott selber darriten, die zu antwurten unnd wirt im ein antwurt zu Bern, mit deren er wider zu uch komen soll, die brechen uff, damit ir der selben ouch bericht werden. Ouch so schicken wir hie mit den unsern uff dem Montagne de Diesse ein mandat. Dunckt uch da geratten sin, inen das zuverkunden, das beschech, doch dunckt uns nit geratten sin, das es beschech vor der antwurt deren von Bern, ob die antwurten wurden. 259 Dieser Missive an die Bieler wurde also zusätzlich die Abschrift der erwähnten Missive an Bern beigelegt. Da die Berner wohl bislang nicht auf das Drängen 104 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="105"?> 260 Ebd. 261 Im vorliegenden Fall amtete Stefan Scherrer bis zur Neubesetzung des zuvor von Rudolf von Vauxmarcus besetzten Meieramtes als Statthalter. 262 Zur Ausstattung von Boten vgl. zudem H Ü B N E R , Im Dienste, S. 143-145. Bereits im 14. Jahrhundert wurden etwa Berner Boten als städtische Amtsträger mit entspre‐ chender Amtskleidung, Amtsstab und Briefbüchse ausgestattet, vgl. ebd., S. 143. 263 In den Missiven finden sich erst unter Bischof Kaspar zu Rhein Ende des 15. Jahrhun‐ derts Hinweise auf bischöfliche Büchsen. von Bischof Kaspar zu Rhein reagiert hatten, schickte er seinen Boten auf dem Weg nach Bern erst nach Biel, um sie über das Verhalten Berns und das Anliegen des Bischofs zu unterrichten. Der Bischof erwartete mithin von Biel keine bestimmte Intervention und formulierte auch keine Handlungsanweisung. Vielmehr gewährleistete die Missive den aktuellen Informationsstand der Bieler. Das an den Bischof adressierte Antwortschreiben Berns sollte nämlich - so die explizite Anweisung - zunächst von den Bielern aufgebrochen und gelesen werden, damit ir der selben ouch bericht werden. 260 Solche Passagen verweisen auf eine Vorstellung von Herrschaft, die den Austausch über den jeweiligen Informationsstand als Element der Beziehungs‐ pflege einbezog. Da die Bieler als lokale Akteure eine wichtige Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen der bischöflichen und der Berner Herrschaft um Rechte im Jura spielten, machte es sehr wohl Sinn, Biel - das sozusagen am Weg lag - direkt in die Korrespondenz einzubeziehen. In diesem Fall wurde sogar ein Wissensvorsprung gewährt, auch wenn dies hieß, dass ein an den Bischof adressiertes versiegeltes Schreiben von einer anderen Partei aufgebro‐ chen wurde. Der direkte Einbezug der Bieler birgt jedoch noch einen weiteren sozial-herrschaftlichen Aspekt. Durch die Integration in die Korrespondenz wurde Biel zugleich in eine Position des Mitwissens und dadurch womöglich des Handelns und Reagierens versetzt. Der Bieler Meier 261 und der Rat waren aus bi‐ schöflicher Sicht die Herrschaftsträger vor Ort. Durch den medial organisierten Kommunikationsfluss konnte der Bischof das Wissen, den Rat und das konkrete Agieren der Bieler mit seinen herrschaftlichen Ansprüchen abstimmen. Es wurden jedoch nicht nur Siegel aufgebrochen. In einigen Fällen finden sich Hinweise auf Briefbüchsen, die von den Boten mitgeführt wurden und die Briefe nicht nur vor unterschiedlichen äußeren Einwirkungen schützten, sondern zusätzliche Möglichkeiten der symbolischen Ausgestaltung boten. So konnte die bischöfliche Autorisierung der Kommunikation direkt sichtbar gemacht werden, wenn etwa das bischöfliche Wappen auf der Büchse angebracht war. 262 In der Korrespondenzpraxis konnte dann folgendermaßen mit den Büchsen umgegangen werden: 263 105 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="106"?> 264 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 261. 265 Die Auseinandersetzungen zwischen Bern und dem Basler Episkopat bezüglich ihrer Rechte auf der Montagne de Diesse ziehen sich durch das ganze Spätmittelalter. 1505 erst fand eine vorläufige Abspracheregelung statt, vgl. hierzu BBB Mss.h.h.XXIa.42 (Vertrag zwischen dem Bischof und Bern betreffend Montagne de Diesse von 1505, sine dato). Auch die Benennung des Sees war umstritten. Die Berner hielten der Benennung „Bieler See“ entgegen, dass es eigentlich der „Nidauer See“ sei, vgl. dazu J O H A N N E S V O N M Ü L L E R , Der Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft fünfzehnter Theil. Enthält die Anmerkungen von Cap. 4 bis zum Ende des IV. Buchs, Stuttgart/ Tübingen 1833, hier Anmerkung 1221 (Kapitel 5), S. 147. Weiter erwähnt C É S A R A D O L P H B L O E S C H s Sohn G U S T A V in seiner Chronik auch die Streitigkeiten der beiden Parteien um Jagd‐ beuten. Als 1425 auf dem Montagne de Diesse ein Bär erlegt wurde, wurden Haupt und Tatzen des Tieres zur Herrschaftsfrage. Die repräsentativen Beutestücke wurden dem Bieler Meier zum Einsalzen überreicht. Hierauf machte der Berner Rat seinen Anspruch auf Bärenkopf und -tatzen geltend, da das Tier im Twing und Bann von Ligerz getötet worden war, also ihrem Rechtsgebiet. Ähnliche Jagdbeutestreitigkeiten ereigneten sich gemäß B L O E S C H des Öfteren: 1452 wegen eines Wildschweins, 1511 wegen eines Hirschs. 1662/ 63 kulminierte dann ein weiterer Streit um einen Hirsch, sodass eine Bieler Gesandtschaft nach Bern reisen musste, vgl. dazu B L O E S C H , Chronik von Biel, S. 11. 266 Der Bieler Schaffner war öfters als Bote unterwegs, vgl. hierzu auch StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 51, 203, 221, 267a, 275, 277, 309 und 315. […] schriben wir aber den von Bern, als ir inn der inbeslossnen copy sehen werden, da wellen unnserm amptman sagen, denselben inen by unnserm eignen potten und buchsen da hin zuschicken, da wir ir antwurt begeren. Die selb wellen uff brechen lasen und uns furer zu schicken. 264 Dieser Auszug stammt aus einer vergleichsweise langen und ausführlichen Missive, in der Bischof Kaspar zu Rhein die Bieler über das weitere Vorgehen in einem Rechtsstreit mit Bern informieren ließ. Der Berner Vogt von Nidau hatte einen Knecht aus Diesse gefangengesetzt, der sich an einem Marchstein zu schaffen gemacht hatte. Dieser Vorfall lässt sich wiederum in eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen zwischen der Berner und der bischöflichen Herrschaft um Rechte und Ansprüche westlich des Bielersees einordnen. 265 Nach Inhalt der Missive beabsichtigte Bischof Kaspar in der Folge, mit den Bernern einen Tag abzuhalten und die Sache zu bereden. Dazu sollte eine Bieler Gesandtschaft zusammen mit der bischöflichen Delegation nach Bern reisen. Damit die Bieler entsprechend vorbereitet wären, schickte ihnen Bischof Kasper das Berner Schreiben als inbeslossnen copy. Der bischöfliche Bote, der die Missive nach Bern bringen sollte, machte folglich zunächst Halt in Biel, um die zitierte Missive mitsamt beigelegter Abschrift des Berner Schreibens zu überreichen. Mit dem Schreiben wurde den Ratsmännern aufgetragen, den bischöflichen Schaffner 266 von Biel zusammen mit dem bischöflichen Boten 106 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="107"?> 267 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 318 (17. Oktober 1498). loszuschicken, um das Schreiben in der bischöflichen Büchse nach Bern bringen. Die verlangte Antwort sollten die beiden wiederum zuerst nach Biel bringen, wo der Rat nun - nach der Lesung der Missive - befugt war, die Büchse und das Antwortschreiben aufbrechen zu lassen, zu lesen und dann weiter nach Porrentruy an den bischöflichen Hof zu schicken. Anhand dieses Beispiels lässt sich also sehr schön nachverfolgen, wie die Bieler nicht nur informiert wurden, sondern sowohl kommunikativ (über die Missivenkopie) wie auch performativ (über die gemeinsame Gesandtschaft) in den Konfliktprozess integriert wurden. Eine Missive von Bischof Kaspar aus dem Jahr 1498 gewährt einen weiteren konkreten Einblick in das bischöfliche Schrifthandeln mit Korrespondenz. Die Missive zeigt auf, wie Schreiben und Missivenentwürfe an andere Adressaten zwischen dem Bischof und Biel geteilt und diskutiert wurden: Uff dero von Bernn schriben, so uns uwer bott gebracht und ir gesechen haben, wir inen geantwurt und ein meynung uns anlass vergriffen lassen, wie ir us bygelegtem concept sechen werden, dieselb ir schrifft wellen inen on verzug zu antwurten verschaffen und ob uch utzit witers begegnet, unns zu wissen tun. 267 In dieser Missive nimmt Bischof Kaspar Bezug auf ein Schreiben von Bern, das ihm durch Bieler Boten überreicht worden war. Trotz des knappen Wortlauts wird klar, dass das Schreiben zwar an Bischof Kaspar adressiert war (da seine Antwort erwünscht ist), dem Bieler Meier und Rat aber bereits zuvor vorgelegen hatte (ir gesechen haben). Nun wurde das Antwortschreiben zwar als Missive an Bern ausgestellt, als concept jedoch zu Biels Durchsicht wiederum über Biel verschickt. Beide Missiven, das Berner Schreiben und das Bieler concept, deuten darauf hin, dass über die Korrespondenz und die beigelegten Briefabschriften weitere Akteure in die grundsätzlich duale Kommunikationsanlage von Adres‐ saten und Adressanten integriert werden konnten. Der zusätzliche Hinweis ob uch utzit witers begegnet, unns zu wissen tun deutet zudem darauf hin, dass Biel gerade in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine besondere Rolle als regionales Kommunikations- und Austauschzentrum einnahm. Diese Integration in bischöfliche Informations- und Wissensbestände scheint durchaus auch als verpflichtende Einbindung der Stadt in herrschaftliche Angelegenheiten angelegt zu sein. So etwa, wenn die Bieler direkt aufgefordert wurden, ein Schreiben zu beurteilen: Nu wellen sich die ding zu lang verziechen, darumb haben wir ein schrifft an die von Bern stellen lassen, deren wir uch hie inbeslossen copy zusenden, dunckt uch die gut, 107 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="108"?> 268 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 267a (5. Oktober 1490). 269 Vgl. hierzu auch H A G E N E D E R , Original, S. 559-574 sowie M A R T I N A P I T Z , Im Spannungs‐ feld zwischen Original und Kopie. Überlegungen zu Doppelausfertigungen altlothrin‐ gischer Urkunden des 13. Jahrhunderts, in: Überlieferungs- und Aneignungsprozesse im 13. und 14. Jahrhundert auf dem Gebiet der westmitteldeutschen und ostfranzösischen Urkunden- und Literatursprachen. Beiträge zum Kolloquium vom 20. bis 22. Juni 2001 in Trier, hrsg. von Kurt Gärtner, Trier 2005, S. 15-53. Etwas älter, jedoch systematisch und für das 15. Jahrhundert einschlägig vgl. auch E L F I E -M A R I T A E I B E L , Zwischen Entwurf, Original und Kopie. Bemerkungen zu Formen von Urkunden und Briefen aus den Kanzleien Kaiser Friedrich III., in: Archiv für Diplomatik 44 (1998), S. 19-41. 270 Zu littera clausa und littera patens vgl. vor allem E G G E R , littera patens, S. 72-78. 271 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 1 (24. Oktober 1384). 272 Ebd. sin gan zu lassen, so bevelchen unserm schaffner, die by eignem botten mit unser buchsen hinuff zu schicken und antwort zu begern. 268 Mehrmals wird in Missiven eine Abschrift oder copy erwähnt. Diese Bezeich‐ nung würde der Kopie nach heutigem Verständnis lediglich inhaltlichen Informationscharakter zuerkennen und sie in ihrer Funktion deutlich vom Original unterscheiden. Im zeitgenössischen Schriftgebrauch wurde jedoch weniger scharf zwischen Original und Kopie unterschieden. 269 Die in der Missive erwähnte Abschrift ist keineswegs eine einfacher gestaltete Version der „Originalmissive“, sondern entspricht in Aussehen, materieller Gestaltung und Formulierung ganz und gar den Konventionen einer „korrekten“ Missive. Der einzige Unterschied ist das Fehlen des bischöflichen Siegels, was das Schreiben eben gerade nicht zu einer Missive als littera clausa macht. Diese für eine Missive konstitutive Ausgestaltung fehlt. 270 Im erwähnten Fall ist die beigelegte Abschrift tatsächlich auch noch vor‐ handen. Da nicht alle Kopien mitüberliefert sind, auf die in Missiven verwiesen wird, ist anhand des Materials nicht endgültig zu klären, welches Spektrum an Status Abschriften zugewiesen werden konnte. So wird in einer Missive von Bischof Imer von Ramstein darauf verwiesen, dass sowohl eine ausgestellte Missive an Büren wie auch die Abschrift derselben beigelegt sei. 271 Die Missive an Büren wurde hier zwar schon als littera clausa ausgestellt, jedoch konnten die Bieler Räte noch Änderungsvorschläge anbringen. Die entsprechende neue Missive musste dann wiederum über die bischöfliche Schreibstube „verschriben und verbotschaften“ 272 werden. An diesem Beispiel ist also bemerkenswert, dass die Logiken des Schrifthandelns es erlaubten, zwischen dem Status von ‚Original‘ und ‚Konzept‘ zu wechseln. Dies bestätigt auch der folgende Fall: Im Zuge eines Streits um die Besetzung des Propstamtes in Moutier schickte Bischof Kaspar zu Rhein 1486 eine Missive 108 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="109"?> 273 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (13. Februar 1486) und die Kopie an Bern, Nr. 232 (13. Februar 1486). 274 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (13. Februar 1486). 275 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 159 (12. Februar 1475). an die Bieler Gesandten vor Ort, die mit der Berner Delegation verhandelten. Beigelegt wurde die Kopie einer Missive an Bern. 273 Im vorliegenden Fall handelte es sich bei der coppii  274 jedoch nicht einfach um die Vervielfältigung des Inhalts eines Originals, sondern um ein vorläufiges Schreiben, das jederzeit zur Missive umfunktioniert werden konnte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Bischof explizit betonte, dass er die Missivenkopie wieder mit demselben Boten zurückerhalten wolle. Warum nun allerdings die Kopie immer noch dem Schreiben beigelegt ist, bleibt unklar: War die Kopie letztlich doch Teil der Diskussionsgrundlage zwischen den Gesandten in Moutier? Der Fall einer Missivenabschrift von 1475, die Bischof Johannes von Ven‐ ningen den Bielern zukommen ließ, legt zudem nahe, dass es womöglich nicht nur eine Frage der Integration der Bieler in eine bischöfliche Kommunikation war. 275 Nachdem der Berner Vogt von Nidau den Bielern die Netze auf dem Bielersee konfisziert hatte, wandte sich Bischof Johannes auf Drängen Biels an die Berner Herrschaft, um Klärung in der Sache zu erhalten. Dass die Bieler dabei die Kopie der Missive an Bern erhielten, macht aus mehreren Gründen Sinn. Einerseits wurden die Bieler damit auf dem aktuellen Kenntnisstand gehalten, andererseits - im Kontext der Herrschaftsbeziehung vielleicht noch entscheidender - belegte die Kopie das aktive Handeln des Bischofs in der Bieler Angelegenheit. Kopien, so legen es die Befunde zum Umgang mit Schriftstücken nahe, waren nicht einfach Informationszettel, sondern folgten einer eigenen Schrifthandels‐ logik. Diese zeigt deutlich auf, dass eine Differenzierung der Schriftstücke in Form und Inhalt zu kurz greift. Entscheidend war der Status der Schriftstücke im Kommunikationsprozess. Eine Kopie konnte so wie eine Missive gestaltet und je nach Bedarf auch als amtliches Schreiben aktualisiert werden. Dies ermöglichte eine durchaus flexible Handhabung des Schrifthandelns in der Kommunikationspraxis. Neben der Verbreitung von Informationen über Abschriften konnten Briefe, so zeigt es das eben vorgestellte Beispiel mit den Gesandten in Moutier, jedoch auch explizit zurückgefordert werden, um den Informationsgrad einzugrenzen. So berichtete Bischof Johannes von Venningen im Frühling 1477 in der bereits vorgestellten eigenhändig verfassten Missive von den eben erhaltenen Neuig‐ keiten aus Burgund: 109 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="110"?> 276 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 181 (4. März 1476). 277 Die Burgunderkriege beeinflussten das Kommunikationsgefüge und die Korrespon‐ denznetze massiv, vgl. E S C H , Alltag der Entscheidung, S. 9-86 sowie W A L T E R , Informa‐ tionen. 278 Vgl. exemplarisch dazu: Unnsern fruntlichen gruss, lieben getruwen. Uff uwer schrifften, die unser hut umb die zweÿ noch mittag geantwurt ist, […]. Geben an samstag noch corporis Christi inn der vierden stund noch mittag anno 1475, StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 167 (27. Mai 1475). 279 Für die besonders schön herausgearbeitete Relation von Gestaltung und Gehalt vgl. Y V A N I L L I C H , In the Vineyard of the Text. A Commentary to Hugh’s „Didascalicon“, Chicago 1993. [U]nd wissen uch anderer mär zu dieser zyt nit zu wissen tonn, dan dass die von Mümppelgart an samstag abtusent haupt viehs in Burgund genummen und vast eyn groß dorff heist Pirfontan, sol by Nausse gelegen sin, gantz usgebrant haben und uns die unser uff hut geschriben haben, also ir in iren briff vernement werden. Die selben wellend uns wider schicken und daby in wissen tonn, wie es doben gestalt habi. 276 Damit die Bieler unterrichtet seien, wie es um die aktuelle militärische Lage stünde, schickte der Bischof ihnen die Briefe, die er von seinen Leuten erhalten hatte. Im Kontext der akuten Bedrohung während der Burgunderkriege wurde der schnelle und möglichst lückenlose Informationsaustausch zum drängenden Anliegen. 277 Dieser wurde beispielsweise dadurch hergestellt, dass Missiven nun zeitlich dichter verschickt wurden oder Verweise auf andere Schreiben aus anderen Orten mitgeschickt wurden. Am deutlichsten zeigt sich jedoch die Präzisierung des folgerichtigen Informationsaustausches an der Nennung von Stundenangaben. Sowohl die eingehenden Schreiben wie die Missive, mit der die Schreiben kommentiert wurden, waren mit Hinweisen auf die konkrete Tageszeit versehen. 278 Die deskriptiven Ausführungen zum Schrifthandeln erklären aber nicht, warum Abschriften überhaupt als eigene Schriftstücke verschickt und Inhalte als Informationen nicht einfach in der jeweiligen Missive zusammengefasst wiedergegeben wurden. Die Antwort auf diese Frage scheint mit der Schrift‐ logik dieser Schriftstücke und einer spezifischen Vorstellung von ‚Information‘ zusammenzuhängen. Aus arbeitsökonomischer Sicht wäre es tatsächlich ein‐ facher, die Missive abzuschreiben, da das Zusammenfassen und Adaptieren von Inhalten zusätzliche Arbeit erfordern würde. Die Abschrift in ihrer ur‐ sprünglichen medialen Form zu belassen, ermöglichte jedoch eine zusätzliche Referenzebene. Die Information bezieht sich dann eben nicht einfach auf die Vorstellung von ‚Informationen‘ als einem von der materiellen Gestalt des Textes extrahierbaren Gehalt 279 , sondern auch auf die mediale Gestaltung als Missive und transportiert damit die Materialität des Schriftstücks als integralen 110 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="111"?> 280 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 149 (1. Juni 1468). Bestandteil der Information mit. Die Missive wird maßgeblich durch gestalteri‐ sche und materielle Mittel definiert und ihr informativer Gehalt lässt sich daher nicht nur über ihren textuellen Inhalt bestimmen. Missiven als Medien und Behälter im intraherrschaftlichen Schrifthandeln Obwohl kriegerische Auseinandersetzungen und andere außergewöhnliche Ereignisse ein reizvolles Setting für die Untersuchung des Korrespondenz- und Nachrichtenwesens darstellen, sollte der Fokus auf die punktuell verdichtete Kommunikation und den besonders auf Geheimhaltung und Zeitdruck ausge‐ richteten Informationsaustausch nicht dazu führen, spezifische Charakteristika der Briefkommunikation als allgemeine zu deuten. Die Missivenkorrespondenz ermöglichte eine hohe Nachrichtenfrequenz, die - wie etwa im Falle der Burgun‐ derkriege - stark auf faktischen Gehalt ausgerichtet war, sie bedingte diese aber nicht und schon gar nicht sollte sie als charakteristisch für intensive außenpo‐ litische Phänomene verstanden werden. Die Form der littera clausa ermöglichte ein komplexes Schrifthandeln, das zudem nicht nur das Mitverschicken von Abschriften und cedulae erlaubte, sondern auch von anderen Schriftguttypen wie etwa vidimierte Urkunden oder Verzeichnisse. Das Beispiel Biel zeigt, dass trotz einer grundsätzlich asymmetrischen Korrespondenzbeziehung zwischen Bischof und Stadt Biel die kommunikativen Bedingungen der herrschaftsver‐ mittelnden Missivenkorrespondenz vielfältige Partizipations- und Integrations‐ momente für die Bieler bereithalten konnten. So wird nun in einem weiteren Schritt danach gefragt, welche potenziellen Handlungsspielräume für Biel sich über das korrespondenzbasierte Schrifthandeln ergaben. Am ersten Junitag 1468 antwortete Bischof Johannes von Venningen auf drei Fragen, welche die Bieler in einer vorangegangenen Missive gestellt hatten. 280 Erstens ging es um das Anliegen Biels, zwei ehemals bischöfliche Leute aus St. Ursanne wieder aus dem Bieler Burgrecht zu entlassen. Von bischöflicher Seite her stellte dies an sich kein Problem dar. Entscheidend war für Johannes von Venningen lediglich, dass sie nicht bereits anderswo verburgrechtet wären. Damit der lokale bischöfliche Amtmann und Vogt von St. Ursanne den beiden Knechten nun wieder den Treueid abnehmen konnte, wurde er mit einer Missive entsprechend instruiert. Die Bieler wiederum erhielten zusammen mit der an sie adressierten Missive auch den Brief an den Vogt, denn die Missive an St. Ursanne wurde über Biel weitergeleitet. Zweitens wurde in der Missive 111 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="112"?> 281 Vgl. ebd. 282 Ebd. auf einen Urteilsspruch eines Luzerner Schiedsgerichts Bezug genommen. Die Bieler hatten nämlich in ihrem Schreiben an Bischof Johannes ein glouplich vidimus  281 dieses Spruchs angefordert. Darauf antwortete Bischof Johannes nun in der Missive an Biel mit: Wir wissen ouch nit anders, denn dz ir die artikel uff der von Lutzern spruch, die unser gerechtikeit ouch uwer sachen by uech berueron, in geschrifft haben. Deshalp nit not ist, uech nuzemal ein vidimus des spruchs ze schicken, denn der, als ir wissent, vast lang ist. 282 Das Anfordern von vidimierten Urkunden gehörte zum innerherrschaftlichen Schrifthandeln mit rechtlichen Dokumenten. Im eben zitierten Fall jedoch entschied der Herrschaftsträger, keinen Vidimus auszustellen, da die Bieler eigentlich den sie betreffenden Teil des Spruches in geschrifft haben. Offen‐ sichtlich zielte also die Forderung der Bieler darauf, den ganzen Urteilsspruch zu bekommen und nicht nur den Teil, der sich direkt auf sie bezog. Das bischöfliche Argument gegen das Zusenden war, dass der Urteilspruch vast lang wäre und seine Ausstellung als Vidimus somit aufwändig und kostspielig. Zwar ist dieser Einwand des Bischofs durchaus nachvollziehbar, jedoch könnte hier auch ein Vorenthalten von Informationen intendiert sein. Die Bieler mit Schriftdokumenten auszustatten, auf die allenfalls konkret Bezug genommen werden konnte, mochte nicht unbedingt in Johannes’ Interesse gewesen sein. Und schließlich hatten die Bieler drittens auch noch wegen Kriegszügen angefragt. Hierzu ließ Johannes von Venningen den Bielern ausrichten, dass ihr Alt-Bürgermeister zuvor bei ihm in Basel gewesen sei und dieser ihnen darüber mündlich berichten werde. Diese eine Missive enthält also gleich mehrere Ver‐ weise auf Austauschformen: auf eine beigelegte Missive zum Weiterleiten, einen Vidimus und einen mündlichen Bericht. Dabei wird die Strukturierungsleistung dieser unterschiedlichen medialen Austausch- und Kommunikationsformen durch die der Korrespondenz zugrunde liegende Missive als littera clausa vollbracht. Abschließend soll diese Form der Kommunikationsstrukturierung anhand herrschaftlicher Konfliktmomente verfolgt werden, die Einblick in die Prozess‐ haftigkeit der Kommunikation und in die medialen Bedingungen der asymme‐ trischen Kommunikationsanlage zwischen dem Basler Bischof und den Bieler Adressaten erlauben. 112 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="113"?> 283 Vgl. dazu StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 17 und 18, siehe zudem die elf Missiven von Schultheiß und Rat von Bern zum Streit mit Konrad von Rischach (1395) in StadtA Biel 1, 25, XVII, 2. 284 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 17 (15. Oktober 1393). 285 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 18 (8. November 1393). Als der Adlige Konrad von Reischach 1393 die Stadt Biel vor dem königlichen Hofgericht in Rottweil anklagte und ächten ließ, schickte Bischof Konrad Mönch von Landskron eine Missive an den Bieler Meier und Rat. Konrad von Reischach war nämlich zuvor persönlich beim Bischof vorstellig geworden: 283 [U]nd des hab er [Konrad von Reischach, Anmerkung IS] brief bracht von dem hofrichter an herren und an stett und ritter und knecht, die selben briefe er ouch geantwueret wolt haben. Da wuesten wir nuet, waz wir dar zuo reden solten, wand wir die sach nuet me gehoert haben, denne wir baten in, daz er die brief nuet antwuerte. Wir woelten uech dar umb schriben und nach uewer antwuert so koenden wir mit im dar uss reden. Dem moegen ir mit uewer wissheit nach gedenken, waz ir dar zuo reden wellend, war zuo wir denne guot sint und uns verscribend, da wellent wir unser bestes zuo tuon. Nuo hat er uns geeret acht tag die brief ze antwuertende. 284 Konrad von Reischach versuchte also in der Folge des hofgerichtlichen Ent‐ scheids sein Recht durchsetzen. Dies heißt auf pragmatischer Ebene, den rechtlichen Ausspruch schriftlich zu verteilen und damit zur Durchsetzung zu bringen. Bischof Konrad machte gegenüber Konrad von Reischach geltend, dass er diesbezüglich nicht ausreichend informiert sei und dafür plädiere, von der Durchsetzung des Rechtspruchs vorerst abzusehen. Zunächst wolle er sich mit den Bielern ins Benehmen setzen, bevor er sich auf weitere Einigungen mit Konrad von Reischach einlasse. Bischof Konrad - so macht es zumindest anhand der Missive den Anschein - stellte die Argumente und die Interessen der Bieler ganz ins Zentrum seiner eigenen Argumentation. Noch deutlicher wird dies in einer weiteren Missive Bischof Konrads an Biel, die er drei Wochen später als Antwortschreiben auf eine Anfrage der Bieler hin schicken ließ. 285 Diese Antwortmissive informierte die Bieler darüber, dass im bischöflichen Schreiben an Konrad von Reischach direkt auf ihre Argumentation (uewer meinung und antwuert) Bezug genommen worden war. Damit die Bieler nun auf dem laufenden Stand der Dinge mit Konrad von Rischach blieben, legte ihnen der Bischof in seinem Antwortschreiben sowohl ein Schreiben des Basler Rates als auch die ursprünglich darin enthaltene Abschrift des königlichen Briefes bei, den Konrad von Rischach vor dem 113 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="114"?> 286 Zwar für spätere Zeit angelegt, jedoch als Untersuchung zum Korrespondenzwesen zwischen den Bischöfen und der Stadt Basel erstmals systematisch ist B E R N E R , gute correspondenz. 287 StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 221. (31. März 1494). 288 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 288 (31. März 1494). 289 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 290 (2. April 1494). Basler Rat hatte vorlesen lassen. 286 Interessant ist dabei, dass der Bischof dieses Schreiben Basels direkt an Biel weiterleitete, ohne eine Kopie zu erstellen oder das Original bei den bischöflichen Akten zu behalten. Dass Bischof Konrad dabei als Landesherr die Interessen Biels vertrat und ihre Unterlagen ohne eigenes Zutun weiterleitete, zeigt eindrücklich, dass der Bischof als landesherr‐ licher Korrespondenzadressat die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren gleichsam in ihrer etablierten Struktur hielt, jedoch inhaltlich und argumentativ die Korrespondenz nicht beeinflusst. In diesem Sinne fungierte die bischöfliche Missivenkorrespondenz als Sprachrohr Biels und ihrer Inter‐ essen. Die Doppelung der Aufforderung an Biel (waz wir fuerer zuo der sach tuon soellend, waz wir denne dar zuo tuon soellend und ir uns verscribend, da wellend wir gewillig zuo sin) verstärkt den Eindruck, dass der Bischof nicht nur in seiner Funktion als Landesherr die Interessen Biels vertrat, sondern den Bielern eigenen Handlungsspielraum im Sinne von Argumentations- und Rechtfertigungsmöglichkeiten ermöglichte. In einem anderen Streitfall, der im zweiten Hauptkapitel noch detailliert behandelt werden wird, ging es um die Besetzung des Meieramtes. Bischof und Stadt gerieten in den 1490er-Jahren in einen anhaltenden Konflikt über die Fragen, wer überhaupt als Meier eingesetzt werden durfte und ob nichtadlige Meier rechtmäßig seien. Nachdem sich die beiden Parteien zunächst über eine Statthalterschaft geeinigt hatten, unterlief just zu dem Zeitpunkt dem bischöf‐ lichen Schreiber ein Fehler, der die ganzen Errungenschaften der langwierigen Verhandlungen gefährdete. Im Statthalterbrief 287 für Peter Wyttenbach, der am selben Tag wie die Begleitmissive 288 ausgestellt wurde, stand in einer Nennung nicht der Name Peter Wyttenbach, sondern der Name des als Meier umstrittenen Humbert Göuffi. Zwar wird Peter Wyttenbach mehrmals im Dokument als künftiger Statthalter genannt, aber an einer einzigen Stelle steht Humbert Göuffi. Es handelt sich dabei eindeutig um einen Schreibfehler, da das Formular des Schreibens an dieser Textposition sich auf den bereits genannten Statthalterkandidaten Peter Wyttenbach beziehen müsste. Prompt beschwerten sich die Bieler und Bischof Kaspar musste bereits zwei Tage später mit einer Missive die Wogen glätten. 289 Er versicherte Biel, dass es sich bei der falschen Namensangabe um ein Versehen handelte: so muss das durch den schriber und 114 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="115"?> 290 Ebd. nit us unserm bevelch bescheen sin, dann unser meynung und geheiss gewesen, uff Peter Wyttenbach den amptbrieff zusetzen, wie dann unnser missiph das luter anzoigt. 290 Dass die Bieler etwas empfindlich auf den Verschreiber reagierten, erstaunte zwar den Bischof, kann aber in einer Auseinandersetzung, in der Schriftstücke als Belege für Rechtsansprüche hervorgeholt und vorgewiesen wurden, durchaus nachvollzogen werden. Zudem nutzten die Bieler natürlich auch jede Gelegenheit, sich über nichtordnungsgemäße Verfahren zu entrüsten. Damit das fehlerhafte Schriftstück nicht vonseiten der Bieler in das Entschei‐ dungsverfahren eingebracht werden konnte, folgte denn auch die explizite Anweisung Bischof Kaspars, den inkorrekt ausgestellten Amtsbrief sofort nach Erhalt des nun neu ausgestellten zurückzuschicken. Dieses Beispiel zeigt deut‐ lich, wie in einer bestimmten Situation neben dem Besitz auch der Text einer Urkunde gezielt in Anschlag gebracht werden konnte. Der Fehler ist deutlich als solcher erkennbar, dennoch nutzten ihn die Bieler als willkommenen Anlass, um das Verfahren erneut zu lancieren. Zwar war es eine einzige Namensnennung, die die Verhandlungen gefährdete, aber in einem nächsten Schritt ging es um die Frage, wem die Urkunde gehörte und damit auch die Möglichkeit, in einem späteren Kontext auf schriftlich und materiell vorhandene Evidenz zu verweisen. Zwar konnte sie der Bischof zurückfordern, aber es gelang ihm zumindest in diesem Fall nicht, diese Forderung auch durchzusetzen. Der Fall zeigt das Risiko schriftbasierter Herrschaftskommunikation: Die schriftliche Fixierung band, und Fehler waren nur schwer rückgängig zu machen. Eine Korrektur wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass die Missiven sozusagen aus der Hand gegeben wurden und auch fehlerhafte Verschriftlichung als Bezugspunkt dienen konnte. Dass es durchaus im Interesse der Bieler war, die alte, aber in der ausgestalteten Form rechtlich gültige Urkunde zu behalten, davon zeugt heute der Umstand, dass die Urkunde tatsächlich in Bieler Händen geblieben ist. Die Korrespondenz bildet in den angeführten Fällen die asymmetrische Posi‐ tionierung innerhalb der Herrschaftsbeziehung ab. Indem der Kommunikations- und Dokumentenaustausch zwischen den verschiedenen Akteursgruppen (etwa Biel, Basel und Konrad von Reischach) über die bischöfliche Korrespondenz organisiert und strukturiert wurde, fungiert das Schrifthandeln jedoch nicht nur als Abbild der Herrschaftsbeziehung, sondern als aktive Herstellung der Herr‐ schaft über die Kommunikationsorganisation. Gleichzeitig bietet jedoch diese Kommunikationsanlage unterschiedliche Möglichkeiten der Einflussnahme, jedoch nicht nur seitens des Bischofs. In diesem Sinne zeugen die Beispiele 115 1.5 Über den Brief hinaus: Missivenkorrespondenz und Schrifthandeln <?page no="116"?> 291 Für den Raum der heutigen Schweiz gehören zu den frühesten erhaltenen Missiven‐ büchern die Sammlungen aus der Basler Kanzlei (ab 1386 bzw. 1409). Aus Zürich sind die ersten Missivenbücher ab 1421, in Bern ab 1442 und in Freiburg ab 1449 überliefert. Breitere regionale Ausmaße nimmt die Missivenbuchverbreitung jedoch erst ab dem frühen 16. Jahrhundert an. Für eine erste auf Missivenbücher ausgerichtete Untersuchung vgl. H E S S E und R O T H M A N N , Diplomatik. 292 Vgl. etwa die Auswertung von Missivenbüchern für den Burgunderkrieg in E S C H , Berns Weg, hier S. 37-48. Ebenfalls kursorisch auf Missivenbücher als Alternativüberlieferung greift M I L E N A S V E C G O E T S C H I zurück, vgl. S V E C G O E T S C H I , Klosterflucht, hier vor allem S. 283-287. von einer Kommunikation, die zwar herrschaftlich angelegt war, jedoch beiden Seiten auch Handlungsspielräume eröffnete. Diese Spielräume waren aller‐ dings an die medialen Bedingungen der Korrespondenz gebunden. Obwohl Missiven grundsätzlich als Distanzmedien zwischen einem Adressanten und einem Adressaten vermittelten, ermöglichte ihre materielle Ausgestaltung als littera clausae Formen der Integration weiterer Kommunikationspartner. Wie wenig der Bischof beispielsweise auf bereits verschickte Missiven und andere Schriftstücke Einfluss nehmen konnte, zeigen die Dokumente, die trotz Auffor‐ derungen seitens des Bischofs nicht zurückgeschickt wurden. Einmal verschickt und ausgehändigt ließen sich briefe kaum mehr zurückfordern, auch wenn der Aussteller der bischöfliche Herr war. 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? Weil es schwierig ist, fehlerhafte oder anderweitig nicht mehr erwünschte Kommunikation zu korrigieren oder zu tilgen, können Kopien des Briefaus‐ gangs von Nutzen sein. Der Blick in Archivinventare zeigt, dass ab dem aus‐ gehenden Mittelalter neben mehr oder weniger systematischen Sammlungen von Missiven auch sogenannte Missivenbücher angelegt wurden. Im Zuge der zunehmenden Missivenkorrespondenz ab dem 15. Jahrhundert setzen im Raum der heutigen Schweiz vermehrt solche Zusammenstellungen der ausge‐ henden Korrespondenz in Form von Entwürfen oder Konzepten ein. 291 Eine systematische Untersuchung der Etablierung von Missivenbüchern fehlt nicht nur für den Raum der heutigen Schweiz, sondern auch darüber hinaus. Analog zu Missivenbeständen werden auch diese Kompilationswerke allenfalls als Informationsquellen zu bestimmten Ereignissen oder Personen hinzugezogen. 292 Spätestens ab dem 15. Jahrhundert standen den Kanzleien und Amtsstuben, Notaren, Schreibern und Stadträten unterschiedliche administrative Hilfsin‐ 116 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="117"?> 293 Die candela rhetoricae eines anonymen Iglauers und die um 1480 zum Verkaufsschlager gewordene Sammlung Formulare und Deutsch Rhetorica sind wohl die beiden be‐ kanntesten Beispiele. Eine übersichtliche Darstellung zu Begriff, Entwicklung und Geschichte bietet H A N S M A R T I N S C H A L L E R , Ars dictaminis, Ars dictandi, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München 2003, Sp. 1034-1039. Zur Bedeutung von Formulare und Deutsch Rhetorica vgl. K N A P E und R O L L , Rhetorica deutsch. Für eine mediale Perspektive auf spätmittelalterliche Rhetoriken vgl. F R ÖH L I C H , Spätmittelalterliche Rhetorik. Zu mittelalterlichen Rhetoriken und Formelbüchern vgl. weiter die Zusammenstellung in W O R S T B R O C K , K L A E S und L Ü T T E N , Repertorium. Als Übersichtswerk vgl. zudem C A M A R G O , Ars dictaminis sowie Correspondence, hrsg. von R O G E R C H A R T I E R et al., Cambridge 1997. Zu den Briefstellern des 15. Jahrhunderts vgl. zudem A L B R E C H T H A U S M A N N , tütsch brieff machen, och hoflich reden. Zur Terminologie deutscher Artes dictandi des 15. Jahrhunderts, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Gerd Dicke, Berlin 2006, S. 137-164. Zur aktuellen Forschung vgl. Letter-Writing Manuals and Instruction from Antiquity to the Present. Historical and Bibliographic Studies, hrsg. von C A R O L P O S T E R und L I N D A C. M I T C H E L L , Columbia (SC) 2007. 294 S T E I N H A U S E N , Brief, S. 102. 295 S T E I N H A U S E N s formale Beschreibung der deutschen Briefsteller gibt in dieser Hinsicht wichtige Hinweise auf die theoretischen und strukturellen Entwicklungen der soge‐ nannten Briefsteller, vgl. S T E I N H A U S E N , Brief, S. 101-110. Zu ars dictaminis und ars dictandi vgl. F R A N Z J O S E F W O R S T B R O C K , Die Anfänge der mittelalterlichen Ars dictandi, in: Frühmittelalterliche Studien 23 (1989), S. 1-42. An dieser Stellte soll auch auf die Unterscheidung zwischen Brieflehre und Brieftheorie hingewiesen werden, wie sie beispielsweise bei N I C K I S C H vorgenommen wird, vgl. N I C K I S C H , Brief, S. 76. Ein älteres SNF-Forschungsprojekt (2003-2006) zu Briefkorrespondenzen als Quellen der Mentalitäts- und Kulturgeschichte (1650-1750) unter der Leitung von Claudia Opitz (Basel) widmete sich den Briefstellern, wobei ein frühneuzeitlicher, kulturgeschichtli‐ cher Fokus gesetzt wurde. Dazu vor allem die Basler Dissertation von C A R M E N F U R G E R , vgl. C A R M E N F U R G E R , Briefsteller. Das Medium „Brief “ im 17. und 18. Jahrhundert, Köln 2010. 296 Vgl. G R É V I N , Rhétorique. strumente wie Formularien, Rhetoriken und Briefsteller in zahlreichen Aus‐ gaben auch für die deutschsprachige Korrespondenz zur Verfügung. 293 Dabei orientierte sich der Inhalt meist an juristisch-geschäftlichen Texten, um dem Gebrauchskontext des Kanzleialltags gerecht zu werden. 294 Aus älteren Untersu‐ chungen zu Briefstellern wird jedoch selten hinreichend deutlich, wie sehr sich Briefe und Briefsteller in ihrer medialen Entwicklung unterscheiden. 295 Mit B E ‐ N O Î T G R ÉVIN s 2008 erschienener monumentaler Studie zu den Briefsammlungen von Petrus de Vinea änderte sich indes der Umgang mit Rhetoriksammlungen. 296 G R ÉVIN bindet die Kompilations- und Rezeptionsarbeit (13.-15. Jahrhundert) zu den summa dictaminis sowie die Reflexionsarbeit der Rhetorikspezialisten in den sich ausbreitenden Notariaten des süd- und nordalpinen Raums immer wieder an den Gebrauchskontext der Rhetoriken, nämlich die politische Sprache 117 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? <?page no="118"?> 297 Zudem gelingt es B E N O Î T G R É V I N , Residuen der theoretischen Prinzipien des politischen Sprachhorizonts aus dem 13. Jahrhundert auch in vulgärsprachlichen Rhetoriksamm‐ lungen im 15. Jahrhundert aufzufinden, vgl. ebd. 298 Vgl. U R S M A R T I N Z A H N D , Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahr‐ hunderts, hrsg. von Rainer C. Schwinges, Berlin 1996, S. 453-476; J U C K E R , Gesandte, S. 110-130 sowie D E R S ., Vom klerikalen Teilzeitangestellten zum gnädigen Kanzler. Aspekte der spätmittelalterlichen Bildungswege der Stadtschreiber in der Eidgenossen‐ schaft, in: Traverse 3 (2002), S. 45-54. 299 Konzeptionelle Arbeiten zu administrativen Techniken stellen ein Desiderat der neuen Administrationsgeschichte dar. Ein erster Schritt wurde an der Tagung „Learned Tools in Medieval Administration“, organisiert von S I M O N T E U S C H E R (Zürich) in Kooperation mit J O E L K A Y E (Barnard College, Columbia University, New York) und L E N A R O H R B A C H (Universitäten Basel und Zürich), die vom 11.-13. Februar 2010 in Zürich stattfand. Intensiver mit Administrationskultur und -wissen im spätmittelalterlichen und früh‐ neuzeitlichen Spanien auseinandergesetzt hat sich bereits etwa A R N D T B R E N D E C K E . Er konnte überzeugend zeigen, wie spätmittelalterliche Befragungs- und Registraturtech‐ niken in der spanischen Eroberungspolitik eingesetzt und adaptiert wurden, vgl. hierzu A R N D T B R E N D E C K E , Tabellen und Formulare als Regulative der Wissenserfassung und als Denk- und Schreibstil, zurück. Macht und Herrschaft fanden gleichsam ihre Ausdrucksform in der Kultur des dictamen, die von einer spezifischen sozialen Gruppe, nämlich den Notaren, gepflegt wurde. Die Notare werden in dieser Perspektive zu den Akteuren einer aus philosophischem und rechtlichem Wissen, aber auch aus literarischem und ästhetischem Gestaltungspotenzial heraus entstandenen rhétorique du pouvoir. 297 An dieser Stelle kann nicht die Rezeptionsgeschichte der in den Bieler und den bischöflichen Kanzleien verwendeten Formularbüchern und Vorlagen geschrieben werden, interessiert sich die vorliegende Arbeit doch weniger für den konkreten Einsatz der artes dictaminis und ihrer Vorlagen als für die Differenzierung von Missiven und Missivenbüchern. Jedoch muss festgehalten werden, dass die sprachliche und materielle Gestaltung der Briefe und damit ihre herrschaftspraktische Wirkung - so auch das Anliegen G R ÉVIN s - zu einem we‐ sentlichen Teil in einem Stil des Herrschaftsausdrucks hervorgebracht wurden, der durch Vorlagen, Briefsammlungen und Briefersteller geprägt wurde. Es ist davon auszugehen, dass Missivenbücher als Ausdruck und Resultat einer sich wandelnden Praxis im Umgang mit Schriftgut in Kanzleien und Ratsstuben zu verstehen sind. Dieser Wandel im Umgang mit Schrift und Schrift‐ stücken war wohl nicht zuletzt Folge der Personalrekrutierung im administra‐ tiven Bereich, der sich zeitgleich professionalisierte und vermehrt universitär ausgebildetes und juristisch geschultes Personal einsetzte. 298 Missivenbücher als administrative Hilfsmittel 299 zu verstehen, heißt, ihnen eine Funktion im 118 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="119"?> Wissenspräsentation, in: Autorität der Form, Autorisierung, institutionelle Autorität, hrsg. von Wulf Oesterreicher, Wienfried Schulze und Gerhard Regn, Münster/ Ham‐ burg/ London 2003, S. 37-53 sowie D E R S ., Imperium und Empirie. alltäglichen Umgang mit Schriftgut zuzuweisen. So veränderten sich zwar weder die Qualität noch die Materialität der Missiven direkt, aber es vollzog sich ein Wandel vom verschickten Brief, der nur am Zielort aufbewahrt wurde, hin zu Briefkopien, die es ermöglichten, zu späteren Zeitpunkten sowohl am Ausstellungsals auch am Zustellort auf das Schriftstück zu rekurrieren. Obwohl sich am inhaltlichen Format der Missiven damit wenig änderte, zeugt die medial unterschiedliche Ausrichtung von einer Veränderung im herrschaftspragmati‐ schen Umgang mit Sendbriefen. Zudem kann mit Rückgriff auf die zu Beginn des Kapitels ausgeführten semantischen Gebrauchsdifferenzierungen nahegelegt werden, dass sich der Begriff ‚Missive‘ im Gegensatz zu den endonomastischen Begriffen brief, schrift oder schriben als exonomastische Bezeichnung gerade im Kontext des Kanzleialltags konkreter formte. Sobald Missiven als Schriftgut‐ typen in eine spezifische Missivenbuchform überführt wurden und damit nicht mehr ihrer distanzkommunikativen medialen Funktion entsprechen mussten, sondern als reine Textvorlagen ausgehender Schreiben verwendet wurden, bot sich ein einheitlicher Missivenbegriff besonders gut an, um die ausgehende Korrespondenz zu bezeichnen. Aus medien- und administrationsgeschichtlicher Perspektive ist die ausblei‐ bende systematische Untersuchung zur Entwicklung und Funktion von Missi‐ venbüchern erstaunlich, gehörten sie doch zu den zwei wichtigsten Instrumen‐ tarien der Registratur. Zu deren Hauptaufgaben zählte die zentrale Verwaltung des Schriftgutes: die Verzeichnung des einlaufenden Schriftgutes (zum Beispiel Kopialbücher) und die Registrierung der ausgehenden Schriften (zum Beispiel Register, Missivenbücher). Missivenbücher geben somit im Hinblick auf ihre Anlage und Funktionsweise Aufschluss über Archivierungspraktiken, die, stark vom Kanzleialltag geprägt, auf funktionale Ordnungsprinzipien abstellten und 119 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? <?page no="120"?> 300 Vgl. dazu folgende Beiträge zum frühen Archivwesen vor allem ab dem 14. Jahrhundert: K A R L H E I N Z L. B L A S C H K E , Kanzleiwesen und Territorialstaatsbildung im wettinischen Herrschaftsbereich bis 1485, in: Archiv für Diplomatik 30 (1984), S. 282-302; C H R I S T O P H F R E I H E R R V O N B R A N D E N S T E I N , Urkundenwesen und Kanzlei, Rat und Regierungssystem des Pfälzer Kurfürsten Ludwig III. (1410-1436), Göttingen 1983; B R E S S L A U , Handbuch der Urkundenlehre; A L B E R T B R U C K N E R , Das bischöfliche Archivwesen am Oberrhein, in: Archivalische Zeitschrift 63 (1967), S. 46-143; F R E N Z , H E I D R U N H O F A C K E R , Kanzlei und Regiment in Württemberg im späten Mittelalter, Tübingen 1984; M A N F R E D K O B U C H , Die Anfänge des meissnisch-thüringischen landesherrlichen Archivs, in: Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, hrsg. von Reiner Groß und Manfred Kobuch, Weimar 1977, S. 101-132; M O R A W , Entfaltung sowie J O A C H I M S P I E G E L , Urkun‐ denwesen, Kanzlei, Rat und Regierungssystem des Pfalzgrafen bei Rhein und Herzogs von Bayern Ruprecht I. (1309-1390), Neustadt an der Weinstraße 1996. 301 Vgl. StadtA Biel 1, 127, CXXIII (1498-1501). 302 Weitere Zusammenstellungen von Missivenprotokollen fehlen dann wieder und setzen erst 1542 ein. 303 Vgl. StadtA Biel, Seriants Dokumentenbuch, CCXLVII, 4. 304 StadtA Biel 1, 211, CCCXI. 305 AAEB cod. 332b enthält Missiven zwischen 1507 und 1509. 306 AAEB cod. 332a, Missivenbücher Deutsch, Lateinisch und Französisch für 1510 bis 1519. Der Codex wird auf der Buchinnenseite im Titel als missivarum liber bezeichnet, auf dem Umschlag als „Uralte Missiven“. 307 StASO, Missivenbuch 1488/ 89. sich jenseits der Distanzkommunikation an Logiken der Schriftgutsystematik orientierten. 300 Bezeichnenderweise sind nun aber die ersten überlieferten Missivenbücher im untersuchten Raum nicht systematische Verzeichnisse der aus- und ein‐ gehenden Korrespondenz, sondern Mustersammlungen, die allerdings aus verschickten Sendbriefen erstellt wurden. Die erste aus Biel überlieferte Kon‐ zeptkompilation enthält einzelne kopierte Missiventexte, die im Zeitraum zwi‐ schen 1498 und 1501 verfasst worden waren. 301 Dabei handelt es sich bei den ersten Einträgen um Abschriften von Berner Missiven, gefolgt von weiteren Missiven von Solothurn und Burgdorf. 302 Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat der Stadtschreiber Jakob Malgorge (1500-1503) das Buch als Vorlagensammlung angelegt und folgte damit seinem Amtsvorgänger Hans Seriant in der Anlage von Dokumentenbüchern nach. 303 Ein Missivenbuch, das den Posteingang und -ausgang systematisch dokumentiert, liegt für Biel allerdings erst ab 1552 vor. 304 Für die Konzeption von Missivenbüchern sind dagegen die beiden frühesten Sammlungen der bischöflichen Kanzlei von 1507 (COD 332a) 305 und 1510 (COD 332b) 306 sowie das Missivenbuch der Stadt Solothurn von 1488/ 89 307 aussagekräftiger. Die beiden gebundenen Missivenbücher der bischöflichen Kanzlei entsprechen sich sowohl in ihrer formalen wie inhaltlichen Anlage. Der frühneuzeitliche, also zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügte Titel des 120 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="121"?> 308 Der Einband von COD 332b fehlt. 309 Es handelt sich um die gleiche Schreiberhand. Es ist nicht davon auszugehen, dass gleichzeitig mehrere Schreiber in das Buch kopierten. 310 Während in den Missiven die superscriptio zum Beispiel lautet Christoff von Gots gnaden / bischoff ze Basell, wird im Missivenbuch lediglich Christof vermerkt, vgl. hierzu das Beispiel des Missiventextes in AAEB COD 332a und die verschickte Missive im StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 432. Codex 332a weist ihn als „Uralte Missiven“ aus. 308 Dies deutet darauf hin, dass es zumindest in der Verzeichnungslogik der späteren Jahrhunderte nicht die Funktion des Buches war, Korrespondenz aufzunehmen und zu ordnen, deren Inhalt eine Aktualität zukam, sondern zunächst ältere Missiven zu kompilieren. Das Titelblatt des Codex 332a wiederum enthält zudem eine zeitgenössische Titulierung, die auf das Entstehungsjahr 1510 hindeutet und das Buch als liber missivarum bezeichnet. Die Anlage weist dabei nicht nur auf den Sammlungs‐ charakter hin, sondern auch auf die konzeptionelle Gestaltung in Buchform. In mehr oder weniger chronologischer Reihenfolge finden sich im liber missivarum Vorlagen von episkopalen Missiven an unterschiedliche Adressaten, wobei ein Großteil der Missiven an Ämter adressiert ist (wie Biel, La Neuveville etc.). Die Gebrauchslogik scheint auf zwei Funktionen hin angelegt. Die erste Funktion bezieht sich auf die Erstellung der Missiven. Ein Großteil der ver‐ zeichneten Missiven wurde mit Ergänzungen, Streichungen und Korrekturen versehen, was darauf hinweist, dass im Porrentruyer Missivenbuch von 1510 erste Vorlagen - Konzepte von Missiven - erstellt wurden, die meist durch denselben Schreiber auch noch abgeändert werden konnten, bevor eine Missive in Reinschrift verfasst und verschickt wurde. Die Anlage als Konzeptbuch zeigt sich auch im Umstand, dass in der Regel die Datumsangabe weggelassen wurde. Die zweite Funktion betrifft den Zugriff. Die Anlage des Missivenbuchs ermöglicht einen relativ guten Zugriff auf bestimmte Angelegenheiten im Sinne von Sachbetreffen. Dafür spricht, dass der Schreiber 309 am jeweiligen linken Rand auf der Höhe der auf den Bischofsnamen verkürzten superscriptio  310 vermerkte, worum es in der notierten Missive ging: „Biel“, „Schaffner in Biel“, „Jörg von Ryff “ etc. Zwar fungieren diese Amts- und Personenhinweise als Ordnungsprinzipien des liber, indizieren jedoch nicht unbedingt die Adressaten, sondern tatsächlich das im Schreiben hauptsächlich angesprochene Thema, den Betreff. Vergleicht man jedoch das Missivenbuch mit der Intensität der bischöflichen Missivenproduktion zu Beginn des 16. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass nur ein Bruchteil der tatsächlich verschickten Missiven als Konzepte oder Abschriften im liber missivarum verzeichnet wurde. Diese Befunde deuten darauf hin, dass 121 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? <?page no="122"?> 311 Vgl. dazu W E I S S E N , Verwaltung, hier vor allem S. 228-230. 312 Vgl. H A N S S I G R I S T , Solothurnische Biographien, Olten 1951, S. 92-119. 313 Vgl. P E T E R W A L L I S E R , Römisch-rechtliche Einflüsse im Gebiet des heutigen Kantons Solothurn von 1500, Basel/ Stuttgart 1965, hier S. 63ff. 314 Vgl. ebd., S. 144. die Kompilation einerseits als Konzeptbuch gebraucht war, andererseits aber auch eine Vorlagensammlung bot, wie mit den unterschiedlichen Ämtern und den jeweiligen Amtleuten zu korrespondieren war. Zudem wurde das Missiven‐ buch ab der Amtseinsetzung Bischof Christophs von Utenheim geführt, unter dessen Ägide systematisch Abschriften - und damit auch eine systematische Erfassung - von Urkunden und anderen Schriften vorangetrieben wurden. 311 Die Anlage des liber lässt sich somit in einem schrift- und herrschaftspragmatischen Kontext verorten, der von intensivierter Übersichts- und Kontrollinnovationen geprägt war. Dass der Zugriff auf die kompilierten Missiventexte vor allem über Personen respektive Ämter funktionierte, zeugt dabei von einer herr‐ schaftlich grundierten Ordnungs- und Zugriffslogik. Dass die Auffindbarkeit der verzeichneten Missiven über die Zuweisung zu Ämtern und den damit verbundenen Personen erfolgte, ist ein Indiz dafür, dass Missiven nicht allein der Sachinformation dienten, sondern Beziehungen zwischen herrschaftlich verbundenen Personen und Gruppen herstellten. Zum Vergleich sei das zweite erwähnte Beispiel einer Missivenkompilation hinzugezogen: Das Solothurner Missivenbuch von 1488/ 89. Zwischen den beiden Städten Biel und Solothurn gab es nicht nur nachbarschaftlichen Kontakt, sondern auch Transferbeziehungen im Hinblick auf Verwaltungspersonal und Administrationswissen. So wurde der Solothurner Stadtschreiber Jakob Haab als Nachfolger von Hans vom Stall 1508 selbst wiederum abgelöst durch Hans Seriant, den ehemaligen Bieler Stadtschreiber. Das Solothurner Fallbeispiel ist neben dem professionellen Austausch der Stadtschreiber auch deshalb beson‐ ders aufschlussreich, weil hier die überlieferten Missivenbücher zwar, ähnlich wie in anderen Gegenden der heutigen Schweiz, in der Mitte des 15. Jahrhun‐ derts einsetzen (ab 1465), aber das Missivenbuch von 1488/ 89 zugleich als frühe Kompilation sowohl ausgehender wie eingehender Korrespondenz gelten kann. Den Anstoß zur Sammlung der ausgehenden Missiven gab allem Anschein nach der 1465 eingesetzte Stadtschreiber Hans Jakob vom Stall aus Wangen im Allgäu. 312 Vom Stall ließ sich zudem vom Rat die Zusicherung geben, dass es in der Stadt niemandem außer dem Stadtschreiber gestattet sei, gewerbsmäßig Briefe zu schreiben. 313 Zum Selbstverständnis dieses Berufsschreibers passt es denn auch, dass er selbst eine ars dicendi initiiert hat. 314 122 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="123"?> 315 Für den Hinweis und ausführliche Literaturangaben dankt die Verfasserin der enga‐ gierten Hilfe von Herrn Silvan Freddi, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Staatsarchiv Solothurn. 316 Vgl. J O S E F B A N N W A R T , Das Solothurner Urkundenwesen im Mittelalter, Solothurn 1941. 317 Vgl. dazu G E R H A R D B U R G E R , Die süddeutschen Stadtschreiber des Mittelalters, Tübingen 1960, S. 350. Im Zuge der Sortierarbeiten des Zürcher Staatsarchivars Johann Strickler um 1878 wurden die ersten zehn Bände der Zürcher Missivenbücher aufgelöst und Strickler extradierte einen Großteil zurück an das Staatsarchiv Solothurn. Das Solo‐ thurner Missivenbuch von 1488/ 89 wurde jedoch erst 1975 dem Solothurner Staatsar‐ chiv als Geschenk zurückgegeben. Die Seiten 211 bis 280 wurden jedoch herausgetrennt und sind in Zürich belassen worden. Zudem ist in Zürich ein fragmentarisches Formularbuch von 1481 überliefert, dessen Anlage vermutlich in Zusammenhang mit demjenigen von 1488/ 89 steht, vgl. StAZH B IV 1, Formularbuch 1481. Photokopien eines Teils der extradierten Solothurner Missiven sind jedoch auch heute noch in den Beständen B IV 1a und 1b einsehbar. Beide Beispiele, sowohl das Solothurner Missivenbuch als auch das bischöf‐ liche liber missivarum, enthalten Abschriften von Briefen an unterschiedliche Adressaten oft unter Weglassung von Datum oder Absendertitel. Eine genauere Untersuchung des Solothurner Missivenbuch ergab, dass es sich nicht um eine vermeintliche Kompilation von Korrespondenzen aus den Jahren 1488 und 1489 handelt, sondern ebenfalls um eine Mustersammlung, die zudem Briefe aus früheren Jahren enthält. Die im Solothurner Beispiel gesammelte Palette von achronologisch geordneten Missivenmustern reicht von Briefen an den Römischen Kaiser, den König von Frankreich, Würdenträger, Institutionen, Städte bis hin zu Schreiben an eigene Amtsträger und Vögte. Die heutige Anla‐ gestruktur dieser Mustersammlung wird Jakob Haab zugeschrieben 315 , der 1488 als Unterschreiber aus der Zürcher Kanzlei nach Solothurn kam, wo er ab 1499 als Stadtschreiber amtete. 316 Dass das Arbeitsumfeld der Schreiber vermehrt als flexibles und untereinander bestens vernetztes Tätigkeitsgebiet verstanden werden muss, verdeutlicht Haabs Rückkehr nach Zürich 1502. Er nahm dabei unter anderem Solothurner Missiven mit nach Zürich und integrierte diese in der Folge in die Zürcher Sammlung. 317 Zugleich zeigt das Solothurner Beispiel, dass gerade Konzeptbücher als Vorlagensammlungen nicht primär auf herrschaftliche Initiative zurückgehen, sondern von Verwaltungs- und Kanz‐ leipersonal als (persönliche) Hilfsmittel angelegt wurden, die auch im Besitz der Schreiber bleiben konnten. Was sich erst später als Registraturhilfsmittel etablierte und als fester Bestandteil der Kanzleien etablieren sollte, ist also aus diesen frühen Missivenbüchern nicht absehbar. Wie sieht es aber nun mit dem Verhältnis von Missiven zu Missivenbüchern aus? So eng diese beiden Schriftguttypen verwandt zu sein scheinen, so un‐ terscheiden sie sich - wie eben hervorgehoben - sowohl hinsichtlich ihres 123 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? <?page no="124"?> 318 AAEB COD 332a S. 37 und 38 sowie StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 432. Gebrauchskontexts, besonders aber auch hinsichtlich ihrer medialen Gestaltung und Funktion. Es mag offensichtlich scheinen, dass sich schon nur in Hinblick auf ihre Materialität die verschickte Missive ganz anders gestaltet als der Missiventext im Missivenbuch. Die Missive sollte verschickt werden und repräsentierte dabei in ihrer Erscheinungsform als littera clausa ein spezifisches Herrschafts‐ verhältnis zwischen Adressaten und Adressanten (Siegel, Faltung und der Über‐ bringungsakt qua Bote). Im Missivenbuch dagegen wurde in erster Linie der Text festgehalten, wobei die Adressatenzeile der Recto-Seite hier üblicherweise unter den Text gesetzt wurde, meist rechts eingerückt. Die Eröffnung der Kommunika‐ tion durch die beziehungssetzende und hierarchisch ordnende Adressierung auf der Verso-Seite der littera clausa, die Überbringungssituation und der Zugang zum Schriftstück (Versieglung und Couvert) fielen im Missivenbuch weg. Das Missivenbuch verzeichnete den Text, der sich auf der Recto-Seite, also der verschlossenen Seite, befand. Weiter kommt hinzu, dass einige Missiventexte ohne Datierung notiert wurden. Das Datum als Beglaubigungsmoment für den Ort und die Zeit der Ausstellung spielte in einer Sammlung von Vorlagen keine große Rolle. Wichtig wurde das Datum erst dann, wenn mit den Missivenbü‐ chern die gesamte ausgehende Korrespondenz erfasst und die chronologische Registratur der Korrespondenz als Kontroll- und Ordnungsmittel eingeführt wurde. Für die bischöfliche Missivenkorrespondenz verdeutlicht dies das folgende Beispiel. Im Missivenbuch COD 332a entspricht ein Eintrag auf den Seiten 37 und 38 einer in Biel eingegangenen Missive vom 26. Februar 1510. 318 Obwohl sich die Schreiberhände ähneln, ist nicht zwingend vom gleichen Schreiber auszugehen. Der Schriftraum der Missive ist enger und strenger linear, die Textränder und -zeilen ausgesprochen gerade gehalten. Dagegen wirkt der Missiventext im Missivenbuch weniger sorgfältig geschrieben. Während die Missive mit Cristoff vonn Gots gnaden / bischof zuo Basell überschrieben ist, steht im Missivenbuch abgekürzt nur Cristoff. Die womöglich verschiedenen Schreiber verwendeten zudem unterschiedliche Abkürzungsformen. So setzte der Schreiber im Missivenbuchtext Endungsabbreviaturen ein und kürzte das Jahr 1510 im Gegensatz zur Missivenversion nicht als ausführlicheres decimo, sondern als einfaches x ab. Der Missivenbuchtext durfte also durchaus etwas kürzer und knapper ausfallen. Die Adressierung, die bei der Missive auf der sichtbaren Recto-Seite der Missive eingesetzt wurde, und die im Missivenbuch unterhalb des Textes vermerkte Adressatenzeilen stimmen dagegen überein. 124 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="125"?> Hier wurde auf die Adressierungsformel der angeschriebenen Gruppe - in diesem Fall der Bürgermeister und Rat von Biel - geachtet. Gerade diese formalen Unterschiede unterstützen das Argument, dass es sich bei dem Mis‐ sivenbuch um eine praktisch handhabbare Mustersammlung für ausgehende Korrespondenz handelt. Nicht die in der Regel gleichbleibende superscriptio der Bischofstitulierung stand im Fokus des Schreibers, sondern die korrekte Adres‐ sierung der jeweiligen Korrespondenzpartner. Der Missivenbuchtext weist denn auch als Marginalie und Orientierungshilfe gleich zu Beginn des Textes „Burgermeister und Rat zu Biel“ aus. Damit war ein möglichst direkter Zugriff auf die gewünschte Vorlage gegeben. Neben diesen formalen Befunden, die auf die unterschiedlichen Gebrauchs‐ kontexte von Missive und Missivenbuch hinweisen, finden sich aber auch etliche Unterschiede auf der semantischen Ebene. Während in der Missive lediglich ein grus vorabgeschickt wurde, findet sich im Missivenbuch ein fruntlich grus. Der verschickte Text erwähnt den wirdigen unnsernn andechtigen unnd getruwen herren Niklaus, abt zu Bellele, wogegen der Missivenbuchtext den gleichen Abt als wirdigenn unnsernn rat und lieben getruwen herrn bezeichnet. Es wurden also nicht nur adjektivische Justierungen vorgenommen, sondern auch Amt und Funktionspräzisierungen, wenn der Abt zusätzlich noch als Rat eingeführt wurde. Weitere Wortwahländerungen lassen sich bezüglich der Befehls- und Bittsemantiken ausmachen. Wo in der Missive explizit von ernstlich bevelch und ervordern die Rede ist, steht im Missivenbuchtext erst ein ernstlich beger und vordrung. In einigen Fällen wird es sich wahrscheinlich um eine fehlerhafte Übernahme handeln, die entstand, indem sich bei den Schreibern stereotype Wendungen im Konzeptionsprozess einschlichen. Das zitierte Beispiel zeigt jedoch, dass die formelhaften Wendungen der Adressierung und der Petitio be‐ sonders neuralgische Punkte des Schreibens waren, an denen fein abgestimmten Ausdrucksentscheidungen entsprechend viel Bedeutung zugemessen wurde. Dass ein beger zu einem bevelch wurde, deutet darauf hin, dass sich zwischen der Vorlage und der letztlich verschickten Missive ein Raum eröffnete, semantische Entscheidungen zu einem späteren Zeitpunkt anzupassen und im Rahmen eines Formulierungsspektrums zumindest graduell zu justieren. Es hat sich gezeigt, dass Missiven und Missivenbücher unterschiedlichen Zugriffslogiken folgen, die auf unterschiedliche mediale Gebrauchszusammen‐ hängen in der Herrschaftspraxis hinweisen. Missivenbriefe sind gefaltete und versiegelte Schriftstücke, die verschickt wurden. Missiventexte in Missivenbü‐ chern dagegen sind Entwürfe oder Abschriften, die als leicht zugängliche Vorlagen, Gedächtnisstützen oder Verzeichnisse dienen konnten. Während also Missiven ihre vorrangige Bedeutung in der dimissiven, herrschaftlich struktu‐ 125 1.6 Vom losen Brief zum gebundenen Missivenbuch: Eine Entwicklungsgeschichte? <?page no="126"?> 319 Vgl. dazu vor allem das Kapitel zu Kanzleipraktiken in: T E U S C H E R , Erzähltes Recht, S. 278-301. 320 Vgl. dazu zum eidgenössischen Raum vor allem J U C K E R , Teilzeitangestellte sowie R O L A N D G E R B E R , Expansion mit dem Federkiel. Die Berner Kanzlei und der städtische Herrschaftsaufbau auf dem Land im späten Mittelalter, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 4 (2012), S. 3-45. rierten Kommunikationssituation erhielten, waren Missivenbücher Kanzleiin‐ strumente, die in erster Linie den Schreibern dienten. Die vorlagen- und kompi‐ lationsorientierten Missivenbücher ermöglichten Schreibern über eine Ordnung nach Ämtern und Personen den Zugriff auf die einzelnen Texte und damit bildeten sie nicht nur die herrschaftliche Zugriffs- und Ordnungssystematik des Schriftgutes ab, sondern perpetuierten diese für nachfolgende Korrespondenz. Dies schlug sich auch in der Praxis der Briefbezeichnungen nieder: Während die Missiven innerhalb der Korrespondenz als brief, schrift oder schriben funktional ausdifferenziert wurden, etablierte sich der exonomastische Begriff missiv erst in der Registraturlogik ausgehender Kanzleibriefe. Als Formulare lassen sich Missivenbücher dann auch in den größeren Kontext der spätmittelalterlichen Ausbildung von Institutionen stellen. Ansätze zur Herrschaftsintensivierung lassen sich kaum ohne Bemühungen um eine (neu) geordnete Verwaltungsstruktur verstehen, die sich nicht zuletzt in der Schrift‐ produktion und -aufbewahrung niederschlug 319 , die vom spätmittelalterlichen Kanzleipersonal professionalisiert wurde. 320 Dass sich dabei die Kanzleiprak‐ tiken, die die Herstellung der Missivenbücher (unter anderem Verwaltungs‐ schriftgut) prägten, und der Einsatz von Missiven in Korrespondenzkontexten semantisch nicht eng aufeinander abgestimmt zeigen, zeugt weniger von einem grundsätzlichen Problem des Umgangs mit diesem Schriftgut, sondern von einer zunehmenden Überlagerung des brieflichen Kommunikationsgeschehens durch kanzleipraktische Verwaltungsstrukturen. Schrift brauchen - ein Zwischenfazit Ziel dieses ersten Kapitels war es, Missiven als Schriftstücke ins Zentrum zu stellen und danach zu fragen, was eine Missive eigentlich ist und in welchen Gebrauchs- und Sinneszusammenhängen diese Schreiben eingesetzt wurden und mitwirkten. Missiven durchliefen einige Stationen: Von der bischöflichen Schreibstube wurden sie via Boten vor den Bieler Meier und Rat gebracht, dort vorgelesen und debattiert, um dann vorerst - womöglich in einer der 126 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="127"?> städtischen Ratskisten - aufbewahrt zu werden, bevor die Dokumente über mehrere Stationen im heutigen Stadtarchiv ihren vorerst letzten Platz fanden. Um zu verstehen, wie sich die Missive im Verlauf des Spätmittelalters als wichtiges, wenn nicht gar dominierendes Medium der herrschaftlichen Distanzkommunikation etablierte und damit die Herrschaftspraxis mitprägte, wurde auf den vorangegangenen Seiten das sich ausdifferenzierende Feld der Briefsemantik, die materielle und gestalterische Beschaffenheit der Missiven und das komplexe distanzkommunikative Schrifthandeln über Missivenkorre‐ spondenz untersucht. Eine einheitliche Bezeichnung der Schreiben als ‚Missiven‘ zeichnet sich erst im ausgehenden Mittelalter ab. Während der Begriff ‚Missive‘ vor allem auf die Kanzleisprache und deren Administrationskontext verweist (Missive als verschickter Brief), zeigen sich für den spätmittelalterlichen Wortgebrauch Verwirklichungsregeln der Sprache, die auf sich ausdifferenzierende Verwen‐ dungslogiken hinweisen. Anhand der Eigenbezeichnungen der Sendschreiben konnte plausibel gemacht werden, dass die dominierende Bezeichnung brief im Verlauf des 15. Jahrhunderts durch die Verwendung von schrift ergänzt wurde. Diese Differenzierung zeugt von einer sich wandelnden Bedeutung im Umgang mit Schriftstücken. Während mit brief zunächst auch Urkunden und andere rechtliche Dokumente bezeichnet werden konnten und der Begriff vor allem auf den Objekt- und Statuscharakter des Schriftstücks verwies, lässt sich mit der zeitgleichen Bezeichnung schrift eine Ausdifferenzierung fassen, welche den textuellen Charakter der Schreiben hervorhob. So konnte in einer Missive mit beiden Begriffen auf unterschiedliche kommunikative Vorgänge Bezug genommen werden. Der Blick auf die Eigenbezeichnungen der Missiven verdeutlicht also, dass sich im spätmittelalterlichen Wortgebrauch gerade keine Vereinheitlichungstendenz zeigt. Vielmehr wird eine Ausdifferenzierung im Umgang mit verschiedenen Funktionen von Schriftstücken offensichtlich, die im Verlauf des 15. Jahrhunderts mit dem Begriff schriben weiter ergänzt wurde. Neben die objekt- und textfunktionale Ausdifferenzierung trat damit die Mög‐ lichkeit, die brief-Semantik weiter zu präzisieren. Erst die Vorstellung eines zu kompilierenden und der Registraturlogik entsprechenden Kanzleibriefwesens, das sich an den Logiken aus- und eingehender Korrespondenz orientierte und Missivenbücher als Briefsammlungen hervorbrachte, legte die Durchsetzung eines einheitlichen Begriffs wie ‚Missive‘ nahe. Die Form und Ausgestaltung einer Missive folgte wiederum einer relativ einheitlichen Gestaltungslogik. Die Textbausteine wurden gemäß der weitver‐ breiteten und in der Administrationskultur in unterschiedlichen Formen zirku‐ lierenden ars dictaminis aufgebaut. Dabei wurde besonderes Augenmerk auf die 127 Schrift brauchen - ein Zwischenfazit <?page no="128"?> 321 Vgl. K O C H , Urkunde, S. 22. Anredeformeln gelegt, da diese die Beziehung und Hierarchie der Korrespon‐ denzpartner abzubilden hatten. Als gleichsam „pragmatisches Zentrum“ 321 des Textes hat jedoch die Petitio zu gelten. Hier wurde das jeweilige Informations- und Handlungsbegehren verortet. Es ist daher nicht überraschend, dass Ände‐ rungen zwischen Missivenkonzepttext und tatsächlicher verschickter Missive in diesen beiden Textelementen, der Adressierung und der Petitio, vorgenommen wurden. Über den Text hinaus spielte die Semantisierung des Schriftbildes eine wichtige Rolle, um die Beziehung zwischen den Korrespondenzpartnern abzubilden oder neu zu verorten. So wird beispielsweise allein aus der Schrift‐ bildgestaltung deutlich, dass der Bischof mit der superscriptio der nachfolgend ausgeführten Angelegenheit gleichsam vorstand. Das Zusammenspiel von Form und Inhalt geht aber über die Gestaltung des Textes hinaus. Wird der materi‐ ellen Ausgestaltung der Briefe Aufmerksamkeit geschenkt, dann erscheint der Hinweis auf die zwei Seiten einer Missive kaum banal. Die gleichzeitig als Umschlag und Verschluss konzipierte Verso-Seite nennt Adressaten und in Form des Siegels zugleich die Aussteller. Dabei verweist die Kombination von Siegel und Adressatentitulierungen zusammen wiederum auf die Beziehung, der entlang sich die Missive bewegte. Diese Qualität der litterae clausae etablierte damit die symmetrische oder asymmetrische Beziehung der Briefkorrespondenz und entfaltete gleichsam den Kontext, in dem der zu eröffnende Inhalt der Recto-Seite stand. Zum materiellen Aspekt der Missiven gehört aber auch deren Aufbewahrung und Kompilation. Während im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Briefe einfach verschickt wurden, nahm im Verlauf des 15. Jahrhunderts die Anlage von Missivenbüchern zu. Erst dienten sie als Mustersammlungen in den Kanzleien und ergänzten artes dictaminis. Damit gehörten sie zu den praktischen Instru‐ menten der Schreiber und generell der Administrationskultur. Erst nach und nach wurden die Missivenbücher zu systematischen Registraturmitteln ein- und ausgehender Korrespondenz. Aus medialitäts- und administrationshistorischer Sicht sind Missivenbriefe und Missivenbücher grundsätzlich zu unterscheiden. Zwar kann der Text eines Missivenbriefs mit dem Konzepttext im Missivenbuch übereinstimmen, muss aber nicht. Zwischen der Konzeptausfertigung und der Missivenausstellung konnten zahlreiche und entscheidende Änderungen vor‐ genommen werden, die erst beim Vergleich zwischen den beiden Medientypen sichtbar werden. Missivenbriefe und Missivenbücher standen und entstanden zudem in unterschiedlichen Gebrauchskontexten. Eine Missive ist ein Schrift‐ stück, das in einem herrschaftlichen Kommunikationszusammenhang seine 128 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="129"?> Wirkung als Text (schrift), aber zunächst auch als mit Siegel verschlossenes Schriftstück (brief respektive schriben) entfaltete und so nur zusammen mit dem überbringenden Boten als Medienensemble funktionierte. Im Gegensatz dazu waren Missivenbücher Werkzeuge der Schreiber und zeichneten sich dadurch aus, dass sie in der Schreibstube oder Kanzlei zugriffsbereit vorlagen und Textvorlagen lieferten. Damit einher geht auch die Beobachtung, dass sich ab der Mitte des 15. Jahr‐ hunderts Referenzen auf vorangegangene Schreiben zu häufen begannen oder Antwortaufforderungen explizit formuliert wurden (uwer antwurt bi disem boten). Solche Schematisierungen bei der Verfassung der Briefe führten zu einer Interaktionskoppelung, die Anschlusskommunikation ganz explizit ein‐ fordern konnte. Zu diesen rekursiv strukturbildenden Kommunikationsschema‐ tisierungen gehört auch die spezifische materielle Ausgestaltung der Missiven als litterae clausae, die es ermöglichte, dass weitere Dokumente wie Abschriften, Urkunden oder andere Missiven in die verschickten Missiven eingeschlossen und in einem autorisierten Kommunikationssetting verbreitet werden konnten. Missiven wurden dabei nicht einfach nur als Umschlag verwendet, sondern sie schufen den Rahmen, in dem das Schrifthandeln und die Verbreitung von Informationen autorisiert und organisiert wurden. Die Missivenkorrespondenz als medial basierte Herrschaftspraxis fungierte nicht nur als distanzüberwind‐ ender Informationsträger, sondern strukturierte die Teilhabe unterschiedlicher Akteursgruppen an der herrschaftsrelevanten Kommunikation und ermöglichte die Verbreitung von (nicht nur) schriftbasiertem Wissen. Selten ging es im spätmittelalterlichen Schriftverkehr um bloßes Informieren. Die Etablierung, Aufrechthaltung und Modifizierung von Beziehungen durch den kommunika‐ tiven Einbezug von unterschiedlichen Akteursgruppen wirkte direkt in die Herrschaftsvermittlung hinein. Dies zeigt sich für Biel vor allem anhand von Folgeerscheinungen der Korrespondenzetablierung. So verlief die Korrespon‐ denz zwar grundsätzlich zwischen dem Basler Bischof und den jeweiligen Missivenadressaten, jedoch wurde der Bieler Meier und Rat zunehmend auf un‐ terschiedliche Weise in Korrespondenzen integriert: sei es innerherrschaftlich weiterleitend als Informations- und Administrationszentrum der bischöflichen Herrschaft, sei es zwischenherrschaftlich als Miteinbezug Biels in wichtige Vorgänge mit anderen Herrschaftsträgern. Über Missiven wird Herrschaft als prozesshafte, immer wieder ausgehan‐ delte und damit auch kommunizierte Beziehungsform deutlich. Gerade die Funktionsschärfung von Missiven steht dabei nicht nur in einem schriftpragma‐ tischen Kontext, sondern zeugt auch von einem Wandel im sozial-herrschaft‐ lichen Bereich. Sie stellten nicht einfach ein herrschaftliches Medium des 129 Schrift brauchen - ein Zwischenfazit <?page no="130"?> Bischofs zur Durchsetzung von Rechten und Ansprüchen dar, sondern sie ermöglichten es der Bieler Führung, sich gezielt mit Anliegen und Ansprüchen ihrerseits an den Bischof zu wenden. Gleichsam als Effekt der sich rekursiv durchsetzenden Missivenkorrespondenz entstanden so - zumindest begrenzte - Handlungsspielräume in der Herrschaftspraxis. Es zeigt sich also, dass sich der gewählte medialitätsgeschichtliche Zugang dann besonders ergebnisreich erweist, wenn Missiven nicht nur als distanzüberwindende Kommunikations‐ medien beschrieben und auf ihren textuellen Informationsgehalt hin befragt werden, sondern unter den Aspekten der Materialität als kommunikativer Bedingungsermöglichung und der Serialität als medialer Effekt untersucht werden. 130 1 Missiven: Schrifthandeln mit Briefen <?page no="131"?> 322 Vgl. hierzu besonders R U D O L F S C H L Ö G L s aus verschiedenen Aufsätzen hervorgegangene Monografie, in der er seine Überlegungen und Befunde aus seiner jahrelangen Beschäf‐ tigung mit dem Verhältnis von Medien, Medialität und sozialer Formierung als Synthese zusammenträgt: S C H L Ö G L , Anwesende und Abwesende, hier vor allem S. 29-47. 323 Die Forschungslandschaft zu Briefkorrespondenzen ist breit und versammelt ge‐ schichts-, literatur-, aber auch medienwissenschaftliche Ansätze. Dennoch kann als ein Schwerpunkt herausgestellt werden, dass vor allem sogenannte „private“ Korre‐ spondenzen zwischen einzelnen Herrschafts- und Würdenträgern besondere Aufmerk‐ samkeit erhalten haben, ist doch zumeist die Überlieferungslage in Briefsammlungen und die Anknüpfung an eine historisch bekannte Persönlichkeit in der Regel viel‐ versprechend. So dient noch heute S T E I N H A U S E N s Briefsammlungen als Anlaufstelle für die Briefforschung, vgl. Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, 2 Bde., hrsg. von G E O R G S T E I N H A U S E N , Berlin 1899-1907. Es kann hier kein Überblick über die breite Forschungspalette geboten werden, aber ein paar Literaturhinweise mögen genügen, vgl. C O R D U L A N O L T E , Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Bezie‐ hungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von 2 Der Meier und der Rat: Die Adressierungslogik der Missiven und die Bieler Administrationskultur Zu den Charakteristika von Missiven gehört nicht nur ihre spezifische Materia‐ lität als Schriftstücke, sondern auch, dass sie als Medien den herrschaftlichen und sozialen Raum vermittelten, der sich zwischen adressierenden und adres‐ sierten Instanzen eröffnete. Als überlieferte Zeugnisse dieser Beziehung ermög‐ lichen sie uns heute, Aussagen über deren Form treffen zu können. 322 Die mit der spätmittelalterlichen Missivenkorrespondenz erfasste Untersuchungsebene beschreibt dabei nur eine konkrete Form der Herrschaftsbeziehung neben an‐ deren (wie etwa Huldigung, Appellation etc.). Jedoch scheint es zunächst nicht abwegig, davon auszugehen, dass die mediale Gestalt der Herrschaftsbeziehung und die soziale Gestalt ihrer Medien direkt aufeinander zu beziehen sind. So stellt sich das folgende Kapitel die Frage, inwiefern sich die Rolle und das Amtsverständnis der an der Herrschaft beteiligten Akteure veränderte, wenn seitens der bischöflichen Herrschaft vermehrt und dann quasi dauerhaft auf schriftlich vermittelte Kommunikation unter Abwesenden umgestellt wurde. Die Erforschung der Briefe des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hat sich bis vor kurzem vor allem den Briefwechseln einzelner Persönlichkeiten gewidmet. Die Korrespondenzen von Königen, Fürsten, Gelehrten oder Regent‐ innen nachzuzeichnen, vermag nicht nur deren Aktions- und Interaktionsraum deutlich zu machen, sondern ermöglicht auch einen Einblick in die Gedanken‐ gänge, Argumentationsstrategien oder gar in „private“ Gefühlsäußerungen. 323 <?page no="132"?> Brandenburg-Ansbach (1440-1530), Ostfildern 2005; T E U S C H E R , Privatbriefe; J Ü R G E N H E R O L D , Briefe und Boten. Die transalpine Korrespondenz der Gonzaga, Markgrafen von Mantua, mit deutschen Reichsfürsten und dem dänischen Königshaus (1433-1506), Dissertation in Vorbereitung; Die Korrespondenz der Augsburger Patrizierfamilie Endorfer 1620-1627. Briefe aus Italien und Frankreich im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, hrsg. von M A R K H Ä B E R L E I N , H A N S -J Ö R G K Ü N A S T und I R M G A R D S C H W A N K E , Augsburg 2010; M A T T H I E U G E L L A R D , Une reine épistolaire. Lettres et pouvoirs au temps de Catherine de Médicis, Paris 2015 sowie R E G I N A D A U S E R , Informationskultur und Beziehungswissen. Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531-1598), Tübingen 2008. 324 Vgl. hierzu kritisch auch T E U S C H E R , Privatbriefe, S. 363-365; D A U S E R , Informationskultur sowie P E T R A H O R N U N G G A B L I N G E R , Gefühlsmedien. Das Nürnberger Ehepaar Paum‐ gartner und seine Familienbriefe um 1600, Zürich 2018. 325 In der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung werden die modernen Kategorien von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘vor allem in den 1990er-Jahren intensiv diskutiert. Einig ist sich die Forschung, dass die beiden Kategorien nicht ohne Weiteres auf vormoderne Gesellschaften übertragen werden können. Für die kritische Diskussion vgl. G I O R G I O C H I T T O L I N I , The „Private“, the „Public“, and the „State“, in: Journal of Modern History 67 (1995), S. 34-61; Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, hrsg. von G E R T M E L V I L L E , Köln/ Weimar/ Wien 1998; P E T E R V O N M O O S , „Öffentlich“ und „privat“ im Mittelalter. Zu einem Problem der historischen Begriffsbildung, Heidelberg 2004; Öffentliches und Privates, Gemeinsames und Eigenes, hrsg. von D E M S ., Münster 2007 sowie jüngst Stadt und Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit, hrsg. von G E R D S C H W E R H O F F , Köln/ Weimar/ Wien 2011. 326 Die Anredeformel konnte leicht variieren, in der Grundformulierung, wie sie hier wiedergegeben wird, blieb sie jedoch konstant. 327 Vgl. dazu auch die lokale Studie zu Amtsträgern als neuer soziale Elite von S A N D R O D E C U R T I N S , In Amt und Würden. Entstehen und Wesen der neuen Elite in der Surselva 1370-1530, Chur 2013. So lag es nahe, dass auch die Briefforschung zu privaten Briefsammlungen hier ansetzte. 324 Im Gegensatz dazu bieten die herrschaftlich angelegten Briefserien der städtischen Räte und kleinen Herrschaften zunächst wenig intime Einblicke in das Leben ihrer Verfasser oder Empfänger. 325 Wenn der Basler Bischof einen Brief nach Biel aufsetzen ließ, stand auf der Verso-Seite die Anredeformel Unsern lieben getruwen meyer und raett unserer stadt Biel.  326 Zwar lassen sich in der Regel der Meier und die entsprechenden Ratsherren des Kleinen Rats für die aktuelle Amtsperiode ermitteln, aber das in seiner Gesamtheit angesprochene Führungsgremium von bischöflicher Herrschaftsvertretung (meyer) und kommunaler Führungsgruppe (raett) lässt nur wenig Rückschlüsse über die jeweiligen Rollen, die Entscheidungsträger oder Parteiungen unter den korrespondierenden Akteuren zu. 327 Indem in der Kommunikation die Amtspositionen kollektiv adressiert wurden, blieb offen, wer genau und mit welchen Kompetenzen sich in der Korrespondenz ange‐ sprochen fühlen durfte. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass mit den eben zitierten Anredeformeln in der Missivenkommunikation zwar bestimmte soziale 132 2 Der Meier und der Rat <?page no="133"?> 328 Zum Begriff der Adressabilität, den P E T E R F U C H S in die systemtheoretische Diskussion eingeführt hat und mit dem er die Notwendigkeit von Kommunikation (verstanden als autopoietische Operation sozialer Systeme) erfasst, soziale Adressen im Sinne von Zurechnungspunkten und Adressierbarkeitsinstanzen zu entwerfen, vgl. P E T E R F U C H S , Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie, in: Soziale Systeme 3 (1997), S. 57-79. 329 Vgl. dazu auch die Ausführungen zu Biel in der Einleitung. 330 Vgl. hierzu beispielsweise E R N S T S C H U B E R T , Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München 2 2006, hier vor allem S. 14-18. 331 Zum Begriff des Amtes im Frühmittelalter vgl. T H O M A S Z O T Z , In Amt und Würden. Zur Eigenart offizieller Positionen im früheren Mittelalter, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 22 (1993), S. 1-23. Z O T Z sieht das Problem im Umgang mit dem Begriff ‚Amt‘ vor allem in seinem „Allerweltswort“-Gebrauch, der gleichzeitig die Nuancen und Differenzierungen und den Wandel im Wortgebrauch verdeckt. Für die unterschiedlichen Verwendungsweisen siehe zudem den Artikel zu Amt im Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, vgl. K A R L K R O E S C H E L L , Art. Amt, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 150- 154. 332 U D O W O L T E R untersucht einerseits die Begriffsgeschichte des Amtes in Anlehnung an R E I N H A R D K O S E L L E C K s Methode und nimmt dabei andererseits eine Differenzierung zwischen Amt und Benefizium vor, vgl. hierzu U D O W O L T E R , Amt und Offizium in mittelalterlichen Quellen vom 13.-15. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 74 (1988), S. 246-280. „Adressen“ im Sinne von Adressierbarkeitsinstanzen (wie Meier, Bürgermeister und Ratsgremien) entworfen und aufrechtgehalten wurden, diese gleichsam „transpersonale“ Adressabilität zugleich jedoch Handlungsspielräume für die Korrespondenzteilnehmer eröffnete. 328 An der Stadt Biel lässt sich besonders gut zeigen, wie sich eine herrschaft‐ liche Ämterorganisation anhand ihrer Missivenkommunikation und der Konse‐ quenzen, die die medialen Bedingungen dieser Kommunikationsform zeitigten, ausgestaltete. Das spätmittelalterliche Biel und das Bieler Amt stellten eine Region mit wechselnden Herrschaftsbeziehungen zwischen Bischofssitz, Stadt und Umland dar. 329 Dieser Umstand katalysierte aber gleichzeitig eine Dynamik von Aushandlungsprozessen und Konfliktlinien, die in Biel in besonderer Weise hervorstechen. 330 In diesem Kontext wurden die unterschiedlichen Ämter und Gremien, auf die im Folgenden fokussiert wird, als Kompetenz- und Funktionspositionen innerhalb der Herrschaftsorganisation ausgestaltet. 331 Der Begriff des Amtes umfasst räumliche (Verwaltungsbezirke), rechtliche (Grund‐ herrschaft, Friedenssicherung) und auf die Person des Amtmanns konzentrierte Kompetenzen. ‚Amt‘ bezeichnete somit im spätmittelalterlichen Verständnis den Wahrnehmungs- und Bezeichnungshorizont von Herrschaft. 332 Wie lässt sich nun aber an die in der Missivenkorrespondenz adressierten Amtsträger und Führungsgremien in Biel herangehen und wie lassen sie sich 133 2 Der Meier und der Rat <?page no="134"?> 333 Vgl. dazu etwa V A L E N T I N G R O E B N E R , Angebote, die man nicht ablehnen kann. Institu‐ tion, Verwaltung und die Definition von Korruption am Ende des Mittelalters, in: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaft‐ lichen Ordnens, hrsg. von Reinhard Blänkner und Bernhard Jussen, Göttingen 1998, S. 163-184. Zur Bedeutung von Verschriftlichung für die oberitalienische Administra‐ tionskultur vgl. H A G E N K E L L E R , Die Veränderung gesellschaftlichen Handelns und die Verschriftlichung der Administration in den italienischen Stadtkommunen, in: Prag‐ matische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Akten des Internationalen Kolloquiums, 17.-19. Mai 1989), hrsg. von Hagen Keller, München 1992, S. 21-36. 334 Städtische Zeremonien haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem fast schon paradigmatischen Forschungsthema entwickelt, das im Zuge der Neuen Kulturge‐ schichte das Themenspektrum der städtischen Gesellschaft zwischen Politik, Religion, Wirtschaft, Sozialem und Kommunikation und deren jeweilige Verschränkungen erwei‐ tert hat. So sind mittelalterliche Ratswahlen respektive ritualisierte Konstituierungen und Erneuerungen von (kommunalen) Gruppierungen in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem beliebten und ergiebigen Forschungsgegenstand geworden, vgl. dazu eine selektive Aufzählung einschlägiger Arbeiten: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hrsg. von R E I N H A R D S C H N E I D E R und H A R A L D Z I M M E R M A N N , Sigmaringen 1990; D I E T R I C H W P O E C K , Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.-18. Jahrhundert), Köln 2003; R A U S C H E R T , Herrschaft und Schrift, hier vor allem S. 99-174; R E G U L A S C H M I D , Wahlen in Bern. Das Regiment und seine Erneuerung im 15. Jahrhundert, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 3 (1996), S. 233-270 sowie S T E P H A N A L B R E C H T , Zeremonialräume in den mittelalterlichen Städten des Alten Reiches, in: Stadtgestalt und Öffentlichkeit. Die Entstehung politischer Räume in der Stadt der Vormoderne, hrsg. von dems., Köln 2010, S. 233-252. Siehe zudem den komparatistisch ausgerichteten Sammelband Cities, Texts and Social Networks (400-1500). Experiences and Perceptions of Medieval Urban Space, hrsg. von C A R O L I N E G O O D S O N , A N N E E. L E S T E R und C A R O L S Y M E S , Farnham 2010. 335 In der deutschsprachigen Forschung wurde im Zuge des performative turn das heu‐ ristische Leistungsvermögen von Performativität ausgelotet, indem fürstliche und kommunale Rituale, Zeremonien oder Prozessionen unter dem Leitbegriff der symbo‐ lischen Kommunikation untersucht und als Grundelemente politisch-sozialer Praktiken gleichzeitig in ihrem medialitätshistorischen Kontext kommunal-herrschaftli‐ cher Ordnung verstehen? Während sich die Verfassungsgeschichte vor allem mit der Bestimmung, Genese und den Kompetenzbereichen der Amts- und Wür‐ denträger befasst hat, versuchte die sozialgeschichtlich orientierte Forschung die soziale Verortung und die Beziehungen der Amtleute zu erfassen. 333 Anknüp‐ fungspunkte sind dabei für ersteres vor allem die städtischen Bücher mit ihren Eid- und Spruchsammlungen, wohingegen eine am performative turn orientierte Forschung auf Darstellungen von Wahl- und Eidtagen zurückgegriffen hat, um die Prozesse und Sinnhorizonte des Gemeinwesens herauszustellen. 334 Zentrales Argument ist dabei, dass soziale Ordnungen in ritual- und zeichenhaften Reprä‐ sentationspraktiken nicht lediglich abgebildet, sondern durch Darstellungs- und Repräsentationsformen konstituiert wurden. 335 Gerade schriftbasierte Medien 134 2 Der Meier und der Rat <?page no="135"?> einbezogen wurden, vgl. hier vor allem B A R B A R A S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Zeremoniell als politisches Verfahren, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1997, S. 91-132 sowie D I E S ., Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 27 (2000), S. 389-405. Besonders großen Einfluss auch über die Mediävistik hinaus hat A L T H O F F s Ritualansatz für herr‐ schaftliche Politik, vgl. G E R D A L T H O F F , Die Veränderbarkeit von Ritualen im Mittelalter, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hrsg. von dems., Stuttgart 2001, S. 157-176 sowie D E R S ., Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003. Für eine Übersicht und Standortbestimmung der geschichtswissenschaftlichen Ritualforschung vgl. A R L I N G H A U S , Rituale. 336 Zur Bedeutung von Kommunikation in der spätmittelalterlichen kommunalen politi‐ schen Kultur vgl. J Ö R G R O G G E , Kommunikation, Herrschaft und politische Kultur. Zur Praxis der öffentlichen Inszenierung und Darstellung von Ratsherrschaft in Städten des deutschen Reiches um 1500, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der früh‐ neuzeitlichen Stadt, hrsg. von Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, S. 381-408. 337 Vgl. H O L E N S T E I N , Introduction. 338 Die genaue Ratszusammensetzung bestand 1480 aus elf Bürgern vom Pfauen, zehn von den Rebleuten, acht von Gerbern, elf von Waldleuten, acht von Pfistern und acht von Schuhmachern, zitiert nach: B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 23. Im Original: StadtA Biel, 1, 235, CCXLVIII, 7, S. 187f. Allerdings ist auch von anderen Städten bekannt, dass meist weniger die Anzahl festgelegt wurde als vielmehr die Einbindung aller führenden Geschlechter. spielten in der spätmittelalterlichen Herrschaftspraxis zunehmend eine zentrale Rolle und prägten Kommunikationsformen und herrschaftliche wie administra‐ tive Prozesse entscheidend mit. 336 Ausgehend von den einbezogenen Adressaten werden nachfolgend in drei Unterkapiteln die entsprechenden Ämter und Gremien als Akteursgruppen in der Missivenkorrespondenz schrittweise erfasst und diskutiert. Dafür wird ein medialitätsgeschichtlicher Zugang gewählt, der es erlaubt, die mediale Verfasstheit der Ämterorganisation nachvollziehen zu können und Herrschafts‐ vermittlung als „empowering interactions“ 337 , also als dynamischen, durch alternative Handlungs- und Lösungspotenziale gekennzeichneten Prozess der Aushandlung zwischen verschiedenen Akteuren verständlich zu machen. 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut Die Bieler Führungsgruppe um 1480 setzte sich aus folgenden Gremien zu‐ sammen: Die Bürger, auch als Großer Rat bezeichnet, bestanden aus ungefähr 56 Mitgliedern, die sich wiederum den sechs Gesellschaften zuordnen lassen. 338 Gewählt wurden diese Vertreter vom Kleinen Rat, der sich seinerseits aus zwölf 135 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="136"?> 339 Die Zwölferzahl an Ratsmännern ist im mittelalterlichen Reich sehr verbreitet. 340 Der Kleine Rat wurde bis 1491 jährlich neu gewählt, dann aber lediglich bestätigt. 341 Vgl. E B E R H A R D I S E N M A N N , Ratsliteratur und städtische Ratsordnungen, in: Stadt und Recht im Mittelalter. La ville et le droit au Moyen Âge, hrsg. von P I E R R E M O N E T und O T T O G E R H A R D O E X L E , Göttingen 2003, S. 215-479. 342 Aus dieser Position im Finanzwesen wurde denn auch 1542 die eine Bürgermeisterstelle in die des Säckelmeister umgewandelt, sodass ab diesem Zeitpunkt nur noch ein Bürgermeister und ein Säckelmeister anstelle zweier Bürgermeister amteten, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 188, S. 268, nach: StadtA Biel, RP 8, Ämterlisten. Über die Rollenverteilung wurde auch schon 1491 diskutiert und man beschloss, einen Bürgermeister und einen Baumeister zu wählen. Bereits im darauffolgenden Jahr wurden aber wieder zwei Bürgermeister eingesetzt, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 115, S. 159, nach: StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12 (Stadtbuch), S. 316. 343 Einen klaren und wichtigen Überblick bietet A N D R E A S W Ü R G L E R s Aufsatz zur städti‐ schen Entscheidungsfindung anhand des Beispiels Bern. Er stellt dabei unterschied‐ liche, aber grundlegende Formen der Entscheidungsprozesse und der politischen „Partizipation“ (im engeren und weiteren) Sinne wie Wahlen, Abstimmungen, Konsul‐ tationen, Ämterbefragungen, Ständeversammlungen, Supplikationen und Prozesse vor, vgl. dazu A N D R E A S W Ü R G L E R , Zwischen Verfahren und Ritual. Entscheidungsfindung und politische Integration in der Stadtrepublik Bern der Frühen Neuzeit, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. von Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, S. 63-91, dazu ebenfalls D E R S ., Verflechtung und Verfahren. Individuelle und kollektive Akteure in den Außenbeziehungen der Alten Eidgenossenschaft, in: Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive. Verflechtung - Interkulturalität - Gender, hrsg. von Hillard von Thiessen und Christian Windler, Köln/ Weimar/ Wien 2010, S. 79-93. 344 Für die Bedeutung von Ritualen, Zeremonien und anderen Spektakelformen im städti‐ schen Raum vgl. City and Spectacle in Medieval Europe, hrsg. von B A R B A R A H A N A W A L T Alten Räten 339 und zwölf Jungen Räten zusammensetzte. 340 Die Funktion des Großen Rates kann am ehesten mit Entscheidungs- und Legitimationsgremium umschrieben werden, denn es oblag dem Kleinen Rat, den Großen in heiklen Fragen oder strittigen Angelegenheiten hinzuzuziehen, um Entscheidungen breiter abzusichern. 341 Die tatsächliche Führung der städtischen Geschäfte übernahm der Kleine Rat. Unter dem Vorsitz des Venners tagte der Rat in Sachen Stadtverwaltung und Bürgergemeinde, unter dem bischöflichen Meier im Rahmen des Gerichts- und Bannerwesens. Die Rechnungslegung über die kommunalen Ausgaben und Einnahmen wiederum unterstand den beiden Bürgermeistern. 342 Jeweils in der ersten Woche des neuen Jahres versammelte sich das Kollektiv der Bieler Führungselite zur jährlichen Regimentserneuerung (Ratswahlen) als Gemeinschaft von Anwesenden und konstituierte so die Gemeinde aufs Neue. 343 Diese Schwör- und Bestallungstage markierten ein festes, eineinhalb Wochen dauerndes Ereignis im Jahreslauf der Kommune. Sie waren zeitlich und räumlich klar festgelegt 344 und auf komplexe Weise in soziale Anlässe wie den kollek‐ 136 2 Der Meier und der Rat <?page no="137"?> und K A T H R Y N L. R E Y E R S O N , Notre Dame 1994 sowie Stadtgestalt und Öffentlichkeit. Die Entstehung politischer Räume in der Stadt der Vormoderne, hrsg. von S T E P H A N A L B R E C H T , Köln 2010. 345 Zur Bedeutung des gemeinsamen Essens und anderen Sozialformen vgl. P O E C K , Rituale der Ratswahl. 346 Die Ratserneuerung kann auch als ausgesetzte Regierungszeit gedeutet werden, in der sich ein Regimentswandel vollzog. So hat der Erfurter Historiker V O N F A L C K E N S T E I N im 17. Jahrhundert dieses Phänomen treffend als transitus bezeichnet, vgl. J O H A N N H E I N R I C H V O N F A L C K E N S T E I N , Civitas Erfurtensis Historia critica et diplomatica I-II, Erfurt 1733-1740. 347 Vgl. dazu auch die Befunde von R E G U L A S C H M I D K E E L I N G zu den Wahlen in Bern und den ab 1485 seriell überlieferten sogenannten Osterbüchern, die auf Initiative Thüring Frickers angelegt wurden. Damit lässt sich für Bern eine Verschriftlichung und damit auch konzeptionelle Änderung der Ämter (Fixierung der Wahlhandlungen) in einem ähnlichen Zeitraum festhalten, vgl. S C H M I D K E E L I N G , Wahlen in Bern. 348 Vgl. T E U S C H E R , Document collections sowie U L L A K Y P T A , Die Autonomie der Routine. Wie im 12. Jahrhundert das englische Schatzamt entstand, Göttingen 2014. 349 Vgl. hierzu auch die Dorsualnotiz auf der Handfeste Bischof Johann Senns von Mün‐ singen: Dise brief liset man alle jar in der kilchen, StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 5. tiven Messbesuch oder gruppenspezifische Treffen in Ess- und Trinkstuben eingebunden. 345 Die jährliche Regimentserneuerung fand an zentraler Stelle im Kern der heutigen Bieler Altstadt statt. Das Aufsuchen prominenter Orte und das Auftreten in unterschiedlichen Formationen (als Gemeinde in der Kirche, als Alter Rat im Rathaus, als Mitglieder einer Gesellschaft im gemeinsamen Gesellschaftshaus etc.) machte das soziale Gefüge der Kommune sichtbar. 346 Denkt man die kommunale Regimentsstruktur nicht von den Amtspflichten und -rechten, sondern von den medialen Praktiken her, kann man sich von der Fixierung auf gegebene Ämterrollen lösen und der Blick wird auf die medialen Bedingungen der Verschriftlichung und deren Folgen für Amtsvorstellungen gelenkt. 347 Denn die schriftliche Niederlegung von Amtseiden, Wahlvorgängen und Ämterbeschreibungen zeugt nicht zuletzt von Schriftpraktiken und damit verknüpften Ordnungsvorstellungen entsprechend ausgebildeter Schreiber. 348 Auch in Biel nahm der Stadtschreiber eine entscheidende Rolle in der städti‐ schen Verwaltung ein. Nicht nur war er der Verfasser der Schriftstücke, Serien und Kompilationen städtischer Akten, sondern er übernahm auch eine perfor‐ mative Rolle während der jährlichen Regimentserneuerung. Der Stadtschreiber notierte die Rechenschaftsablegung der Alten Ratsherren und verlas die Bieler Stadtsatzungen, Privilegien und Bestätigungsurkunden sowie die Namen der Gewählten. Damit diese ihren Eid schwören konnten, musste der Stadtschreiber den Ratsherren, dem Meier und schließlich der Gemeinde den jeweiligen Eidestext im Chor der Kirche vorlesen. 349 Zudem war der Stadtschreiber in die Wahl der Bürgermeister involviert, bevor er dann selbst im Amt bestätigt 137 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="138"?> 350 Vgl. hierzu die detaillierten Ratswahlordnungen von 1529, 1530 und 1533, die auf ältere Vorlagen verweisen, StadtA 1, 229, CCCII, Ratsprotokolle 7, S. 405f. Für Hinweise auf die Ratswahlen im 15. Jahrhundert vgl. StadtA Biel 1, 12, CCXLVII, S. 142ff. 351 Vgl. hierzu die grundlegenden Überlegungen von F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S zur Bezie‐ hung von Schriftstücken und Kommunikationsraum. A R L I N G H A U S untersucht anhand des Beispiels Köln, wie sich der Kommunikationsraum verändert, wenn Dokumente eine bestimmte Rolle im Diskursraum einnehmen. Durch rituelle Akte können Schrift‐ stücke einen Autonomiestatus erreichen, der es ermöglicht, sie - unabhängig vom konkreten Inhalt - als Referenzpunkte zu verwenden. Gerade auch in strittigen Fragen und Konfliktsituationen können so Schriftstücke als gemeinsamer Bezugspunkt und konkrete Basis für Argumentationen dienen und den Diskursraum einer städtischen Gesellschaft (neu) prägen, vgl. A R L I N G H A U S , Verwendung. wurde und seinen eigenen Eid leisten musste wie nach ihm auch sämtliche weitere städtische Beamte (Weibel, Stubenmeister etc.). 350 Der Stadtschreiber garantierte also den korrekten Ablauf der Regimentserneuerung, indem er die erforderlichen Schriftstücke als Referenzobjekte mitführte und diese dabei in einen auf das Gemeinwesen als Kollektiv ausgerichteten Bedeutungsrahmen fügte. Der Bezug auf die kollektiv gültigen Vorstellungen von Gemeinwesen konnte so durch die Schriftobjekte gleichsam gebündelt werden. 351 Zusätzlich zu diesem referentiellen Gebrauch von Schriftdokumenten, erstellte der Stadt‐ schreiber aber im Verlauf der Regimentswahl auch neue. Er bereitete durch die Niederschrift der Aussagen, welche die Altratsherren bei ihrer Amtsnie‐ derlegung vorbrachten, die Ratsverhandlungen des zukünftigen Rates vor. Der Stadtschreiber fungierte also nicht nur als Protokollant der kommunalen Angelegenheiten, sondern garantierte durch das entsprechende Schriftgut, für dessen Produktion, Aufbewahrung und Gebrauch er qua Amt zuständig war, deren Legitimität. Aus medialer Sicht nahm der Stadtschreiber oft auch eine performative Rolle in der Zusammenkunft der kommunalen Gemeinschaft als Anwesenheitsgesell‐ schaft ein. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der alljährlichen Regiments‐ erneuerung, an der er das Grundlagenschriftgut der Gemeinde (Handfeste, Stadtbuch etc.) mitführte, die Ratsmitgliederlisten verlas und die Eide vorsprach. In diesem Sinne hat man es einmal mehr mit einem Medienensemble zu tun, das seine Bedeutung in der Legitimierung der Regimentserneuerung gleichsam aus der organisatorischen und autorisierenden Verbindung von schriftlicher Fixierung, mündlicher Verlesung und physischer Partizipation erhielt. So lässt sich in der intermedialen Gestaltung der Regimentserneuerung die Bedeutung von Schriftstücken erahnen, deren inhaltliche Ausgestaltung oftmals hinter ihre 138 2 Der Meier und der Rat <?page no="139"?> 352 J E A N N E T T E R A U S C H E R T hat anhand der Beispiele Bern und Luzern eine ähnliche Tendenz festgestellt. Vor allem lässt sich die exklusivere Regimentsausübung anhand der Ent‐ wicklungen des Kleinen Rats fassen, der sich vor allem ab den 1470er-Jahren bezüglich Kompetenzen und Machtkonzentration vermehrt absetzt, vgl. R A U S C H E R T , Herrschaft und Schrift, S. 124f. 353 So wurde 1488 in Solothurn, nachdem es laut Stadtschreiber Hans vom Stall immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen war, eine neue respektive neu verschrift‐ lichte Regimentswahlordnung vorgeschlagen. Im Frühjahr 1489 stellte dann ein Er‐ eignis mit überregionaler Strahlkraft die Ratswahlordnungen einiger Städte in Frage: Der sogenannte Zürcher Waldmannhandel. Biel traf sich mit den anderen Bündnis‐ städten Bern, Freiburg und Solothurn bereits im Mai 1489, um die Konsequenzen dieses Aufstandes, der in komplexer Weise ländliche und städtische Kompetenzstreitigkeiten zum Gegenstand grundsätzlicher Diskussionen erhob, gemeinsam einzugrenzen und sich ihrer jeweiligen Ordnungen in einem Bündnis zu versichern. In diesem Kontext schworen Meier und Räte gemeinsam den Eid, auf den man sich mit den anderen Bündnisstädten geeinigt hatte. Dieser Eid zielte auf drei Punkte ab: erstens auf die klare Zuweisung des Regiments an die bisherigen Gremien, zweitens sollten recht‐ liche Grundsätze zu Ehre, Leib und Gut gemäß den Handfesten, den Privilegien und Satzungen geachtet werden und drittens sollten mögliche Aufstände und Konflikte umgehend gemeldet und nach Möglichkeit verhindert werden, vgl. dazu auch StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 120, abgedruckt in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 112, S. 157-158 sowie die Berner Missive zur Ansetzung einer Tagsatzung, StadtA Biel, 1, 24, XVI, Nr. 116. Zum Waldmannhandel vgl. M I C H A E L J U C K E R , Negotiating and Establishing Peace between Gestures and Written Documents. The Waldmann-Process in Late Medieval Zurich (1489), in: Symbolic Communication in Late Medieval Towns, hrsg. von J A C O B A V A N L E E U W E N , Leuven 2006, S. 101-123. Für eine Zusammenstellung der Materialien zum Waldmannhandel vgl. Dokumente zur Geschichte des Bürgermeisters Hans Waldmann, gesammelt und hrsg. von E R N S T G A L G L I A R D I , 2 Bde., Basel 1911-1913. Rolle zurücktrat, in einem größeren, performativen Kontext der Herrschaftsle‐ gitimation ihre Funktion zu erfüllen. 352 Für das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts zeigt sich im Raum der heutigen Schweiz eine allgemein erhöhte Tendenz zur Verschriftlichung des Prozederes rund um Regimentswandlungen. Diese Verschriftlichungsleistungen der jewei‐ ligen Schreiberstuben und Kanzleien geht einher mit ihrer Professionalisierung, zeitigte als Medienwechsel jedoch auch Auswirkungen auf die kommunalen Ordnungsvorstellungen. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Ratswahlen vor ihrer schriftlichen Fixierung stets exakt gleich vonstattengingen, musste jeweils ein Konsens darüber Bestand haben, die Regimentserneuerung in die legitimatorische Kraft einer Tradition einzufügen, die bei Bedarf gleichwohl der jeweiligen Situationen angepasst werden konnte. Mit der Infragestellung dieser durch Konsens hergestellten Ratsordnungsvorstellungen durch Ausein‐ andersetzungen, wie man sie Ende der 1480er-Jahre gleich in mehreren Städten vorfindet, musste eine andere Lösung gefunden werden. 353 Die schriftliche Dokumentation der Regimentserneuerungsordnung erzeugte und ermöglichte 139 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="140"?> 354 Für die Bedeutung von Urkunden und Briefen als Objekte vgl. R A U S C H E R T , Herrschaft und Schrift, S. 106-129 und T E U S C H E R , Erzähltes Recht, S. 264-269. 355 Vgl. A R L I N G H A U S , Verwendung, S. 406. 356 Vgl. hierzu beispielsweise die Dorsualnotiz auf der Handfeste Bischof Johann Senns von Münsingen: Dise brief liset man alle jar in der kilchen, StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 5. bzw. erzwang eine Verständigung der beteiligten Akteure über ihre jeweiligen Vorstellungen, die sie dann fixierten. Durch die schriftliche Fixierung änderte sich also der Konsensmodus: Nicht mehr nur im ständigen Vollzug erhielt die Regimentserneuerung ihre Legitimität, sondern in Bezug auf ihre schriftliche Dokumentation. Damit waren auch die Bedingungen dafür gegeben, dass unterschiedliche Schriftstücke intertextuell aufeinander verweisen konnten. Im Folgenden sollen zunächst jene Dokumente im Vordergrund stehen, auf die bei der Regimentserneuerung prominent Bezug genommen wurde. In einem zweiten Schritt werden diejenigen Schriftguttypen in diesen Schrifthandelskon‐ text eingeordnet, die im Alltag der Stadtschreiberei von Bedeutung waren, wozu dann auch die Missiven zählen. Eine Liste, welche Dokumente tatsächlich während der Regimentswandlung hinzugezogen und vorgelesen wurden, lässt sich jedoch nicht rekonstruieren. Dies legt die Frage nahe, welche Bedeutung der konkrete Inhalt der Dokumente dabei - zumindest bei der schriftlichen Fixierung des Regimentswandels - tatsächlich hatte und ob für das Gelingen und die Akzeptanz der Regimentserneuerung nicht vielmehr das Vorweisen der Urkunden und Satzungen als wesentlicher Bestandteil des Zeremoniells die entscheidende Rolle spielte. J E AN N E T T E R AU S C H E R T hat anhand von Luzerner und Berner Beispielen herausgearbeitet, dass unter Umständen die Tatsache, dass Urkunden vorgelegt und laut im Kirchenraum verlesen wurden, wichtiger war als die Frage, welche Briefe es nun tatsächlich im jeweiligen konkreten Fall waren. 354 Ähnlich formuliert F R ANZ -J O S E F A R LIN G HA U S dies für den Umgang mit Statuten und Satzungen im städtischen Diskursraum: „Letztlich scheinen diese undifferenzierten Hinweise auf Texte und ‚Gewohnheiten‘ sinnbildlich für allgemein akzeptierte und zu verteidigende Grundsätze zu stehen, die man nicht näher zu benennen braucht.“ Zentral scheint also weniger der tatsächliche Inhalt des spezifischen Textes als der Status der Schriftstücke im jeweiligen Gebrauchszusammenhang. 355 Bei der Regimentserneuerung nahmen zunehmend Dokumente eine zentrale Funktion ein, die zu den Satzungen, Rechten und Privilegien der Stadt in direktem Bezug standen. Die schlecht datierbaren Dorsualnotizen auf einigen Schriftstücken stellen immerhin Verwendungszusammenhänge her, indem sie die Dokumente oft generisch als brief bezeichnen, die im Kontext der Regi‐ mentserneuerung verlesen werden sollen. 356 Wie bereits im vorangegangenen 140 2 Der Meier und der Rat <?page no="141"?> 357 StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 5. 358 Vgl. StadtA Biel, 1, CIX 67 (lateinische Originalurkunde). Im Stadtbuch von Seriant befindet sich eine deutsche Abschrift aus dem 15. Jahrhundert, vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 1, S. 150-154. Weitere Abschriften stammen aus dem 16. Jahrhundert (Dokumentenbuch von Des Bois, 1, 235, CCXLVII 5, fol. 119r-123v) und aus dem 17. Jahrhundert (1, 234, CCXLVI 35 und 36). 359 StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 5, abgedruckt in B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a, S. 35-40. Vgl. dazu M A R C U S B O U R Q U I N , 700 Jahre Bieler Handfeste, in: Neues Bieler Jahrbuch (1975), S. 43-45. 360 StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 7. 361 StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 6, abgedruckt in B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34b, S. 41-46. 362 Die Änderungen beziehen sich vor allem auf Zusätze. Zwei Artikel, Nr. 41 zum Umgang mit Unzucht und Nr. 42 zum Umgang mit Aus-der-Stadt-Gewiesenen in Notzeiten, sind zugefügt worden. 363 Vgl. Bemerkungen von B L O E S C H , in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a, S. 40. 364 Vgl. ebd., Nr. 34a, S. 40 und Nr. 34b, S. 46. Siehe zudem B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 50b, S. 84. Kapitel ausgeführt, verweist die Sammelsemantik nicht in erster Linie auf deren konkreten Textinhalt, sondern auf den Objektcharakter der Schriftstücke als Referenzsammlung. Auch wenn die tatsächlich vom Stadtschreiber vorgelegten und verkündeten Schriftstücke heute nicht mehr angegeben werden können, handelt es sich bei dem sogenannten brief mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl zunächst um die Handfeste 357 (1352) von Bischof Johann Senn von Münsingen, weiter um das Privileg Bischof Imers von Ramstein (Imerium von 1388) 358 sowie weitere Privilegienbestätigungen und Satzungen. Für den konkreten Umgang mit den Schriftstücken liefert die sogenannte Handfeste ein besonders erhellendes Beispiel. 359 Dieses erste Zeugnis der schriftlichen Fixierung des Stadtfriedens liefert bezüglich seiner Produktions- und Gebrauchsgeschichte interessante Hinweise auf Schrifthandeln. Neben dem Original von 1352 mit den beiden Siegeln von Bischof und Stadt Biel sind erstens eine beglaubigte Kopie 360 von 1357 und zweitens eine lateinische Vidiumusfassung 361 von 1365 überliefert. Die beglaubigte Kopie wurde von Meier und Rat in Auftrag gegeben, wobei einige inhaltliche Anpassungen vorgenommen wurden und entsprechend nur das kommunale Siegel angehängt wurde. 362 Diese Version wurde in der Folge gleichsam zum Gebrauchsexemplar, auf das sich die spätere lateinische Übersetzung und weitere Abschriften bezogen. 363 Allerdings finden sich nun bei allen drei maßgeblichen Versionen Dorsualvermerke, die darauf hinweisen, dass der jeweils vorliegende Brief in der Kirche vorgelesen wurde. 364 Da es sich bei der angepassten Kopie um das vom Rat favorisierte Gebrauchsexemplar handelt, scheint es durchaus plausibel, 141 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="142"?> 365 Zu Rechtstexten und Materialität vgl. M A R I T A B L A T T M A N N , Über die Materialität von Rechtstexten, in: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994), S. 333-354. 366 F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S argumentiert für eine spätmittelalterliche „Autonomisierung“ von Schriftstücken, die neben der seit dem Frühmittelalter rituellen, quasi-liturgischen Verwendung von Schrift fassbar wird. Schriftstücke wie Statuten, Verfassungsbriefe etc. konnten dabei ganz gezielt zu autonomen Referenzbasen werden, wenn zum Beispiel in Konfliktsituationen Textbezüge mit Textbezügen diskutiert wurden. Die Autonomisierung von Texten schaffte eine gemeinsame Referenz, die sich in den bestehenden Kommunikationsraum einer (städtischen) Gesellschaft einfügen ließ, vgl. dazu A R L I N G H A U S , Verwendung, S. 410-412. 367 Erst 1545 wird eine grundlegendere Änderung im Wahlverfahren des Rates fassbar. Ab diesem Zeitpunkt wählen der Kleine und der Große Rat jeweils am Mittwoch nach dem Dreikönigstag zusammen (gemeinlich) zwölf Wahlmänner aus dem Großen Rat (je zwei pro Gesellschaft). Diese wählen dann zusammen mit dem alten Rat den Kleinen Rat. Vorher wählten sie den jungen Rat und die Burger, vgl. StadtA Biel 1, 122, CLXXVIII 8 (Ratsprotokolle), fol. 140r-144v. 368 Das Stadtbuch (StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12) enthält Einträge ab 1346. 1352 ist Richard Seriant als erster Stadtschreiber Biels belegt und zudem verbindet sich in ihm auch zum ersten Mal das Amt und die Familie Seriant, die nach ihm noch weitere Stadtschreiber hervorbringt. Die Anlage des Stadtbuchs und die Amtszeit Richards fallen zeitlich zusammen und legen somit die Vermutung nahe, dass er das Stadtbuch als Kompilation der städtischen Geschäfte und Angelegenheiten gestaltet hat. dass ab 1357 diese Schrift vorgelesen wurde. 365 Die Dorsualvermerke auf den verschiedenen Versionen könnten daher eher darauf hindeuten, dass diese Notizen mitabgeschrieben wurden. Mit der Ausdrucksentscheidung brief als Pluralform drängt sich zudem die Deutung auf, dass das Konvolut der an der Regimentserneuerung vorgezeigten Schriftdokumente als entscheidender Referenzwert von Bedeutung war. Während der Regimentserneuerung kam diesen Schriften ein spezifischer Programmpunkt zu, indem sie eine hör- und sichtbare Referenzbasis schufen, die auf die kollektive Vorstellung der Kommune abstellte und diesen Imagina‐ tionsraum als kommunale Einheit ‚Stadt Biel‘ im Wahlprozedere immer wieder herstellte und bestätigte. 366 Biel als Stadt wurde dabei als Summe der Gremien, Ämter und verbrieften Rechte performativ wahrnehmbar gemacht, bei der die bischöflichen Schriftdokumente als verbriefte Rechte regelmäßig in das kommunale Bewusstsein gerückt wurden. 367 Die Bedeutung dieses Dokumentkonvoluts als kommunale Referenzbasis wird weiter erhellt, wenn die heute als „Stadtbuch“ bezeichnete Bieler Rechts‐ sammlung in den Blick genommen wird. Diese selektive Kompilation umfasst Einträge, die bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückreichen. 368 Offen‐ sichtlich wurde sie also als Einheit begriffen, die den damit fassbaren Bezugs‐ rahmen ‚Stadt‘ abbildete. Die Kompilation umfasst in nichtchronologischer 142 2 Der Meier und der Rat <?page no="143"?> 369 Die Notizen und Verzeichnisse zu den Regimentswandlungen finden sich vor allem auf ebd., S. 142-315. 370 Vgl. ebd., S. 142. 371 Vgl. ebd., S. 143. Folge Abschriften von Urkunden, Ordnungen und Verzeichnisse der jährlichen Regimentswandlungen und Eidsammlungen zu den verschiedenen städtischen Ämtern (Stadtschreiber, Weibel, Stubenknecht, Feuerschauer etc.). 369 In dieser Sammlung sind zwar auch Abschriften aus Ludwig Sterners Amtszeit (1510- 1541) zu finden, die meisten stammen jedoch von den beiden Stadtschreibern, welche die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts dominierten, nämlich von dem bereits erwähnten Peter Seriant (1446-1478) sowie seinem Nachfolger Hans Seriant (1481-1499). Interessant an dieser Kompilation ist nun, dass die Einträge zwar keiner chro‐ nologischen Ordnung folgten, aber sich gerade anhand der Notizen und Auflis‐ tungen zu den Regimentswandlungen Rückschlüsse auf Entstehungsdatum und Gebrauch ziehen lassen. Das Stadtbuch enthält ab 1447 personelle Angaben zur Besetzung des Kleinen Rates. Die frühesten Einträge für die Jahre 1447 bis 1449 sind anhand folgender Logik gruppiert: Der Meier und die Alträte wurden mit Namen zuerst aufgeführt (Dis sind die alt raet anno Domini XLVII), die Neuräte wurden später ergänzt und untereinander aufgelistet. 370 Die Einträge scheinen somit einer Abschreibe- und Gebrauchslogik zu folgen, da sie untereinander, also listenförmig kopiert wurden. Auf der Folgeseite für das Jahr 1451 dagegen wurde eine andere Verzeichnungsordnung eingesetzt. 371 Zuerst wurde notiert, was die scheidenden Ratsherren an Rechenschaftsberichten abgelegt hatten und welche Bußen zu verhängen waren. Dann unterlief dem Schreiber jedoch ein interessanter Fehler. Erst notierte er die Namen der Alträte in der gleichen Zeilenform, wie im vorausgegangenen Rechenschaftsbericht. Umgehend wurde dieser Patzer beim Abschreiben korrigiert und die Ratsherrennamen für den Alten Rat untereinander aufgelistet. Erst in einem zweiten Schritt wurden dann die gleichen Namen des Alten und des Neuen Rats in zwei Kolonnen nebeneinander niedergeschrieben. Dieser Notierung der Namenslisten in zwei Spalten folgen dann auch alle weiteren Einträge in den Jahren danach. Es ergibt sich also eine bestimmte Verschriftlichungslogik des Schreibers: Da bei der Regimentswandlung zuerst der Rügepflicht der Ratsherren Rechnung getragen werden musste, wurden die Verfehlungen einzelner Bürger und deren Bußen zuerst notiert. In direktem Anschluss wurde der jährlich durch den Bischof bestimmte Meier genannt und dann erfolgte die Auflistung des Alten und des Neuen Rates nebeneinander. Die Eintragslogik folgt damit genau der Abfolge der Regimentswandlung und die Verschriftlichung zeugt von der 143 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="144"?> 372 Hier wird Verschriftlichung durchaus als konzeptionelle Verschriftlichung im Sinne Peter Kochs und in der Weiterführung von W U L F O E S T E R R E I C H E R verstanden, da das Layout und die Gruppierung der verschrifteten Inhalte bereits von Text- und Wissensorganisation zeugen, vgl. K O C H , Sprache; O E S T E R R E I C H E R , Verschriftung und Verschriftlichung sowie E H L E R und S C H A E F E R , Verschriftung und Verschriftlichung, S. 2f. 373 Vgl. O E S T E R R E I C H E R , Verschriftung und Verschriftlichung sowie E H L E R und S C H A E F E R , Verschriftung und Verschriftlichung. 374 Vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 163. 375 Vgl. ebd. 376 Vgl. Stadt A Biel 1, 229, CCCII, Ratsprotokolle 1, S. 558. Verwendungslogik des Notierten im rituellen Ratswahlablauf. Die Listenform im Gegensatz zur Nebeneinanderreihung scheint vor dem Hintergrund, dass die Namen im Anschluss an die Wahl am Schwurtag vor der Gemeindever‐ sammlung verlesen wurden, auf einer praktikablen Verschriftlichungslogik zu basieren und zeugt von einer spezifischen Wissensordnung. 372 In Anschluss an O E S T E R R E I C H E R kann diese Wissensordnung als Beispiel einer strukturellen Verschriftlichung im Gegensatz zu Verschriftung verstanden werden. 373 Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden die Namen der Ratsherren notiert und zusammen mit den Inhalten der Rechenschaftsablegung (wer gefrevelt hat und welche Buße verhängt wird) in einer sich verstetigenden Form verzeichnet. Ab 1473 folgen dann jeweils auf einer zweiten Seite die Namen der Bürger, also des Großen Rates. 374 Auch hier setzte sich die Listenform durch. Kategorisiert wurden die Bürgermitglieder gemäß ihrer Zugehörigkeit zu den Gesellschaften zu Pfauen, Rebleuten, Gerbern, Waldleuten, Pfistern und Schuhmachern. 375 Sowohl bei den Listeneinträgen des Kleinen wie auch bei jenen des Großen Rates finden sich Gebrauchsspuren: Namen wurden durchgestrichen und er‐ gänzt, mit einem Punkt markiert und die ganze Liste wieder durchgestrichen. Zwar kann anhand dieser Gebrauchsmarkierungen nicht definitiv entschieden werden, wann und zu welchem Zwecke genau diese Streichungen und Mar‐ kierungen vorgenommen wurden. Es zeichnet sich jedoch eine bestimmte Ge‐ brauchslogik ab: Notiert wurde, wer zu welchem Ratsgremium gehörte, Wechsel wurden nachgetragen und die Listenform ermöglichte eine rudimentäre Orga‐ nisationsform und diente der Übersichtlichkeit. Die Listenform erstaunt umso weniger, wenn man auch hier bedenkt, dass die Listen am Schwurtag durch den Schreiber vorgelesen wurden und die Bürger, welche ihre Wahl nicht annahmen und somit den Eid nicht leisteten, mit einer Buße von zwei Schilling belegt wurden. 376 In jedem Fall zeugen die Listen und klar ersichtlichen Anpassungen und Vermerke vom Gebrauch derselben und legen nahe, dass die Verschrift‐ lichung der Übersicht und damit auch der Kontrolle diente. Wechsel und 144 2 Der Meier und der Rat <?page no="145"?> 377 Vgl. ebd., S. 157-160. Hierzu auch B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 56. 378 Vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 234. Die Quelle ist zudem abgedruckt in B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 114, S. 158f. 379 Ebd. 380 Stellvertretend für zahlreiche Arbeiten vgl. The Power of the Book. Medial Approaches to Medieval Nordic Legal Manuscripts, hrsg. von L E N A R O H R B A C H , Berlin 2014; D I E S ., Die Fabrikation des Rechts. Implikationen medialer Ausformungen in west- und ostnordischen Rechtsbuchhandschriften, in: Á austrvega. Saga and East Scandinavia. Preprint papers of the 14th International Saga Conference, Uppsala, 9th-15th August 2009, Bd. 2, hrsg. von Agneta Ney, Henrik Williams und Fredrik Charpentier Ljungqvist, Gävle 2009, S. 807-815 sowie D I E S ., Pragmatik in Szene gesetzt. Mediale Dimensionen spätmittelalterlicher Handschriften des Jyske Lov, in: Opuscula XIII, hrsg. von Britta Olrik Frederiksen und Jonna Louis-Jensen, Kopenhagen 2010, S. 119-172. Siehe weiter R U T H S C H M I D T -W I E G A N D , Gebrauchssituationen im Spiegel der Mitüberlieferung. Die deutschen Rechtsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts in ihren Codices, in: Der Codex im Gebrauch. Akten des Internationalen Kolloquiums 11.-13. Juni 1992, hrsg. von Hagen Keller, München 1996, S. 69-86; D I E S ., Rechtsbücher als Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit. Eine Bilanz, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 435-475 sowie S E I D E L , Vorzeigen und Nachschlagen. Absenzen konnten so dauerhaft festgehalten und allenfalls auch sanktioniert werden. Das Stadtbuch ermöglichte so eine nahezu standardisierte, den jährlich wiederholten Modus festhaltende Verzeichnungsordnung. Im gleichen Zeitraum lässt sich eine Verstetigung der Ratsbesetzung beob‐ achten. Bis in die 1470er-Jahre wechselte der Alte und der Neue Rat (auch Junger Rat genannt) von Jahr zu Jahr alternierend. Das heißt, wer 1447 im Alten Rat saß, wurde 1448 als Mitglied im Neuen Rat, 1449 dann wieder im Alten Rat genannt. Ab 1470 zeigt sich dann ein Wechsel hin zu einer fixen Besetzung des Altrates. 377 Dieser Wechsel vom alternierenden Ratsbesetzungsmodus hin zu einer verste‐ tigten Besetzung wurde dann am 29. Dezember 1490 per Ratsbeschluss von Rat und Bürgern offiziell vollzogen, indem ab jetzt der Alte Rat nur noch bestätigt werden sollte. 378 Der ständige Wechsel, so die Begründung, sei lichferig und eine Verstetigung umso statbarlich und fruchbarlicher.  379 Was lässt sich nun aus medialer Perspektive aus diesen Ausführungen zur Ratsbesetzung gewinnen? Die Forschung zu Stadt- und Rechtsbüchern hat in den letzten Jahren eine Wende von der Erarbeitung ihrer textlichen Inhalte und Rezeption hin zu Fragen nach Gebrauchslogiken und nach der medialen und materiellen Bedeutung dieser Codizes vollzogen. Den Rechtsbüchern als Kom‐ pilationsobjekten kamen dabei ganz unterschiedliche Funktionen zu: Sie sind nicht nur textuelle Referenzwerke in Gerichtsfällen, sondern auch auratische Medien der Sichtbarmachung von Autorität und Recht. 380 A R N D M IHM betont zur Etablierung von städtischen Rechtskompilationen zwei Punkte, die am Bieler Beispiel bestätigt werden können: Erstens sind es vor allem kleinere Städte, 145 2.1 Die Adressaten: Kommunale Ämter im kommunalen Schriftgut <?page no="146"?> 381 Vgl. A R E N D M I H M , Vom Dingprotokoll zum Zwölftafelgesetz. Verschriftlichung städti‐ scher Rechtstradition, in: Schriftlichkeit und Lebenspraxis. Erfassen, Bewahren, Verän‐ dern. Akten des Internationalen Kolloquium (8.-10. Juni 1995), hrsg. von Hagen Keller, Christel Meier und Thomas Scharff, München 1999, S. 43-67. die früh mit der Kompilation von Stadtrechtsaufzeichnungen beginnen. Und zweitens konnte M IHM zeigen, dass diese Zusammenstellungen hauptsächlich für den internen Gebrauch angelegt worden waren und daher zum Teil recht idiosynkratischen Ordnungsprinzipien folgten. 381 Die in jährlicher Wiederkehr stattfindende Bieler Regimentserneuerung mit Wahlen, Kirchgängen und Eid‐ schwüren gestaltete sich vor allem entlang ihrer symbolischen und rituell durchorchestrierten Performanzlogiken. Das kommunale Schriftgut, das über diese situativen, jedoch für die communitas konstitutiven Ereignisse hinaus überliefert ist, lässt sich in zwei Typen unterscheiden, die unterschiedliche mediale Funktionen erfüllten. Während das Konvolut der zu verlesenden briefe die Referenzbasis der kommunalen Privilegien und Rechte bildete und die bischöfliche Herrschaft präsent hielt, verzeichnete das Stadtbuch die in das Regiment involvierten kommunalen Akteure und deren Gestaltungsrahmen. Unter der Ägide des Bieler Stadtschreibers Ludwig Sterner wurden die Rats‐ wahllisten und die punktuellen Ausführungen zu den damit verbundenen Rügepflichtberichten, mit denen seine Vorgänger Peter und Hans Seriant um die Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen hatten, spätestens Anfang des 16. Jahrhunderts als Kompilation im Stadtbuch zusammengestellt. Die Ämter, ihre Besetzung und die Vereidigung ihrer Träger machen tatsächlich einen großen Teil des Dokumentenbuchs aus: Zum Rat gehörte, wessen Name notiert und vor versammelter Gemeinschaft vorgelesen worden war. Ab dem Zeitpunkt ihrer strukturellen Verschriftlichung wurde eine Wissensordnung etabliert, die mit Überprüfbarkeit und etwaiger Sanktionsbereitschaft funktional - aber eben auch intermedial - zusammenhing. 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung Nachdem der Exkurs über die Regimentswandlung das Panorama kommunaler Herrschaft und deren medialen Bedingungen anhand städtischer Kompilationen aufgezeigt hat, soll nun der Fokus auf die jeweiligen Amtsvorstellungen und -kompetenzen der in die Missivenkorrespondenz involvierten Instanzen gelegt werden. Dabei soll eine Perspektive eingenommen werden, welche die medialen 146 2 Der Meier und der Rat <?page no="147"?> 382 Die geschichtswissenschaftliche Forschung zu Eid, Schwur und Huldigung erscheint bisher noch kaum kulturwissenschaftlich aufgeklärt. Grundlegend dazu ist die Über‐ sichtsdarstellung von P A O L O P R O D I , der den Eid und dessen Bedeutungswandel in der abendländischen Verfassungsgeschichte untersucht und dabei einen grundsätzlichen Wandel zwischen Spätmittelalter und Neuzeit feststellt, wobei der Eid ab der Neuzeit vermehrt zur Kennzeichnung und Festsetzung von Souveränität und Gewaltmonopolen dient und den Gehorsam der vereinheitlichten Untertanengesellschaft herausstreicht, vgl. P A O L O P R O D I und J U D I T H E L Z E , Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997 sowie Glaube und Eid. Treu‐ eformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hrsg. von D E M S ., unter Mitarbeit von E L I S A B E T H M Ü L L E R -L U C K N E R , München 1993. Grundlegend zu Sprache und Eid vgl. G I O R G I O A G A M B E N , Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides, Berlin 2010. Dezidierter auf die Fragestellung dieses Kapitels bezogen ist die Studie von P E T E R B L I C K L E , Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft, Berlin 1993 sowie besonders auf die lange Entwicklung von Herrschaftsordnungen ausgerichtet ist A N D R É H O L E N S T E I N , Die Hul‐ digung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800), Stuttgart 1991. 383 Zur Bedeutung und Funktion des Eides für ständische Gesellschaften vgl. A N D R É H O L E N S T E I N , Seelenheil und Untertanenpflicht. Zur gesellschaftlichen Funktion und theoretischen Begründung des Eides in der ständischen Gesellschaft, in: Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft, hrsg. von Peter Blickle, Berlin 1993, S. 11-63. Bedingungen der Überlieferung von Amtseiden berücksichtigt. 382 Die Eide in ihrer heutigen Form als Sammlung verschriftlichter Eidtexte (Eidbücher) zeigen die normativen und konzeptionellen Vorstellungen auf, welche die jeweiligen Ämter prägten und deren Bezugspunkte das städtische Gemeinwesen wie die bischöfliche Landesherrschaft bildeten. 383 Es steht hier jedoch weniger die Zusammenstellung der jeweiligen Amtspflichten im Zentrum, sondern unter‐ sucht wird, ob man es in diesem erweiterten Schriftgutkontext der städtischen Ämteradministration ebenfalls mit einem Medienkomplex zu tun hat, der grundsätzlich auf Anwesenheitskommunikation basierende Herrschaftsprak‐ tiken mitvermittelte. In diesem Sinn soll der Blick auf die medialen Bedingungen dabei helfen, die Ämter in ihrer medialen Durchformung zu verstehen. Nur so kann die Missivenkorrespondenz, die sich entlang der Ämterorganisation von Rat und Meier aufspannte, sinnvoll herrschaftspragmatisch kontextualisiert werden. Die Eidsprüche sind für die meisten kommunalen Ämter in Biel überlie‐ fert. Sie wurden jedoch zu unterschiedlichen Zeiten verschriftlicht. Wie die Ausführungen zur Regimentserneuerung und die Wahllisten des Alten und Neuen Rates wurden auch die Wortlaute der Eide bereits in der zweiten Hälfte 147 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="148"?> 384 Vgl. hierzu vor allem StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, Eid der Bürgermeister, S. 127, Huldigungseid gegenüber Bf. Kaspar zu Rhein, S. 92, Eid des Kannengießers, S. 326 und weitere. Der Eid der Weibel ist in den Ratsprotokollen überliefert, vgl. StadtA Biel, 1, 229, CCCII, Ratsprotokolle 3, S. 28. Diese Eide liegen zudem in edierter Fassung vor, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Eid des Bürgermeisters, Nr. 93b, S. 138f., Huldigung, Nr. 102, S. 145-147 (in deutscher und französischer Sprache), Eid des Kannengießers, Nr. 113, S. 158. 385 Kommentare und Ergänzungen belegen den Gebrauch des Buches bis ins 17. Jahrhun‐ dert, vgl. StadtA Biel, CLXXXVIII 19. Sowohl das Inhaltsverzeichnis wie die einzelnen Eide sind von B L O E S C H in den Rechtsquellen von Biel ediert worden, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, S. 321-359. des 15. Jahrhunderts im Stadtbuch verzeichnet. 384 Obwohl der Stadtschreiber Ludwig Sterner (1510-1541) bereits ein speziell dafür konzipiertes Eidbuch zu initiieren suchte, liegt uns als systematische Sammlung erst das von seinem Nachfolger Johannes des Blois (1542-1570) zwischen 1557 und 1566 vervollstän‐ digte Exemplar vor. 385 Anhand des Vergleichs zwischen Stadt- und Eidbuch lässt sich ein grundlegender Wandel in der Form der Verschriftlichung feststellen. Anders als im Falle der im Stadtbuch notierten Eide des Meiers und der Räte aus dem 15. Jahrhundert wurde im Eidbuch Sterners nicht der Eid, wie er vorgelesen und geschworen wurde, verschriftlicht. Vielmehr nahm Sterner eine Zusammenfassung der Aufgaben und Pflichten der städtischen Angestellten 148 2 Der Meier und der Rat <?page no="149"?> 386 Vgl. dazu auch H O L E N S T E I N , Huldigung, hier S. 244. Neben diesen gebrauchslogischen Implikationen erweist sich das Eidbuch aber auch im Hinblick auf den zwischenörtli‐ chen administrationskulturellen Wissenstransfer als aufschlussreich, wie es sich am Beispiel des Läuferschwurs illustrieren lässt. Die im Eidbuch genannte Schwurformel des Läufers wurde erst Mitte des 16. Jahrhunderts von Johannes Des Bois aufgezeichnet, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, Eidbuch, Art. 18, Eid der laufenden Boten, S. 332. Das Original befindet sich im StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 19. Der Läuferschwur bezieht sich allerdings direkt auf die fragmentarische Sammlung der Bieler Eide durch seinen Vorgänger Ludwig Sterner. Ludwig Sterner vermerkte jedoch seinerseits zum Läuferartikel: hab ich von Fryburg brocht, vgl. dazu Anmerkung A in B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, Eidbuch, Art. 18, Eid der laufenden Boten, S. 332. Sterner war vor seiner Tätigkeit in Biel in Freiburg i. Ue., aus welcher Gegend er auch stammte, als Notar tätig gewesen. Sein Bieler Amt verdankte er dem Einsatz seines Freundes Hans Techtermann, der Sterner nach seiner Verurteilung wegen rechtswidriger Reisläuferei und dem Entzug des Freiburger Bürgerrechts nach Biel holte, vgl. dazu von Wyss, Sterner, Ludwig. Tatsächlich entspricht der Bieler Läufereid dem 1503 im Freiburger Eidbuch verzeichneten Eid der laufenden Boten fast wortwörtlich, vgl. hierzu StaFR, Livre auxiliaire 114, Eidbuch 3, fol. 36v. Der Freiburger Läufereid ist im Anhang von K L A R A H Ü B N E R s Dissertation abgedruckt: H Ü B N E R , Im Dienste, S. 292. Angepasst wurden lediglich die Amtsbezeichnungen der jeweils zuständigen Instanzen. So ist beispielsweise in Sterners Version nicht der Säckel-, sondern der Bürgermeister die zentrale Rapportinstanz. Zudem nennt der Freiburger Eid Reiter und Läufer, während in Biel nur Läufer erwähnt werden. Dies dürfte mit der Kostenfrage zusammenhängen. Einen berittenen Boten musste man sich leisten können, vgl. hierzu B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, Art. 18, Anmerkung a-c, S. 332. Der von Sterner mitgebrachte Freiburger Eid von 1503 schließlich - um die komplexen Kopierverhältnisse noch deutlicher zu beleuchten - nahm inhaltlich klare Anleihen beim bereits um 1483 angelegten Eidbuch der Stadt Freiburg, vgl. StaFR, Stadtsachen A 322, Eidbuch Ende 15. Jahrhundert, S. 54f. Auch dieser Eid ist in Anhang von K L A R A H Ü B N E R s Dissertation abgedruckt, vgl. H Ü B N E R , Im Dienste, S. 291f. In diesem Fall liegt der Schluss nahe, dass Biel sich bezüglich der Botenorganisation des Know-how einer größeren Stadt bediente und sich dieses zunutze machte. Damit schließen diese Beobachtungen zum Schrifthandeln über die Akteurschaft der Schreiber direkt an die Ausführungen zu Missiven und Missivenbücher an. Nicht nur Stadtschreiber, sondern auch andere kommunale Schriftexperten wie Notare nahmen Dokumente von früheren Tätigkeiten mit an neue Arbeitsorte, bezogen sich auf ihre älteren Arbeiten und sorgten damit für einen regen, in der Forschung wohl nach wie vor unterschätzten regionalen Austausch und Wissenstransfer im Umgang mit Verwaltungsakten. vor. Das Eidbuch war nicht mehr Lesevorlage für die Performanz der Stadt am Schwurtag, sondern fungierte als systematisches Verzeichnis der Ämter. 386 Die folgenden Ausführungen sollen die Grundlage bilden, die in der bischöf‐ lichen Missivenkorrespondenz adressierten Instanzen - Meier und Kleiner Rat - anhand der konzeptionellen Anlage ihrer Eide im städtischen Gefüge zu fassen. Dabei stellt sich zudem die Frage, ob sich allenfalls grundsätzliche Konzeptionen von „Amt“ und damit verbundenen Aufgaben ausmachen und wie sich diese im forschungsgeschichtlichen Kontext der politischen Verfasstheit von Gemein‐ 149 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="150"?> 387 Eine gute Zusammenfassung der Forschung zum ‚Gemeinen Nutzen‘ bietet G E R D S C H W E R H O F F , Apud populum potestas? Ratsherrschaft und korporative Partizipation im spätmittelalterlichen Köln, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Klaus Schreiner und Ulrich Meier, Göttingen 1994, S. 188-243. 388 Zum Begriff ‚Gemeiner Nutzen‘ vgl. P E T E R H I B S T , Utilitas Publica, Gemeiner Nutz, Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffes von der Antike bis zum späten Mittelalter, Frankfurt a. M. 1991. Für fundierte und in großem Rahmen angelegte Untersuchungen sei auf die Forschungsberichte der interdisziplinären Ar‐ beitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verwiesen, hierzu vgl. Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, hrsg. von H E R F R I E D M Ü N K L E R und H A R A L D B L U H M , Berlin 2001; Gemeinwohl und Gemeinsinn. Zwischen Normativität und Faktizität, hrsg. von D E N S ., Berlin 2002; Gemeinwohl und Gemeinsinn. Rhetoriken und Perspektiven sozial-moralischer Orientierung, hrsg. von D E M S . und K A R S T E N F I S C H E R , Berlin 2002 sowie Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht. Konkretisierung und Realisierung öf‐ fentlicher Interessen, hrsg. von D E N S ., Berlin 2002. Für eine dezidiert anhand eines mit‐ telalterlichen Fallbeispiels angegangene Untersuchung vgl. Für den gemeinen Nutzen. Politisches Handeln und Politikverständnis von Rat und Bürgerschaft in Augsburg im Spätmittelalter, hrsg. von J Ö R G R O G G E , Tübingen 1996. 389 Für die Verortung des Gemeinen-Nutzen-Konzepts in der (politischen) Philosophie des 13. und 14. Jahrhunderts vgl. M A T T H E W S . K E M P S H A L L , The Common Good in Late Medieval Political Thought, Oxford 1999. schaften respektive Kommunen verorten lassen. In einem ersten Schritt wird die Grundkonzeption der jeweiligen Ämter anhand der überlieferten Eidsprüche herausgearbeitet, bevor im darauffolgenden Schritt die Amtspraxis und der Prozess der Kompetenzaushandlung über Missiven erschlossen wird. Der statt nutzen und ere Die anlässlich der Bieler Regimentswandlung geschworenen Eide bezogen sich auf den übergeordneten kommunalen Zweck, der statt nutzen und ere zu dienen. 387 Dieser Bezug auf den „Gemeinen Nutzen“ 388 ist ein wiederkehrendes Motiv kommunaler Vergemeinschaftung, das eines der Schlüsselkonzepte in der politiktheoretischen und kommunalgeschichtlichen Forschung darstellt. 389 Die bis lange überwiegend staatstheoretisch angelegten Deutungen des Begriffs betonten dabei den umfassenden Ordnungscharakter des Gemeinwohls bezüg‐ lich eines in irgendeiner Form konzipierten „Staates“. Während von M ÜN K L E R und B L U HM der Gemeine Nutzen vor allem als politische Leitidee zur Legiti‐ mationsgrundlage für kommunale (Neu-)Ordnungen und für den Stadtfrieden 150 2 Der Meier und der Rat <?page no="151"?> 390 Vgl. H E R F R I E D M Ü N K L E R und H A R A L D B L U H M , Einleitung. Gemeinwohl und Gemeinsinn als politisch-soziale Leitbegriffe, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Seman‐ tiken politischer Leitbegriffe, hrsg. von dens., Berlin 2001, S. 9-30. 391 A N D R E W B R O W N betont beispielsweise, dass Ritualtheorien nur begrenzt auf Ereignisse angewendet werden können, da sie sich oft als zu statisch erweisen. Seinem Konzept der „civic ceremony“ liegen drei Beobachtungen zugrunde. Erstens sind Zeremonien immer auch ein Moment der Unsicherheit in der Konsolidierung gesellschaftlicher Ordnung. Die Wirkung und die Eigendynamiken von Zeremonien, wie beispielsweise der Heilig-Blut-Prozessionen, können nie vollständig kontrolliert oder vorhergesehen werden. Zweitens besteht eine enge Verknüpfung zwischen liturgischem Symbol- und Zeichenwissen der Kirche und dessen Übernahme in politisch-gesellschaftliche Zeremonien. Dabei handelt es sich aber nicht einfach um eine Entwicklung, sondern um einen kontinuierlichen Bezug der religiösen, gesellschaftlichen und politischen Bereiche aufeinander. Drittens gilt es, statische Ritualtheorien nicht einfach auf histo‐ rische Ereignisse zu beziehen, sondern den Dynamiken und der Prozesshaftigkeit der Zeremonien Rechnung zu tragen. Vgl. A N D R E W B R O W N , Civic Ceremony and Religion in Medieval Bruges c.1300-1520, New York 2011. 392 B A R B A R A S T O L L B E R G -R I L I N G E R , Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Be‐ griffe - Forschungsperspektiven - Thesen, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489-527, hier S. 504. 393 Für die Bedeutung von Wahlen und kommunalem Gemeinsinn vgl. zudem H A G E N K E L L E R , Wahlformen und Gemeinschaftsverständnis in den italienischen Stadtkom‐ munen (12./ 14. Jahrhundert), in: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hrsg. von Reinhard Schneider und Harald Zimmermann, Sigmaringen 1990, S. 345-374. 394 Vgl. P E T E R B L I C K L E , Der Gemeine Nutzen. Ein kommunaler Wert und seine politische Karriere, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbe‐ griffe, hrsg. von Herfried Münkler und Harald Bluhm, Berlin 2001, S. 85-108, hier vor allem S. 86-89. im Spätmittelalter bestimmt wird 390 , konzentrieren sich neuere Ansätze wie zum Beispiel A N D R E W B R O WN s Arbeit zur kommunalen „civic ceremony“ im spätmittelalterlichen Brügge auf die dynamische Prozesshaftigkeit sozialer Praktiken, wie sie in religiösen Prozessionen oder Regimentserneuerungen fassbar werden. 391 Diese Perspektive ermöglicht es, den Gemeinen Nutzen als Aushandlungsfeld gesellschaftlicher Gruppierungen und Machtkonstellationen zu verstehen, die sich in den sozialen Praktiken fassen lassen. In diesem Zusam‐ menhang schufen die Eide als jährlich wiederkehrende Rituale „einen größeren Ordnungszusammenhang“ 392 , der durch die Wiederholung und Performanz wiederum gefestigt wurde. 393 P E T E R B LI C K L E hat für eine Annäherung an den Begriff des Gemeinnutzes im städtischen Raum das Beispiel Basel herangezogen. 394 Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts findet sich hier der Ausdruck gemeiner nutzen und tritt in dieser Verwendung vor allem im Schriftkontext von Friedensbemühungen auf. Dabei wurde der Gemeine Nutzen dann als Stadtnutz präzisiert, wenn sich 151 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="152"?> 395 Vgl. ebd., S. 87. 396 Vgl. ebd., S. 88. 397 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 125. 398 J O S E P H M O R S E L sieht in Begriffen wie „Gemeinschaft“, „Bevölkerung“ oder „Stadt“ eine Verkürzung, wenn es darum gehen soll, wie eine Gemeinschaft sich selbst erlebte. Er geht von einer „communauté d’habitants“ aus, die sich räumlich orientierte. Der Begriff der „habitants“ ermöglicht es M O R S E L , das Bewohnen als komplexe räumliche und soziale Praktik zu verstehen, die kategoriale Setzungen wie Bevölkerung, Kirchsprengel etc. nicht zu fassen vermögen, vgl. dazu J O S E P H M O R S E L , Les logiques communautaires entre logiques spatiales et logiques catégorielles (XIIe-XVe siècles), in: Bulletin du centre d’études médiévales d’Auxerre 2 (2008), S. 2-20. 399 Besonders deutlich zeigt sich die sich diversifizierende Ämterlogik in H Ü B N E R s Disserta‐ tion zu Boten- und Nachrichtenorganisationen. So verstanden die spätmittelalterlichen Boten, welche die Briefe der Ratsleute durch die Lande trugen, ihren Auftrag „im Dienste ihrer Stadt“, vgl. H Ü B N E R , Im Dienste. der Text auf den städtischen Bezirk bezog. 395 Im 15. Jahrhundert schließlich wird der Gemeine Nutzen zur „umfassenden Begründungsfigur der gesamten städtischen Innenpolitik, ja der städtischen Verfassung schlechthin“. 396 Für Biel, eine Stadt in engem Austausch mit Basel, kann man anhand der vorliegenden Eidtexte eine ähnliche Verwendung beobachten. Im selben Zeitraum, also im Laufe des 15. Jahrhunderts wird der statt nutzen und ere zu einem Referenzpunkt der kommunalen Ordnung und der Legitimierungs- und Ausrichtungshorizont der Ämter und Führungsgremien. In den Eiden aller Gremiumsmitglieder und Amtleute des Bieler Stadtregiments ist entsprechend der Ausschluss persönli‐ cher Motive zu finden, seien es freundschaftliche, verwandtschaftliche oder damit verbundene wirtschaftliche. Die Rechte der Stadt sollen weder umb liebi, früntschafft, gunst, nyd, hasse, myet, myetwan noch umb kein ander ding  397 beeinträchtigt werden. Die Verschriftlichung der Eide im ausgehenden Mittelalter zeugt von einer sich verstetigenden Vorstellung davon, was ein Amtmann leisten sollte und durfte. Ämter wurden festgeschrieben, dazu leisteten die Schreiber, ihr Ord‐ nungswissen und ihre Kompetenzen im Umgang mit Medien einen entschei‐ denden Beitrag. Die schriftliche Konzeptualisierung der Ämter geht dabei mit der Konzeptualisierung der Stadt einher, die sich nicht zuletzt auch in Schrift‐ guttypen wie dem Stadtbuch niederschlug. Die „Stadt“ zeigt sich dabei nicht in erster Linie als Lebenswelt ihrer Bewohnerinnen und Bewohner 398 , sondern als Bezugsgröße und Legitimationsgrundlage unterschiedlicher Akteure, im Besonderen der sich diversifizierenden und professionalisierenden städtischen Ämter. 399 Im Bieler Fall erhellt der sogenannte Meieramtsstreit - auf den an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird - die Bedeutung der unterschied‐ 152 2 Der Meier und der Rat <?page no="153"?> 400 Vgl. dazu etwa die Missive von Bischof Kasper zu Rhein, in der er die Bieler ermahnt, den zwischenzeitlich eingesetzten Statthalter anzunehmen: gepieten wir uch allen und ieglichen insonders by uwern glubden und eiden, so ir uns gesworen hand, StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 295 (20. Juni 1494). 401 Erwähnt wird in einer Urkunde ein villicus dominus Henricus de Biello, vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 10. 13 und 34f. Vgl. zudem W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen, S. 68f. 402 Vgl. B L O E S C H , Einleitung, S. XXI. 403 Einzig Hermann von Nidau stammte nicht aus dem Geschlecht derer von Biel. Er amtete von 1259 bis wahrscheinlich 1267 als Bieler Meier, vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 123. lichen Schriftlichkeitsmedien in Bezug auf ihre kommunale respektive bischöf‐ liche Referenzlogik. Die Frage, ob nur Stiftadelige als Meier bestallt werden sollten, führte in den 1490er-Jahren zu einem langwierigen Streit zwischen der Stadt Biel und Bischof Kaspar zu Rhein. Zwar wurde bei Auseinanderset‐ zungen von bischöflicher Seite aus durchaus auf die geleisteten Eide Bezug genommen, jedoch zählte in diesem Kontext die Eidleistung der Bieler an sich, nicht der Inhalt der Eide. 400 Im Gegensatz zu den aus kommunaler Logik heraus verfassten Eidtexten konnte folglich die übergeordnete Referenz auf der statt nutzen und ere nicht in Anschlag gebracht werden. Die durch die Verwaltungsschriftlichkeit geförderte kommunale Ordnung tendierte also zu einer übergeordneten kollektiven Bezugsgröße ‚Stadt‘, während aus bischöfli‐ cher Perspektive die performativ vollzogene Eidesleistung für den geschuldeten Gehorsam die entscheidende Referenz blieb. Medialitätshistorisch gewendet zeitigten die unterschiedlichen Formen der Verschriftlichungskontexte je spe‐ zifische Konsensmöglichkeiten. Die Eide ermöglichten Konsensbildung durch ihre Rückbindung an die während der Regimentserneuerung referenzierten briefe als Sammlung der städtischen Freiheiten. Das gleiche, inhaltlich zunächst nicht weiter definierte Konvolut bestimmte auch in der bischöflichen Referenz auf die geleisteten Eide den Spielraum des eingeforderten Gehorsams. Der Eid des Meiers In Biel ist ein bischöflicher Meier (villicus) zwar seit 1227 dokumentiert, die Herkunft dieses Amtes ließ sich jedoch bislang nicht klären. 401 Es liegt allerdings nahe, dass sich die Etablierung Biels als Stadt ab dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts zeitlich parallel zur Entwicklung des Meieramts vollzog. 402 Ab den 1230er-Jahren wurde ein bischöflicher Amtmann als Meier eingesetzt. Bis Ende des 13. Jahrhunderts stammten bis auf eine Ausnahme alle Meier aus dem Geschlecht derer von Biel. 403 Nachdem diese das Amt verloren hatten, wurde 153 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="154"?> 404 Der Rat in Biel ist seit 1252 urkundlich erwähnt, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Einleitung, S. XXI. 405 Die Stadt und ihre äußeren Ziele Bözingen, Leubringen und Vingelz bilden einen Teil der Herrschaft, das Meiertum im Erguel und am See (Ligerz, Twann, Tüscherz und Alfermee). 406 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Einleitung, S. XXIV. 407 Vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 125f. Inhaltlich und sprachlich kaum verändert findet sich der Eid in der Sammlung Sterner sowie im Eidbuch (1557-1566), vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, S. 324f. 408 Vgl. ebd., S. 323. 409 Vgl. ebd. 410 Vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 126. es grundsätzlich an Ministeriale des Bischofs vergeben. Ebenfalls ab dieser Zeit findet sich in kommunalen Angelegenheiten, meist in Kombination mit dem Rat, die Erwähnung des Meiers. 404 Sein Aufgabenbereich umfasste die Ausübung der bischöflichen Rechte in der Stadt und im Meiertum Biel. 405 Der Meier stand als Amtmann im Namen des Bischofs den Bieler Führungsgremien vor und hatte sowohl im Rat wie im Gericht den Vorsitz ohne Stimmrecht inne. 406 Damit nahm der Meier in der Stadt und Herrschaft Biel eine Position ein, die sich am ehesten als zentrale Schnittstelle zwischen kommunalen und bischöf‐ lichen Interessen beschreiben lässt. Als direkter Adressat der bischöflichen Missiven wird sein Aufgabengebiet und seine Funktion in der herrschaftlichen Kommunikation in den folgenden Unterkapiteln systematisch erläutert werden. An dieser Stelle soll zunächst das Amtsverständnis vorgestellt werden, wie es sich in kommunaler Perspektive darstellte. In Seriants Stadtbuch war der Eid des Meiers spätestens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schriftlich fixiert worden. 407 In der Wahlordnung folgte der Eid des Meiers direkt auf denjenigen des Alten Rates, der gemäß der Regimentserneuerungschoreografie zuvor wiederum dem Meier in nammen unsers gnedigen herren von Basel  408 Gehorsam geschworen hatte. Die grundsätzliche Ausrichtung des Amtes entsprach derjenigen anderer städtischer Ämter, indem es auf die Mehrung von nutz unnd ehere  409 der Stadt und auf Abwehr von Schaden hin angelegt war. In dieser Anlage wird eine Vorstellung von Amt deutlich, die dieses in den Dienst des bonum commune, des städtischen Gemeinwohls stellte. Folgerichtig leistete der Meier denn auch seinen Eid gegenüber dem Alten Rat und der Gemeinde gleichsam als Verkör‐ perung dieses städtischen Kollektivs. Weiter wurde der Meier verpflichtet, sein Amt durch des bloßen rechten willen  410 nach bestem eigenem Vermögen einerseits und moralisch-religiöser 154 2 Der Meier und der Rat <?page no="155"?> 411 Vgl. dazu den Artikel zu Gerichtswesen im Handwörterbuch der deutschen Rechtsge‐ schichte, vgl. K A R L K R O E S C H E L L , Art. Gerichtswesen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1545-1576. 412 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 126. 413 Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch (DRW), Bd. I, Weimar 1914-1932, Sp. 822-823. Zu den Amtsprinzipien Treue und Parteilichkeit sowie der Differenzierung von arm/ reich in diesem Kontext vgl. auch W O L T E R , Amt und Offizium, hier vor allem S. 274-276. 414 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 126. Gewissenhaftigkeit andererseits auszuführen. Im Gegensatz zu anderen eher funktional angelegten Ämtern - wie etwa dasjenige des Stadtschreibers - wird der Meier nicht etwa nach seinem verstandt, also nach seinem professionellen Wissen und seiner Auffassungsgabe, beurteilt, sondern nach seinem vermögen, also der persönlichen Fähigkeit und Leistungsbereitschaft. Nach der allgemein gehaltenen Amtskonzeption zu nutzen und ere der Stadt und zur Abwendung jeglichen Schadens folgen im Eidtext Präzisierungen bezüglich der Aufgaben des Meieramtes. Zunächst sollte der Meier als Stell‐ vertreter des bischöflichen Stadtherrn zu Gericht sitzen. Dass die Rechtsspre‐ chungskompetenz als erstes erwähnt wird, erstaunt insofern nicht, als dass sich hierin auch die ältesten Herrschaftsrechte (Gerichtswesen) begründeten und die Gerichtssitzungen des Rates zum zentralen Aufgabenbereich städtischer Führung gehörten (Friedenssicherung). 411 Als Vorsitzender des Ratsgerichts saß der Meier sowohl dem armen und dem richen  412 vor. Die Wendung be‐ zeichnet dabei weniger eine auf Vermögenswerten basierende Unterscheidung als vielmehr eine ständische Kategorisierung. 413 Wie bei den anderen Amts‐ eiden musste der Amtsinhaber schwören, unparteiisch gemäß den rechtlichen Bestimmungen zu richten und keine Bestechungsgelder (myett) zu nehmen. Erst nach dieser grundsätzlichen Klausel zu Redlichkeit und Korruption folgen weitere Umschreibungen der meierlichen Aufgabenbereiche. Eventuell deutet diese Abfolge darauf hin, dass das Amt des Meiers ursprünglich in erster Linie als stellvertretendes Richteramt verstanden wurde und weitere Aufgabenfelder erst nachträglich in den Eid aufgenommen wurden, vor allem nachdem der Stadt durch bischöfliche Privilegienvergabe Kompetenzen übertragen worden waren. Dem Meier oblag es weiter, die städtischen Freiheiten und Rechte zu wahren. Aufschlussreich ist hier die Formulierung ze hant haben und helffen ze hantha‐ benn.  414 Es zeigen sich also bereits in der Eidesformulierung spätestens ab dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts Einschränkungen der Stellung des Meiers innerhalb der Stadt, die sich in der Praxis bereits vorher abgezeichnet hatten und immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten zwischen dem Bieler Rat und dem Basler Bischof gewesen waren. Auf diese sich wandelnde Vorstellung vom Meieramt sowohl aus kommunaler wie landesherrlicher Sicht wird allerdings 155 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="156"?> 415 Zusätzlich zur Richterfunktion und der Einbindung in die städtische Politik wurde dem Meier die Oberaufsicht über die städtischen Bauten übertragen. Zum kommunalen Bauwesen in eidgenössischen Städten, exemplarisch für Bern, vgl. R O L A N D G E R B E R , Öffentliches Bauen im mittelalterlichen Bern. Verwaltungs- und finanzgeschichtliche Untersuchung über das Bauherrenamt der Stadt Bern 1300 bis 1500, Bern 1994. 416 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 126. 417 Zur Soziologie des „Ratsmannes“ vgl. I S E N M A N N , Ratsliteratur, hier vor allem S. 259ff. später noch ausführlicher eingegangen. Im Gebiet des Meieramts Biel übernahm der Meier zudem lokale Herrschaftsrechte des Bischofs, die im Meiereid, den er gegenüber der Stadt schwören musste, entsprechend nicht erwähnt wurden. In diesem Herrschaftsbereich war die Kompetenzenausscheidung zwischen der Stadt Biel und dem bischöflichen Meier immer wieder Teil eines Aushandlungs‐ prozesses. Dabei zentrierten sich die Konfliktfelder um Fragen des Bannerwe‐ sens, des Burgrechts, der Einnahmen und Abgaben. Im Eidestext schlug sich also nieder, was in der Praxis bereits vollzogen wurde. 415 Weitere Präzisierungen fehlen und in der Folge wurde nur noch darauf verwiesen, dass ze heben was ze heben ist und den brieffe, so da gelesen ist, steten zu halten in aller wise und masse als er inne haltet und von alter har komen ist. 416 Grundsätzlich zeugen diese Eidesformeln von einem gewissen Spielraum, was die Aufgaben und Kompetenzen des Meiers anbelangte. Auf der einen Seite galt es einzuhalten, worauf man sich als Führungsgremium geeinigt hatte und was seit geraumer Zeit entsprechend gehandhabt wurde, während andererseits wiederum auf die brieffe als Schriftstückkonvolut verwiesen wurde. Dabei handelte es sich wohl einmal mehr um die am Schwurtag vorgelesenen Privilegien, Stadtsatzungen und weitere für wichtig befundene Urkunden. Der Eid der Räte: alt und neu Beide Räte, der Alte und der Neue, gehörten als Kleiner Rat zusammen mit dem Meier zu den Hauptadressaten der bischöflichen Missiven an Biel. 417 Bezüglich der spezifischen Eidinhalte zeigen sich im Wortlaut einige Unterschiede, die in der Ratsstruktur angelegt sind. Der Alte Rat, dessen Eid den Schwurtag eröffnete, schwor dem Bischof, vertreten durch den Meier, Gehorsam, der Junge Rat dann wiederum dem Alten Rat und dem Meier. Diese Eide setzen jedoch nicht Nutzen und Ehre der Stadt als Handlungszweck, sondern beziehen sich auf den Herrn von Basel, den Bischof. Der Schwurtag als Konstituierung städtisch-ständischer Ordnung setzte von Beginn an die Rahmung mit der bischöflichen Stadtherrschaft voraus und auch im 16. Jahrhundert stand im 156 2 Der Meier und der Rat <?page no="157"?> 418 Im Eidbuch von 1557 und 1566 ist denn auch der Wortlaut geändert und der Rat schwört dem Meier in nammen unsers gnedigen herren von Basel unnd der statt Byell trüw und hold zesindt, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, S. 323. 419 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 125. 420 StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 125. 421 Vgl. dazu auch Kapitel 1 zum Schriftgebrauch. Eidestext als erstes der Gehorsam gegenüber dem bischöflichen Herrn und erst darauf folgte derjenige gegenüber der Kommune. 418 Als zentraler Aufgabenbereich neben der Wahrung der Stadtrechte und -freiheiten wurde im Eid des Alten Rates die Urteilsfindung im Ratsgericht genannt. Auffällig ist der Wortlaut bei der Formulierung der Aufgaben. So oblag es nämlich den Alträten, fûrbringen und ze leyden, was fûrbringen und ze leyden ist. 419 Damit ist die Verantwortung der Alträte angezeigt, etwaige Verstöße, Unrechtmäßigkeiten und Vergehen öffentlich anzuzeigen. Diese Funktion der Alträte gleichsam als Kontrollorgan von Frieden und Recht des Gemeinwesens wurde bereits im Rahmen der Ratswandlung hervorgehoben. 420 Der städtische Rat als komplexes, durch gegenseitige Kontrollen und Legiti‐ mierungsfunktionen verschränktes Führungsgremium der Kommune ist damit kaum in seiner Gänze erfasst. Dafür müsste eine separate, systematisch ange‐ legte Studie durchgeführt werden. Das Nebeneinander von Eidbeziehungen, die dem städtischen Gemeinwohl verpflichtet waren, auf der einen Seite und sol‐ chen, die sich zum Gehorsam gegenüber der bischöflichen Herrschaft verpflich‐ teten, auf der anderen rückt die scheinbar eindeutige Adressierung der Missiven in ein anderes Licht: Hinter den im gesamten Untersuchungszeitraum konstant bleibenden Adressaten ‚Meier‘ und ‚Rat‘ verbargen sich Zuständigkeits- und Entscheidungsspielräume, die historisch kontingenten Machtverhältnissen und Aushandlungsprozessen unterlagen. 421 Zudem konnte in der bischöflichen Mis‐ sivenkorrespondenz auf die geleisteten Eide Bezug genommen werden. Dabei wurde jedoch kaum intertextuell argumentiert, sondern intermedial auf den Akt der Schwurleistung. Analog zu der Kollektivbezeichnung brief, die als Medienensemble eine kollektiv geteilte Referenzbasis bildeten, fungierte auch der Verweis auf den geleisteten Eid als geteilter Bezugsrahmen des Gehorsams gegenüber dem Bischof, der selten spezifiziert, jedoch immer wieder angemahnt werden musste. 157 2.2 Amt und Eid - die städtischen Ämter und ihre Verschriftlichung <?page no="158"?> 422 In den letzten Jahren ist das Interesse an diesen Schnittstellenämtern und Vermittlerpo‐ sitionen gewachsen, lassen sich doch anhand dieser „power brokers“ Erkenntnisse über die Machtverhältnisse und Herrschaftsordnungen in lokalen Herrschaftsstrukturen gewinnen, vgl. hierzu H E S S E , Amtsträger; Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Die Rolle von Funktions- und Führungsgruppen in der mittelalterlichen Urbanisierung Zentraleuropas (Internationale Tagung, Kiel, 23.-25.11.2011), hrsg. von E L I S A B E T H G R U B E R et al., Innsbruck 2013 sowie S T E F A N B R A K E N S I E K , Lokale Amtsträger in deutschen Territorien der Frühen Neuzeit. Institutionelle Grundlagen, akzeptanzorientierte Herr‐ schaftspraxis und obrigkeitliche Identität, in: Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Ronald G. Asch und Dagmar Freist, Köln 2005, S. 49-67. Zu Vögten und deren Rezeption vgl. S I M O N T E U S C H E R , Böse Vögte? Narrative, Normen und Praktiken der Herrschaftsdelegation im Spätmittelalter, in: Habsburger Herrschaft vor Ort - weltweit (1300-1600). Beiträge einer Tagung auf Schloss Lenzburg bei Zürich, 9. bis 11. Oktober 2008, hrsg. von dems., Claudia Moddelmog und Thomas Zotz, Ostfildern 2013, S. 89-108. Hier findet sich auch eine gute bibliographische Übersicht zur Herrschaftsdelegation. 423 Zur Herrschaftsdelegation vgl. vor allem C A S T E L N U O V O , Offices sowie D E R S ., Regionale Fürstentümer und territoriale Organisation in den Westalpen: Savoyen (frühes 13. bis frühes 15. Jahrhundert), in: Hochmittelalterliche Territorialstrukturen in Deutschland und Italien, hrsg. von Giorgio Chittolini und Dietmar Willoweit, Berlin 1996, S. 81-92. 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen: Der Bieler Meier zwischen Anwesenheitsherrschaft und Abwesenheitskommunikation Die vorangegangenen Ausführungen zu Regimentswandlung und Konzeption der städtischen Gremien und Ämter anhand des Stadtbuchs und der verschrift‐ lichten Eide haben zunächst exkurshaft von den Missiven weggeführt. Sie haben jedoch die Grundlage geschaffen, die Ämter nun gleichsam in ihrer Praxisum‐ setzung, nämlich als Adressaten der Missivenkommunikation, anzugehen. Die Vorstellung von bischöflicher Herrschaft, meierlicher Stellvertreterschaft und die kommunale Konstituierung als ‚Stadt‘ bieten die nötigen Referenzpunkte, um zu verstehen, durch welche Semantiken und Praktiken der Austausch und die Verbundenheit der verschiedenen Gremien und Ämter mit und durch die bischöflichen Missiven geprägt wurden. Das abschließende Unterkapitel muss sich daher mit der zentralen perso‐ nalen und medialen Schnittstelle zwischen bischöflicher und lokaler städtischer Herrschaft auseinandersetzen: dem Meier. 422 Anhand des Amts des Meiers und den damit verbundenen Kompetenzen, Besetzungsstrategien und Konflikten lassen sich Einschätzungen zur Einflussnahme des Bischofs und damit auch zur Machtverteilung zwischen diesem und dem Rat treffen. Denn Herrschaft, so hat es die Forschung der letzten Jahre deutlich gemacht, gestaltete sich vor allem in ihrem lokalen Vollzug als Herrschaftsdelegation. 423 Das sich zwischen dem 158 2 Der Meier und der Rat <?page no="159"?> Einen stärker sozialgeschichtlich gelagerten Ansatz findet sich bei S T E F A N B R A K E N S I E K , vgl. B R A K E N S I E K , Herrschaftsvermittlung. 424 Vgl. dazu die im Bieler Stadtarchiv fast ausnahmslos überlieferte Meieramtsbriefserie, StadtA Biel 1, 55, LXXXV (Meieramtsbriefe 1381-1522). 425 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 99 (12. Februar 1423). 14. und frühen 16. Jahrhundert wandelnde Meieramt kann - so die These - direkt mit der konsequenten Intensivierung und Etablierung der Missivenkor‐ respondenz in Verbindung gebracht werden, denn im fortwährenden Vollzug der Kommunikation zwischen Bischof, Meier und Rat lassen sich Gestaltungs- und Adaptionsspielräume ablesen, die sich in den (verschriftlichten) Eiden nicht direkt zeigten. Dazu werden die überlieferten Missiven mit den ebenfalls seriell überlieferten Meierbestallungsbriefen in Beziehung gesetzt. 424 Anhand konkreter Beispiele wird im Folgenden diskutiert, wie es um das Verhältnis von Missiven und Amt bestellt ist. Dabei zeichnete die Missivenkommunikation die Ämterstruktur nicht lediglich nach, sondern sie generierte Effekte, die wiederum auf Amtskonzeption und -praxis zurückwirken konnten. Aus dieser Perspektive wird das medial vermittelte Zusammenspiel von Amtsvorstellung und Kompetenzregelung in seiner Prozesshaftigkeit beschreibbar. Das Meieramt, so wurde bereits in der Einleitung ausgeführt, bietet sich als Untersuchungsgegenstand besonders gut an, da es sich um eine herrschaftliche Schnittstelle handelt. Als Herrschaftsvertreter des Bischofs vor Ort und Macht‐ träger innerhalb der städtischen Führung repräsentierte sein Amt mehrere, oft gegenläufige Interessen. Dabei kann der Meier als Stellvertreter, Verbindungs‐ stelle, Vermittlerfigur oder auch lokaler powerbroker auftreten. Interferenzen, Ambivalenzen und Brüche zwischen der konzeptionellen Anlage des Amtes und seiner praktischen Ausübung lassen sich hier, an der Scharnierposition zwischen Bischof und Stadt, zwischen lokaler Präsenz und stadtherrlicher Absenz und auch zwischen städtischer und landschaftlicher Herrschaft besonders gut fassen. Als etwa der Meier Jakob von Wildenstein 1423 in La Neuveville gefangen genommen wurde, schickte der Basler Bischof an Biel eine Missive und nannte ihn Jacob von Wildenstein, unser und uewer meyger. 425 In dieser Doppelung der Amtszugehörigkeit wird explizit zum Ausdruck gebracht, wie das Amt als Scharnierposition zwischen den unterschiedlichen Interessen verstanden wurde: als bischöflicher und Bieler Meier. In diesem Sinne wird im Folgenden die These geprüft, ob es sich bei dem Bieler Meier um eine Figur der Anwesenheits‐ herrschaft handelt, die wiederum in besonderem Masse Abwesenheitskommu‐ nikation vermitteln musste. Während im 13. Jahrhundert der lokale Familienverbund der Herren von Biel das Meieramt fast ausschließlich für sich beanspruchen konnten, wurden 159 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="160"?> 426 Zum Geschlecht der Herren von Biel vgl. B L O E S C H , Synopsis. 427 Vgl. A L F R E D D ’A M M A N , Histoire de la seigneurie de La Roche, in: Annales fribourge‐ oises 21 (1933), S. 145-164. 428 Zu der Adelsfamilie de Pleujouse vgl. W E R N E R M E Y E R , Burgenbau, Siedlungsentwick‐ lung und Herrschaftsbildung im Jura in der Zeit um 1000, in: La donation de 999 et l’histoire médiévale de l’ancien évêché de Bâle, hrsg. von Jean-Claude Rebetez, Porrentruy 2002, S. 71-100, hier S. 91-93. 429 Gerhard von Wippingen folgte seinem Onkel Otto von Grandson 1309 auf den Basler Bischofsstuhl, wobei er erst sich erst 1311 nach einem zweijährigen Schisma gegen das Stift durchsetzen konnte, vgl. M A R K U S R I E S , Gerhard von Wippingen, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198-1448. Ein biographisches Lexikon, hrsg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 62. 430 Zu den von Neuenstein vgl. W E R N E R M E Y E R , Burgen von A bis Z, hrsg. von den Burgenfreunden beider Basel aus Anlass ihres 50jährigen Bestehens, Basel 198, hier S. 161 und 194-196. 431 Vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 123. 432 F R A N C I S S T E U L E T , Les nobles de Tavannes, in: Intervalles 89 (2011), S. 19-23. 433 1355 folgte Jean de Vienne auf Hugues de Vienne als Erzbischof von Besançon. Nach Streitigkeiten mit der Stadt wurde er 1361 erst nach Metz und 1365 nach Basel versetzt. In Basel wandte er sich kurze Zeit später sowohl gegen die Stadt Basel als auch das Kapitel und versuchte sich für Nidau kriegerisch gegen lokale Adelsfamilien (Kyburger, Thierstein) sowie gegen die Stadt Bern durchzusetzen. Dabei wurde auch Biel involviert. Während des Schismas von 1378 unterstützte Bischof Jean de Vienne den Gegenpapst Clemens VII. im Avigneser Exil und wurde von Papst Urban VI. exkommuniziert. Schließlich wurde 1378 Wolfhart von Erenfels als Administrator des Basler Bistums eingesetzt, vgl. HS I, 1, S. 188-189. ab 1300 Mitglieder ministerialrespektive niederadliger Familien aus der Um‐ gebung ins Meieramt eingesetzt. 426 Dabei wechselte die Ministerialenfamilie, die die Meier stellte, im Schnitt alle fünf bis sechs Jahre. So zum Beispiel die de La Roche, die sich ab 1308 als bischöfliche Vasallen belegen lassen und deren Vertreter Burchardus de Rupe kurz darauf, nämlich 1311, Meier in Biel wurde 427 , oder die Familie de Pleujouse, deren Schloss Ende des 13. Jahrhunderts an den Basler Bischof fiel. 428 Mit Johannes von Neuenstein, der unter Bischof Gerhard von Wippingen 429 (1262/ 67-1325) in Biel war, wurde schließlich in den 1410er-Jahren auch ein Vertreter eines Basler Rittergeschlechts in die territoriale Verwaltung des Bischofs eingebunden. 430 Ihm folgte unter anderen auch das Basler Adelsgeschlecht der Macerel (Matzerer). Weitere lokale adlige Familien in bischöflichem Dienst wie die Senn oder die Compagnet lassen sich ab Ende des 14. Jahrhunderts nachweisen. 431 Mit Jakob von Tavannes übernahm 1375 ein Vertreter einer einflussreichen jurassischen Adelsfamilie die Führung in Biel 432 , eingesetzt von Bischof Jean de Vienne, der Biel acht Jahre zuvor bis auf die Stadtmauern hatte abbrennen lassen und auch sonst für Unruhe am Jurasüdfuß und darüber hinaus sorgte. 433 Die bischöfliche 160 2 Der Meier und der Rat <?page no="161"?> 434 Vgl. P I E R R E -O L I V I E R L É C H O T , Art. Malleray, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D412.php (zuletzt aufgerufen am: 31.12.13). 435 Als gesichert gelten die Amtszeiten in den Jahren 1390, 1391, 1393, 1395, 1399, 1400, 1401 und 1403. Für die fehlenden Jahre sind jedoch keine anderen Meier überliefert und können auch nicht über die Meieramtsbriefe ermittelt werden, vgl. StadtA Biel 1, 55, LXXXV. Für die Meierliste vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 123. Meierbestallungspraxis, die sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts und damit noch vor der Missivenüberlieferung fassen lässt, zeugt also von der Präferenz für lokal verankerte Amtmänner. Inwiefern sich dadurch die Chancen für Stabilität und nachhaltige Herrschaftskonsolidierung vor Ort erhöhten, kann allerdings nicht abschließend beurteilt werden. Da die einzelnen Meier jedoch unterschiedlich gut belegt sind und die ab 1384 einsetzende Überlieferung der Missiven nicht lückenlos ist, werden im Folgenden vier Meieramtsführungen als Fallbeispiele vorgestellt, die sich an‐ hand ihrer Überlieferung in Meieramtsbriefen und der Missivenkorrespondenz besonders gut fassen lassen. Die Fallbeispiele decken zudem zum Teil weit auseinanderliegende Zeitspannen ab. Dieser Zuschnitt ermöglicht es, histori‐ sche Entwicklungen über die jeweiligen Fallbeispiele hinaus in den Blick zu rücken. Während die Bestallungsbriefe der Meier wiederum die konzeptionelle Anlage des Amtes beleuchten, ermöglichen die Missiven eine Sicht auf deren Umsetzung als dynamische Mittlerposition in der Praxis. Dabei wird sichtbar, wie sich die lokale Stellvertreterschaft der Meier und die mediale Distanzkom‐ munikation, die in aller Regel immer über den Meier verlief, gegenseitig formten. Konstante Schnittstelle zwischen Biel und Bischofshof: Meier Reinhard von Malleray (1390-1405) Als nun 1390 Reinhard von Malleray, vermutlich aus einer Nebenlinie der de Tavannes stammend 434 , bischöflicher Meier von Bischof Imer von Ramstein (1382-1391) wurde, setzte sich eine längere Tradition der Besetzung des Amtes mit lokalen Adligen fort. Die Zeit, in der Reinhard von Malleray das Meieramt ausfüllte, bietet zahlreiche Einblicke in die Amtspraxis, aber auch in die Herr‐ schaftsausübung mittels Missiven, ist Reinhard doch über einen Zeitraum von 13 Jahren als Meier belegt (1390-1405). Ob seine Stellung als Meier gänzlich lückenlos war, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen. In jedem Fall ist kein andere Bieler Meier vor ihm über einen so langen Zeitraum immer wieder mit dem Amt betraut worden. 435 Dies verdankt sich wohl nicht zuletzt dem Umstand, dass seine Amtszeit in eine Periode episkopaler Turbulenzen fiel und die Person Reinhards eine gewisse Stabilität zu garantieren schien. 161 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="162"?> 436 Imer von Ramstein wurde 1385 von vier Fünfteln des Basler Domkapitels als Nachfolger Jeans de Vienne gewählt. Eine Minderheit hatte sich für den habsburgischen Favoriten Werner Schaler eingesetzt, der sich erst 1385 nach langjähriger Fehde gegen Imer von Ramstein geschlagen gab und nach der Niederlage in der Schlacht bei Sempach 1386 jeglichen Einfluss verlor. Imer von Ramstein hatte sich zuerst als Parteigänger der Avigneser Seite gezeigt, bevor er dann 1383 nach der Nichtanerkennung durch Avignon seine Wahl durch Papst Urban VI. bestätigen ließ, vgl. HS I, 1, S. 190 sowie M A R K U S R I E S , Imer von Ramstein, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, hrsg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 64-65. 437 StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 3, 4, 6, 7, 9, 12, 13 und 14, wobei sich chronologisch eine andere Reihenfolge, nämlich Nr. 6, 7, 3, 4, ev. 9, 12, 13 und 14 ergibt. 438 Vgl. W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen, S. 113-118. 439 In der Literatur wird als Grund für die Privilegienvergabe meist angegeben, dass sie als Dank für die gegenüber Bischof Jean de Vienne gezeigte Loyalität zu deuten sei, als er in Biel tatkräftige Unterstützung in seiner Auseinandersetzung mit Bern erhalten hatte, vgl. etwa M A R G R I T W I C K -W E R D E R , Biel gegen Neuenstadt 1390-1395, in: Bieler Jahrbuch (2012), S. 14-24, hier S. 17. An dieser Stelle dankt die Verfasserin Frau W I C K -W E R D E R herzlich für ihr spontanes und wertvolles Angebot, der Verfasserin ihre Druckfahnen zur Durchsicht zur Verfügung zu stellen. 440 Vgl. FRB IX, 104, Nr. 200. 441 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 50a, S. 80. Vgl. zudem W I C K -W E R D E R , Von den Anfängen, S. 113. 442 StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 6. Als Meier ist Reinhard von Malleray spätestens ab 1390 während des Epis‐ kopats von Imer von Ramstein belegt. 436 Mit Reinhard von Malleray als Meier setzen zudem die heute überlieferten bischöflichen Missiven ein. 437 Der älteste Korrespondenzzusammenhang aus seiner Meieramtszeit zeugt inhaltlich vom Bieler Streit mit La Neuveville, dessen Gründung und Aufbau zu Beginn des 14. Jahrhunderts gezielt als fürstbischöfliches Grenzstädtchen initiiert worden war. 438 Bereits 1368 hatte La Neuveville umfassende Privilegien erhalten. 439 Bi‐ schof Jean de Vienne (1365-1382) löste die Stadt La Neuveville, den Montagne de Diesse und das Kirchspiel Saint-Imier aus dem Bieler Bannergebiet heraus und übertrug die Zuständigkeiten neu dem Kastlan von Schlossberg, der zugleich als Meier von La Neuveville amtete. Mit dieser Umverteilung wurden die Befugnisse des Bieler Meiers entscheidend beschnitten. 440 Mit dem Amtsantritt Bischof Imers von Ramstein begann ein Wandel, kulminierend im Privileg Imers vom 12. März 1388, das Biel ebendieses Bannergebiet wiederum zuschlug. 441 Dieses Privileg fachte nun den Streit zwischen La Neuveville und Biel erneut an, und vor diesem Hintergrund entstand die genannte Missivenserie, in deren Kontext das Ineinandergreifen von Anwesenheits- und Abwesenheitskommunikation anhand des Meieramts besondere Tiefenschärfe gewinnt. Die erste Missive 442 dieser Reihe setzt damit ein, dass der Bischof die Schiedsrichterfunktion zwischen den beiden Kontrahenten einnahm und sie 162 2 Der Meier und der Rat <?page no="163"?> 443 StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 7. 444 Ebd. 445 Ouch werdent wir Reinhard von Malrey hinnen disem nechsten sunnentag zuo uech gen Biel schicken mit uech ze redend von der sach wegen, als ir und die von Nuwenstat miteinander ze schaffend hand, StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 3. dazu anhielt, sich zu einer gemeinsamen Tagsatzung einzufinden. Nachdem die beiden Parteien dieser Aufforderung offenbar nicht nachgekommen waren und von bischöflicher Seite eine Einmischung Berns befürchtet wurde, folgte rund zwei Monate später eine weitere Missive, in welcher der Bischof den Bieler Meier und Rat in deutlicherer Sprache anwies, zum Tag zu erscheinen: [E]rmanend uech bi den truewen und eiden so ir uns und unser stift getan habend und schuldig sind, das ir den tag da selbs ze Basel mit uewer guoten botschaft leistend vor uns und dem vorgenant unserm cappitel. 443 Die Ermahnung der Bieler, zur Tagsatzung zu erscheinen, wurde dabei ausdrücklich auf die dem Bischof und dem Kapitel gegenüber geleisteten Eide bezogen. In einem weiteren Satz verwies Bischof Imer von Ramstein zudem auf den Rechtsgrundsatz, dass die selben stoess fuer niemand anders hoerend, denne fuer uns und unser cappitel ze Basel. 444 In dieser Situation mussten die Bieler - aus bischöflicher Sicht - wohl mit allem Nachdruck an ihre Treuepflicht und Rechte erinnert werden. Am 22. Juli 1390 sprach das erwähnte Gremium als Schiedsgericht die unter Jean de Vienne verliehenen Privilegien La Neuveville zu. Im August hatte sich der Streit aber offensichtlich noch immer nicht gelegt und so schrieb der Bischof, dass sie nun Reinhard von Malrey hinnen disem nechsten sunnentag zuo uech gen Biel schicken mit uech ze redend von der sach wegen, als ir und die von Nuwenstat miteinander ze schaffend hand. 445 Dabei zeigt sich die kommunikative Dynamik von An- und Abwesenheit des bischöflichen Meiers, die über die Missive geregelt wurde, besonders deutlich. Dabei sollte jedoch nicht vergessen gehen, dass auch diese Missive an Meier und Rat adressiert war. Das heißt, auch wenn über die Instruktion des Meiers in dritter Person geschrieben wird, bleibt er in der Adressierungslogik der lokalen Herrschaftsrepräsentation direkt angeschrieben und einbezogen. Aus der Missivenserie wird deutlich, dass Reinhard auffällig oft am bischöf‐ lichen Hof in Basel weilte und sich im engeren Umfeld des Bischofs aufhielt. Da sich nun die Bieler offensichtlich dem bischöflichen Spruch widersetzt hatten, musste Meier Reinhard von Malleray als Stellvertreter des Bischofs vor Ort in Biel die Lage klären. Die Bieler wurden dabei aufgefordert dem Repräsentanten ihres Herrn Gehör zu schenken: Da bedenket uech eins guoten nach der maes, als 163 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="164"?> 446 Ebd. er [Meier Reinhard von Malleray, Anmerkung IS] mit uech dar umb redend wirt, wand daz uewer nutz wirt und ir es selber von im hoerend werdend. 446 Reinhards Stellung als Meier wird in der Angelegenheit durch zwei Punkte hervorgehoben. Erstens befand sich der Meier offensichtlich nicht in Biel vor Ort, sondern begab sich erst auf Bescheid des Bischofs dorthin. Dem persönlichen Erscheinen des bischöflichen Meiers wurde durch die schrift‐ liche Vorankündigung Nachdruck verliehen. Zweitens sollte Reinhard mit den Bielern direkt (nochmals) über die Angelegenheit sprechen und bischöfliche Anweisungen mündlich weiter erläutern. Dies, so die Missive, wäre nicht zuletzt zum Vorteil (nutz) der Bieler. Der bischöfliche Meier wurde hier also direkt vom Bischof instruiert und in der heiklen Konfliktsituation zwischen La Neuveville und Biel als Vermittler des Bischofs eingesetzt. In der Regel waren die bischöflichen Missiven an die Gremien vor Ort, also in der Doppelung „Meier und Rat“ gerichtet. Entspre‐ chend schwierig ist es, die unterschiedlichen Funktionen und Konstellationen zwischen dem Rat und dem Meier herauszuarbeiten. Die hier präsentierte Konfliktsituation platzierte den Meier als Vermittlungsinstanz zwischen Bischof und Biel. Seine Rolle ergab sich jedoch nicht unmittelbar aus der Situation, son‐ dern wurde über die Missive angekündigt und bestimmt, von herrschaftlicher Seite her legitimiert und vorstrukturiert. Dass Bischof Imer den Bieler Meier persönlich an seinem Hof instruierte und ihn nicht als Teil des kommunalen Gefüges über die Missivenkommunikation adressierte (auch wenn dies in der Struktur der Missivenadressierung beibehalten wurde), zeigt, wie wichtig die persönliche Anwesenheit des Meiers war. Der Medienwechsel von direkter schriftlicher Anweisung zu indirekter mündlicher Instruktion ist entscheidend, um ebendiese Veränderung in der Konfiguration der Akteure zu erwirken. Dabei erfolgte die Verschiebung der Konstellation auf mindestens drei unterschiedli‐ chen Ebenen: auf der Ebene der Figuration, der Ebene der Form und jener des Inhalts. Auf der Ebene der Figuration wurde die duale Opposition zwischen Bischof und Stadt Biel, zwischen Bischofshof und lokaler Herrschaft, die durch die Form der Missivenkorrespondenz mitangelegt wurde, aufgehoben. Der Meier wurde dabei drittes Element in der Kommunikationsstruktur im Sinne einer vermittelnden Instanz. Der Meier war nicht mehr als Adressat der Missive zusammen mit dem städtischen Rat als Führungsgremium der Kommune mit‐ gemeint, sondern er wurde am episkopalen Zentrum in seiner Funktion als Stellvertreter des Bischofs explizit wieder in ebendiese Rolle gehoben. Der 164 2 Der Meier und der Rat <?page no="165"?> 447 Vgl. ebd., S. 56. Medienwechsel bewirkte hier also eine Verschiebung innerhalb der triadischen Figuration. Der Mittelteil der Kommunikationstriade von Bischof - Missive - Biel wird durch die Mittlerfigur des Meiers ersetzt. Damit verschob sich auch die Kommunikation von der Absenzvermittlung hin zu einer Verständigung unter Anwesenden. Diese Konstellation wiederum ermöglichte es, unterschiedliche Dynamiken zu erzeugen. So konnte der Meier durchaus als Vermittler beider Seiten angesehen werden: als Vertreter Biels am Hof und als Stellvertreter des Bischofs vor Ort in Biel. Wobei in dieser konkreten Situation die nachdrückliche Anbindung an die bischöfliche Herrschaft wahrscheinlich die beabsichtigte Wirkung war. Diese Deutung der Figuration stützt R U D O L F S C HLÖG L s These der vormodernen Vergesellschaftung unter Anwesenden. Reaktionen in Form von Akzeptanz oder Dissens wurden in der mündlichen, aber performativ-ritual durchwirkten Anwesenheitsgesellschaft direkter erfordert als in schriftlicher, Gestaltungskonventionen unterliegender Kommunikation, was letztlich - so S C HLÖG L - eine größere Akzeptanzbasis schuf. 447 Bezüglich der Form verschob sich die schriftliche Anweisung hin zur mündli‐ chen Instruktion. Dies zeitigte aber weitere Konsequenzen. Der Medienwechsel ermöglichte es dem Bischof, die Darlegung der Sachlage nicht anhand schrift‐ lich-brieflicher Konventionen gestalten zu müssen, sondern Anweisungen zu geben, die der Meier dann vor Ort in Biel aus- und anführen konnte. In diesem Kommunikationssetting der Anwesenheit konnte der Meier mit einem größeren Handlungsspielraum agieren und auf situationsbedingte Dynamiken reagieren. Damit war die Kommunikation weniger auf direktive Anweisung hin angelegt, sondern auf die Vermittlung der Sachlage. Der Medienwechsel zeitigt folglich auch eine inhaltliche Veränderung der Kommunikation, die durch die Verschiebungen der Konfiguration und der Form erfolgte. Obwohl die Erfassung des mündlichen Austausches - zwischen Bischof und Meier wie auch Meier und Rat - ein methodisches Grundproblem historischer Forschung darstellt, so kann doch festgehalten werden, dass der Meier durch die mündliche Form einen Handlungsspielraum erhielt, um die Anweisungen sinngemäß im Namen des Bischofs weiterzugeben oder allenfalls situativ zu adaptieren. Nimmt man Reinhards Vermittlungstätigkeit als Meier in den Blick, zeigt sich, dass sich das Meieramt für ihn durchaus als Chance erwies, sich im näheren Umfeld des Bischofs fest zu etablieren und zu einem konstanten Vertrauten des Basler Bischofs zu werden. Auch nach seiner Amtstätigkeit als Bieler Meier blieb Reinhard von Malleray im bischöflichen Umfeld tätig. So schrieb beispielsweise 165 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="166"?> 448 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 58. 449 In einem anderen Fall wendet sich Bischof Konrad Münch ebenfalls direkt mit einer Missive an Reinhard, als es darum geht, einen Termin zum Landgericht zwischen der Stadt Basel und Biel zu verkünden. Das Schreiben des Bischofs weist Reinhard an: das machst du inen verscriben, StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 21. 450 Imer von Ramstein wurde 1385 von vier Fünfteln des Basler Domkapitels als Nachfolger Jeans de Vienne gewählt. Eine Minderheit hatte sich für den habsburgischen Favoriten Werner Schaler eingesetzt, der sich erst 1385 nach langjähriger Fehde gegen Imer von Ramstein geschlagen gab und nach der Niederlage in der Schlacht bei Sempach 1386 jeglichen Einfluss verlor. Imer von Ramstein hatte sich zuerst als Parteigänger der Avigneser Seite gezeigt, bevor er dann 1383 nach der Nichtanerkennung durch Avignon seine Wahl durch Papst Urban VI. bestätigen ließ, vgl. HS I, 1, S. 190 sowie R I E S , Imer von Ramstein. 451 Vgl. etwas W E I S S E N , stuer, S. 476-479. Bischof Humbert von Neuenburg 1408 an Biel bezüglich eines Streits zwischen Reinhard und einem Meister Stefan wegen der Mühle von Frinvillier. Dass Reinhard nicht nur im Dienst des Bischofs unterwegs war, sondern dass er sich im direkten Umfeld seines Herrn bewegte und einen direkten Einblick in die Missivenkorrespondenz erhielt, wird aus der folgenden Formulierung deutlich: [W]and der egenant Reinhard ietzt nit in lande ist und von unsern wegen ist geritten, werre er wider ze lande koment, so willent wir ime uwer antwurt zoigen, so ir uns nechst habent getan. 448 Die Einbindung des Meiers in das kommunale Gefüge einerseits und sein Amtsverhältnis gegenüber dem Bischof andererseits lassen die Mittlerposition dieses Amtmannes deutlich erkennen. 449 Diese Figuration des vermittelnden Dritten folgte zwar Strukturen der Herrschaftsdelegation, die genaue Ausge‐ staltung des Amtes konnte jedoch zwischen Bischofshof und lokaler Herrschaft neu ausgehandelt werden. Die mediale Perspektive erhellt zudem, wie der Meier als Adressat zwar in der Missivenkorrespondenz immer mitadressiert war, gleichzeitig aber noch deutlich der Anwesenheitskommunikation mit dem Bischof und den Bielern verpflichtet blieb. Die besondere Schnittstelle des Meiers, wie es sich am Beispiel Reinhards von Malleray zeigt, ergibt sich nicht nur aus seiner Stellung als bischöflicher Amtmann vor Ort, sondern auch aus seiner medialen Integration sowohl in die bischöfliche Anwesenheitsals auch Abwesenheitskommunikation. Reinhards von Malleray Amtszeit als Meier kann zudem am Ende des Episko‐ pats von Imer von Ramstein (1382-1391) genau kontextualisiert werden. 450 Denn Bischof Imers Herrschaft wird in der Forschung wenig positiv gewertet. 451 Wäh‐ rend seiner Amtszeit verpfändete der aus dem Geschlecht der Freiherren von Zwingen und Gilgenberg stammende Imer nicht nur alle jurassischen Burgen, sondern legte zudem 1385 das Schultheißenamt in Basel ganz in die Hände der 166 2 Der Meier und der Rat <?page no="167"?> 452 Vgl. UB Basel 5, 162, Nr. 150. 453 Vgl. HS I, 1, S. 190. 454 Vgl. StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 1-8 und 10-14. 455 Vgl. ebd., Nr. 9. 456 Vgl. HS I, 1, S. 192. 457 Hartung Münch von Landskron war auf Drängen König Albrechts I. 1288/ 89 ins Basler Domkapitel eingetreten. Während das Domkapitel 1325 Hartung zum Bischof erkor, setzte die Kurie auf seinen Gegenspieler Johann von Chalon. Die beiden Kontrahenten, Hartung aus dem habsburgisch orientierten Ministerialadel und Johann aus einem der mächtigsten Burgunder Vasallengeschlechter, bekämpften sich, bis 1328 Hartung zurücktrat, vgl. HS I, 1, S. 186f. 458 Vgl. StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 16-27. In den Missiven werden vor allem folgende Themen behandelt: Streit mit Konrad von Reischach am Hofgericht in Rottweil (Nr. 17 und 18, vgl. hierzu auch die Missiven von Bern: StadtA Biel 1, 25, XVII), Auseinanderset‐ zung mit Basel um das Erbe Wolfharts vor Landgericht (Nr. 19-21, 23 und 25-26), Streit mit den von Bechburg (Nr. 25 und 26) und kleinere Vorfälle zwischen bischöflichen Leuten und der von Neuenburg (Nr. 24). 459 Vgl. StadtA 1, 45, XXI, Nr. 16 (29. August 1393). Stadt, wo es letztlich auch bleiben sollte. Schließlich sah er sich gezwungen, das Hochstift Basel gegen Rente temporär an das Haus Habsburg zu übergeben. Der Vertrag vom 13. März 1391 trat jedoch nicht in Kraft 452 , stattdessen dankte von Ramstein - wohl auch auf Druck des Domkapitels hin - im Mai desselben Jahres ab und übergab das Bistum dem Straßburger Bischof Friedrich von Blankenheim zur Koadjution (1391-1393). 453 Für Imer von Ramsteins Episkopat sind rund 13 Missiven überliefert, wobei der weitaus größte Teil die bereits erwähnte Auseinandersetzung mit La Neuveville betrifft. 454 Die einzige Missive, die von Koadjutor Friedrich von Blankenheim verschickt wurde, gehört dabei thematisch in die gleiche Serie. 455 Im August 1393 wurde nun mit Konrad Münch von Landskron (1393-1395) ein Bischof gewählt 456 , dessen Vater als Reichsvogt in Basel und als Schultheiß in Solothurn mit den lokalen Herrschaften bestens vertraut gewesen sein dürfte. Zudem hatte bereits von 1325 bis 1328 ein Vertreter der ritteradligen Münch von Landskron, die ab dem 13. Jahrhundert zu den einflussreichsten Basler Familien gehörten, den Bischofsstuhl ins Auge gefasst. 457 Mit Bischof Konrads Episkopat erfolgt zum ersten Mal ein thematisch brei‐ terer Einblick in die Missivenkorrespondenz eines Basler Bischofs. 458 Direkt nach seiner Wahl bat er den Bieler Meier und Rat, ihren Ratsgesandten zu ihm nach Delémont zu schicken: da hant wir und unser cappitel von unser stift wegen etwas mit uech ze redend. 459 Interessant am Vorgehen Konrads ist, dass er die Bieler relativ eng an seine Herrschaft band, indem er sich als wohlwollender Stadtherr erwies. Dies fällt besonders auf zwei Ebenen auf: Erstens beteiligte er Bieler Botschaften ganz gezielt an bischöflichen Angelegenheiten und setzte 167 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="168"?> 460 Vgl. StadtA 1, 45, XXI, Nr. 17 und 18. 461 Vgl. StadtA 1, 45, XXI, Nr. 18. 462 Vgl. StadtA 1, 45, XXI, Nr. 22. 463 Vgl. ebd. 464 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 48 und 52. 465 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 29, 54, 66, 68, 79, 81 und 85. sich für die Bieler Belange ein. Dies wird vor allem anhand der Missivenkor‐ respondenz zum Streit mit Konrad von Reischach deutlich. 460 Konrad von Reischach hatte Biel 1393 am königlichen Hofgericht in Rottweil angeklagt. Die Angelegenheit wird in den Missiven jedoch nicht weiter ausgeführt. Der Bischof scheint allerdings eine zentrale Stelle in den Verhandlungen eingenommen zu haben, da er als Ansprechperson Konrads von Reischach fungierte und den Schriftverkehr (vor allem der Abschriften) zwischen den beteiligten Parteien koordinierte. Weiter fällt auf, dass Bischof Konrad die Bieler ganz konkret um Meiervor‐ schläge ersuchte. Im August 1393 gewählt, antwortete er am 18. November - also knapp zwei Monate vor der jährlichen Meierbestallung - in einer Missive auf die Frage der Bieler nach dem zukünftigen Meier mit einer Rückfrage: [D]a tuond uns ze wissen, ob ir iemant wissent, der uns und der stift und uech nuetz sie. Darnach wellend wir uns ouch bedenken. 461 Da Reinhard von Malleray bereits das Jahr hindurch als Meier geamtet hatte, wurde er denn auch zu Beginn des Jahres 1394 vom Bischof als Meier für das angehende Jahr vorgeschlagen. 462 In derselben Missive findet sich zudem der Nachtrag, daz ir Reinhard lassen meyger sin zu allen rechten, als er es vormals ist gesin, untz daz wir oder unser gewissen botschafft zuo uech koment, so werden wir denen mit uewren rate in der sache aber daz beste tuon. 463 Dieser Zusatz könnte allenfalls darauf hindeuten, dass die Bieler noch einen anderen Kandidaten als den bischöflich bevorzugten im Blick hatten. Für 1395 ist jedoch tatsächlich wiederum Reinhard von Malleray als Meier belegt. Die bischöfliche Wahl Reinhards von Malleray scheint zunächst nicht unumstritten gewesen zu sein und Bischof Konrad hatte sich, wenn auch unter betont kompromissbereiten Vorzeichen, seinen Kandidaten gesichert. Dass nun für das Jahr 1394 gleich zwei Missiven direkt an Meier Reinhard von Malleray selbst adressiert sind, erstaunt daher wenig. Ausschließlich an den Meier adressierte Missiven finden sich in der Serie selten, einzig zwei weitere Beispiele sind überliefert, einerseits zwei Schreiben von Humbert von Neuenburg an denselben Reinhard von Malleray 464 , andererseits rund sieben Missiven an Rudolf Hofmeister 465 , auf dessen herausragende Stellung in einem eigenen Unterkapitel noch genauer eingegangen wird. Die beiden Missiven von Bischof Konrad an Reinhard von Malleray betreffen dabei die Bieler 168 2 Der Meier und der Rat <?page no="169"?> 466 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 21. 467 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 27. 468 Ebd. 469 Vgl. dazu auch Kapitel 1. Auseinandersetzung mit der Stadt Basel, die vor einem Landgericht ausgetragen werden sollten. Nach einem Aufschub desselben kündete der Bischof den beiden Parteien eine Tagsatzung an. Interessant ist nun vor allem die Konstellation der Korrespondenten. Der Meier schrieb dem Bischof der von Biel wegen und in der Antwort des Bischofs weist er den Meier bezüglich des Tages an, er solle inen [wegen des Tages, Anmerkung IS] versriben. 466 Im Gegensatz zu anderen Missiven, die als Adressaten „Meier und Rat von Biel“ nennen, zeugen die beiden eben erwähnten Missiven von einer Distanzierung zwischen Rat und Meier bei gleichzeitiger Annäherung zwischen Meier und Bischof. Die letzte aus Bischof Konrad Münchs Amtszeit überlieferte Missive stützt diesen Befund. 467 Adressiert an Meier und Rat berichtete Bischof Konrad von einer stallung, die durch den Meier verkündet werden sollte: das senden wir zuo uech Reinharden von Malleray, unseren meiger, und waz der von der selben sach wegen von mund mit uech redend wut, das soellend ir im geloben. 468 Obwohl die Missive auch an den Meier selbst adressiert war, wies Konrad darauf hin, dass er den Meier im Auftrag zu den Bielern schicke, damit er ihnen mündlich Genaueres berichte. Dieser explizite Verweis auf die Ausführungen des Meiers von munde fungiert als eine in den Missiven nicht untypische Redeautorisierung seitens des Bischofs. Dies Wen‐ dung kündigt die Rede nicht nur als Anwesenheitskommunikation an, sondern sie funktioniert gleichzeitig als kommunikative Integration des abwesenden Bischofs, indem er die Anwesenheitskommunikation explizit autorisiert. Das Fall des Meiers Reinhard von Malleray zeigt auf, wie ein Meier in der bischöflichen Herrschaft nicht nur als Vermittler zwischen Bischofshof und Biel agierte, sondern zusätzlich für lokale Kontinuität sorgte. Die mit der Missivenkorrespondenz organisierte Kommunikation unter Anwesenden, in der der Meier eine delegative Vermittlungsfunktion einnehmen konnte, ermöglichte mündliche Rede des bischöflich delegierten Meiers als Präzisie‐ rung, Flexibilisierung und Dialogisierung der Informationsweitergabe. Dabei wurde der mündlich Referierende mit der Missive legitimiert und seine Rolle in die Herrschaftskommunikation gleichsam eingeschrieben. 469 Reinhard von Malleray hielt sich denn auch im Gegensatz zu seinen Nachfolgern oft in der Nähe des Bischofs auf und blieb dort auch nach seiner Meiertätigkeit. Während das Amt als solches konstant blieb, ließen sich gerade über die intermedial angelegte Kommunikationsorganisation der Herrschaft und die Beziehung zwi‐ schen Bischof und Amtsträgern unterschiedliche Formen von Nähe und Distanz 169 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="170"?> 470 Vgl. HS I, 1, S. 192f. 471 Vgl. M A R K U S R I E S , Humbert von Neuenburg, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, hrsg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 65-66. 472 Vgl. StABiel 1, 55, LXXXV, Nr. 127. 473 Vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 123. ausbilden. Während die Bischofswahlen immer wieder Neuordnungen im Herr‐ schaftsgefüge zeitigten, zeichnen sich einerseits vermehrt Tendenzen ab, durch Konstanz in der personellen Besetzung die lokale Herrschaft zu konsolidieren, andererseits eröffneten sich aber auch verhandelbare Handlungsspielräume aufseiten der lokalen Eliten, also im Falle Biels des städtischen Rates. Nachdem Bischof Konrad sich im August 1395 wieder auf die weniger exponierte Stelle als Dompropst zurückgezogen hatte 470 , folgte ihm mit Humbert von Neuenburg eine ganz andere Persönlichkeit im Bischofsamt nach und sorgte für etwas mehr Kontinuität im Episkopat, das immerhin von 1399 bis 1417 währte. 471 Allerdings sind uns aus den ersten Jahren seiner Herrschaft keine Missiven überliefert. Obwohl Reinhard von Malleray für die Jahre 1499 bis 1401 und nochmals 1405 als Meier belegt ist, können keine Aussagen über Humberts Umgang mit Reinhard gemacht werden. 472 Die Überlieferung setzt erst wieder mit Rudolf Hofmeister ein, der in seiner eigenen Weise das Amt dominierte, bevor dann erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Bernhard von Malleray ein weiterer Vertreter des Geschlechts als Meier eingesetzt wurde. 473 Der Manager: Meier Rudolf Hofmeister (1406-1415) Mit Rudolf Hofmeister wurde 1406 ein Meier eingesetzt, der sich dieses Amt besonders zu eigen machte und die auf Vermittlung angelegte Scharnierposi‐ tion des Amtes eigenständig ausfüllte. Zudem konnte Rudolf Hofmeister das Meieramt als Sprungbrett für eine eindrückliche Ämterlaufbahn nutzen und ging in erster Linie als Berner Schultheiß (1418-1446) in die Geschichtsbücher 170 2 Der Meier und der Rat <?page no="171"?> 474 Trotz seiner prominenten Stellung in der Berner Geschichte gibt es bislang keine Arbeit zu Rudolf Hofmeister. Inwiefern dies einer spärlichen Überlieferungslage geschuldet ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. In jedem Fall wäre die Aufarbeitung dieser Persönlichkeit ein Desiderat über lokale Verhältnisse hinaus. Zu seiner Person vgl. G U S T A V T O B L E R , Rudolf Hofmeister, in: Sammlung Bernischer Biographien 1, hrsg. vom Historischen Verein des Kantons Bern, Bern 1884, S. 401-409. In der vorliegenden Arbeit wurden insbesondere Missiven, die direkt an Rudolf Hofmeister adressiert waren oder in seine Amtszeit fielen, untersucht, vgl. hierzu vor allem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 29, 54, 55, 66-68, 71, 79, 81 und 85. Dass Hofmeister später als Berner Schultheiß auch im Raum Biel aktiv agierte, wird an dieser Stelle nicht ausgeführt. Interessant wären hier vor allem Hofmeisters Rolle in Ligerz, vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII, 1 sowie bezüglich Besitzrechte einer Hofstatt und Heilbad in Pieterlen, vgl. StadtA Biel 1, 84, XXVIII Nr. 364 (Abschrift einer Urkunde von 1410). 475 Vgl. T O B L E R , Hofmeister. 476 Vgl. Biel. Stadtgeschichtliches Lexikon, hrsg. von W E R N E R B O U R Q U I N und M A R C U S B O U R Q U I N , Biel 1999, S. 191. 477 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 54. 478 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 55. Eine weitere Missive von 1410 schlägt auch wiederum Rudolf Hofmeister als neuen Meier vor, vgl. Nr. 71. ein, prägte er doch fast drei Jahrzehnte lang entscheidend die Geschicke dieses expandierenden „Stadtstaates“. 474 Auf Rudolf Hofmeisters Herkunft gibt sein Name Hinweis. Im Dienste des Basler Bischofs Jean de Vienne amtete sein Vater Johannes Gräfli ab 1365 als Hofmeister und in der Folge übernahm die Familie die Amtsbezeichnung als Name. Das Geschlecht der Gräfli wurde 1381 in das Bieler Burgrecht aufgenommen, spätestens 1395 auch in das Berner. Dort ist Rudolf Hofmeister bereits 1399 und 1403 im Kleinen Rat und damit im engeren Führungskreis der Stadt belegt. 475 Die enge Beziehung zum Basler Bischof und Biel scheinen dem 1375 geborenen Rudolf zugutegekommen zu sein und so trat er 1406 unter Bischof Humbert von Neuenburg die Nachfolge Reinhards von Malleray als Bieler Meier an. 476 Auffällig an Rudolfs Amtszeit ist, dass gleich mehrere Missiven überliefert sind, die ausschließlich an ihn als Meier adressiert sind. Bereits 1407 beauftragte Bischof Humbert seinen Amtmann nachdrücklich damit, ihm dringend geschul‐ detes Geld einzutreiben, wand wir in guoten truwen des geltes faste notdurftig sint. 477 Da die Eintreibung geschuldeter Abgaben zum Kernaufgabenbereich des Meiers gehörte, erstaunt die direkte Anschrift und explizite Bitte. Mit Rudolf Hofmeister scheint bewusst ein Meier eingesetzt worden zu sein, der die Abgabenwirtschaft nicht nur beaufsichtigte, sondern die Beschaffung von Geldmitteln tatsächlich umsetzen konnte. Nicht nur der Bischof war mit der Leistung Rudolfs zufrieden, sondern auch die Bieler. So wurde er deren bette wegen 1407 für ein weiteres Jahr eingesetzt. 478 In den folgenden Jahren trat Hof‐ 171 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="172"?> 479 Vgl. vor allem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 66 und 79. 480 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 68. 481 Die von Hagenbach sind seit dem frühen 15. Jahrhundert als Basler Bürger fassbar. Jakob (Edelknecht) und Hans Bankart von Hagenbach sind 1412 in der Herrschaft Valangin gefangen gesetzt worden. Darüber findet sich ein von Ytel Trosberg besie‐ gelter Urfehdebrief. Ob allerdings die hier beschriebene Auseinandersetzung bereits meister vor allem bei Lehensfragen und in Angelegenheiten mit lokalen Adligen persönlich in Erscheinung, während immer weniger bischöfliche Missiven an ihn direkt gerichtet waren. 479 Die ausschließlich an Rudolf Hofmeister gerichteten Missiven zeugen - vor allem im Vergleich mit den restlichen Missiven - von einem relativ engen Austausch zwischen Bischof Humbert und dem Meier. Folgende Missive vom 16. August 1410 verdeutlicht dies: Unsern gruos voran, lieber Rudolff. Wir bittend dich ernstlich, daz duo dich nach angesiechte zuo uns gen Telsperg wullest fugen, wand wir etwas heftiger und ernstliche sache mit dir han ze redende, die wir dir nit eigenlich konnent verschriben. Wissest och, daz Clewin Schade, der dir diss brieff antwurtet, mit Jacob von Hagenbach etwas het ze schaffende, als er dir wol wirt sagen mit wuorde. Da bittend wir dich als vor, daz duo dem selben Clewin gegen den obgenannten Jacob, ob duo iergent mit ime ze rede magest komen, das besten beholffen wullest syn durch unsern willen. Daran tust du uns ein sunder fruntschaft. 480 Die Missive verdeutlicht zwei Momente, die für das Verhältnis von Missiven‐ kommunikation und herrschaftlichem Amtsverständnis wichtig sind. Erstens zeigt die Missive die Grenzen der Korrespondenz auf, indem hier der Wechsel von schriftlichem Austausch auf Anwesenheitskommunikation angezeigt wird. Dass der bischöfliche Meier für die direkte Unterhaltung an den bischöflichen Hof in Delémont geladen wurde, erstaunt zunächst wenig. Wie bereits be‐ schrieben, zeichnete sich Reinhards von Malleray Meierschaft dadurch aus, dass er oft in nächster Nähe des Bischofs weilte und sich direkt instruieren ließ. Im Fall von Rudolf Hofmeister lässt sich die Kommunikationssituation jedoch anders rekonstruieren. Seine Mittlerposition zwischen Bischof und Biel konstituierte sich durch seine vielschichtige Einbindung in die Missivenkorre‐ spondenz. So kommt entscheidend hinzu, dass die Mittlerposition nicht nur durch den räumlich-physischen Gang zum Bischof vollzogen wurde, sondern auch durch die zweite Anweisung des Bischofs, welche die sozial-hierarchische Mediatorenstellung des Meiers auf einer weiteren Ebene verdeutlicht. Rudolf sollte nämlich den Missivenüberbringer Clewi Schade in dessen Angelegenheit mit Jakob von Hagenbach 481 unterstützen. Zwar finden sich auch hier keine 172 2 Der Meier und der Rat <?page no="173"?> mit Valangin zusammenhängt, kann anhand der vorliegenden Dokumente nicht geklärt werden, vgl. Genealogisches Handbuch zur Schweizergeschichte, Bd. 3, hrsg. von der Schweizerischen Heraldischen Gesellschaft, Zürich 1908, S. 261. 482 1403 war der Graf Wilhelm ins Bieler Bürgerrecht aufgenommen worden, wie andere lo‐ kale Adlige auch, vgl. dazu die Urkunde über die Burgrechtsaufnahme vom 31. Mai 1403, StadtA Biel, 1, 22, XXXVII. Ein weiteres Beispiel für eine Bürgerrechtsverleihung stellt 1402 der Edelknecht Wilhelm von Arse dar, vgl. B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 187. Zur Bedeutung der Familie von Aarberg vgl. G E R M A I N H A U S M A N N , Art. d’Aarberg, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: https: / / hls-dhs-dss.ch/ fr/ articles/ 019508/ 20 15-01-12/ (zuletzt aufgerufen am: 31.12.17). 483 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 67. Die Bedeutung dieser Angelegenheit zeigt sich zudem in der Tatsache, dass diese Missive als eine der wenigen Abschriften von Bieler Missiven im AAEB überliefert ist, vgl. AAEB B 138 Biel 64,1, S. 3. 484 Vgl. J A C Q U E L I N E L O Z E R O N , Les derniers jours de Conrad de Fribourg, in: Musée Neuchâ‐ telois (1940), S. 117-119. inhaltlichen Präzisierungen, denn Clewi Schade sollte Rudolf Hofmeister münd‐ lich berichten, welche Händel es denn beträfe. Es wird jedoch deutlich, dass Rudolf Hofmeister hier für einen bischöflichen Bittsteller eine Vermittler-, wenn nicht sogar Fürsprecherrolle einnehmen sollte. Damit zeigt sich auch deutlich der Unterschied zwischen den beiden Meieramtsführungen durch von Malleray und Hofmeister. Während Reinhard von Malleray knapp 20 Jahre zuvor am bischöflichen Hof instruiert worden war, wie er sich den Bielern gegenüber verhalten sollte und die Missiven den Legitimationskontext dieser Stellvertreterschaft etablierten, agierte Hofmeister nicht auf herrschaftliche Instruktion hin, sondern als selbstständiger Delegierter ebendieser Herrschaft. Der Bieler Rat und der Meier Rudolf Hofmeister scheinen zudem relativ gezielt als Verhandlungsleiter mit dem lokalen Adel und vor allem auch mit Familienangehörigen Humberts von Neuenburg eingesetzt worden zu sein. Nachdem 1409 Bischof Humberts Verwandter Wilhelm von Aarberg 482 als Herr von Valangin im Val-de-Ruz Erbleute gefangen, verwundet und mindestens eine Person getötet hatte, beauftragte Humbert die Bieler, darüber zu beraten und eine Ratsbotschaft bestehend aus zwei oder drei Ratsmitgliedern zusammenzu‐ stellen, die sich ze stuont zuo dem vorgenannt unserm oheim von Vallingin fuegen und ime furlegen uwern rat und och mit ime reden, daz er sich in dirre sache bescheidenlich halte, untz daz man ze rate wirt, wie man noch die sache ze guotem brenge. 483 Vier Jahre später agierte Rudolf Hofmeister sogar selbstständig im Umgang mit Graf Konrad von Freiburg 484 , dem Neffen und Nachfolger der letzten Neuen‐ burger Erbin Isabella von Neuenburg und ebenfalls Verwandter Humberts. 1406 hatte Konrad, nun Graf von Neuenburg, erreicht, dass Wilhelm von Aarberg als 173 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="174"?> 485 Zu den von Neuenburg vgl. J E A N -D A N I E L M O R E R O D , Comment fonder une principauté d’Empire? Les signes manifestes du pouvoir comtal à Neuchâtel, in: La Suisse occiden‐ tale et l’Empire. Actes du colloque de Neuchâtel des 25-27 avril 2002, organisé par l’Institut d’histoire de l’Université de Neuchâtel, le Centre de droit privé de l’Université de Lausanne et la Société d’histoire de la Suisse romande, hrsg. von dems., Lausanne 2004, S. 137-163. 486 HS 1/ 1, S. 192f. 487 Vgl. dazu B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 189-190. Für die Dokumente über diesen Handel vgl. StadtA Biel 1, 38, LXXXIV, Nr. 367 und 368. 488 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 201. Herr von Valangin sein Lehen (unter anderem im Val-de-Ruz) von ihm empfing und so war die Hierarchie in Valangin vorerst geklärt. 485 Die Bischofswahl Humberts von Neuenburg 1395 war von seinem Vater Diebold VI., Herr von Neuenburg und Blamont, regelrecht initiiert und über finanzielle Zusprachen mit dem Kapitel ausgehandelt und vertraglich geregelt worden. Der eng mit dem burgundischen Hof in Kontakt stehende Neuenburger forcierte eine östliche Ausdehnung seiner Herrschaft und so erwarb er sich über Pfändungen Besitz des Basler Bischofs. Das Versprechen finanzieller Unterstützung durch das Geschlecht derer von Neuenburg kam dem Hochstift mehr als gelegen. Den burgundischen adligen Soziabilitäts- und Lebensstil legte Bischof Humbert jedoch mit seiner Einsetzung als Basler Bischof nicht ab. In diesem historischen Kontext liegt es nahe, dass das Meieramt und die damit verbundenen Verwal‐ tungsspielräume in verstärktem Maße delegiert und nahezu professionalisiert wurden. 486 1412 wird die Bedeutung Rudolf Hofmeisters als Bieler Meier wiederum besonders fassbar, als dieser auf Wunsch der Solothurner in deren Streit mit Bern um Bipp vermittelte. Biel übernahm unter der Federführung Hofmeisters eine wichtige Vermittlerrolle gegenüber den acht Orten der Eidgenossenschaft. Rudolf war nicht nur bei mehreren Aushandlungstreffen zwischen Solothurn und Bern dabei, sondern er gehörte auch zur Gesandtschaft an der entschei‐ denden Tagsatzung, die sich für die gemeinsame Herrschaftsausübung in Bipp aussprach. 487 Auch 1424, als Rudolf Hofmeister längst Schultheiß in Bern war, trat er in Bieler Angelegenheiten auf. In einer Missive an Meier und Rat bedankte sich Bischof Johann von Fleckenstein ausgiebig bei den Bielern für ihren militäri‐ schen Zuzug gegen den Grafen Diebold von Neuenburg und die Rückeroberung von Roche d’Or und St. Ursanne. In Kürze sollten die Verhandlungen über die Konditionen des Friedenschlusses stattfinden. Dass die Vermittlung so erfolgreich war, wäre vor allem den Solothurnern, den Bernern und eben auch dem Schultheißen der Berner, also Rudolf Hofmeister, zu verdanken. 488 174 2 Der Meier und der Rat <?page no="175"?> 489 Vgl. B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 241. Für den darüber ausgestellten Schadlos‐ brief vgl. StadtA Biel 1, 61, CIX, Nr. 51. 490 W A L T E R , Informationen, S. 147. Der Fall Rudolf Hofmeister beleuchtet Vorstellungen zu politischer Akteur‐ schaft und Karrierelaufbahn im Raum der heutigen Schweiz. Er personifizierte gleichsam die enge Verknüpfung zwischen den Orten und Herrschaften: Rats‐ mitglied in Bern, bischöflicher Meier in Biel, Berater von Solothurn und Ver‐ handlungsdelegierter im eidgenössischen Bündnisgeschehen. In Biel wirkte er sogar über seinen Tod hinaus nach. 1460 leistete Biel bei Hofmeisters Witwe Cä‐ cilia von Reinach für den Bischof eine Bürgschaft um die stattliche Summe von 400 Gulden. 489 Seine Hinterlassenschaft hat auch politisch Spuren hinterlassen. So hat B A S TIAN W AL T E R in seiner Dissertation zu den Akteuren städtischer Außenpolitik betont, dass gerade die Berner Schultheißen in der Nachfolge Hofmeisters als die diplomatischen Experten galten und sich entsprechend in außenpolitischen Missionen positionierten. 490 Kein anderer Bieler Meier wurde so gezielt und direkt in die Missivenkorre‐ spondenz einbezogen. So sind die direkt an Rudolf Hofmeister adressierten bischöflichen Missiven insofern auffällig, als dass sie von einer exzeptionellen, geradezu eigenständigen Amtsträgerschaft zeugen. Rudolf Hofmeister gelang es offensichtlich, sich im Meieramt als Bindeglied, Vermittler und bischöflicher Verhandlungsbeauftragter im Beziehungs- und Verwandtschaftsgeflecht von Bischof, Biel und lokal respektive überregional verankertem Adel in eine Position zu bringen, die ihm einigen Einfluss im politischen Feld brachte und ihm Zugang zu den einflussreichsten Ämtern ermöglichte. Die mediale Per‐ spektive beleuchtet, wie unter Rudolf Hofmeister die Distanzkommunikation nicht mehr über die enge Instruktion der Meier am bischöflichen Hof begleitet wurde, sondern vermehrt über die Kompetenzdelegation an den weitgehend selbstständig agierenden powerbroker vor Ort auf neue Grundlagen gestellt wurde. In dieser Hinsicht organisierte die Missivenkorrespondenz nicht die meierliche Rückbindung an den Bischof durch dessen grundsätzliche Integra‐ tion in die Anwesenheitskommunikation, sondern die bischöfliche Entlastung von ebendieser. Die Absenz des Bischofs wurde durch die zusätzliche direkte Missivenkorrespondenz mit dem lokalen Meier nahezu vollständig kompensiert. Die Nachfolge Bernhards von Malleray: Der Statthalter als doppelte Mittlerfigur (1460) 1451 kam mit Bernhard von Malleray wiederum ein Mitglied der bereits bekannten und in der kommunalen Führungsgruppe in Biel verankerten Familie 175 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="176"?> 491 Vgl. StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 177 (1450), 178 (1499) und 179 (1502). 492 Vgl. StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 116 und 117. 493 Vgl. ebd. 494 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 118 und 119. 495 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 131. 496 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 130. 497 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 131. der von Malleray als Meier zum Zuge. Nicht ganz klar ist, ob Bernhard tatsächlich erst unter Bischof Arnold von Rotberg (1451-1458) eingesetzt wurde, da der entsprechende Meieramtsbrief für das Jahr 1451 fehlt. 491 Belegt ist seine Amtstätigkeit spätestens ab 1451, nachdem zuvor ein Statthalter im Namen des Bischofs das Amt temporär ausgefüllt hatte. 492 In der Folge soll es nun weniger um das Meieramt Bernhards in seiner Gänze gehen, obwohl dieses durch das Kräftemessen zwischen Biel und Bischof bezüglich der Gerichtsho‐ heit in Tramelan 493 und der Zehnteinnahmen in Saint-Imier geprägt war. 494 Im Folgenden wird vielmehr ein korrespondenzintensiver Zeitabschnitt unter‐ sucht, der die Probleme in der Nachfolgelösung der Amtsträgerschaft freilegt. Durch die Inbezugsetzung von Missiven und Meieramtsbriefen (Bestallungen) anhand einer Ausnahmesituation in der herrschaftlichen Repräsentation vor Ort lässt sich unser Blick auf die zeitgenössische Bedeutung und Rolle der Missivenkorrespondenz weiter schärfen. Anhand der verwendeten Semantiken der Stellvertreterschaft werden im Folgenden einerseits Lösungsstrategien und andererseits konkurrierende Vorstellungen zum Meieramt vorgestellt und als zeitgenössische Problemstellung akzentuiert. Denn gerade in diesen Übergangs‐ situationen eröffneten sich Spielräume, in denen Praktiken und Vollzugsweisen neu verhandelt werden konnten. Der folgende Fall untersucht, inwiefern die mediale Anlage der Konfliktkommunikation diese Spielräume mitprägte. Im Sommer 1460 war Bernhard von Malleray unerwartet gestorben. Unver‐ züglich musste die Überbrückung der Vakanz des Meieramtes durch einen Statthalter organisiert werden. Der 1458 zum Nachfolger Arnolds von Rotberg gewählte Bischof Johannes von Venningen (1458-1478) wurde umgehend in‐ formiert. Noch am selben Tag schickte der Bischof zwei Missiven mit auf den ersten Blick fast identischem Inhalt nach Biel. Die eine war an den Statthalter Klaus Künig adressiert 495 , die andere an Statthalter, Rat, Gemeinde und allen andern den unsern giensit dem schloss Pirriperthus, die in unser meyertumb daselbs gehoerent. 496 Bereits dieser erste Blick auf die Adressierungen gibt Aufschluss über die unterschiedliche Konzeption der beiden Missiven: Während die eine mit der Formulierung Unserm getruwen, lieben Clausen Kuenig, statthalter unsers meyertumbs zue Biell  497 an Künig selbst namentlich adressiert war, verweist 176 2 Der Meier und der Rat <?page no="177"?> 498 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 130. 499 Vgl. Ratsprotokoll über Kommissionen zur Schätzung von Pfändern und zur Entschei‐ dung von Streitigkeiten um Güter, StadtA 1, 229, CCCII, Ratsprotokolle 1, S. 544, abgedruckt in B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 71, S. 116. die zweite auf den gesamten Herrschaftsbereich Biel, zusammengesetzt aus den verschiedenen Führungs- und Organisationseinheiten Statthalter, Kleiner Rat, Großer Rat und Untertanenschaft im Meieramt. Diese Differenzierung in „amtspersönliche“ (Klaus Künig) und „allgemeinherrschaftliche“ (Statthalter, Kleiner Rat, Großer Rat und Untertanenschaft) Ausrichtung findet sich auch im Inhalt der beiden Missiven, wie noch zu zeigen sein wird. Mit dem Schreiben an den gesamten Herrschaftsbereich Biel (Nr. 130) reagierte der Bischof einerseits auf die Leerstelle in der Herrschaftsorganisa‐ tion (unser meyertumb ze Biel, nuzemal asatz staet) und andererseits auf die anfallenden administrativen und rechtlichen Anliegen Biels, sei dies in der Kommune oder im Meiertum. 498 Offensichtlich fielen teglichs sachen an, die nun wegen des nicht besetzten Meieramtes geregelt werden mussten. Diese Aufgaben übernahm der amtierende Statthalter Klaus Künig. Künig war bereits während der Amtszeit von Bernhard von Malleray mehrmals als Statthalter eingesetzt worden und konnte somit eine funktionierende Amtsführung des Meiertums garantieren. Es war allgemein üblich, dass der amtierende Meier bei Abwesenheit (Delegationsreise, Anwesenheit am Bischofshof, Schiedsgericht, Truppenführung, Jerusalemfahrt etc.) einen Statthalter einsetzte. Klaus Künig ist in den 1440er-Jahren mehrmals als Bieler Bürgermeister belegt, blieb darüber hinaus Ratsmitglied und wurde 1453 als Mitglied des Bieler Schiedsgerichts genannt. 499 Vielleicht dürfte neben seiner Erfahrung als Bürgermeister gerade seine erfolgreiche Schlichtungstätigkeit bei güterrechtlichen Streitigkeiten der Bieler Bürger entscheidend dafür gewesen sein, dass er als Statthalter eingesetzt wurde. Wie pragmatisch oder formell diese Entscheidungen getroffen und letztlich umgesetzt wurden, kann hier nicht abschließend beantwortet werden, jedoch scheint in der Regel ein fähiger, gremienversierter Ratsmann damit beauftragt worden zu sein. Dass Klaus Künig von Bernhard von Malleray bereits mehrmals temporär die Statthalterschaft übernommen hatte, wird in folgender Passage klar. Gleich‐ zeitig verdeutlicht die Formulierung aber auch die Notwendigkeit, Künig nun offiziell durch den Bischof als Statthalter mit den entsprechenden Rechten und Pflichten einzusetzen: Claus Kuenig, bishar statthalter ist gewesen, empfelhen wir uech allen und yeglichen ernstlich und gebieten, dz ir dem selben Clausen Kuenig, als einem statthalter unsers 177 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="178"?> 500 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 130. 501 Ebd. 502 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a, S. 167. genanten meyertumbs zu allen sachen gehorsam syen, die zitt uss, als sich durch uns einen anderen meyer gebuert zu setzen, in aller mass, als ir dem genanten unserm meyer schuldig waeren gewesen. 500 Da mit dem Tod Bernhards von Malleray auch dessen Anordnungen aufgehoben wurden, musste die Statthalterschaft durch den bischöflichen Herrn neu gere‐ gelt oder zumindest bestätigt werden. Entscheidend für das Verständnis und die Konzeption des Meieramts und der Statthalterschaft ist dabei, dass der Statthalter lediglich die anfallenden Aufgaben im Namen des Bischofs weiter‐ führen sollte, bis ein neuer Meier eingesetzt werden würde. Der zukünftige Meier war in keinem Fall mit dem vorangegangenen Statthalter identisch. Auch der Hinweis auf die semantische Komposition dieser Figur ‚Statthalter‘ als temporärer Platzhalter erhellt, dass die Interimsregelung nicht mit der Amtsübernahme per se einherging. Was die Einsetzung des Statthalters und die Besetzung des Meieramtes verkomplizierte, gleichzeitig jedoch weitere Aussagen zum Amtsverständnis ermöglicht, sind zwei scheinbar in der lokalen Tradition verankerte Elemente. Einerseits betonte der Bischof in seinem Schreiben, dass er sich zurzeit nicht in der Lage sähe, in absehbarer Zeit einen neuen Meier zu benennen, da der zuo dissen zitten nit gewonlich ist ze sagen. 501 Mit dieser Aussage bezog er sich auf den Bieler Usus, den Meier jeweils nach den Weihnachtsfeiertagen zu ernennen. Die Missiven wurden am 15. Juli ausgestellt, also fast ein halbes Jahr vor der turnusgemäßen Meierbestallung. Um die zögerliche Haltung Johannes von Venningen, der aus dem Kraichgau stammte, zu erklären, muss auf eine weitere Traditionslinie hingewiesen werden: Seit dem 13. Jahrhundert war es üblich, dass der Bischof einen geboren edelman, der der stifft man sye  502 zum Meier des folgenden Jahres ernannte. Dass diese Gewohnheit je nach Interessens- und Machtlage unterschiedliche Reaktionen hervorrufen konnte, wird das nachfolgende und letzte Meierbeispiel der Familie Göuffi verdeutlichen. In der an das gesamte Bieler Herrschaftsgefüge gerichteten Missive verkün‐ dete Bischof Johannes gleichsam dem herrschaftlichen Adressatenkreis, dass er Klaus Künig als Statthalter einsetze und verlange, dass die Bieler ihm den gleichen Gehorsam schuldeten, wie sie ihn auch gegenüber dem verstorbenen Meier gezeigt hätten. Diese Mahnung macht deutlich, dass der Gehorsamseid der Person Bernhards von Malleray geleistet worden war, nicht dem Meier eines Amtes, das auch nach dem Tod seiner Inhaber weiterexistierte. Zudem 178 2 Der Meier und der Rat <?page no="179"?> 503 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 131. 504 Für einschlägige Arbeiten zu Paarformeln und Urkundensprache vgl. F R A U K E T H I E ‐ L E R T , Paarformeln in mittelalterlichen Stadtrechtstexten, Frankfurt a. M. 2016. Immer noch einschlägig ist M A T Z I N G E R -P F I S T E R , Paarformel, Synonymik und zweisprachiges Wortpaar. Zur mehrgliedrigen Ausdrucksweise der mittelalterlichen Urkundensprache, Zürich 1972. Siehe zudem G E R H A R D D I L C H E R , Paarformeln in der Rechtssprache des frühen Mittelalters, Darmstadt 1961 sowie E R N S T D I T T M E R , Der lateinische Einfluss auf die Paarformeln der frühen hochdeutschen Urkunden, in: Sprachwissenschaft 6 (1981), S. 439-478. ergab sich aus dieser expliziten Formulierung - dass nämlich dem Statthalter derselbe Gehorsam geschuldet werde, wie er dem Meier zugekommen wäre -, dass die Missive eine Übertragung der Rechte und Aufgaben vornahm, dass sie aber gleichzeitig eine grundsätzliche Differenzmarkierung zwischen Meier und Statthalter explizierte. Die an den breiten herrschaftlichen Adressatenkreis gerichtete Missive (Nr. 130) wiederum folgt einem klaren Aufbau und setzt Referenzen auf Gewohnheiten ein, um die Direktiven zur Statthalterschaft und zur Meierbes‐ tallung zu legitimieren: Nach dem Tod Bernhards sei das Meiertum vakant und der Tagesbetrieb nicht mehr zu gewährleisten. Darum müsse nun ein Statthalter ernannt werden. Da mit Klaus Künig bereits ein erfahrener Statthalter zur Verfügung stand, übertrug ihm der Bischof die Rechte und Pflichten des Meieramtes. Die Missive scheint also daraufhin konzipiert worden zu sein, Biel zu informieren, die Statthalterschaft zu legitimieren und den gebotenen Gehorsam einzufordern. Die zweite Missive, also das Schreiben an Klaus Künig persönlich (Nr. 131), hat im Wesentlichen den gleichen Inhalt, ist aber weniger elaboriert gehalten. In dieser Missive werden aber der Grund für das Schreiben (Bernhards Tod) und die Hinweise auf die lokal üblichen Vorgehensweisen kurzgehalten oder gänzlich weggelassen. Die Betonung ist hier in erster Linie auf die tatsächliche Machtübertragung gelegt. Der Bischof setzte Klaus Künig in unserm namen und von unsern wegen ein. 503 Die Paarformel ist dabei zusammengesetzt aus zwei unterschiedlichen Konzeptionen von Machtübertragung. Erstens wurde die Herrschaft grundsätzlich „im Namen“ des Bischofs ausgeübt. Diese Wendung betont die Machtübertragung des Bischofs auf seinen Amtmann im Sinne einer auf Repräsentation beruhenden Konzeption der Ämterhierarchie. Andererseits weist die Formulierung von unsern wegen auf die Grundlage hin, auf die sich die Legitimation der Herrschaftsausübung stützte. 504 Die Bedeutung solcher formelhaften Ausdrücke ist grundsätzlich schwer zu bewerten und soll hier auch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Vielmehr interessiert die Wirkung der Formulierung auf den Rest des Textes und dessen Rezeption. Der 179 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="180"?> 505 StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 189. 506 Zum Schriftgebrauch und der materiellen Ausgestaltung der Missiven vgl. Kapitel 1. 507 Zu Urkunden, deren Materialität und Einbindung in rituelle Kontexte vgl. K O C H , Urkunde. Zur Entwicklung des Briefwesens unter anderem mit Fokus auf die materielle Beschaffenheit vgl. Z W I E R L E I N , Gegenwartshorizonte. 508 Für die Unterscheidung von littera clausa und littera patens vgl. E G G E R , Littera patens. gezielte Gebrauch solcher an Rechtstexte angelehnten Formeln und den mit ihnen verbundenen Rechtstraditionen dient dazu, der Machtübertragung einen auratischen Ursprung „von alters her“ miteinzuschreiben. Damit verband sich der spezifische Akt der Statthalterernennung mit einem breiteren und zeitlich überdauernden Bezugsrahmen von Machtübertragung und der Legitimation von Herrschaftsausübung. Diese Beobachtung wird durch ein drittes Dokument gestützt. Wie bereits erwähnt, wurde der Meier jedes Jahr nach Weihnachten ernannt. In unserem Fall stellte Bischof Johannes von Venningen am 26. Dezember 1452 den Meieramts‐ brief für den neuen Meier aus, nämlich Ritter Hans Thüring von Büttikon. 505 Wie sein Vorgänger Reinhard von Malleray stammte er aus einer lokalen, ursprüng‐ lich im Ministerialdienst aufgestiegenen Familie. Im Folgenden interessieren vor allem die Spezifika des Bestallungsbriefs: Welche inhaltlich-textlichen Ähnlichkeiten respektive Differenzen zeigen sich im Verhältnis dieser beiden unterschiedlichen Medien, nämlich zwischen Missive und Meieramtsbrief, zu‐ einander? Betrachtet man die zur Meierbestallung ausgestellte Urkunde, so fallen zuerst die Unterschiede bezüglich der materiellen Ausgestaltung auf. Erstens wurde der Meieramtsbrief im Gegensatz zu den aus Papier gefertigten Missiven als Pergamenturkunde ausgestellt. 506 Der Pergamentbrief war somit nicht nur teurer in der Herstellung, sondern die Verwendung von Tierhaut stellte das Dokument als Urkunde zudem materiell in den Kontext rechtlicher Schriften. 507 Zweitens verweist nicht nur der Beschreibstoff, sondern auch die Ausgestaltung des Meieramtsbriefs auf dessen rechtliche Bedeutung, indem er im Gegensatz zu den Missiven (littera clausa) als littera patens, als offener Brief mit angehängtem Siegel, gestaltet wurde. 508 Obwohl das Setting der Meierbestallung ein grundsätzlich anderes war als dasjenige der Statthaltereinsetzung, lassen sich sowohl inhaltliche Anleh‐ nungen wie Übereinstimmungen bezüglich der Formulierungen ausmachen: [U]nd tuend uech kund, das wir den strengen unsern man und getruwen lieben herrn Hans Türingen von Büttikon, ritter, zuo unserm meyer und amptman ze Biel diss nechst kuenfftig jar uss genomen und im dasselb unser ampt, das genant jar uss in unserm namen und als unser meyer und amptman daselbs in allen sachen mit gantzem 180 2 Der Meier und der Rat <?page no="181"?> 509 StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 189. vollen gewalt, dar inn ze tuend und zelassen, als dz von alter harkomen ist usszerichten und zeregieren empfolhen hant. Nemen in also uff und empfelhend im das wissentlich in krafft diss briefs. Haruff so gebieten wir uch allen und yeglichen by uweren eiden und huldigungen, so ir uns geschworn und getan hant, das ir all und uwer yeglicher dem vorgenanten hern Türingen als unserm meyer und amptman ze Biell das naechst kuenfftig jor uss in unserm namen und von unsern wegen schwerend und gehorsam syent und alles tuend, als das ouch von alter harkomen und gehalten ist. 509 Der Meieramtsbrief hielt nicht einfach den Akt der bischöflichen Ernennung des neuen Meiers fest, sondern er war gleichsam die Materialisation der Amtseinsetzung. Damit verbunden war zudem die Übertragung der mit diesem Amt anfallenden Rechte und Pflichten. Dem Meier wurde die gantze volle macht übertragen, im Namen des Bischofs und für diesen das Amt - verstanden als Bereich der episkopal-herrschaftlichen Herrschaftsrechte - auszuüben und zu verwalten. Wie in der Missive wurden hier die bischöflichen Herrschaftsrechte als Amt auf eine bestimmte Person übertragen. Und wie bereits anhand der Missive deutlich wurde, evozierte auch hier der Hinweis auf Gewohnheit und altes Herkommen (von alter harkomen) einen übergeordneten Legitimationsbe‐ zugspunkt. Dieser Hinweis auf Gewohnheit erhielt weitere Stärkung durch die emphatische Nennung der von der Kommune und Landschaft geleisteten Huldigungen und Eide. Indem auf Gewohnheit und rituelle Prozesse Bezug genommen wurde, erschien die hierarchische Ordnung und Stabilität der Herrschaft als gegeben und schaffte einen übergeordneten Bezugspunkt der „Herrschaft“. Inwiefern der vorliegende Fall als Vorgeschichte der 1468 von Bischof Johannes von Venningen an Biel übertragenen Zuständigkeit für die Hochgerichtsbarkeit zu verstehen ist, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Allenfalls lässt sich als Tendenz erkennen, dass die Bieler von bischöf‐ licher Seite vermehrt auf ihre landesherrlich gesetzten Rechte und Freiheiten hingewiesen werden mussten. An dieser Stelle sei zudem angemerkt, was an späterer Stelle noch ausführ‐ licher behandelt werden wird, dass nämlich gerade der Bezugsrahmen des alten Herkommens von verschiedenen Akteuren durchaus flexibel gestaltet, in Frage gestellt oder gezielt eingesetzt werden konnte. Im Kontext der Über‐ tragung von Herrschaftsrechten an den bischöflichen Amtmann fungierte der Bezug auf eine stabile und kontinuierliche Herrschaftstradition als zentrales Legitimationselement. Dies konnte durchaus auch als charakteristisches und wichtiges Element der bischöflichen Herrschaft gesehen werden. In bischöfli‐ chen Gebieten, wo jede Bischofswahl je nach Machtverhältnissen der lokalen 181 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="182"?> 510 Vgl. S C H U B E R T , Fürstliche Herrschaft, S. 7-10. Adligen im Domkapitel eine Zäsur markieren konnte, scheint der Bezug auf bischöflich-herrschaftliche Kontinuitäten besonders wichtig gewesen zu sein. 510 In der Zusammenschau lassen sich die beiden Missiven als Informations‐ schreiben werten, die die Weiterführung der meierlichen Geschäfte garantieren sollten, während sich der Meieramtsbrief in den bereits zu Beginn des Kapitels ausgeführten Kontext der alljährlichen Regimentswechsel und Schwurtag der Gemeinde einfügte. Denn der Meieramtsbrief gehörte mit zu den Schriftstücken, die vor versammelter Gemeinde in der Stadtkirche laut vorgelesen wurden und in die performativ-rituellen Handlungen rund um die Regimentserneuerung eingebunden waren. Während die Eidtexte der (städtischen) Amtleute deren Handeln der stat nutzen und ere verpflichteten, bezog sich das Meieramt und die damit verknüpfte Herrschaftsorganisation Biels auf die bischöfliche Oberherrschaft, wie es die städtische Handfeste und andere briefe vorsahen. Beide Bezugs- und Legitimationshorizonte schlossen sich in der zeitgenössi‐ schen Wahrnehmung und Deutung nicht aus, sondern ergänzten sich und fügten sich im Kontext der jährlich wiederkehrenden Regimentswandlung und Schwurtagen zu einem Bezugsrahmen zusammen. Das Beispiel der Statthalterschaft Klaus Künigs und der Amtseinsetzung des neuen Meiers Hans Thürings von Büttikon ist bezüglich der überlieferten Schriftstücke ideal, um aufzuzeigen, wie Herrschaftsrechte, die letztlich immer auch als Repräsentation verstanden wurden, übertragen wurden. Anhand der intermedialen Konstellation zweier unterschiedlicher Schriftguttypen - Missive und Meieramtsbrief - konnte verdeutlicht werden, wie sich die Übertragung von Herrschaftsrechten auf lokale Amtleute gestaltete, welche Handlungsspiel‐ räume durch die mediale Anlage der Kommunikation eröffnet und welche Problemlagen in dieser Situation verhandelt wurden. Ein Bürger als Meier und Biels Aufruhr: Meier Göuffi (1490er-Jahre) Die bislang angeführten Beispiele haben ganz unterschiedliche Aspekte der meierlichen Amtsführung und des Umgangs der Bischöfe mit ihren Amtleuten beleuchtet, lassen dabei jedoch eine gegenseitige Akzeptanz der personellen Be‐ setzung des Meieramtes erkennen. Doch der Einfluss des jeweiligen Bischofs auf „seinen“ Amtmann in Biel war nicht grundsätzlich gegeben und kontinuierlich, sondern hing stark von den verschiedenen Interessen und Machtverhältnissen der Parteien in diesem Herrschaftsgefüge (vor allem Bischof, Kapitel, Meier und Rat) ab. Im Folgenden wird anhand eines Streits zwischen den Bielern und dem 182 2 Der Meier und der Rat <?page no="183"?> 511 Die Rolle der Stadt Basel als Schiedsrichterin ist nicht abschließend zu beurteilen. Obwohl eine stärkere Gewichtung von Gewohnheitsrechten auch der Stadt Basel zum Vorteil in ihren Auseinandersetzungen mit dem Bischof um ihre eigenen Privilegiensi‐ cherungen gereicht hätte, soll hier kein Basler Eigennutz suggeriert werden. 512 Vgl. dazu B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a (Schiedsspruch), S. 160-168 und 117b (Vereinbarung), S. 168f. Für die Originalurkunden vgl. StadtA Biel 1, 61, CIX, Nr. 83 (Schiedsspruch) und Nr. 63 (Vereinbarung). 513 Bishop Kaspar zu Rhein wird dabei vertreten von Hartmann von Hallwil (Dompropst), Rudolf Münch von Landskron (Dekan) und Kanzler Jost Keller. 514 Biel wird an den Verhandlungen durch Benedicht Schwarz (Bürgermeister) und Hans Seriant (Stadtschreiber) repräsentiert. 515 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a (Schiedsspruch), S. 162. Bischof um die Meierbestallung ein Fall vorgestellt, der Konflikte angesichts unterschiedlicher Kompetenz- und Eignungsvorstellungen offenlegt. Wer von wem als Meier vorgeschlagen werden konnte, welche Qualitäten diese Person zu erfüllen hatte und wie die Meierbesetzung im Detail vonstattengehen sollte - über diese Fragen musste man sich im Konfliktfall neu verständigen. Was sich auf den ersten Blick als Auseinandersetzung über personelle Herkunfts- und Eignungsfragen liest, lässt sich, so die These, auch als Schauplatz verstehen, an dem die Machtverhältnisse zwischen der kommunalen Führungsgruppe und dem Bischof neu verhandelt wurden. Am 25. September 1493 musste Basel 511 einen Schiedsspruch zwischen Bischof Kaspar zu Rhein und der Stadt Biel fällen. 512 Dabei handelt es sich um den ersten dokumentierten Meierstreit zwischen Bischof und Biel. In dieser Ausein‐ andersetzung wurde zentral diskutiert, wer Meier in Biel werden konnte. Dies wiederum führte zu einer breiteren Diskussion darüber, was als Gewohnheit und was als Recht in der Herrschaft Biel anerkannt wurde. Die Händel zogen sich über fast zwei Jahre hin, bis endlich eine Einigung erzielt wurde. Der Schiedsspruch hielt als Anlass fest, dass Bischof Kaspar zu Rhein 513 sich über die Bieler 514 beklagt hatte. Diese hätten sich nämlich geweigert, Humbert Göuffi als neuen Meier anzunehmen. Zuvor hatte sich Biel auch schon über dessen Vorgänger Rudolf von Vaumarcus beklagt. Stein des Anstoßes war nun Folgendes: Nach dem Tod des Meiers Hans Friedrich von Mülinen hatte Bischof Kaspar die Bieler aufgefordert, ihm drei oder vier Ratsmitglieder vorzuschlagen, damit er aus ihnen einen geeigneten Kandidaten als Statthalter bestimmen könne. Den Bieler missfiel jedoch die Tatsache, dass Bischof Kaspar ihre Vorschläge ignorierte und mit Rudolf von Vaumarcus direkt einen neuen Meier ernannte. In ihrer Argumentation vor dem Basler Schiedsgericht betonten die Bieler, dass sie sich kompromissbereit gezeigt und den neuen Meier für eine Amtsperiode akzeptiert hätten. 515 Nach Ablauf des 183 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="184"?> 516 Humbert Göuffi war der Sohn von Peter Göuffi und Elsina Seriant, der Tochter des Stadtschreibers Peter Seriant. Göuffi studierte in Basel und wurde 1482 als Gesandter an den französischen Hof geschickt. Unter Thüring Fricker war Humbert Göuffi zwischen 1476 und 1481 Schreiber in der Berner Stadtkanzlei gewesen. 1483 war er Ratsmitglied und Stadtschreiber in Fribourg und drei Jahre später ist er als Schiedsrichter einer Auseinandersetzung zwischen dem Bischof von Basel und der Stadt Bern belegt. Nach Biel kehrte er 1492 zurück. Vgl. H E I N R I C H T Ü R L E R , Die Familie Göuffi von Biel, in: Neues Berner Taschenbuch 11 (1906), S. 241-286. 517 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a, S. 167. 518 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 50, S. 78-85. Für die lateinische Originalurkunde vgl. StadtA Biel 1, 61, CIX Nr. 67, für die deutsche Version in Seriants Dokumentenbuch vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII, 1, S. 140-154. 519 Ebd. Amtsjahres hätten sie dann nach einem neuen Meier verlangt. Bischof Kaspar ernannte daraufhin mit Humbert Göuffi einen versierten Delegationsmann, vertrauten Verhandlungsführer und Bieler Ratsmann zum neuen Meier und hoffte so, den schwelenden Konflikt zu lösen. 516 Diese Entscheidung traf jedoch unerwartet auf heftigen Bieler Widerstand. Die Bieler führten nämlich als Gegenargument ins Feld, dass es ihr auf Gewohnheit und altes Herkommen beruhendes Recht sei, einen geboren edelman, der der stifft man sye zum Meier zu erhalten. 517 Der Bischof und das Kapitel ihrerseits wiederum rekurrierten nicht auf den jahrzehntelangen Usus, sondern auf die wichtigste kommunale Urkunde, das Imerium. 518 Die 1388 von Bischof Imer von Ramstein ausgestellte, weitgehend auf dem Privilegienbrief Bischof Jeans de Vienne beruhende Ur‐ kunde hält in Bezug auf den Anspruch Biels nur fest, dass der Meier ein homo dicte ecclesie nostre Basiliensis  519 sein sollte. Dem hielten die Bieler wiederum entgegen, dass dies nie so gehandhabt worden wäre und dass alle Vorfahren auf dem Bischofsstuhl sich daran gehalten hätten, einen Adligen zu ernennen. Der Streit entbrannte jedoch nicht nur über die Art und Weise der Meie‐ rernennung, sondern auch über die zeitliche Dimension der Lösungsfindung. Normalerweise wurde eine Meiervakanz, wie bereits gezeigt, bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres mit einer Statthalterschaft überbrückt. Die grund‐ sätzliche Oppositionsstellung der Bieler gegenüber dem Bischof zeigt sich wohl am deutlichsten in ihrer vehementen Weigerung, einen Statthalter anzunehmen. Bischof Kaspar betonte, dass es dringend notwendig sei, einen Statthalter einzusetzen, der für die Ratseinberufung und die Präsidierung desselben zu‐ ständig war. Ohne dieses Recht des Meiers könne die Kommune nicht geführt werden. Dass es den Bielern wohl grundsätzlicher um die Eindämmung des zunehmenden bischöflichen Einflusses in Biel ging, zeigt deren sehr selbstbe‐ wusste Antwort darauf: 184 2 Der Meier und der Rat <?page no="185"?> 520 Zitiert nach B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a, S. 163, Z. 38-41. 521 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a und b, S. 160-169. 522 Vgl. B L O E S C H , Verfassungsgeschichte, S. 40. 523 Zur dialogischen Struktur und der symbolischen Kommunikation vor Gericht vgl. F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S , Sprachformeln und Fachsprache. Zur kommunikativen Funk‐ tion verschiedener Sprachmodi im vormodernen Gerichtswesen, in: Symbolische Kom‐ munikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Reiner Schulze, Berlin 2006, S. 57-72. Zu Verfahren und Gerichtsstruktur anhand lokaler, diachroner Unter‐ [D]z sy weder gerichte noch rate zebesitzen haben one einen meiger, des gestanden sy nit, sunder so schwere ein meiger inen als wol als sy im, habe ouch nit witter gewaltsamy denn einen rate ze samlen, und was durch einen rate erkannt werde, dem sye er pflichtig nachzukomen. 520 Für die Bieler war demnach der Meier eine beigeordnete Instanz und ihre Argumentation betonte die Gegenseitigkeit der Führungsorganisation und die Entscheidungskompetenz des Rates, dessen Beschlüsse für den Meier bindend waren. Aufgrund der Dokumente, die vom Schiedsgericht überliefert sind, können folgende Argumentationslinien der beiden Parteien resümiert werden. Die bischöfliche Partei um Dompropst Hartmann von Hallwil, Hofmeister Fried‐ rich zu Rhein von Häsingen und Kanzler Jost Keller stützte sich auf das uneingeschränkte Recht auf freie Meier- und Statthalterernennung, welches dem Landesherrn durch schriftliche Evidenz garantiert war (Imerium). 521 Gleich‐ zeitig bestritten sie das von Biel reklamierte Recht, vor der Bestallung zu möglichen Kandidaten angefragt oder wenigstens informiert zu werden. Die gesamte Argumentation des Bischofs und des Domkapitels stützte sich auf den Privilegienbrief Imers von Ramstein von 1388, also ein mehr als 100 Jahre altes Dokument, wobei dieses wie ein alter unverdechtlicher gebruch yewelten herkomen und geübt sei. Der Rekurs auf das Imerium machte für das Kapitel Sinn, stellte doch dieses Dokument gerade die Rechte des Kapitels am prominentesten heraus. 522 Die Bieler Ratsdelegation ihrerseits führte dagegen Gewohnheit und altes Herkommen als zentrale Argumentation ins Feld. Jeder der Vorgänger Bischof Kaspars zu Rhein hätte jeweils einen Adligen aus den Stiftslanden ernannt und somit ergäbe sich auch jetzt ihr Recht auf einen adligen Meier. Interessanterweise wurde aber von der bischöflichen Delegation erst an dieser Stelle ein Faktum in die Verhandlungen eingebracht, das sehr viel über die unterschwellig mitgeführte Diskussion über die bischöfliche Einmischung in die Bieler Verhältnisse aussagt. Erst in dem durch Klage, Antwort, Rede und Wiederrede durchstrukturierten Schiedsverfahren 523 wurde betont, dass der 185 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="186"?> suchungen vgl. S V E N S C H U L T H E I S S , Gerichtsverfassung und Verfahren. Das Zentgericht Burghaslach in Franken (14.-19. Jahrhundert), Köln/ Weimar/ Wien 2007. 524 Adam Göuffi war 1482 als Meier eingesetzt worden, verstarb aber kurze Zeit später, vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 291a. 525 Peter Göuffi, der Vater von Adam und Humbert wurde, ebenfalls 1482, nach dem Tod seines Sohnes, als Meier eingesetzt, vgl. ebd. 526 [D]az dann unnser gnediger herr von Basel davorgenant die von Byel der besatzung halb des meigerthuombs by solichem irem alten herkomen unnd gewonheit als ander siner gnaden vorfaren billich beliben lasze unnd mit einem geboren edelman, der der stifft man sye, verseche, wie denn das von alter her biss uff sin gnad komen und bracht ist, in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117a, S. 167, Z. 34-38. 527 Als einschlägige Studie zum Umgang mit Rechtsformen und -gewohnheiten vgl. T E U S C H E R , Erzähltes Recht. umstrittene Meier Humbert aus der Göuffi-Familie stammte und dass Humberts Bruder Adam 524 wie auch dessen Vater Peter 525 bereits als Meier in Biel geamtet hatten. Dass auch vorher nichtadlige Bieler Bürger als Meier eingesetzt worden waren, scheint bei den Bielern also bis dahin nicht auf Widerstand gestoßen zu sein. Der Prozessverlauf macht klar, dass sich der Streit um die Meiereinsetzung auf mindestens zwei unterschiedlichen Ebenen abspielte. Die Argumentationslinie der beiden Parteien folgte einer differenzierten Opposition von verbrieftem Recht und Gewohnheit. Das von beiden Seiten in Anschlag gebrachte Argument, bei der jeweiligen Forderung handle es sich um Gewohnheit, erweist sich als komplexe Referenzgröße: Sie konnte sich auf „altes Recht“ beziehen, das aber in neuer Form angewendet wurde (Argumentation der bischöflichen Partei mit dem Imerium von 1388), oder sie konnte sich auf eine bestehende Praxis beziehen, deren Kontinuität als Sicherheitsgarant verstanden wurde (Argumentation der Bieler Partei mit Bezug auf Gewohnheit). Der Basler Schiedsspruch von 1493 hielt schließlich fest, dass sich der Bischof an die von den Bielern vorgebrachte „herkömmliche Praxis“ der Meierbestallung zu halten hätte. Das Bieler Argument bi altem herkomen und gewonheit  526 schlug also den episkopalen Rekurs auf die schriftliche Evidenz des Privilegienbriefs. 527 Während die Rechtsdokumente den Schiedsprozess respektive den daraus resultierenden Schiedsspruch Basels festhielten und damit eine Lösung des Konflikts suggerieren, bieten nun die Missiven die Möglichkeit, die Auseinan‐ dersetzung und das Kräftemessen zwischen den Parteien weiterzuverfolgen. Über die Missivenkorrespondenz wird die Auseinandersetzung überhaupt erst als Prozess mit potenziell offenem Ausgang deutlich. Missiven aus dem Zeit‐ raum zwischen 1493 und 1495 bezeugen nämlich, dass der Streit nach dem 186 2 Der Meier und der Rat <?page no="187"?> 528 Vgl. StadtA Biel, 1, 45, LXXI, Nr. 281, 283, 285, 286, 288, 290, 291 (293 fehlt), 295-298, 301 und 303. 529 StadtA Biel 1, 55, LXXXV, Nr. 221 und 221a. 530 StadtA Biel 1, 45, LXXI, Nr. 291 (22. Januar 1494). 531 StadtA Biel 1, 45, LXXI, Nr. 288 (31. März 1494). 532 Ebd. 533 Vgl. dazu Kapitel 1.5. 534 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 290 (2. April 1494). Schiedsspruch weitergeführt wurde. 528 Der Bischof insistierte auf seine Rechte und die Bieler weigerten sich weiter, den bischöflich ernannten Statthalter anzuerkennen. Der Streit entflammte 1494 erneut, als Peter Wyttenbach als Statthalter eingesetzt werden sollte. 529 In seiner Missive, die die Bieler über den neuen Statthalter informieren sollte, stellte Bischof Kaspar unmissverständlich klar, dass er das Recht dazu besäße. Dabei bezog er sich wiederum auf ein konkretes Schriftstück, diesmal auf den Basler Schiedsspruch von 1493. Biel weigerte sich trotzdem, Peter Wyttenbach als Statthalter anzuerkennen. 530 Als Kompromiss schlug Kaspar vor, den Statthalter nur so lange die Geschäfte führen zu lassen, bis im August - der Tag war wohl bereits angesetzt und kommuniziert worden - endlich eine Einigung gefunden würde. 531 Bischof Kaspars Missive ging denn nun auch auf andere Überzeugungsmomente ein, als es der Schiedsspruch zuließ, der als Textgattung bestimmten Strukturelementen folgt und Formalisierungen beinhaltet. Der Wechsel im semantischen Register zeigt sich in der bischöflichen Appellation an die Einsicht der Bieler Räte, da kein Vorteil in ihrer Haltung erkennbar sei: Dwil uch doch an der sach in mitler zit nutzit gelegen, des weder nuetz nach verlust emphahen moegen. 532 Verfolgt man die Missivenkorrespondenz als Serie, so lässt sich ein immer drängenderer Ton ausmachen. Nachdem sich die Bieler mit dem Bischof endlich auf einen Statthalter, nämlich Peter Wyttenbach, verständigt hatten, führte ein Schreibfehler zu weiterem Streit. Da in der Statthalterurkunde an einer einzigen Stelle ein Name falsch geschrieben worden war, nutzten die Bieler dies als Anlass, den Streit weiterzutreiben. 533 In einer weiteren Missive musste Bischof Kaspar die Bieler in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass es ihnen nicht erlaubt wäre ein stathalter uss eignem fuernemen, on unsern willen satzten gericht und recht besetzen ließen, das ir doch nit zu tun haben. 534 Biel hatte also offensichtlich in der Zwischenzeit versucht, einen eigenen Statthalter zu ernennen, der den städtischen Rat einberief und die Gerichtssitzungen präsidierte. Damit zog sich der Streit weiter hin, und es wurde erneut ein Schiedsgericht einberufen, dieses Mal unter Berner Aufsicht. Eine Einigung wurde im März 187 2.3 Bischof, Biel und das Dazwischen <?page no="188"?> 535 Vgl. dazu B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 117b (Vereinbarung), S. 168-169. Für die Origi‐ nalurkunden vgl. StadtA Biel 1, 61, CIX Nr. 63. 536 Ebd. 537 Benedikt von Römerstal war mit einer Tochter des Hauses Seggesser von Brunegg verheiratet. Von 1491 bis 1494 war der Berner Ratsmann zudem Schultheiß von Burgdorf, danach Vogt von Erlach (1494-1497), vgl. B O U R Q U I N und B O U R Q U I N , Biel, S. 343-345. 538 Vgl. W E I S S E N , Verwaltung. Die schlechte Finanzwirtschaft der Bischöfe im 15. Jahr‐ hundert gehört zu den Standarddarstellungen zur Basler Geschichte, so auch bei W A C K E R N A G E L , vgl. W A C K E R N A G E L und L I N D A U , Geschichte der Stadt Basel. 539 Vgl. W E I S S E N , Verwaltung, S. 218 sowie E R N E S T M E I N I N G E R , Notice historique et généa‐ logique sur la famille Zu Rhein, in: Bulletin du Musée Historique de Mulhouse 12 (1887), S. 37-98. 1495, also rund ein Jahr später, gefunden. 535 Der Kompromiss lautete, dass der Bischof Biel in der Tat einen Adligen als Meier für Biel benennen sollte. Finde sich allerdings kein geeigneter Kandidat, dann dürfe der Bischof einen nemen uss dem kleinen rat, den vierundzweintzigen zu Biel. 536 Die Auseinandersetzung endete mit der Einsetzung Benedikts von Römerstal, der gleichzeitig Adliger und Bürger von Biel war. Er übernahm in der Folge für den relativ langen Zeitraum zwischen 1495 und 1508 das Amt des Meiers. 537 Die eben skizzierten Auseinandersetzungen um die Besetzung des Bieler Meie‐ ramtes müssen auch mit Blick auf die bischöfliche Herrschaftspraxis betrachtet werden. Der Versuch einer vermehrten An- und Einbindung Biels in das bischöfliche Herrschaftsgefüge lässt sich vielleicht besser verstehen, wenn man in Betracht zieht, dass im 15. Jahrhundert der Einflussbereich der Basler Bischöfe in ihren Rechtskreisen und Herrschaftsgebieten schwand. Zu den Gründen gehörten die desolate Finanzlage des Bistums, das Unvermögen, Verpfändungen auszulösen und nicht mehr rückgängig zu machende Privilegienvergaben. 538 Neben dem Verlust der Rechte bei der Besetzung des Schultheißenamtes in Basel reduzierten weitere Verpfändungen und Vergabungen den bischöflichen Herrschafts- und Machtbereich im Südwesten, vor allem im Gebiet um Delé‐ mont und Porrentruy. Es scheint, dass gerade Bischof Kaspar zu Rhein sich darum bemühte, seinen Zugriff auf Biel zu erhalten, wenn nicht zu verstärken. Mit Kaspar war ein Vertreter einer Familie auf dem Bischofsstuhl, die nur wenige Besitzrechte vorweisen konnte. 539 Mehr noch als die zu Rhein waren einige lokale Adlige, die sich im Domkapitel Basel zusammenfanden, an einem gefestigteren Zugriff auf die südwestlichen Herrschaftsgebiete interessiert. Nach seiner Wahl 1479 war Bischof Kaspar der erste Basler Bischof, der vor dem Kapitel den Eid ablegte, diesem im Falle einer Sedisvakanz die bischöfli‐ chen Herrschaftsrechte zu übertragen. Das Domkapitel als Wahlgremium und 188 2 Der Meier und der Rat <?page no="189"?> 540 W E I S S E N , Verwaltung, S. 226. Führungsinstanz erlangte somit signifikanten Einfluss auf die Ausrichtung des (weltlichen) Bistums. Damit zeitigten sich mittel- und langfristig auch in der Struktur und Anlage der Ämter entscheidende Veränderungen. Während das Meieramt zunächst als personelle Beziehung zwischen Bischof und Amtmann angelegt war und mit der jeweiligen Absenz respektive Vakanz erneuert wurde, wurden die Ämter nun vermehrt auf eine transpersonale Organisation bezogen, nämlich das Domkapitel. Die Ämter, Amtleute und Amtszeiten waren nun nicht mehr direkt von einem bestimmten Episkopat abhängig, sondern wurden zu einem sich institutionalisierenden Element in der Herrschaftspraxis. 540 Diese Veränderung in der Konzeption der Ämter lief dem Bestreben der Bieler zuwider, kommunale Freiheiten zu erlangen. Die Argumentation der Bieler Führungselite mit Rekurs auf von alter herkomen baute letztlich auf der Vorstellung auf, dass die Meier und Statthalter von Fall zu Fall ausgehandelt werden konnten und sich ihnen damit ein entscheidender Handlungsspielraum eröffnete. Eine übergreifende Organisation der Ämter über eine sich ständig erneuernde Institution wie das Domkapitel hieß für Biel wohl auch, dass sich dieser Raum für Aushandlung und Kompromiss verringerte. Es ist schwierig, diese Entwicklung in direkte Verbindung mit der Missiven‐ korrespondenz zu bringen. Jedoch scheint es plausibel, die kommunikativen Bedingungen der Missivenkorrespondenz zumindest als wichtigen Faktor in der herrschaftlichen Beziehungspraxis zu deuten, die besonders in den Ämtern zum Tragen kam. Der missivenvermittelte Austausch über Distanzen und Zeiten hinweg erleichterte jenseits einer anwesenheitsbasierten Kommunikation Ver‐ suche, auf konkrete Sachverhalte Bezug zu nehmen, Formen der Distanz und Präsenz nach Bedarf auszugestalten und vor allem ermöglichte er inhaltliche Handlungsspielräume innerhalb einer durch feste Formen etablierten Adressa‐ tenstruktur. Als Adressen blieben Meier (und Rat) konstant, als Akteure im Amt hingegen eröffneten sich immer wieder neue Aktionsräume. Missiven und Amt - ein Zwischenfazit Bischof, Meier und Rat - diese Akteure werden durch die hier untersuchte Missivenkorrespondenz als Briefsteller und Adressaten in Beziehung gesetzt. Die Art und Weise, wie die jeweiligen Instanzen in die Herrschaftskommunika‐ tion integriert wurden, prägte die Ausübung des Amtes und damit wiederum die Amtsauffassung. Während das kommunale Verwaltungsschriftgut in Form 189 Missiven und Amt - ein Zwischenfazit <?page no="190"?> von Stadt- und Eidbüchern Einblick gibt über normativ gefasste Vorstellungen von Ämtern und Gremien, erlaubt der mediale Blick auf die Missivenkorrespon‐ denz deren Umsetzung innerhalb der herrschaftspraktischen Kommunikation nachzuvollziehen. Die mediale Vermittlung der Herrschaft wird besonders in der engen Verschränkung von Schriftlichkeit und Amt deutlich. Denn die Herrschafts- und Ämterorganisation wurde durch Herrschaftspraktiken, die im Spätmittelalter vermehrt von Schriftexperten in schriftliche Formen überführt wurden, festgehalten und strukturiert. Eine erste Annäherung an die unterschiedlichen Ämter wurde anhand ihrer Eide vorgenommen. Dabei wurde deutlich, dass die einzelnen verschriftlichten Eidtexte weniger eine vorgegebene Funktion oder Aufgabenverteilung abbil‐ deten, sondern dass diese allesamt vielmehr den gemeinsamen Bezugspunkt respektive die Ausrichtung der Ämter auf der statt nutzen und ere hin betonten. Die Gemeinschaft konstituierte sich an den Schwur- und Eidtagen jährlich neu - auch wenn der Erneuerungscharakter im Falle der Ratsmänner mehr behauptet, denn in der personellen Besetzung der Gremien tatsächlich durch‐ gesetzt wurde. Die spätestens ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzende Tendenz, die Eide und personellen Besetzungen zu verschriftlichen und dafür allenfalls auch Vorlagen aus anderen Städten zu übernehmen, zeugt von einem veränderten Umgang mit Ämtern. Warum sollte man Eidtexte und Ratszusammensetzungen verschriftlichen und ordnen? Die Ämter konsti‐ tuierten sich im ausgehenden Mittelalter nicht mehr nur durch ihren jährlichen Schwur und kontinuierliche Tätigkeit, sondern wurden mit einer weiteren medialen Dimension versehen. Die Schreiber und Schriftverwalter des nun entstehenden Schriftguts ermöglichten nicht nur den konkreten Bezug auf geordnete Kompilationswerke wie das Bieler Stadtbuch, das über eine lose Privilegiensammlung von briefen hinausging, sondern auch eine abstrakte Ordnungsvorstellung der Stadt, auf die man sich jederzeit beziehen konnte, die Kontrolle gestattete und gleichzeitig eine eigene Form von Kontinuität entstehen ließ. Zwar wurde in der Analyse den kommunalen Kompilationen, Meierbestallungsbriefen und Missiven der Vorzug gegeben, um der Adressa‐ tenausrichtung der Missivenkorrespondenz zu folgen, jedoch erhellt bereits ein kurzer Blick auf das bischöfliche Administrationspersonal, dass auch hier Kontinuität angestrebt wurde. Ein Vergleich der Amtszeitdauern von Bischöfen und Kanzlern zeigt, dass Letztere die Struktur der bischöflichen Verwaltung maßgeblich prägten. Während zwischen 1436 und 1509 fünf Bischöfe amteten, sorgten die beiden Kanzler Wunnewald Heidelbeck (1437-1479) und Jost Keller 190 2 Der Meier und der Rat <?page no="191"?> 541 So übernahm Wunnewald Heidelbeck 1437 die Kanzlei und führte innovative Reorga‐ nisationen durch (vor allem bezüglich Rechnungsführung) und ordnete über Jahrzehnte das bischöfliche Kanzlei- und Sekretariatswesen, vgl. W E I S S E N , stuer, S. 226-232 sowie die Übersicht über die Amtsträger auf S. 551. (1479-1512) mit jahrzehntelangen Amtszeiten für Kontinuität und Konstanz in der Bistumsadministration. 541 An der kommunalen Ordnung orientierte sich auch die herrschaftlich ver‐ fasste Adressierungslogik des Bischofs, wenn Missiven an Meier und Rat gerichtet wurden. Nimmt man die Missivenserie wiederum als Ganzes in den Blick zeigt sich, dass zwar die Adressierungen über den ganzen Zeitraum hinweg konstant blieben, die Vorstellungen dahinter und die ausgedrückten semantischen Register der Herrschaftssprache im Missiventext jedoch durchaus situativen, aber auch längerfristigen Anpassungen unterlagen. In der bischöfli‐ chen Korrespondenz konnte etwa der nutzen als übergeordnete Bezugsgröße ebenso als Druckmittel in Anschlag gebracht werden wie Semantiken des Gehorsams oder die konkrete Bezugnahme auf die geleisteten Eide gegenüber dem Herrn. Die Missivenkorrespondenz leistete also eine grundsätzliche Adres‐ sierbarkeit der Adressaten im Sinne einer sozialen Adresse, die gerade in ihrer Formelhaftigkeit prinzipiell konstant war und damit auch immer adressierbar: Der Meier und der Rat von Biel stellten damit über die jeweilige personale Besetzung der Gremien und Ämter hinaus eine ebenso dauerhaft verfügbare Adresse in der Herrschaftskommunikation dar wie der Bischof seinerseits. Die Missiventexte wiederum weisen einerseits über sich hinaus auf die wäh‐ rend der jährlichen Regimentserneuerung geschworenen Eide und Freiheiten, andererseits rücken Missiven als bischöfliche Schriftstücke in eine nicht nur semantische Nähe zur kommunalen Privilegiensammlung, die als nicht näher bestimmtes Konvolut von briefen verstanden wird. Sowohl bei der Regiments‐ erneuerung wie auch bei der vorgängigen Meierbestallung durch den Bischof etablierte sich im Idealfall ein Konsens über die Bezugspunkte der durch das Ritual und die briefe bestätigten Herrschaft und ihrer Inhalte. Im Konfliktfall wiederum, so hat es der Meierstreit in den 1490er-Jahren gezeigt, boten ge‐ rade Widersprüche zwischen Schriftstücken und Auslegungsdiskrepanzen von schriftlichen Formulierungen und ausgeübten Gewohnheiten Einsatzpunkte, um über das Verhältnis von Stadt und Bischof zu verhandeln. Dabei zeigte sich auch, dass das Amt des Meiers im Verlauf des 15. Jahrhunderts eine besondere Rolle in der Ausgestaltung dieses Verhältnisses spielte. In dieser Mittlerfigur und Schnittstelle zwischen Bischof und Führungsgre‐ mium der Stadt Biel liefen ganz unterschiedliche Interessen zusammen. Als Stellvertreter des Bischofs übermittelte er dessen Anweisungen und setzte 191 Missiven und Amt - ein Zwischenfazit <?page no="192"?> dessen Ansprüche durch. Als Vorsteher des Bieler Rates überbrachte er Bitten, Anfragen und Forderungen an den Bischof. Gerade die Streitigkeiten um das Meieramt zeugen von den divergierenden Vorstellungen von Loyalität und Abhängigkeit, die in dieser Stellung gleichsam gebündelt waren. Dabei eröffnete das Amt einen Handlungsspielraum, der durch die beiden Pole einer auf die Person und einer auf die Stellvertretung bezogenen, also repräsentativ gefassten Amtsfigur aufgespannt wurde. Dieser Spielraum, auch wenn er für die Bieler Führung eng war, konnte dann in der jeweiligen Situation zwischen den hierar‐ chisch positionierten Parteien (neu) verhandelt werden. Diese Aushandlungs‐ prozesse in der Herrschaftspraxis lassen sich jedoch nur bedingt anhand von rechtlichen Dokumenten eruieren, welche ihrerseits jeweils einzelne, situative Entscheidungen fixierten. Hier bieten Missiven die Chance, Prozesse in ihrer Sequenzialität zu fassen und damit die Dynamik der herrschaftlichen Praxis und ihren prinzipiell kontingenten Ausgang in den Blick zu bekommen. Verfolgt man das Meieramt vom Ende des 14. bis zum Ende des 15. Jahr‐ hunderts, zeigt sich ein grundsätzlicher Wandel. Zwar pflegten die einzelnen Bischöfe unterschiedlichen Umgang mit ihren Meiern vor Ort und nutzten Nähe und Distanz auf unterschiedliche Weise. Zu Beginn des untersuchten Zeitraums verkehrten die Meier noch sehr mobil zwischen Bischofshof und Biel. Hier lässt sich die Familie von Malleray und im Speziellen Reinhards von Malleray Meieramtszeit (1390-1406) anführen. Oft direkt am Bischofshof weilend, vermittelte er zwischen zentraler und lokaler Herrschaft. Dies änderte sich bereits unter seinem Nachfolger, Rudolf Hofmeister (1406-1415). Das auf ein Jahr angelegte Amt wurde zu einer Position, die zwar immer noch jährlich im Rahmen der Regimentswandlung bestätigt werden musste, jedoch über Jahre bei demselben Amtmann blieb. Rudolf Hofmeister verkörperte einen Amtmann, der vor Ort als Herrschaftsrepräsentant relativ selbständig agierte und sich dadurch in den weiteren eidgenössischen Beziehungs- und Führungskreisen etablierte. Er scheint sich durch besondere Qualitäten der Vermittlung und Präsenz vor Ort ausgezeichnet zu haben, sodass er nach dem Meieramt in Biel für Jahrzehnte als Schultheiß in Bern dessen kommunale Führungszwistigkeiten zu stabilisieren vermochte. Zudem war er der einzige Bieler Meier, der gezielt und direkt in die bischöfliche Korrespondenz einbezogen wurde. Rudolf Hofmeister verstand es offenbar, sich durch das Meieramt als Vermittler und bischöflicher powerbroker im Beziehungs- und Verwandtschaftsgeflecht von Bischof, Biel und lokal respektive überregional verankertem Adel in eine Position zu bringen, die ihm einigen Einfluss im politisch-sozialen Umfeld verschaffte. Noch deutlicher wird die Verschiebung vom Vermittler zwischen Bischofshof und Stadt hin zum lokalen Herrschaftsträger im Meierstreit der 1490er-Jahre, 192 2 Der Meier und der Rat <?page no="193"?> in dem das Verhältnis zwischen Stadt und Bistum neu verhandelt wurde. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zeichnete sich jedoch eine grundlegend andere Konzeption des Amtes ab. Während die Ämter bislang als personelle Beziehung zwischen Bischof und Amtmann angelegt und bei Neubesetzungen des Bischofstuhls jeweils erneuert worden waren, wurden die Ämter nun vermehrt auf das Domkapitel bezogen. Die Ämter, Amtleute und Amtszeiten waren nun nicht mehr direkt von einem bestimmten Episkopat abhängig, sondern wurden zu einem sich gleichsam institutionalisierenden Element der Herrschaftspraxis. Im Falle Biels kommt hinzu, dass Biel seit 1489 durch die verstetigten Bündnisse mit Bern, Solothurn und Freiburg stärker in die Bündnispolitik der Eidgenossenschaft integriert war und nach der tatkräftigen Unterstützung derselben in den Burgunderkriegen (1474-1477) als aufsteigender Ort innerhalb des Bündnisgeflechts selbstbewusster agierte. Dies heißt aber nicht, dass Biel nun den bischöflichen Meier im Grundsatz nicht mehr akzeptierte, im Gegenteil. Das Herrschaftsverständnis folgte einer anderen Logik. Zwar entbrannte der Streit zwischen Bischof und Biel tatsächlich an der Personalfrage, die Argumen‐ tationslinien verliefen jedoch entlang spezifischer Interessenslagen. Die Bieler beriefen sich auf das Recht, einen adligen Stiftsmann als Meier zu erhalten (von alter herkomen her). Das bischöfliche Argument dagegen bezog sich auf ein schriftliches Dokument (Imerium). Damit versuchte die bischöfliche Seite in der Ernennung eines bürgerlichen Amtmannes, gerade weil dies zuvor auch schon ohne Widerstand der Bieler entsprechend gehandhabt worden war, eher den Vorteil für die Bieler herauszustreichen, einen der ihren als Amtmann zu haben. Die Konfliktlinien verliefen somit erstens entlang unterschiedlicher Rechtsvorstellungen (Gewohnheit vs. verbrieftes Recht), zweitens entlang un‐ terschiedlicher Amtsvorstellungen. Die Bieler zogen einen Außenseiter als Meier vor, der keinen zu großen Einfluss auf die städtischen Belange nehmen konnte. Doch der Wandel in der Konzeption der Ämter lief dem Versuch Biels zuwider, sich Unabhängigkeiten auszuhandeln. Eine stabile, tendenziell institutionalisierte Organisation der Ämter über ein sich ständig erneuerndes Gremium wie das Domkapitel bedeutete für Biel eine potenzielle Schmälerung dieses Aushandlungsraumes. Im Meieramtsstreit wiederum suchten die Bieler durch den Verweis auf altes herkommen die Machtstellung des bischöflichen Meiers als Mittlerfigur geradezu zu untergraben. Denn während dieses Konflikts musste der Bischof die Bieler Führung dazu anhalten, Gerichtssitzungen nicht eigenständig vorzu‐ sitzen. Gerade in solchen Entwicklungen und Konfliktsituationen zeigen sich die „empowering interactions“ im herrschaftlichen Gefüge besonders gut, wobei 193 Missiven und Amt - ein Zwischenfazit <?page no="194"?> die Missiven in ihrer seriellen Anlage die Dynamiken dieser Interaktionen einerseits besonders nachvollziehbar machen, andererseits gerade wegen der Möglichkeit zu Anschlusskommunikation auch entscheidend mitprägten. Die Vorstellung davon, was ein Amt zu sein hatte und wie es auszufüllen war, hing nicht zuletzt von der medialen Form ab, wie darüber kommuniziert wurde. Wenn der Bischof in Missiven von „unserem und eurem Meier“ sprach, zeigt sich die doppelte Funktion des lokalen Amtmanns und Stellvertreters der zentralen Herrschaft. In diesem Sinne handelt es sich beim Bieler Meier sehr wohl um eine Figur der Anwesenheitsherrschaft, die wiederum in besonderem Masse herrschaftliche Abwesenheit kommunikativ vermitteln musste. 194 2 Der Meier und der Rat <?page no="195"?> 542 Binäre Denkfiguren um Präsenz und Absenz, Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie Körper und Text dominieren das Feld medientheoretischer und mediengeschichtlicher Ansätze zu Boten. So auch in Arbeiten, welche diese Differenzsetzungen zwar zu versöhnen versuchen, grundsätzlich jedoch von einer a priori gesetzten Opposition ausgehen. So etwa in H O R S T W E N Z E L s breit rezipierter „Bi-Medialität“. W E N Z E L s grund‐ legende Überlegungen gehen von einer konzeptionellen Trennung von Bote und Brief aus und beurteilen sie als zeitlich aufeinanderfolgende Dominanzmedien. Die frühere körperlich-mündliche Medienform des Boten wird durch die später dominierende schriftliche Botschaft abgelöst, vgl. H O R S T W E N Z E L , Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nicht-körperlicher Nachrichtenträger, in: Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, hrsg. von dems., Berlin 1997, S. 86-105, hier S. 92. 543 Vgl. hierzu auch den Forschungsstand im Einleitungsteil. Das aktuelle Referenzwerk zu den Schweizer und oberrheinischen Botenorganisationen von K L A R A H Ü B N E R the‐ matisiert zwar die städtischen Akten (Eidbücher, Rechnungsbücher etc.), betrachtet aber die mediale Konstellation Bote - Brief nicht explizit, vgl. H Ü B N E R , Im Dienste. Auch bei J U C K E R wird zwar die Überlieferung der Akten diskutiert, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Bezug Bote - Botschaft, vgl. J U C K E R , Gesandte. 544 Dass Boten als Gegenstand historischer Forschung seit den 1990er-Jahren breiter diskutiert wurden, ist vor allem den Arbeiten H O R S T W E N Z E L s zu verdanken, vgl. Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, hrsg. von H O R S T W E N Z E L und P E T E R G Ö H L E R , Berlin 1997. Eine vielversprechende und grundlegende Arbeit zu Boten und Briefen anhand eines transalpinen Briefwech‐ 3 Boten und Botschaften In den heutigen Archiven lagern Missiven meist als geschnürte Bündel oder geöffnete Briefe weit von ihrem ursprünglichen Gebrauchskontext entfernt. So auch die Bieler Missiven. Ihren ursprünglichen Zweck haben sie erfüllt, sind sie doch vom Basler Bischof losgeschickt worden und wohl eine knappe Tagesreise später dem Bieler Meier und Rat übergeben und verlesen worden. Was hingehen offensichtlich nicht überliefert ist, ist das unabdingbare Übertragungsmedium des Briefs, nämlich der Bote. Dieses Überlieferungsproblem der Bi-Medialität hat methodische Konse‐ quenzen. 542 Während uns die Briefe in ihrer materiellen und inhaltlichen Gestalt direkt zugänglich sind, kann auf ihre Überbringer oft nur indirekt geschlossen werden. Diesem Umstand bleibt es wohl auch geschuldet, dass sich die Forschung zur Geschichte der Boten und Gesandten relativ unab‐ hängig zur Briefforschung entwickelt hat. 543 Die historische Erforschung der Organisation und Etablierung von mittelalterlichen kommunalen Boten- und Gesandtschaftsorganisationen weist zudem wenige Berührungspunkte mit me‐ dialitätstheoretischen Ansätzen auf. 544 Im Zentrum steht meist die Funktion des <?page no="196"?> sels ist zurzeit von J Ü R G E N H E R O L D geplant, vgl. H E R O L D , Briefe und Boten. Ältere Arbeiten bezogen sich vor allem auf die Bedeutung von Boten für das (vormoderne) Staatswesen und den (außenpolitischen) Informationsaustausch, vgl. dazu etwa H A N S S E S S L E R , Das Botenwesen der Reichsstadt Nürnberg. Eine rechtsgeschichtliche Studie, Dissertationsmanuskript, eingereicht an der Universität Erlangen, Erlangen 1974. Eine der jüngsten Arbeiten, die sich mit dem Botenwesen einer Stadt unter sozial- und kulturgeschichtlichen Vorzeichen auseinandersetzt und dabei eine enorme Fülle an Informationen bereitstellt, ist H Ü B N E R , Im Dienste. Boten als Elemente der Kommunika‐ tion im Rahmen eines wirtschaftlich- und sozialgeschichtlichen Ansatzes betrachteten beispielsweise K L A U S G E R T E I S , Reisen, Boten, Posten. Korrespondenz im Mittelalter und früher Neuzeit, in: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Referate der 12. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 22.-25.04.1987 in Siegen, hrsg. von Hans Pohl, Stuttgart 1989, S. 19-39 sowie A N D R E A S W A G N E R , Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsübermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Frankfurt a. M. 2003. Siehe dazu auch die Diskussion des Forschungsstands im Einleitungsteil. 545 Eine auf Vollständigkeit angelegte Bibliografie soll hier nicht gegeben werden, vgl. hierzu als Auswahl den Sammelband zur aktuellen Gesandtschafts- und Botenfor‐ schung mit dem Titel: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. von R A I N E R C. und K L A U S W R I E D T , Ostfildern 2003. Daraus sei vor allem auf den verflechtungsgeschichtlich ausgerichteten Beitrag von A N D R E A S W Ü R G L E R zu den Schweizer Tagsatzungen verwiesen, vgl. A N D R E A S W Ü R G L E R , Boten und Gesandte an den eidgenössischen Tagsatzungen. Diplomatische Praxis im Spätmittelalter, in: Gesandtschaftswesen im Mittelalter, hrsg. von Rainer C. Schwinges und Klaus Wriedt, Ostfildern 2003, S. 287-312. Als Fallstudie zum Botenwesen im Schweizer und Ober‐ deutschen Raum vgl. H Ü B N E R , Im Dienste. Für ein fürstlich organisiertes Botensystem vgl. R O B E R T W A L S E R , Und lasst uns ohne nachricht nit. Botenwesen und Informations‐ beschaffung unter der Regierung des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, unveröffentlichtes Dissertationsmanuskript an der Ludwigs-Maximilian-Universität München, München 2004. Zum Gesandtschaftswesen und den Funktionslogiken der Schweizer Tagsatzung vgl. J U C K E R , Gesandte. 546 Zum weiten Begriff des ‚Boten‘ vgl. H Ü B N E R , Im Dienste, S. 67-74. 547 Vgl. ebd. Übermittlungswesens innerhalb von städtischen und fürstlichen Organisations‐ formen und deren Bedeutung für den „außenpolitischen“ Informations- und Nachrichtenaustausch zwischen Herrschaften. 545 Da sich gerade im städtischen Umfeld verschiedene Boten auf unterschiedlichen Professionalisierungsstufen vom Gelegenheitsläufer bis zum hochdekorierten Delegationsanführer an der Nachrichtenorganisation beteiligten, spricht K LA R A H ÜB N E R , die sich intensiv mit der Schweizer Boten- und Gesandtschaftsgeschichte beschäftigt hat, von „Übermittlern“, um den funktionalen Aspekt neutral zu fassen. 546 Im Zentrum dieser Untersuchungen stehen jedoch meist nicht Briefe, sondern vor allem städtische Akten wie Rechnungs- und Eidbücher oder Ratsprotokolle 547 , die Auskunft über Besoldung, Einsatzdauer, soziale Stellung, Organisationsstruk‐ turen oder über die konkreten Umstände einer Überbringungssituation geben. 196 3 Boten und Botschaften <?page no="197"?> 548 Vgl. dazu vor allem J U C K E R , Gesandte und jüngst A N D R E A S W Ü R G L E R , Die Tagsatzung der Eidgenossen. Politik, Kommunikation und Symbolik einer repräsentativen Institution im europäischen Kontext 1470-1798, Epfendorf 2013. 549 Als allgemeiner Überblick empfiehlt sich die Einleitung zum Themenheft „Modelle des Medialen“ der Zeitschrift Das Mittelalter, vgl. K I E N I N G und S T E R C K E N , Einleitung. Aus dem Heft sei als exemplarische, analytisch sehr präzise literaturwissenschaftliche Analyse der Aufsatz von S A B I N E C H A B R genannt, vgl. S A B I N E C H A B R , Komplexe Boten. Metonymisches Erzählen in Wolframs „Parzival“, in: Das Mittelalter 15/ 2 (2010), S. 162- 174. Die Zeitschrift hat zudem bereits 2006 ein Heft dem Thema Boten gewidmet, vgl. Das Mittelalter 11 (2006). 550 Die Figur des Boten als medienphilosophische Grundoperation wurde besonders stark von S Y B I L L E K R Ä M E R etabliert, vgl. K R Ä M E R , Medium. Daneben finden sich grundlegende Überlegungen zum Boten als der medialen Figur besonders fruchtbar auch bei Bernhard Siegert, vgl. B E R N H A R D S I E G E R T , Vögel, Engel und Gesandte. Alteuropas Übertragungs‐ medien, in: Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, hrsg. von Horst Wenzel und Peter Göhler, Berlin 1997, S. 45-62. 551 Vgl. W E N Z E L und G Ö H L E R , Gespräche - Boten - Briefe sowie H E R O L D , Interpretation. Für eine medienwissenschaftliche Diskussion der Botenfigur vgl. K L A U S K R I P P E N D O R F , Der verschwundene Bote. Metaphern und Modelle der Kommunikation, in: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, hrsg. von Klaus Merten, Siegfried Schmidt und Siegfried Weischenberg, Opladen 1994, S. 79-113. 552 Vgl. K R Ä M E R , Medium, S. 12-18. 553 Vgl. ebd., S. 15. Für Gesandtschaften wiederum stehen darüber hinaus - vor allem im Falle des spät- und frühneuzeitlichen eidgenössischen Tagsatzungswesens - Tagsat‐ zungsabschiede und -protokolle zur Verfügung. 548 Der Bote als zeitlose Figur der Übermittlung ist jedoch seit längerer Zeit auch in Nachbardisziplinen wie Germanistik, Literatur- und Kulturwissenschaften 549 , Medientheorie und Philosophie ein zentrales Forschungsobjekt. 550 Als Mittler‐ figur zwischen mündlicher und physischer Repräsentation und schriftlicher Distanzkommunikation gilt der Bote als mediales Paradebeispiel. 551 Eine für die vorliegende Arbeit wichtige Differenzierung hat S Y B IL L E K RÄM E R in die medien‐ theoretische Diskussion eingeführt. Sie unterscheidet anhand der vorliegenden medientheoretischen Literatur zu Kommunikationsmodellen zwei unterschied‐ liche Übertragungsmodelle, die sie ironisch überspitzt als „postalisches Kom‐ munikationskonzept“ und „erotisches Kommunikationskonzept“ vorstellt. 552 Verkürzt ausgeführt bezeichnet das postalische Modell einen unidirektionalen Übertragungsvorgang, der den Boten als Übermittler gleichsam auf die Funk‐ tion der Dissemination von Information reduziert. Dem gegenüber steht das erotische Kommunikationskonzept, das „Kommunikation-als-Verständigung“ als reziproken Vorgang begreift, der den Boten in einen dialogischen Verständi‐ gungsprozess einbindet. 553 Diese beiden Modelle haben Konsequenzen, was das Ziel der Kommunikation anbelangt: Während die postalische Kommunikation 197 3 Boten und Botschaften <?page no="198"?> 554 In ähnlicher Weise geht J Ü R G E N H E R O L D am Beispiel des transalpinen Briefwechsels der Gonzaga vor. Seine Dissertation mit dem Arbeitstitel „Briefe und Boten. Die transalpine Korrespondenz der Gonzaga, Markgrafen von Mantua, mit deutschen Reichsfürsten und dem dänischen Königshaus (1433-1506)“ ist an der Universität Greifswald in Vorbereitung. in erster Linie auf das Herstellen von Verbindungen ausgerichtet ist, steht bei der erotischen Kommunikation die Verständigung und Konsensfindung der Vermittlung im Zentrum. In den folgenden Ausführungen wird versucht, die unterschiedlichen Forschungsrichtungen einander anzunähern und damit medientheoretische Überlegungen historisch einzuholen. 554 Einen Einstieg bietet der Befund, dass Missiven selbst oft nur phrasenhafte Hinweise (bi disem botten) auf ihre Übertragungssituation geben. Dies wird jedoch im Folgenden mit Blick auf die serielle Überlieferung neu bewertet. Denn in der Summe lassen sich intermediale Muster der Medienkombination von Missiven und Boten erkennen, die den Ausgangspunkt bilden sollen, die darin begründeten Möglichkeiten und Spielräume der herrschaftlichen Distanzkom‐ munikation besser zu qualifizieren. Dieses Kapitel beschäftigt sich also mit dem Medienensemble von Bote und Brief. In einem ersten Schritt wird der Vorschlag, den Medienkomplex von Bote und Brief als Botschaft zu verstehen, eingeführt und diskutiert. Damit wird versucht, der besonderen medialen Bedingtheit der Missivenkorrespondenz Rechnung zu tragen. In einem zweiten Schritt wird auf die unterschiedlichen Botenformen eingegangen, im Falle Biels also vor allem auf Boten, Ratsboten und Gesandte. Dieses Spektrum von Delegation ist deswegen besonders aufschlussreich, da ganz unterschiedliche Träger mit der Missivenüberbringung beauftragt werden konnten, damit jedoch - so die These - deutliche Bedeutungsunterschiede im Umgang mit den Schriftstücken und deren Status einhergingen. An dieser Stelle wird geprüft, inwiefern sich mit K RÄM E R s postalischem und erotischem Kommunikationskonzept eine sinnvolle mediale Differenzierung historischer Boten- und Delegationsformen heraus‐ arbeiten lässt. Damit sind die medialitätsgeschichtlichen Grundbedingungen der Botschaft geklärt, um in einem weiteren Schritt nach ihrer Bedeutung in Kommunikationssituationen zu fragen. Dabei werden zwei Botschaftsanlässe analysiert, die in der Missivenserie eine anteilsmäßig herausragende Stellung einnehmen: Empfehlungsschreiben und Tagsatzungen. Beide Kommunikations‐ formen werden dabei als spezifische Medienensembles vorgestellt, die die Missiven und ihre Träger direkt aufeinander bezogen. Sogenannte Empfeh‐ lungsschreiben folgen zwar der gleichen materiellen Gestaltungslogik wie andere Missiven, stellen jedoch im Gegensatz zur einfachen Botenüberbringung auf eine direkte personale Kopplung von Missive, interessengeleitetem Anliegen 198 3 Boten und Botschaften <?page no="199"?> 555 Als theoretische Hinführung an Boten- und Botschaftsfigurationen vgl. R A F A E L C A ‐ P U R R O , Theorie der Botschaft, in: Ethik im Netz, hrsg. von dems., Stuttgart 2003, S. 105-122. Vgl. mit Bezug auf vormoderne Konstellationen I S A B E L L E S C H Ü R C H , Der Bote ist nicht allein. Historisch-anthropologische Überlegungen zu einer Reflexionsfigur der Medientheorie, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Deutschen Literatur 39/ 2 (2014), S. 388-403. 556 Vgl. hierzu vor allem auch S C H Ü R C H , Bote. S Y B I L L E K R Ä M E R spricht in diesem Zusam‐ menhang von einem „Materialitätskontinuum“ der Botschaft, „zu dessen Bestand auch der Bote in seiner Körperlichkeit zählt“, K R Ä M E R , Medium, S. 117. 557 Vgl. dazu S I E G E R T , Vögel, Engel und Gesandte, hier S. 50. 558 Für eine erweiterte, grundsätzlichere Diskussion von Boten als Herrschaftsvertreter vgl. S Y B I L L E K R Ä M E R , Medien, Boten, Spuren. Wenig mehr als ein Literaturbericht, in: Was ist ein Medium? , hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler, Frankfurt a. M. 2008, S. 65-90, hier S. 70. und Überbringer ab. Bei der kommunikativen Organisation von rechtlichen Ver‐ handlungen wiederum, den sogenannten tagen, wird die Strukturierungsleis‐ tung des Medienensembles der Missivenkorrespondenz besonders deutlich. Die Untersuchung dieser beiden zentralen Kommunikationsorganisationsformen der Missivenkorrespondenz erlaubt es, über die thematische Breite der Missiven hinaus den intermedialen Zusammenhang der Missiven als immer umfassen‐ dere Botschaftsform herauszustellen, deren Qualität nicht zuletzt der seriellen Anschlussfähigkeit und dem damit korrespondierenden Gesamtzusammenhang der Herrschaftskommunikation zugrunde lag. 3.1 Briefe und Boten: Zum Medienensemble der Botschaft Briefe und Boten gehörten zusammen. Sie können also als Medienensemble, das heißt als etabliertes Zusammenspiel verschiedener medialer Formen, ver‐ standen und analysiert werden. Der Bote, der versiegelte Brief als materielles Objekt (brief) und der im Brief enthaltene textuelle Inhalt (schrift) sind dabei zwar als distinkte, aber nicht als unabhängige Medienformen zu denken, die in der wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit ihre Funktion erfüllen: Sie überbringen die Botschaft nicht einfach, sondern sie sind sie. 555 Dieser Medienkomplex der Botschaft ist immer auch durch seine Materialität und Körperlichkeit bedingt. 556 Ob eine Missive erfolgreich überbracht werden konnte, hing nicht nur von der Fähigkeit des Boten ab, Raum in begrenzter Zeit zu überwinden, sondern auch im Moment der Übergabe dem Schriftstück die entsprechende Autorität und Rechtmäßigkeit zukommen zu lassen. 557 Um diese Medienfunktion zu beschreiben, definiert S Y B IL L E K RÄM E R Boten als Teilelemente einer „Telekommunikation der Macht“. 558 Denn gemäß P E T E R S L O T E R DI J K sind 199 3.1 Briefe und Boten: Zum Medienensemble der Botschaft <?page no="200"?> 559 P E T E R S L O T E R D I J K , Sphären, 1, Blasen, Mikrosphärologie, Frankfurt a. M. 1999, S. 667. Das Zitat bezieht sich auf K R Ä M E R , Medien, S. 70. Dieser Bezug erweist sich schon aufgrund des Begriffes „souverän“, grundsätzlicher aber in der Anlage von S L O T E R D I J K s Untersu‐ chungen als problematisch, da der Befund natürlich nicht direkt auf spätmittelalterliche Herrschaftsverhältnisse übertragen werden kann. Hier geht es also lediglich um den Hinweis auf andere Forschungsdiskussionen. 560 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 99 (12. Februar 1423). „Boten […] immer auch Vergegenwärtigungen eines Machtträgers in absentia, denn souverän ist, wer sich so vertreten lassen kann, als ob er im Vertreter anwesend wäre“. 559 Damit werden Briefe und Boten zwar zu einem spannenden medientheoretischen Problemfeld, aber es gerät aus dem Blick, dass sich dieses Medienensemble in seiner jeweiligen historischen Gebrauchslogik bewähren musste. Die zentrale Frage muss daher sein, inwiefern das Medienensemble der Botschaft spezifische Probleme der bischöflichen Absenzbewältigung löste und welche Handlungsspielräume sich dabei wiederum aus dieser medialen Verschiebung ergaben. Eine 1432 verschickte Missive von Bischof Hartmann Münch von München‐ stein bietet die ideale Grundlage, um herauszuarbeiten, wie ‚Botschaft‘ als Begriff das Medienensemble von Bote und Brief zu fassen vermag. 560 Die Ausgangslage bilden die Ereignisse rund um die Gefangennahme des Bieler Meiers Jakob von Wildenstein mitsamt seinem Gefolge durch La Neuveville. Die an die Bieler gerichtete Missive schildert zunächst den Vorfall, fasst dann das zwischenzeitlich Veranlasste zusammen und weist schließlich den Bielern eine zentrale Rolle dabei zu, den Meier gegen den städtischen Rivalen La Neuveville zu verteidigen und zu seinem Recht zu verhelfen. Die Festnahme einer Delega‐ tion galt als Affront. Entsprechend fasste auch Bischof Hartmann dies auf, denn schließlich waren diese Ratsmänner in unserm dienst von empfelchnisse wegen und bottschafft, so sy von uns in unsser geschrifft gehebt hant noch innhaltung der‐ selben unser briefen unterwegs. In diesen wenigen Zeilen eröffnet sich das ganze mediale Spektrum der Botschaft, das über die binäre Unterscheidung von Bote und Brief hinausgeht. Der Missiventext zeugt damit von einer zeitgenössischen Differenzierung der medialen Botschaftsbestandteile in bottschaft, geschrifft und briefen, indem sie als Kommunikationsform selbst Unterscheidungen in Kommunikationsformen vornimmt. In diesem Sinne ordnet die Missive das im Medienensemble angelegte Kommunikationsgeschehen nicht nur für die Zeitgenossen ein, sondern auch für uns. Zunächst sei jedoch der hier verwendete Begriff der ‚Botschaft‘ in den Blick genommen. Er zeigt, wie unterschiedliche dieser verwendet werden konnte: Einerseits konnte sich die Bezeichnung auf eine Gruppe von Delegierten 200 3 Boten und Botschaften <?page no="201"?> 561 Ebd. 562 Vgl. dazu W I C K -W E R D E R , Biel gegen Neuenstadt. 563 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 99 (12. Februar 1423). beziehen, andererseits zeichnet es sich im vorliegenden Fall ab, dass ‚Botschaft‘ hier den Oberbegriff für eine delegierte Übermittlung eines Anliegens bildete (botschaft ze tuonde), sei es schriftlich oder mündlich oder beides. Nicht der Meier und die anderen in bischöflichem Dienst Mitreisenden machten in diesem Fall die Botschaft aus, sondern der Auftragskontext, in dem wiederum die Un‐ terscheidung von Inhalt (geschrifft) und Bezugsgröße (briefen) ihre autoritative Bedeutung entfaltete. Die Missive verweist zudem auf einen Boten, dem die Antwort mitgegeben werden sollte (och uns by disem botten darumb voelleklich ze antwurtend  561 ). Dieser Bote war zwar wie die festgenommene Bieler Dele‐ gation in bischöflichem Dienst unterwegs, hatte jedoch keine Auftrags- und Vertretungsfunktion, sondern erfüllte die von ihm erwartete Leistung als reines Übertragungs- und Verbreitungsmedium. Betrachtet man den ganzen Kommunikationskontext, wird deutlich, dass Bischof Hartmann nicht nur dem Bieler Bürgermeister und Rat geschrieben hat, sondern auch dem aufmüpfigen Rat in La Neuveville. Die Festsetzung eines bischöflichen Amtmanns, der ausgewiesenermaßen im Dienst des Bischofs unterwegs war, war - gerade im Kontext des besonderen Rechtsschutzes von Botschaften - eine herbe Provokation. Aus der Sicht des Rates in La Neuveville könnte sich die Situation jedoch ganz anders dargestellt haben: Der Bieler Meier als Repräsentant der Nachbarstadt, mit der La Neuveville über Jahrzehnte in Streit wegen Herrschaftsrechten westlich des Bielersees gelegen hatte 562 , bot ein ideales Angriffsziel. Für sie war der bischöfliche Gesandte womöglich in erster Linie nicht bischöflicher Amtmann, sondern der Meier der Stadt Biel. So erstaunt es kaum, dass Hartmann im gleichen Schreiben ankündigt, seinen Hofmeister nach La Neuveville zu schicken. Das war in diesem Fall Hans von Flachslanden, der seit geraumer Zeit Verwaltungsaufgaben von Bischof Hartmann Münch von Münchenstein übernommen hatte und bereits in mehreren Angelegenheiten als dessen Stellvertreter aufgetreten war. Die Präsenz der Herrschaft wurde durch die Ankündigung der physischen Anwesenheit des bischöflichen Stellvertreters nicht nur den Räten in La Neuveville deutlich gemacht, sondern auch den Bielern. Der Blick auf das Kommunikationsgeschehen zeigt also, dass Bischof Hartmanns Missive, die die Vorfälle einzuordnen suchte und über das weitere Kommunikationsgeschehen informierte, beide Städte in die bischöfliche Kom‐ munikation integrierte, einen gemeinsamen Informationsstand sicherstellte und die Anschlusskommunikation durch die angeforderte Antwort by disem botten  563 evozierte. Die bischöflichen Gesandten, die Missive, weitere Briefe 201 3.1 Briefe und Boten: Zum Medienensemble der Botschaft <?page no="202"?> 564 Vgl. K R Ä M E R , Medien, hier S. 70. 565 Vgl. dazu folgende Missiven, die botschaft im Sinne von Mitteilung verwenden: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 106 (Wir lassen uech wissen, das uns uf huet gewisse geware botschaft komen ist, das unser vigenden) und Nr. 178 (Den haben wir bottschafft getann). 566 StadtA Biel 1, 45 XXI, Nr. 186 (12. Mai 1476). 567 Ebd. und deren Inhalt sowie der bischöfliche Bote verbanden sich im Ensemble der Botschaft als herrschaftliche „Telekommunikation der Macht“. 564 Die diffe‐ renzierte Begriffswahl bezüglich der eingesetzten Medien der Botschaft, von der diese Missive eindrücklich zeugt, macht deutlich, dass die bi-mediale Sicht auf Bote und Brief in der vorliegenden Gesandtschaftssituation zu kurz greift. Die mediale Logik der Botschaft geht über Brief und Bote hinaus. Der Begriff ‚Botschaft‘ bezieht sich nicht nur auf die Gesandtschaft, sondern auch auf deren herrschaftlich legitimierte Dienstausführung, die sich aus den mittran‐ sportierten Anweisungen und Kommunikationsstrukturen ergaben. 565 In deutlichem Gegensatz dazu steht ein Fall zu Zeiten der Burgunderkriege (1474-1477), als Kriegsknechte einen vermeintlichen Spion abfingen, bei dem sie funden brieff, die von dutzschen den burgunderen geschickt sint. 566 Genauere und überprüfbare Informationen darüber, in wessen Auftrag der Bote die Briefe dem Feind überbringen sollte, ließen sich nicht in Erfahrung bringen. Nachfor‐ schungen wurden angeregt: Man solle die Information möglichst breit streuen, von eym zum annderen, bis mann uff die recht schuldigen komen moecht. 567 Dieser Zwischenfall zeigt, wie Botschaften auf einen klaren Auftraggeber und Adressaten ausgerichtet waren. In diesem Fall war jedoch einfach ein Bote mit Briefen unterwegs. Gerade weil die beiden Medienformen gerade nicht als Medienensemble funktionierten, fehlten die entscheidenden Informationen und die Kommunikationssituation konnte nicht eingeordnet werden. Sowohl im Fall der Gefangennahme der Bieler Delegation als auch des abgefangenen Spions geben Störungen Einblick in die Komplexität der Distanz‐ kommunikation. Übertragungsmedien neigen generell dazu, nur bei Störungen wahrgenommen zu werden: Das Medium Luft etwa wird genau dann zum Thema, wenn zum Beispiel seine Bewegung als Wind die sprachliche Kommu‐ nikation erschwert. Ganz ähnlich wurde das Medienensemble der Botschaft in den Missiven dann thematisiert, wenn sich Konflikte, Missverständnisse oder andere Übertragungsschwierigkeiten ergaben. In der Regel wurden Infor‐ mationen über die Übermittlungstätigkeit jedoch selten ausformuliert, weil die Missivenkommunikation recht störungsresistent funktionierte. 202 3 Boten und Botschaften <?page no="203"?> 568 Vgl. dazu auch S C H Ü R C H , Bote. 569 Vgl. K R Ä M E R , Medium, S. 12-19. 570 Vgl. AAEB Comptes Trésor de la cour (1458-1478). V O L K E R H I R S C H hat sich der Hof- und Haushaltung Bischof Johannes von Venningen angenommen und nicht nur eine Monografie dazu vorgelegt, sondern zusammen mit G E R H A R D F O U Q U E T das Haushalts‐ buch, in dem in erster Linie registerartig die (persönlichen) Ein- und Ausgaben des Bischofs verzeichnet wurden, als übersichtliche Edition aufbereitet, vgl. H I R S C H , Hof sowie H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch. 3.2 Das Spektrum der Übermittler: Boten, Vertreter, Ratsbeauftragte, Gesandtschaften Im Folgenden wird der Bote in seiner Funktion des Überbringers historisch kon‐ textualisiert. Denn das Spektrum der Übermittlung setzte sich aus unterschied‐ lichen Boten- und Delegationsformen zusammen, die in die Korrespondenz zwischen dem Basler Bischof sowie der Herrschaft Biel eingebunden waren. 568 So gab es einerseits den Boten, der die Missive überbrachte, andererseits die Gesandtschaft, die zwar auch Missiven mitführte, jedoch darauf ausgerichtet war, bestimmte herrschaftsrelevante Angelegenheiten in Präsenzkommunika‐ tion zu verhandeln. Auf dem Spektrum zwischen diesen beiden idealtypischen K RÄM E R ’schen Kommunikationsmodellen (postalisch und erotisch) treten im historischen Übertragungskontext der Missivenkorrespondenz noch weitere Übertragungsfiguren auf den Plan. 569 Diese unterschiedlichen Übermittlungs‐ möglichkeiten werden im Folgenden kurz vorgestellt, bevor auf die Bedeutung dieser Ausdifferenzierung in der botenvermittelten Anwesenheitskommunika‐ tion eingegangen wird. Die bischöflichen Boten: Ein Wirtschaftsbuch gibt die bischöfliche Sicht wieder Auf eine systematische, diachrone Auswertung der bischöflichen Boten wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit verzichtet. Die Boten des Basler Bischofs werden, wenn auf sie nicht direkt in der Missive verwiesen wurde (bi disem botten), vor allem über die Wirtschaftsbücher fassbar. Besonders das Haus‐ haltsbuch des Bischofs Johannes von Venningen eröffnet die Möglichkeit, Botengänge im Zeitraum von rund 20 Jahren (1458-1478) nachzuvollziehen und mit den in Biel überlieferten Missiven abzugleichen. 570 Das Haushaltsbuch des Bischofs Johannes von Venningen weist allerdings nur die etwaigen Überschüsse der Amtleute aus, da der Bischof mit den jeweiligen Verwaltungsleuten netto abrechnete. Die Rechnungslegung der Ver‐ walter für die jeweiligen Ämter wiederum sind im sogenannten Rezessbuch 203 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="204"?> 571 Für das Amt Biel beispielsweise rechneten Meier und Schaffner direkt ab und sind entsprechend in den Rezessbüchern verzeichnet.Vgl. AAEB Hofrechnungen 1-5 sowie H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. XVII (Einführung). 572 Vgl. H I R S C H , Hof, S. 102-120. 573 H I R S C H subsummiert unter den Spesen sowohl Reisekosten des Bischofs als auch von Hofgesinde, vgl. H I R S C H , Hof, S. 102. 574 Für die Wirtschaftsführung des Bieler Schaffners vgl. AAEB R-Bie. 575 Vgl. die statistischen Auswertungen in H I R S C H , Hof, S. 102. Etwas mehr als ein Viertel der Ausgaben für Boten geht an Biel, vgl. hierzu auch H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. 112. 576 Vgl. H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. 112f. 577 Vgl. ebd., S. 103f. 578 So werden Boten wie Henricus oder Hans namentlich genannt und meist an herrschaft‐ liche Zentren geschickt. Henricus bekommt 1458 beispielsweise 7 fl, um an die römische verzeichnet, das in den Kompetenzbereich des Kanzlers gehörte. 571 Das Haus‐ haltsbuch gewährt also in erster Linie Einblicke in den bischöflichen Konsum-, Verwaltungs- und Wirtschaftsalltag und verzeichnet im Zuge dessen auch Ausgaben für Boten und Gesandte (und die Zusatzangaben zu diesen Posten), anhand derer sich Rückschlüsse auf Kommunikationspraktiken ziehen lassen. V O L K E R H I R S C H hat in seinen statistischen Auswertungen des Haushaltsbuchs die bischöflichen Ausgaben für „Außenkontakte“ 572 zusammengestellt und kam dabei auf einen jährlichen Durchschnittsaufwand von rund 318 lb. Biel als Amt stellt dabei mit 4 lb für Botenlöhne und weiteren 36 lb für Spesen 573 des Bieler Schaffners 574 den größten Budgetposten dar. 575 Der Bieler Schaffner lässt sich gerade während der Regierungszeit von Bischof Johannes von Venningen immer wieder als bischöflicher Bote fassen. So brachte er im Auftrag des Bischofs einerseits Missiven und andere Dokumente nach Bern, andererseits war er aber auch für die Überbringung der Antwortschreiben an den bischöflichen Hof zuständig. 576 Weiter konnte H I R S C H aufzeigen, wie die Rechnungslegung der Amtleute und des Hofpersonals aufgeteilt wurde. Dabei ist für die hier gemachte Untersu‐ chung ein Kontenproblem H I R S C H s für die buchungstechnische Unterscheidung von Boten- und Gesandtschaften wichtig. Während Boten, die Briefe über‐ brachten, mit einem bestimmten Betrag als Zahlungsempfänger eingetragen wurden, war es üblich, Gesandte mit Vorauszahlungen für Spesen auszustatten. Die Rückzahlungen wurden dann jährlich als Einnahmen verbucht. 577 In der Logik der Haushaltsbuchführung, die Spesen und Botenlöhne als unterschied‐ liche Buchungsformen ausweist, erscheint damit die Funktion von Gesandten und Boten als grundsätzlich distinkt. Das Haushaltsbuch differenziert für den bischöflichen Haushalt die Boten‐ typen jedoch noch weiter aus. 578 Für kürzere Botengänge sind im Gegensatz 204 3 Boten und Botschaften <?page no="205"?> Kurie zu reisen, Hans 1459 dagegen 2 lb für seinen Botengang nach Straßburg und zum Markgrafen in Etlingen. H I R S C H kommt hier auf einen Jahresdurchschnitt von rund 22 lb, vgl. H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. 93 und 108. 579 Ebd., S. 94. 580 Ebd., S. 347. 581 Ebd. 582 Vgl. H I R S C H und F O U Q U E T , Haushaltsbuch, S. 100. 583 Der nicht zu unterschätzende Austausch von Schriftstücken zwischen und innerhalb von Herrschaften wird in Kapitel 1.5. eingehender diskutiert. 584 Vgl. D I R L M E I E R und F O U Q U E T , Bischof Johannes von Venningen, S. 136. zu kostspieligen Botengängen lediglich Boten erwähnt, die ohne Nennung des Namens gemäß ihrer Funktion als Boten verzeichnet und denen entsprechend auch geringere Botenlöhne ausbezahlt wurden, wie etwa folgender Eintrag zeigt: Item 10ß eynem boten geyn Bern von dern von Liegericz [von Ligerz, Anmerkung IS] wegen. 579 Neben den Botengängen sind aber immer wieder Hinweise auf mitgeschickte Geldsummen und Schriftstücke enthalten. Im Februar 1470 schickte Bischof Johann 24 fl, eine stattliche Summe Geld, nach Biel. Das Geld sollte die Aus‐ gaben des Bieler Schaffners für vier grüne Tücher decken. Im Wirtschaftsbuch wurde diese Ausgabe säuberlich vermerkt. Als nächster Posten ist dann die Vergeltung dieses Botengangs notiert: Item 3ß Heinrich, botten, zu zerung, die gulden gen Biel zu tragen. 580 Neben Heinrich war Ulrich von Speier ein weiterer wichtiger und namentlich bekannter Bote, der Konrad Baumhauer nicht nur ein Pferd nach Basel bringen sollte, sondern auch etlich instrument und brieff  581 betreffend Saint-Imier. Derselbe Ulrich schickte aber auch einmal einen Brief von Straßburg mit einem Fuhrmann nach Basel. 582 Diese Hinweise auf Dokumentenübermittlung bestätigen die Befunde, die in Kapitel 1 zum über die Missivenkorrespondenz organisierten, intensiven Schrifthandeln zwischen Bischof und lokalen Herrschaftsvertretern bereits dargelegt wurden. 583 Dass das Botenwesen hingegen nur bedingt als Stimmungsbarometer für politische Verhältnisse ausgewertet werden kann, zeigt das Beispiel einer ge‐ meinsamen Botenfinanzierung zwischen der Stadt Basel und Bischof Johannes von Venningen. Im Kontext einer Reichstagsreise finanzierten beide Parteien gemeinsam den Boten, der im Vorfeld des Reichstags in Regensburg vor Ort sein sollte. Dies ist vor allem deswegen erstaunlich, weil die Forschung für diesen Zeitraum (1450er-/ 1560er-Jahre) von massiven Auseinandersetzungen zwischen den Parteien ausgeht. 584 Der Sicherstellung der botenvermittelten Kommunikation wurde übergeordnete Priorität eingeräumt. Boten im Dienst Johannes von Venningen waren also einerseits ein regelmä‐ ßiger und relativ kostspieliger Posten unter den Ausgaben des Bischofshofes. 205 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="206"?> 585 Neben den Gesandtschaften sind auch Missiven des Domkapitels überliefert. Diese wurden vom Domdekan bei Sedisvakanzen respektive Krankheit des Bischofs ausge‐ stellt, vgl. StadtA Biel 1, 52, LXIV. 586 Johannes von Venningen verstarb am 20. Dezember 1478. Das Domkapitel stellte die Todesanzeige einen Tag später aus, vgl. HS I, 1, S. 198. 587 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 102, S. 145f. Überliefert im Stadtbuch StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 92. 588 Vgl. ebd. Andererseits zeigt der Blick in das Haushaltsbuch, dass das Spektrum der bischöflichen Boten von Gelegenheitsläufern bis zu namentlich bekannten, immer wieder mit Aufgaben betrauten Personen breit war. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Breite schlicht der Verfügbarkeit geschuldet war. Da die Missivenkommunikation von einem kontinuierlichen und stabilen Verkehrssystem abhängig war, machte es Sinn, vom persönlichen Bekannten bis hin zu Fuhrleuten verschiedenste Personenkreise in Anspruch zu nehmen, um flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren und die distanzüber‐ windende Informationsdissemination und Kommunikation in allen möglichen Situationen aufrechterhalten zu können. Dennoch zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Botenvielfalt nicht nur situativ begründet war, sondern dass bei der bischöflichen Missivenkommunikation in Ansätzen eine Differenzierung der postalischen Übermittlungsmodalitäten vorherrschte, die den Status der jeweiligen Botschaft mitbestimmen konnten. Das Kapitel Neben den Botengängen im Auftrag des Bischofs fanden im Kontext von Bi‐ schofsvakanzen und -wahlen zudem Botengänge und Gesandtschaften des Ka‐ pitels statt. 585 So schickte das Kapitel im Januar 1479 nach dem Tod von Bischof Johannes von Venningen 586 eine Gesandtschaft mit einem gewaltzbrief, also einer schriftlichen Vollmacht, nach Biel. 587 Die Kapiteldelegation bestand aus Hartmann von Eptingen (Domherr), Ritter Hermann von Eptingen und Anton von Laufen. Das Ziel der Gesandtschaft war es, den Bielern den gegenüber dem bischöflichen Landesherrn zu schwörenden Eid abzunehmen. Aus Bieler Sicht hatte die Kapitelgesandtschaft einzig den Auftrag, über den neu gewählten Bischof zu berichten und die Huldigung lediglich vorzubereiten. Das Kapitel scheint jedoch die Situation anders interpretiert zu haben und beabsichtigte, die Bieler an ihre Eide zu erinnern und deren Schwurleistung abzunehmen, um zu verhindern, dass die Bieler sich in der Zwischenzeit an einen anderen Herrn wandten. Die Bieler reagierten aber prompt mit der Ankündigung, niemand anderem als dem neu zu wählenden Bischof zu huldigen. 588 Die Übernahme 206 3 Boten und Botschaften <?page no="207"?> 589 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 247 (14. Oktober 1487). 590 Ebd. 591 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 257 (2. Januar 1488). 592 Vgl. StadtA Biel 1, 52, LXIV Nr. 1-42. herrschaftlicher Privilegien im Namen des Hochstifts erschien den Bielern als anmaßend und so ließen sie die Gesandtschaft des Kapitels auflaufen. Während des Episkopats des in der Folge eingesetzten Bischofs Kaspar zu Rhein (1479-1502) lässt sich die zunehmende Einflussnahme des Kapitels weiter nachzeichnen. Von Beginn an stark an den Willen der Kapitelmitglieder gebunden, war Bischof Kaspar auf deren Beteiligung am Gesandtschaftswesen angewiesen. Am 14. Oktober 1487 etwa musste Bischof Kaspar eine Tagsat‐ zung mit den Gesandtschaften von Biel und dem Kapitel verschieben. 589 Der Verhandlungstermin wurde vom 21. Oktober auf den 6. November gelegt, denn da zwuschen volkommlicher die herren unsers cappittels zesamen komen, damit wir dannen dieselben unnd ander dester stattlicher by unns haben mogen. 590 Die kurzfristige Verschiebung nur wenige Tage vor dem ursprünglich festgesetzten Termin ist keineswegs ungewöhnlich, auch wenn der Bischof hier explizit her‐ vorhebt, dass das Kapitel die Terminsetzung bestimmt. Noch deutlicher wird die zunehmende Partizipation des Kapitels an der herrschaftlichen Kommunikation in einer Missive, die knapp drei Monate später Bischof Kaspars Kanzlei verließ: Wir hant uwer antwurt, unns nechst zuo geschickt, gehort unnd wollen daruff die selbig ann unnser cappittel lassen langen. Unnd uch furer antwurtten, dannen was zu gutem dienen mocht, wern wir geneigt. 591 Die bischöfliche Missive lässt sich wohl in erster Linie als Empfangsbestä‐ tigung verstehen, denn Bischof Kaspar schickte das aus Biel eingetroffene Schreiben direkt weiter an das Kapitel und wartete dessen Stellungnahme ab. Der Adressat der Missiven blieb weiterhin der Landesherr, obwohl es nun das Kapitel war, das maßgeblich entschied. Die Rolle von Domkapiteln, deren Handlungsspielräume und die sich in ihnen formierenden Fraktionen von Kapitelangehörigen systematisch in den Blick zu nehmen, bleibt vorerst ein Desiderat der Forschung. Das überrascht nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass die Kommunikation des Kapitels weitgehend über den Landesherren erfolgte. Vom Kapitel selbst sind uns aus der Zeit zwischen 1390 und 1731 gerade einmal 42 Briefe überliefert, davon vier aus der Zeit vor 1500. 592 Das Kapitel schrieb Biel in erster Linie dann an, wenn der Bischof in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt war und das Hochstift für Kontinuität zu sorgen hatte, also beispielsweise im Fall einer ernsthaften Erkrankung oder von Unklarheiten bei der Bischofswahl. Ansonsten blieb die Missivenkorrespondenz grundsätzlich an die asymmetrische Kommunikation 207 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="208"?> 593 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 30, Art. 1, S. 33 (Ergänzungen zum Gerichtsverfahren, um 1350), Nr. 37, Art. 23 sowie Nr. 57, Art. 17, S. 98 (Stadtsatzungen, Beginn 15. Jahrhundert). 594 Zur Bedeutung von Boten als Vertreter einer herrschaftlichen Autorität vgl. S I E G E R T , Vögel, Engel und Gesandte. 595 Für eine breitere Übersicht vgl. H Ü B N E R , Minderer Gesandter oder einfacher Briefträger. 596 Vgl. H Ü B N E R , Im Dienste; J U C K E R , Gesandte sowie W Ü R G L E R , Boten und Gesandte. zwischen dem Basler Bischof als Landesherren und der Landstadt Biel gekoppelt. Dennoch bot die Infrastruktur der Missiven mit ihrer gleichbleibenden Adres‐ sierungsstruktur dem Kapitel gegenüber genügend Flexibilität, sich in einer Phase wachsenden Einflusses in dieses kommunikative Setting einzufügen. Bieler Boten und Läufer Für die Informationsübermittlung der Stadt Biel sind uns städtische Boten überliefert. Dieser Typ Bote entspricht am ehesten unseren heutigen Vorstel‐ lungen eines Botenamtes als Teil der städtischen Verwaltung. So stellte die Kommune bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts unser boten jedem Bürger zur Verfügung, der um Besitz oder Erbe prozessieren wollte. Dafür hatte der Bürger aber auch die Kosten zu tragen. 593 Der Bote als zeitgenössischer Begriff bezeichnet im mittelalterlichen Ver‐ ständnis weniger einen Überbringer, wie es der heutige Postbote ist, als vielmehr einen Emissär, eine Person, die im Auftrag einer Instanz - wie hier der Stadt Biel oder des Basler Bischofs - unterwegs war. 594 Dabei ist ebendieses „Unter‐ wegssein für“ die zentrale Funktion der Boten. Auf die spezifischere mediale Leistung und damit verbundene Fragen zur Medialität der Botenfigur wird im nächsten Unterkapitel genauer eingegangen. An dieser Stelle steht hingegen im Vordergrund, wie das städtische Botenwesen organisiert war und wodurch sich diese Boten auszeichneten. 595 Während für die größeren Städte im Südwesten des Reichs Botenorganisati‐ onen spätestens ab dem 15. Jahrhundert zum festen Bestandteil der obrigkeit‐ lichen Distanzkommunikation gehörten und hinreichend belegt sind 596 , ist es im Falle Biels relativ schwierig, die kommunalen Läufer klar zu fassen. Erst im 16. Jahrhundert gibt es Bestrebungen, die Eide und damit auch die Aufga‐ benbereiche der Läufer schriftlich zu fixieren und zusammen mit den anderen Eiden städtischer Amtleute zu sammeln. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich also so etwas wie ein Bewusstsein und eine Professionalisierung des Läuferamtes entwickelt, welches im 14. und bis ins 15. Jahrhundert hinein wohl noch in situativer und flexibler Form gehandhabt werden konnte. 208 3 Boten und Botschaften <?page no="209"?> 597 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, Eidbuch, Art. 18, Eid der laufenden Boten, S. 332. Das Original befindet sich im StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 19. 598 Eidbücher gehören in den meisten größeren Städten ab dem 15. Jahrhundert zum Standardrepertoire der kommunalen Kanzlei. 599 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 213, Eidbuch, Art. 18 (Eid der laufenden Boten), S. 332. Nachfolgend der Wortlaut des Eides: Die louffenden botten soellen schweren, das sy uff ein ersamen rhatt, so der sytzt unnd sy in der statt sindt, desglichen uff einen seckelmeister trüwlich wartten söllen, ouch sinen gebotten, so inen von miner herren wegen durch in beschechen, gehorsam und gewertig zuosin, unnd besonder zuo louffen tag oder nachtt nach dem sy bescheyden werden, damitt all ding nach fordreten notturfft gefürdert unnd nützit verwarloset werde. Sy söllen ouch an der frembde erbers unnd vernünfftigs wandels sin als wytt ir vermögen langt, wenig geschwetzes tryben unnd heimlich haben der statt sachen unnd geschefft, darumb sy abgefertiget werden, unnd ob inen ützit wirt geschenckt, oder vernemmen sy ützit, das wider oder für ein statt Byell oder iemands wider sy wäre oder redte, das söllen sy minen herren fürderlich unnd so baldt sy wider heim khommen, zuo erkhennen geben. Sy söllen ouch neymands louffen oder iemands brieff tragen on erlaubnuss eins seckelmeisters, unnd ob sy iemands brieff mit erlaubnuss, als obstat, iendert tragen, so söllen sy von dero wägen miner herren brieff oder ir antwurt in kheinen wäg versumen, sonders die on alle hindernuss fürdern nach iren besten vermögen. Sy söllen ouch aller spyllen, so den pfennig und dess wärt ist gewünnen oder verlieren mag, müssig gan, es werde inen dann durch einen meyger unnd rhatt gegöndt, all arglist und geverd hierin gentzlich vermitten unnd ussgeschlossen, vgl. ebd. 600 Zum Umgang mit Geschenken vgl. V A L E N T I N G R O E B N E R , Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000. Als Fallstudie zur „Großzügigkeit“ als Repertoire der politischen Kommunikation im spätmittelalterlichen Basel, vgl. D E R S ., Großzügigkeit als politische Kommunikation. Geschenke in Basler Rechnungsbüchern Der einzige überlieferte Bieler Läufereid stammt aus dem bereits vorgestellten Bieler Eidbuch, das zwischen 1557 und 1566 von Stadtschreiber Johannes Des Bois (1542-1570) angelegt wurde. 597 Die laufenden Boten rangieren in dieser Auflistung nach den städtischen Aufsichtspersonen (wie Spitalvogt, Siechenvogt, Weibel, Stubenknecht, Feuerschauer etc.). 598 Die jeweiligen Ver‐ schriftlichung zeugen meist weniger vom ersten Auftauchen eines Amtes als vielmehr von Schrift- und Ordnungspraktiken, mit denen die Schreiber operierten. Auch Johannes Des Bois notierte die Eide nicht im Wortlaut, sondern als normative Vorstellung, was louffenden botten soellen schweren, wozu sie also verpflichtet sein sollten. 599 Sie waren grundsätzlich Rat und Bürgermeister unterstellt. Neben Gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten, ständiger Verfüg‐ barkeit (zuo louffen tag oder nachtt), einem angemessenen Verhaltenskodex in der Fremde (erbers unnd vernünfftigs wandels) und der Geheimhaltungspflicht (wenig geschwetzes tryben unnd heimlich haben der statt sachen unnd geschefft) war der verlässliche Umgang mit sensiblen Informationen - und dazu gehörten auch Geschenke - einer der wichtigsten Punkte. 600 Darüber hinaus galt es, dem 209 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="210"?> des späten Mittelalters, in: Begegnungen mit dem Mittelalter in Basel. Eine Vortrags‐ reihe zur mediävistischen Forschung, hrsg. von Simona Slanička, Basel 2000, S. 165-184. 601 Die Handfesten von 1296, 1300, 1305 und 1310 beinhalten keine Hinweise auf oder Ausführungen zum Umgang mit Ratsbotschaften, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Anhang I (Konkordanztafel der Stadtfrieden), S. 900. 602 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a, S. 35-40, hier S. 36, Art. 9, (Stadtfrieden, „Handfeste“ Bischof Johann Senns von Münsingen) vom 7. Januar 1352. Dazu liegt eine vidimierte lateinische Fassung von 1365 vor, die der Pfarrer von Biel sowie der Vizedekan von Saint-Imier anfertigen ließen: Quicumque eciam nunciis consulum, quando mittuntur per villicum et iudicem seu per consules causa necessitatis ville unam nunciacionem vel intimacionem faciendo seu pignorando sive alia quacumque de causa fuerit, aliquam iniuriam vel frivolenciam fecerit verbis seu operibus, hoc tenetur esse duplex emenda. Zitiert nach: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34b, S. 42. 603 Vgl. hierzu T E U S C H E R , Bekannte. Bieler Bürgermeister und Rat sofort nach Rückkehr in die Stadt zu berichten und Rechenschaft abzulegen. Ein weiterer Punkt im Läufereid bezieht sich auf den Umgang mit Missiven anderer Herrschaftsträger. Den Läufern war es zwar nicht verboten, Korrespondenz anderer Instanzen mitzutransportieren, aber sie mussten neben der ausdrücklichen Genehmigung durch Bürgermeister und Rat vor allem garantieren können, dass dadurch keine Einbußen oder Verzögerungen entstünden. Spätestens 1352 sind für Biel Ratsboten als distinkte Delegationsgruppe der städtischen Führung belegt. 601 Ratsgesandte wurden nicht nur als Botenläufer zu anderen Herrschaften oder Orten eingesetzt, sondern ihre Kompetenzen konnten ebenso obrigkeitliche Herrschaftsrechte wie etwa die Pfandnahme beinhalten: Wer och des rates botten, so si von unserm meiger older [sic! ] unserm richter und dem rate umb der stette notdurft gesendet wurden, ein botschaft ze tuonde older ze phendenne older von weler sache es denn were, unzucht tete mit worten older mit werchen, dz ist zwivaltig. 602 Diese Face-to-Face-Kommunikation bildete ebenso wie der Umgang mit Pfän‐ dern, Schuldnern und Gläubigern die ganz konkret wahrnehmbaren Interakti‐ onsformen der obrigkeitlichen Führung mit der (spät-)mittelalterlichen Gesell‐ schaft als ihrer Umwelt. 603 Zugleich wurde dieser obrigkeitsvertretende oder -repräsentierende Status in der Handfeste unter rechtlichen Schutz gestellt, denn gerade als Herrschaftsdelegierte, die direkt mit Schuldnern und potenti‐ ellen Rechtsbrechern in Kontakt kamen, waren die Ratsboten besonders expo‐ nierte Amtleute. So war das Strafmaß im Falle eines verbalen oder körperlichen Angriffs auf einen Ratsboten, der in obrigkeitlichem Auftrag unterwegs war, doppelt so hoch angesetzt wie sie der vorangehende Artikel für Übergriffe 210 3 Boten und Botschaften <?page no="211"?> 604 In der Regel wurde eine Geldbuße von 1 Pfund und eine Verbannung aus der Stadt für 14 Tage angesetzt respektive im Falle der Ratsbotenbeleidigung entsprechend 2 Pfund und 28 Tage Verbannung, vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a, S. 36. 605 Vgl. hierzu auch, jedoch relativ knapp anhand des Berner Beispiels ausgeführt, H Ü B N E R , Im Dienste, S. 21f. H Ü B N E R sieht den Grund für die Differenzierung der beiden Boten‐ funktionen in der zunehmenden Größe des Herrschaftsgebietes Berns und dessen Bedeutung im (europäischen) Diplomatieverkehr. Dieses Argument trifft aber für Biel nicht in gleicher Weise zu, das vielmehr seine Botenorganisation nach dem Vorbild seiner Nachbarn Bern, Freiburg und Solothurn adaptiert zu haben scheint. 606 Vgl. StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12 (Stadtbuch), S. 5, abgedruckt in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 27, S. 31f. (Gehorsams- und Geheimhaltungspflicht der Bürger). 607 Vgl. hierzu Kapitel 1.5. auf die übrigen Ratsherren oder den Stadtschreiber vorsah. 604 Dieser erhöhte Schutz ist wohl einerseits in der größeren Exponiertheit der Boten begründet, andererseits lässt er sich auch als Beleg dafür lesen, dass die Boten als kritische Kommunikationsinfrastruktur besonders geschützt werden mussten. Erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entwickelten sich Gesandtschaft und Pfandnahme auseinander und lassen sich dann einerseits als laufende Boten, andererseits als Ratsweibel fassen. 605 Die Ratsboten spielten zudem eine entscheidende Rolle beim Einholen und Verbreiten von Informationen. 1347 regelten Meier, Kleiner und Großer Rat von Biel die Gehorsams- und Geheimhaltungspflicht der Bürger. Dabei wurde im Stadtbuch festgehalten, dass, wer von dem meiger und dem rate von munde older von des rates botten berufen wurde und sich dieser Anordnung - zum Beispiel im Falle eines Angriffs - widersetzte, mit einer Geldbuße von rund 1 Pfund und einer Verbannung aus der Stadt (außerhalb der städtischen Ziele) zu rechnen hätte. 606 Boten, seien sie nun von Stadt oder Bischof beauftragt, spielten offenbar eine wichtige Rolle für die Etablierung und Aufrechterhaltung des Kommuni‐ kationsnetzes, da sie eben nicht nur die nach heutigem Verständnis „originalen“ Dokumente überbrachten, sondern sehr häufig Abschriften von Missiven, Urkunden und anderen Dokumenten innerhalb und zwischen den Herrschaften verteilten. 607 In diesem Sinne bestätigen sie das unidirektionale Übertragungs‐ modell. Historisch aussagekräftiger ist jedoch der Befund, dass sich im Fall der Stadt Biel eine kommunale Botenorganisation im Verlauf des 15. Jahrhun‐ derts abzuzeichnen beginnt, wohingegen der auf verschiedene Residenzen hin ausgelegte, mit einer minimal ausgestatteten Verwaltungsstruktur ausgestattete Bischofshof auf unterschiedliche Botenmöglichkeiten angewiesen blieb. Beide Botenmodelle mussten jedoch den möglichst reibungs- und verzögerungslosen Ablauf der Bieler Kommunikation garantieren. 211 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="212"?> 608 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 91, S. 137, Ratsbeschluss zur Abordnung von Botschaften vom 24. Januar 1474 (StadtA Biel RP 3, S. 18). 609 Ähnliche Beobachtungen zu Gesandtschaftswahlen machte C H R I S T I N A L U T T E R anhand der oratores im spätmittelalterlichen Venedig. Wobei die venezianischen Gesandt‐ schaften natürlich einiges mehr an sozialen und realen Kosten auf sich nehmen mussten, wenn sie im Dienste der Serenissima unterwegs waren: „Neben regulären Gesandtschaftswahlen und Beauftragungen musste der Senat allerdings immer häufiger mit Verboten und Strafbestimmungen gegen diejenigen designierten oratores vorgehen, die ihre Wahl abzulehnen versuchten. Nach Ausweis der Senatsprotokolle waren die Wahlen diplomatischer Vertreter mindestens ebenso häufig mit Schwierigkeiten ver‐ bunden, wie sie reibungslos abliefen“, vgl. C H R I S T I N A L U T T E R , Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495-1508), Wien/ München 1998, hier S. 55. Bieler Ratsdelegationen Für die Untersuchung der Ratsdelegation als Vertreter des städtischen Regi‐ ments können in erster Linie Schriftguttypen wie etwa Ratsprotokolle hinzu‐ gezogen werden, da diese oft die Lösung von aktuell anfallenden Problemen festhielten und damit die pragmatischen und kontingenten Faktoren des Dele‐ gationswesen besonders gut beleuchten. So beschloss der Bieler Rat 1474: Ouch ist geräten, wenn man ein botschafft ordnen und usvertigen sol, so soellent der schriber, Peter Gäwessi, Jehan Knoto und ander, so nit riten mugent, zesamen tretten und dry oder vier heissen hin usgan, under denen mugent denn min herrn botschafft usziechen und ordnen, und denen denn gebieten, die botschafft verenden und tuon an widerrede etc. 608 Der Ratsbeschluss zeigt, dass Ratsdelegationen immer wieder neu bestimmt und eingesetzt wurden, sodass diese Aufgabe jeden Ratsherrn treffen konnte. Reisen im Namen des Rates gehörten zu den Aufgaben der Ratsherren, in die diese sich - so deutet es der Passus an - nicht immer an widerrede fügten. 609 Mit der Praxis der situativen Zusammenstellung der Delegation erhielt sich der Rat eine große Flexibilität und konnte auf die unterschiedlichen Kompetenzen und den jeweiligen Status der Delegationsmitglieder gemäß den situativen Erfordernissen zurückgreifen. Dabei war nicht zuletzt die körperliche Fitness der Kandidaten entscheidend. Eine weitere Qualität eines Ratsdelegierten wurde bislang nicht beleuchtet und findet auch im Bieler Ratsbeschluss keine Erwähnung: die sprachlichen Fähigkeiten. Die letztlich mündlich geführten Gespräche vor Ort sowie das Sozialisieren mit anderen Ratsmännern, mit möglichen Informanten, mit Hof‐ leuten und Repräsentanten anderer Herrschaften sind aus der jeweiligen Über‐ lieferungslage heraus schwierig nachzuzeichnen. Was sich den Bieler Missiven 212 3 Boten und Botschaften <?page no="213"?> 610 Vor allem unter Bischof Imer von Ramstein wurde Ende des 14. Jahrhunderts die Be‐ siedlung und Rodung in der Gegend der heutigen Franches Montagnes vorangetrieben. Dabei wurden unter anderem auch burgundische Siedler durch Privilegien angelockt, was das regionale Patois förderte, vgl. dazu auch B L O E S C H , Geschichte der Stadt Biel, S. 142. 611 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 279. 612 So zum Beispiel in einer Anweisung von Bischof Humbert von Neuenburg an die Bieler, zwei oder drei Ratsherren zum Grafen von Valagin zu schicken: Und har umb so bittend wir uch mit allem flisse, das ir uch miteinander underreden wullent und ze rate werden, was har inne sie ze tuonde und ordent zwene oder drie von den reten, die sich ze stuont zuo dem vorgenannt unserm Oheim von Vallingin fuegen und ime furlegen uwern rat und och mit ime reden, daz er sich noch in dirre sache bescheidenlich halte, untz daz man ze rate wirt, wie man noch die sache ze guotem brenge. (StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 67 [29. Dezember 1409]). 613 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 222 (15. Oktober 1485). 614 Zu der Rolle und den beträchtlichen (politischen) Handlungsspielräumen der Stadt‐ schreiber als politische Träger vgl. K A T H R I N J O S T , Konrad Justinger (ca. 1365-1438). Chronist und Finanzmann in Berns großer Zeit, Ostfildern 2011. 615 Vgl. dazu auch J U C K E R , Gesandte, hier vor allem S. 110-129. immerhin entnehmen lässt, ist die Fremdsprachenkompetenz. Deutsch war in Biel die Umgangssprache, im Amt Biel jedoch dominierte das Französische. 610 So wies Bischof Kaspar zu Rhein 1493 die Bieler an, ir wellen einen uwers rats, so inn der welschen sprach ou verstendig, uff mittwuchen zu nechst zu Purrentrut zu sin verordnen, durch den ir grundt der sach doch in geheym sollen bericht werden. 611 Je nach Sachverhalt war in dieser Sprachgrenzregion die Zweisprachigkeit der Ratsherren eine entscheidende Kompetenz für eine erfolgreiche Verständigung. Grundsätzlich wurden die Delegationsmitglieder gemäß ihrer Konstitution und ihrer Kompetenzen in einem pragmatischen Wahlverfahren bestimmt 612 , das aber unter Zeitdruck weiter abgekürzt werden konnte. Als etwa der Bieler Venner Stefan im Oktober 1485 bereits in anderer Angelegenheit am bischöfli‐ chen Hof weilte und die Zeit drängte, wurde er in bischöflicher Mission direkt an eine Tagsatzung in Basel geschickt. In einer Missive an die Bieler Führung erklärte Bischof Kaspar zu Rhein das Vorgehen und bat die Bieler, sie sollen inan‐ sechen die zit kurtz ist  613 ihre restliche Ratsdelegation nach Basel nachschicken. Der gewünschten Delegation sollte unbedingt auch der Bieler Stadtschreiber an die Seite gestellt werden. 614 Es lässt sich ab dem 15. Jahrhundert in mehreren Fällen beobachten, dass der Stadtschreiber mit Gesandtschaften mitreiste. Als Schriftlichkeitsexperten und Verwaltungsspezialisten, so zeigt sich, waren sie wichtige Berater. 615 Um die Praxis der Ratsbotschaften zu verstehen, muss man sich aber auch deren lokale Organisation am Tagungsort vergegenwärtigen. Häufig wurden Delegationen in Missiven explizit angewiesen, am Vorabend (ze nacht) einzu‐ 213 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="214"?> 616 Vgl. als Selektion StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 196, 202, 209, 212, 234, 239a, 247a, 256, 261, 317, 333 und 335. 617 Für Biel finden sich beispielsweise Herberge-Angaben für Basel, Bern, Luzern, Laufen oder Porrentruy. 618 Zur Bedeutung von Wirtshäusern für den Informationsaustausch vgl. B E A T K Ü M I N , Wirtschaft, Reiseverkehr und Raumerfahrung am Ausgang des Mittelalters, in: Straßen- und Verkehrswesen im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von Rainer C. Schwinges und Marie-Claude Schöpfer Pfaffen, Ostfildern 2007, S. 331-352 sowie Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von S U S A N N E R A U und G E R D S C H W E R H O F F , Köln/ Weimar/ Wien 2004. 619 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 256. 620 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 317. 621 Der Bischof weist die Bieler folgendermaßen an: ob der bemelt Zschocher vermeinen wolt, im der mund beslossen wer, so geben wir uch gewalt an unser stat, im den mund uffzetun, ze erlouben, damit die warheit an den tag kem, vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 278 (15. Januar 1492). treffen, wobei gleichzeitig darauf hingewiesen wurde, dass über die Sache am Morgen des darauffolgenden Tages beraten werden würde. 616 Die Gesandten sollten sich dabei jeweils in der Herberge des Tagungsortes einfinden. 617 Her‐ bergen und Wirtshäuser waren als Orte sozialen Austauschs die Gesandtschafts- und Botenzentren. 618 Die Herbergen vor Ort wurden in den Missiven tatsächlich nur als zu Basel an der herberg  619 oder die herberg zuo Louffen  620 erwähnt. Das bedeutet, dass die Kenntnis der jeweiligen Örtlichkeiten bei den Adressaten vorausgesetzt werden konnte. Das Eintreffen der Gesandtschaften am Vorabend mag zwar praktische Gründe gehabt haben, nämlich die unverzügliche Auf‐ nahme des Tagens am nächsten Tag, die frühere Anreise ermöglichte es den Gesandtschaftsgruppen aber auch, sich vorgängig über die Geschäfte auszutau‐ schen und sich allenfalls abzusprechen. In den Missiven selbst wird darauf jedoch nicht verwiesen. Der Passus des Eintreffens ze nacht reichte: Der Basler Bischof wusste dann, wo die Bieler anzutreffen waren. Die Missivenkorrespondenz gestattete es auch, das Themenportfolio von Gesandtschaften bei Bedarf kurzfristig zu erweitern. Wenn beispielsweise eine Tagsatzung zu einer Angelegenheit bereits angesetzt war, dann aber weitere Diskussionspunkte hinzukamen, konnten diese - per Missive - in die Gesandt‐ schaftskommunikation integriert werden. So hatte Bischof Kaspar zu Rhein im Januar 1492 eine Tagsatzung in Porrentruy zwischen den Bielern und dem Vogt von Zwingen angesetzt. Als ihm aber ein Vergehen eines Porrentruyer Bürgers namens Zschocher zu Ohren kam, wies er die Bieler an, dieser Sache nachzugehen. Zschocher sollte verhört und allenfalls gefoltert werden, um im den mund uffzetun. 621 Die so gewonnenen Aussagen sollte der Bieler Rat uns 214 3 Boten und Botschaften <?page no="215"?> 622 Ebd. 623 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a, S. 36. sollichs schrifftlich zu schicken by denen, so uff den tag mit unserm vogt zu Zwingen ietz harab komen sollen. 622 Die geschilderten Fälle von Ratsbotschaften zeigen, wie sie sich aus dem Bedürfnis an städtisch-obrigkeitlicher Gesandtschaftstätigkeit heraus entwi‐ ckelten und im Verlauf des 15. Jahrhunderts im Kontext der sich etablierenden Tagsatzungen zu einer anerkannten Form der Delegation wurden. Auch wenn Bestrebungen erkennbar sind, die Delegationstätigkeit zu institutionalisieren, setzten die Verhandlungs- und Sprachkompetenzen, die Netzwerkbeziehungen und nicht zuletzt die körperlichen Voraussetzungen Grenzen dafür, wer als Ratsbote in Frage kam. Einerseits ermöglichten diese geringen Anforderungen an das Verfahren der Delegationsbildung eine flexible Reaktion auf die situa‐ tiven Anforderungen, andererseits mussten die einzelnen Delegationen im Vorfeld von Tagsatzungen und Schiedsgerichten so koordiniert werden, dass Absprachen innerhalb der Parteien getroffen werden konnten. Um auf den Wortlaut der zu Beginn zitierten Handfeste zurückzukommen: Im spätmittelalterlichen Diskursraum war ein Ratsbote nicht ein Übermittler, sondern ein Ratsherr, der beauftragt war, eine botschaft zu tuone.  623 Dabei blieb die Ratsdelegation im ganzen Untersuchungszeitraum eng mit der Missi‐ venkorrespondenz verknüpft. Das heißt, die Ratsdelegation konnte sich nicht aus dem Medienensemble der Botschaft herauslösen, sondern blieb auch als Form der delegierten Anwesenheitskommunikation an Formen der Schriftlich‐ keit und Materialität zurückgebunden. Die Koordination und Organisation von Tagsatzungen lief dabei über den Bischof und wurde maßgeblich über die Missivenkommunikation gesteuert. Gerade wenn eine Tagsatzung bereits im Gange war oder die zuständige Ratsbotschaft bereits unterwegs war, bot die Missivenkorrespondenz ein flexibles Mittel, um Ergänzungen, aktuelle Entwicklungen oder Änderungen auf sicherem Weg zu kommunizieren und zu autorisieren. Einmal mehr zeigt sich damit die stabilisierende Funktion des Missivenkorrespondenz in den anwesenheitsorientierten Face-to-Face-Settings der Tagsatzungen. Die treffenlich botschaft: Semantiken der Delegation Spielte die personelle Zusammensetzung der Ratsbotschaft auch eine möglicher‐ weise entscheidende Rolle für Erfolg oder Misserfolg einer Delegation, so waren die Missiven in der Regel dennoch nicht an die einzelnen Gesandten adressiert, 215 3.2 Das Spektrum der Übermittler <?page no="216"?> 624 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 201 (18. Februar 1480). 625 Ebd. 626 Vgl. unter anderem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3, 7, 25, 52 und 57. 627 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 304. 628 Vgl. unter anderem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 105, 129, 147, 162, 201, 225, 234, 239a, 247a, 261, 264, 321a und 333. 629 Vgl. dazu etwa K N A P E und R O L L , Rhetorica deutsch, S. 77 und 103. sondern an die Ratsbotschaft als Gruppe. Diese vertrat das Gemeinwesen bzw. den Herrschaftsverbund. Wo in den Missiven auf Gesandtschaften verwiesen wird, fällt auf, dass Ratsbotschaften oft auch semantisch ausgezeichnet wurden. Als Bischof Kaspar zu Rhein 1480 im Streit mit dem Dinghof Laufen lag, sollte die Angelegenheit vor dem Kammergericht in Basel entschieden werden. Nachdem entsprechende Kundschaften eingeholt worden waren, schlug die zuständige Gerichtsinstanz ein Datum vor. 624 Die Bieler Ratsbotschaft sollte nun bei der Besetzung des Kammergerichts mithelfen. Im Wunsch, möglichst versierte Ratsmänner in seinem Interesse an der Angelegenheit beteiligt zu sehen, verlangte der Bischof im Schreiben nicht nur einfach nach einer Bieler Botschaft, sondern explizit nach uwer treffenlich bottschafft. 625 Botschaften wurden jedoch nicht immer mit Adjektiven ausgezeichnet. Folg‐ lich sollte der Zusatz nicht nur als formelhafte Bezeichnung von Delegationen abgetan werden. In den Missiven wird von uwer guoten botschaft  626 , uwer ersam botschafft  627 oder uwer treffenlich botschaft  628 gesprochen, wobei die Attribuie‐ rungen mit „gut“ und „trefflich“ überwiegen. Das Adjektiv „gut“ findet sich zudem bereits ab den 1390er-Jahren in Missivenadressierungsformeln wie auch in der Salutatio als Wendung unser guoten frunde. Gemäß den zeitgenössischen Rhetorikvorgaben wird die Ehrformel „gut“ für den untersten weltlichen Stand verwendet und markiert damit zugleich die asymmetrische Herrschaftsbezie‐ hung zwischen Bischof und Stadt. 629 In dieser Auszeichnungslogik scheint es zunächst auch im Ausdruck der „guten Botschaft“ aufzutauchen, mit der von bischöflicher Seite her eine kompetente Bieler Delegation angefordert wird. Die sich ab den 1420er-Jahren allmählich durchsetzende Bezeichnung „trefflich“ hingegen scheint auf die Erwartungen an die Leistung der Delegation abzuheben. Von bischöflicher Seite konnte also mit dem Botschaftsattribut signalisiert werden, dass er die Kompetenz altgedienter und erfahrener Unter‐ händler erwartete oder das soziale Kapital des Status prominenter Delegierter in Anschlag bringen wollte - je nachdem, was in der jeweiligen Situation benötigt wurde. Während der Bischof über die Missiven also allenfalls Erwartungen an die Zusammensetzung der Bieler Botschaft formulieren konnte, hatte er weitge‐ 216 3 Boten und Botschaften <?page no="217"?> 630 B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 147, S. 198. 631 Ebd. 632 Ebd. hend freie Wahl bei der eigenen Zusammenstellung von Botschaften. Einen Fall, der die Bedeutung der personellen Besetzung erhellt, bietet die Bieler Ratswahlordnung von 1526, die Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Großen und Kleinen Rat beilegen sollte. 630 Da die Bieler auf einem umstrittenen Artikel beharrten, versuchte Bischof Christof von Utenheim die Bieler mitt geschrifft und eygne bottschafft  631 umzustimmen. Diese zeigten sich aber wenig beein‐ druckt, dorumb er [Bischof Christof von Utenheim, Anmerkung IS] yetzund aber sin bottshafft, mitt namen junckher Thurss Marschalck, vogt zu Pruntrut, und Jörg Belorssier, cantzler und vogt zuo Sant Ursitzen, gon Byell geschickt. 632 Die zweite Botschaft scheint also prominenter besetzt worden zu sein, denn zumindest wurden im Gegensatz zur ersten die beiden Gesandten namentlich erwähnt. Die Nachdrücklichkeit dieser Botschaftsankündigung zeigt, wie entscheidend die personelle Besetzung den Status der Botschaft markierte, aber auch, wie wichtig die entsprechende Ankündigung durch die Missivenkorrespondenz war: Die treffenlich botschaft musste sich schließlich auch immer wieder vor Ort als solche erweisen. 3.3 Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung Die vorausgegangenen Ausführungen haben aufgezeigt, wie das Medienen‐ semble der Botschaft die bischöfliche Herrschaftsvermittlung möglichst stabil und doch flexibel genug hielt, um die herrschaftliche Abwesenheit zu kompen‐ sieren, und wie ein breites Spektrum an Übermittlern das Medienensemble der Botschaft auszudifferenzieren half. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass eine simple Gegenüberstellung von An- und Abwesenheit in der historischen Korrespondenzsituation kaum genügen kann. Folgende Ausführungen führen uns daher zurück zur Frage, welche Rolle die Anbzw. Abwesenheit des bischöf‐ lichen Herrschaftsträgers erfüllte und wie sich die Kompensationsfunktion des Medienensembles der Botschaft bei der Durchsetzung von Herrschaft vor Ort im Verlauf des 15. Jahrhunderts veränderte. Eine Missive Bischof Humberts von Neuenburg (1395-1418) zeigt, wie die physische Anwesenheit des Bischofs zu Beginn des 15. Jahrhunderts und die sich erst etablierende Missivenkorrespondenz in Beziehung gesetzt werden können. Die von Bischof Hartmanns Vorgänger ausgestellte Missive steht im Kontext einer bereits angesetzten Tagsatzung mit Biel, bei der es um ein nicht weiter 217 3.3 Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung <?page no="218"?> 633 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 89 (5. September 1416). Eine Abschrift dieser Missive befindet sich im AAEB B138 Biel 64, 1, S. 5. 634 Der Hinweis, ob Gott will, könnte hier bereits auf den schwächelnden Gesundheitszu‐ stand des Bischofs bezogen werden. Ein gutes Jahr später, im Juni 1417, stirbt Bischof Humbert, vgl. HS I, 1, S. 193. 635 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 89 (5. September 1416). 636 Ebd. 637 In der Anlage vergleichbar vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 88 (22. Januar 1416). spezifiziertes Anliegen von zwei Bieler Bürgern ging. Schreibanlass war nun, dass dieser Termin um acht Tage verschoben werden sollte. Die Verschiebung würde es dem Bischof ermöglichen, ob Got will, mit unser selbst libe by uch sin. 633 Da es sich um eine rechtliche Forderung des Bieler Meiers und Rats gegenüber zwei Bürgern handelte, stand es dem Bischof zu, den Vorsitz der angesetzten rechtlichen Verhandlung auszuüben und in Biel persönlich zu erscheinen. Die Wendung mit unser selbst libe verdeutlicht dabei die ganz körperlich verstandene Präsenz des Bischofs. 634 Im Umkehrschluss zeigt die Wendung jedoch an, dass die physische Präsenz des Bischofs nicht zwingend war. Es bestand die Option, sich durch einen bischöflichen Repräsentanten vertreten zu lassen. Damit deutet sich in der kurzen Wendung an, dass die leibliche Anwesenheit des Bischofs und die durch eine Stellvertretung kompensierte Abwesenheit in einem Verhältnis standen, das sie zwar nicht gleichsetzte, aber gleichermaßen legitimierte. Der zweite medial aufgeladene Aspekt betrifft die im Brief erwähnten Boten: Da tund har inne als wir uch des in sunder wol getruwen und och uch daz unser botten, zoiger diss brieffes, volleklicher mit muonde wirdent sagen. 635 Die Boten überbrachten nämlich nicht nur die Missive. Erstens wurden sie als unser botten in der Missive ausdrücklich genannt, was sie als herrschaftliche Boten im Auftrag des Bischofs legitimierte. Die Boten wurden zweitens als zoiger diss brieffes  636 angeführt, die mit mounde die entsprechenden Inhalte darlegen sollten. In Analogie zur leiblichen Präsenz des Bischofs wird hier auf die physisch ausgeführte Mündlichkeit der Boten Bezug genommen. Während die bischöflichen Boten die Autorität der Missive garantierten, autorisierte die Missive wiederum ihre Überbringer und deren Sprechrolle. 637 Damit zeigt das Beispiel, wie sich die einzelnen Teile des Medienensembles Botschaft in fast tautologischer Weise gegenseitig erforderten und stützten: Ihre Überbringung durch Boten des Bischofs validierte die Missive als Äußerung des Bischofs, wie zugleich die Missive die Boten als Repräsentanten des Herren auswies. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts setzte das Gelingen des Medienensembles der Missivenbotschaft physische Präsenz in einer Form voraus, auf die in schriftlicher Form Bezug verwiesen wurde. Die körperliche Präsenz mit unser selbst libe oder mit muonde wurde explizit vermerkt. Herrschaftsvermittlung 218 3 Boten und Botschaften <?page no="219"?> 638 Diese Aussage bezieht sich auf die fürstbischöfliche Missivenkorrespondenz mit Biel, StadtABiel 1, 45, XXI. Ähnliche Zahlen sind aber auch für andere Korrespondenzserien zu erwarten. Dabei gilt es zu bedenken, dass bei zwischenörtlichem Briefwechsel, wenn Antworten eingefordert werden mussten, die Botennennung entsprechend höher zu veranschlagen ist. 639 Vgl. dazu eine Auswahl aus StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 37, 38, 54, 59, 99, 103, 112, 213, 220, 233, 236, 243, 247, 255, 269, 276, 297, 298, 316, 338 und 342. funktionierte nicht einfach über schriftliche Anweisungen, sondern bedurfte für die Glaubwürdigkeits- und Gehorsamsbildung einer vermittelnden möglichst stabil und materiell ausgestalteten „Telekommunikation“ der herrschaftlichen Präsenz. Verschiebt man also die Perspektive weg vom Brief auf die Botschaft als distanzkommunikatives Medienensemble, so wird auch der Blick frei auf die Komplexität des dynamischen Vermittlungsprozesses zwischen herrschaftlicher Absenz und Präsenz. Es zeigt sich, dass gerade die differenzierte Verwendung von Begrifflichkeiten - wie überhaupt der explizite Hinweis auf unterschied‐ liche mediale Formen (wie Brief, Bote, Leib, mündlich/ schriftlich etc.) - davon zeugt, dass die medialen Bedingungen der Distanzkommunikation - zumal sie in einem herrschaftlich grundierten Kontext stattfand - mitreflektiert wurden. Die Absenz des Herrn konnte in der medialen Präsenz aufgehoben werden, blieb dabei jedoch an die explizite Thematisierung der Botschaft als Medienkomplex zurückgekoppelt. Physische Präsenz der Herrschaft wurde also nicht einfach durch distanzvermittelte Schriftlichkeit ersetzt, sondern benötigte eine komplexe mediale Vermittlungskonstellation, deren eigene Materialität Formen der „leiblichen“ Absenz des Herrschaftsträgers kompensieren mussten. Diese Referenzen auf leibliche Präsenz nehmen im Verlauf des 15. Jahrhun‐ derts ab. Zunehmend dominieren Phrasen wie uwer antwort by disem boten, die die bischöfliche Abwesenheitskommunikation strukturierten. So enthalten rund 15 % der bischöflichen Missiven eine explizite Thematisierung des über‐ bringenden Boten. 638 Die häufigste Erwähnung erfolgt dabei im Rahmen einer Antworteinforderung gemäß der oben genannten Wendung uwer antwort by disem boten. 639 Diese Aufforderung machte sicherlich logistisch Sinn, da der Bote in aller Regel wieder an den bischöflichen Hof zurückkehrte. Doch im Folgenden interessiert uns mehr die kommunikationsstrukturierende Funktion dieser Phrase. Gemäß einer Missive vom 27. Juli 1489 musste Bischof Kaspar zu Rhein offenbar gleich mehrmals auf eine Antwort der Bieler insistieren: Wir hand uch zu nechst geschriben by unnserm meyer von Tess des furnemens halb durch die von Bern zu Twann und Lamlingen begangen, da unns nach kein antwurt 219 3.3 Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung <?page no="220"?> 640 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 259 (27. Juli 1489). 641 So zeigt die Auseinandersetzung zwischen Biel und La Neuveville und Bischof Imer von Ramstein um Privilegien (Bannergebiet), die über eine Missivenserie (1390-1391) belegt ist, sehr schön, wie räumliche und zeitliche Distanzen zum eigenen Vorteil ausgenutzt wurden, vgl. StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 3, 4, 6, 7, 9, 12, 13 und 14, wobei sich chronologisch eine andere Reihenfolge, nämlich Nr. 6, 7, 3, 4, ev. 9, 12, 13 und 14 ergibt. 642 Vgl. K R Ä M E R , Medien, S. 12-19. 643 Vgl. K R Ä M E R , Medium, S. 110-121. worden ist, da wellen unns by disem potten berichten, was uwer ratt ist inn den dingen ze handen, das wellen furnemen. 640 Da die Bieler auf das erste Anschreiben nicht geantwortet hatten, verlangte Bischof Kaspar sozusagen eine ‚postwendende‘ Antwort mittels des Boten, der die zitierte Missive überbracht hatte. Es ging dabei vermutlich weniger um die Qualität der Auskunft, die der Bischof von seiner Stadt verlangte. Antworten der Bieler mussten nicht unbedingt präzise und ausführlich sein, wie vage, ausweichend oder mehrdeutig gehaltene Reaktionen der Bieler aus anderen Kontexten belegen. Das Entscheidende an der Aufforderung, by disem potten zu replizieren, war also wohl weniger die Information, die sich der Bischof erhoffte, als vielmehr die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Anschluss‐ kommunikation, um so den herrschaftlichen Kommunikationszusammenhang aufrechtzuerhalten. 641 Als Person spielte der Bote keine Rolle. Er war nur Teil des aus ihm, der schriftlichen Nachricht und dem Objekt ‚Brief ‘ bestehenden Medienensembles Botschaft. Seine Funktion lässt sich dabei in zwei Bereiche unterteilen, die - wiederum aus medientheoretischer Sicht - nicht voneinander abhingen. Der Bote überbrachte im Sinne des K RÄM E R ’schen postalischen Prinzips die Nachricht unidirektional und blieb heteronom, also an die bischöfliche Weisung gebunden. 642 Die Person musste dabei nicht weiter spezifiziert werden. Seine Funktion fiel mit seiner Bezeichnung zusammen, es genügte die Bezeichnung als Bote, auch in den Missiven selbst. Seine physische Mobilität garantierte dabei die Übertragungsleistung. 643 Die Boten transportierten die Briefe zudem meist in Büchsen, welche die Authentizität des enthaltenen Schriftstücks zusätzlich garantieren konnten, wenn etwa das bischöfliche Wappen auf der Büchse angebracht war. Die bischöfliche Präsenz und die bischöfliche Delegation hingegen können - so die These - im Sinne K RÄM E R s als dialogische Verstän‐ digung verstanden werden. Denn, so K RÄM E R , „[d]as dialogische Prinzip […] modelliert Kommunikation als ein Zusammenfallen und eine Vereinheitlichung [kursiv im Original, Anmerkung IS] vormals divergierender Zustände von 220 3 Boten und Botschaften <?page no="221"?> 644 K R Ä M E R , Medien, S. 15. 645 Vgl. ebd. 646 Vgl. hierzu D A N I E L A H A C K E , Zwischen Konflikt und Konsens. Zur politisch-konfessio‐ nellen Kultur in der Alten Eidgenossenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4 (2005), S. 575-604. 647 Zum Meierstreit vgl. Kapitel 2.3. Individuen“. 644 Deshalb spricht sie auch vom „erotischen“ Prinzip. 645 Die Aufgabe von Gesandtschaften war eben gerade nicht die Übertragung, sondern die Verständigung und, im Idealfall, das Aushandeln eines Konsenses. In unserem Zusammenhang heißt das in erster Linie, dass Delegationen zwar ebenso Teil des Medienensembles der Botschaft waren wie die Boten, die darauf warteten, eine Antwort an den Bischofshof zurückzubringen, den Delegationen aber im Gegensatz zu den Boten kommunikative Handlungsspielräume eingeräumt wurden. Wie die vormoderne Konfliktforschung bereits zeigen konnte, stand beim Tagen von Herrschaftsdelegationen nicht zuletzt das Sichtbarmachen und Vorzeigen von Konsens im Zentrum. 646 Was dabei über einzelne Missiven, aber mehr noch über die Missivenkorrespondenz als Kommunikationsphänomen in den Blick gerät, ist die Strukturierungs- und Anschlusskommunikationsleis‐ tung dieses Medienkomplexes, der Akteure über Amtsfunktionen einband. Die logistischen postalischen Übertragungsbedingungen und die medialen Effekte der delegationsbegleitenden Korrespondenz führten dazu, dass Kommunikation aufrechterhalten wurde und Missiven nicht nur als Einzelschreiben an Bedeu‐ tung gewannen, sondern als Kommunikationszusammenhang. Damit leistete die Missivenkorrespondenz einen Beitrag an die kontinuierliche Präsenzver‐ mittlung der bischöflichen Herrschaft. Die Herrschaftsvermittlung via Botschaft gestaltete sich jedoch nicht nur unidirektional als medial vermittelte bischöfliche Präsenz, sondern auch in umgekehrter Richtung als Präsenzeinforderung vonseiten der Bieler. Bislang standen vor allem Gesandtschaften im Zentrum, die sich entweder einer bischöf‐ lichen Delegation anschlossen oder die im Auftrag des Bischofs unterwegs waren. Der Rat von Biel schickte jedoch auch Delegationen ihrer Ratsherren an den bischöflichen Hof, etwa um in einer bestimmten Angelegenheit Gehör zu erlangen. Im Folgenden soll anhand einer gut dokumentierten Bieler Delegation dieser Möglichkeit der Präsenzforderung und deren mediale Konstellation als Bieler Botschaft nachgegangen werden. Im bereits behandelten Bieler Meierstreit von 1492/ 93 stellten sich die Bieler Räte gegen Humbert Göuffi, den von Bischof Kaspar zu Rhein vorgeschlagenen Kandidaten für das Meieramt. 647 Eine Bieler Ratsbotschaft machte sich in der 221 3.3 Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung <?page no="222"?> 648 So zumindest fasste die bischöfliche Missive von Kaspar zu Rhein die Bieler Missbilli‐ gung seines Meierkandidaten in Worte, StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 283. 649 Ebd. Folge auf nach Porrentruy, um dem Bischof zu verdeutlichen, dass ihnen der neue Meier widrig und nit gevellig sei. 648 Es lohnt sich, zunächst die unterschiedlichen Funktionslogiken von Gesandt‐ schaft und Missive einander gegenüberzustellen. Die aus Porrentruy zurück‐ kehrende Gesandtschaft legte vor dem Bieler Rat Rechenschaft über ihre Audienz beim Stadtherrn ab. Man kann nicht wissen, was dieser Bericht genau beinhaltete, aber man darf davon ausgehen, dass die Mitglieder der Delegation Ablauf, Themen und Ergebnisse der Unterredung darlegten, und vermutlich auch ihre Einschätzungen zur Situation, vielleicht auch Empfehlungen für das zukünftige Handeln des Rates und dergleichen abgaben. Die durch Boten überbrachte Missive Bischof Kaspars fasst zwar ihrerseits die vorangegangenen Geschehnisse rund um den Meierstreit aus der Sicht des Bischofs knapp zusammen. In erster Linie resümiert die Missive jedoch das Geschehen als herrschaftlich strukturierten Kommunikationszusammenhang. Was konkret zwischen Bischof und der Delegation besprochen wurde, würden - so das Schreiben - die Bieler von ihren Gesandten erfahren (des witer von uwern botten bericht sien). Es geht also nicht darum, dass der Bischof mit der Missive sicherstellen wollte, dass seine Einschätzung der Lage neben oder im Gegensatz zu der Gesandtschaft vor dem Bieler Rat Gehör fände. Die Missive ist keine Darstellung der Ereignisse, für die der Bischof auf den Bericht der Delegation vor dem Rat Bezug nimmt. Vielmehr bestätigt sie der Bieler Führung zum einen, dass ihr Widerwillen gegen den Kandidaten des Bischofs vernommen wurde, verweist für genauere Ausführungen auf den mündlichen Gesandtenbericht und formuliert zum anderen schließlich in allgemeinem Ton die Erwartungen des Landesherrn an seine Untertanen: [S]o ist doch desterminder nitt unnser fruntlich begeren, ir wellen betrachten und ermessen, in welhen fuogen und gestalt solichs angesehen und har inn nitt anders handlen oder tuon, dann das so sich gebuert und ir ze tund schuldig sein. 649 Der Bischof wies die Bieler an, nach ihrem Verständnis und Ermessen zu handeln und sich gebührend zu verhalten, wie sie es ihm schuldig seien. Zwar wird keine konkrete Handlungsweisung dekretiert, dafür aber der erwartete Gehorsam eingefordert. An dieser Stelle sei an die in Kapitel 2 beschriebenen Amtskonzeptionen und entsprechenden Eide erinnert: Der Huldigungseid der 222 3 Boten und Botschaften <?page no="223"?> 650 Vgl. etwa den Huldigungseid gegenüber Kasper zu Rhein, der im Stadtbuch überliefert ist (minem gnedigen herrn gehorsam und gewertig zesind alz unnserm rechten naturlichen hernn), StadtA Biel, CCXLVII 12 (Stadtbuch), S. 92. Vgl. dazu auch die Befunde zur Vertrauens- und Gehorsamssemantik im frühneuzeitlichen Gesandtenverhalten bei S C H L Ä P P I , D A N I E L , In allem übrigen werden sich die Gesandten zu verhalten wissen, in: Geschichtsfreund 151 (1998), S. 5-90. 651 Vgl. dazu etwa den Bestätigungsbrief von Bischof Friedrich von Blankenheim als Pfleger (19. Juni 1391), in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 53, S. 86 sowie die im Wortlaut fast identischen Bestätigungsbriefe von Bischof Humbert von Neuenburg (24. Februar 1401), B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 59, S. 105, von Bischof Hartmann Münch von Münchenstein (20. Oktober 1418), ebd., Nr. 63, S. 111, von Bischof Johann von Fleckenstein (2. Juni 1423), ebd., Nr. 65, S. 112. Ähnliche Bestätigungs- und Gehorsamsformulierungen finden sich auch in den Bestätigungsbriefen von Bischof Friedrich zu Rhein (18. März 1437), StadtA Biel, CIX 45 und von Bischof Arnold von Rotberg (20. Februar 1451), StadtA Biel, CIX 66. Die Bestätigungsbriefe von Johannes von Venning (15. Juni 1458) und Kaspar zu Rhein (25. Januar 1475) lauten zwar ebenfalls ähnlich, jedoch wurde unnser statt Biel auf unser schloss Biel reduziert, vgl. ebd., CIX 51 und CIX 75. Bieler Gemeinde und der Amtleute gegenüber dem Bischof bildete letztlich die gemeinsame Bezugsgröße des Herrschaftsverständnisses. 650 In den Missiven finden sich häufig Wendungen wie tund als wir uch getru‐ went oder tund wie sich gebuert, die mit der Phrase als ir uns schuldig sind gesteigert werden konnten. Diese allgemein gehaltenen Formulierungen der Gehorsamsforderung eröffneten selbstverständlich Spielräume, was in einer gegebenen Situation als gutes und richtiges Handeln gelten konnte. 651 Entweder scheint ein Konsens bestanden zu haben, was in der jeweiligen Situation das geschuldete und gebührende Verhalten war, oder es wurde ein Vorstellungsraum umrissen, der es beiden Parteien ermöglichte, ihre Erwartungen einzubringen und Kompromisse auszuhandeln. Anhand des Meierstreits, dessen Verlauf sich in den Missiven niederge‐ schlagen hat, und anderen Delegationsreisen der Bieler an den bischöflichen Hof zeigt sich also das komplementäre Verhältnis von Gesandtschaft und Missiven‐ botschaft. Indem in Missiven zusammengefasst wurde, welche kommunikativen Akte stattgefunden hatten, erbrachten sie eine kommunikative Strukturierungs- und Organisationsleistung. Zugleich konnte in Missiven auf allgemeine Ge‐ pflogenheiten und entsprechende Erwartungen Bezug genommen werden, die in einem mündlichen Kontext womöglich deutlicher ausformuliert werden mussten, was weiteren Dissens wahrscheinlicher gemacht hätte. Missiven stifteten so den herrschaftlichen Rahmen der Gesandtschafts- und Botentä‐ tigkeiten, ohne jedoch direkt inhaltlich vorentscheidend in die eigentlichen Aushandlungsprozesse einzugreifen, die in Anwesenheitskommunikation statt‐ fanden. Damit wurde die Gesandtschaftstätigkeit über Missiven mitstrukturiert 223 3.3 Wandel in der bischöflichen Präsenzvermittlung <?page no="224"?> 652 Zu Kredenz- und Kreditivschreiben vgl. zudem H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz, S. 178-183. H O L Z A P F L s Ausführungen sind jedoch sehr kurz gehalten und beschränken sich auf eine Typologisierung der beiden Briefarten. Zu Kredenzschreiben für Gesandte siehe den knappen Kommentar in J U C K E R , Gesandte, S. 87f. 653 Zur Semantik der Missiven vgl. Kapitel 1.2. 654 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 33, 64, 418, 437, 440 (für Äbte von Bellelay), 38, 39, 61, 62, 80, 86, 311, 352 und 376. und womöglich auch kontrolliert. Beide Formen der Interaktion konnten auf‐ einander bezogen und ergänzend eingesetzt werden, ersetzten sich aber nicht. Auch wenn die Präsenz als physische Anwesenheit des Bischofs mehr und mehr durch bischöfliche Botschaften ersetzt wurde, blieb sie dennoch an Formen der Repräsentation und Materialität gebunden, die das Medienensemble nicht nur einmalig, sondern vor allem in seiner Kontinuität als Korrespondenzkommuni‐ kation gewährleistete. 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben Eine besondere Stellung innerhalb der Missivenkorrespondenz nehmen Schreiben ein, die entweder den Vertretungsanspruch einer Gesandtschaft als Botschaft autorisierten (Kredenzschreiben) oder Petenten, die die entspre‐ chenden Briefe selbst überbrachten, um sich in eigener Sache Gehör zu ver‐ schaffen (Kreditivschreiben). 652 In Missiven der Basler Bischöfe lässt sich diese aus der Diplomatik stammende Unterscheidung allerdings weder semantisch noch in der Briefanlage beobachten. Sowohl Kredenzwie Kreditivschreiben reihten sich in die übliche, bereits vorgestellte Briefsemantik der Missivenkor‐ respondenz ein. Das heißt, auch sie wurden unterschiedslos als brief, geschrift oder schriben bezeichnet. 653 Da diese Empfehlungsschreiben einen bedeutenden Anteil an der überlieferten Missivenkorrespondenz ausmachen, stellt sich daher die Frage, ob sich für das spätmittelalterliche Verständnis eine (mediale) Unter‐ scheidung zwischen diesen Empfehlungsschreiben und „einfacher“ Missive fest‐ stellen lässt und wenn ja, wie diese Binnendifferenzierung für das Verständnis des Medienensembles der Botschaft zu deuten ist. Empfehlungsschreiben für Geistliche, bischöfliche Amtleute, Personen mit bischöflichem Auftrag oder aus dem Umfeld des Bischofs waren durchaus üblich und gehörten nicht zu den Eigenarten der Basler bischöflichen Korre‐ spondenz. 654 Dennoch erweist sich ein genauerer Blick auf diese Schreiben als lohnenswert, wenn die herrschaftliche Missivenkorrespondenz in ihren Gebrauchslogiken und in ihrem Zusammenspiel mit sozialen Netzwerken ver‐ 224 3 Boten und Botschaften <?page no="225"?> 655 Zu Missiven und Interessensvertretung vgl. I S A B E L L E S C H Ü R C H , Familie, Fürsprache, Frieden? Überlegungen zur Interessensvertretung in der spätmittelalterlichen Herr‐ schaft der Basler Bischöfe, in: Lobbying - die Vorräume der Macht/ les antichambres du pouvoir. Schweizerisches Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 31, hrsg. von Gisela Hürlimann et al., Zürich 2017, S. 77-89. Zur Thematik der Fürsprache und der Be‐ deutung von Klientelbeziehungen vor Gericht vgl. zudem K A T H A R I N A S I M O N -M U S C H E I D , Reden und Schweigen vor Gericht. Klientelverhältnisse und Beziehungsgeflechte im Prozessverlauf, in: Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.-18. Jahrhundert), hrsg. von Mark Häberlein, Konstanz 1999, S. 35-52. 656 Vgl. dazu auch M I C H A E L J U C K E R , Vertrauen, Symbolik, Reziprozität. Das Korrespon‐ denzwesen eidgenössischer Städte im Spätmittelalter als kommunikative Praxis, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34 (2007), S. 189-213. 657 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 80 (17. Juni 1413). 658 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 78r (19. Dezember 1413). standen werden soll. 655 Im Folgenden soll gezeigt werden, wie in Empfehlungs‐ schreiben (herrschaftliche) Beziehungen verhandelt wurden und wie in der Semantik des Empfehlens und der Glaubwürdigkeit das jeweilige Verhältnis sichtbar gemacht wurde. 656 Im Juni 1413 machte sich Stefan von Vogtsberg auf den Weg nach Biel, im Ge‐ päck ein Empfehlungsschreiben des Basler Bischofs Humbert von Neuenburg. Das versiegelte Schreiben hatte er vom Bischof ausstellen lassen, um in Biel in eigener Sache vor Meier und Rat der Stadt vorsprechen zu können. Die Missive ist kurz und knapp gehalten: Unsern fruntlichen grus voran, besundern lieben frunde. Uns hat fuergetragen unser getruwer lieber Stepphan von Vogtsperg, zoiger diess brieffes, wie das er etwas ernstliche sachen by uch ze schaffende het, als er uch woll wut sagen von muonde. Da bittend wir uch mit alle flisse, das ir durch unsern willen dem selben Stepphan in allen sinen sachen, so er uch furtragen wirt, beholffen wullent sin zem rechten, als ob sie uns selber antreffende werent. Dar an tuond ir uns ein sunder fruntschaft und gevelnisse. 657 Es ist bei dieser Art von Schreiben charakteristisch, dass keinerlei Präzisie‐ rungen zur Person oder zum Inhalt des Geschäfts gemacht wurden. Aus einer nachfolgenden Missive, die jedoch nicht als Empfehlungsschreiben angelegt ist, geht hervor, dass es sich dabei womöglich um eine Erbstreitigkeit handelte, in die Stefan von Vogtsberg, dessen Mutter sowie die Erben Heintzmanns von Bubenberg involviert waren. 658 Der Informationsgehalt zum Sachverhalt des Schreibens wurde auf etwas ernstliche sachen beschränkt. Das an Meier und Rat adressierte Empfehlungsschreiben hatte jedoch eine eigene Funktionslogik, indem es die kommunikative Handlung der Bittstellung ankündigte und gera‐ 225 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="226"?> 659 Vgl. dazu den Stadtfrieden („Handfeste“) des Bischofs Johann Senn von Münsingen vom 7. Januar 1352 in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 34a (Deutsches Original), Art. 46, S. 39. dezu handlungsanleitend wirkte. Wie bereits in anderen Kommunikationszu‐ sammenhängen ersichtlich, finden sich im schriftlichen Inhalt des Empfehlungs‐ briefes vor allem die kommunikativen Akte thematisiert. Im vorliegenden Fall wird besonders deutlich, dass nicht nur die nun anschließende Kommunikation eingeführt, sondern gerade auch die vorangegangene Kommunikation explizit hervorgehoben wurde. Damit fasste der Brief Referenzen auf Vergangenheit (persönliches Vorstelligwerden des Petenten vor dem Bischof), Gegenwart (Übertragung des Schreibens) und Zukunft (Bitte, wie Meier und Rat mit dem Petenten verfahren sollen) zusammen und eröffnete der Leserschaft den Blick auf den Prozess des Aushandlungsvorgangs. Diese Form der Kommunikationsstrukturierung könnte entscheidend zur Bildung von Glaubwürdigkeit beigetragen haben, denn so wird der Anlass der Kommunikation nicht durch die Sache begründet, sondern durch die Sichtbarmachung der Rollen der beteiligten Akteure. Bischof Humbert von Neuenburg legitimierte den Bittstellergang, indem er in der Missive bestätigte, dass der Bittsteller ihm das Anliegen schon vorgetragen hatte. Dadurch dass das Prozedere im Schreiben ausformuliert war, wurde es dem Adressatenkreis nicht nur bekannt, sondern band diesen in den Prozess der Aushandlung direkt ein. Die überlieferte Missive bezeugt als Text und Objekt, dass das Verfahren tatsächlich stattgefunden hat: Die Missive wurde von Stefan von Vogtsberg nach Biel gebracht und dem Rat übergeben. Die im Anschluss an die Anhörung vorgenommene Archivierung durch die Bieler Stadtschreiberei und deren Nachfolgeinstitutionen bis zum heutigen Stadtarchiv zeugen vom Übermittlungserfolg des Empfehlungsschreibens. Für den Bittsteller Stefan von Vogtsberg ermöglichte das Empfehlungs‐ schreiben zwei Dinge. Erstens verschaffte ihm das mit dem bischöflichen Siegel versehene Dokument überhaupt erst Zugang zum städtischen Rat. Dieser war in der 1352 erlassenen Handfeste Bischof Johanns Senn von Münsingen sehr re‐ striktiv geregelt worden: Niemand sei berechtigt, vor dem Rat zu erscheinen und Klagen anzubringen. Einzig auf Geheiß des Meiers oder seines Statthalters sowie in akuten Notsituationen (Krieg, Feuer, feindlicher Angriff etc.) war das direkte Vorsprechen vor dem Rat zulässig. 659 Die bischöfliche Missive ermöglichte es einem Petenten wie Stefan von Vogtsberg, diese Hürde zu überwinden. Nach 226 3 Boten und Botschaften <?page no="227"?> 660 Vgl. hierzu S C I O R , Veritas und certitudo. Zur Bedeutung von zoiger als ‚Bote‘ und ‚Zeuge‘, vgl. den Eintrag zu „Bote“ in: Deutsches Rechtswörterbuch (DRW), Bd. 2, Weimar 1932-1935, Sp. 427f. 661 Diese Konstellation, in der eine Person durch ein Schriftstück erst adressierbar gemacht wird wie hier Stefan als zoiger der Missive, weckt Assoziationen zu einem ganz anderen frühneuzeitlichen Kontext. S I E G E R T hat die im 16. Jahrhundert von Sevilla aus in die Neue Welt übersetzenden „Passagiere“ untersucht, die als solche überhaupt erst anhand von institutionell bedingten Schreibakten (Passagierlisten, Verhörprotokolle, Petitionen, Briefe etc.) konzeptionell gefasst werden konnten. Damit eine Berechtigung zur Übersetzung nach Amerika ausgestellt werden konnte, mussten sich die Anwärter vor dem lokalen Herrschaftsvertreter (Bürgermeister, Vogt, Richter) persönlich ein‐ finden, eine schriftliche Petition vorweisen, die das Anliegen ausformulierte, und des Weiteren drei bis sechs Zeugen mitbringen. Vgl. B E R N H A R D S I E G E R T , Passagiere und Papiere. Schreibakte auf der Schwelle zwischen Spanien und Amerika, München 2006. 662 Vgl. dazu die Meieramtsbriefe in StadtA Biel 1, 55, LXXXV. dem Brechen des Siegels und dem Öffnen des Briefes wurde der Überbringer als zoiger  660 des Briefes genannt und - in aller Regel - anerkannt. 661 Was der zoiger des Empfehlungsschreibens mit dem Zugang anfing, den der Bischof ihm ermöglicht hatte, blieb jenem selbst und der weiteren mündlichen Verhandlung überlassen: als er uch woll wut sagen von muonde. Der Bischof hielt sich heraus - und war doch, und das ist der zweite Aspekt, auf gewisse Weise anwesend. Der Meier und der Bieler Rat sollten Stefan anhören, beraten und (rechtlich) unterstützen, als ob sie [die Angelegenheit, Anmerkung IS] uns selber antreffende werent. Dieses als ob markierte selbstverständlich keine Stellvertretung, wie sie lokale bischöfliche Repräsentanten (Meier) oder Statt‐ halter wahrnehmen, denen im namen und an stelle des Bischofs Rechte und Pflichten übertragen wurden. 662 Die Verbindung des Petenten mit der Autorität des Landesherren bestand somit nicht in rechtlichen Kategorien, sondern eher in der Identifikation mit einer Instanz, der Kommunikation nicht verweigert werden konnte. Die bischöfliche Missive als intermedial angelegtes Ensemble der Empfeh‐ lungsbotschaft erlaubt es somit, dass eine Person durch ein Schriftstück so beglaubigt werden konnte, als ob dies unmittelbar durch den Bischof selbst vorgenommen worden wäre. Damit wird eine bestimmte Form der Herrschaft‐ sausübung des Bischofs besonders sichtbar: Die Ermöglichung und Garantie von Zugang zu Gehör für Bittsteller. Welche Bedeutung diese Kommunikationser‐ möglichung in der bischöflichen Herrschaftspraxis einnahm, wird im Folgenden an den beiden wichtigsten Arten von Empfehlungsschreiben analysiert: herr‐ schaftliche Bittsteller im Auftrag des Bischofs auf der einen Seite, Personen mit persönlichen Anliegen auf der anderen Seite. Dabei werden nicht nur die jeweiligen medialen Bedingungen dieser Empfehlungskommunikationen 227 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="228"?> 663 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 86 (22. Oktober 1415). In diesem Empfehlungsschreiben wird der Sachverhalt (von erbs wegen) genannt. Hans Simon wird hier zudem nicht als zoiger, sondern ouger dis brieffs bezeichnet, was jedoch synonym zu verstehen ist, vgl. den Eintrag zu „ougen, öugen“ in: L E X E R . Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd. 2, Sp. 186. 664 StadtA Biel, 1, 45, XXI, Nr. 86. 665 Zum mehrfachen Hin- und Herlaufen von Bürgern zu der jeweiligen Herrschaft, um Entscheidungen zu erwirken, vgl. T E U S C H E R , Threats, S. 106f. 666 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13 1, Nr. 34a, S. 35-40 (Deutsches Original von 1352) und Nr. 34b, S. 41-48 (Vidimus von 1365). untersucht, sondern auch deren Konsequenzen für die Vertrauensbildung in der herrschaftlich strukturierten Kommunikationsorganisation. Empfehlungen und Erbe: Interessenszusammenschlüsse Nimmt man die Summe der Empfehlungsschreiben in den Blick, fällt auf, dass sich eine Vielzahl von ihnen auf Erbschaftsfragen bezieht. So ließ Bischof Humbert von Neuenburg 1415 ein Empfehlungsschreiben für Hans Simon ausstellen. Dieser musste um seinen Erbteil prozessieren, das ihm Genat von Roumont und dessen Frau Johannata streitig machten. 663 Die Angelegenheit war offenbar bereits länger hängig und so sollte der Bieler Meier und Rat nun angehalten werden, Hans Simon zu beraten und zu unterstützen, daz er dar inne gefurdret werde und im glich und recht widerfare, daz im wolgange und beschehe, daz im denne wer billich und durch recht wolgange und beschehen soelle und in ouch furderlichen usrichten wellent durch unsers willen, wand im nicht fuoglich ist, daz er vil dar umb hin und fur gan soelle. 664 Mit diesem Empfehlungsschreiben betonte Bischof Humbert nachdrücklich, dass es unser willen sei, Hans Simon eine angemessene und faire Rechtsbehand‐ lung vor dem Bieler Meier und Rat zu ermöglichen. Zudem sollten sie darum besorgt sein, den Erbstreit zu einem fairen Ende zu bringen (usrichten), damit sich der Bürger nicht mehr an verschiedene Instanzen richten müsse (vil darum hin und für gan). 665 Der Bischof setzte sich hier also für eine schnelle und angemessene Verhandlung der Angelegenheiten zum Wohle des Bürgers ein. Dass der Bischof sich in die Erbschaftsangelegenheiten eines Bieler Bürgers einschalten ließ, hängt wohl mit zwei Faktoren zusammen: Erstens war er als Stadtherr gleichsam der Garant des Rechts. Zweitens kann dieses Empfehlungs‐ schreiben in den Kontext einer allgemeineren Auseinandersetzung um Erban‐ sprüche in der Bieler Herrschaft eingeordnet werden. Während in der älteren Handfeste 666 von 1352 festgeschrieben wurde, wie der Stadtfrieden gehalten 228 3 Boten und Botschaften <?page no="229"?> 667 Vgl. hierzu die zu Beginn des 15. Jahrhunderts erneuerten respektive ergänzten Stadt‐ satzungen: StadtA Biel 1, 235, CCXLVII 12, S. 77-91 und 93-95, Abschriften: StadtA Biel 1, 203, CLXXXVIII 8, fol. 1r-6v und 1, CCXLVII 7, S. 34-45 (16. Jahrhundert) und Heilmann-Archiv (HA) XXXIV 44, S. 283-330 (16. Jahrhundert). Abgedruckt in: B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13 1, Nr. 57, S. 93-96. 668 Vgl. ebd. 669 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 62. 670 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 38. werden sollte (Gebühren und Verfahren bei Totschlag, Frevel, Unzucht etc.), finden sich spätestens ab den 1420er-Jahren Regelungen für den städtischen Umgang mit Erbfragen in den Stadtsatzungen. 667 Dabei regelten sich Fragen des Erbrechts (unterschiedliche Erbteile und Vererbungsvarianten) und damit oft verschränkte Konfliktpunkte des Baurechts, des Güterumschlags und des Gerichtsangebotes. 668 Bereits 1409 hatte sich Bischof Humbert für Hans Botteron von Court, einen Hintersassen und Gotteshausmann aus der Gegend um Moutier-Grandval, eingesetzt. Hans Botteron hatte ihm berichtet, wie er in Biel zu einem Erbteil von einem siner frunden gekommen war 669 , der ihm aber streitig gemacht wurde. Die darauffolgenden Verhandlungen, an denen offensichtlich nicht Hans Botteron selbst, sondern ein von ihm beauftragter Knecht namens Hänsli Rueflin teilnahm, kamen zum vorläufigen Schluss, dass Hans Botteron eine Summe von 20 Pfund erhalten sollte. Diese war ihm aber bislang vorenthalten worden, allem Anschein nach auf Betreiben einer Drittperson. Der Meier und der Bieler Rat sollten nun, so die Missive, dem bischöflichen Gotteshausmann behilflich sein, damit dieser unverzüglich zu seinem Geld komme. Hier über‐ nahm der Bischof also nicht die Rolle des übergeordneten Landesherrn und Rechtsgaranten, sondern setzte sich für einen Gotteshausmann aus seinem direkten Herrschaftsgebiet gegenüber dem selbstständigen Agieren der Stadt Biel ein. Bezeichnenderweise lassen beide Erbrechtsfälle, der des Bielers Hans Simon und der des um sein Erbteil gebrachten Hans Botteron, keine direkten Kompe‐ tenzstreitigkeiten zwischen der Stadt Biel und dem Basler Bischof erkennen. Grundsätzlich boten Appellationen an den Bischof sowohl für seine Gottes‐ hausleute als auch für Bieler Bürger eine Möglichkeit, rechtliche Verfahren einzuleiten oder zu beschleunigen. Dass der Anspruch auf Erbanteile zwischen Biel und Bischof nur sechs Jahre zuvor noch nicht eindeutig geregelt war, belegt ein Empfehlungsschreiben von 1403. 670 Damals hatte sich Pirrin Berde, der träger diss brieffes, bei Bischof Humbert beklagt, dass der Bieler Bürger Jacquin Gruere einen Teil des Erbes seiner Frau Mechtilon beanspruche. Da aber Jacquins Ehefrau als uneheliches 229 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="230"?> 671 Vgl. ebd. 672 Vgl. ebd. 673 Ebd. 674 Vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13 1, Nr. 57, Art. 25, S. 94. Kind nach herkömmlichem Recht nur vom Basler Bischof beerbt werden könne, gehöre diesem Mechtilons Erbteil. 671 Der Bischof verkaufte nun in der Folge diesen nicht weiter spezifizierten Erbteil an Pirrin Berde. Dass dieser Vorgang dem Recht und Gebrauch in der bischöflichen Herrschaft entspreche, führte die Missive in aller Deutlichkeit nochmals aus: [W]er aber, das das nit mochten sin, das wir doch nit getruwen, so muesten wir gedenken, was uns fuerer har inne wer ze tunde, wond menglich wol kunt ist, das alle unser vordern byschofe ze Basel alle bankerte in dem bystum ze Basel untz har geerbet hant und noch huetiges tages erbent, so es ze valle kommet und getruwent ouch uwerm burger, er lasse uns bi den selben friheiten bliben. 672 Interessant ist dabei, dass im Schriftstück nicht einfach auf die Herrschaftsrechte verwiesen wurde, sondern dass die Bieler angehalten wurden, sie sollten ihrem Bürger nahelegen, er lasse uns bi den selben friheiten bliben. 673 Diese Formulierung scheint weniger eine nachdrückliche Zurechtweisung der Bieler und Richtigstellung der bischöflichen Rechte zu sein als ein in diesem Sinne vorsichtiger Versuch des Bischofs, seine in der Praxis teilweise schon beschnit‐ tenen Rechte in Biel zu bekräftigen. Diese Missive lässt sich in den Kontext der Erbanteilskonflikte zu Beginn des 15. Jahrhunderts einordnen, für die im Zuge der kommunalen Entwicklung Biels Lösungen gesucht wurden. Zeitlich fällt dieser Prozess zusammen mit der grundlegenden Verschriftlichungstendenz kommunaler Belange im Rahmen der Stadtsatzungen. In den Stadtsatzungen wurde unter anderem festgehalten, dass - sofern keine Kinder vorhanden waren - das Erbe und dessen Nutznießung dem jeweiligen noch lebenden Ehepartner zugesprochen werden sollte, unabhängig vom Geschlecht des Ehepartners. 674 Die Forderung des verwitweten Jacquin Gruere von 1403 scheint sich also auf ebendiese Erbregelung zu beziehen. Wie die Bieler nun im Fall Pirrin Berdes und Jacquin Grueres vorzugehen gedachten, sollten sie, so das Schreiben weiter, dem Bischof mit demselben Boten mitteilen. Gruere war also Träger (und Überreicher) des Briefes, wurde aber vom bischöflichen Boten begleitet. Diese Botschaftserweiterung um den bischöflichen Boten könnte als Aufforderung zur umgehenden Antwort die Motivation zur Anschlusskommunikation durchaus erhöht haben. Die bischöfliche Beteiligung an Erbteilungsangelegenheiten in Biel konnte unterschiedlich motiviert und initiiert worden sein. So vertraten diejenigen 230 3 Boten und Botschaften <?page no="231"?> 675 Vgl. dazu auch T E U S C H E R , Threats. 676 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 61. Personen, die sich an den Bischof als weitere Instanz wandten, durchaus Eigeninteressen (als Käufer, Erben, Nutzer etc.). Wichtig ist es jedoch, an dieser Stelle festzuhalten, dass der Bischof als Instanz Bittstellern eine Möglichkeit bot, vor dem Bieler Rat ihre Angelegenheiten vorzutragen. Obwohl diese Form des Gehörverschaffens durchaus in den Rahmen der landesherrlichen Aufgaben passt 675 , so muss trotzdem darauf hingewiesen werden, dass in den vorgestellten Fällen die Bürger und Gotteshausleute die Initiative ergriffen, an den Bischof mit ihren Anliegen heranzutreten und bischöfliche Empfehlungsschreiben zu erwirken. Gleichzeitig konnte der Bischof seine Kommunikationsvermittlungs‐ position dazu nutzen, die Bieler Führungsgremien auf seine herrschaftlichen Privilegien und Rechte aufmerksam zu machen und diese nachdrücklich zu vergegenwärtigen - in Form von Boten, Briefen, Worten und Zeichen, kurz: Botschaften. Empfehlungen und Glaubwürdigkeit: Delegierte mit Briefen im Auftrag des Bischofs Dem Basler Bischof boten Empfehlungsschreiben weiter die Möglichkeit, eigene Dienst- und Amtleute mit Aufträgen nach Biel zu schicken. Für Biel finden sich so unter anderem Empfehlungsschreiben, die für den Kaplan des bischöflichen Hofes, den Hofmeister, für Vögte, aber auch für Verwandte mit eigenem Auftrag ausgestellt worden waren. So begab sich Reinhard, der Kaplan und Leiter des bischöflichen Hofes, im Auftrag Bischof Humberts von Neuenburg 1409 nach Biel und wies ein Schreiben vor, das demjenigen, das Stefan von Vogtsberg erwirkt hatte, im Wortlaut sehr ähnlich war. 676 Reinhard wird namentlich genannt und als Überbringer bezeugt. Im Unterschied zum bereits vorgestellten Empfehlungsschreiben stand in Reinhards Missive aber der bischöfliche Auftrag im Zentrum (mit uch ze redende von unser wegen). Der Kaplan trat hier als Dienstmann des bischöflichen Hofes auf und repräsentierte ein Anliegen seines Dienstherrn. Dass über den Gegenstand dieser Angelegenheit keine weiteren Angaben gemacht wurden, ist - wie bereits gezeigt - ein Element der spezifi‐ schen Anlage von Missiven, deren Funktion oft in der Eröffnung des Zugangs bestand. Dieses Schreiben ist also insofern ein Empfehlungsschreiben, als es erstens von der delegierten Person persönlich überreicht wurde und zweitens Anwei‐ sungen zur mündlichen Ausführung enthält. So findet sich der explizite Hinweis, 231 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="232"?> 677 Ebd. 678 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 64. 679 Dabei handelt es sich um Heinrich Ner, der von 1401 bis in die 1420er-Jahre Abt von Bellelay war und ab 1406 Kommendarabt von Himmelspforte (Baden-Württemberg). Heinrich Ner, der in einer Missive mit frere angesprochen wird, war ein Verwandter Bischof Humberts, vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 33 und HS II, 2, S. 439 sowie IV, 3, S. 172. 680 Die Propstei von Moutier-Grandval war in das Herrschaftsgebilde des Bischofs von Basel eingegliedert. Verwaltet wurde die Vogtei durch den Kastelan von Delémont, vgl. hierzu den Artikel zu Moutier-Grandval von K A T R I N U T Z T R E M P und S T É P H A N I E L A C H A T , Art. Moutier-Grandval, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http: / / www.hls-dh s-dss.ch/ textes/ d/ D12011.php (zuletzt aufgerufen am: 1.11.17). 681 Dabei handelt es sich um Klaus von Diesse. Die Kastlane von Schlossberg amteten jeweils zugleich als bischöfliche Meier von La Neuveville, vgl. hierzu den Artikel von C H R I S T I N E G A G N E B I N -D I A C O N , Art. Schlossberg, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http: / / www.hls-dhs-dss.ch/ textes/ d/ D41277.php (zuletzt aufgerufen am: 1.11.17). 682 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 64. 683 Ebd. daz ir dem selben caplan wullent glouben, was er von muonde also von unsern wegen sagende wirt. 677 Der bischöfliche Gesandte wird kraft des Empfehlungs‐ schreibens als Repräsentant des Bischofs autorisiert. Ausdrücklich werden der Meier und Rat von Biel darauf hingewiesen, seinen mündlichen Ausführungen Glaubwürdigkeit zu schenken, die als Ausdruck des bischöflichen Willens verstanden werden sollen. In einem ähnlichen Verwendungszusammenhang steht eine im selben Jahr ausgestellte Missive, welche eine ganze Gesandtschaft ankündigte. 678 Der Abt von Bellelay 679 , der Propst von Moutier-Grandval 680 und der Kastlan von Schlossberg 681 fanden sich Ende 1409 in Biel ein, um mit Meier und Rat von Biel ze redende von unsern wegen, umb soliche sachen, als ir wol werdent vernemen. 682 Angekündigt wurde also lediglich, dass es sich um eine bischöfliche Gesandtschaft handeln würde, die zu verhandelnden sachen hingegen blieben erwartungsgemäß unpräzisiert. Deutlich forderte der Bischof die Bieler jedoch auf, dass sie den Boten och glouben, was sie uch von unser wegen also werden sagen  683 . Das intermedial angelegte Kommunikationsensemble schuf so den Rahmen für das Vertrauen für die in die Verhandlungen involvierten die Akteure und autorisierte ihre Kommunikationsaufgabe. Der Wortlaut dieses Empfehlungsschreibens ähnelt wiederum demjenigen, welches für Kaplan Reinhard ausgestellt worden war. Auch hier wurde die weitere Delegation, bestehend aus einem Verwandten des Bischofs (Abt von Bellelay) und zwei Amtleuten (Propst von Moutier-Grandval und Kastlan von Schlossberg), durch das Schriftstück als legitime Wortführerin des Bischofs autorisiert. Der Unterschied besteht in der Bezeichnung der Delegation. Wäh‐ 232 3 Boten und Botschaften <?page no="233"?> 684 Vgl. etwas StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 57. 685 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 105. 686 J O S E F R O S E N , Chronik von Basel, in: Finanzgeschichte Basels im späten Mittelalter. Gesammelte Beiträge 1971-1987, hrsg. von dems., Stuttgart 1989, S. 55-56. 687 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 105. 688 Ebd. rend der Kaplan in seiner Funktion als Leiter des bischöflichen Hofes keine genauere Bezeichnung benötigte, wurden die drei Gesandten, die unterschied‐ liche Funktionen im Herrschaftsgebiet des Bischofs von Basel einnahmen, nun in dieser Gesandtschaftsfunktion als unser botten zusammengefasst. Diese doppelte Zuweisung von unsere botten als Übermittlungsfunktion und Zusam‐ menfassung als Akteursgruppe unterstreicht die Bedeutung der Missive als Empfehlungsschreiben. Die überbrachte Schrift wies den unterschiedlichen Amtsträgern und Delegationsteilnehmern die Auszeichnung zu, im Namen des Bischofs eine botschaft zu tund - so die bereits bekannte zeitgenössische Wendung. 684 Dass sich im spätmittelalterlichen Verständnis jedoch keine klare Unterschei‐ dung zwischen Empfehlungsschreiben und ‚einfacher‘ Missive machen ließ, soll der folgende Fall deutlich machen. 1425 schickte Bischof Johannes von Flecken‐ stein den Vogt von Schlossberg, Johann Henniken, mit einem Brief nach Biel. Henniken wurde darin nicht als zoiger oder träger des Briefes genannt, sondern lediglich als disen gegenwertigen bezeichnet. 685 Damit wird der Vogt nicht nur als autorisierter Übermittler hervorgehoben, sondern auch als physische Präsenz bei der Eröffnung des Missiveninhalts. Zudem hält die Missive schriftlich fest, was dieser Johann Henniken vor Rat und Meier mündlich weiter ausführen sollte. Damit weicht dieses Schreiben von anderen ab, indem hier die wichtigsten inhaltlichen Punkte nicht nur als mündliche Rede angekündigt werden, sondern tatsächlich angeführt sind. Inhaltlich ging es dabei um eine kriegerische Auseinandersetzung mit Die‐ bold von Neuenburg. 1424 hatte der Bischof die Schlösser Spiegelberg, Kallen‐ berg und Goldenfels aus dem Pfandbesitz Diebolds zurückerobert. 686 Der Streit um die Schlösser war auf einer gemeinsamen Tagsatzung in Porrentruy zu keiner Lösung gekommen, und in deren Anschluss befürchtete Bischof Johann nun muotwille und gewalt  687 vonseiten Diebolds. In dieser Situation sollte nun Johann Henniken die Bieler auf den aktuellen Stand der Dinge bringen und sie zur Unterstützung des bischöflichen Anliegens bewegen. Als Vogt von Schloss‐ berg war Johann Henniken nämlich bei der Eskalation dabei gewesen und hatte zuo guoter masse gesehen und gehoert  688 , wie die Drohungen ausgesprochen worden waren. Als Augenzeuge dürfte sein Bericht umso glaubwürdiger auf 233 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="234"?> 689 Ebd. 690 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 97. 691 Der bereits 1368 erstmal erwähnte Hartmann aus dem Basler Rittergeschlecht der Münch war zu dieser Zeit bereits relativ alt und ihm wurde am 24. September 1422 der Rücktritt nahegelegt. Sein Neffe, Domkustos Johann Thüring Münch, und sein Onkel Hans von Flachslanden traten bereits vorher als Vertreter des Bischofs auf und besorgten die Verwaltung des Bistums, vgl. M A R K U S R I E S , Hartmann Münch von Münchenstein, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, hrsg. von die Bieler gewirkt haben, was wiederum die Chancen einer Bieler Hilfeleistung erhöht haben dürfte. Der Bischof bat die Bieler entsprechend eindringlich, mit allem ernste, dem obgenannt unserm voegte ze gloubende.  689 Während also die Augenzeugenschaft den Vogt zum wichtigen Informanten erhob, die er durch seine Gegenwart bestätigte, blieb die Glaubwürdigkeit seiner Rede an die verbriefte Form des bischöflichen Empfehlungsschreibens gebunden. Obwohl dieses Schreiben wie die übrigen vorgestellten Empfehlungs‐ schreiben die Funktion hatte, den Überbringer der Nachrichten als autorisierte und glaubwürdige Instanz auszuweisen (ze gloubende), so ist der Kontext dieses Schreibens ein ganz anderer. Im vorliegenden Fall ging es um eine unmittelbare kriegerische Bedrohung des bischöflichen Herrschaftsgebietes. Der Vogt von Schlossberg fungierte hier nicht nur als bischöflicher Gesandter, sondern zudem als direkter Augenzeuge der bedrohlichen Lage. Die im Vergleich mit anderen Empfehlungsschreiben ausführlich gehaltenen schriftlichen Ausführungen und deren Verstärkung durch die persönliche Anwesenheit und mündliche Bericht‐ erstattung des Vogtes als betroffener bischöflicher Amtmann könnten somit die Bereitschaft Biels erhöht haben, vorbehaltslose Unterstützung und Wehrbereit‐ schaft zuzusagen. Die Anlage des Briefes als Empfehlungsschreiben erhöhte dabei die Glaubwürdigkeit insofern, als dass der Amtmann gerade nicht nur als Repräsentant der bischöflichen Herrschaft, sondern als Augenzeuge und Berichterstatter auftrat. Es gibt weitere Missiven, die ebenfalls als Empfehlungen für Personen ange‐ legt sind, ohne dass sie dem kommunikativen Muster der Empfehlungsschreiben als direkte Inbezugsetzung von Briefobjekt, schriftlicher Referenz und mündli‐ cher Rede folgen. So kündigte Bischof Hartmann Münch von Münchenstein im Juni 1422 in einem Schreiben an Meier und Rat von Biel an, dass er seinen Onkel Hans von Flachslanden, von dem im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Biel und La Neuveville bereits die Rede war, zu ihnen schicken werde von des geltz wegen. 690 Mit Hans von Flachsland sowie Hartmanns Neffe, dem Basler Domkustos Johann Thüring Münch, besorgten zwei Verwandte einen Großteil der Verwaltungstätigkeit des gesundheitlich angeschlagenen Bischofs. 691 Es kann nicht abschließend geklärt werden, ob Hans 234 3 Boten und Botschaften <?page no="235"?> Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 66 sowie HS I, 1, S. 194. Im September 1423 legte Hartmann dann das Bischofsamt nieder. 692 Vgl. W E I S S E N , stuer, S. 220. W E I S S E N bezieht sich hier vor allem auf P E T E R G I S S ’ Lizentiatsarbeit, vgl. P E T E R G I S S , Studien zur Ministerialität des Bistums Basel (12. und 13. Jahrhundert), unveröffentlichte Lizentiatsarbeit der Universität Basel, Basel 1982. 693 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 97. 694 [D]enne wirt es anozemal nit usgetragen, wir woltent soelichen unseren rechten nach heis gein, als wir das vormals befolhen habent bis uns widerfar umb unser und des gotzhus guot und ehaften und soelichen uebernutz, so lang it do von widerrecht genossen ist, das denne recht und billich ist und getruewen uech, das ir dar an kein misvallen haben soellent, denne uns umbillich duncket, das ir uns an soelichen rechten, so wir von soelicher sache wegen billich und von recht suochen kemen, hinderung oder intrag taetent. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 97. von Flachsland hier in seiner Stellung als Erzkämmerer auftrat. Die um 1400 zu erblichen Lehen vergebenen Hofämter (Truchsess, Marschall, Kämmerer, Schenk) hatten in aller Regel eine allzu symbolisch-zeremonielle Funktion, als dass sie mit konkreten Aufgaben verbunden gewesen wären. 692 Im vorliegenden Fall schickte Bischof Hartmann, nachdem er ein Schreiben der Bieler erhalten und sich beraten hatte, Hans von Flachslanden als Verhandlungs- und Informa‐ tionsdelegierten in Geldfragen nach Biel: so weis unser oheim unser meinung wol, mit dem moegent ir das ustragen. 693 Personell war diese Delegierung auch insofern eindrücklich, als im vorliegenden Geldstreit die Bieler offensichtlich Rechte des Bischofs beschnitten hatten und die persönliche Delegation eines bischöflichen Hofmannes und Verwandten als klares Druckmittel zu verstehen war. 694 Der Wortlaut der Missive legt nahe, dass hier ein Geschäft bereits im Vorfeld ausdrücklich delegiert wurde, indem das Empfehlungsschreiben und die autorisierte Person entkoppelt wurden. Die Etablierung von Glaubwürdigkeit konnte also bereits über vorankündigend wirkende Empfehlungsschreiben eingeleitet werden. In allen vier angeführten Fällen wird deutlich, worum es in den Empfehlungs‐ schreiben als herrschaftliche Medien zentral ging: Mit Missiven herrschen hieß, Anschlusskommunikation wahrscheinlicher zu machen. Herrschaft ausüben hieß in den hier angeführten Kontexten nicht, eine spezifische Handlungsanlei‐ tung vorzuschreiben, sondern es wurde für die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Übermittlers als Person und seiner Rede geworben. Dabei bezog sich die Glaubwürdigkeit auf die triadische Kommunikation, die sich zwischen Bischof, der Bieler Führung und dem jeweiligen Bittsteller entfaltete. Die Missiven‐ korrespondenz setze dabei die Rahmenbedingungen für die Interaktion und bereitete das Face-to-Face-Setting physisch anwesender Akteure vor. Mit dem schriftlichen Verweis auf die Glaubwürdigkeit der Person und Verlässlichkeit ihrer Rede wurde jedoch auch ein kommunikatives Handlungsfeld eröffnet, in 235 3.4 Medienensemble 1: Missiven als Empfehlungsschreiben <?page no="236"?> 695 H O L Z A P F L weist für die bayrischen Kanzleien die Wendung danach wisst euch zu richten aus. Er summiert diese als „typisch für herrschaftliche Weisungsbriefe“, vgl. H O L Z A P F L , Kanzleikorrespondenz, S. 157f. 696 Vgl. dazu A N D R E A S W Ü R G L E R , Krieg und Frieden organisieren. Eidgenossen und Ge‐ sandte europäischer Mächte an den Tagsatzungen 1470 bis 151, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 74/ 2 (2012), S. 87-105. J U C K E R gibt in seiner Dissertation einen syste‐ matischen Überblick und unternimmt eine Bewertung der Tagsatzungsliteratur (vor allem auch der Editionen der Tagsatzungsabschiede und deren Rezeption in der Forschung), vgl. J U C K E R , Gesandte, S. 33-60 (zu den Abschiedseditionen) und S. 61-72 (Forschungslandschaft). dem von den Beteiligten erwartet werden konnte, dass sie wussten, was es hieß, sich zu verhalten als sich gebuert oder als wir uch getruwen - so die häufigsten Wendungen in der Petitio der Missiven. 695 Nun sind Empfehlungsschreiben kein Novum des Spätmittelalters. Es zeigt sich jedoch im Fall der Bieler Missiven, wie sich die Empfehlungsschreiben direkt in die etablierte Korrespondenz zwischen Bischof und Biel einfügen ließen und zu einem Bestandteil der Missivenkorrespondenz wurden. Petenten und andere Sprecher konnten so als Drittakteure in die binäre Kommunika‐ tionsstruktur integriert werden. Empfehlungsschreiben verdeutlichen nicht zuletzt die Bedeutung von Anwesenheitskommunikation in der Herrschafts‐ praxis. Dabei wird ersichtlich, wie die enge Verschränkung von schriftlicher Autorisierung und mündlicher Ausführung nicht von einem Medienwechsel in der herrschaftlichen Kommunikation zeugen, sondern von den Problemen und Möglichkeiten der Anwesenheitskommunikation. Denn diese erforderten glaubwürdigkeits- und vertrauensbildende Anstrengungen, die offenbar über das komplexe Medienensemble der Missivenkorrespondenz geleistet werden konnten. 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen Im Folgenden wird nun das bischöfliche und Bieler Gesandtschaftswesen ins Zentrum der Untersuchung gestellt. Dabei geht es darum, Tagsatzungen als Elemente der Herrschaftspraxis systematisch in den Blick zu nehmen. Die zwischenörtliche Organisationsform ‚Tagsatzung‘ etablierte sich im Verlaufe des 14. und 15. Jahrhunderts aus Hilfeleistungsbündnissen und Schiedsgerichts‐ vereinbarungen zu einer wenig durchorganisierten Kommunikationsplattform, deren Bedeutung für die Entwicklung und Etablierung der Schweizer Eidgenos‐ senschaft am Übergang zur Frühen Neuzeit unbestritten ist. 696 236 3 Boten und Botschaften <?page no="237"?> 697 In der Schweizer Forschungslandschaft hat man sich vor allem der Gesandtschaftstä‐ tigkeit rund um die Eidgenössischen Tagsatzungen angenommen, vgl. dazu etwa Vgl. W Ü R G L E R , Tagsatzung der Eidgenossen; J U C K E R , Gesandte; D E R S ., Boten und Gesandte sowie S C H L Ä P P I , In allem übrigen. 698 Tagsatzungen sind insofern ein gemeineidgenössisches Phänomen, als dass sich auf den eidgenössischen Versammlungen die Bündnispartner zusammenfanden, die jedoch selbstverständlich nicht mit dem heutigen Raum der Schweiz deckungsgleich sind. Gemeineidgenössisch sind Tagsatzungen auch deshalb, weil das Ansetzen von Tagen innerhalb der jeweiligen eidgenössischen Herrschaften in je unterschiedlicher Ausge‐ staltung Bestandteil der gemeinsam geteilten Vorstellung von Herrschaftspraxis war. Die „große“ eidgenössische Tagsatzung hatte als Phänomen lange den Blick auf die „kleineren“ Tagsatzungen innerhalb einer Herrschaft oder zwischen Herrschaften ver‐ drängt. Letztere etablierten sich jedoch als Aushandlungs- und Kommunikationsform, sodass sie auch als Grundlage der ersteren gelten können. Die Sonderstellung der gemeineidgenössischen Tagsatzungen wird in der Forschung damit begründet, dass erst mit ihrer Etablierung im Verlauf des 15. Jahrhunderts und der gleichzeitig stattfin‐ denden Ablösung vom Deutschen Reich eine sich verstetigende gemeineidgenössische Meinungsbildung ermöglicht wurde, sowohl was außenpolitische Belange wie auch innenpolitische Konfliktregelungen (Schiedsgerichtsbarkeit) anbelangt. Um die eidge‐ nössischen Tagsatzungen von anderen Tagsatzungen im Raum der heutigen Schweiz und darüber hinaus abzugrenzen, wird ihre Funktion als übergeordnete Appellations‐ instanz in der historiographischen Tradition als entscheidendes Moment angeführt, vgl. W Ü R G L E R , Krieg und Frieden, und jüngst noch einmal W Ü R G L E R , Tagsatzung der Eidgenossen. 699 Breite und kritische Betrachtungen zur Diplomatiegeschichte und den Herausfor‐ derungen, denen sie sich durch kulturgeschichtliche Ansätze gestellt sieht, bieten einige konzeptionelle Aufsätze sowie die jeweiligen Einleitungen in den beiden Sam‐ melbänden Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer Außenpolitik während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von C H R I S T I A N J Ö R G und M I C H A E L J U C K E R , Wiesbaden 2010 sowie H I L L A R D V O N T H I E S S E N und C H R I S T I A N W I N D L E R , Einleitung. Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive 24 % der Missiven des Basler Bischofs an seine Landstadt Biel befassen sich explizit mit Tagsatzungen. Dazu kommen eine unbestimmte Anzahl wei‐ terer Missiven, die im Vor- und Nachfeld dieser Treffen entstanden sind. Das Ansetzen, Koordinieren, Verschieben wie auch das Kommentieren von Tagen gehört damit zu den häufigsten und zentralsten Kommunikationsanlässen. Die Missivenserie erhellt einen Zeitraum, in dem sich zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und dem Beginn des 16. Jahrhunderts die sogenannte eidgenös‐ sische Tagsatzung institutionalisierte 697 und sich unterschiedliche Praktiken des gemeinsamen Tagens zu einer auf Dauer gestellten Kommunikationsplattform ausbildeten. 698 Auf Gesandtschaften, Diplomaten und Vertrauenspersonen mit besonderem Auftrag haben die Diplomatiegeschichte und die moderne Politikgeschichte mit ihrer Ausrichtung auf Außenpolitisches immer schon einen Blick geworfen. 699 237 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="238"?> in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. von dens., Köln/ Weimar/ Wien 2010, S. 1-12 sowie H I L L A R D V O N T H I E S S E N , Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Diplomaten, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. von dems. und Christian Windler, Köln/ Weimar/ Wien 2010, S. 471-503. Bezüglich mittelalterlichem Informationsverkehr hat sich B A S T I A N W A L T E R intensiv mit der Informations- und Spionagepraxis sowie den beteiligten Akteuren während der Burgunderkriege auseinandergesetzt. Sein Fokus liegt dabei stark auf den (außenpolitisch motivierten) Personennetzwerken und deren Korrespondenzserien, die mit sogenannten cedulae inclusae den Informationsverkehr sicherten, vgl. hierzu W A L T E R , Informationen, dazu noch etwas konziser gefasst D E R S ., secrets. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von K L A R A H Ü B N E R zu Geheimboten, Spionen und geheimen Informationsaustausch, in H Ü B N E R , Im Dienste, S. 261-270. 700 Vgl. hierzu vor allem J U C K E R , Gesandte, hier vor allem S. 13-18 sowie W Ü R G L E R , Tagsatzung der Eidgenossen, hier vor allem S. 52-55 und 225-227. 701 Während M I C H A E L J U C K E R die spätmittelalterlicher Tagsatzungen als Kommunikation‐ sort hervorhob, in dem Gesandte mehr oder weniger ad hoc zusammentrafen und sich als „Gremium“ lediglich auf Pendenzprotokolle, aber keine bindenden Beschlüsse einigten, kritisierte A N D R E A S W Ü R G L E R , stärker von frühneuzeitlicher Warte aus argu‐ mentierend, genau diese Befunde und plädierte für eine umfassendere Beschreibung der Tagsatzung als sich etablierende Macht-, Repräsentations- und Politikorganisation, die es stärker im internationalen Vergleich zu diskutieren gelte, vgl. J U C K E R , Gesandte sowie W Ü R G L E R , Tagsatzung der Eidgenossen. D A N I E L A H A C K E hat sich zudem mit den Formen und Darstellungsweisen von Einigungsfindung an Tagsatzungen beschäftigt, vgl. H A C K E , Konflikt. 702 Hier zeigen sich direkte Anschlüsse an aktuelle Studien zu Formen des Aushandelns, die Prozesse um Konsensbildung und die performativ-medialen Bedingungen und Konsequenzen von Konfliktaustragung auf Tagsatzungen als kommunikativen Raum Hier sollen Gesandtschaften jedoch nicht außen- oder informationspolitisch be‐ handelt werden. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass neben zwischenherrschaftlichen delegativen Kommunikationsforen auch innerhalb von Herrschaften und ihren Ämterstrukturen Gesandtschaften übliche und regelmäßige Austausch- und Informationsformen darstellten, die als Praktiken zur (späteren) Etablierung von Gesandtschaftsinstitutionen wie der eidgenössi‐ schen Tagsatzung beitrugen. Obwohl der Begriff ‚Tagsatzung‘ in der Forschung in aller Regel diese Treffen bezeichnet, wird in der vorliegenden Arbeit mit Tagsatzung die Praxis bezeichnet, gemäß der seit dem 14. Jahrhundert Rats- und Amtsdelegationen sowohl innerwie zwischenherrschaftlich zu Absprachen und rechtlichen Verhandlungen zusammenkamen. 700 Die lange Forschungstradition zu den eidgenössischen Tagsatzungen hat in den letzten Jahren mehrere neue Impulse von kommunikations- und kulturge‐ schichtlicher Seite bekommen. 701 Im Umfeld der Tagsatzungsforschung haben sich in den letzten Jahren denn auch Ansätze etabliert, die von einer breiter gefassten „Konfliktkultur“ ausgehen. 702 A N D R E A S W ÜR G L E R konnte so beispiels‐ 238 3 Boten und Botschaften <?page no="239"?> konzentrieren, vgl. dazu A N D R E A S W Ü R G L E R , Aushandeln statt Prozessieren. Zur Kon‐ fliktkultur der alten Eidgenossenschaft im Vergleich mit Frankreich und dem Deutschen Reich (1500-1800), in: Traverse 3 (2001), S. 25-38 sowie H A C K E , Konflikt. Ergänzend vgl. etwas älter N I K L A U S B Ü T I K O F E R , Konfliktregulierung auf den Eidgenössischen Tag‐ satzungen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Parliaments, Estates and Representation 11 (1991), S. 103-115. Als vergleichbare Entwicklung im norddeutschen Raum kann auf die hansischen Tagfahrten verwiesen werden, vgl. F L O R I A N D I R K S , Konfliktaustragung im norddeutschen Raum des 14. und 15. Jahrhunderts. Untersuchungen zu Fehdewesen und Tagfahrt, Göttingen 2015. 703 Vgl. hierzu W Ü R G L E R , Aushandeln statt Prozessieren, S. 32f. 704 M I C H A E L J U C K E R wies zurecht den spätmittelalterlichen eidgenössischen Tagsatzungen eine besondere Bedeutung in der politischen Kommunikation zu. Dabei hob er die Wirkung des „Telos Nationalstaat“ kritisch hervor, der die Forschung zu Tagsatzungen nachhaltig prägte. Man sah aus rechts- und verfassungshistorischer Perspektive in dieser Institution lange den Ursprung des schweizerischen Föderalismus. Wichtiger als diese Feststellung ist jedoch J U C K E R s Bewertung der „frühen“ Tagsatzungen. Erst ab den 1470er-Jahren lässt sich anhand der überlieferten Akten eine routinierte und sich professionalisierende „Abschiedsproduktion“ fassen. Frühere sogenannte Tagsat‐ zungsprotokolle verdanken sich in erster Linie der Kompilationsleistung der modernen Herausgeber: Dabei wurden Urkunden und Missiven zusammengestellt, die einer Tagsatzungspraxis zugeordnet wurden, jedoch nicht der Schriftlichkeitsproduktion der Tage selbst entstammten, vgl. J U C K E R , Gesandte, hier vor allem S. 61. weise die integrative Funktion der Tagsatzung als kommunikativen Raum herausarbeiten, wo die Konfliktparteien zur Verständigung angehalten waren und spaenne und stoesse in der politischen Sprache zu einem handel wurden. Auf den Tagsatzungen wurde nun vermehrt konsensorientiert ausgehandelt, nicht mehr prozessiert. 703 Da der Bezugspunkt dieses Forschungsfeldes klar die „gemeineidgenössische“ Tagsatzung bildet, werden die „frühen“ Tagsatzungen meist allenfalls als Vor‐ geschichte referiert und damit auch die Sicht auf ihre kommunikativen und medialen Eigenlogiken verstellt. Eine aktuelle Studie zu Tagsatzungen und Schiedsgerichten als Herrschaftspraktiken im 13. und 14. Jahrhundert fehlt bislang. 704 Daher wird im Folgenden mit der spätmittelalterlichen Schiedsge‐ richtsbarkeit zunächst der Kontext skizziert, innerhalb dessen dann anhand von drei Bieler Fallbeispielen Entwicklungstendenzen in der Tagsatzungspraxis verdeutlicht werden. Mittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit und frühe „Tagsatzungen“ Mittelalterliche Schiedsgerichtbarkeit stellt ein erstaunliches Forschungsdesi‐ derat dar, und dies nicht nur für die Geschichte der Schweizer Eidgenossen‐ 239 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="240"?> 705 Für eine historiographische Zusammenschau der Verfassungsgeschichte sowie die kritische Diskussion der verfassungsgeschichtlichen Forschungsgegenstände vgl. etwa Verfassungsgeschichte aus internationaler und diachroner Perspektive, hrsg. von F R A N Z -J O S E F A R L I N G H A U S , B E R N D U L R I C H H U C K E R und E U G E N K O T T E , München 2010. 706 Vgl. etwa D I R K S , Konfliktaustragung und B A U M B A C H , Königliche Gerichtsbarkeit. 707 Vgl. K A R L S I E G F R I E D B A D E R , Das Schiedsverfahren in Schwaben vom 12. bis zum aus‐ gehenden 16. Jahrhundert, Tübingen 1929 und E M I L U S T E R I , Das öffentlich-rechtliche Schiedsgericht in der Schweizerischen Eidgenossenschaft des 13.-15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Institutionengeschichte und zum Völkerrecht, Zürich 1925. 708 Vgl. dazu auch die Forschungsdiskussion zu Dinggerichten, etwa J Ü R G E N W E I T Z E L , Ding‐ genossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deut‐ schen Mittelalter, Köln 1985 sowie die neuere Auseinandersetzung mit W E I T Z E L bei M A R T I N P I L C H , Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten. Kritik des Normensystemden‐ kens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, Wien/ Köln/ Weimar 2009, S. 140-152. Pilch betont in direkter Anlehnung an Weitzel, dass das dinggerichtliche Urteil „Überzeugung und gemeinsame Rechtsansicht der im Ding versammelten Rechtsgenossen der Parteien und nicht herrschaftlich-obrigkeitlicher Befehl des Richters“ ist (ebd., S. 143). Die Betonung auf die gemeinsame Urteilsmeinung und den prozesshaften Weiterverlauf von (frühmittelalterlichen) Dinggerichtstagen auch nach einer Urteilsfindung zeigen durchaus Analogien zur Schiedsgerichtsbar‐ keit, jedoch sollte eine direkte Entwicklungslinie anhand der heutigen (fehlenden) Forschungslage nicht gezogen werden. 709 Vgl. hierzu vor allem U S T E R I s Zusammenfassungskapitel (Kapitel 8): U S T E R I , Schiedsge‐ richt, S. 317-332. 710 Um Rechtsvorstellungen ging es U S T E R I denn auch in der Folge, wobei er seinen Fokus allerdings auf Parteilichkeit und Bestechung verengte, um schließlich direkt als Fazit die spätmittelalterliche Schiedsgerichtsbarkeit der modernen Völkerrechtsdiplomatie entgegenzustellen: „Wie war doch das Recht beim schiedsgerichtlichen Austrag viel besser aufgehoben, wie konnte es doch hier weit eher berücksichtigt und gewahrt schaft. 705 Zwar sind in den letzten Jahren einige Arbeiten zu Konfliktaustragung und Landfrieden entstanden 706 , jedoch muss für Studien zu Schiedsverfahren nach wie vor auf die Arbeiten von K A R L S I E G F R I E D B AD E R (1929) für Schwaben und E MIL U S T E R I (1925) für die Eidgenossenschaft zurückgegriffen werden. 707 Der nachfolgende kurze Exkurs zu U S T E R I soll zeigen, dass die Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Schiedsgerichtspraxis nicht nur zu den Nebenpro‐ dukten der Vorgeschichte der eidgenössischen Tagsatzung gehört. 708 Emil Uster ordnete zwar die eidgenössische Schiedsgerichtstätigkeit bruchlos in die Genese des Völkerrechts ein, aber seine Beobachtungen beinhalten dennoch wichtige Punkte, die hier kurz vorgestellt werden. Grundsätzlich unterschied U S T E R I zwischen Schiedsgerichten im Dienst des Friedens und solchen im Dienst des Rechts 709 , denn er konnte anhand extensiver empirischer Befunde deutlich machen, dass „sich ein gerechter Spruch und ein Spruch, der den Frieden zu wahren vermag, durchaus nicht immer decken“. 710 Grundsätzlich 240 3 Boten und Botschaften <?page no="241"?> werden als bei bloßen diplomatischen Verhandlungen von Staat zu Staat“, vgl. ebd., S. 325. 711 Dabei bezog er sich stark auf F R I E D R I C H E M I L W E L T I s Berner Dissertationsschrift, vgl. F R I E D R I C H E M I L W E L T I , Der Gerichtsstand in Forderungsstreiten nach den bis 1798 ab‐ geschlossenen eidgenössischen Staatsverträgen, unveröffentlichte Dissertationsschrift der Universität Bern, Bern 1880, hier S. 99. Dessen These, dass Schiedsgerichte auf dinggerichtliche Versammlungen zurückzuführen seien und einem kollektiv veran‐ kerten Friedenswahrungsprinzip entstammten, konnte U S T E R I jedoch nicht belegen, vgl. U S T E R I , Schiedsgericht. 712 Vgl. dazu auch S E N N , Art. Schiedsgericht, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: https: / / hls-dhs-dss.ch/ de/ articles/ 009602/ 2012-11-20/ (zuletzt aufgerufen am: 31.12.17). 713 U S T E R I , Schiedsgericht, S. 321. 714 Vgl. ebd., S. 326-329. 715 Vgl. hierzu J U C K E R , Gesandte, S. 68. 716 Die Burgundische Eidgenossenschaft hat im Gegensatz zur „im Kern“ innerschweize‐ rischen Version relativ wenig Forschungsaufmerksamkeit erhalten, vgl. U R S M A R T I N Z A H N D , Berns Bündnis- und Territorialpolitik in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Berner Zeitschrift für Geschichte 53 (1991), S. 21-59 sowie D E R S ., Bündnis- und Territorialpolitik, in: Berns mutige Zeit, hrsg. von Rainer C. Schwinges, Bern 2003, S. 469-509. sprach er den sich seit dem 13. Jahrhundert etablierenden Schiedsgerichten zur Rechts- und Friedenswahrung eine positive Wirkung auf zwischenörtliche Streitigkeiten zu 711 , da sie in der Regel zu versöhnlichen Kompromissen geführt und damit friedensstiftend gewirkt hätten. Diesem Rechtsverständnis liegt die Rezeption des kanonischen Prozesses zugrunde, der den interparteilichen Ausgleich zur christlichen Pflicht der Liebe und des Friedens in Entsprechung gesetzt hatte. 712 Bezüglich der Schiedsgerichte im Dienst des Rechts ging es U S T E R I um die Inhalte des Schiedswesens und die Frage, „ob die Schieds‐ gerichte mit ihrer Spruchpraxis zu einer Stärkung des Rechtsbewusstseins beigetragen haben“. 713 In seinen Ausführungen beschäftigte sich U S T E R I vor allem damit, die Schiedsgerichte als Alternative zum Reichsgericht als Appella‐ tionsinstanz zu verstehen und somit die zunehmende Verselbstständigung der Eidgenossenschaft (in rechtlicher Hinsicht) zu erklären und das Schiedswesen als einen Faktor bei der Genese der gemeineidgenössischen Tagsatzungen zu betrachten. 714 Dabei trennte U S T E R I das rechtliche Schiedsgerichtswesen funktional klar von den (außen-)politischen Tagsatzungen ab, da die rechtlich verbrieften Schiedsgerichtsvereinbarungen zwischen Herrschaften und die in der Praxis oft abweichend gehandhabten Schiedsgerichte im Rechtsverständnis der Zeit durchaus nicht als Widerspruch zu sehen seien. 715 U S T E R I s Forschungen sind im Hinblick auf Biel deshalb besonders aufschluss‐ reich, weil er die sogenannte Alte Burgundische Eidgenossenschaft 716 als Argu‐ mentationsbeispiel anführt. Dieser Bündniskomplex, der sich 1318 aus Einzel‐ 241 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="242"?> 717 Bündnisse bestanden zum Teil bereits ab dem 13. Jahrhundert zwischen den West‐ schweizer Städten Bern und Freiburg, Bern und Biel, Bern und Solothurn, Freiburg und Biel sowie zwischen Freiburg und Murten. Für den Städtebund zwischen Bern und Biel von 1279 und 1297 vgl. Das Stadtrecht von Bern (SSRQ BE I/ 3), bearbeitet von H E R M A N N R E N N E F A H R T , Aarau 1945 (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Stadtrechte I/ 3), Nr. 17, S. 41-42 sowie Nr. 22, S. 47-49. 718 Vgl. U S T E R I , Schiedsgerichtsbarkeit, S. 329f. Für die Vereinbarung siehe FRB V, S. 8. 719 So betont J U C K E R die fehlende Unterscheidung in der Forschung zwischen Tagsatzung und Schiedsgericht, vgl. J U C K E R , Gesandte, S. 68 und 272. bündnissen zwischen den Städten Bern, Freiburg, Solothurn, Murten und Biel konstituierte 717 , regelte nun das Schiedsgerichtsverfahren nicht mehr einfach als Angelegenheit der Konfliktparteien, sondern als gemeinsame Aufgabe des Bündnisses. Verweigerte etwa ein Bündnispartner seine Hilfestellung, sollte dies vor einem Schiedsgericht verhandelt werden, zu welchem Gesandte aller Bundesgenossen bestellt wurden. 718 Es stellt sich also die Frage, ob dieses Bündnis Biel zunehmend die Möglichkeit eröffnete, schiedsgerichtliche Kon‐ fliktlösungen nicht einfach vor dem Bischof zu suchen. Die folgenden Beobachtungen nehmen U S T E R I s Würdigung der schieds‐ gerichtlichen Tagsatzungspraxis als friedensstiftenden und rechtsverständi‐ genden Kommunikationsanlass auf und schlagen anhand der Untersuchung des Fallbeispiels Biel vor, Tagsatzungspraktiken in medialitätsgeschichtlicher Perspektive als inner- und zwischenherrschaftlich organisierte Anwesenheits‐ kommunikation zu verstehen. Tagsatzungskorrespondenz Im Unterschied zur Forschung unterscheiden die Quellen nicht zwischen Schiedsgerichts- und Tagsatzungsterminen. In beiden Fällen wurden Formu‐ lierungen wie „einen Tag ansetzen“ oder „einen Tag leisten“ verwendet. 719 Im Folgenden werden Tagsatzungen und Schiedsgerichte daher einander nicht gegenübergestellt. Vielmehr geht es darum, diese in der Korrespondenzlogik des Medienensembles der Botschaft zu verstehen. Aus dieser medialen Sicht handelt es sich um die Organisation von Anwesenheitskommunikation zu einem bestimmten Termin, um rechtliche Unklarheiten und Konfliktfälle zu verhandeln. Wie bereits einleitend formuliert, strukturierten die bischöflichen Missiven die Anwesenheitskommunikation der tagleistenden Akteure. Missiven ge‐ hörten dabei als Mittel der Tagsatzungsorganisation und damit als zentraler Bestandteil der Tagsatzungspraxis zu den Dokumenten, die Aufschlüsse über die kommunikative Praxis geben, während auf der anderen Seite die Dokumen‐ 242 3 Boten und Botschaften <?page no="243"?> 720 Zur Schriftproduktion, Aktendokumentation und den sogenannten Eidgenössischen Abschieden an Tagsatzungen vgl. J U C K E R , Gesandte. 721 In Übereinstimmung mit M I C H A E L J U C K E R s Befunden, dass sich die eidgenössischen Tagsatzungen ab den 1470er-Jahren stärker als Gremium konstituierten, zeigt sich anhand der Missiven, dass ab den späten 1470er-Jahren die Bezeichnung gemeyn eydgenossen üblich wurde, vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, ab Nr. 187. 722 Für eine ausführlichere Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Biel und Neu‐ enstadt (La Neuveville) vgl. W I C K -W E R D E R , Biel gegen Neuenstadt. tation der Tagsatzungsergebnisse (Schiedssprüche, Urkunden etc.) einen ganz anderen schriftgeschichtlichen Hintergrund hat. 720 In der Bieler Missivenkorrespondenz lassen sich drei unterschiedliche Tag‐ satzungsanlässe unterscheiden, die auf verschiedenen rechtlichen bzw. herr‐ schaftlichen Ebenen lagen. Erstens werden Tage vor dem Bischof angesetzt, die innerherrschaftliche Fragen und Streitigkeiten klären sollen. Zweitens fordert der Bischof Bieler Unterstützungsdelegationen an, die ihn an Tagsatzungen mit anderen Herrschaften (wie etwa Bern oder Solothurn) begleiten. Und drittens werden spätestens ab den 1470er-Jahren Tage mit gemeineidgenössischen Bündnispartnern geleistet. 721 Es stellt sich daher die Frage, inwiefern diese un‐ terschiedlichen Ebenen für die Bieler Akteure Handlungsspielräume eröffneten und ob je nach Verlauf der Auseinandersetzung die Tagsatzungsinstanzen auch gewechselt werden konnten. Was dies im konkreten Fall heißt, sei mit folgender Missive vom August 1390 verdeutlicht, die während der bereits geschilderten Auseinandersetzung zwi‐ schen Biel und La Neuveville entstand. 722 In diesem konfliktgeladenen Kontext wird deutlich, wie wichtig Tagsatzungen waren, um die Auseinandersetzung vom virulenten Konflikt in einen Verhandlungsmodus zu überführen: Nach unserm fruentlichen gruos, lieben fruend. Als ir uns und dem cappitel versriben hand, daz han wir wol verstanden. Da lassen wir uech wissen, daz wir uff den nechsten donrstag nach sant Laurentag ein tag mit denen von Berne leisten wellent. Da gedenkent wir, ir disen brief, den wir uech bi disen boten senden, mit uewer guoten botschaft die von Bern ze erbittend, den tag also ze leistend und ouch mit inen ze redende, daz die luet ungeschediget belibend an acht tag nach dem zile oder als es uech aller fueglichest duenket, wand wir uech unser botschaft schickent mit uewerm raete ze tuond von der selben sach wegen, als es uech daz best und daz nuetzste dunket. Ouch werdent wir Reinhart von Malrey hinnen disem nechsten sunnentag zuo uech gen Biel schicken mit uech ze redend von der sach wegen, als ir die und die von der Nuewenstat miteinander ze schaffend hand. Da bedenkent uech eins guoten nach der maes, als er mit uech dar umb redend wirt, wand daz uewer nutz wirt und ir es selber 243 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="244"?> 723 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3 (3. August 1390). 724 Vgl. W I C K -W E R D E R , Biel gegen Neuenstadt, S. 20-22. Für den Schiedsspruch selbst vgl. Archives Bourgeoisie La Neuveville, T 49 A. 725 Vgl. dazu grundlegend T E U S C H E R , Erzähltes Recht sowie A R L I N G H A U S , Verwendung. von im hoerend werdend. Tuond in disen sachen daz best, als wir uech daz sunderlich wol getruewent. Scriptum Basiliense feria tertia post vincula Petri anno 1390. 723 Anhand dieser Missive lassen sich mehrere Elemente festmachen, die für die Tagsatzungspraxis besonders aufschlussreich sind. Erstens sind es offensichtlich die Bieler, die bei Bischof Imer von Ramstein und beim Kapitel um Klärung in der Angelegenheit angefragt hatten. Zunächst bestätigt die Missive das Verstehen der Kommunikation (daz han wir wol verstanden), davon getrennt wird jedoch der Erfolg der Kommunikation. Mit anderen Worten: Ob die Kommunikation der Bieler als Prämisse weiterer Selektionen - hier als Handlungen des Bischofs - übernommen wird, ist dann die Entscheidung des bischöflichen Herrn. Dies wird auch gekennzeichnet durch die Formulierung da lassen wir euch wissen. Herrschaft wird hier ausgeübt, indem über weitere Kommunikationsselektionen entschieden wird. Mit dem mitgeschickten bischöflichen Boten werden die Kommunikationsoptionen der Bieler weiter eingegrenzt und ein bestimmter Kommunikationsverlauf vorgezeichnet. Dieser Aktionsverlauf - dass also der Bischof angerufen wurde, aktiv zu werden und einen Verhandlungstermin anzusetzen - findet sich in mehreren Missiven. Weiter ist es im vorliegenden Fall durchaus einleuchtend, dass Biel sich um einen neuen Verhandlungstermin bemühte. So war am 22. Juli bereits ein Schiedsgerichtsspruch gefällt worden, der allerdings nicht zugunsten von Biel ausgefallen war. Die landesherrlich zuständige Schiedsgerichtsinstanz war in diesem Fall der Bischof und das Kapitel von Basel. Die Bieler argumentierten jedoch mit einem Verfahrensfehler gegen den Entscheid: Der Urteilsspruch wäre zu spät eröffnet worden. 724 Das Verfahren wurde folglich weitergeführt und ein Schiedsgerichtstag, nun unter Berner Vorsitz, einberufen. Biel setzte also nicht nur durch, dass es zu einer erneuten Verhandlung kam, sondern auch dass mit Bern als neuer Schiedsgerichtsinstanz eine für Biel positivere Einigungsent‐ scheidung getroffen werden konnte - zumindest der Möglichkeit nach. Die Bedeutung dieser Rechtspraxis, nämlich mit Verweis auf fehlende Dokumente, falsche Namen, nicht eingehaltene Fristen oder schlicht auf das Nichterscheinen einer Partei weitere Tage zu verlangen oder die Schiedsgerichtsinstanz zu wech‐ seln, darf für spätmittelalterliche Verhältnisse nicht unterschätzt werden. 725 244 3 Boten und Botschaften <?page no="245"?> 726 Vgl. RQBE I, 3, Das Stadtrecht von Bern III, Nr. 72. 727 Vgl. ebd., Nr. 100. 728 Für die wankelmütige und inkonsequente Verteilung der Rechte zwischen La Neuveville und Biel vgl. W I C K -W E R D E R , Biel gegen Neuenstadt. 729 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3 (3. August 1390). Im vorliegende Fall geschah dies vor dem Hintergrund, dass Bern 1352 sein Bündnis mit Biel erneuert 726 und sich 1387 aber auch mit La Neuveville verbur‐ grechtet hatte. 727 Indem die Streitigkeit also vor Bern gebracht wurde, wurde der Urteilsspruch des Bischofs als zuständigem Herrn in Frage gestellt. Dessen Lavieren im Umgang mit den Vorrechten zwischen Biel und La Neuveville hatte wohl entscheidend zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. 728 Die Missive zum Tag vor Bern zeigt aber auch, dass der Bischof trotz der Inkaufnahme eines Berner Schiedsgerichts seine landesherrliche Position in anderer Form geltend machen konnte. Die Missive ist an den Bürgermeister und Rat der Stadt Biel adressiert. Ausdrücklich richtet sich das Schreiben nicht an den Meier. Denn den amtierenden Bieler Meier Reinhard von Malleray, so teilt die Missive mit, werde er persönlich nach Biel schicken, um die Angelegenheit zu bereden: Da bedenkent uech, fordert Bischof Imer von Ramstein die Bieler auf, eins guoten nach der maes, als er mit uech dar umb redend wirt, wand daz uewer nutz wirt und ir es selber von im hoerend werdend. 729 Nimmt man nun die mediale Anlage der Kommunikation über Missiven in den Blick, lässt sich eine Sequenzialisierung der Korrespondenz beobachten: Briefe wurden überbracht, es wurde beraten, Antwortschreiben zurückge‐ schickt und Tagsatzungen angesetzt, verschoben oder neu angesetzt. Das Potenzial der Missivenkorrespondenz lag gerade in deren Leistung, diese Se‐ quenzialisierung zu strukturieren und zu organisieren. Über distanzvermittelte Kommunikation verstrich nicht nur die Zeit, die für die Übertragung erforder‐ lich war. Es wurde auch möglich, die Korrespondenz als sequentielles Handeln im Medium selbst zu reflektieren. So verweisen Missiven oft auf andere kommu‐ nikative Vorgänge (andere Missiven, Tagsatzungen etc.), die ihnen vorangingen oder ihnen nachfolgen sollten. In mediengeschichtlicher Perspektive wird hier sichtbar, wie die Missivenkorrespondenz zu Tagsatzungen Anschlusskommuni‐ kation nicht nur ermöglichte, sondern oft auch evozierte. Dies wird einerseits - wie bereits ausgeführt wurde - durch den Einsatz von Boten in den Missiven selbst deutlich (uwer antwort by disem botten), andererseits aber auch durch die Referenzen auf vorangegangene Schreiben (als ir uns verschriben hant). Dabei wurden die Inhalte der Tagsatzung gerade nicht in den Schreiben selbst verhandelt, sondern allenfalls als Handlungsanleitungen im Rahmen einer stark auf Glaubwürdigkeits- und Bittsemantiken abstellenden Herrschaftsbeziehung 245 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="246"?> 730 Ebd. 731 Dies macht natürlich insofern Sinn, als der Bischof wohl selten die Bieler Delegation selbst angeschrieben hat. Üblicherweise stand die Stadt Biel mit „ihren“ Delegierten in Schriftkontakt. Aus dem fürstbischöflichen Missivenbestand vgl. vor allem StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 187, 232 und 233. 732 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (13. Februar 1486). 733 Zum Propststreit in Moutier-Grandval vgl. M A U R I C E D E T R I B O L E T , Protection et bour‐ geoisie. Le traité de Combourgeoisie de 1486 entre Berne et la Prévôté de Mou‐ tier-Grandval, in: Actes de la société jurassienne d’émulation (1986), S. 25-98. 734 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (13. Februar 1486). 735 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 232 (13. Februar 1486). formuliert. Im zitierten Fall wies der Bischof die Bieler an: Tuond in disen sachen daz best, als wir uech daz sunderlich wol getruewent. 730 Insofern unterscheidet sich die Missivenkorrespondenz zu Tagsatzungen formal, semantisch und medial nicht von anderen Themenbereichen. Das zu Verhandelnde wird in den als An‐ wesenheitskommunikation angelegten Tagsatzungen diskutiert und allenfalls beigelegt. Biel zwischen Bern und Bischof Während in den meisten Missiven vor allem zukünftige Tagsatzungen angekün‐ digt oder auf vergangene Bezug genommen wird, gibt es für Biel einige wenige Fälle, in denen Missiven an Ratsdelegationen geschickt wurden, die gerade auf einer Tagsatzung weilten. 731 Eine dieser Missiven wurde bereits in Kapitel 1 im Zusammenhang des Verhältnisses von Original und Kopie thematisiert. Am 13. Februar 1486 schickte Bischof Kaspar zu Rhein eine Missive an [u]nnsern lieben getruwen, den geordneten ratsbotten unnserer statt Biell ietzt zu Munster versammlett.  732 Anlass der Versammlung waren handfeste Konflikte bei der Propstwahl in Moutier-Grandval, in deren Verlauf die Berner das Tal von Moutier unter Führung des von ihnen favorisierten Kandidaten Johann Meier (Kirchherr von Büren) besetzt hatten. 733 Bischof Kaspar zu Rhein scheint sich dabei in einer relativ schwachen Machtposition befunden zu haben. Um die Berner zu einem Einlenken zu bewegen, schickte er auch der Berner Delegation in Moutier eine Missive hinterher 734 , wobei er der Bieler Tagsatzungsgesandt‐ schaft eine coppii derselben beilegte. 735 Mit der Missive wies Bischof Kaspar die Bieler Gesandten vor Ort an, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Missive an Bern respektive deren Inhalt umgehen wollten, verlangte jedoch die Kopie des Schreibens zurück. Der Bieler Gesandtschaft als Herrschaftsvertretung vor Ort wurde in der Verhandlungssituation also ein kommunikativer, aber auch kommunikationsorganisatorischer Handlungsspielraum eingeräumt. 246 3 Boten und Botschaften <?page no="247"?> 736 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 233 (13. Februar 1486). 737 Ebd. 738 Ebd. 739 Die weltliche Rolle des Bischofs und des Stifts als eidgenössische Akteure wird vor allem in der älteren Forschung stark im Gegensatz zur Stadtbasler „Befreiungsgeschichte“ gesehen, in deren Narrativ sich die Fürstbischöfe als Kontrahenten besser fügten als in einer bündnispartnerschaftlichen Rolle, vgl. C L A U D I U S S I E B E R -L E H M A N N , Schwierige Nachbarn. Basel, Vorderösterreich und die Eidgenossen im ausgehenden 15. Jahrhun‐ dert, in: Die Habsburger im deutschen Südwesten. Neue Forschungen zur Geschichte Vorderösterreichs, hrsg. von Franz Quarthal und Gerhard Faix, Stuttgart 2000, S. 273- 286; D E R S ., Die Verschweizerung Basels. Der 13. Juli 1501 und seine Folgen, in: Basler Stadtbuch 122 (2001), S. 6-9 sowie D E R S . und E R W I N B E Z L E R , Der Basler Bundesbrief vom 9. Juni 1501. Originaltext und Übersetzung in die heutige Sprache, Basel 2001. Die Verfasserin dankt an dieser Stelle ganz herzlich Herrn C L A U D I U S S I E B E R -L E H M A N N für anregende Diskussionen und für die spontane Bereitschaft, der Verfasserin das Manuskript seiner Basler Habilitationsschrift von 2003 Das eidgenössische Basel. Eine Fallstudie zur Konstruktion herrschaftlich-politischer Grenzen in der Vormoderne zur Verfügung zu stellen. 740 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 234 (18. Februar 1486). In der Missive an die Berner Gesandtschaft wiederum nahm Bischof Kaspar zuerst Bezug auf die guote nachperschafft unnd frundtschafft, so ein statt von Bern und wir allwegen zusamen gehebt und auf beider loblich verein. 736 Zuerst sollten alle möglichen Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden, denn der Bischof sei durchaus willens gewessen, unnser treffelich botschafft zu unnsern guten frunden von Bern gethan wollen haben. 737 Eine bischöfliche Gesandtschaft nach Bern zu schicken, machte allerdings - so die zeitgenössische Logik - nur dann Sinn, wenn es um eine Klarstellung ging (grundt der sachen uch warlichs zuverkunden). 738 Falls es also um mehr als eine Klarstellung der Verhältnisse ging und tatsächlich Unbill geschehen war, sollte jedoch ein Schiedsgericht in der Sache befinden. Diese Vorgehensweise entspricht der zeitgenössischen Konfliktlösungspraxis: Gesandtschaften klärten und verhandelten vor Ort, und wenn eine Rechtsverletzung vorlag, wandte man sich an eine (übergeordnete) Instanz, über die man sich gegenseitig verständigt hatte. In diesem Falle war es das mit Bundgenossen besetzte Schiedsgericht. Dieser Fall zeigt damit auch, dass die Basler Bischöfe sich bereits in den Jahrzehnten vor dem 1501 geschlossenen Basler Bündnis mit der sogenannten Eidgenossenschaft im Südwesten ihres Territoriums mit eidgenössischen Akteuren arrangierten. 739 Am 18. Februar 1486, also nur fünf Tage nach Ausstellung der oben zitierten Missive und dem Beilagenbrief an Bern verschickte Bischof Kaspar im Zuge dieser lediglich als hanndel bezeichneten Angelegenheit eine weitere Missive, diesmal sowohl an den Meier als auch an den Rat von Biel. 740 Dieser Brief war kurz gehalten und führte lediglich die dringende Notwendigkeit an, dass 247 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="248"?> 741 Vgl. R E N N E F A H R T , SSRQ BE I/ 4.1 (Das Stadtrecht von Bern I/ 4.1), Nr. 180a, S. 577-582. 742 Vgl. K L A R A H Ü B N E R , Cito quam fas - so schnell als nötig. Zur Geschwindigkeit von Gesandten und Nachrichtenübermittlern in den Städten des eidgenössischen Raumes, in: Verkehrsgeschichte. Histoire des transports, hrsg. von Hans-Ulrich Schiedt, Zürich 2010, S. 83-96. 743 R E N N E F A H R T , SSRQ BE I/ 4.1 (Das Stadtrecht von Bern I/ 4.1), Nr. 180a, Art. 1, S. 578. 744 Ebd., Art. 5, S. 579. 745 Ebd. 746 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 237 (21. Februar 1486). man sich mit den Bielern und anndern unnsern stifftes verwandten und zuoge‐ hoerigen treffe. 741 Als Termin wurde der 24. Februar 1486 vorgegeben, nur gut sechs Tage nach der Briefausstellung. Missiven konnten innerhalb dieses Herrschaftsgebiets in der Regel innerhalb einer Tagesfrist überbracht werden und ganz allgemein lässt sich feststellen, dass Fristen relativ kurzfristig angelegt wurden. 742 Doch im Tal von Moutier überschlugen sich nun die Ereignisse. Zwi‐ schen Bischof Kaspar zu Rhein und Bern kam es bereits am 19. Februar 1486 zu einem ersten Vertrag, der den Bernern, vorbehaltlich weiterer Verhandlungen, die Propstei Moutier-Grandval mit luten und aller zuogehoerd zuo iren handen genomen zusprach. 743 Die Unterhaltung mit den Bielern dürfte aber vor allem gedrängt haben, weil sich der Bischof auf die Zahlung von 2.500 Gulden an die Berner verpflichtet hatte, da diese soelicher ding halb zuo mercklichem kosten sind komen.  744 Falls die geschuldete Summe innerhalb der vorgegebenen Frist nicht beglichen werde, so soellen unser lieben getruwen meyer und lut zuo Biel sich durch sechs ir personen und so vil muessiger pfaerden gen Bern in ein offen herberg stellen und da gewonliche leystung halten und teilen so lang und vil, bis soelich usrichtung beschicht mit abtrag aller ergangner koest und schaeden. 745 Der Bischof hatte den Bernern also seinen Meier und fünf weitere Bieler samt ihren Pferden als Bürgen gestellt. Nun musste Bischof Kaspar zu Rhein definitiv mit den Bielern dieses Resultat der Verhandlungen mit Bern und dessen Konsequenzen für die Bieler besprechen. Doch noch vor dem angesetzten Tag mit Biel schickte Bischof Kaspar am 21. Februar 1486 - zwei Tage nach Abschluss des Vertrages mit Bern - eine kurze Missive an den Rat seiner Stadt. Er wäre soeben durch eine Kelnberger Botschaft unterrichtet worden, dass sich nun auch die Solothurner bei Moutier versammelt hätten. In dieser brisanten Situation wechselte der Modus der Missiven: Da ist unser ernstlich beger, das ir furderlichen nach den dingen erkennen wellen, unnd was uch dar inn begegnet, unns strax kundt tuon. 746 Die Aufforderung an die Bieler, Informationen zu sammeln und schnellstmöglich an 248 3 Boten und Botschaften <?page no="249"?> 747 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 235 (22. Februar 1486). 748 Vgl. ebd. 749 Vgl. ebd. und Nr. 239b (27. Februar 1486). 750 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 235 (22. Februar 1486). 751 Vgl. dazu den Auszug aus der Missive: wir haben ouch ein bottschafft gemeinen eydgenossen, jetz zu Costentz versumpt, geschicht, ebd. 752 Ebd. den Bischof weiterzuleiten, zeugt davon, dass das Medium hier situativ von der Vorbereitung von Anwesenheitskommunikation auf Informationsübertragung umgestellt wurde. Schon am darauffolgenden Tag wurde eine zweite Missive losgeschickt. 747 Der bischöfliche Bote war zwar eben erst in Biel angekommen, doch war Bischof Kaspar in der Zwischenzeit von den zuständigen Amtleuten in Delémont Genaueres berichtet worden. Die Solothurner Truppen würden bei Moutier Hafer malen und backen lassen und sich für die Eroberung Delémonts bereitmachen. Nun lässt sich aber ein ähnliches Kommunikationsschema ent‐ decken, wie es bereits im Fall der Auseinandersetzung mit Bern angewendet worden war: Die Bieler traten mit einem Anliegen an den bischöflichen Herrn heran, der sich zunächst passiv dazu verhalten hatte. Er antwortete daraufhin, dass er keinen Widerstand gegen diese Leute leisten könne, wanen wir nutzit dannen liebs und guots mitt inen wussen zu schaffs zu haben. 748 Dies ließ er auch dem Schultheißen und den Räten von Solothurn sowie deren Hauptleuten im Tal von Moutier schreiben. Eine coppii dieser Schrift wurde der entsprechenden Bieler Missive beigelegt. 749 Der Basler Bischof schien nun tatsächlich ratlos, wie er sich verhalten sollte: Wir wussen nit, wie wir uns in den dingen hallten sollen, dannen wir wussen nit, wer sich der dingen an nimpt. 750 Schließlich entschied sich Bischof Kaspar für eine zweigleisige Konfliktlö‐ sungsstrategie. Zunächst versuchte er, an die Eidgenossen als Schiedsgerichtsin‐ stanz zu gelangen und so den rasch eskalierenden Konflikt durch eine Wendung vom Militärischen ins Juristische zu entschärfen. 751 Die Eidgenossen weilten allerdings just zu der Zeit in Konstanz und der Bischof war besorgt, ee sy der ding bevelt werden, so sy eben vyt furfaren unnd nitt still standen. 752 Er lief also Gefahr, dass von dieser Seite zu spät Hilfe zu erwarten war, sodass er gleichzeitig eine andere Strategie verfolgen musste. Hier wurde die Rolle Biels zentral. Da die Bieler Führung laufend über sämtliche Ereignisse informiert worden war und zudem jeweils Abschriften der bischöflichen Korrespondenz erhielt, übernahm sie in dieser Situation die zentrale Vermittlungstätigkeit vor Ort. Und so formulierte Bischof Kaspar sein ernstlich beger, so vere uch guot beduncken wollt, angesicht ein treffelich bottschafft zu denen von Bern ze schicken, die ding an sy bringen, damitt man moechte den armen stifft behalten, der doch 249 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="250"?> 753 Ebd. 754 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 238 (28. Februar 1486). 755 Vgl. ebd. 756 Vgl. ebd. 757 Vgl. ebd. 758 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 239a (3. März 1486). 759 Ebd. unschuldigklich in die ding komen ist. 753 Die Formulierung ernstlich beger weist zwar eindeutig auf den Aufforderungscharakter der Mitteilung hin, eine Bieler Botschaft nach Bern zu entsenden, wobei dieser jedoch im gleichen Satz mit dem Zusatz so vere uch guot beduncken wollt wieder abgeschwächt wird. Die Missive kann in dieser drängenden Konfliktlage kaum anders als ein eindringlicher Aufruf Biels zur Hilfestellung verstanden werden. Eine knappe Woche später, am 28. Februar, folgte bereits die nächste Missive des Bischofs an den Bieler Meier und Rat. 754 Dieses Mal reagierte er auf ein Schreiben der Bieler, die sich in der Zwischenzeit mit einem Berner Ratsboten in Nidau getroffen hatten. Dieser hatte sich offensichtlich darüber beklagt, dass der Basler Bischof den berichts brieff  755 - also vermutlich seine gesiegelte Ausgabe des Vertrags vom 19. Februar - nicht binnen acht Tagen nach Bern geschickte hatte und damit der Beleg für die eingeforderte Geldsumme fehlte. Der Bischof gab jedoch an, von dieser Frist nichts gewusst zu haben, wollte jedoch mit dem vorliegenden Schreiben versichern, dass er die Vereinbarungen einzuhalten gedenke. Ausdrücklich weißt er in der Missive darauf hin, wer unns wussen gesin, da selben brieff in solichs zitt uszerichten, sollt ouch bescheen sin. 756 Die Lage hatte sich für Bischof Kaspar so zugespitzt, dass er nun sogar eine ausführliche Rechtfertigung in den Missiventext einbettete. Dieser Eindruck verstärkt sich durch den Hinweis, dass der Secretarius Jost Keller, der die entsprechenden Abschiede und Briefe mit sich führte, just an dem Tag nach Basel geritten sei. Erst nach dessen Rückkehr an den Bischofshof wellen wir uber die ding sitzen. 757 Diese absichtliche - oder tatsächlich glückliche -Verzögerung konnte Bischof Kaspar nur gelegen kommen. Die Bieler zeigten sich davon wenig überzeugt und wandten sich direkt im Anschluss an die eben zitierte Missive wieder an Bischof Kaspar. In seiner Antwort betonte er abermals, dass er ihr Anliegen verstehe, er aber an disen dingen unschuldig  758 sei. Im Übrigen sollten die Bieler entsprechend informiert sein, wan uwerer ratzfrundt so by disen dingen gewesen, wissen wol, das kein zyt, die betreg usszerichten bestimpt wardt, were aber red davon bescheen, solten on‐ gezwivelt des ersten tags ussgericht sin worden. 759 Damit zog sich der Bischof aus sämtlicher Verantwortung, um dann im gleichen Satz zu betonen, dass er nun 250 3 Boten und Botschaften <?page no="251"?> 760 Ebd. gleich huet frue  760 die geschuldeten Beträge dem Dompropst habe überweisen lassen. Der explizite Hinweis auf das Wissen der Bieler Ratsdelegation hingegen deutet darauf hin, dass die Bieler Führung sich zunächst auf einen Wissensstand berufen konnten, der ihnen mehr Handlungsspielraum versprach. Ob hier tatsächlich ein Missverständnis vorlag und ob die Vertragsdokumente tatsächlich nicht ausgestellt und an die beteiligten Parteien verschickt worden waren, kann nicht beurteilt werden. Da jedoch die zeitlichen Abstände zwischen den Tagen, den Gesandtschaftsentsendungen und den einzelnen Missiven sehr kurz waren, liegt die Vermutung nahe, dass in Abwesenheit des Secretarius und damit auch der entscheidenden Schriftstücke Bischof Kaspar tatsächlich während einiger Zeit nicht handlungsfähig war. Ob er damit Zeit gewinnen wollte, um doch noch ein Schiedsgericht anzuberaumen, oder ob es wirklich ein Zufall war, der ihn zum Abwarten zwang, kann anhand der Missiveninhalte nicht abschließend geklärt werden. So weit liest sich die Ereignisfolge. Die uns heute überlieferte Missivenkor‐ respondenz eröffnet in diesem Fall einen besonders deutlichen Einblick in die Kommunikationspraxis einerseits und die Rollen der involvierten Akteure an‐ dererseits. In einer ersten Phase des Konflikts fehlte Bischof Kaspar schlichtweg das Wissen um die Vorfälle im Tal von Moutier. Während die Kommunikation weiter entlang der herrschaftlichen Strukturen organisiert wurde, zeigt sich die passive und fast schon hilflose Position des Landesherrn. In der Konsequenz konnten die Bieler ihren begrenzten Handlungsspielraum zumindest für den Aufbau von Druck gegenüber Bischof Kaspar nutzen, zumal er erst auf ihr Bestreben hin aktiv wurde. Zudem zeigt sich, dass die Bieler vor Ort über einen weit besseren Informationstand verfügten und diesen gegenüber dem Bischof in Anschlag zu bringen wussten. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen, als Bischof Kasper die rechtlichen Dokumente zwar besaß, jedoch diese den Bielern - zumindest für eine gewisse Zeit - vorenthielt, kehrte sich das Wissensver‐ hältnis wieder zugunsten des Bischofs um. Die eben zitierten Missiven stellen zwei Aspekte, die in den vorangegan‐ genen Ausführungen immer wieder angeschnitten wurden, nochmals deutlich heraus. Der erste Aspekt bezieht sich auf den Unterschied zwischen Anwesen‐ heitskommunikation und Missivenkorrespondenz. Die Kommunikation unter Anwesenden auf der Tagsatzung erlaubte den Ratsboten, die Inhalte ihrer Berichterstattung flexibel den Geschehnissen und den daraus resultierenden diplomatischen Erfordernissen anzupassen. Schickte jedoch der Bischof eine Missive, so war deren Schriftinhalt allenfalls interpretierbar, jedoch nicht 251 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="252"?> 761 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 245 (17. Dezember 1486). 762 Ebd. 763 Zu Gerüchten vgl. E S C H , Alltag der Entscheidung, S. 37. E S C H verwendet hier Berns Umgang mit Gerüchten in Biel als Beispiel. 764 Vgl. hierzu Kapitel 1.5. ignorierbar. Diese Inflexibilität des Schriftmediums im Vergleich zur Oralität der Verhandlungen auf dem Tag kompensierte das Medium Missive mit einer gewissen Diffusität ihres Inhaltes: Man möge handeln, wie es der Situation angemessen sei. Durch die Missivenkorrespondenz hatte der Bischof auf diese Weise die Möglichkeit, gewissen Standpunkten Nachdruck zu verleihen, ohne den Handlungsspielraum der Gesandten zu stark einzuschränken. Die in diesem Kontext durchaus selbstbewusst auftretenden Bieler wiederum suchten nach eigenen Möglichkeiten des Druckaufbaus. So verlangten sie auf Weihnachten 1486 im Zuge der Auseinandersetzungen um die Rechtskompetenzen im Tal von Moutier mit einer Missive einen Verhandlungstermin vor dem Basler Bischof in Porrentruy. 761 Der Umstand, dass die Bieler eine Delegation während einer der bedeutendsten kirchlich-liturgischen Hochzeiten und kurz vor dem alljährlichen Schwurtag in Biel an den bischöflichen Hof in Porrentruy schicken wollten, ist auffällig. Womöglich wollten sie mit ihrem Auftritt in Porrentruy zu einem Zeitpunkt, an dem lokale Einflussträger und Amtleute am Hof versam‐ melt waren, gezielt Druck ausüben. Dies legt zumindest das Antwortschreiben Bischof Kaspars zu Rhein nahe, in welchem er das Anliegen der Bieler abschlägig beschied, weil es uff die zitt ungeleg ist, dannen allerley ludt, edel unnd unedel, zuo unns komen, alls ir selbs wol wussen. 762 Die Bieler scheinen also sehr wohl gewusst zu haben, dass sie mit diesem Termin den Bischof drängen konnten, und er versprach ihnen tatsächlich in derselben Missive, gleich im Anschluss an die Feiertage einen Verhandlungstermin vor Ort zu gewähren. Der zweite Aspekt betrifft den Umgang mit Dokumenten und die Verbreitung von Informationen. Wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt, wurden Briefen Ab‐ schriften von Briefen an andere Adressaten beigelegt. Das Teilen von Schriftgut und damit auch von Informationen hatte sich als gängige Praxis etabliert, erstens um die beteiligten Akteure auf dem Laufenden zu halten, aber zweitens natürlich auch, um den Informationsfluss wenigstens auf schriftlicher Ebene zu kontrol‐ lieren. Dazu boten der Schriftverkehr und das Übersenden von Abschriften eine Möglichkeit der Kommentierung, Ergänzung oder Richtigstellung. 763 Neben Missiven wurden aber auch Kopien anderer Dokumente, etwa von Verträgen oder Abschieden, mitverschickt. 764 Im Zusammenhang mit dem Streit um die Propstei Moutier, der sich auch im Mai 1486 noch nicht gelegt hatte, forderten 252 3 Boten und Botschaften <?page no="253"?> 765 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 236 (9. Mai 1486). 766 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 242 (14. Juni 1486). 767 Ebd. die Bieler im Anschluss an eine Berner Tagsatzung von Bischof Kaspar die Zusendung der Ergebnisse als Abschriften. Der Bischof antwortete Folgendes: Aber so ir begeren der bericht coppii zu zusenden, wussen wir in warheit noch zurzit nit, was die wisen, wir wellen aber daruber sitzen, die besechen, witer ratlich darin handlen und mit einem botten uch antwurtten, wollen im besten vermercken. 765 Die Berichte sollten erst nach vorgängiger Durchsicht und Diskussion zur Abschrift und damit auch zur Verbreitung freigegeben werden. Ein weiteres Mal wird der Unterschied zwischen mündlichen Verhandlungen und schriftlicher Fixierung des Vereinbarten offenkundig. Obwohl der Bischof über die Verhand‐ lungen in Bern unterrichtet sein musste, war der Inhalt der Dokumente (was die wisen) noch nicht bekannt. Entscheidender ist jedoch hier, wie sich Herrschafts‐ handeln in der Entscheidung über den Informationsfluss niederschlug: Bischof Kaspar behielt sich vor, die Ergebnisse der Berner Verhandlungen zunächst gründlich zu prüfen, gegebenenfalls auch darauf zu reagieren (witer ratlich darin handlen) und dies von einer Unterrichtung der Bieler über die Inhalte unabhängig zu tun. Die Geschichte ging jedoch noch weiter. Im Juni 1486 finden sich erste Hinweise auf einen Berner Tagsatzungsabschied. 766 Die Bieler versuchten in den Folgejahren offenbar, vor einem Berner Schiedsgericht ihre Freiheiten gegenüber dem Bischof durchzusetzen. Der Bischof bestätigte den Erhalt des Tagsatzungsabschieds und behielt sich eine Beratung mit dem Basler Kapitel vor. Die Bieler sollten ihnen aber, wenn sie sich offensichtlich auf gewisse Freiheiten oder Privilegien stützten, dero glouplich abgeschrifft oder vidimus von brieff und sieglen  767 zukommen lassen. Dieser letzte Hinweis führt noch einmal deutlich vor Augen, dass es in der Herrschaftsbeziehung zwischen dem Bischof und den Bielern auch um die Verfügbarkeit von Schriftdokumenten und Informationen ging. Die Informationshoheit lag dabei keineswegs immer bei der bischöflichen Herrschaft. So hakte Bischof Kaspar zu Rhein am 13. Dezember 1491 mit folgender Missive nach, als er über eine Tagsatzung nicht informiert worden war: Wir vernemen, wie unnser guten frundt gemeynen eidgenossen uff morn zu nacht gein Bern komen sollen. Nuo wer nuet uns solichs zu wissen, dwil dan solichs redt von den uwern usgangen, so zu Telsperg [Delémont, Anmerkung IS] gewesen. So ist unnser ernstlich begern, uns das furderlich by disem botten zu berichten. Wa ir aber 253 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="254"?> 768 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 276 (13. Dezember 1491). 769 Die Quellensprache führt hier in die Semantik der Information eine Unterscheidung ein: Offiziell informiert, das heißt über eine entsprechende Botschaft zum Tag eingeladen worden zu sein, wird hier mit dem Verb „wissen“ bezeichnet, dagegen entspricht „vernehmen“ oder auch „hören“ und „berichtet werden“ dem stärker über informelle Gerüchte erlangten „Informiertsein“, vgl. hierzu auch Kapitel 1.5. 770 Vgl. dazu etwa StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 250 (10. März 1487) und 248 (25. Juli 1487). 771 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 250 (10. März 1487). 772 Ebd. 773 Ebd. des nit gruntlich bericht weren, uch des so tag so nacht zu Bern by egenanten guten frundt, den ir des vertruwetten [Randnotiz: zuerfaren, Anmerkung IS] unnd furderlich an alles verziehen ylends verkunden wellen, tund ir uns guder gevallen. 768 Bischof Kaspar war nicht davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sich eidge‐ nössische Tagsatzungsgesandte in Bern trafen. Erst von den Bielern Gesandten in Delémont hatte er vernommen, dass in Bern ein Tag stattfinden sollte. 769 Es blieb ihm nunmehr übrig, die Bieler anzuweisen, ihm unverzüglich zu berichten, was genau in Bern vonstattengehe. Dabei handelte es sich bei den geschilderten Korrespondenzproblemen mit Bern nicht um einen Einzelfall. 770 Schon 1487 hatte sich Bischof Kaspar einmal mehr über das Berner Kommunikationsgebaren beklagt. Die Berner hätten nämlich ein Antwortschreiben an den Bischof über einen Bauern (puer) aus Moutier zuerst nach Alle in der bischöflichen Vogtei Ajoie geschickt, von wo aus einer siner fründen daselbs die Missive an den Bischof weiterleitete. Diese schimpfliche geantwurt  771 verursachte eine Verzögerung, und der bischöfliche Adressat empfand diese Zustellungsart als klaren Affront: nu nimpt unns solicher verzug an denen von Bern eben froembt, so ist es ouch seltzen zu horen, ist inen an den ding gelegen die brieff allso von eym zum andern zuschicken. 772 In dieser aufgebrachten Missive an die Bieler beklagte Bischof Kaspar nicht nur das despektierliche Verhalten der Berner, sondern auch die daraus resultierende Unwissenheit über die aktuellen Entwicklungen. Aus dem Kommunikationsge‐ füge weitgehend isoliert, blieb ihm auch in dieser Situation nichts anderes übrig, als sich an die Bieler zu wenden und den Meier und den Venner zur Klärung der ding halb  773 nach Bern zu schicken. Der über mehrere Missiven nachvollziehbare Konflikt im Tal von Moutier bietet einen wichtigen Einblick in die Tagsatzungspraxis, an der sich die Basler Bischöfe und Biel beteiligten. Die Tagsatzungskorrespondenz zeigt aber auch, dass sich Biel in den 1480er-Jahren zum zentralen Verwaltungs- und Kommunikationszentrum der Herrschaft entwickelt hatte. Damit einher ging 254 3 Boten und Botschaften <?page no="255"?> 774 Vgl. StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 287 (22. Februar 1493). 775 Ebd. 776 Ebd. 777 Vgl. dazu vor allem D A N I E L L O R D S M A I L , The Consumption of Justice. Emotions, Publicity, and Legal Culture in Marseille, 1264-1423, Ithaca (NY) 2003. 778 Ein Beispiel dieses Forschungsansatzes bietet M I C H A E L B L A T T E R s Dissertation zu Engelberg, vgl. M I C H A E L B L A T T E R , Gericht als Angebot. Schriftgutverwaltung und Gerichtstätigkeit in der Klosterherrschaft Engelberg 1580-1622, Zürich 2012. eine eigenständigere Akteurschaft Biels in der Region, die einerseits von einer zunächst passiven Haltung des Bischofs bei landesherrlichen Konflikten geför‐ dert wurde, andererseits aber auch in den kommunikativen Bedingungen der Tagsatzungspraxis lag. Zwar blieben diese an die Adressierungs- und Korres‐ pondenzlogik der Herrschaft zurückgebunden, doch eröffneten sie den Bielern auch die Möglichkeit, sich selbst in aktive Vermittlungsrollen zu positionieren, eigene Interessen zu vertreten und sich eigenständigere Handlungsspielräume zu verschaffen. Vom angebotenen Tag zum Tagsatzungsangebot 1493, also gut sieben Jahre nach der Auseinandersetzung im Tal von Moutier, begannen sich die längerfristigen Konsequenzen der Berner Schiedsgerichtstä‐ tigkeit abzuzeichnen. Zunächst handelte es sich um Streitigkeiten zwischen den bischöflichen Leuten von Nods und Orvin, in deren Verlauf Bischof Kaspar eine Missive an die Bieler verschickte. 774 Der Bischof hatte bereits vorab eine Tagsat‐ zung verkündet, um diese spann  775 dadurch zu lösen, dass er persönlich vor Ort in Biel Recht sprach. Da sich die streitenden Parteien offenbar zwischenzeitlich geeinigt hatten, sah man jedoch von dieser Tagsatzung ab. Dennoch hatte Bern angeboten, die erneut aufflackernden Streitigkeiten an einer Tagsatzung unter Berner Vorsitz zu entscheiden. Bischof Kaspar störte sich an dieser neuen Tagsatzungspraxis, dass nun Bern Tagsatzungen anbot, die eigentlich unter bischöflichem Vorsitz hätten angesetzt werden sollen: wa sollichs in ubung komen, das die von Bernn in unsern gebieten und landen rechtigen solten etc. wurd ein boesen alter gewynnen. 776 Das Problem lag also aus Sicht des Bischofs vor allem in der ubung, also der Gefahr Präzedenzfälle für die Ausweitung der Berner Schiedsgerichtsbarkeit ins bischöfliche Herrschaftsgebiet zu schaffen. Die Forschung zur Praxis des Gerichtswesens im Mittelalter hat vorge‐ schlagen, Gerichte als Angebote zur Rechtsnutzung zu verstehen. 777 Dieser Ansatz kann auch für die durch Missivenkorrespondenz strukturierten Tagsat‐ zungen fruchtbar gemacht werden. 778 Damit verschiebt sich der Fokus vom rechtsbzw. verfassungsgeschichtlichen Interesse an Rechten und Privilegien 255 3.5 Medienensemble 2: Tagsatzungen <?page no="256"?> 779 Vgl. allgemein F U H R M A N N und W E I S S E N , Einblicke. So wurden etwa in den Bieler Stadtsatzungen von Meier und Rat bestimmte Gerichtstage und Geldsätze festgehalten (datiert auf den 11. Juni 1450), vgl. B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 69, S. 114f. Am 11. November 1468 erhielt die Stadt Biel von Bischof Johannes von Venningen Anteil an der Nieder- und der Hochgerichtsbarkeit mit den entsprechenden Einnahmen (zum Beispiel ein Drittel des Gutes einer hingerichteten Person), vgl. dazu B L O E S C H , SSRQ BE I/ 13, Nr. 78, S. 120f. 780 Vgl. dazu U S T E R I , Schiedsgericht, S. 119f. hin zur Frage, wie juristische Institutionen angeboten und genutzt wurden. In der Regel war die Ausübung der Gerichtstätigkeit mit einträglichen Einnahmen für den Rechtsanbieter verbunden. 779 Für die Schiedsgerichtstätigkeit allerdings lässt sich der Vorteil eher als soziales Kapital in der Währung von Anerkennung und Einflussnahme verbuchen, denn dem Schiedsrichter standen oft nicht mehr als die anfallenden Reisekosten und Spesen zu. 780 Die „Rechtmäßigkeit“ der Rechtsprechung von Schiedsgerichten galt dann, wenn die jeweilige Kon‐ fliktlösungsform durch die involvierten Parteien anerkannt wurde und ein gefälltes Urteil tatsächlich akzeptiert und im weiteren Verlauf eingehalten wurde. Zentrales Anliegen war es, die Einigung als Resultat eines von beiden Seiten akzeptierten Schlichtungsverfahrens für alle sichtbar herauszustreichen. Grundsätzlich befand sich die im Konfliktfall zwischen zwei Parteien einbe‐ rufene Schiedsgerichtsinstanz entweder auf höherer Ebene (zum Beispiel der gemeinsame Landesherr) oder auf horizontaler Ebene (zum Beispiel in entspre‐ chenden Bündnissen zwischen Herrschaften und Orten). Das Durchführen von Schiedsgerichten und das Ansetzen von Tagen waren jedoch immer auch mit Einflussnahme seitens des Anbieters verbunden und so erstaunt es wenig, dass die expandierende Stadt Bern im Raum des heutigen Bielersees und gerade in angrenzenden Gebieten wie der Montagne de Diesse ihre juristischen Angebote bewarb. In der hier untersuchten Missivenkorrespondenz lässt sich ein deutlicher Wandel im Umgang mit Tagsatzungen ausmachen. Während Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts Tagsatzungen vor allem durch den Bischof verkündet wurden, lud man im Laufe des 15. Jahrhunderts die Bieler oft als Unterstützungsdelegation an Tagsatzungen dazu, auf denen in bischöflichen Angelegenheiten verhandelt wurde. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts trat dann Bern vor allem im südöstlichen Jura in Konkurrenz zur bischöflichen Tagsatzungs- und Schiedsgerichtsbarkeitspraxis. Die Missivenkorrespondenz bot eine mediale Form, Konflikte und Span‐ nungen in eine prozedural strukturierte Kommunikation zu überführen, wäh‐ rend sich zugleich mit den auf diese Weise vorbereiteten Tagsatzungen Foren der Konfliktlösung unter den Bedingungen der Anwesenheitskommunikation 256 3 Boten und Botschaften <?page no="257"?> etablierten. Die Tagsatzungen des 14. und zumindest auch jene der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind uns heute vor allem über diese sie flankierende Missi‐ venkorrespondenz zugänglich, denn die spätmittelalterliche Tagsatzungsorga‐ nisation sattelte gleichsam auf der kontinuierlichen Missivenkorrespondenz auf, zwischen den Tagsatzungen kommunikativen Kontakt und Austausch zu pflegen. Wie stark man sich auf dieses Medium verließ, zeigen gerade die Fälle, in denen die fehlende oder schlechte Missivenkorrespondenz beklagt wurde. Die Verschränkung von distanzvermittelnder Missivenkorrespondenz und Anwesenheitskommunikation an Tagsatzungen begünstigte Formen von Verfahrensförmigkeit, die die Akteure in die Konfliktlösung einband, dennoch Handlungsspielräume ermöglichte und damit die Grundlage für eine möglichst integrativ wirkende Herrschaftsvermittlung schuf. Boten und Botschaften - ein Zwischenfazit In diesem Kapitel wurde der Vorschlag gemacht, den Briefüberbringer, den Brief als materielles Objekt und den Brieftext mitsamt seiner visuellen Semantik nicht in unterschiedliche Medienformen zu zerlegen, sondern als komplexes Medienensemble ‚Botschaft‘ zu verstehen. Dieses analytische Instrumentarium ermöglicht es, die kommunikativen Bedingungen, Gebrauchslogiken und Kon‐ sequenzen der kommunikativen Herrschaftspraxis, die sich im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts im Einflussbereich der Basler Bischöfe etablierte, zu verstehen. So hat sich gezeigt, dass die spätmittelalterliche Bezeichnung „Bot‐ schaft“ die mediale Beziehung und gegenseitige Bedingtheit von Briefen und Briefüberbringern zum Ausdruck brachte. Botschaft konnte in der spätmittelal‐ terlichen Semantik die Gesandten bezeichnen, das schriftliche Dokument, aber auch die Handlung, wenn jemand in herrschaftlichem Dienst eine „Botschaft tut“. Es sollte also deutlich geworden sein, dass die Briefe und ihre Überbringer als Medienkomplex in einem Verhältnis standen, das sich nicht einfach als „bi-medial“ bezeichnen lässt. Die in Missiven oftmals verwendete Formel uwer antwurt bi disem boten zeugt von dem Bedürfnis, Anschlusskommunikation wahrscheinlicher zu machen und damit das soziale System Herrschaft fortzusetzen. Gerade im Kontext von rechtlichen Auseinandersetzungen war die Aufforderung zu einer unverzügli‐ chen Antwort ein Mittel, die Kommunikation und damit auch den Prozess der Aushandlung aufrechtzuerhalten. Wie der Bote nur in seiner Funktion als Bote erwähnt wurde, so sprechen die Missiven meist auch bei Rats- und anderen Delegationen nur vom Delegationskollektiv. Obwohl sich die Missiven meist 257 Boten und Botschaften - ein Zwischenfazit <?page no="258"?> 781 K R Ä M E R , Medium, S. 70. zur personellen Besetzung verschweigen, konnten bestimmte Gesandtschaften allenfalls mit adjektivischen Zusätzen wie etwa „gut“ oder „trefflich“ ausge‐ zeichnet werden. Für die Anschlussfähigkeit der Kommunikation, sei es als Ant‐ wortkommunikation durch den Boten oder als Anwesenheitskommunikation einer Gesandtschaft auf einer Tagsatzung, stand die erwartbare kommunikative Rolle dieser Akteure im Zentrum, selten deren individuelle Zusammensetzung. Boten und Delegationen folgten jedoch einer unterschiedlichen medialen Logik, die wiederum auf die jeweilige Funktionalität (Übertragungssicherung respektive Verständigung) zurückwirkte. Das von S Y B IL L E K RÄM E R postulierte Modell zweier Kommunikationsmodi (postalisches Übertragungsmodell vs. erotisches Verständigungsmodell) hilft zwar bei der Einordnung der kommuni‐ kativen Funktion der Botschaft, da der Handlungsspielraum für Boten einge‐ schränkt war, für Delegationen jedoch abgesehen von Rahmenbedingungen möglichst offen bleiben musste, greift jedoch im Fall der Missivenkorrespondenz zu kurz. Den zu beiden Formen der Botschaftsübermittlung und -vermittlung leisteten Missiven einen konstitutiven Beitrag, indem sie das jeweilige Kom‐ munikations- und Interaktionssetting vorbereiteten und nachhaltig mitstruktu‐ rierten. Die bischöfliche „Telekommunikation der Macht“ 781 wurde durch die wechselseitige Aufeinanderbezogenheit von Missiven und Boten/ Delegationen im Medienensemble der Botschaft gewährleistet. Während um 1400 meist die Präsenz des Bischofs vor Ort bei der Verhandlung von Konflikten gerade von bischöflicher Seite angestrebt wurde, griff der Landesherr im Verlauf des 15. Jahrhunderts zunehmend auf Delegationen und Botschaften zurück. Ursächlich scheint dabei nicht so sehr eine Entwicklung von mündlicher Anwesenheitszu schriftgestützter Distanzkommunikation zu sein, da die herrschaftliche Präsenz weiterhin eine komplexe mediale Vermitt‐ lungskonstellation bedurfte, deren materielle Form die physische Absenz des Herrschaftsträgers kompensieren musste. Dies zeitigte eine Veränderung in der Herrschaftspraxis. Der Landesherr sprach nicht länger Recht vor Ort, sondern wurde zu einer Instanz, an die man sich wenden konnte, um eine Tagsatzung zu erwirken und dadurch eine Form des Verfahrens zur Konfliktlösung zu ermöglichen. Die aktive Nachfrage von Bieler Bürgern, Gotteshausleuten oder anderen Personengruppen am bischöflichen Angebot der Tagsatzung zeugt davon, dass sich im 15. Jahrhundert eine Prozesslogik herausbildete, die die Herrschaftspraxis durchaus nicht nur in ihrem Bottom-up-Potenzial verstand, sondern grundsätzlicher von einem Bewusstsein für Handlungsoptionen ge‐ prägt war. 258 3 Boten und Botschaften <?page no="259"?> 782 Vgl. dazu die in der Einleitung diskutierte Forschungsdiskussion zu Herrschaft und Verwaltung. Vor- und Nachbereitung von Tagsatzungen sind denn auch der Kommuni‐ kationsanlass für einen Großteil der Missiven. Sie bereiten Verhandlungen oder mündliche Berichte vor, sodass im Hinblick auf Konfliktlösung und Entscheidungsfindung von einer Anwesenheitsgesellschaft gesprochen werden kann. Dies zeigen gerade Empfehlungsschreiben besonders deutlich, indem sie die herrschaftliche Autorisierung der Person vornahmen, auf die sich das Schreiben explizit bezog und die als zoiger diss briefs in persönlicher oder amtlicher Sache vor dem Bieler Rat Gehör suchten. Die mediale Anlage der Empfehlungsschreiben, die Brief und Überbringer direkt in Beziehung setzte, stellte Legitimität und Glaubwürdigkeit her. Missiven verwiesen nicht einfach auf eine noch auszuführende mündliche Mitteilung ihrer Übermittler, sondern sie legitimierten diese Mitteilung überhaupt erst als Teil eines herrschaftlichen Kommunikationszusammenhangs. Sie schufen den Rahmen, ohne dabei konkret auf Handlungsfolgen oder Entscheide einzugehen. Jüngere Befunde zur Bedeu‐ tung der Ermöglichung von „Gehörfinden“ können durch die Untersuchung der bischöflichen Missivenkorrespondenz somit bestätigt werden. 782 Darüber hinaus zeigt dieses Korpus jedoch auch, wie stark Herrschaftsvermittlung auf ein komplexes Medienensemble angewiesen war. Dieses Medienensemble der Botschaft garantierte ein möglichst hohes Maß an Glaubwürdigkeit der herr‐ schaftlichen Kommunikation. So ließ sich auch nachweisen, dass die etablierte Adressaten- und Adressantenstruktur zwischen Bischof einerseits und Meier und Rat von Biel andererseits unterschiedliche Drittparteien wie Bittsteller oder Amtleute mit situativen Aufträgen in die Herrschaftsvermittlung integrieren konnte. In diesem Kontext der Herrschaftsvermittlung wurde schließlich die ab dem 14. Jahrhundert einsetzende Tagsatzungspraxis verortet, die gleichsam als Vorbedingung zu der sich ab Ende des 15. Jahrhunderts institutionalisierenden eidgenössischen Tagsatzung verstanden werden kann. Obwohl der Begriff der Tagsatzung als Institution der „Eidgenössischen Tagsatzung“ in der Forschung bereits besetzt ist, wurde die in den Missiven verwendete spätmittelalterliche Semantik des Tagens und „Tagsatzens“ übernommen. Damit konnte heraus‐ gestellt werden, dass die zunehmende Umstellung der Herrschaftskommuni‐ kation auf Missivenkorrespondenz deshalb besonders erfolgreich war, weil sich die Missiven insbesondere als Koordinations- und Strukturierungsmedien der Kommunikation vor, während und nach Tagsatzungen erwiesen und dabei mitwirkten, solche Verhandlungstermine und Schiedsgerichtstage im 259 Boten und Botschaften - ein Zwischenfazit <?page no="260"?> 783 Zur Bedeutung und Funktion von Bitte in mittelalterlichen Herrschaftskontexten allgemein vgl. C L A U D I A G A R N I E R , Die Kultur der Bitte. Herrschaft und Kommunikation im mittelalterlichen Reich, Darmstadt 2008. Laufe des Spätmittelalters als erfolgreiche Aushandlungsforen zu etablieren. Dabei veränderte sich auch die Rolle des Basler Bischofs als Landesherrn. Die Kommunikationsorganisation aus der Distanz entzog ihm Möglichkeiten der direkten Einflussnahme und es zeigte sich immer mehr, wie stark er von der Korrespondenzwilligkeit der lokalen Amtleute abhängig war. Während die immer konstanter erfolgende Missivenkorrespondenz anwesenheitsbasierte Interaktionsplattformen wie Tagsatzungen strukturierte und stärkte, mithin sogar von sich konkurrierenden Tagsatzungsangeboten zeugt, zeigt der Blick auf den textuellen Gehalt der bischöflichen Missiven die Rahmenbedingungen der herrschaftlichen Kommunikation. Gerade weil sich in den Missiven selbst oft keine konkreten Handlungsanweisungen an die Empfänger finden, sondern Verweise auf allgemeine Rechtsvorstellungen und abstrakte Leitnormen, die mit einer stark auf Vertrauen, Bitte und Gehorsam bezogenen Beziehungssemantik ausgedrückt wurden (tund als uch gebueret / tund als wir uch getruwen / als ir uns schuldig sind etc.), eröffneten sich vielfältige Anschlussmöglichkeiten. 783 Der Appell an den Gemeinplatz, an die Selbstverständlichkeit der Treue, die Untertanen ihren Herren schuldeten, stellte keineswegs sicher, dass vor Ort auch im Sinne des Herrschers gehandelt wurde. Herrschaftsausübung über Missivenkorrespondenz hieß also nicht in erster Linie, konkrete Handlungsan‐ weisungen auszuformulieren oder gar zu gebieten, sondern auf einen gemein‐ samen Vorstellungshorizont des Gehorsams und gebührlichen Verhaltens zu verweisen. Was allerdings die jeweils involvierten Akteure im Konkreten als geschuldetes Verhalten und Handeln anerkannten, konnte zu Konflikten führen oder gezielt genutzt werden, um Handlungsspielräume auszuloten. In diesem Sinne zeigt sich, wie sich mediale und funktionale Bedingungen der Botschaft im Umgang mit Herrschaft verkoppelten und aufeinander zurückwirkten. 260 3 Boten und Botschaften <?page no="261"?> 784 N I G E L H A L L und D A V I D B A R T O N , Introduction, in: Letter Writing as a Social Practice, hrsg. von dens., Amsterdam/ Philadelphia 2000, S. 1-14, hier S. 1. 785 Vgl. K R Ä M E R , Medien, hier S. 70. Zusammenfassung „[A]fter all, almost anything can be put in the form of a letter“. 784 Mit diesem Diktum haben D AVID B A R T O N und N I G E L H AL L dem Briefeschreiben eine beson‐ dere Stellung als soziale Praxis eingeräumt, indem sie der Inhaltsgestaltung größtmöglichen Freiraum zugestanden. So flexibel Briefe in der Informations‐ breite ihres inhaltlichen Gehalts sind, das kleine Wort „almost“ scheint doch gerade den neuralgischen Punkt zu bezeichnen, der im jeweiligen historischen Zeitraum und in der jeweiligen sozialen respektive herrschaftlichen Situation Hinweise gibt, was ausdrückbar ist und vor allem wie. Spätmittelalterliche Missiven sind in ihrer seriellen Medialität und Materia‐ lität mehr als Texte. In der vorliegenden Arbeit wurde von der Diskussion des Missiveninhalts (das Was) auf die Betrachtung der Serie von Missivenkor‐ respondenz und deren medial bedingte Effekte (das Wie) umgestellt. Diese Umstellung verschob den Fokus von einzelnen Briefstücken auf das Medienen‐ semble der Botschaft. Diese Ausweitung auf das intermediale Zusammenspiel von Material, Gestaltung, Text, Bote und mündlichem Bericht ermöglichte es, Bedingungen, Effekte und Konsequenzen des Zusammenwirkens dieser Ensemblemitglieder genau zu beschreiben. Die Zusammenschau der Ergebnisse wird im Folgenden anhand von drei Schwerpunkten vorgenommen: das Ver‐ hältnis von Präsenz und Absenz, die Herstellung von Glaubwürdigkeit sowie Erwartbarkeit und Flexibilität des Mediums. 1 Verhältnis von Präsenz und Absenz Die Missivenkorrespondenz als inter- und intraherrschaftliche Kommunika‐ tionsform beginnt sich im Raum der heutigen Schweiz besonders ab dem 14. Jahrhundert abzuzeichnen, und ihre Intensität nimmt ab dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts rasant zu. Die Missivenkorrespondenz des Basler Bischofs mit Biel ist eine „Telekommunikation von Macht“. 785 In ihrer Serialität und zunehmenden Kontinuität zeugt sie von einem Wandel des Verhältnisses von Präsenz und Absenz in der Herrschaftspraxis. <?page no="262"?> Eines der Ziele dieser Arbeit war es, die lokalen Ämter und deren Konzep‐ tion nachvollziehbar zu machen: Was bedeutet es für die kommunikative Adressierung, wenn in den bischöflichen Missiven „Meier und Rat von Biel“ angeschrieben wurden? Der Rat als Kollektivakteur etwa lässt sich nur schwer fassen. Hier bot der Umweg über die Überlieferung der alljährlichen Regiments‐ wandlung eine Möglichkeit, dieses städtische Gremium als Führungsgruppe in den Blick zu bekommen. Dazu wurde auf die schriftliche Vermittlung der städtischen Ämter fokussiert. Indem die überlieferten Kanzleiakten (Eidbücher, Ratsprotokolle, Stadtbücher etc.) in ihren Herstellungs- und Gebrauchskon‐ texten wiederum medialitätsgeschichtlich analysiert wurden, ließen sich Rück‐ schlüsse auf den städtischen Legitimationshorizont (der statt nutzen und ere) und Amtspraktiken ziehen, die über Aufgaben- und Funktionsdefinitionen hinaus‐ gehen. Die Missivenkorrespondenz bezog sich also in der Adressatenlogik auf ein Kollektivgremium, dessen innere Kommunikations- und Entscheidungsfin‐ dungsprozesse damit nicht unmittelbar tangiert wurden. Im Gegensatz zum Rat lassen sich die Meier als lokale Repräsentanten des Bischofs besser greifen. So wurden teilweise Missiven direkt an den Meier adressiert, womit sich ihre Funktion und Stellung als Mittlerfigur gut nachvollziehen lässt. Anhand des Meieramtes wurde nicht nur Präsenz und Absenz von Herrschaft verhandelt, sondern auch die bischöflichen Zugriffsrechte auf das Bieler Amt. So war zu Beginn des untersuchten Zeitraums Präsenz vor Ort entscheidend: Der Bischof kam nach Biel, um Recht zu sprechen, und der bischöfliche Meier weilte oft für längere Zeit nicht in Biel, sondern am Bischofshof. Anhand der Missiven und der überlieferten Meieramtsbriefe lässt sich nun eine Verschiebung hin zu Stellvertreterschaft beobachten. Die Meier waren im 15. Jahrhundert vor allem bischöfliche Amtleute vor Ort in Biel. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und verstärkt gegen Ende desselben wurde das Verhältnis von Bistum und Stadt neu ausgehandelt, was sich besonders gut anhand des Meierstreits der 1480er-/ 1490er-Jahre zeigen lässt. Der Meierstreit lief als Konflikt auf mehreren Ebenen ab. Nicht das Amt des Meiers als solches war kontrovers, sondern seine Besetzung, die die Bieler nach altem herkommen mit einem Stiftsadligen vorge‐ nommen sehen wollten. Die Kontroverse wurde von den Bieler zum Anlass genommen, die bischöfliche Herrschaftspraxis zu kritisieren oder zumindest neu auszuhandeln. Der Meierstreit zeigt, dass sich die Präsenz des bischöflichen Meiers in einem Umdeutungsprozess befand und die Bieler durchaus eigene Vor‐ stellungen zu diesem Amtmann entwickelten. Dies ermöglichte nicht zuletzt die Absenz bewältigende Missivenkorrespondenz, da sie gerade neue Handlungs‐ spielräume eröffnen konnte: Antworten oder Stellungnahmen konnten zwar 262 Zusammenfassung <?page no="263"?> eingefordert, aber mit einem Hinweis auf schriftliche oder verfahrenspraktische Fehler auch hingehalten werden. Zugleich zeugen die Missiven von einem erheblichen Austausch von Schrift‐ stücken (besonders in Form von Abschriften) - und dies sowohl zwischen wie auch innerhalb von Herrschaften. Dabei führt der Blick auf das Medium Missive über die bloße Quantität hinaus zu einem komplexeren Verständnis des Informations- und Wissenstransfers innerhalb der bischöflichen Herrschaft, die sich im Spannungsfeld von Präsenz und Absenz konstituieren musste. Obwohl der Missiveninhalt in der Tendenz wenig Informationen über einen Sachverhalt, über den Gegenstand eines Konfliktes oder Angaben zu Personen zur Verfügung stellte, ermöglichte die Materialität der Missiven eine spezifische Form des Schrifthandelns. Als litterae clausae konnten Missiven gleichsam wie Umschläge oder autorisierende Begleitbriefe andere Dokumente mittransportieren, die durch die Missive nicht nur „verpackt“, sondern auch kontextualisiert wurden. Sich Problemen der Herrschaftsvermittlung unter Bedingungen der herr‐ schaftlichen Absenz über Missiven zu nähern, lenkt den Blick auch auf neue Handlungsspielräume in der Kommunikationspraxis der Adressierten. Die Umstellung auf die Möglichkeit, per Missivenkorrespondenz kommunikativ an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, eröffnete einen neuen Zugang zur Herrschaftsvermittlung seitens der landesherrlichen Subjekte. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts mehren sich Fälle, in denen Petenten an den Bischof mit der Bitte herantraten, seine Herrschaftsrechte in ihrem Sinne in Form von Kommu‐ nikationskoordination wahrzunehmen. Die aus diesen Bittstellungen resultie‐ renden Empfehlungsschreiben wurden bruchlos in die laufende Missivenkorre‐ spondenz integriert. Mit einem bischöflichen Brief ausgestattet, erwirkten sich ganz unterschiedliche Akteure die Chance, vor dem Bieler Rat oder anderen Ver‐ handlungsforen Gehör zu finden. Die Leistung der bischöflichen Herrschafts‐ vermittlung erweist sich aus traditioneller Sicht dann zwar als relativ schwach, aber in einer kommunikationsgeschichtlichen Betrachtungsweise zeigt sich ein Wandel von einer präsentisch ausgerichteten Herrschaftspraxis, deren Schriftlichkeit auf punktuelle Ereignisse ausgelegt war (Urkundenausstellung, Privilegienbestätigung etc.), hin zu einer kommunikationsorganisierenden, die sich kaum proaktiv in lokale Vorgänge einbeziehen ließ. Vor diesem Hintergrund erscheint die Feststellung, dass Missiven als Medien der Distanzkommunikation zwischen (herrschaftlicher) Präsenz und Absenz vermittelten, wenig aussagekräftig. Die medialen Bedingungen und Eigenlo‐ giken führten dazu, dass spezifische Aushandlungsmomente, aber auch neue Probleme entstanden. So zeigt sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts, dass Konflikte sich an kleinen Ungereimtheiten im Text oder gar offensichtlichen 263 1 Verhältnis von Präsenz und Absenz <?page no="264"?> 786 Vgl. dazu auch den Überblicksartikel im HLS: G U I D O C A S T E L N U O V O , Art. Société féodale, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: https: / / hls-dhs-dss.ch/ fr/ articles/ 015980/ 20 13-08-08/ (zuletzt aufgerufen am: 31.12.17). 787 Vgl. dazu vor allem G A D I A L G A Z I , Otto Brunner. Konkrete Ordnung und Sprache der Zeit, in: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft. 1918-1945, hrsg. von Peter Schöttler, Frankfurt a. M. 1997, S. 166-203. 788 Für eine begriffsgeschichtliche Einordnung des Treue-Begriffs in der deutschen His‐ toriografie vgl. auch N I K O L A U S B U S C H M A N N und K A R L B O R R O M Ä U S M U R R , „Treue“ als Forschungskonzept? Begriffliche und methodische Sondierungen, in: Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne, hrsg. von dens., Göttingen 2008, S. 11-35. Schreibfehlern entzündeten oder diese Fehler als Vorwand dienten, einen Konflikt eskalieren zu lassen oder eine Entscheidung zu verschleppen. 2 Glaubwürdigkeit und Treue Zwar hat sich die Mittelalterforschung intensiv mit dem Begriff der Treue be‐ schäftigt, da sich die Quellenbegrifflichkeit für eine Essentialisierung respektive „Verwesentlichung“ des Treuebegriffs geradezu anbietet. Sowohl in der B R U N ‐ N E R ’schen Tradition als Grundbegriff des deutschen Mittelalters wie auch als mentalitätsgeschichtliche Ausdrucksform einer mittelalterlichen Gesellschaft im Sinne M A R C B L O C H s und G E O R G E S D U B Y s hat der Treue-Begriff die Mediävistik des 20. Jahrhunderts mitgeprägt. 786 In den 1990er-Jahren wurde die normative Aufladung zu Recht einer kritischen Beurteilung unterzogen. So konnte G ADI A L G AZI für O TT O B R U N N E R s „Land und Herrschaft“ zeigen, wie zeitgenössische Ordnungsvorstellungen als Vorannahmen über das „Wesen“ der Herrschaft fungieren konnten und mittelalterliche Wörter als „Sprache der Zeit“ zu voraus‐ setzungsreichen Grundbegriffen aufgeladen wurden. 787 Heute besteht in der mediävistischen Forschung Konsens darüber, dass es sich bei Treue um einen problematischen Begriff handelt. 788 In diesem Sinne wird die in der Missiven‐ sprache fassbare Treue-Semantik nicht als Grundbegriff der Beziehungstextur zwischen bischöflichem Herrn und Bieler Führung missverstanden, sondern zusammen mit Glaubwürdigkeit als ein semantischer und kommunikativer Grundmodus der bischöflichen Missivenkorrespondenz bezeichnet. Doch nicht nur die bevorzugte Semantik der Glaubwürdigkeit und der Kooperation zeugt von einem kollektiv geteilten Bezugsrahmen der Herrschaftsvorstellung, der sich zwischen Gehorsam und Treue aufspannte, sondern auch die mediale Botschaftsanlage. Das Medienensemble von Bote, Brief und Text diente der Erwartungsbildung in der Übertragungssituation. Besonders deutlich zeigt sich 264 Zusammenfassung <?page no="265"?> 789 StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 3 (3. August 1390). dies im Kontext von Tagsatzungen, aber auch im spezifischen Fall von Emp‐ fehlungsschreiben, die kommunikativ in die Missivenkorrespondenz integriert waren. Die Missive setzte die Anwesenheit des Boten voraus und machte aus diesem mehr als einen einfachen Überbringer eines Schriftstücks. Vielmehr kündigten die Missiven sehr häufig eine mündliche Rede des Überbringers an, die der Rezeption des Schriftstücks unmittelbar folgte. Besonders deutlich wird dies bei Missiven, die als Empfehlungsschreiben fungierten und damit eine direkte Beziehung zwischen dem Brief und der ihn überbringenden Person herstellten. Beiden, Schrift und mündlicher Rede, kamen innerhalb dieser Konstellation somit unterschiedliche Funktionen zu: Der Briefüberbringer besprach in seiner mündlichen Rede den Sachverhalt, jedoch nicht ohne dass der Brief dieser Rede zuvor die Bühne geschaffen, sie autorisiert und in einen Kommunikati‐ onszusammenhang eingebettet hätte. Während die „Information“, das heißt die Neuigkeit, die vermittelt werden sollte, weitgehend der mündlichen Rede vorbehalten blieb, waren die Schrift und deren materielle Ausgestaltung für die Mitteilung zuständig, die bei den Empfängern für die Glaubwürdigkeit der Anwesenheitskommunikation, also der mündlich folgenden Informationen und deren Überbringer, warben. Auch im Kontext von Konflikten und Tagsatzungen wurde deutlich, dass die Inhalte eines Konfliktes nicht in den Missiven selbst verhandelt wurden, sondern als allgemeine Handlungsanweisungen formuliert blieben, die in Ver‐ trauens- und Bittsemantiken ausgedrückt wurden (Tuond in disen sachen daz best, als wir uech daz sunderlich wol getruewent  789 ). Zwar finden sich in akuten Konfliktsituationen auch explizite Verweise auf Dienst- und Gehorsamsvor‐ stellungen, deren Referenzrahmen die normativ gefassten landesrespektive stadtherrlichen Rechte waren. Solche Anweisungen sind in der Missivenkorre‐ spondenz allerdings in aller Regel an ausgewählte Amtleute gerichtet (Meier, Schaffner etc.). In diesem Kontext wurden die adressierten und involvierten Bieler Ämter anhand ihrer Konzeptionen in Eid- und Stadtbüchern untersucht. Dieser Blick auf die verschriftlichte Konzeption der Ämter eröffnete den Zugang zu Bezugsgrößen von kommunalen Ämtern (der statt nutzen), aber auch der Bezugsgröße der Huldigung gegenüber dem Bischof als Herrn (Gehorsam, von alter herkommen). Genau diese Bezugsgrößen tauchen in den Missiven als Referenzpunkte wieder auf. Während also die Anweisungssemantik in den Missiven die Begriffsfelder des Allgemeinnutzens, des Gehorsams oder der Tradition aufrief, wurden die fraglichen Sachverhalte in Anwesenheitskom‐ 265 2 Glaubwürdigkeit und Treue <?page no="266"?> munikation (Vorsprechen vor dem Rat, Tagsatzungen, Schiedsgerichte etc.) diskutiert und ausgehandelt. Damit kann die Vorstellung von spätmittelalterli‐ cher Herrschaftspraxis um einen weiteren Aspekt ergänzt werden: Herrschaft ausüben hieß in diesen Kommunikationssituationen nicht, eine spezifische Handlungsanleitung vorzuschreiben, sondern es wurde um Vertrauen und Treue geworben. Mit dem Verweis auf die geschuldete Treue wurde versucht, an geteilte Vorstellungen der beteiligten Akteure zu appellieren, was es hieß, sich zu verhalten, als sich gebuert oder als wir uch getruwen. 3 Erwartbarkeit und Flexibilität Das Was der Kommunikation - ihr konkreter ‚Inhalt‘, die Information - war also der Rede des Boten zu entnehmen, das Wie der Kommunikation - ihr ‚Ausdruck‘ - wurde zu wesentlichen Teilen in die Missiven verlagert. Schriftlichkeit und Mündlichkeit existierten also in einem Wechselverhältnis und Erstere ersetzte Letztere nicht einfach. Die Schrift ermöglichte Formen der Informati‐ onsverbreitung, aber auch des Vorenthaltens und Verzögerns. Daher ist immer wieder zu beobachten, wie Missivenkorrespondenz Anschlusskommunikation nicht nur ermöglichte, sondern oft auch forcierte. Dies wird einerseits durch endemische Aufforderungen zur antwort by disem botten deutlich, andererseits aber auch durch die Referenzen auf vorangegangene Kommunikation (als ir uns verschriben hant). Das intermediale Arrangement der Botschaft erhöhte dabei die Erwartbarkeit, ohne allzu verfahrensförmige Strukturen einzuziehen, die die Flexibilität eingeschränkt und das Herrscherhandeln in seiner (vermeintlichen) Freiheit begrenzt hätten. Als besonders gewinnbringender Zugang zur Gebrauchslogik von Missiven erwies sich die Analyse von Eigenbezeichnungen. ‚Missive‘ als Archivgutkate‐ gorie erfasst die aus der jeweiligen Kanzlei verschickten Sendbriefe. Die Ein‐ heitsbezeichnung ‚Missiven‘ entspringt jedoch einer frühneuzeitlichen Kanzlei- und Archivordnungslogik, die nicht mit der spätmittelalterlichen Gebrauchs‐ logik vereinbart werden kann. Im Gegensatz zu diesem von der Registratur geprägten Verständnis einer Einheitsordnung lassen sich für den Zeitraum zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und dem frühen 16. Jahrhundert bestimmte funktionale Differenzierungen in den Bezeichnungsweisen ausma‐ chen. Während zunächst noch die Bezeichnung brief dominierte, welche die mediale Nähe von Urkunden und Briefen verrät, wurde im 15. Jahrhundert in dieses Wortfeld eine Unterscheidung eingeführt: Brief wurde nun zum Terminus für das Objekt, das ausgestellt, überbracht und vorgezeigt wurde. Die schrift 266 Zusammenfassung <?page no="267"?> 790 Vgl. hierzu auch die Arbeit von U L L A K Y P T A zum englischen Schatzamt. Sie beschreibt dessen Funktionieren, Evolution und schließlich Organisation als Prozess „[v]on Autonomie zur Routine“, vgl. K Y P T A , Autonomie. bezog sich als Endonym auf die schriftlich fixierten Informationen. Als dritter Term schließlich verwies schriben auf die Kontinuität der Missivenkorrespon‐ denz, das heißt auf ein dem jeweiligen Brief vorangegangenes oder noch folgendes Schreiben. Die mittelalterliche Benennung geht also nicht von einer einheitlichen Terminologie für einen „Schrifttyp“ aus, sondern verdeutlicht in der Benennung die unterschiedlichen Gebrauchs- und Verweislogiken der Schreiben. Diese Ausdifferenzierung gesonderter Begriffe für den Text, das Schriftstück sowie für vorangegangene Kommunikationsakte deutet auf ein zunehmendes Bewusstsein der beteiligten Korrespondenten für die verschie‐ denen am Medienensemble Missive beteiligten Momente hin. Sie erhöhten die Komplexität der Korrespondenz, weil die Anschlusskommunikation nun am Inhalt, am Gegenstand oder auch an früheren Kommunikationsereignissen ansetzen (oder auch nicht ansetzen) konnte. Im Gegensatz dazu steht die Entwicklung der Missivenkorrespondenz in der Administrationskultur. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts begannen im Raum der heutigen Schweiz (gelehrte) Schriftlichkeitsexperten in den landesherrli‐ chen und kommunalen Kanzleien damit, Ordnungs- und Verweispraktiken zu adaptieren. Missivenbücher sollten zunächst Vorlagen bereithalten, dann aber auch die aus- und eingehende Korrespondenz systematisch verzeichnen. Mit dieser medialen Co-Entwicklung der Missivenbücher und den entsprechenden Ablagesystemen in den Kanzleien scheint sich auch der Archivguttypus ‚Mis‐ sive‘ durchgesetzt zu haben. Wie lässt sich aber die Etablierung der Botschaftskommunikation, die we‐ sentlich durch die Missivenkorrespondenz mitstrukturiert wurde, beschreiben, wenn man nicht eine Institutionalisierungs- oder Bürokratisierungsgeschichte erzählen will, die die kommunikativen und medialen Momente ausgeblendet? 790 Obwohl sich die Missivenkorrespondenz zu einem festen Bestandteil der herr‐ schaftlichen Kommunikationspraxis wandelte, zeigen die bislang gemachten Beobachtungen, dass es die Stärke der Missiven war, virulente Auseinanderset‐ zungen und mehr oder weniger offene Interessenskonflikte in kommunikative Strukturen zu überführen. Sie konnten dies, weil das Medienensemble der Botschaft eine flexible Alternative für die herrschaftliche Präsenz mit libe bot und sich relativ rasch als „Erfolgsmedium“ durchgesetzt hatte. Die Thematisierung eines Konfliktes in der Missivenkorrespondenz und die in der Folge gegebenenfalls erfolgende Ansetzung einer Tagsatzung hob die jeweilige Angelegenheit auf eine herrschaftliche Ebene. Konflikte oder 267 3 Erwartbarkeit und Flexibilität <?page no="268"?> Momente der Unklarheit waren zwar meist die Ursachen für die herrschaftliche Interaktion zwischen Bischof und Biel, der akute Schreibanlass lässt sich jedoch treffender als die jeweilige ‚Präsenzmachung‘ des abwesenden Herrschers be‐ zeichnen. Die Überführung in das Medienensemble der Botschaft kann dabei als verfahrensförmige Überführung in einen Prozess durch kommunikative Struk‐ turleistung beschrieben werden. Dabei zeigen gerade die Versuche, Antwort‐ kommunikation zu verzögern, der Verweis auf fehlerhafte oder nicht verfügbare Dokumente, dass diese Verfahrensförmigkeit der Missivenkorrespondenz das Herrschaftssystem nicht gegen Probleme immun machte. Auch wenn die Missi‐ venkorrespondenz die personelle oder repräsentierte Anwesenheit des Bischofs zu ersetzen begann, so schuf die Kontinuität der Missivenkorrespondenz eine ergänzende Form der Präsenz. War eine Angelegenheit auf Ebene der Missiven‐ korrespondenz angekommen, war es fast unmöglich, nicht zu kommunizieren. Anschlusskommunikation war damit nicht nur ermöglicht, sondern in der Kor‐ respondenzform gefordert. Die häufig verlangte antwurt bi disem boten verlieh dem Kommunikationsgebot zusätzlichen Nachdruck. In diesem Sinne wurden die Chancen der Nichtkommunikation stark vermindert und es finden sich kaum Hinweise darauf, dass sich ein Korrespondenzpartner der botenvermit‐ telten Kommunikation ganz entzog. Die in ganz unterschiedlichen Kontexten auftauchenden Verweise auf formale Fehler und fehlende Dokumente könnten damit womöglich als Anlässe identifiziert werden, um nicht direkt und konkret antworten zu müssen. Und der Bischof als Herr muss quasi die Kommunikation in Gang halten, weil sie das ist, was seine Anwesenheit immer wieder verbürgt. Bei aller Strukturbildungsleistung der Missivenkorrespondenz fällt die er‐ staunliche Flexibilität auf, mit der die Sendschreiben eingesetzt wurden: Sie be‐ gleiteten andere Schreiben, sie führten Personen ein, sie eröffneten Prozesse, sie ermöglichten eine rasche zeitnahe Information über Ereignisse, sie delegierten Aufgaben, kurz: Sie gewährleisteten eine immer verfügbare Adressierbarkeit. Die Herrschaft der Basler Bischöfe erscheint in den Missiven daher in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit. Denn Herrschaftsausübung hieß im vorliegenden bi‐ schöflichen Fall nicht zuletzt, sich den Gegebenheiten anpassen zu können und die Kommunikation aus ganz verschiedenen Anlässen bei sich zusammenlaufen zu lassen und zu garantieren. Und ein Mittel zu diesem Zweck waren die Missiven. Bischöfliche Herrschaftspraxis jenseits der etablierten Regionalgeschichte ist erst in den letzten Jahren als Untersuchungsfeld lanciert worden. A N D R E A S B IH R E R beobachtete in seinen Untersuchungen zum Konstanzer Bischofshof im 14. Jahrhundert drei zentrale Tendenzen, die die spätmittelalterliche bischöf‐ liche Herrschaftspraxis kennzeichnen: zunehmende Schriftlichkeit, Institutio‐ 268 Zusammenfassung <?page no="269"?> 791 Vgl. B I H R E R , Konstanzer Bischofshof, S. 208-272. nalisierung und Zentralisierung. 791 Die Analyse der Missivenkorrespondenz der Basler Bischöfe bestätigt diese Beobachtung, differenziert sie jedoch auch. Neben einem Anstieg der Schriftproduktion ab der Mitte des 15. Jahrhunderts und einem sich ausdifferenzierenden Spektrum an Schrifttypen bedeutet zu‐ nehmende Schriftlichkeit auch, dass diese in komplexe Interaktionsformen eingebunden wurde. Die Organisation von Kommunikation über Missiven korrelierte dabei mit Formen der Institutionalisierung und Zentralisierung. Institutionalisierungstendenzen zeigen sich vor allem beim Basler Domkapitel, dessen Interessen und Kontinuitätsbestrebungen dazu führten, dass das Kol‐ lektivgremium für die Bieler Führungsgruppe zu einem Akteur wurde, der - in der Regel - außerhalb der Missivenkorrespondenz wirkte. Die verstärkte Einflussnahme des Domkapitels fand gleichsam jenseits der etablierten kom‐ munikativen Strukturen zwischen Rat und Meier der Stadt Biel und dem bischöflichen Landesherrn statt. Zwar finden sich vermehrt Hinweise auf die Präsenz des Kapitels in der bischöflichen Herrschaftspraxis, aber stets vermit‐ telt über die bischöfliche Korrespondenz. Während die bisherige Forschung, angeregt durch die große Aufmerksamkeit für die symbolische Kommunikation, vor allem auf Rituale, Chronistik, Erinnerungsbildung, aber auch Formen der Architektur als Repräsentationsleistungen fokussiert hat, ermöglicht der Blick auf das Medienensemble der Botschaft den Prozess der Herrschaftsvermittlung und Formen der Integration unterschiedlicher herrschaftlicher Amtleute und Subjekte in herrschaftliche (kommunikative) Praktiken herauszuarbeiten. In der Missivenkorrespondenz verschwinden Akteure hinter Adressaten-/ Adres‐ sentenstrukturen und Beziehungen folgen Korrespondenzlogiken, die nicht unwesentlich von der jeweiligen Administrationskultur und ihren Praktiken ge‐ prägt waren. Während die Amtszeiten der Basler Bischöfe aus unterschiedlichen Gründen bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein oft nur wenige Jahre bis knapp ein Jahrzehnt umfassten, wurde die bischöfliche Verwaltung zwischen 1437 und 1509 von gerade einmal zwei Kanzlern - Wunnewald Heidelbeck und Jost Keller - organisiert und nachhaltig geprägt. Die Transponierung von herrschaftlichen Beziehungen in die Missivenkor‐ respondenz stellt selbstverständlich nur einen bestimmten Aspekt der Herr‐ schaftspraxis dar. Die Beobachtungen dieser Arbeit zeigen jedoch, dass sich dieses Medienensemble dauerhaft und damit auch sehr erfolgreich etablierte und dass es die Kommunikationsorganisation und die Kommunikationsspiel‐ räume nachhaltig beeinflusste. Die Dokumentation des Kommunikationsproz‐ esses, sowohl über die Missivenkorrespondenz als Botschaft in der Übertra‐ 269 3 Erwartbarkeit und Flexibilität <?page no="270"?> gungssituation, aber auch als aufbewahrte Dokumente, auf die zu späterem Zeitpunkt konkret verwiesen werden konnte, schuf Bedingungen eines diffe‐ renzierten Schrifthandelns mit Schriftstücken und deren Inhalten. Dabei darf jedoch der Aussagehorizont der bischöflichen Korrespondenz nicht überspannt werden. Das Basler bischöfliche Kommunikationsumfeld war vor allem dadurch geprägt, dass es die herrschaftliche Kommunikation unter den Bedingungen einer Bischofsherrschaft in einem kleinen, zunehmend bedrängten Territorium im Südosten des Juras auf Dauer zu stellen versuchte. Damit zeigt sich meines Erachtens auch der Gewinn, wenn Herrschaft als Praxis begriffen und die jeweils charakteristischen historischen Funktions- und Verfahrensweisen von Herrschaftsvermittlung untersucht werden. So lassen sich komplexe Effekte zwischen intermedialen Vermittlungslogiken spätmitte‐ lalterlicher Herrschaft auf der einen und Schrift- und Ämterordnungen auf der anderen Seite aufzeigen. Die medial-kommunikative Qualität der Missivenkor‐ respondenz wirkte integrierend auf die an der Herrschaft beteiligten Akteure und strukturierend auf das, was als Herrschaftsausübung verstanden wurde. Die Missiven gehörten zu den Medien von Herrschaft, die sich im asymmetri‐ schen, aber durchaus gegenseitigen Aushandeln von Handlungsspielräumen konstituierten, aber damit auch im Teilen, Austauschen und Vorenthalten von Informationen. Zentral ist dabei, dass Missiven nicht nur als Einzelschreiben an Bedeutung gewannen, sondern als Kommunikationszusammenhang. Damit trug die Missivenkorrespondenz zur kontinuierlichen Präsenzvermittlung der bischöflichen Herrschaft bei. Oder anders gewendet: Durch rekursive Kommu‐ nikation formierte und erhielt sich das soziale System der Herrschaft des (abwesenden) bischöflichen Herrn unter den Bedingungen der Anwesenheits‐ gesellschaft. Missiven sind keine Quellen, deren Inhalt man auswertet, sondern er‐ schließen sich nur in ihrer Rolle als Übertragungsmedium eines Kommunika‐ tionszusammenhangs. Auch wenn man also in Missiven auf den ersten Blick über wenig Inhaltliches informiert wird, was bestimmte sachen oder spaenn anbelangt, so zeigt sich die Missivenkorrespondenz doch erstaunlich mitteilsam, was die kommunikativen Eigenheiten und Entwicklungen der spätmittelalter‐ lichen Herrschaftspraxis anbelangt und verdeutlicht einmal mehr, wie nützlich diese „unnützen Papiere“ waren. 270 Zusammenfassung <?page no="271"?> Literaturangaben 1 Quellen 1.1 Ungedruckte Quellen Staatsarchiv Bern (StABE): StABE A V UP Unnütze Papiere (14.-18. 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Der Nachrichtenbrief vom Per‐ gamentzum Papierzeitalter, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 12 (2010), S. 3-60. 304 Literaturangaben <?page no="305"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Missivenbündel (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 1-13) . 57 Abbildung 2: Recto-Seite einer Missive (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 8r [1390]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Abbildung 3: Beispiel von Zierelementen bei der Adressierung auf der Verso-Seite einer Missive (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 153v [1472]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Abbildung 4: Anzahl bischöflicher Missiven an Biel pro Jahr zwischen 1384 bis 1508 (Quelle: eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . 90 Abbildung 5: Verteilung der überlieferten Missiven nach Ausstellungsmonaten (Quelle: eigene Darstellung) . . . . . . . 91 Abbildung 6: Verteilung der überlieferten Missiven nach Ausstellungswochentagen in % (Quelle: eigene Darstellung) 92 Abbildung 7: Lehenbuch des Bistum Basel. Angelegt unter Bischof Friedrich zu Rhein (1441) (Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Generallandesarchiv Karlsruhe, Hfk-Hs Nr. 133, fol. 1r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Abbildung 8: Das Lehenbuch von Bischof Gabriel von Eyb (um 1500) (Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Hochstift Eichstätt, Lehenbücher Nr. 8, Innenseite des Vorderdeckels) . . . . . . . . 96 Abbildung 9: Cedula (Quelle: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 170r) . . . . . . . . . 100 Abbildung 10: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265r (Missive) . . . . . . . . . . . . . . . 102 Abbildung 11: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265br (Zettel) . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Abbildung 12: StadtA Biel 1, 45, XXI, Nr. 265cr (Übersetzung des Zettels) 103 <?page no="306"?> Spätmittelalterstudien herausgegeben von Gadi Algazi, David Collins, Christian Hesse, Nikolas Jaspert, Hermann Kamp, Martin Kintzinger, Pierre Monnet, Joseph Morsel, Eva Schlotheuber, Hans-Joachim Schmidt, Gabriela Signori, Birgit Studt und Simon Teuscher Bisher sind erschienen: 2 Christof Rolker, Gabriela Signori (Hrsg.) Konkurrierende Zugehörigkeit(en) Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich 2010, 220 Seiten €[D] 29,00 ISBN 978-3-86764-285-9 3 Ludolf Kuchenbuch Die Neuwerker Bauern und ihre Nachbarn im 14. Jahrhundert 2013, 246 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-86764-430-3 4 Gabriela Signori (Hrsg.) Prekäre Ökonomien Schulden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit 2014, 270 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-86764-521-8 5 Gabriela Signori Schuldenwirtschaft Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel 2015, 186 Seiten €[D] 29,00 ISBN 978-3-86764-588-1 6 Andrea Berlin Magie am Hof der Herzöge von Burgund Aufstieg und Fall des Grafen von Étampes 2016, 308 Seiten €[D] 44,00 ISBN 978-3-86764-635-2 7 Tobias Hodel Schriftordnungen im Wandel Gebrauchs- und Aufbewahrungspraktiken von klösterlichem Schriftgut in Königsfelden (1300-1600) 2020, 317 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-7398-3060-5 8 Mirjam Reitmayer Entführung und Gefangenschaft Erfahrene Unfreiheit in gewaltsamen Konflikten anhand spätmittelalterlicher Selbstzeugnisse 2021, 489 Seiten €[D] 59,00 ISBN 978-3-7398-3107-7 9 Isabelle Schürch Bischöfliche Botschaften Missiven als Medien der spätmittelalterlichen Herrschaft (Biel 14.-16. Jahrhundert) 2022, 305 Seiten €[D] 44,00 ISBN 978-3-7398-3198-5 <?page no="307"?> Spätmittelalterstudien Im Raum der heutigen Schweiz wurden Missiven ab dem 14. Jahrhundert immer häufiger eingesetzt, um zwischen und innerhalb von Herrschaften zu kommunizieren. Die vorliegende Studie setzt bei dieser Praxis der Missivenkorrespondenz an, um damit einen Zugang zur Kommunikation und medialen Vermittlung von Herrschaft zu erschließen. Die Arbeit argumentiert dafür, Missiven als Medienensemble zu begreifen, über das Herrschaft zwischen den Korrespondenzpartnern verhandelt und organisiert wurde. Am Beispiel der Missivenkorrespondenz zwischen dem Basler Bischof als Landesherr und der Stadt Biel zwischen 1380 und 1525 nimmt die Untersuchung die sukzessive Umstellung von einzelnen Briefen hin zu einem kontinuierlichen Missivenkorrespondenzwesen über einen großen Zeitraum hinweg in den Blick. So lassen sich einem Brennglas gleich die medialen Bedingungen und medienbedingten Effekte von Herrschaftsausübung und ihrem Wandel genauer erkennen. Isabelle Schürch arbeitet als Assistentin (Postdoc) an der Abteilung für mittelalterliche Geschichte der Universität Bern. Nach der Promotion im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Mediality“ in Zürich war sie von 2015 bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Reinhart- Koselleck-Projekt „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ an der Universität Konstanz. Von 2020 bis 2021 hatte sie ein Marie Skłodowska Curie-Fellowship an der Universität Sheffield inne. ISBN 978-3-7398-3198-5 Isabelle Schürch Bischöfliche Botschaften Botschaften Isabelle Schürch Missiven als Medien der spätmittelalterlichen Herrschaft (Biel 14.-16. Jahrhundert) Bischöfliche