Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken
1128
2022
978-3-7398-8212-3
978-3-7398-3212-8
UVK Verlag
Peter Fassl
Corinna Malek
10.24053/9783739882123
Die Bier- und Wirtshauskultur bietet ein lohnendes Feld der sozial-, rechts- und kulturhistorischen Forschung. Das Brauen des Biers, die Produktionsverfahren, der Handel, der Ausschank in Wirtshäusern, die emotionale und gesellschaftliche Bedeutung von Gaststuben und Bierkonsum und der ökonomische Stellenwert der Brauwirtschaft werden in diesem Band anhand von bisher nicht erforschten Beispielen aus Schwaben und Franken ausführlich dargestellt.
Quellennah erarbeitete Studien zeigen die Produktion und den Konsum von Bier als wichtigen Faktor der lokalen und regionalen Wirtschaftsgeschichte. Darüber hinaus rekonstruieren sie epochenübergreifend den Gesamtkontext von Recht und Herrschaft. Das Recht, Bier zu brauen, auszuschenken und mit ihm Handel zu treiben, bot oft Anlass für heftige Konflikte, die zu blutigen "Bierkriegen" eskalieren konnten.
Die Beiträge dieses Bandes vermitteln einen instruktiven Blick auf ein ungemein vielfältiges Feld der bayerischen Landesgeschichte.
Dr. Peter Fassl war Heimatpfleger des Bezirks Schwaben.
Corinna Malek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heimatpflege des Bezirks Schwaben.
<?page no="0"?> Peter Fassl / Corinna Malek (Hg.) Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken <?page no="1"?> Peter Fassl / Corinna Malek (Hg.) Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken <?page no="2"?> IRSEER SCHRIFTEN Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte N.F. Band 15 Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker Schwabenakademie Irsee <?page no="3"?> Peter Fassl / Corinna Malek (Hg.) Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken UVK Verlag · München <?page no="4"?> © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8648-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Einbandmotiv: Bürgerliches Paar beim Biergenuss auf der Augsburger Jakober Kirchweih, Postkarte 1900. © Sammlung Häußler. Die Inschrift auf dem Bierfass: „Lass lattra, weil’s gleich is! “ bedeutet „Lass es fließen, weil es (eh schon) egal ist! “ (übersetzt von Dr. Werner König, Universität Augsburg). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739882123 © UVK Verlag 2022 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Satz: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen, München CPI books GmbH, Leck Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de ISSN 1619-3113 ISBN 978-3-7398-3212-8 (Print) ISBN 978-3-7398-8212-3 (ePDF) <?page no="5"?> Inhalt Vorwort (Bezirkstagspräsident Martin Sailer) ........................................................11 I. Einführung Peter Fassl/ Corinna Malek Einleitung ............................................................................................................15 II. Bier, Wirtshaus und Gesellschaft Peter Fassl Die Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben ..................................................29 1. Früh- und Hochmittelalter................................................................................29 2. Die Funktionen des Wirtshauses .......................................................................30 3. Frühe Neuzeit ...................................................................................................33 4. Das 19. und 20. Jahrhundert - ein Ausblick......................................................50 <?page no="6"?> Inhalt 6 Marita Krauss Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker - Annäherungen an eine Konsumgeschichte des Alkohols von der Frühen Neuzeit mit einem Ausblick bis heute ...........................................................................63 1. Tradition des Trinkens......................................................................................64 2. Obrigkeitliche Verbote und Maßhaltegebote .....................................................68 3. Wandel der Konsumpraktiken ..........................................................................73 Felix Guffler „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ - Bier im Spiegel der schwäbischen Physikatsberichte ...............................................81 1. Fragestellung .....................................................................................................82 2. Wer trinkt Bier? ................................................................................................83 3. Konfessionelle Unterschiede ..............................................................................89 4. Qualitätsunterschiede ........................................................................................90 5. Wirtshäuser, Brauereien, Preise .........................................................................93 6. Hopfenanbau ....................................................................................................94 7. Bier und Branntwein.........................................................................................95 8. Fazit..................................................................................................................96 Günter Dippold Wirtshaus und Verkehrswege .......................................................................101 1. Typen des frühneuzeitlichen Wirtshauses ........................................................101 2. Das Beispiel Bamberg......................................................................................102 3. Einkehr an der Geleitstraße .............................................................................104 4. An der Landstraße durch das obere Maintal ....................................................104 5. Der Sonderfall der Poststation.........................................................................106 6. Wirtshäuser an Wasserstraßen .........................................................................106 7. Konkurrenz für die Gastwirte ..........................................................................107 8. Land gegen Stadt.............................................................................................108 9. Gründe für und gegen die Einkehr an einem bestimmten Ort .........................109 10. Folgen des Chauseebaus ................................................................................110 <?page no="7"?> Inhalt 7 11. Die Eisenbahn und ihre Folgen .....................................................................111 12. Bahn und Bier...............................................................................................113 Felix Guffler Der Bierkonsum in Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts ..............119 1. Bier als Nahrungsmittel und Getränk ..............................................................119 2. Bier als Getränk bei besonderen Anlässen ........................................................121 3. Bier beim gemeinsamen Trinken.....................................................................125 4. Bier als Kulturelement.....................................................................................125 5. Bier und Gesundheit .......................................................................................126 Birgit Speckle Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 am Beispiel von Unterfranken .............................................................................................129 1. Das Dorfwirtshaus gestern und heute: Fakten und Bewertungen .....................129 2. Forschungsstand..............................................................................................134 3. Das Dorfwirtshaus 1950 bis 1970 ...................................................................135 4. Das Dorfwirtshaus gestern und heute: ein Fazit...............................................146 III. Recht und Herrschaft Wilhelm Liebhart Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebotes von 1516 ...........................................................................................................155 1. Landtag 1516 in Ingolstadt .............................................................................156 2. Bierartikel 1516 und 1520 ..............................................................................156 3. Das Reinheitsgebot und frühere Bierordnungen ..............................................159 4. Die Bedeutung des Reinheitsgebots und die weitere Entwicklung ...................161 <?page no="8"?> Inhalt 8 Alois Koch Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit ..........................165 1. Geschichte des Bierbrauens .............................................................................166 2. Das Braurecht .................................................................................................168 3. Braurecht im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern und in Reichsstädten ....169 4. Braurechte in Schwaben ..................................................................................171 5. Der Übergang in die Neuzeit ..........................................................................179 6. Fazit................................................................................................................179 Thomas J. Hagen Der Krieg ums Bier - das frühneuzeitliche Bierverlagsrecht zwischen herrschaftlicher Finanzquelle und kleinstädtischer Machtdemonstration. Eine Fallstudie am Beispiel des Ebermannstadt-Pretzfelder „Bierkriegs“ .........................................................................185 Corinna Malek Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg in Bayern und Bayerisch-Schwaben ......................................................................................215 1. Die Kriegsorganisation eines „bayerischen Nationalgewerbes“ - Rationierung und Bewirtschaftung ...............................................................217 2. Vom „flüssigen Brot“ zum „Dünnbier“ - Bierversorgung im Krieg ..................233 3. Der Bayerische Brauerbund und der Krieg.......................................................250 4. Resümee..........................................................................................................257 <?page no="9"?> Inhalt 9 IV. Regionale Bier- und Wirtshausgeschichte Hermann Bienen Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben bis zur Industrialisierung des Brauwesens im 19. Jahrhundert ............................271 1. Geschichtlicher Rückblick ...............................................................................271 2. Ein territorialer Überblick ...............................................................................274 3. Das Zunftwesen der Brauer .............................................................................278 4. Die Brautechnologie zwischen Mittelalter und der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts........................................................................................280 5. Die Biersorten in Bayerisch-Schwaben.............................................................283 6. Der Beruf des Bierbrauers................................................................................287 7. Der Beginn der Industrialisierung im Brauwesen .............................................289 Christian Schedler Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert ...............................................................................................295 1. Das Mindelheimer Brauwesen im 16. Jahrhundert ..........................................296 2. Das Brauwesen im Mindelheim des 17. Jahrhunderts ......................................300 3. Das Brauwesen im 18. Jahrhundert .................................................................303 4. Das Brauwesen im unruhigen 19. Jahrhundert ................................................305 Franz-Rasso Böck Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten ............................................313 1. Kuriosum Kempten.........................................................................................313 2. Von Cambodunum zum Kloster Kempten ......................................................313 3. Reichsstadt Kempten.......................................................................................315 4. Expansive Bierpolitik des Fürststifts Kempten .................................................316 5. Fürstabt Rupert von Bodman..........................................................................317 6. Martin Leichtle und der Aufbruch in eine neue Zeit .......................................319 7. Niedergang und Konzentration: Der Weg zum Allgäuer Brauhaus ..................321 <?page no="10"?> Inhalt 10 Corinna Malek Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben. Kemptens Brauereien im Ersten Weltkrieg .........................................................................................325 1. Kemptens Weg in die Moderne: Das Brauwesen im 19. und frühen 20. Jahrhundert ...............................................................................................325 2. Krieg! Kempten und die Heimatfront..............................................................335 3. Bierbewirtschaftung im Kleinen: Kemptens Brauwesen in der Kriegswirtschaft...............................................................................................339 Corinna Malek Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien ..................................347 1. Kaufbeuren und seine Brauereien am Vorabend des Ersten Weltkriegs ............348 2. Die Brauereien und der Krieg..........................................................................359 3. Kaufbeurer „Bierkönige“ und ihre Rolle in der Kriegswirtschaft ......................373 4. Resümee..........................................................................................................383 Felix Guffler Bierbrauen auf dem Land. Die Entwicklung der Brauereien in Zusmarshausen und ihre lokale Bedeutung ...............................................389 1. Die Brauereien ................................................................................................390 2. Die Brauerei- und Biergeschichte in der Frühen Neuzeit .................................391 3. Die Brauereien im 19. Jahrhundert .................................................................397 4. Brauereien und Bierpreis im frühen 20. Jahrhundert .......................................400 5. Resümee..........................................................................................................410 Ortsregister ......................................................................................................415 Personenregister .............................................................................................424 Brauerreiverzeichnis .......................................................................................429 <?page no="11"?> Liebe Leserinnen und Leser, in der heutigen Zeit des zunehmenden Wirtshaussterbens auf dem Land und dem Rückzug ins Private ist das Wirtshaus im Dorf und die örtliche Brauerei oftmals nur noch in unserer Erinnerung präsent. Die noch bestehenden Wirtshäuser, Wirte und Brauer sind zudem besonders von den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- Pandemie betroffen. Dabei ist mit den Wirtshäusern ein Stück Kulturgeschichte verbunden: Bier war schon seit dem Mittelalter ein wichtiges Nahrungsmittel und über Jahrhunderte sind Menschen in Wirtshäusern zusammengekommen, um sich auszutauschen. 2016 konnten wir in Bayern 500 Jahre Reinheitsgebot feiern. Ein Anlass, aus dem sich unsere Bezirksheimatpflege zusammen mit Kollegen der Bezirke Ober- und Unterfranken auf Spurensuche nach der Bier- und Wirtshauskultur in Bayerisch- Schwaben und Franken gemacht hat. Bereits 2010 widmete sich unser Bezirksmuseum in Oberschönenfeld den bayerisch-schwäbischen Wirtshäusern und Wirten im Rahmen der Ausstellung „Flüssiges Brot“, zu der auch eine Publikation erschienen ist. Auf der Grundlage dieses Bandes und anlässlich des Jubiläums zum Reinheitsgebot veranstaltete die Bezirksheimatpflege in Kooperation mit der Schwabenakademie Irsee im Herbst 2016 eine Tagung zu den Alltagsphänomen Wirtshaus und Bier. Der nun vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse dieser Tagung. Ähnlich wie gutes Bier, das entsprechend lagern muss, war auch die Ausarbeitung und Gewinnung der Forschungsergebnisse mit einem längeren Reifungsprozess verbunden. In dieser Zeit haben es die Beteiligten geschafft, in bisher kaum erforschte Bereiche der bayerisch-schwäbischen Bier- und Wirtshausgeschichte vorzudringen. Der Entstehungsprozess, bei dem auch eine gewisse Zeit und Hartnäckigkeit nötig waren, hat sich gelohnt: Ich freue mich, dass mit dem vorliegenden Band ein neues Grundlagenwerk zur Geschichte des Biers und der Wirtshäuser in Bayerisch-Schwaben geschaffen werden konnte. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre, in der Sie neue Aspekte unserer Wirtshaus- und Bierkultur in Bayerisch-Schwaben entdecken können. Ihr Martin Sailer Bezirkstagspräsident von Schwaben Vorsitzender der Schwabenakademie Irsee <?page no="13"?> I. Einführung <?page no="15"?> Einleitung Peter Fassl/ Corinna Malek Das fünfhundertjährige Jubiläum des bayerischen Reinheitsgebots, das für die Herstellung von Bier Malz, Hopfen und Wasser vorschrieb, führte 2016 zu einer ganzen Reihe von Publikationen, Veranstaltungen und Ausstellungen zur Biergeschichte. 1 Das Haus der Bayerischen Geschichte widmete dem Thema im Kloster Aldersbach die Ausstellung „Bier in Bayern“, in der Bier mit Bayern, dem Volk und der Lebensart in engste Verbindung gebracht, ja als eine „Facette des Selbstbewusstseins vieler Menschen in Bayern“ 2 bezeichnet wurde. Das Haus der Bayerischen Geschichte lud die bayerischen Bezirke ein, einen Beitrag zur Ausstellung zu leisten. Der Bezirk Schwaben nahm diese Angebot in Form einer wissenschaftlichen Tagung zur Bier- und Wirtshausgeschichte in Schwaben und Franken an, da Schwaben in der Ausstellung nicht behandelt wurde. Die für den Druck überarbeiteten Beiträge der Tagung sowie weitere Aufsätze werden hier vorgelegt. Die Identifikation von Bier und Bayern muss präzisiert werden. Seit 1803/ 06 gehören zu Staatsbayern auch Teile Frankens und Schwabens, deren Bevölkerung zwar ebenfalls Bier trinkt, aber, zumindest was Schwaben betrifft, in der Selbst- und Fremdbeschreibung sich mit Bier nicht identifiziert. Auch die bayerische Identifikation mit Bier ist, wie Gabriele Wolf zeigt, ein Konstrukt aus dem späten 19. Jahrhundert. Sie bezeichnet die „Identifikation“ als „einen imaginären Raum“, in dem „jede und jeder eintauchen kann, wie sie oder er gerne mag.“ 3 Schwaben und die Schwaben, die in Landesbeschreibungen seit dem 16. Jahrhundert häufig und im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich dargestellt wurden, haben dagegen keinen irgendwie typischen Bezug zum Bier. Eine Identifikation mit Bier läge fern. 4 Näher liegen für das Allgäu etwa die Verbindung mit Milch und für die übrigen Teile Schwabens mit Wein und Most. In den Landesbeschreibungen der Amtsärzte von 1860/ 61 werden 1 R IEPERTINGER / B ROCKHOFF / D REXEL / K UHN / N ADLER , Bier in Bayern; E YMOLD , Bier. Macht. München; H IRSCHFELDER / T RUMMER , Bier; W INKLER , Ein Bier wie Bayern; P URIN / H ARLAN- DER , Bier ist der Wein dieses Landes; W ÜST , Taverne und Bier; L ANG , Reichenhaller Reinheitsgebot; S CHEFFKNECHT , Reichsstadt und Bier. 2 W OLF , Helles und Dunkles, 45. 3 Ebd., 50. 4 F ASSL , Schwaben, Franken und Bayern, 315-317; K UHN , Oberschwaben, 51-113; Landesmuseum Württemberg, Die Schwaben; Tübinger Vereinigung für Volkskunde e.V., Schwabenbilder; G RAF , Aspekte zum Regionalismus in Schwaben und am Oberrhein; Q UARTHAL , Historisches Bewusstsein und politische Identität; G ERNDT , Stereotypvorstellungen im Alltagsleben; H EUBERGER / S UPPAN / V YSLONZIL , Das Bild vom Anderen. <?page no="16"?> Peter Fassl/ Corinna Malek 16 für die Schwaben die geistigen Fähigkeiten, die Sparsamkeit, das wirtschaftliche Interesse und die Aufgeschlossenheit für Neues hervorgehoben. 5 Die Forschungen zur schwäbischen Biergeschichte sind sporadisch und liegen zum Teil länger zurück. 6 Auf jeden Fall wurden zu den Themen Milch- und Weinwirtschaft wesentlich mehr und fundiertere Untersuchungen veröffentlicht als zur schwäbischen Bier- und Wirtshausgeschichte, die mit ihren frühesten Belegen in das 8. Jahrhundert zurückreicht. 7 Die vorliegenden Beiträge zur Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte von Bier und Wirtshaus bis zum Ende des Alten Reichs mit einem Blick auf das 19. und 20. Jahrhundert zeigen die von Altbayern unterschiedliche Entwicklung in Schwaben und Franken, mit ihren vielen kleinen und kleinsten Territorien und politischen Strukturen. Eine Biergeschichte Schwabens spiegelt diese herrschaftlichen Unterschiede, die bis zum Brauverfahren reichen. Das bayerische Reinheitsgebot von 1516 wurde in Schwaben zwar auch angewandt, galt aber rechtlich erst seit dem Übergang der schwäbischen (und fränkischen) Territorien an das Königreich Bayern. Peter Fassl vermittelt mit seiner Skizze zur Entwicklung der Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben deren Genese vom Frühmittelalter bis in unsere heutige Zeit. Schlaglichtartig stellt er einzelne wichtige Entwicklungsstadien vor, problematisiert und ordnet diese entsprechend ein. Anhand der lokalen Komplexität und Unterschiede stellt er einleitend fest, dass „eine Bier- und Wirtshausgeschichte von Bayerisch-Schwaben […] erst noch zu schreiben“ 8 ist und ein gewaltiges Unterfangen darstellt, das ein einzelner Autor nur schwer zu leisten vermag. Fassl Skizze bietet einen Einstieg in den vorliegenden Band, seine Erkenntnisse werden im Folgenden in einzelnen Beiträgen weiter vertieft. Marita Krauss gibt einen kulturgeschichtlichen Überblick über den Bier- und Weinkonsum vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Herausgearbeitet wird die gesellschaftliche Bedeutung des Trinkens, die Bewertung von Alkohol und Nüchtern- 5 F ASSL , Schwaben, Franken und Bayern, 311-356. 6 E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg; F IEDER , Flüssiges Brot; O STENRIEDER , Rund ums Bier; H EIDER / A DAM , Ehemalige Wirtschaften und Bierbrauereien; R OOS , Bier und ehemalige Brauereien; H OPFENSITZ , Roter Ochse, Grüner Baum und Goldene Sonne; T LUSTY , Bacchus und die bürgerliche Ordnung. 7 Exemplarisch zu Wein und Milch: W EBER , Weinbau, Weinhandel und Weinkonsum; DERS ., Weinbau und Weinhandel; P FERSCHY -M ALECZEK , Weinfälschung und Weinbehandlung; W ÜST , Regionale Konsumgeschichte; DERS ./ D ROSSBACH , Umwelt-, Klima- und Konsumgeschichte; J AKOB , Milch! ; L INDNER , Geschichte der Allgäuer Milchwirtschaft; T HIEL , Weißes Gold; K ETTEMANN , Droben im Allgäu; K OLB / K OHLER , Ostallgäu einst und jetzt, Bd. 2, 639- 738; H AISCH , Landkreis Unterallgäu, Bd. 1, 452-556; H IEMER , Carl Hirnbein; D ÖRFLER , Die Allgäu-Triologie. 8 Vgl. F ASSL in diesem Band, 29. <?page no="17"?> Einleitung 17 heit durch Humanisten, Reformatoren und Vertreter der bürgerlichen Schichten sowie die Feierkultur zu den verschiedenen Zeiten. Mit einem kurzen Ausblick auf die Gegenwart zeigt sie die bleibende Bedeutung des Themas: „Trinken ist gesellschaftlich erlaubt, Abhängigkeit gilt als Schwäche und sie gefährdet den Arbeitsertrag, der streng unter das Effizienz- und Erfolgsprinzip gestellt wird, schlägt das Feiern in die Abhängigkeit um, wird aus dem sozialen Trinker ein einsamer Alkoholiker […] Ehefrauen, Familien und Kollegen machen dieses Versteckspiel dann jahrelang mit und Ermahnungen helfen im 21. Jahrhundert ebenso wenig wie im 16. und 17. Jahrhundert.“ 9 Wilhelm Liebhart beschreibt die Entstehung des bayerischen Reinheitsgebotes im Landtagsabschied vom 24. April 1516 für das Herzogtum Bayern und seine Vorläufer in den verschiedenen Regionen. Seit dem 14. Jahrhundert war die Zugabe von antibakteriell wirkendem Hopfen, der das Bier besser haltbar machte, bekannt. Aber noch 1616 erlaubte das Baierische Landrecht die Zugabe weiterer Substanzen. Für Schwaben und Franken wurde das Reinheitsgebot erst im 19. Jahrhundert gesetzliche Grundlage. Alois Koch geht den Braurechten nach und kann für Schwaben unterschiedliche Modelle herausarbeiten: das allgemeine Recht, für den eigenen Bedarf zu brauen, die Gewerbekonzession in den Städten und das Recht des Grundherrn, ein Wirtshaus mit Braurecht zu errichten. Die vielfältige Situation ist bei einer Anzahl von über 150 selbstständigen Territorien und einer rechtlichen Zersplitterung selbst auf Dorfebene jeweils einzeln in den Blick zu nehmen. 10 Hermann Bienen, ein diplomierter Braumeister, macht auf die unterschiedlichen Brautraditionen und -verfahren in Schwaben und Bayern aufmerksam und beschreibt sie im Detail. Das in Schwaben übliche Weißbier war im Herzogtum Bayern ein Monopol der Fürsten (1602-1798). Bis in die 1860er Jahre wurde in Schwaben das sogenannte Setzverfahren angewendet. Das Bier muss hier tatsächlich anders geschmeckt haben als im Altbayerischen. Die aus den Quellen erarbeitete Mindelheimer Braugeschichte von Christian Schedler beginnt erst im 16. Jahrhundert, auch wenn sie, wie ein urkundlich schon früher bezeugtes Kloster in Mindelheim belegt, sicher älter ist und bis zum 20. Jahrhundert reicht. Hervorzuheben sind die von Schedler belegte Zusammenarbeit von Brauern und Bäckern, welche die Hefe von den Brauern erhielten, sodann die Konkurrenz der Jesuitenbrauerei mit den Stadtbrauern (Preis, Steuer, Qualität) und schließlich der Hopfenanbau im 19. Jahrhundert. In Mindelheim, wie in den meisten Orten, begann der Konzentrationsprozess im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. 9 Vgl. K RAUSS in diesem Band, 75. 10 H ERMANN , Reinheitsgebot von 1516, 24-35; R UPPRECHT , Bamberger Reinheitsgebot; L ANG , Reichenhaller Reinheitsgebot, 161-202. <?page no="18"?> Peter Fassl/ Corinna Malek 18 Franz Rasso Böck verweist in seinem Beitrag auf die frühen Spuren des klösterlichen Brauens in Füssen und Kempten, die durch die benediktinischen Traditionen (Columban, Magnus, St. Gallen) und durch die den Hopfenanbau belegenden Ortsnamen Hopferau, Hopferbach und Hopferried belegt sind. 11 In Kempten gelang es dem Fürststift im späten Mittelalter, die Vorrangstellung im Brauen gegenüber der Reichsstadt zu behaupten. Erst nach dem Ausgleich von 1525 zwischen Stift und Reichsstadt konnte sich das Braugewerbe in der Stadt entwickeln. Das Fürststift setzte durch die Brauordnung von 1674 das Braumonopol für das gesamte Stiftsgebiet durch. Sämtliche Wirtschaften mussten ihr Bier von der Stiftsbrauerei beziehen. 1680 wurde ein modernes Brauhaus errichtet, dessen Bier berühmt war. Der Konzentrationsprozess der Brauereien begann im späten 19. Jahrhundert und war mit dem Aufgehen der ehemaligen Stiftsbrauerei im Allgäuer Brauhaus 1921 abgeschlossen. Anhand der für ganz Bayern erhaltenen Berichte der Amtsärzte von 1860/ 61 über die Lebens- und Gesundheitsverhältnisse der Einwohner, eine Landeskunde, die vielfach auswertbar ist, untersucht Felix Guffler den gesellschaftlichen Stellenwert des Biers in Schwaben: „Wer trinkt Bier? “ Er kann zeigen, dass alle Schichten, Frauen wie Männer, Bier tranken, vor allem bei Festen, Feiern und am Sonntag. Weißbier wurde häufiger als das stärkere und teurere Braunbier getrunken, das sich ärmere Leute seltener leisten konnten. Der Bierkonsum war geringer als in Oberbayern und München. Das Hauptgetränk in Schwaben war Wasser. Memmingen und Lindau haben eine Weintradition. Im bikonfessionellen Schwaben tranken die Protestanten weniger und seltener Bier. Im Oberallgäu war der Wirtshausbesuch selten, ein Umstand, der neben wirtschaftlichen Gründen wohl auch der Vereinödung geschuldet war. 12 Die Umfrage des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde von 1908, eine volks- und landeskundliche Erhebung, ist weder flächendeckend vorhanden noch in der Dichte mit den Berichten der Amtsärzte vergleichbar. Dank der mühevollen Puzzlearbeit von Gerhard Willi steht sie für Schwaben zur Verfügung. 13 Felix Guffler belegt, dass das Bier als Nahrungsmittel und wichtigstes Getränk weiter an Bedeutung gewonnen und in manchen Gegenden die Milch verdrängt hat. Im gesellschaftlichen und beruflichen Leben, bei Feiern und Festen war das Bier ein fester Bestandteil. Zahlreiche Riten und Bräuche, Erzählungen und Geschichten ranken sich 11 Vgl. aber VON R EITZENSTEIN , Lexikon schwäbischer Ortsnamen, 183f. 12 Vgl. die einleitenden Bemerkungen von Peter Fassl in den folgenden Bänden: W ILLI , Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreise Lindau und Oberallgäu, 23; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen „Entlang der Iller“, 13-15; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreise Unterallgäu und Ostallgäu, 220; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreis Günzburg, 337f., 356; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreis Dillingen, 117-119, 121f. 13 W ILLI , Alltag und Brauch. <?page no="19"?> Einleitung 19 um das Bier. Kritik begegnet nur, wenn der Weg vom Bier zum Schnaps führte, das Bier von schlechter Qualität war und im Übermaß getrunken wurde. Die wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Studie von Felix Guffler behandelt das Brauwesen im hochstiftisch-augsburgischen Marktort Zusmarshausen von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Sie zeigt die rechtliche Verdichtung im Brauwesen nach dem Dreißigjährigen Krieg - zuvor konnte jedermann Bier ausschenken -, den Kampf um ein hochstiftisches Biermonopol, die fiskalische Bedeutung der Biersteuer und das Recht eines in Zusmarshausen ansässigen Grundherren auf sein eigenes Wirtshaus. Im 19. Jahrhundert belegte die Marktgemeinde Importbier (nach Zusmarshausen) mit einer Biersteuer und förderte damit den Absatz der eigenen Brauereien. Die wichtigste Modernisierung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bestand in der Anlage von Bierkellern, um Braunbier kühl lagern zu können. Eine Erfolgsgeschichte schrieb das Unternehmen Schwarzbräu, das bereits um 1900 13 Dörfer mit Bier belieferte und den Ersten Weltkrieg sowie die schwierigen 1920er Jahre als einzige Brauerei erfolgreich überlebte. Die grundlegende Studie von Corinna Malek über die Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg erläutert zunächst die Entwicklung der Zuständigkeiten der Zwangswirtschaft auf Reichsebene, das eigenständige bayerische Versorgungssystem und die Bedeutung der Kommunalverbände, also das Nebeneinander von staatlichzivilen und militärischen Dienststellen sowie den Einfluss des Bayerischen Brauerbundes - ein labyrinthisches System, das, wie in anderen Bereichen der Kriegswirtschaft, vermutlich auch zu einem Schwarzmarkt führte. Die Verwendung von Braugerste wurde ab 1. April 1915 auf 60 Prozent des Vorkriegsniveaus reduziert und sank bis November 1917 auf 15 Prozent in Bayern - fünf Prozent mehr als auf Reichsebene. Die Bewirtschaftung regelte die militärische Bayerische Bierstelle in München von 1916 bis 1921. Die bayerischen Truppen wurden autark mit bayerischem Bier versorgt. Die Verdünnung und Verknappung des Biers führte in Bayern zu Protesten, für Schwerarbeiter und Erntearbeiter wurden 1916 Sonderregelungen geschaffen. Ab April 1917 bestand eine umfassende Bewirtschaftung des Biers. Die letzte Bierverdünnung vom 2. Januar 1918 setzte eine Stammwürze von 3,5 Prozent fest. Bierersatzgetränke, nach dem Reinheitsgebot hergestellt, wurden ab 1917 mit einer Stammwürze von 1,5 Prozent produziert. Die Interessen der Brauer vertrat der Bayerische Brauerbund, in dem für Schwaben der Verein Augsburger Brauereien e. V. und die Allgäuer Brauereivereinigung wirkten. Am Beispiel von Kempten beschreibt Corinna Malek die Genese des Kemptener Brauwesens im 19. und frühen 20. Jahrhundert und knüpft damit an die lokale Kemptener Biergeschichte Franz Rasso Böcks an, sodass ein nahezu lückenloser Überblick von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert gegeben ist. Sie blickt schließlich auf die lokale Kriegssituation zwischen 1914 und 1918 am Wirken des 1915 gegrün- <?page no="20"?> Peter Fassl/ Corinna Malek 20 deten Kommunalverbandes Kempten-Stadt. Der Studie von Malek gelingt es, die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten in einem nahezu unübersichtlichen Wirrwarr von Zuständigkeiten und Verwaltungsabläufen im Kriegsverlauf transparent darzustellen und damit einen Beitrag zur Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg und zur bayerischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu leisten, auf bayerischer wie auch auf lokal-schwäbischer Ebene. Die umfangreiche aus den Quellen gearbeitete Brauereigeschichte von Kaufbeuren im 19. und 20. Jahrhundert von Corinna Malek, mit Schwerpunkt auf der Zeit des Ersten Weltkriegs, ist im Zusammenhang mit ihrer Studie über die Kriegswirtschaft und Kempten im Ersten Weltkrieg zu sehen. In Kaufbeuren bestanden 1914 drei größere und zwei kleinere Brauereien, die die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich überlebten. Der Verbrauch von Braugerste sank durch die Zwangswirtschaft von 27.322 Doppelzentnern 1913 auf 4.992 Doppelzentner 1918. Dennoch gelang es den größeren Brauereien durch den Zukauf ganzer Brauereien ihre Kontingente an Braugerste zu erhöhen und die personellen und technischen Probleme zu bewältigen. Einzelne Betriebe konnten sich sogar modernisieren und erweitern beziehungsweise es gelang ihnen, eine durchgehende Dividende von fünf Prozent auszuzahlen. Vier der fünf Betriebe waren an den Heereslieferungen beteiligt. In der Allgäuer Brauereivereinigung waren die Kaufbeurer ab 1915 führend tätig. Welchen Einfluss diese Beratungstätigkeit letztlich auf die Kaufbeurer Brauereien nahm, lässt sich nicht sicher beurteilen. Auf jeden Fall kamen die größeren Brauereien „relativ stabil und unbeschadet“ 14 durch den Ersten Weltkrieg. Souverän skizziert Günter Dippold die Bier- und Wirtshausgeschichte im Hochstift Bamberg und in Oberfranken auf der Basis der Lage der Wirtshäuser an den Verkehrswegen. Er zeigt, welche grundlegende Bedeutung Handel und Verkehr für das über den örtlichen Bedarf hinausgehende Gastgewerbe hatte. Die innerörtliche Lage entlang der Hauptstraße, sodann die Lage an Fernstraßen, Landstraßen, Grenzen, Poststationen, Floßhäfen und bei Wallfahrtsorten werden dargestellt, ebenso wie der Wandel durch den Eisenbahnbau, später den Straßenbau sowie die Errichtung von Ausflugsgaststätten im 19. Jahrhundert: eine anschaulich beschriebene Landesgeschichte en miniature auf der Basis des Gastgewerbes. Der Beitrag von Birgit Speckle fußt auf einer bis ins Jahr 2002 zurückgehenden kontinuierlichen Forschung zur Entwicklung und Ausstattung der Dorfwirtschaften in Unterfranken im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf den 1950er und 1960er Jahren, 15 einer Zeit, in der das Wirtshaus noch Mittelpunkt des sozialen und kulturellen Lebens im Dorf war. An den Einrichtungsgegenständen kann Speckle den gesellschaftlichen Wandel und die Modernisierung der Gastwirtschaften (Telefon, Post, 14 M ALEK , Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien, 383. 15 S PECKLE , Schafkopf und Musikbox; dazu ferner B AUER , Musik auf Knopfdruck. <?page no="21"?> Einleitung 21 Musikbox, Spielgeräte, Fernseher etc.) zeigen. Detailliert werden die Gründe für das Verschwinden vieler Dorfwirtschaften sowie neue Möglichkeiten zur Wiederbelebung genannt. Die skizzierte Bedeutung und der Funktionswandel der Wirtshäuser spiegeln den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel. Thomas J. Hagen beschreibt den Kampf um das Biermonopol im Hochstift Bamberg am Beispiel der mit einem Bierbannbezirk privilegierten Landstädte gegen die ritterschaftlichen Dörfer in der Umgebung. Die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Ebermannstadt und dem ritterschaftlichen Dorf Pretzfeld dauerte vom 16. bis zum 18. Jahrhundert und konnte auch durch Schiedssprüche des Reichshofrats nicht endgültig befriedigt werden. Letztlich entschied die stärkere politische Macht und dies war ab 1803 Bayern, welche das Biermonopol aufhob. Hagen sieht in dem Recht vieler Dörfer auf das mit Mühe errungene eigene Bier einen Grund für die noch heute bestehende Vielzahl kleiner Brauereien in Oberfranken, da sich hier Selbstbehauptung, Erinnerungskultur und Eigenständigkeit mit dem Bierbrauen verbinden. Die vorliegenden Beiträge verweisen auf Grundstrukturen der Bier- und Wirtshausgeschichte in Schwaben und Franken. Die Herstellung von Bier und das Wirtshaus sind kapitalintensiv, finanziell einträglich, verlangen ein hohes Fachwissen und sind daher für die jeweiligen Herrschaftsinhaber von hohem Interesse. Um die Marktposition wurde gestritten und ihre Erweiterung angestrebt. Die kleinen politischen Strukturen in Schwaben führten zu unterschiedlichen Modellen. Die dörfliche und städtische Funktion des Wirtshauses als Ort des Zusammenkommens, des Feierns, der Politik, der Kommunikation, des Wirtschafts- und Rechtslebens, der Kultur und des Warenhandels kann kaum überschätzt werden. Diese Bedeutung verringerte sich im 19. Jahrhundert und schwand ab den 1960er Jahren. Neue Perspektiven bilden der Fremdenverkehr, die Freizeitkultur sowie - seit eh und je - Essen und Trinken und das Bedürfnis nach geselligem Beisammensein ohne eigene Anstrengung. Literatur B AUER , M ARKUS : Musik auf Knopfdruck - die Musikbox. 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Bier, Wirtshaus und Gesellschaft <?page no="29"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze Peter Fassl Eine Bier- und Wirtshausgeschichte von Bayerisch-Schwaben ist erst noch zu schreiben und würde wegen der politischen Kleinstrukturierung Ostschwabens im Alten Reich aus einer Geschichte der Städte und Märkte, der Klöster und der adligen Herrschaften bestehen. In den meisten Stadt- und Dorfgeschichten werden die Brauereien und Wirtshäuser im Bereich der Wirtschaftsgeschichte erwähnt. Die Bände des Historischen Atlas von Schwaben benennen in der Statistik die Situation um 1800 und geben teilweise Hinweise auf ihre Rechtsstellung. Die für Schwaben editierten Urkundenbücher und Urbare sowie die Dorf- und Policeyordnungen beschreiben die rechtliche und besitzgeschichtliche Situation. Für einzelne Brauereien 1 und Hotels 2 liegen historische Darstellungen vor. Die folgende Skizze zeigt Aspekte dieser Geschichte unter wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Gesichtspunkten und mag zu vertieften Forschungen anregen. 1. Früh- und Hochmittelalter In der um 720 entstandenen Lex Alamannorum sind die Kirchensklaven („servi“) verpflichtet, unter anderem 15 Maß Bier („siglas de cervisa“) als Abgabe zu entrichten. 3 Der um 830 in Kloster Reichenau (gegründet 724) gezeichnete St. Gallener Klosterplan zeigt beispielhaft (idealtypisch) die Einrichtung eines Klosters der Zeit. Bier und Brot waren alltägliche Nahrungsmittel. Es gab jeweils - räumlich getrennt - eine Bäckerei und eine Brauerei für Pilger, für vornehme Gäste und für den Konvent. Bei der Brauerei bestand ein Raum zur Kühlung des Biers. 4 Dichter werden die Belege ab der Jahrtausendwende. Das Augsburger Kloster St. Ulrich und Afra erhielt 1030 den Brückenzoll über den Lech, der detailliert die Warentaxen unter anderem auch für Bier enthielt. 5 Im ältesten Urbar des Kloster von 1 Allgäuer Brauhaus, 600 Jahre Allgäuer Brauhaus; B RANDNER , Altes und Neues Stiftsbrauhaus in Kempten; S CHILLER , Brauhaus Riegele; B RAUEREI R IEGELE , Riegele BrauWelt; E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg. 2 W IERCINSKI , Hotel Drei Mohren Augsburg. 3 S CHOTT , Lex Alamannorum, Kap 20/ 21. 4 D UFT , Der karolingische Klosterplan von St. Gallen, 23. 5 M ÜNTEFERING , Die Traditionen und das älteste Urbar, Tradition Nr. 2. <?page no="30"?> Peter Fassl 30 1175 werden eine „taberna“ und eine Mühle in Prittriching genannt. 6 21 Mal werden in dem Urbar Bierabgaben erwähnt. In Augsburg erhielt der Stadtvogt zehn Eimer Bier und drei Eimer Wein. 7 Das erste Stadtrecht Augsburgs aus dem Jahre 1156 enthält Vorschriften zum maßgerechtem Verkauf von Bier und zum Umgang mit schlechtem Bier. 8 Die Belege für Wirtshäuser und Tavernen auf dem Land werden ab dem 13. Jahrhundert häufiger. So werden 1244 zwei Tavernen in Wittislingen, eine Taverne 1273 in Kleinerdlingen, 1281 in Wechingen, um 1285 in Hürnheim, 1288 in Drosselfingen und vor 1320 weitere in Möttingen, Kleinsorheim und Fellheim genannt. 9 Eine Stiftung für das Heilig-Geist-Spital Kaufbeuren 1308 gewährte den Insassen von Fasnacht bis acht Tage nach Ostern Bier und Roggenbrot. 10 Die Dorf- und Ehaftordnungen ab dem 15. Jahrhundert lassen die Bedeutung und die Funktionen des Wirtshauses im Spätmittelalter erkennen. Allein in den Ehaften des Rieses werden sie 20 Mal beschrieben. Das Braurecht, das Recht Bier auszuschenken, Gäste zu bewirten und zu beherbergen, ist an die Grundherrschaft gekoppelt. Brauerei und Wirtshaus sind oft verbunden, können aber auch getrennt vorkommen. In den Städten und Märkten sind die Brauer und Wirte in die örtliche Gewerbeordnung bzw. das Zunftsystem eingebunden. Gibt es an einem Ort kein Wirtshaus, ist es jedem erlaubt selbst zu brauen, 11 es sei denn, es gelten Bannrechte. 12 2. Die Funktionen des Wirtshauses 2.1. Essen und Trinken Das Wirtshaus 13 hatte das Recht, Bier, Wein und Most auszuschenken, aber auch die Pflicht diese Getränke, etwa Wein für Kindbetterinnen, vorzuhalten. Des Weiteren bot es den Gästen Fleisch, Fisch und Brot sowie die Möglichkeit zu übernachten. Den 6 Ebd., 153. 7 V OCK , Urkunden des Hochstifts Augsburg, Nr. 16. 8 Ebd., Nr. 30. 9 D ERTSCH / W ULZ , Urkunden der Fürstl. Oettingischen Archive in Wallerstein und Oettingen, Nr. 59, Nr. 100, Nr. 135; H OFFMANN , Urkunden des Reichsstifts Kaisheim; H OPFENSITZ , Roter Ochse, Grüner Baum und Goldene Sonne. 10 D ERTSCH , Urkunden der Stadt Kaufbeuren, Nr. 45. 11 V ON T RAUCHBURG , Ehehaften und Dorfordnungen, 349. 12 Ebd., 348-359; zum Folgenden siehe S TEINER , Ländliche Rechtsquellen aus dem Allgäu; B RENNER , Ländliche Rechtsquellen aus der Grafschaft Oettingen; F RIED , Die ländlichen Rechtsquellen aus den pfalzneuburgischen Ämtern; F LEINER , Die Dorfordnung von Kutzenhausen 1553; B LICKLE , Die Dorfgerichtsordnung von 1553; H OFGÄRTNER , Zur Geschichte der Klosterhofmark Gempfing, 93-120; W ÜST , Das konfessionalisierte und verrechtlichte Dorfleben, 349-360; P ÖTZL , Herrschaftsgeschichte, 173-185. 13 Siehe Anm. 12. <?page no="31"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 31 übrigen Dorfbewohnern war dies meist verboten. In Orten mit Bäckern und Metzgern galten andere Regeln bzw. es kam zu Auseinandersetzungen: Durfte der Wirt eigenes Brot und selbstgeschlachtete Tiere anbieten, dann teilweise für die Gäste oder auch für Käufer? 2.2. Beherbergung Nur der Wirt hatte das Recht, Reisende zu beherbergen. Dafür gab es eigene Räume, für die Pferde Ställe. In den Kriegszeiten fanden die Einquartierungen zunächst in den Gasthäusern statt, welche die Soldaten ja auch zu verköstigen hatten. 14 Vereinzelt war mit dem Wirtshaus eine Backstube verbunden. 2.3. Warenhandel Neben dem Verkauf von Brot, Bier und Wein hatten die Wirtshäuser Krämerwaren anzubieten, die gewissermaßen den Grundbedarf der Einwohner deckten, wie Salz, Schmalz, Fett, Talg, Kerzen, Seile, Zaumzeug, Nägel, Eisen etc. 2.4. Rechts- und Verwaltungsgeschäfte, Handel In Orten ohne Amtshaus fanden alle Rechts- und Verwaltungsgeschäfte im Wirtshaus statt. Hier tagten das Herrschaftsgericht, das Dorfgericht und das Schiedsgericht, wurden Handelsgeschäfte abgeschlossen. Die jährlichen bzw. regelmäßigen Zusammenkünfte von Zünften, Stiftungen, der Gemeinde sowie weiterer Institutionen, wie das Armenhaus oder das Waisenhaus, fanden, verbunden mit Rechnungsablage und Wahlen, im Wirtshaus statt: kurz, jedes private und öffentliche Geschäft, das in der Regel mit einem Umtrunk besiegelt wurde. Daneben diente das Wirtshaus auch als Pfandhaus. 2.5. Ort der Zünfte Die Zünfte und Gesellenvereinigungen hatten bestimmte Wirtshäuser, in denen sie zusammenkamen, die aber auch den wandernden Gesellen Herberge boten. Die Zunftstuben befanden sich im Wirtshaus. 14 Beispielhaft sei genannt Lorenz Aloys Gerhauser aus Aichach, vgl. Stadtmuseum Aichach, Lorenz Aloys Gerhauser. <?page no="32"?> Peter Fassl 32 2.6. Ort des geselligen und gesellschaftlichen Lebens Das Wirtshaus war der soziale Mittelpunkt des Dorfes, man traf sich hier an Sonn- und Feiertagen, zu bestimmten Zeiten und gemäß dem sozialen Stand. Alle Feiern und Feste fanden im Wirtshaus statt. Neuigkeiten erfuhr man im Wirtshaus, hier konnte man sich besprechen und erholen. Nur im Wirtshaus konnte man tanzen, traten Musikanten auf und durfte man spielen (Karten, Kegeln). Nur Wirte waren in der Lage größere Veranstaltungen durchzuführen. In der Regel war mit dem Wirtshaus eine Landwirtschaft verbunden. Für die Grundherren waren die Wirte die einträglichsten Steuerzahler. 2.7. Kommunikatives Zentrum Über die Post- und Verkehrswege war das Wirtshaus das kommunikative Zentrum des Ortes. Bestellungen, Briefe und Sendungen konnte man hier aufgeben. Neben der Post gab es Boten und Transportmöglichkeiten. Alle Informationen liefen hier zusammen. Die Wirte hatten einen Informationsvorsprung. In den gehobenen Wirtshäusern, in Märkten und Städten lagen im 18. Jahrhundert Zeitungen aus. 2.8. Wirtshausordnungen Es liegt auf der Hand, dass eine so starke wirtschaftliche und soziale Stellung, wie sie dem Wirtshaus in der Regel zukam, nach einer Ordnung verlangte, zumal hier auch die üblichen Hygienevorschriften (Bier, Fleisch) zu beachten waren. Zunächst wurden in den Ordnungen die verschiedenen Rechte benannt: Brauen, Ausschank, Bewirtung, Beherbergung, Bäckerei, Metzgerei, Branntweinherstellung, Verkauf von Krämerwaren. Die Öffnungszeiten im Winter und Sommer waren festgelegt (häufig bis 20 oder 22 Uhr). In manchen Orten war wochentags nur bei besonderen Gelegenheiten geöffnet. Die Maße mussten geeicht, es musste auf Reinlichkeit geachtet werden, der Bierpreis war festgesetzt, das Panschen natürlich verboten. Beim Spielen wurden die Höchsteinsätze festgesetzt, gegen Auswüchse (Saufen, Raufen) wurde eingeschritten. Wein und Bier waren mit einer Verbrauchssteuer belegt. Zwanghafte Trinksitten, wie das Zutrinken, sollten unterlassen werden. Die Wirtshäuser wurden visitiert, die Hygienevorschriften überprüft. Die in den Ordnungen und in den Gerichtsprotokollen belegten Auswüchse sind differenziert zu sehen und können nicht verallgemeinert werden. Sie bezeugen zum einen nicht die Regel, zum anderen waren die Wirtshäuser für die dörflichen Unterschichten zu teuer für den regelmäßigen Besuch. Sie wurden nur an besonderen Feiertagen wie dem Kirchweihfest aufgesucht. <?page no="33"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 33 3. Frühe Neuzeit 3.1. Die rechtliche Zersplitterung - das Beispiel Langenhaslach Das Dorf Langenhaslach besaß nach der Landesbeschreibung von Johann Lambert Kolleffel 69 Feuerstellen, darunter zwei Bräustätten. 61 Anwesen gehörten dem Reichsstift Ursberg, sieben den Freiherren von Vöhlin in Neuburg an der Kammel und eine dem Damenstift Edelstetten. Das Hochgericht besaß die Markgrafschaft Burgau, das Niedergericht lag bei den jeweiligen Grundherren. Es lag also eine grundherrschaftlich geteilte Situation vor, wie sie in den meisten Orten Schwabens anzutreffen war. 1785 erließ das Reichsstift Ursberg für sein Wirtshaus einen Tafernbrief, nach dem die ursbergischen Untertanen verpflichtet waren, die öffentlichen und rechtlichen Geschäfte im stiftischen Wirtshaus durchzuführen. Dies wurde bis ins Einzelne geregelt, wodurch dem Wirtshaus gewissermaßen ein Amtscharakter zukam. Auch hier wurde das besondere fiskalische Interesse deutlich: „Erstens alle Hochzeiten, Stuhlvesten, Gerichts, Gemeinds- und Herrschafts Zöhrungen, Weeber Handwerks und andere Zunften, wenn deren noch mehrere in Haßlach ihre Niederlag errichten sollten, nicht minder alle Neu-Jahrs, Kirchweih, Faßnachts und anderen Jahrszeiten und Tänze, auch alle Leykaufe liegend und fahrender Güter, Kinds-Tauf und Todten Suppen, wenn sie nicht in eigenem Hauß gehalten werden, nirgend verzört werden sollen, als auf dieser Tafern, und erstreckt sich Zweytens diese Freyheit in betreff der Gemeinde, und Handwerks auch Herrschaftszöhrungen, in so weit letztere von allhießiger Herrschaft angeschaft werden auch die von Vöhlin Neuburgischen Unterthanen als Gemeindsgenossen auch den allgemeinen Herrschaftlich Ursbergischen Schuz mit geniessen, wenn aber Drittens bey Hochzeiten, und Stuhl-Vesten auch ein Neuburgischer Unterthan mit verfangen ist, so solle die Stuhlvöste da, wo die Braut her ist, und die Hochzeit, wo die neuen Eheleute ihre Wohnung aufschlagen, gehalten werden. Ist hingegen Viertens die Hochzeiterin Neuburgisch und der Hochzeiter Ursbergisch machen sich herentgegen im Neuburgischen ansässig, so ist die Hochzeit zwar im Vöhlischen Wirtshauß, die Stuhlveste aber in der Ursbergischen Tafern zu halten. Wenn Fünftens Ley- oder Rey-Kauf zu vertrinken sind, wo auch ein Neuburgischer Unterthan mit contrahierender Teil ist, so haben die Contrahenten die Wahl, wo sie trinken wollen, so steht auch sechstens allen Ursbergischen Unterthanen frey, für sich selbst in dem hiessigen oder Vöhlischen Würtshauß zu zöhren, wenn solches nur ohne Nachtheil der vorgehenden Artikel und nicht in Gestalt einer Gesellschaft in fraudem legis [Verachtung hiesiger Verordnung] geschiehet und sollen absonderlich siebtens die ledige pursch an der Kirchweih, Fasnacht, Neuen Jahr und anderen dergleichen Zeiten nirgend als auf der hiessigen Tafern zu Danzen sich unterfangen achtens ist allen Ursbergischen Unterthanen verb- <?page no="34"?> Peter Fassl 34 Abb. 1: Lage der Wirtshäuser in Bobingen; Kießling, Im Spannungsfeld von Land und Stadt. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte im alten Reich, in: Pötzl, Wüst (Hrsg.): Bobingen und seine Geschichte, 244. <?page no="35"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 35 otten aus dem Vöhlichen Wirtshauß Bier über die Gassen oder fäßlein-weis zu hollen. neuntens darf der Inhaber dieser Tafern für seinen Hausgebrauch bachen, Mazgen, dafür aber und für das Brandwein brennen hat er jährlich zwei Gulden weiter auf die Herbstgefäll zu bezahlen.“ 15 3.2. Die Lage der Wirtshäuser Die Kartierung der Wirtshäuser in Augsburg, in den Marktorten Bobingen, Thannhausen, Wertingen und Jettingen zeigt die Lage an den Hauptstraßen, den Durchgangsstraßen sowie zentral gelegen in der Ortsmitte. In Augsburg gab es zudem eine sozialtopographische Differenzierung, die Gastgeber und Weinwirte lagen größtenteils in der Oberstadt zwischen St. Ulrich und dem Rathaus. Auch in Jettingen wird unterschieden zwischen „2 gute wohlgebaute neben andern geringern Wirthshäusern.“ 16 Hier wurden zudem „starcke Hopfengärten“ 17 erwähnt. Die sprichwörtliche Nähe von Kirche und Wirtshaus zeigt sich fast überall. In kleineren Orten, wie Ederheim, Hürnheim, Margertshausen, Döpshofen, ist die Situation unterschiedlich: einmal zentral gelegen, einmal am Rand, immer aber an einer Straße. In der Kartierung von Margertshausen ist bei dem Wirtshaus sogar ein Brunnen und ein Hopfengarten zu erkennen. 18 15 J ÖRG , Von Bauern, Zünften und Gewerbeleuten, 124. 16 K OLLEFFEL , Schwäbische Städte und Dörfer, 182. 17 Ebd. 18 T LUSTY , Bacchus und die bürgerliche Ordnung, 38; P ÖTZL / W ÜST , Bobingen und seine Geschichte, 244; B ECK , Chronik Ederheim, Hürnheim, Christgarten, 358, 572, 638; K OLLEF- FEL , Schwäbische Städte und Dörfer, 78, 182, 256; P ÖTZL , Märkte, Dörfer, Weiler, Einöden, 436f. <?page no="36"?> Peter Fassl 36 Abb. 2: Augsburger Weinwirte und Gastgeber; Tlusty, Bacchus und die bürgerliche Ordnung, 38. <?page no="37"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 37 Abb. 3: Ortsplan Thannhausens um 1750 von Johann Lambert Kolleffel; Österreichisches Staatsarchiv, Geographische und topographische Beschreibung der reichsgefürsteten Markgrafschaft Burgau (1749-1753). <?page no="38"?> Peter Fassl 38 Abb. 4: Ortsplan Wertingens um 1750 von Johann Lambert Kolleffel; Österreichisches Staatsarchiv, Geographische und topographische Beschreibung der reichsgefürsteten Markgrafschaft Burgau (1749-1753). <?page no="39"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 39 Abb. 5: Ortsplan Jettingens um 1750, von Johann Lambert Kolleffel; Österreichisches Staatsarchiv, Geographische und topographische Beschreibung der reichsgefürsteten Markgrafschaft Burgau (1749-1753). <?page no="40"?> Peter Fassl 40 3.3. Besitz, Ausstattung, Selbstdarstellung der Wirte Die bayerischen Grundsteuerkataster aus den 1830er Jahren beschreiben jedes Anwesen mit Grund, Boden und Inventar. Der von Peter Blickle verfasste „Historische Atlas von Memmingen“ hat die jeweilige Besitzgröße ermittelt und bietet damit die Möglichkeit, die Sozialstruktur nach dem Grundbesitz darzustellen. 19 Die Wirte zählten zu den größten Hof-/ Söldenbesitzern. Herrschaftsbereich Ort Name Größe (in Tagwerk) Klosterherrschaft Ottobeuren Attenhausen Attenhausen ohne Angabe Benningen Benningen 145,58 Böhen Böhen 84,65 Egg Egg 112,31 Egg Egg 4,86 Frechenrieden Frechenrieden 145,8 Frechenrieden Frechenrieden 28,16 Günz Günz 42,31 Günz Günz 9,66 Hawangen Hawangen 101,48 Niederdorf Niederdorf 7,95 Niederrieden Niederrieden 98,41 Niederrieden Niederrieden 41,71 Niederrieden Niederrieden 37,68 Oberwesterheim Oberwesterheim 94,4 Unterwesterheim Unterwesterheim 106,31 Rummeltshausen Rummeltshausen 45,49 Schlegelsberg Schlegelsberg 106,95 Sontheim Sontheim 151,49 Ungerhausen Ungerhausen 169,93 Wolfertschwenden Wolfertschwenden 132,53 Eheim Eheim 67,48 Karlins Karlins 41,01 Ollarzried Ollarzried 121,96 Reichsherrschaft Erkheim Ottobeuren Ottobeuren 222,73 Memmingen Memmingen 97,53 19 B LICKLE , Historischer Atlas Memmingen. <?page no="41"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 41 Reichsstadt Memmingen Arlesried Wirtsbauer 117,61 Dankelsried Wirtsgut 128,55 Woringen Wirts-Sölde 7,38 Dickenreishausen Wirts-Bauer 121,68 Dickenreishausen Rößlewirt 104 Volkratshofen Wirtsgut 114,55 Buxach Kreuzwirt 86,57 Memmingerberg Wirts-Sölde 6,67 Wirt nicht benannt Steinheim Kreuzwirt 95,86 Unterholzgünz Wirt 90,7 Oberholzgünz Wirt 25,1 Fuggerherrschaften Lauben Wirt 92,32 Lauben Branntweinbauer 47,41 Boos Bräubauer 53,3 Boos Wirtschaft, St. Fidelis 108,69 Pleß Wirtsgut 102,06 Pleß Weinhändler 70,36 Heimertingen Hirschwirt 63,79 Rettenbach Kronenwirtsgut 81,87 Rettenbach Adlerwirt 135,29 Tab. 1: Grundbesitzverhältnisse der Wirtshäuser im Bereich Memmingen. In den Steuerlisten des hochstiftischen Marktes Zusmarshausen, der seit dem 16. Jahrhundert eine Poststation (Augsburg-Ulm) besaß, standen die Gastgeber nach der Steueranlage von 1677 mit einem Vermögen von 5.542/ 6.402 Gulden mit deutlichem Abstand an der Spitze der Einwohner. Drei weitere Wirte mit über 1.000 Gulden Vermögen zählten zur kleinen Oberschicht von 15 Personen. Die meisten Einwohner (50 von 77) besaßen nicht mehr als 500 Gulden. Nach dem Steuerbuch von 1755 zählten die sieben Wirte und Brauer zur Oberschicht von 12 Personen mit einem Vermögen von über 1.000 Gulden. Die Gesamtzahl der Steuerzahler betrug 113 Personen. 20 20 P ÖTZL , Zusmarshausen, 60-85. <?page no="42"?> Peter Fassl 42 Die 1433 erstmals erwähnte Tafernwirtschaft im domkapitelschen Marktort Dinkelscherben besaß 1495 ein Tanzhaus, errichtete 1518 eine eigene Herberge, zu der die Einwohner Frondienste leisteten. Sie bestand 1562 aus Behausung, Stall, Stadel, Tanzhaus und war mit einer Mauer umgeben. 1724 kam ein neues Tanz- und Brauhaus hinzu. 1730 wurde ein Vieh- und Schweinestall errichtet, ein Pumpbrunnen wird erwähnt, doppelter Stadel, Wagenremise und Rossstall, „alles mit Ziegel gedeckt.“ 21 Das Inventar der Wirtschaft von 1797 22 zeigt einen Betrieb, der auch vornehme Gäste aufnehmen und beherbergen und in seiner Wirtsstube sicher 50 Gäste verpflegen konnte. Die im Herrenzimmer erwähnten 12 Gemälde und der französische Kupferstich verweisen auf die gehobene Stellung der Wirte und die beginnende Traditions- und Kunstpflege bedeutender Gasthöfe seit dem 18. Jahrhundert. 23 Andreas Wahl (1682-1730) ließ 1723/ 24 das Gasthaus Drei Mohren nach den Plänen von Johann Baptist Gunetzrhainer erbauen und sich mit seiner Frau Ursula 1721 von Tobias Laub portraitieren. 24 Die städtischen Kunstsammlungen in Augsburg besitzen mit Maria Hoefele und Rosalia Baur zwei weitere Portraits von Wirtinnen. 25 In Friedberg ließ sich das Reichsposthalterehepaar Franz Elias und Rosa Heckl um 1773 standesgemäß portraitieren. 26 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert lassen sich vereinzelt aus dem dörflichen Bereich die führenden und wohlhabenden Bauern, Wirte und Müller malen. Am häufigsten wohl die Wirte, die mit ihren Portraits und Ansichten der Gasthöfe die Gaststuben ausstatteten und ihren wirtschaftlichen und kulturellen Status betonen konnten. 27 Eine eigene Traditionspflege mit Gästebüchern lässt sich für die Postgasthäuser in Thannhausen und Zusmarshausen nachweisen. Das Hotel Drei Mohren besitzt eine eigene bemerkenswerte Kunstsammlung. 28 Im Allgäu lassen heute Spitzenhotels wie das Sonnenalp Ressort in Balderschwang das Haus von Künstlern wie Kilian Lipp ausstatten. Das Wissen um die Bedeutung von Tradition und Kunst als kulturellem Kapital verbunden mit dem Stolz auf die Familie 21 D ERS ., Geschichte und Volkskunde des Marktes Dinkelscherben, 167-169. 22 Ebd., 300. 23 Ebd. 24 K RÄMER , Deutsche Barockgalerie, 165f. 25 Ebd., 122, 283. 26 Stadt Friedberg, 100 Jahre Heimatmuseum, 122. 27 Freundlicher Hinweis von Frau Monika Hoede M.A., Trachtenberaterin des Bezirks Schwaben, die in den letzten 20 Jahren in zahlreichen Heimatmuseen Schwabens die Kleidung auf der Basis von Portraits aus dem 18. und 19. Jahrhundert inventarisiert hat. Künstler konnten auf diese Weise ihre Zeche bezahlen. 28 W IERCINSKI , Hotel Drei Mohren Augsburg. <?page no="43"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 43 Abb. 6: Anton Brenner, Posthalterei Zusmarshausen; Heimatmuseum Zusmarshausen. war auch in kleineren Orten vorhanden. Die Studien von Dae-Hyeog Hwang beschreiben die Wirte als vermögende dörfliche Oberschicht, die durch ihr Heiratsverhalten Familienverbände und „Dynastien“ bildeten. Reiches Material zum Thema der dörflichen Brauerdynastien, vergleichbar den Familienverbänden der Müller, zeigen die Ortsfamilienbücher für die Familien Lippert-Miller in den Ortsfamilienbüchern Tapfheim, Donaumünster mit Rettingen, Erlingshofen, Oppertshofen mit Brachstadt. 29 In den gemalten Dorfansichten etwa von Johann Michael Frey (1750-1818), Joseph Ignaz Hörmann (1775-1820), Heinrich Klonke (1803-1887), Gallus Weber (1794-1870) oder Friedrich Wilhelm Doppelmayr (1776-1845) 30 werden Gasthäuser immer wieder hervorgehoben. 29 F ASSL , Historische Wirtshäuser in Schwaben, 5-7; Oberpfälzer Kulturbund, 50 Historische Wirtshäuser in der Oberpfalz; G ÜRTLER / M ORSBACH / S CHMID / R ICHTER , 50 Historische Wirtshäuser in Niederbayern; G ÜRTLER / S CHMID / S CHMIDT / W ALD / R ICHTER , 50 Historische Wirtshäuser in Mittelfranken; F ABER , 50 Historische Wirtshäuser in Unterfranken; DIES ., 50 Historische Wirtshäuser in Oberfranken; H WANG , Sozialer Wandel und administrative Verdichtung; siehe auch DERS ., Die Söldner als Motor; freundlicher Hinweis von Herrn Manfred Wegele zu den Ortsfamilienbüchern, vgl. K NÖPFLE / K OLLMANN / W EGELE , Ortsfamilienbuch Donaumünster; K NÖPFLE / W EGELE , Ortsfamilienbuch Tapfheim. 30 V OGES , Friedrich Wilhelm Doppelmayr. <?page no="44"?> Peter Fassl 44 Abb. 7: Schreieggs Post Thannhausen, Künstler unbekannt, Goltermann Vermögensbeteiligungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH. Abb. 8: J. M. Frey, Deuringer Hof; Staats- und Stadtbücherei Augsburg, Graph. 17/ 10 Bl. 36. <?page no="45"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 45 Eine Entwicklung, die im 19. Jahrhundert bei den Dorfdarstellungen in Postkarten fortgesetzt wurde. 31 3.4. Die fiskalische Bedeutung von Bier und Wirtshaus In seiner Autobiographie beklagt der Augsburger Patrizier und letzte evangelische Stadtpfleger Paul von Stetten mehrfach die „Ungelds Defrautationen“ 32 der Augsburger Jesuiten und Karmeliten. 33 Sie brauten über 2.700 Eimer Bier (etwa 2.100 Hektoliter), versteuerten dieses im Unterschied zu den bürgerlichen Brauern nicht und schadeten damit sowohl dem städtischen Fiskus als auch dem bürgerlichen Gewerbe, da das klösterliche Bier billiger war. Ein Blick auf die städtischen Einnahmen macht dies verständlich Abb. 9: Städtische Einkünfte aus Getränkesteuern in Augsburg; Tlusty, Bacchus und die bürgerliche Ordnung, 211. 31 H ÄUßLER , Augsburg Album 8.4.2020; DERS , Augsburg Album, 30.1.2019; DERS ., Augsburg Album, 8.1.2021; unveröffentlichtes Manuskript von Franz Häußler zu den genannten Künstlern in den städtischen Kunstsammlungen Augsburg. 32 R AJKAY / G IER , Paul von Stetten d.J., Bd. 1, 383. 33 Ebd., 318, 342, 380, 383. Zum katholischen Steuerbetrug in Augsburg H ERDE , Die Entwicklung des Augsburg Brauhandwerks, 12-14. <?page no="46"?> Peter Fassl 46 Abb. 10: Klosterplan des Klosters Ottobeuren; Dischinger, Ottobeuren. Bau- und Ausstattungsgeschichte Bd. 2, 601. Von 1550 bis 1650 erbrachte die Steuer auf Bier, Wein, Met und Branntwein immer über 50 Prozent der städtischen Einnahmen in Augsburg. Im 18. Jahrhundert erreichten sie bis zu 60 Prozent. In der Reichsstadt Memmingen, die ein eigenes Territorium mit entsprechenden Einnahmen besaß, betrugen sie immerhin 20 Prozent. In den <?page no="47"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 47 Pflegämtern Zusmarshausen und Bobingen waren die Alkoholsteuern der höchste Einzelposten bei den Einnahmen der Grundherren. 34 Von den 73 Klöstern in Schwaben am Ende des 18. Jahrhunderts besaßen etwa 60 Brauereien, bei deren Einnahmen, der Eigenverbrauch beziehungsweise das Kontingentbier für die Beschäftigten nicht gesondert ausgewiesen wurden. Der Reingewinn im Fürststift Kempten betrug von 1790 bis 1799 jährlich 18.287 Gulden bei Gesamteinnahmen von 300.000 Gulden. In Oberschönenfeld waren es 1.767 Gulden bei 16.962 Gulden (1793). In Irsee 6.046 Gulden bei 48.000 Gulden Gesamteinnahmen. In Ottobeuren wurde im Kloster 1730 eine neue Braustätte errichtet, die 15 Gaststätten mit Bier versorgte und 5.425 Hektoliter Bier pro Jahr herstellte. 35 Die fiskalische Bedeutung umfasste die Biersteuer, die Vergabe von Wirtschaftsrechten (Konzessionen), die Abgaben der Brauereien und Gaststätten bei, wie etwa in Augsburg, geringen Haus- und Grundsteuern. Der durchschnittliche Wert der 99 Brauereien in Augsburg betrug 1818/ 1828 13.100 Gulden. Die Braugerechtigkeit kostete 2.500 Gulden. 36 Hinzu kam die Möglichkeit, bei entsprechenden grundherrlichen Rechten, die eigene Brauerei durch Bannrechte zu fördern, also die eigenen Untertanen und Wirte zur Bierabnahme zu verpflichten. So versorgte Irsee 12 Wirtshäuser und Roggenburg sechs. Bei den Besitzverzeichnissen werden die Wirtshäuser eigens hervorgehoben, wie zum Beispiel bei Oberschönenfeld (acht), Kaisheim (29) und im Heilig-Geist-Spital in Augsburg (11). 37 34 H UBER -S PERL , Reichsstädtisches Wirtschaftsleben, 728-731; W ÜST , Geistlicher Staat und altes Reich, 357-361; F ÜRMETZ , Bier aus Klöstern, 59. 35 S CHIEDERMAIR , Klosterland Bayerisch Schwaben, 25; L IEBHART , Säkularisation in Bayerisch Schwaben, 143; P ETZ , Zweimal Kempten, 262; R OTTENKOLBER , Zur Geschichte schwäbischer Klosterbrauereien, 105-113; D OTTERWEICH , Herrschafts- und Vermögenssäkularisation, 126; D ISCHINGER , Ottobeuren, Bd. 3, 755; F ÜRMETZ , Bier aus Klöstern, 59; W EBER , Wirtschaftsquellen und Wirtschaftsaufbau des Reichsstiftes Ottobeuren, 174f. 36 B ETTGER , Handwerk in Augsburg, 70. 37 R OTTENKOLBER , Zur Geschichte schwäbischer Klosterbrauereien; L IEBHART , Säkularisation in Bayerisch Schwaben, 143; R EINDL , Geschichte des Klosters Kaisheim, 87; L ENGLE , Das Augsburg Heilig-Geist-Spital, 212. <?page no="48"?> Peter Fassl 48 3.5. Die wirtschaftliche Organisation Die zünftische Organisation der Brauer lässt sich in den Städten seit dem 14. Jahrhundert nachweisen: Augsburg 1368, Kaufbeuren 1569, Memmingen 1636, Kempten 1696. 38 Seit dem 15. Jahrhundert regelten Brauordnungen die Bierherstellung in den Städten, die Organisation des Gewerbes und die Ausbildung. 39 Seit dem 16. Jahrhundert entstanden im ländlichen Bereich Landzünfte, die meisten zwischen 1650 und 1730. Abb. 11: Biberbacher Zunft; Pötzl, Bauern, Handwerker Arbeiter, 219. 38 S CHNITZER , Geschichtliche Entwicklung des Allgäuer Braugewerbes, 19f. 39 S CHEFFKNECHT , Reichsstadt und Bier. <?page no="49"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 49 Ziel der Zunftbildung war von herrschaftlicher Seite eine Förderung des örtlichen Gewerbes und die Verdichtung der Wirtschaftsstruktur, für die Handwerker die Möglichkeit, ihre Produkte auch in der Stadt abzusetzen, eine Ehrminderung als Stümper zu vermeiden und sich nach der Ausbildung auch in der Stadt niederlassen zu können. 40 Das von Rolf Kießling initiierte Forschungsprojekt zu den Landzünften in Schwaben hat für die Frühe Neuzeit aus 123 schwäbischen Territorien 546 Zünfte im Zeitraum von 1491 bis 1800 ermittelt. 41 In 37 Zünften sind die Brauer erwähnt, meist in einer Sammelzunft mit Metzgern, Bäckern und Müllern. 42 Die Mitglieder der Zunft der Brauer, Bäcker, Metzger und Müller in Biberbach (1686-1810), einem Fugger’schen Marktort, stammten im Süden bis aus Mickhausen und saßen in den nahegelegenen Dörfern um Augsburg, die von den Augsburger Bürgern als Ausflugsziele gerne genutzt wurden. Der Biermarkt im Einzugsgebiet der Reichsstadt war umkämpft. 43 Die gesamtbayerische Brauereistatistik spiegelt durch die große Anzahl der Brauereien und Gastwirtschaften die herrschaftliche Zersplitterung Schwabens wider, die bis in die einzelnen Dörfer reichte. Das Wirtshaus war, wie auf anderer Ebene die Kirche, das soziale Zentrum des Dorfes. Wer hier den Zugriff hatte, der bestimmte das gemeindliche und wirtschaftliche Leben wesentlich mit. 44 Jahr Bayern Schwaben Oberbayern Augsburg 1808/ 09 4966 1107 557 97 1847 4858 969 545 83 1861 5165 941 522 74 1905 4775 keine Angabe keine Angabe 48 1960 1566 keine Angabe keine Angabe 13 (1936) 2000 671 keine Angabe keine Angabe keine Angabe 2015 626 86 127 3 Tab. 2: Brauereien in Bayern 45 40 S CZESNY , Die ländlichen Zünfte, 325-350; M ORDSTEIN , Die ländlichen Zunftordnungen. 41 Ebd. 42 K IEßLING , Die Märkte, 219. 43 Ebd. 44 E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg; K UHLO , Geschichte der bayerischen Industrie, 54f.; E BBERTZ , Die Konzentration im Braugewerbe; K IEßLING , Stadt und Land. 45 Zahlen zu Augsburg aus B ETTGER , Handwerk in Augsburg, 177; E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg, 115, 150, 153-155; F IEDER , Industrialisierung und Brauereisterben, 23, 27; Zahlen zu Bayern aus ebd., 22; S TRUVE , Entwicklung des bayerischen Braugewerbes, 68; <?page no="50"?> Peter Fassl 50 4. Das 19. und 20. Jahrhundert - ein Ausblick Die Vielzahl der Brauereien in den Städten um 1800 (Memmingen 25, Kaufbeuren 24, Kempten 21, Augsburg 100) verringerte sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und nochmals verstärkt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Neue technische Entwicklungen, wie der Einsatz der Dampfmaschine, die Linde’sche Kühlung und ein neues Wissen um die Gärprozesse, beförderten die industrielle Entwicklung hin zu größeren Brauereien. 46 In Augsburg entstanden die ersten Aktienbrauereien seit 1884, die meisten kleineren Brauereien verschwanden endgültig nach dem Ersten Weltkrieg. Auch wenn in Augsburg in den 1930er Jahren nur mehr 13 Brauereien bestanden, war es dennoch das Zentrum der Bierproduktion in Schwaben. 1934 brauten die Augsburger Brauereien 328.132 Hektoliter, die übrigen Brauereien in Schwaben 321.389 Hektoliter, zehn Prozent davon wurden exportiert. Betrachtet man die bayerischen Bierkonsumzahlen 47 gibt es die begründete Vermutung, dass in Schwaben bei einer Bevölkerung von 854.056 Einwohnern im Jahre 1933 wesentlich weniger Bier getrunken wurde als im bayerischen Durchschnitt (1880: 211 Liter jährlich pro Kopf; 1930: 211 Liter jährlich pro Kopf), auch wenn die Frage des Bierimports nach Schwaben offen bleibt. 48 Die in Schwaben übliche Augsburger Braumethode des Auf-Satz-Sieden wurde bis in die 1860er Jahre angewendet. Sie ermöglichte eine intensivere Ausnutzung des Malzes, der vollkommen ausgezogen wurde. 49 1870 wurde in Augsburg die Dampfdarre eingeführt, bis 1907 entstanden fünf Aktiengesellschaften. 4.1. Wirtshauskultur um 1850 Die schwäbischen Physikatsberichte zeichnen ein lebendiges Bild der Wirtshauskultur in den Landgerichten mit markanten regionalen Unterschieden. Hervorgehoben werden die Verhaltensunterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, wobei diese R IEPERTINGER / B ROCKHOFF / D REXEL / K UHN / N ADLER , Bier in Bayern, 292; Zahlen für die Jahre 1840 und 1847 vgl. W IEST , Entwicklung des Gewerbes, 294, 358; E BBERTZ , Die Konzentration im Braugewerbe, 31, 762-770; Bayerisches Statistisches Bureau, Die Bevölkerung und Gewerbe des Königreichs Bayern, 98; aktuelle Erhebungen zu Braustätten in Bayern, vgl. Bayerischer Brauerbund, Braustätten nach Regierungsbezirken; DERS ., Braustätten Bayern 1960-2019; DERS ., Bierwissen. 46 H UBER -S PERL , Reichsstädtisches Wirtschaftsleben, 710f.; G RÄßE , Bierstudien; K UHLO , Geschichte der bayerischen Industrie, 54f.; E BBERTZ , Die Konzentration im Braugewerbe, 762- 770; W IEST , Entwicklung des Gewerbes, 294, 358. 47 K UHN , Bierland Bayern? , 121. 48 Vgl. die Beiträge von Corinna Malek in diesem Band zur Brauereigeschichte Kemptens und Kaufbeurens; E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg, 153-157. 49 K LOPFER , Entwicklung des Augsburger Braugewerbes, 181f. <?page no="51"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 51 als nüchterner, sparsamer beschrieben werden und die Wirtshäuser weniger besuchten. Allgemein sei der Wirtshausbesuch im Oberallgäu geringer als in den nördlicheren Landgerichten und beschränke sich auf besondere Festtage und die Fastnachtszeit sowie auf die persönlichen „Lebensfeste“, wie Hochzeit, Beerdigung und Taufe. Wein wurde nur ausnahmsweise getrunken, insgesamt war der Bierkonsum geringer als in Oberbayern. Neue Impulse gaben die Veranstaltungen und Feste der Vereine (Schützen, Gesang, Gesangsvereine, Theater), in vielen Wirtshäusern entstanden größere Säle, um Bälle, Feste und Theateraufführungen durchführen zu können. Gespielt wurden im Wirtshaus Karten, wie früher schon wurde gekegelt, neu hinzu kam das Billard und das Schach. In „jedem Wirtshaus“ lagen politische Zeitungen aus, Tanz- und Musikveranstaltungen wurden nicht mehr durch behördliche Anordnungen eingeschränkt. Für die Laienspielgruppen war das Wirtshaus anfangs das einzig mögliche Aufführungslokal. 50 Wohl am deutlichsten wird die Bedeutung des Wirtshauses an der beruflichen Zusammensetzung der schwäbischen Abgeordneten für die bayerische Ständekammer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 80 Prozent der Wahlmänner aus Schwaben waren Posthalter, Brauer und Wirte. Im Zeitraum zwischen 1818 bis 1845 waren 39 von insgesamt 49 schwäbischen Abgeordneten der Klasse fünf der Ständeversammlung Brauer und Wirte - mehr als in jedem anderen Regierungsbezirk. 51 In Augsburg gehörten 1830 zum höchstbesteuerten Drittel der Bürger, aus denen die Gemeindebevollmächtigten gewählt wurden, 243 Personen, darunter 66 Bierbrauer. Bei den Gemeindewahlen stellten die Brauer in der Gruppe der Gemeindebevollmächtigten die größte Gewerbegruppe. 52 In den Revolutionsjahren 1848/ 1849 waren die Wirtshäuser die Zentren des politischen Geschehens auf dem Land, die Wirte Vermittler zwischen „Dorf und großer Politik.“ 53 Auf der „schwarzen Liste“ der in der Revolutionszeit kritisch aufgefallenen Personen standen 37 Wirte, nur einer wurde von der Regierung von Schwaben und Neuburg in die weiße Liste der Königstreuen aufgenommen. 54 50 Dies bestätigt eine Umfrage bei den heutigen Amateurtheatern durch die Heimatpflege des Bezirks Schwaben von 2016; vgl. W ILLI , Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreis Günzburg, 165; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreise Lindau und Oberallgäu, 425; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen „Entlang der Iller“, 313; DERS ., Volks- und landeskundliche Beschreibungen Landkreis Dillingen, 121f., 131, 312, 370. 51 G ÖTSCHMANN , Bayerischer Parlamentarismus, 120. 52 B ETTGER , Handwerk in Augsburg, 29-37. 53 K RAUSS , Herrschaftspraxis, 380. 54 Ebd., 353-383; N ICKEL , Revolution 1848/ 49, 227-255. <?page no="52"?> Peter Fassl 52 Abb. 12: Zusammensetzung bayerische Ständekammer nach Regierungsbezirken; Götschmann, Parlamentarismus, 119. 4.2. Das 20. Jahrhundert An der grundsätzlichen Bedeutung der Wirtshäuser änderte sich bis Ende der 1950er Jahre nichts, auch wenn sie nicht mehr mit eigenen Brauereien verbunden waren. Eine Auswertung des Altusrieder Anzeigeblatts für das Jahr 1956 belegt für den Gasthof zur Post insgesamt 231 Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt auf Tanzveranstaltungen und Filmvorführungen. Erst in den 1960er Jahren beginnt sich der Strukturwandel der Öffentlichkeit auf dem Land im Verschwinden der meisten Wirtshäuser niederzuschlagen. Am dichtesten hat diesen Wandel Gerda Schupp- <?page no="53"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 53 Schied für das Ries beschrieben. 55 Die Gründe hierfür sind vielfältig und können hier nur angedeutet werden. Zu nennen sind der Strukturwandel in der Landwirtschaft mit dem Verschwinden der kleinbäuerlichen Schichten, des dörflichen Handwerks und bis heute der Konzentrationsprozess bei den landwirtschaftlichen Betrieben; dann die Mobilität und der Zuzug in ländliche Gegenden, der Schwund der verbindenden kulturellen und religiösen Traditionen, das Aufkommen einer neuen Freizeitkultur (Turn- und Sportvereine etc.). Hinzu kommen institutionelle Verluste wie die Aufgabe dörflicher „Zwergschulen“, die Gemeindegebietsreform, die in Schwaben die Anzahl der Gemeinden von 1.048 (1946) auf 236 (1980) reduzierte und schließlich der Priestermangel, der dazu führte, dass zahlreiche Pfarrstellen nicht mehr besetzt werden konnten und die lokalen Pfarreien in überörtlichen Pfarreigemeinschaften zusammengefasst wurden. 56 Die Statistik von 2010 zeigt für Schwaben einen Anteil von 20 Prozent an Gemeinden ohne Wirtshaus. Würde man die in der Gemeindegebietsreform aufgehobenen Gemeinden hinzuzählen, wären es etwa 60 Prozent. Das soziale Leben hat sich vielfältig differenziert und findet im ländlichen Bereich eher in den Vereinen, in Gesellschaften und kulturellen Organisationen statt. Das Internet hat das Kommunikationsverhalten völlig verändert. Für Neuigkeiten geht man nicht mehr ins Wirtshaus. Internationale Speisekultur und moderne Ernährungstrends setzen neue Akzente und Nachfragen. 57 Das Wirtshaussterben in Bayern ist zu einem Politikum geworden, das breit diskutiert wird und wissenschaftlich untersucht wurde. 58 Die „Augsburger Allgemeine“ berichtete im September 2018 über prominente Fallbeispiele unter dem Titel „Das bayerische Wirtshaus stirbt.“ 59 Die Fragestellung ist ganzheitlich im Rahmen der Dorf- und Landesentwicklung zu sehen. Welche Funktionen benötigt ein Dorf? Die Liste der Verluste ist lang: Pfarrer, Schule, Bürgermeister, Post, Metzger, Bäcker, Lebensmittelladen etc. Die ärztliche Versorgung wird dünner, die Altenpflege und der öffentliche Nahverkehr bilden ein neues Thema. Von Dorfgemeinschaft kann angesichts von vielen Neubürgern und der sozialen Unterschiede vielerorts kaum mehr die Rede sein. Die Interessen sortieren sich neu, die Vereine versuchen, sie zu bündeln und bilden neue soziale Strukturen. Die Schule für Dorf- und Landentwicklung in Thierhaupten und zahlreiche Förderprogramme widmen sich der Entwicklung des 55 S CHUPP -S CHIED , Ausschnitte Rieser Dorfleben. 56 M ATTERN , Gebietsreform; F ASSL , Anmerkungen Gemeindegebietsreform. 57 H OPFINGER / K OHNLE / W ÄTZOLD , Genuss mit Geschichte? , 18, 20. 58 Ebd.; vgl. NZZ, „Ausgetrunken“; zum Wirtshaussterben K RENN , Wirtshaus vor dem Aus; H EINRICH , Warum so viele Dorfwirtschaften in Bayern geschlossen sind; K RELL , Droht in Bayern das große Wirtshaussterben? ; K OTTEDER , „Wo Bier ausgeschenkt wird, kommen Menschen sich näher“. 59 K RELL , Droht in Bayern das große Wirtshaussterben? . <?page no="54"?> Peter Fassl 54 Gemeinden ohne getränkeorientiertes Wirtshaus 2006 und 2010 Regierungsbezirk Gemeinden ohne Schankwirtschaft 2006 Anteil Gemeinden ohne Schankwirtschaft 2006 Gemeinden ohne Schankwirtschaft 2010 Anteil Gemeinden ohne Schankwirtschaft 2010 Oberbayern 174 34,8 201 40,2 Niederbayern 76 29,5 86 33,3 Oberpfalz 53 23,5 72 31,9 Oberfranken 37 17,3 51 23,8 Mittelfranken 41 19,5 59 28,1 Unterfranken 104 33,8 129 41,9 Schwaben 137 40,3 154 45,3 Bayern insgesamt 622 30,3 752 36,6 Tab. 3: Gemeinden ohne getränkeorientiertes Wirtshaus 2006 und 2010; Hopfinger, Hans/ Kohnle, Florian/ Wätzold, Tim (Hrsg.), Genuss mit Geschichte? Die Wirtshauskultur in Bayern im Wandel, Eichstätt 2013. Gemeinden ohne speisenorientiertes Wirtshaus 2010 Regierungsbezirk Anzahl Gemeinden ohne Wirtshaus Gemeinden Anzahl Anteil Gemeinden ohne Wirtshaus in % Oberbayern 33 500 6,6 Niederbayern 44 238 17,1 Oberpfalz 45 226 19,9 Oberfranken 29 214 13,6 Mittelfranken 25 210 11,9 Unterfranken 40 308 13 Schwaben 71 340 20,9 Bayern insgesamt 287 2056 14 Tab. 4: Gemeinden ohne speisenorientiertes Wirtshaus 2010; Hopfinger, Hans/ Kohnle, Florian/ Wätzold, Tim (Hrsg.), Genuss mit Geschichte? Die Wirtshauskultur in Bayern im Wandel, Eichstätt 2013 . ländlichen Raums. Im Internet werden unter dem Begriff Wirtshaussterben aber auch neue Möglichkeiten für Wirtshäuser, etwa in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und <?page no="55"?> Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben - eine Skizze 55 örtlichen Initiativen beschrieben, beispielsweise in Wolfertschwenden oder in Kaisheim. 60 Die Corona-Krise hat die Situation verschärft. Auf der anderen Seite bieten der steigende Inlandstourismus und die Freizeitkultur mit Fahrrad und E-Bike neue Chancen. Das Bedürfnis nach Erholung, Geselligkeit, Festlichkeit und gastlicher Verköstigung bleibt. Im Brauwesen hat die Craftbeer-Herstellung seit den 1990er Jahren auch in Schwaben neue Akzente gesetzt und zur Neugründung kleiner, handwerklich arbeitenden Brauereien wie zu erfolgreichen Neuproduktionen bei etablierten Brauereien geführt. In Schwaben seien erwähnt Riegele (Augsburg), Schwarzbräu (Zusmarshausen) und Zötler (Rettenberg). Kleine Hausbrauereien, etwa verbunden mit einem Wirtshaus, können wie Bäckereien und Metzgereien durchaus als eigenständige Gewerbe bestehen. Die multikulturelle, nach Alter und Wirtschaftsstruktur differenzierte Gesellschaft hat vielfältige Bedürfnisse und bietet neue Angebotsmöglichkeiten. Bei allen Anpassungen und Veränderungen, die Bier- und Wirtshauskultur hat in einer mobilen, offenen und pluralistischen Gesellschaft einen anderen Stellenwert als in früheren Zeiten, als sie noch der soziale Mittelpunkt des Ortes war. Sie wird sich ändern, aber sie bleibt. Quellen und Literatur Bayerisches Statistisches Bureau (Hrsg.): Die Bevölkerung und Gewerbe des Königreichs Bayern nach der Aufnahme von 1861, die Gewerbe in Vergleichung mit deren Stande im Jahre 1847, München 1862. B ECK , G ERHARD : Chronik Ederheim, Hürnheim, Christgarten, Ederheim 2016. B ETTGER , R OLAND : Das Handwerk in Augsburg beim Übergang der Stadt an das Königreich Bayern. Städtisches Gewerbe unter dem Einfluss politischer Veränderung, Augsburg 1979. B LICKLE , P ETER : Die Dorfgerichtsordnung von Buxheim vom Jahr 1553, in: Memminger Geschichtsblätter (1965), 15-89. - (Bearb.): Memmingen (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben, Heft 4), München 1967. 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Jahrhundert als die „Zeit der großen Trünke“, als „Haupt-Zechperiode des deutschen Volkes“ erscheinen lassen. 2 Wir könnten diese Literaturgattung als Kuriosum oder Übertreibung abtun, gäbe es nicht eine Vielzahl zeitgenössischer Predigten, Streitschriften, Medizinratgeber und Verordnungen, die zeigen, dass damals eine ebenso heftige wie kontroverse Diskussion zum Thema Rausch und Trunkenheit stattgefunden hat. Das Spektrum reicht von einer Stilisierung des Weins und des Branntweins zum medizinischen Allheilmittel, zur Panazee, bis zu Schriften wie Matthäus Friderichs „Widder den Sauffteuffel“, in denen die Trunkenheit zur Mutter aller Laster erklärt wird. 3 Doch es ist nicht allein die umfängliche und - zugegebenermaßen - reizvolle Quellenbasis, die das Thema untersuchenswert macht. Der sozialgeschichtliche und anthropologische Blick auf die frühneuzeitliche Epoche hat bereits viele neue Untersuchungsfelder erschlossen und so stößt auch die von der Ernährungs- und Konsumgeschichte beeinflusste historische Alkoholforschung zunehmend auf wissenschaftliches Interesse. 4 Ihre Fragestellungen lenken den Blick auf den schillernden Aspekt des Rausches und seine ambivalente Rolle innerhalb unserer Kulturentwicklung. 5 1 Zur Sozialdisziplinierung B EHRISCH , Sozialdisziplinierung, 220-229; I SELI , Gute Policey. 2 S TOLLEIS , „Vom grewlichen Laster der Trunckenheit“, 177. 3 F RIDERICH , Sauffteuffel, 1-49. 4 S PODE , Historische Alkoholforschung, 208-213. Vgl. auch DERS ., Trunkenheit; T LUSTY , Bacchus; DIES ., Verbrechen, 133-155; umfassend V ÖLGER / VON W ELCK , Rausch und Realität, darin L EGNARO , Soziologie; S TOLLEIS , „Vom grewlichen Laster der Trunckenheit“; H IRSCH- FELDER , Alkoholkonsum, Bde. 1 und 2. 5 Beispiele solcher Untersuchungen sind für Deutschland der umfängliche, etwa der von Gisela Völger und Karin von Welck herausgegebene Doppelband „Rausch und Realität“ von 1982 oder die Monographie „Die Macht der Trunkenheit“ von Hasso Spode aus dem Jahr 1993. <?page no="64"?> Marita Krauss 64 Wie lässt sich, so ist zunächst zu fragen, der offenkundige Widerspruch zwischen reformatorischen und gegenreformatorischen Erneuerungsbemühungen im Geiste christlicher Tugenden einerseits und scheinbar unkontrolliertem, trunkenen Taumel andererseits erklären? Bedingte das eine das andere oder wurde tatsächlich mehr konsumiert? Welche divergenten Deutungsmuster, Werte, Normen und Traditionen werden hinter dem Wunsch nach Trunkenheit, aber auch hinter dessen Problematisierung sichtbar? Auf welchen Ebenen und mit welchen Begründungen wurde der Umgang mit Alkohol, sprich mit Bier, Wein, Most, Met oder Branntwein, zum Objekt sozialregulierender oder alltagsnormierender Maßnahmen? Und mit welchen Auswirkungen? Lassen sich, so ist jeweils zu überlegen, vergleichbare Phänomene heute noch finden? 1. Traditionen des Trinkens Bevor die Kritik an den Konsumgewohnheiten und der Wandel der Bewertungsmuster genauer zu betrachten sind, wird es nun zunächst um den Rahmen gehen, in dem sich das Trinken im Deutschland des 16. und 17. Jahrhunderts bewegte. Dies soll die Traditionen und Gewohnheiten sichtbar machen, gegen die sich die Kritik vor allem richtete. Die Bewertung von Wein und Bier in der zeitgenössischen Medizin wie auch im Volksglauben war grundsätzlich positiv. 6 Ein Beispiel dafür findet sich in dem auf Arnoldus de Villa Nova zurückgehenden, im 16. Jahrhundert mehrfach aufgelegten: „Buechlein/ von bereytung der wein und bier/ zu gesundtheit und nutzbarkeit der menschen.“ Dort wird der Wein als Antidepressivum und Panazee mit den Worten angepriesen: „Ein meister Jono genant spricht/ das wein messig und ordenlich getruncken/ nimpt dem gemuet alle bitterkeit/ und verwandelt es zu suessigkeit [...] Item Ruffus ein meister spricht/ das der wein messigklich genuetzt/ macht lebendig und erwuerget die natuerlichen wuerme ynn dem menschen/ und verzert die speisse/ treibt undersich die überflüssigkeit zu dem stulgang/ und reiniget die natur von allen bösen duensten und unreinigkeiten. Und [...] adelt das blut/ sterckt das hirn erklert die augen und scherfft die sinn und vernunfft des menschen [...]/ so man yhn ordenlich und zimlichen/ und nicht zu viel auff einmal geneust. So man yhn aber unordenlich brauchet/ Gerhard Hirschfelder hat in den beiden Bänden seiner Habilitationsschrift das Thema zwischen 1700 und 1850 vergleichend untersucht und dabei mit dem Beispiel Aachen auch ein deutsches Beispiel herangezogen. 6 Vgl. B ÄCHTHOLD -S TÄUBLI / H OFFMANN -K RAYER , Handwörterbuch, s.v. Bier, Branntwein, Wein; E CKSTEIN , Bier, 1255-1282; DERS ., Branntwein, 1497-1507. <?page no="65"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 65 so thut er als viel schaden/ als viel er nutz ist/ denn wein ist die edelste erstney/ so man yhn geneust als man soll.“ 7 Wein und Bier gehörten in der Frühen Neuzeit zu den Hauptnahrungsmitteln. Sie waren nicht zu ersetzen, da vor allem in den ständig wachsenden Städten das oft verunreinigte Brunnenwasser einen gefährlichen Seuchenherd bildete. Der Tiroler Arzt Hippolyt Guarinoni - ein bemerkenswerter zeitgenössischer Beobachter, leider jedoch auch ein wütender Antisemit - bemühte sich daher in seinem Buch „Die Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts“ von 1610, 8 seinen Lesern zu vermitteln, wie man gesundes von ungesundem Wasser unterscheiden könne und versicherte ausdrücklich, durch das Wasser gingen viel weniger Menschen zugrunde als durch den Wein. 9 Der Verbrauch vergorener Getränke war dennoch selbstverständlicher Teil des Alltags auch der weniger Bemittelten. Im Kreuzfeuer der Kritik stand daher, das ist ein Charakteristikum, nicht der Alkoholkonsum an sich, sondern nur sein Übermaß: Nach der Definition von Matthäus Friderich war dies erreicht, „wenn man mehr in leib geusst, denn die notturfft foddert.“ 10 Doch was war das Normalmaß? Was war die „notturfft“? Sorgfältige Verbrauchserhebungen, für diese Zeit verständlicherweise höchst schwierig, gehen - auf heutige Maßeinheiten umgerechnet - von einem Liter Wein als durchschnittlicher Tagesration eines Erwachsenen in oberdeutschen Städten aus. 11 Der Bierverbrauch lag noch etwas höher: Bei 250 bis 400 Litern jährlich pro Kopf der deutschen Gesamtbevölkerung. 12 In Hamburg verbrauchte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jeder Einwohner rund zwei Liter Bier täglich, Insassen des Heilig-Geist-Spitals in Wismar erhielten sogar drei Liter zugeteilt, ebenso die Patres im Kloster Metten. 13 In den Weinbaugebieten des deutschen Südwestens spielte Bier zunächst traditionell kaum eine Rolle; die Verwüstungen der Weinberge während des Dreißigjährigen Kriegs führten jedoch zu schweren Einbußen. Wein war deutlich teurer als Bier: So hätte ein einfacher Nürnberger Arbeiter um 1550 für seinen Taglohn rund zweieinhalb Liter Wein oder rund zehn Liter Bier kaufen können. 14 Das billigere Rotbier kostete 3,2 Pfennig pro Maß, Weißbier 3,5 Pfennig. Branntweinkonsum war in dieser Zeit noch nicht so verbreitet wie in den folgenden Jahrhunderten. 15 7 D E V ILLA N OVA , Ein schöns Buchlein, 6. Kapitel. 8 G UARINONI , Grewel, 598-615; zu diesem bisher viel zu wenig verwendeten Autor B ÜCKING , Hippolytus Guarinonius; G RASS , Hippolytus Guarinonius, 41-90. 9 G UARINONI , Grewel, 610. 10 F RIDERICH , Sauffteuffel. 11 D IRLMEIER , Untersuchungen, 326f. 12 H UNTEMANN , Braugewerbe, 60. 13 Ebd., 59. 14 Ebd., 56. 15 S PODE , Trunkenheit, 75-78; vgl. die Beschreibungen bei G UARINONI , Grewel. <?page no="66"?> Marita Krauss 66 Obwohl sich also fast jeder Alkohol leisten konnte, blieben die ganz großen Trinkgelage eine Einkommensfrage. So berichten viele der überlieferten Quellen vor allem von alkoholischen Exzessen des Adels: Auf dem Wormser Reichstag von 1495 sollen beispielsweise „sewische“ Saufgelage stattgefunden haben. Über Christian II. von Sachsen sagte man, er habe sich 1610 von Kaiser Rudolph II. mit dem Satz verabschiedet: „Kaiserliche Majestät haben mich gar trefflich gehalten, also daß ich keine Stunde nüchtern gewest.“ 16 Die konsumierten Quantitäten scheinen beachtlich gewesen zu sein: Ein von Adeligen gegründeter angeblicher „Mäßigkeitsorden“ des beginnenden 17. Jahrhunderts traf, sicherlich nicht ganz ernst gemeint, die Vereinbarung, jedes Ordensmitglied dürfe nicht mehr als drei Flaschen Wein am Tag trinken und zusätzlich nicht mehr Bier, als man brauche, um den Durst zu löschen. 17 Exzessives Trinken, das oft in regelrechte Wettkämpfe ausartete, war jedenfalls in den mittleren und oberen Schichten - dem Adel, dem Klerus und dem zunehmend wohlhabenden Stadtbürgertum - weit verbreitet. 18 Durch ritualisierte Formen geselligen Beisammenseins wurden Reichtum und Macht öffentlich zur Schau gestellt. Bei der symbolischen Handlung des Zutrinkens ging es auch im Handwerkerstand um die Erhöhung der „Ehre“ des Gastgebers. Das Zurückweisen des Trunks kam einer Beleidigung gleich. 19 Am gegenseitigen Gesundheitstrinken, das als „Füllerey“ in den einschlägigen Verordnungen streng verboten wurde, nahm man teil, um den eigenen gesellschaftlichen Stand zu sichern, um nicht als unfreundlich oder geizig zu gelten und um sich nicht lächerlich zu machen. 20 Guarinoni beschäftigt sich daher unter der Überschrift „Vom Grewel des Zubringens/ wie auch in ander Leut Gesondt/ unnd eignen Verderbnis trincken“ ausführlich mit den verschiedenen Wegen, sich diesen Zwängen zu entziehen, ohne Anstoß zu erregen. 21 Wie stark es sich dabei um „soziales Trinken“ handelte, wird daraus deutlich, dass es zunächst noch außerhalb des Denkbaren gelegen wäre, sich allein zu betrinken: 22 So wird von Herzog Friedrich III. von Liegnitz berichtet, dass er nachts zu 16 Nach S PODE , Trunkenheit, 69. Ähnliche Berühmtheit erlangte Heinrich XI. von Liegnitz, später abgesetzt und in Schuldhaft genommen. Dessen Sauftouren durch die deutschen Höfe wurden wohl nicht zuletzt durch das vielfach aufgelegte „Memorial-Buch“ seines trinkfesten Begleiters Hans von Schweinichen bekannt; VON S CHWEINICHEN , Memorial-Buch. 17 S CHEIBLE , Schaltjahr, 64-67. 18 T LUSTY , Bacchus. 19 D IES ., Verbrechen, 134f. 20 S CHWARZENBERG , Der Zutrinker und Prasser Gesatze. 21 G UARINONI , Grewel, 707-721. 22 Vgl. Anonym, Policeyordnung der Oberpfalz 1657, I. § III: Dort wird allein Trinken als erst Mitte des 17. Jahrhunderts neues Laster erwähnt: „Und nachdem auch etliche unordentliche Leuthe sich solchen unartigen vichischen Lebens und Wesens gewöhnen/ daß sie sich auch ausser der Gesellschaft und zutrinckens/ allein für sich selbsten fast täglich mit überiger Füllerey und trunckenheit beladen, dadurch ihnen die Vernunfft entweicht [...]“. <?page no="67"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 67 seinem Begleiter kam und „er bat um Gottes willen, ich möchte aufstehen und mit ihm saufen“. 23 Nur in Gesellschaft konnte sich die identitätsstiftende und gemeinschaftsstabilisierende Funktion des Rausches entfalten. Diese Grundbedeutung blieb keineswegs auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt: Bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen war der rituelle öffentliche Trunk ebenso unverzichtbar wie bei Verlöbnissen oder anderen Rechtsakten. 24 Auch im Rahmen der Zunftordnungen, bei Gesellenlossprechungen und Meisterfeiern nahm er einen zentralen Platz ein. 25 Bestimmte Trinkkomments waren zwar eng mit Männlichkeitsritualen verbunden, es betranken sich jedoch nicht allein die Männer. Der Arzt Guarinoni erwähnt auch die „Füllerey“ von Frauen, 26 denen er vorwirft, im Rausch Geheimnisse auszuplaudern und in Wirtshäusern Männer gegeneinander aufzuhetzen, „einander wie die Hüner abzuwürgen“ und mit Messern aufeinander loszugehen, mithilfe von Alkohol abzutreiben oder die Kinder durch Trunkenheit bereits mit der Muttermilch zu schädigen; Hauptkritikpunkt ist jedoch die leichtere Zugänglichkeit betrunkener Frauen. Die Verantwortung dafür gibt Guarinoni den Männern, die aufpassen sollten, dass ihre Frauen und Töchter nicht bei Hochzeiten und Festmählern „mit wein uberfüllt“ und in ihrer Ehre gefährdet würden. Obwohl es die Tirolerinnen, glaubt man Guarinoni, unter Alkoholeinfluss den Männern in einigem gleichtaten, war die Bewertung des Trinkens also geschlechtsspezifisch bestimmt. So wurde die männliche Ehre im Rausch durch ganz andere Verhaltensweisen gefährdet als die weibliche, die nach wie vor eng mit Sexualität verbunden blieb. 27 Soziales Trinken war eingebettet in vielfältige Kommunikationszusammenhänge, 28 die ihren sinnfälligsten Ausdruck im ländlichen Fest fanden, dem zentralen Ereignis einer Mangelgesellschaft. 29 Feste ermöglichten die Beschwörung einer Gruppenidentität, die das soziale Netz für gegenseitige Hilfe in Mangelzeiten stärkte. Damit diente das scheinbar so unfunktionale und verschwenderische Fest, das meist für Männer wie Frauen mit Trunkenheitsexzessen bis zur Besinnungslosigkeit verbunden war, auf weitere Sicht der Verringerung des Lebensrisikos in der Subsistenzgesellschaft. Die Zeit, die man für gemeinsames Feiern und Trinken aufwendete, war daher 23 S PODE , Trunkenheit, 94. 24 V AN D ÜLMEN , Fest der Liebe, 194-235, 212; für das 19. Jahrhundert K RAUSS , Herrschaftspraxis, 361-366. 25 W ISSELL , Des Alten Handwerks Recht und Gewohnheit. 26 G UARINONI , Grewel, 721-727. 27 Zu den geschlechtsspezifischen Aspekten auch H IRSCHFELDER , Alkoholkonsum, Bd. 1, 140- 174; ebd., Bd. 2, 117-137; T LUSTY , Bacchus, 135-171, zu Trinken und Geschlechteridentität; R OPER , Männlichkeit, 154-172, sowie B ERGHARTZ , Rechte Jungfrauen, 173-183. Zum „Jungfrauenschwechen“ etliche Paragraphen in den Policeyordnungen. 28 G ROH , Strategien, Zeit und Ressourcen, 156. 29 V AN D ÜLMEN , Fest der Liebe, 228-233. <?page no="68"?> Marita Krauss 68 keineswegs im Sinne heutiger Zeitökonomievorstellungen verloren oder verschwendet. Dieter Groh arbeitet hierbei mit dem aus der ökonomischen Mikrotheorie übernommenen Begriff der „Mußepräferenz“ (leisure preference), der auch als Deutungsmuster für die Interpretation geselligen Trinkens geeignet erscheint: Er beschreibt damit den Vorgang, dass ein Mehr an Arbeit nicht so viel mehr an Ertrag verspricht, dass der Einzelne dafür die Muße aufzugeben bereit wäre. Erst eine gesellschaftliche Umwertung der Arbeit konnte eine Änderung dieser Grundhaltung bewirken. Mußepräferenz der unteren Schichten war aber weithin sichtbar und wurde damit zum Ausgangspunkt obrigkeitlicher Kritik, die sich vielfältig in den Policeyordnungen spiegelt. So heißt es in der preußischen Landesordnung von 1577: „Nach dem etliche Pauren irer Wolfart vergessen, im Markt und anderen Tagen so hoch auf das Saufen geflissen, daß sie Tag und Nacht, auch lenger und one Unterlaß beim Bier ligen, ire Pferde auf dem Markte, Weib und Kind daheime hungern lassen, die Arbeit verseumen und grundlich verderben, hierauf befehlen wir, daß jedermeniglich bei Sonnenschein sich aus den Stedten heimwart machen und begeben. Wo er darnach befunden, sol von seiner Herrschaft Amtswaltern angegriffen, in Ketten gespannet oder sonst zu herter Straf genomen werden.“ 30 Das Wirtshaus war der klassische Ort der Kommunikation; wer dort „beim Bier lag“ hatte nicht nur den Rausch im Sinn. Auf der Ebene der Bauern fand hier das Gleiche statt wie bei den Gelagen des Adels: Es wurden während einer selbstgewählten Mußezeit durch den gemeinsamen geregelten Exzess in ausgewählter Runde Verbindungen bestärkt, die für das soziale Leben der Zecher Bedeutung hatten. 31 In eben dieser Hinsicht waren Trinken und Trunkenheit keine schichtenspezifischen Phänomene. 2. Obrigkeitliche Verbote und Maßhaltegebote Dies machte es auch so schwierig, den Alkoholkonsum einzudämmen. Im Gegensatz zur Armut stellte er keineswegs auf allen Ebenen ein Phänomen dar, gegen das man - wie es Michel Foucault beschreibt - mit räumlicher Abschließung, Parzellierung, Hierarchisierung, Klassifizierung und Kontrolle vorgehen konnte. 32 Aufbauend auf römischem Recht war Trunkenheit nach mittelalterlichem Rechtsverständnis nämlich nur strafbar, wenn sie zu irgendeiner Art von Vergehen oder Verbrechen geführt hatte. Dies blieb mit geringen Variationen auch in der frühen Neuzeit bestehen: Juristisch wurde stets so argumentiert, Zutrinken und Trunkenheit seien deshalb zu verbieten, 30 S CHMELZEISEN , Quellen; ebd., 391. 31 T LUSTY , Bacchus, 253-256. 32 F OUCAULT , Überwachen; J ÜTTE , Disziplinierungsmechanismen, 101-118. <?page no="69"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 69 da sie zu weiteren Verbrechen führten; überdies sei Unmäßigkeit Verschwendung und daher im Interesse des Gemeinwohls zu unterbinden. Der Landesherr seinerseits betonte seine unmittelbare Verantwortung gegenüber Gott, die ihn verpflichte, für Abhilfe zu sorgen, um nicht Strafen Gottes - wie Seuchen, Missernten, Unwetter oder die Türken 33 - auf das Land zu ziehen. In Bayern wurden beispielsweise Mandate gegen Luxus, Gotteslästerung und Zutrinken häufig dann erneuert, wenn man einen Türkeneinfall befürchtete. 34 So hieß es auch 1596, durch Fluchen, Schelten, Zutrinken, Ehebruch und Unzucht erzürnt, schicke Gott jetzt seine Strafe, „welche sein Göttliche Allmacht durch augenscheinliche gefahr und macht des Erbfeindes der Christenheit, den Türcken/ erscheinen last.“ 35 Diese obrigkeitlichen Verbote scheinen jedoch wenig Wirkung gezeitigt zu haben. Mit fast lebensreformerischem Eifer machten es sich daher viele Vertreter der gebildeten Schichten zur Aufgabe, eine Bewusstseinsänderung bei den Zechern herbeizuführen: Humanisten wie Erasmus von Rotterdam oder Sebastian Franck, die Reformatoren Luther, Calvin und Zwingli sowie in ihrer Nachfolge Prediger wie Matthäus Friderich, Literaten wie Sebastian Brandt oder Hans Sachs, sie alle wetterten gemeinsam mit Jesuiten gegen das deutsche Laster. Als Beispiel dafür soll hier Luthers Kritik in seiner Hauptpredigt gegen den Trunk von 1539 zitiert werden: „Dazu gehöret nu, [...] das ain Christen sey ain solcher mensch, der auch mit essen und trincken seinen leib mäßig und nüchtern halte [...], auf das er wacker, vernünftig und geschickt zu betten sey, dann wer [...] ain volle Saw und ain täglicher Trunckenbold ist, der kann auch nicht geschickt sein weder zu betten noch andern Christlichen sachen.“ 36 Reformatoren und Gegenreformatoren waren sich einig in ihrer Beurteilung der Trunkenheit als eines Lasters, das erst in ihrer Zeit solch ungeheure Ausmaße angenommen habe. 33 So hieß es in der bereits erwähnten Polizeyordnung für Niederösterreich von 1552: „Darauf dann vermuetlich ervolgt/ das der Allmechtig Uns/ unser Lannde und Leut mit so manigfaltigen plagen und straffen/ als mit entziehung, mißrathund und vertheurung allerhandt frücht des Erdtrichs/ Hunger unnd Sterbens noten/ auch fürnemblich durch den wuettenden Erbfeinde Christlichs namens und Gedankens den Türckhen/ und in ender mer wege heimsucht“. 34 BayHStA, Kurbayern Mandatensammlung, z.B. 1524 VIII 10, 1595 I 15; ähnliche Argumente auch bei Luther, vgl. A LLWOHN , Luther. Vgl. auch Mandat von 1526: Gott strafe „mit unaufhörlicher zuschickhung/ beschwärlicher kranckhaiten/ Inn und Auslennndischen kriegen/ auch mit vergiessung Christlichen pluets/ unnd anderen belestigungen“. Oder, 1596: Durch Fluchen, Schelten, Konkubinate, Ehebruch und Unzucht sei Gott erzürnt worden und schicke jetzt seine Strafe „welche sein Göttliche Allmacht durch augenscheinliche gefahr und macht des Erbfeinds der Christenheit den Türcken/ erscheinen last.“ 35 BayHStA, Kurbayern Mandatensammlung, Mandat von 1526. 36 A LLWOHN , Luther, 38. <?page no="70"?> Marita Krauss 70 Doch - warum? Die überlieferten Produktions- und Verbrauchszahlen für alkoholische Getränke lassen daran zweifeln, dass vermehrter Verbrauch allein diesen Kreuzzug gegen den „Sauffteuffel“ ausgelöst hat, selbst wenn der zunehmende Wohlstand in den Städten zu einem ostentativen „Wohlstandstrinken“ geführt haben mag. Auch Jean Delumeaus Vermutung, im Rahmen des großen Umbruchs der Zeitenwende sei das gesellschaftliche Angstniveau und damit das Bedürfnis nach Betäubung angestiegen, 37 kann nicht völlig überzeugen. Gestützt auf die umfängliche Literatur zur „Guten Policey“ neige ich eher zu der Annahme, dass die zunehmende soziale Differenzierung der Gesellschaft in den engen Städten die überlieferten Formen gemeinschaftlicher Berauschung immer mehr zu einem Problem werden ließen; 38 Affektkontrolle und Berechenbarkeit des Einzelnen waren notwendig, um die soziale Gemeinschaft nicht zu gefährden. 39 Die Wiederentdeckung der Ratio in der Hochrenaissance führte zunächst bei den Gebildeten zu einer Neubewertung der „unvernünftigen“ und „zuchtlosen“ Trunkenheit: Durch das Primat der rationalen Wirklichkeitsbewältigung erhielt der Rausch seine Ambivalenz. Hinzu kam, im Sinne von Norbert Elias, das Vorrücken der Peinlichkeitsgrenzen: Der Betrunkene wurde zunehmend als unästhetisch und abstoßend beschrieben. 40 Die wachsende Abhängigkeit von den Einnahmen aus der Alkoholsteuer setzte dem Willen der Landesherren, hier Abhilfe zu schaffen, enge Grenzen; dennoch unternahmen sie den halbherzigen Versuch, ihren Untertanen Mäßigkeit aufzuerlegen. Dies soll nun noch näher ausgeführt werden. Die Warnung vor übermäßigem Weingenuss und die Kritik an „Säufern und Prassern“ begleitete bereits die Geschichte des antiken Weinkonsums, sie fand sich bei Paulus und Augustinus, wurde aufgenommen und ausgebaut in der christlichen Tugend der „temperantia“ und weitergetragen von weltlichen und geistlichen Predigern der Nüchternheit bis heute. So wies bereits 1264 Berthold von Regensburg, der berühmte Prediger, auf die schlimmen Folgeerscheinungen des Trinkens hin: Säufer brächten sich „durch ihre Völlerei um die Ehre und um Seele, Leib, Leben, Gesundheit und hohes Alter.“ 41 37 D ELUMEAU , Angst. 38 B UCHHOLZ , Sozialdisziplinierung, 143. 39 L EGNARO , Soziologie, 110f. 40 T LUSTY , Bacchus, 57-68, auch zum Gelehrtendiskurs der Zeit über den „trunkenen Körper“; R OPER , Männlichkeit, 162-164. 41 P FEIFFER / S TROBL , Berthold von Regensburg, Bd. II, 182, 3-14, 205, 17-19: Trinken als deutsches Laster. Gula ist die dazugehörige Sünde. C ORMEAU , Essen und Trinken, 77-84; S PODE , Trunkenheit, 65. Paracelsus, der Erfinder des Namens „Alkohol“, betonte: „Alle Dinge sind Gift und nichts ohn Gift; allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift“. P ARA- CELSUS , Leben, 132. <?page no="71"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 71 Eben diese Kritikpunkte werden im 15. und 16. Jahrhundert in vielfachen Variationen aufgenommen. Zunächst setzen sich die Städte mit sozialregulierenden Verordnungen gegen die Trunkenheit zur Wehr: 42 Das dichte Zusammenleben machte die Folgen des Rausches - wie „Lermen auf den Straßen“ oder Wirtshausraufereien mit oft tödlichem Ausgang als Konsequenz von Ehrverletzungen - zu einem Problem der allgemeinen Ordnung. Bereits im 13. und 14. Jahrhundert bemühte sich beispielsweise der Nürnberger Rat, das Verhalten der Bürger dort zu disziplinieren, wo „altes Herkommen“ oder Traditionen den rationalen wirtschaftlichen Zielen der stadtbürgerlichen Eliten entgegenstanden; dies galt auch für Alkoholexzesse. 43 Das Verbot von Zutrinken und Trunkenheit, „die erger erregt“, hatte hierbei seinen Platz im Rahmen der Luxusverbote und Aufwandsgesetze, 44 zu denen Kleiderordnungen und Verbote von Glücksspielen ebenso zählten wie Maßhaltegebote bei öffentlichen Aufzügen, bei Kindbettbesuchen, Taufen oder Hochzeiten. In diesen Bahnen bewegten sich dann auch die Reichs- und Landespoliceyordnungen, die sich mit Zutrinken oder Trunkenheit beschäftigten, beginnend mit dem vielfach erneuerten Reichstagsabschied zu Worms von 1495, in dem geboten wurde, das Zutrinken zu bestrafen. 45 Es folgten Landesregelungen, in denen die bekannten Argumente wiederaufgenommen wurden. So hieß es in der Policeyordnung für Niederösterreich aus dem Jahre 1552, man solle sich des Zutrinkens enthalten, da Zutrinken „[…] die trunckenhait geberet/ welche sehr wider Gott/ die natur un guet Sitten / auch die Menschen des Gebrauchs irer vernunft/ Synn un Glider entsetzen unnd/ daraus vil Gotteslesterung/ Mörderey/ Todtschlaeg/ Eebruch unnd sonst vil lasster unnd ubelthaten enstehn/ also da sich die Zuetrincker und alle Leut in geferlichkait irer Eeren/ Seel/ vernunfft/ Leibs un guets begeben.“ 46 Es sah so aus, als hätte sich seit Berthold von Regensburg wenig geändert, außer dass sich jetzt auch die weltliche Obrigkeit um die Mäßigkeit des Einzelnen kümmerte. Ein genauerer Blick zeigt jedoch Veränderungen. Diese betrafen einmal die wichtige Rolle der Vernunft im Kanon der Lebensgüter, um deren Schutz sich hier der Landesherr bemühte. Als zweites fällt die wachsende Bedeutung der Arbeitsdisziplin ins Auge: Die neue rationale Weltsicht hatte die „Faulheit“ erfunden; die Alkoholfrage machte diese Deutungsmuster sichtbar. 42 B UCHHOLZ , Sozialdisziplinierung, 143-147; D INGES , Ehre, 409-440; T LUSTY , Verbrechen, 133f. 43 B UCHHOLZ , Sozialdisziplinierung, 143-147. 44 S TOLLEIS , „Vom grewlichen Laster der Trunckenheit“, 178f. 45 Gedruckt bei S CHMELZEISEN , Quellen, 26. 46 Anonym, Policeyordnung Niederösterreich 1552, IV. <?page no="72"?> Marita Krauss 72 So gewann in den Policeyordnungen der protestantischen Länder, stärker als beispielsweise im bayerisch katholischen Bereich, 47 der Zusammenhang zwischen Rausch, Müßiggang und Verschwendung an Bedeutung. Dies zeigen die Ordnungen aus Preußen von 1577, 48 aus der Churpfalz von 1578, 49 aus Württemberg von 1621 50 oder aus Sachsen-Gotha von 1666. 51 So hieß es in der churpfälzischen Policeyordnung, dass „[…] viel Müssiggehender Weinschleuch gemeinigklich in Wirtsheusern erfunden werden/ die das ihrige unnützlich verzehren/ ihr arbeit verseumen/ Weib und Kind darneben hungerleiden/ und zu zeiten gar unnottürfftig nach dem Allmusen gehen lassen/ da sie in andere billiche weg dieselben wol zu ernehren hätten/ welches nicht allein ihr selbs nachtheil/ sonder dem gemeinen nutz auch ein abbruch/ und nur ursach zu allen lastern gibt.“ 52 Die Amtspersonen sollten solchen Leuten zunächst ins Gewissen reden, sie aus den Wirtshäusern zu ihrer Arbeit schaffen, im Wiederholungsfalle in den Turm werfen und, wenn auch das nicht helfe, ein Entmündigungsverfahren einleiten, noch bevor das Hab und Gut verschwendet sei. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgte das Verbot, innerhalb eines bestimmten Zeitraums, meist eines Jahres, Wirtshäuser zu besuchen oder außerhalb des eigenen Hauses Wein zu trinken, ein Verbot, das oft nach Trunkenheitsexzessen oder öffentlichen Raufhändeln, aber auch bei Vernachlässigung der häuslichen Fürsorgepflicht verhängt wurde. 53 Zu ergänzen sind diese Strafen noch um ordnungsrechtliche Bestimmungen, durch die den Wirten die Schankstunden begrenzt und das Ausschenken während des Gottesdienstes oder auf Kredit verboten wurde. 54 Eine genauere Betrachtung macht sichtbar, dass sich diese Maßnahmen durchaus über Foucaults Disziplinierungskategorien aufschlüsseln lassen: Der Säufer sollte von 47 Den Rechtstitel „Pro Prodigo“, der aus dem römischen Recht stammte, gab es zwar auch im Bayerischen Landrecht von 1616, doch in den einschlägigen Mandaten gegen das Zutrinken wie zum Beispiel dem von 1526 heißt es nur, „wölicher mennsch in trunckenhait/ auf der gassen/ mit offenlicher vnzucht betreten/ oder täglich darmit beladen wirdet/ das der [...] von stundan/ in die Keychen gelegt/ vnnd nit außgelassen werde/ bis er wol nuechter wirdet.“ BayHStA, Kurbayern Mandatensammlung 1526 XII 1. Von der möglichen Entmündigung ist nicht die Rede. 48 S CHMELZEISEN , Quellen, 396. 49 Anonym, Pfalzgrave Ludwigs […] Christliche PoliceyOrdnung. 50 S CHMELZEISEN , Quellen, 509; hier hieß es u.a., der Betrunkene solle für zwei Tage bis zu einigen Wochen bei Wasser und Brot „in Thurn bießen“ oder wahlweise einen Strafgulden bezahlen. 51 Ebd., 619f. 52 Anonym, Pfalzgrave Ludwigs […] Christliche PoliceyOrdnung. 53 T LUSTY , Verbrechen, 141; zum Fortwirken K RAUSS , Herrschaftspraxis, 337-345. 54 Vgl. die zitierten Ordnungen bei S CHMELZEISEN , Quellen. <?page no="73"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 73 seinen Trinkgenossen getrennt, durch Gefängnisstrafe oder Hausarrest von der Gesellschaft abgeschlossen, durch ein System von Abmahnungen in die Enge gedrängt, ständig kontrolliert und im schlimmsten Fall entmündigt oder ausgewiesen werden. In diesem entscheidenden Punkt war die Trunkenheit inzwischen zu einem Teil der Armenfrage geworden. Der obrigkeitliche Wille ist in diesen Verordnungen eindeutig. Wieweit solche Regelungen im Einzelnen vollzogen wurden, ist kaum überprüfbar. Die zuständigen Instanzen, nämlich die weltlichen Obrigkeiten, befanden sich in einer höchst zwiespältigen Lage: Die Städte bezogen ebenso wie die Landesherrn längst einen wichtigen Teil ihrer Einnahmen aus Bieraufschlag, Weinakzise oder Branntweinsteuer. So stammten beispielsweise in Nürnberg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts 41 Prozent der städtischen Einnahmen aus der Getränkesteuer; in der Mark Brandenburg tilgte das Braugewerbe innerhalb von 14 Jahren fast die Hälfte der kurfürstlichen Schulden in Höhe von rund eineinhalb Millionen Gulden. 55 Hinzu kamen lukrative Regalien wie im Bayern Maximilians I. das Weißbiermonopol. In vielen Städten waren die angesehensten Bürger Weinhändler oder Bierbrauer, die kein Interesse daran hatten, den Konsum einzuschränken. Auch die Grundherren entdeckten Brauereien, Brennereien und Wirtshäuser als Einnahmequelle. Das selbst erzeugte Bier setzten sie meist gleich an ihre Bauern ab. Ähnliches galt für die geistlichen Autoritäten: Viele Klöster verdienten hervorragend an ihrer Bierproduktion 56 und am Weinverkauf. In den Dörfern verfügten oft die Pfarrer über Schankgenehmigungen und so verwandelten sich manche Pfarrhöfe sonntags oder bei Kirchweihfesten in Wirtshäuser, was bereits in den Gravamina der Reichsstände in Nürnberg 1532 kritisiert wurde. 57 3. Wandel der Konsumpraktiken Diese Situation war verständlicherweise der effizienten Kontrolle der Trunkenheitsverbote nicht zuträglich. 58 Es entstand eben die doppelte Moral, die bis heute den Umgang des Staates mit Genussmitteln kennzeichnet: Die Gleichzeitigkeit von Mäßigkeitsappellen und steuerlicher Ertragsmaximierung. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederholte sich dies im Umgang mit den neuen Drogen Tabak und Kaffee. 55 H UNTEMANN , Braugewerbe, 79. 56 Ebd., 88. 57 S PODE , Trunkenheit, 70; Gravamina der Reichsstände, gedruckt Nürnberg 1607, Beschwerden an die Päpstlichen Oratoren. 58 A USTIN , Europäische Drogenkrise, 126f. <?page no="74"?> Marita Krauss 74 Vor allem der Kaffee wurde Symbol des Siegeszugs der bürgerlichen Tugenden der Nüchternheit, Mäßigkeit, Wachheit, Arbeitsamkeit, die sich zum Bestandteil des Habitus der neuen - bürgerlichen - Elite entwickelten. 59 Trunkenheit hatte in ihrem Wertekanon, der von Ratio und Disziplin bestimmt war, keinen Platz: Das bürgerliche Kaffeehaus des 18. Jahrhunderts, zentraler Ort der neuen intellektuellen Führungsschicht, wurde meist von einer großen Uhr dominiert, dem Schrittmacher der neuen Zeit. Auf vielen sozialen Ebenen geriet der die Zeit relativierende oder aufhebende Rausch als die Inkarnation unvernünftiger Zeitverwendung nun in den Bereich des schlechten Gewissens, in den ihn seine Kritiker bereits seit dem Ausgang des Mittelalters zu drängen versucht hatten. Als trotzige Vision eines anderen Lebensentwurfs blieb die Vorstellung vom Schlaraffenland 60 als dem Paradies der Faulen, der Prasser und Säufer, wie sie beispielsweise Hans Sachs in seinem Meistersang vom „Schlaweraffenland“ ausgemalt hat, bis heute bestehen. Dort schloss dann auch die Mäßigkeitsbewegung des 19. Jahrhunderts an. 61 Zunächst löste die „Branntweinpest“ in den frühindustrialisierten Ländern wie England Entsetzen aus: Arbeiter, die sich kein Essen leisten konnten, betäubten den Hunger mit billigem Branntwein. Dem wurde noch der Bierkonsum in leuchtenden Farben gegenübergestellt, der angeblich rund und gesund machte. 62 Ob im übrigen Europa oder in Deutschland, die Industrialisierung führte zunächst zu einem Anstieg des sozial nicht akzeptierten öffentlichen Trinkens, da die Möglichkeiten zu privatem Konsum durch die Wohnsituation beschränkt waren. 63 Wie bereits vorher in England etablierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Anti-Alkoholbewegung als ein wichtiger Teil der Lebensreformbewegung. Nun wurde jeder Alkoholkonsum als Laster angeprangert. 64 Wieder ging es um Rationalität und Arbeitsmoral, um bürgerliches Familienleben und Verantwortung für die eigene Gesundheit. Als Gegenbild wurde mit päpstlichem Segen von der Firma Franz Kathreiner’s Nachfolger der Malzkaffee propagiert, der seinen Siegeszug um die Welt antrat. 65 Doch - hat es etwas geholfen? Konsumgeschichtliche Forschungen zum Alkoholkonsum in der Zwischenkriegszeit zeigen, 66 dass sich im Amerika der Prohibition die Konsumpraktiken veränderten: Spirituosen lösten das Bier ab und damit auch der Wunsch nach dem schnellen Rausch das gesellige Trinken. Als weiterer Faktor wird 59 S CHIVELBUSCH , Paradies; M ÜLLER , Einführung des Kaffees, 669-681; B ALL , Kaffee. 60 Dazu M ÜLLER , Schlaraffenland; R ICHTER , Schlaraffenland. 61 H IRSCHFELDER , Alkoholkonsum, Bd. 1, 293-312. 62 S PODE , Trunkenheit, 149-192. 63 H IRSCHFELDER , Alkoholkonsum, Bd. 1, 338. 64 F RITZEN , Gesünder leben; B RIESEN , Das gesunde Leben. 65 K ASBERGER , Repräsentation und Selbstdarstellung, 223-236. 66 P RINZ , Gesichter des Konsums, darin vor allem W ELSKOPP , Halbleer oder Halbvoll, 183-210; T ORP , Breite Front, 163-182. <?page no="75"?> Vom Sozialen Trinken zum einsamen Alkoholiker 75 die hohe Besteuerung genannt, die den Konsum zurückgehen ließ. In der Weltwirtschaftskrise zeigte sich sodann der enge Zusammenhang zwischen den finanziellen Möglichkeiten und dem Alkoholkonsum. Schlägt man den Bogen zu heute, so werden viele Parallelen erkennbar: Das „Soziale Trinken“ ist ein genuiner Teil der heutigen Feierkultur der Jugendlichen und das vielzitierte „Komasaufen“ erinnert sehr an die geschilderten Besäufnisse der Frühen Neuzeit. Der Bierkonsum pro Kopf ist in Deutschland zurückgegangen, aber der Wein hat sich zum gesellschaftlichen Kult entwickelt - Weinkenntnis gehört zu den „feinen Unterschieden“, die Pierre Bourdieu in seinen Kanon der Differenzen aufgenommen hat. Gleichzeitig findet der Alkoholismus hinter verschlossenen Türen statt, heimlich, mit versteckten Flaschen im Bücherregal oder im Schreibtisch. Trinken ist gesellschaftlich erlaubt, Abhängigkeit gilt als Schwäche und sie gefährdet den Arbeitsertrag, der streng unter das Effizienz- und Erfolgsprinzip gestellt wird. Schlägt das Feiern in die Abhängigkeit um, wird aus dem sozialen Trinker ein einsamer Alkoholiker, der seine Sucht vor der Welt zu verstecken versucht. Ehefrauen, Familien und Kollegen machen dieses Versteckspiel dann oft jahrelang mit und Ermahnungen helfen im 21. Jahrhundert ebenso wenig wie im 16. und 17. Jahrhundert. Quellen und Literatur Archive Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Kurbayern Mandatensammlung, 1524 VIII 10. - Kurbayern Mandatensammlung, 1526. - Kurbayern Mandatensammlung, 1595 I. Gedruckte Quellen Anonym: Pfalzgrave Ludwigs/ Churfürstens unnd Bischoffs Marquards zu Speir auffgerichtete Christliche PoliceyOrdnung/ in der gemeynschafft Altenstatt und Landeck, Heidelberg 1578. Anonym: Landts- und policeÿordnung der chur[fürst]l[ichen] durchl[aucht] in Bayrn, u[nd] fu e rstenthumbs der Obern Pfalz. Gedruckt zu Mu e nchen, durch Johann Ja e cklin. M. DC. LVIII., in: W OLFGANG W ÜST (Hrsg.), Die „gute Policey“ im Reichskreis, Bd. 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Weitere Themen waren die Beschäftigung der Bewohner, die Verteilung des Wohlstandes, ihre Reinlichkeit, darüber hinaus ihre Vergnügungen und Feste und das eheliche Leben. Ein wichtiger Punkt war auch die Ernährung und hier insbesondere die Frage nach den Getränken. Ihre Berichte sandten die Ärzte nach der Fertigstellung an die jeweiligen Kreisregierungen. Von dort wurden sie an das „kgl. statistische Bureau“ geschickt und schließlich 1913 an die Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek abgegeben. Diese 246 Berichte werden ergänzt von denjenigen aus Oberbayern, die lange Zeit als vermisst galten und heute im Stadtarchiv München 1 Dieser Aufsatz beruht auf den umfassenden Vorarbeiten meines Vorgängers in der Heimatpflege des Bezirks Schwaben, Gerhard Willi, dem ich bei meiner Arbeit an der Edition der nordschwäbischen Physikatsberichte zum Dank für Hilfestellungen verpflichtet bin. Die Vorarbeiten finden sich ausformuliert in: W ILLI , Bier. Außerdem ist das Thema Bierkonsum bereits bei V ÖLKER / W ORMER , Alltag und Lebenszyklus, 37‒40, zwar gut, aber nur überblickshaft behandelt worden. Die Einbeziehung bis dahin unbekannter Physikatsberichte (u.a. Bissingen, Höchstädt und Wallerstein) sowie die tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema rechtfertigen die erneute Beschäftigung damit. Weitere Vorarbeiten stammen von S IE- MONS , Braunes Bier, der allerdings lediglich auf den Stadt- und Landkreis Augsburg eingeht. Er kann damit den selbst gestellten Anspruch, allgemeingültige Aussagen für Bayerisch-Schwaben zu treffen, nicht erfüllen. Bei Ortsangaben ist, wo nicht anders angegeben, immer der gesamte Physikatsbezirk gemeint. <?page no="82"?> Felix Guffler 82 lagern. 2 Hierbei handelt es sich um 40 Berichte, demnach sind es insgesamt 286 Berichte. Für Schwaben sind alle 42 Berichte erhalten. 3 Die Physikatsberichte bieten eine geographisch feingegliederte Beschreibung des Landes in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie sind aber keineswegs objektive Zustandsbeschreibungen, sondern subjektiv gefärbte Blicke vom gesellschaftlichen Oben zum gesellschaftlichen Unten. Da die Ärzte unterschiedliche Ziele verfolgten, angefangen von massiver Kritik an bis hin zu einer devoten Haltung gegenüber ihren Vorgesetzten, sind die einzelnen Berichte nicht ohne weiteres zu vergleichen, sondern geben in ihrer Gesamtheit einen Einblick in Arbeits- und Lebensbedingungen im 19. Jahrhundert. 4 In der Ansicht, dass Bier das „gewöhnlichste Getränk neben dem Wasser sei,“ 5 stimmten die meisten Physikatsberichterstatter überein. Hinsichtlich Fragen der Qualität, des Bierverbrauchs, der Wirtshausdichte und in der Frage, wer welches Bier trinkt, unterscheiden sie sich aber zum Teil. 1. Fragestellung „Außerdem wird auch viel weißes Bier getrunken, dieses weiße Bier, ist ein schales, oft saures, meistens trübes aus einer Mischung von Hopfen und Malz, und den Überbleibseln des Braunbiersude, zusammengesetztes wiedriges, und da es oft gleich von der Pfanne weg zum Trunke verwendet, und in den heißen Sommertagen in großen Maßen genoßen wird, der Gesundheit schädliches Getränke, welches den Magen auftreibt, Säure bildet und die Verdauung stört. Als Corrigens wäre durch dieses Getränke bewirkten Verdauungsstörungen wird dann zum Branntwein gegriffen, der dann den Weißbiertrinkern zur Gewohnheit, und da er in manchen Familien ebenso von Männern, als von Weibern getrunken wird, das Verderben derselben so gut in moralischer, wie in physischer Beziehung wird, zu vielen Krankheiten Veranlaßung gibt, die geistigen Kräfte abstumpft, und die Schuld des Verderbens ganzer Generationen in sich trägt. Auch das braune Bier, das sonst nicht häufig getrunken wurde, erfreut sich gegenwärtig schon eines großen Absatzes, und beschäftigt eine Menge Brauereien. Auf jeden Fall ist dieses braune Bier, da es, wenn einigermaßen vorschriftsmäßig bereitet, keine Verdauungsstörungen bewirkt, und das Bedürfnis zum 2 StadtAM, Bestand Historischer Verein von Oberbayern MS 401. 3 Anmerkung zur Geschichte der Physikatsberichte mit Schwerpunkt Schwaben W ILLI , Die Bayerischen Physikatsberiche; F ASSL , Physikatsberichte als Quelle. Grundsätzlich auch R E- DER , Physikatsberichte. 4 W ILLI , Die Bayerischen Physikatsberichte. 5 D ERS ., Landkreis Dillingen, 364. <?page no="83"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 83 Branntweingenuße nicht hervorruft, wie das weiße, mäßig genossen der Gesundheit viel zuträglicher.“ 6 Der Physikatsbericht aus Türkheim schildert die Bedeutung des Bieres ausführlich. So oder so ähnlich äußerten sich die Physikatsberichte zum Thema Bier. Im Mittelpunkt standen somit Qualitätsunterschiede zwischen weißem und braunem Bier, deren Gesundheitszuträglichkeit bzw. -schädlichkeit, der Zusammenhang zwischen Bier- und Branntweinkonsum und deren moralische Auswirkungen. Diese Feststellungen und Annahmen sollen im Folgenden vorgestellt werden. 2. Wer trinkt Bier? „Bier ist das gebräuchlichste geistige Getränke und zugleich auch ein nährendes von vortrefflicher Güte in großen Quantitäten genoßen.“ 7 Diese Feststellung zur medizinischen Eignung des Bierkonsums durch den Physikatsarzt aus Krumbach kann lediglich ansatzweise den Bierkonsum der Gesellschaft beschreiben. Während in Kaufbeuren Bier noch als gewöhnliches Getränk bezeichnet wurde, differenziert der Marktoberdorfer Bericht. Wasser sei dort das normale Getränk, aber an Sonn- und Feiertagen wurde gerne Bier konsumiert, zum Teil sechs bis acht Maß, „ohne Schaden“ anzurichten. 8 Ähnliches wird aus Friedberg und Aichach berichtet. In der Sonthofener Beschreibung wird ebenfalls darauf abgehoben, dass Wasser noch das übliche Getränk sei, der Bierverbrauch dagegen erst seit 20 bis 30 Jahren stark ansteige. 9 Im Mindelheimer Bericht wird besonders das Biertrinken als Sonntagsvergnügen bezeichnet. Bier sei in Bayern „überhaupt so auch in Schwaben ein Lieblingsgetränk.“ 10 Ebenso verlautet es der Bericht aus Neu-Ulm. 11 Aber auch zu besonderen Anlässen wurde Bier gereicht. So schlachteten laut dem Obergünzburger Bericht zahlreiche Bauern an Festtagen und luden die Nachbarn anschließend zu Essen und Bier ein. 12 Darüber hinaus wurde bei der Totenwache, 13 bei Begräbnissen von Kindern, 14 beim Leichenschmaus, 15 beim Kartenspielen, 16 beim 6 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 144. 7 D ERS ., Landkreis Günzburg, 546. 8 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 276. 9 D ERS ., Lindau und Oberallgäu, 425; L ÖFFELMEIER , Aichach, 64; F UCHS , Friedberg, 277. 10 W ILLI , Unterallgäu und Ostallgäu, 105. 11 D ERS ., Entlang der Iller, 74. 12 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 253. 13 Ebd., 255. 14 D ERS ., Landkreis Dillingen, 141. 15 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 282; DERS ., Entlang der Iller, 321. 16 Ebd., 115; DERS ., Landkreis Günzburg, 401. <?page no="84"?> Felix Guffler 84 Tanzen, 17 bei Hochzeiten, 18 Jahrmärkten, Kirchweih, Fasching, 19 beim Ernteschmaus, 20 ebenso auch bei der Sichel- und Flegelhänke Bier konsumiert. 21 Aber auch unter der Woche, besonders während der Erntezeit, bekamen landwirtschaftliche Dienstboten Bier gereicht, in Dillingen beispielsweise zur Neun-Uhr-Brotzeit, wo Weißbier, zum Teil aber auch Braunbier, zur Verfügung standen, 22 ebenso in Wertingen, 23 Burgau 24 und Krumbach. 25 In Günzburg bestand zum Teil das Mittagessen nur aus Braunbier mit schwarzem eingebrocktem Brot. 26 Der Zusmarshauser Bericht sagt darüber hinaus, dass insbesondere in der Erntezeit bei Reich und Arm das Weißbier als Hauptgetränk genossen wurde. So war es dort auch üblich, ein Fässchen Weißbier, übrigens in guter Qualität, mit aufs Feld zu nehmen. 27 In Rain wurde die Beliebtheit des Bieres deutlich hervorgehoben. „Alles, Groß und Klein, Alt und Jung, Reich und Arm, Männlich wie Weiblich - alles trinkt Bier.“ 28 Dass Bier nicht nur von Erwachsenen getrunken wurde, belegen die Physikatsberichte von Lauingen, Günzburg und Burgau. In allen dreien wird beschrieben, dass Bier schon Kleinkindern gereicht werde. So wurde der „Schlötzer“ ins Bier getunkt, wahrscheinlich um sie ruhig zu stellen. 29 In Oettingen wurde den Babys Bier in den Brei eingekocht. 30 Einen besonderen Genuss gönnten sich wohl reichere Günzburger und Grönenbacher Frauen, die im Sommer nachmittags Brot mit Weißbier oder Braunbier und Zucker zu so genannten „süße Bröckla“ mischten und mit großem Genuss aßen. 31 Auch die Wöchnerinnen bedienten sich des braunen Bieres zur Stärkung, 32 ähnliches 17 Ebd., 531. 18 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 280. 19 D ERS ., Entlang der Iller, 313. 20 D ERS ., Landkreis Dillingen, 141, 237. 21 Ebd., 237; DERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 253, DERS ., Entlang der Iller, 250. Sichel- und Flegelhänke sind Erntefeste, die nach Abschluss des Getreideschnitts bzw. -dreschens veranstaltet wurden. 22 D ERS ., Landkreis Dillingen, 312. 23 Ebd., 361. 24 D ERS ., Landkreis Günzburg, 363. 25 Ebd., 514. 26 Ebd., 83. 27 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 28 L ÖFFELMEIER , Rain, 124. 29 W ILLI , Landkreis Dillingen, 255; DERS ., Landkreis Günzburg, 88, 369. 30 BSBM, cgm 6874/ 133, Physikatsbericht Oettingen, fol. 15. 31 W ILLI , Landkreis Günzburg, 86. 32 Ebd., 152; DERS ., Landkreis Dillingen, 372; DERS ., Entlang der Iller, 118. <?page no="85"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 85 wird auch aus Monheim berichtet. Hier wurde das Weißbier aus „diätetischen Rücksichten in Krankheiten als so genanntes, warmes Bier genossen.“ 33 Ein solcher Konsum wird aus Zusmarshausen bei Kranken überliefert, diese trinken ebenfalls Weißbier: „Die erste Frage eines Patienten an seinen Arzt ist sicher die: ‚Darf ich weißes Bier trinken? ‘ Das Verbieten hilft nicht viel; bei ihrer Scheu vor frischem Quellwasser trinken sie es doch.“ 34 Auffällig sind die Schilderungen zu Fabrikarbeitern, beispielsweise im Physikatsbericht Göggingen. Dort trinken die Fabrikarbeiter mittags ein Glas Bier, normalerweise Weißbier, sonntags Braunbier , während die Frauen allgemein nur Weißbier konsumieren. Zum Abendessen gab es wohl für die Männer im Sommer Braunbier. 35 Schließlich sei abschließend an die entstehende Biergartenkultur erinnert. Ab den 1830er Jahren wurden in Bayern vermehrt Parks und Gärten zu Ausflugszielen ausgebaut; einige gingen aus ehemaligen Forsthäusern hervor. 36 Dieser Entwicklung entsprechend verweist der Bissinger Bericht auf den Vergnügungsgarten Eisbrunn: Dort befand sich ursprünglich eine Forstschule mit exotischen Sträuchern und Bäumen, die auf die Menschen eine hohe Anziehungskraft habe, erst recht wo dort Bier „ausgeschenkt, aber nicht verschenkt“ werde. 37 Bezüglich des Bierverbrauchs weichen die Angaben sehr stark voneinander ab. In Oettingen wurden ca. 34 Liter pro Jahr und Einwohner errechnet, 38 während in Lauingen Gewerbetreibende schon eine halbe Maß Braunbier am Vormittag und Nachmittag genießen durften. 39 Auch in Dillingen wurde mit ungefähr 50 Litern Jahresverbrauch pro Einwohner gerechnet, weil dort in der Regel nur Sonntags Weißbier getrunken wurde, 40 während man in Wertingen anmerkte, dass zum Teil etwas zu viel Bier im Wirtshaus getrunken werde. 41 In Günzburg errechnete der Physikatsarzt eine halbe Maß Bier pro Tag und Individuum, wobei dies auch sehr stark vom Einkommen abhängig gewesen sei. 42 Ähnliches erfährt man aus Wemding, wo das Biertrinken noch als die einzig existierende Ausschweifung bezeichnet wurde: Gewohnheitstrinker, die jeden Tag ihren kleinen Rausch benötigen und Gelegenheitstrinker, die bei gewissen Gelegenheiten einen „vollkommenen Rausch haben wollen,“ doch es gebe 33 BSBM, cgm 6874/ 113, Physikatsbericht Monheim, fol. 107. 34 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 35 Ebd., 64f. 36 L ATURELL , Volkskultur, 122-124. 37 W ILLI , Landkreis Dillingen, 108. Die Waldschänke Eisbrunn ist bis heute ein Ausflugsziel in der Region, vgl. https: / / eisbrunn-harburg.de/ home.html (Zugriff am 2.3.2020). 38 BSBM, cgm 6874/ 133, Physikatsbericht Oettingen, fol. 15. 39 W ILLI , Landkreis Dillingen, 235. 40 Ebd., 311f. 41 Ebd., 362. 42 D ERS ., Landkreis Günzburg, 87f., 208. <?page no="86"?> Felix Guffler 86 Abb. 1: Situationsplan des Forstparks mit dem Forsthaus am Eisbrunn im Jahr 1868; Fürstlich Oettingen-Wallersteinsches Archiv Harburg. <?page no="87"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 87 Abb. 2: Eine Postkarte aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Ansichten der Waldwirtschaft; Fürstlich Oettingen-Wallersteinsches Archiv Harburg. <?page no="88"?> Felix Guffler 88 Abb. 3: Plan zum Umbau des Forsthauses aus dem Jahr 1885; Fürstlich Oettingen- Wallersteinsches Archiv Harburg. <?page no="89"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 89 kaum größere Exzesse. 43 Schließlich rechnete man für die Stadt Kempten ungefähr eineinviertel Maß pro Kopf, aber es würden, so bemerkt der Physikatsarzt, auch viele Fremde mittrinken. 44 Aus Roggenburg stammt die Beobachtung, dass die Schulmeister „bei den sich darbietenden Gelegenheiten 16‒20 Glas Bier herab stürzen.“ 45 In Wallerstein wird von einer starken Enthaltsamkeit berichtet: „Die unserm Landvolke ohnstrittig innewohnende Sparsamkeit verhütet auch alle anderweitigen Extravaganzen im Essen und Trinken; so ist die Bierconsummtion ziemlich gering und zahlt das ganze Rieß aus 4. Landgerichtsbezirken bestehend kaum soviel Bieraufschlag als ein einziger von den bedeutenderen Münchner Bräuern.“ 46 Diesen markanten Gegensatz zwischen Stadt und Land überliefert auch der Friedberger Physikatsbericht. 47 Der Aichacher Bericht präzisiert dies noch: „Wenn nun auch das Fleisch im regelmäßigen Küchen-Zettel des Landvolkes fehlt, so ist dieses nicht der Fall bei den Bewohnern der Stadt und Märkte, in denen fast überall Fleisch […] zur täglichen Nahrung gereicht wird und das Bier nicht fehlen darf, während dieß auf dem Lande nur als Sonntags-Getränk betrachtet […] wird.“ 48 Abschließend sei erwähnt, dass der Bierkonsum in Bayern momentan bei ca. 145 Liter pro Person und Jahr steht. 49 3. Konfessionelle Unterschiede Weiterhin sei auf konfessionelle Unterschiede beim Bierkonsum hingewiesen, die insbesondere der Physikatsbericht Bissingen anspricht. „Auch die beiden Confessionen machen einen namenhaften Unterschied. Braunes Bier wird weit mehr u. häufiger von Katholiken, als von Protestanten konsumirt. Man trifft im Kesseltal mehrere protestantische Gemeinden, wo nur weißes Bier zuhaben ist. […] Bei Katholiken darf braunes Bier in keiner Gemeinde fehlen. Weißes Bier wird daher vorzugsweise bei Protestanten getrunken, während der Katholik meist nur braunes Bier sucht u. liebt. Es wird dem weißen Biere von protestantischer Seite doch wohl auch nur aus Sparsamkeit, nicht aus Liebhaberei oder wegen seiner Güte der Vorzug gegeben [ueberhaupt lebt der Protestant viel nüchterner u. einfacher als der Katholik, welch leztrer mehr zum Wohlleben hinneigt, nicht die Sparsamkeit 43 BSBM, cgm 6874/ 189, Physikatsbericht Wemding, fol. 207. 44 W ILLI , Lindau und Oberallgäu, 134. 45 D ERS ., Entlang der Iller, 111. 46 BSBM, cgm 6874/ 198, Physikatsbericht Wallerstein, fol. 33. 47 F UCHS , Friedberg, 277. 48 L ÖFFELMEIER , Aichach, 64. 49 K UHN , Statistik. <?page no="90"?> Felix Guffler 90 kennt, die den protestantischen Nachbaren so vortheilhaft im allgemeinen auszeichnet].“ 50 Die Vergnügungssucht der Katholiken erkannte der Bissinger Physikatsarzt nicht nur am Konsum von braunem Bier, sondern auch an zahlreichen „Saufgelagen“ und am Vorhandensein zahlreicher Kegelbahnen. Insgesamt wären die vielen Fest- und Feiertage und insbesondere auch die Wallfahrten bei den Katholiken dafür verantwortlich, dass fast alle protestantischen Gemeinden wohlhabend seien und die Katholischen dagegen eher ärmlich. 51 Ähnliches lässt der Wallersteiner Bericht vermuten, der den Bierkonsum dieser evangelisch geprägten Gegend aus Sparsamkeitsgründen als ziemlich gering veranschlagte. 52 Das Bier ist nach den Physikatsberichten nicht nur ein Getränk, sondern auch Nahrung, ein Mittel für die Gesundheit bzw. für das körperliche und moralische Verderben und ein Indiz für den Wohlstand des Einzelnen und seiner Konfessionszugehörigkeit. 4. Qualitätsunterschiede Bezüglich der Qualität waren sich die Physikatsärzte ziemlich einig. Das weiße Bier wurde als schlecht, Krankheiten verursachend und zum Branntweinkonsum animierend bezeichnet, 53 während das Braunbier allgemein als gut und gesundheitsfördernd angesehen wurde. 54 Bei Braunbier handelt es sich um Gerstenbier, während Weißbier aus Weizen und Gerste hergestellt wurde. 55 Differenzierter bewertete man das Bier in Memmingen, dort galt es allgemein als nahrhaft. Das Braunbier enthalte zu viel Hopfen und zu wenig Malz, das Weißbier wurde im Prinzip nur als Nachbier gesehen, das zum Teil aus Abfällen aus der Braunbierproduktion bestand. 56 Ähnliches findet sich auch im Wertinger Bericht. Hier wurde das Weißbier als „Heinslein“, also als Nachbier oder schlechtes Bier bezeichnet. 57 50 W ILLI , Landkreis Dillingen, 121f. 51 Ebd., 133. 52 BSBM, cgm 6874/ 189, Physikatsbericht Wallerstein, Kap. IX. 53 W ILLI , Landkreis Günzburg, 71, 365f., 515; DERS ., Landkreis Dillingen, 133; DERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 144, 299. 54 BSBM, cgm 6874/ 126, Physikatsbericht Nördlingen, fol. 29, BSBM, cgm 6874/ 133, Physikatsbericht Oettingen, fol. 15. 55 Zu den Unterschieden dieser Biersorten B IENEN , Braukultur, in diesem Band. 56 W ILLI , Entlang der Iller, 188. 57 D ERS ., Landkreis Dillingen, 364; F ISCHER , Wörterbuch, 1387. <?page no="91"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 91 Eine Ausnahme stellt der Bissinger Bericht dar. Hier wird jegliche Biersorte als ungenießbar oder minderwertig disqualifiziert. 58 Bezüglich der Qualität ist im Bissinger Bericht auch eine gewisse Verzweiflung des Schreibenden spürbar. Bezüglich des Kesseltalers schreibt er: „[…] sein Getränk ist Wasser, oder schlechtes weißes Bier. […] Braunes Bier, als zu theuer, wird nur ausnahmsweise getrunken; das weiße, wohlfeilere, dagegen ist schlecht, hefig, wässrig, ohne allen Gehalt. Dieses dann wird getrunken, wenn sich der Landmann etwas zu gut thun will. […] Ist es jezt noch ein Wunder zu nennen, wenn bei schlechter und dazu noch schlecht bereiteter Kost, bei schlechtem Biere und bei obriger Lebensweise Schwächefieber entstehen? Muß bei einer solchen Lebensweise nicht die Verdauungskraft nach u. nach untergraben werden? “ 59 Ähnliches überliefert auch der Burgauer Bericht. Bezüglich des weißen Gerstenbiers steht dort geschrieben: „Die Maß wird zu zwei bis drei [Kreuzer] verkauft. Dabei wird aber von Seite der Käufer an die Bräuer die Forderung gemacht, und von diesen auch gewährt, dass für den Preis einer Maß drei Halbe verabfolgt werden. So reichen sich hier die unverständige Ungenügsamkeit des Käufers und die schmutzige Gewinnsucht des Bräuers die Hände und es ist demnach wohl begreiflich, dass auch bei der schlechtesten Beschaffenheit dieses Bieres, welches nur der überall ausgebeutete Arme trinkt, keine Klage geltend gemacht wird.“ 60 Etwas differenzierter gibt sich der Augsburger Bericht. Über die Stadt Augsburg schreibt der zuständige Berichterstatter, dass deren Bier bis 1820 reichlich exportiert worden sei. Insbesondere das Weißbier wird als gut bezeichnet. Später sei der Ruf allerdings schlechter geworden. Viele Weißbierbrauereien haben ihren Betrieb eingestellt bzw. sich auf das Brauen von Braunbier spezialisiert. Früher, so der Augsburger Bericht, bekamen die Dienstboten, Handwerksgesellen und auch niedere Bürger Weißbier als Haustrunk. Braunbier werde nur am Sonntag verkonsumiert. Heute allerdings sei es keinem Arbeiter mehr zuzumuten, Weißbier zu trinken. 61 Auch aus Neu-Ulm wird berichtet, dass dort das Braunbier das gewöhnliche Getränk sei, während in Illertissen immerhin eine Zunahme des Braunbiergenusses verzeichnet wird. 62 58 W ILLI , Landkreis Dillingen, 121. 59 Ebd., 157. 60 D ERS ., Landkreis Günzburg, 164f. 61 Z ORN , Augsburg, 108. 62 W ILLI , Entlang der Iller, 71, 128. <?page no="92"?> Felix Guffler 92 Der Genuss von Weißbier und Braunbier hing weitgehend von den äußeren Lebensumständen ab. Niedrige soziale Schichten, landwirtschaftliche Arbeiter und Fabrikarbeiter genossen eher Weißbier, Städter und Wohlhabende Braunbier. 63 Andere Berichte führen diese Unterschiede auf den deutlich höheren Preis des Braunbiers zurück, 64 wobei in Dillingen „der Genuß des braunen Biers […] von Jahr zu Jahr mit dem sich sichtlich hebenden Wohlstande“ zunehme, 65 ebenso in Nördlingen und Oettingen. 66 Ähnliches findet sich auch in Krumbach, 67 wo das Braunbier den Marktbewohnern und Handwerkern vorbehalten blieb. Zum Teil blieb das Braunbier auch den Sonn- und Feiertagen und vor allem den Festtagen vorbehalten, während man unter der Woche kein Bier oder nur einfacheres weißes Bier konsumierte. 68 Das Weißbier wurde auch nur zu Hause genossen, während man in Wirtschaften eher auf das Braunbier zurückgriff. 69 Insgesamt war das Braunbier nach wie vor seltener anzutreffen als das Weißbier und wurde vor allem in größeren Orten konsumiert. 70 Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage des Zusmarshausener Berichtes, der einen Altersunterschied anführt; demzufolge trinken ältere Personen weiterhin ihr gewohntes weißes Bier mit Schnaps, während die Jüngeren, besonders an Sonn- und Feiertagen, auf das Braunbier umsteigen. 71 Etwas aus dem Rahmen fällt die Aussage des Memminger Berichts, wo insbesondere auf die relativ guten und preiswerten Weine aus der Pfalz und aus Württemberg verwiesen wurde, deren sich auch die unteren Schichten bedienten. 72 Ähnliches berichtet der Lindauer Arzt, der neben Wein (von geringer Qualität) auch Apfel- und Birnenmost erwähnt. 73 Grundsätzlich galt auf dem Land, dass vor allem das Münchner und Augsburger Bier von höherer Qualität als die örtlich gebrauten Biere seien. In die Stadt Donauwörth wurde Augsburger und Münchner Bier und Bock importiert. 74 Auch in Burgau wurde „viel Augsburger, selbst Münchner-Bier getrunken, auch Harthauser Bier wird 63 BSBM, cgm 6874/ 126, Physikatsbericht Nördlingen, fol. 29; W ILLI , Lindau und Oberallgäu, 305; DERS ., Landkreis Günzburg, 208, 515; BSBM, cgm 6874/ 189, Physikatsbericht Wemding, fol. 207. 64 W ILLI , Landkreis Dillingen, 121, 157, 312. 65 Ebd., 312. 66 BSBM, cgm 6874/ 126, Physikatsbericht Nördlingen, fol. 29; BSBM, cgm 6874/ 133, Physikatsbericht Oettingen, fol. 15. 67 W ILLI , Landkreis Günzburg, 515. 68 F IEDLER / W ILLI , Höchstädt, 72; W ILLI , Landkreis Dillingen, 362. 69 D ERS ., Landkreis Günzburg, 250; DERS ., Entlang der Iller, 128. 70 D ERS ., Landkreis Dillingen, 312; DERS ., Entlang der Iller, 313. 71 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 72 W ILLI , Entlang der Iller, 188. 73 D ERS ., Lindau und Oberallgäu, 82. 74 T ILL , Donauwörth, 44. <?page no="93"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 93 hier vieles konsumiert.“ 75 In Wallerstein wird das Augsburger Bier ebenfalls als „gut“ bezeichnet. 76 Aus Bissingen berichtet der Amtsarzt, dass im Dorf Mauren in einem Biergarten „sehr gutes Münchnerbier ausgeschenkt“ werde. 77 Gleichzeitig werde in diesem Bezirk von Seiten der Brauer nicht auf Qualitätsstandards geachtet. „Die Brauer denken sich, sagen es sogar: ‚es wird doch getrunken.‘“ 78 Dasselbe wird aus Burgau berichtet, dort soll die Gier der Brauer zu Produkten geführt haben, die eine derart schlechte Qualität aufwiesen, dass ihr Genuss zu Magenproblemen führte. 79 In Grönenbach äußerte sich der Amtsarzt ebenfalls empört über den Betrug bei der Bierfabrikation. 80 5. Wirtshäuser, Brauereien, Preise Die Versorgung mit Wirtshäusern war wohl ziemlich flächendeckend, allein in Bissingen mit 500 Einwohnern gab es vier Wirtshäuser, 81 im Bezirk Dillingen 26 „Bierschenken“, 33 Brauer und drei Weißbierschenken. 82 Im Bezirk Wertingen existierten 36 Privatbrauereien, wovon alleine sechs in der Stadt Wertingen ihr Auskommen fanden, und im Dorf Biberbach vier. 83 Ähnliche Verhältnisse herrschten in Burgau, allein in der Stadt Burgau existierten 16 wohl sehr kleine Brauereien und im Gesamtbezirk insgesamt 29 Brauereien. 84 Aus Krumbach wird von elf „hervorragendsten Bräuereyen“ berichtet. 85 Im Physikatsbezirk Günzburg arbeiteten 50 Brauer mit insgesamt 27 Gesellen. 86 Die meisten Brauer stellten ausschließlich Weißbier her, wenige Braunbier, und dies nur für den Eigenbedarf, wie in Zusmarshausen vermerkt wurde. 87 Hinweise zu Bierpreisen finden sich in Bissingen, wo die Maß Weißbier drei Kreuzer kostete, 88 während in Burgau zwei bis drei Kreuzer für Weißbier ausgegeben 75 W ILLI , Landkreis Günzburg, 366. 76 BSBM, cgm 6874/ 198, Physikatsbericht Wallerstein, fol. 38. 77 W ILLI , Landkreis Dillingen, 108. 78 Ebd., 168. 79 D ERS ., Landkreis Günzburg, 366. 80 D ERS ., Entlang der Iller, 328. 81 D ERS ., Landkreis Dillingen, 101. 82 Ebd., 314f. 83 Ebd., 353, 363, 365. 84 D ERS ., Landkreis Günzburg, 367, 372f. 85 Ebd., 515. 86 Ebd., 90. 87 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 88 W ILLI , Landkreis Dillingen, 168. <?page no="94"?> Felix Guffler 94 werden mussten. 89 Ein ähnliches Bild bot sich in Zusmarshausen, wo für ein qualitativ gutes Weißbier zwei Kreuzer bezahlt wurden. 90 In Wertingen kostete die Maß Bier im Jahr 1846 sogar sieben Kreuzer, 91 dies muss jedoch im Zusammenhang mit der damals grassierenden Hungersnot gesehen werden. 92 6. Hopfenanbau Hinweise auf Hopfenbau in größerem Rahmen finden sich im Physikatsbericht Burgau. Im Bezirk wurden ungefähr 7,5 Tagwerk Hopfen in guter Qualität angebaut. 93 In Mindelheim spielte er eine ganz entscheidende Rolle, da er „qualitativ und quantitativ eine ergiebige Ausbeute gewährt und als eine Hauptnahrungsquelle hauptsächlich für die Stadt Mindelheim anzusehen ist.“ 94 Der Arzt lobt ausdrücklich die Klugheit und Finesse, mit der der Hopfenanbau dort betrieben wurde, und auch die Menge war außergewöhnlich für den Bezirk: „In der Stadt allein werden jährlich über 138 Tagwerke mit Hopfen angebaut.“ 95 Eine ähnliche Bedeutung spielte dieser Gewerbezweig für Memmingen. 96 In Lauingen wird er als unbedeutend abgetan, 97 in Wertingen werde der Hopfen überwiegend eingeführt. 98 In Nördlingen kommt der Hopfenanbau auf eine zu vernachlässigende Fläche. 99 In Günzburg beschränke er sich auf zwei Dörfer. 100 In Buchloe wollten „die Versuche mit Hopfenbau, noch sehr beschränkt, […] ebenfalls nicht recht glücken.“ 101 In Obergünzburg wird der Anbau von Hopfen „nur von einzelnen Ökonomen gewagt und oftmals nicht ohne günstige Resultate,“ 102 dennoch werde dies von der Landbevölkerung, aufgrund deren Reserviertheit, nicht in großem Stil adaptiert. Aus Krumbach wird ebenfalls eine gestiegene Bedeutung des Hopfenanbaus berichtet. 103 89 D ERS ., Landkreis Günzburg, 365. 90 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 91 W ILLI , Landkreis Dillingen, 365. 92 B AUER , Vorratshaltung, 16; P LÖßL , Bierkrawall, 48. 93 D ERS ., Landkreis Günzburg, 386. 94 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 76. 95 Ebd. 96 D ERS ., Entlang der Iller, 174. 97 D ERS ., Landkreis Dillingen, 211. 98 Ebd., 365. 99 BSBM, cgm 6874/ 126, Physikatsbericht Nördlingen, fol. 19. 100 W ILLI , Landkreis Günzburg, 513. 101 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 159. 102 Ebd., 241. 103 D ERS ., Landkreis Günzburg, 513. <?page no="95"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 95 Abb. 4: Karte Hopfenanbau; Agrarhistorische Bibliothek Herrsching. 7. Bier und Branntwein Auffällig ist der Zusammenhang zwischen Bierpreis und Schnapskonsum. Im Physikatsbericht Wertingen wird darauf abgehoben, dass 1846 die Maß Bier sieben Kreuzer koste und bei diesem hohen Preis mehr Branntwein getrunken werde. 104 Auch im Landbezirk Kempten wurde ein Zusammenhang zwischen hohen Bierpreisen und hohem Schnapskonsum hergestellt, 105 ebenso in Donauwörth 106 und Burgau. 107 Aus Bissingen schrieb der Physikatsarzt, dass in Zukunft wohl mehr Branntwein getrunken werde, da die Qualität des Biers dort so schlecht sei. 108 Aus Höchstädt wird berichtet, dass Branntwein „meistens alte Leute, und solche, welche viel an der freien Luft arbeiten, wie Taglöhner, Holzarbeiter, Maurer und Zimmerleute“ konsumieren. Auch das Mischen von Weißbier mit Branntwein ist von hier überliefert, 109 ebenso 104 D ERS ., Landkreis Dillingen, 365. 105 D ERS ., Lindau und Oberallgäu, 194. 106 T ILL , Donauwörth, 84. 107 W ILLI , Landkreis Günzburg, 367. 108 D ERS ., Landkreis Dillingen, 122. 109 F IEDLER / W ILLI , Höchstädt, 72. <?page no="96"?> Felix Guffler 96 wie aus Zusmarshausen 110 und Neu-Ulm. 111 Als Getränk zum Bier wird der Branntwein in Marktoberdorf genossen, dort mache beim Weißbier „ein halbes Schoppenglas unter 6‒8 Männern die Runde.“ 112 Bier und Schnaps wurde in Günzburg ebenfalls gemeinsam beim Mittagsmahl zu Kirchweih getrunken. 113 In Mindelheim wird Branntwein als Lückenbüßer für das Braunbier bezeichnet, allerdings nur bei den Ärmeren, „der bessere Städtler […] bleibt meißt nur beim Bier.“ 114 Dieselbe Beobachtung wurde auch in Kaufbeuren aufgeschrieben. 115 In Türkheim war die Qualität des Weißbieres so schlecht, dass es Verdauungsstörungen auslöste, die dann durch den Genuss von Branntwein gemildert werden sollten, bei Männern und Frauen gleichermaßen, 116 in Roggenburg sogar bereits in der Jugend. 117 Bier und Branntwein waren demnach Getränke, deren Konsum sich gegenseitig bedingte. 8. Fazit Die Physikatsberichte zeichnen ein aussagekräftiges Bild des Bierkonsums in Bayerisch-Schwaben. Grundsätzlich war Bier ein Grundnahrungsmittel, das überall und bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten getrunken wurde. Eine soziale Differenzierung fand jedoch bei der Art, Menge und Sorte statt. Wer Weißbier trank, musste als arm gelten, soziale Aufsteiger vergewisserten sich ihrer selbst auch über den Braunbierkonsum. Gebraut wurde überall und für manche Regionen war der Hopfenanbau eine wichtige Einkommensquelle. Die Qualitätsunterschiede fielen weithin ähnlich aus: Bier aus der Stadt galt als hervorragend, beim Bier vom Land war das Braunbier das bessere. Der teilweise vollmundig geäußerten Kritik an der generellen Bierqualität auf dem Land muss wohl die subjektive Sichtweise der Ärzte, auch bezüglich der Landbevölkerung, zugrunde gelegt werden. Ein weiterer Aspekt, der beim Bierkonsum nicht unberücksichtigt bleiben darf, ist der Alkoholgehalt des Getränks. Besonders das Verhältnis zum Branntweinkonsum, der direkt mit dem Bierpreis zusammenhing, ist auffällig. War Bier günstig, so war es auch als Rauschmittel gefragt. Die Folgen von zu viel Biergenuss finden jedoch nur ein einziges Mal Erwähnung. Aus Rain am Lech heißt es, der Altbayer sei „bei seinem Bier lärmig und gleich in den Haaren.“ 118 110 P ÖTZL , Urgroßeltern, 128. 111 W ILLI , Entlang der Iller, 71. 112 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 276. 113 D ERS ., Landkreis Günzburg, 86. 114 D ERS ., Unterallgäu und Ostallgäu, 106. 115 Ebd., 215. 116 Ebd., 144. 117 D ERS ., Entlang der Iller, 109. 118 L ÖFFELMEIER , Rain, 120. <?page no="97"?> „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“ 97 Quellen und Literatur Archive Bayerische Staatsbibliothek München (BSBM) - cgm 6874/ 113, Physikatsbericht Monheim. - cgm 6874/ 126, Physikatsbericht Nördlingen. - cgm 6874/ 133, Physikatsbericht Oettingen. - cgm 6874/ 189, Physikatsbericht Wemding. - cgm 6874/ 198, Physikatsbericht Wallerstein. Stadtarchiv München (StadtAM) - Bestand Historischer Verein von Oberbayern MS 401. Gedruckte Quellen F IEDLER , J ÜRGEN / W ILLI , G ERHARD : Volks- und landeskundliche Beschreibungen aus dem Landkreis Dillingen. Ergänzungsband. Der Physikatsbericht des Landgerichtes Höchstädt (1861), Augsburg 2010. F UCHS , J OHANNES : Die Physikatsberichte für das Landgericht Friedberg für die Jahre 1857-1861, in: Oberbayerisches Archiv 119 (1995), 267-291. 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Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk …“: Bier und Bierkonsum im Spiegel der schwäbischen Physikatsberichte, in: M ATTHIAS F IEDER (Hrsg.), Flüssiges Brot: Bier, Brauereien und Wirtshäuser in Schwaben, Augsburg 2010, 68‒74. <?page no="101"?> Wirtshaus und Verkehrswege Günter Dippold „In Oberbayern gehören Kirche und Wirtshaus zusammen“, lässt uns der aktuelle „Baedeker“ wissen. 1 Für den Oberrhein und die Nordschweiz konstatiert eine wissenschaftliche Studie über historische Gasthöfe, sogenannte „Stuben“, Kirche und Gasthof seien „als Gegenpole auf den beiden Seiten des zentralen Dorfplatzes […] in zahlreichen Orten […] anzutreffen.“ 2 Dass kirchliche Mittelpunktsorte auch Zentren des Gastgewerbes waren, lässt sich an manchen Ortsstrukturen ablesen. So standen in der großen, wohl auf eine Slavenkirche Karls des Großen zurückgehenden Pfarrei Uetzing, die mehr als zehn Orte umfasste, 3 noch 1820 neun Brauhäuser. 4 Weit mehr als Kirche und Wirtshaus aber gehören Straße und Wirtshaus zusammen. Erst Reisende ermöglichten vielerorts den erfolgreichen Betrieb von Gasthöfen. 1. Typen des frühneuzeitlichen Wirtshauses Wirtshaus ist ein unscharfer Begriff. Es gab unterschiedliche Formen von Häusern, in denen man einkehren konnte. Im Hochstift Bamberg, das hier vornehmlich in den Blick genommen werden soll, standen obenan die „geschildeten“ Wirte, so benannt nach dem Schild, der als Ausleger am Haus hing und den Wirtshausnamen bildlich zeigte: den schwarzen Adler oder den roten Ochsen, den grünen Baum oder die goldene Krone. In anderen süddeutschen Regionen sprach man von der Tavern oder Tafern; wer die Befugnis hatte, Gäste aufzunehmen, besaß das „ius taberne“. Für solche Stätten gibt es Belege gehäuft erst seit dem 14. Jahrhundert; die Wirtshäuser scheinen also, zumindest in der Masse, ein spätmittelalterliches Phänomen zu sein. 5 Beim Gastrecht wurde differenziert. Im Bambergischen unterschied die Regierung am Ende des 18. Jahrhunderts das große vom kleinen Schildrecht. Letzteres werde, so 1781 die fürstbischöfliche Polizeikommission, Bürgern einer Stadt verliehen, „damit geringere Leute ihre Unterkunft finden mögen, ohne nöthig zu haben, 1 A BEND , Baedeker, 221. 2 C ORDES , Stuben, 79. 3 F REIHERR VON G UTTENBERG / W ENDEHORST , Bistum Bamberg, 161f. - 1828 wurde der Pfarrsprengel erheblich verkleinert; übrig blieben vier Dörfer und zwei Weiler. E ISENMANN , Geographische Beschreibung, 323, 343f. 4 StaatsAB, K 3 H, Nr. 374, Lichtenfels, Lit. A. 5 B EDAL , Fürstenherbergen, 59f. <?page no="102"?> Günter Dippold 102 kostbare Gasthäuser zur Herberge zu suchen, wohin sich ihr Beutel eben nicht erstrecken würde.“ 6 Neben den Gasthöfen gab es reine Schankstätten, zumal auf dem Land. In Städten kamen temporäre Orte des Bierkonsums hinzu: In denjenigen Städten, wo Brauen nicht Handwerk, sondern bürgerliches Gewerbe war und wo die Bürger ihr Bier nicht in privaten Braustätten, sondern im Kommunbrauhaus bereiteten, 7 schenkten die Brauberechtigten reihum aus. Ein oder einige Bürger machten ihr Wohnhaus zur Schenke auf Zeit, bis nach rund 14 Tagen andere Einwohner an der Reihe waren. 8 Der wesentliche Unterschied zwischen Schenken und Wirtshäusern war das Beherbergungsrecht. Nur geschildete Wirte besaßen das Recht, Fremde aufzunehmen und für eine Nacht, jedenfalls für bemessene Zeit, unterzubringen und zu verpflegen. Wo es ein Kommunbrauhaus gab, nutzten sie es, unterlagen aber nicht denselben Beschränkungen in der Braumenge, wie sie für die restlichen Bürger einer Stadt galten, 9 wenn sie nicht gar ein eigenes Brauhaus betrieben. 10 2. Das Beispiel Bamberg Die Residenzstadt Bamberg war eine Verkehrsdrehscheibe: 11 Sie lag an einer wichtigen Nord-Süd-Route, die von Norddeutschland über Erfurt oder Leipzig nach Nürnberg oder Regensburg (und damit zur Donau) führte. Fernwege gingen nach Osten, Richtung Kulmbach, von dort über Hof nach Sachsen oder über den Fichtelgebirgskamm Richtung Prag und letztlich Kiew. Weniger bedeutend war die Landstraße nach Westen, Richtung Würzburg, denn hier konkurrierte die Straße, zumal beim Warentransport, mit dem Wasserweg: Die Regnitz, die durch Bamberg fließt, war schiffbar und mündete kurz unterhalb der Stadt in den Main. Welche Bedeutung Straßen für das Bestehen und für den Standort von Wirtshäusern hatte, konnte man schon in der Stadt sehen. Die wichtigste Ferntrasse, die Nord-Süd-Route, tangierte Bamberg nur; sie verlief östlich des bürgerlichen Stadtzentrums. Am Steinweg, wie die Straße innerorts hieß, standen eng an eng Brauereien 6 StaatsAB, B 57/ VII, Nr. 520, Protokoll der Polizeikommission vom 31.3.1781. 7 Hierzu grundsätzlich T RÖGER , Brauwirtschaft. - Einer Statistik von 1867 zufolge war das Kommunbrauwesen in Unter- und Oberfranken sowie der Oberpfalz weit verbreitet; nur selten begegnete es in Mittelfranken und Niederbayern, gar nicht in Oberbayern und Schwaben. Ebd., 8. 8 Hierzu D IPPOLD , Ein Eisenhüttenwerk, 160f.; DERS ., Staffelsteiner Kommunbrauwesen, 281- 283; DERS ., Wirtschaftsgeschichte Weismain, 300f. - Eine Schilderung aus eigenem Erleben in der Zeit um 1900 bietet D ÜCK , Weismainer Kommunbrauer, 209-218. 9 StaatsAB, B 57/ VII, Nr. 520, Schreiben vom 17.10.1780. 10 So beispielsweise ab 1766 in Scheßlitz. StaatsAB, Hochstift Bamberg, Geheime Kanzlei, Nr. 1251, Prod. 212. 11 Überblick bei D IPPOLD , Bamberg, 119-128. <?page no="103"?> Wirtshaus und Verkehrswege 103 und Gasthäuser. 1809 waren es 18 der 63 Bamberger Brauereien - Brauen war in Bamberg ein Handwerk, eng verbunden mit dem Büttnergewerbe 12 - und zehn der 29 Gasthäuser. Von zehn Gasthöfen, die der königliche Stadtkommissar als „vorzüglich“ charakterisierte, fand sich sogar die Hälfte im Steinweg. 13 Allein das in den 1820er Jahren abgebrannte Gasthaus zum Einhorn besaß 24 mehrheitlich heizbare Gästezimmer und einen Stall für 90 Pferde. 14 Eine ähnliche Verdichtung wies die Würzburger Landstraße auf. Neue Maßstäbe, was Beherbergungsbetriebe anging, setzte der Bamberger Schiffer und Glasfabrikant Joseph Ernst Strüpf (1763-1821), 15 als er sich 1797/ 98 durch den fürstbischöflichen Hofbaumeister Johann Lorenz Fink (1745-1817) im Zentrum des bürgerlichen Bamberg, am Grünen Markt, ein Hotel bauen ließ. Es sei eine „Zierde der Stadt“, stellte der Bauherr heraus, „und daß sein Gasthof einer der prächtigsten, man wird seines gleichens bald nicht finden.“ 16 Als viergeschossiger Bau mit Mansarddach, zehn Fensterachsen breit, beherrschte der „Bamberger Hof“ die Häuserfront zwischen Universitäts- und alter Martinskirche. 17 Ein Bamberger Bibliothekar pries ihn 1819 so: „Der Bamberger Hof am äußeren Markte ist einer der schönsten Gasthöfe im Königreiche Baiern, hat den steten Ruf der Ordnung, Reinlichkeit, flüchtigen [= raschen] Bedienung, besten Speisen, reinsten Weine und billigsten Rechnung.“ 18 Dass Bamberg eine Schnittstelle zwischen Straße und Wasserweg war, nutzte den Brauern auch unmittelbar. Denn die Fuhrleute, die aus Osten und Norden Waren zum Bamberger Hafen beförderten, brauchten eine Rückfracht. Dörrobst aus dem Hochstift Bamberg erlangte auf diese Weise einen weiträumigen Absatz. 19 So erklärt sich auch der große Erfolg der Bamberger Gärtner, und auf gleichem Weg verkauften offenbar die Bamberger Brauer ihr Bier über den Nahraum hinaus. 20 12 Zum Brauwesen und den einzelnen Brauereien F IEDLER , Bamberg. 13 StaatsAB, K 3 H, Nr. 306, Stadt Bamberg, Beilagen Nr. 14 und 26. 14 F REIHERR VON H ORN , Geschichte Gasthof zum Deutschen Haus, 59-64. 15 Über ihn L OIBL , Joseph Ernst Strüpf, 115-158. 16 Zit. nach H ANEMANN , Johann Lorenz Fink, 154. 17 D IPPOLD , Hotel Bamberger Hof, 349-352 (mit Lit.). 18 J ÄCK , Bamberg (ohne Seitenzählung). 19 P FEUFER , Beyträge, 149: „Der grosse Handel mit gedörrtem Obste [...], der mit vielen tausend Centnern getrieben wird, geht theils zu Wasser bis nach Holland, theils zu Lande nach Ober und Niedersachsen und Böhmen. Sie werden entweder von uns selbst dahin verführt, oder aber von den Böhmischen, Brandenburgischen und Sächsischen Fuhrleuten, die mit Farbe, Salz, Hopfen etc. hieher kommen, als Rükladung übernommen.“ 20 1810 konstatierte der Polizeidirektor von Bamberg: „Das hier gebraute Bier erwarb sich ein so entschiedenes Lob, daß man dasselbe auch zu sehr theueren Preißen in ferne Gegenden verführt. Viele Hundert Eymer werden auf dieße Weiße nach Ober-, Nieder-Sachsen und in das Königreich Westphalen verladen.“ StaatsAB, K 3 H, Nr. 311, Polizeidirektion Bamberg. <?page no="104"?> Günter Dippold 104 3. Einkehr an der Geleitstraße Fernstraßen verliefen bekanntlich im Frühmittelalter eher auf Höhenrücken statt im weichen, oft morastigen Talgrund. Das lässt sich gut an der Straße von Bamberg nach Osten beobachten, die sich über den Nordrand der Frankenalb zieht. Hier, auf der Höhe, findet sich ein Wirtshaus, ein Einzelanwesen, einen guten Steinwurf vom nächsten Dorf entfernt, nachzuweisen seit dem 15. Jahrhundert. Kaltenhausen 21 heißt es - ein Name, der für einsame Wirtshäuser an Fernstraßen häufig anzutreffen ist; die häufigste Form ist Kaltenherberg. 22 Hier gab es kein Dorf, das den Gasthof wirtschaftlich getragen hätte. Es müssen weitgehend die Reisenden gewesen sein. Warum der Standort? Keine zwei Kilometer östlich war eine Geleitgrenze: 23 Das Geleit des Bamberger Bischofs endete, das der Herren über Kulmbach, ab 1340 also der Zollern, begann. 24 Da galt es gewiss bisweilen auf Beamte zu warten, weshalb ein Wirtshaus Sinn machte. Allerdings misslang der um 1500 unternommene Versuch markgräflicher Beamter, den Grenzpunkt 25 direkt nach Kaltenhausen zu verlegen und damit zu Ungunsten des Fürstbischofs nach Westen zu verschieben. 26 4. An der Landstraße durchs obere Maintal Eine bedeutsame Verkehrsachse der frühen Neuzeit war die Landstraße, die von Bamberg aus nach Norden führte, durchs Tal des Mains. Einsame Einkehrstätten brauchte es da nicht, denn sie passierte mehrere Dörfer und Städte. Für diese galt, was 1792 über Forchheim, die südliche Festungsstadt des Hochstifts Bamberg, zu lesen war: dass nämlich „die ununterbrochene Passage auf der großen Landstraße nach Sachsen und Nürnberg den Wirthen, Wein- und Bierschenken, Metzgern, Beckern u. d. gl. eine beträchtliche Nahrung und reichlichen Absatz gewähren, wodurch vieles Geld in die Stadt gebracht wird.“ 27 21 D IETZ , Etwas von Kaltenhausen; S IEGHARDT , Kaltenhausen und Wallersberg; U RBAN , Einödwirtschaft, 171-176; G EORGE , Lichtenfels, 52. 22 M ÜLLER , An alten Straßen, 196-198. 23 Zum Folgenden D IPPOLD , Eine barocke Marter. 24 Belege aus dem 15. Jahrhundert bei F REIHERR VON S TILLFRIED / M ÄRCKER , Monumenta Zollerana, 187, 189. 25 Er wird im 15. Jahrhundert als (Stein-)Kreuz beschrieben, im frühen 16. Jahrhundert dann als kalte Marter benannt. StaatsAB, B 26a, Nr. 8d, fol. 282r. Um 1537 ist dann die Bezeichnung „Wettermarter“ belegt, die sich schließlich durchsetzte. Ebd., fol. 285r. Zu ihrer barocken Erneuerung StaatsAB, B 46a, Nr. 893. 26 StaatsAB, B 26a, Nr. 8d, fol. 285r. 27 Anonym, Ueber Vorcheim, 9f. <?page no="105"?> Wirtshaus und Verkehrswege 105 Dass die Straße ausschlaggebend war für den Standort von Gasthöfen und von Gewerben, die von den Reisenden profitierten, zeigt der Marktflecken Ebensfeld. Das Bild des Ortes kennzeichnen zwei parallel verlaufende Straßen: Die breitere Dorfstraße war bäuerlich geprägt; an ihr standen eingeschossige Höfe. Die andere Straße, der Fernweg, heute als Hauptstraße bezeichnet, war von zweigeschossigen Bauten bestimmt. Hier standen Wirtshäuser, um 1800 sechs an der Zahl. 28 1848 bemerkte das zuständige Landgericht rückblickend, der Ort habe „wegen des Güttertransportes nach Sachsen und Preußen eine sehr bedeutende Nahrung [gehabt], weshalb sich namentlich die Zahl der Brauer auf 8 und jene der Schenkwirthe [...] auf 5 erhöhte.“ 29 Unter den Wirtshäusern waren stattliche Gebäude mit breiter Straßenfront wie der „Schwan“, in dieser Form um 1750 entstanden, 30 und der wohl erst im frühen 19. Jahrhundert so ausgebaute „Hirsch“. Noch eindrucksvoller war die „Sonne“ im näher an Bamberg gelegenen Breitengüßbach, wo es weitere fünf Wirtshäuser gab (den schwarzen und den goldenen Adler, das schwarze Kreuz, den Hirschen, das goldene Einhorn). 31 Dieses Dorf hatte noch einen wichtigen Standortvorteil: Hier gabelte sich die von Bamberg kommende Straße nach Norden - Richtung Coburg und weiter nach Thüringen oder Richtung Lichtenfels/ Kronach und nach Leipzig. Diejenigen, die Coburg zustrebten, querten nahe dem Ort auf einer Fähre den Main. 32 Um 1860 bemerkte der Ortspfarrer in der Rückschau: „Da hier eine Doppelstraße nach Lichtenfels und in den Itzgrund [...] durchführte, so fanden auch mehrere Gastwirthe reichliche Lohnung [...]; der Frachtwagen standen täglich Viele an den verschiedenen Gasthäusern.“ 33 Jeder Wirt betrieb eine eigene Brauerei, einer zusätzlich eine Brennerei. Von einem Wirt namens Hofmann überlieferte der Pfarrer, sein Bier sei um 1800 „unter dem Namen ,Hofmann’scher Tropfen‘ weit und breit berühmt“ gewesen. 34 Genauso verbanden sich mit den Ebensfelder Wirtshäusern Braustätten. Insgesamt weist eine Statistik um 1820 dort sieben Brauer aus, 35 sogar mehr als es Gasthöfe gab. 28 Z ENK , Entwicklung der dörflichen Struktur, 39-41. 29 StaatsAB, K 3 F VIb, Nr. 4431, Schreiben vom 14.12.1848. 30 L IPPERT , Landkreis Staffelstein, 96. 31 Die Namen der Wirtshäuser aus dem Kataster von 1848. StaatsAB, K 232, Nr. 7/ I-V. Hier ist vom „goldnen Eichhorn“ die Rede. Tatsächlich ist aber schon im 18. Jahrhundert der Wirt zum Einhorn bezeugt. AEB, Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 38, pag. 74. Einige historische Notizen bei S CHROTT , Breitengüßbach, 365f. 32 B UNDSCHUH , Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon, 432. 33 AEB, Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 36, Teil 2, pag. 16f. 34 Ebd., pag. 15. 35 StaatsAB, K 3 H, Nr. 374, Lichtenfels, Lit. A. <?page no="106"?> Günter Dippold 106 5. Der Sonderfall der Poststation Eine besondere Bedeutung kam den Gastwirten an einer Postroute zu, wenn deren Wirtshaus als Posthalterei diente. Sie unterhielten dann einen Poststall, wo die Pferde der Ordinari-Post gewechselt wurden und wo man auch Pferde, dazu bei Bedarf Kutsche und Kutscher für eine Extra-Post mieten konnte. Der Halt an einer Poststation - alle 15 bis 30 Kilometer, je nach Gelände- und Straßenbeschaffenheit - dauerte bis zu einer Stunde. Noch längere Wartezeiten ergaben sich, wenn sich an einem Ort zwei Linien der Ordinari-Post berührten oder kreuzten, wenn man also sozusagen umsteigen musste. 36 Erst in der Zeit der staatlichen Post in Bayern, also nach 1808, kam es gelegentlich vor, dass die Expedition als Verwaltungsstelle und der Poststall, sozusagen das Betriebsgebäude, getrennt wurden. Ein Posthalter sprach 1843 vor der Abgeordnetenkammer des Landtags klar dagegen: „Der Wagen […] kommt […] früh um 4 Uhr an. Es wird gesorgt, daß […] eine halbe Stunde vorher das Zimmer geheizt wird. Wenn der Passagier aussteigt, wenn er Frühstück will, so kann er in demselben Zimmer bleiben. Ebenso ist es am Abend […]; wenn er etwas will, Bier, Wein oder Speise, so braucht er nicht weit auf der Gasse herum zu laufen, wie z. B. in Landshut muß man sich dem Regenwetter und Schneegestöber, überhaupt jeder Witterung aussetzen.“ 37 Da die Ordinari-Post oft die Nacht durchfuhr, hatte der Posthalter Gäste in seinem Wirtshaus also auch zu ungewöhnlicher Stunde. 6. Wirtshäuser an Wasserstraßen Nicht nur Landwege bescherten Wirten Umsatz, sondern auch Wasserstraßen. Der Main war zwar oberhalb der Regnitz-Mündung nicht schiffbar, aber hier fuhren Flöße, um Baumstämme aus dem Frankenwald zu den Absatzmärkten längs des Mains, ja bis zum Rhein zu bringen. An bestimmten Stellen mussten die Flößer anlegen, um größere Floßeinheiten zu bauen. Dies geschah in Schwürbitz, 38 nahe der Mündung der aus dem Frankenwald kommenden Rodach in den Main, und in Bischberg bei Bamberg, nahe dem Zusammenfluss von Main und Regnitz. 39 36 Eine Liste der Posthaltereien mit knappen historischen Daten bietet M ÜNZBERG , Stationskatalog. Die Entfernung hing von der Beschwerlichkeit der Strecke, aber auch von der Qualität der Straße ab. Ein Beispiel für eine Poststation an der Landstraße von Bamberg nach Würzburg behandelt B URKARD , Burgwindheim, 107-113. 37 Anonym, Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten 1843, 330f. 38 Erwähnt als wichtige Station auf der Floßreise schon in der frühen Neuzeit. K RAMER , Volksleben, 48. 39 G UNZELMANN , Das Dorf am Zusammenfluss, 31f. <?page no="107"?> Wirtshaus und Verkehrswege 107 Nur diese Kundschaft, durstig von der schweißtreibenden Arbeit auf dem schattenlosen Fluss, angewiesen auf den Kraftspender Bier, macht verständlich, dass es in Schwürbitz um 1800 acht Brauereien gab, 1808 kam sogar noch eine neunte hinzu. 40 Drei von ihnen lagen nahe am Fluss bzw. am Anger, wo die Flößer anlegten und arbeiteten. 41 Sie lieferten Verpflegung während des Aufenthalts und Proviant für die Weiterfahrt, überdies boten die Wirtshäuser Quartier für die Nacht. 7. Konkurrenz für die Gastwirte Die Gastwirte sahen sich an verkehrsreichen Straßen, zumal in Städten, erheblicher Konkurrenz durch ihre Mitbürger ausgesetzt. Dies lässt sich gut anhand der Stadt Staffelstein zeigen. Hier standen im frühen 18. Jahrhundert drei geschildete Wirtshäuser, an oder nahe der Hauptdurchgangsstraße. 42 Zusätzlich zur Landstraße führte die nahe gelegene, überregional bedeutsame Wallfahrtsstätte Vierzehnheiligen viel fremdes Volk in die Stadt. Da war die Verführung für Bürger groß, sich durch Verpflegung oder Beherbergung von Reisenden ein Zubrot zu verdienen. Dieses Problem wurde 1725 lautbar. Das Bamberger Domkapitel als Inhaber der landesherrlichen Gewalt gebot daraufhin allen Staffelsteiner Bürgern bei schmerzhafter Geldstrafe, „das nimand einige durchreisende Persohnen (ausser denen Jahrmärckhen) zu Fuß oder Pferd umb Geld bewirthen, begasten, beherbergen oder aufnehmen solle.“ Lediglich wenn „die offentliche processiones, welche mit Creuz und Fahnen anhero und hiedurch wandlen“, sei ebenfalls eine Ausnahme zulässig - und zwar „wegen Ville der Persohnen.“ Dagegen hätten auch die Wirte nichts einzuwenden. 43 Doch das Mandat nutzte wenig. Nach gut vier Jahren beschwerten sich die geschildeten Wirte erneut über drei Mitbürger, die „fast täglich die frembte Leuth mit allerhand gekochten Speissen [...] verlegeten.“ Die drei Beklagten wurden aufs Rathaus geladen und ernstlich ermahnt. 44 Nach über zwei Jahrzehnten, im Jahr 1751, beklagten sich die Bäcker und Metzger ihrerseits beim Domkapitel über die Vorschrift von 1725. In der Nachbarstadt Lichtenfels und im nahen Ebensfeld hätten alle fürstbischöflichen Untertanen „die ohnbeschränckte Freyheit [...], die gemein Fußgängere, Wallfarter und Flößer (die Fuhrleut und sonst reithende Personen ausgenommen) nicht allein des Nachts zu be- 40 StaatsAB, K 3 F VI a, Nr. 1125. - Neun Brauhäuser nennt auch eine Statistik von 1820. StaatsAB, K 3 H, Nr. 374, Lichtenfels, Lit. A. 41 Erschlossen aus dem Kataster von 1855. StaatsAB, K 224, Nr. 404. 42 Über die Staffelsteiner Wirtshäuser K ARL , Staffelsteiner Chronik, 282f., 285f. 43 StaatsAB, L 47 Staffelstein, Nr. 30, Prot. vom 9.10.1725. 44 Ebd., Prot. vom 12.1.1730. <?page no="108"?> Günter Dippold 108 herbergen, sondern auch denselben die gemein Nothwendigkeit an Getranck und Essen, als eine Wurst oder Stuck Fleisch, [...] abzureichen.“ Würden die Einschränkungen für die Staffelsteiner nicht aufgehoben, werde „der unvermeidliche Umsturtz des dortigen alt renomirten Städtleins und der dasigen Bürgerschafft in kurtzen Jahren nothwendig erfolgen.“ 45 Denn da die drei Wirtshäuser für die Fußreisenden nicht ausreichten, würden diese am „Stättlein vorbeygehen“ und „der leichteren Zehrung willen in die nächst angelegene [...] Orth Lichtenfels und Ebensfeld abeilen“, zumal die Wirte die Maß Bier um einen Pfenning teurer abgäben als die brauenden Bürger. 46 8. Land gegen Stadt Nicht nur Nachbarstädte, auch dörfliche Wirtshäuser konnten für die städtischen eine empfindliche Konkurrenz bilden, zumal dann, wenn sie dieselbe Klientel ansprachen. Die Stadt Lichtenfels hatte einen großen Amtssprengel, und darin beanspruchte die Bürgerschaft den Bierbann, den exklusiven Absatz ihres Biers. Ihn setzte sie, angeführt von fürstbischöflichen Beamten, bis ins späte 18. Jahrhundert durch, indem sie in Dörfer, die ein Brauhaus gebaut oder „fremdes“ Bier bezogen hatten, einfielen, die Braustätte verwüsteten und das vorhandene Bier vernichteten. 47 So war es der Stadt ein Dorn im Auge, dass das nahegelegene Zisterzienserkloster Langheim vor der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Schenkstatt an der Landstraße von Lichtenfels nach Kronach, in Hochstadt am Main, baute, wo seit mindestens anderthalb Jahrhunderten eine Steinbrücke über den Fluss führte. Die Schenkstatt, 1467 baulich erneuert, dabei wohl vergrößert, war den Städtern ein Dorn im Auge, weil der Pächter erstens von der Klosterbrauerei mit Bier beliefert wurde und zweitens große Feiern ausrichtete, zu Tänzen und anderen Veranstaltungen einlud und dadurch seinen Umsatz erhöhte. Gewaltsam war gegen das mächtige Kloster wohl nichts auszurichten. So kam es 1512 zu einem Schiedsverfahren, das am Ende, nach acht Jahren, die Aktivitäten des Wirtes nur wenig beschränkte. Ihm wurde beispielsweise ausdrücklich zugestanden, Fremde zu bewirten und zu beherbergen - aus der Schenkstatt war ein echtes Wirtshaus geworden. Im Bauernkrieg von 1525 wollten die Lichtenfelser das Ärgernis vom Erdboden tilgen und steckten den Gasthof in Brand. Doch das Kloster ließ ihn alsbald wiederherstellen und 1605 durch ein prächtiges Steingebäude ersetzen, 48 das die Wirtshäuser in der bambergischen Stadt Lichtenfels in den Schatten stellte. Zu ihm gehörten, wie es im frühen 19. Jahrhundert 45 StaatsAB, B 86, Nr. 79, fol. 188v. 46 Ebd., fol. 189v. 47 M EYER , Das Lichtenfelser Kommunbrauwesen, Nr. 3f.; D IPPOLD , Staffelsteiner Kommunbrauwesen, 283-286. Über derartige Bierkriege allgemein DERS ., Kleinstädte im Barock, 205f. 48 D ERS ., Zur Baugeschichte, 19-36. <?page no="109"?> Wirtshaus und Verkehrswege 109 heißt, fünf Gastzimmer und „Stallung auf 50 Pferde“. 49 Während die großen Dorfwirtshäuser, die bisher betrachtet wurden, ein eigenes Brauhaus hatten, und die städtischen Wirte im Kommunbrauhaus brauten, schenkte der Hochstadter Wirt, der in der Regel einen dreijährigen Pachtvertrag hatte, kein eigenes Bier aus. Ihn belieferte das Kloster, später eine weitere langheimische Klosterbrauerei im Nachbardorf Trieb. 50 Erst nach der Säkularisation von 1803 baute sich der Wirt, nun Eigentümer, eine eigene Brauerei. 9. Gründe für und gegen die Einkehr an einem bestimmten Ort War das Hochstadter Wirtshaus gewiss auch für anspruchsvollere Gäste einladend, so gab es daneben Herbergen und Schenken für bescheidenere Geldbeutel, wie schon erwähnt. Als 1711 im Itzgrund ein Zeugenverhör über ein dörfliches Wirtshaus durchgeführt wurde, sagte einer aus, es würden dort „wenig Passagiers [...] einkehren“; sie würden eher, gleich in welche Richtung sie unterwegs waren, in eines der nächsten Dörfer weiterreisen. Ein anderer Zeuge differenzierte: „Vornehme Leute pflegten freylich wenig daselbst einzukehren, jedoch Fuhrleute und andere Reisende.“ 51 Die Scheidung - Fuhrleute und Handwerksburschen einerseits, „bessere“ Gäste andererseits - war gängig, wie oben erwähnt. In einer Beschreibung der Stadt Forchheim von 1792 heißt es: „Gasthöfe sind zwar in der Stadt mehrere. Aber ich rathe keinem Fremden von Distinction sich anderswohin, als in die Post einzulogiren. Denn ihre Einrichtung und die Verfassung ihrer Besitzer ist gar zu elend, aber für Fuhrleute und Handwerkspursche gut genug.“ 52 Nicht nur die Qualität des Wirtshauses oder der eigene Geldbeutel entschied, wo man über Nacht blieb. Neben der Einkehr spielte die örtliche Infrastruktur eine Rolle, etwa das Vorhandensein einer Badstube, und zumal vor der Reformation konnte sogar die Häufigkeit der Gottesdienste eine Rolle spielen. Als sich die Einwohner von Gefrees, nördlich von Bayreuth, 1476 beim Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach über die unzureichende Versorgung durch den zuständigen Pfarrer beschwerten, argumentierten sie mit den Reisenden: Oft würden diese nicht in Gefrees rasten, sondern weiterreiten, weil es hier keine Messe gebe. Dadurch entgingen 49 StaatsAB, K 3 F VI a, Nr. 500, s.v. Gastgerechtigkeit. 50 StaatsAB, Stb. 4078/ 2, Lit. C. 51 StaatsAC, LA F 9117, Zeugenverhör vom 23.10.1711. 52 Anonym, Ueber Vorcheim, 23. <?page no="110"?> Günter Dippold 110 den Einwohnern Einnahmen und in der Konsequenz dem Landesherrn Steuerzahlungen. 53 10. Folgen des Chausseebaus Wirtshäuser mehrten sich im 18. Jahrhundert. Das war eigentlich widersinnig, denn durch den Ausbau wichtiger Straßen als Chausseen wurden die Fahrzeiten verkürzt. Im Spessart wurde in den 1780er Jahren die Straße von Aschaffenburg bis Esselbach chaussiert, rund 37 Kilometer. Bis dahin brauchte es zwischen Ausgangs- und Endpunkt zwei Poststationen wegen des häufigen Pferdewechsels. Denn vor dem Chausseebau benötigte man für die Strecke 18 Pferde „und noch etliche Joch Ochsen“ (wohl an Steigungen); jetzt genügten sechs Pferde. Eine Station wurde deshalb 1790 gestrichen 54 - gewiss hart für den betroffenen Posthalter und Wirt. Andererseits führte das Vorhandensein einer Chaussee zu einer Bevorzugung der entsprechend ausgebauten Routen; Alternativtrassen verloren an Bedeutung. Deshalb scheinen sich an den guten Straßen die Wirtshäuser noch gemehrt zu haben, wie ein Aufsatz des Thüringer Forschers Waldemar Fischer über die Straße durch den Itzgrund zeigt. Neue Wirtshäuser kamen noch im frühen 19. Jahrhundert hinzu. Ein Beispiel ist die „Karolinenhöhe“: Zwischen der Stadt Lichtenfels und dem Dorf Hochstadt am Main galt es, den langgezogenen Krappenberg zu überwinden. Dabei mussten Fuhrwerke und Kutschen an seiner Nord-Ost-Flanke, je nach Fahrtrichtung, eine starke Steigung bzw. ein gefährliches Gefälle bewältigen - fast 50 Höhenmeter auf knapp einen halben Kilometer. Am oberen Ende dieses beschwerlichen Straßenstücks baute Paul Schuberth, 55 ein ausgebildeter Gärtner, der Kammerdiener des 1814 verstorbenen letzten Abtes von Langheim, um 1820 eine Gaststätte. Hier war sie gewiss gut platziert - zumal sie eine schöne Fernsicht gewährte, wie man sie in dieser Zeit besonders schätzte; „in den obern Gastzimmern hat man die schönste Aussicht, vorzüglich auf das Rodachthal gegen Kronach zu“, rühmte 1828 ein Bamberger Kunstsammler. 56 Werbewirksam benannte der Erbauer sein Wirtshaus 1823 nach der populären bayerischen Königin Karoline (1776-1841), die dort eingekehrt war und der Namensgebung schriftlich zugestimmt hatte. 57 Die Karolinenhöhe war zweierlei: Straßenwirtshaus - ohne Brauerei - und, weil schön im Grünen gelegen, Ausflugsziel für die 53 D AVID / E LLRODT , Gefrees, 90. 54 K RÄMER , Aschaffenburger Postgeschichte, 209f. 55 Zu seiner Biografie StaatsAB, K 200/ II, Nr. 6565. 56 H ELLER , Handbuch für Reisende, 164f. 57 G UNZELMANN , Kulturlandschaft um 1840, 98. <?page no="111"?> Wirtshaus und Verkehrswege 111 Menschen der Umgebung. Als sie gebaut wurde, lag sie an einer vielbefahrenen, als Chaussee ausgebauten Hauptstraße. Wenige Jahrzehnte später stand sie im Abseits. 58 11. Die Eisenbahn und ihre Folgen Ab 1846 fuhr durch das breite Maintal die Eisenbahn von Bamberg auf die sächsische Grenze bei Hof zu. 59 Die oben genannten Orte Breitengüßbach, Ebensfeld, Staffelstein, Lichtenfels, Hochstadt waren jetzt Stationen der Ludwig-Süd-Nord-Bahn. 60 Sie brachte rasch den Straßenverkehr, zumal den Fernverkehr, zum Erliegen. So legte das Landgericht Lichtenfels 1849 mit Blick auf Ebensfeld dar: „der Güterverkehr findet mit geringen Ausnahmen auf der Eisenbahn statt, und der Verkehr auf der Staatsstrasse ist beinahe auf Null reducirt.“ 61 An so manchem Ort erhoben sich laute Klagen über den wirtschaftlichen Schaden, den die Bahn angerichtet habe. Die neuen Verkehrswege hätten, meinte der Forchheimer Landrichter 1849 - fünf Jahre nach der Eröffnung der Bahn von Nürnberg über Forchheim nach Bamberg -, „den Gewerbtreibenden vollends den Todesstoß versezt. Der sonst bedeutende Verkehr, die damit verbundene Einkehr hat aufgehoert, indem der Dampfwagen alles nur im Fluge vorbeiführt. [...] Was der Ludwig Canal und die Eisenbahn genommen, ist unwiederbringlich verloren.“ 62 Es bedarf keiner langen Erklärung, dass diese revolutionäre Veränderung im Verkehr nicht ohne Wirkung auf die Wirtshäuser blieb. Der Pfarrer von Breitengüßbach berichtete um 1860, zwei der sechs Wirtshäuser seien seit dem Bahnbau eingegangen. 63 Bei anderen Gasthöfen dürfte zumindest der Absatz gelitten haben. Andererseits verbilligte und beschleunigte die Bahn das Reisen. Kaum war die Linie von Bamberg nach Lichtenfels 1846 eröffnet, sagte das Tag-Blatt der Stadt Bamberg voraus: „Die neue Bahn nach Lichtenfels wird viele Lustreisende von hier [Bamberg] nach Banz, Frankenthal etc. veranlassen.“ 64 Jetzt begann die große Zeit der Ausflugsgaststätten, nun von Wanderern aufgesucht, die nicht mehr nur aus der Nähe 58 Zusätzlich zur 1848 eröffneten Bahnlinie Lichtenfels-Kulmbach führte hierzu die Verlegung der Landstraße ins Tal im Jahr 1909. P ERZEL , 800 Jahre Michelau, 274f. 59 Zu Planung und Bau S CHÄFER , Anfänge der fränkischen Eisenbahn; DERS ., Durchgangsstation, 197-224. 60 Zu Ebensfeld Z ENK , Eisenbahnbau. Zu Lichtenfels D IPPOLD , Eisenbahn und Kleinstadt. 61 StaatsAB, K 3 F VIb, Nr. 4431, Schreiben vom 14.12.1848. 62 StaatsAB, K 3 Präs.reg., Nr. 830, fol. 36r. 63 AEB, Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 36, Teil 2, pag. 17. 64 Anonym, Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1846, 177. <?page no="112"?> Günter Dippold 112 kamen, sondern dank der Bahn auch aus größerer Entfernung. 65 Nur beispielhaft sei zitiert, was nach dem Weißen Sonntag von 1904 das „Lichtenfelser Tagblatt“ schrieb: „Der Besuch unserer Stadt und der Ausflugsorte Banz und Karolinenhöhe durch auswärtige Erstkommunikanten und Konfirmanden war gestern ein ganz riesiger. Ein geradezu beängstigendes Gedränge herrschte abends am Bahnhof.“ 66 Auch das Wallfahren änderte sich, wie sich recht früh in Vierzehnheiligen zeigte. Hatten viele Wallfahrer, Gruppen wie Einzelpilger, zwangsläufig einen mehrtägigen Marsch auf sich genommen, so erlaubte nun die Eisenbahn auch entfernt Wohnenden und Menschen, die weniger gut zu Fuß waren, ein rasches Aufsuchen des Gnadenorts - und natürlich der dortigen Gastwirtschaften. 67 Bewirtung am Bahnhof selbst war in Bayern anfangs kein Thema. Als der Bau der Ludwig-Süd-Nord-Bahn begann, wurden „Restaurationen“ im Bahnhof von den Planern noch abgelehnt - so 1845 in Bamberg. Dafür eröffneten Investoren in der Nähe des Bahnhofs Gastwirtschaften, wie in Bamberg und Schwabach nachgewiesen. Auf Betreiben des Außenministers Otto Graf Bray (1807-1899) kam es zu einem Sinneswandel, sodass ab 1846 Bewirtung im Bahnhof selbst möglich wurde, wenn auch staatlich reglementiert und gegen hohen Pachtzins. 68 Es setzte sich erst ab 1850 in Bayern durch, was es anderswo schon gab: die Bahnhofsgaststätte. Dass sie zum Standard gehöre, legte die Versammlung deutscher Eisenbahntechniker 1859 und 1865 fest. An größeren Stationen seien „wenigstens zwei Wartesäle mit Restauration“ vorzusehen. 69 In der Folge waren die „Restaurationen“ oder „Buffets“, wie sie in der Frühzeit auch hießen, ebenfalls Nicht-Reisenden zugänglich. Die Bahnhofsgaststätte entwickelte sich vielerorts zum gediegenen Speiserestaurant, ja bisweilen zu einem der ersten Häuser am Platz. 70 An kleineren Stationen, zumal an den Bahnhöfen der einspurigen Neben- und Stichbahnen, standen oft keine Räumlichkeiten für eine Gaststätte zur Verfügung. Dann errichtete an vielen Orten ein Wirt in der Nähe des Bahnhofs eine „Restauration zur Eisenbahn.“ 71 In Ebern benannte sich ein bestehender Gasthof in „Hotel zur 65 Zum Verhältnis von Bahn und Tourismus beispielsweise R OSENBAUM , Bavarian Tourism, 86f., für die Fränkische Schweiz. 66 Anonym, Lichtenfelser Tagblatt, 12.4.1904. 67 Zu Vierzehnheiligen D IPPOLD , Zur schönen Sommerszeit, 110. Weitere Beispiele B RÜCKNER , Verehrung des Heiligen Blutes, 173; W IEBEL -F ANDERL , Wallfahrt Altötting, 69f. 68 S ENDNER -R IEGER , Bahnhöfe der Ludwig-Süd-Nord-Bahn, 49. 69 H EUSINGER VON W ALDEGG , Handbuch, 504. - Voraussetzung war wohl die Veränderung des Wartesaals, der den Charakter eines Durchgangsraums verlor und zum abgeschiedenen Zimmer wurde. Hierzu S CHIVELBUSCH , Geschichte der Eisenbahnreise, 156f. 70 Zur Geschichte der „Bahnhofsrestaurationen“ S TEINHORST , Speisen auf Reisen, 11-19. 71 Ein frühes dörfliches Beispiel aus den späten 1870er Jahren bei A RNETH , Entwicklung der örtlichen Infrastruktur, 156. - Das Gebäude wurde im Juni 2016, nicht anders als der von <?page no="113"?> Wirtshaus und Verkehrswege 113 Eisenbahn“ um, nachdem 1895 die Stadt an das Schienennetz angeschlossen war. 72 Das Fehlen einer Gastwirtschaft im oder nahe am Bahnhof wurde als Mangel betrachtet. 1893 beklagte ein Leserbrief den Umstand, dass in Breitengüßbach weder im Wartesaal „Bier und Speisen“ abgegeben würden noch eine Gastwirtschaft in unmittelbarer Bahnhofsnähe bestehe. Erklärend setzte der Schreiber hinzu: „wenn auch die Breitengüßbacher kein Bedürfniß fühlen, eine Restauration zu haben, so muß man doch auf die Fremden Rücksicht nehmen, die nach längerer Tour da ab- und einsteigen.“ 73 Es ist augenfällig - und wenig überraschend: Neuerungen im Verkehrswesen führten zu Wandlungen bei Wirtshäusern. Gasthöfe an Straßen, die wegen der Bahn nun wenig befahren waren, verloren an Bedeutung; Ausflugsziele blühten auf; neue Typen von Gastronomie im Bahnhof und in seiner Nähe entstanden. 12. Bahn und Bier Die Eisenbahn nahm auch erheblichen Einfluss auf das Geschäft mit dem Bier. Ein weiträumiger Absatz von Bier, über Landesgrenzen hinweg, ist zwar nicht durch die Eisenbahn entstanden, aber sie hat ihn beschleunigt und vermehrt. In der Residenzstadt Coburg wurde ausgerechnet 1858 eine Großbrauerei gegründet, 74 als die Werrabahn von Eisenach über Meiningen und Coburg nach Lichtenfels kurz vor ihrer Fertigstellung stand. In Lichtenfels, seither Eisenbahnknoten, wurde 1859 die erste Exportbierbrauerei ins Leben gerufen; ihr Neubau entstand bis 1861 in Sichtweite des Bahnhofs. 75 Die Bahn erlaubte den raschen und vergleichsweise schonenden Transport von Bierfässern, und das umso mehr, nachdem Kühlwagen eingesetzt wurden. Die Coburger Bierbrauerei AG hatte ab 1879 zwei „Eisenbahnbierwagen mit Eisfüllung“ in Betrieb. 76 Natürlich endet die Geschichte nicht mit dem Wachstum des Bahnnetzes. Auch die Stärkung des Individualverkehrs für Menschen und Güter und die Schaffung neuartiger Fernstraßen seit den 1930er Jahren haben Einkehrstätten hervorgerufen und andere zugrunde gehen lassen. Friedrich Bürklein geplante Bahnhof, für den Neubau der ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt abgebrochen. 72 Anonym, Martin Baetz, 38. 73 Zit. nach S CHROTT , Breitengüßbach, 365. 74 Coburger Bierbrauerei-Aktiengesellschaft, Festschrift, 5f. 75 D IPPOLD , Anfänge und Entwicklung der Industrie, 159. 76 Coburger Bierbrauerei-Aktiengesellschaft, Festschrift, 22. <?page no="114"?> Günter Dippold 114 Quellen und Literatur Archive Archiv des Erzbistums Bamberg (AEB) - Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 36. - Pfarrarchiv Breitengüßbach, B 38. Staatsarchiv Bamberg (StaatsAB) - B 26a, Nr. 8. - B 46a, Nr. 893. - B 57/ VII, Nr. 520. - B 86, Nr. 79. - Hochstift Bamberg, Geheime Kanzlei, Nr. 1251. - K 3 F VI a, Nr. 500. - K 3 F VI a, Nr. 1125. - K 3 F VI b, Nr. 4431. - K 3 H, Nr. 306, Stadt Bamberg. - K 3 H, Nr. 311, Polizeidirektion Bamberg. - K 3 H, Nr. 374, Lichtenfels. - K 3 Präs.reg., Nr. 830. - K 200/ II, Nr. 6565. - K 224, Nr. 404. - K 232, Nr. 7/ I-V. - L 47 Staffelstein, Nr. 30. - Stb. 4078/ 2. 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Durch diese Fülle an präzisen Informationen und ähnlichen Entstehungsumständen der Quellen lassen sich diese gut bei einzelnen Aspekten vergleichen. Besonders für ein alltägliches Nahrungsmittel, wie dem Bier, kann so ein umfassendes Panorama in Bayerisch-Schwaben erstellt werden, das allgemeingültige Aussagen zu Konsum und kultureller Bedeutung erlaubt. 1. Bier als Nahrungsmittel und Getränk Bier war als „einfaches“ Getränk klassifiziert. 2 Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass es für jedermann erschwinglich war und von jedem genossen wurde. Es war jedoch auch ein wichtiges Nahrungsmittel, 3 das sich durch diese Beurteilung klar von anderen zur Verfügung stehenden Getränken abhob. Dabei war im Alltag weniger die berauschende Wirkung des Biers von Bedeutung, als vielmehr sein Wert als nährstoffreicher Durstlöscher. 4 1 Sämtliche Belege in diesem Beitrag beziehen sich auf die Edition der Antworten auf die Umfrage in W ILLI , Alltag. 2 Berichte aus Biburg, Dorschhausen und Ehingen, ebd., 122, 183, 188, 304. 3 Berichte aus Biberachzell, Biburg, Mönstetten, Oberthingau, Reinhartshausen, Siegertshofen, Stein und Thalhofen, ebd., 119, 123, 366, 489, 551, 561, 606. 4 Bericht aus Altusried, ebd., 62. <?page no="120"?> Felix Guffler 120 Es war üblich, Bier zu trinken, es zählte zu den grundlegenden Nahrungs- und Konsummitteln. Dies war jedoch nicht immer der Fall gewesen. Als Erfrischungsgetränk stand es in starker Konkurrenz zur Milch und hatte sich erst in den letzten Jahren gegen diese durchgesetzt, so wird es von den Autoren berichtet. Beispielhaft wird dies aus Aufheim ausführlich dargestellt: „Das Hauptgetränk ist für Alt und Jung nicht mehr Milch sondern Bier, Schnaps und Most. […] Das schöne Stück Geld, das der Bauer monatlich für verkaufte Milch einnimmt, wandert zum großen Teil nicht in seine Sparkasse, sondern in die des Wirtes.“ 5 Teilweise wurde überliefert, dass sogar die Kinder mit Bier statt Milch gefüttert wurden. 6 Getrunken wurde das Bier im üblichen Tagesverlauf erst spät, nur ausnahmsweise (vor)mittags, 7 normalerweise ab dem Nachmittag 8 oder erst abends. 9 Ein Frühschoppen ist nicht überliefert. Auf dem Land wurde Bier in zwei Sorten eingeteilt: Braun- und Weißbier. 10 Diese Einteilung erfolgte wohl jedoch lediglich mit Hinblick auf die soziale Differenzierung, 11 die diese Sorten ausdrückten, und weniger hinsichtlich des Umgangs mit Bier und des Biers als Getränk per se. Allerdings wird auch ein jahreszeitlicher Unterschied deutlich; Weißbier konnte nur im Sommer gebraut und überwiegend zu dieser Zeit oder zur Erntezeit getrunken werden. 12 Für die Sommer- und Erntemonate wird auch von der erfrischenden Wirkung des Bieres berichtet. 13 Bier war außerdem kein klassisches Hausgetränk, 14 es wurde außerhalb des eigenen Haushaltes produziert und häufig aus Wirtschaften oder Brauereien geholt. Wirtshäuser wurden üblicherweise an Sonntagen besucht, ansonsten auch nachmittags oder abends. 15 5 Ebd., 92. 6 Ebd., sowie Berichte aus Hopferau und Stein, ebd., 278, 561. 7 Berichte aus Anhofen, Oberthingau, Unterjoch, Untrasried, ebd., 72, 429, 644, 652. 8 Berichte aus Bubesheim, Hochaltingen, Kemnat, Mattsies, Oberthingau, Pfersee und Winterbach, ebd., 145, 256, 303, 349, 430, 472, 697. 9 Berichte aus Gersthofen, Gundelfingen, Mattsies, Pfersee, ebd., 207, 226, 349, 472. 10 Berichte aus Altusried, Bernbach, Geisenried, Gersthofen, Mattsies, Mönstetten, Thalhofen, ebd., 62, 112, 204, 209, 349, 352, 366, 606. Zu den Unterschieden dieser Biersorten B IENEN , Braukultur, in diesem Band. 11 Berichte aus Altusried, Oberegg, Reutti, W ILLI , Alltag, 65, 396. Vgl. den Beitrag in diesem Band über die Physikatsberichte, in denen das Thema wesentlich stärker akzentuiert wird, G UFFLER , Physikatsberichte. 12 Berichte aus Geisenried, Eppishausen, Könghausen, Oxenbronn, Untrasried, Wettenhausen, Wildpoldsried, W ILLI , Alltag, 192, 204, 327, 447, 652, 688, 692. Aus Holzschwang wird dezidiert der Ausschank von Weißbier bei Hochzeiten überliefert. Dies kann als Hinweis gedeutet werden, dass Hochzeiten überwiegend im Sommer stattfanden. In Breitenbrunn wurde im Sommer auch Braunbier getrunken, ebd., 129, 276. 13 Bericht aus Anhofen, ebd., 72. 14 Berichte aus Hergensweiler, Oxenbronn, ebd., 245, 465. 15 Berichte aus Ehingen, Hochaltingen, ebd., 188, 256, 258. <?page no="121"?> Der Bierkonsum in Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts 121 2. Bier als Getränk bei besonderen Anlässen Neben dem Alltag wurde auch bei besonderen Anlässen in der Regel Bier getrunken. Dazu zählten sowohl die hohen christlichen Feste als auch wichtige Anlässe der Dorfgemeinschaft oder im Leben Einzelner. Zu den Festen, an denen Bier getrunken wurde, zählten im Jahresverlauf Fastnacht, 16 Palmsonntag, 17 Karfreitag, 18 der erste Mai 19 und der Martinstag. 20 Auch bei der Kirchweih trank man in der Regel Bier. 21 Aus Altusried ist überliefert, dass während dieses Festes sogar Kinder gelegentlich Bier bekamen. 22 Darüber hinaus wurden diese Anlässe in manchen Berichten nicht aufgeschlüsselt; 23 die Aussage, dass Bier an wichtigen Festtagen getrunken werde, kann als allgemeingültig angesehen werden. Abb. 1: Werbeanzeige der Augsburger Brauerei Lorenz Stötter zur Kirchweih im Jahr 1910; Sammlung Franz Häußler, Augsburg. 16 Berichte aus Altomünster, Daiting, Kemnat, Wildpoldsried, ebd., 55, 163, 303, 691. 17 Bericht aus Aichach, ebd., 34. 18 Bericht aus Steinekirch, ebd., 568. 19 Bericht aus Stotzard, ebd., 573. 20 Berichte aus Reutti, Scheppach, Vöhringen, ebd., 530, 547, 655. 21 Berichte aus Daiting und Wemding, ebd., 163, 678. 22 Ebd., 64. 23 Berichte aus Altomünster, Daiting, Mittelneufnach, ebd., 55, 163, 359. <?page no="122"?> Felix Guffler 122 Abb. 2: Eine Postkarte aus dem Jahr 1900 von der Augsburger Jakober Kirchweih zeigt bürgerliches Paar beim Biergenuss; Sammlung Franz Häußler, Augsburg. Abb. 3: Auch diese Postkarte von 1901 zeigt Besucher der Jakober Kirchweih beim Biergenuss; Sammlung Franz Häußler, Augsburg. <?page no="123"?> Der Bierkonsum in Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts 123 Abb. 4: Auf den üblichen Bierkonsum auf der Jakober Kirchweih spielt diese Postkarte von 1902 an; Sammlung Franz Häußler, Augsburg. Bei den individuellen Anlässen ergibt sich dasselbe Bild. Beim Taufschmaus reichte man Bier, 24 ebenso beim Leichenschmaus. 25 Aus Altenmünster wird berichtet, dass beim Brautverzug während der Hochzeit die Braut gegen Bier ausgelöst werden müsse. 26 Hierbei handelte es sich jedoch um eine Ausnahme, da in der überwiegenden Zahl der Berichte der Bräutigam bei dieser Gelegenheit Wein ausschenken musste. 24 Berichte aus Daiting, Dorschhausen, Ehingen, Hochaltingen, Kellmünz, Kemnat, Kettershausen, Mönstetten, Oppertshofen, Oxenbronn, Pfersee, Remshart, Reutti, Scheppach, Stotzard, Wildpoldsried und Winterbach, ebd., 161, 182, 188, 258, 299, 304, 313, 365, 435, 453, 473, 494, 529, 547, 574, 691, 699. 25 Berichte aus Aufheim, Daiting, Dorschhausen, Gundelfingen, Hochaltingen, Illereichen-Altenstadt, Nordheim, Oppertshofen, Oxenbronn, Pfersee, Scheppach, Wettenhausen, ebd., 88, 169, 183, 228, 261, 282, 377, 436, 456, 474, 547, 687. 26 Ebd., 43. <?page no="124"?> Felix Guffler 124 Bier war weiterhin das übliche Getränk, das man bei besonderen Gelegenheiten anbot. 27 Wurden Getränke für andere ausgegeben oder von anderen gefordert, handelte es sich üblicherweise um Bier. Bei der Flegelhänke und bei der Sichelhänke, dem Abschluss der Ernte, wurde den Bediensteten Bier angeboten. 28 Dasselbe wird von den Richtfesten beim Häuserbau überliefert. 29 Auch beim Flachsbrechen gab es den Brauch, dass Vorbeigehende von den Mägden mit einem Spruch angerufen wurden. Daraufhin musste der Angesprochene den Arbeiterinnen Bier ausgeben. 30 Bediensteten oder Bekannten wurden auch bei anderen Gelegenheiten Bier angeboten. In Aichach erhielten die Dienstboten vom Hausvater am Palmsonntag ein Biergeld, das sie im Wirtshaus ausgaben, 31 in Wildpoldsried erhielten sie eine Marktzeche. 32 Nach einer Geburt wurde gleichfalls vom Ausschank von Bier an Freunde, Verwandte und Bekannte berichtet. 33 Kamen Glückwünschende zu den Wöchnerinnen, so bekamen diese im Gegenzug Bier angeboten. 34 Während Hochzeitsfeierlichkeiten gab es unzählige Anlässe, bei denen Gästen in unterschiedlichem Rahmen Bier gereicht wurde. 35 Bei der Totenwache bot man den Nachbarn ebenfalls Bier an. 36 Starb in Weißenhorn ein Brauer, so wurden sämtliche im Keller lagernde Fässer angezapft. 37 Darüber hinaus wurden auch offizielle Akte mit Bier besiegelt. Beim Leihkauf musste der Käufer im Wirtshaus Bier zahlen. 38 Aus Eutenhausen ist überliefert, dass bei Gemeindewahlen die Gewählten Bier ausgeben mussten. 39 Und in Obenhausen war es Brauch, dass der Müller an seine Kunden Bier verabreichte, wenn er die Mühle erbte. 40 27 Bericht aus Breitenbrunn, ebd., 139. 28 Berichte aus Aufheim, Bergheim, Biberachzell, Boos, Glött, Göggingen, Gundelfingen, Illertissen, Kettershausen, Mönstetten, Obenhausen, Oxenbronn, Reutti, Strass, Winterbach, ebd., 89, 105, 119, 132, 216, 221, 228, 296, 314, 365, 387, 457, 530, 582, 701f. 29 Berichte aus Bernbach, Stotzard und Winterbach, ebd., 112, 576, 702. 30 Berichte aus Breitenbrunn, Dorschhausen, Eppishausen, Gundelfingen, Oberkammlach, Oberreichenbach, Oppertshofen, Oxenbronn, ebd., 140, 184, 194, 228, 403, 417, 437, 455. 31 Ebd., 34. 32 Ebd., 691. 33 Bericht aus Aichach, ebd., 36. 34 Berichte aus Ehingen, Hochaltingen, Oberthingau, Oxenbronn, Winterbach, ebd., 188, 258, 427, 453, 699. 35 Berichte aus Daiting, Ehingen, Göggingen, Gundelfingen, Hochaltingen, Holzschwang, Kellmünz, Kettershausen, Nordheim, Unterreitnau, Winterbach, ebd., 166, 189, 221, 228, 260, 274‒276, 299, 313, 377, 647, 700. 36 Berichte aus Oberegg, Oberthingau, Wildpoldsried, ebd., 394, 428, 692. 37 Ebd., 668. 38 Berichte aus Eppishausen, Kettershausen, Möhren, ebd., 194, 314, 363. 39 Ebd., 198. 40 Ebd., 388. <?page no="125"?> Der Bierkonsum in Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts 125 3. Bier beim gemeinsamen Trinken Bier war das Getränk, das in geselliger Runde genossen wurde, besonders von jungen Männern. 41 Doch auch das gemeinsame Biertrinken aller Generationen war bei bestimmten Anlässen der Fall. 42 Von Strickstuben, bei denen an Winternachmittagen von den Frauen gemeinsam Bier getrunken wurde, ist mehrfach die Rede. 43 Darüber hinaus war Bier ein gern gesehener Wetteinsatz. In Anhofen musste während der Erntezeit derjenige, der die letzte Garbe band und derjenige, der den letzten Schober band, den anderen Bier ausgeben, 44 ebenso in Nordheim. 45 In Sulzschneid wurde um Bier gekegelt. 46 Auch kulturelle Eigenheiten des Biergenusses, wie das Zuprosten und das Anstoßen, wurden in den ethnographischen Beschreibungen erwähnt, 47 oder das unübliche Fehlen derselben. 48 In Oberkammlach bezeichnete der Schreiber das Anbieten eines Bieres zum gemeinsamen Trinken im Wirtshaus explizit als lokalen Brauch. 49 4. Bier als Kulturelement Als Nahrungsmittel hatte das Bier auch Einzug in viele Bereiche der dörflichen Kultur gehalten. Es tauchte häufig in Gedichten, Liedern oder Sprüchen auf. Beim Wasservogel wurde Bier mit einem Gedicht gefordert. 50 In Boos gab es den Aberglauben, dass der Verzicht auf Bier, Wasser und Wein am Karfreitag das Durstempfinden für ein ganzes Jahr aufhebe. 51 In Göggingen wurde eine Geistergeschichte erzählt, die im Holen von frischem Bier ihren Ursprung hatte. 52 In Hochaltingen sangen die Knaben beim Pfeifenmachen: „Haber Haber grot, I gib dir Bier und Brod, I gieb dir Bier und Branntenwein, Und Gläser schieb i älle ein.“ 53 In Illereichen-Altenstadt war Bier 41 Berichte aus Aichach, Daiting, Ehingen, ebd., 34f., 163, 188. 42 Bericht aus Daiting, ebd., 163. 43 Berichte aus Bergheim, Oberegg, Sulzschneid, ebd., 105, 392, 587. 44 Ebd., 71. 45 Ebd., 377. 46 Ebd., 589. 47 Berichte aus Bernbach, Hochaltingen, Marxheim, Pfronten-Steinach, ebd., 112, 256, 347, 481. 48 Bericht aus Hopferau, ebd., 278. 49 Ebd., 401. 50 Bericht aus Biburg, ebd., 124. 51 Ebd., 133. 52 Ebd., 223. 53 Ebd., 266. <?page no="126"?> Felix Guffler 126 ebenfalls Bestandteil eines Kinderliedes; 54 aus Kirchhaslach ist ein Abzählvers überliefert: „Auf dem Klavier, steht eine Maß Bier, wer darauf tritt, der ist’s.“ 55 Aus Altomünster hat sich folgender Spruch erhalten: „Komm heiliger Geist mit einer Schüssel von Fleisch, mit einer Kantel voll Bier, sind wir unsere vier.“ 56 Daneben gab es weitere Abzählverse, in denen Bier als Element enthalten war. 57 Aus Oxenbronn sind Namensneckereien erhalten, bei denen ein dreckiges Annalein nach Braunbier stinke. 58 In Thalhofen war Bier, das einem Gast nicht serviert wurde, ein bedeutender Teil eines üblichen Spottliedes auf den Gastwirt. 59 5. Bier und Gesundheit Nur teilweise sahen die Berichterstatter den Bierkonsum kritisch. Als Nahrungsmittel war Bier grundsätzlich positiv konnotiert, allerdings nicht dessen übermäßiger Konsum oder gar Alkoholmissbrauch. Wie bereits beschrieben, hatte Bier die Milch als Erfrischungsgetränk abgelöst, der gestiegene Konsum wurde teilweise kritisch beschrieben. 60 In Stein wurde dies mit den neuen Verarbeitungsmethoden für Milchbauern begründet, aufgrund derer die Milch verkauft und nicht mehr direkt vor Ort konsumiert wurde: „Beklagenswert ist der Umstand, daß auch die Kinder vielfach schon frühzeitig an den Genuß geistiger Getränke gewöhnt werden, da denselben die billigere und dabei weit nahrhaftere Milch gewiß zuträglicher wäre. Hiefür läßt sich kaum eine andere Erklärung finden als die, daß eben ein Bauer den andern in dem an die Sennereien abgelieferten Milchquantum zu überbieten sucht, weshalb jeder Tropfen dorthin wandern muß. Nach dieser Richtung hin wäre eine Anti-Alkoholbewegung sehr am Platze und könnte allmählich zur Beseitigung des erwähnten Übelstandes verhelfen.“ 61 Aus Aufheim wurde dieser Sachverhalt ebenso beklagt: „Wer gegen diese verkehrte Ernährungsweise in Wort oder Schrift auftritt, predigt meist tauben Ohren.“ 62 54 Ebd., 287‒289. 55 Ebd., 321. 56 Ebd., 54. 57 Berichte aus Rennertshofen und Siegertshofen, ebd., 504, 551. 58 Ebd., 464. 59 Ebd., 612. 60 Berichte aus Altomünster und Geisenried, ebd., 55, 204. Aus Lauingen wurde zwar berichtet, dass der Weißbierkonsum stark zurückgegangen sei, vermutlich zu Gunsten des Konsums von Braunbier, ebd., 338. 61 Ebd., 562. 62 Ebd., 92. <?page no="127"?> Der Bierkonsum in Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts 127 Auch Trinkgelage sind überliefert. 63 Und schließlich hielt der Bericht aus Kettershausen ganz nüchtern fest: „Oft arten die Erntetrünke in Saufereien aus.“ 64 Quellen und Literatur G UFFLER , F ELIX : „Bier. Nach dem Wasser das gewöhnlichste Getränk“. Bier und Bierkonsum im Spiegel der schwäbischen Physikatsberichte, in diesem Band. W ILLI , G ERHARD : Alltag und Brauch in Bayerisch-Schwaben. Die schwäbischen Antworten auf die Umfrage des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde in München von 1908/ 09, Augsburg 1999. 63 Berichte aus Osterberg, Unterreitnau und Weissenhorn, ebd., 443, 648, 666. 64 Ebd., 314. <?page no="129"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 am Beispiel von Unterfranken Birgit Speckle 1. Das Dorfwirtshaus gestern und heute: Fakten und Bewertungen Diese Arbeit widmet sich den Dorfwirtshäusern der 1950er und 1960er Jahre, einer mittlerweile vielfach zum Mythos stilisierten Institution dörflichen Lebens. Im Folgenden wird versucht, dieser Idealisierung des Dorfwirtshauses Fakten zu seiner Architektur, zur Einrichtung und zum sozialen Leben im untersuchten Zeitraum gegenüberzustellen. Mein Interesse an der dörflichen Gastronomie begann im Jahr 2002 während der Kuratierung von „Schafkopf und Musikbox - Dorfwirtshäuser der 1950er und 1960er Jahre“, einer Wanderausstellung des Bezirks Unterfranken. Ziel der Schau war es, ein Stück öffentlicher Alltagskultur in Unterfranken erlebbar zu machen. Gezeigt wurde eine komplett eingerichtete Wirtsstube, wie sie im vorgegebenen Zeitraum bestanden haben könnte: mit Tresen und Gläserschrank, Tischen und Stühlen, einer Vitrine für die Pokale der im Wirtshaus tagenden und feiernden Vereine, mit Spielautomaten - von der Musikbox bis zum Kicker - und einer Bar. Die Wände schmückten Vereinsurkunden und Werbeschilder von Brauereien. Statt Texttafeln zu lesen, konnten die Besucher 1 einen Blick in Speisekartenhüllen werfen, in denen Informationen zu den Funktionen im Gasthaus und dem darin stattfindenden Alltagsleben hinterlegt waren. 2 Von 2003 bis 2010 war die Ausstellung an über zwanzig Stationen in Ober-, Mittel- und vor allem Unterfranken zu sehen. In erster Linie stand die Ausstellung in Museen, aber auch in Gemeindezentren und in einer Bibliothek. 3 Seit 2012 werden 1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet. Eine Diskriminierung ist damit nicht intendiert. 2 Es entstand außerdem ein mittlerweile vergriffenes Begleitbuch (S PECKLE , Schafkopf), dem der vorliegende Text in Teilen folgt. 3 2003: Burgpreppach (Landkreis Haßberge), 2004: Volkach (Landkreis Kitzingen), Arnstein (Landkreis Main-Spessart) und Veitshöchheim (Landkreis Würzburg), 2005: Fladungen (Landkreis Rhön-Grabfeld), Euerbach (Landkreis Schweinfurt) und Rothenbuch (Landkreis Aschaffenburg), 2007: Frammersbach (Landkreis Main-Spessart), 2008: Alzenau (Landkreis Aschaffenburg), Kitzingen, Rödelsee (Landkreis Kitzingen), Thüngersheim (Landkreis Würz- <?page no="130"?> Birgit Speckle 130 Abb. 1: Die Ausstellung „Schafkopf und Musikbox“ im Fuhrmann-und-Schneider- Museum in Frammersbach; Foto: Simon Hörnig. die Objekte als fest installierte Inszenierungen in Rothenbuch (Landkreis Aschaffenburg) und Frammersbach (Landkreis Main-Spessart) gezeigt. Ein Teil ging 2005 mit der Wanderausstellung des Ausstellungsverbunds „Arbeit und Leben auf dem Lande“ unter dem Titel „Gasthaus. Geschichte und Kultur“ in das Fränkische Freilichtmuseum Bad Windsheim, das Schleswig-Holsteinische Freilichtmuseum Molfsee, das Museumsdorf Cloppenburg und das Freilichtmuseum Domäne Dahlem in Berlin. Die große Nachfrage hing, so wurde von den Leihnehmern betont, mit ihrer Bespielbarkeit und der positiven Wertung des „alten“ Dorfwirtshauses zusammen. Zahlreiche Aktionen fanden direkt im inszenierten Gasthaus statt: Wirtshausmusik und Schafkopfrunden, Vereinstreffen und Kicker-Turniere. 4 Ehemalige und aktive Wirte brachten zum Ausstellungsbesuch Gläser, Krüge, Teller, Urkunden und anderes Wirtshausinventar mit. Sie hofften, dass diese Gegenstände im Umfeld der Ausburg), Wörth am Main (Landkreis Miltenberg), 2009: Kahl am Main (Landkreis Aschaffenburg), Lauf an der Pegnitz (gleichnamiger Landkreis, Mittelfranken), Miltenberg (gleichnamiger Landkreis), Hammelburg (Landkreis Bad Kissingen), Frensdorf (Landkreis Bamberg, Oberfranken), 2010: Bergrheinfeld (Landkreis Schweinfurt). 2003, 2005 und 2007 war die Ausstellung auf der alle zwei Jahre stattfindenden Mainfrankenmesse in Würzburg zu sehen. 4 Zu den Erfahrungen der Leihnehmer in der Stadtbibliothek Hammelburg W ENGERTER , Bibliothek. <?page no="131"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 131 stellung gut aufgehoben seien und nicht über kurz oder lang im Müllcontainer landen würden. In den meisten Fällen fand sich in der Ausstellung oder in einem Museum ein angemessener Platz. Obgleich die Ausstellungstexte die problematischen Seiten des Wirtshauslebens thematisierten, löste die Inszenierung bei älteren Besuchern meist nostalgische Gefühle aus, hatten sie doch einst selbst ein „Zehnerle“ in die Musikbox geworfen, um den Beatles, Roberto Blanco oder dem Lied von den Capri-Fischern zu lauschen. Sie selbst hatten als Kinder Süßigkeiten aus der Nussglocke genascht, hatten als Jugendliche beim Kartenspiel gesessen und an rauschenden Faschingsabenden Schneewalzer oder Twist getanzt. Seit Jahrzehnten berichten die Medien von Schließungen des örtlichen Wirtshauses. Dieser Leerstand kann jahrelang anhalten und das Ortsbild stören und schlimmstenfalls die öffentliche Sicherheit gefährden. 5 Stets transportieren diese Meldungen das Bild von der guten alten Zeit des Dorfwirtshauses und das Bedauern über dessen Niedergang. Besonders in den Feuilletons sind melancholische Abgesänge anlässlich der Schließung traditionsreicher Gaststätten zu lesen. Die „Süddeutsche Zeitung“ widmete der Schließung des „Tragerwirts“ im oberbayerischen Neumarkt-St. Veit eine komplette Seite und gab dem Bericht mit dialektalen Begriffen zusätzlich Stimmung und Lokalkolorit: „Das Wirtshaus wird damals nicht viel anders ausgesehen haben als jetzt. Der Tragerwirt ist ein Gesamtkunstwerk. Die Weißdecke wirft lustige Falten, die Wirtsstube verströmt den Charme der Sechzigerjahre. Schlichte Tische mit abgewetzten Resopalplatten, liebevoll verhüllt durch schmale Tischdecken, kontrastieren mit der Wand, die gespickt ist mit Rehgwichtln, Fotografien von Vorfahren und historischen 5 P RALLE , Nostalgie. Abb. 2: Objekt der Begierde für die Kinder der 1950er und 1960er Jahre: Die Nussglocke auf dem Tresen. Hier das Exemplar aus der Ausstellung „Schafkopf und Musikbox“ im Fuhrmann-und-Schneider-Museum in Frammersbach; Foto: Simon Hörnig. <?page no="132"?> Birgit Speckle 132 Schafkopfblattln. Die Fliesen an der Theke strahlen jenen blaugrünen Farbton ab, in dem die Ästhetik der Nachkriegszeit konserviert ist.“ 6 Selbst das Schafkopf-Spiel scheint „schlechte Karten“ 7 zu haben und auszusterben. Entsprechend wird, als rede man von einer bedrohten Tier- oder Pflanzenart, berichtet, wo in der Wirtshausszene Revitalisierungen zu beobachten sind oder in einer Gaststube noch traditionelle Kartenspiele gepflegt werden. 8 Das Dorfwirtshaus ist zum Symbol und Erinnerungsanker für die 1950er und 1960er Jahre geworden und damit für den Verlust einer vermeintlich intakten, vom Vereinsleben getragenen Dorfgemeinschaft. Man könnte mit gleichem Recht den Dorfladen, die Poststelle, die Milchsammel- oder die Bushaltestelle als Orte gemeinschaftlicher Zusammenkunft dieser Zeit wählen. Doch in der medialen Darstellung gilt ausschließlich das Dorfwirtshaus als Brennpunkt des öffentlichen Lebens. Die Gründe für das insbesondere seit den 1970er Jahren sich vermehrende Wirtshaussterben sind von vielen Seiten erkannt und benannt. Soziologisch gesehen liegen sie im Rückzug ins Private, wo der potentielle Wirtshausgeher lieber als User mit Notebook oder Smartphone zu Hause bleibt und das Bier im Supermarkt kauft oder gleich online ordert. Vereinsmitglieder treffen sich spätestens seit den 1970er Jahren in den damals vermehrt entstandenen Vereinsheimen. Sie bildeten die erste wirksame Konkurrenz der Dorfwirtshäuser. Dazu kommen aus baulicher Sicht Ortskerne, die ihren Namen nicht mehr verdienen, geprägt von Leerständen, fehlender Infrastruktur und jungen Familien, die in anonyme Neubausiedlungen ziehen. Auf der wirtschaftlichen Seite machen sich hohe Mieten bemerkbar, ebenso wie der Nachwuchsmangel vieler Wirtsleute, weil immer weniger jüngere Menschen die langen Arbeitszeiten in Kauf nehmen wollen. 9 Niedrige Gewinne stehen einem steigenden, zeitintensiven Verwaltungsaufwand und mit hohen Investitionskosten verbundenen, stetig anspruchsvolleren Hygienestandards entgegen. Dazu kommt der fortschreitende Trend, dass Vereine oder Gruppierungen gastronomische Veranstaltungen in Eigenregie und damit ohne den Wirt ausrichten. 10 An Rettungsversuchen mangelt es nicht. Insbesondere der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband entwickelt Initiativen zur Stärkung der Wirtshauskultur. Auch Politiker machen sich für die Thematik stark. Ein Beispiel ist die Aussage der SPD-Landtagsabgeordneten Ruth Waldmann aus München: „Wir müssen genau schauen, wo politische Stellschrauben möglich sind, um die Wirtshauskultur im Land so aufrecht zu erhalten, wie sie bisher war.“ 11 6 K RATZER , Ausgekocht. 7 S CHWARZ , Karten. 8 L ÖSCH , Schelln. 9 Beispielsweise U RBE , Zwiebeln. 10 S CHERF , Feste. 11 Zum Beispiel Eda, Kneipensterben. <?page no="133"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 133 Es gibt ermutigende Beispiele für neu belebte Wirtshäuser. Dabei können Niedergang und Neubeginn eng nebeneinander liegen, wie etwa in Unsleben (Landkreis Rhön-Grabfeld). Hier scheint das Schicksal des Gasthauses „Post“ nach dem Tod der Wirtin besiegelt zu sein. War es bisher noch gelegentlich für ein paar Stunden und für Stammgäste geöffnet, wird es nun mangels Nachfolge endgültig geschlossen. Der Nachruf in der Lokalzeitung auf die verstorbene Wirtin Emilie Manger beschwört das Ende einer klassischen Wirtinnenbiographie: Emilie Manger führte das Gasthaus nach dem Tod ihres Mannes allein und zog zugleich die vier Kinder groß. Sie war „ein absoluter Familienmensch“. Sie engagierte sich zudem in zahlreichen Vereinen und war insbesondere als Ortsbäuerin und als jahrzehntelanges Mitglied im Frauenbund fester Bestandteil des öffentlichen Dorflebens. Das von ihr geführte Gasthaus galt als „beliebter Treffpunkt für Stammgäste […], Vereine und Veranstaltungen. […] Legendär waren die Faschingstanzveranstaltungen und Kappenabende im Tanzsaal. Jahrzehntelang kamen die Kartbrüder zu den Donnerstag-Kartabenden, die Wirtschaft war einer der Dreh- und Angelpunkte in der Gemeinde.“ 12 Der Nachruf auf Emilie Manger zeichnet das Bild einer tatkräftigen und fest im Leben stehenden Wirtin. Solche liebevollen Schilderungen von Wirtinnen als Herz des Gasthauses gehören seit Jahren zum Ritual der Klagelieder um den Verlust des Dorfwirtshauses. Die schwierigen Seiten des Wirtinnendaseins sind dabei allerdings ausgeblendet. Nur wenige hundert Meter neben dem ehemaligen Gasthaus „Post“ befindet sich am Dorfrand das Gasthaus „Krone Schenke“. Jahrelang war es dem Verfall Preis gegeben, bis die eigens gegründete Genossenschaft „Friedrich Wilhelm Raiffeisen Dorf leben eG“ dieses übernahm, von Grund auf sanierte und seit 2013 mit Erfolg als Speisegaststätte mit Veranstaltungsraum im Obergeschoss betreibt. 13 Ähnlich sanierte der Brauer Ulrich Martin Gasthaus und Brauerei in Hausen bei Schonungen (Landkreis Schweinfurt) und baute beide zu florierenden Unternehmen auf. Das Gasthaus „Düll“ in Gnodstadt (Landkreis Kitzingen) zieht mit seiner soliden Einrichtung aus den 1960er Jahren, einer bodenständigen Küche mit Produkten aus der örtlichen Schlachterei sowie Bieren aus der eigenen Brauerei Gäste aus dem ganzen Landkreis an: Vereine tagen hier neben Geburtstagsrunden und Treffen von Jugendlichen aus dem Dorf. Der Sohn der Wirtsleute ist gelernter Koch. Er übernahm den Betrieb vor einigen Jahren mit seiner Frau, allerdings unter Bedingungen, die ihnen Freiraum ermöglichte: Die Landwirtschaft wurde aufgegeben, die kleine Brauerei betreibt ausschließlich der Seniorwirt, der mit seiner Frau weiterhin in der Gastwirtschaft mitarbeitet. Die Gaststube blieb unverändert, nur die Küche und die Sanitäranlagen wurden zeitgemäß saniert. Das Ergebnis: Die Besucher strömen wie eh und je. 12 H AASE , Kreis des Lebens. 13 H AUBNER , Krone. Vgl. ein ähnliches Projekt im oberbayerischen Altenau (z. B. L ORY , Dorf). <?page no="134"?> Birgit Speckle 134 2. Forschungsstand Um mehr zu erfahren über das Dorfwirtshaus der 1950er und 1960er Jahre jenseits der Klischees ist ein Blick in die Architektur und Ausstattung der Gebäude sowie in den Alltag der Wirtsleute und Gäste früherer Jahrzehnte notwendig. Die bisherige Forschung hat sich mit diesen Fragen wenig befasst. Museen und kulturelle Einrichtungen beschäftigen sich in Ausstellungen und Katalogen unter verschiedenen Aspekten mit dem Thema Dorfwirtshaus. 14 Heimatforscher und -pfleger nehmen in den Periodika von Heimat- und Geschichtsvereinen und in Ortschroniken das lokale Geschehen in den Blick: Sie rekonstruieren in erster Linie und oft über zahlreiche Generationen hinweg akribisch Besitzerfolgen und Baugeschichten. Dazu kommen Sammlungen von Anekdoten und historischem Fotomaterial. 15 Denkmalpfleger verweisen neuerdings in aufwändig gestalteten Büchern auf vorbildlich restaurierte Gebäude. 16 Die 1950er und 1960er Jahre werden bei diesen vielfältigen Untersuchungen jedoch allenfalls am Rande abgehandelt. In der Volkskunde führt die sachkulturelle Erforschung der Wirtshauskultur, insbesondere des hier untersuchten Zeitraums, wie das gesamte Gebiet der Sachkultur, ein Schattendasein. Es steht zu befürchten, dass der Themenkreis in den nächsten Jahren gänzlich aus dem Fach verschwinden wird. Wolfgang Brückner, Altmeister der Sachvolkskunde, legt dar, welche Chancen und Kenntnisse durch die Nichtbeachtung der Dinge als Forschungsgegenstand im historischen Kontext verloren gehen: „Nachdem die einst für entsprechende Beobachtungen zuständig gewesene akademische Disziplin einer vergleichenden Volkskunde […] sich […] oft nur noch als gegenwartsempirische Anthropologie großstädtischer Globalphänomene versteht, scheint es mir doppelt wichtig, die historische Perspektive mit ständigem Blick auf unsere Gegenwart zu betonen, nämlich durch Fragen nach dem, was wir von vergangenen generellen […] Entwicklungen vor Ort alles wissen und wie wir dies aus heutiger wissenschaftlicher Sicht verstehend einordnen können.“ 17 Die folgenden Ausführungen beschreiben Dorfwirtshäuser anhand der mit ihnen verbundenen Sachkultur und deren Bedeutung für die Menschen, nämlich dem Personal und den Gästen. Dabei handelt es sich um Forschungsergebnisse, die parallel zur eingangs beschriebenen Wanderausstellung gewonnen wurden und die in erster 14 Zum Beispiel D REXLER , Kellnerin; M AY / S CHILZ , Gasthaus. Eine Ausnahme bildet der Zeitschnitt um 1900 in Pasinger Fabrik, Berge. 15 Für Unterfranken zum Beispiel H OFMANN , Gastwirtschaften; L ÖSCH , Geschichte; S CHMITT- NER , Wirtshaus. 16 Für Unterfranken zum Beispiel F ABER / G ÜRTLER / M ORSBACH / N IEMER / S CHMID / S CHMIDT / S CHMIDT , Wirtshäuser. Für Bayern G ATTINGER , Genuss. 17 B RÜCKNER , Franken, 8. <?page no="135"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 135 Linie auf Interviews mit Zeitzeugen basieren. Diese führten zu einem Bedeutungsgewinn für einige Objekte der Ausstellung, die anhand der neuen Informationen in ihren kulturgeschichtlichen Kontext eingebettet werden konnten. Dazu gehören etwa die Biermarkenkassen, welche bis zur Einführung der Registrierkassen in den 1970er Jahren auf jeden Tresen gehörten. Sie repräsentieren ein Zahlungssystem mit eigens geprägten Marken, das einige Gasthäuser bis heute verwenden. Hierzu entstand eine kleine Wanderausstellung samt Begleitbuch, um Wirtschafts- und Sozialgeschichte beispielhaft zu erforschen und zu dokumentieren. 18 Zeitzeugen erinnern sich, dass in der Gaststube oder im Flur des Erdgeschosses häufig das einzige Telefon im Ort stand und gelegentlich die lokale Poststelle vom Wirt mit betrieben wurde. Weitere Befragungen ergaben die wichtige Bedeutung der Poststellen auf dem Land für die Anbindung an die „weite Welt“ ebenso, wie für die dörfliche Kommunikation. Daher entstand nach „Schafkopf und Musikbox“ eine weitere Wanderausstellung mit dem Titel „‚Die Post, des war mein Leben.‘ Poststellen in Unterfranken.“ 19 Schließlich betonten zahlreiche Zeitzeugen die Bedeutung der Tanzsäle, die bis heute zu vielen Gasthäusern gehören. Größere gesellschaftliche Veranstaltungen wie Kirchweih oder Fasching waren ohne Säle bis in die 1970er Jahre nicht durchführbar. 20 3. Das Dorfwirtshaus 1950 bis 1970 3.1. Angebot und Öffnungszeiten „Das“ Dorfwirtshaus, von dem im öffentlichen Diskurs die Rede ist, gibt es nicht. Gestern wie heute unterscheiden sich Wirtshäuser in ihrer Größe und in ihren Nutzungsformen. Die Variationsbreite reicht von Ortschaften, in denen kein einziges Gasthaus mehr betrieben wird, bis hin zu solchen, in denen mehrere gastronomische Betriebe nebeneinander bestehen. Diese decken dann verschiedene Funktionen ab, etwa als Speiserestaurant oder als Feierabendkneipe. Es gibt kleine Betriebe mit einer einzigen Gaststube, repräsentative Häuser mit mehreren Nebenzimmern, einem Wirtshausgarten und Saal. Beim kulinarischen Angebot hat sich seit den 1960er Jahren außerdem die Internationalisierung der Speisekarten rasant entwickelt. 18 S PECKLE , Wert-Voll. 19 D IES ., Post. 20 D IES ., Tanzsäle. Zur Online-Datenbank führt der Link www.bezirk-unterfranken.de, von dort zu „Kulturarbeit und Heimatpflege“ und weiter zu „Datenbanken“. <?page no="136"?> Birgit Speckle 136 Die Beliebtheit der internationalen Küche hängt mit den neuen Reisezielen der Deutschen seit den 1950er Jahren zusammen. Am Beispiel einer Großstadt, nämlich München, wurden Entwicklungen dargestellt, die sich in ähnlicher Form auf ländliche Gebiete übertragen lassen. Demnach entstanden seit 1971 überproportional viele italienischen Restaurants. Seit den späten 1970er Jahren ist die Differenzierung der asiatischen Küche zu beobachten, die sich nun in Vietnamesisch, Koreanisch und Indisch unterteilte. Erst Ende der 1980er Jahre tauchte eine nennenswerte türkische Gastronomie auf. Der Trend setzte sich zwar durch, dennoch bestimmten 2001 die italienischen Restaurants endgültig das Bild: 476 von 3.000 Restaurants boten schwerpunktmäßig italienische Speisen an, gefolgt von griechischen und chinesischen Lokalen, die sich stark in verschiedene Küchen differenzieren. 21 Architektur und Einrichtung von Gasthäusern befinden sich in ständigem Wandel. Sie passen sich den jeweiligen Gegebenheiten und Notwendigkeiten an. Gut erkennen lässt sich dies am Gasthaus „Zum goldenen Engel“ in Arnstein (Landkreis Main-Spessart). Dessen Obergeschoss erfuhr bisher drei Mal gravierende Umnutzungen: 1909 bis 1924 war hier das damalige Distriktmuseum untergebracht. Danach wurde ein Tanzsaal eingerichtet sowie ein Bügel- und Mädchenzimmer. Diese mussten in den 1950er Jahren Gästezimmern weichen. Die Zusammensetzung der Übernachtungsgäste hat sich jedoch im Laufe der Jahre ebenfalls verändert. In den 1950er Jahren nächtigten hier Lkw-Fahrer und Handelsreisende. Die einen verbringen die Nachtstunden heute in ihren entsprechend ausgestatteten Kabinen, die anderen übernachten, dank gut ausgebauter Straßen, nur noch selten unterwegs. Heute nutzen vor allem Touristen die Räumlichkeiten im „Goldenen Engel“. Bis in die 1960er Jahre befand sich im Gasthaus ein Ladengeschäft, das Zigaretten und Spirituosen anbot. Das einstige Schaufenster im Erdgeschoss neben der Eingangstüre wird heute nicht mehr benötigt, ist aber noch vorhanden. Die Veränderungen an der rückwärtigen Seite des Gasthauses sind gravierender. Bis in die 1950er Jahre war dort ein Stall, in den die Besucher des örtlichen Marktes ihre Pferde und Fuhrwerke einstellten. Als diese aufgrund der Motorisierung nicht mehr gebraucht wurden, mussten die Ställe weichen. Stattdessen entstanden ein Garagenanbau und ein geteerter Parkplatz. 22 Ebenfalls eine bauliche Veränderung, mit der die Wirtsleute auf die mangelnde Nachfragesituation reagierten, gab es im Gasthaus „Hirschen“ in Laudenbach (Landkreis Miltenberg). Wie im „Goldenen Engel“ in Arnstein war man hier auf die Übernachtung von Fernfahrern eingestellt. Für sie hielten die Wirtsleute kleine, einfach eingerichtete Zimmer, sogenannte Stübchen, vor. Als die Zielgruppe aus den oben genannten Gründen ausblieb, wurden diese Räume anderweitig genutzt. Ein drittes Beispiel für bauliche Veränderungen zeigt das Gasthaus „Zum Engel“ in Rechtenbach 21 L ENHART , Welt, 278f. 22 Die Ausführungen zum Gasthaus „Engel“ folgen S PECKLE , Foto. <?page no="137"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 137 (Landkreis Main-Spessart). Dort befanden sich Gasthaus und Stall bis in die 1950er Jahre unter einem einzigen Dach. Dann wurde der Stall entkernt, das Wohnhaus aufgestockt, die Außentreppe erneuert und es wurden große Fenster eingebaut, um Lüftung und Lichtzufuhr zu verbessern. 23 Die Fassade des Gebäudes erhielt, im Stil der Zeit, bis zur Höhe des Erdgeschosses eine Verkleidung mit Fliesen. Die Gaststube wird jetzt durch große Fenster, der Eingangsbereich durch Glasbausteine vom Tageslicht erhellt. Der Holzboden in der Gaststube musste einem PVC-Belag weichen. Mittlerweile hat aber eine Rückbesinnung eingesetzt. Heute sitzen die Gäste wieder an Holztischen und das historische Wirtshausschild hängt wieder an alter Stelle - ergänzt durch die damals moderne Leuchtreklame aus den 1950er Jahren. Ein außergewöhnlicher Weg, ein Wirtshaus neuen Bedingungen anzupassen, wurde im Gasthaus „Zum Goldenen Engel“ in Langenprozelten (Landkreis Main- Spessart) beschritten. Die Geschichte des Hauses geht ins 12. Jahrhundert zurück. 1968 wurde das Anwesen von Friedrich und Anneliese Lussert erworben. Anfang der 1970er Jahre bekam der Saal im oberen Stock, der ursprünglich als Tanzsaal genutzt wurde, seinen grottenähnlichen Charakter, seit den 1980er Jahren ist im Haus neben einem Restaurant das überregional bekannte Theater „Spessartgrotte“ eingerichtet. In Gemünden (Landkreis Main-Spessart) unterhält das Ehepaar Hofmann den Gasthof „Hofmann“ als museale Inszenierung, die Besuchern gerne gezeigt wird. Details wie Porzellan-Schüsseln für das Kleingeld zum Kartenspiel sind hier ebenso zu sehen wie die mächtige Badewanne im Obergeschoss, die Übernachtungsgästen und Dorfbewohnern in den 1930er Jahren für die wöchentliche Intensivreinigung zur Verfügung stand. Häufig sind Translozierungen von Gasthäusern in ein Museum. Dabei bleibt ein älterer Zeitschnitt von Raumhülle und -einrichtung erhalten. Fast jedes Freilandmuseum verfügt mittlerweile über ein historisches Wirtshaus. Allerdings findet der Zeitraum der 1950er bis 1960er Jahre dabei wenig oder gar keine Beachtung. Diese Beispiele zeigen, dass alte Wirtshäuser durchaus eine Zukunft haben können, wenn auch teilweise mit anderer Nutzung und ohne wirtschaftlichen Gewinn. 3.2. Ein Prototyp des Gasthauses der 1950er und 1960er Jahre Trotz zahlreicher Varianten bei der Gästestruktur, beim Angebot, bei der Architektur und bei der Einrichtung und trotz beständigem Wandel lässt sich auf der Basis zahlreicher Besichtigungen und Studien historischer Fotografien ein Prototyp des dörflichen Gasthauses der 1950er und 1960er Jahren modellhaft nachzeichnen. Zu den beiden Herzstücken des Gasthauses, nämlich der Gaststube und dem Nebenzimmer, kommen Windfang und Diele. Toiletten - deren Kulturgeschichte vom Abtritt bis zur nach Tanne duftenden, von Musik erfüllten Wohlfühloase noch zu schreiben wäre 23 Zu diesem Trend T OMCZYK , Licht. <?page no="138"?> Birgit Speckle 138 Abb. 3 und 4: Durchreiche im inszenierten Gasthaus „Schafkopf und Musikbox“ im Fuhrmann-und-Schneider-Museum Frammersbach, einmal geöffnet, einmal geschlossen. Außergewöhnlich sind der Klingelknopf und die historische Zigarettenwerbung. Die Durchreiche stammt aus dem ehemaligen Gasthaus „Weißes Lamm“ in Nürnberg- Buch; Fotos: Simon Hörnig. - sowie die Küche möchte ich hier zwar erwähnen, sie werden jedoch nicht näher beschrieben. Hierzu wäre eine eigene Arbeit notwendig. Auffallend ist, dass sich die Raumfolge und die Anordnung der Möbel bis heute kaum verändert haben. Die Gaststube befand sich in der Regel im Erdgeschoss und wurde durch einen Windfang hinter der Haustüre betreten. Bei Gasthäusern der 1950er und 1960er Jahre waren der Boden und die bodennahen Wandbereiche des Windfangs gewöhnlich gefliest. Hier hingen Plakate, auf denen Dorfneuigkeiten oder Veranstaltungen im Wirtshaus angekündigt wurden, manchmal komplettiert durch einen Zigarettenautomaten. Den Windfang trennte in der Regel eine ein- oder zweiflügelige hölzerne Türe mit Verglasung von der Diele. Von der Diele gingen Türen zur Gaststube, evtl. zum Nebenzimmer, zur Küche und, im hinteren Bereich, zu den Toiletten ab. In der Diele fand manchmal auch eine Telefonzelle Platz. Im Gasthaus „Zum goldenen Roß“ in Diebach (Landkreis Bad Kissingen) ist diese noch erhalten: Es handelt sich um eine begehbare Kabine aus lackiertem Holz. Für Licht sorgt eine <?page no="139"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 139 Abb. 5: Theke des Brauerei-Gasthofes „Düll“ in Gnodstadt um 1950 mit den Wirtsleuten Margarethe und Karl Düll. Zur Theke gehören eine geflieste Wand und der Gläserschrank. Vor dem Tresen auf einem Beistelltisch ein Radioapparat mit Plattenspieler. Solche technischen Innovationen steigerten die Attraktivität eines Gasthauses; Foto: Bestand Christa Rank, Gnodstadt. elektrische Glühbirne, an der einen Wand sind Ablagebrett und das Telefon befestigt. In der Türe befindet sich ein kleines Sichtfenster. Eine solche Einrichtung lud zwar nicht zum Dauergespräch ein, bot jedoch eine gewisse Privatsphäre. In zahlreichen Gaststätten der 1950er und 1960er Jahre stand das Telefon offen auf dem Tresen. Die Türe zur Gaststube war in der Regel mit einem Schild aus Emaille gekennzeichnet. Neben der Türe haben Häuser, die im Bauzustand der 1930er Jahre erhalten sind, in Brusthöhe eine Durchreiche, welche den Tresen mit dem Eingangsbereich verbindet. Sie wurde genutzt, um Bier offen oder in Flaschen über die Straße zu verkaufen. Erhalten blieben diese Durchreichen in zahlreichen Gaststätten wohl einfach deshalb, weil sie nicht stören, sondern im Gegenteil noch heute für eine rasche Kommunikation nützlich sein können. In der eigentlichen Gaststube stand der Tresen mit seinen Kühlanlagen - gelegentlich handelte es sich in den 1950er Jahren noch um Stangeneis. Hinter dem Tresen befanden sich Gläser- und Geschirrschrank sowie eine Tür zur Küche. Die Wände in diesem Bereich waren, wie im Windfang, mindestens bis in Brusthöhe gefliest. Auf dem Tresen lockten Nussglocke oder eine gläserne Vitrine mit Süßigkeiten. <?page no="140"?> Birgit Speckle 140 Abb. 6: Eine Runde von Kartenspielern erfordert nicht unbedingt einen Stammtisch. Das Foto aus dem Jahr 1953 entstand im Gasthaus „Klein“ in Sternberg (Landkreis Rhön-Grabfeld). An Sonntagnachmittagen kamen häufig zusammen (von links): Landwirt Wendelin Kitzing aus Sternberg, Pfarrer Carl Bonaventura Hofmann aus Obereßfeld, Landwirt Theodor Kitzing aus Sternberg und Theodor Bauer aus Zimmerau, der bei der bei der Grenzpolizei der nahen Zonengrenze arbeitete; Foto: Bestand Reinhold Albert, Sternberg. Die Tische aus jener Zeit haben ihre eigenen Geschichten: Neben Stragula als Tischbelag, das leicht brüchig wurde, oder Holzplatten, die mühsam mit der Wurzelbürste und Scheuermittel gereinigt werden mussten, setzten sich in den 1950er Jahren Tische mit einer Platte aus Resopal und den zeittypisch abgerundeten Ecken durch. Wie so oft galt auch hier der Grundsatz: Es setzte sich durch, was haltbar und leicht zu reinigen war. Eine zentrale Rolle spielte der meist runde Stammtisch, stets gekennzeichnet durch ein entsprechendes Stammtischschild. Deren Variationsbreite war und ist groß, ihre vielfältige Nutzung als Werbung für Brauereien jedoch bisher nicht untersucht. Zu den Tischen gehörten Holzstühle mit einfachen Lehnen und gelegentlich wandfeste Bänke. Letztere waren mit der Holzverkleidung, der Lamperie, an den Wänden befestigt. Diese konnte zudem als Befestigung für Garderobenhaken dienen. 24 Bis in die 24 W AGENLEHNER , Wirtshauswand. <?page no="141"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 141 Abb. 7: Zusammenkunft der Feldgeschworenen, „Siebener“ genannt, 25 im Gasthaus „Düll“ in Gnodstadt im Mai 1951; Foto: Christa Rank, Gnodstadt. 1960er Jahre gehörte in die Gaststube ein Ofen, der zunächst mit Holz, ab den 1960er Jahren häufig mit Öl beheizt wurde und gewöhnlich über ein abenteuerlich langes Ofenrohr verfügte. Das Nebenzimmer war gewöhnlich kleiner als die Gaststube. Die beiden Räume waren entweder durch eine Türe verbunden oder befanden sich auf gegenüberliegenden Seiten der Diele. Das Nebenzimmer war schlicht mit Tischen und Stühlen eingerichtet. Ein Tresen fehlte, die Getränke wurden von der Gaststube gebracht. Der Raum diente zu privaten Treffen von Vereinen, für politische Versammlungen oder als Erweiterung der Gaststube bei Familienfeiern. Manche Stammtischgemeinschaften verfügten über eigene Utensilien, die im Nebenzimmer untergebracht waren. Sie verblieben in Vitrinen oder wurden auf Regalen aufgestellt. Dazu gehörten die Vereinsfahne, für die es manchmal einen eigenen Fahnenschrank gab, vor allem aber Pokale und Urkunden, die im sportlichen oder musikalischen Wettbewerb errungen wurden. In manchen Nebenzimmern stand zudem die Musikbox, damit sich die älteren Gäste in der Gaststube von den modernen und lauten Klängen nicht gestört fühlten. Dies war beispielsweise im ehemaligen Gasthaus „Schwane“ in Gerbrunn (Landkreis Würzburg) der Fall. Manche Gasthäuser verfügten über eine Bar: entweder in der Gaststube, im Nebenzimmer oder im Tanzsaal. Selten dagegen befand sich diese in einem eigenen 25 Direktion für ländliche Entwicklung, Feldgeschworene. <?page no="142"?> Birgit Speckle 142 Abb. 8: Blechschilder mit Werbung, heute gesuchte Sammler-Artikel, waren vor allem in den 1950er und 1960er Jahren an den Fassaden von Wirtshäusern angebracht. Hier ist das Gasthaus „Zur Rose“ in Sternberg im Grabfeld (Landkreis Rhön-Grabfeld) 1962 bei der Verabschiedung des örtlichen Feuerwehrkommandanten zu sehen; Foto: Bestand Reinhold Albert, Sternberg. Raum, wie im ehemaligen Gasthaus „Schwarzer Adler“ in Burgpreppach (Landkreis Haßberge). Tresen und die charakteristischen, hochbeinigen Hocker waren nicht unbedingt notwendig, um Bar-Atmosphäre zu schaffen. Insbesondere in den 1950er Jahren improvisierte man mit einfachen Mitteln. Beim sogenannten Kappenabend an Fasching 1955 standen im Gasthaus „Zum Engel“ in Rechtenbach verschiedene Flaschen mit Likören und Spirituosen auf einem Tischchen bereit - das reichte aus, um gemeinsam bei Eierlikör und Puschkin-Wodka in Stimmung zu kommen. Besonderheiten der Ausstattung bildeten ein Radioapparat oder gar ein Fernsehgerät. Seit 1952 gab es in der Bundesrepublik ein tägliches Programm in Schwarz- Weiß. Doch da die Geräte zunächst sehr teuer waren, bot sich für die Wirtsleute eine Gelegenheit, ihren Umsatz zu erhöhen. Das galt für Spielfilme, vor allem aber für Übertragungen, z.B. der Olympischen Sommerspiele 1952 in Helsinki, der Feierlichkeiten zur Krönung der britischen Königin Elizabeth II. in London 1953 oder der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. In diesem Jahrzehnt noch übliche Sendestörungen, die eine Art Schneegestöber auf dem Bildschirm hervorriefen und die ein Wirt deswegen humorvoll als „Schnee vom Kilimandscharo“ bezeichnete, taten <?page no="143"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 143 Abb. 9: Vereinssparkasse an der hölzernen Wandverkleidung in der Ausstellung „Schafkopf und Musikbox“ im Fuhrmann-und-Schneider-Museum Frammersbach; Foto: Simon Hörnig. dem Vergnügen nur wenig Abbruch. Zum Wandschmuck in den Gaststuben gehörten noch in den 1960er Jahren gemusterte Schalvorhänge, die an ein bürgerliches Wohnzimmer erinnern. Dabei waren die Tische spartanisch gedeckt: ohne Tischdecken und sogar ohne Bierfilze. Als Dekoration dienten Reklameschilder oder Urkunden, die an die hier zusammenkommenden Vereine oder an den Wirt verliehen worden waren. Bis in die Gegenwart dienen gerahmte Siegerblätter vom Schafkopfspiel als beliebter Wandschmuck. <?page no="144"?> Birgit Speckle 144 Die Gaststube als öffentlicher Ort für alle Bevölkerungsschichten eignete sich hervorragend, um Brauereien, Süßgetränkehersteller und die örtlichen Banken ins Bild zu setzen. Das gilt ebenso für die Hausfassaden. Hier dominierten großformatige Blechschilder, während im Inneren Abreißkalender, Thermometer, Uhren und Glasbeleuchtungen über dem Tresen beliebt waren. Ab den 1970er Jahren wurden letztere durch Versionen aus bruchsicherem Kunststoff ersetzt. In keinem Wirtshaus fehlt schließlich das Jugendschutzgesetz: Während es den Wirten in jüngerer Zeit professionell gerahmt für die Gaststube angeboten wird, war es in den 1950er Jahren nicht selten schlicht an einem Stück Paketschnur an einem Nagel an der Wand befestigt. Vor der Verbreitung von Sparbüchern nutzten Banken sogenannte Vereinssparkassen, die in Gaststuben aufgehängt wurden, um die Kunden zum Sparen zu animieren. Vor allem Vereinsmitglieder machten sich einen Sport daraus, in das für sie reservierte Fach der Kasse regelmäßig einen festen Betrag einzuwerfen. Dieser wurde ihnen bei der Bank gutgeschrieben. Später dienten die Kassen der Finanzierung von Vereinsfeierlichkeiten. 3.3. Soziales Leben Unter Wirtsleuten heißt es oft, dass vom Wirtshaus allein keiner leben kann. Die Wirtsleute, hier besonders die Frauen, waren buchstäblich Tag und Nacht auf den Beinen: in der Küche, hinter der Theke und zwischen den Tischen. Dennoch reichte das Einkommen häufig nicht aus. Daher gab es einige Standardkombinationen zwischen dem Wirtshaus und anderen Betriebsformen: Fast jeder Wirt hatte eine mehr oder weniger große Landwirtschaft. Üblich ist bis heute die Verbindung vom Wirtshaus mit einer Metzgerei oder mit einer Bäckerei. Die Poststation beim Wirtshaus ist dagegen Vergangenheit. Doch war bis in die späten 1960er Jahre nicht selten die örtliche Poststelle mit Telefon im Wirtshaus untergebracht. Tradition hat die Möglichkeit, im Wirtshaus zu übernachten. Noch heute produzieren zahlreiche Wirte einen Teil der ausgeschenkten Getränke selbst, sei es als Winzer oder als Brauer. Andere betreiben, das ist eine neue Entwicklung, einen Getränkemarkt. Zu Wirtshäusern auf dem Land gehörte bis in die 1970er Jahre zuweilen ein komplett ausgestatteter Laden. Seit den 1980er Jahren verdient in einigen Betrieben ein Familienmitglied einen Teil des Einkommens in einem anderen Gewerbe, etwa als Angestellter in der nahen Stadt. Für die männlichen Gäste der 1960er und 1970er Jahre war die Gaststube ein zweites Wohnzimmer. Frauen waren jedoch eine Seltenheit. Im untersuchten Zeitraum waren sie, sofern sie nicht als Bedienung arbeiteten, allenfalls bei den eher seltenen Familienfesten, beim Tanz oder als Mitglied des Kirchenchors zu sehen, wenn dieser im Nebenzimmer probte. Bei den zahlreichen Vereinen waren Frauen bestenfalls Begleitung oder fungierten bei feierlichen Anlässen als Ehrendamen. Die Zahl der Vereine war hoch, ihre Interessen waren breit gefächert. Eine Zeitzeugin erinnert <?page no="145"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 145 Abb. 10: Männerrunde in Arbeitskleidung im Gasthaus „Berlenz“ in Sternberg. Das Bild entstand 1962 anlässlich der Einweihung der nahen Kreisstraße von Sternberg nach Obereßfeld; Foto: Bestand Reinhold Albert. sich an zwanzig Vereine und andere Gruppierungen, die im Gasthaus „Zur Haibacher Schweiz“ in Haibach (Landkreis Aschaffenburg) zusammenkamen. Alphabetisch geordnet waren dies: Automobilclub, Feldgeschworene, Feuerwehrverein, Fußballverein, Gemeinderat, Handballverein, Jazz- und Tanzmeisterschaften des US-Militärs im Saal, Mandolinenspieler, Modenschauen des örtlichen Bekleidungsherstellers Adler im Saal, Motorsportclub, Musikverein, Obst- und Gartenbauverein, politische Parteien, Pfarrverein, Ringer, Sängerverein, Schützen, Taubenzüchter, Tischtennisverein, Trachtenverein, Volkshochschule und Wanderverein. Kegeln und Kartenspielen gehörten zu den beliebtesten Beschäftigungen im Dorfwirtshaus und wurden von allen sozialen Schichten gepflegt. Diese waren nicht immer getrennt, die Möglichkeit dazu bestand jedoch. Im Gasthaus „Haas“ in Fellen (Landkreis Main-Spessart) trafen sich in der Gaststube Bauern bzw. Nebenerwerbslandwirte oder Arbeiter aus dem nahen Sägewerk. In der separaten „Kammer“ kamen die Honoratioren zusammen: der Besitzer des Sägewerks, der Pfarrer und der Lehrer. In der Gaststube des Gasthofs „Hofmann“ in Wernfeld gab es einen als „Fuhrmann- Stube“ bezeichneten Nebenraum. Er war, so erinnert sich der Sohn des Wirts, „für die Besseren“ gedacht. Hier trafen sich zum Beispiel Firmeninhaber aus nahe gelegenen Betrieben. <?page no="146"?> Birgit Speckle 146 Einer der wichtigsten Stammtische fand und findet nach dem Sonntagsgottesdienst statt. Die Verbindung zwischen Kirche und Wirtshaus zeigt sich äußerlich daran, dass beide Gebäude eng zusammenstehen. Nicht nur ortsansässige Vereine, sondern ebenso auswärtige Besucher kamen im Wirtshaus zusammen. So berichtet der Wirt des ehemaligen Gasthauses „Zum Hirschen“ in Laudenbach, dass junge Männer, die in Frankfurt und Offenbach beim Hausbau arbeiteten, in Laudenbach wohnten: „Und da haben die bei uns Halt gemacht und sind mittags an der Hauptstraße aus dem Bus ausgestiegen und sind da bei uns eingekehrt und haben ihren Dämmerschoppen gemacht und haben aus der Metzgerei ihr Vesper für den nächsten Tag mitgenommen: Fleischwurst, Presskopf, derbes Vesper, was so ein Bauarbeiter halt isst. Weil, die Geschäfte waren da zu, wenn die da um sieben oder acht rausgetrollt sind. Das waren Junggesellen zum größten Teil.“ Ähnlich waren im Gasthaus „Zum Goldenen Stern“ in Bischbrunn (Landkreis Main-Spessart) während des Baus des Autobahnteilstücks Aschaffenburg-München Arbeiter aus Deutschland, aus Italien und Griechenland Stammgäste. Im Wirtshaus fanden Zusammenkünfte verschiedener Art statt: öffentliche Vorträge über den Weinbau oder die Landwirtschaft, Versammlungen von Zusammenschlüssen wie z.B. der Verkehrswacht oder dem Roten Kreuz und von Berufsvereinigungen wie Jäger, Winzer oder Zuckerrüben-Bauern. 4. Das Dorfwirtshaus gestern und heute: Ein Fazit Der wirtschaftliche Betrieb eines Dorfwirtshauses der 1950er und 1960er Jahre hatte gänzlich andere Voraussetzungen als sie die heutigen Gastronomen vorfinden. Für den Familienbetrieb standen zahlreiche Personen zur Verfügung: Kinder, ledige Verwandte und Eltern arbeiteten kostenlos mit. Auf Seiten der Gäste war der sonntägliche Kirchgang praktisch sämtlicher Dorfbewohner obligatorisch, der anschließende Gang der Männer zum Stammtisch ebenfalls. Unter der Woche sorgten zahlreiche Stammtische für Umsatz, ebenso Vereinsversammlungen und Familienfeiern. Die Ansprüche an das Speiseangebot waren schlichter als heute: Ein bis zwei einfache Gerichte mit Hausmannskost genügten den Gästen, eine Vitrine mit Süßigkeiten auf dem Tresen reichte aus, um die Herzen von Kindern höher schlagen zu lassen. Kostspielige technische Innovationen wie der Fernseher lockten wiederum die Gäste in Scharen ins Gasthaus. Das Dorfwirtshaus war stets ein Ort der Anpassung an neue Gegebenheiten. Wirte, die überleben wollten, waren und sind gezwungen, innovativ und erfindungsreich zu sein. Das verbindet die heute erfolgreichen Dorfwirtshäuser mit ihren Vorgängern: Wo ein Dorf zum Wirt wird, wo sich im Ort eine Genossenschaft gründet <?page no="147"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 147 Abb. 11: Spielkarten und kleine Schüsseln für Spielgeld, Bierdeckelhalter mit Werbeaufdruck und Biermarken sind zwar eher unscheinbare Gebrauchsobjekte, aber bedeutsam für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Blick in die Schublade des Gläserschranks in der Ausstellung „Schafkopf und Musikbox“ im Fuhrmann-und-Schneider-Museum in Frammersbach; Foto: Simon Hörnig. und in jahrelanger Kleinarbeit ein Wirtshaus saniert oder wo junge Gastronomen einen Betrieb übernehmen, müssen sie unter den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen arbeiten. Das bedeutet unter anderem, dass eine qualifizierte Ausbildung und betriebswirtschaftliches Können notwendig sind. Ein Gespür für das, was die Gäste von einem Gasthaus jeweils erwarten, war und ist für Wirte unabdingbar. Aktuelle Stichworte sind Tourismus in all seinen Facetten, leichte Küche, Rückbesinnung auf Regionalität, Event-Kultur, aber auch Liebe zur regionalen und lokalen Tradition und nicht zuletzt Kinderfreundlichkeit. So gesehen ist der nostalgisch-melancholische Blick auf die gute alte Zeit für den Fortbestand der Wirtshauskultur kontraproduktiv. Ein Wirtshaus war und ist in erster Linie ein Wirtschaftsbetrieb, der sich rechnen muss. Damit steht und fällt seine Funktion der Gastlichkeit. Nur auf dieser Basis können die Gäste Gemeinschaft, Gemütlichkeit und Tradition leben. Viele Gasthäuser, die heute noch mit einem Inventar der 1950er oder 1960er Jahre und einem entsprechend betagten Kundenstamm überleben, verdanken dies älteren <?page no="148"?> Birgit Speckle 148 Wirtsleuten. Diese halten den Betrieb mit Herzblut und viel Arbeitskraft, aber unrentabel am Laufen. Das Ende solcher Einrichtungen besiegelt spätestens der Tod des jeweiligen Gastronomen. Für die zahlreichen Freilandmuseen, in denen sich Dorfwirtshäuser befinden, für Ausstellungsmacher, Heimatforscher und die universitäre volkskundliche Forschung tun sich, was das Dorfwirtshaus der 1950er und 1960er Jahre angeht, verschiedene Desiderate auf. Zwar sind Objekte aus dieser Zeit in Hülle und Fülle vorhanden: in Museumsdepots, auf Speichern von Privatleuten, bei Sammlern und auf Internetplattformen. Dabei handelt es sich nicht nur um die sattsam bekannten Bierkrüge und -gläser, sondern beispielsweise um Papierservietten, Geschirr, etwa die zwei- oder dreiteiligen Servierplatten, Kanapees genannt, Wandschmuck verschiedenster Art, Zapfanlagen verschiedenen Alters, lederne Börsen von Kellnerinnen und deren Arbeitskleidung oder Jugendschutzgesetze aus früheren Jahrzehnten. Die diesen Dingen zugemessene Bedeutung geht allzu oft über das Aufbewahren, über Nostalgie oder den bei Ebay ersteigerten Preis nicht hinaus. Fragen nach Produzenten und Herstellungsorten, nach konkreter Nutzung, dem Nutzungszeitraum und nach Funktionalität - kurz: alle Fragen, die bei der Erstellung eines klassischen Inventars gestellt werden - würden über Nussglocken, Vereinssparkassen, Schnupftabakautomaten, Papierservietten mit Werbeeindrucken und sogar über die Bierkrüge neue Erkenntnisse bringen: zum Alltag der Wirtsleute und Gäste sowie zu den die ökonomischen Verflechtungen der Gastbetriebe mit Brauereien und Süßgetränkeherstellern, mit Lebensmittelproduzenten mit Herstellern für Gastronomiebedarf. Für diese Forschungen ist es notwendig, Kontakt mit Zeitzeugen aufzunehmen und vor allem die Wirte für den Wert ihrer Erinnerungen und Archivalien, zum Beispiel noch bestehender Baupläne, Rechnungen und Korrespondenz, zu sensibilisieren. Wo ist die alte Schankerlaubnis? Wo sind die Strom- und Wasserrechnungen, der Pachtvertrag mit der Brauerei, wo die Werbeangebote von Underberg für die in den 1950er Jahren weit verbreiteten Thermometer? Wo gab es Raufereien, die sich in Anzeigen oder Gerichtsverhandlungen niederschlugen? Schnell werden bei der Bearbeitung solcher Fragen Brüche in der heilen Wirtshauswelt deutlich: Wer hat über den Widerstand der Männerwelt und über den Mut der Frauen geforscht, als in den 1960er die ersten weiblichen Gäste ohne Begleitung ins Wirtshaus gingen? Welche Konflikte brachen auf, als die junge Generation nicht mehr den Schneewalzer, sondern die Beatles hören wollte? Wo haben die Vertriebenen und Flüchtlinge der Nachkriegszeit in den Gaststuben Platz genommen bzw. wie wurde über diese dort gesprochen? Bekannt ist bisher lediglich, dass in den Tanzsälen vereinzelt sogenannte Flüchtlingsbälle abgehalten wurden. Wer weiß etwas über das Leben der Bediensteten in den Dorfwirtshäusern, den unverheirateten Tanten, die im Betrieb mithalfen oder den halbwüchsigen Kindern? Wer diese befragt, wird wenig <?page no="149"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 149 Idyllisches über das Dorfwirtshaus erfahren. Wer fragt nach Querelen in den zahlreichen Vereinen, nach Streitereien am Stammtisch, die ganze Dörfer entzweien konnten? Blickt man über das in Volksstücken und Heimatfilmen gepflegte Klischee der zünftigen Dorfwirtshäuser hinaus, sind realistische Einblicke in eine Sozialstruktur möglich, die nicht nur von geselligem Vereinsleben und nachbarschaftlicher Hilfe geprägt war, sondern ebenso von persönlichen Kränkungen, von Machtspielen, vom Beharren auf alten Strukturen. Auf der Basis solcher Forschungen, welche die ökonomischen Grundlagen des Dorfwirtshauses und die dort verwendete Sachkultur untersuchen, können also neben den verbindenden Seiten die Brüche und Probleme der von überkommenen Strukturen regulierten Dörfer in den 1950er und 1960er Jahren erkannt und untersucht werden. Dann kann dem Klischee der heilen Welt des Dorfwirtshauses ein ein der Realität näheres Kontra entgegengesetzt werden. Deutlich wird bereits jetzt: Zwar haben sich die Umstände für Gastronomen und Gäste in den vergangenen fünfzig Jahren drastisch gewandelt. Doch der Umgang mit diesem Wandel scheint sich bei erfolgreichen Betrieben in der Vergangenheit und Gegenwart zu ähneln. Sachvolkskundliche Untersuchungen und Befragungen von Zeitzeugen versprechen hier weitere spannende Aufschlüsse. Die hier gezeigten Untersuchungen sollen dafür einen Anfang machen. Literatur B RÜCKNER , W OLFGANG : Frommes Franken, Würzburg 2008. 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Bier- und Brotmarken aus Unterfranken: Eine Dokumentation geldloser Zahl- und Abrechnungssysteme, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2013, 59-67. -: Bier und Wirtshaus, in: R AINHARD R IEPERTINGER / E VAMARIA B ROCKHOFF / C INDY D REXL / A NDREAS -M ICHAEL K UHN / M ICHAEL N ADLER (Hrsg.), Bier in Bayern: Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2016, Regensburg 2016, 80- 85. -: Tanzsäle: Am Beispiel von Unterfranken, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2016, 101-136. <?page no="151"?> Das Wirtshaus im öffentlichen Leben von 1945 bis 1970 151 T OMCZYK , L EONHARD : Bauen mit Licht. Glas in der Architektur Unterfrankens 1950-1960, Lohr am Main 2004. U RBE , W ILFRIED : Wer will schon monatelang Zwiebeln schneiden? , in: Süddeutsche Zeitung, 24.12.2016. W AGENLEHNER , K RISTINA : Unbeachtet und verkannt - nur ein Schutz der Wirtshauswand? Unterfränkische Lamperien und ihre Bedeutung innerhalb der Wirtshauskultur, ungedr. Bachelorarbeit, Würzburg 2014. W ENGERTER , K ARIN : „Schafkopf und Musikbox“ - ein unterfränkisches Wirtshaus in der Bibliothek, in: Bibliotheksforum Bayern 3 (2009), 16-17. Internet Eda (Autorenkürzel): Kneipensterben, in: Süddeutsche Zeitung, 4.7.2015, https: / / www.sueddeutsche.de/ muenchen/ schwabing-kneipensterben-1.2549885. K RATZER , H ANS : Ausgekocht: 400 Jahre lang war der Tragerwirt ein Urbild bayerischer Wirtshauskultur: Jetzt muss er einer Bankfiliale weichen, in: Süddeutsche Zeitung, 28.2.2015, https: / / www.sueddeutsche.de/ bayern/ ende-einer-wirtshaustradition-ausgekocht-1.2370231. <?page no="153"?> III. Recht und Herrschaft <?page no="155"?> Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebots von 1516 1 Wilhelm Liebhart Wenige Wochen vor der Eröffnung der Bayerischen Landesausstellung 2016 zum Thema „Bier in Bayern“ verbreitete am 1. Februar die Deutsche Presseagentur (dpa) die Meldung, wonach die „eigentliche Wiege des Bier-Reinheitsgebots“ 2 nicht in Altbayern, sondern in Franken stünde. Der Vorsitzende des Fränkischen Bundes e.V., Wolfgang Hoderlein, behauptete, dass bereits am 12. Oktober 1489, also 27 Jahre vor dem altbayerischen Reinheitsgebot von 1516, ein Bamberger Fürstbischof „für Bamberg und das Umland“ ein Bier-Reinheitsgebot erlassen habe, wonach nur Malz, Hopfen und Wasser zur Bierherstellung verwendet werden durften. Die Interpretation ist nicht haltbar, da es sich zwar um eine fürstbischöfliche, das heißt landesherrliche Ungeltordnung, handelt, die aber nur für die Residenzstadt Bamberg und nicht für das Hochstift galt. Dies schließt zwar nicht aus, dass sich der Geltungsbereich irgendwann über Bamberg hinaus erstreckte, aber zum Zeitpunkt ihres Erlasses sicherlich nicht. Das altbayerische Reinheitsgebot von 1516 dagegen galt von Anfang an für ein Land, das wiedervereinte Herzogtum Bayern. In der Bamberger Regelung ist auch nicht von Gerstenmalz, sondern nur allgemein von Malz die Rede, wenn es heißt: „In sollichs bier im brewen vnd im syeden nichts mere dann malczs, hopffen vnd wasser nemen vnd brauchen.“ 3 Da im Mittelalter sowohl aus Gerste, Weizen und Hafer Bier gebraut wurde, lässt die Bamberger Regelung einiges offen, nicht so die altbayerische, um die es im Folgenden gehen soll. Kann man den Versuch aus Franken, den Altbayern das Reinheitsgebot streitig zu machen, noch nachvollziehen, so fehlt völliges Verständnis dafür, eine Verfügung aus London von 1484 heranzuziehen, in der als Grundstoffe Wasser („licuor“), Malz („malt“) und Hefe („yeste = yeast“) genannt werden. 4 Was hat dies mit dem bayerischen Reinheitsgebot zu tun, in dem es ja um Gerstenmalz und Hopfen geht? 1 Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Amperland 57 (2021), 3-6. 2 Deutsche Presse Agentur, Bier-Jubiläum. 3 R UPPRECHT , Bamberger Reinheitsgebot, 84f. 4 S CHUBERT / S CHNEIDMÜLLER , Essen und Trinken, 230. <?page no="156"?> Wilhelm Liebhart 156 1. Landtag 1516 in Ingolstadt Am 30. März 1516, zehn Jahre nach der Wiederherstellung der Landeseinheit des Herzogtums Bayern, die seit 1392 5 nicht mehr bestand, trat in Ingolstadt ein Gesamtlandtag (Landschaft) des „Ober- und Niederlandes“, gemeint sind Oberbayern und Niederbayern, zusammen. Die drei Stände, das heißt, die Vertreter des Adels, sodann die Pröpste und Äbte der Prälatenklöster und schließlich die Bürgermeister der Städte/ Märkte, trafen sich mit den Räten der beiden Landesherren und Brüder Herzog Wilhelm IV. (reg. 1508-1550) und Herzog Ludwig X. (reg. 1514-1545) und tagten bis zum 26. April. Vorausgegangen waren Spannungen nicht nur zwischen den regierenden Herzögen, sondern auch zwischen den Landesherren und ihren Landständen. Dieser Landtag markiert den Kulminationspunkt ständischer Macht in Bayern, die seitdem im Schwinden begriffen war, aber bis zum Ende des Kurfürstentums dennoch aufgrund des Steuerbewilligungsrechts weiter bestand. 6 Am 24. und nicht am 23. April 1516 verabschiedete der Landtag für die geplante neue Landes- und Polizeiordnung auch einen Artikel über das Bier. 7 Der Text wurde vier Jahre später, 1520, für eine neue, modifizierte Landes- und Polizeiordnung nochmals ergänzt und wohl aufgrund von Beschwerden an die Realität angepasst. Worum geht es in dem „Bierartikel“ der Landesordnungen von 1516 und von 1520? 2. Bierartikel 1516 und 1520 Die drei Stände strebten erstens eine einheitliche Regelung der Bierpreise, zweitens eine Festlegung der Brauzeiten und drittens eine Vorgabe der zu verwendenden Grundstoffe der Bierherstellung an. Die Satzung sollte für das gesamte Herzogtum mit seinen Rentämtern (Mittelbehörden) München, Landshut, Burghausen und Straubing gelten. Im Vordergrund stand im Abschnitt „Wie das Pier summer vnd wintter auffm land sol geschennckt geprawen werden“ 8 unverkennbar in erster Linie die Preisregulierung, also der Gemeinnutz vor dem Eigennutz, und nicht etwa die Verbraucherschutzbestimmung, die wir gewohnt sind, als Reinheitsgebot zu bezeichnen. Letztere erscheint eher als Randbestimmung, was aber ihre Bedeutung nicht relativiert. Von Michaeli (29. September) bis Georgi (23. April) durften für eine Maß (ein Liter) oder einen Kopf (3/ 4 Liter) Bier nicht mehr als ein Pfennig Münchner Währung, von Georgi bis Michaeli dagegen, also in der Sommerzeit, für eine Maß 5 Zu den Landesteilungen bis 1506 R ALL / H EINRICH , Wittelsbacher Hausverträge. 6 Kritisch dazu L ANZINNER , Bayerische Landstände, 81; zum Ablauf des Landtags F RANZ , Landesordnung, 43-53. 7 H ACKEL -S TEHR , Erlaß Reinheitsgebot, 13-21. 8 F RANZ , Landesordnung, 64. <?page no="157"?> Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebots von 1516 157 Abb. 1: Barthel Beham, Herzog Wilhelm IV. von Bayern, 1533; Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek, München, Inv.-Nr. 2456. maximal zwei Pfennige bzw. für einen Kopf maximal drei Heller (drei halbe Pfennige) verlangt werden. Wer kein Märzenbier, sondern ein anderes Sommerbier braute, durfte auch nicht mehr als einen Pfennig pro Liter verlangen. Nur die Wirte auf dem Land, die in Städten oder Märkten bei den dortigen Brauern einkauften, um es dann „dem gemaynen Pawrsuolck“ auszuschenken, durften pro Maß oder Kopf „ainen haller“ mehr verlangen. 9 In diesem Zusammenhang wurde beschlossen, dass „zu kainem 9 Ebd., 65. <?page no="158"?> Wilhelm Liebhart 158 Pier merer stuckh, dann allein Gersten, hopffen vnd wasser genomen vnnd gepraucht sölle werden.“ 10 Diese Formulierung gilt als Geburtsakt des bayerischen, genauer gesagt altbayerischen Bierreinheitsgebots, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch für die neubayerischen Territorien in Schwaben und Franken verpflichtend gültig wurde und bis heute auch durch die „Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes“ (Stand 1993 bzw. 2000) bundesweit Gültigkeit hat. Sie ging auch ins europäische Lebensmittelrecht ein. Der Begriff „Reinheitsgebot“ selbst lässt sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachweisen. 11 Stattdessen hat man auch den Begriff „Echtheitsgebot“ vorgeschlagen. 12 Doch zurück zum Jahr 1516. Wer gegen die Regelung verstieß, dem wurden die Bierfässer von der Obrigkeit beschlagnahmt. Der Artikel strebte „erstmalig ein einheitliches Qualitäts- und Preisniveau für das gesamte Herzogtum“ 13 an. In der Fassung von 1520 ist zusätzlich davon die Rede, dass es dem Landesfürst vorbehalten blieb, aufgrund eines Getreidemangels mit verbundener Teuerung regional unterschiedliche Preise festzulegen, „nachdem die jargenng [Jahrgänge], auch die gegennt vnd rifiren [Landschaften und Gegenden] mit dem trayd [Getreide] in vnnserm Land vngeleych sein.“ 14 Der Landtag von 1516 befasste sich auch mit gewissen Brauhäusern und Ausschankstätten. Der Folgeartikel „Uon neüwen vnd vngewöndlichen Prewheüsern vnd Tafernen“ 15 beschloss, alle Brauhäuser und Tafernen, die während der letzten zehn Jahre entstanden waren, wieder abzuschaffen. Ausgenommen davon blieben die des Adels und der Prälaten. Die Bestimmung richtete sich, da der dritte Stand namentlich fehlte, wohl gegen die neuen bürgerliche Braustätten in den Städten und Märkten und gegen solche, die in den Land- und Pfleggerichten (Unterbehörden) mit Bewilligung der landesherrlichen Landrichter und Pfleger errichtet worden sein müssen. Der Adel und die Prälaten waren auf ihren Vorteil bedacht und wollten die lästige neue Konkurrenz ausgeschaltet sehen. 10 Ebd., 64. 11 H ERMANN , Reinheitsgebot, 25; ebd., 25 mit Anm. 1 benennt eine Reichstagssitzung 1909; ohne Beleg erwähnt Anonym, Reinheitsgebot, eine bayerische Landtagssitzung vom 4. März 1918. 12 S CHUBERT / S CHNEIDMÜLLER , Essen und Trinken, 231. 13 F RANZ , Landesordnung, 109. 14 Ebd., 65. 15 Ebd. <?page no="159"?> Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebots von 1516 159 Abb. 2: Das Reinheitsgebot von 1516; Bayerische Staatsbibliothek, 2 L.impr.membr. 45, Bl. 36v-37r. 3. Das Reinheitsgebot und frühere Bierordnungen Das sogenannte Reinheitsgebot von 1516 ist nicht singulär gewesen, sondern galt bereits in diversen altbayerischen Residenzstädten wie München und Landshut, aber auch in Bamberg. 16 München bezeichnet sich als „Weltstadt des Bieres“, nicht nur wegen seiner sechs Großbrauereien, der Starkbierzeit, des Oktoberfestes oder seiner legendären Biergärten, sondern auch, weil hier erstmals zwischen 1453 und 1487 in einer undatierten städtischen Bierordnung verfügt wurde, dass zum Sieden von Bier 16 R UPPRECHT , Bamberger Reinheitsgebot; vom selben Verfasser stammt der Artikel „Reinheitsgebot, 1516“ im Historischen Lexikon Bayern, R UPPRECHT , Reinheitsgebot. <?page no="160"?> Wilhelm Liebhart 160 und Greusing 17 nur Gerste, Hopfen und Wasser verwendet werden durften. Hans Schlosser 18 datiert diese Bierordnung auf 1447 bis 1453, Karin Hackel-Stehr korrigierte ihr Entstehen aber nach oben. 19 So gesehen handelt es sich 1516 um die Übernahme bewährter städtischer Vorschriften für ein ganzes Territorium. Selbst das war jedoch für Altbayern nicht singulär. Der letzte niederbayerische Herzog, Georg der Reiche (reg. 1479-1503), erließ am 16. Februar 1493 für das Teilherzogtum Bayern- Landshut eine „Biersatzordnung,“ 20 worin es hieß: „Item die Bierbräuer und andere sollen auch nichts zum Bier gebrauchen, dann allein Malz [welches? ], Hopfen und Wasser: noch dieselben Bräuer, auch die Bierschenken und andere nichts anderes in das Bier thun, bey Vermeidung Strafe an Leib und Gut.“ 21 Interessant ist der Hinweis, dass außer den drei Grundstoffen nichts anderes ins Bier getan werden durfte. Diese ergänzende Vorschrift fehlt in der Landesordnung von 1516. Gemeint sind Zusätze wie Kräuter und Gewürze aller Art. 22 In Landshut lässt sich 1486 auch schon die Bierherstellung aus Weizen nachweisen. 23 Die „Biersatzordnung“ Herzog Georgs galt nicht nur für Niederbayern, sondern auch für Teile Oberbayerns. Das nordwestliche Oberbayern mit den Residenzstädten Ingolstadt und Neuburg war ein halbes Jahrhundert lang, von 1447 bis 1504, niederbayerisch, identisch mit dem von 1392 bis 1447 bestehenden Teilherzogtum Ingolstadt 24 um Friedberg, Aichach, Schrobenhausen, Rain, Neuburg an der Donau und Ingolstadt. Dazu zählte neben oberpfälzischen Gerichten auch das schwäbische Landgericht Höchstädt. Aus dem ehemaligen Teilherzogtum kam zwischen 1450 und 1500 ein Drittel der jährlichen, realen niederbayerischen Staatseinkünfte von rund 65.000 Gulden. 25 Herzog Georgs Regierungszeit wurde lange Zeit durchgehend negativ gesehen, da er - 17 H ACKEL -S TEHR , Brauwesen, 367-371. Abschließend geklärt erscheint dieses ausgestorbene Getränk nicht. Es wurde sowohl aus Weizen- oder Gerstenmalz ohne Hopfen, aber mit verschiedenen Kräuterzusätzen hergestellt. 18 S CHLOSSER , Braurechte, 88-90. 19 Diese städtische Regelung ist nicht zu verwechseln mit einer Verordnung Herzog Albrechts IV. von 1487 für die Münchner Brauer, in der gleichfalls von Hopfen, Gerste und Wasser die Rede ist. Dazu S TAHLEDER , Gerste, Hopfen und Wasser; H ACKEL -S TEHR , Brauwesen, 33, 39. 20 V ON K RENNER , Bayerische Landtags-Handlungen, Bd. 12, 377-381; H ACKEL -S TEHR , Brauwesen, 225-230; S TAHLEDER , Bayerische Bier-Acta; DERS ., 500 Jahre Landshuter Reinheitsgebot, 59-66. 21 S CHLOSSER , Braurechte, 90f. 22 Salz, Wacholder, Kümmel, Koriander, Lorbeer, aber auch Bilsenkraut und Seidelbast. Das giftige Bilsenkraut verstärkte die Rauschwirkung. 23 H ACKEL -S TEHR , Brauwesen, 86, 95. 24 Zu diesem Staat B ATZ / S CHÖNEWALD , Bayern-Ingolstadt; K REMER , Auseinandersetzungen, 35-45; L IEBHART , Herzog Georg der Reiche, 41-60. 25 Z IEGLER , Staatshaushalt Bayern, 221. <?page no="161"?> Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebots von 1516 161 ohne männlichen Erben - sein Herzogtum nicht wie vereinbart mit Oberbayern- München vereinigen wollte und deshalb posthum den furchtbaren Landshuter Erbfolgekrieg von 1504/ 1505 heraufbeschwor. Sigmund Riezler urteilt deshalb ausschließlich negativ über Georg, seine moralischen Urteile verdecken jedoch Georgs Verdienste als Innen- und Außenpolitiker. 26 4. Die Bedeutung des Reinheitsgebots und die weitere Entwicklung Alles in allem formulierte der Bierartikel von 1516 das sogenannte Reinheitsgebot keinesfalls zum ersten Mal, aber er kam erstmals außerhalb der Städte in einem mittelgroßen deutschen Territorium zur Geltung. Darüber hinaus übernahm ihn 1533 das 1505 neu gebildete Fürstentum Pfalz-Neuburg. 27 Allerdings müsste hier bereits die niederbayerische Biersatzordnung von 1493 gegolten haben, also ebenfalls für das schwäbische, aus dem staufischen Erbe stammende Landgericht Höchstädt mit den Städten Gundelfingen, Lauingen und Höchstädt. Hier stellt sich eine Aufgabe für die lokale Braugeschichte. Man spricht nicht mehr „vom ältesten, sondern nur noch vom ältesten noch geltenden Lebensmittelgesetz“ 28 in Deutschland. Das ist im Prinzip zutreffend, aber seine durchgängige Gültigkeit ist ein Mythos. Dies zeigt die Landesordnung von 1616, welche die älteren Landes- und Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts ablöste. Zu diesem Zeitpunkt war das wenig später zum Kurfürstentum erhobene Herzogtum ein Territorium, das etwas größer war als die heutigen Regierungsbezirke Ober- und Niederbayern. Die Oberpfalz gehörte nicht dazu. Der Staat zählte knapp eine Million Einwohner in 34 Städten, 93 Marktflecken, 4.700 Dörfern, 4.130 Einöden sowie 104 Stiften und Klöstern. 29 Der damalige Herzog Maximilian I. (1598- 1651) 30 führte nicht nur eine Behörden- und Finanzreform durch, sondern vollendete auch die Rechtseinheit Ober- und Niederbayerns 1616 durch den Erlass eines einheitlichen Rechtsbuches. Zwei Jahrzehnte hatten seine Hofräte an dem 1.000 Seiten umfassenden „Landrecht, Polizei-, Gerichts-, Malefiz- und andere Ordnungen der 26 R IEZLER , Geschichte Baierns, Bd. 3, 581f. - Dagegen S TAUBER , Herzog Georg der Reiche, 611-670; DERS ., Territorium, Dynastie und Reich, 100-107; DERS ., Herzog Georg von Bayern-Landshut. - Vgl. L IEBHART , Bayerische Interessen, 197-209. 27 H ERMANN , Reinheitsgebot, 26. 28 Ebd., 25. - Kritisch dazu S CHUBERT / S CHNEIDMÜLLER , Essen und Trinken, 228-231. 29 Zahlen bei K RAUS , Geschichte Bayerns, 227f. 30 Zur Person A LBRECHT , Maximilian I. <?page no="162"?> Wilhelm Liebhart 162 Fürstentumen Ober- und Niederbayern“ gearbeitet. 31 Es galt 150 Jahre lang. Dieses Landrechtsbuch beinhaltete privates und öffentliches Recht, das Familien-, Sachen- und Erbrecht, die Privilegien der Landstände, eine Landes- und Polizeiordnung sowie eine Forst- und Jagdordnung. Im dritten Buch zweiter Titel ist eine 14 Artikel umfassende Bierordnung enthalten. Im siebten Artikel heißt es: „Es sol auch bey entsetzung des Brewens / zu jedem Bier kein ander Stuck / dann allein Gersten / Hopffen vnd Wasser genommen vnd gebraucht / Auch zu jeder Sommervnd Winterzeit dem Bier sein gebürliche Sud vnd kühlung geben werden/ Doch wann jemandt ein wenig Saltz / Crametbeer / vnd ein wenig Kümel in das Bier thete / vnd damit kein vbermaß brauchte / sol er deßhalben nit gestrafft werden.“ 32 Es galt zwar grundsätzlich das Reinheitsgebot von 1516, aber die Zusätze von Salz, Wacholderbeeren und Kümmel wurden nicht unter Strafe gestellt. Die Verfechter der modernen Craftbeer-Bewegung hätten hier einen historischen Ansatzpunkt, der den Genießern der traditionellen Biere jedoch wenig Freude machen wird. Quellen und Literatur Gedruckte Quellen Anonym: Landrecht, Policey-, Gerichts-, Malefitz- und andere Ordnungen der Fürstenthumben Obern- und Nidern Bayrn, München 1616. V ON K RENNER , F RANZ (Hrsg.): Baierische Landtags-Handlungen in den Jahren 1429 bis 1513, Bd. 12: Nieder- und Oberländische Landtage im vereinigten Landshut-Ingolstädter Landtheile, München 1805. V ON R IEZLER , S IGMUND : Geschichte Baierns, Bd. 3: Von 1347 bis 1508, Gotha 1889. Literatur A LBRECHT , D IETER : Maximilian I. von Bayern 1573-1651, München 1998. B ATZ , K ARL / S CHÖNEWALD , B EATRIX (Hrsg.): Bayern-Ingolstadt: Bayern-Landshut 1392-1506: Glanz und Elend einer Teilung: Ausstellung des Stadtarchivs, der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek und des Stadtmuseums Ingolstadt, Ingolstadt 1992. 31 G ÜNTER , Bayerische Landrecht. - Zu den Hofräten H EYDENREUTER , Landesherrlicher Hofrat. 32 Anonym, Landrecht 1616, 543. <?page no="163"?> Zur Geschichte des sogenannten bayerischen Reinheitsgebots von 1516 163 F RANZ , M ONIKA R UTH : Die Landesordnung von 1516/ 1520. Landesherrliche Gesetzgebung im Herzogtum Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, München 2003. 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Möglichkeiten und Grenzen reichsfürstlicher Politik im wittelsbachisch-habsburgischen Spannungsfeld zwischen 1470 und 1505, Kallmünz/ Oberpfalz 1993. Z IEGLER , W ALTER : Studien zum Staatshaushalt Bayerns in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die regulären Kammereinkünfte des Herzogtums Niederbayern 1450-1500, München 1981. Internet Anonym: Reinheitsgebot, in: Wikipedia, https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Reinheitsgebot (Zugriff am 28.8.2016). Deutsche Presse Agentur (Hrsg.): Bier-Jubiläum: Franken beansprucht Reinheitsgebot für sich, in: Nordbayern, https: / / www.nordbayern.de/ region/ bamberg/ bierjubilaum-franken-beansprucht-reinheitsgebot-fur-sich-1.4954612 (Zugriff am 28.8.2016). 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Vermutlich dachte er dabei auch an das „Tractat vom Bier=Brau= Recht“ von Johann Otto Tabor aus dem Jahr 1722. 2 Auch Wiguläus Kreittmayr, seit 1745 bayerischer Staatshofkanzler, 3 stellt in seinen Anmerkungen zum Bayerischen Landrecht von 1756 fest: „Man hat das Jus Cerevisiarium noch zu der Zeit, da ich in Studiis war, immer für eine Sach angesehen, welche nur ex Praxi erlernet werden müßte, nicht, weil die Materie keine Theoretische Einleitung leidet, sondern weil sich an diese Arbeit noch niemand recht begeben hat. Tabor und Schöpfer[! ] haben zwar weitläufig genug, jedoch sehr unordentlich und wenig brauchbahres davon geschrieben. Was man bey ihnen und anderen ob=allegirten Authoribus antrift, erschöpft kaum die Generalia, geschweigens Specialia, […]. Wir leben in einem Land, wo das Bier gleichsam das fünfte Element ausmacht. Lohnt also unseres Ermessens der Mühe gar wohl, gegenwärtige Anmerkung etwas weitschichtiger und so zu fassen, daß sie pro Compendio Juris cerevisiaris dienen kann.“ 4 Die Situation hat sich in dieser Hinsicht seit fast 250 Jahren kaum verändert. Wolfgang Wüst drückt es so aus: „Die Geschichte der Brauereien und Brennereien ist exemplarisch sehr gut bearbeitet, doch fehlt bei vielen monographischen Überblicken 1 S CHÖPFFER , Tractat vom Bier=Brau=Recht, 3. 2 T ABOR , Tractat von Bier=Brau=Recht. 3 Wiguläus Xaver Aloys Freiherr von Kreittmayr (*14.12.1705 in München, †27.10.1790 in München) studierte Geschichte, Philosophie und Jura in Salzburg, Ingolstadt, Leiden und Utrecht. 1725 wurde er kurbayerischer Hofrat, 1740 Beisitzer am Reichsvikariatshofgericht, 1741 in den Reichsfreiherrenstand erhoben und 1742 von Kaiser Karl VII. zum Reichshofrat ernannt. Im Jahr 1745 wurde er bayerischer Hofratskanzler. Sein Hauptverdienst lag in einer Reform des bayerischen Straf- und Zivilrechts. Kreittmayr gilt als einer der Aufklärer um Kurfürst Maximilian III. Joseph und als einer der Gründungsväter der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 4 K REITTMAYR , Anmerkungen, 772. <?page no="166"?> Alois Koch 166 und Festschriften die regionale Einbettung in den jeweiligen Entscheidungskontext der Landesherrschaft.“ 5 Damit ist die Fragestellung des Themas schon angesprochen und es ist zunächst nach der Definition des Begriffs „Braurecht“ oder „Braurechte“ zu fragen. Im juristischen Sinn wäre es eine Zusammenfassung aller Gesetze und Verordnungen, die mit dem Bierbrauen zusammenhängen. Da aber unsere Sprache im Lauf der Jahrhunderte eine vielfältige Entwicklung erfuhr, müssen mehrere Inhalte der Worte einbezogen werden. Das sind zumindest die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Gerechtsame“. Das Etymologische Wörterbuch des Deutschen führt unter den Stichworten „gerecht“ und „recht“ eine Fülle von Bedeutungen in den verschiedenen Sprachperioden auf: In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Gerechtigkeit als rechtlich begründete Befugnis, verliehenes Recht, Privileg bis in das 19. Jahrhundert hinein. Daneben Gerechtsame vom 15. bis zum 19. Jahrhundert für gerechtfertigt, rechtmäßig. 6 Schmeller stellt fest: „Die Gerechtigkeit, die durch ein Recht oder Gesetz begründete Befugniß, Gerechtsame, Gewerbs=Gerechtigkeit, zunftmäßig ertheilte Freyheit, ein bürgerliches Gewerb zu treiben. Alle solche Gerechtigkeiten waren nach der alten Zunftverfassung real, d. h. wie Realitäten erblich und verkäuflich, bis in der neuern Zeit durch die Ertheilung einiger blos auf der Person haftenden oder sogenannten Personal=Gerechtigkeiten das Lähmende und Stockende des alten Zwangsystems etwas corrigiert wurde.“ 7 1. Geschichte des Bierbrauens Das „Lexikon der Alten Welt“ 8 nennt als früheste Belege für Bier in Babylon um 2800 v.Chr. Seit 700 v.Chr. war es bei den Griechen bekannt, von dort kam es zu den Römern. Von den Germanen berichtete Tacitus in seiner „Germania“ um 100 n.Chr.: „Zum Getränk dient ihnen ein Aufguss auf Gerste oder Korn, zu einer Ähnlichkeit mit Wein gegoren.“ 9 Die lateinische Bezeichnung war „cerevisia“, auch „cervesia“ oder „cervesa“. Den Hopfen kannten ebenfalls schon die Römer. 10 Ihm scheint keine besondere Bedeutung beigemessen worden zu sein, erst um 800 wird er wieder genannt. Die ältesten schriftlich belegten Quellen des Hopfenanbaus stammen aus dem frühen Mittelalter. Angeblich wurde er erstmals im Jahre 736 n.Chr. bei Geisenfeld 5 W ÜST , Taverne und Bierkonsum, 562. 6 P FEIFFER , Etymologisches Wörterbuch, 431f., 1095f. 7 S CHMELLER , Bayerisches Wörterbuch, Bd. 2/ 1, 31. 8 K RENKEL , Bier, 465. 9 T ACITUS , Germania, 81. 10 P LINIUS , Naturgeschichte, 239. <?page no="167"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 167 Abb. 1: Sankt Galler Klosterplan, Zeichung Alois Koch. in der Hallertau erwähnt. 11 Auch wenn von der Zeitenwende bis zum Frankenreich die geschichtlichen Zeugnisse sehr spärlich sind, müssen doch nicht unbedeutende Entwicklungen und Fortschritte erfolgt sein. Aus der Zeit von 819 bis 830 gibt es im sogenannten Sankt Galler Klosterplan eine Skizze einer „kompletten“ Brauerei. 12 Daraus geht hervor, dass das Brauwesen hier als selbstverständlich galt. Die Zeit Karls des Großen war die Zeit der Klostergründungen und der Hofhaltungen. Für die einzelnen Tätigkeiten in der Hof- und Haushaltung wurde besonderes Personal eingeteilt und herangebildet und so gab es auch sehr bald Spezialisten für das Biersieden. Im „Capitulare de villis“ Karls des Großen sind in Kapitel 45 eine große Zahl von „geschickten Handwerkern“ aufgeführt, darunter auch „Leute, die Bier, Apfel- und Birnenwein und andere feine Getränke zu bereiten verstehen.“ 13 So entstanden in diesen Einrichtungen rasch Abteilungen für diese Tätigkeiten, hier eben Brauereien, wie sie im Sankt Galler Klosterplan bereits eingezeichnet sind. Weiter gab 11 B EHRE , Hopfen, 111. 12 Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 1092, recto. 13 B RÜHL , Capitulare de villis. <?page no="168"?> Alois Koch 168 es Anordnungen für strengste Sauberkeit bei der Zubereitung von Nahrungsmitteln von Hand, unter anderem für Bier. Zur Bierversorgung war festgelegt: Amtmänner sandten zum Palastdienst Malz und kundige Braumeister zur Bereitung guten Bieres. Diese strikten Regelungen für den Königshof und in der Folge für die Fürstenhöfe und schließlich für die Grundherrschaften hatten in den folgenden Jahrhunderten zwar grundsätzlichen Bestand, doch ging die Entwicklung in den Städten und größeren Siedlungen einen anderen Weg. Der Handel und der Durchgangsverkehr, aber auch Haushalte ohne eigene landwirtschaftliche Produktion, ließen die Notwendigkeit erkennen, neben dem Weinausschank auch für Bier entsprechende Einrichtungen zu schaffen. Der Verlauf ist so vorstellbar, dass größere Haushalte auch für Nachbarn oder Durchreisende Bier erzeugten. Zwangsläufig musste später auch ein Raum zur Verfügung gestellt werden, in dem nicht in der Nähe Wohnende ihren Durst stillen konnten. Geschäftstüchtige boten Speisen an, hatten sie genügend Grundflächen und Gebäude, konnten auch Nachtquartiere, ebenso Ställe für die Zugtiere und Lagerflächen für Waren bereitgestellt werden. Diese musterhafte Entstehung und Ausweitung blieb von den Grundlagen her der Einzelfall. In der großen Zahl gab es Schenk-, Schank- oder Zapfenwirte. Allen gemeinsam war, dass sie ihr Bier selbst brauten. Die Herstellung von Bier gehörte, wie die Bereitung und Verarbeitung anderer Nahrungsmittel, zu den gewöhnlichen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. 14 2. Das Braurecht Mit dem Übergang des Bierbrauens für den Eigenbedarf zur Geschäftstätigkeit zum Broterwerb, entwickelte sich auch das Braurecht. Der eingangs genannten Wiguläus Kreittmayr stellte fest, dass die Bräugerechtigkeit die Befugnis ist, aus Getreide oder anderen Materialien ein beliebiges Getränk zuzubereiten, im engeren Sinn aber nur das „Bier-Bräu-Recht“ bedeutete. 15 Es entspringt dem Dominium, dem Eigentumsrecht, „Kraft dessen jeder seine eigne Sach nach eigenen Belieben zu bereiten, folglich auch aus seinem Getreid Bier oder anderes Getränck machen, und solches eben so, wie andere eigenthumliche sachen, verkaufen und weggeben kann.“ 16 Diese natürliche Freiheit sei an vielen Orten sehr eingeschränkt, wenn nicht völlig aufgehoben worden. Andererseits könne es nicht allgemein als Regal - Königsrecht - bezeichnet werden, „dann die Welt kann endlich noch wohl regiert werden, und ist schon an gar vielen Orten so lang regiert 14 Sehr informativ zu diesem Thema E BERLEIN , Entwicklung, 3-13. 15 K REITTMAYR , Anmerkungen, 750-772. 16 Ebd., 750. <?page no="169"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 169 worden, ohne daß der Lands=Herr das Bräu=Recht dazu gebraucht hat.“ Auch allgemeines Gewohnheitsrecht könne man es nicht nennen. 17 3. Braurecht im Herzogtum und Kurfürstentum Bayern und in Reichsstädten Obwohl hier das Braurecht in Schwaben betrachtet werden soll, ist es doch notwendig, sich auch mit Altbayern zu beschäftigen, weil so die Vielfältigkeit des Braurechts durchschaubarer wird. Zudem gab es in Schwaben nicht unbedeutende wittelsbachische Territorien. 18 In Bayern bestand ein merklicher Unterschied zwischen Weiß- und Braunbier. Das Weißbier wurde schon 1567 verboten, vor allem, weil dafür zu viel Weizen verbraucht wurde. Nur wenige Stände waren davon ausgenommen, darunter beispielsweise die Degenberg im Bayerischen Wald. Als diese 1602 ausstarben und ihr Güter an die Wittelsbacher kamen, wurden auch ihre Weißbierbrauhäuser landesherrlich und im Verlauf des frühen 17. Jahrhunderts dazu die meisten noch in anderen Ständen existierenden derartigen Produktionsstätten, sodass Weißbierbrauhäuser im Wittelsbacher Territorium landesherrliches Regal wurden. Die Brauhäuser für Braunbier konnten von allen Ständen betrieben werden. Seit der Landesordnung von 1520 durften ohne landesherrliche Genehmigung keine neuen Braustätten - außer für den privaten Gebrauch - errichtet werden. Für bereits existierende Einrichtungen galt die Bewilligung als stillschweigend erteilt. Zum privaten Gebrauch dienten auch die Brauereien in Klöstern oder in Hofmarken, denn die Untertanen gehörten im weitesten Sinne zur Familie. Beispielhaft sei München betrachtet. Schon seit Ludwig dem Strengen (1253- 1294) verfügte der Landesherr über das Braurecht. 19 In den Einkünften für den Herzog war es auf einer Ebene mit Zöllen, Gerichtsgebühren, Münze und Mühlen. Die Vergabe erfolgte als Lehen und war so eine besondere Gerechtigkeit. Dies konnte als Realgewerbe erfolgen, das heißt in Anbindung an ein bestimmtes Grundstück - radiziertes Lehen - oder generell an den Eigentümer als personales Recht, wie bei den oben genannten Degenberg. Während die klassischen Ehaftsgerechtigkeiten - Schmiede, Bad, Mühle, Taferne - der Daseinsvorsorge dienten, war die Braugerechtigkeit allein auf Einnahmen für den Landesherrn abgestimmt. Schon im ältesten Münchner Salbuch um 1280 ist festgehalten, dass das Recht brauen zu dürfen, vom 17 Ebd., 753. 18 Sehr übersichtlich in: Z ORN , Territorien Schwabens 1802. 19 S CHLOSSER , Braurechte, Brauer und Braustätten in München, 8-16. <?page no="170"?> Alois Koch 170 Herzog zu erwerben sei und von ihm verliehen werde. Dieses Recht behielten sich die Herrscher auch nach der Stadtrechtsverleihung 1294 vor. 20 Anders war die Situation in den Reichsstädten. Sie erhielten angeblich das Braurecht vom Kaiser: Regensburg 1230 von Kaiser Friedrich II., aufbauend auf vorhergehenden Verleihungen durch seine Vorgänger. Hier ist aber darauf hinzuweisen, dass Formulierungen wie „Braurecht ist vom Kaiser verliehen“, „Braurecht ist vom Kaiser übertragen worden“, „Braurecht ist im Stadtrecht verankert“ usw. gerne in der Literatur verwendet werden. Die einschlägigen Quellen zeigen jedoch nicht unbedingt dieses Bild. Im September 1230 verleiht Friedrich II. den „treuen bürgern von Regensburg, deren erben und nachfolgern genannte rechte und freiheiten.“ 21 Eines dieser Rechte ist: „Ebenso bestimmen wir, dass es jedem Regensburger Bürger gestattet ist, für den Bedarf seiner Familie Bier zu brauen unter der Bedingung, dass er es nicht verkauft, sondern dass für den Bedarf der Familie nur so viel abgegeben wird, dass es keinen Konflikt mit denen gibt, deren Beruf es ist, Bier zu brauen.“ Das sogenannte Stadtrecht umfasst zwar mit dem Begriff „Bürger“ die Gesamtheit der Bürger, also die Stadt, doch eine Analyse des Textes kann zu dem Ergebnis führen, dass die einzelnen Passagen Weisungen an das Stadtregiment enthalten, wie sie Rechte der Bürger wahren sollten. Schon das Beispiel München zeigte genau das Gegenteil. Überwiegend zogen die Grundherren, aber auch die Städte, als Obrigkeit weiterhin das Recht über die Untertanen an sich. In Regensburg entwickelt sich dies so, dass die Stadt durch königliches Privileg das Recht erlangte, Ungelt zu erheben, ein Recht, das sie autonom weiterentwickelte. 22 1310 hatte Kaiser Heinrich VII. die Erhebung von Ungelt für Wein, Meth, Tuche und andere trockene Handelswaren zur Instandhaltung der städtischen Brücken, Wege und Mauern erlaubt. 23 1331 gestattete Kaiser Ludwig IV. in der „Aurea Bulla Ludovici“ ein Ungelt für alle nassen und trockenen Waren. Schließlich bewilligte er 1344 für durch Landleute in die Stadt gebrachte Lebensmittel, Wein, Brot, Fleisch und Bier eine Abgabe in der gleichen Weise, wie sie von den Bürgern der Stadt erhoben wurde. 24 Daraus geht hervor, dass ein Ungelt für Bier in der Stadt bereits eingeführt war. Die logische Folge: Wenn eine Abgabe erhoben wurde, musste die Stadt auch wissen, wer Bier braute. Um den Überblick zu behalten, musste das Gewerbe angemeldet werden. Damit die etablierten und in Zünften organisierten Brauer ihren Unterhalt 20 H ACKEL -S TEHR , Brauwesen in Bayern, 18. 21 Bayerische Akademie der Wissenschaften, Monumenta Boica, Bd. 31.1, 545. 22 G ENGLER , Quellen des Stadtrechts von Regensburg, 95. 23 V ON L ANG , Regesta Boica, Bd. 5, 175. 24 G ENGLER , Quellen des Stadtrechts von Regensburg, 28. <?page no="171"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 171 nicht einbüßten, musste die Zahl der Brauer beschränkt werden. Dies war nur möglich, indem eine Braugenehmigung eingeholt werden musste. Als Ergebnis ist festzustellen: Das Braurecht lag bei der Stadt. In Nürnberg gab es bereits im 14. Jahrhundert keinen sozialen Unterschied zwischen vergleichbaren Gewerben wie Bäckern oder Metzgern und den Bierbrauern. Einer von ihnen war sogar im Inneren Rat vertreten und zwar in der Deputation des Bierbrauhandels. Der Bierbrauer gehörte also dem Handelsstand an und zählte nicht zu den Handwerkern. Für den Hausgebrauch zu brauen war allgemein zulässig, war aber - von Ausnahmen abgesehen - nur für den Wochenbedarf erlaubt. Die Stadt zog die Regelungen für das Gewerbe immer mehr an sich. 1485 durfte noch jeder Bürger Bier für den Handel brauen, musste sich aber an die Ordnung halten. Darin enthalten war, dass in den privaten Brauhäusern das Sieden des Biers nur durch städtische Beamte erfolgen durfte. Ab 1579 wurde die Anzahl der Brauhäuser beschränkt, was den konkreten Übergang zu einem Realrecht darstellte. 1643 beanspruchte die Stadt das Monopol für das Brauen des Weizenbiers. Auffallend ist, dass in Nürnberg ein Brauhausbesitzer nicht zugleich Wirt sein durfte. 25 4. Braurechte in Schwaben In Schwaben war alles anders. Das Herzogtum und Kurfürstentum Bayern umfassten ein relativ homogenes Herrschaftsgebiet. In Bayerisch-Schwaben gab es zur Zeit der Säkularisation, also an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, 165 unterschiedliche Herrschaftsbereiche, nämlich: 26 - vier Regentenhäuser (Pfalz-Bayern, Brandenburg-Preußen, Österreich und Württemberg) - das Hochstift und Domkapitel Augsburg, das Fürststift Kempten und 54 weitere Stifte und Klöster - neun standesherrliche Familien (Oettingen, Schwarzenberg, Königsegg-Rothenfels, Abensberg-Traun, Waldburg-Zeil, Fugger, Stadion, Thurn und Taxis, Pappenheim) - zwei geistliche Ritterorden (Deutscher Orden und Johanniter) - 85 reichsunmittelbare und landsässige Adelige - acht Reichsstädte (Augsburg, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Memmingen, Nördlingen, Wangen, Ulm). 25 S CHULTHEIß , Brauwesen und Braurechte in Nürnberg. 26 Z ORN , Territorien Schwabens 1802. <?page no="172"?> Alois Koch 172 4.1. Die Reichsstädte in Schwaben Augsburg war um die Mitte des 12. Jahrhunderts bereits die bedeutende Bischofs- und Handelsstadt, die auf dem Weg war, sich vom Bischof zu lösen und reichsfrei zu werden. Kaiser Friedrich I. 27 regelte auf Bitten von Bischof Konrad 28 die Verhältnisse und Befugnisse zwischen ihm und der Stadt Augsburg. Als Zeit für das Inkrafttreten dieses ersten Stadtrechts wird 1156 genannt. 29 Der zutreffende Text lautete: „Wenn ein Wirt schlechtes Bier ausschenkt oder schlecht einschenkt, wird er supradicto ordine - hier: wie die Bäcker - bestraft [Zahlung von 5 Schilling] und außerdem wird sein Bier vernichtet oder an die Armen umsonst ausgeschenkt.“ 30 Hier wird nicht das Bierbrauen geregelt, sondern der Verkauf, heute würden wir sagen: Verbraucherschutz und ein schon ein sehr frühes allgemeines Reinheitsgebot. Es gibt in Augsburg schon frühe Belege über das Bier. 31 Im Stadtrecht von 1276 ist ein Zoll für die Einfuhr von Wein und Bier geregelt, 1368 ist eine Bierbrauerzunft genannt und von 1442 stammt die erste bekannte Zunftordnung. In ihr ist erstmals der Begriff Bräuer enthalten. Während sie vorher als „tabernarii“ bezeichnet wurden, sind sie nun Bierbrauer mit dem Recht, eine Taferne zu betreiben. 1549 erlässt die Stadt eine „Bierbräuerordnung“. Dies ist der Beginn des Übergangs des Gewerbes von der Selbstverwaltung im Handwerk zu einer städtischen Reglementierung. 1612 werden 78 Bier siedende Männer genannt. In der weiteren Entwicklung zeigt sich, dass die meisten von ihnen nur für den Bedarf der eigenen Wirtschaft brauten. Der Begriff Bierschenk bürgerte sich ein, der sich bis in das 17. Jahrhundert in der Bierschenkengerechtigkeit niederschlug und im Volksmund auch gebräuchlich blieb, als er amtlich in „Bräugerechtigkeit“ umbenannt wurde. Dies war eine Folge der Tatsache, dass allmählich das Bierbrauen zum Hauptgewerbe geworden war. So vollzog sich der Wandel von der personalen Gerechtigkeit zu der an das Anwesen gebundenen Realgerechtigkeit. Hervorzuheben ist, dass mit dem Braurecht stets auch Wirtsgerechtigkeit verbunden war. 32 In der Reichsstadt Kaufbeuren gehörten 1783 angeblich 79 Bürger der Brauerzunft an, darunter 12 Witwen. 33 Quelle für diese Zahlen ist eine „Sammlung der vornehmsten Merckwürdigkeiten und Geschichten der freien Reichsstadt Kaufbeuren 27 Friedrich I. Barbarossa, deutscher König ab 1152, Kaiser ab 1155, †1190. 28 Konrad von Hirscheck, Bischof von Augsburg 1152-1167. 29 MGH X,1, Nr. 147, 246-250; vgl. auch V OCK , Urkunden Hochstift, 6 (Nr. 16), 13 (Nr. 30). 30 Ebd. 31 Dazu präzise M ERKEL , Augsburger Brauereirealrechte. 32 Dazu auch T LUSTY , Bacchus und die bürgerliche Ordnung, 41-52. 33 D IETER , Kaufbeuren, 104. <?page no="173"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 173 aus den Jahren nach 1766.“ 34 Wenn man jedoch tiefer nachforscht, stellt sich die Situation anders dar: Im 16. Jahrhundert waren in Kaufbeuren Handel und Gewerbe in sieben Zünfte eingeteilt. Die Brauer gehörten dabei zur Schusterzunft zusammen mit Drechslern, Kaminkehrern, Maurern, Schäfflern, Siebmachern und Wirten. 35 In den Ratsprotokollen der Stadt Kaufbeuren finden sich Bürgerverzeichnisse mit Angaben über die Zünfte. 36 Im 17. Jahrhundert wird diese Sammelzunft noch Schusterzunft genannt, 1700 wird sie als „Brauer- und Schusterzunft“ mit 51 Meistern verzeichnet und ab 1781 als Brauerzunft. Auch unter Einbeziehung der Zeit des Dreißigjährigen Krieges bewegen sich die Mitgliederzahlen etwa im Rahmen der Bevölkerungsentwicklung. 37 Es ist daraus abzulesen, dass die Berufsstruktur der Zunft keine entscheidende Änderung erfuhr. Da offenbar keine Zunftbücher existieren, wäre eine genauere Feststellung der eingeschriebenen Meister der einzelnen Berufe in der Zunft vielleicht über Steuerlisten möglich. Der Erfolg ist jedoch fraglich. Über das Recht, in Kaufbeuren Bier brauen zu dürfen, sind die Belege spärlich. Klaus Krupka 38 konnte jedoch einiges ermitteln: Während die Zünfte das Hauptaugenmerk auf die qualifizierte Ausbildung und die Qualität der erzeugten Waren legten (zum Beispiel in der Zunftordnung von 1447), war das Stadtregiment an Einnahmen aus Abgaben interessiert. So musste die Braugerechtigkeit beim Rat der Stadt erkauft werden. Voraussetzung war der Nachweis einer Ausbildung zum Bierbrauer. 39 Seit 1608 durfte die Gerste (auch Hafer) für das Malz nur in der Spitalmühle geschrotet werden. Die jeweilige Menge jedes Kunden musste an die Stadt gemeldet werden. 40 Dort wurden die damit zu produzierende Menge Bier und daraus der Bierpfennig berechnet. 1618 gab es zwölf Brauereien und der Rat beschloss, dass keine neue Braustatt mehr errichtet werden dürfe. 41 Aus den Quellen kann nicht abgeleitet werden, dass das Braurecht in Kaufbeuren eine Realgerechtigkeit gewesen sei, denn es konnte verkauft und die Brauerei an anderer Stelle neu errichtet werden. 42 34 StadtAK, B 101/ III . 35 D IETER , Kaufbeuren, 14. 36 Ebd., 104; StadtAK, B 14, fol. 1. 37 J UNGINGER , Kaufbeuren, 94. 38 K RUPKA , Geschichte des Brauwesens. 39 StadtAK, Ratsprotokolle B 7, fol. 344, 360. 40 K RUPKA , Geschichte des Brauwesens, 14. 41 Ebd., 51. 42 Ebd., 84. <?page no="174"?> Alois Koch 174 4.2. Hochstift Augsburg Im Herrschaftsgebiet des Hochstifts Augsburg 43 scheint ein Bierbraurecht nicht zu den lebensnotwendigen Gerechtigkeiten gezählt zu haben oder es war mit dem Begriff „Tafernwirt“ verknüpft. Schmeller schreibt dazu: „Es übten in älteren Zeiten die Herren des Landes, Fürsten, Klöster, Edelleute und Städte allein das Recht, an ihre Unterthanen Wein oder Bier auszuschenken, d. h. Tafernen zu halten, die sie entweder durch eigne Diener (Tafernare, Taferner) […] betrieben oder andern in Pacht gaben.“ 44 Für das Hochstift Augsburg dürfte Letzteres zutreffen. Der Ausdruck „in Pacht gaben“ bedeutet, dass sie von den Grundherren zu Lehen gegeben wurden. Dennoch wurde unter Bischof Heinrich von Knöringen (1599-1646) schon um 1620 in der Residenzstadt Dillingen durch das bischöfliche Bräuamt ein Hofbräuhaus errichtet. 45 Abweichend von zahlreichen anderen Obrigkeiten wurde dabei kein Biermonopol angestrebt, sondern 1621 teilte der Dillinger Kanzler den Wirten im Rentamt Dillingen mit, dass man für das Stift und die Wirte eine Bräustatt errichtet habe. Da sie sonst ihr Bier von auswärts beziehen müssen, dürfte es ihnen angenehm sein, es nun aus der eigenen Brauerei zu erhalten. Dies werde nicht angeordnet, sondern bleibe ihrer eigenen Entscheidung überlassen. Wenn sie es besser fänden als das auswärtige Bier, wäre dies ein Grund, mehr davon zu kaufen. 46 Es ist daraus zu schließen, dass im Hochstift Augsburg jeder Taferner, wenn nicht gar jeder Wirt, Bier brauen durfte. 4.3. Fürststift Kempten Im Fürststift Kempten 47 war die Herrschaft sehr zentralistisch regiert. Die Verwaltung mittels eingesetzter Pfleger - durchweg Adelige, teilweise auch Konventsangehörige - war wesentlich straffer als etwa die im Hochstift Augsburg. Dies war durch die geringeren Entfernungen vom Herrschaftsmittelpunkt bedingt. In einer „Specification“ vom 7. Oktober 1651 48 ist festgehalten, dass in Obergünzburg - dem damaligen Günzburg - neun Wirte eine „Bierbrauersgerechtigkeit“ hatten, zwei davon schon seit ungefähr 50 Jahren, zwei seit etwa 40 Jahren. Eine ähnliche Situation ist je nach Ortsgröße in den meisten Gemeinden der Herrschaft anzunehmen. Nachdem jedoch in der Stiftsstadt Kempten ein Stiftsbrauhaus und in Wolkenberg (heute zur Gemeinde 43 Z ORN , Territorien Schwabens 1802. 44 S CHMELLER , Bayerisches Wörterbuch, Bd. 1/ 1, 587. 45 W ÜST , Fürstbistum Augsburg, 360f. 46 Ebd.; StaatsAA, Augsburger Pflegämter, Hofbräuamt Dillingen. 47 Z ORN , Territorien Schwabens 1802. 48 StaatsAA, Fürststift Kempten Archiv A 1566. <?page no="175"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 175 Abb. 2: Fässertabelle; Allgäu-Museum Kempten, Inv.Nr. 05150. Wildpoldsried gehörig) ein Fürstliches Brauhaus errichtet worden waren, wurde 1675 eine neue „Bräuordnung“ erstellt. In ihr wurde verfügt, „das nemblich alle Würth jenseits der Iller das Pier von Wolkhenberg, die aber disseits der Yller[! ] in dem Preühaus im Stifft abhollen.“ 49 Wann sie genau in Kraft trat, ist offen, doch vom 16. August 1678 existiert ein Brief an Fürstabt Rupert, dessen Absender Hans Reisch, „gewester Preywürth zu Günzburg“, war. Ebenfalls 1678 wendet sich der Wirt Angerer von Görisried an den Fürst: Nach dem Wiederaufbau des Brauhauses in Wolkenberg ist angeordnet, dass er nicht mehr brauen darf und das Bier von Wolkenberg holen muss. Das sei fünf Stunden weg, sodass er einen Tag je Woche für das Bierholen brauche. In Görisried seien noch „2 Bischöfl. Augsburgische Wirthe, mit Siden, Branntwein brennen, Mezgern und Backen berechtigte“. Er bittet, vom Zwang befreit zu werden und wieder Bier sieden zu dürfen. Es ist nicht überliefert, ob er damit Erfolg hatte. Erst 1736 wird einem seiner Nachfolger - Joseph Angerer -, der auch die Weisung erhalten hatte, gleich anderen Wirten das Bier aus der herrschaftlichen Brauerei abzuholen, auf Ansuchen die Genehmigung hierfür erteilt. 50 Im Allgäu-Museum in Kempten gibt es eine „Fässertabelle des Brauhauses in der Kemptener Stiftsstadt“, die auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert ist. 51 Auf ihr sind die Wirte verzeichnet, die ihr Bier hier abholen mussten, insgesamt 82 49 StaatsAA, Fürststift Kempten Archiv A 2834. 50 StaatsAA, Fürststift Kempten Archiv A 1772. 51 Sammlung der Museen Kempten (Allgäu), Inventarnummer 05150. <?page no="176"?> Alois Koch 176 aus 42 Siedlungen, dazu noch 26 „Herrren Geistliche“. Es zeigt sich, dass es im Fürststift Kempten seit 1675 von Ausnahmen abgesehen bis zur Säkularisation keine Braugerechtsame gab. 4.4. Reichsstift Kaisheim Ähnlich war die Situation im Reichsstift Kaisheim. 52 Es gab hier eine Klosterbrauerei und ein Brauhaus in Tapfheim. 53 Die Frage nach Braurechten beantwortet eindeutig die Überschrift eines Archivale in den Säkularisationsakten: „Zehenjähriger Extract von 1803 aus den Bräuhaus-Manualien über die jährliche Bier-Consumption sowohl bey den 8 Zwangs-Wirthen als auch im Orte Kaisheim.“ 54 4.5. Vielfalt der Herrschaften Wegen der Vielfalt der kleinen Herrschaften in Bayerisch-Schwaben vor der Säkularisation kann kein einheitliches Bild des Braurechts gezeichnet werden. Es können nur einzelne Situationen herausgehoben werden, die meist für einen räumlich eng begrenzten Raum beispielhaft sind. In der Vogtei Monheim 55 lagen die Orte Ensfeld, Itzing, Rögling und Wittesheim und in jedem dieser Orte gab es eine Taverne, für die im Dorfzettel, der 1484 im Stadtbuch Monheim eingetragen wurde, galt: „der tafferner soll jeglicher ein bierkessel haben, der soll in der wochen drey stundt erwallen mit bier; und soll jeglicher taferner faill haben […]. Wenn sie das nicht enthabent oder thetten, so mögent es ander leuth bey in dem dorff wol faill haben ohne all freiß [Not, Gefahr].“ 56 Es gab hier kein Braurecht im üblichen Sinn, sondern eher eine Bevorzugung des Wirts, die er annehmen konnte oder nicht. Tussenhausen, der Hauptort der ehemaligen Herrschaft Angelberg, war bis 1618 Lehen des Stifts Kempten. Hier lag das Braurecht auf der Taverne. Die Taverne konnte verkauft werden, das Braurecht war in den Besitzwechsel eingeschlossen. 57 Dies änderte sich, als die Herrschaft und mit ihr Tussenhausen 1689 zu Bayern kamen und in die Herrschaft Schwabegg eingegliedert wurden. 52 Z ORN , Territorien Schwabens 1802. 53 StaatsAA, Reichstift Kaisheim, Kurbayerische Zentralbehörden, Akten 19, Verpachtung des Brauhauses zu Tapfheim 1803. 54 StaatsAA, Reichstift Kaisheim, Kurbayerische Behörden, Kurbayerische Subdelegierte Kommission, Akten 19. 55 Z ORN , Territorien Schwabens 1802. 56 F RIED , Die ländlichen Rechtsquellen, 123. 57 T RAUCHBURG , Tussenhausen, 58. <?page no="177"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 177 Wesentlich lockerer waren offenbar die Bestimmungen in der Grafschaft Oettingen. In den Markt- und Dorfordnungen sind zwar „würth des Gerichts“ 58 im Markt Zöbingen aufgeführt, doch sind über Braurechte keine präzisen Bestimmungen zu finden. Im Gegenteil: In der Ehaft- und Dorfordnung von 1655 im Dorf Trochtelfingen ist festgehalten, dass „in dem dorff Trochtelfingen auch ein jeder inwohner berichtig, würtschaafft zu treiben, und das getränckh, wo es ihme bilich zu nehmen.“ 59 In der Dorfordnung vom 9. Januar 1668 wird dies sogar noch präzisiert: „Es ist auch in disem dorff Trochtelfingen, ein jeder haußsasiger gemaindts man vermög uhr alten herkhommen berechtiget, allerley ehrliche handierung und gewerbe sonderlich auch wurthschafften zue treiben, und wein unndt bier mit befreyung umb gelts auß zue zapfen und selbsten zu brauen, auch eines jeden beliebten in seinem hause gäst zu sezen unndt hochzeiten zue halten, ohne mänigliches ein redten unndt verhinderung.“ 60 Ähnlich war die Situation im Amt Kirchheim (heute Kirchheim am Ries im württembergischen Ostalbkreis): Nach der Dorfordnung vom 22. März 1699 „kann und mag ein ieder underthan des dorffs Kircheim, wein und bier schencken“. 61 Im Reichsstift Sankt Ulrich und Afra, zu dem kein geschlossenes Territorium, aber zahlreiche Einzelsiedlungen gehörten, untersuchte Wilhelm Liebhart das Dorf Häder - heute ein Ortsteil von Dinkelscherben - näher. Hier gehörte im Spätmittelalter die Taferne zum Amtshof, für die der Amtshofbauer Zapfengeld abzuliefern hatte. Über ein Braurecht ist kein Hinweis zu finden, die Wirtschaft gehörte wie die Schmiede und der Bader zu den Ehaften und besaß ein Konzessionsrecht. 62 Auch wenn es kaum klar zum Ausdruck kommt, ist davon auszugehen, dass mit der Taferne in aller Regel auch das Braurecht verbunden war. Dies ist abzuleiten aus der Untersuchung Dae-Hyeon Hwangs über die Rehlinger Herrschaft Untermeitingen in der Frühen Neuzeit: „Auch in den Rechnungsjahren von 1718/ 19 und 1719/ 20 war der Tafernwirt der am höchsten Verschuldete unter den aufgezeichneten Untertanen. Die anhaltende Verschuldung des Tafernwirts beruhte vor allem auf dem Umstand, dass er jedes Jahr von der Herrschaft eine Menge Gerste auf Raten kaufen musste, um Bier brauen zu können.“ 63 Einen weiteren Beleg dafür bringt Hwang in seinen Ausführungen über das Heiratsverhalten der Dorfbewohner. 64 58 B RENNER , Rechtsquellen, 92. 59 Ebd., 160. 60 Ebd., 147. 61 Ebd., 326. 62 L IEBHART , Geistliche Herrschaft in Mittelschwaben, 439f. 63 H WANG , Sozialer Wandel und administrative Verdichtung, 155. 64 Ebd., 169. <?page no="178"?> Alois Koch 178 Abb. 3: Ortsplan von Untermeitingen 1770; Die schwarze Linie verweist auf das Anwesen Nr. 77; Stadtarchiv Schwabmünchen, Grafiksammlung. „Wie der folgende Stammbaum über die Verwandtschaft der Wirte zeigt, gab es in Untermeitingen insgesamt drei Wirte: Einen Tafernwirt und zwei Zapfenbzw. Schenkwirte, die keine Stuehl-Vöstinen- [d.h. Verlobungen], oder Hochzeiten-, Leykhäuff-, Gemeindts- oder Heyligen Zöhrungen halten, auch alles verbrauchende Weiß- und braune Bier […] bey und von dem ieweiligen Taffernwürtth nemmen sollen und müessen.“ 65 Untermauert wird dies durch einen Ortsplan von Untermeitingen aus dem Jahr 1770. 66 Auf diesem Plan ist die Tafernwirtschaft auf Hausnummer 77 als „Herschaftbreyhaus“ bezeichnet. 67 In der untermeitingischen Steuerbeschreibung von 1689 ist unter Nummer 28 die Tafernwirtschaft von „Thoman Menner (Tafernwirt, Brauer)“ 68 eingetragen. Ein aufschlussreicher Vermerk ist im Entwurf einer Ordnung des Marktes Wallerstein von 1655 69 zu finden: „Daß würthschafft treiben in dem marckt Wallerstein weillen keine haüßer vorhandten die dafern gerechtigkheit haben ist einem jeden burger erlaubt der die gemein gerechtigkheit hat“. Hieraus ist abzulesen, dass schon 65 Ebd. 66 B AUER , Schwabmünchen, Anhang, Abb. 10. 67 H WANG , Sozialer Wandel und administrative Verdichtung, 190. 68 Ebd., 264. 69 B RENNER , Rechtsquellen, 610. <?page no="179"?> Braurechte in Schwaben vom Mittelalter bis zur Neuzeit 179 ein Haus als Eigentum und damit verbunden das Bürgerrecht für das Betreiben einer Wirtschaft genügte. Wie und wo das Bier gebraut wurde, war nicht entscheidend, sondern einzig die Eichung der Gefäße. Etwas strenger waren die Gepflogenheiten im Amt Hochaltingen. Hier wurde nach 1766 festgehalten, es „soll sich dahier niemand, der nicht ein erlangtes recht hierzu hat, unterstehen, bier, wein oder brandwein zu schencken.“ 70 Das Braurecht ist auch hier nicht angesprochen. 5. Der Übergang in die Neuzeit Als Ausfluss der Französischen Revolution begann mit der Säkularisation der Übergang zur Gewerbefreiheit. Die starre Bindung an Zünfte lockerte sich nach und nach, Zollschranken wurden abgebaut, der Bierzwang fiel weg. Im Kurfürstentum bzw. anschließend im Königreich Bayern konnte ab 1800 jedes Bier gekauft und getrunken werden. Ab 1805 durften die Landbrauereien ebenso wie die in den Städten ihre Produktion beliebig ausweiten. Der Betrieb von Wirtschaften war unbeschränkt, der Konkurrenzkampf ebenso. Klosterbrauereien gingen in Privatbesitz über. Sie hatten einen besonders guten Ruf und damit auch Wettbewerbsvorteile. Herrschaftliche Brauhäuser wurden von geschickten Adelshäusern weitergeführt und blühen teilweise heute noch wie das „Fürst Wallerstein Brauhaus“ des Hauses Wallerstein. Was bis heute unverändert blieb, ist das Reinheitsgebot. 6. Fazit Braurecht und Braurechte sind äußerst vielfältig angewandte Begriffe, welche die Berechtigung zum Brauen von Bier als Ausgangspunkt haben. Im Untersuchungsraum Schwaben sind dabei drei verschiedene Entwicklungen zu erkennen. Ausgehend von dem allgemeinen Recht, für den familiären Bereich zu brauen, kann es von der Herrschaft stillschweigend geduldet oder durch Bekanntmachung für jedermann erlaubt sein, Bier auch auszuschenken. So stellt es sich in der Grafschaft Oettingen und im Markt Wallerstein dar. Grundsätzlich galt, dass das Braurecht der Grundeigentümer besaß und dies war im Allgemeinen der Grundherr als Eigentümer der Taferne. Zu ihr gehörte die Braugerechtigkeit als Realrecht. Er konnte dieses Recht aber auch entziehen, wie es im 17. Jahrhundert im Fürststift Kempten geschah. In den Reichsstädten waren die Bürger Grundeigentümer, die Verfügungsgewalt über die Rechte hatte jedoch das Stadtregiment. Die Stadtbewohner hatten das Recht, 70 Ebd., 260. <?page no="180"?> Alois Koch 180 nach eigenem Gutdünken Bier herzustellen. Wenn dies für den eigenen Bedarf geschah, war es auch reine Privatsache. Beim Bierbrauen als Gewerbe musste schon sehr früh eine entsprechende Ausbildung nachgewiesen und überwiegend bei der Obrigkeit eine Genehmigung für eine Tätigkeit als Bräuer, Wirt, Schenkwirt oder Zapfenwirt eingeholt werden. Meist war auch die Zugehörigkeit zu einer Zunft erforderlich. So konnte die Braugenehmigung einzelnen Personen - auch vererblich - erteilt werden, sie konnte aber auch mit bestimmten Anwesen verbunden sein. Die jeweilige Ausgangssituation ist dabei kaum mehr feststellbar. Festzuhalten ist, dass das Hauptinteresse des Grundherrn oder des Stadtregiments dabei nicht das Brauwesen an sich war, sondern einzig und allein der Umsatz, der individuell besteuert wurde. 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Augsburg 1982. <?page no="185"?> Der Krieg ums Bier Das frühneuzeitliche Bierverlagsrecht zwischen herrschaftlicher Finanzquelle und kleinstädtischer Machtdemonstration. Eine Fallstudie am Beispiel des Ebermannstadt-Pretzfelder „Bierkriegs“ Thomas J. Hagen Betrachtet man die Hingabe und Zähigkeit, mit der auch heute noch, im Zeitalter der Globalisierung und zentralisierten Nahrungsmittelherstellung, kleine und selbst kleinste fränkische Privatbrauereien an ihren Traditionen festhalten, so stellt sich unwillkürlich die Frage nach den Wurzeln für dieses Phänomen. Nicht nur, aber gerade in Oberfranken finden sich - vom Trend der Konzentration auf einige wenige mitteleuropäische Megabrauereien scheinbar völlig unberührt - zahlreiche Gasthöfe mit eigenem Brauhaus, Ausschank und regionalem Vertrieb liebevoll hergestellten Biers. Inmitten der Fränkischen Schweiz, wo mittlerweile mit der Biervielfalt des Landstrichs touristisch erfolgreich geworben wird, befinden sich viele, teils sehr alte Braustätten, wobei wohl die Gemeinde Aufseß, die es mit ihrer weltweit „größten Brauereiendichte“ sogar in das Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat, als prominentestes Beispiel in Erscheinung tritt. 1 Zum Teil tragen sicher die Bedürfnisse des Tourismus ebenso wie die auf Tradition und Geschmack achtenden regionalen Verbraucher zum Überleben der kleinen, fast immer als kostenminimierende Familienbetriebe konzipierten Gast- und Brauhäuser bei. Um den Stolz der Brauer auf ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit und ihr (seit königlich bayerischer Zeit selbstverständliches) Recht, den selbst produzierten Gerstensaft allerorten verkaufen zu dürfen, auch tiefenpsychologisch erklären zu können, empfiehlt sich indes ein Blick in die vorbayerische Geschichte Frankens. Spätestens seit dem klimabedingten Rückgang des Weinbaus in Oberfranken um 1600 gewannen dort das Bierbrauen und der damit verbundene Wirtschaftsfaktor immer mehr an Bedeutung. Der sehr arbeitsintensive Anbau von Wein rentierte sich in den kühler gewordenen Breiten des östlichen Franken nicht mehr, außerdem wurde die Arbeitskraft der im Dreißigjährigen Krieg ohnehin dezimierten bäuerlichen Bevölkerung vor allem für den Getreideanbau benötigt. 2 Gerade die harte Feldarbeit der Bauern im Fränkischen Jura rief nach einem stärkenden und die tägliche Mühsal 1 S IEBENHAAR / M ÜLLER , Fränkische Schweiz, 201. 2 H OFMANN , Bierkultur, 11-13. <?page no="186"?> Thomas J. Hagen 186 Abb. 1: Fränkischer „Biermesser“ beim Abmessen der Biermenge für die korrekte Steuererhebung, um 1500; Stadtbibliothek Nürnberg, Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung Bd. 1, 125v. <?page no="187"?> Der Krieg ums Bier 187 der körperlichen Belastungen erträglicher machenden Getränk, das haltbar und zudem mit mehr Geschmack, als es einfaches Wasser bot, verbunden war. So trank der Landmann, wie wir noch Berichten aus dem 18. Jahrhundert entnehmen können, bereits „zum Frühstück seinen Krug Bier“, wodurch er „außerordentlich stark, arbeitsam und dauerhaft“ wurde. 3 Nicht umsonst wird noch heute Bier als „flüssiges Brot“ bezeichnet, leitet sich dieser Begriff doch von der Tatsache ab, dass Brot und Bier im Mittelalter einzig „durch ihre verschiedene Gestalt“ unterschieden wurden. 4 Die mit dem Bierausschank und vielmehr noch mit dem Bierhandel einhergehenden fiskalpolitischen Möglichkeiten, die der vermehrte Konsum in Aussicht stellte, weckten bereits im feudalen System des Spätmittelalters Begehrlichkeiten. Das sogenannte Bier- Umgeld, das meist als eine Art Verbrauchssteuer erhoben wurde, entwickelte sich zu einer lukrativen Steuereinnahme. Wurde die Höhe dieses Umgeldes anfangs mittels hoheitlicher Beamter noch umständlich mit Messgefäßen festgestellt, so begnügte man sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts meist mit der Ermittlung der jeweiligen Biermenge durch die Bestimmung des versottenen Malzes. Freilich führte letzteres oftmals zu einer schlechteren Bierqualität, da die Brauer durch das Einsparen von Malz versuchten, Steuer zu vermeiden. 5 Dessen ungeachtet bedeuteten die mit der Bierherstellung verbundenen Einnahmen für den Fiskus eine willkommene Einnahmequelle. Früh schon versuchten sich daher große und kleine Fürsten im Rahmen der kaiserlich sanktionierten Verleihung von Stadtrechten die Kontrolle über den Bierhandel und über die damit verbundenen steuerlichen Finanzquellen zu sichern. Im Bereich der heutigen Fränkischen Schweiz dominierte in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts das freiadelige Geschlecht der Schlüsselberger mit seiner auf Herausbildung einer eigenen Territorialmacht abzielenden Politik das (wirtschafts-) politische Geschehen. Mithilfe von Kaiser Ludwig dem Bayern, dem Konrad II. von Schlüsselberg treue Dienste erwiesen hatte, erreichte letzterer die Verleihung der Stadtrechte an die innerhalb seines Herrschaftsbereichs gelegenen Orte Waischenfeld (1315) und Ebermannstadt (1323). 6 Als direkte Folge bzw. machtpolitische Gegenmaßnahme dieser Stadterhebungen ist wohl die faktische Verleihung des Stadtrechts an das im Hochstift Bamberg gelegene Hollfeld um das Jahr 1326 zu betrachten. 7 Vorausschauend hatte sich der Schlüsselberger gleichzeitig mit dem Stadtrecht unter anderem das Privileg des exklusiven Handels der jeweiligen Stadt innerhalb eines be- 3 F ABER , Historisch-topographisch-statistische Nachrichten, 149, zit. nach D IPPOLD , Kraftspender und Renommiergetränk, 47. 4 S PECKLE , Streit ums Bier, 176. 5 H OFMANN , Bierkultur, 39. Mit einer spezifischen Erläuterung der Bierbesteuerung anhand des Umgeldes K REMER , Maineck, 562f. 6 V OIT , Schlüsselberger, 68-70. 7 R UPRECHT , Hollfeld, 36. <?page no="188"?> Thomas J. Hagen 188 stimmten Rayons vom Kaiser urkundlich zusichern lassen, worunter später insbesondere die Ebermannstädter Ratsherren gerne auch das Recht des „Bierverlags“, das heißt des Bierhandels verstanden wissen wollten. Dabei war es keineswegs unumstritten, inwieweit der in der Stadtgründungsurkunde niedergelegte Vermerk, dass eine „Meil umb Ebermannstatt herumb niemand einen feilen Kauff haben solle“, auch das exklusive Recht der Kommune für das Brauen und Ausschenken von Bier umfasste. 8 Wenngleich die Träume Konrads vom eigenen Territorialstaat mit dem Aussterben der Schlüsselberger im Jahr 1347 und der Verteilung seines Erbes unter dem Hochstift Bamberg und den hohenzollernschen Burggrafen ein jähes Ende nahmen, hielten doch die genannten, nun bambergischen Städte an ihren vom Kaiser garantierten Rechten, insbesondere was das Bierverlagswesen anging, unverdrossen fest. 9 Wie uns im Falle Ebermannstadts überliefert ist, führte das gemeinsame Interesse des Stadtrates und der Bierbrauer zu eisernen Allianzen, die weder vor langwierigen juristischen noch bewaffneten Auseinandersetzungen zurückschreckten, um das seit 1323 reklamierte Bierhandelsmonopol durchzusetzen. 10 Sicher waren es enge persönliche Verflechtungen zwischen den Ratsmitgliedern und den Brauern selbst, die das Interesse an einem möglichst hohen Bierumsatz der ansässigen kommunalen und privaten Braustätten wach hielten. Die mit dem Brauen und dem Vertrieb des Gerstensaftes verbundenen kommunalen Steuereinnahmen waren hierbei das offizielle, fiskalpolitisch nicht zu unterschätzende Argument für die Durchsetzung des Biervertriebsmonopols. Die in direkter und indirekter Verbindung zu den städtischen Fiskaleinnahmen stehenden fürstlichen Steuerflüsse ließen hierfür auch die stetige Unterstützung des Hochstifts, und hier insbesondere die des mächtigen Bamberger Fürstbischofs, erwarten. Mehrmals im Lauf der Jahrhunderte ließ sich der Rat Ebermannstadts das anno 1323 vom Kaiser zugesicherte ausschließliche Recht, im Umkreis von einer Meile den Handel und damit (vermeintlich) auch den Bierverlag ausüben zu dürfen, über die Bamberger Hofkanzlei von kaiserlicher Seite schriftlich bestätigen. 11 Den jeweiligen Gesuchen der Bamberger Kleinstadt kam der Bischof gerne nach, da er auch eigene Interessen damit zu schützen glaubte. Schließlich waren es nicht zuletzt die von Bamberg erhobenen Biersteuern, die dem Hochstift einige Male aus tiefer Schuldennot heraushalfen. 12 Tatsächlich ging es aber nicht immer nur um wirtschaftliche Vorteile der Brauer, der Stadt oder des bischöflichen Ärars. Vielmehr entwickelte sich die Durchsetzung der Ansprüche zu einer regelrechten politi- 8 Zit. nach K RAUS , Pretzfeld, 108. Die Urkunde über die Verleihung des Stadtrechts an Ebermannstadt durch Kaiser Ludwig den Bayern findet sich vollständig abgedruckt bei B ECK , Ebermannstädter Heimatbuch, 70f. 9 V OIT , Schlüsselberger, 85-87. 10 H OFMANN , Bierkultur, 28. 11 So in den Jahren 1510, 1653/ 54 und 1711, vgl. G IRSIG , Ebermannstadt, 71f. 12 K REMER , Maineck, 563. <?page no="189"?> Der Krieg ums Bier 189 schen Machtdemonstration gegenüber anderen, in der Umgegend angesiedelten Grund- und Territorialherren. Dies traf insbesondere die kleinen Reichsritterschaften, deren Einfluss im Laufe der Zeit mehr und mehr zugunsten der großen Territorialstaaten zurückgedrängt werden sollte. Infolge dessen kam es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den privilegierten Städten und den umliegenden Dorf- und Ritterschaften um das Recht des Mälzens, Brauens und Ausschenkens. Waren es während des Bauernkrieges vor allem „Flecken und Dörfer“, die sich „mit dem bräuen und schenken neuigkeit gesucht vnnd furgenommen“ haben, setzten sich immer öfter auch kleinere Rittergüter über das von den größeren Orten beanspruchte Biermonopol hinweg. 13 So waren es seit dem ausgehenden Mittelalter nicht nur Klöster, sondern zunehmend auch Niederadelige, die auf ihrem Grund Braustätten und Schankstuben einrichteten. Zwar bezog sich das dem Bischof abgerungene Recht der Adeligen in der Regel nur auf das Brauen für den eigenen Hausbedarf, in vielen Fällen nahmen es die Ritter bzw. deren Gutshofpächter aber nicht so genau mit dieser Einschränkung. 14 Der durch die neuen Militärstrategien des Spätmittelalters bedingte wirtschaftliche Abstieg vieler Ritter ließ manch einen der Herren, wenn nicht gerade zum Raubritter, so doch zu einem „geschäftstüchtigen“ Konkurrenten im Biergeschäft werden. Insbesondere wenn die Qualität des Biers der städtischen Monopolisten nachließ oder für den Konsum der umliegenden Dörfer einfach zu wenig gebraut worden war, wurde seitens der Landbevölkerung gerne auf ritterschaftliche Braustätten zurückgegriffen. Ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Grund für dieses Verhalten ging auf die 13 Zit. nach F EHN , Chronik Kronach, Bd. 4, 228. 14 Ebd., 231; vgl. auch D IPPOLD , Kleinstädte, 205. Abb. 2: Der „Bierbreuwer“, Mitte 16. Jahrhundert; Jost/ Amman/ Hans Sachs, Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden, Hoher und Nidriger, Geistlicher und Weltlicher, Aller Künsten, Handwercken und Händeln, Frankfurt am Main 1568. <?page no="190"?> Thomas J. Hagen 190 städtischen Monopolisten selbst zurück. Nicht zuletzt die obrigkeitliche Festlegung einer Obergrenze für den Bierpreis in Zeiten temporaler oder stetiger Rohstoffteuerung veranlasste privilegierte Stadtbrauhäuser oftmals, an dem für die Umgegend bestimmten Gerstensaft zu sparen oder diesen zu panschen. 15 Im Lauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts scheint das aus Bamberger Sicht unerwünschte adelige Brau- und Schankwesen derart zugenommen zu haben, dass sich Bischof Ernst von Mengersdorf zum Handeln genötigt sah. Da sich, wie es in einem bischöflichen Befehl des Jahres 1585 hieß, das Umgeld merklich verringert habe, wurden die Räte und 1588 auch die Kastner der bambergischen Amtsstädte angewiesen, alle „neu eröffneten Schenkstätten des Adels“ umgehend anzuzeigen. 16 In der Folge kam es - teils unter Androhung von empfindlichen Geldstrafen - zum Einlenken vieler der betroffenen Braustättenbesitzer, oftmals auch zu gütlichen Vergleichen zwischen den Städten oder dem Bischof und den Rittergütern. 17 In nicht wenigen Fällen mündete der Bierstreit aber in handfeste Auseinandersetzungen, die für diesen an sich banalen Hintergrund in kaum vorstellbare Gewalt ausarten konnten. 15 S PECKLE , Streit ums Bier, 179. Mit einer genauen Aufstellung der von Bamberg festgelegten Bierpreise zwischen 1520 und 1711 K REMER , Maineck, 560-562. Zur wirtschaftlichen Situation der Ritter im betreffenden Raum S EIFERT , Aufstieg und Niedergang. 16 F EHN , Chronik Kronach, Bd. 4, 232. 17 So im Fall des Braurecht- und Bierverlagsstreits zwischen der bambergischen Stadt Scheßlitz und der Gemeinde Tiefenellern oder zwischen Scheßlitz, der Pflege Giech und der Gemeinde Peulendorf, StaatsAB, Hochstift Bamberg, Kastenamt Scheßlitz Nr. 98. Abb. 3: Fränkischer Schankwirt beim Anzapfen eines Fasses, um 1430; aus: Stadtbibliothek Nürnberg, Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung Bd. 1, 21v. <?page no="191"?> Der Krieg ums Bier 191 Um dem „ungebührlichen“ Brauwesen beizukommen, griffen die Städte zu manchmal drastischen Maßnahmen, die nicht nur das jeweilige Umland einschüchtern sollten, sondern mitunter auch Zwietracht unter der Bevölkerung schürten. So fahndete beispielsweise die Stadt Ebermannstadt mit Hilfe eines ausgedehnten Spitzelsystems nach vermeintlichen Bierfrevlern. Die Aussicht auf einen lukrativen Lohn ließ so manch ehrbaren Nachbarn zum Verräter werden, wenn es darum ging, die heimliche Übertretung der Ebermannstädter Bier-Gerechtsame zu melden. In zahlreichen Fällen sind uns Zahlungen für „zuverlässige Anzeigen“ aus der Stadtkasse bekannt, so an einen Agenten in Wölm, der im Jahr 1748 für eine Meldung ein Pfund und vier Pfennige erhielt. 18 Beispiele für das Einschreiten der städtischen Behörden kennen wir viele, wobei das angewandte Verfahren fast überall nach dem gleichen Schema ablief: Nach Bekanntwerden der Verletzung des Bierverlagsmonopols rückten mehrere Bürger unter Führung einer Amtsperson aus, um den Wirt oder privaten Käufer des fremden Biers zur Rede zu stellen, die betreffenden Krüge und Fässer mit samt dem Inhalt zu pfänden und entweder an Ort und Stelle auszutrinken oder mit nach Ebermannstadt zu nehmen. Nicht selten wurde dem Beschuldigten eine teils empfindliche Strafzahlung aufgebürdet, die seinen entstandenen Schaden noch vergrößerte. Delikater Weise profitierten die Stadtoberen selbst am meisten von der Pfändung, da sie nicht nur am freien Trunk beteiligt waren, sondern oftmals auch kostengünstig in den Besitz der beschlagnahmten Bierbehältnisse und Zapfhähne kamen. 19 Gleich ob bei Kirchweihen, Richtfesten, Hochzeiten, Taufen oder Leichentrünken - überall traten Räte, Viertelmeister und Amtsknechte in Erscheinung, um Ebermannstadts Bierverlagsmonopol rigoros durchzusetzen. Nur selten kam es vor, dass die Städter „Gnade vor Recht“ ergehen ließen, wie im Falle des Hans Och in Unterleinleiter, dem man zwar ein Fässchen fremden Bieres „abgepfändet, das Bier aber seiner Tochter alß einer Kinds Betterin überlassen“ hat. 20 Dem Geschädigten blieb meist nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen. Mitunter sind aber auch Vorfälle bekannt, in denen sich die jeweiligen ritterschaftlichen oder gräflichen Grundherren den Eingriff in ihre vogteilichen Rechte nicht gefallen ließen. So kennen wir unter anderem Beschwerden bzw. gerichtliche Klagen derer von und zu Egloffstein (wegen Hardt und Unterleinleiter), von Streitberg, von Dienheim, von Lüchau, von Schlammersdorf (alle wegen Unterleinleiter), von Wiesenthau (wegen Hagen- 18 K RAUS , Pretzfeld, 97. 19 K RAUS , Häuser, 6-14; vgl. auch die zahlreichen diesbezüglichen Akteneinträge in: StadtAE, A 10/ 050; A 10/ 051; A 10/ 052; A 10/ 053; A 10/ 054; A 10/ 055; A 10/ 056; A 10/ 057; A 10/ 070; A 10/ 100; A 10/ 101; A 10/ 102; A 10/ 103; A 10/ 104; A 10/ 105; A 10/ 106; A 10/ 107; A 10/ 108; A 10/ 109; A 10/ 110; A 10/ 111. 20 Actum Ebermannstadt den 30. Octobris 1764, in: K RAUS , Häuser, 13f. <?page no="192"?> Thomas J. Hagen 192 bach), Schenk von Stauffenberg (wegen Trainmeusel, Niederngrub und Wohlmannsgesees), Voit von Rieneck (wegen Burggaillenreuth und Windischgaillenreuth) und von Seinsheim (wegen Wannbach), um ihre Untertanen vor den Agitationen Ebermannstadts in Schutz zu nehmen. 21 Freilich versagten die juristischen Bemühungen spätestens dann, wenn die Ansprüche - unter Umgehung höherer Behörden und entgegen dem geltenden Landfrieden - gewaltsam durchgesetzt wurden. Eine erste von tätlichen Auseinandersetzungen begleitete Aktion Ebermannstadts gegen einen seiner Nachbarorte ist uns aus dem Jahr 1510 überliefert. Das beanspruchte Biermonopol der Bamberger Kleinstadt ignorierend, wurde zu jener Zeit von den Einwohnern Pretzfelds, das eigentlich innerhalb der Ebermannstädter Bierbannmeile lag, Gerstensaft gebraut und verkauft. Letzteres scheint jedoch nicht in erster Linie wegen des damit verbundenen Profits, sondern vielmehr aus der Not heraus geschehen zu sein. So verteidigte der Pretzfelder Dorfvogt das fortgesetzte Braugeschäft seiner Leute beim Ebermannstädter Stadtvogt damit, dass die längst bestellte und bezahlte Bierlieferung noch immer nicht eingetroffen sei. Außerdem müsse das nächste Bier stärker eingebraut sein, das letzte sei so schwach gewesen, „dass an der Kirchweih nicht ein einziges Mal gerauft wurde.“ 22 Neben dem Bierbrauen in Pretzfeld waren den städtischen Behörden auch die dortige Herstellung von Brot und der munter betriebene Fleischhandel ein Dorn im Auge. Trotz des in Pretzfeld anzutreffenden Adelssitzes war das (relativ große) Dorf kein rein ritterschaftlicher Ort, sondern unter mehreren Herrschaften, die für ihre jeweiligen Untertanen die vogteiliche, das heißt niedere Gerichtsbarkeit beanspruchten, aufgeteilt. Zwar behauptete der Bischof von Bamberg die Territorial-, Hochgerichtssowie prinzipiell die Dorf- und Gemeindeherrschaft. Aufgrund des grundherrschaftlichen Gerangels zwischen den Rittern von Wiesenthau bzw. Stiebar von Buttenheim, der Reichsstadt Nürnberg, dem Markgrafentum Bayreuth und dem Hochstift Bamberg erlangte die Dorfgemeinde aber eine vergleichsweise starke Selbstverwaltungsbefugnis. 23 Dies erklärt, weshalb sich der direkte Einfluss des Bamberger Amtsvogts und erst recht der des Ebermannstädtischen Bürgermeisters und Stadtrats auf den als wirtschaftliche Konkurrenz auftretenden Nachbarort in engen Grenzen hielt. Nachdem weder Drohungen des Ebermannstädter Magistrats noch die Be- 21 Gräflich und Freiherrliches Egloffsteinsches Archiv Kunreuth, Alt-Sign. 662; Alt-Sign. 649; LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub- Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 64/ 18; LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub-Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157; StadtAE, A 10/ 050; A 10/ 052; A 10/ 053; A 10/ 070; A 10/ 100; A 10/ 101; A 10/ 104; A 10/ 110. 22 Zit. nach L ÖWISCH , „Bierseele“ Frankens. 23 G LAS , Pretzfeld, Bd. 1, 30-32. <?page no="193"?> Der Krieg ums Bier 193 Abb. 4: Zeitgenössische Darstellung (Holzschnitt) eines Heerzuges aufständischer Bauern im Hochstift Bamberg, um 1525; Otto Merx Beiträge zur Geschichte der religiösen und sozialen Bewegung in den Stiftern Mainz, Würzburg und Bamberg (1524-1526), in: Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 49 (1907), 151. schwerden beim Bischof dazu führten, die Pretzfelder von ihren (aus Sicht des ersteren) „unbefugten Handirungen“ beim Bierbrauen abzuhalten, eskalierte der Streit am 16. August 1510. 24 Im Morgengrauen dieses Tages zog unter der Führung des Stadtvogtes, Bürgermeisters und Rats eine ganze Heerschaar von Ebermannstädtern bis an die Zähne bewaffnet nach Pretzfeld. Dort drang das aufgebrachte Bürgerheer - den „Feind“ im Schlaf überraschend - in die Ortschaft ein und verwüstete alle Backstuben ebenso wie die Metzgereien. Hernach wurden noch die Biervorräte „vernichtet“, und zwar in der Weise, als man alles, was nicht sofort von der wütenden Menge ausgetrunken werden konnte, ausgoss, um schließlich die Fässer in Stücke zu schlagen. Selbst die Zuber in den Badestuben wurden zerstört, um den Pretzfeldern jegliche Möglichkeit zu nehmen, eventuell neu gebrautes Bier einzulagern. Die als Anstifter für den Bierfrevel geltenden Dorfmeister wurden gefangengesetzt und nach Forchheim gebracht, um sie dort einzukerkern. 25 Ganz im Stil des alten Fehdewesens, das seit Ausrufung des „Ewigen Landfriedens“ im Jahre 1495 eigentlich verboten war, hatten die Städter geglaubt, ihrem vermeintlichen Recht Geltung verschaffen zu müssen. Dass sie dabei die Regeln selbst festlegten und sich die in der alten Rechtsordnung vorgesehene Ankündigung durch das Versenden eines „Fehdebriefes“ sparten, schien 24 G IRSIG , Ebermannstadt, 70; A RNETH , Ebermannstädter Bierkrieg, 264f. 25 Ebd. <?page no="194"?> Thomas J. Hagen 194 Abb. 5: Bewaffnete aufständische Bauern umringen einen Ritter, Ausschnitt aus einem zeitgenössischen Holzschnitt, um 1530; Bayerische Staatsbibliothek, Petrarcas Glücksbuch, Res/ 2 A.lat.b. 276#Beibd.1. für sie dabei keine Rolle gespielt zu haben. 26 Selbstverständlich hatte der kriegerische Gewaltakt der Ebermannstädter ein Nachspiel, da sich die Pretzfelder nun ihrerseits beim Bamberger Fürstbischof als oberstem Herrn der Aggressoren beschwerten. Im Januar 1511 erreichte schließlich der Bischof eine vorläufige Einigung zwischen den beiden Streitparteien. In einem extra hierfür abgeschlossenen Vertrag wurde unter anderem vereinbart, dass den Ebermannstädtern künftig nicht mehr verwehrt werden sollte, in Pretzfeld Wein und Bier auszuschenken. Im Gegenzug wurde den Pretzfeldern das Recht zugesichert, in ihrem Dorf Bäckereien und Krämerläden sowie Metzger- und andere Handwerke ungestört betreiben zu dürften. Was das umstrittene Recht des Mälzens und Brauens anging, welches die Pretzfelder für sich in Anspruch nahmen, die Ebermannstädter ihnen jedoch nach wie vor absprachen, so sollten die beiden Widersacher dem Bischof ihren jeweiligen Standpunkt innerhalb eines Jahres schriftlich darlegen und mit Urkunden belegen. Am Ende, so sah es der Vertrag vor, sollten sich dann beide Vertragsteile dem Urteil des bischöflichen Hofgerichts unterwerfen. 27 Offensichtlich kam das 1513 ergangene „Compromiß-Urtheil“ des Fürstbischofs Georg III. Schenk von Limpurg den Ebermannstädtern in Bezug auf das beanspruchte Bierverlagsmonopol sehr entgegen; jedenfalls beriefen sich 26 Zum mittelalterlichen Fehdewesen und zur Reichsreform auf dem Wormser Reichstag von 1495 allgemein F ISCHER , Reichsreform und „Ewiger Landfrieden“. 27 StadtAE, A 10/ 020, Hauptbrieff oder Vertrag deren von Ebermannstadt und Pretzfeldt vom Januar 1511. <?page no="195"?> Der Krieg ums Bier 195 diese später darauf, wenn sie behaupteten, dass die Pretzfelder aufgrund des Schiedsspruchs „keineswegs befugt seien, zu mälzen und zu bräuen“, sondern das Bier von ihnen nehmen müssten. 28 Gleichwohl mochte sich die Gemeinde Pretzfeld mit der bischöflichen bzw. Ebermannstädtischen Bevormundung nicht abfinden. Aus Sicht der Dorfmeister und auch der im Ort angesiedelten Reichsritterschaft nahmen die Ebermannstädter das beanspruchte Recht des alleinigen Biermonopols zu Unrecht war. So sei das „angezogene Privilegium notorie nie zur observanz gekommen, sondern [...] von der dorffs gemeinde zu Pretsfeld, insonderheit was den freyen Bierkauff anlange, beständig wiedersprochen“ worden. 29 Schließlich, so die Pretzfelder, beruhe das kaiserliche Privilegium darauf, dass „Ebermannstatt zu einer Statt gemacht werden würde, so aber nicht geschehen, sondern dieser orth noch itzo ein offener flecken, von keinem burgerlich- oder Stättischen Gewerb und nahrung seye.“ Da der umliegenden Nachbarschaft bei der „feilschaft des Weins, Brods, Fleisch und dergleichen [...] die freye Hand“ gelassen würde, könne das „gerühmte Privilegium mit gesunder Vernunfft“ ebenso wenig beim „Bierkauff“ beansprucht werden. 30 In der Tat waren die Ebermannstädter der vom Kaiser 1323 gemachten Vorgabe, rings um den Ort eine Stadtmauer zu ziehen, aus Kostengründen nie nachgekommen. Auch der Anspruch, das Einzugsgebiet mit allen benötigten Nahrungsmitteln zu versorgen, konnte aufgrund fehlender Kapazitäten zu keiner Zeit erfüllt werden. Der Konflikt schwelte also weiter. Inwiefern während des Bauernkriegs im Jahr 1525 beim Sturm des sogenannten „Ebermannstädter Haufens“ auf das Stiebarsche Schloss in Pretzfeld auch das Bier eine Rolle spielte, ist nicht überliefert. Spätestens nachdem der Reichstagsabschied von 1555 allen Reichsständen den grundsätzlich „freyen Zugang“ zu „Proviant, Nahrung [und] Gewerb“ zugesichert hatte, scheinen die Pretzfelder wieder an ihre frühere Bierbraupraxis angeknüpft zu haben - was die Nachbarstadt wiederum zu unterbinden suchte. 31 Jedenfalls berichten die Quellen darüber, dass sich im Jahr 1569 der Ebermannstädter Rat gegen eine erneute Klage der Pretzfelder, die Hinderung ihres Bierbrauens betreffend, rechtfertigen musste. 32 28 Zit. nach K RAUS , Pretzfeld, 98; vgl. G LAS , Pretzfeld, Bd. 1, 569, 968. Vgl. hierzu auch weiter unten. 29 Zit. nach K RAUS , Pretzfeld, 108. 30 Ebd. 31 Abschied der Römischen Königlichen Majestät und gemeiner Stendt auff dem Reichstag zu Augspurg A.D. 1555 auffgericht (§ 14, Allgemeines Friedensgebot). Vgl. hierzu auch A R- NETH , Ebermannstädter Bierkrieg, 267. Zum Sturm auf das Pretzfelder Schloss des Endres Stiebar im Jahre 1525, bei dem es zu erheblichen Schäden kam, G LAS , Pretzfeld, Bd. 1, 565f. 32 Aufforderung an den Bürgermeister und Rat der Stadt Ebermannstadt durch den Forchheimer Schultheißen Georg Groß von Pfersfeld, zu der Pretzfelder Klage Stellung zu nehmen, StadtAE, A 10/ 021. <?page no="196"?> Thomas J. Hagen 196 Abb. 6: Biergelage von Söldnern während des Dreißigjährigen Krieges, zeitgenössischer Holzschnitt, erste Hälfte 17. Jahrhundert; Dieter Spohr, Von Hunger, Beutezügen und tapferen Harzschützen. Als der Dreißigjährige Krieg am südwestlichen Harzrand tobte. Inmitten des Dreißigjährigen Krieges, der sowohl für die Stadt Ebermannstadt als auch für das Rittergut Pretzfeld verheerende Wirkung hatte, setzte sich der Streit um das Bierverlagsrecht fort. Mittlerweile konzentrierte sich die Auseinandersetzung aber auf die von der ritterschaftlich Stiebarschen Schlossbrauerei „nach altem herkommen“ betriebene Herstellung Pretzfelder Gerstensaftes. Noch ehe das Schloss Pretzfeld im November 1631 mehrmals von der durchmarschierenden Soldateska geplündert und die Stadt Ebermannstadt Anfang 1632 von den Schweden besetzt bzw. Anfang 1633 in Brand gesteckt wurde, waren die Ebermannstädter bei ihrem adeligen Nachbarn eingedrungen und hatten diesem ein „ganzes Gebräu“ von 40 Eimern Bier gepfändet. 33 Der Stiebarsche Vogt Conrad Galster hatte daraufhin erfolgreich auf Schadenersatz geklagt, weswegen ihm die Bürgerschaft Ebermannstadts „für das [...] unbillig abgenommene Bier“ insgesamt 110 Gulden zu zahlen verpflichtet wurde. 34 Aufgrund der anhaltenden Kriegshandlungen wurde der Pretzfelder Schlossvogt jedoch immer wieder vom Ebermannstädter Bürgermeister und Rat vertröstet, ohne dass er je etwas von der Entschädigungssumme erhalten hätte. Umso mehr sah sich nun der Schlossverwalter im Recht, nicht nur weiter Bier zu brauen, sondern daraus auch monetären Nutzen zu ziehen. Im Jahre 1661 versuchten die eifersüchtigen Ebermannstädter erneut, der Pretzfelder Schlossverwaltung das Bierbrauen und den Verkauf ihres Malzgebräus, selbst an die Ortsansässigen und anderen Untertanen des Rittergutes, streitig zu machen. 33 Zur Geschichte Pretzfelds und Ebermannstadts während des Dreißigjährigen Krieges H AAS , Geschichte des Pfarrdorfes, 37-40. 34 Schreiben Conrad Galsterern an Ebermannstadt vom 4./ 14. Oktober 1631, in: K RAUS , Häuser, 98. Vgl. auch die wechselseitigen Amtsschreiben vom 14. Oktober 1631 bis 23. Juni 1632, in: ebd., 99-102. <?page no="197"?> Der Krieg ums Bier 197 Beim Bischof von Bamberg glaubten sie eifrige Unterstützung zu erhalten, da zwischen den Stiebar in Pretzfeld und dem Bischofsstuhl seit Beginn des Dreißigjährigen Kriegs ein ständiger Konflikt um die kirchliche Oberhoheit in dem Pfarrdorf herrschte. Während die protestantischen Ritter mit ihren Schlosspredigern dem katholischen Geistlichen in Pretzfeld das Leben schwer machten, versuchte Bamberg den Wirkungskreis der ersteren auf die Burg und deren Bewohner zu beschränken. 35 Außerdem hatte sich der vormalige Rittergutsbesitzer Hans Christoph Stiebar auf die Seite der Schweden geschlagen, weswegen ihm sogar das Lehen über den Pretzfelder Besitz entzogen worden war. 36 Da mochte das Ansinnen des rein katholisch gebliebenen Ebermannstadt gerade recht erscheinen, die ungeliebten Pretzfelder Adeligen in die Schranken zu weisen. Vom bischöflichen Rat in Bamberg ermuntert, sollten die Ebermannstädter durch Zeugen belegen, „wan und zu welcher zeit Solche vorgangen, ob Sie das Schencken und bier verlegen zu Pretsveldt durch Pfandung contradiction oder andere mittel verwehrt, ingleichen alte leuth darüber vernehmen laßen, [...] ob auch den Nürmbergischen untersaßen und Schenckstetten nicht gestattet werde anderswo alß bei ihnen das getranck zunehmen.“ 37 Georg Pankraz Stiebar verwahrte sich gegen das „abergmahlig unbegrün[de]te einwenden“ der „Burgerschafft zue Ebermannstatt.“ 38 Schließlich, so seine Verteidigungsschrift an den Bamberger Bischof, würde ihm die Erhebung des Umgeldes für Wein ohne weiteres erlaubt. Auch das Brauen für sein „Haußwesen“ würde ihm zugemessen, nur das Bierverlegen ihm auf seinen „Wirthschafften durchaus nicht gestattet sein solle“. Das anno 1513 ergangene Kompromissurteil, so der Ritter, sei nur für den damaligen Streit maßgeblich gewesen, da man doch „auß selbigen nichts bestendigs inferiren könne.“ 39 Dessen ungeachtet teilte Fürstbischof Philipp Valentin Voit von Rieneck den Ebermannstädtern und dem Stiebar mit, dass die Pretzfelder infolge des Urteils von 1513 „Keineswegs befugt [seien] Zu Multzen und Zubräuen“, vielmehr das Bier in Ebermannstadt abholen und versteuern müssten. 40 Immerhin sah sich der Bischof veranlasst, dem Adeligen das Brauen für die „Notdurft“ des ritterlichen Haushaltens zuzugestehen. Gegen diese Auslegung des Kompromissurteils von 1513 wehrte sich der Pretzfelder durch die Anrufung des Reichshofrats in Wien. Vom Sekretär des Ritterortes Baunach ließ der 35 J ÄCK , Geschichte Provinz Bamberg 114-116. 36 H AAS , Geschichte des Pfarrdorfes, 37-39. 37 StadtAE, A 10/ 024, Dekret des Bamberger hochfürstlichen Rats vom 3. August 1661. 38 StadtAE, A 10/ 024, Teil-Abschrift einer Antwortnote (Februar 1662) an den Bamberger Fürstbischof. 39 Ebd. 40 StadtAE, A 10/ 024, Kopie eines Schreibens des Fürstbischofs Philipp Valentin an Stiebar vom 18. Februar 1662. <?page no="198"?> Thomas J. Hagen 198 Stiebarsche Ritter auf der fürstlichen Ratsstube klarstellen, er „gestünde einvor allemahl nicht [zu], sich einigem Spruch und Urtheil untergeben“ zu haben. 41 Vielmehr, so eine spätere Begründung, sei das Geschlecht der Stiebar von Buttenheim „von etlichen Saeculis her“ berechtigt, „nicht allein zu aigener Hauß Notturft Bier zu brauen, sondern dessen auch, so was übrig, an andere abzugeben, oder in der Herrschaftlichen Vogtey durch die bestelten Vögte außzapfen zu lassen.“ 42 Doch noch ehe er sein vermeintliches Recht beim kaiserlichen Gericht einklagen bzw. durchsetzen konnte, verstarb Georg Pankraz Stiebar 1676 plötzlich und hinterließ eine, den Ebermannstädtern offensichtlich ohnmächtig erscheinende Witwe und einen Sohn im Säuglingsalter. 43 Schon Anfang der 1680er Jahre ging der Bierstreit zwischen Ebermannstadt und Pretzfeld, oder vielmehr den dort ansässigen Rittern von Stiebar, in eine neue Runde. Im Februar 1682 beschwerte sich der Ausschuss der Reichsritterschaft in Franken, Orts Gebürg, beim Bamberger Fürstbischof über gewaltsame Überfälle auf das Lehen seines minderjährigen Mitglieds Johann Adam Stiebar von Buttenheim. Mehrmals, so die Beschwerde, seien die Bürger von Ebermannstadt in die Stiebarsche Erbschenkstatt zu Moggast „gewaltthätig [ein]gefallen“, um das dort vorgefundene (offensichtlich aus Pretzfeld bezogene) Bier zu pfänden. 44 Am 14. und nochmals am 21. Mai 1681 seien sie mit 18 bzw. 19 „bewehrten Männern“ in den Ort eingedrungen, hätten zuerst acht und schließlich vier Eimer Bier aus dem Keller der Schenkstatt genommen, und „nach andern vielen verbal- und real-injurien“ den Wirt unter Androhung von „straff und fernern gewalts“ unmissverständlich dazu aufgefordert, sein Bier künftig „nirgend anderswo, denn zu Ebermannstatt zukauffen und abzuholen“. Die Ritterschaft verlangte nun vom Bischof, „solch violentes, anbey aigenmächtiges beginnen und dieß orts unerhörte Neuerung“ künftig zu unterbinden. 45 Schließlich, so die ritterschaftliche Begründung, würde dieses gewaltsame Vorgehen „nicht nur denen Kayßerlich und Königlich dem ReichsFreyen ohn mittelbaren Adel conferirten und concedirten hochverpöenten Privilegien, ja der kundbaren Immunitet selbsten [...] è diametro zu wieder lauffen, [...] sondern auch denen Reichs-constitutionibus und heilsamen Landfriedens, dann denen sancirten Oßnabrügg- und Münsterischen friedensschlüßen“ entgegenstehen. Die Ebermannstädter sollten den Wirt entschädigen und sich fürderhin jeglicher Injurien, „mithin von dem hauptwerck solcher so unverantwortals unlöblichen unnachtbarlichen Neuerung“, gänzlich enthalten. Der Wirt 41 Extractus Protocolli uff der fürstlichen Rathstube vom 7./ 17. April 1663, in: K RAUS , Häuser, 104. 42 Zu finden im Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, zitiert nach K RAUS , Pretzfeld, 107. 43 Ebd., 108. 44 StadtAE, A 10/ 026. 45 Ebd. <?page no="199"?> Der Krieg ums Bier 199 zu Moggast müsse hingegen „bey seiner wohl hergebrachtauch sonsten jederzeit ohnwiedersprechlich Ruhig exercirten befugnus, ohnbeeinträchtiget gelassen werden.“ 46 Im Dezember 1682 sahen sich schließlich der Statthalter, Vizekanzler und die Weltlichen Räte zu Bamberg genötigt, einen allgemeinen Erlass „wegen vorgefallener Gewalttätigkeiten“ herauszugeben. 47 Da „Städte und Marktflecken wiederholt unternommen“ hätten, „ihre Rechte, namentlich wegen des Bierverlags, durch eigenmächtige Ausfälle und Pfändungen zu handhaben, wobei sogar etliche mal Mord und Totschlag erfolgt“ sei, würde „solches verboten und befohlen, das Recht am gehörigen Orte zu suchen.“ Allerdings galt dies lediglich für Fälle innerhalb des Bamberger Territoriums und nicht etwa gegenüber den Ritterschaften. So blieben die Bürger weiterhin berechtigt, ja sogar verpflichtet, „wenn andere Herrschaften und Adelsuntertanen dem hergebrachten Bierverkauf oder anderen Hantierungen Eintrag tun“, sich „gleichwohl selbst bei ihren Rechten durch ‚gewehrlichen außfall und Pfandungen‘ unter Vermeidung von Exzessen [zu] schützen, wenn sie solches vorher ihren Beamten angezeigt“ hätten. 48 Diese den Ritterschaften gegenüber halbherzige Maßregelung der gewalttätigen Städter reichte den Pretzfeldern bei weitem nicht aus, vielmehr führte sie zu weiterer Verbitterung und dem Entschluss, beim Kaiser in Wien um Hilfe anzusuchen. Tatsächlich erging am 14. Juli 1690 ein kaiserliches „Rescriptum“ wider die Stadt Ebermannstadt, kraft dessen diese die „Gemeind zu Pretzfeld [...] unter anderen auch in dem freyen Bierkauff weiter nicht beschwehren“ durfte. 49 Diese Demütigung der stolzen Ebermannstädter ließ dort aber erst recht den Entschluss reifen, das vermeintliche Bierverlagsrecht gewaltsam durchzusetzen. Ohne Genehmigung des bischöflichen Vogteiamtes marschierten am frühen Morgen des 6. September 1690 Bürgermeister und Magistrat, „sambt der gantzen und völligen Burgerschafft zu Ebermannstatt“ - einem Heereshaufen von mehr als hundert schwer bewaffneter Männer - „nebst etlichen Zimmerleuten mit ihren Hacken und Hebeisen [...] unter offen Drommelschlag gleichsamb als in einem rechten Krieg“ vor das Schloss zu Pretzfeld. 50 Dort angekommen, schlugen sie zunächst eine kleine Pforte, dann das Haupttor des Schlosses und schließlich die Tür des Brauhauses ein. Alles Brauzeug, „alß Durchlaß, Kuffen, Vässer, Butten, sambt allen andern zum Breuwesen gehörigen Nothwendigkeiten“ schlugen 46 Ebd. 47 Bamberger Verordnung vom 12. Dezember 1682, zit. nach F EHN , Chronik Kronach, Bd. 4, 239. 48 Ebd. 49 Zu finden im Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, zit. nach K RAUS , Pretzfeld, 111. 50 Brief des Adam Ernst Marschalk von Ebert in Wildenberg an den Consulenten und Advocaten der Reichsritterschaft aller Sechs Orth in Franken in Nürnberg, Johan Friedrich Schober, vom 6. September 1690; Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, beides abgedruckt bei ebd., 105, 109. <?page no="200"?> Thomas J. Hagen 200 sie „boshaftiger weiß in kleine stück und trümmer.“ 51 Zwanzig Eimer des gerade erst frisch gebrauten Bieres, so wurde später dem Kaiser berichtet, habe das wütende Kriegsvolk „in die Erden lauffen lassen“. Zur Abkühlung des „bösen Frevel Gemüths“ sei der Stiebarsche Schlossverwalter Johann Friedrich Sander, im Schlafe überrascht, „mit stossen und schlägen grausambtlich tractirt, und zu schand und spott gefänglich mit [...] nacher Ebermannstatt geschleppet“ worden, wo ihn seine Peiniger „gleich dem ärgsten Maleficanten [...] in ein böses schimpfliches Gefängnis geworffen“ hätten. 52 Ähnlich erging es dem herrschaftlichen Jäger und einem Bräugehilfen, die, ebenso wie der Verwalter, von den Ebermannstädter Angreifern gefangengenommen und „gefänglich mit hinweggeführet“ wurden. 53 Dem erst nach sechs Tagen auf Drängen des reichsritterschaftlichen Advokaten zu Nürnberg, Johann Friedrich Schober, aus der Haft entlassenen Pretzfelder Schlossvogt wurde unverhohlen angedroht, dass man „bey wiederanstellendem Breuwerck bald wiederkommen und übel ärger machen“ würde. 54 Allein der Schaden für das zerstörte Brauinventar und das weggeflossene Bier wurde auf über 150 Reichstaler geschätzt. 51 Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, abgedruckt bei ebd., 109. 52 Ebd., 109f. 53 Brief des Adam Ernst Marschalk von Ebert in Wildenberg [in seiner Eigenschaft als Stiebarscher Vormund] an den Consulenten und Advocaten der Reichsritterschaft aller Sechs Orth in Franken, Johann Friedrich Schober, vom 6. September 1690, abgedruckt bei ebd., 105. 54 Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, abgedruckt bei ebd., 110. Abb. 7: Kolorierter Holzschnitt des Stiebarschen Schlosses in Pretzfeld, gegen das ein Heer aufständischer Bauern [die zu Ebermannstadt ihr Lager bezogen hatten] mit Trommler und Fahnenträger zieht, Hochstift Bamberg um 1525; Glas, Reinhold: Pretzfeld [I], Häuser und Familienchronik eines Marktortes in der Fränkischen Schweiz, 133. <?page no="201"?> Der Krieg ums Bier 201 Dieser „Kriegszug“ und die Androhung weiterer Gewalt lösten eine Welle der Empörung aus, die - von den schriftlichen Klagen der Fränkischen Reichsritterschaft begleitet - bis nach Wien drang. Am 28. Mai 1691 erließ Kaiser Leopold ein Mandat gegen die Ebermannstädter, in dem er ihr „hochmüttiges unternehmen [...], dergleichen [man sich] vorhero nie erkühnet, und woraus, wann man sich dessen im Schloß Pretzfeld im geringsten hette versehen gehabt, gewiß mord und Todtschlag entstanden seyn würden“, als schweren Landfriedensbruch anprangerte. 55 Die Beklagten sollten sich gemäß kaiserlichem Befehl innerhalb von zwei Monaten vor dem Reichshofrat verantworten. Um der Vorladung und dem Mandat des Kaisers Nachdruck zu verleihen, wurde das Schreiben von einem kaiserlichen Notar und unter Hinzuziehung zweier Pretzfelder Zeugen den Ebermannstädter Ratsoberen in Anwesenheit zahlreicher Bürger öffentlich verkündet. 56 Wer nun glaubte - wie die, sich in Sicherheit wähnenden, Pretzfelder Schlossbewohner - diese schallende Ohrfeige des Reichsoberhauptes vom 16. Juli 1691 hätte die Ebermannstädter „Kriegsherren“ zur Vernunft gebracht, der hatte sich getäuscht. Bereits zwei Wochen nach der Verkündung der kaiserlichen Rüge begab sich der Ebermannstädter Bürgermeister, der Seeg Jörg genannt, mit 50 seiner Bürger und wenig friedlichen Absichten ins Stiebarsche Wirtshaus nach Pretzfeld. Nachdem sie dort das „wenige Bier, so der Wirth aus dem Schloßkeller hatte hohlen lassen“, ausgetrunken hatten, baten sie darum, „das Fäßlein wieder füllen“ zu lassen. 57 Wie die spätere Vernehmung von Zeugen ergab, taten sie dies aber nur, um dem Stiebarschen Bierlieferanten aufzulauern, ihm unter Androhung von Gewalt den Gerstensaft abzunehmen, den Inhalt auszutrinken „und das Bierfäßlein mit sich nacher Ebermannstatt“ zu nehmen. Einem „Mägdlein aus dem Dorff“ habe man den Krug, in dem es sein „Lohnbier aus dem Schloß“ heimtrug, „weggenommen, wieder die Wand geschmissen und vernichtet.“ 58 Als die Ebermannstädter versuchten, sich gewaltsam Zutritt zum Schloss zu verschaffen und dabei einen Stiebarschen Untertan niederschlugen, verriegelte der Schloßvogt die Türen. Nur mit Mühe konnte er die im Schloss lagernden Pretzfelder, es sollen an die 50 gewesen sein, zurückhalten, sich den Ebermannstädtern mit Waffen entgegenzustellen. Unweigerlich, so berichteten die Zeugen, wäre sonst „ein großer tumult [...] und leicht Mord und Todtschlag“ entstanden, zumal nun unter großem Geschrei „auch das ganze Ebermannstatt mit Knechten und Buben, alle bewehrt in Pretfeld eingestürmet“ seien, „dabey mit Rohren viel Schuß gethan.“ 59 Als der Pretzfelder Metzger und 55 Mandat Kaiser Leopolds vom 28. Mai 1691, abgedruckt bei ebd., 111f. 56 Vgl. das Schreiben des kaiserlichen Notars, Johann Georg Pogner, an den Bamberger Bischof Marquard Sebastian Schenk von Stauffenberg vom Juli 1691, abgedruckt bei ebd., 113-115. 57 Zit. nach ebd., 117. 58 Ebd., 118. 59 StadtAE, A 10/ 027, Zeugenvernehmungen des Stadtrichters zu Nürnberg, Tobias Tucher von <?page no="202"?> Thomas J. Hagen 202 Abb. 8: Ebermannstadt in einer Darstellung um 1800; Ansichten der vorzüglichsten Gegenden des Fürstenthums Bamberg, nebst einer historisch und topographischen Uebersicht dieses Landes vor und nach der Sekularisation, Schwabach 1810. Nürnberger Untertan Christoff Richter dem Ebermannstädter Bürgermeister Seeg ins Gewissen redete, weshalb dieser „das Kayserl[iche] Rescript nicht besser respectiren“ könne und „einen solchen Tumult“ anfange, gab letzterer ihm „höhnisch zur Antwort [...], was gehts dich an, das seye nur ein Bagatell und fragten sie noch lange nichts nach diesem, was der Notarius gebracht hab.“ 60 Diesmal waren die Ebermannstädter zu weit gegangen. Zwar versuchte der Bamberger Bischof die Wogen nochmals zu glätten, indem er am 29. August 1691 Bürgermeister, Rat und die gesamte Bürgerschaft zu Ebermannstadt eindringlich ermahnte, dass die „allerhöchste Verordnung“ des Kaisers seiner Intention gemäß künftig „würckhlich und allerdings nachgelebet werde.“ 61 Hierzu gebe er „befelch und ernstliche erinnerung.“ Aufgrund des erneuten Bruchs des Landfriedens und der Missachtung des kaiserlichen Mandats bekam die Stadt jedoch den Zorn Kaiser Leopolds zu spüren, der die Ortschaft kurzerhand von kaiserlichen Truppen besetzen ließ. Die Ratsoberen mussten lange Verhöre über sich ergehen lassen, Bürgermeister Seeg wurde wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, den Simmelsdorff und Winterstein, vom 3. Oktober 1691 und des markgräflich streitbergischen Amtmanns Christian Ratiborsky von Sechzebus vom 13. Oktober 1691; vgl. auch K RAUS , Pretzfeld, 118, 121. 60 Zit. nach ebd., 123. 61 StadtAE, A 10/ 028, Schreiben des Fürstbischofs Marquard Sebastian [Schenk von Stauffenberg] zu Bamberg an „Unßeren lieben getreuen, Burgermeister und Rath, dan gesambter Burgerschafft zu Ebermanstadt“ vom 29. August 1691, gegengezeichnet in Ebermannstadt am 31. August 1691. <?page no="203"?> Der Krieg ums Bier 203 Bürgern aber hohe Bußzahlungen auferlegt. 62 Der Überzeugung Ebermannstadts, sein Biermonopol zu Recht, auch mit obrigkeitlicher Gewalt, einfordern zu dürfen, scheint dies jedoch längerfristig keinen Abbruch getan zu haben. Jedenfalls setzten die städtischen Bierpfändungen und Strafen gegen umliegende Dorfbewohner einige Jahre nach dem Pretzfelder Debakel wieder ein. 63 Dass das Verhalten der Ebermannstädter und das fragwürdige Ergebnis keineswegs andere Städte von einem ähnlichen (gewaltsamen) Vorgehen abschreckten, sondern diese vielmehr noch ermutigten, zeigt das Beispiel der Stadt Hollfeld aus dem Jahr 1699. In jenem Jahr marschierten 74 bewaffnete Bürger der Stadt unter der Führung des Bürgermeisters Johann Dippold nach Sachsendorf, um ihrem vermeintlichen Bierverlagsrecht Geltung zu verschaffen. 64 Der Sachsendorfer Ritter und Gutsbesitzer Johann Gottfried Heußlein von Eisenheim hatte sich „angemaßt“, bei örtlichen Feierlichkeiten, wie Beerdigungen, Hochzeiten oder Taufen, selbstgebrautes Bier zu verkaufen. Dieses Recht sprachen jedoch die Hollfelder dem Edelmann, dessen Besitz innerhalb der städtischen Bannmeile lag, ab. Vielmehr bestanden sie darauf, dass auf einer Hochzeit, die in Sachsendorf von einem bambergischen Untertan gefeiert wurde, Hollfelder Bier ausgeschenkt würde. 65 Den hierfür notwendigen „Import“ fremden Bieres und die damit zusammenhängende Unterordnung unter das Hollfelder Bierverlagsmonopol wollte wiederum der Rittergutsherr unter allen Umständen verhindern. Unverdrossen verschanzte sich der unbeugsame Adelige Eisenheim mit 16 seiner Untertanen, die mit 24 Gewehren bewaffnet waren, im örtlichen Wirtshaus und erwartete den militärisch anmutenden Geleitzug aus dem Nachbarort. Tatsächlich kam es zu einem Kampf, da keine der Streitparteien nachgeben wollte, in dem es während eines heftigen Schusswechsels drei Tote gab und mehrere Verwundete. Der Ritter von Eisenheim kam dabei selbst ums Leben, ohne dass ihm, als er schwer verwundet im Sterben lag, seine wutentbrannten Feinde den Empfang der erbetenen Sterbesakramente zugestehen wollten. Die mehr als 20 Jahre andauernden juristischen Auseinandersetzungen um die sogenannte Sachsendorfer „Bluthochzeit“, die bis zum Reichshofrat nach Wien getragen wurden, führten letztlich - ähnlich wie im Falle Ebermannstadts - zu keinem eindeutigen Ergebnis. 66 Selbstredend handelte es sich bei den Ebermannstädter und Hollfelder Bierkriegen keineswegs um ein regionales Problem. Auch in anderen Gebieten des Hochstifts Bamberg ging es zeitweise im Bierverlagsstreit hoch her. Im Weismainer Bezirk beispielsweise kam es im 17. Jahrhundert zu mehreren folgenschweren Konflikten im 62 A RNETH , Ebermannstädter Bierkrieg, 168; K RAUS , Pretzfeld, 130. 63 Aktenkundig wieder nachweisbar ab ca. 1700, vgl. StadtAE, A 10/ 100; A 10/ 106; A 10/ 107; A 10/ 108; A 10/ 109; A 10/ 110; A 10/ 111. 64 K AISER , Blutiger Streit, 80f. 65 D IPPOLD , Kleinstädte, 206. 66 K AISER , Blutiger Streit, 81. <?page no="204"?> Thomas J. Hagen 204 Kampf um den Gerstensaft. So fiel am 21. August 1667 die gesamte Weismainer Bürgerschaft in Burkheim ein, um „daß von Burckkunstatt auß [unrechtmäßig] dahin gebrachte Bier abzunehmen.“ 67 Auf der dort voll im Gange gewesenen Kirchweih brachten sie das vorgefundene Bier gewaltsam an sich, um davon so viel es ging an Ort und Stelle auszutrinken. Was übrig blieb wurde teils „weeglaufen lassen“, teils „nacher Weismain bracht undt auf dem Rathauß außgetrunckhen.“ 68 Später hatte sich in Prügel, einem ebenfalls von der Stadt Weismain als ureigenem Bierverlagsort beanspruchten Weiler, der gräflich giechische Pächter eines Gutshofes „erdreistet“, Bier zu brauen und auszuschenken. Um dies zu unterbinden, marschierten im Jahre 1681 mehr als 50 bewaffnete Weismainer Bürger mit brennenden Lunten unter den Schlägen eines Trommlers „gleich einem offentlichen heerzueg“ in den Weiler ein. 69 Unter angeblichem Befehl des Fürstbischofs forderte der Weismainer Bürgermeister die Frau des Pächters auf, die Bewaffneten einzulassen und die Braupfanne herauszugeben. Als sich diese weigerte, brachen die Weismainer die Tore auf, eigneten sich das Braugerät samt Holzbottichen und Braupfanne an und führten das „Kriegsgut“ im Siegeszug und unter Gewehrfeuer, das auch das Haus des Pächters traf, nach Weismain ab. Allerdings währte in diesem Fall der städtische Siegestaumel nur kurz. In einem vom Geschädigten und dessen Grundherrn, Christian Carl von Giech, angestrebten Prozess vor dem Reichskammergericht gegen das Hochstift Bamberg und die Stadt Weismain musste sich letztere urteilsgemäß Landfriedensbruch vorwerfen lassen. Unter erfolgreicher Berufung des auf sein „seit unfürdenklichen Zeiten“ bestehendes Recht des Bierbrauens und -verkaufens wurden die Weismainer zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens auf dem Rittergut Prügel verurteilt. 70 Auch in der Geschichte der Stadt Kronach gibt es zahlreiche Beispiele für das mit dem Bierverlag verbundene Streitpotenzial. Dort kam es im 17. Jahrhundert wie in anderen Gegenden zu bewaffneten Übergriffen des Stadtbürgertums auf umliegende Ortschaften, sobald das Biermonopol in Gefahr schien. Für das Jahr 1658 wird berichtet, dass die Kronacher mit bewaffneter Hand in den Ort Pirnbaum eingefallen seien, Bier gepfändet und Geldstrafen verhängt hätten, und all dies ohne Wissen des zuständigen Bamberger Oberbeamten. Immerhin wurden die Verantwortlichen im Auftrag des Fürstbischofs Philipp Valentin Voit von Rieneck durch den Bamberger Hauptmann ernstlich gerügt und ihnen aufgetragen, den Braukessel „zurückzugeben 67 Bericht des Weismainer Stadtschreibers, zit. nach D IPPOLD , Auch der Bischof trank Weismainer Bier, 1. 68 Ebd. 69 Zit. nach D IPPOLD , Kleinstädte, 205. 70 K REMER , Maineck, 558; vgl. auch D IPPOLD , Kleinstädte, 205f. <?page no="205"?> Der Krieg ums Bier 205 Abb. 9 und 10: Ansichten der Stadt Waischenfeld (oben) und des Rabensteinschen Rittersitzes Burg Rabeneck (unten); zwei Orte der zahlreichen Kontrahenten im Bierverlagsstreit des 17. und 18. Jahrhunderts, Lithografien nach Carl Kaeppel; Theodor Rothbarth, Die Fränkische Schweiz. Cyclus der interessantesten Punkte aus der Umgegend von Muggendorf und Streitberg, Nürnberg 1840. <?page no="206"?> Thomas J. Hagen 206 und die Strafe zu kassieren“, künftig aber in ähnlichen Fällen zunächst den Bischof oder Oberamtmann zu informieren. 71 Wie bereits angedeutet, führten die gewaltsamen Übergriffe und Pfändungen der Bamberger Landstädte auf ihr Umland nicht selten zu längeren juristischen Auseinandersetzungen, die vor dem Reichskammergericht oder dem Reichshofrat ausgetragen wurden. So schwelte in den Jahren 1669 bis 1737 ein Streitverfahren zwischen der Stadt Waischenfeld respektive dem Hochstift Bamberg und den Rittern von Rabenstein wegen des Bierverlags in den Rabensteinschen Orten, insbesondere in Kirchahorn. Der Bürgermeister und Rat zu Hollfeld prozessierte nicht nur mit den von Eisenheim sondern unter anderem auch mit den Herren von Aufseß. 72 Die Bamberger Stadt Pottenstein stritt wiederum mit den Rittern Groß von Trockau wegen des Bierverlages und des Umgeldes in Kohlstein, Rackersberg und Trockau. 73 Schließlich entschloss sich die Reichsritterschaft des fränkischen Kantons Gebürg, gemeinsam juristisch gegen die hochstiftischen Munizipalstädte Pottenstein, Waischenfeld, Weismain, Ebermannstadt, Hollfeld, Burgkunstadt und Kupferberg vorzugehen. 74 Dies schien umso notwendiger, da sich im Jahr 1717 der Bamberger Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn, der für seine teuren Schlösserbauten bekannt war, eindeutig auf die Seite seiner (reiche Steuer garantierenden) Stadträte und Bürgermeister stellte. 75 Die klagenden Reichsritter hatte er lapidar wissen lassen, dass in Sachen der Ritterschaft Orts Gebürg gegen die Stadt Ebermannstadt, „den Bierverlag betreffend [...] von dem Bischöflich Bambergischen Gericht, Hofrathspräsidenten, Kanzlern, Vicekanzlern und weltlichen Räthen zurecht erkannt [worden sei], daß eine Meilweegs Rings umb Ebermannstatt denen Klägern das Recht des Bier-Verlags abdenen Beklagten aber zuzusprechen sey, inmaßen dann ein solches recht bemelten Klägern ab- und denen beklagten Ebermannstättern hiermit zugesprochen wird.“ 76 71 Zit. nach F EHN , Chronik Kronach, Bd. 4, 230; vgl. auch B ADUM , Brauwesen in Kronach, 175-178. 72 Zu Waischenfeld StaatsAB, Hochstift Bamberg, Hofkammer, Akten und Bände Nr. 2247; zur Streitsache zwischen Hollfeld und Friedrich Hector von Aufseß (1688) wegen des Bierverlags zu Wohnsdorf vgl. StaatsAB, Archiv der Freiherrn von und zu Aufseß, Sign. 2805. 73 Nachgewiesen unter anderem für das Jahr 1698, StaatsAB, Hochstift Bamberg, Hofkammer, Akten und Bände Nr. 1440. 74 Vgl. die Streitschriften in: StadtAE, A 10/ 032; LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub-Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157. 75 Zu den Unsummen an (Steuer-)Geldern verschlingenden Schlösserbauten des - im absolutistischen Stil regierenden - Fürstbischofs Lothar Franz vgl. unter anderem den Sammelband S CHNEIDER / W EIß , 300 Jahre Schloss Weißenstein. 76 LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub- Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157, Brief vom Hochstift Bamberg an den Reichsfrey-Hochwohlgebohrnen Herrn Philipp Adam Sigmund Schenk Freyherrn Von Stauffenberg und Greifenstein [...] vom 28. Juli 1717. <?page no="207"?> Der Krieg ums Bier 207 Mit diesem und ähnlichen Urteilen fand sich die Korporation der Reichsritter freilich nicht ab, weswegen sie zunächst beim Kreisgericht dann beim kaiserlichen Reichshofrat in Wien dagegen appellierte. 77 Die Unsummen an Prozesskosten verschlingenden Verhandlungen, die nicht nur das kleine Munizipalstädtchen Ebermannstadt beinahe an den Rand des Ruins brachten, zogen sich bis in die Mitte der 1730er Jahre hin, ohne dass dabei etwas herauskam. 78 Erst die Appellation bei dem mit dem kaiserlichen Reichshofrat in Wien konkurrierenden Wetzlarer Reichskammergericht scheint um 1760 für das Ansinnen Ebermannstadts von einem gewissen Erfolg gekrönt gewesen zu sein. 79 Die Pretzfelder Schlossverwaltung, die 1764 - zwei Jahre nach dem Aussterben der Stiebar - in die Hände der Grafen von Seinsheim überging, vermied es nun jedenfalls, an Fremde Bier zu verkaufen. So hatte bereits 1729 der Stiebarsche Steuereinnehmer notiert, dass das „Umgeld von denen dermahligen dreyen Wirthen [...] zur Zeit nicht in Ansatz gebracht werden [könne], weil dieselben gleich denen anderen, das benötigte Bier in Ebermannstadt zu nehmen gezwungen“ würden. 80 Der nur mehr geringe Ausstoß dürfte lediglich dem Eigenbedarf des Schlosses gedient haben. Um den Bierbezug aus Ebermannstadt umgehen zu können, musste man jetzt schon ins Bayreuthische gehen, wie die 1756 vollzogene Pfändung Hetzelsdorfer Bieres beim Pretzfelder Johann Rohner, der Stiebarscher Untertan war, dokumentiert. 81 Ungeachtet erheblicher Widerstände in der Bevölkerung und beim Adel hatten es die Ebermannstädter immer wieder geschafft, ihre Interessen auf Grundlage des Stadtprivilegs von 1323 gegenüber dem Umland durchzusetzen. Weder langwierige Gerichtsprozesse noch die Ungnade manches, den Landfrieden schützenden Kaisers hielten das Landstädtchen davon ab, seine Dominanz über die vermeintlich mindermächtigen, jedenfalls politisch schwächeren Nachbardörfer und Rittersitze zur Schau zu stellen - wenn nötig auch mit fragwürdiger Gewalt. Fast schien es so, als könne keine Macht, nicht einmal der als Mahner auftretende oberste Lehensherr und Fürstbischof, dem anmaßenden (kriegerischen) Treiben der kleinstädtischen Führungseli- 77 LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub- Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157, Actum Burggrub 3. Aug. 1755; vgl. auch StadtAE, A 10/ 030; StadtAE, A 10/ 031. 78 Vgl. die zahlreichen Akteneinträge aus den Jahren 1700 bis 1736 im Ebermannstädter Stadtarchiv, StadtAE, A 10/ 030; A 10/ 031; A 10/ 032. Allein für die Jahre 1733-1735 betrugen die Kosten für den von Ebermannstadt bestellten Agenten am Wiener Reichshofrat 95 Gulden 34 Kreuzer, vgl. StadtAE, A 10/ 030, Aufstellung der Prozesskosten vom 16. Juli 1735. Im Jahr 1700 waren für Ebermannstadt bereits 248 Gulden vier Groschen Anwaltskosten fällig gewesen, vgl. K RAUS , Pretzfeld, 130. Allgemein dazu H OFMANN , Bierkultur, 28. 79 K RAUS , Pretzfeld, 130; A RNETH , Ebermannstädter Bierkrieg, 268. 80 Zit. nach G LAS , Pretzfeld, Bd. 1, 565f., 569, vgl. auch ebd., 52. 81 Hetzelsdorf lag im Territorium und Hochgerichtsbezirk der Markgrafschaft Brandenburg- Bayreuth, vgl. „Actum Ebermannstatt, den 9. May 1756“, in: K RAUS , Häuser, 10. <?page no="208"?> Thomas J. Hagen 208 ten Einhalt gebieten. Die mit den gelungenen Machtdemonstrationen Ebermannstadts gegenüber den kleineren Ritterschaften gewachsene Überheblichkeit sollte jedoch eines Tages einen gründlichen Dämpfer erhalten. Von den Erfolgen, die mit den teils gewaltsamen Übergriffen erzielt worden waren, bestärkt, legte sich die Bamberger Kleinstadt und der dort residierende Vogt am Ende mit einem - wie sich zeigen sollte - zu großen Gegner an. Schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts war es mehrmals zu Auseinandersetzungen zwischen Ebermannstadt und dem Markt Muggendorf gekommen, der innerhalb der städtischen Bierbannmeile, jedoch außerhalb des Bamberger Territoriums in der markgräflich bayreuthischen, protestantisch geprägten Exklave Streitberg lag. Im Jahr 1748 und nochmals 1755 hatte sich der Rat der Stadt genötigt gesehen, in mehreren Ortschaften, so in Wölm, Wohlmannsgesees und Trainmeußel, Bierfässer gewaltsam pfänden zu lassen, die entgegen dem beanspruchten Monopol aus dem „fremdländischen“ Muggendorf bezogen worden waren. 82 Wie der Dorfschultheiß berichtete, seien „die Ebermannstädter Bürger mit gewaffender Hand [...] Sonntags Nacht zu Wohlmannsgeseeß eingefallen“, hätten „bey Hanns Trautner dasigen Unterthan ein Fässlein Bier, so er zu Muggendorf abgehohlet, und mit der Muggendorfer Eich ausgepfändet, hier weggenommen, und den Trautner mit sich nach Ebermannstadt geführet.“ 83 Desgleichen sei „auch dem Hanns Graffen zu Tr[ain]mäußel geschehen“. Sofort, so der Schultheiß, hätten „besagte Ebermannstädter Bürger mit dem bei sich gehabten Cent-Knecht den [für derlei Gefällsübertretungen zuständigen Beamten] Hanns Friedrich zu Wohlmannsgeseeß wegen unter dem Amt Streitberg begangenen einfachen Ehrbruch aufgesuchet, aber nicht bekommen.“ Die beiden Gefangenen seien schließlich am nächsten Tag aus dem „arrest entlassen worden, und hat jeder für den amtsfall 3 [Gulden] und 12 kr[euzer] zahlen müssen.“ 84 Offenbar aufgrund des schwelenden Prozesses beim Kreisgericht verzichteten die zuständigen Grundherren auf eine Entschädigung. Ende des 18. Jahrhunderts schien dann in den Augen der Ebermannstädter die Zeit reif für eine Abrechnung mit dem ungeliebten markgräflichen Nachbarn. Den Anlass für das Schauspiel des finalen „Kriegs en miniature, herbeigeführt durch die eifersüchtige Spannung der durch Regierung und Religion geschiedenen Bewohner“, 82 Ebd., 6, 8f.; vgl. auch LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub-Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157, Actum Burggrub 3. Aug. 1755 und 9. Sept. 1755. Bereits in den Jahren 1680-1683 war es zum Streit um das Verbot des Bierverlagsgeschäfts von Georg Trautner von Muggendorf in Gößmannsberg gekommen, vgl. LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub- Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 64/ 18. 83 LABW, Abt. StaatsA Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub- Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157, Actum Burggrub 3. Aug. 1755. 84 Ebd. <?page no="209"?> Der Krieg ums Bier 209 lieferten im Jahre 1786 die bischöflichen Untertanen und Beamten Ebermannstadts selbst. 85 Diesmal ging es nicht um den vordergründigen Bierverlag, sondern um den Anspruch über die Zent im kleinen, zwischen Muggendorf und Streitberg gelegenen Dörfchen Wöhr. Dort beanspruchte „seit undenklichen Zeiten“ auch der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth die hohe Gerichtsbarkeit. Dagegen protestierten nun die Ebermannstädter unter dem Bamberger Stadtvogt, was von bayreuthischer Seite ignoriert wurde. Darum fiel der Ebermannstädter Stadtvogt Handel, wie in den zurückliegenden „Bierkriegen“ erprobt, am 5. Mai 1786 um Mitternacht mit einer bewaffneten Mannschaft von Bürgern in Muggendorf ein, um zwei, wie es hieß, „der eifrigsten Gegner“, das heißt Kritiker Bambergs zu verhaften. 86 Zwar wollten die Markgräflichen den Streit auf gütlichem Wege beilegen, beharrten jedoch auf ihrer juristischen Oberhoheit über Wöhr. Als sichtbares Zeichen zogen die Streitberger „jedes Mal am Muggendorfer Kirchweihtag mit klingendem Spiele durch Wöhr“, wobei es dabei regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit Bamberger Untertanen kam. Da die bambergischen Einfälle auf markgräfliches Gebiet nicht aufhörten, in Wöhr gar ein bayreuthischer Husar misshandelt wurde, griff die hohenzollernsche Obrigkeit schließlich in das Geschehen ein, indem die Schuldigen verhaftet und eingekerkert wurden. In Ebermannstadt sann man nun auf Rache und wollte die verhafteten „Helden“ aus dem Streitberger Gefängnis befreien. Im Gegenzug sollten die vermeintlichen fremden Rädelsführer, nämlich der dortige Pfarrer Erb und einer der Streitberger Räte, abgeführt werden. Der erstere war den Bambergern ohnehin seit längerem suspekt, da er den amerikanischen Freiheitskrieg als Feldprediger mitgemacht hatte und augenscheinlich revolutionäres Gedankengut zu verbreiten drohte. Am Morgen des 19. Januar 1787 rückte nun der Bamberger Stadtvogt mit 700 Mann, „der ganzen waffenfähigen Mannschaft seines Distriktes“, gegen Streitberg aus. Obwohl die Streitberger nur rund 30, teils mit Flinten bewaffnete Männer aufbieten konnten, die lediglich durch ebenso viele Muggendorfer „Landsleute“ verstärkt worden waren, erwarteten sie den Ebermannstädter Heereshaufen todesmutig. In dem sich anschließenden Feuergefecht wurden schon bald ein Ebermannstädter Bürger tödlich in die Brust getroffen und mehrere andere Angreifer verwundet. Besonders, so berichten mündlich überlieferte Quellen, soll sich ein Schneider von Streitberg im Kampf ausgezeichnet haben, der, als sein Blei verschossen war, von zu Hause eilig „12-15 Paar gläserne Hemdknöpfe holte und nun diese unter die Feinde verschoss.“ 87 Nach kurzer Zeit begannen sich die Angreifer zurückzuziehen und als auch noch „die Dop- 85 K RAUßOLD / B ROCK , Geschichte der Fränkischen Schweiz, 143-145. 86 Ebd. 87 Ebd.; vgl. auch N EUBIG , Fehde zwischen Ebermannstadt und Streitberg. Nach letzterem marschierten die Ebermannstädter unter dem Oberbefehl ihres Bürgermeisters Lachmeyer nach Streitberg. <?page no="210"?> Thomas J. Hagen 210 Abb. 11: Streitberg mit dem Schloss und markgräflichen Amtshaus, nach einer Zeichnung von 1757; Kraußold/ Brock, Geschichte der Fränkischen Schweiz oder Muggendorfs und seiner Umgebungen mit einem kurzgefassten vollständigen Wegweiser für solche, welche die Gegend besuchen, Nürnberg 1837. pelhaken des Streitberger Schlosses sie begrüßten“, verwandelte sich der Rückzug in die wildeste Flucht. 88 Bayreuther Militär schützte von nun an die markgräflichen Untertanen. Den Ebermannstädtern bzw. Bambergern blieb letztlich nichts anderes übrig, als die Fehde auf dem Verhandlungswege beizulegen. Lange Zeit aber, so berichteten Zeitgenossen, „konnten die Ebermannstädter ihre Niederlage nicht verschmerzen, so wie sie den Mut ihrer kampffertigen Gegner hob.“ 89 Nicht nur für die evangelischen Muggendorfer und die Reichsritterschaft mag der verlorene Kriegszug der katholischen Städter eine Genugtuung gewesen sein, sondern auch für viele der unter dem Joch des Ebermannstädter Biermonopols stehenden Dörfer und Landbewohner. Die Einverleibung des Hochstifts Bamberg und damit auch Ebermannstadts und der Landgemeinden nach Bayern 1802/ 1803 brachte schließlich das Aus für die städtischen Bierverlagsprivilegien. Mit der Beseitigung des Bierbanns in der Provinz Bamberg im Jahr 1807 fielen die letzten Schranken für den Betrieb dörflichen bzw. privaten Bierbrauens und -ausschanks. 90 Durch die Gesetzgebung des modernen Bayern begünstigt, entstanden nun zahlreiche neue Brauereien und Wirtshäuser vor allem auf 88 K RAUßOLD / B ROCK , Geschichte der Fränkischen Schweiz, 145. 89 Ebd. 90 D IPPOLD , Kraftspender und Renommiergetränk, 56. <?page no="211"?> Der Krieg ums Bier 211 dem Land, die sich zu keinem geringen Teil bis heute gehalten haben. Auch die Gemeinde Pretzfeld ließ sich im Jahre 1803, also unmittelbar nach dem Anschluss an Bayern, den Bau und Betrieb eines eigenen Gemeindebrauhauses genehmigen. Dabei schien es gar nicht einmal wichtig, ob dieses, mit 13 Gulden durchaus teuer erkaufte Recht auch ausgeübt wurde (der tatsächliche Bau eines Brauhauses unterblieb) oder ob man dem Schlossbräu das Handwerk überließ. 91 Maßgeblich war, dass fortan jeder sein Bier dort kaufen konnte, wo er wollte und niemand mehr deswegen befürchten musste, vom Stadtvolk „überfallen“, „beraubt“ und bestraft zu werden. Die Seele des von Spitzeln, Amtsvögten und regelrechten Bierkriegen heimgesuchten Biertrinkers fand nun inmitten einer schier grenzenlos wirkenden Bierlandschaft ihre Ruhe, während so manch einer braubegeisterten Familie bis in unsere Tage das lang ersehnte und schließlich hart erkämpfte Recht der Herstellung ihres eigenen Gerstensaftes am Herzen liegt. Quellen und Literatur Archive Staatsarchiv Bamberg (StaatsAB) - Hochstift Bamberg, Hofkammer, Akten und Bände Nr. 1440. - Hochstift Bamberg, Hofkammer, Akten und Bände Nr. 2247. - Hochstift Bamberg, Kastenamt Scheßlitz Nr. 98. - Archiv der Freiherrn von und zu Aufseß, Sign. 2805. Landesarchiv Baden-Württemberg (LABW) - Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub-Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 64/ 18. - Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg: Akten Burggrub-Greifenstein, Dep. 38 T 5 Nr. 157. Stadtarchiv Ebermannstadt (StadtAE) - A 10/ 020; A 10/ 021; A 10/ 024; A 10/ 026; A 10/ 027; A 10/ 028; A 10/ 030; A 10/ 031; A 10/ 032; A 10/ 050; A 10/ 051; A 10/ 052; A 10/ 053; A 10/ 054; A 10/ 055; A 10/ 056; A 10/ 057; A 10/ 070; A 10/ 100; A 10/ 101; A 10/ 102; A10/ 103; A 10/ 104; A 10/ 105; A 10/ 106; A 10/ 107; A 10/ 108; A 10/ 109; A 10/ 110; A 10/ 111. 91 Vgl. G LAS , Pretzfeld, 572 und 968. <?page no="212"?> Thomas J. 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Jahrhunderts noch stetig an Bedeutung gewann. 3 Bier und Bayern werden bis heute in einem Atemzug genannt. Bier trägt wie kein anderes Produkt zur bayerischen Identität bei, es „fungiert in Bayern nicht nur als Durstlöscher, Kommunikationsmittel oder Kennzeichen für den Erwachsenenstatus, sondern auch als Symbol für die regionale und lokale Zugehörigkeit“ 4 und macht die Bayern bis heute weltweit bekannt. Als Ausgangspunkt der Erfolgsgeschichte des bayerischen Nationalgetränks wird meist das altbayerische Reinheitsgebot von 1516 genannt; damit setzte der Siegeszug der bayerischen Brauerzeugnisse ein, der bis heute anhält. 5 Seit den 1860er Jahren erfuhr das Braugewerbe in Bayern einen Aufschwung, den es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur führenden Biermacht im Deutschen Reich und zu einem der führenden Produzenten in Europa werden ließ. Bedingt durch die Industrialisierung, die Einführung der Gewerbefreiheit sowie die Entwicklung technischer Neuerungen konnte die bayerische Brauindustrie ihre Produktion aufstocken und qualitativ verbessern, beispielsweise durch die Einführung neuer Brauverfahren oder den Einsatz der neuentwickelten Kältemaschine von Carl von Linde. 6 Der damit verbundene Aufstieg spiegelte sich auch in einem Konzentrationsprozess wider, aus dem einige wenige große Aktienbrauereien hervorgingen, gegen die sich aber auch kleine Landbrauereien, beispielsweise in Franken und Schwaben, behaupten konnten. München und die dortigen Großbrauereien wurden zu Innovati- 1 K REITTMAYR , Anmerkungen Codicem Maximilianeum, 1502. 2 R UDHART , Gewerbe, Bd. 2, 88. 3 Ebd.; K REITTMAYR , Anmerkungen Codicem Maximilianeum. 4 G ÖBEL , Bayern, 33. 5 J EHLE , Bier in Bayern, 92-94; E BBERTZ , Konzentration Braugewerbe, Bd. 1, 19f.; G ÖBEL , Bayern, 33-35. 6 Linde entwickelte 1873 seine Ammoniakkompressionsmaschine, die zur Kühlung des Gärvorgangs sowie der Lagerung des Bieres in den Brauereien eingesetzt wurde, wodurch die großen Brauereibesitzer unabhängig von den jahreszeitlichen Gegebenheiten wurden, vgl. L INDE , Brauwesen, 237f. <?page no="216"?> Corinna Malek 216 ons- und Fortschrittszentren; insbesondere die Familien Sedlmayr und Pschorr avancierten zu Pionieren dieses Wirtschaftszweigs. Gleichzeitig entwickelte und professionalisierte sich das Brauwesen durch wissenschaftlich fundierte Forschung und Ausbildung mit eigenem Ausbildungszentrum in Weihenstephan. Zudem entstanden in dieser Zeit die beiden großen Vertretungsorgane der Branche, der Deutsche Brauerbund 1871 und der Bayerische Brauerbund 1879/ 80, die über eigene Zeitschriften die Kommunikation innerhalb der Branche ermöglichten. 7 Der Aufstieg der bayerischen Brauindustrie wurde immer wieder von Konflikten beeinträchtigt, die sich meist an der Höhe und der Festsetzung des Bierpreises bzw. der Biersteuer entzündeten. Doch wirkte sich keine dieser Krisen so nachhaltig aus wie der Erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts stoppte jäh den Aufwärtstrend der bayerischen Brauindustrie und sorgte für eine tiefe Zäsur, die sich auch auf die Nachkriegsjahre auswirken sollte. Viele Brauereien verloren ihre Existenzgrundlage und mussten ihren Betrieb einstellen; besonders die kleinen und mittleren Brauereien wurden hart von Mangelwirtschaft und Sparmaßnahmen getroffen. Ebenso wirkte sich das Fehlen von Rohstoffen auf die Bierqualität und -quantität aus, was den Konsum stark zurückgehen ließ. 8 Obwohl der Erste Weltkrieg tiefe Einschnitte im bayerischen Brauwesen hinterließ, wurde diese Thematik bisher kaum historisch untersucht. In der landesgeschichtlichen Forschung fehlen entsprechende Studien. Auch das Jubiläumsjahr 2016, in dem eine Vielzahl neuer Publikationen rund um die Themen Bier und Reinheitsgebot erschienen, schloss die bestehenden Lücken nicht. 9 So stammt ein großer Teil der Arbeiten über die bayerisch-schwäbische Biergeschichte noch aus den 1930er Jahren, mit Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit und einzelnen Städten, vor allem Augsburg, Kempten und den Klöstern. Vereinzelt befassten sich Abschlussarbeiten mit der Biergeschichte von Städten oder Regionen, wie Kaufbeuren oder dem Allgäu, die jedoch 7 Polytechnischer Verein, Hundert Jahre technische Erfindungen, 312-314; L INDE , Brauwesen, 239f.; H ECKER , Bierbrauerei in Bayern, 149-151; D YCKHOFF , Geschichte bayerische Brauindustrie, 53f.; W EBER , 75 Jahre Bayerischer Brauerbund, 9-11, 13; M EUßDOERFFER / Z ARN- KOW , Das Bier, 116-118; H IRSCHFELDER / T RUMMER , Bier, 170-173, 178-180; F IEDER , Industrialisierung, 22-24, 27; E YMOLD , Ein Münchner, 33-37. 8 Anonym, Bierbrauerei in Bayern in den Kriegsjahren 1916 bis 1918, 2; W EBER , 75 Jahre Bayerischer Brauerbund, 30-33; E BBERTZ , Konzentration Braugewerbe, Bd. 1, 34-37; C ASPARY , Wirkungen des Kriegs, 84f., 87; J EHLE , Bier in Bayern, 269f. 9 Exemplarisch hierzu: R IEPERTINGER / B ROCKHOFF , Bier in Bayern; W INKLER , Ein Bier wie Bayern; H IRSCHFELDER / T RUMMER , Bier, 196; E YMOLD , Bier; DIES ., Ein Münchner, 37f.; H AMBERGER , Bier; StadtA Nürnberg, Bier. <?page no="217"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 217 nur teilweise publiziert wurden. 10 In den letzten zehn Jahren, wie auch anlässlich einzelner Jubiläen, entstanden außerdem einige Ausstellungskataloge und Aufsätze zur lokalen Braugeschichte einzelner Orte. 11 Der Erste Weltkrieg spielt darin für das Brauwesen keine Rolle, auch im Gebiet des heutigen Bayerisch-Schwaben. Stattdessen erfolgte die Aufarbeitung der Kriegsfolgen für die deutsche und bayerische Brauindustrie unmittelbar in den 1920er und 1930er Jahren durch die Braubranche selbst, mittels des Vergleichs der messbaren Zahlen der Vor- und Nachkriegszeit und der chronologischen Schilderung der während des Kriegs ergriffenen Maßnahmen sowie deren Auswirkungen. Die entsprechenden Ergebnisse wurden lediglich in den Fachpublikationen der großen Verbände veröffentlicht. Eine historische Aufarbeitung der Kriegs- und damit verbundenen Kriegswirtschaftsphase fehlt bis dato. Ziel soll es daher sein, eine erste historische Bewertung der Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf das bayerische Brauwesen vorzunehmen, die wichtigen Funktionsträger und Akteure dieser Zeit zu identifizieren und einen Einblick in die Situation in Schwaben zu geben. 12 1. Die Kriegsorganisation eines „bayerischen Nationalgewerbes“ - Rationierung und Bewirtschaftung Mit der Verhängung des Kriegszustands am 31. Juli 1914 und den zusätzlich erlassenen Bestimmungen ging die vollziehende Gewalt von den zivilen Behörden auf das 10 Beispielhaft seien angeführt: G EBELE , Chronik einer Augsburger Bierbrauerfamilie, 22-27; R OTTENKOLBER , Brau- und Wirtschaftsgewerbe Stift Kempten, 32-41; DERS ., Geschichte des Brauwesens ehemalige Stift Kempten, 20-36; DERS ., Geschichte schwäbischer Klosterbrauereien, 491f.; E BERLEIN , 350 Jahre Hasenbrauerei Augsburg; G SCHWIND , Geschichte des Augsburger Braugewerbes, 1-4; M ERKEL , Augsburger Brauereirealrechte; Anonym, Kurze Geschichte der Gesellschaftsbrauerei Augsburgs; K RUPKA , Geschichte des Brauwesens, 110-113; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe. 11 F IEDER , Flüssiges Brot; D OSER , Wirtschaften und Brauereien Gundelfingen; für einzelne Abhandlungen zum Bier in schwäbischen Ortsgeschichten S PINDLER , Hopfen und Malz, 1-24; D IETSCH , Hopfen und Malz; DERS ., Memmingens erste Großbrauerei; DERS ., Zum goldenen Hirsch; DERS ., Vom „Schwarzen Rappen“ zum „Raben“; H AUG , Bier aus Neu-Ulm; K NITTEL , 400 Jahre Gastronomie; K OHLBERGER , Sommerbierkeller. 12 J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges; C ASPARY , Wirkungen des Kriegs; G SCHWEND , Außenhandel der Münchener Ausfuhrbrauereien; K ÖNIG , Einwirkungen des Weltkriegs; Anonym, Die Rentabilität der bayerischen Aktienbrauereien; Anonym, Bierbrauerei in Bayern in den Kriegsjahren 1916 bis 1918; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft; W ERZ , Nordbayerische Brauereien; R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg; W OLFF , Bierpreise in der Kriegswirtschaft. <?page no="218"?> Corinna Malek 218 Militär über. 13 Für die bis dato freie Wirtschaft bedeutete dies, dass sie sich an die Anforderungen des Kriegs anzupassen hatte und staatliche Eingriffe durch den Kriegszustand sanktioniert wurden, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Da das Deutsche Reich und Bayern auf eine kurze Kriegsdauer eingestellt waren, wurden keine besonderen wirtschaftlichen Vorkehrungen getroffen. Da sich bereits nach dem ersten Kriegshalbjahr diese Annahme als großer Fehler herausstellte und die ersten Nahrungsmittel begannen knapp zu werden, wurden ab dem Jahresfortgang 1914 verschiedene staatliche Verordnungen zu Höchstpreisen und Einsparungsmaßnahmen erlassen, um die Versorgung und Verteilung von Rohstoffen und Lebensmitteln staatlich zu steuern. Ab Februar 1915 erließen die zuständigen Behörden die ersten Bewirtschaftungsmaßnahmen für Brotgetreide und Mehl, in deren Nachgang weitere Verordnungen ergingen und ein staatliches Verwaltungsnetz zentraler Stellen 14 aufgebaut wurde. Dieses hatte die Versorgung zu koordinieren und den zunehmenden Mangel zu verwalten. 15 Für das bis dato boomende bayerische Brauwesen 16 bedeutete der Kriegsausbruch zunächst kaum Einschränkungen des freien Handels, lediglich der Export in die nun als Kriegsgegner angesehenen Länder wie auch in andere deutsche Länder wurde eingedämmt. Dies betraf vor allem die Export- und Großbrauereien, während die kleinen und mittelständischen Brauereien, deren Absatzgebiete meist innerhalb der nationalen und regionalen Grenzen lagen, kaum betroffen waren. Hingegen traf der Verlust von Arbeitern, Konsumenten und Betriebsmitteln, beispielsweise Pferde oder Lieferwägen, die vom Militär beschlagnahmt wurden, sämtliche Brauereien. Ebenso machte die Verhängung erster Höchstpreise für Getreide ab Sommer 1914 13 Der am 31. Juli 1914 von Kaiser Wilhelm II. für das Reich proklamierte Kriegszustand galt nicht automatisch für Bayern. Dieser musste vom bayerischen König gesondert erklärt werden, vgl. S UTNER , Gesetz über den Kriegszustand, 1f., 7f.; S AUPE , Kriegszustand. 14 Bayern nahm in der Kriegswirtschaft des Reiches eine Sonderstellung ein, da das Land formal als ein Kommunalverband galt. In Bayern selbst wurde ein eigenes Verwaltungsnetz an staatlichen Landesstellen, halbprivaten Kriegsgesellschaften und den regionalen Kommunalverbänden eingeführt, was sich auch auf die Bewirtschaftung im Brauwesen auswirkte, vgl. W OER- NER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 1, 15f.; G ÖMMEL , Gewerbe, Handel und Verkehr, 249f. 15 F UCHS , Geschichte der Bayerischen Armee, 94, 102-104; S PERL , Wirtschaft und Staat, 26f., 29-31; U LLMANN , Kriegswirtschaft, 220, 222f.; V OLKERT , Handbuch Ämter, Gerichte und Gemeinden, 278f., 380-383. 16 Trotz eines zahlenmäßigen Rückgangs von Brauereien, Brauern und einem rückläufigen Malzverbrauch steigerte sich der Biererzeugung und der -export bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs, vgl. J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 3-5; R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 2f. <?page no="219"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 219 und für Gerste im Oktober und Dezember 1914 den Brauereien zu schaffen. 17 Unter den damit einhergehenden Preistreibereien, die bereits im Vorfeld der Höchstpreiserlasse ausbrachen, hatten viele kleine und mittlere Braubetriebe zu leiden. Die Einschnitte beeinflussten den Betrieb und Absatz der Brauereien schon in den ersten Kriegswochen, obwohl die Brauindustrie noch weitgehend von staatlich regulierenden Eingriffen bis zum Februar 1915 verschont blieb. Erst dann trafen die ersten direkten Zwangsmaßnahmen das Gewerbe mit der Kontingentierung von Gerste und des daraus hergestellten Malzes. Dennoch konnte sich die bayerische Brauindustrie über die Kriegsdauer aufgrund ihrer Leuchtturmstellung in der bayerischen Wirtschaft gegenüber Zwangsmaßnahmen besser behaupten als die Konkurrenz im Reich. 18 Außerdem engagierten sich vor allem der Deutsche und Bayerische Brauerbund in einzelnen Bereichen der Kriegswirtschaft, um deren Auswirkungen auf das gesamte Braugewerbe abzufedern. Neben den beiden Verbänden taten sich einzelne Brauunternehmer in verschiedenen Funktionen hervor. Auch hatte das bayerische Braugewerbe das Potential einer kriegswichtigen Industrie, da Bier in Bayern als Nahrungsmittel und als wichtig für die Hebung der Volksstimmung galt, auch bei den an der Front stehenden Soldaten. 19 Die staatliche Kriegsorganisation des Braugewerbes in der Heimat war zweigeteilt: einerseits regelte man mit neuen Verwaltungsstellen die zivile Bierproduktion und -versorgung, während andererseits für die Versorgung der kämpfenden Truppen eigene, beim Militär angesiedelte Verwaltungsorgane geschaffen wurden. Generell operierten die Verwaltungsstellen mit dreierlei Instrumenten: der Festsetzung von Höchstpreisen, der Erfassung und Zuteilung der vorrätigen Rohstoffe und den Verboten des freien Handels. Per Verordnungen und Erlassen wurden entsprechende Regelungen in Kraft gesetzt. Doch besaßen die staatlichen Stellen keine monopolistische Stellung, sodass sie nicht allein für die Regelung der Versorgung zuständig waren. Stattdessen existierten parallel zu den staatlichen Stellen auch halbprivate Kriegsge- 17 Gesetz, betreffend Höchstpreise vom 4.8.1914, in: RGBl 1914, 339; Bekanntmachung über die Höchstpreise für Getreide und Kleie vom 28.10.1914, in: RGBl 1914, 462-464; Bekanntmachung über die Höchstpreise für Roggen, Gerste und Weizen vom 19.12.1914, in: RGBl 1914, 527-530; Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 67f. 18 Die indirekte Biersteuer, die seit 1807 für alle Landesteile erhoben wurde, war ein wesentlicher Einnahmeposten für den bayerischen Staat, die er sich auch nach der Eingliederung ins Deutsche Kaiserreich bewahrte. Daher verdiente der Staat an einem florierenden Brauwesen kräftig mit, vgl. T EICH , Biertrinker, 672f.; J EHLE , Bier in Bayern, 160; H ENßLER , Biersteuer. 19 L ANGE , Wirkungen des bayerischen Malzaufschlagsgesetz, 261-263; D YCKHOFF , Geschichte bayerische Brauindustrie, 54; H ECKER , Bierbrauerei in Bayern, 157f.; S KALWEIT , Kriegsernährungswirtschaft, 77-79; Anonym, Wirkung des Krieges, 352; Anonym, Die Lage der Brauindustrie, 361; Anonym, Kriegsjahr! , 422; S PERL , Wirtschaft und Staat, 27f. <?page no="220"?> Corinna Malek 220 sellschaften, die sich hauptsächlich auf Reichsebene bildeten und diverse Versorgungs- und Verteilungsaufgaben übernahmen, oftmals im Verbund mit den jeweiligen Branchenverbänden. Daneben stellten die Kommunalverbände auf der untersten Verwaltungsebene einen wichtigen Akteur dar, der die Versorgung vor Ort koordinierte. Dies verkomplizierte das Versorgungssystem und die Kriegswirtschaft, da sich Zuständigkeitsbereiche überschnitten bzw. nicht klar voneinander abgegrenzt waren. Das bayerische Braugewerbe betraf dies insbesondere bei der Versorgung mit den Grundrohstoffen Gerste, Malz und Weizen und bei der Veräußerung des fertigen Endprodukts. Staatlich-zivile Stellen konkurrierten mit militärischen und halbprivaten Kriegsgesellschaften, die teilweise für Bayern eigene Zweigstellen errichteten. 20 Für die zivile Rohstoffbewirtschaftung der Brauindustrie mit Gerste, Malz und Weizen waren mehrere bayerische Kriegsstellen und -gesellschaften zuständig, die sowohl staatlicher als auch privater Natur waren. Einerseits fiel die Bewirtschaftung in den Zuständigkeitsbereich derjenigen Stellen, die für die Getreide- und Futtermittelrationierung zuständig waren, während andererseits aber auch die privaten Kriegsgesellschaften die Bewirtschaftung und Verteilung der Gerste und Weizen mit übernahmen. Eigentlich unterstand die Getreidebewirtschaftung im Reich der Reichsgetreidestelle, 21 die diese zentralistisch für alle Länder des Reichs organisierte. Die Futtermittelverteilung war Sache der Reichsfuttermittelstelle. Der bayerischen Regierung gelang es allerdings zu Kriegsbeginn, auch durch die eigenständigen Regelungen des bayerischen Kriegszustandsgesetzes, sich wirtschaftliche Verwaltungsfreiheiten zu erhalten und sich der reichsweiten Zentralisierung größtenteils zu entziehen. Parallel zum Reichssystem konnte Bayern gemäß den Statuten des Kriegszustandsgesetzes ein eigenes Versorgungssystem aufbauen. Im Bereich der Getreide- und Futtermittelversorgung galt Bayern „gegenüber der Reichsgetreidestelle [und der Reichsfuttermittelstelle] als einheitlicher Kommunalverband mit dem Rechte der Selbstbe- 20 H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 5; U NGER , Anfänge Kriegswirtschaft, 53; Z IEGLER , Kriegswirtschaft, 315; V AN DE K ERKHOF , Friedenszur Kriegswirtschaft, 235, 241f.; DIES ., Kriegswirtschaft, 119f., 123f.; S PERL , Wirtschaft und Staat, 29-31. 21 Die Reichsgetreidestelle wurde 1917 im Zuge des Erlasses der Reichsgetreideordnung errichtet und löste die bisherige Struktur der Reichsverteilungsstelle, der Kriegsgetreidegesellschaft und des Reichskommissars ab. Alle drei Stellen entstanden Ende 1914, um die immer komplexer werdenden Aufgaben der Brotbewirtschaftung (Erfassung und Einziehen vorhandener Getreidemengen, Festlegung des Ausmahlsatzes der einzelnen Getreidearten, Verteilung der jeweiligen Mehl- und Brotmengen) organisieren und durchführen zu können. Dabei war die Reichsverteilungsstelle eine staatliche Behörde, während die Kriegsgetreidegesellschaft eine privatwirtschaftliche Gründung war. Zusätzlich zu den beiden Stellen wurde noch ein Reichskommissar eingesetzt, vgl. S KALWEIT , Kriegsernährungswirtschaft, 167-170; D ANIEL , Arbeiterfrauen, 188f.; D IX , Wirtschaftskrieg, 251f., 279; Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 63; Reichsgetreideordnung für die Ernte 1917 vom 22.6.1917, in: RGBl 1917, 511-514. <?page no="221"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 221 wirtschaftung und Selbstbelieferung“, 22 sodass die Getreide- und Futtermittelbewirtschaftung innerhalb des bayerischen Staatsgebiets selbst übernommen, geregelt und durch spezifisch bayerische Ausführungsverordnungen der allgemein gültigen Reichsgesetzgebung erweitert werden konnte. Es gelang, dass „zunächst die Kriegsgetreidegesellschaft ihren Tätigkeitsbereich auf Bayern nicht erstreckte, sodaß Bayern dem Reiche gegenüber nur die Verpflichtung hatte, dafür zu sorgen, daß der Verbrauch auf den Kopf der Bevölkerung nicht höher als im übrigen Reiche war.“ 23 Maßgebende staatliche Stellen der Getreidebewirtschaftung waren für den Brausektor in Bayern die 1915 geschaffene Bayerische Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl, die beim Statistischen Landesamt angesiedelt war und im August 1917 durch die Bayerische Landesgetreidestelle abgelöst wurde. Parallel dazu bestanden als private Kriegsgesellschaften die 1915 gegründete Gersten-Verwertungsgesellschaft mbH, Zweigniederlassung für Bayern rechts des Rheins, die im August 1916 in die Reichs- Gerstengesellschaft mbH, Abteilung Bayern, umgewandelt wurde. 1916 kamen zwei weitere Kriegsgesellschaften hinzu: für die Bewirtschaftung und Verteilung des Brauweizens gründete sich im Oktober die Brauweizen-Verteilungsstelle für Bayern rechts und links des Rheins mbH, während bereits im Januar die Bayerische Verteilungsstelle für Malzkontingente in München ins Leben gerufen wurde. 24 Gerste wurde für die Brauereien zu einem knappen Gut, weil sie auch bei der Brotherstellung und später als Futtermittel eine wichtige Rolle spielte. Bereits im Herbst 1914 verfehlte die Getreidebevorratung ihr Ziel, „den deutschen Bedarf […] an Weizen und an Gerste“ 25 zu decken. Als die Vorräte zur Neige gingen, versuchten die Behörden mit dem Erlass von Höchstpreisen und erhöhten Ausmahlungsgraden der einzelnen Getreidesorten gegenzusteuern. Betroffen war auch die Gerste, die als Streckungszusatz des Mehls in den Brotteig gemischt wurde. Entsprechend setzte man von staatlicher Seite im Oktober und Dezember 1914 die ersten Höchstpreise für Gerste fest, bevor schließlich die Beschlagnahme mit der Bundesratsbekanntmachung 22 W OERNER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 16. 23 Ebd., 15. 24 Ebd., 3f., 15f.; Statistisches Landesamt, Kriegsstellen, 7, 14-16; H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 91-93; S OLLEDER , Kriegsstellen, 164f., 174f.; Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 55; BayHStA, MKr 12868, Schreiben Brauweizen-Verteilungsstelle an K. Bayer. Kriegsministerium, 19.12.1916; BayHStA, MLa 1627, Schreiben Verein bayerischer Weizenbierbrauer und Schutzverband bayerischer Weizenbierbrauer an Königliches Staatsministerium des königlichen Hauses und des Äußern, 3.10.1916. 25 Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 48. <?page no="222"?> Corinna Malek 222 über Brotgetreide und Mehl im Januar 1915 26 verfügt und die gesamte Getreidebewirtschaftung neu geregelt wurde. Durch die für Bayern erlassenen Durchführungsbestimmungen schuf man am 27. Februar 1915 die Bayerische Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl, deren Abteilung für Brotstreckungsgerste den Ankauf und die Verteilung der Gerste durchführte. Als Hauptaufgabe übernahm die Landesvermittlungsstelle die Aufstellung des Landesverteilungsplans, 27 der die Zuteilung der jeweiligen Mehl- und Getreidemengen an die einzelnen Kommunalverbände festlegte. Um Zuteilungen zu erhalten, mussten die Kommunalverbände ihre Vorräte und ihren potentiellen Bedarf bei der Landesvermittlungsstelle melden. Um die Verteilung effektiver vorantreiben zu können, schuf man mit den Kreisvermittlungsstellen bei den Kreisregierungen eine weitere hierarchische Ebene, die „den Ausgleich der im Kreis vorhandenen Vorräte zwischen den einzelnen Kommunalverbänden zu betätigen, Angebot und Nachfrage zu vermitteln sowie bis zur endgültigen Regelung einstweilen im Falle dringenden Bedarfs die Anordnung der Übereignung von Mehl zwischen verschiedenen Kommunalverbänden des Regierungsbezirkes vorzunehmen“ 28 hatten. Als Folge dieser zusätzlichen Nutzung der Gerste entstand für die Brauereien und andere gerstenverarbeitende Betriebe, wie Malz(kaffee)fabriken oder auch Brennereien, ein Rohstoffengpass. 29 Zu diesem Engpass trug außerdem bei, dass sich auch die Vorräte an Tierfutter, besonders von Hafer für die Pferde, verknappten und man sich somit nach Alternativen umsah. Einen möglichen Ersatz entdeckte man in der Gerste und rief dazu auf, Gerste statt Hafer an die Tiere zu verfüttern. Dadurch traten die zivilen Pferdebesitzer in Konkurrenz zu den Brauereien. Geregelt wurde die Bewirtschaftung der Gerste durch die Bekanntmachung des Bundesrats über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9. März 1915, die zunächst eine Beschlagnahme sämtlicher Gerstenvorräte im Reich und in Bayern zur Folge hatte. Durch eine Intervention der bayerischen Regierung blieben die bayerischen Brauereien von der Beschlagnahme ausgenommen, sie durften ihre seit Februar kontingentierten Gerstenvorräte behalten und zu Malz weiterverarbeiten. Durchgeführt wurde die Beschlagnahme und Verteilung der Gerste 26 Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25.1.1915, in: RGBl 1915, 35-45. 27 Der Landesverteilungsplan basierte auf den Vorgaben des Reichsverteilungsplans, den die Reichsverteilungsstelle für die Getreide- und Mehlzuteilungen an die einzelnen Kommunalverbände im Reich aufstellte. Da Bayern als einheitlicher Kommunalverband gegenüber der Reichsverteilungsstelle galt, verteilte die Landesverteilungsstelle die zugewiesenen Mengen über den Landesverteilungsplan je nach dem jeweils gemeldeten Bedarf und Vorräten an die bayerischen Kommunalverbände weiter, vgl. Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 7. 28 Ebd. 29 W OERNER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 28f.; Statistisches Landesamt, Kriegsstellen, 7; Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 50-55, 57f., 67f.; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 7f. <?page no="223"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 223 als Pferdefutter von der Zentralstelle zur Beschaffung der Heeresverpflegung. 30 Die von der Zentralstelle an Bayern zugeteilten Mengen verteilte das Innenministerium an die Kommunalverbände, die wiederum in ihrem Amtsbereich die Gerste den entsprechenden Empfängern zuteilten. Da sich die beschlagnahmten Mengen allerdings durch neuerliche militärische Requirierungen weiter verminderten und somit für die zivile Pferdeversorgung nicht ausreichten, besserte der Bundesrat im Mai 1915 an den Regelungen des Verkehrs mit Gerste nach, sodass nun auch die vorher von der Beschlagnahme verschonten Brauereien betroffen waren. Ihnen wurde die Weiterverarbeitung ihrer Gerstenvorräte verboten und auferlegt, „die Vorräte und ihre Eigentümer dem Deutschen Brauerbund E. V. in Berlin bis zum 1. Juni 1915 anzuzeigen.“ 31 Dieser sammelte die Daten und leitete sie an die Zentralstelle zur Beschaffung der Heeresverpflegung weiter. Um den Bedarf an Gerste als Ersatzfuttermittel zu sichern, erließ der Bundesrat im Juni 1915 eine weitere Bekanntmachung, in der er die generelle Beschlagnahme der Gerstenernte von 1915 durch die Zentralstelle zur Beschaffung der Heeresverpflegung verfügte. Die Verteilung der beschlagnahmten Mengen erfolgte über die jeweiligen Kommunalverbände. Hingegen verfügte der Bundesrat für die Verbrauchsregelung, das heißt die Verarbeitung, dass die im Juli 1915 errichtete Reichsfuttermittelstelle 32 festlegte, „welche Betriebe Gerste verarbeiten oder verarbeiten lassen dürfen und in welcher Menge (Kontingent).“ 33 Hierfür wurde eine eigene Abteilung bei der Reichsfuttermittelstelle eingerichtet. Für die bayerischen 30 Die Zentralstelle zur Beschaffung von Heeresverpflegung entstand am 22. August 1914 durch eine Verfügung des Reichskanzlers als Reichskommission beim Reichsamt des Innern. Ihre Aufgabe bestand in der Beschaffung und Sicherung des militärischen Verpflegungsbedarfs des Heers an Getreiden (Roggen, Weizen, Mehl, Kleie, Stroh, Gerste) und lebendem Vieh. Nicht zuständig war die Zentralstelle für die Versorgung der Reichsmarine als auch der bayerischen und württembergischen Heertruppen, diese besaßen jeweils eigene Versorgungsapparate, vgl. H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 21; S KALWEIT , Kriegsernährungswirtschaft, 176f.; D A- NIEL , Arbeiterfrauen, 199f. 31 Bekanntmachung betreffend Änderung der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9.3.1915 vom 17.5.1915, in: RGBL 1915, 283. 32 Die Reichsfuttermittelstelle wurde per Bundesratsbekanntmachung am 23. Juli 1915 errichtet, um den Verkehr mit Hafer, Gerste, zuckerhaltigen Futtermitteln und Kraftfuttermitteln anhand der dazu erlassenen Vorschriften zu koordinieren. Daneben oblag ihr die Sicherung und Verteilung aller verfügbaren Futtermittel im Reich, dazu gehörte auch die Futtergerste, vgl. H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 23; Bekanntmachung über die Errichtung einer Reichsfuttermittelstelle vom 23.7.1915, in: RGBl 1915, 455-458. 33 Bekanntmachung über den Verkehr mit Gerste aus dem Erntejahr 1915 vom 28.6.1915, in: RGBl 1915, 388. <?page no="224"?> Corinna Malek 224 Brauereien bedeutete dies, dass die Reichsfuttermittelstelle ihnen ihr festgelegtes Malzkontingent „im Verhältnis 75: 100 in Gerste umgerechnet“ 34 zuwies. 35 Bevor allerdings die Bestimmungen zur Regelung des Gerstenverkehrs und -verbrauchs erlassen wurden, hatte der Bundesrat bereits am 15. Februar 1915 den Malzverbrauch der Brauereien durch die Festsetzung von Höchstmengen kontingentiert. Er setzte fest, dass „in jedem Vierteljahr nur sechzig Hundertteile des im gleichen Vierteljahr der Jahre 1912 und 1913 durchschnittlich zur Bierbereitung verwendeten Malzes“ 36 betragen sollte. Kleinere Brauereien, „deren vierteljährliche durchschnittliche Malzverwendung vierzig Doppelzentner“ 37 nicht überstieg, durften hingegen „siebenzig [sic! ] Hundertteile der berechneten Malzmenge verwenden.“ 38 Die tatsächlich zuzuteilenden Malzmengen wurden zunächst von den zuständigen Steuerbehörden zugewiesen, die diese anhand der im Stichjahr 1912/ 13 versteuerten Malzmengen errechneten. In Bayern übernahmen diese Aufgabe die zuständigen Hauptzollämter. Ab Juli 1915 oblag der neu errichteten Reichsfuttermittelstelle die Festsetzung der Malzkontingente, die Zuteilung der tatsächlichen Malzmengen übernahm hingegen die 1915 neu gegründete Gersten-Verwertungsgesellschaft mbH, Zweigniederlassung für Bayern, die im August 1916 durch die Reichs-Gerstengesellschaft mbH, Abteilung Bayern abgelöst wurde. Praktisch bedeutete die Verordnung für die Brauereien, dass ihnen zwischen dem 1. April und dem 31. Juli 1915 nur 60 Prozent der Malzmengen von 1912/ 13 zur Verfügung standen. Die 60prozentige Kontingentsregelung hatte kein Jahr bestand; bereits am 31. Januar 1916 setzte der Bundesrat die Höhe des 60prozentigen Malzkontingents „um ein Fünftel“ 39 herab, am 7. Oktober 1916 verfügte er schließlich eine weitere Reduzierung auf 48 Prozent des Stichjahres 1912/ 13, das Kontingent der kleineren Brauereien wurde auf 56 Prozent herabgesetzt. Zwei Monate später, am 16. Dezember 1916, folgte reichsweit eine weitere Reduzierung auf 25 Prozent, die bayerischen Brauereien erhielten hingegen ein höheres Kontingent von 35 Prozent. Eine letzte Verringerung der Malzkontingente traf die Brauwirtschaft 34 Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 72. 35 Ebd., 69-72; Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9.3.1915, in: RGBl 1915, 139-145; Bekanntmachung, betreffend Änderung der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9. März 1915 vom 17.5.1915, in: RGBl 1915, 282f.; Bekanntmachung über den Verkehr mit Gerste aus dem Erntejahr 1915 vom 28.6.1915, in: RGBl 1915, 384-392; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 4f. 36 Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15.2.1915, in: RGBl 1915, 97. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Bekanntmachung über die Herabsetzung der Malz- und Gerstenkontingente der gewerblichen Bierbrauereien für die Zeit vom 1. Oktober 1915 bis 31. Oktober 1916 vom 31.1.1916, in: RGBl 1916, 77. <?page no="225"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 225 im November 1917, als im Reich nur noch zehn Prozent, in Bayern hingegen 15 Prozent der Malzmengen von 1912/ 13 verarbeitet werden duften. 40 Die Einführung der Malzkontingente ab Februar 1915 führte zur Einrichtung einer weiteren Bewirtschaftungsstelle, aufgrund des Paragraphen drei der Bekanntmachung vom Februar 1915, nach der ein Übertrag ins nächste Vierteljahr oder ein Verkauf nicht verwendeter Kontingente möglich gemacht wurde. Hierzu erließ Bayern zusätzliche Ausführungsbestimmungen, die sicherstellten, dass der Verkauf oder Übertrag der übriggebliebenen Kontingente nur innerhalb Bayerns stattfinden konnte. Dies führte zu einem florierenden Handel mit Malzkontingenten, gegen den die staatlichen Behörden im Jahresverlauf 1916 mit mehreren Verordnungen und Bekanntmachungen vorzugehen versuchten. In Bayern mündete dies in die Errichtung der Bayerischen Verteilungsstelle für Malzkontingente in München am 31. Januar 1916, im Geschäftsbereich des stellvertretenden Generalkommandos I. Armeekorps. Aufgabe der Verteilungsstelle war es, die nicht ausgenutzten Malzkontingente zu ermitteln und diese an jene Brauereien zu verkaufen, die Bedarf angemeldet hatten. Außerhalb Bayerns wurde der Malzkontingenthandel von der Norddeutschen Brausteuergemeinschaft oder den jeweils zuständigen Länderbehörden organisiert. Ab Dezember 1916 fiel der außerbayerische Kontingenthandel dem Aufgabenbereich der Reichs-Gerstengesellschaft mbH zu, bei der eine eigene Abteilung mit dem Namen Kontingentübertragung eingerichtet wurde. 41 40 Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15.2.1915, in: RGBl 1915, 97f.; Bestimmungen zur Ausführung der Bundesratsverordnung über die Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15. Februar 1915 vom 27.2.1915, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 43 (1915), 233; Bekanntmachung über die Herabsetzung der Malz- und Gerstenkontingente der gewerblichen Bierbrauereien für die Zeit vom 1. Oktober 1915 bis 31. Oktober 1916 vom 31.1.1916, in: RGBl 1916, 77; Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7.10.1916, in: RGBl 1916, 1137; Verordnung über die Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 16.12.1916, in: RGBl 1916, 1403; Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandeln vom 20.11.1917, in: RGBl 1917, 1058; W OLFF , Wichtige Kriegsgesetze, 27-31; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 70f.; W OERNER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 29f. 41 R OTH , Kriegsanordnungen 1918, 45f.; Bestimmungen zur Ausführung der Bundesratsverordnung über die Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15. Februar 1915 vom 27.2.1915, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 43 (1915), 233-236; Bekanntmachung über den Verkehr mit Malzkontingenten vom 31.1.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 214f.; Bekanntmachung zur Ausführung des § 4 der Verordnung über Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie dem Malzhandel vom 7. Oktober 1916 vom 8.12.1916, in: RGBl 1916, 1347f. <?page no="226"?> Corinna Malek 226 Nach der Regelung des Verkehrs mit Gerste im März 1915, erließ der Bundesrat zeitgleich mit den Nachträgen zur Regelung des Gerstenverkehrs am 17. Mai 1915 eine allgemeine Bekanntmachung über Malz, die nun nicht mehr nur die Brauereien betraf. Ziel der Malzbekanntmachung war es, einerseits die vorhandenen Malzvorräte bei Brauereien und weiteren malzverarbeitenden Betrieben festzustellen und andererseits Malzhandel und -verteilung zu zentralisieren. Vorratserhebung und Malzhandel bzw. -verteilung wurden in die Hände des Deutschen Brauerbunds in Berlin gelegt, der gleichzeitig mit der Vorratserhebung der Gerste beauftragt worden war. Die Regelung des Malzhandels bestand lediglich ein Jahr, Anfang Mai 1916 wurde sie zunächst verändert, bevor sie am 23. Mai gänzlich aufgehoben wurde. Neu geregelt wurde der Malzhandel fünf Monate später mit der Verordnung vom 7. Oktober 1916, die zugleich die Malzkontingente für Brauereien auf 48 Prozent herabgesetzt hatte. Weitere Nachträge und Veränderungen folgten 1917 im Zuge der kommenden Kontingentierungsvorschriften. 42 In die Gerste- und Malzversorgung der Brauereien waren damit mehrere Stellen eingebunden. Um die Zuteilung und den Ankauf entsprechender Mengen an die gerstenverarbeitenden Betriebe innerhalb des neuen gesetzlichen Rahmens zu sichern, gründeten Vertreter aus den Reihen der auf die Gerste angewiesenen Industrien eine eigene Kriegsgesellschaft, die Gersten-Verwertungsgesellschaft mbH, „die mit dem Rechte des alleinigen Gerstenankaufes […] von der Reichsfuttermittelstelle ausgestattet wurde.“ 43 Aufgrund des Stellenwerts der Gerste für die Brauereien und Malzkaffeefabriken gründete man für das rechtsrheinische Bayern eine eigene Zweigstelle mit Sitz in München, „die die Aufgabe hat[te], aus den bayerischen Gerstenvorräten den Bedarf der bayerischen Betriebe vorweg sicher zu stellen.“ 44 Dazu kaufte die Gesellschaft über Kommissionäre 45 die in Bayern vorhandenen Gerstenvorräte an und teilte 42 Bekanntmachung über Malz vom 17.5.1915, in: RGBl 1915, 279-282; Bekanntmachung über Verbot des Malzhandelns vom 4.5.1916, in: RGBl 1916, 355-358; Bekanntmachung über das Außerkrafttreten der Verordnung vom 17. Mai 1915 vom 23.5.1916, in: RGBl 1916, 404; Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7.10.1916, in: RGBl 1916, 1138f.; Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7. Oktober 1916 vom 20.11.1917, in: RGBl 1917, 1058; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 70; B ORKENHAGEN , 100 Jahre, 77f. 43 Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 73. 44 Ebd. 45 Kommissionäre waren Ankäufer, die im Auftrag der jeweiligen Kommunalverbände die Gerstenvorräte bei den Erzeugern ankauften. Sie agierten als eine Art Zwischenhändler zwischen den Erzeugern und dem Kommunalverband. Beim Ankauf der Gerste fungierte der Kommissionär hingegen als An- und Verkäufer zunächst für die Gersten-Verwertungsgesellschaft, dann für die Reichs-Gerstengesellschaft und schließlich für die Landesgetreidestelle, vgl. <?page no="227"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 227 diese an die Betriebe über Gerstenbezugsscheine zu. Deren Höhe richtete sich nach den individuellen Kontingentsmengen, die ein gerstenverarbeitender Betrieb von der Reichsfuttermittelstelle nach den gesetzlichen Vorgaben zugeteilt erhielt. Für die bayerischen Brauereien bedeutete dies, dass sie nun alleinig von der Gersten-Verwertungsgesellschaft mit den ihnen zustehenden Gerstenmengen versorgt wurden, allerdings gekoppelt an die entsprechenden Gersten- und Malzbezugsscheine, die dazu überhaupt berechtigten. Im Juli 1916 erneuerte der Bundesrat die Vorschriften über die Gerstenernte mittels einer Bekanntmachung, in deren Folge die Gersten-Verwertungsgesellschaft in die Reichs-Gerstengesellschaft umgewandelt wurde. „Die ‚Gersten-Verwertungsgesellschaft m. b. H., Zweigniederlassung für Bayern r. d. Rh. in München‘ hat[te] mit dem 1. August 1916 ihre Tätigkeit beendigt“, 46 ihr Nachfolger war die am 3. August 1916 neugegründete Reichs-Gerstengesellschaft mbH, Abteilung Bayern, die ihre Aufgaben ohne Änderung übernahm und bis zu ihrer Auflösung 1918 weiterführte. 47 Eine letzte zivile Stelle, die ab 1916 in die Rohstoffbewirtschaftung eingriff, war die Brauweizen-Verteilungsstelle für Bayern rechts und links des Rheins mbH. Entstanden war die Verteilungsstelle nach der Übereinkunft der bayerischen Regierung mit der Reichsgetreidestelle in Berlin, die „bayerischen Weizenbierbrauereien [ab dem Erntejahr 1916] mit Weizen aus Bayern“ 48 zu beliefern, was durch die Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl umgesetzt werden sollte. Da aber die Aufgaben der Landesvermittlungsstelle bereits sehr komplex waren und sich die betroffenen Unternehmer an der Verteilung beteiligen wollten, verständigte man sich in einer Besprechung mit den Vertretern des neu gegründeten Vereins Bayerischer Weizenbierbrauer und dem Schutzverband bayerischer Weißbierbrauer am 30. September 1916, eine neue Stelle zu schaffen. Die beiden Verbände erklärten sich im Nachgang der Besprechung bereit, „die Versorgung der bayer[ischen] Weizenbierbrauereien mit Weizen […] gemeinschaftlich […] unter der Kontrolle des kgl. bayer[ischen] Stat[istischen] Landesamtes“ 49 durchzuführen. Schließlich errichtete man am 17. Oktober Reichs-Gerstengesellschaft, Reichs-Gerstengesellschaft, 8, 17-19; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 10, 16, 64-69. 46 Reichs-Gerstengesellschaft, Reichs-Gerstengesellschaft, 3. 47 W OERNER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 3; S OLLEDER , Kriegsstellen, 174f.; Staatsministerium des kgl. Hauses und des Äußern/ Staatsministerium des Innern, Mitteilungen, 73, 95; Gersten-Verwertungsgesellschaft, Formulare, 3; Reichs-Gerstengesellschaft, Reichs-Gerstengesellschaft, 3f.; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 64-67. 48 BayHStA, MWi 7905, Schreiben des Staatsministeriums des Innern an den Verein bayerischer Weizenbierbrauer, 17.10.1916. 49 BayHStA, MLa 1183, Gemeinschaftliches Schreiben des Vereins Bayerischer Weizenbierbrauer und des Schutzverbands bayerischer Weißbierbrauer an das Staatsministerium des königlichen Hauses und des Äußern, 3.10.1916. <?page no="228"?> Corinna Malek 228 1916 die Brauweizen-Verteilungsstelle per Ministerialentschließung. Ihre Aufgabe bestand in der „Zuweisung der von der Reichsgetreidestelle genehmigten und von der Landesvermittlungsstelle [für Brotgetreide und Mehl] zur Verfügung gestellten Weizenmengen im Maßstabe der Kontingentshöhe an die einzelnen Brauereien.“ 50 Gleichzeitig hatte sie „die Kontingentshöhe und den Bezug“ 51 der einzelnen Brauereien zu überwachen. 52 Zu einer weiteren Veränderung in den Zuständigkeiten der zivilen Stellen im Bereich der Rohstoffbewirtschaftung kam es durch den Erlass der Reichsgetreideordnung für das Erntejahr 1917 im Juni 1917. Durch die Verordnung wurden die bisherige Verwaltungsregelung der Getreidebewirtschaftung auf Reichsebene reformiert: das Dreigestirn aus Reichsverteilungsstelle, Kriegsgetreidegesellschaft und Reichskommissar wurde abgeschafft und durch die Reichsgetreidestelle ersetzt. Deren Aufgabe bestand darin, „für die Verteilung und zweckmäßige Verwendung der vorhandenen Vorräte“ 53 an Getreide und Mehl „mit Hilfe der Kommunalverbände“ 54 zu sorgen. Da die Reichsgetreideordnung auch für Bayern galt, reagierte die bayerische Regierung mit einer Reform des eigenen Verwaltungssystems: Die bisherige Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl wurde mit Wirkung zum 8. August 1917 in die neugebildete Landesgetreidestelle für Bayern umgewandelt. Die Stelle wurde als Kriegsgesellschaft gegründet, bestand aus einer Geschäfts- und Verwaltungsabteilung und übernahm die bisherigen Aufgaben der Landesvermittlungsstelle. Zu den Aufgaben gehörte auch die Gerstenbewirtschaftung, die im Zuge der Reichsgetreideordnung nun unabhängig vom Brotgetreide geregelt wurde und an die neugegründete bayerische Landesgetreidestelle überging. Diese war nun allein für den Ankauf von Gerste über die dazu bestellten Kommissionäre verantwortlich und entschied über die Zuteilung und Höhe der Kontingente für Brauereien allein, wozu sie die Kontingentlisten für Brauereien führte. Für die Gerstenbewirtschaftung richtete man bei der Geschäftsabteilung eine Kontingents- und eine Zuteilungsabteilung ein, 50 H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 92. 51 BayHStA, MWi 7905, Geschäftsstatuten der Brauweizen-Verteilungsstelle für Bayern links und rechts des Rheins, § 3. 52 BayHStA, MWi 7905, Schreiben des Staatsministeriums des Innern an den Verein bayerischer Weizenbierbrauer, 17.10.1916; BayHStA, MWi 7905, Schreiben des Vereins bayerischer Weizenbierbrauer an seine Mitglieder, 1916; BayHStA, MWi 7905, Aktenvormerkung, 30.9.1916; BayHStA, MWi 7905, Geschäftsstatuten der Brauweizen-Verteilungsstelle für Bayern links und rechts des Rheins; BayHStA, MLa 1183, Gemeinschaftliches Schreiben des Vereins Bayerischer Weizenbierbrauer und des Schutzverbands bayerischer Weißbierbrauer an das Staatsministerium des königlichen Hauses und des Äußern, 3.10.1916; BayHStA, MKr 12868, Schreiben Brauweizen-Verteilungsstelle an K. Bayer. Kriegsministerium, 19.12.1916; H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 92. 53 Reichsgetreideordnung für die Ernte 1917 vom 22.6.1917, in: RGBl 1917, 512. 54 Ebd. <?page no="229"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 229 die die zuzuteilenden Gerstenmengen feststellte, über Kommissionäre ankaufte und schließlich anteilig den berechtigten Firmen zuteilte. Diese übernahm nun die Aufgaben der Reichsgerstengesellschaft mbH Abteilung Bayern, die schließlich am 14. August 1918 aufgelöst und liquidiert wurde. 55 Obwohl die Rohstoffe zur Herstellung des Biers bewirtschaftet und nur in bestimmten Mengen zu bekommen waren, konnten die Brauereien immerhin ihr Bier frei verkaufen, abgesehen von den Lieferungen, die an das Militär zu leisten waren. Da sich allerdings die Rohstofflage, trotz einer Flut an Verordnungen zur Regelung der Herstellung, Bevorratung und dem Ankauf von Gerste und Malz, zunehmend verschlechterte und sich auch auf die Versorgung der Bevölkerung negativ auswirkte, griffen die bayerischen Militärbehörden zu einer weiteren Zwangsmaßnahme, indem sie auch das Bier Ende März 1916 der staatlichen Kontrolle unterstellten. Mit der Bekanntmachung über den Verkehr mit Bier schufen die drei bayerischen Generalkommandos „zur Regelung des Verkehrs mit Bier […] beim stellv. Generalkommando I. Bayer. Armeekorps eine Verteilungsstelle“ 56 mit der Bezeichnung „Bayer. Bier-Verteilungsstelle in München.“ 57 Als Geschäftsführer der neuen Stelle setzten die Militärbehörden die Reichsgerstengesellschaft mbh, Abteilung Bayern, ein, womit die Bierversorgung eng an die Gersten- und Malzzuteilung gekoppelt war. Hauptaufgabe der Bierverteilungsstelle war die Sicherstellung der Bierversorgung der Bevölkerung in ganz Bayern, indem sie zwischen Bedarfs- und Überschussgebieten zu vermitteln hatte, das heißt, Bier auf alle bayerischen Regionen gleichmäßig verteilte. Bedarfsregionen waren solche, in denen die Brauereien kaum oder überhaupt kein Bier mehr veräußern konnten, während Brauereien in Überschussregionen über zu viel Bier verfügten, da ihnen Abnehmer fehlten. Darüber hinaus oblag der Stelle die Genehmigung und Überwachung des Bierexports aus Bayern. Die Schaffung der Stelle brachte es mit sich, dass mit „der amtlichen Regelung des gesamten Bierverkehres […] die freie Bierproduktion vollständig ausgeschaltet wurde.“ 58 Ebenso vermittelte sie die Zuteilung von Bier an die Wirte. Die Bierverteilungsstelle blieb bis nach Kriegsende bestehen; 1919 schuf man durch die Vereinigung mit der Vermittlungsstelle für Malzkontingente die neue Bayerische Bierversorgungsstelle, die bis zur Aufhebung der 55 H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 21; Reichsgetreideordnung für die Ernte 1917 vom 22.6.1917, in: RGBl 1917, 511-514; W OERNER , Bayerische Ernährungswirtschaft, 3f.; S OL- LEDER , Kriegsstellen, 174; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 8-10, 14-16, 67-69. 56 Bekanntmachung über den Verkehr mit Bier vom 29.3.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 455f. 57 Ebd., 456. 58 Anonym, Bayerische Bierbrauerei, 266. <?page no="230"?> Corinna Malek 230 Bierbewirtschaftung und ihrer Auflösung zum 1. Januar 1922 die Bierversorgung in Bayern überwachte und regelte. 59 Bereits vor Kriegsausbruch belieferten bayerische Brauereien die bayerische Armee mit Bier. Diese Bierlieferungsverträge blieben über den Kriegsausbruch hinaus bestehen, wobei sich der Heeresbierbedarf steigerte. Ebenso blieb die Versorgung der bayerischen Fronttruppen autark, der Bierversand an die Front wurde unabhängig von den übrigen Reichstruppen von bayerischer Seite aus organisiert und durchgeführt. Mit der Verhängung des Kriegszustands änderten sich für die bayerischen Brauereien die Geschäftsbeziehung zum Militär, da nun die Belieferung der Truppen mit Bier für die Brauereien verpflichtend wurde. Am 5. Juni 1915 wurden zunächst die Münchner Brauereien, die zu den größten Bayerns gehörten, zur festen wöchentlichen Ablieferung verpflichtet. Das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps beschlagnahmte bei den Münchner Brauereien „wöchentlich 131 Eisenbahnwagen Faßbier und 54 Wagen Flaschenbier,“ 60 bevor am 12. Juni 1915 „bis auf weiteres 25% der gesamten Biererzeugung unter Strafandrohung der Beschlagnahme unterstellt“ 61 wurde. Vier Tage später, am 16. Juni 1915, wurde „die Beschlagnahme auf den Bieraustoß [sic! ] aller Brauereien des Korpsbezirks ausgedehnt und auf 250 Wagen wöchentlich erhöht,“ 62 von dem „auf die Münchener Brauereien einschließlich des K. Hofbräuhauses und der Staatsbrauerei Weihenstephan wöchentlich 140 Wagen Faßbier […] und 60 Wagen Flaschenbier“ 63 entfielen. Gleichzeitig verfügte das stellvertretende Generalkommando mit der gleichen Bekanntmachung Höchstpreise für den Einkauf von Bier und die zugehörigen Bierlieferungen. Für die Lieferung bayerischen Biers bezahlte man den Brauereien „24 Mark für den Hektoliter Faßbier und 23 Mark für die Kiste mit 50 ¾ Liter-Flaschen pasteurisierten Flaschenbieres.“ 64 Die Aufteilung der an das Heer zu liefernden Mengen übernahm der Bayerische Brauerbund. Neben den Pflichtlieferungen sandten einige bayerische Brauereien und Brau- 59 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 824, Bekanntmachung über Verkehr mit Bier, 29.3.1916; Bekanntmachung über den Verkehr mit Bier vom 29.3.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 455f.; R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 4; Statistisches Landesamt, Kriegsstellen, 17; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 506f.; Anonym, Tätigkeit Bayerische Bierversorgungsstelle, 197. 60 R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 4. 61 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Referat Ökonomierat Steininger in der Sitzung des Bayerischen Landwirtschaftsrats, 23.7.1915. 62 R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 4. 63 BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915. 64 BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des Generalintendanten des Feldheeres, 18.6.1915. <?page no="231"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 231 ereivereinigungen, beispielsweise Michl-Bräu aus Bamberg oder der Verband „Vereinigte Bierbrauereien Augsburgs“, Bier als „Liebesgaben“ bzw. als Spende an die Front. 1915 belief sich die an die Front gelieferte Biermenge der bayerischen Brauereien auf insgesamt 2.750.336 Hektoliter. In den folgenden Kriegsjahren blieben die Lieferungen an die Front nahezu konstant. Finanziell rentierten sich diese Lieferungen für die Brauereien nicht. Ebenso schränkten die vorgeschriebenen Lieferungen an das Heer die für den freien Verkauf verfügbare Biermenge erheblich ein, die zudem an Quantität und Qualität verlor. Da trotz der Beschlagnahme die gelieferten Mengen für die Truppenversorgung nicht ausreichten, reagierten die stellvertretenden Generalkommandos mit der Schaffung einer eigenen militärischen Bewirtschaftungsstelle, die die Bierlieferungen an die Front sicherstellen sollte. Zeitversetzt zur Bayerischen Bierverteilungsstelle schuf man im Jahresverlauf 1917 die Bayerische Heeresbierzentrale. Die Bierverteilungsstelle löste den Bayerischen Brauerbund als Verteilungsorgan ab. Hauptaufgabe der Heeresbierzentrale war es, die beschlagnahmten Biermengen für das Heer sicherzustellen und Produktionsaufträge an Brauereien zu vergeben und den Transport an die Fronttruppen zu organisieren. Mit einer weiteren Verordnung am 8. März 1917 verschärfte man die Beschlagnahme, nun wurde ein fester Anteil des zugewiesenen Malzkontingents für die Heeresproduktion requiriert. 65 Die Rationierung und Bewirtschaftung der Brauereien betraf vor allem die Rohstoffzufuhr, insbesondere den Handel und die Zuteilung von Gerste, Malz und Weizen, die wichtigsten Grundzutaten des Biers. Darüber hinaus litten die Brauereien ab der zweiten Kriegshälfte zunehmend unter der Bewirtschaftung weiterer zur Produktion benötigter Betriebsmittel, wie Kohle zum Heizen der Kessel und Pfannen, oder deren Beschlagnahme für die Metallspende. Die Versorgung mit Brennmaterial funktionierte weitgehend bis ins Jahr 1916. Zwar wurden die Kohlevorräte seit Kriegsbeginn durch das bayerische Kriegsministerium erfasst und verteilt, es konnten jedoch nahezu alle Brauereien beliefert und deren Betrieb mit den verfügbaren Mengen aufrechterhalten werden. Durch ausbleibende Importe, das Fehlen größerer eigener Kohlevorkommen und geringerer Abbaumengen aufgrund kaum vorhandener Arbeitskräfte spitzte sich die Versorgungslage im Jahr 1916 so zu, dass zuerst auf Reichs-, sodann auf Landesebene eine zentrale Bewirtschaftung eingeführt wurde. In Bayern übernahm die Kohlenbewirtschaftung das im Dezember 1916 neu geschaffene bayerischen Kriegsamt mit einer eigenen, im Januar 1917 eingerichteten Kohlenausgleichsstelle. Gesetzliche Grundlage für weitere Maßnahmen bildete die am 24. Februar 1917 erlassene Bekanntmachung über Regelung des Verkehrs mit Kohle. Die 65 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Bekanntmachung Sicherstellung des Bierbedarfs für das Feld- und Besatzungsheer, 25.4.1917; Anonym, Erste Waggon, 447; Anonym, Spenden von Bier, 447; R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 4; BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 508f.; S OLLEDER , Kriegsstellen, 170. <?page no="232"?> Corinna Malek 232 neu geschaffene Stelle, der Reichskohlenkommissar, erstellte einen Verteilungsplan, der den Betrieben entsprechend ihrer Bedeutung für die Kriegswirtschaft, das heißt für die Rüstungs- und Militärproduktion, Kohlenkontingente zuteilte: Bayern wurde etwa ein Zehntel des gesamtdeutschen Kohlebedarfs zugeteilt und von der Landeskohlenstelle weiterverteilt. Mit dieser Menge mussten alle Betriebe in Bayern versorgt werden, weshalb die Brauereien nun auch für das Beheizen ihrer Sudpfannen und kessel nur mehr auf eng limitierte Kohlezuteilungen zurückgreifen konnten. Viele kleinere Brauereien konnten unter diesen Voraussetzungen ihren Betrieb nicht mehr aufrechterhalten. Sie wurden entweder von größeren Brauereien übernommen oder mussten ihren Betrieb gänzlich aufgeben. Um dennoch wirtschaftlich überleben zu können, sahen sich einige Brauereien nach alternativen Brennstoffen um. Einige begannen, ihre Pfannen und Kessel mit Torf zu beheizen, wofür sie eigene Torfabbauflächen pachteten. Torf war in Bayern weit verbreitet; der Torfabbau erlebte in den Kriegsjahren eine neue Blüte. Ab 1. Juli 1918 war allerdings auch diese Brennstoffquelle unter staatliche Zwangswirtschaft gestellt. 66 Ebenso hart traf die Brauereien die ab 1914 von der Kriegsrohstoffabteilung 67 geleitete Metallbewirtschaftung. Unter diese fielen sämtliche Metalle außer Eisen und Stahl, für die man jeweils separate Bewirtschaftungsapparate aufbaute. Ab 1914 kam es zunächst zu vereinzelten Beschlagnahmen, was vor allem beim Kupfer die Brauereien hart traf. Denn die Sudpfannen und -kessel waren zumeist aus Kupfer gefertigt, um die beim Bierbrauen benötigten Temperaturen zu erreichen. Erst mit dem Erlass des Hindenburgprogramms 1916, das die gesamte Kriegswirtschaft auf die Rüstungs- und Kriegsproduktion ausrichtete, erfolgte der langsame Aufbau eines Bewirtschaftungsapparats, mit dem Ziel einer systematischen Verbrauchsregelung durch Sparwirtschaft im Metallbereich. Bei der Kriegsrohstoffabteilung errichtete man mehrere Unterstellen, die sich um die Erhebung, Beschaffung und Beschlagnahme von Metallen kümmerten. Im Gegenzug für das beschlagnahmte Material erhielten die betroffenen Betriebe Ersatzmetalle. Um die Moral und den Durchhaltewillen der Bevölkerung nicht durch unverhältnismäßige Beschlagnahmen zu mindern, setzten die 66 Ebd., 185; R ITT , Zwangsbewirtschaftung Torf, 87-89; H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 96f.; Bayerisches Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe, Kohlenwirtschaft, 1f., 4, 11, 17. 67 Die Kriegsrohstoffabteilung war eine von der Privatwirtschaft angeregte Abteilung, die man am 13. August 1914 beim Preußischen Kriegsamt errichtete. Mit Zustimmung der Kriegsministerien der Länder Württemberg, Sachsen und Bayern war sie für die gesamte Rohstoffbewirtschaftung im Reich und dieser Länder zuständig. Durch ihr rasches Wachstum etablierte sie sich nach kurzer Zeit als eigenständiges Behörde, vgl. R OHLACK , Kriegsgesellschaften, 28f.; H INTERTHÜR , Kriegsstellen und Kriegsgesellschaften, 9; H ENNING , Aufbau deutsche Kriegswirtschaft, 54-56. <?page no="233"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 233 Behörden auf Freiwilligkeit. Die Metallmobilmachungsstelle rief zu freiwilligen Spenden und Sammlungen auf, um Metall für die Kriegsproduktion zu erlangen. Daneben wurden weiter Beschlagnahmen für die Mobilmachung durchgeführt. Wenn Brauereien bis dahin ihr Interieur vor Beschlagnahmen und Entziehung sichern konnten, gab es nun kein Entkommen mehr. Es wurde beschlagnahmt und durch minderwertigen Ersatz abgelöst, was den Braubetrieb noch weiter einschränkte. 68 Die Brauereien hatten während des Ersten Weltkriegs mit vielen Hindernissen zu kämpfen; am schwersten wog neben dem Verlust von Produktionsmitteln und Personal die Beschränkung der Rohstoffe und ihrer Verwendung, was sich zweifelsohne auf das gebraute Bier auswirken musste. Viele der kleineren Brauereien überlebten den Krieg nur knapp; nicht alle erholten sich von den Kriegsfolgen. Die wirtschaftliche Regeneration von den vier Kriegs- und fünf Nachkriegsjahren dauerte bei den kleineren und mittleren Brauereien fast bis in die 1930er Jahre, sodass der Erste Weltkrieg auch für den bayerischen Brausektor als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann. 2. Vom „flüssigen Brot“ zum „Dünnbier“ - Bierversorgung im Krieg Der hohe Stellenwert des Biers in Bayern sorgte in der Folge von Kriegswirtschaft, Rohstoffknappheit und staatlicher Mangelverwaltung für erheblichen Konfliktstoff. Galt Bier in den restlichen Ländern des Deutschen Reichs als Genussmittel, so war es in Bayern ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Diesen Status erhielt Bier unter anderem durch das 1871 dem Königreich Bayern zugestandene Reservatrecht, die Bier- und Branntweinsteuer eigenmächtig festzusetzen und sämtliche Einnahmen aus diesen Steuern dem eigenen Staatshaushalt einzuverleiben. Ebenso gehörte der Ausschank von Bier als Naturalienleistung zur Entlohnung vieler Arbeiter in den Städten und vor allem auf dem Land. Entsprechend lag der Pro-Kopf-Bierkonsum in Bayern höher als im übrigen Reich; 1912 konsumierte man in ganz Bayern 16.629.000 Liter Bier, was umgerechnet 238 Liter pro Kopf ausmachte. Deshalb traf die Bierbewirtschaftung nicht nur die Brauereien selbst, sondern auch weite Kreise der Bevölkerung. Bier war ein alltägliches Konsumgut, es folgte, auch aufgrund seines Nährwerts, in der „Ernährung bei den weitesten Schichten der Bevölkerung gleich nach Brot und Fleisch“ 69 auf dem Speiseplan. Die qualitative Verschlechterung des Biers während des Kriegs trug somit auch zu einer sich verschlechternden Ernährungslage bei. Die zunehmende Verdünnung, hervorgerufen durch den Mangel an Rohstoffen, entzog 68 G OEBEL , Kriegsbewirtschaftung, 41-51; H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 48. 69 S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 505. <?page no="234"?> Corinna Malek 234 dem Getränk Kalorien, der Ernährungswert ließ spürbar nach. Darüber hinaus verfügte Bier über einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert in der Wirtshauskultur als einem Zentrum bayerischen Lebensgefühls. Der Wert des Biers für den Durchhaltewillen vor allem der männlichen Bevölkerung während der Entbehrungen der Kriegswirtschaft ist daher nicht zu unterschätzen. 70 Bis zum Sommer 1915 funktionierte die Bierversorgung in der Heimat weitgehend reibungslos und auch die ausgeschenkten Mengen erwiesen sich als ausreichend, um die Nachfrage zu befriedigen. Mit der zunehmenden Verknappung der Rohstoffe allerdings und der schließlich im Februar 1915 verhängten 60prozentigen Kontingentregelung verschlechterte sich die Versorgungssituation stetig und der Bierausstoß sank. Diesem Umstand begegneten Wirte und Brauereien im Jahresverlauf 1915 noch ohne staatliches Eingreifen, indem sie die Bierversorgung selbstständig regelten. Brauereien und Wirte setzten sich selbst feste Ausschankzeiten, ebenso wurden konkrete Ausschankmengen veranschlagt, die man pro Kunde oder pro Tag abgab. Erschwerend kam hinzu, dass das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps 25 Prozent des zur Verfügung stehenden Kontingents für die Truppen im Feld requirierte. Nur der übrig bleibende Teil konnte an Arbeiter und Zivilbevölkerung ausgeschenkt werden, was „die Bierlieferung an Wirte u. Privatkunden bis zu 50%“ 71 einschränkte. Der Zeitpunkt, an dem das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps eingriff, war denkbar ungünstig, da er direkt mit dem Beginn der Erntezeit im Sommer zusammentraf. Aufgrund des dadurch verursachten Biermangels registrierte der Bayerische Landwirtschaftsrat 72 im Juli 1915 eine erste große Klagewelle durch Zuschriften mehrerer landwirtschaftlicher Bezirksausschüsse, die über Bierknappheit bei der Versorgung ihrer Erntearbeiter klagten. Die Zuschriften er- 70 H ENßLER , Biersteuer; S KALWEIT , Kriegsernährungswirtschaft, 77-79; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 505; W OLF , Helles und Dunkles, 45-48. 71 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Referat Ökonomierat Steininger, 22.7.1915. 72 Der 1818 gegründete Landwirtschaftliche Verein fungierte zunächst als Zusammenschluss landwirtschaftlich interessierter Adliger, die sich eine Verbesserung und Modernisierung der Landwirtschaft in Bayern zum Ziel setzten. Der Verein suchte hierzu die Nähe zur staatlichen Verwaltung auf allen Ebenen und entwickelte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts zunehmend zur Interessenvertretung der Landwirte Bayerns. Der Bayerische Landwirtschaftsrat ist der formelle Nachfolger des General-Comités des Landwirtschaftlichen Vereins, das als Verwaltungsträger und Vorstandsorgan die Führung des Vereins übernahm. Der Bayerische Landwirtschaftsrat entstand im Zuge der Vereinsreform zwischen 1890 und 1895, in deren Rahmen auch 1895 die Vereinssatzung modernisiert und reformiert wurde. Dadurch fielen dem Bayerischen Landwirtschaftsrat neue Aufgaben zu und stärkte seine beratende Position, unter anderem durch die Übernahme einer ständigen Beratungs- und Begutachtungstätigkeit für die staatliche Verwaltung in landwirtschaftlichen Dingen, vgl. Staatsministerium des Innern, Landwirtschaftliche Verwaltung 1890-1897, 336f., 339-343; D ASS ., Landwirtschaftliche Verwaltung 1897-1903, 474f. <?page no="235"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 235 reichten den Landwirtschaftsrat nicht direkt, sondern waren an die jeweiligen Kreisausschüsse des landwirtschaftlichen Vereins gerichtet. Diese reichten die Beschwerden an den Landwirtschaftsrat weiter. Die erste Forderung nach einer höheren Bierzuteilung an die landwirtschaftliche Bevölkerung stammte vom landwirtschaftlichen Bezirksausschuss in Moosburg, der am 29. Juni 1915 die zunehmende Biereinschränkung gegenüber dem oberbayerischen Kreisausschuss kritisierte. Dem Moosburger Beispiel folgten die landwirtschaftlichen Bezirksausschüsse aus Mainburg, Straubing, Burgau, Neustadt an der Waldnaab, München-Land und München-Stadt, die ebenfalls höhere Zuteilungsmengen verlangten. Ihre Forderungen blieben jedoch ohne Erfolg. 73 Der Bayerische Landwirtschaftsrat selbst setzte sich seit dem 28. Juni 1915 intensiv mit der „Frage der Volksernährung unter besonderer Berücksichtigung der Bierfrage“ 74 auseinander und diskutierte diese nochmals in seiner Sitzung am 22. Juli 1915. Er plädierte für eine Erhöhung der Gersten- und Malzkontingente für die bayerischen Brauereien, um die benötigten Biermengen herstellen zu können. Daneben äußerte man den Wunsch, „daß die Landbrauereien während der Erntezeit für Heereslieferungen möglichst wenig herangezogen werden,“ 75 um die benötigen Mengen für die Ernte herstellen zu können. Ebenso überlegte man eine modifizierte Regelung der Verteilung an die Wirte: Anstatt „jedem Wirt nur mehr 50% des in den Jahren 1912 und 1913 verschleissten [sic! ] Bierquantums“ 76 zuzuteilen, sollte mehr auf den individuellen Bedarf eingegangen werden. Dabei sollten „1.) der Durchschnitt der 73 BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Referat Ökonomierat Steininger, 22.7.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Einlage zum Referat Steininger, undatiert; Agrar- Bib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftlicher Bezirksausschuss Moosburg, 29.6.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftlicher Bezirksausschuss Straubing, 11.7.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftlicher Bezirksausschuss Mainburg, 13.7.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftlicher Bezirksausschuss Burgau, 13.7.1915; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftliche Bezirksausschüsse München-Land und München-Stadt, undatiert; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben landwirtschaftlicher Bezirksausschuss Neustadt a. d. Waldnaab, 23.7.1915; Bekanntmachung betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15.2.1915, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 43 (1915), 169f.; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 505f.; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 50f. 74 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Nachrichten für die Tagespresse herausgegeben vom Bayerischen Landwirtschaftsrat, München, 23.7.1915. 75 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Antrag Bayerischer Landwirtschaftsrat, 22.7.1915. 76 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Referat Ökonomierat Steininger, 22.7.1915. <?page no="236"?> Corinna Malek 236 letzten 4 Jahre[,] 2.) der Verbrauch der letzten 3 Monate und 3.) eventuel[l] besondere Umstände“ 77 berücksichtigt werden, um die Verteilung auf die Wirte gerechter zu gestalten. Als Alternative für den Fall, dass die Aufstockung der Kontingente nicht möglich sei, schlug der Landwirtschaftsrat die Einführung einer Bierkarte vor, die „wenigstens das eine erreicht, daß diejenigen Leute[,] welche ein bestimmtes Quantum Bier am meisten nötig haben[,] zu ihrem Rechte kommen.“ 78 Allerdings müsse die Bierkarte übertragbar und mit verschiedenen Tagesrationen versehen sein, um dem unterschiedlichen Bedarf der Konsumenten - nach Geschlecht, Alter und beruflicher Tätigkeit - gerecht zu werden. Verteilt werden sollten die Karten durch die Gemeinden und nicht die Kommunalverbände, da „bei den Gemeinden schon von den Brodkarten [sic! ] her die nötigen Listen u. die sonstigen Behelfe“ 79 vorlägen. Obwohl die Vorteile der Bierkarte die Nachteile überwogen und der Bayerische Landwirtschaftsrat für diese Regelung plädierte, sah er „die Bierkarte selbst als notwendiges Übel“ 80 an. Die Diskussion um die Einführung einer Bierkarte griffen sowohl das Staatsministerium des Innern als auch die stellvertretenden Generalkommandos, an die der Vorschlag gerichtet wurde, zunächst nicht auf. Erst im Frühjahr 1917, als die Biernot immer drückender wurde, zog man diese Möglichkeit wieder in Betracht. 81 Die Forderungen nach höheren Kontingentszuteilungen blieben erfolglos, stattdessen blieben die Kontingents- und Beschlagnahmeregelungen weiter in Kraft, bevor die Malz- und Gerstenkontingente der Brauereien im Jahresverlauf 1916 weiter herabgesetzt wurden. Die neuerlichen Reduzierungen verschärften die Versorgungssituation so sehr, dass am Jahresende eine regelrechte Biernot herrschte. Die Einrichtung der Bayerischen Bierverteilungsstelle im März 1916 ist als Reaktion zu verstehen, gegen diesen Negativtrend zu steuern. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Umverteilung der noch verfügbaren Biermengen aus Überschussan Bedarfsgebiete, des allgemeinen Mangels wurde die Bierverteilungsstelle aber nicht Herr. Stattdessen setzten die kurz aufeinander folgenden Herabsetzungen der Malzkontingente den Bemühungen enge Grenzen. Um eine Versorgung von Heimat und Heer weiter zu gewährleisten, kategorisierten die stellvertretenden Generalkommandos nun drei Versorgungsgruppen und erließen im Jahresverlauf 1916 entsprechende Vorschriften. Die Lieferungen an das Heer, die die Moral der Truppen an der Front und in den Schützengräben aufrecht erhalten sollten, hatten die drei stellvertretenden Generalkommandos bereits seit Sommer 1915 mit der Requirierung von bis zu 25 Prozent 77 Ebd. 78 Ebd. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 AgrarBib Herrsching, GC/ 532. <?page no="237"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 237 der hergestellten Biermenge gesichert. 82 An zweiter Stelle, nach der Versorgung der Truppen, stand die Sicherstellung der Verpflegung der Schwer- und Schwerstarbeiter in der Industrie und der Erntearbeiter auf dem Land, an dritter und letzter Stelle stand die der restlichen Zivilbevölkerung. Deren Bierrationen sollten zunächst mit der Bekanntmachung über den Verkehr mit Bier vom 29. März 1916 gewährleistet werden. Dazu erhielt die im Zuge der Bekanntmachung neu geschaffene Bayerische Bierverteilungsstelle den Auftrag, sämtliche Biervorräte in Bayern zu erheben und gleichmäßig auf alle Brauereien in Bayern zu verteilen. Ziel war es, allen Brauereien weiterhin den Bierverkauf und die Lieferungen an ihre Kunden sicherzustellen. Um außerdem den Verbrauch und die Abgabe zu steuern, erließen die drei stellvertretenden Generalkommandos am 13. Mai 1916 feste Ausschankzeiten für Bier, die bereits zum 14. Mai 1916 in Kraft traten. Wirte von „Gast-, Schank- und Speisewirtschaften, Vereins- und Erfrischungsräumen, Fremdenpensionen und Flaschenbiergeschäften“ 83 durften ab dem 14. Mai nur noch „an Werktagen in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags und in der Zeit ab 6 ½ Uhr nachmittags“ 84 sowie „an Sonn- und Festtagen in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags und in der Zeit ab 4 Uhr nachmittags“ 85 Bier an ihre Kunden verkaufen. Ausgenommen von dieser Regel waren nur „Arbeiter während der Arbeitspausen (Brotzeiten)“ 86 und „landwirtschaftliche Arbeiter einschließlich der Unternehmer zu den Erntearbeitern“ 87 und Reisende, die sich in den Bahnhofswirtschaften aufhielten. Sie konnten zu jeder Zeit Bier erwerben. Kontrolliert wurden die vorgegebenen Zeiten durch die örtlichen Polizeibehörden. Da sich die Regelung in der Praxis nicht überall in gleicher Weise umsetzen ließ, besserten die Behörden vier Wochen später nach, indem die Ortspolizeibehörden am 28. Juni die Befugnis erhielten „im Falle besonderen Bedürfnisses die vorstehenden Ausschankzeiten für den ganzen Amtsbezirk oder für einzelne Gemeinden und Ortschaften allgemein oder für bestimmte Wirtschaftsgattungen, auf 82 BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915; Bekanntmachung über die Herabsetzung der Malz- und Gerstenkontingente der gewerblichen Bierbrauereien für die Zeit vom 1. Oktober 1915 bis 31. Oktober 1916 vom 31.1.1916, in: RGBl 1916, 77; R AGL , Bayerisches Braugewerbe im Weltkrieg, 4f.; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 508f.; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 52-54. 83 Bekanntmachung über die Ausschankzeiten für Bier vom 13.5.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 645. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd. 87 Ebd., 646. <?page no="238"?> Corinna Malek 238 unbestimmte Dauer oder für bestimmte Monate und Tage anderweitig [zu] regeln.“ 88 Geknüpft waren die individuellen Regelungen an die Vorgabe, dass der Ausschank „an Werktagen insgesamt 7 Stunden, an Sonn- und Festtagen insgesamt 8 Stunden“ 89 nicht überschritt. Als problematisch erwiesen sich für die Wirte im Jahresverlauf 1916 die Begriffe „Erntearbeiter“ und „Bahnhofswirtschaften“. Beide waren nicht genauer eingegrenzt, sodass sie Schlupflöcher für die Konsumenten boten, um an zusätzliche Bierrationen zu kommen. Mit der Bitte um Definition wandte sich der Bayerische Landwirtschaftsrat am 8. Juni 1916 an das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps. Ob ihr entsprochen wurde, ließ sich nicht feststellen; eine diesbezügliche Bekanntmachung wurde jedenfalls nicht veröffentlicht. 90 Trotz aller Beschränkungen der Ausschankzeiten, sahen sich die Behörden im Januar 1917 zum Erlass einer weiteren Bekanntmachung gezwungen, mit der die Bierlieferungen der Brauereien, unter anderem an die Wirte, eingeschränkt wurden. Diese konnte nach den neuen Statuten „in der Zeit bis zum 30. September 1917 […] höchstens mit 50 Hundertteilen der Biermenge […] [erhalten], die […] [ihnen] in den entsprechenden Monaten der Jahre 1912 und 1913 durchschnittlich geliefert worden ist.“ 91 Diese Kürzung traf die Wirte hart; auch die hauseigenen Schankbetriebe der Brauereien waren von der Regelung betroffen. Auch Wirte waren einer Kontingentierung nunmehr unterworfen. Mit der ihnen ausgelieferten Menge mussten sie ihren Kundenkreis bis zum Stichtag am 30. September 1917 versorgen. Die eingesparten Biermengen hatten die Brauereien anschließend bei der Bayerischen Bierverteilungsstelle abzuliefern, die mit der Restmenge mögliche Bedarfsgebiete in Bayern beliefern und somit für eine flächendeckende Versorgung Bayerns mit Bier sorgen sollte. Durch eine Neuregelung vom 14. April 1917 wurde die Anordnung 88 Bekanntmachung über die Ausschankzeiten für Bier vom 28.6.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 868f. 89 Ebd., 869. 90 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 824, Bekanntmachung über Verkehr mit Bier, 29.3.1916; AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben Bayerischer Landwirtschaftsrat an das stellvertretende Generalkommando I. Armeekorps, 8.6.1916; Bekanntmachung über die Ausschankzeiten für Bier vom 13.5.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 645f.; Bekanntmachung über die Ausschankzeiten für Bier vom 28.6.1916, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 44 (1916), 868f.; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 506. 91 Bekanntmachung über Einschränkung der Bierlieferung vom 13.1.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 11. <?page no="239"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 239 vom 13. Januar bereits nach drei Monaten wieder außer Kraft gesetzt. Die Kontingentierung der Wirte wurde unverändert übernommen, lediglich der Zeitraum wurde vom 30. September auf den 31. Oktober 1917 verlängert. 92 Um für die Ernte im Sommer 1916 und die dabei beschäftigten Erntearbeiter genügend Bier auf dem Land zu Verfügung zu haben, veranlasste das Bayerische Kriegsministerium bei den drei stellvertretenden Generalkommandos, dass „Brauereien, welche mit knappen Vorräten überwiegend ländliche Bezirke zu versorgen haben, für die kommenden Erntemonate, soweit irgend möglich, zu Heereslieferungen nicht herangezogen werden.“ 93 Trotz dieser Entlastungsversuche der bayerischen Regierung verschärfte die Reduzierung der Brauereikontingente durch die Reichsregierung im Oktober und Dezember 1916 die Situation erneut. Die veränderten Umstände zwangen die drei stellvertretenden Generalkommandos zu einer schnellen Reaktion; am 27. Dezember 1916 erließen und veröffentlichten sie eine Regelung zur Sicherung der Versorgung der Schwer-, Schwerst- und Erntearbeiter. Da sie sehr kurzfristig erging, besserte man im März 1917 nach. Dies war auch durch erste Streikandrohungen in den Rüstungsbetrieben bedingt. Am 8. März 1917 verfügten die drei stellvertretenden Generalkommandos schließlich, dass „von den festgesetzten Gerstenmalzkontingente[n] […] und von dem Kontingente entsprechenden Gersten- und Gerstenmalzmengen“ 94 fünf Prozent durch die Bayerische Bierverteilungsstelle zu beschlagnahmen waren, um aus diesen die Bierherstellung für die genannten Berufsgruppen zu sichern. Damit kamen die Generalkommandos der bereits länger geforderten Requirierung eines eigenen Anteils nach, zumindest in der Theorie. Praktisch konnte der prozentuale Anteil nicht direkt sichergestellt und an die Arbeiter ausgeschenkt werden, da exakte Mengenangaben fehlten. Gleichzeitig wurde eine Anordnung zur Sicherstellung des Bierbedarfs für die Feldtruppen erneut erlassen, welche die für die Truppenversorgung beschlagnahmten 25 Prozent bestätigte. Für die Brauereien bedeuteten die neuen Anordnungen weitere massive Einschränkungen, verengten sie doch noch mehr den Produktionsspielraum für den freien Verkauf, der aufgrund der Kontingentsabsenkung auf 35 Prozent zum Jahresende 1916 bereits sehr eingeschränkt war. Ebenso verringerte sich durch die neue Anordnung die für die 92 BayHStA, MKr 12869, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armee-Korps an das Kriegsministerium, 6.3.1917; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Rundschreiben Bayerischer Brauerbund, 20.4.1917; Bekanntmachung über Einschränkung der Bierlieferung vom 13.1.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 11; Bekanntmachung über Bier vom 14.4.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87. 93 AgrarBib Herrsching, GC/ 532, Schreiben Kriegsministerium an stellvertretene Generalkommandos, 30.5.1916. 94 BayHStA, MKr 12868, Bekanntmachung über die Sicherstellung des Bierbedarfs für Schwerst- und Schwerarbeiter und Erntearbeiter, 8.3.1917. <?page no="240"?> Corinna Malek 240 Versorgung der restlichen Bevölkerung zur Verfügung stehende Biermenge nochmals erheblich. 95 Rund vier Wochen nach den Beschlagnahmeanordnungen für die Schwer-, Schwerst- und Erntearbeiter sowie die Feld- und Besatzungstruppen erließen die drei stellvertretenden Generalkommandos am 14. April 1917 mit der Bekanntmachung über Bier eine umfassende Regelung für die Bierversorgung in Bayern. Über die neue Regelung hatte man sich seit Ende Januar 1917 im Kriegsministerium mit Vertretern der Brauindustrie und den stellvertretenden Generalkommandos ausgetauscht. Zentrales Anliegen der Beratungen war es, eine einheitliche, auf die besonderen bayerischen Gegebenheiten angepasste Regelung zu finden, um sich nicht der reichsweiten Regelung unterwerfen zu müssen. Diese Vorgaben wurde von bayerischer Seite vor allem deswegen abgelehnt, weil sie „Bayern die selbständige Regelung seiner (besonderen) Verhältnisse und Bedürfnisse unmöglich macht oder doch außerordentlich erschwert.“ 96 Zentrale Fragen der Beratungen waren die Bierpreisgestaltung und Bierausfuhr aus Bayern. Auch im Februar und März 1917 tagten die verantwortlichen Stellen in mehreren Sitzungen, bis man sich auf die neue Bekanntmachung verständigt hatte. Ein Etappenschritt waren die Verordnungen vom 8. März. Mit den ab April gültigen Vorgaben setzte man mehrere Einzelanordnungen, die seit Februar 1916 97 erlassen worden waren, außer Kraft und regelte die gesamte Versorgung neu. Kernpunkte der Regelung umfassten Errichtung und Befugnisse der Bayerischen Bierverteilungsstelle als zentrale Behörde der Bierverteilung, die Vorgaben für Brauer in Bezug auf Produktion, Lieferung, Verkauf und Ausfuhr sowie Regelungen für die Verbraucher. Darüber hinaus wurden die Zuteilungszuständigkeiten der für Heer und Arbeiter beschlagnahmten Biermengen neu geregelt, die freien Marktmechanismen im Brausektor nun gänzlich ausgesetzt und die Produktionsmengen der Brauereien 95 BayHStA, MKr 12868, Bekanntmachung zur Sicherstellung der Versorgung des Feld- und Besatzungsheeres, der Schwerst- und Schwerarbeiter, sowie der Erntearbeiter mit Bier, 27.12.1916; BayHStA, MKr 12868, Bekanntmachung über die Sicherstellung des Bierbedarfs für Feld- und Besatzungsheer, 8.3.1917; BayHStA, MKr 12868, Bekanntmachung über die Sicherstellung des Bierbedarfs für Schwerst- und Schwerarbeiter und Erntearbeiter, 8.3.1917; BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4192, Bekanntmachung über die Sicherstellung des Bierbedarfs für das Feldheer, 30.12.1916; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 509f.; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 55f. 96 BayHStA, MKr 12868, Niederschrift über das Ergebnis einer Beratung beim K. B. Kriegsministerium, 26.1.1917. 97 Konkret außer Kraft gesetzt wurden: Das Verbot von Starkbieren (2.2.1916), die Anordnung über den Verkehr mit Bier (29.3.1916), die Anordnungen für Ausschankzeiten von Bier (13.5.1916 und 28.6.1916), die Einschränkung der Bierlieferung (13.1.1917), die Anordnungen über die Bierversorgung der Stadt München (13.1.1917) sowie die Anordnung über die Stammwürze des Bieres (15.3.1917), vgl. BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Rundschreiben Bayerischer Brauerbund, 20.4.1917. <?page no="241"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 241 durch die Kontingents- und Beschlagnahmeanteile bereits vor dem eigentlichen Brauvorgang verteilt. Das gesamte Brauwesen unterlag nunmehr staatlicher Aufsicht und Regelung. 98 Die Regelungen vom 14. April 1917 blieben nahezu ein Jahr bestehen, eine notwendige Anpassung mussten die stellvertretenden Generalkommandos jedoch im Januar 1918 vornehmen. Am 2. Januar 1918 verfügten sie eine novellierte Bekanntmachung über Bier. Aufgrund einer weiteren Herabsetzung der Gersten- und Malzkontingente auf nur noch 15 Prozent wurden Malzverwendung und Preis angepasst, ebenso die Höhe des Stammwürzegehalts als auch die Ausschankbedingungen für Wirte an die veränderten Produktionsvoraussetzungen. Die Auflagen für die Wirte waren streng. Zum einen mussten sie das ihnen zur Verfügung stehende Bier so aufteilen, dass es für eine gesamte Woche ausreichte, zum anderen musste der Ausschank an Gassen- und Wirtshauskunden gleichermaßen bedient werden, um keine der beiden Konsumentengruppen zu benachteiligen und weitere Konflikte heraufzubeschwören. Für die Gäste, die im Wirtshaus ihr Bier tranken, galten Höchstausschankmengen: „Während der Mittagsausschankzeit [durften] höchstens ein halber Liter, […] während der abendlichen Ausschankzeiten höchsten zwei halbe Liter“ 99 pro Kopf ausgeschenkt werden. Zum Ausschank kam ausschließlich Kriegsbier. Die Regelung blieb bis zum Kriegsende in Kraft. 100 Insgesamt verschärften die seit Februar 1916 angeordneten Bestimmungen für die Sicherstellung des Bierbedarfs für das Militär sowie die Schwer-, Schwerst- und Erntearbeiter jedoch das Problem der Versorgung der Gesamtbevölkerung. Durch die Requirierung fester Anteile an den noch zum Brauen zur Verfügung stehenden Gersten- und Malzvorräten blieb nur ein sehr geringer Teil für die Erzeugung von frei verkäuflichem Bier übrig. Daher wurde es unumgänglich, von staatlicher Seite weitere Rationierungsmaßnahmen zu beraten und zu erlassen. Bereits seit Februar 1916 hatte man damit begonnen, mit ersten Verboten und der Herabsetzung des Stamm- 98 Bekanntmachung über Bier vom 14.4.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Rundschreiben Bayerischer Brauerbund, 20.4.1917; BayHStA, MKr 12868, Niederschrift über das Ergebnis einer Beratung beim K. B. Kriegsministerium, 26.1.1917; BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917; BayHStA, MKr 12868, Niederschrift Besprechung über Bierversorgung beim stellv. Generalkommando I. Armee-Korps, 3.3.1917; BayHStA, MKr 12868, Niederschrift Beratung beim Kriegsministerium, 10.3.1917. 99 Bekanntmachung über Bier vom 2.1.1918, in: Bayerischer Staatsanzeiger 6 (1918), Nr. 14. 100 Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7. Oktober 1916 vom 20.11.1917, in: RGBl 1917, 1058‒1060; Bekanntmachung betreffend Aenderungen der Bekanntmachung über Bier vom 14. April 1917 vom 2.1.1918, in: Bayerischer Staatsanzeiger 6 (1918), Nr. 2; Bekanntmachung über Bier vom 2.1.1918, in: Bayerischer Staatsanzeiger 6 (1918), Nr. 14. <?page no="242"?> Corinna Malek 242 würzegehalts 101 auf die sich stetig verringernden Bierabgabemengen zu reagieren, um trotz limitierter Mengen einen möglichst großen Personenkreis der Zivilbevölkerung weiterhin mit Bier versorgen zu können. Die Reduzierung des Stammwürzegehalts bedeutete schlicht eine Verdünnung des Biers, indem man eine Reduktion des prozentualen Anteils gelöster Malzanteile vornahm. Damit konnte eine größere Menge Bier aus den beschränkt zur Verfügung stehenden Gersten- und Malzvorräten gewonnen werden. An der rohstofflichen Zusammensetzung des Biers nach den Vorgaben des Reinheitsgebots wurde jedoch nicht gerüttelt, auch keine Ersatzrohstoffe diskutiert. Das Reinheitsgebot behielt bis zum Kriegsende und darüber hinaus seine Gültigkeit. Stattdessen beriet man alternative Verteilungsregelungen, in diesem Rahmen flammte auch die Diskussion um die Bierkarte zu Beginn des Jahres 1917 wieder auf, nachdem deren Einführung bereits 1915 vom Bayerischen Landwirtschaftsrat gefordert worden war. Weitere Eingriffe waren die Erhöhung und Festsetzung des Bierpreises mittels Höchstpreisen. 102 Bis Februar 1916 änderte sich nichts, Bier verfügte über einen durchschnittlichen Stammwürzegehalt von elf Prozent. Lediglich die im Jahresverlauf 1916 erlassenen Maßnahmen bezüglich der Gersten- und Malzzuteilungen für Brauereien sowie das im Oktober 1915 festgesetzte sechzigprozentige Gersten- und Malzkontingent schlugen sich in einem leichten Rückgang des Stammwürzegehalts auf rund zehn Prozent nieder. Diese Reduktion erfolgte allerdings nicht auf staatliche Anordnung, sondern als Reaktion auf die geminderte Rohstoffverfügbarkeit. Den ersten massiven Einschnitt vollzogen die stellvertretenden Generalkommandos erst am 2. Februar 1916 mit dem Erlass eines Verbots für Starkbiere. Diese besaßen einen durchschnittlichen Stammwürzegehalt von über 16 Prozent. Aufgrund der ersten Kontingentierungsvorschrift vom Februar 1915 waren die Malzvorräte begrenzt, sodass man jeden als unnötig und verschwenderisch betrachteten Malzverbrauch von staatlicher Seite einzudämmen versuchte. Entsprechend wurden Starkbiere mit sofortiger Wirkung als Erstes verboten, da man bei deren Brauvorgang eine größere Menge an Malz verbrauchte als bei normalen Biersorten. Ebenso wurde deren Ausschank unter Strafe 101 Der Stammwürzegehalt eines Biers gibt den Anteil der im Bier enthaltenen löslichen Malzextrakte an, die sich vor dem Vergären des Biers in der Maische, d. h. dem, in warmen Wasser eingelegten geschroteten Malz, befinden. Der Stammwürzegehalt ist entscheidend für den späteren Nähr- und Alkoholgehalt des gebrauten Biers. Je nach prozentualer Höhe des Stammwürzegehalts werden verschiedene Biersorten definiert, z. B. Vollbier oder Starkbier, vgl. H IRSCHBERG , Handbuch Verfahrenstechnik, 527-529; E BBERTZ , Konzentration Braugewerbe, Bd. 1, 10. 102 BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917; BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 8.3.1917; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 62-69; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 519-522; G RÜBL , Strukturelle Verfassung, 24f., 61. <?page no="243"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 243 gestellt. Unter das Verbot fielen auch die sogenannten Märzenbiere, die ebenfalls einen höheren Stammwürzegehalt aufwiesen. 103 Der erste staatliche Eingriff in den Brauvorgang erfolgte schließlich drei Monate später, am 9. Mai 1916, mit dem Erlass der ersten behördlichen Regelung des Stammwürzegehalts. Dieser wurde auf eine maximale Höhe von acht bis 8,5 Prozent festgesetzt. Betroffen waren alle in Bayern ausgeschenkte Biersorten und das sogenannte Heeresbier, das man an die Front- und Besatzungstruppen versandte. Nur das Exportbier, das außerhalb Bayerns verkauft wurde, behielt einen höheren Stammwürzegehalt. Dieser blieb bei zehn bis zwölf Prozent. Mit der gleichen Verordnung wurde die Produktion von sogenanntem Dünnbier verfügt, das einen Stammwürzegehalt von maximal fünf Prozent aufweisen durfte. Das Dünnbier, synonym auch als Kriegsbier bezeichnet, sollte zum Sinnbild der Kriegsauswirkungen auf die bayerische Brauindustrie werden. Zu einer weiteren Herabsetzung des Stammwürzegehalts kam es im Jahresverlauf 1916 nicht mehr. In der Bekanntmachung zum Verkehr mit Bier war der Stammwürzegehalt noch nicht berücksichtigt worden. 104 Dass sich schließlich die Behörden zu weiteren Herabsetzungen genötigt sahen, war die Wirkung der in kurzer Folge nacheinander erlassenen Malz- und Gerstenkontingentskürzungen im Oktober und Dezember 1916. Am 2. Februar 1917 verfügten die drei stellvertretenden Generalkommandos, dass „bis auf weiteres […] der Stammwürzegehalt für Bier 7 Prozent zu betragen [hatte], gleichviel ob das Bier zum Verbrauch in Bayern oder zum Versand in außerbayerisches Gebiet bestimmt ist.“ 105 Daneben durfte „nur noch Dünnbier in den Verkehr gebracht werden,“ 106 an dessen Stammwürzegehalt sich zunächst nichts änderte. Mit der Regelung glich man nun erstmals den Stammwürzegehalt aller Biersorten an und schuf ein staatlich verordnetes Einheitsbier. Ausgenommen davon war nur das Dünnbier, das weiterhin bei fünf Prozent Stammwürze blieb. Die Reduzierung der Stammwürze bedeutete nicht nur eine qualitative Verschlechterung des Biers, sondern brachte zusätzliche technische Herausforderungen in den Herstellungsabläufen mit sich, was vor allem viele kleine und mittlere Brauereien vor große Probleme stellte. Sie verfügten meist nur über 103 R OTH , Kriegsanordnungen 1917, 119f. 104 S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 521; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 64; Bekanntmachung über die Abgabe von Dünnbier vom 9.5.1916, in: Bayerischer Staatsanzeiger 4 (1916), Nr. 109. 105 Bekanntmachung über die Stammwürze des Bieres vom 2.2.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 28. 106 Ebd. <?page no="244"?> Corinna Malek 244 kleine Produktionsstätten, die auf einen normalen Brauvorgang ausgelegt waren und nur schwer auf die veränderten Produktionsbedingungen umzustellen waren. 107 Obwohl die Stammwürzereduktion am 2. Februar 1917 verfügt worden war, gingen die Beratungen über weitere Rationierungs- und Streckungsmaßnahmen weiter. Bereits vier Tage nach Erlass der neuen Anordnung stellte das Staatsministerium des Innern gegenüber dem Kriegsministerium fest, dass „eine weitere Streckung des Bieres […] als unbedingt nötig angezeigt“ 108 sei. Entsprechend ließ man von einer eigens gebildeten Kommission beim stellvertretenden Generalkommando des I. Armeekorps Berechnungen anstellen, welche Biermenge aus einem Doppelzentner Malz (100 Kilogramm) gebraut werden konnten. Bei einer siebenprozentigen Stammwürze lag die Biermenge bei neun Hektoliter pro Doppelzentner, während bei einer sechsprozentigen Stammwürze aus einem Doppelzentner 10,5 Hektoliter erzeugt werden konnten. Anhand der Berechnungen stellten die Behörden die Notwendigkeit einer weiteren Reduktion der Stammwürze auf sechs Prozent fest, da dadurch mehr Bier aus dem Doppelzentner gewonnen werden konnte. Entsprechend der Ergebnisse einigten sich die beteiligten Stellen bei einer Beratung im Kriegsministerium am 10. März 1917 darauf, dass „mit Wirkung vom 15. März 1917 angeordnet werde, daß nur noch Bier mit 6% Stammwürze hergestellt werden darf.“ 109 Eine entsprechende Verordnung erschien am 15. März 1917 im „Bayerischen Staatsanzeiger“. Doch nicht nur das normale Bier war von der Herabsetzung betroffen, auch der Stammwürzegehalt des Dünnbiers wurde auf einen Wert zwischen 3,5 und vier Prozent reduziert. 110 Um die neuen Bestimmungen umgehend in der Praxis umzusetzen, veranlasste das stellvertretende Generalkommando I. Armeekorps am 27. März 1917 eine Besprechung mit Vertretern der Interessenvertretung Verein Münchener Brauereien. 111 107 J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 63f.; BayHStA, MKr 12869, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an Kriegsministerium, 6.3.1917. 108 BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917. 109 BayHStA, MKr 12868, Niederschrift über die Beratung beim Kriegsministerium, 10.3.1917. 110 BayHStA, MKr 12868, Bemerkungen zur Berechnung, undatiert; BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917; BayHStA, MKr 12868, Niederschrift über die Beratung beim Kriegsministerium, 10.3.1917; Bekanntmachung über die Stammwürze des Bieres vom 15.3.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 63. 111 Der Verein Münchener Bierbrauereien e.V. wurde 1871 gegründet und besteht bis heute. In Bayern gab es eine Vielzahl lokaler und regionaler Interessensverbände, die die Anliegen ihrer Mitglieder vertraten. Gründungszweck des Münchner Vereins war die Interessenvertretung der sich angeschlossenen Münchner Brauereien gegenüber den kommunalen und staatlichen Behörden sowie gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen und -akteuren. Während der Kriegszeit setzte sich der Verein besonders für die Interessen der Münchner Brauereien ein, um die <?page no="245"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 245 In München konzentrierten sich die führenden Großbrauereien Bayerns, die einen nicht unerheblichen Teil der Heeres- und Zivilversorgung stemmten. Bei der Besprechung vereinbarte man, dass sie „ein Viertel des ihnen nach Abzug der zu Gunsten des Heeres und der Schwerst-, Schwer- und Erntearbeiter beschlagnahmten Kontingentsteile (30%) verbleibenden Gerstenmalzkontingents zur Herstellung von Dünnbier verwenden; mit dem Einbrauen wird sofort begonnen.“ 112 Das neugebraute Dünnbier sollte spätestens ab 21. April 1917 ausgeschenkt werden können. 113 Die am 14. April 1917 erlassene allgemeine Neuregelung der Bierversorgung nahm die Regelungen zur Stammwürze in Paragraph zwei auf. Die Brauereien durften nur noch Bier „mit einem Stammwürzegehalt von 6 vom Hundert oder mit einem Stammwürzegehalt von 3,5 bis 4 vom Hundert hergestellt werden.“ 114 Darüber hinaus wurden die Brauer verpflichtet, „mindestens die Hälfte ihres beschlagnahmefreien Malzkontingents zur Herstellung von Dünnbier zu verwenden.“ 115 Damit sollte eine weitere Ausdünnung und Streckung der Biermenge bis zum September 1917 erreicht werden. Um diese noch weiter auszureizen, verfügten die stellvertretenden Generalkommandos zwei Tage nach der Neuregelung, Besatzungstruppen, Schwer-, Schwerst- und Erntearbeiter ab Mai 1917 nur noch mit Dünnbier zu beliefern. Ausschließlich Feldtruppen sollten Bier mit dem höheren Stammwürzegehalt erhalten. Kurz nach Bekanntwerden dieser Regelung setzte der Verein Münchener Brauereien seine Mitglieder von den neuen Vorgaben in Kenntnis und veranlasste die Steigerung des Dünnbierbrauens. 116 Trotz der rapiden Kürzung des Stammwürzegehalts im ersten Quartal 1917 reichten die Maßnahmen nicht aus, um die Versorgung bis zum Stichtag am 31. Oktober 1917 sicherzustellen. Mitte Juli 1917 sahen sich die stellvertretenden Generalkommandos zu einer weiteren Herabsetzung des Stammwürzegehalts veranlasst. Am 18. Juli führte man per Verordnung offiziell das „Kriegsbier“ genannte Einheitsbier ein. Es durfte „nur mehr einen Stammwürzegehalt von 3,5-4 vom Hundert“ 117 besitzen. Gleichzeitig legte die Regelung fest, dass die bayerischen Brauereien „ab Produktion aufrecht zu erhalten und Schließungen von kleineren Brauereien zu vermeiden, vgl. E YMOLD , Bier, 242; B AYERISCHER B RAUERBUND , 50. Stiftungsfest, 20f. 112 BayHStA, MKr 12868, Schreiben stellv. Generalkommando I. Armeekorps an den Verein der Münchener Brauereien, 28.3.1917. 113 Ebd.; E YMOLD , Bier, 242. 114 Bekanntmachung über Bier vom 14.4.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87. 115 Ebd. 116 Bekanntmachung über Bier vom 14.4.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Rundschreiben Bayerischer Brauerbund, 20.4.1917; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an den Bayerischer Brauerbund, 14.4.1917. 117 Bekanntmachung über Einheitsbier (Kriegsbier) vom 18.7.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 166. <?page no="246"?> Corinna Malek 246 15. August 1917 […] nur mehr Kriegsbier zum Austoß bringen“ 118 durften. Für den weiteren Jahresverlauf 1917 erfolgten keine weiteren Kürzungen der Stammwürze. Über den Haufen geworfen wurden sämtliche Planungen und Rationierungsmaßnahmen schließlich im November 1917 mit der Bundestagsverordnung vom 20. November 1917, die erneut die Malz- und Gerstenkontingente der Brauereien kürzte. Bayern erhielt nunmehr nur noch ein Kontingent von 15 Prozent, die restlichen Brauereien im Reich sogar nur noch zehn Prozent. Entsprechend mussten die bisher ergangenen Verordnungen und Berechnungen für das Sudjahr 1918 angepasst werden. 119 Am 2. Januar 1918 erschien daher eine aktualisierte Fassung der Bekanntmachung über Bier. Sie legte fest, dass Bier, „soweit es nicht für das Feldheer bestimmt ist, nur mit einem Stammwürzegehalt von 3,5 vom Hundert hergestellt und in den Verkehr gebracht werden (Kriegsbier)“ 120 durfte. Eine weitere Reduzierung der Stammwürze erfolgte somit nicht. Das stellvertretende Generalkommando hatte sich bereits im Dezember 1917 in einem Bericht klar zur Frage, „ob nicht zur Streckung der Biervorräte die Stammwürze noch weiter herabgesetzt werden könnte,“ 121 positioniert: „Die Frage muß mit einem glatten ‚Nein‘ beantwortet werden. Eine noch weitere Verdünnung des Bieres kann den Verbrauchern nicht mehr zugemutet werden.“ 122 Entsprechend blieb es bei der bereits festgesetzten Stammwürzehöhe von 3,5 Prozent. 123 Parallel zur Verdünnung des Biers durch eine Herabsetzung des Stammwürzegehalts diskutierten die staatlichen Stellen Anfang 1917 erneut die Idee der Einführung einer Bierkarte. Der Bayerische Landwirtschaftsrat hatte sie bereits 1915 vorgeschlagen, da sie seiner Auffassung nach zu einer gerechteren Verteilung führe, vor allem für jene, die Bier aufgrund ihrer hohen körperlichen Arbeitsbelastung benötigten. Die Idee fand in Reihen der stellvertretenden Generalkommandos und auf Ministerialebene keine Befürworter. Aufgrund der Entwicklungen im Jahresverlauf 1916 wurde sie nochmals in die Diskussion aufgenommen, erstmals in einer Sitzung beim Kriegsministerium am 19. Januar 1917, in der das weitere Vorgehen beratschlagt wurde. 118 Ebd. 119 Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandeln vom 7. Oktober 1916 vom 20.11.1917, in: RGBl 1917, 1058‒1060; Bekanntmachung über Einheitsbier (Kriegsbier) vom 18.7.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 166; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 64f.; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 521. 120 Bekanntmachung über Bier vom 2.1.1918, in: Bayerischer Staatsanzeiger 6 (1918), Nr. 14. 121 BayHStA, MKr 12870, Bericht stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps, 17.12.1918. 122 Ebd. 123 Bekanntmachung über Bier vom 2.1.1918, in: Bayerischer Staatsanzeiger 6 (1918), Nr. 14; BayHStA, MKr 12870, Bericht stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps, 17.12.1918. <?page no="247"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 247 Dabei wurde deutlich gemacht, welche Schwierigkeiten mit der Einführung einer Bierkarte verbunden wären, eine endgültigen Entscheidung wurde aber nicht gefällt. An der Sitzung nahmen auch Vertreter des Bayerischen Brauerbunds teil. Der Brauerbund befasste sich in seiner Delegiertenversammlung am 23. Februar 1917 mit dem Vorschlag. Die versammelten Brauereibesitzer und -direktoren sprachen sich einstimmig dafür aus, „dass die Einführung der Bierkarte oder Biermarke unbedingt abzulehnen sei.“ 124 Nach dem Beschluss richtete der Bayerische Brauerbund außerdem eine Eingabe an das Staatsministerium des Innern, in der er seine ablehnende Haltung nochmals darlegte. Eine konträre Meinung vertrat hingegen das Staatsministerium des Innern, das am 6. Februar 1917 an das Kriegsministerium schrieb, dass „die richtige Verteilung der Biermenge auf Militär und Zivil, für diese insbesondere durch Einführung der Bierkarte“ 125 geregelt werden müsse. Es folgten weitere Diskussionen in den Ministerien, den stellvertretenden Generalkommandos und dem Ernährungsbeirat. Für Unmut sorgte das Vorpreschen von Innenminister Friedrich von Brettreich, der sich in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags am 23. Februar für die Einführung der Bierkarte aussprach. Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Diskussion über eine mögliche Einführung noch an und eine Entscheidung war von Seiten der verantwortlichen Stellen noch nicht gefallen. Am 6. März 1917 beendete das stellvertretende Generalkommando des I. Armeekorps die Diskussion endgültig, indem es gegen die Einführung der Bierkarte entschied, sich damit gegen das Staatministerium des Innern stellte, indem es argumentierte, dass „nicht nur die Verschiedenheiten des Alters, Geschlechtes, der Beschäftigung usw., sondern auch die örtlichen, gesellschaftlichen und individuellen Gewohnheiten und Gebräuche ins Auge zu fassen“ 126 seien, die keinesfalls mit einer einheitlichen Karte gedeckt werden könnten. Die Bierkarte wurde deshalb nicht in die Neuregelung der Bierversorgung aufgenommen, die am 14. April 1917 offiziell in Kraft gesetzt wurde. 127 Auch die Brauereien entwickelten Strategien, um der zunehmenden Bierverdünnung durch fehlende Rohstofflieferungen zu begegnen. Eine Möglichkeit bot das 124 BayHStA, MKr 12869, Beschluss Delegiertenverfassung des Bayerischen Brauerbundes, 23.2.1917. 125 BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917. 126 BayHStA, MKr 12869, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armee-Korps an das Kriegsministerium, 6.3.1917. 127 BayHStA, MKr 12868, Schreiben Staatsministerium des Innern an Kriegsministerium, 6.2.1917; BayHStA, MKr 12869, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armee- Korps an das Kriegsministerium, 6.3.1917; BayHStA, MKr 12869, Beschluss Delegiertenverfassung des Bayerischen Brauerbundes, 23.2.1917; BayHStA, MKr 12869, Schreiben des Bayerischen Brauerbundes an das Staatsministerium des Innern, 26.2.1917; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur 1964, Sitzungsprotokoll Beratung beim Kriegsministerium, 19.1.1917; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 512. <?page no="248"?> Corinna Malek 248 Brauen von bierähnlichen Getränken, die ebenfalls aus Malz hergestellt wurden, allerdings mit einem geringeren Materialeinsatz. Die neuen Getränke fielen in die Sparte der Ersatzmittel, ein Phänomen, dass die Versorgungsnot während des Ersten Weltkriegs in Deutschland hervorbrachte. Die staatliche Kontrolle übte in Bayern die 1916 geschaffene Ersatzmittelabteilung der Bayerischen Landespreisprüfungsstelle 128 aus. Sie genehmigte die Zulassung von Ersatzmitteln, überwachte und prüfte deren Qualität und setzte deren Preis fest anhand der Regelungen der Bekanntmachung über den Handel mit Ersatzmitteln vom 3. April 1917. 129 Bis zum kurz aufeinanderfolgenden Erlass der Kontingentsverkürzungen am Jahresende 1916 und den damit im Jahresverlauf erlassenen Kürzungen des Stammwürzegehalts war das Brauen solcher Ersatzgetränke kein Thema der bayerischen Brauereien. Als Reaktion auf die sich zunehmend verschlechternde Rohstoffsituation während des ersten Halbjahrs 1917 begannen einige größere Brauereien und Exportbrauereien, unter anderem die Großbrauereien in München, sich ab Juni 1916 zusätzliche Malzkontingente zuteilen zu lassen, um mit dem Brauen erster Ersatzbiergetränke zu beginnen. Die ersten Anträge für die Zulassung der neuen Produkte zum Verkauf in und außerhalb Bayerns erreichten im Sommer 1917 die Ersatzmittelabteilung der Bayerischen Landespreisprüfungsstelle. Deren Zuständigkeit ergab sich aus dem Status der neuen Brauerzeugnisse als Ersatzmittel und nicht als Bier. Das stammwürzereduzierte Bier wurde weiterhin von Seiten der Bayerischen Bierverteilungsstelle verwaltet. Diesem Vorgehen stimmten sowohl die stellvertretenden Generalkommandos als auch das Kriegsministerium sowie das Staatsministerium des Innern zu. Die einzige Auflage, die für eine Zulassung von Seiten des Generalkommandos erhoben wurde, war der Nachweis des Bedarfs solcher Getränke für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung. Dafür brachte sich das stellvertretende Generalkommando gutachterlich in den Entscheidungsprozess ein. Grundsätzlich legte es aber kein Veto gegen die Entscheidungen der Ersatzmittelabteilung ein, auch wenn es in den „Bierersatzgetränken ein notwendiges 128 Die Bayerische Landespreisprüfungsstelle entstand am 23. Dezember 1915 mit der Aufgabe, die Landesbehörden in Versorgungsfragen zu beraten, entsprechende Gutachten zu erstellen und Höchstpreise für Versorgungsgüter aller Art festzusetzen wie auch zu überwachen. Die Landespreisprüfungsstelle verfügte über Unterbehörden auf Ebene der Gemeinden und Kommunalverbände, die die örtliche Preisgestaltung und -einhaltung überwachten, vgl. H IN- TERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 78-80; Statistisches Landesamt (Hrsg.), Kriegsstellen, 2. 129 Bekanntmachung über den Handel mit Ersatzmitteln vom 3.4.1917, in: Kriegs-Beilage des Amtsblattes der K. Staatsministerien des Königlichen Hauses und des Äußern und des Innern 45 (1917), 331-335; M ERZ , Ersatzmittelabteilung, 492f.; DERS ., Bayerische Landespreisstelle beim Bayerischen Statistischen Landesamt, 279-285; DERS ., Bayerische Landespreisstelle, 177-181; W EIß , Wirtschaftliche Bedeutung, 288; B RETZFELD , Bayerische Landespreisstelle, 3-6, 13f. <?page no="249"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 249 Übel“ 130 sah. Für die Unterscheidung zwischen Bier und bierähnlichen bzw. Bierersatzgetränken legte man die Statuten des Bayerischen Malzaufschlagsgesetzes von 1910 zugrunde; sie war vor allem steuerrechtlich von Belang. Das Gesetz definierte Bier als Getränk, das nur „Malz […] Hopfen, Hefe und Wasser“ 131 enthalten durfte. Gleiches galt allerdings auch für die bierähnlichen Getränke in Bayern, ab 1918 wurde die Definition um den Zusatz von künstlicher Kohlensäure erweitert. Andere Zusätze oder Ersatzstoffe waren verboten, da solche Getränke in Bayern keine Zulassung als Bierersatz erhielten. Im Frühjahr 1918, als die Anzahl der Bierersatzgetränke zunehmend stieg, verständigte man sich zwischen Vertretern der Brauindustrie und den staatlichen und militärischen Verantwortlichen außerdem auf einen festen Stammwürzegehalt, um eine klarere Unterscheidung zwischen Kriegsbier und Ersatzgetränken zu erreichen. Kriegsbier musste laut der Bekanntmachung vom 2. Januar 1918 einen Stammwürzegehalt von 3,5 Prozent aufweisen. Für die Ersatzbiergetränke einigte man sich im April 1918 auf einen Wert von maximal 1,5 Prozent. Des Weiteren wurde ein fester Umrechnungssatz zwischen Kriegsbier und Bierersatzgetränken von eins zu zwei vereinbart und die Menge der für die Ausfuhr bestimmten Bierersatzgetränke auf ein Drittel des dafür zugeteilten Malzes festgelegt. Eine genaue Anzahl, wie viele Bierersatzgetränke zwischen Sommer 1917 und dem Kriegsende im November 1918 zugelassen wurden, findet sich in den Quellen nicht. 132 130 BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an Kriegsministerium, 1.3.1918. 131 Bayerisches Malzaufschlaggesetz vom 18.3.1910, in: Gesetz- und Verordnungsblatt Bayern 1910, 113. 132 BayHStA, MKr 12869, Schreiben Staatsministerium des Innern an Bayerisches Statistisches Landesamt Ersatzmittelabteilung, 29.10.1917; BayHStA, MKr 12869, Schreiben Statistisches Landesamt Ersatzmittelabteilung an Staatsministerium des Innern, 11.11.1917; BayHStA, MKr 12870, Schreiben Staatsministerium des Innern an Bayerische Landespreisprüfungsstelle Ersatzmittelabteilung, 18.12.1917; BayHStA, MKr 12870, Aufstellung Bayerische Bierverteilungsstelle über Kriegsbier und Bierähnliche Getränke, 18.4.1918; BayHStA, MKr 12870, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an den Staatssekretär des Kriegsernährungsamtes in Berlin, 15.5.1918; BayHStA, MKr 12870, Schreiben Staatsministerium des Innern an die Landespreisprüfungsstelle, 31.5.1918; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Verzeichnis derjenigen Brauereien denen Malz zur Herstellung von bierähnlichen Getränken freigegeben wurde, undatiert; BayHStA, stellv. Gen- Kdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben Bayerische Landespreisprüfungsstelle an stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps, 13.9.1917; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an Bayerische Landespreisprüfungsstelle, 5.10.1917; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Niederschrift über die Sitzung bei der Bayerischen Landespreisprüfungsstelle, Ersatzmittelabteilung, 27.2.1918; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an Kriegsministerium, 1.3.1918; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Niederschrift Referentenbesprechung im Kriegsministerium, 22.4.1918; BayHStA, <?page no="250"?> Corinna Malek 250 Trotz aller Maßnahmen gelang es den staatlichen Stellen kaum, den Bierbedarf aller Konsumenten zufriedenstellend zu sichern. Besonders hart traf die Bevölkerung die Verdünnung des Biers; ihre Ablehnung schlug sich in einem Rückgang des Pro- Kopf-Konsums nieder. Auch Bierersatzgetränke konnten diesen Mangel nicht kompensieren. Ebenso trafen die ergriffenen Maßnahmen die Brauereien hart, die schwer um ihr weiteres Überleben kämpften, je länger der Krieg dauerte. 3. Der Bayerische Brauerbund und der Krieg Obwohl die Kriegswirtschaft und die damit verbundene Bewirtschaftung von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Gütern des täglichen Bedarfs staatlich organisiert war, schalteten sich Berufsverbände sowie die Industrie- und Handelskammern, der Bayerische Landwirtschaftsrat und lokale Akteure in die staatliche Kriegswirtschaft mit ein, um die Interessen der von ihnen vertretenen Berufs- und Interessengruppen zu wahren. Unter ihnen finden sich der Deutsche und der Bayerische Brauerbund und verschiedene lokale Brauereivereine. Für Bayern fungierte als oberster Verband der 1880 gegründete Bayerische Brauerbund. Unter dessen Dach vereinigten sich regionale Brauereivereine und -zusammenschlüsse aus allen Regierungsbezirken und der Pfalz. 133 Auf Reichsebene agierte der Deutsche Brauerbund als Dachorganisation für das gesamte deutsche Brauwesen, inklusive der bayerischen Brauindustrie. Der Bayerische Brauerbund war nicht autark, sondern Mitglied des deutschen Dachverbands. Allerdings reklamierte der Bayerische Brauerbund die Interessensvertretung der bayerischen Brauindustrie innerhalb der Kriegswirtschaft für sich. Dafür dass die bayerischen Interessen innerhalb des Deutschen Brauerbundes Gehör und Gewicht hatten, sorgten mehrere führende Persönlichkeiten der bayerischen Brauindustrie, die in den Führungsgremien des Deutschen Brauerbundes wirkten, darunter die Geheimen stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps an Staatsministerium des Innern, 16.5.1918; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Schreiben Ministerium des Äußern und des königlichen Hauses an den Bayerischen Brauerbund, 1.6.1918; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 65f.; W INDISCH , Bier-Ersatzmittel, 72-74; R OTHENFUßER , Ersatzmittel für Lebensmittel, 22; B EYTHIEN , Volksernährung, 430. 133 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Verzeichnis Brauereivereine; M ALEK , Gewinner des Kriegs, 264f.; S PERL , Wirtschaft und Staat, 31, 34f. <?page no="251"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 251 Kommerzienräte Friedrich von Mildner 134 und August Pschorr 135 aus München sowie Hans Humbser 136 aus Fürth. Die Schwerpunkte des Engagements des Deutschen 134 Friedrich Ritter von Mildner wurde 1855 in Gotha geboren und arbeitete nach seiner kaufmännischen Ausbildung zunächst in der rheinischen Eisenindustrie, bevor er 1878 eine Stelle als Oberbuchhalter bei der Münchner Löwenbräu AG antrat, wobei sich die Firma zu dieser Zeit in einer veritablen Krise befand. 1886 folgte ein kurzer Wechsel zur Spatenbrauerei, bei der er knapp ein Jahr als Oberbuchhalter arbeitete. 1887 lotste ihn der damalige Direktor, Kommerzienrat Anton Hertrich, zurück zur Löwenbräu, indem er Mildner die Stelle als stellvertretender Direktor anbot. Hertrich selbst hatte 1882 zunächst Anteile an der Löwenbräu AG erworben und ab 1885 die Firmenleitung übernommen. Unter dem Führungsduo Hertrich-Mildner konnte die Löwenbräu AG aus ihrer Krise herausgeführt und zur führenden Brauerei Münchens und einer der größten im Reich ausgebaut werden. Mildner kam dabei ein wesentliches Verdienst zu. Nach Hertrichs Tod übernahm Mildner 1898 die alleinige Leitung der Löwenbräu AG als Direktor und führte die erfolgreiche Weiterentwicklung zur Weltmarke Löwenbräu fort. Innerhalb der Verbandslandschaft des Brauwesens war Mildner reichs- und bayernweit gut vernetzt. Beim Deutschen Brauerbund übernahm Mildner von 1911 bis 1913 das Präsidentenamt. Während des Kriegs wirkte Mildner bei der Gersten- und Malzbewirtschaftung mit, er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Gersten-Verwertungsgesellschaft mbh. Ebenso saß er als Mitglied in der nachfolgenden Reichsgerstengesellschaft mbH und hielt über die Löwenbräu AG Anteile an der Kriegsgesellschaft. Auf die bayerische Gersten-, Malz- und Getreidebewirtschaftung wirkte Mildner ebenso ein. Bei der Gründung der Landesgetreidestelle im August 1917 trat er zunächst als persönlicher Gesellschafter auf, übergab seinen Gesellschafterposten in der Folge aber an den Bayerischen Brauerbund. Auf bayerischer Ebene gehörte er durch seine Tätigkeit als Brauereidirektor dem Verein Münchner Brauereien an, innerhalb dessen er das Amt des zweiten Vorsitzenden übernahm. Als der Bayerische Brauerbund 1900 mit dem Ableben seines Vorsitzenden und Präsidenten Johann Sedlmayr vorstandslos geworden war, wählten die Mitglieder Mildner ein Jahr später, 1901, zum neuen Vorsitzenden und Präsidenten. Das Amt behielt Mildner bis 1919, als sich der Bayerische Brauerbund aufgrund der Kriegserfahrungen intern mit einer neuen Satzung und Vereinsstruktur reformierte. 1917 wurde Mildner aufgrund seiner Verdienste in den Adelsstand erhoben, bereits 1901 war er zum Kommerzienrat und 1911 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt worden. Mildner prägte damit die kriegswirtschaftlichen Aktivitäten des Bayerischen Brauerbundes und gab deren Richtung vor, ebenso nutzte er hierzu seine Beziehungen zum Deutschen Brauerbund. Darüber hinaus war er an der Entscheidungsfindung der militärischen und zivilen Behörden beteiligt und wurde als Berater hinzugezogen, vgl. BayHStA, MInn 46968, Ernennungsvorschlag von Mildner, undatiert; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 489, 570f.; J EHLE , Mit dem Bayerischen Brauerbund durch Krieg und Revolution, 17f.; B USEMANN , Der Deutsche Brauerbund, 77, 82f.; Z AHN , Öffentliche Bewirtschaftung, 14; W INKLER , Löwenbräu. 135 August Pschorr entstamme der Münchner Brauereidynastie Pschorr, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts in München ansässig war und die dortige Hacker-Brauerei betrieb. Pschorr gehörte, wie von Mildner, zu den führenden Köpfen der Münchner Bierindustrie. August Pschorr durchlief eine kaufmännische Ausbildung und ein brautechnisches Studium in Weihenstephan, ehe er 1888 zunächst als Prokurist in den Familienbetrieb einstieg. August Pschorr übernahm nach dem Tod seines Vaters Georg Pschorr d.J. 1894 die Leitung des Unternehmens zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern. Unter ihrer Leitung erlebte die Firma einen wirtschaftlichen Ausbau und Aufstieg sowie eine technische Modernisierung. <?page no="252"?> Corinna Malek 252 Brauerbunds in der Kriegswirtschaft lagen auf drei Hauptarbeitsgebieten: der Gersten- und Malzbewirtschaftung, der Heeresversorgung und der Unterstützung der Mitgliedsbetriebe mit Betriebsmitteln. Im letztgenannten Bereich richtete der Deutsche Brauerbund im Sommer 1916 eine Technische Abteilung mit mehreren Unterausschüssen und Abteilungen ein. Diese befassten sich mit einzelnen Betriebsmitteln, darunter beispielsweise die Metall-Beratungs- und Verteilungsstelle für die Brauindustrie. Den größten Bereich der kriegswirtschaftlichen Aktivtäten machte die Gersten- und Malzbewirtschaftung aus, bei deren Organisation der Deutsche Brauerbund aktiv mitwirkte. So gingen von Aktivitäten des Bundes und seiner damaligen Präsidenten Rudolf Funke und Hans Humbser die Gründung der Malzausgleichstelle im Mai 1915, der Gerstenverwertungs-Gesellschaft mbH (1915‒1916), der Reichsgerstengesellschaft mbH (1916‒1917) und der Gerstenverteilungsstelle (1917‒1921) aus. 1904 wurde er zum Kommerzienrat, 1918 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Innerhalb des Braugewerbes engagierte sich Pschorr auf reichs-, landes- und lokaler Ebene. Im Deutschen Brauerbund gehörte er dem Präsidium an, war an der Gründung der Gersten-Verwertungsgesellschaft mbH beteiligt und saß als Mitglied in deren Aufsichtsrat. Zwischen 1926 und 1934 übernahm er zudem das Präsidentenamt des Deutschen Brauerbundes. Im Bayerischen Brauerbund gehörte er dem Vorstand an; zwischen 1922 und 1931 übernahm er den Posten des stellvertretenden Präsidenten. Auf lokaler Ebene engagierte sich Pschorr innerhalb des Vereins der Münchner Brauereien, den er zwischen 1898 und 1922 als Vorstand lenkte, sowie in der Lokalpolitik. Während des Ersten Weltkriegs unterstützte er seine Heimatstadt München mit Spenden, vgl. BayHStA, MHIG 2272, Ernennungsvorschlag August Pschorr, undatiert; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 601; J EHLE , Mit dem Bayerischen Brauerbund durch Krieg und Revolution, 34‒36; B USEMANN , Der Deutsche Brauerbund, 78f. 136 Hans Humbser stammte aus einer Brauerfamilie in Fürth und wurde dort 1860 geboren. Seinem Vater, Kommerzienrat Johann Humbser, gehörte die Brauerei Johann Humbser, eine der ehemals fünf größten Brauereien der Stadt Fürth. Hans Humbser erhielt seine brautechnische Ausbildung in Weihenstephan und stieg 1884 in das Familienunternehmen ein. Humbser erlebte beruflich einen steilen Aufstieg, bereits 1904 wurde er zum Kommerzienrat und 1911 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Innerhalb des Brauwesens engagierte sich Humbser beim Deutschen und beim Bayerischen Brauerbund. Zwischen 1913 und 1926 stand er als Präsident dem Deutschen Brauerbund vor. Während seiner Amtszeit wirkte er bei der Gründung der Gersten-Verwertungsgesellschaft mbh im Juli 1915 mit, saß als Mitglied im allgemeinen Aufsichtsrat sowie im Präsidium. Eine ähnliche Rolle übernahm er bei der 1916 gegründeten Reichsgerstengesellschaft mbh, bei der er ebenfalls einen Posten im Aufsichtsrat wahrnahm. An der Gründung des Bayerischen Brauerbundes war Humbsers Vater Johann aktiv als Mitglied des Landesausschusses beteiligt, dem er in der Folge als Mitglied angehörte. Hans Humbser selbst wurde 1901 als Mitglied Teil des Landesausschusses und gehörte dem geschäftsführenden Vorstand an. Auf lokaler Ebene engagierte sich Humbser im Schutzverband vereinigter Brauereien Nürnberg, Fürth und Umgebung. Während des Krieges unterstützte Humbser außerdem die Kriegswirtschaft in seiner Heimatstadt Fürth. 1926 verstarb Humbser in Fürth, vgl. Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 9‒13, 32f.; B USEMANN , Der Deutsche Brauerbund, 77‒79, 83f.; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 502. <?page no="253"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 253 In den Vorständen und Aufsichtsräten der genannten Kriegsgesellschaften bekleideten Mitglieder des Deutschen Brauerbundes unterschiedliche Posten und vertraten die Interessen des Brauerbundes und der Brauindustrie. Das zweite große Betätigungsfeld stellte die Versorgung der Feldtruppen mit Bier dar. Dazu errichtete die Heereszentrale auf Reichsebene im August 1915 die Biereinkaufszentrale der Heeresverwaltung. Diese koordinierte die „Versorgung der sämtlichen Fronttruppen (ausgenommen Bayern und Württemberg) mit Bier.“ 137 Die Beschaffung der dazu notwendigen Biermengen übertrug die Heeresverwaltung hingegen dem Deutschen Brauerbund, der dazu die Verteilungsstelle der Bier-Einkaufszentrale der Heeresverwaltung einrichtete. 138 Innerhalb der bayerischen Kriegswirtschaft verstand sich der Bayerische Brauerbund selbst als „unentbehrliches Bindeglied zwischen Regierung und Gewerbe,“ 139 indem er einerseits die interne Kommunikation und den Informationsfluss über die neuesten Bekanntmachungen, Verordnungen und Regelungen unter den Brauereien in ganz Bayern koordinierte und andererseits gegenüber der staatlichen und militärischen Verwaltung die Belange der bayerischen Brauer vertrat. Darüber hinaus brachte sich der Bayerische Brauerbund in die Gersten- und Malzbewirtschaftung über die Mitarbeit in den entsprechenden Kriegswirtschaftsstellen und -gesellschaften mit ein, übernahm und verantwortete zwischen 1915 und 1916 die Belieferung der bayerischen Truppen mit Bier und stritt um eine adäquate Bierhöchstpreispolitik. 140 Bei der Gersten- und Malzversorgung erhielt Bayern, das in der staatlichen Verwaltungshierarchie des Reiches als ein zusammenhängender Kommunalverband galt, jeweils eine eigene Zweigstelle der auf Reichsebene gegründeten Gerstenverwertungs- Gesellschaft mbH und der Reichsgerstengesellschaft mbH. Die 1917 gegründete Landesgetreidestelle übernahm schließlich von diesen die gesamte Gerstenbewirtschaftung. In den beiden Gesellschaften war der Bayerische Brauerbund als Gesellschafter und beratendes Organ sowie mit einzelnen Mitgliedern in den Vorständen vertreten. Daneben war der Bayerische Brauerbund an der Koordinierung des Handels mit Malzkontingenten beteiligt, für den ab Januar 1916 die Verteilungsstelle für Malzkontingente beim stellvertretenden Generalkommando I. Armeekorps eingerichtet wurde. 141 137 H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 19. 138 B ORKENHAGEN , 100 Jahre, 261; B USEMANN , Der Deutsche Brauerbund, 37f., 75, 77‒79, 82f., 86f., 130f., 143f.; K OPPE , Der Deutsche Brauer-Bund und die Brau-Gesetzgebung, 12f., 16, 20f., 33‒36; F UNKE , Deutsche Brauindustrie im Kriege, 529f. 139 Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 15. 140 Ebd., 14; J EHLE , Mit dem Bayerischen Brauerbund durch Krieg und Revolution, 21f. 141 Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 15f.; W EBER , 75 Jahre Bayerischer Brauerbund, 51; S OLLEDER , Kriegsstellen, 174f. <?page no="254"?> Corinna Malek 254 Ein wichtiges Betätigungsfeld stellten die Heereslieferungen dar, über diese konnten vielen Brauereien, vor allem den größeren Exportbrauereien, wichtige Aufträge gesichert und der Status der gesamten Brauindustrie als kriegswichtiger Industrie unterstrichen werden. Die Bierlieferungen an die kämpfenden Truppen wurden mit der Erstarrung der Front und dem Wandel von einem Bewegungsin einen Grabenkrieg erforderlich. Denn solange der Krieg dynamisch in seinem Verlauf war, nutzten die Militärbehörden die in den jeweiligen Ländern vorhandenen Vorräte zur Truppenversorgung, ebenso erhielten die Truppen über die Lieferung von Liebesgaben vereinzelt Bier aus der Heimat. Eine flächendeckende Versorgung der Feldtruppen wurde daher erst im Jahresverlauf 1915 notwendig, die die militärischen Behörden unter anderem über Beschlagnahmen festgelegter Biermengen und Teilen der neu eingeführten Kontingente sicherstellten. Dem Bayerischen Brauerbund übertrug das stellvertretende Generalkommando I. Armeekorps am 12. Juni 1915 mehrere Zuständigkeiten, darunter die „Verteilung [der zu liefernden Biermengen] auf die einzelnen Brauereien [sowie] […] die Bekanntmachung der vorstehenden Anordnungen an die einzelnen Brauereien des Korpsbezirks.“ 142 Daneben übernahm der Bayerische Brauerbund die Abrechnung und Versendung der requirierten Biermengen an die Front. Diese Form der Beschaffung hatte letztlich nur bis zum 29. März 1916 Bestand, als mit dem Erlass der Verordnung über die Regelung des Verkehrs mit Bier die Bierverteilungsstelle gegründet worden war. Im Jahresverlauf 1917 entstand außerdem die Heeresbierzentrale. Beide Stellen übernahmen fortan die Beschlagnahme und Verteilung der Biermengen an das Heer als auch an die anderen Versorgungsgruppen der Bevölkerung. Mit der Schaffung der neuen Verwaltungsstellen verlor der Bayerische Brauerbund einen Großteil seiner Aufgaben für die Heeresbierlieferungen. Dennoch arbeitete er bis zum Februar 1917 noch in diesem Bereich mit, bevor die Heeresbelieferung endgültig und voll umfänglich auf die Heeresbierzentrale und die Bayerische Bierverteilungsstelle übertragen wurde. 143 Für das kriegswirtschaftliche Engagement vor Ort waren die lokalen Brauereivereinigungen zuständig, die als örtliche Sprachrohre fungierten und den Informationsfluss der staatlichen Stellen und der bayerischen Dachorganisation aus München in den einzelnen Regierungsbezirken und Regionen Bayerns trugen. Außerdem vertraten sie stärker die Interessen der lokal ansässigen Braubetriebe, um deren Überleben über den Krieg hinaus zu sichern. Ihr Hauptengagement lag aber in der Beteiligung an den Bewirtschaftungs- und Beschlagnahmemaßnahmen vor Ort. Gleichzeitig waren die 142 BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915. 143 Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 15; BayHStA, Gen. Kdo. I. Res.K. (WK) 4191, Schreiben des stellv. Generalkommandos I. bayer. A. K., 12.6.1915; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 52‒54; S OLLEDER , Kriegsstellen, 170; S TREIL , Bayerische Bierbrauerei in der Zwangswirtschaft, 507f.; J EHLE , Wirkungsstätten, 49. <?page no="255"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 255 lokalen Vereine und Verbände die ersten Ansprechpartner für die Brauereien bei kriegsrechtlichen Fragen aller Art und für Beschwerden. Aktiv waren zumeist lokale Brauereidirektoren und -inhaber, die sich bereits vor Kriegsausbruch in den Verbänden organisiert hatten. Ein Großteil der Vereine entstand in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, in der Preiskämpfe das Brauwesen beherrschten, die schließlich im Streit um die Reform des Bayerischen Malzaufschlagsgesetzes von 1910 gipfelten. Eine Diskrepanz bestand dabei vor allem zwischen den Interessensvertretungen der Großbrauer, vertreten durch den Bayerischen Brauerbund, seinem Präsidenten Friedrich von Mildner sowie Mitgliedern des Vorstandes, und den Interessen der Klein- und Mittelbrauer, meist vertreten durch die lokalen Brauereivereine und -vereinigungen vor Ort. In Oberbayern war vor allem der 1907 gegründete Verein der Brauereien des bayerischen Oberlandes eine wichtige Stütze, der die Interessen der Klein- und Mittelbrauer vertrat. Er sorgte dafür, dass diese in der Kriegswirtschaft nicht gänzlich abgehängt wurden. Treibende Kraft des Vereins war Max Kirschner, 144 der den Verein 1907 aus der Taufe gehoben hatte. Kirschner brachte sich bereits während des 144 Max Kirschner fällt im Vergleich zu den anderen Brauereigrößen, wie Friedrich von Mildner, August Pschorr oder Hans Humbser, etwas aus dem Rahmen. Der 1868 in München geborene Kirschner stammte aus einfachen Verhältnissen und arbeitete sich über eine landwirtschaftliche und brautechnische Lehre innerhalb des oberbayerischen Brauwesens nach oben. Nach Abschluss seiner Lehrzeiten und ersten Arbeitserfahrungen in Miesbach, Nürnberg, München und Tegernsee, schloss Kirschner 1893 ein brautechnisches Studium an der Brauschule in Augsburg ab. Anschließend wechselte er als Braumeister an die J. Hahn’sche Gutsbrauerei, bevor er 1898, ebenfalls als Braumeister, an die Herzogliche Brauerei Tegernsee zurückkehrte. Dort übernahm er 1907 den Posten des Direktors. Als Direktor bemühte er sich außerdem um eine bessere Vertretung seiner eigenen Interessen als auch derjenigen weiterer mittlerer und kleinerer Braubetriebe aus Oberbayern gegenüber den großen Brauereien in München, die das Braugewerbe dominierten. Kurzerhand gründete er 1907 zusammen mit weiteren Brauereivertretern Oberbayerns den Verein der Brauereien des Bayerischen Oberlandes, der sich in der Folge unter seiner Leitung zum führenden Vertretungsorgan der Klein- und Mittelbrauer in Oberbayern entwickelte, auch innerhalb des Bayerischen Brauerbunds. Über seine Position als Vorsitzender des Vereins der Brauereien des bayerischen Oberlandes kam er schließlich auch in Kontakt mit den Führungsriege des Bayerischen Brauerbunds und nutzte schließlich die sich ihm während der Kriegszeit bietende Möglichkeit, seinen Einfluss über die Verbandsarbeit in den Brauerbund hineinzutragen. Nach Kriegsende konnte Kirschner seine durch Kriegsengagement gefestigte Position innerhalb des Bundes weiter ausbauen, 1919 wählte man ihn als Vertreter der Klein- und Mittelbrauer zum Präsidenten. 1924 wurde er für seinen wirtschaftlichen Erfolg und seine verbandstechnische Arbeit mit dem Titel eines Kommerzienrats belohnt, wobei seine Ernennung von Misstönen begleitet wurde. Die Branche sah in Kirschner einen Emporkömmling, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Ziele verfolgte. Nichtsdestotrotz gab Kirschner den Klein- und Mittelbrauern innerhalb des Verbands eine Stimme und entwickelte sich über den Krieg zu einer prägenden Persönlichkeit des Bayerischen Brauerbundes in der Nachkriegszeit und den 1920er Jahren. Auf reichsweiter Ebene des Deutschen Brauerbundes trat Kirschner nicht in Erscheinung, vgl. BayHStA, MHIG 1190, Ernennungsvorschlag Kirschner, undatiert; BayHStA, MHIG 1908, Ernennungsvorschlag <?page no="256"?> Corinna Malek 256 Kriegs aktiv in die Arbeit des Bayerischen Brauerbundes ein und wurde nach Kriegsende 1919 zum Präsidenten des Brauerbunds gewählt. 1924 brachte ihm sein Engagement für den Verein und den Brauerbund den Kommerzienratstitel ein. Er kann als eine der prägenden Figuren und Akteure der bayerischen Brauindustrie in der Kriegswirtschaft gelten. Schwerpunkte der kriegswirtschaftlichen Vereinsaktivitäten war der Kampf für einen adäquaten Bierpreis, um das Überleben der kleinen und mittleren Brauereien zu sichern. Auch wuchs während der Kriegszeit die Mitgliederanzahl des Vereins der Brauereien des bayerischen Oberlands an, sodass der Verein zunehmend zum Vertretungsorgan der mittleren und kleineren Brauereien Oberbayerns avancierte. Diese Rolle festigte er auch nach Kriegsende. Ein weiterer Verein, der für Oberbayern und insbesondere für das Brauwesen in München wichtig war, war der Verein Münchener Brauereien. In ihm vereinigte sich ein Großteil der Münchner Großbrauereien, er bildete somit die Interessensvertretung der Groß- und Exportbrauer Münchens. Außerdem koordinierte der Verein ab 1917 die Herstellung von Dünnbier in den Münchner Brauereien und zeigte sich für die Bierversorgung der Stadt München mit verantwortlich. 145 Für Bayerisch-Schwaben waren der Verein Augsburger Brauereien e.V. und die Allgäuer Brauereivereinigung wichtige lokale Vertreter. Der 1868 gegründete Verein Augsburger Brauereien e.V. kümmerte sich um die Belange der Brauereien aus dem Stadtgebiet Augsburgs sowie der umgebenden Bezirksämter Augsburg und Schwabmünchen. Die 1903 in Kempten gegründete Allgäuer Brauereivereinigung hatte dort ihren Sitz und vertrat die Brauereien des Allgäuer Raums. Dazu gehörten die Bezirksämter Füssen, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Markt Oberdorf, Memmingen, Mindelheim und Sonthofen, also nahezu der gesamte Süden Bayerisch-Schwabens. Innerhalb der Kriegswirtschaft vertraten sie die Interessen der schwäbischen Brauer, vor allem auf dem Land. Das Allgäuer Braugewerbe war insbesondere von kleineren und mittleren Brauereien geprägt, lediglich in den ehemaligen Reichsstädten Kaufbeuren, Kempten und Memmingen fanden sich größere Braubetriebe mit einem weiteren Absatzradius, teilweise sogar als Exportbrauereien. Wichtige Akteure der Allgäuer Brauereivereinigung, die sich innerhalb der Kriegswirtschaft engagierten und hervortraten, stammten vor allem aus Kaufbeuren und Kempten. 146 Der Bayerische Brauerbund und seine angeschlossenen lokalen Brauereivereine und -verbände spielten eine wichtige Rolle, um die Durchsetzung von Maßnahmen Kirschner, undatiert; J EHLE , Mit dem Bayerischen Brauerbund durch Krieg und Revolution, 20f.; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 520. 145 J EHLE , Mit dem Bayerischen Brauerbund durch Krieg und Revolution, 20f.; S CHWARZ , 25 Jahre Verein der Brauereien, 11f., 19, 22, 30‒32; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 520; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 20‒23; E YMOLD , Bier, 242. 146 Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 37‒40; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Verzeichnis Brauereivereine; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 16‒18. <?page no="257"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 257 vor Ort zu erreichen bzw. diese zu verzögern. Die lokalen Netzwerke, die sich in den Verbänden fanden, konnten untereinander schnell in Interaktion treten, bevor das behäbige System der sich zunehmend aufblähenden Kriegswirtschaft und -bewirtschaftung in Gang kam. Entsprechend waren die Verbände vor Ort wichtige Übermittler von Informationen und Vermittler von Rohstoffen sowie Helfer in Notsituationen, die das örtliche Brauwesen über die Kriegszeit stabilisierten und in vielen Fällen die Betriebe aufrechterhielten. 4. Resümee Der vorliegende Beitrag liefert einen Baustein für die landesgeschichtliche Forschung über die Kriegswirtschaft während des Ersten Weltkriegs. Fasst man die gewonnenen Erkenntnisse zusammen, so lässt sich feststellen, dass die bayerische Bierbewirtschaftung ein schwerfälliges, komplexes, bürokratisches und administratives System umfasste, in dem viele Akteure wirkten. Es war an die bayerischen Verhältnisse angepasst und bildete einen Mikrokosmos in der gesamtbayerischen Kriegswirtschaft. Es stand darüber hinaus in Konkurrenz zur reichsweiten Bierbewirtschaftung, gegen deren Vereinnahmung es sich erfolgreich bis zum Kriegsende und darüber hinaus erwehren konnte. Ein wichtiger Faktor waren dabei die Akteure, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen. Einerseits lässt sich eine staatliche Ebene mit den stellvertretenden Generalkommandos herausarbeiten. Deren Gegenpart bildeten Akteure mit dem Bayerischen Brauerbund und seinen Unterverbänden und den darin aktiven Einzelpersönlichkeiten. Auch zeigte sich, dass das bürokratische Verwaltungssystem einem dynamischen Prozess unterlag, der sich auf exogene Faktoren, wie die Rohstoffbelieferung und -lage, jeweils zwanghaft anzupassen hatte, statt proaktiv zu handeln. Dies führte zu einer Trägheit des Systems. Die gesamtbayerische Kriegswirtschaft, die aus einer Vielzahl neuer Behörden und Gesellschaften bestand, erzeugte eine Flut sich überschneidender Verordnungen und Direktiven, die einen Überblick schnell verlorengehen ließ. Die Bierbewirtschaftung im Weltkrieg verhinderte eine weitere positive Entwicklung des bayerischen Brauwesens und stoppte dessen Aufstieg. Auf das Kriegsende folgte bis fast zu Beginn der 1930er Jahre eine Phase der Konsolidierung. Viele kleine und mittlere Brauereien konnten ihren Betrieb nicht wie in der Vorkriegszeit fortsetzen. Auch die großen Brauereien, zumeist in Form von Aktiengesellschaften, litten unter den negativen Geschäftsergebnissen der vier Kriegs- und der drei Nachkriegsjahre bis zum Ende der Bierbewirtschaftung. Insgesamt bedeutete der Erste Weltkrieg einen tiefgreifenden Einschnitt für das ehemalige Vorzeigegewerbe und eines der Zugpferde der bayerischen Wirtschaft. <?page no="258"?> Corinna Malek 258 Dass die kriegsbedingte Bierbewirtschaftung jedoch auch Aufstiegsmöglichkeiten für einzelne Persönlichkeiten bot, die ihre Verbindungen und Netzwerke über eine kluge Verbands- und Wirtschaftspolitik zu nutzen wussten, zeigt exemplarisch die Unternehmenspolitik von Max Kirschner. Er verstand es, das wirtschaftliche Überleben und den weiteren Erfolg seines Unternehmens zu sichern, während des Kriegs seine persönliche Reputation auszubauen und wurde mit Belobigungen wie dem Kommerzienratstitel oder wichtigen Posten in den Verbänden belohnt. Quellen- und Literatur Archive Agrarhistorische Bibliothek Herrsching (AgrarBib) - GC/ 532. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Generalkommando I. Reserve-Korps (WK) 4191. - Generalkommando I. Reserve-Korps (WK) 4192. - stellvertretendes Generalkommando. I. Armeekorps stellvertretende Intendantur (WK) 1962. - stellvertretendes Generalkommando. I. Armeekorps stellvertretende Intendantur 1964. - Bayerisches Kriegsministerium (MKr) 12868. - Bayerisches Kriegsministerium 12869. - Kriegsministerium 12870. - Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe (MHIG) 1190. - Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe 1908. - Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe 2272. - Ministerium für Landwirtschaft (MLa) 1183. - Ministerium für Landwirtschaft 1627. - Staatsministerium des Innern (MInn) 46968. - Wirtschaftsministerium (MWi) 7905. - Bayerischer Brauerbund 567. - Bayerischer Brauerbund 824. - Bayerischer Brauerbund 1275. <?page no="259"?> Bier und Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg 259 Gesetze und Verordnungen Bayerisches Malzaufschlaggesetz vom 18. März 1910, in: Gesetz- und Verordnungsblatt Bayern 1910. Bekanntmachung über die Höchstpreise für Getreide und Kleie vom 28. Oktober 1914, in: Reichsgesetzblatt 1914, 462-464. Bekanntmachung über die Höchstpreise für Roggen, Gerste und Weizen vom 19. Dezember 1914, in: Reichsgesetzblatt 1914, 527-530. Gesetz betreffend Höchstpreise vom 4. August 1914, in: Reichsgesetzblatt 1914, 339. Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25. Januar 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 35-45. Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15. Februar 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 97-98. Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9. März 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 139-145. Bekanntmachung, betreffend Änderung der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Gerste vom 9. März 1915 vom 17. Mai 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 282-283. Bekanntmachung über Malz vom 17. Mai 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 279- 282. Bekanntmachung über den Verkehr mit Gerste aus dem Erntejahr 1915 vom 28. Juni 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 384-392. Bekanntmachung über die Errichtung einer Reichsfuttermittelstelle vom 23. 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So lieferte eine dieser Umfragen aus dem Jahre 1846 zu Brauereien in Bayern rechts des Rheins folgende Angaben: 545 Brauereien in Oberbayern, 478 in Niederbayern, 491 in der Oberpfalz, 884 in Oberfranken, 887 in Mittelfranken, 634 in Unterfranken und 969 Brauhäuser in Schwaben. 1 Das waren zwar alles kleinere Betriebe, doch gehörte das Brauwesen damals immer noch mit zu den größten Gewerbezweigen. Dies vorab zur einstigen Bedeutung der Bierregion Schwaben. Über Jahrhunderte hinweg entwickelte sich Schwabens Braukultur in seinen Brauhäusern und Gaststätten, die sich in klösterlicher, adeliger oder bürgerlicher Hand befanden; in ihren Bieren und Biersorten, ihren Braumeistern und Brauern sowie in deren örtlichen Bruderschaften und Zünften. Aber auch im Umgang des Menschen mit dem Bier. Bier hatte in Bayern und Schwaben wie kaum ein anderes Lebens- oder Genussmittel Einfluss auf alle Bereiche des menschlichen Lebens. 1. Geschichtlicher Rückblick Mit den Römern kam der Wein nach Deutschland, der im Mittelalter das gängige Getränk in den Gaststätten und Schenken war. Begünstigt durch das damals etwas günstigere Klima baute man auch im bayerischen Schwaben Wein an. Und dies in manchen Gegenden in solchen Mengen, dass Wein überall preisgünstig zu haben war. Von einem ursprünglichen „Weinland“ entwickelte sich Bayerisch-Schwaben jedoch dann zu einem „Bierland“, während das „andere Schwaben“ (Württemberg) auch heute noch als „Weinland“ seinen Stellenwert hat - unabhängig davon, dass dort auch ein gutes Bier gebraut wird. 1.1. Von den Germanen bis ins Mittelalter Wie uns beispielsweise Ausgrabungen zu römischen Bierbraustätten in Regenburg zeigen, wurde dort im zweiten Jahrhundert nach Christus neben dem Wein, wenn auch 1 B ORCHERT , Fruchtfolgesysteme, 244f. <?page no="272"?> Hermann Bienen 272 in geringerem Maße, Bier gebraut und getrunken. 2 Auch für Kempten, das alte Cambodunum, oder für Augusta Vindelicum (das heutige Augsburg), die aufeinanderfolgend die Hauptstadt der römischen Provinz Raetien waren, kann dies daher mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden. Bereits zuvor wurde bei den Germanen und den Kelten Bier gebraut, das bei ihnen einen hohen Stellenwert besaß. Germanische, keltische und andere „barbarische“ Söldner in römischen Diensten, waren daher mit ein Grund dafür, dass auch in den römischen Lagern und Städten das Bierbrauen heimisch wurde. Einen nächsten Hinweis zu Bier im frühen Mittelalter gibt uns ein Abschnitt aus der Lex Alamannorum, die um das Jahr 720 entstanden sein dürfte: Dort heißt es, Kirchensklaven sollen von ihren Abgaben gesetzmäßig leisten 15 „siclas“ (ein altes Maß) Bier, ein Schwein, zwei Scheffel Brot, fünf Hühner, 20 Eier. 3 1.2. Bier in den Klöstern Im Frühmittelalter findet Bier als alltägliches Nahrungsmittel der Mönche Erwähnung, welche Europa nach dem Untergang des Weströmischen Reiches christianisierten. So wird etwa von den Kolumbanermönchen im siebten Jahrhundert berichtet, dass sie Bier gebraut hätten. 4 Und damit finden wir den Bezug zum Kloster St. Gallen, das um das Jahr 720 aus der „Gallus-Zelle“ einer Gemeinschaft von Kolumbanermönchen entstanden ist und die Regeln des Heiligen Benedikt annahm. Das war auf dem Gebiet der Alamannen, fast 200 Jahre vor der Entstehung des alten Herzogtums Schwaben, das neben dem heutigen Schwaben auch große Teile der nachmaligen Nordostschweiz und des Landes Baden-Württemberg sowie des Elsass mit beinhaltete. Gebietsnamen wie „Oberschwaben“ oder „schwäbische Alb“ zeugen heute noch davon. Hier finden wir weitere Belege für das Bierbrauen in den Klöstern des schwäbischen Territoriums. Denn die Weiterentwicklung der Braukultur fand im Mittelalter hauptsächlich in den Klöstern statt, wobei dem Orden der Benediktiner und später den Zisterziensern ein großes Verdienst daran zugesprochen werden muss. Ihre Klöster stellten alle benötigten Nahrungsmittel und Getränke selbst her. Nach der Regel des Heiligen Benedikt „soll ein Kloster so angelegt werden, dass sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb des Klosters befinde und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden können.“ 5 Das galt auch für das Bierbrauen. Aus dem ehemaligen Benediktinerkloster St. Gallen ist ein Klosterplan überliefert, der um 820 erstellt wurde und als Idealplan für den weiteren Ausbau des Klosters 2 B OOS , Brauerei Regensburg-Großprüfening, 30-51. 3 P ERTZ , Lex Alamannorum, 52. 4 K RUSCH , Vitae Columbani, 82; vgl. auch A LBRECHT , Königliche Braukunst, 34. 5 Stift Melk, Regula Benedicti, Kapitel 66, Abschnitt 6. <?page no="273"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 273 angesehen wurde. Interessant ist dabei, dass dieser Plan drei Brauereien für drei verschiedene Biersorten vorsieht. Das waren die „Cervisa“, das alltägliche Klosterbier für die Mönche und Pilger aus Hafer; die „Celia“ (das Himmlische), ein kräftiges Starkbier aus einer Mischung aus Weizen und Gerste für den Abt und vornehme Gäste, und der „Conventus“, ein dünnes Bier, meist als Nachsud der oben genannten Biere mit einem Zusatz von frischem Hafermalz. Dieses Bier war für das Klostergesinde oder auch Bettler gedacht. 6 In manchen Klöstern wurde das Bier für den Convent auch als „Conventus“ bezeichnet, „Cervisa“ war dort ein allgemeiner Begriff für Bier. In den meisten Klosterbrauereien gab es später hauptsächlich zwei Biersorten, ein besseres und ein schlechteres. Das Starkbier für die Mönche in der Fastenzeit kam erst einige Jahrhunderte später. Der genannte St. Gallener Klosterplan wurde zwar so nicht verwirklicht. Doch kann man daraus erkennen, dass das Bier für die Klöster bereits zu dieser Zeit keine geringe Bedeutung hatte. Laut dem Konzil von Aachen im Jahr 817 standen jedem Mönch bzw. jeder Nonne täglich eine bestimmte Menge Wein oder Bier zu. In reicheren Klöstern konnte ein Bruder mit fünf „Sester“ 7 Bier und einem „Sester“ Wein pro Tag rechnen. 8 Das Kloster St. Gallen dürfte sicher nicht zu den armen Klöstern gezählt haben. In seinem Werk „Casus Sancti Galli“, einer St. Gallener Klostergeschichte aus dem elften Jahrhundert, berichtet der Historiker Ekkehard IV., der damals selbst Leiter der dortigen Klosterschule war, dass es täglich sieben Essen gab mit reichlich Brot und fünf Maß Bier. 9 In seinen „Benedictiones ad mensas“ erteilte er auch einen ganz speziellen Segen bei den benediktinischen Tischgebeten: „Gesegnet sei das sorgfältig hergestellte Bier; das schlecht gebraute aber sei verflucht.“ Die Celia, das stärkere Weizenbier für den Abt schien es ihm besonders angetan zu haben, denn dazu erflehte er den „Segen des unbesiegten Kreuzes“ mit den Worten „Fortis ab invicta cruce celia sit benedicta“ („Gesegnet seist du Starkbier vom unbesiegbaren Kreuze“). 10 Hinweise auf eine frühe mittelalterliche Bierproduktion finden sich vor allem in den Kopialbüchern, Urkunden und Urbaren von Klöstern, Bistümern und anderen kirchlichen Institutionen. Im Vordergrund steht bei diesen Quellen aber die Dokumentation von Besitzverhältnissen, Abgabeverpflichtungen und dergleichen. Bier und 6 Der noch im 19. Jahrhundert verwendete Begriff „Koventbruder“, beispielsweise für einen dem Trunke verfallenden Studenten, wies auf diese Bierqualität hin, ebenso „Kofent“ für ein Dünnbier. Vgl. Anonym, Kovent, 129. 7 Ein Sester entsprach einer Menge von etwa 0,55 Liter. Dieser Begriff bezog sich auf den römischen Sextarius, einem Maß, das für den sechsten Teil einer Kanne von gut drei Litern Inhalt verwendet wurde. 8 Anonym, Bierplan St. Gallen. 9 Vgl. E KKECHARD IV., Casus St. Galli. Cp. 80; P OLL , Beiträge, 15. 10 R IEDESEL ZU E ISENBACH , Fortis ab invicta; A LBRECHT , Königliche Braukunst, 37. <?page no="274"?> Hermann Bienen 274 Bierproduktion kommen darin nur zur Sprache, sofern sie diese Rechtsgeschäfte berühren. 11 Aber nicht nur in den Männerklöstern braute man Bier. Um 1300 ist beispielweise aus Vorratsaufzeichnungen oder Unterlagen zu Klostervisitationen zu ersehen, dass in den Frauenklöstern Niederschönenfeld bei Rain am Lech, Oberschönenfeld bei Augsburg, Zimmern im Ries oder Kirchheim am Ries Bier gebraut wurde. Diese Biere scheinen aus einer Mischung von Weizen und Hafer, mit einer geringen Beimischung von Gerste hergestellt worden zu sein. 12 Die Braumeister zu dieser Zeit waren Konversen (Laienbrüder), später auch externe Fachleute. 2. Ein territorialer Überblick Weiter kann man das Brauwesen in Schwaben verfolgen in einer großen Anzahl unterschiedlichster territorialer Herrschaftsgebiete. Auch die verschiedenen Volksstämme, wie die Schwaben, die Alamannen, die Franken, die Bayern oder die Allgäuer, die ihre Wurzeln im benachbarten Österreich und Tirol suchen - alle mit ihren eigenen Sitten und Gebräuchen -, prägten die weitere Entwicklung der Braukultur in Schwaben mit. Insbesondere übten das Zunftwesen mit seinen eigenen Regeln und nicht zuletzt die Religion großen Einfluss aus. 2.1. Brauereien in (hoch-)stiftischen, reichsklösterlichen, reichsfürstlichen, reichsritterlichen und herrschaftlichen Gebieten sowie bürgerliche Brauereien in den Städten und auf dem Land Als Hochstifte beziehungsweise Reichsstifte sind zu nennen das Hochstift Augsburg und das Fürststift Kempten. Reichsklöster mit ihren Brauereien gab es beispielsweise in Augsburg St. Ulrich und Afra, sodann die Klöster in Buxheim, Elchingen, Irsee, Kaisheim, Lindau, Oberelchingen, Ottobeuren, Roggenburg, Ursberg oder Wettenhausen. Zu den herrschaftlichen Brauereien ist unter anderem zu zählen das Fürstliche Brauhaus in Wallerstein (seit 1598). Der Besitz Oettingen um Nördlingen soll stellvertretend und ergänzend zu den genannten Reichsgütern und den reichsritterlichen Territorien genannt sein. Augsburg als freie Reichstadt und bedeutende Kaufmanns- und Patrizierstadt erhielt bereits im Jahr 1156 von Kaiser Friedrich Barbarossa das Stadtrecht. 13 In diesem wird unter anderem nicht nur das in der Stadt gebraute Bier erwähnt, sondern auch, dass der Bierschenk (der Wirt) damals zugleich der Brauer war. Weitere Regeln gab es zum Ausschank des Bieres, der Maßgefäße und zu den Strafen, die bei Verstoß 11 F ELLERSMANN , Hopfen und Bier, 11. 12 W EISSENBERGER , Brauereigeschichte süddeutscher Zisterzienserinnenklöster, 35. 13 A PPELT , Urkunden Friedrich I., Nr. 147, 246-250. <?page no="275"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 275 gegen diese Verordnungen verhängt wurden. Dies belegt den hohen Stellenwert, den man bereits damals der Bierqualität beimaß. Diese Regeln sind die ältesten, die wir in Deutschland zum Bier, zu seiner Qualität und dessen Ausschank kennen. Das Brauen lag in Augsburg bei vielen einzelnen Bürgern, die eine eigene Schenke oder gar eine Taverne besaßen, aber auch bei den Patriziern und Handelsleuten, die eigene Braumeister anstellten und sich von diesen Bier für den Vertrieb herstellen ließen. Ab 1284 mussten aus Brandschutzgründen die Brauanlagen getrennt vom Wohnhaus erstellt werden. Im 14. Jahrhundert unterschied man bei der Besteuerung die großen Kessel der meist gewerblichen Brauer von den kleineren der Bierschenken. Neben obergärigem weißem Hafer- und Gerstenbier war bis ins 15. Jahrhundert hinein ein mit Honig gesüßtes Bier bei den Augsburger Bürgern sehr beliebt. Und seit dem 16. Jahrhundert ist dort neben dem bisher obergärig gebrauten Bier auch das untergärige Bier nachweisbar. Überprüft wurde die Bierqualität von den Geschaumeistern, die unterteilt waren in „Sauerbier- oder Süßbiergeschauer“. Ab 1819 galt auch in Augsburg das Bayerische Reinheitsgebot. Die Anzahl der Brauereien lag in Augsburg vom 17. bis Anfang des 19. Jahrhunderts durchschnittlich bei etwa 100 Brauereien und ging bis 1861 auf 72 zurück. Diese verbrauten genau so viel Gerste wie damals eine einzige Münchner Großbrauerei. Heute bestehen in Augsburg noch fünf Braubetriebe. Zu den anderen Reichstädten wie Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Neustadt an der Donau, Nördlingen oder Mindelheim haben wir erst etwas später Belege für ein bürgerliches Brauwesen, wobei in Kempten und Memmingen die klösterliche Brautradition am Anfang steht. Je nachdem, wer in den einzelnen Orten die Mehrheit im Rat hatte, standen den Bierbrauern mehr oder weniger Freiheiten zu. So gab es beispielsweise für das Fugger‘sche Brauhaus in Weißenhorn vergleichsmäßig wenig Einschränkungen. Hier übten die Fugger ab 1507 für lange Zeit die Herrschaft aus, die rein handelsorientiert ausgerichtet war. In Neustadt an der Donau beherrschten spätestens ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Bierbrauer den Rat. Dort wurde hauptsächlich Braunbier gebraut, das aber nicht mehr offiziell von den „Bierkiesern“ (Bierprüfern) geschaut und „zur Verleitgabe“ (zum Verkauf) frei gegeben werden musste, 14 was sich negativ auf die dortige Bierqualität ausgewirkt hat. Den größten Anteil an Braustätten stellten in Bayerisch-Schwaben die Wirtshäuser auf dem Land. Die meist aus den alten Ehaftstafernen 15 des Mittelalters hervorgegangenen Wirtschaften brauten im schwäbischen Raum in den meisten Fällen ihr Bier 14 K ÖGLMEIER , Neustadt an der Donau, 187, 326. Von den zwölf Stadträten kamen damals über 50 Jahre hinweg sechs aus den Reihen der Bierbrauer. Zudem fungierten zwischen 1646 bis 1748 zehn Brauer insgesamt 65 Jahre als Bürgermeister. 15 Ehaften waren Rechtsnormen der Niedergerichtsbarkeit im dörflichen Kontext, d. h. sie wurden einem Nehmer zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes im Dorf verliehen. Zu den Ehaften gehörten die Taferne, die Mühle, die Schmiede und das Bad, vgl. H ARTINGER , Ehaftgewerbe. <?page no="276"?> Hermann Bienen 276 selber. Besonders im Allgäu galten jedoch starke Beschränkungen, als die Herrschaften eigene Brauhäuser errichteten, wie zum Beispiel 1620 das Kloster Ottobeuren, sodann das Stift Kempten mit seinen später fünf eigenen Braubetrieben oder die Herrschaft Trauchberg unter dem Fürstbischof von Chiemsee seit dem 18. Jahrhundert in Rimpach. Jedoch ging beispielsweise die von den Bischöfen von Augsburg 1659 in Sonthofen errichtete Brauerei schon wenige Jahre später, 1666, wieder ein, sodass die bürgerlichen Brauereien im Rettenbergischen wieder selbst ihr Bier brauen konnten. Einen erneuten Versuch, das Brauereigewerbe in ihrem Pflegamt zum landesherrlichen Regal zu machen, beseitigten sie 1715 vorrausschauend durch eine Bezahlung von 2.500 Gulden. 16 Der Gastbetrieb wurde früher auf dem Land und den kleineren Gemeinden in den meisten Fällen als Nebenerwerbsbetrieb geführt, da die damit zu erzielenden Umsätze allein nicht ausreichten, um eine Familie ernähren zu können. Der Wirt war daher untertags auf seinem Besitz als Bauer tätig, während die Ehefrau mit der Magd unter der Woche die Gaststätte betrieb. Abends und an den Wochenenden stand dann der Wirt als wichtiger Gesprächspartner für seine Gäste an den Stammtischen zur Verfügung. Meist wurde bei den brauberechtigten Wirten an einem Tag in der Woche in kleinem Stil Bier gebraut, wobei die erzeugten Mengen zwischen 100 bis 200 Litern lagen, selten auch darüber. Da die Lokalpolitik früher fast ausschließlich in den Wirtshäusern diskutiert wurde, war der Wirt über alle Begebenheiten in und um seinen Ort bestens informiert. Zusätzliches Wissen zu Ereignissen außerhalb des Ortes und auch entfernterer Gegenden erhielt er von durchreisenden Kaufleuten und Handwerkern. Viele dieser Wirte gelangten mit diesen Informationen und durch Handel zu größerem Grundbesitz. Mit ihrem Wissen und ihrer zentralen Stellung im Ort konnten die Brauer und Wirte starken Einfluss auf die Ortspolitik nehmen. So waren sie in den Städten und Märkten meist im örtlichen Rat vertreten. Interessanterweise gab es jedoch auch Gemeinden, nicht jedoch Städte, bei denen es sozusagen als ungeschriebenes Gesetz galt, dass ein Wirt niemals Bürgermeister oder Kirchenvorstand werden konnte. In den Städten und Märkten dagegen war dies anders. Hier fand man die reichen Brauer und Wirte als Räte, als Spitalpfleger und auch als Bürgermeister. Zu einer Wirte- oder Braugrechtsame war es möglich weitere Konzession zu erwerben. Zwischen 1810 und 1830 übten daher viele Wirte an den dicht befahrenen Verkehrswegen darüber hinaus Bäcker-, Metzger- oder Branntweinbrennergerechtigkeiten mit aus. 17 Manche dieser 16 E HLEUTER , Ländliches Volksleben, 460. 17 H OLLY , Ländliches Handwerk, 141, 145f., 166. <?page no="277"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 277 ehemaligen Wirtshäuser mit Braurecht lassen sich mit ihren Familien weit zurückverfolgen. So beispielsweise die Brauerei Zötler in Rettenberg bis ins Jahr 1447, die damit als eine der ältesten noch voll aktiven Familienbrauereien der Welt gilt. 18 2.2. Die ehemals altbayerischen Gebiete Die altbayerischen Gebiete östlich des Lechs unterstanden der Bayerischen Landesordnung. So galt im „Wittelsbacher Land“ in den Städten Aichach, Friedberg und Rain am Lech 19 bereits Ende des 15. Jahrhunderts die Landshuter Brauordnung, die mit Grundlage für das spätere Reinheitsgebot von 1516 war, das in ganz Bayern gelten sollte. 1588 sind beispielsweise in Aichach fünf Braunbierbrauer und ein Weißbierbrauer genannt. 20 Auch Gundelfingen (1505), Lauingen (1268), Höchstädt (1268) und Monheim (1505) kamen zu Bayern beziehungsweise im Jahr 1505 an das Herzogtum Pfalz- Neuburg, das 1542 mit Pfalzgraf Ottheinrich evangelisch wurde. Ebenfalls Wittelsbacher Gebiet wurden Wemdingen 1467, 21 Schwangau 1567 sowie Mindelheim 1616 bzw. 1714. 22 Ottheinrich von Pfalz-Neuburg sah zu Beginn des 17. Jahrhunderts neidvoll den großen finanziellen Erfolg des Münchner Herzoghauses durch die Einnahmen aus dem Weißbiermonopol und versuchte nun ebenfalls, das Weißbier in seinem Herrschaftsbereich zum fürstlichen Regal zu machen. Nachdem ein erster Versuch unter anderem wegen des Dreißigjährigen Krieges gescheitert war, verlieh er dieses Recht brauberechtigten Landsassen, Städten und Märkten, aber auch gemeinen Bauern gegen eine Abgabe. Auf dem Landtag 1652 wurde vereinbart, das Weißbierbrauen gegen eine Zahlung von 10.000 Gulden den Ständen auf zwanzig Jahre zu überlassen. Erst Pfalzgraf Johann Wilhelm (1690-1716) erkannte den hohen Wert des Weißbierregals und entschied, das Weißbierbrauen wieder in eigene Hände zu nehmen. Im August 1708 ließ er ein erstes Brauhaus im Schloss Lauingen errichten. Am 1. März 1709 begann man das Weißbierbrauen in der Residenzstadt Neuburg an der Donau. 23 Zur Bierherstellung für den Verschleiß (Verkauf) bedurfte es in Bayern neben den an die Person des Bräumeisters geknüpften handwerklichen Voraussetzungen, von denen das Landrecht von 1616 in Bayern spricht, auch einer von dessen Person 18 Zur Geschichte der Brauerei und der Familie Zötler vgl. Brauerei Zötler, Geschichte. 19 Rain am Lech hatte seit 1323 und Friedberg seit 1385 das Wittelsbacher Stadtrecht. 20 Auszug aus der „Priefer-Matrikel“, L IEBHART , Gesellschaft, 226. 21 G RÄSER , Historie elf ehemaligen Brauereien Wemding, 257. 22 Z OEPFL , Mindelheim in Schwaben. 23 G ATTINGER , Bier und Landesherrschaft, 306. Mit Verweis auf BayHStA, Pfalz-Neuburger Akten: Neuburger Abgabe 6658, „Erleutherungen Über das in dem Fürstenthumb Neuburg eingeführte Weisse Preuwesen und angerichte Churfürstl. Preuheuser“ (1709). <?page no="278"?> Hermann Bienen 278 unabhängigen realen Braugerechtigkeit, das jus braxandi . Ebenso konnten der Adel und die Geistlichkeit neben Besitzauch ein Braurecht ausüben. Es wurde jedoch darauf geachtet, dass bürgerliche Braugerechtigkeiten in den Städten und Märkten in bürgerlichen Händen verblieben. Ein Dekret von 1675 untersagte, zumindest in Bayern, deren Erwerb durch geistliche oder weltliche Stände. Um wilde Gründungen neuer Brauereien im Gefolge des zunehmenden Bierverbrauchs zu unterbinden, wurde 1639 eine Anmeldung aller neu entstehenden Braustätten bei der Landschaft angeordnet. Bis zum Jahr 1799 galt der Grundsatz, dass jeweils der Wirt das Bier vom Brauhaus des Grundherrn seiner Schankgerechtigkeit zu beziehen habe, sofern nicht gewohnheitsrechtlich der Jurisdiktionsherr das Bier lieferte. 24 Auch die „außerbayerischen“ Territorien, die am oder im bayerischen Reichskreis lagen, passten sich nach entsprechendem Druck durch die bayerischen Landesherren bald diesen „Landesbräuch“ an. Hierzu ist im Bayerischen Hauptstaatsarchiv der Entwurf eines Schreibens aus dem Jahr 1535 überliefert, in welchem die Herzöge Ludwig und Wilhelm die benachbarten Herrschaften des Fürstentums Bayern ermahnten, ihr Bier nach der „Bayerischen Bierordnung“ zu brauen: „Diejenigen, die dies nicht tun wollen, über die soll im Lande Baiern öffentlich Bericht gegeben werden, damit alle, die im Fürstentum Gerichtsverwaltung innehaben, dafür sorgen, dass die Untertanen in den betreffenden angrenzenden Orten kein Bier mehr zu trinken holen, kaufen noch bringen.“ 25 Nach dem Anschluss Schwabens an Bayern 1803 bzw. 1805 waren die Gesetze für alle Landesteile gleich. Das galt auch für das Bierbrauen, das für Schwaben jedoch spürbare Änderungen mit sich brachte. 3. Das Zunftwesen der Brauer Eine wichtige Stellung für die Entwicklung der Braukultur nahm das Zunftwesen ein. Der heute kaum noch bekannte Begriff der Lade bezog sich damals nicht nur auf die Zunftlade, der eine hohe symbolische Bedeutung zukam. Diese war eine oft aufwendig gestaltete Truhe, in der die wichtigsten Schriftstücke, Geld oder die Petschaft 26 der örtlichen Zunft aufbewahrt wurden. Der Begriff Lade wurde vielmehr auch für die Zunftgemeinschaft eines Ortes oder einer begrenzten Region verwendet. Neben dem Begriff Lade wurde in manchen Gegenden synonym der Begriff „Kerze“ verwendet, der hier besonders die Bedeutung der Zunftkerze heraushob. Die Lade durfte nur 24 K RAUSEN , Geschichte der Klosterbrauereien, 641. 25 H ACKEL -S TEHR , Brauwesen in Bayern, 248. Original im BayHStA, Kurbayern, Äußeres Archiv 695, fol. 127-129. 26 Die Petschaft war der offizielle Siegelstempel der Brauerzunft, vgl. Anonym, Petschaft, 628- 632. <?page no="279"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 279 bei Zunftzusammenkünften geöffnet werden und hatte meist zwei verschiedene Schlösser, die nur von zwei Zunftmeistern gemeinsam geöffnet werden konnte. Die Öffnung war eine feierliche Handlung. Freibeziehungsweise Lossprechungen, Aufnahmen von Meistern wurden bei geöffneter Lade vorgenommen. Die geöffnete Lade erforderte ehrfürchtiges Benehmen; sie musste sofort geschlossen werden, wenn es zu Streit kam. Auch unerlaubtes Sprechen, Rauchen, Trinken, Lärmen oder das Sitzen bei geöffneter Lade waren verboten. Prächtige Zunfttruhen, Pokale und Schilder zeugen heute noch von den großen Brauerzünften wie beispielsweise in Augsburg 27 und Kaufbeuren. 28 Die Repräsentation der Zunft nach außen nahm einen wichtigen Stellenwert ein. Der jährliche Festgottesdienst der Zunft, der Festzug dorthin und danach in die Zunftherberge, die Teilnahme an kirchlichen und profanen Umzügen über das Jahr war für einen Zunftzugehörigen verpflichtend. Beim Jahrtag der Brauer wurden neben einer Fahne (in der späteren Zeit), die Zunftkerze und die Zunfttruhe mitgetragen, flankiert von zwei Kerzenträgern und oft auch begleitet von Zunftstangen, die die Figur des Ortsheiligen oder weiterer wichtiger Heiliger, wie beispielsweise die Gottesmutter Maria, auf ihren Kapitellen 29 trugen, unter anderem in Marktoberdorf. 30 27 Exemplarisch hierzu die Bestände des Maximilianmuseum Augsburg, Inv. Nr. 2646/ 47, zwei Bahrschilde der Brauer um 1750; Inv. Nr. 2732, Zunftlade der Brauer Anfang 18. Jh.; Inv. Nr. 2735, Kassette der Brauer erste Hälfte 18. Jh.; Inv. Nr. 4729, Zunftpokal der Brauer 1759-1761; Inv. Nr. 4730, Zunftpokal der Brauer 1777/ 79; Inv. Nr. 7841, Ansteckzeichen für Brauer um 1850; Inv. Nr. 7985, Humpen der Brauer, Metzger und Müller 1712; Inv. Nr. 9194, Truhe der Brauer 18. Jh.; Inv. Nr. 12023, Humpen des Bierführervereins 1913. 28 Exemplarisch hierzu die Bestände des Stadtmuseum Kaufbeuren, Inv. Nr. 976, Zunftflasche aus Zinn um 1800; Inv. Nr. 1061, Zunftlade 1794; Inv. Nr. 1168, Haarkamm mit Zunftzeichen 1851/ 1900; Inv. Nr. 1169, Haarkamm mit Zunftzeichen 1851/ 1900; Inv. Nr. 1882, Kinderwiege mit Zunftzeichen 1805; Inv. Nr. 2937, Petschaft 1701/ 1800; Inv. Nr. 3055, Zunftsiegelabdruck 17. Jh.; Inv. Nr. 3265, Zunftsiegel der Kaufbeurer Bierbrauer 1901/ 1950; Inv. Nr. 7836, Petschaft 1701/ 1800; Inv. Nr. 9404, Zunftzeichen der Brauer 1830. Außerdem besitzt das Stadtmuseum Kaufbeuren in seiner Sammlung eine ganze Menge jüngere Zeugnisse dieser Zunft: Bierkrüge, Bierdeckelmedaillons, Flaschen, Etiketten, Bierfilze, Emailschilder und anderes Werbematerial sowie Fotos von Bierkellern, Gaststätten und Brauereien. 29 In der Architektur bezeichnet man den oberen Abschluss einer Säule als Kapitell. Bei den Zunftstangen ist dazu analog der obere Abschluss der Zunftstange gemeint, auf dem die Figur des jeweiligen Heiligen angebracht war, zum Begriff allgemein vgl. Anonym, Kapitell; im Hinblick auf die architektonische Bedeutung vgl. B INDING , Architektonische Formenlehre, 90- 95. 30 Beispielhaft hierzu die Zunftstange der Bierbrauer in Marktoberdorf von 1764. Verschiedene Zunftheilige sind dort in zahlreichen Rocaillen und Schnörkelornamenten zusammengesetzt. In der Mitte der Hauptpatron Sankt Josef mit dem Christuskind und zu beiden Seiten Sankt Arnulf und der Heilige Antonius von Padua. In der Mitte darüber Christus als der Auferstandene, F INKENSTAEDT / F INKENSTAEDT , Stanglsitzerheilige, 200f. <?page no="280"?> Hermann Bienen 280 Als Zunftheilige in Schwaben kennen wir Florian, Laurentius, Wendelin, Petrus, Josef oder Sankt Mang, der auch als der Schutzpatron des Allgäus verehrt wurde. Die größeren Brauerzünfte hatten in der jeweiligen Ortskirche einen eigenen Altar. Oft waren die Brauer zusammen mit den Wirten und einem (oder mehreren) anderen Berufszweigen in einer Zunft oder Gilde zusammengeschlossen, wobei die Brauer ihren eigenen Jahrtag in oben beschriebener Weise hielten. Die Zunft hatte Einfluss auf alle Bereiche des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tode. In den Zunftordnungen versuchte man möglichst viel zu regeln, wie die Absicherung des Gewerbes, den bruderschaftlichen Umgang untereinander, die Repräsentation der Zunft in der Gesellschaft oder die soziale Absicherung der Mitglieder. Und dies mit Hilfe und unter dem Schutz des christlichen Glaubens. 4. Die Brautechnologie zwischen Mittelalter und der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts Über einen langen Zeitraum von annähernd 600 Jahren, zwischen dem Mittelalter und der Industrialisierung des Brauwesens, änderte sich die Technik des Bierbrauens in Schwaben kaum. Die meisten Brauereieinrichtungen waren sehr einfach; in kleineren Gasthäusern bestand sie nur aus einem Kessel aus Kupfer, den man von unten beheizen konnte. Bessere Kessel waren eingemauert; durch eine entsprechende Befeuerung mit Holz wurde die Maische, Wasser vermischt mit geschrotetem Malz, erwärmt. Das für einen Sud notwendige Malz ließ man beim örtlichen Müller mahlen. Schrittweise brachte man die Maische durch Erwärmen auf höhere Temperaturstufen und hielt dort jeweils unterschiedlich lange Rasten 31 ein, damit sich die im Malz enthaltenen Stoffe lösen konnten. Und das alles ohne Thermometer, das erst Mitte des 19. Jahrhunderts in der Brauerei Verwendung fand. Neben einem „Schöpfschaffel“, einem großen Schöpflöffel für das Umschöpfen der Maische, benötigte man einen Holzbottich für das Absetzen der Maische. Während des Aufheizens musste die Maische in der Pfanne kräftig mit einem „Maischscheit“ gerührt werden, damit sie nicht 31 Bei dem in Schwaben üblichen Satzverfahren wurde das Malzschrot beim Einmaischen in die Pfanne in kaltes Wasser geschüttet und kräftig durchgemischt. Hierauf ließ man die Maische circa drei bis vier Stunden stehen. Bei der nächsthöheren Temperaturstufe hielt man sodann eine einbis eineinhalbstündige Rast ein, und über eine oder mehrere Stufen ging es weiter bis zu einer Temperatur von annähernd 65 Grad Celsius. Hier zog man einen Teil in den Maischbottich ab. Der Rest wurde in der Pfanne etwa eine halbe Stunde gekocht und langsam in den Maischbottich eingebracht und gemischt. Damit erreichte man eine Abmaischtemperatur von circa 75 Grad Celsius. Nach drei bis vier Stunden hatte sich die Maische ausreichend abgesetzt und man konnte mit dem Ablassen beziehungsweise Abschöpfen der klaren Würze in die Pfanne beginnen. Die Maischerasten verkürzten sich im Lauf der Zeit, ebenso reduzierten sich später die Temperaturstufen. Das Prinzip blieb jedoch über Jahrhunderte das Gleiche. <?page no="281"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 281 anbrannte. Nach dem „Abmaischen“ bei etwa 75 Grad Celsius und dem Absetzten der festen Bestandteile 32 im Bottich, ließ man die darüber liegende klare „Würze“ durch diesen „Treberkuchen“ (der hier als Filter fungierte) in den Grand laufen und schöpfte von dort wieder in die Pfanne. Alternativ schöpfte man die klare Würze im Maischbottich von oben her in die Pfanne ab. Hierauf gab man den Hopfen dazu und kochte die Würze noch ein bis zwei Stunden. Anschließend wurde die Würze über einen Hopfenseiher auf die sogenannte „Kühle“ gebracht, eine große flache Wanne, die früher aus Holz, später aus Eisen oder Kupfer gefertigt wurde. Darin stand die Würze etwa zehn bis 20 Zentimeter hoch und wurde durch die darüberstreichende Außenluft heruntergekühlt. Nun füllte man die abgekühlte Würze in einen hölzernen Gärbottich oder ein oben offenes, stehendes Fass und gab Hefe dazu. Nach gut einer Woche war das Gebräu durchgegoren; das Jungbier wurde nach ein bis zwei Wochen Lagerung in einem Lagerfass, in welchem sich bei der Nachgärung noch etwas Kohlensäure entwickelt hatte, ausgeschenkt. Bei den Märzenbieren war die Verfahrensweise etwas aufwendiger, wie später erläutert wird. Größere Betriebe, wie die in Klöstern oder in Handelsbrauereien, hatten entsprechend größere Sudhäuser mit meist quadratischen Braupfannen aus Eisen, einen runden Maischbottich oder einen eckigen hölzernen Maischkkasten, einen Grand, in welchen Maische beziehungsweise Würze zum besseren Umschöpfen laufen konnte, sowie entsprechend große „Kühlen“. Auch das Malz stellten diese Betriebe selbst her. Hierzu benötigte man Räume mit einem steinernen flachen Boden, „Tennen“ genannt, um darauf die Gerste in sogenannten „Beeten“ flach aufzuschütten und durch mehrmaliges Begießen mit Wasser sowie einbis viermaliges tägliches Wenden der „Beete“ diese zum Keimen zu bringen. Später weichte man die Gerste zuerst in einer mit Wasser gefüllten „Weiche“ circa zwei bis drei Tage ein, bevor sie auf die Tenne kam. Wenn der Keimvorgang weit genug fortgeschritten war, wurden das „Grünmalz“ von der Tenne auf die „Schwelke“ zum Vortrocknen gebracht und anschließend in der Darre „abgedarrt“. Unterschiede gab es in Süddeutschland regional auch in den Brauverfahren, vor allem bei der Maischarbeit im Sudhaus. So wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts das in Schwaben übliche „schwäbische Satzverfahren“ in Augsburg zugunsten des „bayerischen Dickmaischverfahrens,“ 33 eines Dreimaischverfahrens, aufgegeben, das besonders in den nun entstehenden größeren Betrieben eine 32 Die sogenannten Treber wurden schon frühzeitig als nahrhaftes Viehfutter erkannt und verwendet. 33 Beim bayerischen Dickmaischverfahren wird zu Beginn in den Maischbottich eingemaischt. Danach nimmt man eine Teilmenge als Dickmaische heraus, kocht diese in der Pfanne und gibt die gekochte Teilmaische wieder zurück in den Bottich. Die Temperatur der Gesamtmaische im Bottich erhöht sich damit auf die jeweils gewünschte höhere Temperaturstufe, auf der man früher ähnlich lange Rasten wie im oben geschilderten Satzverfahren hielt. So verfährt <?page no="282"?> Hermann Bienen 282 gleichmäßigere und damit reproduzierbare Bierqualität ermöglichte. Denn auch der bekannte Spruch eines Bräus an seinen Sohn: „Allweil ein schlechtes Bier ist nicht das schlechteste“ zeigt uns, dass der Biertrinker ein Gewohnheitstrinker war und ist und wenig Veränderungen an seinem einmal lieb gewonnenen Bier wünscht. Ursprünglich wurde Bier das ganze Jahr über gebraut. Das war nicht nur im schwäbischen Raum in erster Linie ein obergäriges Bier aus Hafer oder Gerste oder eine Mischung aus beiden. Spätestens Ende des 15. Jahrhunderts spielte der Hafer beim Bierbrauen keine Rolle mehr. Vereinzelt wurden nun Biere mit Weizenanteil hergestellt, wie sie im Osten Bayerns oder in Tschechien üblich waren - wahrscheinlich mitgebracht von den Bräuburschen auf ihrer Wanderschaft. Doch hauptsächlich konzentrierte man sich auf die Gerste als Grundstoff des Bierbrauens. Diese war aufgrund ihrer strukturellen und enzymatischen Eigenschaften am besten für das Bierbrauen geeignet. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts machte eine Senkung der Gerstenpreise diese Getreidesorte für das Bierbrauen attraktiver. 34 Für das Braunbier wurde allmählich das untergärige Brauverfahren eingeführt, und damit mit den Sommer- oder Märzenbieren das Brauen von länger haltbareren Biere ermöglicht. Diese wurden in der kalten Jahreszeit mit einem höheren Malzanteil und einer höheren Hopfengabe eingebraut, um einem Verderben des Bieres entgegen zu wirken. Insbesondere der Hopfen mit seinen antibakteriellen Eigenschaften war neben einer sauberen Arbeitsweise von großer Bedeutung. Exkurs: Hopfen Während Bier- und Hopfenlieferungen in Aufzeichnungen des Freisinger Bistums ab dem neunten Jahrhundert relativ häufig dokumentiert werden, sind für St. Gallen im Frühmittelalter zwar Bierlieferungen nachweisbar, jedoch kein Hopfen, weder als Kulturpflanze noch in Form von Abgaben. 35 Hopfen sammelte man anfangs in der freien Natur, in Auenwäldern oder an Waldrändern. Im Mittelalter begann man, ausgehend von den Klöstern, den Hopfen zu kultivieren. Meist wurde er auf klösterlichen Versorgungshöfen angebaut und von den Grundholden geliefert. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts fand der Hopfen auch in Schwaben beim Bier Verwendung. Später bauten ihn die Brauereien auf ihren eigenen landwirtschaftlichen Gründen an, die meist auch zu jeder Brauerei gehörten. Aber auch geschäftstüchtige Bürger und freie Bauern pflanzten Hopfen für den Verkauf an die örtlichen Bierbrauer. 36 Ein großer man dreimal, bis man dann ebenfalls mit circa 75 Grad Celsius in den Bottich abmaischt und anschließend mit der klaren Würze weiter wie beim Satzverfahren verfährt. 34 H UNTEMANN , Bierproduktion, 63. 35 F ELLERSMANN , Hopfen und Bier, 11. 36 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6, Mindelheimer Brauordnung von 1566: „Item, es solle auch khain Bierprew Beckhen noch anndere weder in seinem aigen Guett noch andestwo den Hopfen vor <?page no="283"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 283 Teil des schwäbischen Hopfenbedarfs wurde auf dem Hopfenmarkt in Augsburg erworben, auf dem vor allem Hopfen aus Mittelfranken, wie Spalt (Hopfensiegel seit 1538), Herspruck oder Altdorf angeboten wurde, neben dem teureren Hopfen aus Saaz (Böhmen). Diese Hopfen kosteten teilweise ein Mehrfaches des heimischen Gewächses, hatten aber einen höheren Bitterstoffgehalt ( α -Säure). Die heute bekannten Hopfen aus der Hallertau oder aus Tettnang wurden erst ab circa 1840 kommerziell verwertet. Zu dieser Zeit setzte auch in Schwaben der großflächige Hopfenanbau ein, hier insbesondere in Krumbach, wo der Bierbrauer Haug mit dem Kultivieren dieser Pflanze begonnen hatte. Der Hopfen war so gut, dass der Krumbacher Hopfenbauverein für drei seiner 1866 bei der internationalen Hopfen- und Bierbrauausstellung in Dijon eingesandten Hopfenmuster den ersten Preis erzielen konnte, trotz stärkster Konkurrenz aus bayerischen Gebieten sowie anderen deutschen und europäischen Ländern. 37 Vielfach verwendete man für das Weißbier den preiswerteren heimischen Hopfen, da es nur gering gehopft wurde. Die Braunbiere, besonders die Märzenbiere, erforderten jedoch oft mehr als die zehnfach höhere Menge an Hopfen bzw. deren Bitterstoffgehalt als die Weißbiere. Gerade bei den Märzenbieren war die Hopfenqualität deutlich zu schmecken. Für den Beginn der Hopfenlese in Schwaben, die am Magnustag, dem 6. September, begann, ist folgender Spruch der Hopfenbauern überliefert: „Es legt der gute heil’ge Mang / im Hopfenwald die erste Stang.“ 38 5. Die Biersorten in Bayerisch-Schwaben 5.1. Untergärige Biere 5.1.1. Die Schank- oder Winterbiere Die Herstellung untergäriger Biere erfordert Gärtemperaturen zwischen fünf und zehn Grad Celsius und Temperaturen zwischen null und fünf Grad Celsius für die Lagerung, die man früher nur in der kalten Jahreszeit erreichen konnte. So wurde im Herbst und im Winter ein Schank- oder Winterbier gebraut, das bereits nach kurzer Gär- und Reifezeit, oft schon nach ein bis zwei Wochen Lagerung, verkauft und getrunken werden konnte. Durch den gegenüber dem Sommerbier geringeren Malzeinsatz, dem niedrigeren Hopfenbedarf, der kurzen Lagerzeit und dem kleineren Risiko, der Quottember Michaelj abbrechen bey der straff 5 Pfundt Haller […]“. Freundliche Information von Herrn Christian Schedler M.A., Leiter des Kulturamts und der Museen der Stadt Mindelheim. 37 S CHMID / M ÜNCHENBACH , Krumbach unter bayerischer Herrschaft, 184f. Verweis darauf in F IEDER , Als Hopfen und Malz noch nicht verloren waren, 38. 38 J UNG , Bier, 21. <?page no="284"?> Hermann Bienen 284 dass das Bier in der kalten Jahreszeit verdarb, hatte es auch für den Brauer seine Attraktivität. Es war daher im Preis billiger als das Sommerbier. Mancherorts gab es jedoch die Vorgabe, dass nur wer Sommerbier siede, auch Winterbier brauen dürfe. Das sollte dazu dienen, dass auch im Sommer genügend Bier für die Bürger zur Verfügung stand. Die Herstellung eines solchen Braunbiers als Schankbeziehungsweise Winterbier wurde im vorherigen Kapitel beschrieben. 5.1.2. Die Märzen- oder Sommerbiere Die am aufwendigsten und schwierigsten zu brauenden Biere waren früher die Märzen- oder Sommerbiere, da sie über Monate hinweg bis in den Herbst hinein haltbar sein mussten. Das allgemeine Verbot des Braunbiersiedens in der warmen Jahreszeit zwischen Georgi (23. April) und Michaeli (29. September) zwang dazu, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Diese Biere benötigten einen höheren Malzanteil, eine höhere Hopfengabe und vor allem gute Bierkeller, die möglichst lang bei niedrigen Temperaturen kühl gehalten werden konnten. Ab 1803, mit der Eingliederung Schwabens in das Königreich Bayern, galt zwar die bayerische Brauordnung, jedoch dauerte es in manchen Gegenden Schwabens noch sehr lang, bis diese voll durchgesetzt war. Denn der Bau von teuren Bierkellern und zusätzlichen Einrichtungen wie beispielsweise guten Eichenlagerfässern, höhere Rohstoffkosten und das Risiko, dass das Bier in der langen Lagerzeit sauer wurde und nicht verkauft werden konnte, schreckte viele schwäbische Brauer von diesen Investitionen ab. Exkurs: Die Sommer- oder Märzenbierkeller Aus dem Jahr 1806 ist in Kaufbeuren erstmals der Bau eines Märzenbierkellers im Allgäu belegt. 39 Ab 1820 wurden solche Keller vermehrt von den Brauereien für die Lagerung des Märzenbieres errichtet. Gemäß einer Verfügung vom 2. Juli 1825 wurde der Bau oder eine Erweiterung von Kelleranlagen im Landkreis Augsburg genehmigungspflichtig. 40 Später kamen die Kellerhäuser für Sommerbier hinzu, aus denen das Bier frisch und direkt an den Verbraucher abgegeben werden durfte. Dies bekräftigte 1825 ein Dekret des Bayerischen Königs Ludwig I., was man als Beginn der bayerischen Biergartenordnung ansehen kann. Die Sommerkeller wurden alsbald wichtige Orte des gesellschaftlichen Lebens für die Bürger in Stadt und Land. An den Sommerwochenenden zog es insbesondere aus den Städten ganze Familien zu den Kellern, die das beliebte Kegelspiel und andere Attraktionen boten. Auch ein Musikkorps aus einer der umliegenden Kasernen durfte dabei nicht fehlen; zünftige Marsch- 39 R OTTENKOLBER , Geschichte des Allgäus, Bd. 4, 287f.; Verweis dazu von F IEDER , Eisgekühlter Gerstensaft, 47. 40 K OHLBERGER , Sommerbierkeller, 161. <?page no="285"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 285 und Operettenmusik waren damals sehr gefragt. Aber auch Streichmusik, Volksmusik oder Gesangsdarbietungen fanden das Wohlgefallen der Besucher. In Memmingen hören wir bereits sehr früh von einem öffentlichen Bierkeller. Hier eröffnete der Stadtwirt Maler bereits 1776 den ersten Braunbierkeller vor dem Krugstor. Das Geschäft lief ausgezeichnet. Nur an den Sonntagen durfte er nicht öffnen, da die Stadt evangelisch war und man am „Tag des Herrn“ nicht der Völlerei und der Trunksucht Vorschub leisten wollte. 41 Sommerbierkeller waren für gewöhnlich Gewölbekeller, die in die Hänge am Rand oder außerhalb eines Ortes gegraben und in den meisten Fällen auch ausgemauert werden mussten. Günstiger waren Keller, die direkt in Fels oder einer felsenähnlichen Struktur, wie beispielsweise Nagelfluh, geschlagen werden konnten. Sie waren unterteilt in mehrere Abteilungen, die voneinander mit Toren abgetrennt waren. Davor befand sich ein gut abschließbares massives Eingangstor, meist auch mit einem kleinen Kellerhaus, in dem anfangs die notwendigen Gerätschaften für die Fassabfüllung, für die Reparatur und zum Pichen der Lagerfässer aufbewahrt wurden. Jede Kellerabteilung hatte ein eigenes Lüftungssystem über einen Ent- und Belüftungsschacht und eine Ablaufrinne am Boden, über welche die Nässe (Bierreste, Wasser, Schwitzwasser) und die während der Nachgärung entstehende Kohlensäure abgeführt werden konnten. Während anfangs die Fässer in Eis eingegraben wurden, kamen später eigens abgetrennte Eisräume hinzu, aus denen die Kälte in die Lagerkeller und zu den darin gelagerten Fässern gelangen konnte. Dieses Natureis gewann man aus Eisweihern, Bächen oder von sogenannten Eisgerüsten oder „Eisgalgen“. 42 In Orten am Gebirgsrand wie beispielsweise Tölz ist das Einlagern von Eis in Eisgruben in den Felsenkellern bereits um 1760 43 nachzuweisen. Diesen Qualitätsvorsprung bekamen vor allem die Münchner Brauer zu spüren, da das auf Flößen nach München transportierte Bier den besten Ruf genoss und Klagen der dortigen Brauer über Absatzeinbußen an den Münchner Stadtrat gerichtet wurden. Für Weiteres und Näheres zu den Bierkellern um Augsburg sei auf die Arbeit von Alexandra Kohlberger verwiesen. 44 41 E HLEUTER , Ländliches Volksleben, 460. 42 Hierbei handelte es sich um hohe Holzgestelle, über die man an kalten Tagen im Winter Wasser in Rohren leitete. Das herablaufende Wasser gefror an den Holzbalken und bildete große Eiszapfen, die dann abgeschlagen und in die Keller gebracht werden konnten. Diese energieschonende Eiserzeugung machen sich heute einige kleinere Brauereien wieder zu nutze. So beispielsweise die Kronen-Brauerei in Ulm-Söflingen. 43 Beim Umbau des „tiefen Weinkellers“ im fürstbischöflichen Freisinger Hofbräuhaus 1766 zu einem Sommerbierkeller, fragte der damalige Braumeister an, ob er in der Mitte dieses Kellers eine Eisgrube errichten dürfe, wie dies in Tölz praktiziert werde, obwohl man dort ohnehin sehr gute Felsenkeller habe. Vgl. B IENEN , Freisinger Brauereien, 206. 44 K OHLBERGER , Sommerbierkeller, 153-178. <?page no="286"?> Hermann Bienen 286 5.1.3. Stärkere Biere Als ein stärkeres Braunbier wird 1636 in Memmingen ein sogenanntes „Doppelbier“ genannt, 45 über dessen Stärke allerdings nur spekuliert werden kann. Sicher entsprach es nicht der Stärke eines heutigen Bockbieres. 5.2. Biere obergäriger Brauart Obergärige Biere sind Biere, die bei höheren Temperaturen (15 Grad bis 25 Grad Celsius) ganzjährig erzeugt werden können. Dafür werden sogenannte obergärige Hefen verwendet, die nach der Gärung an die Oberfläche des Bieres treiben - im Gegensatz zu den untergärigen Hefen, die bei niedrigen Temperaturen (fünf bis zehn Grad Celsius) vergären und sich am Boden absetzen. Das Brauen von obergärigen Bieren war in Bayern mit Beginn des 17. Jahrhunderts bis 1798, also annähernd 200 Jahre, landesweit verboten. So durfte das obergärige Weizenbier nur in den 16 landesherrlichen Weißbierbrauhäusern erzeugt werden. Das Privileg, ein obergäriges Gerstenbier „nach schwäbischer Art“ zu brauen, erhielten vom Landesfürsten nur wenige herrschaftliche Brauhäuser oder Klöster wie beispielsweise Weihenstephan, Ettal, Scheyern, Hohenwart oder Kühbach. 46 In den nichtbayerischen Gebieten, wie in Schwaben, wurde jedoch, wie von alters her, nach den üblichen Brauverfahren obergärig gebraut. Darüber hinaus war es streng verboten, Weißbier von Schwaben nach Bayern einzuführen, doch gab es an den Grenzen temporäre Ausnahmen. So gelang es beispielsweise der Stadt Rain am Lech im August 1627, als in der gesamten Stadt die Biervorräte zur Neige gegangen waren, eine zeitlich befristete Ausnahmegenehmigung zu erlangen und fremdes Weißbier in die Stadt zu holen. 47 5.2.1. Das Weißbier aus Gerstenmalz Auch wenn das Weißbier im schwäbischen Raum immer wieder als angeblich gesundheitsschädlich angesehen und kurzzeitig verboten wurde, so unter anderem belegt in einem Augsburger Ratsbeschluss aus dem Jahr 1577, 48 erfreute es sich in Schwaben dennoch größter Beliebtheit. Dieses Bier hatte nicht nur wegen seines niedrigeren Preises für den „sparsamen Schwaben“ erhebliche Vorteile. Das Sudverfahren war zwar dem des Braunbiers ähnlich, meist jedoch mit kürzeren Maischerasten. Auch die Menge der Nachgüsse mit warmem Wasser für das Auslaugen der Treber war um einiges größer als beim Braunbier. Zudem wurde das Bier schon wenige Tage nach der Gärung ausgeschenkt. Die Möglichkeit, das Bier ganzjährig in bedarfsgerechten 45 E HLEUTER , Ländliches Volksleben, 460. 46 BayHStA, Staatsverwaltung 1753d, fol. 8. 47 G ATTINGER , Bier und Landesherrschaft, 200. 48 StadtAA, Rep. Nr. 21 (Chroniken), Siedeler-Chronik, fol. 145r. <?page no="287"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 287 Mengen brauen zu können, die kurze Lagerzeit, geringe Produktionskosten und das minimales Risiko finanzieller Verluste bei einem Sauerwerden des Biers waren für die Brauer entscheidend, im Sommer vor allem Gerstenweißbier und im Winter Gerstenbraunbier als einfaches Schankbier herzustellen. Dieses Weißbier wurde oft auch in minderer Machart angeboten. Erzeugt aus Nachgüssen von gesottenem Braunbier, versetzt mit etwas Malzauszug und Hopfen und mit einer, nur wenige Tage dauernden Reifung war die Qualität entsprechend. Das zeigen insbesondere die Physikatsberichte der Ärzte im schwäbischen Raum, die noch um 1860 Fürchterliches von der Qualität des dort genossenen Bieres, vor allem des Weißbiers, erzählen. 49 5.2.2. Das Weißbier aus Weizenmalz Kurfürst Maximilian I. von Bayern hatte 1616, nach kurzer militärischer Besetzung, die Stadt und Herrschaft Mindelheim von Christoph Fugger um 600.000 Gulden aus seinem Privatvermögen gekauft. 1618 begann er mit dem Bau eines neuen Brauhauses in der Nähe des dortigen Schlosses. Zuerst wurde nur Braunbier gebraut, ab 1624 „Baierisches Weißbier“ mit Weizenmalz. Bis etwa 1720 ist dieses Brauhaus anhand von Rechnungen zu verfolgen. Danach liegen keine Unterlagen mehr vor. 50 So war es dem bayerischen Herrscherhaus möglich, auch tief im schwäbischen Raum bayerisches Weißbier zu verkaufen und bekannt zu machen. Mit der Aufhebung des Weißbierbrauverbotes in Bayern 1798 war es jedem Bierbrauer erlaubt, Weißbier aus Weizen- oder Gerstenmalz beziehungsweise aus Mischungen von beiden zu brauen. Damals hatte das Weißbier in Bayern seinen Zenit schon lange überschritten, da sich der Volksgeschmack zwischenzeitlich mehr dem Braunbier zugewandt hatte. Auch das bayerische Herrscherhaus sah damals für sich keine Vorteile mehr am Weißbiermonopol. Für einen Bierbrauer in Bayerisch-Schwaben war es daher, nach der Aufnahme in den bayerischen Landesverband, jederzeit möglich, nun auch Weizenweißbier anstatt oder neben dem Gerstenweißbier zu brauen, was auch einige Brauereien damals versucht haben dürften. Leider ist dieser Aspekt des Bierbrauens in Bayerisch- Schwaben bisher noch zu wenig untersucht. 6. Der Beruf des Bierbrauers Die Kunst des Bierbrauens wurde ursprünglich, wie das Kochen und Backen, von den Hausfrauen, die für die Nahrungsmittelherstellung und die Getränke in der Familie 49 W ILLI , Physikatsberichte; vgl. auch den Beitrag von Felix Guffler in diesem Band, G UFFLER , Physikatsberichte. 50 G ATTINGER , Bier und Landesherrschaft, 84-86. <?page no="288"?> Hermann Bienen 288 zuständig waren, an ihre Töchter weitergegeben. Ein Sudkessel gehörte bei den Germanen bereits zu jeder Aussteuer. „Die Ehefrau fertigt das Malz und bäckt das Brot“, stellte noch um das Jahr 800 ein Kapitular Karls des Großen fest. 51 Als im Mittelalter das Bier kommerziell gebraut wurde und in eigenen Schenken und Gaststätten Absatz fand, wurde es zur „Männersache“. Der Sohn lernte das Brauen von seinem Vater oder einem Verwandten, der es wiederum von seinem Vater gelernt hatte. Da man in den Klöstern bei verschiedenen Gewerben auch Lehrlinge aufnahm, sie nach allen Regeln der Kunst ausbildete und ihnen wie in den Gewerbeinnungen rechtsgültige Zeugnisse ausstellte, wird wohl auch mancher Braugeselle die Geheimnisse der Klosterbraukunst erlernt und weiter verbreitet haben. 52 Dies galt insbesondere für die Angehörigen von Versorgungshöfen der Klöster und der später oft daraus hervorgegangenen Ehaftstafernen mit eigenem Braurecht. Wer Brauer werden wollte, musste sich einen Meister suchen, der Mitglied einer Brauerlade und zudem bereit war, einen „Lernjungen“ für die Dauer der Lehrzeit von zwei bis drei Jahren aufzunehmen. Dies kostete unterschiedlich viel „Lerngeld“ an den Meister und eine Entrichtung von Geld oder Wachs an die Zunftlade. Voraussetzung war jedoch der Nachweis ehelicher Geburt und die Stellung eines oder zweier Bürgen. Die Vorschriften zum „Aufdingen“ eines Lehrjungen und die spätere „Lossprechung“ als Bräuknecht waren in der Zunftordnung genau geregelt. Nach der Lehrzeit war eine mindestens zweijährige Wanderzeit notwendig, in welcher der junge Brauer sein Wissen und Können in verschiedenen in- und ausländischen Brauereien vervollständigen konnte und sollte. Manch junger Brauer lernte in dieser Zeit neue Verfahren und Techniken in der Ferne kennen und brachte sie mit nach Hause. Nach einer mehrjährigen Wanderschaft und Gesellenzeit konnte er versuchen, eine Meisterstelle zu erwerben und sich als Meister prüfen zu lassen. Dies war in den meisten Fällen jedoch nur durch die Heirat einer Bräuwitwe und - wenn er Glück hatte - einer jungen Brauereierbin zu erreichen, die zur Weiterführung des Braubetriebs einen tüchtigen Brauer benötigte. Der Kauf einer freien oder auch „auf die Gant“ 53 gekommenen Braustätte war nur selten möglich; denn über Jahrhunderte hinweg sorgten Zunft und örtliche Obrigkeit dafür, dass das Braugewerbe nicht überhandnahm und daher Braustätten eher stillgelegt wurden, als dass man neue genehmigte. Meist bestand sogar ein Verbot zur Errichtung einer neuen Braustätte, sodass die Anzahl der Brauereien über Jahrhunderte annähernd gleichblieb. Man wollte zur Sicherung der Nahrung und des Gewerbes generell keine Veränderungen und passte sich lieber dem 51 „Uxor verio illius facit I et sarcilem I conficit bracem et coquit panem“, in: „Caroli Magni capitularia, Brevium exempla ad describendas res ecclesiaticas et fiscales“, zit. nach M EUSSDO- ERFFER / Z ARNKOV , Biere des Mittelalters, 56. 52 B EYER , Alt-Zelle, 463; P OLL , Beiträge, 24. 53 Zwangsversteigerung. <?page no="289"?> Die Entwicklung der Braukultur in Bayerisch-Schwaben 289 notwendigen Bierbedarf des Ortes mit einer Vergrößerung des Betriebes oder Brauen von mehr Suden im Jahr an. Durch die vorgeschriebene Wanderung (Walz) eines Brauergesellen entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg eine eigene überregionale „Fachsprache“, die von allen Brauern verstanden wurde. Hinzu kamen Redewendungen und Rituale aus dem Zunftwesen sowie „geheime“ Begriffe, die einen als Zugehörigen der Brauerzunft auswiesen. Begriffe wie beispielsweise die „Sau“, der „Schimmel“, die „Gamsschaufel“, der „Darresel“, ein „Hundskopf“ oder das „Spatzenkampeln“ hatten nichts mit der Tierwelt zu tun, sondern waren früher jedem Brauer geläufig, da er mit ihnen täglich in seinem Betrieb konfrontiert wurde. 54 Üblich war während der Brauerarbeit das Singen von anfangs religiösen und später auch lustigeren Liedern. So findet man in spätmittelalterlichen Rezeptbüchern bereits den ernsthaften Ratschlag, beim Brauen zu singen, damit das Bier „wohlgedeihe.“ 55 7. Der Beginn der Industrialisierung im Brauwesen Mit dem Beginn der Industrialisierung, die man beim Bierbrauen etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ansetzen kann, veränderte sich im Brauwesen vieles. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Kultivierung von Hefestämmen, moderne technologische Verfahren, Dampfkraft, Eiskellertechnik und, ab den 1870er Jahren, der Einsatz von Kältemaschinen revolutionierten das Brauwesen. Es war der Beginn einer neuen Zeit. Auch wenn diese in Schwaben erst wesentlich später Fuß fasste und sich langsam von Augsburg über die Städte und die ländlichen Gebiete ausbreitete, so war es ein gewaltiger Einschnitt in das dortige Brauwesen und die Braukultur. Für die kleineren Brauereien war der Übergang vom einfachen obergärigen Brauverfahren zum Braunbier, das sich überall durchzusetzen begann, finanziell kaum mehr zu schultern. Das noch bis 1850 geltende Brauverbot zwischen Georgi (24. April) und Michaeli (28. September) verlangte auch von den Braunbierbrauern einen erhöhten Kapital- und Arbeitsaufwand für den Bau von teuren Sommerbierkellern oder die Erzeugung von Natureis und dessen Lagerung, sodass ab Mitte des 19. Jahrhunderts 54 Sau = Heißluftkammer unter der Darrhorde; Schimmel = das große gemeinsame Trinkgefäß der Brauer auf dem Schalander; Gamsschaufel = Spezielle Malzschaufel zum Wenden des Grünmalzes; Darresel = ein Brett mit Ziehvorrichtung zum Abräumen des fertigen Malzes von der Darre; Hundskopf = meist kupfernes, um 180 Grad gebogenes Rohrstück am Ende eines Schlauches, das über den Bottichrand gehängt wird; Spatzenkampeln = Aufreißen des Greifhaufens in der Mälzerei mit Hilfe eines großen rechenähnlichen Gerätes. Vgl. auch B IENEN , Brauwesen. 55 J UNG , Bier, 54. <?page no="290"?> Hermann Bienen 290 das großes Brauereisterben in Schwaben begann. Heute haben wir in Bayerisch- Schwaben nicht einmal mehr fünf Prozent der eingangs erwähnten 969 Brauhäuser. Aber auch die Arbeit der Brauer änderte sich mit der neuen Zeit. Die Zünfte wurden aufgehoben und in Gewerbevereine gezwängt. Durch die Modernisierung der Betriebe reduzierte sich die Zahl der Beschäftigten. Auch wenn in vielen Betrieben noch Schlafstellen für die Brauer bereitgestellt waren und auf dem Schalander 56 noch in den Ruhezeiten ausreichend Bier konsumiert wurde, so war das alles nicht mehr so wie früher. Mit der Aufhebung der Wanderschaft für die Braugesellen verschwand im Lauf der Jahre viel zünftiges Brauchtum und wertvolles Kulturgut. Früher eine Alltäglichkeit, klopfte dann nur noch selten ein Brauergeselle in einem Betrieb an und bat zünftig um Arbeit mit den jahrhundertealten Worten „Gott geb’ Glück und Segen drein! Gruß vom letzten Meister und Gesellen“. Heute ist das alles vergessen. Der Beruf des Brauers gliederte sich damals langsam ein in die große Masse der Arbeiterschaft des Industriezeitalters. Quellen und Literatur Archive Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Kurbayern, Äußeres Archiv 695. - Pfalz-Neuburger Akten, Neuburger Abgabe 6658. - Staatsverwaltung 1753d. Stadtarchiv Augsburg (StadtAA) - Rep. Nr. 21 (Chroniken), Siedeler-Chronik. 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Stadtmuseum Kaufbeuren - Inventarnummer 976, Zunftflasche aus Zinn um 1800. - Inventarnummer 1061, Zunftlade 1794. - Inventarnummer 1168, Haarkamm mit Zunftzeichen 1851/ 1900. - Inventarnummer 1169, Haarkamm mit Zunftzeichen 1851/ 1900. - Inventarnummer 1882, Kinderwiege mit Zunftzeichen 1805. - Inventarnummer 2937, Petschaft 1701/ 1800. - Inventarnummer 3055, Zunftsiegelabdruck 17. Jahrhundert. - Inventarnummer 3265, Zunftsiegel der Kaufbeurer Bierbrauer 1901/ 1950. - Inventarnummer 7836, Petschaft 1701/ 1800. - Inventarnummer 9404, Zunftzeichen der Brauer 1830. Gedruckte Quellen Anonym: Kovent, in: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl. 10 (1885-1892), 129. A PPELT , H EINRICH : Die Urkunden Friedrich I. 1152-1158. Nr. 147 (Monumenta Germaniae Historica: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 10,1), Hannover 1975, 246-250. B EYER , E DUARD : Das Cistercienser-Stift und Kloster Alt-Zelle in dem Bisthum Meißen. 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Jahrhundert Christian Schedler Die vorliegende Untersuchung zur Geschichte des Brauwesens in der Stadt Mindelheim basiert auf der erstmaligen Auswertung der im Stadtarchiv vorhandenen Quellen zu dieser Thematik, beginnend mit der ersten erhaltenen Brauordnung aus dem Jahr 1535 und endend in den Jahren um 1900, einer Zeit, in der die meisten traditionsreichen Brauereien Mindelheims bereits untergegangen sind. Zukünftige Forschungen sollten die für Mindelheim gewonnenen Erkenntnisse mit der Situation in vergleichbaren Städten und Herrschaften in Beziehung setzen, um weitere Aufschlüsse über das Brauwesen in kleineren schwäbischen Residenzstädten zu gewinnen. Bisher hat sich im Grunde nur Friedrich Zoepfl in seinen zahlreichen Untersuchungen zur Geschichte Mindelheims am Rande auch mit dem Brauwesen befasst, insbesondere in der Geschichte des ehemaligen Mindelheimer Augustinerklosters sowie des ehemaligen Jesuitenkollegs und in der Geschichte Mindelheims selbst. 1 Seine Untersuchungen sind vor allem für die Zeit des 18. Jahrhunderts hilfreich. In einer Nebenbemerkung erwähnt jüngst Reinhard Baumann den Wein- und Bierkonsum auf der Mindelburg zur Zeit Georgs von Frundsberg. 2 Darüber hinaus scheinen Bierkonsum und Brauereien kaum auf das Interesse von Historikern, die sich mit der Geschichte Mindelheims befasst haben, gestoßen zu sein. Die archivalischen Quellen zur Geschichte des Brauwesens in Mindelheim sprudeln reichlich. Bei einer Durchsicht über den Bestand des Stadtarchivs zu diesem Themenkomplex fanden sich 104 Archivalien mit eindeutigem Bezug, darunter Brau- und Beschauordnungen, Archivalien der Brauerzunft und der Bruderschaft der Brauer, Ratsprotokolle, Schriftverkehr, Rechnungen, Rechtsangelegenheiten, Gewerbeanmeldungen und -abmeldungen, Bauangelegenheiten etc. Dazu kommen noch einige Objekte aus dem 1903 gegründeten Heimatmuseum wie etwa die Zunftlade der Brauer, eine Kanne für die Bierhefe, historische Ansichten von Brauereien und zwei Archivalien im Pfarrarchiv. 3 1 Z OEPFL , Augustiner-Kloster; DERS ., Jesuitenkolleg; DERS ., Mindelheim. Rolf Kiessling untersuchte in einer kurzen Übersicht den Übergang vom vorwiegenden Weinzum Bierkonsum in Mindelheim vom 14. bis in das 16 Jahrhundert in: K IESSLING , Die Stadt, 675-677. 2 B AUMANN , Anna von Lodron, 39, weist darauf hin, dass in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in der Residenz der Herrschaft Mindelheim, der Mindelburg, vorwiegend Wein konsumiert wurde. Bier finde sich dagegen in den Haushaltsbüchern nicht. 3 Großer Dank gebührt Herrn Stadtarchivar Andreas Steigerwald für die Sichtung und Zusammenstellung der hier ausgewerteten Archivalien der Mindelheimer Archive. <?page no="296"?> Christian Schedler 296 1. Das Mindelheimer Brauwesen im 16. Jahrhundert Die frühesten fassbaren Hinweise auf die Herstellung von Bier in Mindelheim finden sich in der Brauordnung des Jahres 1535 und danach wieder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für die Zeit davor fehlen Unterlagen in den Mindelheimer Archiven. 4 Doch ist davon auszugehen, dass es schon zuvor Brauer gab. In den Fokus rückt hier das von 1263 bis 1526 am Unteren Tor bestehende Augustiner Eremitenkloster, in dessen wirtschaftlichem Umfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit Bier gebraut wurde, wie in anderen Orten auch. 5 Das älteste Zeugnis zum Brauwesen in Mindelheim sind neben der Ordnung von 1535 die von Georg II. von Frundsberg am 22. August 1566 erlassenen Ordnungsartikel der „Bierpreuen“. 6 Da sich diese Brauerordnung in einem wichtigen Punkt, dem Umgeld, auf frühere Bestimmungen bezog, die nach wie vor Geltung haben sollten, bestätigt die oben genannte Vermutung, dass auch schon in früherer Zeit Bier in Mindelheim gebraut wurde: „Und soll mit dem Bierumbgellt, wie die Ordnung vor deshalben geben worden, gehallten werden.“ 7 Mit der Ordnung regelte die Herrschaft in 21 nicht thematisch gegliederten Artikeln die Einstellung von Lehrjungen, die bei der Obrigkeit angezeigt werden muss, 8 die Dauer der Lehre von ein bis zwei Jahren, 9 deren Kosten von einem Pfund Haller 10 und die Ausstellung eines abschließenden Lehrbriefes: „Ittem, wenn ainer das Bierbreuen aussgelernet, soll ime der Maister ain Abschid- und Lernbrief zue geben schuldig sein uff sein Begern.“ 11 Brauerwitwen war es untersagt, einen Lehrjungen anzunehmen, es sei denn, er hatte seine Lehre schon zu Lebzeiten des Braumeisters begonnen und mindestens ein halbes Jahr gelernt. 12 Mehrfach wurde betont, dass ein 4 Die Stadt Mindelheim hatte um 1560 etwa 2.100 Einwohner, Z OEPFL , Mindelheim, 184; K IESSLING , Die Stadt, 676 und Anmerkung 105. Die dort genannte Akte StadtAM F b 1 war dem Autor leider nicht zugänglich. 5 Zoepfl, erwähnt ebd., 207, dass die Augustiner braunes Bier gebraut hätten, ebenso erwähnt er eine Brauerei im Schloss, doch ohne Quellenangaben. 6 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6, 1566, Unnser gnedige Herrschafft von Freundtsperg und ain Ersamer Rat haben denen Bierpreuen nachvolgende Articuel zue haben und zue hallten verordnett; gleichlautende Nachfolgeordnungen sind aus den Jahren 1581, 1589, 1590 vorhanden. 7 Ebd., Artikel 19; Der Hinweis könnte sich auf die Ordnung von 1535 aber auch auf ältere Ordnungen beziehen.. 8 Ebd., Artikel 1. 9 Ebd., Artikel 3. 10 Ebd., Artikel 2. 11 Ebd., Artikel 13. 12 Ebd., Artikel 9. <?page no="297"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 297 nicht ordnungsgemäß gelernter Brauer, der zudem auch kein Meister war, das Handwerk in der Stadt nicht ausüben durfte. 13 Wenn ein Meister einen Lehrling ausgelernt hatte, war es ihm drei Jahre lang verboten, einen neuen Lehrling anzunehmen, 14 wohl um einen Überhang an Brauern in Stadt und Herrschaft zu vermeiden. Sogar die Schankknechte mussten ihr Handwerk ordnungsgemäß erlernt haben, ansonsten musste der betreffende Meister Strafe zahlen. 15 Weiterhin wurde bestimmt, wer Meister werden wollte, musste einen „Meisterguldin“ zahlen. 16 Der Preis für weißes und braunes Bier wurde auf zwei Pfennige festgelegt. 17 Zwei Bierschauer, deren Aufgabe in etwa jener der heutigen Lebensmittelkontrolle und der Steuerbehörde entspricht, wurden von Herrschaft und Rat jährlich bestimmt, um gemeinsam mit dem Eichmeister die Bierschau für die Erhebung der steuerlichen Abgaben „jederzeit“ durchzuführen. 18 Diese Amtspersonen hatten auch die wichtige Aufgabe, über die Güte des Bieres zu wachen und dieses zum Verbrauch freizugeben bzw. es andernfalls vernichten zu lassen. 19 Diese verantwortungsvolle Aufgabe wurde nachfolgend in einer eigenen Bierschauerordnung eingehend beschrieben. Ein Artikel bestimmte die Abgabe von Hefe sommers wie winters durch die Brauer an die Bäcker: „Ittem, die Pierpreuen sollen den Beckhen zue Sommerszeitten die Höpfen geben, darmit nit Mangel werde. Und zue Wintterszeitten sollens die Beckhen auch von inen nehmen und sonst niemandt anderst herausbringen.“ 20 Der zum Brauen benötigte Hopfen wurde vor Ort angebaut, darauf deutete ein Verbot, den Hopfen „vor der Quotember Michaelj“ (29. September) zu ernten. 21 13 Ebd., Artikel 4, 5 und 14. 14 Ebd., Artikel 15. 15 Ebd., Artikel 11. 16 Ebd., Artikel 4. 17 Ebd., Artikel 10. 18 Ebd., Artikel 16. 19 Ebd., Artikel 18. 20 Ebd., Artikel 6, etwas missverständlich ist hier das Wort Höpfen, das zu dieser Zeit sowohl für Hefe als auch für Hopfen gebraucht wird; zudem sind beide Substanzen damals für die Brauer wie für die Bäcker von Bedeutung gewesen. Hier dürfte es sich jedoch eindeutig um Hefe handeln, da in Mindelheim im 16. Jahrhundert meist obergäriges Bier gebraut wurde und daher stets genug Hefe vorhanden war. Wie in den meisten Ortschaften ist es im 16. Jahrhundert auch in Mindelheim Aufgabe der Brauer, den Bäckern die benötigte Hefe während des Jahres zur Verfügung zu stellen; freundlicher Hinweis von Herrn Dipl. Braumeister Hermann Bienen. 21 Ebd., Artikel 17, noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Hopfenanbau in Mindelheim verbreitet. Die Bestimmung, ihn nicht vor dem 29. September zu ernten, sollte für gänzlich ausgereifte Dolden und damit beste Qualität sorgen; freundlicher Hinweis von Herrn Dipl. Braumeister Hermann Bienen. <?page no="298"?> Christian Schedler 298 Das Gewicht der Ordnung lag eindeutig auf der Regelung der Ausbildung und der Bestimmung, nur ordnungsgemäß gelernte Brauer arbeiten zu lassen, was der Gesundheit der Bevölkerung sicher zugutekam. Steuerliche Bestimmungen oder die Inhalte des Biers betreffende Regelungen finden sich dagegen nicht. Diese regelte jedoch sehr umfassend die „Ordnung der Bierschawer zue Mindelhaim 1579“. 22 Wie schon in der Brauerordnung des Jahres 1566 wurden auch hier zwei Bierschauer dem Eichmeister zur Seite gestellt. Das fertig gebraute und ausgereifte Bier musste vor dem Ausschank beschaut werden, damit es steuerlich geschätzt werden konnte. Gleichbedeutend war auch die Prüfung der Güte und Reinheit des Bieres, das glasweise von den Beschauern in Augenschein genommen werden musste. Entsprechend seiner Güte sollte das ausdrücklich genannte Weißbier auf maximal drei „Schüsseler Pfennig“ angesetzt werden. Aus heutiger Sicht etwas fragwürdig erscheint die Bestimmung, „Und was so gar schlecht, inn das Siechhaus oder inn Hungerbach geschetzt werden“. 23 Das bedeutete, wenn das Bier misslungen oder sehr schlecht ausgefallen war, erhielten es die unheilbar Kranken im Sondersiechenhaus oder es wurde in die städtische Kloake, den sogenannten Hungerbach, geschüttet. Die Bierschauer wurden verpflichtet, die Güte des Bieres auch nachfolgend immer wieder zu überprüfen. 24 Zu diesem Zweck mussten sie unbestechlich sein, weswegen der Amtsbüttel sie quasi als Aufsicht begleiten sollte. 25 Geprüfte Fässer waren zu siegeln und mit der Steuerschätzung zu versehen, die maximal drei oder vier Denare betrug. 26 In der Praxis gab es immer wieder Verstöße und Versuche, Biermengen vor den Beschauern zu verbergen, um dadurch die steuerlichen Abgaben zu reduzieren, wie ein Beschwerdebrief des Bierwirts Thoman Anwander aus diesen Jahren deutlich macht. 27 Im Grunde handelte es sich in den darin vorgebrachten Beschwerden um eine aus der Gegenwart vertraute Problematik, ging es doch um den Versuch, Steuerhinterziehung zu vermeiden, und um die Zuverlässigkeit der kontrollierenden Behörde. Ein eigener Absatz der Bierschauerordnung befasste sich mit dem Weißbier, das in der Herrschaft Mindelheim von nun an zu brauen und auszuschenken verboten wurde und zwar wegen „des gemainen Manns endtlich Verderben zueverhüetten.“ 28 Stattdessen sollte zukünftig nur noch braunes Bier hergestellt werden. Zu diesem Thema liegt im Mindelheimer Stadtarchiv ein ausführlicher Schriftwechsel von Amts- 22 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6. 23 Ebd., Bierschawer, Artikel 4. 24 Ebd., Bierschawer, Artikel 6. 25 Ebd., Bierschawer, Artikel 7. 26 Ebd., Bierschawer, Artikel 5. 27 Ebd., „Wegen der Bierwirt ist Thoman Anwanders Fuerbringen“: „Sye haben etwan 2 oder 3 Keller, darinn sie Bier legen. Solches wirdt den Schauern auch nit angezaigt.“ 28 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6, Bierschawer, Artikel 8. <?page no="299"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 299 personen benachbarter Herrschaften mit dem Mindelheimer Obervogt, der sich offenbar bemühte, auch in den anderen Herrschaftsgebieten ein Verbot des weißen Bieres durchzusetzen, stets mit der Begründung seiner Schädlichkeit für den „gemainen Mann und Mädchen.“ 29 Noch aus den Jahren 1591 und 1593 bezeugen Eingaben an den Obervogt mit der Bitte um die Erlaubnis, weißes Bier zu brauen, die drastischen wirtschaftlichen Folgen des Verbots für die Brauer. 30 Die Klage der Mindelheimer Brauer von 1593 enthielt, neben detaillierten Hinweisen auf ihre angespannte wirtschaftliche Situation wegen des Weißbierverbotes, noch einen Verweis auf umliegende Orte mit Brauereien, die weißes Bier brauten. Mindelheimer Bürger würden es dort trinken und es werde sogar bis nach Mindelheim eingeführt. Es handelte sich um Apfeltrach, Mattsies, Hausen und Pfaffenhausen 31 - allesamt Orte mit Brauereien, die mit Ausnahme Hausens außerhalb der Herrschaft Mindelheim lagen. Zusätzlich zu den schon genannten Regelungen in den älteren Ordnungen enthielt die „Ordnung der Bierprewen und -schauer“ vom 8. und 18. März 1590 einige interessante neue Bestimmungen. Bemerkenswert war unter anderem jene in Artikel zwölf, die erstmals in den erhaltenen Ordnungen die Inhaltsstoffe des Biers festlegte und daher, um die vielbemühte Bezeichnung des frühen 20. Jahrhunderts zu benutzen, als „Mindelheimer Reinheitsgebot“ gelten könnte, 74 Jahre nach dem bairischen Erlass von 1516: „Usser Gersten und Hopfen nichts ins Bier zuethuen: Es soll auch den Bierpreuen ernstlich auferlegt sein, keine Kreutter, Samen, Wuertzen oder anders inn Bier zue sieden, sonder allaine Gersten und Hopffen nehmen [...] bey Verlierung des Handtwerckhs und weitterer Straff der Oberkhait.“ 32 Weitere Bestimmungen legten das Umgeld auf einen Heller pro Maß fest. 33 Neu war auch die Einführung von eigenen „Bierzaichen“ für die Ausfuhr von versteuertem Bier. Es war die Aufgabe der Torwarte, die Bierzeichen für die vorhandenen Fässer zu 29 Ebd., „Schreiben des Vogts Conradt Wiedenmann von Türkheim, 28. Julij 1579“; „Schreiben der Brüder Hanns und Marquardt von Stain zue Yettingen unnd Matzensuess, 30. Juli 1579“; „Schreiben des Vogts Michell Schlamb von Kirchhaim, 28. Julij 1579“; „Carl von Freyberg, Cammerer, Khammau Sontags nach Jacobj anno 1579“. 30 Ebd., „Underthenige Supplication an den Edlen und Ernvesten Johann Eberhart Ringler, Obervogt der Statt und Herschafft Mündelhaim [...] Hanns Bollenmiller, Bierbrew und Buerger zue Mindelhaim per datum den 8. Aprilis anno 1591“; „Underthönig Anlangen aines ganntzen Hanndtwerckhs der Bierprewen allhie. Pernotatae den 14. Octobris anno 1593“. 31 Ebd., „Underthönig Anlangen aines ganntzen Hanndtwerckhs der Bierprewen allhie. Pernotatae den 14. Octobris anno 1593“. 32 Ebd., Bierschauer Ordnung, Datum 8./ 18. Martij anno 1590. In der ältesten, nicht mehr verfügbaren Ordnung von 1535 sind noch Zugaben von Kräutern wie Wermut, Koriander und Lorbeer genannt, K IESSLING , Die Stadt, 676, Anm. 105. 33 Ebd., Bierschauer Ordnung 1590, Artikel 8. <?page no="300"?> Christian Schedler 300 prüfen und gegebenenfalls die Ausfuhr zu verbieten. 34 Brauer und Bierwirte wurden verpflichtet, für Reisende jeweils vier Betten bereit zu halten. Kranke allerdings mussten im „Betlheusin“ nächtigen. 35 Zum Schutz der eigenen Bevölkerung durfte kein Gast mehr als zwei Maß trinken, Ausnahmen gab es nur für Reisende, deren Zeche offenbar mehr geschätzt wurde als ihr Wohl. 36 Im 16. Jahrhundert waren Brauer und Bäcker noch in einem Handwerk verbunden. Das sollte auf kaiserliche Veranlassung vom 8. Dezember 1589, ausgehend vom Herzogtum Württemberg, getrennt werden. 37 Doch es gab Probleme, den Erlass zu vollziehen, da schmerzliche wirtschaftliche Einbußen befürchtet wurden, wenn die zumeist gemeinsam betriebenen Handwerke nun nur noch gesondert ausgeübt werden dürften, was einige Bittschriften und Einsprüche nach sich zog. Letztendlich wurde die Trennung in Mindelheim erst im Jahr 1669 vollzogen. 38 Eine genaue Anzahl der Mindelheimer Brauereien im 16. Jahrhundert lässt sich anhand der Quellen nicht feststellen. Das Steuerbuch gab im Jahr 1563 lediglich für das Pfarrviertel zwei Brauer an und einen für die Vorstadt. 39 Doch angesichts der detaillierten Brau- und Beschauordnungen muss von wesentlich mehr Betrieben ausgegangen werden, so wie sie auch in den kommenden Jahrhunderten nachweisbar sind. Grundsätzlich sind alle Mindelheimer Brauereien bis in das 18. Jahrhundert stets mit Wirtshäusern verbunden. 2. Das Brauwesen im Mindelheim des 17. Jahrhunderts Im 17. Jahrhundert 40 war das erste bemerkenswerte Ereignis in Stadt und Herrschaft Mindelheim wohl der Einmarsch bairischer Truppen am 21. September 1616 und die Übernahme der Herrschaft durch das Herzogtum Baiern, das damit einen langen 34 Ebd., Bierschauer Ordnung 1590, Artikel 16 und 17. 35 Ebd., Bierschauer Ordnung 1590, Artikel 17. 36 Ebd., Bierschauer Ordnung 1590, Artikel 13. 37 Ebd., „Ains ersamen Raths zue Mindelhaim Erkhlerungsschrifft uber die Wuertenbergische uberstente Pattenta, die Miller, Suessbeckhen und Pierpreuen alhie betreffendt 1589“. 38 Ebd., „Bierprewen Supplication, 4. Decembris, anno 1590“, die Brauer bitten darin, wie gewohnt neben dem Brauerhandwerk auch das Bäckerhandwerk ausüben zu dürfen, da sie mit den daraus resultierenden Einnahmen rechneten; die Trennung der gemeinsamen Zunft der Brauer und Bäcker erfolgte erst nach dem Dreißigjährigen Krieg in der „Copia newaufgerichte Pierprewhanndtwerckhs-Bruederschafft-Jahrtag-Ordnung unnd Articul anno 1669“. 39 StadtAM, Inv. Nr.: II E 2, Steuerbuch 1563. 40 Im Jahr 1659 hatte Mindelheim etwa 1.100 Einwohner. Der deutliche Rückgang im Vergleich zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts resultierte aus den Verheerungen des vorangegangenen Dreißigjährigen Kriegs, vgl. Z OEPFL , Mindelheim, 184. <?page no="301"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 301 Erbstreit zwischen den erbberechtigten Familien Fugger und Maxlrain beendete. Herzog Maximilian bemühte sich, das nur noch provisorisch belegte ehemalige Augustinerkloster mit Jesuiten zu besetzen, was ihm im Jahr 1618 auch gelang. 41 Der rührige Orden gründete eine Brauerei, die sich in den nächsten Jahrzehnten äußerst erfolgreich entwickelte, sehr zum Verdruss der Mindelheimer Brauer. Vermutlich noch im 16. Jahrhundert kam es zur Gründung einer Bruderschaft der Brauer, die das Leben der Zunft um gottesdienstliche Verpflichtungen und Prozessionen bereicherte. Davon hat sich das „Böckhen und Bierprewer zue Mündelhaim Bruederschafft-Büechlin, ernweret in Anno 1610“ erhalten. 42 Seine frühesten Einträge auf fol. 50r stammen aus dem Jahr 1600, der jüngste datiert von 1740. Aufschlussreich sind die Rückschlüsse auf die Zahl der Brauer: So hatte Mindelheim um das Jahr 1610 28 Brauer, die auch Gastwirtschaften betrieben. Während des Dreißigjährigen Krieges, der die Stadt fast entvölkerte, verzeichnete die „Steuerveranlagung in der Stadt Mindelheim 1639“ noch elf Brauer (vier im Klosterviertel, drei im Pfarrviertel, zwei im Spitalviertel und zwei im Mühlviertel). 43 Anhand der „Steyrdaarlägung bey der Statt Mündelheim anno 1664“ ließ sich 16 Jahre nach dem Krieg eine gewisse Erholung der kriegsbedingten Einbrüche feststellen, denn es wurden 16 Brauer ermittelt, und zwar im Mühlviertel vier, im Pfarrviertel drei, im Klosterviertel sechs und im Spitalviertel drei. 44 In direktem Zusammenhang mit der genannten Zunftbruderschaft steht das Meisterbuch, das ab dem Jahr 1656 alle Braumeister Mindelheims chronologisch bis zum 16. November 1836 verzeichnet. 45 Im Vergleich zum 16. Jahrhundert gibt es weniger aufschlussreiches Quellenmaterial. Neben etlichen mit jener von 1590 gleichlautenden Bierschauerordnungen ist besonders die „newaufgerichte Pierprewhanndtwerckhs-Bruederschafft-Jahrtag-Ordnung unnd Articul anno 1669“ von Interesse. 46 Die von den damaligen Vorständen im Namen der ganzen Zunft, dem Stadt- und Herrschaftspfleger, Bürgermeister und Rat erlassene Ordnung enthielt gleichsam die Verfassung des gesamten zünftischen Lebens der Brauer. Gleich zu Beginn informiert der Text, dass Brauer und Bäcker bisher in einer Zunft vereint waren, doch „nach dem laydig Schwedischen Kriegs- Unwesen diese beede Handtwerckhe zuesammen sich nach und nach also genöhrt, dass jedes wol selbsten ein aygne Zunfft ertragen khan; also haben sye sich darumben 41 Ebd., 55-61, 305. 42 StadtAM, Inv. Nr. HMMind. Inv. Nr. 1902. 43 StadtAM, Inv. Nr. II E 7. 44 StadtAM, Inv. Nr. II E 8. 45 StadtAM, Inv. Nr. Mindelheim HM 1905, „Meisterbuch für die Bierbrauer. Die eingeschribne Maisters Söhne der Pierbravern [...]“. 46 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6. <?page no="302"?> Christian Schedler 302 separiert und voneinander gethaylt.“ 47 In 26 Artikeln war alles geregelt, was das Brauerhandwerk betraf, beginnend mit den Bruderschaftsjahrtagen um das Fest des Heiligen Michael (29. September) in der Pfarrkirche St. Stephan mit einer genauen Auflistung der diesbezüglichen Ausgaben. 48 Die Aufnahmegebühren in die Bruderschaft betrugen zwei Pfund Wachs und zum Jahrtag jeweils sechs Kreuzer. Es wurde Wert darauf gelegt, dass zum Jahrtag alle anstehenden Rechnungen und Strafgebühren beglichen wurden. Auch die Teilnahme an Prozessionen mit der Zunftstange und bei Beerdigungen war klar geregelt. 49 Sodann wurde die Lehre ausführlich behandelt, die zwei Jahre dauerte. Am Ende wurde der Lehrling vor offener Zunftlade freigesprochen, nachdem er einen Gulden bezahlt hatte. Wie schon im 16. Jahrhundert, erhielt er auch einen Lehrbrief. Dessen Meister durfte nunmehr ein Jahr lang keinen Lehrling annehmen, eine Verkürzung im Vergleich zur Brauerordnung von 1566. Nur Ledige konnten Lehrjungen werden. 50 Die Zulassung fremder Meister wurde ebenso behandelt, wie die Kündigungsfristen für Gesellen sowie die Anzeigepflicht bei der Einstellung eines neuen Lehrjungen. 51 Schließlich wurde noch bestimmt, wie man Meister in Mindelheim werden konnte: Wer vorschriftsmäßig gelernt und laufend das Handwerk betrieben hatte, musste den Meistern den „gebürenden Trunckh“ reichen und einen Gulden in die Zunftkasse (Zunftlade) bezahlen. Außerdem durfte er zwei Jahre lang keine Lehrjungen annehmen. 52 Die letzten Artikel befassten sich mit disziplinarischen Maßnahmen und Strafen, unter anderem enthielten sie das Verbot, „in das Pier ohnpassierliche Sachen“ einzusieden. 53 Offenbar scheint der Streit um die Produktion des in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts so heftig umstrittenen weißen Biers beigelegt worden zu sein, denn in den Archivalien des 17. Jahrhunderts finden sich keine Hinweise mehr über ein Verbot desselben. 47 Ebd., Vorbemerkung. 48 Ab dem Jahr 1863 wurden schließlich keine Zunftjahrtage mehr in der Pfarrkirche gefeiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass Zunft und Bruderschaft sich aufgelöst haben oder nicht mehr aktiv waren, PfarrAM, Anmeldungsregister über abzuhaltende Gottesdienste, Obsequien in der Stadtpfarrkirche Mindelheim 1862/ 1863. 49 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 6, Bruederschafft, Artikel 2, 4 und 5. 50 Ebd., Bruederschafft, Artikel 9-14. 51 Ebd., Bruederschafft, Artikel 15-19. 52 Ebd., Bruederschafft, Artikel 20-22. 53 Ebd., Bruederschafft, Artikel 24. <?page no="303"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 303 3. Das Brauwesen im 18. Jahrhundert Auf den ersten Blick schien das Brauwesen im 18. Jahrhundert 54 von einem heftigen Streit zwischen den Mindelheimer Brauern und den Jesuiten dominiert gewesen zu sein. Die Jesuiten brauten, für ihre eigenen Bedürfnisse im Collegium, im Gymnasium, im großen Gutshof vor dem Unteren Tor und später auch für die Englischen Fräulein, braunes Bier, ohne es jedoch an die Bevölkerung abgeben zu dürfen. Bei genauerem Hinsehen lagen die Gründe für die beklagte Beliebtheit des Jesuitenbiers als Ursache für die Streitigkeiten zum einen am günstigeren Preis, zu dem die Patres ihr Bier abgeben konnten, und zum anderen in der, von verschiedenen Seiten gerügten, schlechten Qualität jener Biere, die von den Mindelheimer Brauern hergestellt wurden. 55 Vermutlich hatten die Jesuiten bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die leistungsfähigste unter allen Mindelheimer Brauereien. 56 Zwischen den „Bier-Fronten“ versuchte die städtische Obrigkeit mit Verordnungen und Strafen der Missstände Herr zu werden. 57 Schon seit dem späten 17. Jahrhundert begegnen in den Quellen Streitigkeiten wegen der Ausgabe von braunem Bier durch die Jesuiten, das sich offenbar schon einer sehr großen Beliebtheit erfreute. 58 Auf die Beschwerde der Brauer folgten Verbote durch den Rat, kurfürstliche Befehle und sogar ein Abgabeverbot seitens des Jesuitenordens. Daher entschlossen sich die Mindelheimer Jesuiten, ihr Bier außer an die eigenen Konsumenten nur noch an Kranke und Wohltäter auszugeben. Ab dem Jahr 1711 durften schließlich auch die Englischen Fräulein mit Jesuitenbier für den Eigenverbrauch versorgt werden. 59 Doch wegen der notorisch schlechten Qualität des Mindelheimer Bieres war die Bürgerschaft auch durch drakonische Strafen nicht davon abzubringen, bei den Jesuiten Bier zu holen. 60 Weil der 54 Im 18. Jahrhundert pendelte sich die Einwohnerzahl Mindelheims auf rund 2.000 bis 2.400 ein, Z OEPFL , Mindelheim, 184f. 55 Da die Jesuiten vom Umgeld, der Steuer, befreit waren, konnten sie ihr Bier wesentlich günstiger abgeben als die übrigen Mindelheimer Brauer, vgl. StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro annis 1724-1725, fol. 134r. 56 Für das 18. Jahrhundert fehlen Angaben zu den Produktionsmengen, doch da die Collegbrauerei im ganzen 19. Jahrhundert die ausstoßstärkste Brauerei in Mindelheim war, dürfte dies auch für den fraglichen Zeitraum gelten. 57 Nachfolgend eine unvollständige Übersicht über die gravierendsten Vorfälle: StadtAM, Inv. Nr. II A 1, „Rhats-Prothocoll bey gemainer Statt Mündelheimb pro annis 1709 et 1710 […]“, fol. 21v-22r; pro anno 1714, fol. 63r, 67v, fol. 69r, fol. 73r; pro anno 1717, fol. 17v, fol. 50r, fol. 80r, fol. 86r. 58 Z OEPFL , Jesuiten, 31. 59 Mit 52 Eimern, StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro annis 1711-1712, fol. 13; ein Eimer entspricht 85 Litern. 60 Z OEPFL , Jesuiten, 31; StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro annis 1709 et 1710, fol. 22r; pro anno 1714, fol. 63: konkrete Strafe für den Genuss von Jesuitenbier in Höhe von bis zu sechs Gulden und Verlust des Bürgerrechts. <?page no="304"?> Christian Schedler 304 Bäcker Christoph Endert am 1. August 1725 Braunbier bei den Jesuiten abholte, wurde er vom Rat zu einer Geldstrafe von sechs Gulden verurteilt und zugleich „in Thurn gestöckhet und bis die Straff erleget worden, zuvor nit entlassen.“ 61 Im Gegenteil, trotz der Verbote und Strafen stieg der Bierabsatz der Jesuiten unaufhaltsam. 62 Es erscheint rückblickend schon verwunderlich, dass ein so mächtiger und von den Wittelsbachern immer noch hoch geschätzter Orden in der kurfürstlichen Stadt Mindelheim keinen leichten Stand hatte. Denn am 27. Juni 1713 lehnte der Rat den Bauantrag für ein neues, größeres Brauhaus der Jesuiten ab, mit der Begründung, sie brauten „nit nur allein vor sye, sondern gleichsamb vor die ganze Statt.“ 63 Selbst seitens der kurfürstlichen Regierung gab es keine Sonderstellung für die Jesuiten, denn am 20. Juli 1717 erging der Befehl, dass „denen Herren Patres Societatis Jesu das Praunbier under die Buerger auszuezepflen verbotten“ ist. 64 Allein, trotz aller Hilfestellungen durch den Rat und das Kurfürstentum, war den städtischen Brauern bisweilen nicht zu helfen. Denn sie waren immer wieder nicht in der Lage, entweder aufgrund der mangelnden Qualität ihrer Produkte oder der hergestellten Menge, den Bierkonsum der Stadt zu bedienen, so dass die Jesuiten - sicher mit einer gewissen Befriedigung - vom Rat gebeten wurden, der Stadt mit ihrem Bier auszuhelfen. 65 Trotz des bisweilen sehr heftig ausgetragenen Konflikts bewahrten die Jesuiten die Stadt vor peinlichen Zwischenfällen, wie „Paulus Kraus, der letzte Jesuitenrektor, in einem Schreiben an den Kurfürsten [...] mit Genugtuung hervorhebt, hätte beim letzten Besuche des Kurfürsten [um 1771] [...] in Mindelheim kein Tropfen Braunbier an die kurfürstliche Tafel gebracht werden können, wenn nicht die Jesuiten von ihrem ‚Haustrank‘ etwas hergegeben hätten.“ 66 Im Gegenzug bemühte sich der Rat, die Brauer immer wieder aufzufordern, die Stadt mit gutem Bier zu versorgen. 67 Zugleich ermahnte er seine Bierschauer, ihrer Pflicht nachzukommen und das Bier, wie auch das Geschirr in den Kellern, mit besonderer Sorgfalt zu kontrollieren. 68 Diese schienen jedoch wenig Sorgfalt aufzuwenden, weil zumindest in einem Fall sogar ein Bierschauer sein Bier lieber bei den Jesuiten holen ließ. 69 Bei den zahlreichen und deutlichen Ermahnungen an die Bierschauer, ihren Pflichten treu nachzukommen, sprach nun aus den Quellen nicht mehr nur die Sorge, der Stadt könne Umgeld 61 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1725, fol. 103r. 62 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro annis 1724-1725, fol. 121r. 63 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1713, fol. 29v. 64 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1717, fol. 50r. 65 Für die Jahre 1770 und 1771 Z OEPFL , Jesuiten, 46. 66 Ebd., Anm. 5. 67 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1709, fol 21v. 68 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1714, fol. 69r; pro annis 1715-1716, fol. 28vf. 69 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1714, fol. 69r und 73r. <?page no="305"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 305 entgehen, sondern vielmehr auch um die Qualität des Biers. Die Ausfuhr Mindelheimer Biers und dessen Versteuerung schlug sich in den erhaltenen Archivalien nicht nieder. Dagegen war die Einfuhr von Bier aus anderen Orten, wie etwa aus Mattsies und Landsberg, ein Faktum, gegen das man ebenfalls mit Verboten und Strafen vorzugehen versuchte. 70 Die Bewertung des weißen Bieres hatte sich, im Vergleich zum 16. Jahrhundert, grundlegend gewandelt. Mittlerweile begrüßte der Rat sogar den Vorschlag der Brauer, zur Abwendung der unliebsamen jesuitischen Konkurrenz, weißes Bier zu brauen. Daher wurde 1717 eine bestimmte Anzahl von Brauern für die Herstellung des braunen sowie des weißen Bieres festgelegt. 71 Acht Jahre später bestimmte eine kurfürstliche Verordnung, dass Brauer entweder nur weißes oder nur braunes Bier brauen dürften, nicht aber beides zugleich. 72 Doch auf welche Biersorte sich ein Brauer festlegte, oblag, wie es sich anhand der Quellen abzeichnet, seinem freien Willen und nicht einer obrigkeitlichen Genehmigung. Trotz der vielfach beklagten schädlichen Konkurrenz durch die Jesuitenbrauerei hatte Mindelheim 1750 22 Brauereien: elf davon im Pfarrviertel, vier im Müllerviertel, fünf im Spitalviertel und zwei in den Vorstädten. Interessanterweise erschien die Jesuitenbrauerei im Klosterviertel in den Steuerlisten nicht, da sie nicht Umgeldpflichtig, das heißt, von der Steuer befreit, war. 73 4. Das Brauwesen im unruhigen 19. Jahrhundert Die Wirren der französischen Revolutionskriege bekam Mindelheim 74 drastisch zu spüren. Als Beispiel sei nur die Schlacht von Kammlach, direkt westlich vor den Toren der Stadt, im Jahr 1796 genannt. Durchziehende Truppen, Einquartierungen und Kontributionszahlungen setzten der kleinen Stadt so schwer zu, dass sie noch 1824 mit dem immensen Schuldenberg von rund 90.000 Gulden belastet war. 75 Zur Abhilfe dieser Misere sah man kein anderes Mittel, als die Einführung eines Bierpfennigs in Höhe von 15 Kreuzern pro Eimer. 76 Man begründete den Schritt vor den Gemeindebevollmächtigten, diese Regelung betreffe nicht nur die eigenen Bürger, sondern 70 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1709, fol. 22r; pro anno 1717, fol 73r. 71 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro anno 1717, fol. 80r. 72 StadtAM, Inv. Nr. II A 1, pro annis 1724-1725, fol. 134r. 73 StadtAM, Steuerbeschreibung de anno 1750. 74 Mindelheim konnte im Lauf des 18. Jahrhunderts einen langsamen Anstieg der Einwohnerzahl verbuchen, im Jahr 1800 2.400 Einwohner, die bis zum Jahr 1898 auf 4.007 Einwohner anstieg, Z OEPFL , Mindelheim, 185. 75 Ebd., 92-94; StadtAM, Inv. Nr. Fach 77, Nr. 9, „Schreiben an Seine Königliche Majestät von Bairn, 8. Mai 1824“, Schulden in Höhe von 88.497 Gulden. 76 Ebd., „Einführung des sogenannten Bierpfennigs, 1824-1830, 31. Merz 1824“. <?page no="306"?> Christian Schedler 306 auch die Fremden, was durchaus von Vorteil sei. In der „allerunterthänigst“ geäußerten Bitte an seine Majestät den König sah der Magistrat die Einführung des Bierpfennigs in Höhe von einem Pfennig pro Maß als letzte Möglichkeit, der finanziellen Not der Stadt zu begegnen. Denn jede andere Art von Steuer würde die Bürger zu sehr belasten und in noch größere Nöte stürzen. 77 Aus den Jahren von 1820 bis 1823 erhielten sich erstmals auch konkrete Angaben über die in Mindelheim hergestellten Biermengen, die ein deutliches Wachstum von jeweils rund 1.000 Hektolitern pro Jahr verzeichneten. In den Jahren 1820 und 1821 produzierten die Mindelheimer Brauer 4.077 Hektoliter Bier, wobei hier weißes und braunes Bier zusammengerechnet ist. 1821 und 1822 wurden 5.090 Hektoliter Bier produziert und 1822/ 23 schließlich 6.385 Hektoliter. Wobei allein die produktionsstärkste Brauerei des Grafen Rechberg im ehemaligen Jesuitenkolleg 3.100 Hektoliter braute. 78 Damit stand die Menge des von den Mindelheimer Brauereien produzierten Bieres fest, zu denen nun auch die Collegbrauerei gehörte, die nach der Auflösung des Jesuitenordens und der nachfolgenden Malteserkommende ins Eigentum des Grafen Rechberg gelangte. Dankenswerterweise überlieferte eine Erhebung vom 29. Juli 1824 auch den Verbrauch fremden Biers, das von auswärts eingeführt und somit auch versteuert wurde. Das waren in jenem Jahr 6.248 Hektoliter. Damit wurden in Mindelheim um die Jahre 1823 und 1824 jährlich 12.633 Hektoliter braunes und weißes Bier konsumiert, bei rund 2.100 Einwohnern. Dabei gab es, neben den 15 Brauereien mit Gaststättenbetrieb samt Spirituosenbrennerei, auch noch Weinwirte. 79 Vor dem Hintergrund dieser Mengen sollte berücksichtigt werden, dass Bier und Wein die einzigen Getränke zu jener Zeit waren, die angesichts der häufig verunreinigten Hausbrunnen und einigen öffentlichen Röhrenbrunnen gefahrlos getrunken werden konnten. Hier wären Vergleichszahlen aus anderen Städten hilfreich, um die überlieferten Mengen in Relation zu setzen. Diese Aufstellung zeigt aber nicht nur, welche erstaunlichen Mengen konsumiert wurden, vielmehr musste sich die Qualität des Mindelheimer Bieres seit den 1770er Jahren erheblich verbessert haben, da sich der Verbrauch des eigenen wie des auswärtigen Biers etwa die Waage hielt. Das auswärtige Bier kam aus Augsburg, dem Klosterbräu Ottobeuren, aus Günzach 77 Ebd., Inv. Nr. Fach 77, Nr. 9, „Schreiben an Seine Königliche Majestät von Bairn, 8. Mai 1824“. 78 Ebd., „Summarische Anzeige über den Malzverbrauch in den Bräuhäusern in den Jahren 1820/ 21 bis 1821/ 22 und 1822/ 1823“. 79 Bezeugt für die Jahre 1810, 1828 und 1830, StadtAM, Inv. Nr. II E 13, „Rustikal- und Häuser-Steuer-Kataster [...] de anno 1810“; Inv. Nr. II E 13, Fach 102, Nr. 10, 1828; Inv. Nr. Fach 181, Fasz. 1, „Kataster über die radizierten und realen Gewerbe [...] 1830-1841“. <?page no="307"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 307 und Mattsies. 80 Wie schon im 16. Jahrhundert mussten zur Versteuerung der eingeführten Biere Poletten (Biermarken) gekauft werden, die bei den Torwarten abzugeben waren. 81 Von 1826 bis 1865 lag der Preis für eine Maß Bier recht stabil bei fünfeinhalb bis sechs Kreuzern, dank der jeweiligen Preisfestsetzungen durch den Stadtmagistrat. 82 Diese Preisbindung wurde im Jahr 1865 versuchsweise aufgehoben, mit der Folge, dass in den nächsten neun Jahren der Literpreis des Biers auf bis zu neun Kreuzer anstieg. In den 1880er Jahren, nach Einführung der Reichswährung 1875, kostete der Liter Bier in Mindelheim zwischen 25 und 35 Pfennige. 83 Im ansonsten eher ruhigen Mindelheim waren offenbar Erhöhungen des Bierpreises geeignet, für eine gewisse Unruhe zu sorgen. Unter der Bezeichnung „Bierkrawall“ findet sich in den Akten zum Sonntag, den 24. Mai 1846 eine Anzeige des Polizeidieners Dexel, dass 14 Bürger nachts um 23.30 Uhr aus einem Wirtshaus der Stadt in ein anderes gezogen seien „und sie alle die Maaß Bier für 6 Kreuzer unter dem Rufe ‚Freyheit und Gleicheit‘ gefordert“ hatten. Das ganze Aufbegehren zog sich noch bis zum Montagvormittag hin. Gegen Ende Mai wurden die Schuldigen schließlich „abgewandelt“, also bestraft, in welcher Form geht aus den in Mindelheim erhaltenen Archivalien nicht hervor. 84 Damit waren die bierbezogenen Unruhen auch schon wieder beigelegt. Im Zusammenhang mit der Bierproduktion etablierte sich auch für einige Jahrzehnte der Hopfenanbau in großem Stil, der, anders als in den vergangenen Jahrhunderten, nun nicht mehr nur den Eigenbedarf decken sollte, sondern vor allem für den Export bestimmt war. Angeregt wurde er in den zwanziger Jahren durch den damaligen Inhaber der Collegbrauerei, Graf Rechberg zu Hohenrechberg. Seit der Zeit um 1840 bis in die 1880er Jahre kann man von einem ausgedehnten Hopfenanbau sprechen, der in den besten Jahren zwischen 1855 und 1870 sehr gute Erträge erzielte. Im Jahr 1874 verzeichnete Mindelheim 175 Hopfenbauern, die eine Gesamtfläche von 113 Tagwerk mit 187.220 Hopfenstangen bebauten. Der Gesamtertrag lag bei 209 Zentnern und 66 Pfund. Doch durch eine zunehmend starke Konkurrenz aus 80 StadtAM, Inv. Nr. Fach 77, Nr. 9, „Verhandelt Mindelheim am 29. Juli 1824. Praesentes: Bürgermeister Bernat und Stadtschreiber Herzog“. 81 Ebd., „Verhandelt Mindelheim am 26. September 1825. Praesentes: Bürgermeister Bernat und Stadtschreiber Herzog“. 82 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 31/ 4, 1; Fd 31/ 1, 12, 3, 4, 5, 6, 7. 83 StadtAM, Inv. Nr. III Fd 31/ 1, Act Nr. 652. „Rundschreiben Überschreitungen der Biertaxe betreffend. Umlauf an die Bräuer und Wirthe dahier“. 84 StadtAM, Inv. Nr. III Fb 16, 27. Mai 1846. <?page no="308"?> Christian Schedler 308 Württemberg, sowie später noch aus England und Amerika, gingen die Gewinne und damit auch der Anbau zurück, sodass er schließlich ganz eingestellt wurde. 85 Seit 1839 finden sich im Stadtarchiv Unterlagen zum Bau von Bierkellern, vor allem im Bereich des Höhenrückens westlich der Stadt, dem Katharinenberg. Doch auch im Bereich der Altstadt und vor dem Oberen Tor gab es Bierkeller, die bisweilen heutzutage bei Umbauten und beklagenswerten Gebäudeabbrüchen wieder zutage kommen. 86 Noch heute sind auf dem Katharinenberg der Kauzkeller, der Ochsenkeller und der Rechbergkeller begehbar. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand die schöne Tradition, abends sowie an Sonn- und Feiertagen, zu den Sommerkellern zu gehen, die eine Biergartenbewirtung boten und dort das kellerkalte Bier mit eigenen Speisen zu genießen. Seit vermutlich 1876, erstmalig schriftlich erwähnt 1883, gab es in der Mindelheimer Bahnhofstraße die „Brauerei Maschinenfabrik“ Johann Möller, die sich bis 1914 auf die Herstellung von Brauereieinrichtungen spezialisiert hatte. Von diesem Betrieb ist noch ein funktionsfähiges Modell eines Sudkessels im Heimatmuseum erhalten. 87 Ab der zweiten Jahrhunderthälfte wurde das wirtschaftliche Klima für die Brauereien rauer. Es fällt ein rascher Besitzerwechsel in den Brauereien und den mit ihnen verbundenen Gastwirtschaften auf. Besonders drastisch wirkte das am Beispiel der Collegbrauerei, der Ausstoßstärksten unter allen Mindelheimer Brauereien, mit insgesamt zehn aufeinanderfolgenden Eigentümern von 1810 bis 1900. 88 Ähnliche Fluktuationen begegnen auch bei einer Durchsicht der Gewerbeanmeldungen zwischen 85 StadtAM, Inv. Nr. II Fd 34 „Acten des Stadt-Magistrats Mindelheim betreff: Requisitionen: Baum, - Hopfen und Seidenzucht 1857 ff.“, 16. Juli 1884; ebd., „Verzeichnis der in der Stadt Mindelheim befindlichen Hopfenbauer samt Zahl der Stangen [...] im Jahre 1874“. 86 StadtAM, Fach 15, Nr. 23, Nr. 49; Fach 16, Nr. 27. etc. 87 StadtAM, Inv. Nr. Fach 180, Faszikel 3, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Vollzug der Reichsgewerbeordnung, Die Fabriken und die denselben gleich zu achtenden Anlagen 1883 bis 1921; unter Gewerbeabmeldungen vom 1. Januar 1900 bis 31. Dezember 1915 steht unter dem Datum des 7. August 1906, „Möller Johann, Haus Nr. Lit. B 116: Maschinenfabrik für Brauerei-Einrichtungen. Niedergelegt am 31. Dezember 1905. Von Amts wegen eingetragen“; StadtAM, Inv. Nr. Fach 180, Faszikel 8, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Vollzug der Reichsgewerbeordnung, Aufsicht auf die Gewerbebetriebe im Allgemeinen 1898 bis 1918“. 88 Von 1810 bis ca. 1828 „Eigentum von Graf Lamberg, Comandeur der Maltheser-Commende Mindelheim, zuvor Jesuiten-Collegium“, StadtAM, Inv. Nr. II E 13, „Häuser- und Rustikal- Steuer-Kataster der Stadt Mindelheim pro anno 1810, Steuerhaus-Nr. 120“; von 1828 bis ca. 1833 „Eigentum seiner Excellenz Herr Joseph Graf von Rechberg-Hohenrechberg, General, Haus Nr. 130“; StadtAM, Inv. Nr. Fach 102, Nr. 10, „Verzeichnis aller Staats,- Stiftungs-, Kommunal- und Privat-Haupt- und Nebengebäude im Gemeindebezirk der Stadt Mindelheim, nach fortlaufender Hausnummer aufgenohmen Ende Juli 1828“; von 1833 bis ca. 1840 „Eigentum seiner Excellenz Graf von Paumgarten, Haus Nr. 130“, StadtAM, Inv. Nr. Fach 20, Faszikel 5, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Nummerierung der Häuser <?page no="309"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 309 1868 und 1899 bei anderen Brauereien. Je näher der Jahrhundertwechsel kam, desto rascher wechselten die verschiedenen Gastwirtschaften und Brauereien ihre Besitzer. 89 Es scheint, als ob die kleinen Brauereien in einem Verdrängungswettbewerb gegen größere Betriebe, die in Mindelheim und andernorts entstanden, allmählich unterlagen und damit untergingen, bis schließlich auch die größeren Brauereien ihren Betrieb einstellten. Eine Statistik der Gastwirtschaften aus dem Jahr 1882 verzeichnete noch 13 Brauereien, bereits drei Jahre später waren es noch elf Gast- und Tafernwirtschaften mit Brauereien und Sommerkellern. 90 Besonders anschaulich verlief diese Entwicklung bei der Lammbrauerei und der Collegbrauerei. Jene wurde 1901 in eine GmbH umgewandelt. Auf dieser Grundlage wurde 1907 aus dem Bestand der Lammbrauerei die Aktienbrauerei Mindelheim A.G. gegründet, wobei im Vorstand, neben einigen Mindelheimern, schon namhafte auswärtige Persönlichkeiten, wie etwa Brauereidirektor Max Weissenfeld aus München und Malzfabrikant August Forster aus Memmingen, tätig waren, die sicher eigene wirtschaftliche Interessen verfolgten, die außerhalb der Stadtgrenzen Mindelheims lagen. 91 Bis 1930 wurde selbst die starke und Gebäude 1825 bis 1874: Verzeichnis der anno 1824 bestandenen und anno 1833 bestehenden Hausbesitzer zu Mindelheim mit Angabe der alten und neuen Hausnummern, verfasst am 18. Juli 1833“; von ca. 1840 bis ca. 1855 „Eigentum von Graf Geldern, Haus Nr. 130“, StadtAM, Inv. Nr. Abtheilung C, Fach 102, Faszikel 8, „Acten des Magistrats der königlich bayerischen Stadt Mindelheim betreff: Übersicht sämtlicher in der Stadtgemeinde Mindelheim im Jahr 1839/ 40 bestehenden Gebäude, ausgeschieden nach deren Zweck und Dachbedeckungs-Material, verfasst am 12. März 1840“; von ca. 1855 bis 1862 Eigentum von Franz Xaver Horazeck, StadtAM, Inv. Nr. Fach 102, Nr. 10, „Verzeichnis sämmtlicher Hausbesitzer in der Stadt Mindelheim 1861“; von 1862 bis 1885 Eigentum von Cajetan Stägmayer, Haus Nr. 130; StadtAM, Inv. Nr. Fach 102, Nr. 10, „Gebäude-Zählung nach dem Stande vom 31. August 1871 in der Stadtgemeinde Mindelheim, A) Special-Verzeichnis sämmtlicher Privatgebäude“; von 1885 bis ca. 1893 Eigentum von Roman Weiß und Julius Payr, Haus Nr. 130, StadtAM, Inv. Nr. Fach 181, Faszikel 2, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Gewerbe-Anmeldungen 1868 bis 1899“; von ca. 1893 bis ca. 1900 Eigentum von Wilhelm Bergmiller (Brauereibesitzer bzw. Payr Crescenz, Pächterin), Haus Nr. Lit. C 2/ 2, StadtAM, Inv. Nr. Fach 181, Nr. 3, „Acten des Stadtmagistrates Mindelheim betreff: Neu-Nummerierung der Gebäude, hier: Gebäude-Zählung 1893“; von ca. 1900 bis ca. 1930 Maria Stegmann und Sohn, Haus Nr. Lit. C 82, „Bierbräuerei, Bierwirtschaft mit Abgabe von warmen Speisen. Seit 31. Mai 1905 niedergelegt, von deren Sohn übernommen. Unterschrift: W. Bergmiller“; StadtAM, Inv. Nr. Fach 181, Faszikel 3, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Gewerbe-Niederlegungen vom 01. Januar 1900 bis 31. Dezember 1915“. 89 StadtAM, Inv. Nr. Fach 181, Fasz 2a, Gewerbeanmeldungen 1868-1899. 90 StadtAM, Inv. Nr. Fach 56, Nr. 25, „Acten des Stadt-Magistrats Mindelheim betreff: Statistik der Wirtschaften 1882-1885, enthält: 1) Verzeichnis der Wirtschaften und Schenken im Stadtbezirke Mindelheim, Mindelheim am 08. Mai 1882: I. Bierbrauereien und Tafenwirtschaften“; StadtAM, Inv. Nr. Fach 56, Nr. 25, „Verzeichnis der Wirtschaftsgewerbe in der Stadt Mindelheim laut Ausschreiben des königlichen Bezirksamts Mindelheim vom 08. Oktober 1885“. 91 Anonym, Industrielle Welt, 2. <?page no="310"?> Christian Schedler 310 Collegbrauerei in den neuen Betrieb assimiliert. 92 Damit endete im ehemaligen Jesuitenkolleg eine seit dem frühen 17. Jahrhundert durchgehend bestehende Brautradition. Quellen und Literatur Archive Pfarrarchiv Mindelheim (PfarrAM) Anmeldungsregister über abzuhaltende Gottesdienste, Obsequien in der Stadtpfarrkirche Mindelheim 1862/ 1863. Stadtarchiv Mindelheim (StadtAM) - Inv. Nr. III Fd 6 (Inv. Nr. alt: Archiv B, Abtheilung XI, Nr. 4), „Stadtmagistrat Mindelheim: Acten betreff Ordnung und Befugnisse der Bierbraeuer, Bierwirthe und Bierbeschauer 1566 bis 1669. 1682“. - Inv. Nr. II E 2, „Steuerbuch 1563“. - Inv. Nr. HMMind., Inv. Nr. 1902, „Böckhen und Bierprewer zue Mündelhaim Bruederschafft-Büechlin, erneweret in Anno 1610“. - Inv. Nr. II E 7, „Steuerveranlagung in der Stadt Mindelheim 1639“. - Inv. Nr. Mindelheim HM 1905, „Meisterbuch für die Bierbrauer. Die eingeschribne Maisters Söhne der Pierbravern […] 1660“. - Inv. Nr. II E 8, „Steyrdaarlägung bey der Statt Mündelheim anno 1664, Stewr- Ordnung der Statt Mündelhaim de anno 1664“. - Inv. Nr. II A 1 (1709), „Rhats-Prothocoll bey gemainer Statt Mündelheimb pro annis 1709 et 1710 […]“. - Inv. Nr. II A 1 (1711/ 1712), „Rhatsprothocoll bey Gemainer Statt Mündelheimb pro annis 1711 und 1712“, sowie für die Jahre 1713-1716, sowie für die Jahre 1785-1787. - Inv. Nr. II E 10, „Der Churfürstlichen Statt Mindelhaim Steurbeschreibung de anno 1750“. - Inv. Nr. II E 13, „Rustikal- und Häuser-Steuer-Kataster der Königlich Bayerschen Stadt Mindelheim Königlichen Landgerichts Mindelheim Königlichen Rentamts Mindelheim de anno 1810“. - Inv. Nr. Fach 77, Nr. 9 (Inv. Nr. alt: Abtheilung A, Fach 12, Faszikel 22), „Acta des Magistrats der königlich bayerschen Stadt Mindelheim. Verwaltung Com- 92 StadtAM, o. Inv. Nr., Kopie eines Ordners im Einwohnermeldeamt Mindelheim, „Einwohnermeldeverzeichnis der Stadt Mindelheim, alphabetisch gegliedert nach Straßen“, ca. 1930. <?page no="311"?> Geschichte des Brauwesens in Mindelheim vom 16. bis in das 19. Jahrhundert 311 mune betreff: Einführung des sogenannten Bierpfennigs oder Local-Malzaufschlages als Mittel der Schuldentilgung der Stadtgemeinde Mindelheim 1824 bis 1830“. - Inv. Nr. III Fd 31/ 4 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 56, Faszikel 18), „Acta des Magistrats der königlich bayerschen Stadt Mindelheim betreff: Einfuhr und Verleitgebung fremden Biers pro 1826, welches von hiesigen Brauern Naegele und Morhardt eingelegt und verschenkt wird“. - Inv. Nr., Fach 102, Nr. 10, „Verzeichnis der sammentlichen Kommunal-, Staats-, Stiftungs- und Privat-Haupt- und Nebengebäude. Aufgenohmen im Jahre 1828“. - o. Inv. Nr., „Mindelheimer Wochenblatt für Bürger und Landleute, 3. Stück bis 22. Stück. Sonntag den 17. Jäner 1830 bis 30ten May 1830“. - Inv. Nr. Fach 181, Faszikel 1, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Kataster über die radizierten und realen Gewerbe in der Stadt Mindelheim 1830 bis 1841 (inliegender Titel: Extract aus dem Cataster Litt. A über die radicirten und realen Gewerbe in der Stadt Mindelheim von dem Jahre 1830/ 31 bis 1840/ 41)“. - Inv. Nr. Fach 14, Nr. 51 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 47, Faszikel 106), „Acta des Magistrats der königlich bayerschen Stadt Mindelheim betreff: Gräflich von Paumgartische Bräuhaus-Verwaltung dahier: Bau eines Kühlenhauses in den an das Bräuhaus stossenden Garten 1835“. - Inv. Nr. III Fb 16 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 37, Faszikel 4), „Acten des Magistrats der königlich bayerschen Stadt Mindelheim betreff: Bierkrawall durch hiesige Bürger 1846“. - Inv. Nr. III Fd 31/ 1, „Acten des Magistrats der königlich bayerschen Stadt Mindelheim betreff: Der Biersatz 1856 bis 1865“. - Inv. Nr. Fach 56, Nr. 9 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 70, Faszikel 34), „Acten des Stadt-Magistrats Mindelheim betreff: Stellvertretende Ausübung einer Bierschenke im Collegbrauhause 1857“. - Inv. Nr. III Fd 34 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 81, Faszikel 10), „Acten des Stadt-Magistrats Mindelheim betreff: Requisitionen: Baum,- Hopfen- und Seidenzucht 1857ff.“. - Inv. Nr. Fach 56, Nr. 20 und Nr. 22 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 67 und 68, Fascikel 517 und 518), „Acten des Stadtmagistrats Mindelheim betreff: Gesuch des Bierbraeuers und Gastwirths Cajetan Staegmajer dahier um die Cocession zur Ausübung eines Braurechtes als Paechter 1862“. - Inv. Nr. Fach 181, Faszikel 2a, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Register über die Gewerbe-Anmeldungen 1868-1899“. - Inv. Nr. Fach 56, Nr. 25 (Inv. Nr. alt: Abtheilung C, Fach 72, Faszikel 22), „Acten des Stadt-Magistrats Mindelheim betreff: Statistik der Wirtschaften 1882 bis 1885“. <?page no="312"?> Christian Schedler 312 - Inv. Nr. Fach 180, Faszikel 3, „Acten des Stadt-Magistrates Mindelheim betreff: Vollzug der Reichsgewerbeordnung, hier: Die Fabriken und die denselben gleich zu achtenden Anlagen 1883 bis 1921“. - o. Inv. Nr. „Mindelheimer Anzeigeblatt (MAB) 1900“, 3. Januar bis 30. Dezember 1900. Literatur Anonym: Industrielle Welt, Deutsche Industrie-Unternehmungen in Wort und Bild, München, undatierter Sonderdruck. B AUMANN , R EINHARD : Anna von Lodron. Ein adeliges Frauenleben in der Reformationszeit, Innsbruck 2015. K ISSLING , R OLF , Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Köln/ Wien 1989. Z OEPFL , F RIEDRICH : Geschichte des ehemaligen Augustiner-Klosters zu Mindelheim, in: Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg 5 (1916/ 19), 255- 319. -: Geschichte des ehemaligen Mindelheimer Jesuitenkollegs, Dillingen 1921. -: Geschichte der Stadt Mindelheim in Schwaben, München 1948. <?page no="313"?> Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten Franz-Rasso Böck 1. Kuriosum Kempten Die Geschichte Kemptens als eines „elliptisch gleichsam in zwei Brennpunkten“ 1 angelegten Raumes spiegelt sich im Dualismus von Fürststift und Reichsstadt wider und stellt einen Sonderfall mit stets reizvoller Herausforderung für die Forschung dar. In Kempten haben wir das historische Kuriosum einer Doppelherrschaft: Über Jahrhunderte gab es hier auf engstem Raum die Nachbarschaft zweier politischer Gemeinwesen, zweier Reichsstände, nämlich des Fürststifts und der Reichsstadt Kempten, deren Verhältnis zwischen offener Feindschaft, Koexistenz und teilweiser Kooperation wechselte. 2 Die politischen und wirtschaftlichen Gegensätze erhielten durch den Bauernkrieg - das Fürststift Kempten war einer der Brennpunkte des Aufstandes - und die Reformation eine zusätzliche Ausprägung. Seit 1289 war Kempten durch einen Freibrief König Rudolfs I. von Habsburg zwar de iure reichsfrei, blieb aber tatsächlich eine „höchst unfreie Reichsstadt,“ 3 hinter deren Mauern weiterhin der Fürstabt das Sagen hatte. Erst durch den „Großen Kauf“ 1525, als die Stadt die im Bauernkrieg bedrängte Lage des hinter ihre Mauern geflüchteten Fürstabtes nutzte und dessen letzte Rechte in der Bürgerstadt ablöste, wurde Kempten sehr spät in seiner verfassungsgeschichtlich verzögerten Entwicklung auch de facto Freie Reichsstadt. 4 So gibt es auch in der Geschichte des Bieres keinen Kemptener „Einheitskrug“, gab es doch kaum ein Gebiet, in dem es nicht zu Misshelligkeiten gekommen wäre. Diese Konstellation hat strukturelle Entwicklungen gebremst oder auch in Gang gesetzt - in einem Umfang, für den es keinen vergleichbaren Maßstab gibt. Gleichwohl hat Kempten mit die älteste Brauhistorie auf deutschem Boden geschrieben. 2. Von Cambodunum zum Kloster Kempten In Cambodunum wurden bereits Biergetränke konsumiert, wobei generell zu sagen ist, dass die Römer dem Wein treu blieben. Die spätere Reichsstadt Kempten, vom Kloster aus gegründet und jahrhundertelang in dessen Abhängigkeit und Windschatten in der Rolle des „Juniorpartners“, später ernst zu nehmender Konkurrent für die 1 Z ITTEL , Familienstreit, 177. 2 B ÖCK , Dualismus, 5-10. 3 W IEDEMANN , Kempten und die Reformation, 29. 4 L ÖFFLER , Ablöseprozess, 99-149. <?page no="314"?> Franz-Rasso Böck 314 Fürstäbte, berief sich in ihrer Geschichtsschreibung gerne auf die Tradition des römischen Cambodunum, um wenigstens einmal „früher“ dran zu sein als das Kloster, das freilich sonst stets „zuerst“ da war, aber sich freilich nicht auf das römische Cambodunum berufen konnte. 5 Die Reichsstadt natürlich auch nicht, aber sie bemühte eine Art städtischer Kontinuitätstheorie von der Römerzeit über die Völkerwanderung hinweg ins Mittelalter hinein. Im Zeichen der Christianisierung und Zeitalter der Klostergründungen, die sich zu Wirtschaftsbetrieben und später teilweise auch wie Kempten zu bedeutenden Herrschaftsträgern entwickelten, spielte das Bier auch in frühen Ordensregeln und weltlichen Gesetzen bereits eine wichtige Rolle. 6 In der Columbansregel 7 geht es eher noch um die Menge des täglichen Biergenusses, der sechs Liter nicht übersteigen sollte, wobei aufgrund der niedrigeren Vergärung der Alkoholgehalt etwa nur halb so hoch war wie heute. Columbans Schüler setzten (nicht nur) das bierkundliche Erbe fort und entwickelten es weiter; hier ist besonders St. Gallen zu nennen, das für den Fortschritt der Braukunst bahnbrechend wurde und auch auf die stiftkemptische Brautradition ausstrahlte, war doch das Kloster Kempten eine Filialgründung Sankt Gallens. In der aus dem frühen achten Jahrhundert stammenden „Lex Alamannorum“ als einem der ältesten Gesetz- und Steuerbücher unseres Raumes ist sozusagen amtlicherseits zum ersten Mal unter steuerlichen Gesichtspunkten von Bier die Rede, das neben anderen wichtigen Naturalien wie Getreide und Vieh nicht nur zu einem wichtigen Ernährungsbeitrag geworden war, sondern auch fiskalisch eine Rolle spielte. Zu dieser Zeit wurde der Hopfen zur Haltbarmachung und noch nicht aus geschmacklichen Gründen vor allem von den Benediktinern kultiviert. Alte Ortsnamen im Allgäu tragen noch die Spuren jener Zeit, da der Hopfenanbau ein wichtiges Instrument der agrarischen Kultur gewesen ist - so Hopfen bei Füssen, der Wirkungsstätte des heiligen Magnus, Hopferau, Hopferbach, Hopferried. Womöglich war das Allgäu früher als die Hallertau ältestes deutsches Hopfenzentrum. 834 wurde ein Albertus von Hopferbach, dessen Herkunft aus dem Allgäu verbürgt ist, Bischof von Freising und 840 in Personalunion auch für elf Jahre Abt des Klosters Kempten - ein kühner Gedanke, ein Schwabe könnte den Altbayern den Hopfen mitgebracht haben. 8 5 Zu den Traditionen von Stift und Stadt O TT , Frühgeschichte, 151-171; K ATA , Jubelfeiern, 77-149. 6 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 34, 42f. 7 Columban Abt von Luxeuil verfasste zwei Regelwerke, die Mönchsregel (regula monachorum) und die Klosterregel (regula coenobialis), die mit den Ordensregeln des Benediktinerordens kombiniert wurden und zu einer reformierten Lebensweise in europäischen Klöstern führten. Unter den gemachten Vorschriften fanden sich auch Regeln zum Essen und Trinken, die von den Mönchen zu befolgen waren, vgl. L UTTERBACH , Columba(n), 1268. 8 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 56. <?page no="315"?> Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten 315 Die Begünstigung des von St. Gallen aus gegründeten Klosters Kempten durch Karl den Großen und seine dritte Frau Hildegard war so groß, dass Kempten sich zu einer bedeutenden Reichsabtei entwickelte und im laufenden Kontakt und Austausch mit seinem Mutterkloster blieb, was neben dem schulischen Bildungswesen auch die Kunst des Bierbrauens betraf. Wahrscheinlich entstanden im späten achten Jahrhundert zeitlich annähernd parallel eine Klosterschule, auf die das heutige humanistische Carl-von-Linde-Gymnasium seine Tradition zurückführt, und eine Brauerei, in deren Tradition sich heute das 1911 gegründete Allgäuer Brauhaus sieht. 9 Ob früher das Kloster oder heute das Allgäuer Brauhaus - das eigentliche Geschäft mit dem Bier wurde von der Abtei rigoros im Sinn eines weitgehenden Verkaufsmonopols gesehen, durchgesetzt und betrieben, und das zentralisierende Allgäuer Brauhaus kaufte im 20. Jahrhundert reihenweise Brauereien auf. In der Kemptener Klosterbrauerei wurde übrigens der Maische ein Zusatz von abgebrühtem Hopfen beigegeben, der nach einigem Ziehen einen „Hopfenschnaps“ lieferte, der sich erheblicher Nachfrage erfreute, wie die Betriebsanleitung mit einer Produktion von 24 Litern täglich zeigt. Ein wesentliches Element der Geschichte des Bierbrauens sei am Rande erwähnt, weil es von den Fachleuten der Braukunst wesentlich exakter beschrieben wird: Schon in St. Gallen wusste man den jahreszeitlichen Temperaturunterschieden durch Kellerkühlung mit Wasser zu begegnen, um im Sommer wie im Winter Bier brauen zu können, heller und dunkler. In Kempten gab es für die Klosterbrauerei nur die vom Abt gesetzte Ordnung, man braute das ganze Jahr. Dazu waren später auch die reichsstädtischen Brauer gezwungen, obwohl ihre Lagermöglichkeiten bescheiden waren. Für Kempten insgesamt wurde das Thema Sommer-/ Winterbier erst aktuell, nachdem Fürstabtei und Reichsstadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts bayerisch geworden waren und sich der neuen Gesetzgebung angleichen mussten - ein Beleg dafür, wie sich bayerisches und schwäbisches Brauwesen unterschiedlich entwickelt haben. 10 3. Reichsstadt Kempten Da der Fürstabt seine Machtposition in der eigentlich nur auf dem Papier frei gewordenen Reichsstadt Kempten gerade auch steuer- und wirtschaftspolitisch noch lange behauptete, darunter die Abgabenpflicht von Mühlen und Wirtshäusern, ist es kein Wunder, dass zunächst auch kein Brauer den Mut fand, eine eigene Sudpfanne aufzustellen, mussten doch die reichsstädtischen Wirte ihr Bier im Stiftsbrauhaus holen. Die Fürstäbte wollten einer möglichen städtischen Konkurrenz keine Chance lassen 9 Allgäuer Brauhaus, Jubiläumsmagazin, 10-13; I MMLER , Klosterschule, 116; L IENERT , Chapuis-Villa, 96f.; S CHNITZER , Braugewerbe, 53. 10 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 79-82. <?page no="316"?> Franz-Rasso Böck 316 und ihr Monopol behaupten. So ist es ein Puzzlespiel, den Kemptener Bürger zu finden, der in den Anfängen einer vom Abt freier werdenden reichsstädtischen Entwicklung als erster Bier gebraut hat. 11 Unter den Bürgern der Reichsstadt taucht 1417 erstmals ein Wirt namens Haintz Ketz auf. Nach damaligem Verständnis war darunter ein Bierbrauer zu verstehen; die Erlaubnis zum Wirt beinhaltete auch brauen zu dürfen. Der in der Gerbergasse unterhalb der Stadtmauer und des Klostertors nicht weit von der Klosterkirche St. Maria entfernt ansässige Ketz nannte sich zunächst „Frauenwirt“ (zu unserer Lieben Frau), später Brauerei „Zur Gans“, in der, wenn auch mit Unterbrechungen, bis 1904 gebraut wurde - die älteste städtische Brautradition in Kempten. Ein Hinweis auf einen zweiten Wirt datiert von 1472 als „Würth an der Bruck“ - ihn zu lokalisieren scheint relativ einfach; denn es existierte damals nur ein Illerübergang anstelle der heute noch vorhandenen Brücke in der Nähe des Illertors. Noch innerhalb der damaligen Stadtmauer gelegen, kommt das noch bis vor wenigen Jahren betriebene Gasthaus „Zum Engel“ (früher Goldener Engel), der „Altstadt-Engel“ an der Bäckerstraße 1 in Frage. Allerdings führt auch der bis heute florierende „Bayerische Hof“, am anderen Ende der Brücke in der sogenannten „Illervorstadt“ gelegen, seine Tradition als „Brückenwirt“ ebenfalls auf das Jahr 1472 zurück. 12 Wie dem auch sei: Zwei oder drei Bierwirte machen noch keine Zunft, weshalb die ersten städtischen Brauereien der Bäckerzunft angehörten. Nach viel Gegenwind und Stolpersteinen kam es in der Reichsstadt Kempten erst 1763 zur Zulassung einer eigenen Zunft der Bierbrauer. 13 Das Patriziat der Stadt freilich hatte sich bereits im 15. Jahrhundert eine eigene Trinkstube eingerichtet 14 - mit dem wahrscheinlich ersten Biergarten in Kempten. Die Jahre der rechtlichen und wirtschaftlichen Lösung vom Stift nach 1525 lassen in der Reichsstadt Kempten spürbar und sichtbar werden, dass es mit Handel und Wandel aufwärtsging, wovon auch Wirte und Brauereien profitierten. 4. Expansive Bierpolitik des Fürststifts Kempten Für die Stiftsbrauerei bedeutete der Vertrag von 1525 mit der endgültigen Erringung der Reichsfreiheit für die Stadt und deren Loslösung aus der Oberhoheit der Fürstäbte einen nicht unerheblichen Verlust; denn nun kam es in rascher Folge zur Errichtung von Brauereien im Stadtgebiet. Das Stift wurde davon mit einem starken Rückgang der Einnahmen aus dem Umgeld für Bier, Branntwein und Essig betroffen. 15 Dem 11 Ebd., 108-113. 12 Ebd., 110. 13 Ebd., 239; S CHNITZER , Braugewerbe, 65f. 14 P ETZ , Burgerstube, 97. 15 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 113, 118f. <?page no="317"?> Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten 317 Verlust begegnete es mit einer Forcierung der Wirtschaftspolitik im eigenen Territorium, in dem es bereits seit 1353 das alleinige Recht zur Errichtung und Konzessionierung von Wirtshäusern, Tafernen und Metzgereien besaß. Die älteste bekannte Taferne mit Braurecht ist für 1417 in Lautrach erwähnt, das bis 1675 neben der Stiftsbrauerei selbst, Günzach und Grönenbach zu einer der vier Hauptbraustätten des Territoriums und damit einer der tragenden Säulen der fürstäbtlichen Bierproduktion und Politik bis zum Ende des Alten Reiches aufstieg. 16 Wirtshäuser mit eigenem Braurecht waren 1431 auch in Dietmannsried, 1443 in Haldenwang und 1483 in Waltenhofen zugelassen worden. Nach 1525 ging es im Zuge einer engagierten Wirtschaftspolitik Schlag auf Schlag weiter, 1539 erhielt Westerried sein eigenes Brauhaus, 1548 Altusried, 1549 Hüttenwang, 1551 zogen Friesenried und Blöcktach nach, 1554 folgte Lachen und 1555 Wiggensbach. Nach Mitte des 17. Jahrhunderts nennt eine Aufstellung 27 Brauereien im Stiftsgebiet. 17 Aus vielen dieser Häuser sind später nach Aufgabe der Braugerechtsame schöne Ortsgasthöfe geworden, deren bauliche Substanz mit ihren niedrigen, heimeligen Räumen meist in die Zeit dieser ländlichen Brauereien zurückgeht. Dadurch wurde das Allgäu zu einer Landschaft, die sich dieses Erbe einer frühen Gastlichkeit in hohem Maß bewahren konnte. 5. Fürstabt Rupert von Bodman Die „Preu-Ordnung“ des Fürstabts Bernhard Gustav von Baden-Durlach 1674 trägt bereits die Handschrift seines Nachfolgers Rupert von Bodman (1678-1728), der nicht nur am längsten regiert hat, sondern auch als bedeutendster Fürstabt gilt, ob es nun um Förderung und Ausbau seiner Stiftsstadt, seine europäischen Aufgaben als kaiserlicher Beauftragter oder um ein möglichst friedliches Verhältnis zur Reichsstadt ging. 18 Es handelte sich bei dieser Ordnung um ein umfassendes Regulativ im Sinn eines wirtschaftlichen Monopols, das dazu beitrug, aus dem Brauhaus des Stiftes nach und nach einen Konzern zu formen, der bis zur Säkularisation in Schwaben führend bleiben sollte. Die Eingangsbestimmungen ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Es wird untersagt, dass irgendjemand im Stiftslande Bier siede, außer den herrschaftlichen Brauhäusern. Die Wirte, die Bier brauchen, haben dies im Stift zu holen, jenseits der Iller in Wolkenberg [bei Sulzberg]. Die Wirte sollen das Bier gleich bar bezahlen, sonst bekommen sie kein Bier. Es soll sich kein Wirt erlauben, das Bier mit 16 Ebd., 187-191. 17 Ebd., 117. 18 Zu Bodman K LINGMANN , Fürstäbte, 152-166; B ÖCK , Kaiserlicher Kommissar, 76-83; grundlegend P RESS , Reichsprälat, 7-60. <?page no="318"?> Franz-Rasso Böck 318 Wasser oder anderem zu verfälschen. Wird einer erwischt, so soll er die Taferne [das Ausschankrecht] verlieren.“ 19 Über die Ordnung hinaus, die immer mehr Wirte dem Bierzwang unterwarf, strebte Bodman die Verwirklichung eines Neubaus des Stiftsbrauhauses an, der bereits in seinem dritten Regierungsjahr 1680 angegangen wurde. 20 Bodman kalkulierte das Projekt gründlich, seinerzeit eigentlich ein Novum in der Baugeschichte, in der allgemein üblich Bauten - wenn überhaupt - erst im Nachhinein auf ihre verursachten Kosten überprüft wurden. Der Fürstabt verschaffte sich umfassende Übersicht über das Brauen schlechthin und seine Methodik in anderen Städten. Immerhin wollte er in einer Größe bauen, die bisher bekannte Dimensionen einer Brauerei hinter sich ließ, wobei das Risiko so klein wie möglich gehalten werden sollte. Für die stark vergrößerte Brauerei musste die Wasserversorgung aber auch übergreifend gelöst werden, die in der ohnehin ständig wachsenden Stadt zu entsprechendem Mangel geführt hatte. Über ein für damalige Verhältnisse ausgeklügeltes technisches System der Verknüpfung verrohrter und natürlicher Wasserläufe vom Eschacher Weiher im Kemptener Westen etwa 15 Kilometer hinunter in die Stiftsstadt und Reichsstadt (! ) wurde eine bemerkenswerte Anlage mit guten Druckverhältnissen geschaffen. 21 Der baufreudige Fürstabt war stets bemüht, mit seinem neuen Brauhaus auch zu glänzen. Es genügte ihm nicht, ein wuchtiges Haus mit tiefen kühlen Kellern errichtet zu haben. Auch beim Bier selbst wollte er die Spitze halten, wobei seine Ungeduld und sein Unmut seinem Braumeister Augustin Schelling einiges Durchhaltevermögen abverlangte. Bodman wollte ein neues Bier, man habe das viele Geld doch nicht zum Fenster hinausgeworfen. Nach fünf Jahren schließlich, als der Fürstabt im November von einer kaiserlichen Mission zurückgekehrt war, empfing ihn ein strahlender Braumeister, um seinem Herrn ein neues Bier zu kredenzen, das offenbar derart einschlug, dass dieses Labsal nun alljährlich anlässlich der glücklichen Rückkehr des Abtes gebraut werden sollte. Es war ein starkes Bier, zu dem man die doppelte Menge Gerste und viel böhmischen Hopfen nehmen musste, bis es nach langer Reifezeit aus dem dunklen Keller kam, ein Bier, das zu Kopf stieg - etwas leichter aber als unsere heutigen Doppelbockbiere. Weil der Fürstabt in seinem Hochgefühl vergessen hatte, dem Bier einen Namen zu geben, führte man es als das ein, was mit Kreide an der Kellertafel geschrieben stand: Doppelbier. So nannte man es noch im 20. Jahrhundert, bis ihm eine Reminiszenz an vergangene Zeiten den Namen „Stiftsbock“ gab. 22 Die reichsstädtischen Braubürger reagierten zunächst nicht, es fehlte an Kellern, vielleicht auch an Erfahrung. Erst 1750 wagte der Kreuzwirt Jakob Stetter aus einer 19 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 169f. 20 B RANDNER , Stiftbrauhaus, 150-153; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 175-179. 21 Ebd., 176. 22 Ebd., 185. <?page no="319"?> Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten 319 der großen Bierfamilien, etwas Ähnliches zu brauen, erhielt aber keine Genehmigung zum Verkauf des passabel ausfallenden Bieres. So musste er es nach auswärts verkaufen und wurde damit zwangsläufig zum ersten städtischen Bierexporteur, auch wenn das Ziel sehr nahe lag, nämlich in Immenstadt, wo die Bürger nun in den Genuss von Bockbier kamen. Das Doppelbier hat den Ruf der Stiftsbrauerei nicht nur gefestigt, sondern auch weit ins Land hinausgetragen. 1721 traf ein Schreiben von Bodmans geistlichem Mitbruder Kardinal Graf von Schönborn, Bischof von Konstanz und Speyer, in der Kemptener Residenz ein, man möge ihm doch die Brauordnung schicken und mitteilen, wie es sich mit dem Malz und Hopfen zu einem Sud verhalte. Bodman roch den Braten, ihm auf diesem Wege das Geheimnis seines guten Bieres entlocken zu wollen, und gab diplomatisch nichtssagend zur Antwort, man müsse nur alle Rohstoffe in rechtem Werte zueinander einsetzen, dann könne man allemal guten Gewinn daraus schlagen. So ist es nicht verwunderlich, dass man den Braumeistern im Stift Kempten gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Zeugnis ausstellte, das beste Bier in Schwaben zu brauen. 23 6. Martin Leichtle und der Aufbruch in eine neue Zeit Die Stiftsbrauerei brannte zwar 1786 nach einem guten Jahrhundert ihres Bestehens ab, wurde aber vom vorletzten Fürstabt Rupert von Neuenstein noch größer und schöner wiederaufgebaut und konnte bereits 1788 als modernste Anlage weit und breit den vollen Betrieb erneut aufnehmen. Das mächtige Gebäude beherbergt nach grundlegender Renovierung heute das Kulturamt und die Sing- und Musikschule Kempten. 24 Als 1799 der letzte stiftkemptische Braumeister Martin Leichtle sein Amt antrat, konnte er noch nicht ahnen, dass seine Tage als Dienstmann eines Fürsten schon gezählt waren. Und doch sollte er in und nach der Säkularisation die Tradition der fürstäbtlichen Brauerei fortsetzen. Beim Kassensturz der bayerischen Säkularisations-Kommissäre offenbarte sich nicht nur die finanzielle Misere des Fürststifts Kempten überhaupt, 25 sondern auch die seiner nun schlecht vermittelbaren Brauhäuser, sei es auf dem Weg der Versteigerung oder der Verpachtung. Immerhin musste die Kommission feststellen, dass der größte Teil der Wirte mindestens ein Jahr lang keine Rechnungen mehr bezahlt hatte - vielleicht auch eine späte Rache für die enge fürstäbtliche Steuerpolitik. Im Hinblick auf den Brauereibetrieb selbst blieb zunächst alles beim Alten. Der erfahrene Braumeister Martin Leichtle stand auch den neuen Herren zur Verfügung, 23 Ebd., 186. 24 G EIGER , Stiftsmälzerei, 5-7. 25 Grundlegend B ÖCK , Kempten im Umbruch; R OTTENKOLBER , Brauwesen; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 204. <?page no="320"?> Franz-Rasso Böck 320 was das Überleben der Stiftsbrauerei zunächst sicherte. 1805 aber begannen die Ausschreibungen für die Stiftsbrauerei, für die nach einigem Tauziehen Maria Leopoldina, die zweite Frau des 1799 verstorbenen Kurfürsten Carl Theodor, eine geborene Erzherzogin von Habsburg-Este, für 90.000 Gulden den Zuschlag erhielt. Sie war erst 21 Jahre alt, als sie Witwe wurde, und entwickelte in der Folge einen regen Geschäftssinn, um sich aus den Trümmern der Säkularisation gewissermaßen einige Edelsteine zu holen. Martin Leichtle, dessen Pachtvertrag schon abgelaufen war, ließ sich überreden, den Braubetrieb bis zur Übernahme durch die hohe Dame fortzuführen. Ein knappes Jahrzehnt blieb die Brauerei ohne viel Erfolg (es fehlte an der örtlichen Auf- und Umsicht) im Besitz des Hauses Wittelsbach, Martin Leichtle hielt sich bedeckt im Hintergrund. 1823 gab die Kurfürstin auf und kam selbst nach Kempten, um mit Leichtle den Kaufvertrag abzuschließen, wobei sie von ihm noch 60.000 Gulden erhielt. Martin Leichtle erdreistete sich noch, die „hohe Frau“ nach den Gründen ihres Verkaufs zu fragen. Er bekam eine treffende Antwort: Mit diesen Halunken von schwäbischen Wirten will ich nichts mehr zu schaffen haben! 26 Seinen Ruf als exzellentes Bier hatte der Saft aus der Stiftsbrauerei nicht verloren, auch wenn die Wirtschaftlichkeit des Betriebs zu wünschen ließ, worüber der Wiener Dichter Ignaz Franz Castelli, der 1809 im Posthaus in Kempten eingekehrt war, in seinen Memoiren berichtet: „Ich trat also in die allgemeine Gaststube und ließ mir einen Schoppen Bier bringen. Hier saßen an einer in Hufeisenform geordneten Tafel die ehrenhaftesten Herren und Bierliebhaber von Kempten. Ich sah das Getränk durch das Licht an: Es war Gold! Ich kostete und nein - Geruch, Geschmack, Geist, Lieblichkeit, ich kann sie nicht beschreiben! Ich möchte das Bier Ananas-Bier nennen! Denn so wie man von der Ananas behauptet, sie besitze den Geschmack sämtlicher übriger Obstgattungen, so war auch dieses Bier die Quintessenz aller übrigen Biere, die ich in meinem Leben getrunken hatte. In Wien sagte ich später allen Freunden: Wenn ihr das non plus ultra von Bier trinken wollt, so reist nach Kempten! “ 27 Unter Martin Leichtle kam die Stiftsbrauerei noch einmal zu hoher Blüte, zumal er schnell erkannt hatte, dass die Anpassung an zeitgemäße Braumethoden ihm einen bedeutsamen Vorsprung verschaffen würde. Schon 1824 baute er große, neue und kühle Keller am damaligen Stadtrand, die für lange Zeit die besten im Umkreis blieben. Als er 1834 an seinen Sohn Johann übergab, vereinte er in seinem Betrieb fast 60 Prozent der Bierproduktion in der nun vereinigten Stadt Kempten. 26 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 208. 27 Z ENTNER , Lob des Bieres, 107. <?page no="321"?> Das Braugewerbe in Stift und Stadt Kempten 321 7. Niedergang und Konzentration: Der Weg zum Allgäuer Brauhaus Im Verlauf des 19. Jahrhunderts führten zunehmende steuerliche Belastungen, neben Gewerbe- und Vermögenssteuer eine Reihe von Sonderauflagen, zu einem Anstieg der Verschuldung städtischer Brauereien. Hatten 1879 in Kempten noch 24 Brauereien bestanden, so schmolz ihre Zahl bis 1904 auf 14 zusammen, während in Schwaben die Zahl der Brauereien von 960 auf 1454 stieg. 28 Den Kemptener Brauern gereichte nun ihr eigener Fleiß zum Nachteil: Dafür, dass sie jahrzehntelang um ihre Existenz gerungen und meist die Hälfte ihres Bieres ausgeführt hatten, legte die Stadt die Gewerbesteuer so an, als ob alles mit dem besseren, dem städtischen Gewinn verkauft worden wäre, sodass die Gewerbesteuer als Halseisen für die Brauer 1880 mit 30 Prozent nun die bedeutendste städtische Einnahmequelle darstellte. 1888 wurde die Gesellschaft der „Aktienbrauerei Kempten“ gegründet, zu der neben der Stiftsbrauerei auch die Stadtbrauerei des Friedrich Otto Bschorr gehörte. Daneben betätigte sich August Schnitzer aus einer traditionsreichen städtischen Wirtsdynastie mit seiner „Grünbaum-Brauerei“ am Rathausplatz als eifriger Aufkäufer in Schieflage geratener Betriebe wie dem „Deutschen Kaiser“ und dem „Bauerntanz“. Bereits 1872 hatte sich ein anderer „Platzhirsch“, die ursprünglich aus Memmingen stammende Familie Weixler unter anderem im geschichtsträchtigen „Goldenen Engel“ in der Bäckerstraße eingekauft, den wir als mutmaßlichen „Würth an der Bruck“ von 1472 kennengelernt haben. Der Kuchen war verteilt: Dem Stiftsbrauhaus, nunmehr Aktienbrauerei, gehörten schließlich 30 Prozent der Bierproduktion, Weixler folgte mit 18 Prozent und Schnitzer mit 16 Prozent - für die noch restlichen Betriebe verblieb zusammen nur noch ein Drittel der Produktion. 29 Man kann den genannten Aufkäufern Schnitzer und Weixler das Gespür für die Zeichen der Zeit nicht absprechen. Weixler sah sich zunehmend am Ende der eigenen Möglichkeiten und vollzog in logischer Konsequenz die Umwandlung seines Bürgerlichen Brauhauses zum „Goldenen Engel“ in eine Kapitalgesellschaft mit voller Inhaberhaftung. So entstand zum 1. Januar 1911 die „Allgäuer Brauhaus AG“ mit einem Anfangskapital von 1,5 Millionen Mark. Über die Zweckorientierung blieb kein Zweifel offen, denn in der Satzung hieß es unmissverständlich, die Gesellschaft verstehe sich als „Sammelbecken Allgäuer Brauereien.“ 30 Erster Verbündeter wurde August Schnitzer mit seinem „Grünen Baum“, der noch im Herbst 1911 den Zusammenschluss herbeiführte, das Kapital lag nun bei 2,1 Millionen Mark. Einer der ersten Schritte des Gespanns Weixler-Schnitzer ging über die Grenze nach Reutte in Tirol, 28 E FFHAUSER , Kemptener Krug, 237. 29 Ebd., 238. 30 Ebd., 256. <?page no="322"?> Franz-Rasso Böck 322 wo in einer eignen Braustätte bald guter Umsatz gemacht wurde. Der Erste Weltkrieg hatte mit seinen wirtschaftlichen Auswirkungen aber auch vor den Toren der Kemptener Aktienbrauerei als Nachfolger der ehemals fürstäbtlichen Brauerei nicht halt gemacht: 1921 gab sie zu einem Übernahmepreis von 1,275 Millionen Mark ihre Selbständigkeit auf und fiel an das Allgäuer Brauhaus, das nun zur bedeutendsten Brauerei des Allgäus aufsteigen sollte. 31 Quellen und Literatur Allgäuer Brauhaus AG (Hrsg.): Jubiläumsmagazin 600 Jahre Allgäuer Brauhaus. Ehemals Fürstäbtliche Brauerei zu Kempten, Kempten 1994. B ÖCK , F RANZ -R ASSO : Der Kemptener Fürstabt Rupert von Bodman in seinem Wirken als kaiserlicher Kommissar in der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, in: R AINER V OLLKOMMER / D ONAT B ÜCHEL (Hrsg.), 1712-2012: Das Werden eines Landes, Schaan 2012, 76-83. -: Kempten in Umbruch. 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W IEDEMANN , H ANS : Kempten und die Reformation, in: Evangelisch-Lutherische Pfarrgemeinde Kempten (Hrsg.), Dokumentation: Programm und Texte von <?page no="324"?> Franz-Rasso Böck 324 Predigten und Vorträgen anlässlich der Woche „450 Jahre Reformation in Kempten“ vom 23.-30.10.1977, Kempten 1978, 25-37. Z ENTNER , W ILHELM : Lob des Kemptener Bieres, in: Der Zwiebelturm. Monatsschrift für das bayerische Volk und seine Freunde 9 (1954), 107. Z ITTEL , B ERNHARD : Der „Familienstreit“ zwischen Reichsstadt und Stift Kempten, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 14 (1984), 177-197. <?page no="325"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben: Kemptens Brauereien im Ersten Weltkrieg Corinna Malek Um zu verdeutlichen, wie sich die Bierbewirtschaftung im lokalen Raum auswirkte, soll das Beispiel Kemptens und der dort ansässigen Brauereien veranschaulichen. Kempten ist mit 70.920 Einwohnern 1 die zweitgrößte Stadt Bayerisch-Schwabens und bietet aufgrund seiner speziellen Geschichte als ehemalige Doppelstadt, die erst im Lauf des 19. Jahrhunderts zusammengewachsen ist, ein reizvolles Beispiel. Ebenso besaß Kempten bereits vor der Einverleibung in das neue Königreich Bayern ein blühendes Braugewerbe in Reichs- und Stiftsstadt, das stets einen wichtigen Faktor für die städtische Wirtschaft darstellte. Das Brauwesen zu dieser Zeit war bereits Thema mehrerer Untersuchungen und Analysen und soll daher hier nicht vertieft werden, 2 während die neuere Zeit im Königreich Bayern bisher wenig bearbeitet wurde. Zwar wurden die großen Verlaufslinien und Entwicklungen des Kemptener Brauwesens vom Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts von mehreren Autoren chronologisch erfasst, ein spezifischer Blick auf einzelne Zeitabschnitte und Krisenzeiten, wie den Ersten Weltkrieg, die Revolutions- und Inflationszeit oder die Weltwirtschaftskrise, fehlen aber bis dato. Darüber hinaus liegen einige Arbeiten nur als unveröffentlichte Manuskripte oder in einem begrenzten lokalen Verbreitungsraum vor. Es bietet sich also an, diese noch wenig beachteten Zeitabschnitte genauer in den Blick zu nehmen. 3 1. Kemptens Weg in die Moderne: Das Brauwesen im 19. und frühen 20. Jahrhundert Die Genese des modernen Kempten bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs und seines Brauwesens ist besonders durch die letzten drei Dekaden des 19. Jahrhunderts 1 Stand 29. Februar 2020, vgl. Stadt Kempten, Bevölkerungsstand. 2 Vgl. als neuesten Beitrag hierzu den Beitrag von Franz-Rasso Böck in diesem Band; darüber hinaus S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 53‒86; E NDRIß , Stadtgeographie, 65, 167‒170; R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 135f. 3 E FFHAUSER , Kemptener Krug; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen; W AIBL , Studien zur Industriegeschichte, 174‒188; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 53‒86; E NDRIß , Stadtgeographie, 65, 167‒170; R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 135f.; V ACHENAUER , Kempten, 206f. <?page no="326"?> Corinna Malek 326 geprägt. In dieser Zeit setzte nicht nur die Industrialisierung und technische Modernisierung des Brauwesens voll ein, sondern auch die Stadt selbst veränderte ihr Gesicht und ihre Struktur grundlegend. Die Stadtentwicklung ab den 1880er Jahren ist dabei eng mit dem damaligen Kemptener Bürgermeister Adolf Horchler 4 verknüpft. In Horchlers fast 40jähriger Amtszeit zwischen 1881 und 1919, die in der Kemptener Stadtgeschichte als „Ära Horchler“ bezeichnet wird, fällt die Modernisierung und der Ausbau der städtischen Infrastruktur durch Elektrifizierung, Kanalisierung und den Auf- und Ausbau einer modernen Verkehrsinfrastruktur. Den wichtigsten Baustein bildete jedoch der Ab- und Durchbruch baulicher Barrieren zwischen der sogenann- 4 Es mag etwas überraschen, aber Adolf Horchler war trotz seiner prägenden Rolle, die er für Kempten in seiner langen Amtszeit einnahm, kein geborener Kemptener. Er stammte aus Regensburg, erblickte dort am 8. Januar 1849 das Licht der Welt, wurde katholisch getauft und verbrachte seine Jugend und Kindheit in Regensburg. Seine Eltern stammten beide aus der Oberpfalz und waren kurz vor Horchlers Geburt nach Regensburg gezogen, der Vater hatte eine Stelle als Zeichenlehrer, während die Mutter als Klavierlehrerin arbeitete. 1866 legte Horchler das Abitur in Regensburg ab und ging nach Ableistung des Militärdienstes 1870 zum Studium nach München. Sein rechtswissenschaftliches Studium, das ihn zum Eintritt in die Beamtenlaufbahn befähigte, schloss er 1873 mit der großen juristischen Staatsprüfung erfolgreich ab. Von 1874 bis 1876 war er beim Bezirksamt Feuchtwangen, bis er 1877 als rechtskundiger Magistrat bei der Stadt Kempten eine Anstellung fand. Diese hatte die Stadtverwaltung neu geschaffen und zunächst auf eine dreijährige Amtszeit angelegt. In diesen drei Jahren wusste Horchler bereits zu überzeugen, sodass 1880 seine zunächst befristete Anstellung in eine unbefristete umgewandelt wurde, bevor ihn der Magistrat zum Amtsnachfolger des bis dato sehr unglücklich agierenden und umstrittenen Bürgermeisters Albert Krummer wählte. Horchlers Arbeitsauffassung und -stil war von einer hohen Akribie in der Führung seiner Amtsgeschäfte gekennzeichnet, wobei er seine Entscheidungen nicht immer im Konsens mit dem Magistrat fällte. Zeit seiner Amtszeit gehörte Horchler keiner politischen Partei oder Gruppierung an, er blieb nur sich selbst und seinen Ansichten treu. Zeitgenossen sprachen daher von einer Partei Horchler. 1906 feierte er sein 25-jähriges Dienstjubiläum, das in Kempten feierlich begangen wurde. Sein 40-jähriges Dienstjubiläum 1917 fiel mitten in die Kriegszeit, entsprechend entfielen große Feierlichkeiten. Zwischen 1882 und 1919 saß Horchler außerdem als Mitglied im Landrath von Schwaben, dem er ab 1901 als schwäbischer Landrathspräsident vorstand. Bereits 1901 war Horchler für sein Wirken in Kempten anlässlich des Geburtstags von Prinzregent Luitpold mit dem Titel eines Hofrats ausgezeichnet worden. Während des Ersten Weltkriegs legte Horchler die Leitung des seit 1915 bestehenden Kommunalverbandes Kempten-Stadt in die Hände seiner ersten Rechtsrats Eugen Schraudy. Ebenso vertraute er Schraudy die Leitung des städtischen Ausschusses für Lebensmittelversorgung und der gesamten kommunalen Kriegswirtschaft an. Grund hierfür dürfte sein relativ hohes Alter von 65 Jahren gewesen sein. Einen schweren Schicksalsschlag musste Horchler mit dem Tod seines einzigen Sohnes hinnehmen, der 1916 an der Westfront in Frankreich fiel. Diesen Verlust verwand Horchler nie. Zum 1. Februar 1919 trat er vom Bürgermeisteramt zurück und verstarb am 12. Januar 1929 während eines Besuchs bei seiner Tochter. Horchler ist in Kempten zusammen mit seiner Frau begraben, vgl. B ÖCK , Adolf Horchler, 163f., 173‒176; M ERKT , Adolf Horchler, 1f., 7‒10; F ILSER , Industrialisierung und Urbanisierung, 386, 390, 402‒404; H AERTLE , Münzen und Medaillen, 21f. <?page no="327"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 327 Abb. 1: Portrait Horchler, Stadtarchiv Kempten Grafiksammlung Nr. 7/ 9/ 4/ 3. ten Alt- und Neustadt. Ausgehend von einer von Horchler angeordneten Neuvermessung und -kartierung der Stadt zwischen 1881 und 1885 veränderten die ehemals getrennten Städte ihr Gesicht hin zum modernen Kempten, indem man die bauliche Trennung, die Jahrhunderte lang bestanden hatte, nach und nach beseitigte. Dabei war jedoch Horchlers größter Erfolg, „aus Kempten-Altstadt [die ehemalige Reichsstadt] und Kempten-Neustadt [die ehemalige Stiftsstadt] endlich eine einzige Stadt zu machen,“ 5 und das nicht nur in baulicher Hinsicht. Neben Horchlers kommunalpolitischem Wirken spielte der seit den 1850er Jahren zunehmend einsetzende Industrialisierungsprozess eine wesentliche Rolle für die weitere Entwicklung Kemptens. Begleitet wurde der wirtschaftliche Wandel, der sämtliche Kemptener Wirtschaftsbereiche erfasste, von einer starken Bevölkerungszunahme. Lebten bei Amtsantritt Horchlers noch rund 12.000 Bewohner in Kempten, so wuchs deren Zahl bis zu seinem Abschied am 1. Februar 1919 auf rund 21.000 an. 6 5 B ÖCK , Adolf Horchler, 164. 6 F ILSER , Industrialisierung und Urbanisierung, 374‒382, 386‒390; R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 134‒136; B ÖCK , Adolf Horchler, 164f., 167‒171; B ÖCK / L IE- NERT / W EIGEL , JahrhundertBlicke, 7‒9. <?page no="328"?> Corinna Malek 328 Im Braugewerbe setzte die Industrialisierung erst in den 1880er Jahren vollumfänglich ein. Nach Säkularisation und Mediatisierung brauten in Kempten 1807 noch zwanzig Brauer Bier, darunter viele kleine Braustätten mit angeschlossener Wirtschaft. Bis 1824 blieb diese Zahl konstant bei 21, wobei das 1811 eingeführte Biersatzregulativ, der Lokalmalzaufschlag von 1822, und die Gewerbesteuer die Kemptener Brauer stark belasteten und letztlich das ab 1880 einsetzende Brauereisterben und den damit verbundenen Konzentrationsprozess einleiteten. Die größte Brauerei mit dem höchsten Bierausstoß war die ehemalige Stiftsbrauerei 7 der Fürstabtei Kempten. Sie wurde nach der Säkularisation in private Hände veräußert und zählte lange Zeit zu den führenden und größten Braubetrieben der Stadt. Neben dem Bierverkauf in der Stadt war der Export ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 1834/ 35 exportierten die Kemptener Brauer bereits 40 Prozent ihres Ausstoßes, während die restlichen 60 Prozent innerhalb der Stadt konsumiert wurden. Wichtige Absatzgebiete waren das angrenzende Vorarlberg und die Schweiz. Durch die Gewerbefreiheit 1825, den Abbau innerstädtischer Zollgrenzen 1844 und den Wegfall weiterer wirtschaftlicher Beschränkungen stieg die Zahl der Kemptener Brauereien bis 1878 auf 24. An technischen Neuerungen zogen ab 1820 die Kühlung mittels Eis in extra angelegten Kellern, ab 1859 die Dampfmaschine für den Betrieb der Sudpfannen und Malzdarren sowie ab den 1880er Jahren die von Carl von Linde entwickelte künstliche Kühlung in einzelnen Betrieben ein. Die Umrüstung und Modernisierung war ein teures Unterfangen, das viele der bereits um 1880 hoch verschuldeten kleineren Brauereien nicht mehr stemmen konnten. Bis 1904 ging ihre Zahl auf 14 zurück, sie reduzierte sich auch in den folgenden zehn Jahren, bis am Vorabend des Ersten Weltkriegs nur noch neun Brauereien im Stadtgebiet plus eine Weizenbierbrauerei bestanden. 8 7 Die Stiftsbrauerei geht vermutlich auf die 1394 gegründete Klosterbrauerei zurück und befand sich während der gesamten Zeit ihres Bestehens im Besitz der Fürstabtei Kempten. Nach Auflösung der Fürstabtei durch die Säkularisation fiel sie dem bayerischen Staat zu. Sie wurde schließlich im Zuge des Verkaufs und der Versteigerung der ehemaligen Besitzungen der Fürstabtei Kempten veräußert, 1823 kaufte sie der letzte Stiftsbraumeister und ehemalige Pächter Martin Leichtle. Dessen Familie führte den Braubetrieb bis 1850. Um 1850 verkaufte die Familie Leichtle die Brauerei an Willibald Wäßle und Lorenz Lenz, die rund dreißig Jahre die Brauerei weiter betrieben und modernisierten, bevor sie ihrerseits den Betrieb 1888 an die Gebrüder Schedlbauer weiterverkauften. Im gleichen Jahr ging die Stiftsbrauerei schließlich in der neu gegründeten Aktienbrauerei Kempten auf, vgl. K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 411; R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 135; Allgäuer Brauhaus AG, Jubiläumsmagazin, 14f.; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 135. 8 W AIBL , Studien zur Industriegeschichte, 179; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 231‒235, 237f.; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 58‒65, 75‒79; R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 134‒136; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 7‒9. <?page no="329"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 329 Dominiert wurde das Kemptener Brauwesen von der Säkularisation bis circa 1880 von der ehemaligen Stiftsbrauerei, die erste technische Neuerungen einführte, beispielsweise ab den 1820er Jahren die Kellerkühlung und 1859 die erste Dampfmaschine. Zur Wachablösung führten schließlich die 1880er Jahre, in denen ein Konzentrationsprozess einsetzte, der von zwei Kemptener Braufamilien dominiert wurde, den Weixlers und den Schnitzers. Daneben gab es noch eine Reihe weiterer Brauereibesitzerfamilien, wie die Familien Zorn oder Schedlbauer, die aber in der Folge keinen solchen Einfluss entfalten konnten, wie ihn die Weixlers und Schnitzers ausübten. Sie erarbeiten sich eine Vormachtstellung unter den Kemptener Brauern und kauften mehrere kleinere Betriebe auf. Auch gehörten beide Familien zum führenden Kemptener Wirtschaftsbürgertum. 9 Familie Schnitzer ließ sich Ende des 17. Jahrhunderts in Kempten nieder, Martin Schnitzer heiratete in die 1664 gegründete Brauerei und Wirtschaft zur Krone ein. 1817 kaufte die Familie noch die Brauerei und Gaststätte Grüner Baum hinzu, die sie im Lauf des 19. Jahrhunderts zu einem führenden Braubetrieb der Stadt ausbaute. Die wesentliche Vergrößerung und der Ausbau der Brauerei vollzog sich nach der Geschäftsübernahme 1873 durch das Brüderpaar Eduard 10 und August 11 Schnitzer. 9 L IENERT , Chapuis-Villa, 74‒76, 84‒97; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 7f.; E FFHAU- SER , Kemptener Krug, 238, 249, 255‒257; F ILSER , Industrialisierung und Urbanisierung, 381. 10 Eduard Schnitzer wurde am 6. August 1841 in Kempten als viertes von sieben Kindern der Eheleute Maria Anna Crescenzia Schnitzer, geb. Kremser, und Johann Franz Anton Schnitzer geboren. Nachdem er wohl in Kempten seine Schulausbildung erhalten hatte, sandte man ihn nach Gotha in die Handelslehre. Während seiner Ausbildung verbrachte er außerdem Zeit in Mannheim. 1863 ging er nach Frankreich und sammelte dort weitere Berufserfahrung. Er kehrte erst 1873, nach dem Tod seiner Mutter, nach Kempten zurück. Der Vater war bereits 1862 verstorben. Nach dessen Ableben hatte seine Witwe die Brauerei zum Grünen Baum weitergeführt, bis sie selbst verstarb. Als Erben wurden die Söhne Eduard und August eingesetzt. Da Eduard kein großes Interesse an der Brauerei hatte und ihm die nötige Ausbildung fehlte, ließ er sich 1875 von seinem Bruder August mit einer Summe von 89.000 Gulden aus dem elterlichen Betrieb ausbezahlen. Anschließend nahm Eduard Schnitzer die Stelle als Direktor der Deutschen Bank in Kempten an. 1881 wurde er Gesellschafter an der Papiermühle in Hegge. 1895 verstarb Eduard in Kempten, vgl. L IENERT , Chapuis-Villa, 90, 95; StadtA KE, Personenarchiv Box 94 (Schnitzer). 11 August Schnitzer war der zwei Jahre jüngere Bruder von Eduard und wurde am 22. September 1843 in Kempten geboren. Wie sein Bruder erhielt er die schulische Ausbildung in Kempten. Er stieg in der Folge in den elterlichen Braubetrieb ein und übernahm diesen zusammen mit seinem Bruder Eduard 1873 nach dem Ableben beider Eltern. 1875 zahlte er Eduard auf dessen Wunsch hin aus der Brauerei Grüner Baum aus. Nachdem er die alleinige Firmenleitung übernommen hatte, forcierte er den Ausbau der Brauerei. Unter Augusts Leitung wurde der Braubetrieb modernisiert und der Bierausstoß kontinuierlich gesteigert. 1875 hatte er außerdem seine Ehefrau Anna geheiratet. Durch die Ehe erhielt er Verbindungen in die Textilindustrie, Annas Vater Johannes Fries betrieb eine Textilfabrik in Kottern. Das Paar bekam fünf <?page no="330"?> Corinna Malek 330 Abb. 2: Hans Schnitzer (geb. 1878); Stadtarchiv Kempten Fotoalben Nr. 22. Ersterer schied nach zwei Jahren 1875 bereits wieder aus dem Unternehmen aus und ließ sich von seinem Bruder August auszahlen, sodass August Schnitzer ab diesem Zeitpunkt die alleinige Leitung der Brauerei innehatte. 1888 kaufte August Schnitzer die erst seit 1872 bestehende Brauerei zum Deutschen Kaiser, bevor er 1896 auch die Kinder, zwei Töchter und drei Söhne. Der älteste Sohn Hans stieg später mit in die Firmenleitung der Brauerei ein. 1911 fusionierte Schnitzer mit seinem Konkurrenten August Weixler und brachte seine Brauerei Grüner Baum in die 1911 neu gegründete Aktiengesellschaft Allgäuer Brauhaus ein. In der Folge übernahm er in der AG einen Aufsichtsratsposten. Wann er sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzog, ist unklar. Er starb 1925 in Baden-Baden, vgl. L IENERT , Chapuis-Villa, 90‒92, 95; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 250; StadtA KE, Personenarchiv Box 94 (Schnitzer). <?page no="331"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 331 Brauerei zum Bauerntanz erwarb. Diese hatte seit 1634 bestanden und Bier gesiedet. Seit 1877 engagierte sich August Schnitzer außerdem in dem 1856 gegründeten Gewerbeverein der Brauer und Branntweinbrenner Kemptens, 12 in dem bereits sein Vater Johann eine führende Rolle gespielt hatte. Die Selbstauflösung des Vereins 1880 verantwortete August Schnitzer als zweiter Vorsitzender mit. 1903 war er an der Gründung der Allgäuer Brauereivereinigung als berufsständische Vertretung der Kemptener Brauer beteiligt und übernahm bis 1915 den Posten als erster Vorsitzender. 1897 trat sein ältester Sohn Hans 13 ins Familienunternehmen ein, zuvor hatte er 12 Der 1855 gegründete Gewerbeverein der Brauer und Branntweinbrenner war eine Nachfolgeinstitution der 1763 gegründeten Brauerzunft. Ob diese aufgelöst oder nahtlos von einer Nachfolgeinstitution abgelöst wurde, lässt sich nicht klar feststellen. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass sie 1819 durch die neu gegründete Brauerinnung, die bis in die 1850er Jahre bestand, abgelöst wurde. 1855 gründeten die Kemptener Brauer schließlich den Gewerbeverein mit dem Zweck, das vorhandene Fachwissen untereinander zu teilen und zu verbreiten, die Vereinsmitglieder finanziell zu unterstützen und die Aufsicht über die Ausbildung von Lehrlingen und Gesellen gemeinschaftlich zu übernehmen, vgl. S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 66f.; W AIBL , Studien zur Industriegeschichte, 183; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 8f.; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 239‒241. 13 Hans Schnitzer war der älteste Sohn von August und Anna Schnitzer, geb. Fries. Hans kam als drittes von fünf Kindern am 10. Mai 1878 in Kempten zur Welt. Er absolvierte die schulische Ausbildung in Kempten. Nach seinem Schulabschluss nahm er in Weihenstephan an der dortigen Brauakademie das Studium der Brauwissenschaften auf. Nach erfolgreichem Abschluss stieg er 1897 in die väterliche Brauerei ein. 1904 heiratete er Emilie Wilhelmine Chapuis, die er bereits aus Jugendzeiten kannte. Die Familie Chapuis gehörte zu den führenden Wirtschaftsfamilien in Kempten, sodass durch die Heirat die gesellschaftliche Position der Schnitzers weiter gefestigt wurde. Das Paar bekam drei Kinder, von denen zwei ins Unternehmen der Familie eintraten. Bis 1911 führten Vater und Sohn die Brauerei Grüner Baum gemeinsam, bevor sie sich zur Fusion mit der im gleichen Jahr neu gegründeten Allgäuer Brauhaus Aktiengesellschaft entschlossen. Innerhalb der neuen AG übernahm Hans einen Posten als Direktor und nach dem Tod August Weixlers und seines Vaters die komplette Firmenleitung. In den 1920er Jahren baute Hans Schnitzer die Allgäuer Brauhaus AG zur drittgrößten Brauerei Schwabens aus. Neben seiner eigenen Firma saß Schnitzer als Aufsichtsratsmitglied auch in verschiedenen Aufsichtsräten Kemptener Firmen, unter anderem in der „Spinnerei und Weberei Kottern“. Die Firma hatte einst seinem Großvater Johannes Fries gehört. Zusätzlich engagierte sich Hans Schnitzer in mehreren Verbänden, darunter im Bayerischen Industriellen-Verband, dessen Bezirksgruppe Allgäu er leitete. Auch setzte er die Tradition der Verbandsarbeit seines Vaters in der Allgäuer Brauereivereinigung fort, dieser stand er seit 1921 als Geschäftsführer vor. Ab 1925 betätigte er sich in seiner Heimatstadt zudem politisch und ließ sich in den Stadtrat wählen. 1928 wurde er mit dem Titel eines Kommerzienrats ausgezeichnet, für den Titelerhalt stellte er eine entsprechende Spende in Aussicht. Diese leistete er ohne einen vorgegebenen Verwendungszweck ein Jahr später. 1965 verstarb Schnitzer in Kempten und fand auf dem dortigen Friedhof seine letzte Ruhestätte, vgl. L IENERT , Chapuis- Villa, 74, 90‒93, 95; StadtA KE, Personenarchiv Box 94 (Schnitzer); K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 647; StaatsAA, Regierung von Schwaben 8502, Spendenliste; BayHStA, MHIG 2576, Vorschlag Hans Schnitzer. <?page no="332"?> Corinna Malek 332 sein Brauwirtschaftsstudium in Weihenstephan erfolgreich abgeschlossen. 1911 fusionierte Schnitzer sein Unternehmen mit der neugegründeten Allgäuer Brauhaus AG. August Schnitzer erhielt einen Posten im Aufsichtsrat, während sein Sohn Hans als einer der beiden Direktoren das Unternehmen leitete. 14 In Konkurrenz zu den Schnitzers traten zunächst die Weixlers. Johann Georg Weixler war Anfang des 19. Jahrhunderts aus Memmingen nach Kempten zugewandert. Zur Brauerei kamen die Weixlers erst durch Johann Georgs Sohn aus zweiter Ehe, Caspar August. 15 Dieser heiratete 1871 durch seine Vermählung mit der Brauereibesitzerwitwe Charlotte Luise Schachenmayr in die Brauerei zum Goldenen Engel ein. Innerhalb kurzer Zeit machte er aus dem kleinen Betrieb ein florierendes Geschäft und legte damit den Grundstock für den späteren Aufstieg unter seinen beiden Söhnen. Das Paar bekam vier Kinder, unter ihnen August Theodor 16 und Robert Herm- 14 L IENERT , Chapuis-Villa, 84f., 89‒93.; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 111‒113; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 647; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 39f. 15 Caspar August Weixler stammt aus der zweiten Ehe von Johann Georg Weixler mit Maria Ursula Walch und ist das älteste von vier Kindern. Sein Vater heiratete drei Mal, aus den beiden ersten Ehen gingen dreizehn Kinder hervor, die dritte blieb kinderlos. Caspar August erblickte am 5. August 1835 als ältestes der vier Kinder das Licht der Welt. Er verbrachte seine Jugend in Kempten und schloss dort die Gewerbeschule ab. Anschließend begann er seine Brauerlehre bei der Schwanenbrauerei. Nach Abschluss der Lehrzeit 1852 begab er sich auf Wanderschaft und kehrte erst fünf Jahre, 1857, nach Kempten zurück. Er nahm eine Stelle als Brauer bei der Kreuzbrauerei an, in der er bis zu seiner Hochzeit mit Charlotte Luise Schachenmayr, der Witwe des Wirts der Brauerei und Wirtschaft zum Goldenen Engel, arbeitete. Mit der Hochzeit kam Caspar August zu einer eigenen Brauerei, die er während des Konzentrationsprozesses im Brauwesen geschickt auszubauen verstand. 1892 stieg der älteste Sohn August Theodor in den Familienbetrieb ein und erhielt 1895 eine Teilhaberschaft an der Brauerei. 1896 zog sich Caspar August aus dem Betrieb zurück und übergab die Brauerei samt Wirtschaft an seine beiden ältesten Söhne. Er lebte bis zu seinem Tod 1906 als Privatier in Kempten, vgl. StadtA KE, Personenarchiv Box 115 (Weixler). 16 Der ältere der beiden Weixler-Brüder, August Theodor, wurde am 31. Dezember 1871 in Kempten geboren und wuchs zusammen mit seinen drei Geschwistern im elterlichen Braubetrieb auf. Nach Abschluss der Schullaufbahn in Kempten absolvierte er vermutlich ein brauwissenschaftliches Studium in Weihenstephan. 1909 und 1910 gab er zwei Abhandlungen im Selbstverlag heraus, in denen er sich mit den damaligen Problemen des Braugewerbes, unter anderem mit der Reform des Bayerischen Malzaufschlagsgesetzes, befasste. 1892 übernahm er die Leitung der väterlichen Brauerei, wurde drei Jahre später Teilhaber und übernahm die Firma schließlich zusammen mit seinem Bruder Robert Hermann 1896. Ab diesem Zeitpunkt trieb er den Ausbau des Braubetriebs durch den Zukauf weiterer kleinerer Braustätten voran und errichtete 1898 die offene Handelsgesellschaft Bürgerliches Brauhaus August Weixler. Diese und der Zukauf weiterer Brauereien bildeten den Grundstock für die Gründung der Allgäuer Brauhaus Aktiengesellschaft 1911. Im gleichen Jahr gelang es August Theodor zudem, durch Fusion mit der Grünen Baum Brauerei seinen Konkurrenten Schnitzer auszuschalten. Als Direktor der neuen Aktiengesellschaft trug August Theodor maßgeblich zu einem <?page no="333"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 333 ann, 17 denen der Aufstieg an die Spitze der Brauer der Stadt gelang. Noch zu Lebzeiten, 1896, übergab Caspar August die Brauerei zum Goldenen Engel an die Brüder, die alsbald zwei weitere kleine Braustätten hinzukauften, 1896 die Brauerei zum Lamm und 1897 die Brauerei zum Kreuz. 1898 gründete August Weixler das Bürgerliche Brauhaus August Weixler als offene Handelsgesellschaft. Diese kaufte weitere Betriebe auf, 1900 die Brauerei zum Roten Ochsen und 1904 die Brauereien zur Gans, zum Mohren und zum Schützen. 1911 expandierte August Theodor Weixler weiter und gründete mit einem Aktienkapital von 1,5 Millionen Mark die Allgäuer Brauhaus Aktiengesellschaft. Grundstock der neuen AG waren die vormalige offene Handelsgesellschaft Bürgerliches Brauhaus August Weixler und die nachträglich zugekauften Brauereien. Im Jahr der Gründung konnte Weixler durch Fusion mit dem Konkurrenten Grüner Baum das Kapital der AG auf 2,1 Millionen Mark erhöhen. Hierauf teilten sich August Theodor Weixler und Hans Schnitzer das Direktorium der neuen Aktiengesellschaft. 18 Das Wachstums der Allgäuer Brauhaus AG setzte sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs fort. Gleichzeitig rang sie mit der Aktienbrauerei um die Führungsposition in der Kemptener Brauereiwirtschaft. 1888 hoben die Brüder August und Peter Schedlbauer zusammen mit Friedrich Otto Bschorr die Aktienbrauerei mit einem Kapitalvermögen von 850.000 Mark aus der Taufe. Sie hatten 1875 die Stiftswirtschaftlichen Aufschwung bei, der bis zum Kriegsausbruch 1914 anhielt. Bis dahin war August Weixler zudem Geschäftsführer der Allgäuer Brauereivereinigung. Nachdem er ins Feld eingerückt war, übernahm sein Geschäftspartner Hans Schnitzer dieses Amt. Nach Kriegsausbruch meldete sich August Theodor freiwillig zu den Waffen und wurde in der Etappe eingesetzt; während dieser Zeit führten der zweite Direktor Hans Schnitzer und von 1917 bis 1920 der Memminger Malzfabrikant Josef Forster die Geschäfte. Nach Kriegsende kehrte August Theodor als Direktor zurück in die Firma. 1920 starb er überraschend mit 48 Jahren und hinterließ seine Witwe mit vier kleinen Kindern. Die Leitung der Allgäuer Brauhaus AG übernahm in der Folge Hans Schnitzer allein, vgl. L IENERT , Chapuis-Villa, 96f.; StadtA KE, Personenarchiv Box 115 (Weixler); StadtA KE, Personenarchiv Box 94 (Schnitzer); K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 703; W EIXLER , Das bayerische Braugewerbe; DERS ., Verbesserungsvorschläge; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 39f. 17 Robert Hermann Weixler war der zweitgeborene Sohn von Caspar August Weixler, dem Inhaber der Brauerei und Wirtschaft Goldener Engel. Er kam am 24. Dezember 1873 zur Welt und verbrachte seine Jugendjahre in Kempten. In Anbetracht seines weniger ausgeprägten Geschäftssinns als sein älterer Bruder August Theodor überließ er diesem hauptsächlich die Firmenleitung. 1911 erhielt er einen Sitz im Aufsichtsrat der neu gegründeten Allgäuer Brauhaus Aktiengesellschaft, den er bis zu seinem Tod 1929 behielt. 1918 heiratete er in der Schweiz Rosa Julie Heil. 1929 verstarb er im schweizerischen Arosa und vermachte einen Teil seines Besitzes der Stadt Kempten, vgl. StadtA KE, Personenarchiv Box 115 (Weixler); StadtA KE, Personenarchiv Box 94 (Schnitzer); L IENERT , Chapuis-Villa, 96f. 18 StadtA KE, Personenarchiv Box 115 (Weixler); L IENERT , Chapuis-Villa, 74, 96f.; I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 151; K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 703; E FFHAU- SER , Kemptener Krug, 238, 255‒257. <?page no="334"?> Corinna Malek 334 Abb. 3: Portrait August Theodor (geb. 1871) und Robert Weixler (geb. 1873), Stadtarchiv Kempten Fotoalben Nr. 22. brauerei von Willibald Wäßle gekauft und ließen diese nun in der neuen AG aufgehen. Friedrich Otto Bschorr war Inhaber der Stadtbrauerei, die er in die neue Aktiengesellschaft einbrachte. Als drittes Unternehmen ging die Brauerei zur Sonne in der AG auf. Geschäftsführer wurde Theodor Haugg. Zum Grundstock für den Absatz der Aktienbrauerei Kempten gehörten mehrere Gastwirtschaften, die in Kempten aufgekauft worden waren. Die Aktienbrauerei etablierte sich als zweiter großer Braubetrieb Kemptens während des Konzentrationsprozesses und sicherte sich eine entsprechende Stellung auf dem Kemptener Biermarkt. 19 19 I LG , Aus Kemptens vergangenen Tagen, 135, 149; E FFHAUSER , Kemptener Krug, 252f.; W AIBL , Studien zur Industriegeschichte, 184. <?page no="335"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 335 2. Krieg! Kempten und die Heimatfront Im Sommer 1914 wurde der Konzentrationsprozess durch den Kriegsausbruch jäh unterbrochen. Zu diesem Zeitpunkt siedeten in Kempten neben den beiden Aktiengesellschaften des Allgäuer Brauhauses und der Aktienbrauerei die Brauereien zum Storchen, zum Schwanen, zum Hasen, zum Fäßle, ferner der Bayerische Hof, Stadt Hamburg und St. Lorenz noch Bier. Daneben bestand die „Weizenpeter“ genannte erste Weizenbierbrauerei von Peter Egger. Das Allgäuer Brauhaus und die Aktienbrauerei exportierten bis ins Ausland. Die anderen Brauereien hatten einen weitaus kleineren Vertriebsradius. Ein sicherer Abnehmer war für alle Kemptener Brauereien das Militär, da die Stadt seit 1808 Garnisonsstadt war und die dort stationierten Truppen mit Bier aus den örtlichen Brauereien versorgt wurden. Die Lieferverträge mit dem Heer bestanden auch in der Kriegszeit, in der sie zudem Bier ins Feld versandten. Zunächst wurde der Kriegsausbruch in Kempten bejubelt, doch schwand diese Euphorie bereits im September 1914, als die ersten Verwundeten von der Front zurückkehrten Für die Wirtschaft und Verwaltung der Stadt bot der Krieg neue Herausforderungen. Vorbereitungen für einen Kriegseintritt hatte es weder im wirtschaftlichen noch im administrativen Bereich gegeben. Bürgermeister Horchler befand sich bei Kriegsausbruch im Urlaub im Bayerischen Wald und wurde umgehend nach Hause zurückberufen. Er reagierte schnell und bildete einen städtischen Lebensmittelausschuss, der die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung übernahm. Die Leitung des Ausschusses und nahezu der gesamten Kriegswirtschaft übertrug Horchler Rechtsrat Eugen Schraudy. 20 Dieser avancierte zur führenden Persönlichkeit des Kemptener Kommunalverbandes und der lokalen Kriegsverwaltung. 21 20 Bisher in der Stadthistoriografie wenig beachtet, hat Eugen Schraudy die Geschichte und Politik Kemptens im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wesentlich mitgeprägt. Bis dato steht er allerdings im Schatten der Bürgermeister Horchler und Merkt. Schraudy wurde 1880 in Buchloe geboren und wuchs dort auf; höhere Schulbildung erhielt er an den Gymnasien in Dillingen und Kempten. Zwischen 1900 und 1905 absolvierte er ein rechtswissenschaftliches Studium an den Universitäten Würzburg und München. Ab 1909 wirkte er als Rechtsanwalt in Memmingen, bevor er ein Jahr später, 1910, die Stelle als rechtskundiger Magistratsrat in Kempten antrat. Seine Arbeitsweise wurde von Bürgermeister Horchler sehr geschätzt, sodass er Schraudy mit verantwortungsvollen Aufgaben betraute. Während des Ersten Weltkriegs war Schraudy für sämtliche Bereiche der Kemptener Kriegswirtschaft verantwortlich; so oblag ihm etwa die Leitung des Kommunalverbands Kempten-Stadt. Nach Kriegsende und dem Ausscheiden Horchlers wurde er 1919 zum zweiten Bürgermeister der Stadt Kempten gewählt. Dieses Amt übte er bis Juli 1945 aus. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Schraudy nicht mehr in den städtischen Dienst zurück. Er engagierte sich in den 1950er Jahren beim Kemptener Heimatverein, dessen Leitung als erster Vorstand er nach dem Tod von Otto Merkt übernahm, vgl. StadtA KE, Personenarchiv Box 95 (Schraudy). 21 R OTTENKOLBER , Geschichte der Stadt Kempten, 136; F ILSER , Industrialisierung und Urbanisierung, 401‒404; H AERTLE , Münzen und Medaillen, 54f. <?page no="336"?> Corinna Malek 336 Abb. 4 und 5: Truppenparade am Residenzplatz (oben); Fahrradkompagnie am Residenzplatz (unten); Stadtarchiv Kempten, Fotobestand Erster Weltkrieg. <?page no="337"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 337 Schraudy koordinierte die Versorgung mit Lebensmitteln. In den ersten Augusttagen wurden Verhandlungen mit Lebensmittellieferanten der Stadt beispielsweise über die Abtretung von Gerste geführt, die für Nahrungszwecke zweckentfremdet werden sollte. Ob die Großbrauereien tatsächlich Gerste für die Nahrungsmittelsicherung abtraten und mit wem Schraudy genau verhandelte, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Weitere Maßnahmen wurden bis Jahresende von Seiten des Kemptener Magistrats und der Lebensmittelkommission nicht ergriffen; letztlich wurden sie von der Reichs- und Landesregierung bzw. den stellvertretenden Generalkommandos erlassen und im Stadtgebiet umgesetzt. Im Februar 1915 entstand der Kommunalverband Kempten-Stadt, der die Bewirtschaftung und Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und sämtlichen anderen Gütern koordinierte und durchführte. Federführend war dabei der bereits im August 1914 gegründete Lebensmittelausschuss, der als geschäftsführender Ausschuss die Leitung des Kommunalverbandes übernahm. Vorsitzender bis zu dessen Auflösung zum Jahresende 1923 war wiederum Eugen Schraudy. 22 Die Arbeit des Ausschusses und des Kommunalverbandes lässt sich lediglich anhand der Magistratsprotokolle und weniger weiterer Akten nachvollziehen, weshalb kein vollständiges Bild gezeichnet werden kann. Zum Thema Bier sind einige Treffer in den kommunalen Archivbeständen zu verzeichnen, zur kommunalen Bierbewirtschaftung findet sich hingegen keine amtliche Überlieferung. Ebenso liegt für die Kemptener Brauereien während der Kriegswirtschaft keine firmeneigene Überlieferung vor. Auch ist der Verbleib der Geschäftsakten der aufgelösten und aufgekauften Brauereien ungeklärt; vermutlich wurden sie mit dem Aufkauf nach Ablauf gesetzlicher Fristen vernichtet. Entsprechend schwer fällt es, die Bierbewirtschaftung in Kempten zu rekonstruieren. In den Magistratsprotokollen finden sich einzelne Hinweise, die aber nicht ausreichen, um die Firmengeschichten einzelner Brauereien in dieser Zeit zu rekonstruieren. Daher wird im Folgenden versucht, einen allgemeinen Überblick zur Kriegswirtschaft der Brauereien in Kempten zu geben. Über vereinzelte Funde im Kemptener Stadtarchiv hinaus ließen sich einige Quellen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München ermitteln. Eine Onlinerecherche in den Beständen des Bayerischen Wirtschaftsarchivs brachte keine Ergebnisse. Zwar lassen sich dort Treffer zum ehemaligen Allgäuer Brauhaus und zur Aktienbrauerei Kempten erzielen, doch erst aus späteren Überlieferungszeiträumen. 23 22 StadtA KE, Magistratsprotokoll 7.8.1914; StadtA KE, 914/ 3/ 23, Protokoll Sitzung Kommunalverbandsausschuss, 16.7.1924; Statistisches Landesamt, Kommunalverbände Schwaben, 385f. 23 StadtA KE, Magistratsprotokolle 1914‒1918; StadtA KE, 914/ 3/ 23; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 826; BayHStA, GenKdo. I. ResK. (WK) 4193; BayHStA, GenKdo. I. ResK. (WK) 4194; BayHStA, MLa 1626. <?page no="338"?> Corinna Malek 338 Die Kriegswirtschaft in Kempten verlief bis zum Jahresende 1914 in ruhigen Bahnen, der Ausschuss veranlasste beispielsweise den Ankauf von Nahrungsmitteln oder Verhandlungen mit lokalen Erzeugern und Händlern. Darüber hinaus wurden Erhebungen der benötigten Nahrungsmittelmengen ab Herbst 1914 durchgeführt. Sämtliche kommunale Bauprojekte wurden zurückgestellt, Maßnahmen zur sozialen Unterstützung der Familien von Kriegsteilnehmern eingeleitet. Bereits ab Februar 1915 zeichneten sich die ersten Versorgungsschwierigkeiten bei Mehl und Brot ab. Die kommunale Lebensmittelbewirtschaftung wurde in die Hände des Kommunalverbandes Kempten-Stadt 24 gelegt. Die Sicherstellung der Brot- und Mehlversorgung besaß oberste Priorität; sie bestimmte das Handeln des Kommunalverbands im Februar 1915. Der Magistrat erließ in Abstimmung mit dem geschäftsführenden Ausschuss des Kommunalverbands Kempten-Stadt umfangreiche Maßnahmen, darunter die Befähigung zur Beschlagnahme von Mehl- und Getreidevorräten, die Verhängung von Backverboten und -vorschriften sowie Höchstabgabemengen. Diese lagen Anfang Februar 1915 noch bei 250 Gramm pro Kopf und Tag, wurden aber bis Ende Februar auf 225 Gramm pro Kopf gekürzt. Auch wurde die Einführung einer Brot- und Mehlkarte diskutiert, um die Bewirtschaftung und Verteilung gerechter durchführen zu können. Der Magistrat stimmte für die Einführung der Karte ab März 1915. Auch das in Form, Größe und Gewicht homogene Einheitsbrot wurde eingeführt. Um die zusätzliche Arbeit bei der Brotgetreide- und Mehlbewirtschaftung zu bewältigen, gründete sich innerhalb des Kommunalverbands Kempten-Stadt ein eigener Unterausschuss, dessen Vorsitzender Eugen Schraudy war. Unterstützt wurde er von Bäckermeister und Magistratsrat Otto Pié und von dem Mehlhändler Botzenhardt. Auch der Einkaufsausschuss, der innerhalb des Kommunalverbands gegründet wurde, diente der Brot- und Mehlbewirtschaftung; dessen Vorsitz übernahm wiederum Schraudy, weitere Mitglieder waren die Magistratsräte Otto Pié, Leonhard Daumiller und Otto Biechteler. Die Mehl- und Brotbewirtschaftung blieb auch auf Landes- und Reichsebene ein beherrschendes Feld der Lebensmittelbewirtschaftung. 25 Ferner beratschlagte man verschiedene Szenarien für die Abwendung einer potentiellen Fleischnot durch die Verwertung von Küchen- und Schlachtabfällen als Schweine- und Viehfutter. Die Verwertung und Sammlung von Küchenabfällen wurde probeweise eingeführt, ob sie sich verstetigte, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Ebenfalls im Februar 1915 wurde die Reichswollwoche in Kempten 24 Rechtliche Grundlage für das Entstehen des Kommunalverbands war die am 25. Januar 1915 erlassene Bundesratsverordnung zur allgemeinen Beschlagnahme und Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl. Diese besaß für das ganze Reich Gültigkeit, vgl. Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25.1.1915, in: RGBl 1915, 35‒45. 25 StadtA KE, Magistratsprotokoll 7.8.1914; StadtA KE, Magistratsprotokoll 12.2.1915; StadtA KE, Magistratsprotokoll 19.2.1915; StadtA KE, Magistratsprotokoll 26.2.1915. <?page no="339"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 339 durchgeführt und das Sammlungsergebnis dem Magistrat detailliert durch den Kommunalverband präsentiert. Eine weitere Behörde der städtischen Kriegswirtschaft wurde Ende Oktober 1915 mit der Preisprüfungsstelle gegründet, geleitet wiederum von Eugen Schraudy. Weitere Mitglieder zur Abwicklung des Geschäftsbetriebs waren als „Warenerzeuger: Käsefabrikant Fritz Volkwein, Kaufmann Franz Schmidhuber, Bäckermeister Martin Kesel, Innungsobermeister, Metzgermeister Heinrich Kluftinger, Gärtnermeister Franz Riedl.“ 26 Neben den Warenerzeugern zog die Preisprüfungsstelle Sachverständige heran; zu ihnen gehörten „Commerzienrat Heinr[ich] Düwell, Fabrikbesitzer u. Vorsitzender des Handelsgremiums, Privatier Otto Biechteler, Veterinärrat Emil Junginger, K. Bezirksarzt, Arbeitersekretär Johann Bengl, [und] Kesselschmid Ignaz Körner.“ 27 Sitzungsprotokolle, die genauere Auskunft über die Tätigkeit der Preisprüfungsstelle geben könnten, sind nicht überliefert. Generell hatten die Preisprüfungsstellen jedoch die Aufgabe, die Festsetzung von Höchstpreisen für einzelne Lebensmittel und Waren zu erlassen und deren Einhaltung zu kontrollieren, ab 1917 kamen die Zulassung und Überprüfung von Ersatzmitteln hinzu. 28 3. Bierbewirtschaftung im Kleinen: Kemptens Brauwesen in der Kriegswirtschaft Die Bewirtschaftung von Bier setzte wohl erst mit der Einführung der Kontingentsregelung in Kempten ein. Genaue Belege fehlen jedoch. Es kann aber angenommen werden, dass der Kommunalverband sowie die örtliche Allgäuer Brauereivereinigung die kriegswirtschaftlichen Verordnungen an die einzelnen Brauereien kommunizierte und deren Einhaltung überwachte. Eine eigene Behördenstruktur oder eigene Kriegsgesellschaften scheinen in Kempten hingegen nicht gegründet worden zu sein. Die Allgäuer Brauereivereinigung stand als Mitglied des Bayerischen Brauerbundes vermutlich in engem Austausch mit den Brauereien vor Ort und nahm dessen Vertretungsfunktion im lokalen Raum war. Zwei ihrer führenden Männer, Hans Schnitzer und August Weixler, waren leitende Persönlichkeiten der Kemptener Brauindustrie und in Kempten gut vernetzt. Rechtsbeistand der Vereinigung war zu diesem Zeitpunkt Justizrat Dr. Strasser aus Kempten; als erster Vorsitzender wirkte bis 1914 der 26 StadtA KE, WA 8, Schreiben Preisprüfungsstelle Kempten an Landespreisprüfungsstelle München, 16.2.1916. 27 Ebd. 28 StadtA KE, Magistratsprotokoll 12.2.1915; StadtA KE, Magistratsprotokoll 26.2.1915; StadtA KE, WA 8, Schreiben Preisprüfungsstelle Kempten an Landespreisprüfungsstelle München, 16.2.1916; zur Ersatzmittelthematik H INTERTHÜR , Kriegsgesellschaften, 78-80; Statistisches Landesamt, Kriegsstellen, 2. <?page no="340"?> Corinna Malek 340 Abb. 6 und 7: Allgäuer Brauhaus (oben), Aktienbrauerei Kempten (unten); beide Stadtarchiv Kempten, Fotoalben Nr. 22. <?page no="341"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 341 Direktor der Aktienbrauerei Kempten Theodor Haugg. Auch diese Personalien dürften die Kemptener Kontakte intensiviert haben. 1914 löste Paul Bausenwein 29 aus Kaufbeuren Theodor Haugg ab. Bausenwein schied wiederum nach einem Jahr aus dem Amt, das er Kommerzienrat Otto Müller übergab, der ebenfalls aus Kaufbeuren stammte. Die Geschäftsführung der Vereinigung hatte 1914 Hans Schnitzer von August Weixler übernommen und übte diese während der gesamten Kriegszeit aus. Entsprechend nahm das Allgäuer Brauhaus indirekt Einfluss auch auf die Bierbewirtschaftung in Kempten. 30 Erste städtische Maßnahmen der Bierbewirtschaftung lassen sich erst im Juni 1916 fassen, mit der Diskussion über die Umsetzung der am 13. Mai 1916 verfügten beschränkten Ausschankzeiten für Wirte. Diese übernahm man für das Stadtgebiet ohne Änderung, mit nur einer Ausnahme. Bei „Wirtschaften, die als Ausflugsorte in Betracht“ 31 kamen, sollte an Werktagen der Bierausschank „von 4-9 Uhr nachmittags an Stelle der Zeit von 6½ Uhr nachmittags ab gestattet sein.“ 32 Diese Regelung wurde jedoch bereits am 28. Juni obsolet durch die redigierte Anordnung der stellvertretenden Generalkommandos, welche die Ortspolizeibehörden zum Erlass individueller Regelungen befugte. Entsprechend hob der Magistrat „die magistratische Anordnung vom 16. Juni 1916, betr. Ausflugswirtschaften“ 33 in seiner Sitzung am 7. Juli 1916 wieder auf. Stattdessen legte er örtlich gültige Ausschankzeiten fest, „für Werktage und Sonn- und Feiertage auf 10-1 Uhr,“ 34 während abends „an Werktagen von 6½ Uhr […], an Sonn- und Feiertagen von 4 Uhr“ 35 bis zum Ende der örtlichen Polizeistunde Bier ausgeschenkt werden durfte. Diese Festsetzung blieb ebenfalls nur kurz in Kraft; in seiner nächsten Sitzung am 28. Juli entschloss sich der Magistrat nun doch, die von den stellvertretenden Generalkommandos festgesetzten Ausschankzeiten zu übernehmen. Die Kurzlebigkeit und ständigen Wechsel der Ausschankzeiten innerhalb von zwei Monaten dürften bei den Kemptener Wirten für zusätzlichen Un- 29 Paul Bausenwein wurde 1863 in Freising geboren und heiratete durch seine Eheschließung mit Caroline Probst nach Kaufbeuren ein. Den Titel eines Kommerzienrats erhielt er erst 1924. Tätig war Bausenwein für die Aktienbrauerei Kaufbeuren, die größte der damaligen Kaufbeurer Brauereien, vgl. K RAUSS , Die bayerischen Kommerzienräte, 406; K RUPKA , Geschichte des Brauwesens, 119‒123. 30 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Verzeichnis Brauereivereine; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Schreiben Allgäuer Brauereivereinigung an Bayerischen Brauerbund, 19.4.1917; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 39f. 31 StadtA KE, Magistratsprotokoll 16.6.1916. 32 Ebd. 33 StadtA KE, Magistratsprotokoll 7.7.1916. 34 StadtA KE, Magistratsprotokoll 28.7.1916. 35 Ebd. <?page no="342"?> Corinna Malek 342 mut gesorgt haben. Jedenfalls wurden die Wirte im April 1917 lediglich mit 35 Prozent der monatlichen Vorkriegsmenge beliefert, die auf den Ausschank eines gesamten Monats sorgfältig aufgeteilt werden musste. 36 Dass Bier auch in den Kriegsjahren, trotz massiver Einschränkung der Produktion und einem hohen Qualitätsverlust, eine wichtige Säule der kommunalen Finanzen in Kempten blieb, zeigt die Verlängerung des Lokalmalz- und Bieraufschlags. Beide Steuern waren 1906 um weitere zehn Jahre verlängert worden und brachten in dieser Zeit wichtige Einnahmen für die städtische Kämmerei, vor allem um städtische Schulden zu tilgen. Da diese Einnahmequelle dringend weiter benötigt wurde, beantragte der Magistrat im November 1916 eine neuerliche zehnjährige Fristverlängerung beider Steuern bei der Staatsregierung. Es kann angenommen werden, dass das Gesuch positiv beantwortet wurde, da die Steuern in der Folge weiter in Kempten erhoben wurden. Dafür spricht die neuerliche Festsetzung des gemeindlichen Bieraufschlags für das seit dem Frühjahr 1917 nur noch zugelassene Dünnbier. Dieses sollte künftig pro Hektoliter mit 30 Pfennig besteuert werden. Finanziell wichtig war für die Stadt auch die Bierpreisfrage. Konflikte um den Bierpreis entzündeten sich vor allem aufgrund der stetig abnehmenden Bierqualität, für die der Preis als zu hoch empfunden wurde. Entsprechend bat der Stadtmagistrat am 4. November 1916 bei der Bayerischen Landespreisprüfungsstelle um Auskunft, ob eine Verbilligung des Biers „mit Rücksicht auf den geringen [Stamm-]Würzegehalt“ 37 in Aussicht gestellt werden könnte. Zwei Tage später, am 6. November, erteilte die Landespreisprüfungsstelle einer Verbilligung eine Absage. Die Kemptener Brauereien mussten also weiterhin einen als teuer empfundenen Preis für qualitativ schlechtes Bier verlangen. 38 Die einschneidendsten Maßnahmen für die Kemptener Brauer dürften die ab Februar 1915 erlassene Kontingentsbeschränkungen gewesen sein. Diese schränkten die Produktion der Brauereien überall in Bayern massiv ein. Über die Schwierigkeiten der Kemptener Brauer kann trotz fehlender Quellen angenommen werden, dass sie stark unter den Vorschriften und dem Wegbrechen des gesamten Exportgeschäftes litten. Ob es unter den Brauereien zum gegenseitigen Austausch überschüssiger Kontingente kam oder überschüssige Kontingente von Brauereien aus dem Umland aufgekauft wurden, kann aufgrund fehlender Quellenbelege nicht zweifelsfrei geklärt werden. Hingegen lässt sich verifizieren, dass die zehn Kemptener Brauer den Betrieb auch über den Krieg hinaus aufrechterhalten konnten. Hilfreich könnten dabei unter anderem Lieferungen an das Heer gewesen sein. In den Unterlagen der Heeresbier- 36 StadtA KE, Magistratsprotokoll 16.6.1916; StadtA KE, Magistratsprotokoll 7.7.1916; StadtA KE, Magistratsprotokoll 28.7.1916; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 55. 37 StadtA KE, Magistratsprotokoll 20.11.1916. 38 Ebd.; StadtA KE, Magistratsprotokoll 19.3.1918. <?page no="343"?> Bierbewirtschaftung in Bayerisch-Schwaben 343 zentrale finden sich für 1918 unter den 536 Bierlieferanten sieben Kemptener Betriebe. Neben den beiden großen Aktiengesellschaften des Allgäuer Brauhauses und der Aktienbrauerei lieferten die Brauerei Stadt Hamburg, die Brauerei zum Schwanen, die Brauerei zum Storch, die Brauerei Bayerischer Hof und die Brauerei zum Hasen Bier an das Heer. Welchen Umfang die Lieferungen betrugen, wurde in der Lieferantenliste nicht vermerkt. 39 Eine weitere Möglichkeit, das Überleben des eigenen Betriebs sicher zu stellen, scheint die Produktion von Ersatzbieren gewesen zu sein. Im Jahresverlauf 1917 tauchten erstmals Ersatzbiergetränke in Kempten auf, über deren generelle Zulassung und gemeindliche Besteuerung der Magistrat beriet. Die Getränke, die unter der Bezeichnung „Hella“ und „Weltwohl“ verkauft wurden, unterzog der Magistrat einer Lebensmittelprüfung. Durch wen die Prüfung erfolgte, geht aus den Akten nicht hervor; daher bleibt unklar, ob eine eigene Ersatzmittelabteilung bei der städtischen Preisprüfungsstelle bestand und ob die Ersatzmittelabteilung der Landespreisprüfungsstelle eingeschaltet wurde. Möglicherweise wurde die Lebensmittelkontrolle gar nicht von der Preisprüfungsstelle, sondern von der städtischen Gesundheitspolizei in Eigenregie ausgeübt. Hingegen ist das Untersuchungsergebnis beider Getränke im Protokoll der Magistratssitzung festgehalten; demnach bestand „das Getränk ‚Weltwohl‘ aus Wasser, Früchtenextrakt, Hopfen, Saccharin und Kohlensäure,“ 40 während Malz nicht zum Einsatz kam. Entsprechend klassifizierte der Magistrat das Getränk als nicht besteuerbar. Das zweite Ersatzbier „Hella“ enthielt „Hopfen, Malz und künstliche Kohlensäure,“ 41 wonach es „aufschlagpflichtig nach dem Satze für Dünnbier“ 42 war. Welche Brauereien die Getränke herstellten, ist hingegen nicht vermerkt. 43 Das Kriegsende bedeutete im Brauwesen noch nicht das Ende der Einschränkungen, auch nicht in Kempten. Die meisten Beeinträchtigungen blieben bis zum offiziellen Ende der Zwangswirtschaft 1923 in Kraft, auch wenn die Bierbewirtschaftung offiziell am 1. Januar 1922 endete. Auch in der Nachkriegszeit mussten die Kemptener Brauereien um das eigene Überleben kämpfen. Es mag überraschen, dass dies einem der beiden großen Brauunternehmen letztlich nicht gelang. 1921 kaufte 39 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 826, Lieferantenliste 1918; BayHStA, GenKdo. I. ResK. (WK) 4193, Schreiben Allgäuer Brauhaus AG Kempten an die Feldintendantur I. bayer. Res. Korps, 29.3.1917; BayHStA, GenKdo. I. ResK. (WK) 4194, Schreiben Aktienbrauerei Kempten an das Korps-Proviantamt I. bayer. Reserve-Korps Bierverteilungsstelle, 18.6.1918; BayHStA, MLa 1626, Schreiben Bayerischer Brauerbund an K. B. Staatsministerium des königlichen Hauses und des Aeußeren, 23.7.1915. 40 StadtA KE, Magistratsprotokoll 12.10.1917. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Ebd.; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962, Sammlung Bierersatzgetränke, undatiert; BayHStA, stellv. GenKdo. I. AK. stellv. Intendantur (WK) 1962. <?page no="344"?> Corinna Malek 344 die Allgäuer Brauhaus AG die Aktienbrauerei Kempten auf. Damit war endgültig geklärt, welches Unternehmen die Spitze des Kemptener Brauwesens einnahm. Quellen- und Literatur Ungedruckte Quellen Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Generalkommando I. Reserve-Korps (WK) 4193. - Generalkommando I. Reserve-Korps (WK) 4194. - stellvertretendes Generalkommando I. Armeekorps stellvertretende Intendantur (WK) 1962. - Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe 2576. - Ministerium für Landwirtschaft 1626. - Bayerischer Brauerbund 567. - Bayerischer Brauerbund 826. Staatsarchiv Augsburg (StaatsAA) - Regierung von Schwaben 8502. Stadtarchiv Kempten (StadtA KE) - Personenarchiv Box 94 (Schnitzer). - Personenarchiv Box 95 (Schraudy). - Personenarchiv Box 115 (Weixler). - Magistratsprotokolle 1914 bis 1918. - 914/ 3/ 23. - WA 8. Gesetze und Verordnungen Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25. Januar 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 35-45. Gedruckte Quellen Bayerischer Brauerbund (Hrsg.): 8. Bayerischer Brauertag und 50. Stiftungsfest des Bayerischen Brauerbundes am 3. und 4. Oktober 1930 in München, München 1930. 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Mit großen körperlichen seelischen Opfern haben die in der Heimat Zurückgebliebenen die gewerblichen und landwirtschaftlichen Betriebe aufrecht erhalten.“ 1 Mit diesen Zeilen aus dem Jahr 1924 beschrieb Dr. Georg Volkhardt, Kaufbeurens Bürgermeister, die Folgen des Weltkriegs für die Wertachstadt im Allgäu. Der Erste Weltkrieg ging auch an der ehemaligen Reichstadt nicht spurlos vorüber: Die Einschnitte, mit denen die Bürger Kaufbeurens in der Heimat zu kämpfen hatten, waren hart. Neben dem Verlust von Angehörigen auf den Schlachtfeldern Europas dominierte die Angst um die berufliche Existenz und der tägliche Kampf ums Überleben, verschärft durch die zunehmende Bewirtschaftung und Verknappung von Nahrungs- und Genussmitteln. 2 Am Vorabend des Ersten Weltkriegs umfasste Kaufbeuren rund 9.000 Einwohner, die zum Großteil ihr Auskommen in der Stadt fanden. Während des Kriegs ging die Bevölkerungszahl merklich zurück, im Dezember 1916 auf rund 8.300. Der mit nur noch rund 7.900 Einwohnern niedrigste Stand wurde in Kaufbeuren im Dezember 1917 registriert, als innerhalb eines Jahres ein Verlust von rund 400 Einwohnern zu beklagen war. Gründe hierfür waren wohl einerseits die seit 1915 in Kaufbeuren stationierte Garnison, andererseits die in der Stadt eingesetzten Kriegsgefangenen, die zu starken Fluktuationen führten. Erst ein Jahr nach Kriegsende, 1919, erholte sich die Bevölkerungszahl wieder und stieg auf rund 8.800 an. Das Kaufbeurer Wirtschaftsleben fußte zum großen Teil auf einer mittelständischen Struktur kleinerer Handwerks- und Gewerbebetriebe sowie einer florierenden Milchwirtschaft, die aus dem Umland beliefert wurde. Zugpferde der städtischen Wirtschaft waren jedoch die zwei großen Fabriken, die 1839 gegründete Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Kaufbeuren sowie die 1859 entstandenen Vereinigten Kunstanstalten AG. Beide Betriebe stellten einen Großteil der Kaufbeurer Erwerbstätigen in Lohn und Brot. 3 1 V OLKHARDT , Bedeutung Kaufbeurer Schau, 4. 2 Zur Kriegswirtschaft in Kaufbeuren und deren unmittelbaren Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“. 3 StadtA KF, A 1486, Ergebnis Volkszählung 1.12.1916; StadtA KF, A 1487, Ergebnis Volkszählung 8.10.1919; StadtA KF, A 1488, Ergebnis Volkszählung 5.11.1917; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 11, 17f., 33; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 14-18; M ALEK , Kaufbeuren und die Industrialisierung, 238f., 250. <?page no="348"?> Corinna Malek 348 Der drittgrößte Wirtschaftszweig Kaufbeurens war das Brauwesen, das durch technische Neuerungen und Entwicklungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen beträchtlichen Industrialisierungsschub erhalten hatte. Aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung innerhalb des Kaufbeurer Wirtschaftslebens kam den Brauereien in der Kriegszeit nicht nur eine bedeutende Stellung als Arbeitgeber zu, sondern auch als wichtige Größe bei der Versorgung der Bevölkerung vor Ort. Bislang fehlen eigenständige Untersuchungen zur Geschichte der Kaufbeurer Brauereien im 19. und 20. Jahrhundert, auch einzelne Unternehmensgeschichten sind Desiderate. Ebenso ist die Rolle der Kaufbeurer Brauer und Brauereibesitzer für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt noch unbearbeitet. Diese Arbeit versteht sich als lokale Studie, in der die Auswirkungen der Zwangswirtschaft auf das Kaufbeurer Brauwesen untersucht und analysiert werden sollen, dabei auch mit einem Blick auf die Kaufbeurer Brauer und Brauereibesitzer und ihre Rolle in der lokalen Kriegswirtschaft. 1. Kaufbeuren und seine Brauereien am Vorabend des Ersten Weltkriegs Das Brauwesen zählt zu den ältesten Gewerbesparten der Stadt, bereits 1543 wurde erstmals in den städtischen Quellen ein Bierwirt erwähnt. Innerhalb der frühneuzeitlichen Wirtschaftsstruktur der Reichsstadt gehörten die Bierbrauer, Bierwirte und Bierzäpfler der Schusterzunft an, der erste eigenständige Beleg für eine unter dem Dach der Schusterzunft bestehenden Bierbrauerzunft stammt von 1569. 1598 ist schließlich die erste Bierbrauerzunftordnung schriftlich belegt. Über die gesamte Frühe Neuzeit hinweg bildete das Bier und dessen Verkauf und Ausschank eine wichtige Einnahmequelle für den städtischen Fiskus. Bereits im 16. Jahrhundert wurde es mit einem Umgeld belegt, das kontinuierlich wichtige Einnahmen in die Stadtkassen spülte. Nach dem Ende der Eigenständigkeit als freie Reichsstadt und der Eingliederung ins Königreich Bayern wurde ab 1822 der Lokalmalzaufschlag in Kaufbeuren erhoben, der als fiskalischer Nachfolger des frühneuzeitlichen Umgelds verstanden werden kann. Mittels der Einnahmen aus dem Lokalmalzaufschlag konnte die Stadt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl großer Bauprojekte anstoßen und das städtische Erscheinungsbild modernisieren. So finanzierte die Stadt den Bau des neuen Rathauses zwischen 1879 und 1881 nach Plänen des Münchner Architekten Georg von Hauberrisser zum Großteil aus den Einnahmen des Lokalmalzaufschlags. Ebenso konnten sowohl der Bau der Kaufbeurer Gewerbeschule (1871/ 72) als auch die Verlegung der Kanalisation Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts im Kernstadtbereich über diese sichere Einnahmequelle realisiert werden. 4 4 B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 15f.; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, <?page no="349"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 349 Der Wandel und Aufschwung im städtischen Brauwesen setzte erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Kaufbeuren ein, begleitet von einem Konzentrationsprozess. Ermöglicht wurde dies einerseits durch die Öffnung des freien Marktes, unter anderem durch die Einführung der Gewerbefreiheit 1868, als auch durch technische Innovationen und Neuerungen. Bestanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch 17 Brauereien in der Stadt, so reduzierte sich deren Anzahl bis Mitte des 19. Jahrhunderts lediglich um zwei, auf 15 Brauereien im Jahr 1855. Zwei weitere Brauereien gaben bis 1876, als die Industrialisierung des Brauwesens in Kaufbeuren langsam in Schwung kam, ihr Braurecht auf und schenkten nur noch Bier aus. Bis zur Jahrhundertwende 1900 reduzierte sich die Anzahl zunächst auf zehn, bevor innerhalb von sieben Jahren die Zahl bis 1907 auf fünf schrumpfte: die Aktienbrauerei zur Traube und Löwe, die Rosenbrauerei, die Schiffbrauerei, die Lammbrauerei und die Gaisbrauerei. Diese fünf Brauereien bestanden bis zum Kriegsende fort. 5 Neben der numerischen Ballung setzte ab Mitte der 1880er Jahre eine bauliche Konzentration der drei größten Brauereien auf der Hohen Buchleuthe ein, einer Anhöhe westlich der Stadt. Dort hatten mehrere Kaufbeurer Brauereien bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen, Bierkeller zu Lagerung und Reifung des untergärig gebrauten Biers anzulegen. Grund für die Verlagerung der Keller vor die Tore der Stadt war der hohe Grundwasserspiegel innerhalb der Kernstadt, der es den Brauern unmöglich machte, tiefe Lagerkeller anzulegen. Der erste Keller an der Hohen Buchleuthe entstand 1806. Bauherr war der Sternwirt, der das Brauen allerdings bereits 1835 einstellte und sein Braurecht an die Brauerei Goldene Traube, die später Teil der Aktienbrauerei Traube und Löwe wurde, verkaufte. Weitere Kellerbauten folgten, bis 1840 besaß nahezu jede der noch bestehenden Brauereien einen Keller außerhalb der Kernstadt. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bauten die drei größten Brauereien Kaufbeurens ihre bereits bestehenden Keller aus, legten diese tiefer und schufen Verbindungsgänge. 6 Nachdem die Keller bereits in den Hang gebaut worden waren, setzte ab den 1890er Jahren auch die bauliche Entwicklung auf der Hohen Buchleute bzw. dem 41, 43, 45f., 48f.; S CHMITT , Goldener Löwe, 40; F ISCHER , Kaufbeuren zur Zeit Ganghofers, 116f.; Stadt Kaufbeuren, Rathaus Kaufbeuren, o.S.; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1871, 27f.; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1876/ 1877, 91-93; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1887, 8; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1888, 7-10. 5 K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 94-96; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 4-9; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 16f.; F ISCHER , Kaufbeuren zur Zeit Ganghofers, 112; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S.; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Jahresbericht 1907, 3f. 6 W EIßFLOCH , Alte Bierkeller, 91-93; D OBLER , Kellerbauten, 482-489; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 100f., 120. <?page no="350"?> Corinna Malek 350 Afraberg ein. Durch die Nutzung neuer technischer Errungenschaften wie der künstlichen Kühlung, Dampfmaschinen oder Elektrogeneratoren, gelang es den großen Kaufbeurer Brauereien, ihren Bierausstoß kontinuierlich zu steigern. Um betrieblich weiter wachsen zu können, benötigten die Brauereien gegen Ende des 19. Jahrhunderts für ihre Produktionsstätten mehr Platz, der aber innerhalb der Kernstadt nicht mehr vorhanden war. Entsprechend begann man mit der baulichen Verlagerung von Brau- und Sudstätten außerhalb der Stadt auf die Hohe Buchleute. Als erste Brauerei errichtete die Aktienbrauerei zur Traube dort 1895 ein modernes Brauhaus. Zwei Jahre später begannen auf dem angrenzenden Grundstück die Bauarbeiten für das neue Brauhaus der Löwenbrauerei auf dem Afraberg. Dazu wurde der alte Löwenkeller, der vor 1820 dort angelegt worden war, überbaut. Beide Brauereien fusionierten 1907 zur Aktienbrauerei Traube und Löwe und betrieben in der Folge beide Brauhäuser auf der Hohen Buchleute weiter. Als Drittes siedelte sich 1900 die Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy auf dem Gelände an. Der Bau des neuen Brauhauses, das „sich in nicht störender Weise in die alte Umrahmung (Hexenturm, Fünfknopfturm, Stadtmauer)“ 7 einfügte, samt zugehörigem Braustüberl und Wirtsgarten, wurde planerisch von dem Münchner Architekten Georg von Hauberrisser begleitet und in seiner Gestaltung beeinflusst. Als vierte und letzte Brauerei verlagerte die Schiffbrauerei Teile ihrer Produktionsstätten auf die Hohe Buchleute. Ab 1903 baute die Schiffbrauerei zunächst ein Maschinenhaus, das 1904 fertiggestellt wurde, bevor ab 1906 auch ihr Betriebsgebäude auf dem Afraberg neu gebaut wurde. Hingegen verblieben das Sud- und Brauhaus am alten Standort in der Altstadt (Ludwigsstraße). 8 Ihre Blütezeit erlebte die Kaufbeurer Brauindustrie zwischen 1906 und 1913, in dieser Zeit erreichte der Bierausstoß und -absatz einen Höchststand. Neue technische Innovationen wie die Nutzung von Elektrizität oder motorisierten Kraftwagen hielten Einzug in den Brauereialltag. Ein Indiz hierfür sind die Investitionen der Aktienbrauerei Traube und Löwe, der Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy und der Brauerei zum Schiff, um ihre Unternehmen leistungsfähiger zu machen. Dabei wurde Kaufbeurer Bier nicht nur in der Wertachstadt und dem unmittelbaren Umland konsumiert, sondern auch über die Grenzen des Allgäus hinaus. Auch während der Blütezeit investierten die Brauereien weiter in ihre jeweilige Infrastruktur. So beantragte die Aktienbrauerei Traube und Löwe im September 1910 den Bau einer „Bierverbindungsleitung zwischen unseren beiden Braustätten Traube u. Löwe.“ 9 Die geplante Leitung 7 Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1901/ 1902, 16. 8 Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S.; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Jahresbericht 1907, 3f.; W EIßFLOCH , Alte Bierkeller, 92f.; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 100-102; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 14, 20; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1889, 11f.; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1901/ 1902, 16; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1903/ 1904, 35. 9 StadtA KF, A 102 495, Schreiben Aktienbrauerei an Stadt Kaufbeuren, 22.9.1910. <?page no="351"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 351 sollte über städtischen Grund führen, daher benötigte die Aktienbrauerei die Zustimmung von städtischer Seite. Bereits vor der Aktienbrauerei hatte die Schiffbrauerei eine ähnliche Leitung gelegt, diese verband das Brauhaus in der Ludwigsstraße mit dem auf dem Afraberg gelegenen Bierkeller. Am 5. Oktober 1910 stimmte der Kaufbeurer Stadtrat dem Bau der Leitung der Aktienbrauerei schließlich zu, realisiert wurde diese allerdings erst 1912. Darüber hinaus verfügten die Brauereien bereits vor der Elektrifizierung der Stadt, die erst 1918 in Angriff genommen wurde, über Strom und produzierten diesen mittels Generatoren selbst. Mit dem erzeugten Strom wurden einzelne Haushalte und die Gastwirtschaften betrieben. Ab 1910 begannen die Brauereien außerdem, ihren Fuhrpark zu motorisieren. Statt der bis dato üblichen Pferde- und Ochsenfuhrwerke wurden erste Lastkraftwagen in Betrieb genommen, mit denen längere Lieferstrecken zu bewältigen waren. Der erste motorisierte Lastwagen wurde 1910 von der Schiffbrauerei in Dienst genommen. Die Aktienbrauerei zog 1911 nach und schaffte in den Jahren 1911 und 1912 die ersten Lastwagen an. Als letzte motorisierte die Rosenbrauerei ihren Fuhrpark 1914, kurz vor Kriegsausbruch. 10 Zum Spitzenreiter der Kaufbeurer Brauindustrie hatte sich bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs die Aktienbrauerei Traube und Löwe entwickelt. Sie beschäftige 1913 eine Belegschaft von 73 Arbeitskräften, darunter auch drei Arbeiterinnen über 21 Jahren. Die Aktienbrauerei ging ursprünglich auf die Bierwirtschaft Goldene Traube zurück, die 1690 erstmals urkundlich erwähnt wurde. 1799 gelangte die Traube in die Hand einer der bedeutendsten Kaufbeurer Handelsfamilien, der Familie Walch. Jonas Daniel Walch, 11 der selbst Bierbraumeister war, kaufte die Bierwirtschaft auf, die damals noch Gasthaus zur Goldenen Gans hieß. Unter dem neuen Namen Zur goldenen Traube vergrößerte Walch den Braubetrieb nach und nach, indem er weitere Kaufbeurer Wirtschaften und deren zugehörige Braurechte aufkaufte. 1806 erwarb er einen Teil des Tänzelhölzchens auf dem Afraberg zum Bau eines Sommerbierkellers, den Traubenkeller, den er dort ein Jahr später, 1807, errichten ließ. 1827 starb Jonas Daniel Walch, seine Witwe führte die Brauerei weiter. 1834 übernahm sein Sohn Gustav Theodor Walch die Geschäftsführung. Er verfolgte die 10 StadtA KF, A 102 495, Schreiben Aktienbrauerei an Stadt Kaufbeuren, 22.9.1910, StadtA KF, A 102 495, Aktennotiz, 5.10.1910; StadtA KF, A 102 495, Beschluss Stadtrat Kaufbeuren, 5.10.1910, K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 110; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 20; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 15f.; B AUR , Als in Kaufbeuren das elektrische Licht anging, 242f.; W EIRICH , Zeitenwende, 131; E NGELSCHALK / R EISACH , Fuhrknecht, 392. 11 Jonas Daniel Walch war der älteste Sohn des Textilfabrikaten Johann Georg Walch dem Jüngeren (1731-1812) und dessen Ehefrau Regina. Seine Eltern gehörten der Kaufbeurer Oberschicht an, seine Mutter stammte aus der Kaufbeurer Patrizierfamilie Hörmann von und zu Gutenberg. Jonas Daniel Walch wurde 1778 in Kaufbeuren geboren und erlernte das Brauerhandwerk bis hin zum Meistertitel, vgl. E GGEL , Walch, 13f. <?page no="352"?> Corinna Malek 352 Firmenpolitik seines verstorbenen Vaters, den sukzessiven Ausbau des eigenen Braubetriebs, weiter. Bis zu seinem Tod 1875 und dem Übergang der Goldenen Traube an seinen Sohn, Gustav Albert Walch, 12 hatte Walch senior zwischen 1854 und 1867 „noch wesentliche Verbesserungen und Neuerungen vorgenommen,“ 13 darunter einen „Um- und Neubau des gegen die Ludwigstraße hin gelegenen Brauereigebäudes“ 14 sowie „eine wesentliche Vergrößerung des Betriebes“ 15 durch den Aufkauf weiterer Brauwirtschaften, etwa 1835 des Sternwirts. Den eingeschlagenen Weg führte auch Gustav Walch Junior fort, unter seiner Leitung wurde die Goldenen Traube 1885 zur ersten und einzigen Aktiengesellschaft der Kaufbeurer Brauindustrie umgewandelt, in die Aktienbrauerei zur Traube. Die Gründungsurkunde unterzeichneten 13 Personen, 16 der Kapitalstock belief sich auf 400.000 Mark. 1888 wurde mit der Brauerei Goldener Hirsch ein weiterer Konkurrent aufgekauft. Während der 1890er Jahre nahm Walch „eine Reihe von Bauten und Neuanlagen“ 17 vor, darunter den „Bau einer Maschinenanlage mit Kühlanlage und Kesselhaus […] auf dem Bauplatz der Lagerkeller“ 18 1895 und den „Neubau eines Sudhauses“ 19 auf dem Afraberg. Die Modernisierung schlug sich auch in einer Erhöhung des Aktienkapitals auf 500.000 Mark im gleichen Jahr nieder. Weitere Kapitalaufstockungen folgten 1905 auf 800.000 Mark und 1907 auf 1.300.000 Mark. Die letzte Erhöhung ging einher mit der Fusion mit dem größten örtlichen Konkurrenten, der Brauerei Goldener Löwe, wodurch die AG nun zur Aktienbrauerei Traube und Löwe umfirmiert wurde und unangefochten die Spitzenposition unter den Kaufbeurer Brauereien einnahm. 20 12 Gustav Albert Walch wurde als ältester Sohn Georg Adolf Walchs 1843 in Kaufbeuren geboren, vgl. E GGEL , Walch, 14f. 13 Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Neben dem Brauereieigentümer Gustav Walch junior unterzeichneten vier Kaufbeurer Geschäftsleute (Kaufmann Rudolf Göppinger, Kaufmann Martin Günther, Webermeister Jacob Wanner, Bankier Albert Spielberger) sowie fünf auswärtige Geschäftsmänner (aus München der Privatier und Cousin Walchs, Theodor Walch, aus Augsburg die Kaufmänner Wilhelm Hesselberger und Leopold Binswanger sowie der Malzfabrikant und Schwager Walchs, Jacob Huß, aus Hersbruck der Kaufmann Christof Schmidt) die Urkunde. Den ersten Aufsichtsrat bildeten Jacob Huß, Theodor Walch, Martin Günther und Albert Spielberger, vgl. ebd. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 119-123; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 31; K RAUS , Christa Chronik, 40f.; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S.; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Jahresbericht 1907, 3f.; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 58-60; E GGEL , Walch, 13-15. <?page no="353"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 353 Abb. 1: Das ehemalige Stammhaus der Kaufbeurer Aktienbrauerei in der Kaiser-Max-Straße; Stadtarchiv Kaufbeuren, Fotosammlung S1-1 547. Die Brauerei Goldener Löwe war bis zur Fusion mit der Aktienbrauerei Traube 1907 die zweitgrößte Kaufbeurer Brauerei. Urkundlich belegen lässt sich der Braubetrieb erstmals im Gasthaus Goldener Löwe 1529. 1822 erwarb Jakob Wiedemann die Bierwirtschaft Goldener Löwe im Tausch gegen die Bierwirtschaft Zum Bauerntanz. Bis zur Fusion mit der Aktienbrauerei Traube blieb die Brauerei im Wiedemann’schen Besitz. Als Jakob Wiedemann 1839 starb, führte seine Witwe Katharina die Gastwirt- <?page no="354"?> Corinna Malek 354 Abb. 2: Die Verteilung der Brauereigebäude der Aktienbrauerei im Stadtgebiet Kaufbeuren; Stadtarchiv Kaufbeuren, Festschrift Aktienbrauerei Kaufbeuren 1885-1910. schaft samt Braubetrieb bis 1843 weiter. In diesem Jahr übergab die Witwe das Geschäft an ihren Sohn Gabriel Wiedemann. Bis 1880 führte dieser das Geschäft, bevor er es an seinen Sohn Ernst übergab. Unter der Leitung von Ernst Wiedemann erlebte die Brauerei ihre persönliche Blütezeit und stieg durch eine umsichtige Unternehmensführung zur zweitgrößten Kaufbeurer Brauerei auf, unter anderem durch den Kauf kleinerer Braubetriebe wie der Ochsenbrauerei 1892. Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts besaß die Brauerei einen Bierkeller auf der Hohen Buchleuthe, über den Ernst Wiedemann 1897 das neue Betriebsgebäude 21 errichten ließ, bevor 1903 die bereits bestehenden Kelleranlagen weiter ausgebaut wurden. 1907 verkaufte Wiedemann die Löwenbrauerei an die Aktienbrauerei zur Traube. Durch den Aufkauf erweiterte sich sowohl das Aktienkapital der nun neuen Aktienbrauerei Traube und Löwe als auch deren gesamter Bierausstoß. Ernst Wiedemann erhielt einen Sitz im 21 Das Gebäude besteht bis heute und ist unter der Nummer D-7-62-000-373 in der Denkmalliste ausgewiesen, vgl. BLfD, Einzeldenkmal D-7-62-000-373 Kaufbeuren. <?page no="355"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 355 Aufsichtsrat, sein ältester Sohn Richard, der seine Nachfolge in der Unternehmensführung hätte übernehmen sollen, wurde Prokurist der neuen AG. 22 Obwohl die Aktienbrauerei zur Traube und Löwe vor dem Krieg der unumstrittene Platzhirsch des Kaufbeurer Brausektors war, gelang es dennoch vier weiteren Brauereien, mit ihr zu konkurrieren. Die nach Traube und Löwe drittgrößte Brauerei war die Brauerei zum Schiff. Sie siedelte sich ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Hohen Buchleuthe an. Ihre Wurzeln reichten in das frühe 17. Jahrhundert zurück, erstmals urkundlich bezeugt wurde das Braurecht 1619, als Recht der Gastwirtschaft Zum Schwarzen Hahn. Die Bezeichnung Schiff erhielt die Brauerei erst 1804. Den neuen Namen vergab der neue Inhaber der Brauerei, der Kaufbeurer Johannes Schmid, der 1804 die Brauerei erworben hatte. „Im Herbst [1820] erbaute der hiesige Schiffwirth Hr. Johannes Schmid seinen Sommerkeller“ 23 auf dem Afraberg, den Schiffskeller. Bis 1866 wurde die Brauerei von der Familie Schmid betrieben, die diese 1866 schließlich an den Kemptener Bierbrauer Johann Peter Wahl 24 verkaufte. Wahl modernisierte die Brauerei und baute sie „aus kleinen Anfängen […] zu einem stattlichen und mustergültigen Unternehmen“ 25 aus. 1891 starb Johann Peter Wahl in München und seine Witwe Luisa übernahm zusammen mit den Söhnen Johann Peter junior und Hugo den Betrieb. Mit dem Tod Luisa Wahls 1907 ging die Geschäftsleitung alleinig auf die Brüder über. Dass sich die Brauerei weiter positiv entwickelte, zeigten verschiedene Investitionsmaßnahmen, so erweiterte man den seit 1820 bestehenden Schiffskeller und überbaute diesen 1906 mit einem neuen „modern eingerichtete[n] Betriebsgebäude zur Lagerung und Abfüllung des Bieres.“ 26 Im Zuge der Baumaßnahme wurde außerdem ein „unterirdische[r] Verbindungsgang zwischen ihren Kellern hergestellt.“ 27 Trotz des Neubaus verblieben das Sudhaus und die Mälzerei am Stammsitz in der Ludwigstraße. 1908 wurden die Keller nochmals erweitert. Um eine bessere Verbindung zwischen den Produktionsstätten zu schaffen, verlegte die Brauerei 1910 eine Bierleitung. Für den technischen Teil des Braubetriebs war Hugo 22 StadtA KF, Familienbogen Ernst Wiedemann (1846-1933); StadtA KF, Familienbogen Richard Wiedemann (1883-1969); Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1906/ 1907, 31; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 25-27; S CHMITT , Goldener Löwe, 40f.; W EIßFLOCH , Alte Bierkeller, 93; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1903/ 1904, 35; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S. 23 K RAUS , Christa Chronik, 84. 24 Johann Peter Wahl wurde 1838 in Steinheim bei Memmingen geboren. 1863 heiratete er die Kemptener Brauereitochter Luisa Kluftinger. 1863 übernahm er von seinem Schwiegervater, Max Kluftinger, die Wirtschaft zum Keck. 1866 zog er mit seiner Frau und dem 1864 geborenen Sohn Johann Peter nach Kaufbeuren, vgl. StadtA KE, Familienbogen Johann Peter Wahl (1838-1891). 25 B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 16. 26 O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 20. 27 Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1906/ 1907, 31. <?page no="356"?> Corinna Malek 356 Abb. 3: Schauseite der heutigen Zeppelinhalle der Brauerei zum Schiff, Stadtarchiv Kaufbeuren, Manuskriptsammlung 169, Fotograf Artur Ostertag. Wahl zuständig, während sich sein Bruder Johann Peter um die anderen Belange des Geschäfts- und Braubetriebs kümmerte. Bereits 1904 hatten sie die Brauerei in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt. Bis Kriegsausbruch beschäftigte die Schiffbrauerei 31 Arbeiter. 28 Als drittgrößte Brauerei, die mit der Aktienbrauerei und der Schiffbrauerei auf dem Kaufbeurer Biermarkt konkurrierte, etablierte sich die Rosenbrauerei Zieger und 28 StadtA KE, Familienbogen Johann Peter Wahl (1838-1891); StadtA KF, Familienbogen Johann Peter Wahl (1864-1938); StadtA KF, Familienbogen Hugo Wahl (1874-1921); Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1906/ 1907, 31; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1908/ 1909, 36; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1910/ 1911, 36; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 17-21; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 116-119; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 16f. <?page no="357"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 357 Kraisy. Ihr Ursprung lag in der Bierwirtschaft Drei Rosen, Bier wurde dort erstmals, laut den städtischen Urkunden, 1630 gebraut. Seit 1784 führte die Brauerei den Namen Drei Rosen, zuvor war sie zunächst als Brauerei Grüner Baum und als Brauerei zum Mohrenkopf benannt. 1799 wurde die Brauerei Drei Rosen an den aus Pforzen stammenden Brauer Peter Schmid verkauft. Die Familie Schmid betrieb die Brauerei und Wirtschaft fast ein Jahrhundert lang bis 1871. 1823 ließ Peter Schmid auf dem Afraberg einen Bierkeller bauen, das Brauhaus befand sich hingegen in der Altstadt, an der Ecke Obstmarkt/ Schmiedgasse. Durch die Aufnahme einer Hypothek 1841 verschuldete sich Peter Schmid der Jüngere derart, dass das Anwesen samt Brauerei zwangsversteigert werden musste. Dadurch erwarb der Kaufbeurer Kaufmann Julius Probst 1871 die Drei Rosen. Bereits ein Jahr später, 1872, veräußerte er das Anwesen samt Brauerei an den Brauer Xaver Ziegerer. Dieser stammte gebürtig aus Altstädten bei Sonthofen und hatte in Steinberg bei Kempten als Brauer gearbeitet. Nach dem Kauf gab Ziegerer seiner Brauerei einen neuen Namen, aus den Drei Rosen wurde die Rose. Unter seiner Geschäftsführung wuchs die Brauerei zur drittgrößten Kraft im Kaufbeurer Brausektor. Bis 1900 konnte der Betrieb derart ausgebaut werden, dass eine räumliche Vergrößerung der Braustätte unumgänglich wurde. Zwischen 1900 und 1903 errichtete die Rosenbrauerei auf dem Areal ihres Bierkellers schließlich ihr neues Betriebsgebäude, bei dem sich der Bauherr „gutachterliche Vorschläge [… von] Professor Georg von Hauberrisser“ 29 für die Gestaltung einholte. Das Stammhaus in der Altstadt wurde nunmehr nur noch als Gastwirtschaft betrieben. Mitte Februar 1906 starb Xaver Ziegerer, nach seinem Tod führten seine Frau Maria und die beiden Kinder, Otto und Anna, die Rosenbrauerei weiter. Bereits im April 1905 war Ziegerers ältester Sohn Julius mit 31 Jahren verstorben. 1907 wurde aus der Rosenbrauerei Ziegerer durch die Aufnahme eines neuen Teilhabers, Johann Josef Kraisy, die Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy. Kraisy stammte aus einer Münchner Brauerfamilie, 30 war Diplombraumeister und kam im Oktober 1906 nach Kaufbeuren. Dort lernte er Anna Regina Ziegerer kennen und heiratete sie am 29. April 1907. Durch die Hochzeit wurde er Teilhaber an der Rosenbrauerei und stieg in die Unternehmensführung ein. Sein Schwager Otto Ziegerer übernahm das Gasthaus zur Rose in der Altstadt und zog sich aus dem Brauereibetrieb zurück. 1913 beschäftigte die Rosenbrauerei 15 Arbeiter in der Brauerei. 31 29 Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1901/ 1902, 16. 30 Sein Vater war Benno Kraisy, dem die Brauerei Sterneckerbräu gehörte, vgl. S CHÄDER , Münchner Brauindustrie, 44. 31 StadtA KF, Familienbogen Xaver Ziegerer (1839-1906); StadtA KF, Sterberegister 1905- 1907; StadtA KF, Familienbogen Johann Josef Kraisy (1875-1926); StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1901/ 1902, 16; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 10-16; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 113f.; W EIßFLOCH , Brauereigasthof Rosen, 187. <?page no="358"?> Corinna Malek 358 Abb. 4: Postkarte der Rosenbrauerei Kaufbeuren; Stadtarchiv Kaufbeuren, Fotosammlung FB 5 S 30. Neben den vier Großen schafften es noch zwei weitere Brauereien, die Lammbrauerei und die Gaisbrauerei, den Konzentrationsprozess im Kaufbeurer Braugewerbe zu überstehen und bis zum Weltkrieg konkurrenzfähig zu bleiben. Die Gaisbrauerei ging aus der Bierwirtschaft zur Blauen Ente hervor, die erstmals 1702 Bier braute. Um 1750 bürgerte sich schließlich der Name Gaiswirtschaft ein, der ihr schließlich blieb. Die Bezeichnung als Gaisbrauerei kam hingegen erst 1855. Während es im 18. Jahrhundert zu mehreren Besitzerwechseln kam, kaufte 1801 Gottfried Schweyer die Wirtschaft auf. 1811 ließ er einen Sommerkeller bauen, allerdings nicht <?page no="359"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 359 an der Hohen Buchleute, sondern an der Kemptener Straße. Er und sein Sohn Georg, der 1841 den Braubetrieb vom Vater übernahm, brauten über 60 Jahre lang. 1867 verkaufte die Familie die Brauerei an Fritz Espermüller. In den 1890er Jahren übernahm dessen ältester Sohn Oskar die Brauerei. Die Gaisbrauerei blieb mit Brauhaus in der Altstadt an ihrem Stammsitz am Kemptener Tor, größere Investitionen oder Baumaßnahmen nahmen die Espermüllers nicht vor. Das ehemalige Brauereigebäude samt zugehöriger Wirtschaft wurde 1963 abgerissen. Dennoch gelang es ihnen, sich gegen die drei großen Konkurrenten Aktien, Schiff und Rosen zu behaupten. 1913 beschäftige Oskar Espermüller sieben Arbeiter in der Gaisbrauerei. 32 Als kleinste Brauerei überlebte die Brauerei zum Lamm den Konzentrationsprozess. Sie ging aus einer der ältesten Kaufbeurer Bierwirtschaften, dem goldenen Lamm, hervor. Erstmals wurde die Wirtschaft 1602 urkundlich erwähnt. 1826 ließ der Lammwirt „Hr. Jakob Fischer einen Sommerbierkeller in den Stadtgraben längs der Mauer vom Kemnatherthor abwärts“ 33 bauen, um dort das von ihm gebraute Bier zu lagern und auszuschenken. Im 20. Jahrhundert wurde die Brauerei von Fritz Wiedemann geführt, er beschäftigte 1913 sechs Arbeiter. Wann Fritz Wiedemann oder seine Familie die Brauerei erwarben, lässt sich aufgrund fehlender Belege nicht feststellen. 34 2. Die Brauereien und der Krieg Ein jähes Ende bereitete diesen wirtschaftlich florierenden Jahren schließlich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, er streute „dem feinen Räderwerk des Wirtschaftslebens“ 35 Sand ins Getriebe und beeinflusste es nachhaltig. Davon waren nicht nur die Brauereien, sondern sämtliche Kaufbeurer Gewerbebetriebe betroffen. Der Kriegsausbruch im Sommer 1914 bedeutete für das Wirtschaftsleben zunächst den Verlust qualifizierter Arbeitskräfte, die zum Dienst an der Waffe eingezogen wurden oder sich freiwillig meldeten. Entsprechend hatten es die Betriebe in den ersten Augustwochen schwer, ihre Geschäfte am Laufen zu halten. Im weiteren Kriegsverlauf steigerten sich 32 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; S CHMITT , Die Kaufbeurer Brauerei-Wirtschaften, 4; DERS ., Abbruch Gais, 45f.; W EIßFLOCH , Bilder aus vergangenen Zeiten, 126f.; DERS ., Alte Bierkeller, 96; O STERTAG , Geschichte Bierbrauereien Kaufbeuren, 6; K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 408. 33 K RAUS , Christa Chronik, 105. 34 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; W EIßFLOCH , Alte Bierkeller, 93; K RAUS , Christa Chronik, 105; S CHMITT , Die Kaufbeurer Brauerei-Wirtschaften, 3. 35 V OLKHARDT , Bedeutung Kaufbeurer Schau, 4. <?page no="360"?> Corinna Malek 360 die Einbußen für die Kaufbeurer Wirtschaft, so fehlten neben den Arbeitskräften zunehmend Rohstoffe und Betriebsmittel. 36 Die Anpassung der Kaufbeurer Wirtschafts- und Lebensverhältnisse an den Kriegszustand, vor allem in der Nahrungsmittelversorgung, verlief etappenweise. Bis Ende 1914 mussten die Kaufbeurer nur wenige Einbußen und Einschränkungen in diesem Bereich hinnehmen, wie etwa den Erlass von Höchstpreisen beispielsweise auf Getreide. Dies änderte sich ab dem zweiten Kriegsjahr, nachdem der erhoffte schnelle und siegreiche Kriegsausgang nicht eintrat. Am 25. Januar 1915 wurde mit dem Erlass der Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl der Kommunalverband Kaufbeuren-Stadt geschaffen, dem nun die öffentliche Bewirtschaftung vor Ort oblag. Der Kommunalverband war einer von insgesamt 31 schwäbischen Kommunalverbänden, darunter elf städtische Kommunalverbände, und gehörte zu den Bedarfsgebieten, das heißt zu jenen Kommunalverbänden, die ihren errechneten Bedarf nicht aus der Produktion ihres Amtssprengels decken konnten. Mit zunehmendem Kriegsverlauf trat an die Stelle des freien Handels ein staatlich organisiertes Bewirtschaftungssystem mittels Karten und Marken, die die Abgabe vom Erzeuger bzw. dem Händler an den Verbraucher steuerten. In Kaufbeuren wurde im März 1915 mit der Brotgetreidemarke das Karten- und Markensystem eingeführt und in den folgenden Jahren sukzessive ausgebaut. Nachdem 1915 nur die Brotgetreidemarke eingeführt worden war, sorgte die zunehmend schlechtere Versorgung mit Lebensmitteln dafür, dass Karten und Marken für Fleisch (Mai 1916), Kartoffeln, Speisefett (beide Oktober 1916), Käse (April 1917) und Milch (August 1917) hinzukamen. Außerdem wurden für den Bezug von Zucker und Seife entsprechende Karten ausgegeben. Für Bier wurde hingegen keine Karte eingeführt, dieses konnte in festgelegten Abgabemengen pro Kopf, sofern vorhanden, frei in Wirtshäusern und im Straßenverkauf erworben werden. Ein städtischer Lebensmittelausschuss, über den auch Konsumenten Einfluss auf die Verteilung und Bewirtschaftung haben sollten, wurde erst im Oktober 1916 aufgestellt, nachdem er bereits im August 1915 vom Kollegium der Gemeindebevollmächtigten vom Stadtmagistrat gefordert worden war. Dieser sträubte sich allerdings bis zum Herbst 1916 dagegen. Trotz aller Maßnahmen verschlechterte sich die Versorgungssituation für die Kaufbeurer Bevölkerung, die zwar nicht wie in den Großstädten Hunger leiden musste, die Auswirkungen des Kriegs jedoch deutlich in ihrem Alltag zu spüren bekam. 37 36 S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 40-42; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 14-18; V OLKHARDT , Bedeutung Kaufbeurer Schau, 4f.; Gewerbeverein Kaufbeuren, Geschichte 1898-1924, 8. 37 StadtA KF, A 4779, Schreiben des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten an den Stadtmagistrat Kaufbeuren, 3.8.1915; StadtA KF, A 4779, Auszug Sitzungsprotokoll Stadtmagistrat, 14.8.1915; StadtA KF, A 4779, Schreiben Kollegium der Gemeindebevollmächtigten an den Stadtmagistrat Kaufbeuren, 15.10.1915; StadtA KF, A 4779, Schreiben des Kollegiums <?page no="361"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 361 Das Brauwesen hatte innerhalb der Kriegswirtschaft einen schweren Stand, zwar war Bier in Bayern als Grundnahrungsmittel ein wichtiger Faktor, um die Volksstimmung nicht kippen zu lassen, dennoch wurden die Brauereien nicht als kriegswichtige Industrie eingestuft. Dies hatte zur Folge, dass sie bei der Zuteilung von Rohstoffen und Betriebsmitteln nicht bevorzugt behandelt wurden, wie beispielsweise Betriebe der Rüstungsindustrie, deren Produktion unter allen Umständen am Leben gehalten werden sollte. Die Kaufbeurer Brauereien sahen sich zur Aufrechterhaltung ihres Braubetriebs ab Frühjahr 1915 gänzlich neuen Herausforderungen gegenübergestellt. Grund hierfür war der sich verschärfende Mangel an Getreidevorräten. Um diese Lücke zu schließen und die Versorgung sicher zu stellen, zog man von staatlicher Seite alternative Getreidearten als Streckungs- oder Ersatzmittel heran, darunter auch die zur Bierproduktion benötigte Gerste. Gerste hatte bis dahin in Ernährung und Lebensmittelproduktion nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Mit der Kontingentregelung für Gerste und Malz im Februar 1915 wurden die Brauereien stark in ihren Produktionsmöglichkeiten eingeschränkt. Nach den neuen Regelungen durften nur noch 60 Prozent ihrer im Sudjahr 1912/ 13 verarbeiteten Gersten- und Malzmengen zu Bier verbraut werden, während darüber hinaus gehende Vorräte von staatlicher Seite beschlagnahmt wurden. Da trotz dieser Beschränkung die vorhandenen Gersten- und Malzvorräte nicht ausreichten, wurde das Kontingent im Oktober 1916 zunächst auf 48 Prozent reduziert, bevor es im Dezember 1916 auf 35 Prozent (gegenüber 25 Prozent im Reich) herabgesetzt wurde. Im November 1917 folgte eine erneute Reduktion auf 15 Prozent (zehn Prozent im Reich). 38 Die jeweils gültigen Bewirtschaftungsregelungen erfuhr der Stadtmagistrat, als Exekutivorgan des Kommunalverbandes, von den zuständigen Behörden und hatte diese der Stadt und den betroffenen Firmen bekannt zu machen. Zudem mussten die neuen Vorschriften im städtischen Amtsblatt veröffentlich werden. Generell konnte der Gemeindebevollmächtigten an den Stadtmagistrat Kaufbeuren, 26.11.1915; StadtA KF, A 4779, Schreiben Stadtmagistrat Kaufbeuren an das Statistische Landesamt, 6.6.1916; S TRO- BEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 30f., 33-37, 87; Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25.1.1915, in: RGBI 1915, 35-45; Statistisches Landesamt, Kommunalverbände Schwaben, 383f.; P FUNDNER , Wie’s früher war, 53- 55. 38 Zur Bierbewirtschaftung in Bayern M ALEK , Bier und Bierbewirtschaftung in diesem Band; Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15.2.1915, in: RGBI 1915, 97f.; Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7.10.1916, in: RGBI 1916, 1187; Verordnung über die Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 16.12.1916, in: RGBI 1916, 1403; Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandeln vom 20.11.1917, in: RGBI 1917, 1058; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 58; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 110f. <?page no="362"?> Corinna Malek 362 der Kommunalverband Kaufbeuren-Stadt keine eigenen Regelungen in Bezug auf die Brauereien erlassen, musste aber dafür Sorge tragen, dass die jeweiligen Bestimmungen von diesen eingehalten wurden. Dementsprechend ließ der Stadtmagistrat die Regelungen, die die Brauereien betrafen, direkt den Geschäftsleitungen zukommen, anstatt diese nur über das Amtsblatt zu informieren. Man pflegte einen engen Kontakt zu den Firmenleitungen. Für den Botengang entsandte man „die Schutzmannschaft“, die „den hiesigen Herren Brauereibesitzern zur Kenntnis und Darnachhaltung“ 39 die jeweils neuen Regelungen vorlegten und diese mittels Unterschrift bestätigen ließen. Ende Juli 1915 diskutierte der Kaufbeurer Magistrat die Umsetzung einer lokalen Preiserhöhung für dunkles Bier, die „eine Versammlung des Allgäuer Brauerbundes und der Gastwirtevereinigung“ 40 beschlossen hatte. Die Umsetzung in Kaufbeuren wurde von Seiten des Magistrats zurückgewiesen, „gegen jede weitere Bierpreiserhöhung [würde man] energisch Stellung nehmen und eventuell Höchstpreise“ 41 als Gegenmaßnahme festsetzen. Dazu kam es aber wohl im Jahresverlauf 1915 nicht, 1916 wurde „die Frage der Bierpreiserhöhung in hiesiger Stadt […] eingehend erörtert. […] Von der Festsetzung von Höchstpreisen für Bier [wurde] dahier vorerst noch Abstand [genommen],“ 42 stattdessen wartete man einen Beschluss von höherer Stelle ab. Schließlich erließ der Magistrat Ende April 1916 für das Stadtgebiet Höchstpreise für dunkles Bier. Festgesetzt wurden Höchstpreise für den Ausschank von einem Liter, einem dreiviertel Liter, einem halben Liter und einem viertel Liter sowie für eine Ausschankmenge von 0,45 Litern. Ein Liter dunkles Bier kostete 34, ein halber Liter dunkles Bier 17 Pfenning. Die Abgabe von einem Viertelliter durfte auch über den Gassenausschank erfolgen, während die anderen Ausschankmengen nur in Gastwirtschaften gestattet waren. Der Gassenausschank war günstiger taxiert, der Viertelliter kostete dort nur neun Pfennig, statt zehn in einer Gastwirtschaft. Gleichzeitig mit den Höchstpreisen verfügte der Magistrat, dass „die Abgabe von Bier in den Wirtschaftslokalitäten […] nur in vorschriftsmässig geeichten Gefässen erfolgen“ 43 durfte. 44 Die Folgen der Kontingentierung spiegeln sich in den Zahlen des Bierausstoßes. Verbrauchten die Kaufbeurer Brauereien 1913 noch 27.322 Doppelzentner 45 Malz 39 StadtA KF, A 4895, Anweisung Bürgermeister Volkhardt, 5.12.1917. 40 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 23.7.1915. 41 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 23.7.1915. 42 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 21.1.1916. 43 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 15, 28.4.1916. 44 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 23.7.1915; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 21.1.1916; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 15, 28.4.1916; StadtA KF, A 102 071, Ortspolizeiliche Vorschriften zum Verkehr mit Bier in Kaufbeuren, 10.7.1916; StadtA KF, A 4895, Anweisung Bürgermeister Volkhardt, 5.12.1917; StadtA KF, A 4895, Unterschriftenliste Brauereibesitzer, 11.12.1917. 45 Ein Doppelzentner entspricht 100 Kilogramm, im Folgenden als dz abgekürzt. <?page no="363"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 363 für die Bierproduktion, so wurden bereits 1914 nur noch 22.874 dz verarbeitet, obwohl noch keine Kontingentsregelung bestand. Nach dem Erlass der ersten Kontingentsregel lässt sich ein sukzessiver Rückgang der Malzmengen feststellen. 1915 sank die Malzmenge auf 20.136 dz ab, wobei die tatsächlichen Auswirkungen der Kontingente erst in den Zahlen für 1916 deutlich werden. 1916 nutzten die Kaufbeurer Brauereien nur noch 14.433 dz, während sich der Jahresverbrauch 1917 noch einmal auf 7.224 dz halbierte und im letzten Kriegsjahr auf nur noch 4.992 dz sank. Die rapide Abnahme der produzierten und verkauften Biermengen traf aber nicht nur die Brauereien, sondern indirekt auch die Stadt. In der Stadtkasse machte sich das Fehlen der aus dem Lokalmalzaufschlag erzielten Einnahmen ebenfalls bemerkbar, sodass auch der städtische Finanzrahmen unter der Einschränkung der Brauwirtschaft massiv litt. Ebenso machte bereits im Sommer die Kontingentierung den Brauereien, den Wirten und „Bierausschank-Berechtigte[n]“ 46 zu schaffen. Einige Wirte und Ausschenkende sahen „sich veranlaßt, ihren Wirtschaftsbetrieb teilweise erst nachmittags von 7 Uhr ab zu betreiben.“ 47 Die unterschiedlichen Öffnungszeiten sorgten schnell für Klagen, sodass sich der Magistrat verpflichtet sah, regelnd einzugreifen. Er mahnte an, dass die „Ausschank-Berechtigten zur Abgabe von Bier, solange die Vorräte reichen, verpflichtet sind, und dass der tägl. Bierausschank spätestens ab 6 Uhr abends zu beginnen“ 48 hatte. 49 Jahr Malz in Doppelzentner 1913 27322 1914 22874 1915 20136 1916 14433 1917 7224 1918 4992 Tab. 1: Auflistung des jährlichen Malzverbrauchs der Kaufbeurer Brauereien in Doppelzentnern; Krupka, Geschichte der Kaufbeurer Brauereien, 104. 46 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 5, 23.7.1915. 47 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 5, 23.7.1915. 48 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 5, 23.7.1915. 49 K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 103f.; S CHNITZER , Allgäuer Braugewerbe, 49f. <?page no="364"?> Corinna Malek 364 Um die jeweils zugeteilten Kontingentmengen zu erhöhen, versuchten betroffene Brauereien, überschüssige Kontingente anderer Brauereien, die unter den herrschenden Umständen der Zeit nicht weiter produzieren konnten, aufzukaufen. Der Handel und Kauf von Malzkontingenten war ein legitimes Mittel, das Teil der im Februar 1915 erlassenen Kontingentsvorschriften war. Da sich dieser aber in einem dynamischen Prozess immer mehr verselbstständigte, ergriff man von staatlicher Seite 1916 weitere Maßnahmen, um die Auswüchse einzudämmen und in geregelte Bahnen zurück zu führen. Hierfür wurde zum 31. Januar 1916 die Bayerischen Verteilungsstelle für Malzkontingente in München geschaffen, die den Handel und die Verteilung von Malz überwachen sollte. Auch die Aktienbrauerei zur Traube und Löwe als auch die Rosenbrauerei versuchten ihre Kontingentmengen zu erhöhen, allerdings wohl nicht nur über den reinen Zukauf zusätzlicher Kontingente. Sie gingen teilweise so weit, dass sie Kontingente nicht nur anteilig erwarben, sondern gleich ganze Brauereien aufkauften. Für die Schiffbrauerei und die Brauereien Lamm und Gais fehlen Quellenbelege, um belastbare Aussagen dazu treffen zu können. Die Aktienbrauerei Traube und Löwe stockte die ihr zustehenden Malzmengen 1915 zunächst durch den Kauf der Braukontingente der Brauerei Graf Dürckheim-Montmartin in Steingaden 50 auf. Den Kauf wickelte die Brauerei wohl ohne staatlichen Eingriff ab, da er noch vor Schaffung der Verteilungsstelle für Malzkontingente datiert. Wie hoch die hinzu gewonnene Menge ausfiel, ist leider nicht überliefert. Bereits im Frühjahr 1915 produzierte die Steingadener Brauerei nicht mehr, sie war „abgebrannt und hat[te] ihre Tätigkeit eingestellt.“ 51 Die Aktienbrauerei nutzte neben den aufgekauften Braukontingenten auch Teile des Inventars der Brauerei Graf Dürckheim-Montmartin, darunter die Bierfässer. Um diese verwenden zu können, beantragte sie „die Nacheichung dieser Bierfässer“ 52 beim königlichen Eichamt Kaufbeuren. Um ihr Braukontingent zu vergrößern, kaufte die Aktienbrauerei Traube und Löwe darüber hinaus im Herbst 1916 die Brauerei Kratzer in Landsberg am Lech auf. Ob es sich dabei nur um Kontingente oder die gesamte Brauerei handelte, geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht zweifelsfrei hervor. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Aktienbrauerei die gesamte Kratzerbrauerei erwarb, um eine Einmischung durch die Verteilungsstelle für Malzkontingente zu verhindern. Unter ähnlichen Voraussetzungen dürfte 1918 der Kauf der Lederlebrauerei aus Bayersried bei Eggenthal erfolgt sein. Auch hier scheint die gesamte Brauerei statt nur ihre Kontingente von der Aktienbrauerei Traube und Löwe aufgekauft worden zu sein. 53 50 Die Brauerei stammte aus dem säkularisierten Besitz des Kloster Steingaden und wurde 1845 von den Grafen Dürckheim-Montmartin aufgekauft, vgl. K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 769; L AMM , Dürckheim-Montmartin, 128. 51 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 12, 9.4.1915. 52 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 12, 9.4.1915. 53 M ALEK , Bier und Bierbewirtschaftung; Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der <?page no="365"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 365 Neben dem erfolgreichen Taktieren, um die eigene Kontingentsmenge zu erhöhen, nutzte der Aktienbrauerei Traube und Löwe auch eine vorausschauende Vorratshaltung, die sie gut durch die ersten drei Kriegsjahre brachte. Zwischen 1914 und 1916 berichteten der Vorstand und der Aufsichtsrat gegenüber den Aktionären von einer relativ stabilen Betriebslage, auch im Bereich der Produktion. Bereits 1914 hatte man vorausschauend und relativ günstig Gersten- und Malzvorräte ankaufen können, mit denen man das erste Kriegsjahr ohne größere Betriebsstörungen zu Ende brachte. Die Situation änderte sich auch 1915 nur geringfügig, wobei man die Einführung der Kontingente „als ganz besondere Belastung“ 54 empfand. Den dadurch bedingten Einbußen steuerte man mit den entsprechenden Zukäufen entgegen. Dies sorgte auch 1916 für eine Aufrechterhaltung des „Betrieb[s] ohne schwerwiegende Störung[en.]“ 55 Offenkundig konnte die Aktienbrauerei Traube und Löwe die im Mai 1916 erfolgte Einführung des Dünnbiers und die Herabsetzung des Stammwürzegehalts gut durch die Erhöhung ihrer Kontingente kompensieren, sodass sich beides nicht übermäßig negativ auf den Geschäftsgang auswirkte. Die Herabsetzung des Malzkontingents auf 35 Prozent im Dezember 1916 spürte die Aktienbrauerei hingegen im folgenden Jahr deutlich. So kam es im Sommer 1917 zu Lieferengpässen, durch die nicht mehr alle Wirte ausreichend mit Bier versorgt werden konnten. Grund hierfür waren wohl außerdem die am 13. Januar 1917 erlassenen Vorschriften von festgelegten Ausschankzeiten sowie einer Zwangskontingentierung für Wirte und weitere Regelungen im Bereich der Stammwürze. Die Aktienbrauerei Traube und Löwe sprach von „einer [regelrechten] Bierknappheit im Sommer“ 56 1917 in Kaufbeuren. Zu dieser trug vermutlich auch die Einführung des Kriegsbiers ab Juli 1917 bei. Wie die Bilanzen der Aktienbrauerei Traube und Löwe aus den Kriegsjahren belegen, konnten die ungünstigen externen Einflüsse durch die eingeschlagene Unternehmenspolitik abgefedert und sogar zum eigenen Vorteil genutzt werden. In allen vier Kriegsjahren verzeichnete die Aktienbrauerei Gewinne und konnte jeweils eine Dividende von fünf Prozent an ihre Aktionäre ausschütten. 57 Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15.2.1915, in: RGBI 1915, 97f.; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 62; W INKELMAYER , Landsberger Bierbrauereien, 5f.; M ÜNZER , Bierbrauen, 16; K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 212, 462. 54 S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 62. 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Bekanntmachung über die Abgabe von Dünnbier vom 9.5.1916, in: Bayerischer Staatsanzeiger 4 (1916), Nr. 109; Bekanntmachung über Bier vom 14.4.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87; Bekanntmachung über Einheitsbier (Kriegsbier) vom 18.7.1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 166; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 1275, Rundschreiben Bayerischer Brauerbund, 20.4.1917; M ALEK , Bier und Bierbewirtschaftung; S TRO- BEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 61f. <?page no="366"?> Corinna Malek 366 Auch der Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy bot sich die Chance, die ihr zustehenden Kontingente zu erhöhen. Denn die Lammbrauerei, die kleinste Kaufbeurer Brauerei, wurde vom Krieg und seinen Auswirkungen derart gebeutelt, dass sie ihr Braurecht nicht mehr alleinig ausüben konnte, da die ihr zugeteilten Malz- und Gerstenmengen vermutlich zu gering waren, um einen kostendeckenden Betrieb zu gewährleisten. Deshalb schloss sie wohl während des Kriegs, wann genau lässt sich aufgrund fehlender Unterlagen nicht genau ermitteln, einen Vertrag mit der Rosenbrauerei, mit dem sie ihr Braurecht in Lohnarbeit an die Rosenbrauerei abtrat. Der Vertrag tarierte beide Interessen aus, zum einen ermöglichte er der Rosenbrauerei höhere Zuteilungen aufgrund einer größeren Anzahl von Kontingenten, während zum anderen die Lammbrauerei weiterhin brauen konnte und ihren Betrieb nicht stilllegen musste. Nach dem Krieg kaufte die Rosenbrauerei die Lenzbrauerei in Obergünzburg auf. Dadurch konnte sie ihre Ausstoßmenge um 10.000 Hektoliter erhöhen. 58 Neben dem Ausbleiben wichtiger Rohstofflieferungen mussten die Brauereien direkt nach Kriegsausbruch auch den Verlust von Arbeitskräften und Betriebsmitteln ausgleichen. War im ersten Kriegsjahr zunächst der plötzliche Entzug von Fuhrtieren und Transportmitteln ein Problem, so machten sich ab der zweiten Kriegshälfte fehlendes Fachpersonals, fehlende Betriebsmittel wie etwa Kohle und die Abgabe von Metallen für die Rüstungsindustrie bemerkbar. Bereits kurz nach Kriegsausbruch kam es zu einer ersten Einberufungswelle der Facharbeiter, die jedoch von den Kaufbeurer Brauereien weitestgehend gut verkraftet wurde. Bis auf die Aktienbrauerei Traube und Löwe und die Gaisbrauerei, die im Vergleich ihrer Belegschaftszahlen von 1913 und 1914 Arbeitskräfte verloren, blieben die Belegschaftszahlen der Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy, der Schiffbrauerei und der Lammbrauerei 1913 und 1914 konstant. Die Aktienbrauerei Traube und Löwe musste den Ausfall von vier männlichen Arbeitskräften kompensieren, während bei der Gaisbrauerei eine männliche Arbeitskraft 1914 fehlte. Größere Probleme verursachte zu Kriegsbeginn hingegen die Requirierung von Pferden und Lastkraftwagen. Wie viele Pferde und Fuhrwerke von den Brauereien abgestellt werden mussten, geht aus den noch vorhandenen Unterlagen nicht hervor. Hingegen ist die Zahl der beschlagnahmten Lastkraftwagen bekannt. Bis zum November 1915 wurden von Seiten des Militärs drei Lastwagen der Aktienbrauerei Traube und Löwe und zwei Lastwagen der Schiffbrauerei beschlagnahmt. Den ersten Lastwagen hatte die Aktienbrauerei am 17. Juni 1911 in Kaufbeuren zugelassen, aufgestockt wurde der Fuhrpark um zwei weitere Fahrzeuge 1912 58 K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 111, 114; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 62f.; B AUSENWEIN , Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, 17; K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 602. <?page no="367"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 367 und 1913. Die Schiffbrauerei hatte ihren ersten Lastwagen im August 1912 zugelassen, ein weiterer folgte im Juni 1913. 59 Ab dem zweiten Kriegsjahr wurden die Kriegsauswirkungen im personellen Bereich merklich spürbar. Nicht nur veränderten sich die Belegschaftszahlen numerisch, sondern auch im Hinblick auf das Verhältnis männlicher und weiblicher Kräfte. Weibliche Arbeitskräfte waren vor Kriegsausbruch nur vereinzelt in den Brauereien angestellt gewesen, während des Krieges kam ihnen die Rolle als Ersatz für die einberufene männliche Belegschaft zu, um den Betriebsfortgang zu sichern. Hatte die Aktienbrauerei Traube und Löwe 1913 noch 73 und 1914 noch 69 Arbeitskräfte beschäftigt, so musste sie im Jahresverlauf 1915 den Verlust von 18 Arbeitskräften kompensieren. Dabei reduzierte sich die männliche Belegschaft, die 1914 noch bei 66 Arbeitern lag, auf nur mehr 45 Arbeiter. Dagegen verdoppelte sich die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte von 1914 auf 1915 von drei auf sechs Arbeiterinnen. Eine leichte Entspannung stellte sich 1916 ein, als die Belegschaft auf 81 Arbeitskräfte aufgestockt werden konnte, aufgeteilt auf 18 neue männliche und 12 neue weibliche Kräfte. Zugleich stieg die Beschäftigung 1916 auf den höchsten Stand während der gesamten Kriegszeit; 1917 sank die Beschäftigtenzahl jedoch wieder auf 64. Hingegen wurde die Zusammensetzung des Personals 1917 heterogener, die Aktienbrauerei beschäftigte nun 47 männliche und 15 weibliche Arbeitskräfte über 21 Jahre, wozu noch zwei minderjährige Arbeiter kamen, paritätisch auf beide Geschlechter verteilt. Bis zum Kriegs- und Jahresende 1918 reduzierte sich die Belegschaft nochmals auf nur noch 38 Arbeitskräfte, darunter acht Arbeiterinnen. Der Vergleich mit dem Vorkriegswert zeigt einen deutlichen personellen Einbruch der Aktienbrauerei Traube und Löwe zum Kriegsende hin, der auch nicht durch den vermehrten Einsatz weiblicher Arbeitskräfte aufgefangen werden konnte. 60 Bei der Schiffbrauerei hatte die Belegschaft ein Jahr vor Kriegsausbruch bei 31 Arbeitern gelegen, darunter fanden sich keine weiblichen Arbeitskräfte. Die Zahl der Belegschaft blieb auch im ersten Kriegsjahr 1914 konstant. Ähnlich wie bei der Aktienbrauerei Traube und Löwe brachte erst 1915 einen personellen Umbruch. Zwar blieb die Belegschaftszahl konstant bei 31 Arbeitskräften, nun waren darunter 59 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1914; StadtA KF, B 159a, Liste zugelassener Kraftfahrzeuge 1910- 1928; StadtA KF, A 974, Schreiben Kommandeur der Kraftfahrtruppen an Stadtmagistrat Kaufbeuren, 8.1.1916; StadtA KF, A 974, Verzeichnis der in den Besitz der Heeresverwaltung übergegangenen privaten Kraftfahrzeuge aus dem Bezirke Schwaben, undatiert; E NGEL- SCHALK / R EISACH , Fuhrknecht, 392. 60 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1914, StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1915; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1916; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1917; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1918. <?page no="368"?> Corinna Malek 368 aber sechs weibliche Arbeitskräfte vertreten. 1916 konnte das Personal sogar um zwei weitere Arbeitskräfte aufgestockt werden, bei einer gleichzeitigen Halbierung des weiblichen Anteils. Unter 33 Beschäftigten waren nur noch drei weibliche zu finden. Im darauffolgenden Jahr erreichte die Schiffbrauerei nochmals eine Steigerung, man konnte weitere vier Arbeitskräfte einstellen, sodass die Belegschaft nun 37 Personen umfasste. Von den neu eingestellten Kräften waren drei männlich und eine weiblich, sodass sich das Personal auf 33 männliche und 4 weibliche Arbeiter verteilte. Gleichzeitig bedeutete der Wert von 1917 den personellen Höchststand während der Kriegsjahre. Die drei Jahre mit kontinuierlichem personellem Zuwachs fanden zum Kriegsende hin ein jähes Ende. Von 37 Mitarbeitern sank die Zahl bis Jahresende 1918 auf 30 ab, was nahezu den Vorkriegszahlen entsprach. Innerhalb eines Jahres verlor die Brauerei zehn männliche Arbeitskräfte, deren Fehlen teilweise durch Aufstocken der weiblichen Belegschaft kompensiert werden konnte. Der Anteil weiblicher Arbeitskräfte wuchs um drei auf insgesamt sieben Arbeiterinnen an. Anders als die Aktienbrauerei Traube und Löwe beschäftigte die Schiffsbrauerei während der gesamten Kriegszeit keine minderjährigen Arbeitskräfte unter 21 Jahren. Auch musste sie nur in einem geringen Maße zu weiblichen Ersatzarbeitskräften greifen, warum lässt sich aus den vorliegenden Unterlagen jedoch nicht klären. 61 Die Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy fiel bereits in den Vorkriegsjahren personell weit hinter die beiden großen Kaufbeurer Braubetriebe zurück. Sie stellte 1913 insgesamt 15 Arbeiter in Lohn und Brot, darunter keine einzige Frau und keine Minderjährigen. Dieses Niveau konnte die Rosenbrauerei im ersten Kriegsjahr 1914 halten. Auch bei ihr schlug die personelle Komponente erst ab dem Jahr 1915 zu Buche. Die Belegschaft reduzierte sich insgesamt um drei männliche Arbeitskräfte, das Fehlen eines Arbeiters konnte durch die Einstellung einer weiblichen Arbeitskraft abgefedert werden, sodass am Jahresende 1915 insgesamt 13 Arbeiter und Arbeiterinnen bei der Rosenbrauerei beschäftigt waren. 1916 blieb der Personalstand konstant, allerdings wurde die einzige weibliche Beschäftigte durch einen männlichen Arbeiter ersetzt. 1917 bestand die Belegschaft weiterhin aus 13 Arbeitskräften, nun aber wieder mit einer weiblichen Kraft. Das letzte Kriegsjahr wirkte sich im Gegensatz zu den anderen Kaufbeurer Brauereien insofern positiv auf das Personal der Rosenbrauerei aus, als erstmals zwei zusätzliche Arbeiter eingestellt und damit der Personalstamm erstmals auf 15 aufgestockt werden konnte. Dies bedeutete zugleich den höchsten Personalwert seit Ausbruch des Kriegs und auch im Vergleich mit den Vorkriegszahlen. 62 61 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1914, StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1915; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1916; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1917; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1918. 62 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1914, StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1915; <?page no="369"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 369 Die beiden kleineren Brauereien Gais und Lamm verfügten vor Kriegsausbruch über eine ähnlich hohe Anzahl an Arbeitern. Die Gaisbrauerei beschäftigte 1913 sieben, die Lammbrauerei sechs Arbeiter. Die Belegschaften beider Brauereien waren zu diesem Zeitpunkt rein männlich. Anders als bei den großen Drei, Aktienbrauerei, Rosen- und Schiffbrauerei, konnte die Gais ihre Belegschaft im ersten Kriegsjahr nicht konstant halten. Sie verlor einen Arbeiter, sodass nunmehr nur noch sechs Arbeiter beschäftigt waren. Die Lammbrauerei hingegen überstand das erste Kriegsjahr ohne personelle Verluste. Zu einem harschen Einbruch kam es ab dem zweiten Kriegsjahr in beiden Brauereien. Bei der Gaisbrauerei halbierte sich die Belegschaft auf nur noch drei Arbeiter, während das Lamm den Verlust von zwei Arbeitern kompensieren musste. Trotz des personellen Schwundes wurde dieser bei beiden nicht durch weibliche Arbeitskräfte ersetzt. Im dritten Kriegsjahr bekam die Gaisbrauerei die Auswirkungen der Kontingentierung und doppelten Reduzierung der Kontingente im Oktober und Dezember 1916 deutlich zu spüren. Sie reduzierte sich personell zu einem Ein-Mann-Betrieb, in dem, neben dem Inhaber Oskar Espermüller, nur noch ein Arbeiter Bier sott. Die Lammbrauerei kam etwas besser davon, sie konnte ihren Bestand von drei Arbeitern halten. Ab 1917 war die Gaisbrauerei schließlich faktisch nicht mehr existent, in der städtischen Belegschaftsstatistik wurden keine Arbeiter mehr aufgeführt. Der Braubetrieb wurde wohl allein durch Oskar Espermüller aufrechterhalten. Im letzten Kriegsjahr musste die Lammbrauerei schließlich den Verlust von zwei Arbeitskräften hinnehmen, sodass sich auch ihr Betrieb zu einem Ein-Mann- Unternehmen verringerte. 63 Jahr Aktienbrauerei Traube und Löwe Schiffbrauerei Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy Gais Lamm 1913 73 31 15 7 6 1914 69 31 15 6 6 1915 51 31 13 3 4 1916 81 33 13 1 3 1917 64 37 13 0 3 1918 38 50 15 0 1 Tab. 2: Entwicklung der Belegschaftszahlen der Kaufbeurer Brauereien in den Kriegsjahren; Stadtarchiv Kaufbeuren A 765. StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1916; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1917; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1918. 63 StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1913; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1914, StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1915; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1916; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1917; StadtA KF, A 765, Beschäftigtenverzeichnis Brauereien 1918. <?page no="370"?> Corinna Malek 370 Ursachen für den personellen Rückgang in den Brauereien ab der zweiten Kriegshälfte könnten, neben den Einberufungen an die Front, auch die Beschlagnahme von Betriebsmaterialien aus Metall und die sich ab 1917 zunehmend verschlechternde Versorgung mit Brennstoffen sein. Obwohl die Brauereien bereits vor Kriegsbeginn technisch auf dem neuesten Stand waren und Elektrizität nutzten, brauchten sie dennoch Brennstoffe sowohl für den Betrieb der Dampfkessel als auch in anderen Bereichen, wie beim Anheizen der Sudkessel. Den Stillstand des Betriebs konnte die Aktienbrauerei Traube und Löwe beispielsweise im Sommer 1918 nur durch eine Leihgabe der Mechanischen Spinnerei und Weberei verhindern. Wenn die Kessel nicht beheizt werden konnten, stand der Betrieb still. Auch die Beschlagnahme und Abgabe von Metallen traf Ende August 1915 die Brauereien. Am 20. August erließ der Kaufbeurer Magistrat eigene Ausführungsbestimmungen zur „Anordnung des stellv. Generalkommandos des I. bayer. Armeekorps vom 31. Juli 1915 betreffend Beschlagnahme, Meldepflicht und Ablieferung von fertigen, gebrauchten und ungebrauchten Gegenständen aus Kupfer, Messing und Reinnickel.“ 64 Diese umfassten in „Klasse A: Gegenstände aus Kupfer und Messing“ 65 und in „Klasse B: Gegenstände aus Reinnickel; “ 66 dabei war „ausschlaggebend […], dass die Gegenstände aus Kupfer, Messing oder Reinnickel“ 67 bestanden. Weitere Regelungen über die Beschlagnahme von Kupfer folgten von städtischer Seite 1916 und 1917 auf Basis der von Seiten der Militärregierung erlassenen Verordnungen und Beschlüsse. Am 18. Februar 1916 erließ der Kaufbeurer Magistrat neue städtische „Ausführungsbestimmungen […] zu der am 10. Dezember 1915 vom stellv. Generalkommando I. b. A.K. erlassenen Anordnung betreffend Enteignung, Ablieferung und Einziehung der […] beschlagnahmten fertigen Gegenstände aus Kupfer, Messing und Reinnickel.“ 68 Obwohl die neuen Ausführungsbestimmungen nahezu sämtliche Hausratsgegenstände umfassten, blieb das Interieur der Brauereien weiterhin von der Enteignung und Beschlagnahme verschont. Da jedoch für die Rüstung jede verfügbare Metallressource aus dem Inland immer dringender benötigt wurde, kamen auch die Brauereien ab 1917 um Abgaben nicht herum. Andere Metallgegenstände wurden hingegen im Zuge von Sammlung und Beschlagnahme von den Kaufbeurer Brauereien abgeben, teilweise auch aus den Privathaushalten der Brauereibesitzer. Um Gegenstände zu schützen, konnte der jeweilige Besitzer die „Befreiung von der Beschlagnahme und Enteignung beim Stadtmagistrat schriftlich beantragen.“ 69 Dafür musste allerdings bei den Gegenständen 64 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 1, 20.8.1915. 65 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 1, 20.8.1915. 66 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 1, 20.8.1915. 67 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 1, 20.8.1915. 68 StadtA KF, A 1710, Magistratsbeschluss, 18.2.1916. 69 StadtA KF, A 1710, Magistratsbeschluss, 18.2.1916. <?page no="371"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 371 jeweils ein „besonderer kunstgewerblicher oder kunstgeschichtlicher Wert geltend gemacht“ 70 werden, der von einem bestellten Sachverständigen geprüft und verifiziert werden musste. Als städtischen Sachverständigen benannte der Magistrat Kurat Christian Frank. Eine solchen Antrag zur Befreiung reichte Johann Peter Wahl beim Magistrat ein, er bat um die Freistellung von sechs Gegenständen. Bei drei Gegenständen wurde die Befreiung anerkannt, die anderen fielen der Beschlagnahme anheim. Die Brauereien lieferten 1917 Dachkupfer ab, darunter Blitzableiter, Dachrinnen und Bedachung. 71 Wichtig für den Erhalt des eigenen Betriebs waren ferner Heeresaufträge, die auch die Berücksichtigung bei der Vergabe von Betriebsmitteln, wie etwa Kohlen, sicherten. Bis 1917 scheinen vier der fünf Kaufbeurer Brauereien Bier an die Truppen im Feld geliefert zu haben. Ab 1918 sind in einer Lieferantenliste des bayerischen stellvertretenden Generalkommandos I. Armeekorps nur noch drei Kaufbeurer Brauereien aufgeführt: Die Aktienbrauerei Traube und Löwe, die Schiffbrauerei Hugo Wahl und die Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy. Über die gelieferten Mengen ist in der Liste nichts vermerkt. 72 Dass die Schiffbrauerei solide durch die Kriegszeit kam, zeigen nicht nur die Belegschaftszahlen, sondern auch ihre bauliche Erweiterung. 1914 beauftragten Hugo und Johann Peter Wahl den Architekten Johannes Schmidt aus München mit dem Bau einer neuen Fasshalle, bei der die Bauherren besondere konstruktive Ansprüche stellten. Sie forderten einen Hallenneubau, der „an bestehende alte Bauteile angegliedert werden“ 73 sollte. Im Sommer 1916 wurde die Halle baulich erweitert, Johann Peter und Hugo Wahl reichten beim Stadtmagistrat sodann ein Baugesuch „betreffend Anbau eines Maschinenhauses in ihrem Brauereikeller“ 74 ein, das der Magistrat am 4. August 1916 genehmigte. Im November 1916 stellten die Brüder ein weiteres Gesuch für den Anbau einer Halle an das Kühlhaus. Im zweiten Halbjahr 1916 trieben die Brüder die Planungen soweit voran, dass bis Jahresende bei der städtischen Baupolizei „die Detailpläne mit statischer Berechnung über den Hallenbau“ 75 sowie 70 StadtA KF, A 1710, Magistratsbeschluss, 18.2.1916. 71 StadtA KF, A 1710, Magistratsbeschluss, 18.2.1916; StadtA KF, A 1710, Schreiben Johann Peter Wahl an Stadtmagistrat Kaufbeuren, 18.3.1916; StadtA KF, A 1710, Magistratsbeschluss, 31.3.1916; StadtA KF, A 1710, Schreiben Stadtmagistrat an Johann Peter Wahl, 11.4.1916; StadtA KF, A 4760; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 1, 20.8.1915; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 40-42, 62; J AENISCH , Die bayerische Bierbrauerei während des Krieges, 28f. 72 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 826, Lieferantenliste 1918; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 64. 73 S TEINLEIN , Bauten Johannes Schmidt, 62. 74 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 2, 4.8.1916. 75 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 5.1.1917. <?page no="372"?> Corinna Malek 372 „die Tekturpläne zum genehmigten Baugesuch“ 76 eingereicht werden konnten. Beide Pläne genehmigte der Magistrat am 5. Januar 1917. Einen Monat später, im Februar 1917, reichten die Wahls einen zweiten Tekturplan nach, der ebenfalls vonseiten des Magistrats ohne Beanstandung genehmigt wurde. Fertiggestellt wurde der Bau noch vor Kriegsende. 77 Fasst man die Kriegszeit für die Brauereien in Kaufbeuren zusammen, so lassen sich eindeutig Gewinner und Verlierer festmachen. Zu den Gewinnern zählten klar die Aktienbrauerei Traube und Löwe, die Rosenbrauerei und die Schiffbrauerei, die ihre jeweilige Stellung trotz aller Widrigkeiten festigen, teilweise sogar ausbauen konnten. Dazu nutzten sie auch die Lage vom Krieg gebeutelter Konkurrenten aus. Mit dem Aufkauf anderer Brauereien gelang es sowohl der Aktienbrauerei, als auch der Rosenbrauerei, ihre Ausstoßmengen soweit stabil zu halten, dass die Einstellung des Braubetriebs nicht in Betracht gezogen werden musste. Positiver Nebeneffekt, der sich nach Kriegsende daraus ergab, war eine Ausweitung des eigenen Absatzgebiets und die Festigung der eigenen wirtschaftlichen Position. Ebenso sind die Heereslieferungen bis Kriegsende ein Beleg für diese These. Sie sicherten die Zuteilung von Rohstoffen zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Auch zeigen die Belegschaftszahlen, dass trotz der Einberufungen zum Heer, die Personalzahl bei Rosenbrauerei und Schiffbrauerei konstant gehalten, teilweise sogar ausgebaut werden konnte. Die Aktienbrauerei zählte in diesem Bereich eher zu den Verlierern, da sie einen merklichen Rückgang ihrer Belegschaft zu verzeichnen hatte. Auch die Schiffsbrauerei verfügte während der Kriegsjahre über eine stabile wirtschaftliche Lage, die Bautätigkeit während der Kriegsjahre spricht dafür. Investitionen wie diese wären bei einer prekären wirtschaftlichen Lage oder bei der Ausrichtung auf reine Stabilisierung des Betriebs nicht möglich gewesen. Zu den klaren Verlierern des Krieges gehörten die beiden kleinsten Wettbewerber in Kaufbeuren, die Gais- und die Lammbrauerei. Während die Gaisbrauerei sich einigermaßen erholen konnte, musste die Lammbrauerei 1927 endgültig ihren Braubetrieb einstellen. Beide Beispiele zeigen, wie schwer es für Kleinbrauer war, die wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu bewältigen. 76 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 6, 5.1.1917. 77 StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 2, 4.8.1916; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll, 10.11.1916; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 3, 5.1.1917; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 6, 5.1.1917; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 5, 9.2.1917; StadtA KF, B 4, Magistratsprotokoll TOP 6, 9.2.1917; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 63; BLfD, Einzeldenkmal D-7-62-000-252 Kaufbeuren. <?page no="373"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 373 3. Kaufbeurer „Bierkönige“ und ihr Rolle in der Kriegswirtschaft Dass manche Kaufbeurer Brauereien die Kriegszeit gut überstanden oder sogar Gewinn daraus ziehen konnten, lag auch an den verantwortlichen Akteuren und ihrer Vernetzung im lokalen und regionalen Umfeld, im allgemeinen Wirtschaftsgefüge und in den entsprechenden Verbänden. Zentral waren dabei die Familie Wahl, Johann Josef Kraisy, Paul Bausenwein und Otto Müller. Dabei spielten geschäftliche und private Verbindungen eine wichtige Rolle. Eine wichtige Interessensvertretung waren die Wirtschaftsverbände, denen in der Kriegswirtschaft eine zentrale Rolle zukam, darunter der Bayerische Brauerbund als gesamtbayerische Vertretung und die Allgäuer Brauereivereinigung als lokaler Verband. Beide setzten sich für die Interessen der Brauer ein, nahmen Schlüsselrollen als Berater der Militärregierung und der örtlichen Verwaltungen ein und wirkten als Akteure in Kriegsgesellschaften 78 mit. 79 Auf der gesamtbayerischen Ebene innerhalb des Bayerischen Brauerbundes spielten die Kaufbeurer Brauereibesitzer während des Krieges keine Rolle, dies änderte sich erst nach Kriegsende. Hingegen nahmen sie in der regionalen Vertretung der 1903 gegründeten Allgäuer Brauereivereinigung eine wichtige Position ein, insbesondere während der Kriegszeit. Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs umfasste die Allgäuer Brauereivereinigung 52 Mitglieder aus dem gesamten Allgäu. 1917 schloss sie sich dem Deutschen Brauerbund an. Während des Krieges war die Vereinigung in die Maßnahmen zur Einhaltung der Kontingentsregelungen mit eingebunden, unter anderem bei der Beschlagnahme überschüssiger Vorräte bei Brauereien. Diese erfolgte nach Bezirksämtern gegliedert, die Allgäuer Brauereivereinigung war für die Bezirksämter Füssen, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Markt Oberdorf, Memmingen, Mindelheim und Sonthofen zuständig. Mitglieder der Allgäuer Brauereivereinigung waren wohl zumindest die drei größten Brauereien, die Aktienbrauerei Traube und Löwe, die Brauerei zum Schiff und die Rosenbrauerei. Ob die beiden kleineren Kaufbeurer Brauereien ebenfalls der Vereinigung angehörten, lässt sich aufgrund fehlender Unterlagen nicht feststellen. Da weder ein Mitgliederverzeichnis noch anderweitige Unterlagen der Vereinigung überliefert sind, fußen die hier geäußerten Annahmen auf den Aktivitäten von Hugo Wahl (Schiff) und Paul Bausenwein sowie Otto Müller (Aktienbrauerei Traube und Löwe). Bis Kriegsausbruch waren die Kemptener Brauer, in Person von August Schnitzer, Inhaber des Allgäuer Brauhauses, und dem zweiten 78 Kriegsgesellschaften waren eine besondere Gesellschaftsgründung während der Kriegszeit, sie waren oftmals halbstaatlich und halbprivatwirtschafltich organisiert. Zweck ihrer Gründung war die Übernahme von Bewirtschaftungsmaßnahmen, oftmals brachten sich Fachverbände über die Gründung eigener Kriegsgesellschaften in die Bewirtschaftungspraxis ein, vgl. U LL- MANN , Kriegswirtschaft, 222-227; Z ILCH , Kriegsgesellschaften, 646f. 79 M ALEK , Bier und Bierbewirtschaftung. <?page no="374"?> Corinna Malek 374 Vorsitzenden Theodor Haugg, Direktor der Aktienbrauerei Kempten, in der Vereinigung dominant. Dies änderte sich jedoch während der Kriegszeit, als die Vereinigung nach dem Ausscheiden Schnitzers und Hauggs ab 1915 durch eine Kaufbeurer Doppelspitze gelenkt wurde. Diese bestand aus Hugo Wahl als gewähltem ersten Vorsitzenden, der diese Position bis zu seinem Tod 1921 bekleidete, und dem zweiten Vorsitzenden Otto Müller, der Aufsichtsratsvorsitzende der Aktienbrauerei Traube und Löwe, der bis 1919 im Amt blieb. Es kann angenommen werden, dass beide während ihrer gemeinsamen Amtszeit auch stets die Geschicke der Kaufbeurer Brauereien im Blick hatten und bemüht waren, diesen während der Kriegszeit keine Wettbewerbsnachteile entstehen zu lassen. 80 Hugo Wahl wurde am 10. Juli 1874 als achtes von elf Kindern der Eheleute Johann Peter und Luise Wahl in Kaufbeuren geboren. Er wuchs zusammen mit seinen Geschwistern, von denen nur fünf das Erwachsenenalter erreichten, in Kaufbeuren auf und übernahm gemeinsam mit seinem ältesten Bruder Johann Peter die väterliche Brauerei. Die Familie war gut innerhalb des protestantischen Bürgertums in Kaufbeuren vernetzt. Hugo Wahl heiratete die Tochter des Bankiers Karl Frey, Charlotte Regina, und bekam mit ihr vier Kinder. Zusammen mit seinem älteren Bruder Johann Peter leitete er ab 1891 die Schiffbrauerei in Kaufbeuren und nahm damit in der Kaufbeurer Braulandschaft eine Führungsrolle ein. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs bauten beide Brüder die Brauerei sukzessive zur zweitgrößten Brauerei der Stadt auf. Während der Kriegsjahre wurde der Aufschwung der Brauerei ebenfalls nur bedingt gebremst. Wie eng dies mit dem Engagement Hugo und Johann Peter Wahls zusammenhing, lässt sich nur vermuten. Allerdings liegt die Annahme nahe, dass sich ihr Engagement in der Allgäuer Brauereivereinigung und der Stadt positiv auf den Betrieb ausgewirkt hat. Wann die Brüder Wahl mit der Schiffbrauerei der Allgäuer Brauereivereinigung beitraten, lässt sich aufgrund fehlender Unterlagen nicht genau datieren. Jedoch scheint dies noch vor Kriegsausbruch erfolgt zu sein. Hugo Wahl engagierte sich stark für die Vereinigung, 1915 wurde er zum ersten Vorstand gewählt. Über diese Position konnte Wahl direkt auf die Bewirtschaftung einwirken, sodass wohl die Zuteilung für die Kaufbeurer Brauereien wohlwollend ausfiel. Dieser Informationsvorsprung begünstigte die Entwicklung der Kaufbeurer Brauereien durch die Kriegszeit. Ob Kaufbeurer Brauereien tatsächlich bevorteilt wurden, beispielsweise bei der Zuteilung von Rationen oder der verspäteten Ausführung von Beschlagnahmen, darüber kann nur gemutmaßt werden, da schriftliche Quellen über die Geschäftspraxis der Vereinigung fehlen. Bis 1919 lässt sich aber feststellen, dass 80 BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Schreiben Bayerischer Brauerbund an Vorstände der angegliederten Brauereivereine, 14.4.1917; BayHStA, Bayerischer Brauerbund 567, Verzeichnis Brauereivereine, undatiert; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 39f.; M ALEK , Kempten und seine Brauereien. <?page no="375"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 375 Abb. 5: Portrait von Kommerzienrat Johann Peter Wahl; Stadtmuseum Kaufbeuren, Inv. Nr. 3771. <?page no="376"?> Corinna Malek 376 lediglich die Lammbrauerei ihren Betrieb erheblich einschränken musste, wobei dieser jedoch nicht zum Erliegen kam. Die anderen Brauereien konnten hingegen ohne Stillstand weiter brauen. Dass die Arbeit Hugo Wahls wertgeschätzt wurde, zeigt auch seine Wahl in das Gremium der Beisitzer des Vorstandes des Bayerischen Brauerbundes 1919 als ein Vertreter der mittelständischen Brauereien in Bayern. 1921 verstarb Wahl mit nur 47 Jahren infolge einer Blinddarmentzündung. Seine Geschäftsanteile an der Schiffbrauerei übernahmen seine Witwe und die vier Kinder. Die Stadt Kaufbeuren würdigte Wahl als „zielbewussten Brauereifachmann,“ 81 daraus kann auch abgeleitet werden, dass es seinen persönlichen Beziehungen und seinem wirtschaftlichen Verständnis zu verdanken war, dass die Schiffbrauerei sehr erfolgreich über die Kriegszeit kam. Dies kann auch analog auf die anderen Brauereien Kaufbeurens übertragen werden. Aufgrund seines frühen Ablebens kam Hugo Wahl nicht mehr in den Genuss einer Titelverleihung. Er wäre aufgrund seiner wirtschaftlichen Verdienste, auch während der Kriegszeit, und seiner sozialen Stellung zweifellos ein passender Kandidat auf der städtischen Vorschlagliste für einen Kommerzienratstitel gewesen. Da die Vergabe des Titels aber mit der Abschaffung des Königreichs 1918 vorerst endete und erst 1923 erneut eingeführt wurde, blieb sie Wahl verwehrt. Überhaupt wurde kein Kaufbeurer während des Kriegs bei den Vergaben 1917 und 1918 mit einem Kommerzienratstitel ausgezeichnet. 82 Sein Bruder Johann Peter, der als ältestes der elf Kinder 1864 noch in Kempten geboren war, hielt sich mit Engagement im Verband zurück. Er legte seinen Schwerpunkt auf den karitativen Bereich, unter anderem bei der Ortskrankenkasse und in der evangelischen Gemeinde Kaufbeurens. Darüber hinaus engagierte er sich auf kommunaler politischer Ebene. Er gehörte dem Gemeindekollegium der Stadt Kaufbeuren an, auch während der Kriegszeit. Über dieses Ehrenamt konnte er Einfluss auf die städtische Politik des Magistrats nehmen, wohl auch zu Gunsten seines Betriebs und der Brauereien im Allgemeinen. Mit seinem Engagement ergänzte er die Verbandsarbeit seines Bruders, sodass die Schiffbrauerei sowohl in den Wirtschaftsverbänden als auch kommunalpolitisch bestens vernetzt war. Nachdem sein jüngerer Bruder Hugo verstorben war, führte er die Brauerei allein weiter. Seine Nichten und Neffen sowie seine Schwägerin erhielten die Firmenanteile seines toten Bruders; die Geschäftsleitung oblag aber weiterhin Johann Peter Wahl. Für seine Verdienste um 81 Stadt Kaufbeuren, Verwaltungsbericht 1921/ 1927, 15. 82 StadtA KF, Familienbogen Hugo Wahl (1874-1921); StadtA KF, A 642, Rundschreiben Präsidium der Regierung von Schwaben an Vorstände der Bezirksverwaltungsbehörden, 5.12.1923; E BERT , Zwischen Anerkennung und Ächtung, 99; Bayerischer Brauerbund, Bayerischer Brauerbund, 147; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 40; K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 117; M ALEK , Gewinner des Kriegs, 265; H AERTLE , Politik, Titel, Spende, 54. <?page no="377"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 377 die Stadt Kaufbeuren erhielt er als „bekannter Volksfreund und Wohltäter“ 83 1929, anlässlich seines 65. Geburtstags, die Ehrenbürgerwürde verliehen. Bereits 1924 hatten Stadtrat und Bürgermeister Volkhardt überlegt, ihn für den Titel eines Kommerzienrats vorzuschlagen, wovon jedoch abgesehen wurde, obwohl Peter Wahl als „ein äusserst gemeinnütziger Mann“ 84 galt und auch aufgrund seines Alters den Titel verdient gehabt hätte. Wahl wurde schließlich nicht vorgeschlagen, da nach Bürgermeister Volkhardts „Erachten der Titel durch allzuhäufige Verleihung abgenützt“ werde und im selben Jahr mit Otto Müller und Paul Bausenwein zwei Kaufbeurer Industrielle bereits zu Kommerzienräten ernannt worden waren. Eine spätere Verleihung des Titel lehnte Wahl selbst ab, „solange er im Geschäft tätig“ 85 sei. 1933 verstarb Johann Peter Wahl, der noch immer die Schiffbrauerei leitete, kinderlos; die Brauerei ging an seine Schwägerin und seine Nichten und Neffen über. Wie Johann Peter Wahl seine Stellung in der Stadtgemeinde für den Fortbestand der Schiffbrauerei nutzte, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen schwer belegen. Es scheint, dass sein Bruder Hugo in den Fachvertretungen mehr Gewicht hatte als Johann Peter in der kommunalen Politik. Dennoch ergänzte sich der Einsatz beider Brüder zum Wohl der Entwicklung ihrer Brauerei. Auch waren beide nicht direkt in die städtische Kriegswirtschaftsorganisation eingebunden, sodass der Hauptanteil für das gute Überstehen der Kriegszeit wohl bei Hugo Wahl zu verorten ist. 86 Neben Hugo Wahl waren Otto Müller und Paul Bausenwein wichtige Kaufbeurer Vertreter innerhalb der Allgäuer Brauereivereinigung. Bausenwein und Müller waren für den Aufschwung der Aktienbrauerei Traube und Löwe ab den 1890er Jahren verantwortlich, Bausenwein führte seit 1890 die Geschäfte der Aktienbrauerei Traube, während Otto Müller 1892 als Mitglied in den Aufsichtsrat kam und ab 1895 den Vorsitz von diesem übernahm. Während Otto Müller beruflich aus der Baubranche stammte und im Nebenerwerb einen landwirtschaftlichen Betrieb führte, war Paul Bausenwein Diplombraumeister. Beide zusammen führten die Aktienbrauerei Traube und Löwe schließlich an die Spitzenposition der Kaufbeurer Brauereien. Ebenso nutzten sie die Möglichkeiten, die sich ihnen und der Aktienbrauerei zur Vernetzung innerhalb der Allgäuer Brauereivereinigung boten. Bausenweins Rolle innerhalb der Allgäuer Brauereivereinigung war zunächst nur eine untergeordnete, er löste 83 StadtA KF, A 573, städtische Pressenotiz, 27.7.1929. 84 StadtA KF, A 642, Titelvorschlag Johann Josef Kraisy, 28.4.1925. 85 StadtA KF, A 642, Schreiben Bürgermeister Volkhardt an das Präsidium der Regierung von Schwaben, 17.11.1925. 86 StadtA KF, Familienbogen Johann Peter Wahl (1866-1933); StadtA KF, A 573, städtische Pressenotiz, 27.7.1929; StadtA KF, A 642, Titelvorschlag Johann Josef Kraisy, 28.4.1925; StadtA KF, A 642, Schreiben Bürgermeister Volkhardt an das Präsidium der Regierung von Schwaben, 17.11.1925; Kaufbeurer Nationalzeitung Nr. 145, 26.6.1933; E BERT , Zwischen Anerkennung und Ächtung, 99. <?page no="378"?> Corinna Malek 378 Abb. 6: Portrait Kommerzienrat Paul Bausenwein; Stadtarchiv Kaufbeuren, Festschrift Aktienbrauerei 1885-1910. 1914 den Kemptener Theodor Haugg als zweiten Vorstand ab und gab das Amt nach nur einem Jahr an Otto Müller ab. Dennoch blieb er wohl innerhalb der Vereinigung gut vernetzt, da er nach dem Ableben Hugo Wahls 1921 zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde und diesen Posten bis zu seinem eigenen Tod 1931 bekleidete. 87 Paul Bausenwein wurde 1863 in Freising geboren, absolvierte nach seiner Schullaufbahn die Brauakademie in Weihenstephan und schloss ein Studium an der Universität Würzburg an. Zusätzlich erhielt er eine technische und kaufmännische Ausbildung als Betriebskontrolleur und -verwalter im Bürgerlichen Brauhaus Kitzinger und d’Hengeliere in Würzburg. Weitere berufliche Erfahrungen sammelte er im Bürgerbäu in München, bevor er im April 1890 die Stelle als Direktor und Vorstand der 87 StadtA KF, A 642, Kommerzienratvorschlag Otto Müller, 12.3.1924; Bayerischer Brauerbund, 50. Stiftungsfest, 40; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S. <?page no="379"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 379 Aktienbrauerei Traube in Kaufbeuren antrat. In Kaufbeuren lernte er seine spätere Ehefrau Cornelie, die Tochter des Kaufbeurer Großhändlers Julius Probst, kennen. Durch die Heirat gehörte Bausenwein einer der wichtigsten katholischen Familien Kaufbeurens an, sein Schwiegervater wurde 1909 zum Ehrenbürger ernannt und führte als Großkaufmann einen der größten Kaufbeurer Handelsbetriebe. Mit seiner Ehefrau bekam Bausenwein fünf Kinder. Paul Bausenwein vernetzte sich über seine familiären Beziehungen nicht nur mit den wichtigsten Familien der Stadt, sondern er betrieb auch eine engagierte Verbandsarbeit und brachte sich in die kommunale Politik ein. Neben seinen Aktivitäten innerhalb der Allgäuer Brauereivereinigung gehörte er als Delegierter dem Bayerischen Brauerbund an und war Mitglied im Großen Ausschuss des deutschen Brauerbunds. Er war somit auf allen hierarchischen Ebenen der Verbände der deutschen und bayerischen Brauindustrie präsent. Außerhalb seines Berufsfeldes nutzte Bausenwein weitere Möglichkeiten, um sich zu vernetzen. Auf kommunalpolitischer Ebene saß er von 1909 bis 1919 im Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, in dem er zeitenweise die Position des zweiten Vorsitzenden innehatte. Im Kaufbeurer Wirtschaftsleben gehörte er seit 1913 dem örtlichen Handelsgremium an, zu dessen Vorstand er gewählt wurde. Durch seine weitreichenden privaten und beruflichen Netzwerke konnte Bausenwein über die Kriegszeit hinweg auf eine positive Entwicklung der Aktienbrauerei einwirken. 1924 wurde er für sein Wirken in Kaufbeuren für den Titel eines Kommerzienrats vorgeschlagen, der ihm am 22. Dezember 1924 verliehen wurde. Gerechtfertigt wurde der Vorschlag damit, dass Bausenwein „als angesehener Bürger [galt], der gerne bereit ist, seine Kraft in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.“ 88 Aus der Argumentation kann geschlossen werden, dass Bausenwein auch während der Kriegszeit bemüht war, sein Ansehen weiter zu stärken und seine Stellung nutzbringend für sich und die Angehörigen seines Betriebs einzubringen. Vermutlich bestand zwischen Bausenwein und den Brüdern Wahl ein enges Verhältnis, da er mit Hugo Wahl innerhalb der Allgäuer Brauereivereinigung zusammenarbeitete, während er mit Johann Peter im Kollegium der Gemeindebevollmächtigten zusammenkam. Daraus folgt, dass die großen Kaufbeurer Brauereibesitzer in beiden Gremien trotz wirtschaftlicher Konkurrenz sich gemeinsam für die Ziele der Brauwirtschaft in Kaufbeuren einsetzten, um diese mit möglichst geringen Schäden durch die Kriegszeit zu führen. 89 88 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Bausenwein, 28.11.1924. 89 StadtA KF, Familienbogen Paul Bausenwein (1863-1931); StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Bausenwein, 28.11.1924; Aktienbrauerei Traube und Löwe, Festschrift 25 Jahre, o. S.; F ISCHER , Geschichte der De Crignis, 4f.; W ENZEL , Wirtschaftsführer, 120; K RAUSS , Kommerzienräte, 406. <?page no="380"?> Corinna Malek 380 Abb. 7: Portrait Kommerzienrat Otto Müller; Stadtarchiv Kaufbeuren, Festschrift Aktienbrauerei 1885-1910. Otto Müller, der seit 1892 im Aufsichtsrat der Aktienbrauerei saß, war eigentlich branchenfremd; seine Haupttätigkeit lag im Bereich des Bauwesens. Müller wurde am 19. Oktober 1864 in Kaufbeuren geboren und übernahm von seinem Vater die Firma „Haag & Müller, Zementwaren, Baumaterialien,“ 90 die dieser zusammen mit Johannes Haag gegründet hatte. Neben der väterlichen Firma gründete er mit zwei weiteren Kaufbeurer Baumeistern die Firma „G.m.b.H. Sand und Kiessortierbrecherwerk Kaufbeuren,“ 91 die er als Geschäftsführer führte. Darüber hinaus gehörten Müller 220 Tagwerk Grund sowie 64 Stück Vieh und sechs Pferde. Zusätzlich zu seiner Aufsichtsratstätigkeit für die Aktienbrauerei besaß er außerdem einen Sitz im Aufsichtsrat der Kaufbeurer Kunstanstalten. Er war somit in den führenden Kaufbeurer Wirtschaftsbetrieben eng vernetzt. Daneben engagierte er sich auf kommunalpolitischer Ebene seit der Jahrhundertwende. Von 1900 bis 1910 saß er als Mitglied im Gemeindekollegium, bevor er ab 1912 im Stadtmagistrat einen Sitz erlangen konnte, den er 90 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Otto Müller, 12.3.1924. 91 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Otto Müller, 12.3.1924. <?page no="381"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 381 auch während der Kriegszeit behielt. Politisch war Müller „stets in ganz besonderem Masse um das Wohl seiner Vaterstadt“ 92 bestrebt, auch während der Kriegszeit. In diesem Zeitraum brachte er sich vor allem im landwirtschaftlichen Bereich stark ein, in dem er „stets seiner Ablieferungspflicht nachgekommen“ 93 war und sich „bei Festsetzung des Milchpreises auf einen gerechten Ausgleich der Interessen der Landwirte und der Verbraucher“ einsetzte. Im Bereich des Brauwesens war er während des Kriegs insbesondere als zweiter Vorsitzender der Allgäuer Brauereivereinigung präsent. Für sein vielfältiges Engagement in verschiedenen Wirtschaftsbereichen der Stadt schlug ihn der Stadtrat im März für den Kommerzienratstitel vor, den er schließlich einen Monat später, im April 1924, verliehen bekam. Müller war der erste Kaufbeurer, der nach Wiedereinführung des Titels für diesen vorgeschlagen und damit ausgezeichnet wurde. 94 Als letzte wichtige Persönlichkeit für die Brauwirtschaft in Kaufbeuren ist Johann Josef Kraisy zu nennen. Der gebürtige Münchner stammte aus einer Brauerfamilie, sein Vater war Direktor des Sterneckerbräu. Kraisy selbst war Braumeister, er hatte 1897/ 98 die Brauakademie in Weihenstephan absolviert und arbeitete in Ulm, bevor er 1906 nach Kaufbeuren kam. Durch seine Heirat mit Anna Regina Ziegerer wurde er 1907 Teilhaber der Rosenbrauerei, die er fortan als Brauereidirektor leitete. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Kraisy gehörte wohl auch der Allgäuer Brauereivereinigung an, was aus seiner Tätigkeit als „Vorsitzender des Schiedsgerichts der Allgäuer Brauereivereinigung“ 95 geschlossen werden kann, ob dies allerdings bereits zu Kriegszeiten der Fall war, geht aus den Akten nicht hervor. Wie stark er sich in der Vereinigung engagierte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Belegt ist hingegen, dass Kraisy ab 1. Januar 1915 dem Kollegium der Gemeindebevollmächtigten angehörte, in dem auch Johann Peter Wahl und auch Paul Bausenwein saßen. Wie sich die Beschlüsse und Beratschlagungen des Gemeindekollegiums auf die Bierbewirtschaftung in Kaufbeuren auswirkten, ist bis dato nicht untersucht. Es kann jedoch angenommen werden, dass versucht wurde, über das Gremium Einfluss auf die Umsetzung von Beschlüssen zu nehmen. Vermutlich bestand eine enge Allianz der drei großen Brauereibesitzer durch ihre gemeinsame Amtszeit im Kollegium der Gemeindebevollmächtigten. Nach Auflösung des Gemeindekollegiums 1919, im Zuge der Verwaltungsreformen in der Weimarer Zeit, errang Kraisy im neuen Organ des Stadt- 92 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Otto Müller, 12.3.1924. 93 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Otto Müller, 12.3.1924. 94 StadtA KF, Familienbogen Otto Emil Müller (1864-1943); StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Otto Müller, 12.3.1924; StadtA KF, A 642, Schreiben Stadt Kaufbeuren an Präsidium der Regierung in Augsburg, 11.12.1924; K RAUSS , Kommerzienräte, 574. 95 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Johann Josef Kraisy, 28.4.1925. <?page no="382"?> Corinna Malek 382 rats einen Sitz. Zudem wurde er 1919 zum zweiten Bürgermeister bestimmt. Innerhalb des „Stadtratskollegium[s] [nahm er] oft die Rolle des Vermittlers“ 96 ein. 1925 schlug man ihn mit nur 49 Jahren aufgrund seiner wirtschaftlichen Verdienste als potentiellen Kandidaten für den Titel eines Kommerzienrats vor. Jedoch wurde von seiner Nominierung von Seiten der Regierung von Schwaben zunächst abgesehen, da noch zwei ältere Mitbewerber, Oscar Espermüller, der Direktor der Vereinigten Kunstanstalten, und Johann Peter Wahl die Auszeichnung aufgrund ihres Alters eher verdient hätten. Seine Auszeichnung wurde zunächst zurückgestellt, am 22. Dezember 1925 erhielt er den Titel schließlich zuerkannt. Als Vorbedingung zum Dank für den Vorschlag und den Erhalt des Titels wurde ihm von Seiten der Stadt auferlegt, „an der Gastwirtschaft ‚zur Rose‘ in der Schmiedgasse im Interesse der Pflege des Heimatsinnes ein Medaillon oder ein Fresco Bild des Kaufbeurer Kunz von der Rosen, der lustigen Rats Kaiser Max I“ 97 anbringen zu lassen. Dem kam Kraisy nach, bis heute ziert eine entsprechendes Bild die Fassade der Rose, wobei zu bezweifeln ist, dass es sich noch um das Originalbild von 1925/ 26 handelt, da das Gebäude und seine Fassade im Lauf der Zeit mehrmals renoviert und in Stand gesetzt wurde. 98 Welchen Einfluss die Inhaber der beiden kleinsten Brauereien Kaufbeurens entfalten konnten, kann anhand der überlieferten Akten im Stadtarchiv nicht festgestellt werden. Vermutlich besaßen weder Oskar Espermüller 99 noch Fritz Wiedemann eine 96 StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Johann Josef Kraisy, 17.11.1925. 97 StadtA KF, A 642, Schreiben Bürgermeister Volkhardt an das Präsidium der Regierung von Schwaben, 17.11.1925. 98 BayHStA, MHIG 1189, Schreiben des Regierungspräsidenten von Schwaben, 15.5.1925; StAA, Regierung von Schwaben 8501, Schreiben Regierungspräsident von Schwaben an das Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe, 4.12.1925; StadtA KF, Familienbogen Johann Josef Kraisy (1875-1926); StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Johann Josef Kraisy, 28.4.1925; StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Johann Josef Kraisy, 17.11.1925; StadtA KF, A 642, Schreiben Bürgermeister Volkhardt an das Präsidium der Regierung von Schwaben, 17.11.1925. 99 Oskar Espermüller, der Inhaber der Gaisbrauerei, darf nicht mit seinem Namensvetter Oscar Espermüller, dem Direktor der Kunstanstalten, verwechselt werden. Zwar waren beide miteinander verwandt, da sie beide aus der alteingesessenen Kaufbeurer Familie Espermüller stammten, jedoch schlugen sie beruflich völlig unterschiedliche Wege ein. Der Brauer Oscar Espermüller wurde am 13. Dezember 1869 in Kaufbeuren als Sohn von Fritz und Rosina Espermüller geboren. Sein Vater Fritz hatte 1885 das Sägewerk Espermüller von Oskars Großvater Gustav Adolf übernommen. Das Sägewerk übernahm nach Kriegsende Oskars älterer Bruder Fritz. Sein Namensvetter, Direktor Oscar Espermüller, war hingegen der jüngste Bruder von Fritz Espermüller senior. Er wurde 1868 geboren und wurde Kaufmann. Auf zahlreichen Auslandsaufenthalten sammelte er entsprechende Erfahrungen, bevor er 1901 den Posten als Direktor der Vereinigten Kunstanstalten übernahm. Im November 1925 wurde er zusammen mit Kraisy für den Kommerzienratstitel von städtischer Seite vorgeschlagen und erhielt diesen am 22. Dezember des gleichen Jahres verliehen, vgl. StadtA KF, Familienbogen <?page no="383"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 383 vergleichbare Position in der städtischen Gesellschaft und der beruflichen Verbandsstruktur. Sie dürften daher keine exponierte Rolle innerhalb der Kriegswirtschaft gespielt haben, ebenso nahmen sie vermutlich keinen Einfluss auf die Umsetzung der Bierbewirtschaftung und der staatlichen Maßnahmen. Höchstwahrscheinlich stand für sie während der Kriegszeit das wirtschaftliche Überleben im Vordergrund. 4. Resümee 1924 bilanzierte Bürgermeister Volkhardt für die Stadt Kaufbeuren, dass „der Krieg und die Nachkriegszeit […] auch unsere Stadt und ihrem wirtschaftlichen Einzugsgebiete tiefe Wunden geschlagen“ 100 hatten. Besonders hart betroffen waren die beiden großen Kaufbeurer Industriebetriebe, die Mechanische Spinnerei und Weberei und die Vereinigten Kunstanstalten. Hingegen kam die Kaufbeurer Brauwirtschaft relativ stabil und unbeschadet durch den Krieg. Zwar waren die allgemeinen Sparmaßnahmen an Rohstoffen und die Einschränkung im Bereich der Betriebsmittel einschneidend und wirkten auch in der Nachkriegszeit bis zur Aufhebung der anhaltenden Zwangswirtschaft Mitte der 1920er Jahre nach, jedoch vernichteten sie kriegsbedingt keine Brauereiexistenzen. Verzögert musste lediglich die Lammbrauerei 1927 ihre Braubetrieb endgültig einstellen, jedoch änderte sich in Kaufbeuren an der Hierarchie im Brauwesen auch durch den Krieg nichts. Die Verhältnisse blieben konstant. Die drei großen Brauereien konnten ihre Marktposition nach Kriegsende sukzessive ausbauen, sodass sie bereits Mitte der 1920er Jahre wieder auf nahezu gesunden wirtschaftlichen Füßen standen. 101 Eng verbunden mit dem relativ guten Überbrücken der Kriegszeit und ihrer Auswirkungen sind die damals handelnden Akteure, die Besitzer der Brauereien. Sie ermöglichten es ihren Betrieben durch weitreichende Netzwerke in die kommunale Politik als auch in die entsprechenden beruflichen Verbände, die Folgen der staatlichen Beschlag- und Bewirtschaftungspraxis für ihre Betriebe abzumildern und diese gut durch die schwierigen Zeiten zu steuern. Dass dies tatsächlich gelang, zeigt der Vergleich der Belegschaftszahlen, die über die gesamte Kriegszeit hinweg, trotz einer zunehmend sich verschärfenden Versorgungslage ab dem Winter 1916/ 1917, relativ konstant blieben. Durch eine geschickte Betriebspolitik gelang es den Kaufbeurer Brauern, ihren Betrieb kontinuierlich über die Kriegszeit aufrecht und ihren Bierausstoß nahezu konstant zu halten. Vereinzelt konnten die Brauereien auch von den Oskar Espermüller (1869-1944), StadtA KF, A 642, Kommerzienratsvorschlag Oscar Espermüller, 17.11.1925; W ILHLEM , Fünfhundert Jahre Espermüller, 54-56. 100 V OLKHARDT , Bedeutung Kaufbeurer Schau, 4. 101 K RUPKA , Geschichte Brauwesen Kaufbeuren, 111; S TROBEL , Kriegswirtschaft und „Heimatfront“, 64, 115f. <?page no="384"?> Corinna Malek 384 Kriegsumständen profitieren, wie die Aufkäufe kleinerer Brauereien durch die Aktienbrauerei zeigten. Entsprechend dieser Leistung gehörte das Brauwesen zu den Wirtschaftsbereichen der Stadt, die zwar vom Krieg eingeschränkt, jedoch nicht ausgebremst wurden und mit teilweise neuer Dynamik aus der Kriegs- und Zwangswirtschaftsphase hervorgingen. Quellen und Literatur Archive Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Bayerischer Brauerbund 567. - Bayerischer Brauerbund 826. - Bayerischer Brauerbund 1275. - Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe 1189. Staatsarchiv Augsburg (StaatsAA) - Regierung von Schwaben 8501. Stadtarchiv Kempten (StadtA KE) - Familienbogen Johann Peter Wahl (1838-1891). Stadtarchiv Kaufbeuren (StadtA KF) - A 573; A 642; A 765; A 974; A 1486; A 1487; A 1488; A 1710; A 4760; A 4779; A 4895; A 102 071; A 102 495. - B 4; B 159a. - Familienbogen Paul Bausenwein (1863-1931). - Familienbogen Oskar Espermüller (1869-1944). - Familienbogen Johann Josef Kraisy (1875-1926). - Familienbogen Otto Emil Müller (1864-1943). - Familienbogen Johann Peter Wahl (1864-1933). - Familienbogen Hugo Wahl (1874-1921). - Familienbogen Ernst Wiedemann (1846-1933) - Familienbogen Richard Wiedemann (1883-1969). - Familienbogen Xaver Ziegerer (1839-1906). - Sterberegister des Standesamts Kaufbeuren Jg. 1905-1907. Bekanntmachungen Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide und Mehl vom 25. Januar 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 35-45. <?page no="385"?> Das Bier, der Krieg und die Kaufbeurer Brauereien 385 Bekanntmachung, betreffend Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 15. Februar 1915, in: Reichsgesetzblatt 1915, 97-98. Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7. Oktober 1916, in: Reichsgesetzblatt 1916, 1137-1140. Verordnung über die Einschränkung der Malzverwendung in den Bierbrauereien vom 16. Dezember 1916, in: Reichsgesetzblatt 1916, 1403-1404. Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauereien sowie den Malzhandel vom 7. Oktober 1916 vom 20. November 1917, in: Reichsgesetzblatt 1917, 1058-1060. Bekanntmachung über die Abgabe von Dünnbier vom 9. Mai 1916, in: Bayerischer Staatsanzeiger 4 (1916), Nr. 109. Bekanntmachung über Bier vom 14. April 1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 87. Bekanntmachung über Einheitsbier (Kriegsbier) vom 18. Juli 1917, in: Bayerischer Staatsanzeiger 5 (1917), Nr. 166. Gedruckte Quellen Aktienbrauerei Traube und Löwe (Hrsg.): Bericht des Vorstandes und des Aufsichtsrates bestimmt für die am 16. Dezember 1907 stattfindende XXII. ordentliche Generalversammlung, Kaufbeuren 1907. - (Hrsg.): Gedenkschrift zur Erinnerung an das 25jährige Jubiläum der Aktienbrauerei „Traube und Löwe“ in Kaufbeuren 1885-1910, Kaufbeuren 1910. B AUSENWEIN , P ETER : Kaufbeurens Industrie und Gewerbe, in: Gewerbeverein Kaufbeuren (Hrsg.), Festschrift zur Gewerbe- und Landwirtschaftsschau Kaufbeuren anläßlich des 75jährigen Jubiläums des Gewerbevereins Kaufbeuren vom 14. bis 28. September 1924, Kaufbeuren 1924, 14-18. Bayerischer Brauerbund: Bayerischer Brauerbund (e. V.), in: Bayerische Brauerzeitung 29 (1919), 147. - (Hrsg.): 8. Bayerischer Brauertag und 50. Stiftungsfest des Bayerischen Brauerbundes am 3. und 4. Oktober 1930 in München, München 1930. 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In der Frühen Neuzeit gehörte der Ort zum Hochstift Augsburg, das den Marktort unter Bischof Burkhard von Ellerbach (sedit 1373- 1404) im Jahr 1395 erworben hatte. Die Territorien der Markgrafschaft Burgau und des Augsburger Domkapitels befanden sich in direkter Nachbarschaft. Das Dorf war verkehrstechnisch günstig an einer der beiden Straßen gelegen, die Augsburg mit Dillingen verbanden; die Reichspoststrecke der Thurn und Taxis führte ebenfalls durch den Ort, in dem es eine Relaisstation gab. Zusmarshausen war außerdem Sitz eines hochstiftischen Pflegamts; dieses rangierte bezüglich Größe und Bedeutung etwa im Mittelfeld verglichen mit den anderen hochstiftischen Pflegämtern. In der näheren Umgebung von Augsburg bildete das Pflegamt allerdings einen der größeren zusammenhängenden Verwaltungsbezirke in einer ansonsten von kleinteiligen Strukturen geprägten Region. 2 In Zusmarshausen befand sich eines der wenigen fürstbischöflichen Hoch- und Halsgerichte; die Untertanen im Markt waren dem Hochstift steuer-, fron- und gerichtsbar. 3 Da auch weitere Rechte wie das Forstrecht beim Hochstift lagen, war der Ort einer der wenigen in dieser Gegend, bei dem das Hochstift eine Landeshoheit inne hatte. 4 Zu den Einzelrechten des Hochstifts gehörten unter anderem das Recht zur Aufrichtung von Tafernwirtschaften sowie eine Art Vorkaufsrecht für Wein, Bier und andere Lebensmittel, die für den Verbrauch oder den Handel bestimmt waren. 5 Die Errichtung einer Bräustatt hingegen war jedem Tafernwirt selbst überlassen. 6 1 B IENEN , Braukultur in Bayerisch-Schwaben, in diesem Band. 2 J AHN , Augsburg Land, 225; W ÜST , Geistlicher Staat, 252. 3 Ebd., 225. 4 Ebd., 226. 5 Ebd., 226f. 6 K OCH , Braurechte in Schwaben, in diesem Band. <?page no="390"?> Felix Guffler 390 Mit der Säkularisation im Jahr 1802 fiel das Pflegamt Zusmarshausen an das Kurfürstentum Bayern und wurde einige Zeit später in ein Landgericht umgewandelt. 7 Damit folgte der Ort der allgemeinen Entwicklung im Königreich Bayern, wobei er weiterhin eine in der näheren Umgebung herausragende Position beanspruchen konnte. Die weitere administrative Entwicklung hatte allerdings keinen Einfluss mehr auf die Bedeutung der Brauereien vor Ort. 1. Die Brauereien Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gab es stets mehrere Brauereien im Ort. Dem Hochstift Augsburg waren im 17. Jahrhundert drei Brauer steuerpflichtig, im 18. Jahrhundert waren es vier. Darüber hinaus muss in dieser Zeit außerdem noch der Besitzer einer weiteren Brauerei im Ort hinzugezählt werden, der jedoch nicht dem Hochstift Augsburg, sondern den Grafen von Pappenheim lehn- und steuerpflichtig war und daher nicht in den hochstiftischen Rechnungsbüchern verzeichnet wurde. 8 Der Pflegamtsbericht aus dem Jahr 1788 hingegen spricht von fünf Brauern, die sich am Bierungeld beteiligen mussten, weshalb dies auf die Anzahl der Braustätten schließen lässt. 9 Die Braugerechtigkeit lag davon unabhängig immer auf den einzelnen Hofstätten bzw. Wirtshäusern. 10 Im 19. Jahrhundert wurden konstant vier Brauereien im Ort betrieben, wie die Montgelas-Statistik im Jahr 1810, 11 eine Ortsbeschreibung des Pfarrers aus der Mitte des 19. Jahrhunderts 12 und schließlich die Statistik des Arztes Dr. Ludwig Lauk von 1861 berichten. 13 Bei diesen handelte es sich um die folgenden Brauereien: Kronenbräu („Beim Kronenwirt“, Hausnr. 8), Glaserbräu („Zum Grünen Baum“ bzw. „Beim Glaserwirt“, Hausnr. 14), Unterer Bräu („Zum Goldenen Adler“, Hausnr. 72) - das 7 P ÖTZL , Das Landgericht Zusmarshausen, 223-229. 8 K OLLEFFEL , Schwäbische Städte und Dörfer um 1750, fol. 164. 9 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. Zum Hintergrund der Erstellung des Pflegamtsberichtes W ÜST , Aufklärung, 227-229. 10 Dies wird besonders deutlich aus dem Vorgang um das Erbe des Jacob Mayr, der im Jahr 1806 seinen verstorbenen Vater Leonhard Mayr beerben wollte. Im Erbgesuch an die königlich bayerische Landesdirektion wird beschrieben, dass er mit dem Erbe des Wirtshauses auch die Brauereigerechtigkeit erben würde. Allerdings wird dort auch auf seine Eignung zu diesem Beruf sowie allgemein seine Integrität untersucht, was jedoch eher als Maßnahmen im Zuge der Einverleibung des Territoriums in das Königreich Bayern interpretiert werden kann. Vgl. StaatsAA, Landesdirektion in Schwaben 1249. 11 P ÖTZL , Das Landgericht Zusmarshausen, 276. 12 Bericht des Pfarrer Kirschner in: B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 86. 13 P ÖTZL , Das Landgericht Zusmarshausen, 276. <?page no="391"?> Bierbrauen auf dem Land 391 ehemalige Pappenheimische Lehen - und Löwenbräu („Beim Wilhelm“, Hausnr. 85). 14 Die Braumeister gehörten in der Frühen Neuzeit durchgehend zur Oberschicht des Ortes. Mit einem Einkommen von 2.730 bzw. 1.689 Gulden besaßen Hans Widenmann und Lienhart Mayr im Jahr 1667 deutlich mehr zu versteuerndes Vermögen als der Durchschnitt des Ortes, nämlich 671 Gulden. Ein Vermögen von ähnlichem Ausmaß besaßen lediglich noch die Wirte des Ortes sowie der Müller. 15 Diese Struktur änderte sich im 18. Jahrhundert nicht. 1755 waren die vier Bierbrauer Johann Jakob Mayr, Mathes Mayr, Peter Paul Mayr und Thaddäus Sauer mit ihrem zu versteuernden Vermögen in Höhe von 2.636, 1.233, 1.192 sowie 1.072 Gulden unter dem reichsten Zehntel der Bevölkerung. 16 Den Besitzfassionen des Steuerdistriks Zusmarshausen aus dem Jahr 1808 zufolge waren die Brauereibesitzer mit die größten Landbesitzer. 17 Im Jahr 1835 bestanden die Verhältnisse weiterhin fort: Neben der Posthalterei waren es die Brauer, die im Steuerkataster als diejenigen mit dem größten Grundbesitz aufgeführt wurden. 18 Dasselbe Bild zeichnet sich gleichermaßen für das Jahr 1853, obwohl der Grundbesitz jeweils leicht zurückging. Im Steuerkataster finden sich die Brauer Christian Kaschbacher (Kronenbräu) mit einem Grundbesitz von 33 Tagwerk 68 Dezimalen, Johann Georg Wall (Glaserbräu) mit einem Grundbesitz von 89 Tagwerk, Martin Heinle (Unterer Bräu) mit einem Grundbesitz von 92 Tagwerk 47 Dezimalen und Mathias Welzhofer (Löwenbräu) mit einem Grundbesitz von 46 Tagwerk 45 Dezimalen. 19 Die Brauereien verfügten neben ihrer Braustatt also auch über ausgedehnten Landbesitz, aus dem sie ebenfalls Einnahmen generieren konnten und von dem sie die Rohstoffe für ihre Produktion bezogen. Damit lässt sich festhalten, dass die vorherrschenden Verhältnisse über mehrere Jahrhunderte stabil blieben: Die Brauer zählten dauerhaft zur dörflichen Oberschicht. 2. Die Brauerei- und Biergeschichte in der Frühen Neuzeit Aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg lassen sich nur Fragmente über die Bierwirtschaft in Zusmarshausen feststellen. Bier wurde zwar konsumiert, blieb jedoch hinter dem Weinkonsum zurück. Der Ausschank war damals noch nicht reglementiert; 1603 bestätigte der Bischof, dass jedermann Bier ausschenken durfte; die 14 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 241-256. 15 K IEßLING , Zusmarshausen, 59f. 16 Ebd., 63. 17 StaatsAA, Rentamt Zusmarshausen Kataster 1129. 18 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 258f. 19 GemeindeAZ, B VIII 6512, Grundsteuerkataster. <?page no="392"?> Felix Guffler 392 Tafern-Gerechtigkeit bestand noch nicht. Erst 1646 wurden die Brauereien und Wirtschaften in die Abgabepflicht zum Ungeld - eine Verbrauchssteuer auf konsumiertes Bier - einbezogen, gleichzeitig wurden zwei Bierbeschauer mit der Aufsicht über die Qualität des Biers und die Fassgrößen betraut. 20 Die Bevölkerung in Zusmarshausen und den umliegenden Orten litt massiv unter einem Pestausbruch und durchziehenden Heeren während des Dreißigjährigen Krieges. Zahlreiche Hofstellen fielen öd, die Sterberaten stiegen stark an und ein massiver Bevölkerungsrückgang war zu verzeichnen. 21 In den folgenden Jahren lag der herrschaftliche Fokus daher auf dem Wiederaufbau und der Neubesetzung der leeren Hofstellen. Durch eine Intensivierung kameralistischer Maßnahmen sollte die Wirtschaft neu belebt und so die Einnahmen für das Hochstift langfristig gesteigert werden. 22 Dabei lag das Augenmerk auch stark auf den Brauereien und Wirtschaften; die Einnahmen aus diesem Wirtschaftssektor waren höchst bedeutend für das Hochstift. 23 Auch wenn bis Ende des 17. Jahrhunderts nicht alle kriegsbedingten Rückschritte behoben worden waren, so hatte doch die Bedeutung des Biers zugenommen. Nach und nach hatte es den Wein als alkoholisches Hauptgetränk abgelöst. An den Einnahmen aus dem Ungeld ist dies ersichtlich: 1677/ 78 wurden etwa 2,5 mal so viele Gulden Ungeld aus Bier (522 Gulden) wie aus Wein (219 Gulden) eingenommen. 24 Zur Durchsetzung einheitlicher Regelungen erließ die Obrigkeit Ende des 17. Jahrhunderts mehrere Ordnungen: „Die Handwerker im Mark[t]e haben ihre ordentlichen Artickel seit 1671 - 1680 - 1682 - 1687 und 1699. Sie können nun bey dem Weinwirth und bey den Bräuern willkürlich die Hörberg [Herberge], und sie somit bey den Zäpflern nicht aufrichten.“ 25 Die Handwerksordnung für das Pflegamt Zusmarshausen von 1680 wurde auf Bitten der Bürger erlassen. Sie betraf besonders die Lebensmittelproduzenten, darunter auch die „Prewen“ (Bräuer). 26 Diese Handwerksordnung schrieb statische Wirtschaftsverhältnisse fest und bevorzugte die Einheimischen. 27 Gleichzeitig standen 1693 noch einige Anwesen leer, die im Besitz von Wirten bzw. Brauern waren; den Pflegern war es nicht gelungen, für diese Höfe neue Bewirtschafter zu finden, was 20 K IEßLING , Zusmarshausen, 56. 21 P ÖTZL , Grundstrukturen, 35. 22 W ÜST , Geistlicher Staat, 256. 23 Ebd.; W ÜST , Zusmarshausen, 99. 24 K IEßLING , Zusmarshausen, 56; W ÜST , Zusmarshausen, 132. 25 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. 26 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1575. 27 Zur Analyse der Handwerksordnung K IEßLING , Zusmarshausen, 66f. <?page no="393"?> Bierbrauen auf dem Land 393 wohl auch an der „exportorientierten Überbesetzung dieses Wirtschaftssektors“ lag. 28 Die Konkurrenz unter den Brauern war innerhalb des Ortes damals anscheinend bereits hoch, die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Orten von hoher Bedeutung, sowohl in Bezug auf den Absatz als auch auf die Rohstoffbeschaffung. Im Jahr 1715 versuchte das Hochstift, das Brauwesen im Ort unter seiner Regie zu monopolisieren. Diese Initiative zur Errichtung eines herrschaftlichen Brauhauses führte gleich auf mehreren Ebenen zu Konflikten. Diese begannen mit einem Mandat des Pflegamtes, dass die ansässigen Bierbrauer für die Zukunft mit Malz und Gerste „sich nicht weiters versehen, sondern des Bräuens gänzlich enthalten sollten, in dem ein herrschaftl[iches] Brauhauß daselbsten, wie auch anderwerts in dem Hochstifft aufgerichtet werden wollte.“ 29 Lediglich der Verbrauch bereits vorhandener Ware wurde den Brauern noch gestattet. Dagegen wehrten sich diese vor Ort, wie der hochstiftische Pfleger 1788 berichtet: „Im Jahre 1715 versuchte die fürstbischöfliche Hofkammer das Bräuwesen in Zusmarshausen einzuziehen, und die Bräuer deswegen zu indemnisiren [entschädigen], sie hat aber wieder hiervon abgelassen, weil sich die Bräuer dazu nicht verstehen wollten.“ 30 Es entstand ein langanhaltender Streit zwischen der Herrschaft und den Wirten im Ort, der erst im Jahr 1773 durch eine Einigung geregelt werden konnte. Die Geistlichkeit verpflichtete sich damit, davon abzusehen, Bier aus fremden Orten in den Markt zu importieren, während andererseits die Wirte für die Herrschaft den günstigeren Bierpreis aus dem Jahr 1715 garantierten: „Seit dem Jahr [1715] führten die Zäpfler im Markt mit den Bierbräuern puncto juris tabernandi Prozeß, und es ist desfalls denselben im Jahre 1773 ihr anmaßtes Recht durch Urtheil in appellatorio modificirt und eingeschränkt worden. Die Geistlichkeit soll den Trunk, nicht wie der Satz ist, sondern, was wohlfeilers seit n[ämlichem] J[ahr] 1715 bezahlen; sie solle aber dagegen auch den Trunk in der Pflege, und nicht von fremd herrlichen Wirthen bey Vermeidung der Confiscation nehmen. Und diese Verordnung ist seit 1778 erneuert.“ 31 Vermutlich hätte das Hochstift die Errichtung eines Brauhauses gegen den Widerstand der Wirte und Braumeister vor Ort durchsetzen können. Die uneinheitliche Rechtslage führte jedoch zu einer weiteren Konfliktebene, die wohl auch diejenigen Brauereien, die dem Hochstift lehnspflichtig waren, vor der angestrebten Auflösung schützte. Denn die Initiative führte außerdem zum Streit mit den Pappenheimischen 28 W ÜST , Geistlicher Staat, 256; DERS ., Zusmarshausen, 99. 29 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA Akten 539, 18. Juni 1715 Marschall Kraft zu Pappenheim an den Geh. Hof- und Regierungsrat in Dillingen. 30 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. 31 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. <?page no="394"?> Felix Guffler 394 Lehnsinhabern des Unteren Bräu. 32 Georg Wanner, der Braumeister und Lehnsmann der Pappenheimer, klagte gegen die Festsetzung, dass die ansässigen Bierbrauer lediglich ihren Vorrat an Gerste und Malz aufbrauchen durften, ein Nachkauf von Rohstoffen jedoch nicht gestattet wurde. Daraus entstand ein langwieriger Prozess um die Tafern-Gerechtigkeit des Anwesens, denn Wanner beklagte sich außerdem: „Er auch an den Backen vnd deßen freyen exercitio gehindert werde.“ 33 Das Hochstift sprach ihm dieses Recht ab und gestand ihm „allein die Prewgerechtigkeit wie die anderen Prew- und Wirtschaftsbehausungen“ zu. 34 Wanner zielte mit seiner Klage jedoch nicht nur gegen die Brauordnung, sondern wollte sich auch das Recht des Brotbackens sichern. In der Folge kam es zu weiteren Streitigkeiten, die den Prozess mehrere Jahre verzögerten, die Braugerechtigkeit des Unteren Bräu jedoch festschrieben. Das Hochstift versuchte in der Folgezeit offensichtlich weiterhin, ein herrschaftliches Brauhaus im Markt aufzubauen, scheiterte allerdings. Die Brauer in Zusmarshausen hatten sich nicht erst seit 1715 organisiert. Bereits seit den Handwerksordnungen aus dem späten 17. Jahrhundert gab es eine Interessenvertretung, die sich aktiv für die Förderung der lokalen Wirtschaft einsetzte. Dies zeigte sich auch ein halbes Jahrhundert später. Als 1749 der Schwäbische Kreis über Verbesserungen im überregionalen Wirtschaftsraum beriet und von den Mitgliedern Vorschläge erbat, engagierten sich die Brauer (und die Bäcker) aus dem Pflegamt Zusmarshausen für die Verbesserung des Handels und für lokalere Handelsstrukturen. Die von ihnen benötigten Rohstoffe, das Getreide, verkauften die Bauern nämlich häufig auf der Krumbacher Schranne, sodass die Preise für das Getreide vor Ort relativ gesehen höher waren. Von der Stärkung des lokalen Handels über eine strengere Überwachung des Getreidemarkts versprachen sie sich einen besseren Zugang zu Produktionsmitteln. 35 Die Regelung, „daß ausser des Landes, Ortts oder Ambts nichts verkhaufft werden dorffte, biß man innerhalb genügend versehen wäre,“ begünstigte somit einen günstigen Zugang zu Rohstoffen bei gleichzeitig weiterhin möglichen Ausfuhren von überschüssigem Bier. An der Konzentration der Produktion im Ort wurde weiterhin festgehalten. Im Jahr 1782 erließ das Hochstift eine neue Mühlenordnung für Zusmarshausen, in der auch die Malzverarbeitung geregelt wurde. „Auf das Malzbrechen ist der Müller beaydiget, und bezahlen die Bräuer vom Metzen 1 Kreuzer.“ 36 32 Mit den Hintergründen ausführlich beschrieben in: K IEßLING , Zusmarshausen, 70f. 33 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Akten 539, 18. Juni 1715 Marschall Kraft zu Pappenheim an den Geh. Hof- und Regierungsrat in Dillingen. 34 Ebd. 35 K IEßLING , Zusmarshausen, 69. 36 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. <?page no="395"?> Bierbrauen auf dem Land 395 Die Bedeutung der Brauereien für die Gemeinde lässt sich auch an anderer Stelle festmachen. Mit Abgaben auf den Bierkonsum finanzierte sich das sogenannte Ungeld, eine Verbrauchssteuer, die sich nach der Menge des getrunkenen Bieres richtete. Das Ungeld war für das Hochstift Augsburg ganz allgemein die bedeutendste Einnahmequelle im Ort. 37 Dazu mussten die Brauer und Zapfenwirte noch jährliche Rekognitionsgebüren leisten. 38 Gegen diese Abgaben gab es offenbar immer wieder Protest. In seiner Beschreibung des Pflegamtes Zusmarshausen aus dem Jahr 1788 meldet der hiesige Pfleger: „Wein- Bier- und Branntwein-Abgabe wird jezt zur Zeit aversionsmässig eingenommen, dazu die Zäpfler in der Pflege, wenn sie das Bier auswärts nehmen, zu contribuiren gehalten sind.“ 39 Auch die Marktgemeinde selbst profitierte stark von den Einnahmen aus dem Bierungeld. 40 Von diesem stand der Bürgerschaft ein Fünftel zu. Im Jahr 1709/ 10 beliefen sich diese Einnahmen für den Markt Zusmarshausen auf 29 Gulden, drei Kreuzer und drei Heller, 41 dies entsprach etwa 5,7 Prozent der gesamten Jahreseinkünfte der Marktgemeinde. 42 Die Bemerkung, dass sich die Einnahmen noch weiter steigern ließen, falls „von dem [nach Wollbach] hereingefuerten bier“ Abgaben eingetrieben würden, bezeugt die Bedeutung dieses Postens. 43 Diese Bemerkung wird in den Rechnungsbüchern bei den Einträgen zum Ungeld jährlich wiederholt. 44 Die Gemeindeeinnahmen aus dem Ungeld fielen jedes Jahr unterschiedlich aus, da sie an den Bierkonsum gekoppelt waren. Ab dem Jahr 1720 erhielt die Gemeinde allerdings - mit Ausnahme des Jahres 1727 - jährlich einen festen Satz von 64 Gulden aus dem Ungeld, der sich in den 1730er Jahren auf 58 Gulden reduzierte und bis zum Ende der hochstiftischen Herrschaft verstetigte. 45 Über die Festsetzung des Bierungelds berichtet auch der hochstiftische Pfleger in seiner Beschreibung des Amts Zusmarshausen: „Der Hofkammerrath Barth hatte im Jahre 1758 das Bierumbeld jährl[ich] auf 1130 [Gulden] aversionsmässig so componirt, daß die 5 Bräuer in der Pflege über das nach dem Mark[t]e und Wollbach 39 Gulden insonderheit, damit sie die Landstrasse, soweit ihr District geht, in baulichen Stand erhalten, zu bezahlen haben, welches aber seit 1786 auf 1280 [Gulden] gesteigert worden ist, dergestalten, daß wie der neue 37 W ÜST , Zusmarshausen, 132; J AHN , Augsburg Land, 229f. 38 Ebd., 230. 39 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. 40 J AHN , Augsburg Land, 230. 41 GemeindeAZ, R VIII 9520, Jahresrechnungen 1709/ 1710, fol. 4. 42 W ÜST , Zusmarshausen, 138. 43 D ERS , Geistlicher Staat, 353f. 44 GemeindeAZ, R VIII 9520, Jahresrechnungen. 45 GemeindeAZ, R VIII 9520, Jahresrechnungen. <?page no="396"?> Felix Guffler 396 Steigerungsaccord am 11. Reifmonat [November] besagten Jahres geschlossen worden, und darauf auf Weihnachten angefangen hat, derselbe wieder im Jahr 1792 selbigen Tags endet.“ 46 Tab 1: Einnahmen der Gemeinde aus dem Ungeld. Bier eignete sich auch für die Erhebung von Sonderabgaben. Als im Jahr 1802/ 03 die Gemeindefinanzen saniert werden mussten, wurde der Bierpreis zwangsweise erhöht. Ein Aufschlag von einem Pfennig auf importiertes Weißbier und einem Kreuzer (vier Pfennig) auf importiertes Braunbier, das qualitativ hochwertiger und entsprechend teurer war, führte nach Vorausberechnungen zu Einnahmen von 1.585 Gulden für die Marktgemeinde. 47 Mit diesem Geld sollten Schulden, die durch Einquartierungen und Truppendurchzüge während der Koalitionskriege entstanden waren, bezahlt werden. Das Geld floss wiederum zu großen Teilen an die Brauer zurück, die die Quartierlasten während des Aufenthalts von französischen Truppen getragen hatten. 48 46 StaatsAA, Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. 47 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 74. 48 Ebd., 70. 0 10 20 30 40 50 60 1690 1691 1692 1693 1695 1696 1697 1698 1700 1701 1702 1703 1704 1705 1706 1708 1709 Entwicklung der Einnahmen aus dem Ungeld 1690-1709 in Gulden (gerundet) <?page no="397"?> Bierbrauen auf dem Land 397 3. Die Brauereien im 19. Jahrhundert Mit der Übernahme der Herrschaft durch das spätere Königreich Bayern änderte sich die lokale Braukonstellation. Im Kurfürstentum Bayern war im Jahr 1799 der Bierzwang abgeschafft worden, seitdem konnten die Wirtschaften frei wählen, von welcher Brauerei sie ihr Bier bezogen. Darüber hinaus wurden Beschränkungen bezüglich der Ausstattung der Brauereien aufgehoben - damit wurde die Möglichkeit zur freien Ausweitung der Produktion geschaffen. 49 Außerdem fielen durch die großräumige Eingliederung ganz Bayerisch-Schwabens die ehemals bestehenden Herrschaftsgrenzen weg, das Bier konnte somit außerhalb der ehemaligen hochstiftischen Herrschaftsgebiete ohne Probleme verkauft werden. Dadurch wurde vor Ort eine neue Konkurrenzsituation für die Bierbrauer geschaffen, die sich auch in unterschiedlichen Bierpreisen für Bier ausdrückte. Nach Aufzeichnungen des Pfarrers Johann Nepomuk Kriehofer zum Bau des Pfarrhauses im Jahr 1817 kostete die Maß Braunbier aus Augsburg zehn Kreuzer, während die Maß Braunbier aus Zusmarshausen nur sechs Kreuzer kostete. Ähnlich verhielt es sich beim Weißbier: Die Maß aus Augsburg kostete sieben Kreuzer, aus Zusmarshausen nur vier Kreuzer. 50 Zwar war der Bierpreis aufgrund einer Hungersnot in diesem Jahr höher als sonst, 51 die unterschiedlichen Preise sind dennoch auffällig. Dies wurde im Jahr 1821 noch weiter verschärft. Die Gemeinde musste in den Jahren nach den Napoleonischen Kriegen enorme Kriegsschulden stemmen und an die bayerische Staatsregierung abführen. Da die Bewohner bereits unter hohen Lasten litten, wurden auf auswärtige Konsumprodukte Abgaben erhoben: Für jeden Liter Bier, der in die Gemeinde eingeführt wurde, musste ein Pfennig Sondersteuer gezahlt werden. 52 Dies bedeutete einerseits eine Stärkung der lokalen Brauereien, andererseits wurde damit auch die Sonderabgabe auf Bier, die noch unter der Herrschaft des Hochstifts Augsburg eingeführt worden war, weiterhin beibehalten. Aus der Agrikolstatistik des Jahres 1830 geht hervor, dass auf dem Gebiet der Gemeinde Zusmarshausen auch Hopfen angebaut wurde. Auf einer Fläche von etwa einem 1/ 4 Hektar wurde Hopfen für den Selbstverbrauch der Gemeinde angebaut; der Ertrag belief „sich auf 2 Zentner guter Qualität per Zentner 36 Gulden im Geldanschlage.“ 53 Ansonsten ist über den Hopfenanbau nichts überliefert. Bis zum Jahr 1865 war in Bayern das Brauen nur in den kühlen Monaten gestattet, von Michaeli (29. September) bis Georgi (23. April), da im Sommer die Qualität 49 K OHLBERGER : Sommerbierkeller, 174; E YMOLD , Ein Münchner, 32-35. 50 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 79. 51 R AAB , Jahr ohne Sonne; M ÜLLER , Hunger in Bayern, 11-44. 52 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 76. 53 StaatsAA, Regierung des (3.) Oberdonaukreises, Kammer des Innern 1975, Agrikolstatistik des Landgerichts älterer Ordnung Zusmarshausen, 1830, 6. <?page no="398"?> Felix Guffler 398 von gebrautem Bier nicht garantiert werden konnte. In den frühen Monaten des Jahres wurde daher das weniger haltbare obergärige Bier (Winterbier) ausgeschenkt. Das untergärige Bier (Sommerbier) konnte bei guter Kühlung immerhin lange Zeit gelagert werden; es war für die ganzjährige Versorgung der Bevölkerung mit Bier entscheidend. Die Lagerung des untergärigen Biers erforderte daher geeignete Voraussetzungen für eine dauerhafte Kühlung: die Bierkeller. Dorthin wurde das gebraute Bier in Fässern gefahren. Neben diesen technischen Voraussetzungen spielte auch die oben beschriebene Konkurrenzsituation vor Ort eine entscheidende Rolle für das Entstehen von Bierkellern im Lauf des 19. Jahrhunderts in ganz Schwaben. Aus diesen Gründen entstanden damals in ganz Schwaben sogenannte „Sommerbierkeller“. 54 In Zusmarshausen ist der Bau mehrerer Bierkeller überliefert. So finden sich im Marktbuch der Gemeinde aus den 1830er Jahren folgende Einträge: „Anno 1833 hat der Bräuer Georg Wall, Haus Nr. 14, für seinen Sommerkeller einen Platz am Gemeindewald im Vogelherd gegen einen Holzgrund beim Kannenbauer-Hölzle eingetauscht.“ 55 Georg Wall war Inhaber von Glaser-Bräu; der Vogelherd ist ein Höhenzug an der Straße nach Horgau, gegenüber dem Rothsee. Nach Leonhard Both und Franz Helmschrott wurde dieser Bierkeller bis 1900 genutzt und später abgebrochen. 56 Drei Jahre später ist für den Unteren Bräu ebenfalls der Bau eines Sommerbierkellers verzeichnet: „Anno 1836 hat der Bräuer Martin Heinle, Haus Nr. 72, zum Bau eines Sommerkellers am Roten Berg gegen Mitternacht an der Straße von der Gemeinde einen Platz erhalten, wofür er 25 fl bezahlen mußte. Auch wurde bewilligt, daß von der Einfahrt nach Vallried bis zum Sommerkeller in gerader Linie ein Fußweg angelegt werden darf. - Da der ausgemittelte Platz für den Sommerkeller des Michael Heinle zu beschränkt war, wurde ihm ein weiterer im Maße gleicher Platz ausgewiesen, wofür er ebenfalls 25 fl bezahlen mußte.“ 57 Der Bierkeller lag in einem Waldstück an der äußersten Peripherie des Gemeindegebiets, umgeben von Fluren der angrenzenden Gemeinden Wollbach und Vallried. 58 Dort wurde bis in die Zeit der Weimarer Republik Bier ausgeschenkt. 59 Noch ein weiterer Bierkeller muss bestanden haben, da der Brauer Matthias Welzhofer, der Inhaber des Löwenbräu im Jahr 1879 neben seinem Bierkeller ein Fasshaus bauen ließ. 60 Demzufolge wurde das Bier in den Sommerkellern nicht nur 54 K OHLBERGER , Sommerbierkeller; F IEDER , Eisgekühlter Gerstensaft. 55 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 81. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Vgl. Anonym, Urkartierungen Zusmarshausen-Vallried 1842. 59 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 81. 60 StaatsAA, Baupläne Zusmarshausen, Zusmarshausen Jg. 1874, Bauplan zu einem anzuerbauenden Faßhause für den Bierbrauereibesitzer Mathias Welzhofer in Zusmarshausen. <?page no="399"?> Bierbrauen auf dem Land 399 gelagert, sondern mittlerweile auch ausgeschenkt. Fasshäuser dienten ursprünglich der Lagerung nicht benötigter Fässer; doch mit der Zeit wurden dort überwiegend Bänke, Tische und Gläser für die Gäste untergebracht. Gekühlt wurden die Bierkeller mit Eis, das im Winter aus zugefrorenen Seen geschlagen wurde. Abb. 1: Aus einem Eisweiher an der Roth wurden die Eisblöcke für die Kühlung der Sommerkeller geschlagen. Dieses Bild entstand in einem Winter um das Jahr 1910; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. Für die jüngere Biergeschichte Zusmarshausens war das Jahr 1871 bedeutsam. In diesem Jahr erwarb der Schlossgutverwalter Matthias Schwarz aus Remshart bei Günzburg den Glaser-Bräu bzw. das Gasthaus zum Grünen Baum für seinen Sohn Leopold. Aus diesem Unternehmen, das später in Schwarzbräu umbenannt wurde, entwickelte sich langfristig der überregional bekannte Brauereikonzern. 1871 indes wurde nur für den eigenen Verbrauch im Wirtshaus produziert, später wurden auch Wirtschaften in den benachbarten Orten Wollbach und Wörleschwang beliefert. 61 Unter Schwarz wurde 1884 die Malzdarre der Brauerei modernisiert und ausgebaut; 62 auch ein Bierkellerprojekt für die Jahre 1884 bis 1886 ist überliefert. Er beantragte 61 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 274. 62 StaatsAA, Baupläne Zusmarshausen, Zusmarshausen Jg. 1884, Bauplan für Herrn Leopold Schwarz, Bräuer in Zusmarshausen zur Vornahme einer Hauptreparatur an der Malzdörre. <?page no="400"?> Felix Guffler 400 den Bau eines Lagerbierkellers auf dem Areal seiner Brauerei und Gastwirtschaft - mitten im Ort selbst. 63 Damit wurde der Lagerkeller direkt in den Produktionsvorgang integriert, womit der aufwändige Transport der Bierfässer von der Brauerei in den Sommerkeller entfiel. 1890 sind nochmals Umbauten im Brauhaus belegt, allerdings vor allem im Bereich des Wirtshauses. 64 Diese Schritte und Baumaßnahmen führten zu einem konzentrierten und qualitativ höherwertigen Brauprozess, durch den sich Schwarz nach und nach von seinen Konkurrenten im Ort abhob. 65 Ob dies mit Qualitätsproblemen beim Bier zusammenhing, die im Jahr 1877 bei Visitationen in sämtlichen Gemeinden des Landgerichts Zusmarshausen moniert wurden, konnte nicht rekonstruiert werden. 66 4. Brauereien und Bierpreise im frühen 20. Jahrhundert Auskunft über die Lage des Brauwesens vor Ort geben die Rechnungen über den Lokalmalz- und Bieraufschlag im Gemeindearchiv Zusmarshausen. 67 Diese sind für die Jahre 1909 bis 1921 überliefert. Beim Lokalmalzaufschlag handelte es sich um eine innere Verbrauchsabgabe, die von den im Ort ansässigen Brauereien zu entrichten war; der Bieraufschlag war hingegen ein gemeindlicher Einfuhrzoll für außerhalb der Gemeinde gebrautes Bier. Den Lokalmalzaufschlag mussten die Brauereien für in der Gemeinde konsumiertes Bier bezahlen. Bier, das die Brauereien außerhalb der Gemeinde verkauften, unterlag hingegen dem Bieraufschlag. Dieser wurde jedoch von den ausschenkenden Gaststätten vor Ort an die anderen Gemeinden entrichtet. Mit der Möglichkeit, einen Malzaufschlag zu erheben, unterschied sich die Gemeinde Zusmarshausen von allen umliegenden Gemeinden, in der keine Brauereien (mehr) ansässig waren. 68 Die Rechnungen belegen, dass im Ort nun auch Bier aus Augsburg ausgeschenkt wurde. Die Gasthäuser bestellten bei Prügelbräu und Hasenbräu, bei der Aktienbrauerei Prinz Carl von Bayern, bei der Brauerei Hausbrendel und der Brauerei Glück in 63 StaatsAA, Baupläne Zusmarshausen, Zusmarshausen Jg. 1886, Bau-Plan zur Erbauung eines Lagerbier-Kellers unter das Oekonomie-Gebäude des Herrn Leopold Schwarz Bierbrauereibesitzer in Zusmarshausen. 64 StaatsAA, Baupläne Zusmarshausen, Jg. 1890, Bauplan für Leopold Schwarz. 65 Im Brandbuch der Freiwilligen Feuerwehr Zusmarshausen ist für den 19. Oktober 1887 vermerkt, dass „dem Bierbrauer, Herrn L[eopold] Schwarz für das gelegentlich des Brandes bei ihm verabreichte Bier an die Mannschaften herzlichen Dank ausgesprochen wird.“ 66 Amtsblatt des Königlichen Bezirksamtes Zusmarshausen 45 (6.10.1877), 173f. 67 GemeindeAZ, R VIII 941, Lokalmalz- und Bieraufschlag. 68 C OHEN , Malz- und Bieraufschlag, 172. <?page no="401"?> Bierbrauen auf dem Land 401 Abb. 2: Ein Bierverkaufsstand von Schwarzbräu, um 1910; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. Göggingen. Während der Laufzeit der Rechnungsbücher wechselten die Brauereien ihre Lieferanten nicht. 69 Von den Brauereien im Ort sind in den Büchern nur noch zwei verzeichnet, die Brauerei Schwarz (ehemals Glaser-Bräu) und die Brauerei Demharter (Unterer Bräu). Aus dem bezahlten Malzaufschlag der Brauereien lassen sich grundsätzliche Unterschiede feststellen. So lagen die Abgaben von Schwarzbräu deutlich höher als diejenigen von Demharter. Schwarzbräu verarbeitete in der Regel mindestens dreimal so viel besteuerungspflichtiges Malz als Demharter. Schwarzbräu war also bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Brauerei im Ort. Der Lokalmalzaufschlag wurde für das gesamte gebraute Bier berechnet. Bier, das aus der Gemeinde ausgeführt wurde und mit dem auswärtige Gastwirte beliefert wurden, fiel jedoch nicht unter diese Steuer. Die Brauereien erhielten daher eine Rückvergütung, wenn sie belegen konnten, wohin sie ihr Bier verkauft hatten. Aus diesen Belegen lassen sich Rückschlüsse auf Lieferstrukturen und Ausfuhrmengen zie- 69 GemeindeAZ, R VIII 941, Lokalmalz- und Bieraufschlag. <?page no="402"?> Felix Guffler 402 hen. Schwarzbräu belieferte demnach in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts Gastwirte in Gabelbach, Kleinried, Rücklenmühle, Steinekirch, Streitheim, Vallried, Wollbach, Wörleschwang - das gesamte Gebiet der heutigen Gemeinde wurde damit abgedeckt - sowie in den umliegenden Orten Herpfenried, Bieselbach, Lindgraben (Gemeinde Horgau), Fleinhausen (Gemeinde Dinkelscherben) und Glöttweng (Gemeinde Landensberg). Da der Betrag an rückläufigem Malzaufschlag etwa die Hälfte der bezahlten Summe ausmachte, kann gefolgert werden, dass etwa die Hälfte des von Schwarzbräu gebrauten Biers damals bereits außerhalb von Zusmarshausen konsumiert wurde. Die Brauerei Demharter führte hingegen nur noch Kleinmengen aus dem Gebiet Zusmarshausens aus. Anhand der Rechnungsbücher lässt sich außerdem die Entwicklung des Bierkonsums in der Gemeinde Zusmarshausen während des Ersten Weltkriegs nachvollziehen. Während die Einnahmen aus dem Bier- und Lokalmalzaufschlag in den Vorkriegsjahren stets deutlich über 2.000 Mark lagen, sanken sie kontinuierlich bis auf unter 500 Mark im Jahr 1918. Im Jahr 1921 hatten sich die Einnahmen auf einem niedrigen Niveau bei immerhin 1.332,55 Mark verstetigt. 70 Betrachtet man den Lokalbieraufschlag, so zeichnet sich das Bild noch deutlicher. Während in der Vorkriegszeit die daraus erzielten Einnahmen kontinuierlich gestiegen waren, sanken sie nach 1914 drastisch ab, sogar über den Krieg hinaus bis mindestens zum Jahr 1921. Es wurde in der Gemeinde also immer weniger auswärtiges Bier getrunken. Während jedoch nach dem Krieg die Einnahmen aus dem Bieraufschlag abnahmen, stiegen sie aus dem Malzaufschlag wieder an. In dieser Zeit wurde also hauptsächlich auf lokal produziertes und wohl auch günstigeres Bier zurückgegriffen. Die Einnahmen aus dem Malzaufschlag nahmen während des Krieges ebenfalls ab, sodass im Jahr 1918 nur noch etwa zehn Prozent der Vorkriegsmenge an steuerpflichtigem Malz verwendet wurde. Durch das Brauen von Dünnbier konnte die Menge an produziertem Bier auf niedrigem Niveau einigermaßen konstant gehalten werden, der Gehalt sank dadurch allerdings massiv. 71 Die Zusmarshausener Brauereien waren allerdings im Vergleich zu anderen Brauereien nicht für die Versorgung des Heeres mit Bier zuständig. Wahrscheinlich waren sie zu klein und der Transport zu umständlich; in der Umgebung waren jedenfalls überwiegend die Brauereien aus Augsburg mit der Belieferung der Armee beauftragt. 72 70 Vgl. GemeindeAZ, R VIII 941, Lokalmalz- und Bieraufschlag, 1921. Die Rechnungsbücher aus den Jahren 1919 und 1920 handeln lediglich Quartale ab und dies auch nicht einheitlich mit zahlreichen Rückbuchungen weshalb ein kompakter Überblick hier nicht ohne weiteres möglich ist. 71 Vgl. M ALEK , Bierbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg. 72 Vgl. BayHStA, Bayerischer Brauerbund 826, Bayerische Heeresbierzentrale Heereslieferungen 1918. <?page no="403"?> Bierbrauen auf dem Land 403 Tab 2: Gemeindeeinnahmen aus dem Malz- und Bieraufschlag. Auch nach Kriegsende blieb der Bierpreis in Zusmarshausen hoch und mit Abgaben belastet. Dies war jedoch kein lokal beschränktes Phänomen, denn in ganz Bayern galten festgesetzte Bierpreise, über die unter anderem die alliierten Reparationen bezahlt werden sollten. Der bayerische Generalstaatskommissar sah sich aufgrund der Proteste gegen die hohen Preise genötigt, in einem Brief an die Preisprüfungsstellen vor Ort - auch im Bezirksamt Zusmarshausen - die Hintergründe darzulegen: „Eine jetzt etwa zwangsweise durchgeführte Bierpreisermässigung würde leicht dazu führen können, dass noch weitere bayerische Brauereien, insbesonders Kleinbrauereien auf dem Lande, eingehen und durch die Unmöglichkeit, sich jetzt mit Gerste zum Mälzen einzudecken, im kommenden Sommer die Bierversorgung Bayerns gefährdet wäre. […] Es wird ferner der Bierpreis, insbesondere auf dem Lande, als Masstab für das Entgelt von Leistungen benützt. Gegen dieses Verfahren, das althergebracht ist, konnte nichts eingewendet werden, so lange der Bierpreis - er hielt sich vor dem Kriege jahrzehntelang auf der gleichen Höhe - stabil war. Da die endgültige Stabilität des Bierpreises noch nicht festgelegt ist, dürfte sich dieses Verfahren zur Zeit nicht empfehlen.“ 73 Darüber hinaus sei der Bierpreis angesichts der aktuellen Aufgaben des bayerischen Staates viel zu niedrig. Im Raume stand außerdem die Sorge, die vorhandenen Rohstoffe könnten bei einem gesteigerten Bierkonsum aufgrund niedrigerer Preise zu 73 GemeindeAZ, A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924, Brief des Generalstaatskommissars an die Regierungen und an die Preisprüfungsstellen vom 28.1.1924. 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918 1921 Gemeindeeinnahmen aus dem Malz- und Bieraufschlag 1910-1921 in Mark kombiniert Bieraufschlag Malzaufschlag <?page no="404"?> Felix Guffler 404 einem Zusammenbruch der ganzjährigen Bierversorgung in Bayern führen. 74 Aus diesem Grund wurde die Preisprüfstelle Zusmarshausen angewiesen, bei den Brauereien die Produktionszahlen zu erfragen. Von den Zusmarshausener Brauereien sind lediglich die Zahlen von Schwarzbräu erhalten: 75 Sudjahr 1913/ 14 1922/ 23 Bierausstoß 2878 Hektoliter 1305 Hektoliter Malzverbrauch 56 Tonnen 22,345 Tonnen Hopfenverbrauch 0,4 Tonnen 0,2 Tonnen Tab. 3: Bierausstoß der Brauerei Schwarzbräu vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Ein deutlicher Rückgang um mehr als die Hälfte ist innerhalb der zehn Jahre zu verzeichnen, wobei, wie oben angemerkt wurde, die Talsohle bereits durchschritten war. Die Zahl der Angestellten von zwei war konstant geblieben. Trotz dieser Feststellungen änderte sich zunächst nichts am Bierpreis vor Ort. An den Marktgemeinderat wurden wohl zahlreiche Beschwerden über den Bierpreis gerichtet, sodass dieser einen Brief an die Preisprüfungsstelle Zusmarshausen sandte und forderte, den festgesetzten Bierpreis aufgrund von Unverhältnismäßigkeit zu senken: „Die im hiesigen Markte bestehenden Bierpreise sind entschieden zu hoch, sie entsprechen nicht mehr den jetzigen Geldverhältnissen, auch sind die zum Leben nötigen Waren bedeutend billiger wie vor ungefähr einem halben Jahr; wird ja doch für den Zentner Gerste jetzt nur 5-7 Mark bezahlt. Das Bier, das unser hier in einen anderen Ort ausgeführt wird, kostet an derselben 36 Pfennig der Liter, während hier 40 Pfennig bezahlt wird. Die hiesigen Gastwirte reden sich nun auf die hier eingeführte Getränkesteuer hinaus, dieselbe beträgt hier nur 3%, während sie in Augsburg 74 GemeindeAZ, A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924, Brief der Bayerischen Landespreisstelle vom 20.2.1924. 75 GemeindeAZ, A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924, Brief der Brauerei Schwarz an das örtliche Bezirksamt vom 26.2.1924. <?page no="405"?> Bierbrauen auf dem Land 405 5% betragen soll, doch ist in vielen Wirtschaften in Augsburg das Bier billiger als hier.“ 76 Der Preis für Bier stand demnach nicht im richtigen Verhältnis zu den Preisen für die Rohstoffe. Da diese gesunken seien, wäre nun Spielraum vorhanden, den Bierpreis im Ort zu senken. Außerdem sei der Bierpreis im Ort, verglichen mit dem in Augsburg zu hoch, obwohl die Steuern in Augsburg höher seien. Die Bezirkspreisprüfungsstelle Zusmarshausen folgte dieser Argumentation und regte bei der Bayerischen Landespreisstelle an, die Bierpreise nachzuprüfen, „da seit der letzten Bierpreisregelung verschiedene Rohprodukte, insbesondere die Gerste im Preise nicht unerheblich zurückgegangen seien. Es wird deshalb ersucht, in Erwägung zu ziehen, ob nicht für die Brauereien der Ganterpreis herabgesetzt werden könnte. In der Vorkriegszeit begnügten sich die Wirte mit einem Schanknutzen von 4 bis 5 Mark pro Hektoliter. Es sei zugegeben, daß in größeren Städten mit Rücksicht auf den Zurückgang des Konsums ein derartiger Schanknutzen zur Deckung der Unkosten und zur Erzielung eines angemessenen Gewinnes nicht mehr ausreichend ist. Für das flache Land und die kleinen Landstädte ist dies jedoch nicht der Fall, da sämtliche Wirte nebenher noch ein Gewerbe oder eine mehr oder minder große Landwirtschaft betreiben. Der diesen Wirte[n] zugebilligte Schanknutzen steht daher nicht im angemessenen Verhältnisse zu dem für andere Gewerbetreibende als zulässig erachtete Gewinn. Die hiesige Bezirkspreisprüfungsstelle beabsichtigt deshalb für die Wirte des hiesigen Bezirks den Schanknutzen auf 8 Mark pro Hektoliter festzusetzen. Dieser Gewinn erscheint für die Verhältnisse des hiesigen Bezirks als ausreichend, nachdem die Unkosten bei einem Wirte sehr erheblich sind.“ 77 Für die Brauereien bedeutete diese Konstellation also, dass sie ihr Bier zwar zu einem festen Preis (Ganterpreis) veräußern mussten; da die Rohstoffpreise jedoch gesunken waren, waren ihre Gewinne auch wieder gestiegen. Gleichwohl lag der Bierausstoß immer noch deutlich unter dem Vorkriegsniveau. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten die meisten Brauereien ihre Produktion schließlich ein. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die Kronenbrauerei bereits vollständig auf Gast- und Landwirtschaft umgestiegen und hatte das Brauen aufgegeben. Der Zeitpunkt konnte leider nicht festgestellt werden. Später wurde dort Bier von Schwarzbräu ausgeschenkt. 76 GemeindeAZ, A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924, Brief des Marktgemeinderates Zusmarshausen an die Preisprüfungsstelle Zusmarshausen vom 16.6.1924. 77 GemeindeAZ, A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924, Brief der Bezirkspreisprüfungsstelle Zusmarshausen vom 25.6.1924. <?page no="406"?> Felix Guffler 406 Abb. 3: Die Brauerei Löwenbräu von Alois Rothmayr im Jahr 1870; Both/ Helmschrott, Zusmarshausen, Abb. 16. Abb. 4: Die abgebrannte Brauerei am 29. Januar 1903; Gemeindearchiv Zusmarshausen. <?page no="407"?> Bierbrauen auf dem Land 407 Abb. 5: Die ehemalige Kronenbrauerei; Both/ Helmschrott, Zusmarshausen, Abb. 14. 1904 stellte die Brauerei Löwenbräu den Betrieb ein. 78 Dies hing wohl mit einem Brand im Jahr 1903 zusammen, bei dem sie und das Gasthaus vollständig ausbrannten. 79 Ein Bild der Brandruine zeigt die großen Zerstörungen am Gebäude. 1939 folgte schließlich der Untere Bräu (Zum Adler), 80 dort wurde der Betrieb allerdings als Gastwirtschaft weitergeführt. Die Aufgabe der Brauerei ist in diesem Fall einem persönlichen Ereignis geschuldet. Der Inhaber der Brauerei, Gast- und Landwirtschaft, Xaver Demharter, hatte viel Geld in Aktien investiert. Mit dem Schwarzen Freitag und der folgenden Weltwirtschaftskrise verlor er enorm viel Geld; diesen Verlust verkraftete er nicht und wählte daraufhin den Freitod. Danach wurde die Flaschenabfüllanlage noch ein paar Jahre weiterbetrieben. Hierzu beauftragte eine Augsburger Brauerei die Erben; das Bier wurde aus Augsburg in Fässern angeliefert. Der Bierkeller wurde wohl bis zu Demharters Tod genutzt; in den 1970er Jahren wurde der Eingang mit Geröll verfüllt. Nach der Einstellung der Brauerei führten die Erben den Hof als Landwirtschaft und Gastwirtschaft weiter, bis der Enkel des letzten Braumeisters vollständig auf das Hotel- und Gastwirtschaftsgewerbe umstellte. 81 78 K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 898. 79 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, Abb. 16 und 17. 80 K ÖHLER , Historisches Brauereiverzeichnis, 898. 81 Auskünfte von Xaver Demharters Enkel Peter Demharter vom 5.11.2020. <?page no="408"?> Felix Guffler 408 Abb. 6: Ansicht des Unteren Bräu von Xaver Demharter auf einer undatierten Postkarte; Gemeindearchiv Zusmarshausen. Abb. 7: Konrad Schwarz jun. mit seiner Frau Marie, geb. Hausbrendl, und ihren Kindern; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. <?page no="409"?> Bierbrauen auf dem Land 409 Gleichzeitig ist bei Schwarzbräu zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine starke Technisierung und Modernisierung feststellbar. Durch Investitionen in technische Ausstattung, wie einen Benzinmotor oder eine Beleuchtungsanlage, konnte Konrad Schwarz langfristig seinen Bierausstoß erhöhen, außerdem wurde der Absatzbereich stark ausgeweitet. Als nach dem Ersten Weltkrieg sein gleichnamiger Sohn den Betrieb übernahm, wurde das Unternehmen vollends auf das Bierbrauen ausgerichtet. Die Landwirtschaft wurde eingestellt und die Grundstücke verpachtet. 82 Schwarz heiratete standesgemäß Marie Hausbrendl, die Tochter des Augsburger Brauereibesitzers Fritz Hausbrendl. 83 Abb. 8: Das Gasthaus von Schwarzbräu um 1930; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. 82 B OTH / H ELMSCHROTT , Zusmarshausen, 274. 83 Brauerei Schwarzbräu, Marie Hausbrendl. <?page no="410"?> Felix Guffler 410 5. Resümee Insgesamt gesehen setzten auch in der Gemeinde Zusmarshausen Konzentrations-, Rationalisierungs- und Technisierungsprozesse ein, die eine Veränderung in der Brauereistruktur zur Folge hatten. Von den vier Brauereien, die über Jahrhunderte Bestand gehabt hatten, blieb eine übrig. Hierbei war die strategische Richtungsentscheidung hin zu einer Großbrauerei mit immer größeren Produktionsmengen, die im Umland nach und nach eine Monopolstellung aufbauen konnte, die Voraussetzung für das Überleben in dem sich verschärfenden Konkurrenzkampf um die Kunden vor Ort. Die Abkehr von der Verknüpfung der Brauerei mit der Landwirtschaft zeugt somit im Vergleich zum Unteren Bräu vom Erfolg dieser strategischen Neuausrichtung. Damit folgte die Entwicklung der Zusmarshausener Brauereigeschichte dem allgemeinen Trend in Bayerisch-Schwaben: Die in den Städten bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts sich abzeichnenden Konzentrationsprozesse schlugen aufgrund der kleindimensionierten ländlichen Strukturen erst verzögert, dann jedoch massiv durch. 84 Abb. 9: Der Gärkeller von Schwarzbräu in den 1930er Jahren. In den Bottichen geschah die „Offene Gärung“; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. 84 F IEDER , Industrialisierung und Brauereisterben, 27; S TRUVE , Entwicklung des Braugewerbes, 26f.; L AUFER , Brauwesen in frühindustrieller Zeit, 292-296; T EICH , Bier, 329-343. <?page no="411"?> Bierbrauen auf dem Land 411 Abb. 10: Der Lagerkeller von Schwarzbräu in den 1930er Jahren. Erbaut wurde er bereits in den 1880er Jahren; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. Abb. 11: Bild Schwarzbräu Mälzerei: Die Mälzerei von Schwarzbräu in den 1930er Jahren; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. <?page no="412"?> Felix Guffler 412 Abb. 12: Das Sudhaus von Schwarzbräu in den 1930er Jahren; Fotosammlung Brauerei Schwarzbräu Zusmarshausen. Quellen und Literatur Archive Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) - Bayerischer Brauerbund 826. Gemeindearchiv Zusmarshausen (GemeindeAZ) - A VIII 8061-1, Akten der Preisüberwachung 1923-1924. - B VIII 6512, Grundsteuerkataster. - R VIII 941, Lokalmalz- und Bieraufschlag. - R VIII 9520, Jahresrechnungen. Staatsarchiv Augsburg (StaatsAA) - Baupläne Zusmarshausen. <?page no="413"?> Bierbrauen auf dem Land 413 - Hochstift Augsburg, NA, Akten 539. - Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1557_1, Pflegamtsbericht Zusmarshausen. - Hochstift Augsburg, NA, Lit. 1575. - Landesdirektion in Schwaben 1249. - Regierung des (3.) 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Brauerei Schwarzbräu: Marie Hausbrendl, https: / / www.marie.bayern/ de (zuletzt aufgerufen: 10.11.2020). <?page no="415"?> Ortsregister - A - Aachen 64, 273 Aichach 31, 83, 89, 121, 124f., 160, 277 Aldersbach, Kloster 15 Allgäu 15, 42, 216, 256, 276, 280, 284, 314, 317, 321f., 331, 347, 350, 373 Altbayern 16f., 96, 155, 158, 160, 169, 215, 277, 314 Altdorf, Lkr. Nürnberg 283 Altenau 133 Altenmünster 123 Altomünster 121, 126 Altstädten 357 Altusried 52, 119-121, 317 Alzenau 129 Amerika 74, 308 Anhofen 120, 125 Angelberg, Herrschaft 176 Apfeltrach 299 Arlesried 41 Arnstein 129, 136 Arosa 333 Aschaffenburg, Landkreis 129f., 145 Aschaffenburg, Stadt 110, 146 Attenhausen 40 Aufheim 120, 123f., 126 Aufseß 185 Augsburg, Hochstift 171, 174, 274, 389f., 392-395, 397 Augsburg, Landkreis 81, 284 Augsburg, Stadt 30, 35f., 41f., 45- 51, 55, 81, 91-93, 121-123, 171f., 175, 216, 231, 255f., 272, 274-276, 279, 281, 283, 285f., 289, 306, 352, 389, 397, 400, 402, 404f., 407, 409 - B - Babylon 166 Baden-Baden 330 Baden-Württemberg 272 Balderschwang 42 Bamberg, Domkapitel 107 Bamberg, Hochstift 20f., 101, 103f., 155, 187f., 190, 192f., 197, 199f., 203f., 206, 208, 210 Bamberg, Landkreis 130 Bamberg, Stadt 102-106, 111f., 155, 158, 231 Banz, Kloster 111f. Baunach 197 Bayerisch-Schwaben 16, 29, 81, 96, 119, 171, 176, 215-217, 256, 271, 275, 283, 287, 290, 325, 389, 397, 410 Bayerischer Wald 169, 335 Bayern, Freistaat 15, 17-19, 49, 53f., 89, 134, 215, 403f. Bayern, Herzogtum 17, 69, 155f., 158, 161, 169, 171, 277f., 282, 300 Bayern, Königreich 16, 21, 49, 81, 83, 85, 103, 105, 112, 119, 179, 185, 210f., 215, 218-234, 237f., 240, 243-246, 248f., 251, 253f., 257, 271, 278, 284, 325, 342, 348, 361, 376, 390, 397 Bayern, Kurfürstentum 72f., 161, 169, 171, 176, 179, 278, 286f., 304, 390, 397 <?page no="416"?> Ortsregister 416 Bayern-Landshut 160 Bayersried 364 Bayreuth, Markgrafentum 192 Bayreuth, Stadt 109 Benningen 40 Bergheim 124f. Bergrheinfeld 130 Berlin 130, 226f. Bernbach 120, 124f. Biberbach 48f., 93 Biberachzell 119, 124 Biburg 119, 125 Bieselbach 402 Bischberg 106 Bischbrunn 146 Bissingen 81, 85, 89-91, 93, 95 Blöcktach 317 Bobingen 34f., 47 Böhen 40 Böhmen 103, 283 Boos 41, 124f. Brachstadt 43 Brandenburg, Mark 73 Brandenburg-Bayreuth, Markgrafschaft 207-210 Brandenburg-Kulmbach, Markgrafschaft 109 Brandenburg-Preußen, Herrscherhaus 171 Breitenbrunn 120, 124 Breitengüßbach 105, 111, 113 Bubesheim 120 Buchloe 94, 335 Burgau, Markgrafschaft 33, 37-39, 389 Burgau, Stadt 84, 91-95, 235 Burggaillenreuth 192 Burghausen 156 Burgkunstadt 206 Burgpreppach 129, 142 Burkheim 204 Buttenheim 192 Buxach 41 Buxheim 274 - C - Cloppenburg 130 Coburg 105, 113 Churpfalz 72 - D - Dahlem 130 Daiting 121, 123-125 Dankelsried 41 Degenberg 169 Deutsches Reich 215, 218-220, 222f., 225, 231-233, 246, 250f., 253, 255, 257 Deutschland 63f., 74f., 146, 161, 248, 271, 275, 281 Dickenreishausen 41 Diebach 138 Dienheim 191 Dietmannsried 317 Dijon 283 Dillingen a. d. Donau 84f., 92f., 174, 335, 389 Dillingen, Rentamt 174 Dinkelscherben 42, 177, 402 Döpshofen 35 Donau, Fluss 102, 275, 389 Donaumünster 43 Donauwörth 92, 95, 171, 275 Dorschhausen 119, 123f. Drosselfingen 30 <?page no="417"?> Ortsregister 417 - E - Ebensfeld 105, 107f., 111 Ebermannstadt 21, 185, 187f., 191- 203, 206-210 Ebern 112 Edelstetten, Damenstift 33 Ederheim 35 Egg 40 Eggenthal 364 Egloffstein 191 Eheim 40 Ehingen 119f., 123-125 Eisbrunn 85-88 Eisenach 113 Eisenheim 206 Elchingen 274 Elsass 272 England 74, 308 Ensfeld 176 Eppishausen 120, 124 Erfurt 102, 112 Erkheim 40 Erlingshofen 43 Eschacher Weiher 318 Esselbach 110 Ettal 286 Euerbach 129 Europa 74, 215, 272, 347 Eutenhausen 124 - F - Fellen 145 Fellheim 30 Feuchtwangen 236 Fichtelgebirge 102 Fladungen 129 Fleinhausen 402 Forchheim 104, 109, 111, 193 Frammersbach 129-131, 138, 143, 147 Franken 15-17, 21, 155, 158, 185, 198, 201, 215 Frankenalb 104 Frankenthal 111 Frankenwald 106 Frankfurt am Main 146 Fränkischer Jura 185 Fränkische Schweiz 112, 185, 187 Frankreich 326, 329 Frechenried 40 Freising 282, 285, 314, 341, 378 Frensdorf 130 Friedberg 42, 83, 89, 160, 277 Friesenried 317 Fürth 251f. Füssen 18, 256, 373 - G - Gabelbach 402 Gefrees 109 Geisenfeld 166 Geisenried 120, 126 Gemünden 137 Gerbrunn 141 Gersthofen 120 Giech 190 Glött 124 Glöttweng 402 Gnodstadt 133, 139, 141 Göggingen 85, 124f., 401 Görisried 175 Gotha 251, 329 Gößmannsberg 208 Griechenland 146 Grönenbach 84, 93, 317 Günz 40 Günzach 306, 317 <?page no="418"?> Ortsregister 418 Günzburg 84f., 93f., 96, 399 Gundelfingen 120, 123f., 161, 277 - H - Häder 177 Hagenbach 191f. Haibach 145 Haldenwang 314 Hallertau 167, 283, 314 Hamburg 65 Hammelburg 130 Hardt 191 Harthausen 92 Haßberge, Landkreis 129, 142 Hausen 133, 299 Hawangen 40 Hegge 329 Heimertingen 41 Helsinki 142 Hergensweiler 120 Herpfenried 402 Hersbruck 283, 352 Hetzelsdorf 207 Hochaltingen 120, 123-125, 179 Hochstadt am Main 108-111 Höchstädt 81, 95, 160f., 277 Hof 102, 111 Hohenwart 286 Holland 103 Hollfeld 187, 203, 206 Holzschwang 120, 124 Hopfen 314 Hopferau 18, 120, 125, 314 Hopferbach 18, 314 Hopferried 18, 314 Horgau 398, 402 Hürnheim 30, 35 Hüttenwang 317 - I - Iller, Fluss 175, 316f. Illereichen-Altenstadt 123, 125 Illertissen 91, 124 Immenstadt im Allgäu 319 Ingolstadt 156, 160, 165 Ingolstadt, Teilherzogtum 160 Irsee 47, 274 Italien 146 Itzgrund 105, 109f. Itzing 176 - J - Jettingen 35, 39 - K - Kahl am Main 130 Kaisheim, Reichsstift 47, 55, 176, 274 Kaltenhausen 104 Kaltenherberg 104 Kammlach 305 Karlins 40 Karolinenhöhe 110, 112 Katharinenberg (Mindelheim) 308 Kaufbeuren 20, 30, 48, 50, 83, 96, 171-173, 216, 256, 275, 279, 284, 347-355, 357-366, 368- 374, 376f., 379-381, 383 Kellmünz 123f. Kemnat 120f., 123 Kempten, Fürststift 18, 47, 171, 174, 176, 179, 274, 276, 313-316, 319, 328 Kempten, Stadt 18-20, 48, 50, 89, 95, 171, 174f., 216, 256, 272, 275, 313-321, 325-329, 331- 333, 335-339, 341-344, 355, 357, 373, 376, 378 <?page no="419"?> Ortsregister 419 Kesseltal 89, 91 Kettershausen 123f., 127 Kiew 102 Kilimandscharo 142 Kirchahorn 206 Kirchhaslach 126 Kirchheim am Ries 177 Bad Kissingen, Landkreis 130, 138 Kitzingen, Landkreis 129, 133 Kitzingen, Stadt 129 Kleinerdlingen 30 Kleinried 402 Kleinsorheim 30 Könghausen 120 Kohlstein 206 Konstanz 319 Kottern 329, 331 Krappenberg 110 Kronach 105, 108, 110, 204 Krumbach 83f., 92-94, 283, 394 Kühbach 286 Kulmbach 102, 104, 111 Kupferberg 206 - L - Lachen 317 Landensberg 402 Landsberg am Lech 305, 364 Landshut 106, 156, 158, 160f., 277 Langenhaslach 33 Langenprozelten 137 Langheim, Kloster 108-110 Lauben, Fuggerherrschaft 41 Laudenbach 136, 146 Lauf an der Pegnitz, Landkreis 130 Lauf an der Pegnitz, Stadt 130 Lauingen 84f., 94, 126, 161, 277 Lautrach 317 Lech, Fluss 29, 277 Leiden 165 Leipzig 102, 105 Lichtenfels, Landgericht 111 Lichtenfels, Stadt 105, 107f., 110- 113 Liegnitz 66 Lindau 18, 92, 256, 274f., 373 Lindgraben 402 London 142, 155 Lüchau 191 - M - Main, Fluss 102, 104-106, 108, 110f. Mainburg 235 Main-Spessart, Landkreis 129f., 136f., 145f. Mannheim 329 Margertshausen 35 Marktoberdorf 83, 96, 256, 279, 373 Marxheim 125 Mattsies 120, 299, 305f. Mauren 93 Meiningen 113 Memmingen 18, 40f., 46, 48, 50, 90, 92, 94, 171, 256, 275, 285f., 309, 321, 332f., 335, 373 Memmingerberg 41 Metten, Kloster 65 Mickhausen 49 Miesbach 255 Miltenberg, Landkreis 130, 136 Miltenberg, Stadt 130 Mindelheim, Herrschaft 287, 295f., 298-300 Mindelheim, Stadt 17, 83, 94, 96, 256, 275, 277, 283, 287, 295- 309, 373 <?page no="420"?> Ortsregister 420 Mittelfranken 54, 102, 129f., 271, 283 Mittelneufnach 121 Möhren 124 Mönstetten 119f., 123f. Möttingen 30 Moggast 198f. Molfsee 130 Monheim, Stadt 85, 176, 277 Monheim, Vogtei 176 Moosburg 235 München 18f., 81, 89, 92f., 119, 132, 136, 146, 156, 158, 160f., 165, 169f., 215, 221, 225-227, 229f., 235, 240, 244f., 248, 250- 252, 254-256, 275, 277, 285, 309, 326, 335, 337, 352, 355, 357, 364, 371, 378, 381 Münster 198 Muggendorf 208-210 - N - Neuburg an der Donau 51, 160, 277 Neuburg an der Kammel 33 Neumarkt-St. Veit 131 Neustadt a. d. Donau 275 Neustadt a. d. Waldnaab 235 Neu-Ulm 83, 91, 96 Niederbayern 54, 102, 156, 160- 162, 271 Niederdorf 40 Niederngrub 192 Niederösterreich 69, 71 Niederrieden 40 Niederschönenfeld 274 Nördlingen 92, 94, 171, 274f. Nordheim 123-125 Nürnberg 65, 71, 73, 102, 104, 111f., 171, 192, 197, 200, 202, 255 Nürnberg-Buch 138 - O - Obenhausen 124 Oberallgäu 18, 51 Oberbayern 18, 49, 51, 54, 81, 101f., 131, 133, 156, 160-162, 235, 255f., 271 Oberegg 120, 124f. Oberelchingen 274 Obereßfeld 140, 145 Oberfranken 15, 20f., 54, 102, 129f., 185, 271 Obergünzburg 83, 94, 174f., 366 Oberholzgünz 41 Oberkammlach 124f. Oberpfalz 54, 102, 160f., 271, 326 Oberreichenbach 124 Oberrhein 101 Oberschönenfeld 47, 274 Oberschwaben 272 Oberthingau 119f., 124 Oberwesterheim 40 Österreich, Herrscherhaus 171 Österreich, Land 274 Oettingen, Grafschaft 177, 179, 274 Oettingen, Stadt 84f., 92 Offenbach 146 Ollarzried 40 Oppertshofen 43, 123f. Osnabrück 198 Ostalbkreis 177 Osterberg 127 Ostschwaben 29 Ottobeuren 40, 46f., 274, 276, 306 Oxenbronn 120, 123f., 126 <?page no="421"?> Ortsregister 421 - P - Peulendorf 190 Pfaffenhausen 299 Pfalz-Neuburg, Fürstentum 161, 277 Pfalz 92, 250 Pfersee 120, 123 Pforzen 357 Pfronten-Steinach 125 Pirnbaum 204 Pleß, Fuggerherrschaft 41 Pottenstein 206 Prag 102 Pretzfeld 21, 185, 192-201, 203, 207, 211 Preußen 72, 105 Prittriching 30 - R - Rackersberg 206 Raetien 272 Rain am Lech 84, 96, 160, 274, 277, 286 Rechtenbach 136, 142 Regensburg 102, 170, 271, 326 Regnitz, Fluss 102, 106 Reichenau, Kloster 29 Reinhardshausen 119 Remshart 123, 399 Rennertshofen 126 Rettenbach 41 Rettenberg 55, 276f. Rettingen 43 Reutte 321 Reutti 120f., 123f. Rhein, Fluss 106, 221, 226f., 271 Rhön-Grabfeld, Landkreis 129, 133, 140, 142 Ries 30, 53, 89, 274 Rimpach, Schloss 276 Rodach, Fluss 106, 110 Rödelsee 129 Rögling 176 Roggenburg 47, 89, 96, 274 Rothenbuch 129f. Rothsee 398 Rücklenmühle 402 Rummeltshausen 40 - S - Saaz (Böhmen) 283 Sachsen 102-105, 232 Sachsendorf 203 Sachsen-Gotha 72 Salzburg 165 St. Gallen 18, 29, 167, 272f., 282, 314f. Scheppach 121, 123 Scheßlitz 102, 190 Scheyern 286 Schlammersdorf 191 Schlegelsberg 40 Schleswig-Holstein 130 Schonungen 133 Schrobenhausen 160 Schwabach 112 Schwabegg, Herrschaft 176 Schwaben 15-19, 21, 29, 33, 42, 47, 49-51, 53-55, 81-83, 102, 119, 158, 165, 169, 171f., 179, 215, 217, 271f., 274, 278, 280-284, 286, 289, 290, 317, 319, 321, 326, 331, 382, 398 Schwaben, Herzogtum 272 Schwabmünchen 256 Schwäbische Alb 272 Schwangau 277 Schweinfurt, Landkreis 129f., 133 Schweiz 101, 142, 272, 328, 333 <?page no="422"?> Ortsregister 422 Schwürbitz 106f. Seinsheim 192 Siegertshofen 119, 126 Sontheim 40 Sonthofen 83, 256, 276, 357, 373 Spalt 283 Spessart 110 Speyer 319 Staffelstein 107f., 111 Stein 119f., 126 Steinberg 357 Steinekirch 121, 402 Steingaden 364 Steinheim 41, 355 Sternberg 140, 142, 145 Stotzard 121, 123f. Strass 124 Straubing 156, 235 Streitberg 191, 208-210 Streitheim 402 Sulzberg 317 Sulzschneid 125 - T - Tapfheim 43, 176 Tegernsee 255 Tettnang 283 Thalhofen 119f., 126 Thannhausen 35, 37, 42, 44 Thierhaupten 53 Thüngersheim 129 Thüringen 105, 110 Tiefenellern 190 Tirol 65, 67, 274, 321 Tölz 285 Trainmeußel 192, 208 Trauchberg, Herrschaft 276 Trieb (Lichtenfels) 109 Trochtelfingen 177 Trockau 206 Tschechien 282 Türkheim 83, 96 Tussenhausen 176 - U - Uetzing (Bad Staffelstein) 101 Ulm 41, 171, 381 Ulm-Söflingen 285 Ungerhausen 40 Unsleben 133 Unterfranken 15, 20, 54, 102, 129, 134f., 271 Unterholzgünz 41 Unterjoch 120 Unterleinleiter 191 Untermeitingen 177f. Unterreitnau 124, 127 Unterwesterheim 40 Untrasried 120 Ursberg, Reichsstift 33, 274 Utrecht 165 - V - Vallried 398, 402 Veitshöchheim 129 Vierzehnheiligen, Wallfahrtsort 107, 112 Vöhringen 121 Vogelherd 398 Volkach 129 Volkratshofen 41 Vorarlberg 328 - W - Waischenfeld 187, 205f., Wallerstein 81, 89f., 93, 177, 179, 274 Waltenhofen 317 <?page no="423"?> Ortsregister 423 Wangen 171 Wannbach 192 Wechingen 30 Weihenstephan 216, 251f., 286, 331f., 378, 381 Weismain 203f., 206 Weißenhorn 124, 127, 275 Wemding 85, 121, 277 Wernfeld 145 Werra, Fluss 113 Wertach, Fluss 347, 350 Wertingen 35, 38, 84f., 90, 93-95 Westerried 317 Westfalen, Königreich 103 Wettenhausen 120, 123, 274 Wetzlar 207 Wien 197, 199, 201, 203, 207, 320 Wiesenthau 191 Wiggensbach 317 Wildpoldsried 120f., 123f., 175 Windischgaillenreuth 192 Bad Windsheim 130 Winterbach 120, 123f. Wismar 65 Wittesheim 176 Wittislingen 30 Wöhr 209 Wölm 191, 208 Wörleschwang 399, 402 Wörth am Main 130 Wohlmannsgesees 192, 208 Wolfertschwenden 40, 55 Wolkenberg 174f., 317 Wollbach 395, 398f., 402 Woringen 41 Worms 66, 71, 194 Württemberg, Herzogtum 72, 92, 232, 253, 271, 300, 308 Württemberg, Herrscherhaus 171 Würzburg, Landkreis 129, 141 Würzburg, Stadt 102f., 106, 130, 335, 378 - Z - Zimmerau 140 Zimmern 274 Zöbingen 177 Zusam, Fluss 389 Zusmarshausen 19, 41-43, 47, 55, 84f., 92-94, 96, 389-395, 397- 400, 402-405, 410 <?page no="424"?> Personenregister - A - Abensberg-Traun, Familie 171 Albrecht IV. der Weise, Herzog von Bayern 160 Angerer, Joseph 175 Arnoldus de Villa Nova 64 von Aufseß, Herren 206 Augustinus 70 - B - von Baden-Durlach, Bernhard Gustav, Fürstabt von Kempten 317 Barth, Hofkammerrat 395 Baur, Rosalia 42 Bausenwein, Paul 341, 373, 377- 379, 381 Bausenwein, Cornelie 341, 379 Beatles 131, 148 Benedikt von Nursia, Heiliger 272 Bengl, Johann 339 Berthold von Regensburg 70f. Biechteler, Otto 338f. Binswanger, Leopold 352 Blanco, Roberto 131 von Bodman, Rupert, Fürstabt von Kempten 175, 317-319 Botzenhardt, Mehlhändler 338 Brandt, Sebastian 69 Bray-Steinburg, Otto von 112 Brettreich, Friedrich von 247 Bschorr, Friedrich Otto 321, 333f. Bürklein, Friedrich 112 - C - Calvin, Johannes 69 Carl Theodor, Kurfürst von Bayern 320 Castelli, Ignaz Franz 320 Chapuis, Familie 331 Christian II., Kurfürst von Sachsen 66 Columban, Ant von Luxeuil 314 - D - Daumiller, Leonhard 338 Demharter, Xaver 407f. von Dienheim, Familie 191 Dippold, Johann 203 Doppelmayr, Friedrich Wilhelm 43 Düwel, Heinrich 339 - E - Egger, Peter 335 von und zu Egloffstein, Familie 191 von Eisenheim, Familie 203 Ekkehard IV., Historiker 273 Elias, Norbert 70 Elizabeth II., Königin von England 142 von Ellerbach, Burkhard, Bischof von Augsburg 389 Endert, Christoph 304 Erasmus von Rotterdam 69 Erb, Pfarrer 209 Espermüller, Fritz senior 359, 382 Espermüller, Fritz junior 382 Espermüller, Gustav Adolf 382 Espermüller, Oscar 382 Espermüller, Oskar 359, 369, 382 Espermüller, Rosina 382 <?page no="425"?> Personenregister 425 - F - Fink, Johann Lorenz 103 Fischer, Jakob 359 Forster, August 309 Forster, Josef 333 Franck, Sebastian 69 Frank, Christian 371 Fries, Johannes 329, 331 Frey, Charlotte Regina, s. Wahl, Charlotte Regina Frey, Johann Michael 43f. Frey, Karl 374 von Frundsberg, Georg II. 295f. Friderich, Matthäus 63, 65, 69 Friedrich I. Barbarossa 172, 274 Friedrich II. 170 Friedrich III., Herzog von Liegnitz 66 Fugger, Familie 49, 171, 275, 301 Fugger, Christoph 287 Funke, Rudolf 252 - G - Galster, Conrad 196 Georg der Reiche, Herzog von Bayern-Landshut 160f. Gerhauser, Lorenz Aloys 31 von Giech, Christian Carl 204 Göppinger, Rudolf 352 Graf zu Trainmäußel, Hanns 192 Groß von Trockau, Ritter 206 Guarinoni, Hippolyt 65-67 Günther, Martin 352 Gunetzrhainer, Johann Baptist 42 - H - Haag, Johannes 380 Handel, Stadtvogt 209 von Hauberrisser, Georg 348, 350, 357 Haugg, Theodor 334, 341, 374, 378 Hausbrendl, Fritz 409 Hausbrendl, Marie, s. Schwarz, Marie Hildegard, Frau Karls des Großen 315 Heckl, Franz Elias 42 Heckl, Rosa 42 Heinle, Martin 391, 398 Heinle, Michael 398 Heinrich VII. 170 Heinrich XI. von Liegnitz 66 Hertrich, Anton 251 Hesselberger, Wilhelm 352 von Hirscheck, Konrad, Bischof von Augsburg 172 Hoderlein, Wolfgang 155 Hoefele, Maria 42 Hofmann, Familie 137 von Hopferbach, Albertus 314 Horchler, Adolf 326f., 335 Hörmann, Joseph Ignaz 43 Humbser, Hans 251f., 255 Humbser, Johann 252 Huß, Jacob 352 - J - Johann Wilhelm, Pfalzgraf 277 Junginger, Emil 339 - K - Karl der Große 101, 167, 288, 315 Karl VII., Kaiser 165 Karoline, Königin von Bayern 110 Kaschbacher, Christian 391 Kesel, Martin 339 Ketz, Haintz 316 <?page no="426"?> Personenregister 426 Kirschner, Max 255, 258 Klonke, Heinrich 43 Kluftinger, Heinrich 339 Kluftinger, Max 355 Kluftinger, Luisa, s. Wahl, Luisa von Knöringen, Heinrich, Bischof von Augsburg 174 Kolleffel, Johann Lambert 33, 37-39 Königsegg-Rothenfeld, Familie 171 Körner, Ignaz 339 Kraisy, Anna Regina 357, 381 Kraisy, Benno 357 Kraisy, Johann Josef 357, 373, 381f. Kraus, Paulus 304 Kreittmayr, Wiguläus 165, 168, 215 Kriehofer, Johann Nepomuk 397 Krummer, Albert 326 Kunz von der Rosen 382 - L - Laub, Tobias 42 Lauk, Ludwig 390 Leichtle, Martin 319f., 328 Leichtle, Johann 320 Lenz, Lorenz 328 Leopold I. 198-202 von Linde, Carl 50, 215, 315, 328 Lipp, Kilian 42 Lippert, Familie 43 von Lüchau, Familie 191 Ludwig IV., der Bayer 170, 187f. Ludwig I., König von Bayern 284 Ludwig II., der Strenge, Herzog von Bayern 169 Ludwig X., Herzog von Bayern 156, 278 Luitpold, Prinzregent von Bayern 326 Luther, Martin 69 - M - Manger, Emilie 133 Maria Leopoldina, Ehefrau von Carl Theodor 320 Martin, Ulrich 133 Maximilian I., Herzog von Bayern 73, 161, 287, 301 Maximilian III Joseph, Kurfürst von Bayern 165 Maxlrain, Familie 301 Mayr, Jacob 390 Mayr, Johann Jakob 391 Mayr, Leonhard 390 Mayr, Lienhart 391 Mayr, Mathes 391 Mayr, Peter Paul 391 von Mengersdorf, Ernst, Bischof von Bamberg 190 Merkt, Otto 335 von Mildner, Friedrich 251, 255 Miller, Familie 43 Möller, Johann 308 Montgelas, Maximilian von 390 Müller, Otto 341, 373f., 377f., 380f. - N - von Neuenstein, Rupert, Fürstabt von Kempten 319 - O - Och, Hans 191 Oettingen, Familie 171 Ottheinrich von Pfalz-Neuburg 277 - P - Paulus, Apostel 70 Pappenheim, Familie 171, 390f., 393f. Paracelsus 70 <?page no="427"?> Personenregister 427 Pfalz-Bayern, Herrscherfamilie 171 Pié, Otto 338 Probst, Cornelie, s. Bausenwein, Cornelie Probst, Julius 357, 379 Pschorr, Familie 216, 251 Pschorr, August 251f., 255 Pschorr, Georg d. J. 251 - R - von Rabenstein, Ritter 205f. von Rechberg zu Hohenrechberg, Grafen 306f. Reisch, Hans 175 Richter, Christoff 202 Riedl, Franz 339 Rohner, Johann 207 Rothmayr, Alois 406 von Rudhart, Ignaz 215 Rudolf I. 313 Rudolf II. 66 - S - Sachs, Hans 69, 74 Sander, Johann Friedrich 200 Sauer, Thaddäus 391 Schachenmayr, Charlotte Luise 332 Schedlbauer, Familie 328f., 333 Schelling, Augustin 318 Schenk von Limpurg, Georg III., Fürstabt von Bamberg 194 Schenk von Stauffenberg, Familie 192 von Schlammersdorf, Familie 191 von Schlüsselberg, Konrad II. 187f. Schmeller, Johann Andreas 166 Schmid, Johannes 355 Schmid, Peter 357 Schmidhuber, Franz 339 Schmidt, Christof 352 Schmidt, Johannes 371 Schnitzer, Familie 329f., 332 Schnitzer, August 321, 329-332, 373 Schnitzer, Eduard 329 Schnitzer, Johann Franz Anton 329, 331 Schnitzer, Hans 330-333, 339, 341 Schnitzer, Martin 329 Schober, Johann Friedrich 200 von Schönborn, Lothar Franz, Fürstbischof von Bamberg 206 von Schönborn-Buchheim, Damian Hugo Philipp, Kardinal 319 Schöpffer, Theodosius 165 Schraudy, Eugen 326, 335, 337-339 Schuberth, Paul 110 Schwarz, Konrad 408f. Schwarz, Leopold 399 Schwarz, Marie 408f. Schwarz, Matthias 399f. Schwarzenberg, Familie 171 von Schweinichen, Hans 66 Schweyer, Georg 359 Schweyer, Gottfried 358f. Sedlmayr, Familie 216 Sedlmayr, Johann 251 Seeg, Jörg 201f. von Seinsheim, Familie 207 Spielberger, Albert 352 Stadion, Familie 171 von Stetten, Paul 45 Stetter, Jakob 318 Stiebar von Buttenheim, Familie 192, 195, 197f., 200f., 207 Stiebar, Endress 195 Stiebar, Georg Pankraz 197f. Stiebar, Hans Christoph 197 Stiebar von Buttenheim, Johann Adam 198 <?page no="428"?> Personenregister 428 Strasser, Justizrat 339 von Streitberg, Familie 191, 208-210 Strüpf, Joseph Ernst 103 - T - Tabor, Johann Otto 165 Tacitus, Publius Cornelius 166 Thurn und Taxis, Familie 171, 389 von Trainmäußel, Familie 208 Trautner, Hanns 208 - V - Vöhlin, Freiherren von 33, 35 Voit von Rieneck, Familie 192 Voit von Rieneck, Philipp Valentin, Fürstbischof von Bamberg 197, 204 Volkhardt, Georg 347, 377, 383 Volkwein, Fritz 339 - W - Waldburg-Zeil, Familie 171 Wahl, Andreas 42 Wahl, Charlotte Regina 374 Wahl, Hugo 355f., 371-374, 376- 379 Wahl, Johann Peter senior 355, 374 Wahl, Johann Peter junior 355f., 371f., 374-377, 379, 381f. Wahl, Luisa 355, 374 Wahl, Ursula 42, 332 Walch, Familie 351f. Walch, Georg Adolf 352 Walch, Gustav Albert 352 Walch, Gustav Theodor 351f. Walch, Johann Georg d. J. 351 Walch, Jonas Daniel 351 Walch, Theodor 352 Waldmann, Ruth 132 Wall, Georg 398 Wall, Johann Georg 391 Wanner, Georg 394 Wanner, Jacob 352 Wäßle, Willibald 328, 334 Weber, Gallus 43 Weissenfeld, Max 309 Weixler, Familie 321, 329f., 332 Weixler, August 330f., 333, 339, 341 Weixler, August Theodor 332-334 Weixler, Caspar August 332f. Weixler, Johann Georg 332 Weixler, Robert Hermann 332-334 Welzhofer, Matthias 391, 398 Wiedemann, Ernst 354 Wiedemann, Fritz 359, 382 Wiedemann, Gabriel 354 Wiedemann, Jakob 353 Wiedemann, Katharina 353 Wiedemann, Richard 355 Wiedenmann, Hans 391 von Wiesenthau, Familie 192 Wilhelm II., deutscher Kaiser 218 Wilhelm IV., Herzog von Bayern 156f., 278 Wittelsbacher, Familie 169, 304, 320 zu Wohlmannsgeseeß, Hanns Friedrich 208 - Z - Ziegerer, Anna Regina, s. Kraisy, Anna Regina Ziegerer, Julius 357 Ziegerer, Maria 357 Ziegerer, Otto 357 Ziegerer, Xaver 357 Zwingli, Huldrych 69 <?page no="429"?> Brauereiverzeichnis - A - Aktienbrauerei Mindelheim A.G. 309 Aktienbrauerei Kempten 321f., 333- 335, 337, 340f., 343f., 374 Aktienbrauerei Prinz Carl von Bayern (Augsburg) 400 Aktienbrauerei zur Traube (Kaufbeuren) 350, 352-354, 379 Aktienbrauerei zur Traube und Löwe (Kaufbeuren) 341, 349-356, 359, 364-374, 377, 379f., 384 Allgäuer Brauerbund 362 Allgäuer Brauereivereinigung 256, 331, 333, 339, 373f., 377, 379, 381 Allgäuer Brauhaus AG (Kempten) 18, 315, 321f., 328, 330-333, 335, 337, 340f., 343f., 373 - B - Bayerischer Brauerbund 216, 219, 230f., 247, 250-257, 339, 373, 376, 379 Brauerei Bayerischer Hof (Kempten) 316, 335, 343 Brauerei Demharter (Zusmarshausen) 401f., 408 Brauerei Glück (Augsburg) 400 Brauerei Goldene Traube (Kaufbeuren) 349, 351f. Brauerei Graf Dürckheim-Montmartin (Steingaden) 364 Brauerei Grüner Baum (Kaufbeuren) 357 Brauerei Hausbrendel (Augsburg) 400, 409 Brauerei Johann Humbser (Fürth) 252 Brauerei Kühbach 286 Brauerei Lederle (Bayersried/ Eggenthal) 364 Brauerei Lorenz Stötter (Augsburg) 121 Brauerei Stadt Hamburg (Kempten) 335, 343 Brauerei St. Lorenz (Kempten) 335 Brauerei Weihenstephan 230 Brauerei zum Bauerntanz (Kempten) 321, 331 Brauerei zum Deutschen Kaiser (Kempten) 321, 330 Brauerei zum Fäßle (Kempten) 335 Brauerei zum Goldenen Engel (Kempten) 316, 321, 332f. Brauerei zum Grünen Baum (Kempten) 321, 329-333 Brauerei zum Hasen (Kempten) 335, 343 Brauerei zum Kreuz (Kempten) 318, 332f. Brauerei zum Lamm (Kempten) 333 Brauerei zum Mohren (Kempten) 333 Brauerei zum Mohrenkopf (Kaufbeuren) 357 Brauerei zum roten Ochsen (Kempten) 333 Brauerei zum Schützen (Kempten) 333 Brauerei zum Schwanen (Kempten) 332, 335, 343 <?page no="430"?> Brauereiverzeichnis 430 Brauerei zum Storch (Kempten) 335, 343 Brauerei zur Gans (Kempten) 316, 333 Brauerei zur Sonne (Kempten) 334 Bürgerliches Brauhaus August Weixler (Kempten) 321, 332f. Bürgerliches Brauhaus Kitzinger und d’Hengeliere (Würzburg) 378 Bürgerliches Brauhaus München 378 - C - Coburger Bierbrauerei AG 113 Collegbrauerei (Mindelheim) 303, 306-310 - D - Deutscher Brauerbund 216, 219, 223, 250-253, 255, 373, 379 - E - Ettaler Klosterbrauerei 286 - F - Fürst Wallerstein Brauhaus (Wallerstein) 179 Fuggerisches Brauhaus (Weißenhorn) 275 - G - Gaisbrauerei (Kaufbeuren) 349, 358f., 364, 366, 369, 372, 382 Gewerbeverein der Brauer und Branntweinbrenner Kemptens 331 Glaserbräu (Zusmarshausen) 390f., 398f., 401 - H - Hacker-Brauerei (München) 251 Hasenbräu (Augsburg) 400 Herzögliche Brauerei Tegernsee 255 - J - J. Hahn’sche Gutsbrauerei (Ebersberg) 255 - K - Klosterbrauerei Scheyern 286 Königliches Hofbräuhaus München 230 Kratzer-Brauerei Landsberg a. Lech 364 Kronenbräu (Zusmarshausen) 390f., 405 Kronenbrauerei Ulm-Söflingen 285 - L - Lammbrauerei (Kaufbeuren) 349, 358f., 364, 366, 369, 372, 376, 383 Lammbrauerei (Mindelheim) 309 Lenzbrauerei (Obergünzburg) 366 Löwenbrauerei (Kaufbeuren) 350, 352-354 Löwenbräu AG (München) 251 Löwenbräu (Zusmarshausen) 391, 398, 406f. - M - Michl-Bräu (Bamberg) 231 - O - Ochsenbrauerei (Kaufbeuren) 354 <?page no="431"?> Brauereiverzeichnis 431 - P - Prügelbräu (Augsburg) 400 - R - Riegele (Augsburg) 55 Rosenbrauerei Ziegerer und Kraisy (Kaufbeuren) 349-351, 356-359, 364, 366, 368f., 371-373, 381 - S - Schiffbrauerei (Kaufbeuren) 349- 351, 355f., 359, 364, 366-369, 371-374, 376f. Schutzverband bayerischer Weißbierbrauer 227 Schutzverband vereinigter Brauereien Nürnberg, Fürth und Umgebung 252 Schwarzbräu (Zusmarshauen) 19, 55, 399, 401f., 404f., 409-412 Spatenbrauerei (München) 251 Sterneckerbräu (München) 357, 381 Stiftsbrauerei Kempten 18, 316f., 319-321, 328f., 334 - U - Unterer Bräu (Zusmarshausen) 390f., 394, 398, 401, 407f., 410 - V - Verein Augsburger Brauereien 256 Verein Bayerischer Weizenbierbrauer 227 Vereinigte Bierbrauereien Augsburg 231 Verein der Brauereien des bayerischen Oberlandes 255f. Verein Münchener Brauereien 244f., 251f., 256 - W - Weizenpeter (Kempten) 328, 335 - Z - Zötler (Rettenberg) 55, 277 <?page no="432"?> IRSEER SCHRIFTEN Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker Schwabenakademie Irsee Bisher sind erschienen: 5 Markwart Herzog, Huberta Weigl (Hg.) Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild 2011, 400 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-86764-189-0 6 Mark Häberlein, Christof Jeggle (Hg.) Praktiken des Handels Geschäfte und soziale Beziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit 2010, 688 Seiten €[D] 79,00 ISBN 978-3-86764-203-3 7 Peter Fassl, Markwart Herzog, Jim G. Tobias (Hg.) Nach der Shoa Jüdische Displaced Persons in Bayerisch-Schwaben 1945-1951 2011, 140 Seiten €[D] 24,00 ISBN 978-3-86764-341-2 9 Mark Häberlein, Christof Jeggle (Hg.) Materielle Grundlagen der Diplomatie Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher Neuzeit 2012, 294 Seiten €[D] 39,00 ISBN 978-3-86764-364-1 10 Peter Fassl, Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst (Hg.) Groß im Kleinen - Klein im Großen Beiträge zur Mikro- und Landesgeschichte Gedenkschrift für Pankraz Fried 2013, 472 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-86764-365-8 11 Peter Fassl, Friedmann Harzer, Berndt Herrmann (Hg.) Jüdische Literaturgeschichte in Schwaben Eine Spurensuche 2016, 410 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-86764-674-1 12 Thomas Becker, Heiner Fangerau, Peter Fassl, Hans-Georg Hofer (Hg.) Psychiatrie im Ersten Weltkrieg 2. Aufl. 2021, 460 Seiten €[D] 54,00 ISBN 978-3-7398-3174-9 13 Markwart Herzog, Alois Schmid (Hg.) Katholische Aufklärung im Benediktinerreichsstift Irsee 2017, 424 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-86764-814-1 14 Peter Fassl (Hg.) Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung 2020, 388 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-7398-3103-9 15 Peter Fassl, Corinna Malek (Hg.) Bier- und Wirtshauskultur in Schwaben und Franken 2022, 432 Seiten €[D] 49,00 ISBN 978-3-7398-3212-8 <?page no="433"?> ISBN 978-3-7398-3212-8 Irseer Schriften Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte Hrsg. von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker Schwabenakademie Irsee Die Bier- und Wirtshauskultur bietet ein lohnendes Feld der sozial-, rechts- und kulturhistorischen Forschung. Das Brauen des Biers, die Produktionsverfahren, der Handel, der Ausschank in Wirtshäusern, die emotionale und gesellschaftliche Bedeutung von Gaststuben und Bierkonsum und der ökonomische Stellenwert der Brauwirtschaft werden in diesem Band anhand von bisher nicht erforschten Beispielen aus Schwaben und Franken ausführlich dargestellt. Quellennah erarbeitete Studien zeigen die Produktion und den Konsum von Bier als wichtigen Faktor der lokalen und regionalen Wirtschaftsgeschichte. Darüber hinaus rekonstruieren sie epochenübergreifend den Gesamtkontext von Recht und Herrschaft. Das Recht, Bier zu brauen, auszuschenken und mit ihm Handel zu treiben, bot oft Anlass für heftige Konflikte, die zu blutigen „Bierkriegen“ eskalieren konnten. Die Beiträge dieses Bandes vermitteln einen instruktiven Blick auf ein ungemein vielfältiges Feld der bayerischen Landesgeschichte. Dr. Peter Fassl war Heimatpfleger des Bezirks Schwaben. Corinna Malek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heimatpflege des Bezirks Schwaben. www.uvk.de
