Digitale Formate entwickeln
Wie Redaktionen neue Ideen umsetzen
0116
2023
978-3-7398-8222-2
978-3-7398-3222-7
UVK Verlag
Mark Heywinkel
10.24053/9783739882222
So erhält eine Idee ein klares Format
Ihre Redaktion möchte einen Podcast, Newsletter oder Social-Media-Kanal starten - doch Sie wissen nicht, wie das Projekt angestoßen und langfristig umgesetzt werden kann. Dieses Buch hilft Ihnen dabei, digitale Produkte zu entwickeln.
Praxisnah erklärt Mark Heywinkel die Grundlagen der Formatentwicklung. Er zeigt, in welchen Phasen Redaktionen ihr Publikum analysieren, Produktideen erdenken, Prototypen bauen und geordnet Formate erstellen können.
Ein Buch für alle in Zeitungs-, TV- und Radioredaktionen, die ihre Marke im Digitalen erfolgreich positionieren möchten.
<?page no="0"?> Mark Heywinkel Digitale Formate entwickeln Wie Redaktionen neue Ideen umsetzen <?page no="1"?> Digitale Formate entwickeln <?page no="2"?> Mark Heywinkel ist Leiter Formatentwicklung bei ZEIT ONLINE in Berlin. Er verantwortet unter ande‐ rem die Weiterentwicklung von Social-Media-Kanälen sowie die Umsetzung neuer Newsletter und Videopro‐ jekte. Zuvor war er stellvertretender Redaktionsleiter und Head of Development des Onlinemagazins ze.tt, bei dem er unter anderem für die Entwicklung der App und den Relaunch der Website zuständig war. <?page no="3"?> Mark Heywinkel Digitale Formate entwickeln Wie Redaktionen neue Ideen umsetzen UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739882222 © UVK Verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7398-3222-7 (Print) ISBN 978-3-7398-8222-2 (ePDF) ISBN 978-3-7398-0619-8 (ePub) Umschlagabbildung: © Obradovic - iStock Icon im Innenteil: © veronawinner - iStock Autorenfoto: © Lean Krenz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 13 13 14 17 19 23 28 29 31 33 33 34 38 41 42 45 47 49 51 53 53 54 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Check-in . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alle sprechen über das Gleiche anders. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Format ist das Regelwerk eines Produkts. . . . . . . . . . . . . . . . . Formatentwicklung unterstützt die Redaktion bei der Umsetzung neuer Ideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht jeder Impuls bedarf Ihrer Aufmerksamkeit. . . . . . . . . . . . . . Das Regelwerk ist das Herz Ihrer Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jede Entwicklung ist für Formatentwickler: innen eine Projektarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formatentwickler: innen organisieren interdisziplinäre Teams. . . Eine Entwicklung darf auch scheitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen Sie Ihr Thema kennen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Toben Sie sich mit Plattformen und Services aus. . . . . . . . . . . . . . Behalten Sie den Medienbetrieb im Blick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen Sie Ihr Publikum aus der Ferne kennen. . . . . . . . . . . . . . . Treten Sie näher heran. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Persona kann die Komplexität Ihrer Zielgruppe reduzieren. ► Daniela Jaschob über Nutzer: innenforschung: „Die Frage ist immer, was du herausfinden willst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfen Sie, was die anderen machen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sagen Sie der Konkurrenz Hallo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mandatierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jede Formatentwicklung kann erst mit einem Mandat der Chefredaktion beginnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Je klarer der Rahmen ist, desto besser lässt sich ein Produkt entwickeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 56 61 62 63 64 66 69 71 75 75 78 80 83 86 87 92 97 100 100 103 103 104 110 113 117 121 Sprechen Sie über das Team, das Equipment, das Budget und den Zeitplan für die Formatentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprechen Sie kurz über sich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klären Sie, wer wichtige Stakeholder: innen sind. . . . . . . . . . . . . . Sprechen Sie über Leistungskennzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recherchieren Sie weiter oder schreiben Sie ein Protokoll. . . . . . ► Angela Kea über das Stakeholder: innenmanagement: „Es geht hier ganz stark um einen Beziehungsaufbau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernetzen Sie sich und benennen Sie Ihr Team. . . . . . . . . . . . . . . . Entscheiden Sie, mit welchen Werkzeugen Ihr Team zusammenarbeiten soll. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideenfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereiten Sie sich auf Ihre Rolle als Projekt- und Teamleitung vor. Was lange währt, wird nicht immer gut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ► Sebastian Klein über Meetings: „Für mich ist die Moderation die entscheidende Rolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kick-off setzt den Ton für die weitere Entwicklung. . . . . . . . Jedes Teammitglied ist kreativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lassen Sie beim ersten Workshop Ideen sprudeln - im vorgegebenen Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basteln, beschreiben und benennen Sie Ihre Lieblinge. . . . . . . . . . ► Vanessa Wormer über die Auswahl von Ideen: „Wir helfen Projektteams dabei, sich nicht so sehr in ihre Ideen zu verlieben“ Die Chefredaktion muss Ja sagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blicken Sie gemeinsam mit dem Team zurück. . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Formatkonzept ist ein Factsheet für Stakeholder: innen. . . . . ► Johannes Nichelmann über Konzepte: „Ein Thema allein ist noch keine Sendung, ist noch kein Podcast“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Formatkatalog ist die Geheimrezeptur Ihres Produkts. . . . . . Der Formatkatalog muss konsistent sein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fügen Sie nach Bedarf Templates und Tutorials bei. . . . . . . . . . . . Betrachten Sie das Produkt aus der Sicht Ihres Publikums. . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 123 126 131 131 133 135 136 137 139 141 141 142 143 144 144 149 149 150 151 153 155 ► Lennart Schneider über Communityaufbau: „Der Nutzer soll selbst entscheiden, ob, wann und wie er sich einbringen möchte“ Setzen Sie ein Reporting auf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formattest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstehen alle im Team den Formatkatalog? . . . . . . . . . . . . . . . . . Können wir das, was wir uns vorgenommen haben, wirklich mit der nötigen Genauigkeit umsetzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was passiert, wenn ein Puzzleteil fehlt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche äußeren Umstände können unsere Produktion beeinflussen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ► Ann-Kathrin Hipp über Spontanität: „Am wichtigsten ist, sich darauf vorzubereiten, dass man eben nicht auf alles vorbereitet sein kann“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halten Sie die Chefredaktion auf dem Laufenden. . . . . . . . . . . . . . Start und Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betreiben Sie Seeding. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinterfragen Sie weiterhin alles. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfen Sie die Leistungskennzahlen und passen Sie den Formatkatalog an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behalten Sie das Wohlbefinden des Teams im Auge. . . . . . . . . . . . ► Johannes Middelbeck über die Evaluation: „Jetzt geht die Entwicklungsarbeit erst richtig los“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Check-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen Sie, sich überflüssig zu fühlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichten Sie alle Dokumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veranstalten Sie ein Debriefing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> Vorwort Sie haben eine Idee: Um junge Zielgruppen an Ihre Tageszeitung heran‐ zuführen, wollen Sie einen Instagram-Auftritt starten. Redakteur: innen klappern für den Kanal Klubs und Bars ab und stellen deren Besitzer: innen in Reel-Porträts vor. Oder Sie planen einen monatlichen Podcast, in dem Sie den Nutzer: innen Ihres Online-Magazins Einblick in die Recherche ausgewählter Beiträge geben. Titel: „Behind the Screens“. Oder Sie wollen jeden Donnerstagabend den „Betthupferl“-Newsletter verschicken. Mit Arti‐ kelempfehlungen wollen Sie gegen Feierabend die Lust auf ein Abo wecken. Solche oder ähnliche Ideen für ein digitales Produkt reifen schon seit geraumer Zeit in Ihnen. Womöglich haben Sie bereits einen Logoentwurf in Ihr Notizbuch gekritzelt, eine Jingle-Melodie dudelt Ihnen im Ohr oder Sie wissen ganz genau, wie die schmissigen Betreffzeilen der ersten zehn Newsletter lauten können. Doch den ersten Schritt zu gehen bereitet Ihnen Kopfzerbrechen. Wie beim Artikelschreiben sitzen Sie vor einem weißen Blatt und fragen sich: Wie um Himmels willen anfangen? Wie gelangt die Idee für ein neues digitales Produkt wie einen Newsletter, einen Podcast, eine Videoserie oder einen Social-Media-Kanal ins Leben? Und zwar nachhaltig, so, dass dabei nicht unnötig Ressourcen verbrannt werden, das beteiligte Team nicht im Stress untergeht oder das Projekt auf halber Strecke stecken bleibt? In Ihrer Redaktion gibt es darauf bisweilen keine geordneten Antworten. Weder existiert ein Prozess, in dem neue Ideen strukturiert ins Leben verholfen werden, noch gibt es eine designierte Person, die sich darüber Gedanken macht. Sie müssen sich also selbst Gedanken machen. Dieser Ratgeber unterstützt Sie bei der Arbeit an digitalen Produkten, indem er Ihnen die Grundlagen der Formatentwicklung in Redaktionen vermittelt. Am Ende der Lektüre sollen Sie sich so gut auf die Rolle als Formatentwickler: in vorbereitet fühlen, dass Sie sich voller Elan in die Umsetzung Ihrer Ideen sowie der Ihrer Kolleg: innen stürzen können. Empfehlungen zur Entwicklung von redaktionellen Produkten in einem Praxisbuch zu bündeln, ist gar nicht so leicht. Zum einen sind Podcasts, Newsletter und Social-Media-Kanäle grundsätzlich verschiedene Mediener‐ zeugnisse mit untererschiedlichen Anforderungen an deren Produktion. <?page no="10"?> Zum anderen sind Redaktionen strukturell divers ausgestaltet und personell divers besetzt. Entsprechend unterschiedlich kann sich die Rolle von For‐ matentwickler: innen gestalten. Das geht schon beim Jobtitel los. Mitarbeitende, die sich in Medienunter‐ nehmen mit der Entwicklung neuer redaktioneller Produkte beschäftigen, führen nicht zwangsläufig den Titel Formatentwickler: in. Je nach Unterneh‐ men kann diese Disziplin sowohl organisatorisch verschieden verortet als auch fachlich unterschiedlich ausgeprägt sein. Formatentwickler: innen sind nicht nur in der Redaktion, sondern unter anderem auch in Innovations-, F&E- (Forschung und Entwicklung), in Audience-Development-Teams oder im Produktmanagement anzutreffen. In großen Organisationen können sie als Sparringspartner: innen durch die Ressorts tingeln, Ideenfindungs‐ prozesse begleiten und eher strategisch bei der Umsetzung von Neuem unterstützen. In kleinen Teams können Formatentwickler: innen wiederum viel stärker operativ im Einsatz sein: Sie konzipieren Formate im Alleingang, begleiten ein Produkt vom flüchtig hingekritzelten Memo bis zur Marktein‐ führung durch den gesamten Entstehungsprozess und sind auch danach langfristig für die Umsetzung mindestens mitverantwortlich. Die eine weithin praktizierte Art von Formatentwicklung gibt es also nicht. Doch egal, in welchem Kontext man sich bewegt und wie der Jobtitel lautet - im Kern bedeutet Formatentwickler: in zu sein, die Bedürfnisse des Publikums zu analysieren, redaktionelle Produkte auf dem Papier durchzu‐ spielen, Prototypen in einer Formattestphase zu erstellen und schließlich eine Umsetzung in der Redaktion zu gewährleisten. Dieser Job unterscheidet sich erheblich von der Tätigkeit, der Sie bisher als Redakteur: in nachgehen. Formatentwickler: innen können zwar idealer‐ weise auf ein journalistisches Handwerkszeug zurückgreifen. Zusätzlich ist bei jeder Entwicklung eines digitalen Produkts plattformspezifisches Fachwissen notwendig. Außerdem erfordert die Arbeit an neuen Produkten ein hohes Maß an Organisationsfähigkeiten, um ein Projekt und damit auch ein interdisziplinäres Team zu steuern. Sie können es erahnen: Die redaktionelle Entwicklung digitaler Produkte ist anspruchsvoll. Und der Job ist nicht nur von Medienhaus zu Medienhaus, sondern auch mit jeder neuen Entwicklung immer ein bisschen anders. Je größer und aufwändiger ein Projekt wird, desto unerlässlicher ist es, im Team mit mehreren Formatentwickler: innen daran zu arbeiten. Doch auch als Einzelperson und mit überschaubarem Budget können Sie bereits seriös Formatentwicklung betreiben. 10 Vorwort <?page no="11"?> Dieses Buch soll Sie vorrangig dazu befähigen, in kleinen bis mittelgroßen Redaktionen Formate für digitale Produkte auszuarbeiten, deren Entwick‐ lung Sie allein anleiten. Im Check-in verständigen wir uns auf grundlegendes Vokabular der For‐ matentwicklung und definieren Ihre Rolle klarer aus. Anschließend arbeiten wir uns in diesem Ratgeber durch sechs typische Phasen redaktioneller Formatentwicklung: die Recherche, die Mandatierung, die Ideenfindung, die Konzeption, den Test und schließlich die Markteinführung und Evaluation Ihres Produkts. Zu ausgewählten Themen kommen immer wieder Expert: in‐ nen zu Wort, um die hier abgebildete Perspektive auf Formatentwicklung zu erweitern. Und am Ende, auch das spielt eine elementare Rolle in diesem Job, werden wir uns damit beschäftigen, wie man sich von einem Produkt löst, nachdem man ihm ins Leben verholfen hat. Oder auch, wenn seine Entwicklung gescheitert sein sollte. Uns wird vor allem die Entwicklung von Social-Media-Kanälen, Podcasts, Newsletter und Videoserien interessieren. In diesen Bereichen dürften zu Beginn der 2020er-Jahre die größten Begehrlichkeiten von Redaktionen liegen. Selbstverständlich lassen sich die hier formulierten Grundlagen auch auf andere digitale Produkte übertragen. Es sei noch einmal betont: Dieses Buch enthält keinen Masterplan für eine zuverlässig erfolgreiche Entwicklung von digitalen Produkten und es preist auch keine einzelnen Methoden als Allheilmittel an. Dieses Buch bedient sich an Ideen wie Design Thinking, Business Model Canvas, Lean- Startup, Nutzer: innenzentrierung, Sprints, Scrum und diverser Frameworks, um etwas in der Praxis Verwendbares für Redaktionen kleiner bis mittlerer Größe daraus abzuleiten. Es verkauft keine geschlossene Methode, sondern liefert Ihnen Inspiration für Ihre eigene Art der Formatentwicklung. Ob ein detailliert formatiertes Medienprodukt einschlägt, hat auch immer mit dem richtigen Timing, Glück und mit dem entscheidendsten Faktor: den Menschen, die an diesem Produkt arbeiten, zu tun. Je nach Menschenschlag und Hauskultur können manche Empfehlungen in diesem Buch grandios zünden, aber auch eklatant danebenliegen. Idealerweise verfahren Sie nach dem gleichen Modell, nach dem auch dieses Buch entstanden ist: Leiten Sie aus den Erkenntnissen Ihrer Lektüre und Erfahrungen eigene Wege der Formatentwicklung ab. Erdenken Sie Methoden und Prozesse, die Ihnen passen. Etablieren Sie beim nächsten Projekt andere. Probieren Sie aus, fallen Sie hin, stehen Sie auf. Los geht’s. Vorwort 11 <?page no="13"?> Check-in Was bisher geschah | Ihre Redaktion hat sich bislang entweder noch gar nicht an neue digitale Produkte herangewagt, oder, wenn dies schon geschehen ist, dann wurden sie handgeklöppelt-chaotisch aufgegleist. Die Beteiligten waren gestresst, schlimmstenfalls gefrustet. Was nun geschieht | Sie wollen eine neue Produktidee sortiert umset‐ zen. Möglichst schmerzfrei, möglichst effizient. Dafür klären wir im ersten Kapitel Grundsätzliches zur Formatentwicklung. Am Ende des Check-ins haben Sie eine Vorstellung davon, was ein Format ist, was Formatentwicklung imstande ist zu leisten und welche Rolle Sie als Formatentwickler: in in diesem Prozess spielen. Alle sprechen über das Gleiche anders. Im Redaktionsalltag wird zwar wie selbstverständlich über Formate ge‐ sprochen, allerdings häufig nicht ganz trennscharf. Wohl am häufigsten wird das Format als Synonym für redaktionelle Produkte („Morning Brie‐ fing“-Newsletter vom Handelsblatt, „Das Thema“-Podcast der Süddeutschen Zeitung etc.) verwendet. Dann wiederum hält es als Synonym für Plattfor‐ men (Instagram, Clubhouse etc.) her. Gelegentlich werden auch Format und journalistische Darstellungsform (Nachricht, Reportage, Kolumne etc.) gleichgesetzt. Manchmal geht auch alles durcheinander. Die Definitionen variieren von Unternehmen zu Unternehmen, von Res‐ sort zu Ressort und von Person zu Person. In den noch folgenden Interviews mit Expert: innen werden Sie ebenfalls auf unterschiedliche Verwendungen stoßen. Solange keine Missverständnisse entstehen und die Mitarbeitenden Mee‐ tings ohne Knoten im Kopf verlassen, ist die vielfache Verwendung dieser Begriffe natürlich kein Problem. Um eine Verknotung bei der Lektüre per se auszuschließen, wollen wir die für dieses Praxisbuch essenziellen Begriffe Format, Produkt, Plattform und Service rasch durchdeklinieren. <?page no="14"?> 1 Köhler, Lutz: Produktinnovation in der Medienindustrie. Organisationskonzepte auf Basis von Produktplattformen. Wiesbaden 2005. 2 Fröhlich, Kerstin: Organisation für Innovation. Kreativitätsfördernde Organisation in der TV- Unterhaltungsproduktion. In: Siegert, Gabriele/ Von Rimscha, Bjørn (Hrsg.): Zur Ökonomie der Unterhaltungsproduktion. Köln 2008. S.-151-173 Das Format ist das Regelwerk eines Produkts. Für den Format-Begriff bietet es sich an, am theoretischen Wissen aus der TV-Branche anzuknüpfen. Denn das Feld der Formatentwicklung ist bislang vor allem von Expert: innen aus dem Fernsehen beackert worden. Nach Lutz Köhler kann ein Format kurz und knapp als „Schablone verstanden werden, die als Vorlage für die Erstellung der einzelnen Ausgaben dient“. 1 Aus‐ führlicher definiert Kerstin Fröhlich, Formate seien „publizistische Konzepte für Fernsehsendungen (oder andere Medienprodukte) und umfassen aufeinander abgestimmte inhaltliche und formale Gestaltungsmerkmale und -prinzipien, die in serieller Produktion oder internationaler Adaption invariant bleiben und so den Rahmen für einzelne, inhaltlich abweichende Ausgaben bilden“. 2 Auf diesem Definitionsfundament wollen wir hier bauen: Ein Format ist das Regelwerk, das von einer Redaktion bei der Produktion einzelner Beiträge eingehalten werden muss, um aus einer Serie von Inhalten ein wiedererkennbares Gesamtprodukt zu erzeugen. Wir verwenden im Folgenden also eine Definition, die vom gängigsten Ge‐ brauch des Begriffs abweicht. Ein Podcast beispielsweise wird in diesem Praxisbuch nicht als Format verstanden. Stattdessen bezeichnen wir ihn als redaktionelles Produkt. Das Format ist die Bauanleitung, mit deren Hilfe einzelne Beiträge hergestellt werden. Die Beiträge, oft auch als Inhalte oder gelegentlich als Content Pieces bezeichnet, ergeben in ihrer Gesamtheit ein redaktionelles Produkt. Ein Produkt ist ein von der Redaktion erdachtes und somit vornehm‐ lich inhaltlich getriebenes journalistisches Erzeugnis. Es hebt sich von anderen Produkten durch die im Format festgelegten Merkmale ab. 14 Check-in <?page no="15"?> Format und Produkt begrifflich und somit gedanklich voneinander zu trennen, bringt einen Vorteil: Sie sind nicht aneinander gefesselt. Hat sich ein Format als sinnvoll erwiesen, lässt es sich auf weitere Produkte übertragen. Im Fernsehen ist das gängige Praxis. „Pop Idol“, „The Bachelor“ und „Who Wants to Be a Millionaire? “ liegen Formate zugrunde, die so gelungen sind, dass sie für Produkte in unterschiedlichen Ländern adaptiert wurden. Das ist auch in kleinerem Maßstab anwendbar. Wenn das Format eines Newsletters zu Liebe und Beziehungen funktioniert, also der Newsletter von einem Team regelmäßig produziert werden kann und die Leser: innenschaft zufrieden ist, kann das Format, die Bauanleitung, womöglich auch auf Newsletter zu anderen Themen übertragen werden. In diesem Praxisbuch interessieren uns vor allem solche Produkte, die seri‐ ell angelegt sind. Social-Media-Kanäle, Podcasts, Newsletter und Videoserien bestehen nicht nur aus wenigen Beiträgen, die gemeinsam eine abgeschlossene Handlung erzählen, sondern ihre Formate sehen vor, dass diese Produkte eine lange Lebenszeit haben. Sie bestehen aus in regelmäßigem Rhythmus erscheinenden Einzelbeiträgen. Sie sind Serien ohne terminiertes Ende. Ein digitales Produkt ist immer an eine Plattform gebunden, auf der es veröffentlicht wird. Eine Videoserie kann auf YouTube, TikTok oder auch auf der Website eines Medienangebots erscheinen. Live-Interviews können bei Clubhouse oder Twitter Spaces präsentiert werden. Ein Newsletter landet bei Clients wie Google Mail, Outlook oder GMX. Eine Plattform ist ein vom eigenen oder fremden Unternehmen geschaffener digitaler Ausspielweg für Beiträge. Jede Plattform bringt ihre eigenen technischen und auch inhaltlichen Gesetzmäßigkeiten mit, denen Formate unterworfen sind. Häufig werden digitale Produkte auch auf mehr als einer Plattform gleich‐ zeitig veröffentlicht. Ein Podcast beispielsweise erscheint in der Regel sowohl auf der Website eines Mediums als auch auf Audio-Streaming- Plattformen. Außerdem kann er auf Social-Media-Plattformen auszugsweise beworben werden, zum Beispiel in Form von sogenannten Audiograms - als minimalistische Videos verpackte Ausschnitte. Nicht selten kommt bei der Distribution von digitalen Produkten ein Service zum Einsatz. Das Format ist das Regelwerk eines Produkts. 15 <?page no="16"?> Mithilfe eines Services können Redaktionen die Veröffentlichung von Inhalten über eine oder mehrere Plattformen hinweg steuern. So nutzen einige Redaktionen zur Veröffentlichung von Podcasts die Hosting- Dienste Podigee oder Acasts als Services. Dort können MP3-Dateien hochge‐ laden und in geläufige Plattformen wie Spotify, Apple Podcasts und Deezer eingespeist werden. Zum Versand von Newslettern nutzen Medienhäuser E- Mail-Marketing-Services wie Sendinblue oder Mailchimp, über deren Server Mails verschickt werden. Services wie SocialFlow und Later wiederum helfen Social-Media-Teams, Posts über mehrere Plattformen hinweg zu planen. Abb. 1: Übersicht Plattform - Service - Produkt - Format 16 Check-in <?page no="17"?> 3 https: / / www.stern.de/ panorama/ stern-crime/ podcast/ 4 https: / / www.youtube.com/ playlist? list=PLWBKCIg3vKYo_NVyNOLQ6fkyY0FOOYvQ H 5 https: / / www.radioeins.de/ themen/ wissen/ avh/ alexander-von-humboldt.html Formatentwicklung unterstützt die Redaktion bei der Umsetzung neuer Ideen. Redakteur: innen stehen im Digitalen zig Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Geschichten zu erzählen. Kriminalberichterstattung lässt sich als Podcast verpacken wie bei der Crime-Audioserie „Spurensuche“ vom Stern. 3 Die Folgen der Coronapandemie auf die Theaterszene kann man in einer Vide‐ oserie veranschaulichen wie bei „Spielplanänderung“ von der FAZ. 4 Oder man gibt wie radioeins mit der Instanovel über Alexander von Humboldt auf Social-Media-Plattformen Einblick ins Leben historischer Personen. 5 Solche Produktionen sind beeindruckend. Doch ihre Umsetzung zu stem‐ men, ist meist ein enormer Kraftakt. Redaktionen müssen sich zunächst neues Know-how aneignen, neue Teams zusammenführen und Workflows schaffen. Das kostet Zeit und Ressourcen. Nicht selten soll das Tagesgeschäft von diesen Neuschöpfungen nicht beeinträchtigt werden. Diese Arbeit muss also von bereits eingespannten Redakteur: innen zusätzlich zu den täglichen Routinen erledigt werden. Das kann für alle Beteiligten einen enormen Druck bedeuten. Es ist also kein Wunder, wenn Projekte versanden oder Redaktionen sich gar nicht erst an ihre Umsetzung heranwagen. Die Formatentwicklung unterstützt Redaktionen bei der Herausfor‐ derung, neue digitale Produkte planvoll umzusetzen. Formatentwick‐ ler: innen erarbeiten und steuern den Prozess, in dem aus einem Impuls für eine Serie von journalistischen Inhalten ein marktreifes Produkt geformt wird. Ebenfalls kann es die Aufgabe der Formatentwicklung sein, ein bereits am Markt etabliertes Produkt in einem strukturierten Prozess weiterzuentwickeln. Formatentwicklung ist keine neue Disziplin. Im sogenannten „Golden Age of Radio“, das in den 1920er-Jahren begann, fingen Radiosender unter anderem an, Nachrichtensendungen sowie Quiz- und Talentshows zu entwickeln. Formatentwicklung unterstützt die Redaktion bei der Umsetzung neuer Ideen. 17 <?page no="18"?> 6 Graßau, Günther/ Fleck, Rika: Medienlehre Fernsehen. In: Altendorfer, Otto/ Hilmer, Ludwig (Hrsg.): Medienmanagement Band 2: Medienpraxis - Mediengeschichte - Medienordnung. Wiesbaden 2016. S.-34 Gößler, Timo/ Merkel, Katrin: Der German Room: Der US-Writers’-Room in der deut‐ schen Serienentwicklung. Berlin 2021. S.-21-ff. 7 Graßau, Günther/ Fleck, Rika: Medienlehre Fernsehen. In: Altendorfer, Otto/ Hilmer, Ludwig (Hrsg.): Medienmanagement Band 2: Medienpraxis - Mediengeschichte - Medienordnung. Wiesbaden 2016. S.-34 Diesen Produkten lag ein Schema zugrunde, nach dem jede Ausgabe aufge‐ baut sein musste. Diese Konzepte wurden später ins Fernsehen übertragen, in Deutsch‐ land trieb ab den 1980er-Jahren insbesondere das Privatfernsehen die Entwicklung neuer formatierter Sendungen voran. 6 Eine Vielzahl von For‐ matentwickler: innen für digitale Produkte ist heute wiederum auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finden - insbesondere im Umfeld von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Dass der Rundfunk formatierte Sendungen etablierte, hat vor allem ökonomische Gründe. Ein vierundzwanzigstündiges Programm zu füllen, funktioniert nur unter enormen Aufwand, wenn man jeden Tag etwas komplett Neues zeigen möchte. Die Konzeption und anschließend serielle (Re-)Produktion eines Schemas gestaltet sich als deutlich kostengünstiger. Die Teams sind eingespielt und können gegebenenfalls mehrere Beiträge an einem Tag erstellen. Insbesondere in einer hohen Konkurrenzsituation kön‐ nen formatierte Produktionen ein Wettbewerbsvorteil sein: Wer Gefallen an einer Folge gefunden hat, guckt vermutlich auch die nächste. Formatierte Serien erhöhen die Publikumsbindung. Außerdem lassen sie sich besser vermarkten als Einzelproduktionen. Sowohl beim Publikum als auch bei Werbekunden, Journalist: innen und anderen Multiplikatoren. 7 Hergeleitet aus dem Fernsehen bietet sich Formatentwicklung bei seriel‐ len Produkten an, die in interdisziplinären Teams hergestellt werden. Damit wird sie für Podcasts, Newsletter, Videoserien oder Social-Media-Kanäle relevant; denn diese Produkte bestehen aus Serien von Einzelbeiträgen und erfordern die Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen Bereichen einer Redaktion. Um strukturiert Formatentwicklung zu betreiben, empfiehlt es sich, sie in Phasen zu staffeln. Wir wollen in diesem Praxisbuch von sechs Phasen ausgehen. 18 Check-in <?page no="19"?> ● In der Recherchephase sammeln Sie das nötige Basiswissen, um später gemeinsam mit Ihrem Team konkrete Ideen für das zu entwickelnde Produkt zu generieren. ● In der Mandatierungsphase diskutieren Sie mit Ihren Vorgesetzten einen Impuls und schärfen die Rahmenbedingungen für die Formatent‐ wicklung. Außerdem berufen Sie das Team, mit dem Sie die Entwicklung bestreiten wollen, und organisieren die Zusammenarbeit. ● In der Ideenfindungsphase lernen Sie gemeinsam mit Ihrem Team Ihre Nutzer: innen kennen, erdenken Produktideen, entwickeln Prototypen und evaluieren sie. ● In der Konzeptionsphase entsteht das Regelwerk für die Produktidee, das Format. Sie konkretisieren das Konzept und leiten daraus ein detailliertes Regelwerk samt Workflows und Templates her. ● Schließlich prüfen Sie das Format Ihres digitalen Produkts im For‐ mattest auf Schwächen und justieren nach. ● Am vorläufigen Ende der Entwicklung begleiten Sie den Start des redaktionellen Produkts und prüfen in einer Evaluation nach zuvor festgelegter Laufzeit dessen Performance. Diese Phasen, darauf werden wir immer mal wieder zu sprechen kommen, müssen einander nicht dogmatisch abfolgen. In der Praxis werden sie sich teilweise überschneiden, in anderer Reihenfolge stattfinden oder sich gelegentlich auch wiederholen. Auch als routinierte: r Formatentwickler: in werden Sie den Verlauf einer Entwicklung nicht vollständig planen können. Es werden sich immer Über‐ raschungen ereignen, die Ihre Pläne durchkreuzen. Etwa weil ein wichtiges Teammitglied krankheitsbedingt ausfällt oder weil die Maßnahmen gegen das Coronavirus Ihnen den Dreh von Videobeiträgen im Studio in der Redaktion untersagen. Jede Formatentwicklung ist anders. Sie unterscheidet sich von Produkt zu Produkt und von Team zu Team. Nicht jeder Impuls bedarf Ihrer Aufmerksamkeit. Impulse für eine Formatentwicklung können aus unterschiedlicher Richtung kommen. ● Ihre Chefredaktion oder Unternehmensführung kann eine Lücke im Portfolio entdecken („Warum verschicken wir eigentlich noch keinen Nicht jeder Impuls bedarf Ihrer Aufmerksamkeit. 19 <?page no="20"?> Newsletter? “; „Wir wollen junge Zielgruppen erreichen - was könnten wir auf TikTok machen? “) und gibt Ihnen den Auftrag, ein entsprechen‐ des Produkt zu entwickeln. ● Oder das Audience-Development-Team beobachtet ein Verhaltensmus‐ ter („Auf Facebook verlieren wir viele Follower: innen, auf Instagram gewinnen wir viele“), leitet daraus eine Hypothese ab („Unsere User: in‐ nen wandern von Facebook zu Instagram ab“), prüft sie - und im Falle der Validierung entwickeln Sie ein neues Instagram-Angebot, das auf die Bedürfnisse Ihres Publikums angepasst ist. ● Auch Freelancer: innen können von außen einen Impuls an Ihre Re‐ daktion herantragen („Ich würde gerne eine wöchentliche Clubhouse- Talkshow für euch moderieren - habt ihr daran Interesse? “). In kleinen bis mittelgroßen Redaktionen dürfte die Formatentwicklung allerdings so beginnen: Sie oder ein: e Redakteur: in liefern einen Impuls, indem Sie eine inhaltliche Idee formulieren. Im Laufe einer morgendlichen Konferenz landen Sie beim Thema Fach‐ kräftemangel im Handwerk. Tischlereien, Glasereien und Malereien in Ihrer Region finden keine Auszubildenden mehr, der Nachwuchs will die familiär betriebenen Unternehmen nicht weiterführen, neue Geschäftsführer: innen wollen sich auch nicht finden lassen. Viele Betriebe müssen aufgeben. Über diese Entwicklung und ihre Folgen wollen Sie berichten. „Wäre das nicht auch was für eine Videoserie auf YouTube? “, wirft jemand in den Raum. „Mehrere Handwerksbetriebe bei der schwierigen Suche nach dem Nachwuchs zu begleiten, das könnte doch auch visuell ganz spannend sein.“ Und nun gibt es Sie, den: die Formatentwickler: in, und dieser Impuls landet auf Ihrer To-do-Liste. „Dem könntest du ja mal nachgehen.“ Wenn Sie der: die einzige Formatentwickler: in in Ihrer Redaktion sind, sollten Sie jeden Impuls einer strengen Prüfung unterziehen. Sonst ist Ihre Liste mit Dingen, denen Sie ja mal nachgehen könnten, schon am Ende einer durchschnittlichen Redaktionswoche voll. Prüfen Sie im ersten Schritt, ob sich diese drei Fragen mit Ja beantworten lassen: ● Lässt das Oberthema eine serielle Berichterstattung zu? ● Passt die Plattform zum Inhalt? ● Gibt es eine für uns relevante Zielgruppe, die sich für das Oberthema auf der Plattform interessieren könnte? 20 Check-in <?page no="21"?> Wenn nur ein vages Oberthema wie „Arbeitskräftemangel im Handwerk“ im Raum steht, ist das inhaltlich kein hinreichender Impuls, mit dem Sie weiterarbeiten können. Dieses Thema lässt sich in jede Richtung denken. Mit der Konkretisierung „Mehrere regionale Handwerksbetriebe bei der schwierigen Suche nach Nachwuchs begleiten“ hingegen lässt sich etwas anfangen. Je nachdem, wie groß Ihre Region ist, lassen sich gewiss meh‐ rere Protagonist: innen finden, die eine serielle Berichterstattung möglich machen. Widmen wir uns nun der Plattform: Die Behauptung, die Nachwuchssu‐ che könne „visuell ganz spannend sein“, sollten Sie kritisch hinterfragen. Ist es spannend, eine Tischlerin im Video zu sehen, die im Internet Azubistellen ausschreibt und Vorstellungsgespräche führt? Womöglich nicht. Aber ein Podcast wäre vielleicht interessant, in dem in jeder Episode ein: e andere Handwerker: in von der Suche erzählt. Schließlich gilt zu hinterfragen, ob ein Podcast mit Handwerker: innen- Interviews ein Produkt sein könnte, das zu einer für Ihre Medienmarke rele‐ vanten Zielgruppe passt. Wenn Sie für eine regionale Tageszeitung arbeiten, könnte man sagen: Sowohl Auszubildende als auch Handwerker: innen der Region lesen uns; für diese Zielgruppen könnten wir überlegen, einen Podcast zu produzieren. Oder im Gegenteil kommen Sie vielleicht zu dem Ergebnis: Weder Azubis noch Handwerker: innen lesen uns bisher - und mit einem Podcast könnten wir diese Zielgruppe für uns gewinnen. Ergibt bei genauerer Überlegung der Impuls aus der Redaktionskonferenz Sinn? Prüfen Sie auch Folgendes: Dass Sie der: die einzige Formatentwick‐ ler: in in Ihrer Redaktion sind, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Sie sich mit sämtlichen neuen Ideen beschäftigen müssen. Nehmen Sie sich nur solcher potenzieller Produkte an, die in die bestehenden Arbeitsabläufe nicht integriert werden können. Kontrollieren Sie daher in einem zweiten Schritt, ob diese Aussagen auf den Impuls zutreffen: Um das Produkt umzusetzen, ● muss ein interdisziplinäres Team gebildet und dessen Organisation entwickelt werden, ● müssen vom Team neue Fähigkeiten erlernt werden, ● muss eine neue technische Infrastruktur geschaffen werden. Nicht jeder Impuls bedarf Ihrer Aufmerksamkeit. 21 <?page no="22"?> Übung | Ist dieser Impuls für Sie relevant? Das Wirtschaftsressort einer Tageszeitung möchte eine Finanzko‐ lumne starten. In jedem Text soll ein: e andere Finanzexpert: in Anlagetipps geben. Als Plattform haben die Redakteur: innen die Website erkoren, sie wollen die Tipps als Artikel aufbereiten. Die Klickzahlen unterstützen diesen Impuls: In der Vergangenheit sind schon vereinzelte Finanztippartikel bei Ihrem Publikum überdurch‐ schnittlich gut angekommen. Das Wirtschaftsressort bittet Sie, sich der Entwicklung der Finanzkolumne zu kümmern. Nehmen Sie sich diesem Auftrag an? Auswertung | Ihren ersten Check wird diese Idee überstehen. Thema und Plattform klingen sinnvoll. Dass bereits frühere Artikel gut liefen, deutet darauf hin, dass es für die Finanzserie eine Zielgruppe gibt. Im zweiten Schritt sollten Sie nun aber feststellen, dass Sie diesen Impuls nicht mit einer Formatentwicklung unterstützen brauchen. Die Kolumne soll wie ein herkömmlicher Artikel auf der Website erschei‐ nen. Eine neue technische Infrastruktur ist demnach nicht notwendig. Die Auftragsvergabe und Abnahme der Beiträge kann durch die Redak‐ teur: innen des Wirtschaftsressorts geleistet werden, auch ein neues Team zusammenzustellen ist also überflüssig. Ebenso muss das Ressort keine neuen Fähigkeiten erlernen, um die Artikelserie zu produzieren. So, wie der Impuls nun aussieht, kann das Wirtschaftsressort ruhig selbst zur Tat schreiten. Anders wäre es, wenn das Wirtschaftsressort die Kolumne wöchentlich als Newsletter verschicken wollte. Wenn es im Haus bislang kein Newsletter-Angebot gibt, müsste ein Mail- Service zum Versand von Newslettern gefunden und eingerichtet wer‐ den. Es müsste zwar kein neues Team gegründet werden, aber die Redakteur: innen müssten den Umgang mit diesem neuen Tool erlernen. Dieses neue Newsletter-Produkt würde eines Formats bedürfen. Es auszuformulieren, wäre ein Job für Sie. 22 Check-in <?page no="23"?> 8 ARD-Mediathek: https: / / www.ardmediathek.de/ sendung/ tagesschau-in-100-sekun den/ Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3RzMTAwcw/ Das Regelwerk ist das Herz Ihrer Arbeit. Ein Format auszuformulieren, also das Regelwerk für Ihr digitales Produkt zu definieren, wird Sie ab der Konzeptionsphase intensiv beschäftigen. Alles Wissen, das zur Produktion von Beiträgen notwendig ist, muss sich in diesem Regelwerk wiederfinden. Betrachten wir die „Tagesschau in 100 Sekunden“ 8 , eine exklusiv für digitale Plattformen produzierte Video-Nachrichtensendung. Die Redak‐ tion hält sich bei der Produktion einzelner Ausgaben an viele sehr klar erkennbare Regeln. Jede Ausgabe der Nachrichtensendung ist, wie der Titel verspricht, exakt 100 Sekunden lang. Jeden Tag erscheinen zwölf Episoden. Eine Folge beginnt stets mit einer kurzen Begrüßung durch eine: n Moderator: in im On, der: die anschließend aus dem Off auf Schnittbilder spricht. Jede Ausgabe beginnt mit dem relevantesten Nachrichtenthema und schließt mit dem Wetter. Zu den ästhetischen Regeln gehören unter anderem das unveränderliche On-Air-Design sowie der Studiohintergrund und die helle Ausleuchtung, die frontale Kame‐ raposition während der Moderation sowie der bewusste Verzicht auf Musik. Wir werden niemals eine „Tagesschau in 100 Sekunden“ sehen, die zur Fernseh-„Tagesschau“-Musik mit einem Zoom auf die Wetterkarte beginnt und in der sich Judith Rakers selbst mit einer Action-Cam filmt. Das widerspräche dem Format. Zudem wird es weitere Regeln geben, die für uns Zuschauer: innen nicht notwendiger Weise erkenntlich sind - zum Beispiel welche Zielgruppe erreicht werden soll, in welchem Dateiformat Folgen ausgespielt und hochgeladen werden müssen oder über welche technische Infrastruktur all das geschieht. Auch ein in der Produktion weniger aufwendiges Produkt kann viele Regeln umfassen. Nehmen wir zum Beispiel den Instagram-Account der Rheinischen Post. Darauf erscheinen regelmäßig Posts zu Nachrichten. Ein Beitrag besteht meist aus einem Karussellpost mit zwei Slides. Auf dem ersten steht stets in Weiß eine einbis maximal dreizeilige Schlagzeile auf einem zu ihr passenden Bild. Ein Fotocredit wird in der rechten oberen Ecke platziert, in der linken oberen Ecke ist das Logo der Rheinischen Post zu sehen. Auf dem zweiten Slide steht ein Teaser. In der Bildbeschreibung findet sich die Nachricht in mehreren Absätzen. Wer die ganze Geschichte lesen Das Regelwerk ist das Herz Ihrer Arbeit. 23 <?page no="24"?> möchte, wird stets am Ende über einen Hinweis wie „Mehr Infos und weitere Fotos findet ihr über den Link in unserer Bio“ auf die RP-Online-Seite gelotst. Abb. 2 bis 4: Für die Zuschauer: innen offenkundige Formatregeln der „Tagesschau in 100 Sekunden“: Jeder Beitrag beginnt mit einer Moderation im On, die Beiträge sind in ein einheitliches On-Air-Design gekleidet und jede Episode endet mit dem Wetterbericht. (Filmstills aus der Sendung vom 15. August 2022, 8: 14 Uhr.) 24 Check-in <?page no="25"?> Abb. 5 und 6: Für Nutzer: innen offensichtliche Formatregeln der Nachrichten-Posts bei der Rheinischen Post: Auf dem ersten Slide der Karussell-Posts ist eine Headline zu sehen, darauf folgt auf dem zweiten Slide ein Teaser. (Post vom 9. August 2022) Auch für den Instagram-Kanal gibt es wahrscheinlich eine Vielzahl von für uns aus der Ferne nicht erkenntlichen Regeln - etwa darüber, zu welchen Themen Posts abgesetzt werden, auf welche Bilddatenbanken dabei zugegriffen werden darf oder wie in den Kommentaren mit der Community zu interagieren ist. All diese Regeln werden in einem Dokument gesammelt, wir wollen es Formatkatalog nennen. Um dabei den Überblick zu behalten, werden wir die Regeln fünf unterschiedlichen Dimensionen zuordnen: ● strategische Regeln (wie Zielgruppe, Erfolgskriterien, Distribution etc.) ● inhaltliche Regeln (wie Thema, Protagonist: innen, Dramaturgie einzel‐ ner Beiträge etc.) ● ästhetische Regeln (wie Layout, Schrift, Farben etc.) ● partizipative Regeln (wie Kommunikation mit dem Publikum, Co-Krea‐ tion mit dem Publikum etc.) ● technische Regeln (wie Hardware, Software, Archivierung etc.) Wie detailliert und klar der Formatkatalog formuliert ist, spielt für die Güte und den Erfolg eines redaktionellen Produkts eine zentrale Rolle. Je übersichtlicher der Formatkatalog ist, desto schneller finden Sie den Aspekt, an dem Sie im späteren Verlauf der Formatentwicklung etwas ändern wollen. Das Regelwerk ist das Herz Ihrer Arbeit. 25 <?page no="26"?> 9 Eco, Umberto: Die Innovation im Seriellen. In: Über Spiegel und andere Phänomene. München 1998, S.-155-180 Aber: Viel hilft nicht unbedingt viel. Maßgebend für das Format ist immer der journalistische Inhalt. Erfordert die Serie von Inhalten mehr Freiheit, um sinnvoll erzählt werden zu können, muss das Format sie gewähren. Ein Format muss die bestmögliche Balance von Wiederholung und Va‐ rianz schaffen. Diese beiden Aspekte sind nach Umberto Eco für eine Serie kennzeichnend 9 - und sie elegant auszutarieren, ist die Kunst der Formatierung. Ein Newsletter, in dem in jeder Ausgabe der gleiche Autor über das gleiche Thema sinniert, verliert in Kürze seinen Reiz. Ebenso verhält es sich andersherum: Ein Newsletter, der jedes Mal von anderen Autor: innen verfasst wird, jedes Mal ein anderes Thema aufgreift und jedes Mal einem gänzlich anderen Aufbau folgt, wird die Leser: innen womöglich überfordern - und wird zudem in der Produktion unmöglich umsetzbar sein. Wenn aber ein kleines Ensemble von Autor: innen (Wiederholung) in jeder Ausgabe einen anderen, überraschenden Aspekt (Varianz) zu einem ergiebigen Oberthema aufgreift, kann das fesselnd sein. Die Herausforderung für Sie als Formatentwickler: in besteht letztendlich darin, ein Regelwerk zu schaffen, in dem Beiträge über einen möglichst langen Zeitraum verpackt werden können, ohne dass Ihr serielles Produkt an Relevanz und Spannung verliert. Übung | Welche Formatregeln erkennen Sie? Formate zu entwickeln lernt man am besten, indem man sie entwickelt - aber auch durch die Analyse von existierenden Formaten. Gehen Sie zur Übung den Formaten folgender digitaler Produkte auf den Grund und suchen Sie nach strategischen, inhaltlichen sowie ästhetischen Regeln dreier Angebote: ● Auf dem TikTok-Account @your.money wird über Finanzen ge‐ sprochen. Schnell und verständlich. Lesen Sie die Pressemittei‐ lung, die funk zum Kanalstart veröffentlicht hat. Welche strategi‐ schen Regeln werden kommuniziert? (presse.funk.net/ pressemeld ung/ steuern-versicherung-geld-anlegen-your-money-erklaert-fi nanzthemen-ab-sofort-im-funk-netzwerk) 26 Check-in <?page no="27"?> ● Im Quartz-Newsletter „Weekly Obsession“ (qz.com/ emails/ quartz -obsession) widmet sich die Redaktion von Afrobeat bis Zombies jede Woche einem anderen Thema. Was wiederholt sich in den Ausgaben neben der inhaltlichen Varianz? ● Die „News-WG“ (instagram.com/ news_wg) von BR24 erklärt in Instagram-Storys wichtige aktuelle Ereignisse. Auf den ersten Blick mögen die Story-Slides chaotisch-überfrachtet wirken - doch auch hier sind klare Regeln für die Aufbereitung der einzel‐ nen Inhalte erkennbar. Welche erkennen Sie? Auswertung ● Your Money: Mit dem TikTok-Kanal soll eine Zielgruppe zwischen 16 und 22 Jahren erreicht werden, insbesondere junge Frauen mit einer nicht-akademischen Biografie. Um der Zielgruppe nahe zu kommen, wurden zwei junge Frauen als Presenterinnen gewählt. TikTok wurde als Plattform gewählt, um die junge Zielgruppe dort zu erreichen, „wo sie sich aufhält“. ● Quartz-Newsletter: Jeder Letter beginnt mit einem Editorial, das ins Thema der Woche einführt. In der Regel folgt das kurze Segment „By the Digits“, das einen Einstieg ins Thema über wenige Zahlen ermöglicht. Die ausführlichen Textpassagen werden stets mit kurzen Segmenten aufgelockert, dazu gehört das „Pop Quiz“ wie das Segment „Quotable“ mit einem zum Thema passenden Zitat. Am Ende findet sich häufig eine Umfrage, auf welche die Auswertung der Vorwoche folgt. Der Newsletter endet mit den Credits für die Ausgabe. ● News-WG: Die Hosts positionieren sich so vor der Kamera, dass ihr Gesicht im oberen Drittel des Bildes zu sehen ist. So bleibt in den unteren Dritteln ausreichend Platz, um zum Beispiel Umfra‐ gen, vor allem aber die gesprochene Moderation zu untertiteln. Zwar dürfen die Textgröße und die Positionierung variieren, die Untertitel sind farblich einheitlich gestaltet; mit weißem Text auf abwechselnd lilafarbenen und grauen Boxen. Für den nahbaren Stil filmen die Hosts immer aus der Hand, Stative scheinen tabu zu sein, ebenso wie künstliche Beleuchtung durch ein Ringlicht. Das Regelwerk ist das Herz Ihrer Arbeit. 27 <?page no="28"?> 10 Litke, Hans-Deter.: Projektmanagement: Methoden, Techniken, Verhaltensweisen, München 2007. S.-18 ff. Jede Entwicklung ist für Formatentwickler: innen eine Projektarbeit. Nun zu Ihnen. Was ist Ihre Aufgabe als Formatentwickler: in? Die kurze Antwort: eine andere als die, die Sie bisher als Redakteur: in ausgeübt haben. Als Redakteur: in schlagen Sie Themen in Konferenzen vor, recherchie‐ ren Geschichten aus und bereiten Beiträge auf, lesen und beantworten womöglich Feedback von Nutzer: innen, und beginnen wieder von vorn. Im Laufe dieses Prozesses haben Sie mit unterschiedlichen Kolleg: innen immer nur partiell zu tun. Etwa mit der Bildredaktion, um Ihre Geschichte zu illustrieren, mit den Chef: innen vom Dienst, die Sie geflissentlich an Ihre Deadline erinnern, oder mit den Social-Media-Kolleg: innen, von denen Sie sich eine gute Verkaufe Ihres Inhalts erhoffen. Das bedeutet: Sie sind in eine routinierte Struktur eingebunden, haben immer wieder mit den gleichen Rollen und Menschen zu tun, erstellen Beiträge in kurzen Zeitabständen und arbeiten weitestgehend autark. Wenn Sie digitale Produkte entwickeln, gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag gänzlich anders. Zunächst ist jede Formatentwicklung für Sie eine Projekt‐ arbeit. Ein Projekt zeichnet sich durch seine Einmaligkeit aus sowie die zeitliche Begrenztheit, ebenso durch eine projektspezifische Organi‐ sation, die abseits täglicher Unternehmensroutinen stattfindet. 10 Im Laufe einer Formatentwicklung arbeiten Sie mehrere Wochen oder Monate mit einem Team von Menschen aus unterschiedlichen Gewerken zusammen, die Sie womöglich bisher nicht kannten und mit deren Diszipli‐ nen Sie vielleicht zu Beginn wenig vertraut sind. Zudem arbeiten Sie in Strukturen, die Sie selbst ausarbeiten und wahrscheinlich iterativ verändern müssen. Als Formatentwickler: in nehmen Sie in diesen Projekten die Rolle eines: r Projektmanager: in ein. Sie sind dafür zuständig, ein Projektziel mit den ver‐ 28 Check-in <?page no="29"?> 11 Litke, Hans-Deter.: Projektmanagement: Methoden, Techniken, Verhaltensweisen, München 2007. S.-25 12 Lees, Nicola: Greenlit: Developing Factual/ Reality TV Ideas from Concept to Pitch. London 2010. S.-19 ff. einbarten personellen, technischen und finanziellen Ressourcen fristgerecht zu erreichen. 11 Formatentwickler: innen organisieren interdisziplinäre Teams. Projekte zu managen, klingt womöglich nicht so aufregend, wie Sie sich den Job bisher vorgestellt haben. Vielleicht haben Sie sich unter Formatent‐ wicklung eine überwiegend kreative Tätigkeit vorgestellt: Brainstorming- Runden einberufen, Post-its kleben, Moodboards erstellen, im Bällebad abtauchen. Und natürlich werden wir auch noch zu all diesen Dingen kommen. Aber überschätzen Sie deren Anteil an der Formatentwicklung nicht. Digitale Produkte zu erzeugen, die langfristig in einer Redaktion umgesetzt werden können, ist vor allem Orgaarbeit. In ihrem Buch über TV-Formatentwicklung nennt Nicola Lees 15 es‐ senzielle Fähigkeiten für Formatentwickler: innen 12 , unter anderem: journa‐ listischer Instinkt, die Fähigkeit, Trends zu erkennen, Kommunikationsfä‐ higkeit, Teamgeist, gute Schreib- und Präsentationsfähigkeiten, und auch Geduld sowie eine dicke Haut. Von Lees Liste inspiriert, werden hier Fähigkeiten für die Formatentwick‐ lung von digitalen Produkten in Redaktionen abgeleitet. Journalisti‐ sches Hand‐ werk Das journalistische Handwerk zu beherrschen, ist die wichtigste Voraussetzung für alle Formatentwickler: innen in einer Redak‐ tion. Denn bei all Ihrem Tun geht es immer darum, journalistische Inhalte zu produzieren. Dafür müssen Sie die ethischen Standards kennen und wahren. Sie müssen schnell und sorgfältig recher‐ chieren können. Sie müssen wissen, was journalistisch relevante Themen und Geschichten sind, um sie in ein Format verpacken zu können. Formatentwickler: innen organisieren interdisziplinäre Teams. 29 <?page no="30"?> Interesse für die Branche Sie bingen nicht nur jeden Abend Netflix, sondern wissen auch etwas mit dem Begriff „streaming wars“ anzufangen? Check. Sie scrollen nicht nur fleißig durch Instagram, sondern interessieren sich auch für Studien über die psychologische Wirkung der App? Doppelcheck. Sie hören nicht nur Spotify, sondern haben auch schon mal von Ad-Servern gehört? Dreifachcheck. Als Formatent‐ wickler: in sollten Sie sich für das Geschehen in der Medienwelt im Allgemeinen ebenso interessieren wie für das Geschehen auf Plattformen, für die Sie Produkte entwickeln. Organisati‐ onstalent In Ihrer Rolle als Formatentwickler: in werden Sie wenig Berüh‐ rungspunkte mit dem alltäglichen Redaktionsgeschehen haben. Um Ihren Job zu erledigen, müssen Sie nicht unbedingt an mor‐ gendlichen Themenrunden teilnehmen oder in andere Tagesrou‐ tinen eingebunden sein. Insbesondere in der Recherchesowie Konzeptionsphase für ein neues Produkt werden Sie viel allein arbeiten. Selbstmanagement ist für Sie daher essenziell. Führungs‐ qualitäten und Teamfä‐ higkeit Ein neues digitales Produkt lässt sich in den seltensten Fällen durchgängig allein entwickeln und produzieren. Sie werden dafür ein Team zusammenstellen und es über die Laufzeit der Forma‐ tentwicklung anleiten. Auch wenn Sie als Formatentwickler: in Ihrem Team nicht disziplinarisch vorgesetzt sind, sind Sie die Person, die das Projekt überblickt und Entscheidungen trifft. Sie müssen ein Gespür für Ihre Kolleg: innen haben, wissen, wie Sie sie motivieren können, und auch in der Lage sein, mal hart durchzugreifen. Aber spielen Sie sich ja nicht auf! Auch wenn Sie die Zügel in der Hand halten, ist das Endprodukt nicht Ihr alleiniges Werk. Was Sie erreichen, werden Sie nur im Team erreichen. Seien Sie Anführer: in und Teamplayer: in zugleich. Digital Lite‐ racy Sie benötigen ein Verständnis für die Funktionsweise unterschied‐ licher Medien. Das bedeutet nicht, dass Sie ein „digital native“ sein müssen und ab einem gewissen Geburtsjahr per se als Formatent‐ wickler: in ausscheiden. Sondern Sie müssen Freude am Digitalen haben und in der Lage sein, mit digitalen Tools umzugehen Ihr Wissensdefizit autodidaktisch auszugleichen. Sie können zum Beispiel keine Videoserie auf YouTube starten, wenn Sie nicht wis‐ sen, in welcher Auflösung und in welchem Dateiformat das Video hochgeladen werden sollte, wie Thumbnails aussehen, Untertitel erstellt und Descriptions verfasst werden müssen oder in welchem Tool Sie all diese Arbeitsschritte organisieren. Denn Sie werden weder Cutter: innen noch Designer: innen noch Redakteur: innen vernünftig anweisen können, wie sie was wann zu erledigen haben. Ein Auge für Ästhetik Jedes digitale Produkt benötigt ein Design: ein Logo, Schriftarten, Farben, ein Layout. Sie müssen keine Typografie-Expertin und kein Farbschema-Pro sein, Sie sollten jedoch über ein Auge für gutes Design verfügen. 30 Check-in <?page no="31"?> Mentale Be‐ lastbarkeit Selbst wenn Sie mit Ihrer vollen Arbeitskraft ein Produkt entwi‐ ckeln können: Es kommt der Punkt, an dem das Sich-Gedanken- Machen vorbei ist, in dem es an die serielle Produktion geht und Sie plötzlich von allen Seiten Druck spüren. Von Ihren Vorgesetz‐ ten, vom Team, von weiteren Abteilungen, von denen Sie gar nicht wussten, dass sie plötzlich vor Ihrer Tür stehen könnten. Das können Sie nur mit einem dicken Fell aushalten. Und wenn Sie Ihren Formatentwicklungsjob nebenbei stemmen müssen, kann Ihr Fell gar nicht dick genug sein. Tab. 1: Fähigkeiten für die Formatentwicklung von digitalen Produkten in Redaktionen Eine Entwicklung darf auch scheitern. Zuletzt sei betont: Ihre Aufgabe besteht nicht darin, Ideen auf Biegen und Brechen ins Leben zu verhelfen. Dass Sie sich diesen Satz verinnerlichen, ist ganz wichtig für Ihr Seelenheil. Formatentwickler: innen müssen nicht alles möglich machen. Zuvorderst ist es Ihre Aufgabe herauszufinden, ob es für Produkte überhaupt einen Markt gibt und ob sie in Ihrer Redaktion lang‐ fristig und ohne Kolleg: innen zu verheizen umgesetzt werden können. Ihr Ziel muss immer sein, das richtige Produkt richtig zu entwickeln. Sie wollen etwas Sinnvolles schaffen, das Ihrem Publikum hilft und dementsprechend positiv auf Ihre Medienmarke einzahlt. Auch Ihren Vorgesetzten muss klar sein, dass am Ende einer Formatent‐ wicklung immer auch das Ergebnis stehen kann: Es funktioniert gar nicht. So, wie unsere Ressourcen bestellt sind oder unsere Teamkonstellation ist, können wir keinen Podcast, Newsletter oder Social-Media-Kanal erschaffen und langfristig mit Inhalten füllen. Gleiches gilt für den Fall, dass Sie den Auftrag erhalten, ein Produkt weiterzuentwickeln. Es kann passieren, dass man das Design eines Produkts ändert, die Redakteur: innen austauscht, kostspielige Technik anschafft - und dennoch interessiert sich niemand für Ihr Produkt. Formatentwicklung führt nicht per se zum Erfolg. Wie Sie mit dem, wohlgemerkt, vermeintlichen Scheitern umgehen, besprechen wir am Ende des Buches. Eine Entwicklung darf auch scheitern. 31 <?page no="33"?> Recherche Was bisher geschah | Ihnen liegt eine grobe Idee für ein neues digitales Produkt vor. Die erste, im Check-in besprochene Kontrolle hat die Idee bestanden und kommt für eine Formatentwicklung in Frage. Was nun geschieht | In der Recherchephase lernen Sie das Umfeld für Ihre grobe Produktidee besser kennen und stecken die Rahmenbe‐ dingungen für die Formatentwicklung enger ab. Wir werden klären, worauf bei der Recherche zu Oberthema, Plattform, Zielgruppe und Marktumfeld zu achten ist und mithilfe welcher Quellen Sie up to date bleiben. Wie Sie alternativ vorgehen können | Wenn Sie frisch in die Tätigkeit als Formatentwickler: in einsteigen, bietet sich vor der Recherche ein kurzes Gespräch mit der Chefredaktion an. Vergewissern Sie sich, dass Sie zum ersten Impuls für ein neues Produkt recherchieren dürfen, damit die Arbeit am Ende nicht umsonst war. Dieses Go entscheidet noch nicht darüber, ob Sie eine vollständige Formatentwicklung durchfüh‐ ren können. Zu dieser ausführlichen Absprache mit den Vorgesetzten kommen wir in der Mandatierungsphase. Die Recherche ist hierfür die Voraussetzung. Lernen Sie Ihr Thema kennen. Formatentwickler: innen brauchen keine Top-Expert: innen für das Ober‐ thema sein, zu dem ein Produkt entstehen soll. Wenn Sie einen Geschichts‐ podcast über die Französische Revolution entwickeln wollen, müssen Sie nicht sämtliche Ereignisse zwischen 1789 und 1799 aus dem Effeff runter‐ leiern können. Doch Sie entwickeln ein vor allem inhaltlich getriebenes journalistisches Erzeugnis. Sie werden also im Laufe der Entwicklung unweigerlich mit Redakteur: innen über Inhalte sprechen - und an diesen Diskussionen müssen Sie sich adäquat beteiligen können. Nutzen Sie also Ihr Recherchetalent und setzen Sie sich mit dem Ober‐ thema auseinander, sodass Sie gegenüber den wahren Expert: innen sprech‐ fähig sind. <?page no="34"?> Leider ist die thematische Recherche so individuell, dass sich an dieser Stelle nicht mehr mit auf den Weg geben lässt als allgemeine Ratschläge: ● Lesen Sie Artikel und Bücher, hören Sie Podcasts, streamen Sie Doku‐ mentationen. ● Behalten Sie dabei die Kommentarspalten oder Diskussionen in sozialen Netzwerken im Blick. Notieren Sie, welche unterschiedlichen Positionen es zu dem Thema gibt. ● Während Sie all dieses Wissen aufsaugen, erstellen Sie eine Liste mit Expert: innen, wenn Ihnen welche unterkommen, die die unterschiedli‐ chen Positionen abbilden und Spannendes erzählen können. ● Sammeln Sie zusätzlich mögliche Protagonist: innen zu dem Thema. ● Legen Sie ein Tabellendokument an, in dem Sie Links zu Quellen, Expert: innen und Protagonist: innen ablegen. Toben Sie sich mit Plattformen und Services aus. Sind Sie fit im Thema, kann die Recherche zur angedachten Plattform weitergehen. Hierbei ist der Anspruch höher: Mit Plattformen und Services sollten Sie sich sehr detailliert und genau auseinandersetzen. Denn häufig werden Sie Produkte für Plattformen entwickeln, die bislang nicht von Ihrer Redaktion erschlossen wurden. Das heißt: Außer Ihnen wird es keine Expert: innen im Haus geben, auf die Sie zurückgreifen können. Verschaffen Sie sich zunächst einen allgemeinen Überblick: 34 Recherche <?page no="35"?> Welchem Unterneh‐ men gehört die Platt‐ form? Prüfen Sie, über welche Kanäle das Unternehmen die Presse über Neuerungen an seinen Plattformen infor‐ miert, und abonnieren Sie den Newsletter, folgen Sie dem Medium-Blog und/ oder beginnen Sie, den Podcast der Öffentlichkeitsabteilung zu hören. Facebook und Spotify beispielsweise informieren über neue Features oder Pro‐ jekte in digitalen Newsrooms (about.fb.com/ de/ news und newsroom.spotify.com). Wer sind wichtige Personen im Unter‐ nehmen? In einigen Fällen lohnt es sich, den Führungskräften großer Plattformen auf ihren Social-Media-Kanälen zu folgen, um Einblick in die Pläne der Unternehmen zu erhalten. Von Instagram-Chef Adam Mosseri erfährt man zum Beispiel auf dessen Account (@mosseri) in Reels, welche neuen Features auf der Plattform entstehen. Steht die Plattform in der Kritik und wofür? Auf Plattformen von Dritten Inhalte zu publizieren, kann zum Politikum werden. Meta etwa, das US-ameri‐ kanische Unternehmen hinter Facebook, Instagram und WhatsApp, ist als Datenkrake bekannt. TikToks Nähe zur chinesischen Regierung wird ebenfalls fortwährend als Sicherheitsrisiko diskutiert. Ob die Aktivität auf einer Plattform sinnvoll ist, sollten Sie abwägen und mit Ihrer Chefredaktion diskutieren. Welche technischen Schwerpunkte setzt die Plattform? Plattformen befinden sich im konstanten Wandel. Meta etwa, durch neue Netzwerke wie TikTok, Snapchat oder Clubhouse arg verunsichert, nimmt ständig elementare Veränderungen insbesondere an Facebook vor. Kurzzeitig wollte das Unternehmen lange Videos bevorzugen, dann sollte es Audio-Optionen für Podcast-Produzent: innen geben, dann wieder nicht. Behalten Sie bei der Lektüre von Presse-Infos insbesondere im Blick, wie die Plattform‐ betreiber: innen auf Trends reagieren. In welchem Land hat das Unternehmen sei‐ nen Sitz? Als Formatentwickler: in digitaler Produkte werden Sie sich immer auch mit Datenschutzfragen beschäftigen müssen. Ob das Unternehmen seinen Sitz in der Europäischen Union hat und damit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) unterworfen ist, muss Sie dringend interessieren. Auf welchen Endge‐ räten und Betriebs‐ systemen funktio‐ niert die Plattform? Nicht jede Plattform steht auf allen Endgeräten von An‐ fang an zur Verfügung. Zu Beginn von Clubhouse hatten nur iPhone-Besitzer: innen die Möglichkeit, die Social- Audio-App zu nutzen. Twitter Spaces wiederum wurde für iOS- und Android-Geräte ausgerollt, funktioniert aber lediglich auf Smartphones und nicht auf Tablets. Über die Zugänglichkeit der Plattform sollten Sie Bescheid wissen. Auch die Barrierefreiheit sollte Sie interessieren. Tab. 2: Informationen über Plattformen einholen Toben Sie sich mit Plattformen und Services aus. 35 <?page no="36"?> Arbeiten Sie sich anschließend dezidierter in die Nutzung der Plattform ein. Welche Funk‐ tionen um‐ fasst ein Account? Wenn Sie beispielsweise auf Instagram aktiv werden wollen, sollten Sie im Blick haben, dass es neben dem Feed auch noch die Möglichkeit gibt, Storys, Reels, Guides und Livevideos zu ver‐ öffentlichen. Entsprechend viele unterschiedliche Beitragsarten gibt es, in die Sie Ihre journalistischen Inhalte verpacken können. Studieren Sie die Bildformate, die maximalen Dateigrößen und und die technischen Grenzen und setzen Sie sich mit den Vor- und Nachteilen der Beitragstypen auseinander. Wenn Sie einen Newsletter entwickeln, sollten Sie sich bei Ihrem E-Mail-Marketing-Service mit der Bearbeitung von Verteilerlisten, Kampagnen und transaktionalen Mails (beispielsweise einer Will‐ kommensnachricht bei der Anmeldung) vertraut machen. Um Pod‐ cast-Plattformen optimal zu nutzen, gilt es wiederum, den Umgang mit RSS-Feeds zu verstehen und auch die Positionierung von Pre-, Mid- oder Post-Roll-Werbeplätzen in einer Episode zu kennen. Sie merken: Je nach Plattform muss man sich neues technisches Wissen und Vokabular aneignen. Nur wenn Sie detailliert Bescheid wissen, werden Sie ein fachgerechtes Format entwickeln können. Welche Zu‐ gangs- und Sicherheitseinstellungen gibt es? Im späteren Regelbetrieb werden gewiss mehrere Teammitglieder Zugriff auf einen Account benötigen. Beschäftigen Sie sich daher frühestmöglich mit den Sicherheitseinstellungen. Um im Team einen YouTube-Account zu betreiben, können Sie die privaten Accounts Ihrer Teammitglieder beispielsweise als Admins hinzufügen. Bei TikTok hingegen werden sich mehrere Teammitglieder einen Ac‐ count teilen. Haben Sie die Zwei-Faktor-Authentifizierung aktiviert - und das ist immer zur Sicherheit Ihrer Accounts zu empfehlen--, wird sich jedes Teammitglied bei der Anmeldung mit einem Code verifizieren müssen. Dieser Code wird per SMS an ein Handy geschickt. Das mag wie eine unbedeutende Kleinigkeit klingen, aber im Alltag scheitern eine reibungslose Distribution von Inhalten oder Community-Management genau daran: Dass sich Teammitglieder nicht in den Account einloggen können - weil niemand weiß, auf welchem Handy der Code per SMS ankommt. Weil das Handy samt Besitzer: in gerade im Urlaub und unerreichbar ist. Weil sich der: die Formatentwickler: in um Zugangs- und Sicherheitsfragen keine Gedanken gemacht hat. Also: Klären Sie sie jetzt. Wie gut ist der Support? Keine Plattform ist perfekt. Immer wieder kommt es vor, dass die Mitarbeiter: innen der Plattform komplett unerreichbar sind (was Journalist: innen immer wieder frustriert auf Twitter kommentieren) oder ein Fehler die Veröffentlichung von Beiträgen verhindert. In solchen definitiv eintretenden Fällen wird es für Ihr Team wichtig sein, einen möglichst direkten Draht zur Plattform zu haben. Infor‐ mieren Sie sich bei Ihrer Recherche auch dazu; suchen Sie nach Kontaktadressen oder direkten Ansprechpersonen. Tab. 3: Informationen über die Nutzung der Plattform einholen 36 Recherche <?page no="37"?> Wenn es notwendig ist, einen Service zu nutzen, um ein Produkt über meh‐ rere Plattformen zu veröffentlichen, prüfen Sie diese Dienste auf die gleiche Art und Weise. Entsteht unter Ihrer Anleitung zum Beispiel ein Podcast, müssen Sie nicht nur die Funktionalität von Spotify, Deezer und Google Podcasts überblicken, sondern Sie sollten auch mit Hosting-Plattformen wie Podigee, PodBean und Buzzsprout vertraut sein, auf denen Sie Ihre Audio‐ dateien bereitstellen. Bei Services interessiert Sie über die oben genannten Punkte hinaus auch die Preismodelle der Angebote. Wie unterscheiden sie sich? Welches entspricht am ehesten Ihren Bedürfnissen? Im Laufe der Formatentwicklung werden Sie sich für einen Dienst entscheiden müssen. Und auch wenn die Chefredaktion womöglich am Ende diese Entscheidung trifft, weil es um Budgets geht, wird sie sich auf Ihre Empfehlung verlassen. Auch was Services betrifft, müssen Sie also eine bestmögliche Expertise aufbauen. Berücksichtigen Sie neben Services, die unerlässlich für die Distribution von Produkten ist, auch solche, mit denen Sie die Inhalte aufwerten können. Wenn Sie eine Videoserie für einen Social-Media-Kanal oder einen Podcast entwickeln, wollen Sie ziemlich sicher Musik und Effekte verwenden. Hierfür bieten sich Bibliotheken wie Artlist.io, Soundstripe und Premium Beat an, auf denen Sie Songs und Sounds lizenzieren kön‐ nen. Entwickeln Sie einen Social-Media-Kanal, auf dem voraussichtlich Daten aufbereitet werden sollten, könnten Sie Ihre Fühler schon einmal Richtung Icon-Bibliotheken ausstrecken - wie The Noun Project oder Font Awesome. Notieren Sie, welche Dienste Sie gut finden und halten Sie diese Liste für das Gespräch über Ressourcen mit der Chefredaktion in der Mandatierungsphase vor. Sich Wissen über Plattformen und Services anzueignen, ist eine schier endlose Fleißarbeit. Denn einige Plattformen besitzen ausufernde Funktio‐ nen. Nehmen wir Instagram: Man könnte sagen, dass diese eine Plattform aus mehreren Plattformen besteht, die unterschiedlichen Gesetzmäßigkei‐ ten folgen. Der Instagram-Feed ist ein anderes Umfeld als Instagram-Storys, die sich wiederum von Reels unterscheiden. In so einem Fall lohnt es sich, die Plattform zu skizzieren. Im Fall von Instagram könnte ein solcher Visualisierungsansatz wie in Abbildung 7 aussehen. Toben Sie sich mit Plattformen und Services aus. 37 <?page no="38"?> Abb. 7: Visualisierungsansatz zu Instagram Auch up to date zu bleiben, ist eine Herausforderung. Denn Plattformen und Services nehmen ständig kleine bis größere Veränderungen vor. Aus diesem Grund werden Sie Formatentwickler: innen finden, die sich auf bestimmte Plattformen konzentrieren, etwa auf wenige Social-Media-Plattformen oder nur auf Podcasts oder Newsletter, um hier die bestmögliche Expertise aufzubauen und am Ball zu bleiben. Behalten Sie den Medienbetrieb im Blick. Um kontinuierlich den Überblick zu behalten, sollten Sie für Ihren Bereich relevante Quellen identifizieren, sich Lesezeichen zu Websites anlegen, Branchen-Newsletter abonnieren und Podcasts lauschen. Eine kleine Übersicht zum Einstieg in die Themenwelt von Social-Media, Podcasts, Newslettern und der Medienwelt im Allgemeinen finden Sie in dieser Liste. 38 Recherche <?page no="39"?> Name Beschreibung bonjourno.de Podcast zu unterschiedlichen Journalismusthemen dwdl.de Online-Branchendienst über Fernsehen und Strea‐ ming hinterdenzeilen.de Podcast über Journalismus horizont.de Print- und Online-Magazin über Medien, Marketing und Werbung innovationstheater.de Interviewpodcast zur Digitalisierung in Medienhäu‐ sern journalist.de Mitgliederheft des Deutschen Journalisten-Verban‐ des mit Online-Auftritt kress.de Print- und Online-Informationsdienst für die Me‐ dien- und Kommunikationsbranche leibniz-hbi.de Website des Hans-Bredow-Instituts für Medienfor‐ schung mmm.verdi.de Online-Magazin der Gewerkschaft ver.di mit wirt‐ schaftlichem und politischem Fokus auf die deutsche Medienlandschaft medienmacherin.podi‐ gee.io Interviewpodcast mit inspirierenden Medienmache‐ rinnen medieninsider.de Online-Magazin über alle Mediensparten meedia.de Online-Magazin über alle Mediensparten OMR Media Interviewpodcast der Online Marketing Rockstars mit Medienmacher: innen turi2.de Online-Branchendienst mit umfangreichem Mor‐ gen- und Abend-Newsletter sowie regelmäßigem Podcast wasmitmedien.de Podcast vornehmlich über Trends in der deutschen Medienbranche Tab. 4: Deutschsprachige Angebote Behalten Sie den Medienbetrieb im Blick. 39 <?page no="40"?> Name Beschreibung allfacebook.com Online-Magazin zu Facebook- und anderen So‐ cial-Media-Themen axios.com Online-Magazin mit Medienressort cjr.org Print- und Online-Magazin der Columbia Univer‐ sity Graduate School of Journalism digiday.com Online-Magazin mit einem Schwerpunkt auf Me‐ dien- und Marketing-Themen mashable.com Online-Magazin über Digital-Themen mediashift.org Breit aufgestelltes Online-Magazin unter ande‐ rem zu Social-Media- und Technologie-Themen. niemanlab.org Online-Auftritt des Nieman Journalism Lab, das sich mit neuen Modellen für Qualitätsjournalis‐ mus beschäftigt. poynter.org Auftritt des Poynter Institutes mit News und Dossiers zur Journalismus-Branche reutersinstitute.poli‐ tics.ox.ac.uk Auftritt des Reuters Institute for the Study of Journalism der Oxford-Universität mit News aus der Journalismus-Branche socialmediatoday.com Online-Magazin über Social-Media-Themen techcrunch.com Online-Magazin über Digital-Themen theverge.com Online-Magazin über Digital-Themen Tab. 5: Englischsprachige Angebote Feedly So viel zu lesen! Um den Überblick zu behalten, können Sie in der News- Aggregator-App Feedly Listen erstellen und darin neue Artikel Ihrer favorisierten Quellen einlaufen lassen. Es lassen sich auch ganz leicht Lesezeichen zu interessanten Artikeln hinzufügen, um sie später wie‐ derzufinden. feedly.com 40 Recherche <?page no="41"?> Lernen Sie Ihr Publikum aus der Ferne kennen. Wie Sie in einer Themenkonferenz wahrscheinlich auch immer berück‐ sichtigen, ob oder welche Aspekte eines Themas Ihr Publikum besonders interessieren könnten, sollten Sie auch bei der Formatentwicklung die Bedürfnisse Ihrer künftigen Nutzer: innen berücksichtigen. Sie wollen unbe‐ dingt nutzer: innenorientiert arbeiten. Denn keine Redaktion möchte etwas produzieren, das am Ende nicht gesehen, gehört oder gelesen wird. Wie man nun dahinterkommt, was Nutzer: innen wollen, ist eine Wissen‐ schaft für sich. Eine erste Orientierung können die großen Nutzungsstudien geben, internationale sowie deutschlandspezifische. Name Beschreibung Reuters Institute Di‐ gital News Report Das Reuters Institut führt alljährlich eine repräsentative Studie unter Nutzer: innen von digitalen Nachrichtenan‐ geboten durch. digitalnewsreport.org ARD/ ZDF-Onlinestu‐ die Seit 1997 führen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan‐ stalten ARD und ZDF in Deutschland jährlich eine reprä‐ sentative Umfrage zur Nutzung von digtialen Medien durch. ard-zdf-onlinestudie.de ARD/ ZDF-Massen‐ kommunikation Ergänzend zur Onlinestudie lohnt sich ein Blick in die Trendstudie zu sämtlichen Massenmedien in Deutsch‐ land. ard-zdf-massenkommunikation.de JIM- und KIM-Studie Der Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) untersucht jährlich die Mediennutzung von 12bis 19-Jährigen ( JIM-Studie) sowie von 6bis 13-Jährigen (KIM-Studie) durch. mpfs.de Sinus-Milieus Das Sinus-Institut eine Typologie der deutschen Gesell‐ schaft entwickelt: die sogenannten Sinus-Milieus. Die Typologie soll unter anderem dabei helfen, Zielgruppen granularer voneinander zu unterscheiden und besser zu verstehen. Das Konzept geht davon aus, dass sich Men‐ schen statt aufgrund demografischer Ähnlichkeit besser über ihre Lebensweise und Einstellungen besser zu Ziel‐ gruppen zusammenfassen lassen. sinus-institut.de UseTheNews-Studien Die Initiative #UseTheNews der Deutschen Presse-Agen‐ tur (dpa) und der Hamburger Behörde für Kultur und Medien sammelt Daten zur Nachrichtennutzung junger Menschen. usethenews.de Lernen Sie Ihr Publikum aus der Ferne kennen. 41 <?page no="42"?> Mediennutzertypolo‐ gie (MNT) von ARD und ZDF Um detaillierter die Mediennutzung von Menschen zu verstehen, haben ARD und ZDF ebenfalls eine Typologie von Nutzer: innen vorgenommen. Die MNT ist 1997/ 1998 entwickelt und zuletzt 2015 geupdatet worden. ard-zdf-mnt.de Tab. 6: Übersicht Nutzungsstudien Solche Mediennutzungsstudien sind aufschlussreich, um zunächst den gro‐ ßen Trends nachzuspüren. Welche Menschen nutzen überhaupt digitale Medien? Welche nutzen sie? Wie lange? Wofür? Mithilfe dieser Studien bekommen Sie ein gutes erstes Gespür, welche Nutzer: innen auf der von Ihnen angedachten Plattform für Ihr Produkt grundsätzlich unterwegs sind. Treten Sie näher heran. Wie bekommen Sie nun aber heraus, wie die spezifische Zielgruppe tickt, die sich für Ihre noch grobe Produktidee interessieren könnte? Könnten Hörer: innen, die die Website Ihres Radiosenders ansteuern, Interesse an einem Newsletter haben? Oder Leser: innen Ihres Onlinemagazins Interesse an einem Podcast? Wo fängt man an zu forschen? Wenn es in Ihrem Unternehmen ein Datenteam gibt, das das Verhalten Ihres Publikums analysiert, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, ihm einen Besuch abzustatten. Holen Sie bei der Martkforschung Ihres Unternehmens alle Informationen ein, die Sie für Ihre Formatentwicklung gebrauchen können. Fragen Sie zum Beispiel diese Basisdaten ab: ● Was wissen wir grundsätzlich über die Demografie unserer Nutzer: innen? ● Welche Interessen haben sie? ● Auf welchen bestehenden Angeboten auf Plattformen erreichen wir welche Nutzer: innen? ● Was wissen wir über ihre Motivation, mit unserer Medienmarke auf den vorhandenen Plattformen zu interagieren? ● Welche Endgeräte verwenden sie? ● Zu welchen Uhrzeiten interagieren sie mit den vorhandenen Plattfor‐ men unserer Medienmarke? Wenn Sie keine Marktforschung im Haus haben, sind Ihr Social-Mediaso‐ wie Ihr Communityteam die nächstbesten Adressen, um Ihre Nutzer: innen 42 Recherche <?page no="43"?> verstehen zu lernen. Diese Redakteur: innen stehen immerhin konstant in Kontakt mit Ihrem Publikum, über alle Plattformen hinweg. Fragen Sie auch bei Ihrem Kund: innensupport Informationen ab. ● Mit welchen Bedürfnissen melden sich Nutzer: innen? ● Welches Feedback übermitteln sie? ● Welche Wünsche äußern sie? Auf Basis dieses Wissens können Sie womöglich erste Aussagen darüber treffen, ob Ihr ausgewähltes Oberthema grundsätzlich eines ist, das bestehende Nutzer: innen ansprechen könnte. Vielleicht können Sie sogar schon ermitteln, welche Gedanken Ihr potenzielles Publikum zu diesem Thema umtreiben. Wenn bisher keine oder zu wenig Daten vorliegen, lohnt es sich, quanti‐ tative und qualitative Umfragen anzustoßen. Mit einer quantitativen Umfrage, bei der sie eine Vielzahl von Nutzer: innen befragen, gibt Ihnen einen Überblick über das große Ganze. Mit einer qualitativen Umfrage, bei denen Sie wenige Nut‐ zer: innen intensiv befragen, erhalten Sie einen detaillierteren Blick in das Nutzer: innenverrhalten. Im Idealfall nehmen Sie sich Zeit für beide Arten von Umfragen. Starten Sie mit einer quantitativen Umfrage. Fragen Sie ab, was für Ihre Formatent‐ wicklung gewinnbringend sein kann. Denken Sie über ein neues Podcast- Angebot nach, fragen Sie zum Beispiel nach der Audio-Nutzung. Eine simple Umfrage ließe sich so gestalten: Aufruf auf Ih‐ rer Website Umfrage Wollen Sie uns hören? Wir planen einen neuen Nachrichtenpodcast. Helfen Sie uns bei der Entwicklung, indem Sie uns in einer Umfrage wenige Fragen beantworten. Frage 1 Pflichtangabe Wir planen einen Nachrichtenpodcast, der jeden Abend die wichtigsten Ereignisse in der Region zusammenfasst. Würden Sie sich ein solches Angebot anhören? Ja/ Nein Treten Sie näher heran. 43 <?page no="44"?> Frage 2 Pflichtangabe/ Mehrfachnennung möglich Welche Audio-Streaming-Plattformen nutzen Sie? Spotify/ Apple Podcasts/ Google Podcasts/ Deezer/ Andere/ Keine Frage 3 Pflichtangabe/ Mehrfachnennung möglich Für welche nachrichtlichen Themen aus der Region interessie‐ ren Sie sich am meisten? Politik/ Wirtschaft/ Kultur/ Sport/ Andere Frage 4 Welche Podcasts hören Sie bereits? [Freitextfeld] Frage 5 Pflichtangabe Wie alt sind Sie? Frage 6 Pflichtangabe Welchem Geschlecht fühlen Sie sich zugehörig? Frage 7 Pflichtangabe Vielen Dank für Ihre Teilnahme! Wollen Sie Teil unserer Test- Nutzer: innen für den Podcast werden? Dann tragen Sie zum Schluss Ihre E-Mail-Adresse ein. [Datenschutzhinweis] Tab. 7: Aufbau einer einfachen Umfrage Über ein Banner auf Ihrer Homepage oder schlau getextete Social-Media- Posts können Sie Ihr Publikum aktivieren, Antworten zu liefern. Sagen Sie ruhig klar, worum es geht. Halten Sie die Umfrage möglichst kurz. Wenige werden bereit sein, zehn Minuten in die Beantwortung eines ausufernden Katalogs zu investieren. Fragen Sie auch immer eine Kontaktmöglichkeit ab, zum Beispiel die E- Mail-Adresse. Vorsicht: Bei Mail-Adressen handelt es sich um personenbe‐ zogene Daten, die laut Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besonders schützenswert sind. Klären Sie mit Ihren Datenschutzbeauftragten, wie Sie diese Daten fachgerecht verarbeiten. Der Aufwand lohnt sich: Wenn Sie die Mail-Adresse haben, können Sie ausgewählte Umfrageteilnehmer: innen kontaktieren, um sie in einem zweiten Schritt ausführlich zu befragen. Auch in der weiteren Formatent‐ wicklung wird es hilfreich sein, externe Personen in Ihre Entwicklung zu involvieren. Kontakt zu interessierten Nutzer: innen zu haben, die Sie mit Feedback und Kritik unterstützen können, wird sich und der Ideenfindungs‐ phase sowie beim Formattest als höchst hilfreich erweisen. 44 Recherche <?page no="45"?> Typeform Mit Typeform können Sie in wenigen Klicks Nutzer: innenumfragen anlegen und in ein zu Ihrer Medienmarke passendes Design bringen. Die Umfrage können Sie anschließend per Embed-Code in Ihre Website einbetten oder eine URL zur Umfrage auf Social-Media-Kanälen teilen. Ihre Datenschutzbe‐ auftragten dürften sich auch freuen: Typeform ist ein spanisches Unterneh‐ men und muss Daten DSGVO-konform verarbeiten. typeform.com Weiterhin ist es unabdingbar, regelmäßig mit echten Menschen in unmittel‐ baren Kontakt zu treten. Das werden wir im Interview mit Daniela Jaschob noch ausführlicher besprechen. Eine Persona kann die Komplexität Ihrer Zielgruppe reduzieren. Wenn Sie sich über die potenzielle Zielgruppe für Ihr Produkt informiert haben, liegt Ihnen wahrscheinlich eine ganze Menge an Informationen vor. Suchen Sie nun in diesen Daten nach Mustern. Welches Bedürfnis Ihres Publikums lässt sich aus den Umfrageergebnissen und Gesprächen mit einzelnen Nutzer: innen herauslesen? Auf welchen Endgeräten sind sie besonders aktiv? Und wann? Und wie nutzen sie die Plattform, für die Sie Ihr Produkt bislang angedacht haben? Versuchen Sie, aus der Vielzahl von Daten ein Destillat anzufertigen. Damit Sie Ihre Chefredaktion bei der anstehenden Mandatierung oder im Anschluss daran Ihrem Team in der Ideenfindungsphase keinen gewaltigen Katalog mit Infos auf den Tisch wuchten müssen, um ein Verständnis der Zielgruppe zu vermitteln, müssen Sie die Daten reduzieren. Am anschau‐ lichsten gelingt das mithilfe von Personas. Eine Persona dient dem Zweck, die abstrakte Zielgruppe eines Pro‐ dukts zu veranschaulichen. Auf einem Persona-Bogen wird ein: e Vertreter: in aus der Zielgruppe konkret vorgestellt. Der Bogen hat ein wenig die Anmutung eines Lebenslaufs. Eine Persona kann die Komplexität Ihrer Zielgruppe reduzieren. 45 <?page no="46"?> Versuchen Sie, auf Basis der Daten mehrere Durchschnittspersonen zu destillieren. Bauen Sie dabei auf Personen aus der Zielgruppe auf, die Sie besonders interessieren. Notieren Sie auf dem Bogen, was Ihnen zum Verständnis dieser Nutzer: innentypen wissenswert erscheint. Ein Bogen kann folgendermaßen aussehen: Abb. 8: Persona-Bogen Wenn Sie nach Vorlagen für Persona-Bögen suchen, werden Sie auf vielen Platz für ein Zitat oder Motto finden, was, wenn man kurz überlegt, reichlich abstrus ist: Welcher Mensch rennt schon mit einem Motto durchs Leben, auf das alle Wertvorstellungen und Facetten der Persönlichkeit heruntergebro‐ chen werden können? Unsplash Um die Person nahbar zu machen, kann man ihr ein Gesicht geben. Li‐ zenzfreie, also für jeden Zweck verwendbare kostenlose Bilder von Menschen finden Sie zum Beispiel in der Stock-Foto-Bibliothek Un‐ splash. unsplash.com 46 Recherche <?page no="47"?> Sich idealtypische Nutzer: innen Ihres zu entwickelnden Produkts aus Stu‐ dien herzuleiten, ist ein guter Anfang. Aber rufen Sie sich und Ihrem Team immer wieder in Erinnerung: Die Persona-Bögen sind keine absoluten Fixsterne, sie sind lediglich grobe Orientierungspunkte. Auch wenn sie auf Daten basieren, ist es unwahrscheinlich, dass Sie diese Idealtypen Ihrer Zielgruppe tatsächlich auf der Straße treffen können. Erstellen Sie eine Persona, um allen Projektbeteiligten und -interessierten so plastisch wie möglich vor Augen führen zu können, für wen das zu entwickelnde Produkt gedacht ist. Und gleichen Sie in der Ideenfindungs‐ phase immer mal wieder an der Persona ab, ob Ihre Ideen an der Zielgruppe komplett vorbeigehen. Aber halten Sie sich nicht biblisch an Ihren Personas fest. ► Daniela Jaschob über Nutzer: innenforschung: „Die Frage ist immer, was du herausfinden willst“ Daniela Jaschob ist Journalistin und Expertin für Digitales Storytelling bei NOZ Digital. Zuvor hat sie im HHLab gearbeitet, der ehemali‐ gen Forschung-und-Entwicklung-Abteilung von NOZ Medien. Das interdisziplinäre Team entwickelte journalistische Produkte wie die YouTube-Videoserie „Die Fahrrad-Fanatiker“ sowie interne Anwen‐ dungen für die Redaktion. Bei ihrer Arbeit legten Daniela und ihre Kolleg: innen Wert auf eine nutzer: innenzentrierte Entwicklung, sie stellten die Bedürfnisse und Probleme ihrer Zielgruppen stets an den Anfang ihrer Projekte. Wie man herausbekommt, was diese Bedürfnisse und Probleme sind, erzählt sie im Interview. Daniela, ich möchte herausbekommen, wie mein Publikum tickt. Welche Art der Befragung liefert mir die besseren Ant‐ worten: eine qualitative oder quantitative Umfrage? Daniela Jaschob: Beide! Die Frage ist immer, was du herausfinden willst. Willst du eine erste Tendenz haben, ob eine Hypothese stim‐ men könnte? Dann sind quantitative Interviews super. Qualitative Interviews solltest du führen, wenn du genau wissen willst, wo das Problem der Menschen liegt. Am Ende braucht man aber immer beides, wenn man wirklich herausbekommen möchte, ob man mit seiner Idee und letztendlich mit seinem Produkt da draußen ankommt. ► Daniela Jaschob über Nutzer: innenforschung 47 <?page no="48"?> Wie finde ich überhaupt Menschen, um sie zu befragen? Wir haben bei uns eine kleine Abteilung für UX-Design und User Research, die sich über Jahre ein Panel aufgebaut hat. Wenn die Kollegen: innen mit Personen aus unterschiedlichen Zielgruppen ge‐ sprochen haben, haben sie gefragt: Hey, können wir dich nochmal kontaktieren? Anschließend haben sie die E-Mail-Adressen in einer Datenbank gesammelt. Und dieses Panel können wir nun immer wieder anschreiben. Wenn wir zum Beispiel Fragen zum Thema Video haben, können wir in der Datenbank nach dem Medienkonsum filtern und gezielt die Menschen mit einer Befragung anschreiben, die sich für Videos interessieren. Oder eben auch die, die keine Videos gucken. Das klingt nach einem grandiosen Tool. Ich fange sofort an, eine solche Datenbank aufzubauen. Aber jetzt ist sie gerade noch leer. Was dann? Dann gibt es unter anderem Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Teilnehmer: innen für Befragungen für dich zu finden. Das kostet natürlich ein bisschen, da muss man die Kosten und den Nutzen abwägen. Ebenso kann man auch die eigenen Netzwerke anzapfen, Twitter und LinkedIn bieten sich an, sind allerdings auch schon überstrapaziert. Für ein aktuelles Projekt sind wir einfach in Super‐ märkte gegangen und haben dort Leute angesprochen. Das können wir Journalist: innen ja am besten, einfach mal Leute anquatschen, und das bringt auch schon viel. Das Vorgehen ist immer abhängig von der Frage, was letzten Endes rausspringen soll. Wie werde ich mir denn vorab klar darüber, was ich eigentlich wissen muss? Ich würde dazu raten, die Befragung nicht allein zu entwerfen, sondern immer einen Sparringspartner mit dazu zu nehmen. Ein Produkt entwickelt man ja in der Regel nicht allein, sondern man macht das im Team. Man wird sich gemeinsam klar darüber, was das Ziel des Ganzen sein soll und entsprechend auch, was man für die Entwick‐ lung herausfinden möchte. Wir haben zwar als Journalist: innen alle Fragetechniken gelernt, aber User Researcher zum Beispiel können Leitfadengespräche viel besser aufsetzen. Solche Sparringspartner: in‐ nen würde ich jedem empfehlen. 48 Recherche <?page no="49"?> Es gibt ja bereits zahlreiche Mediennutzungsstudien. Aus den Ergebnissen ließe sich sicher auch eine prototypische Persona zusammenstellen, um sich die Zielgruppe besser vorstellen zu können. Spricht etwas dagegen? Ich finde es schwierig, diese Ergebnisse so zu übersetzen, wie es zum Beispiel beim Marketing gemacht wird. Man hat dann eine idealtypische Person, irgendeinen Menschen da draußen, den man sich vorstellen soll, der x-beliebig alt ist, x-beliebig aussieht und x-beliebig denkt. So eindeutig sind wir Menschen ja nicht. Deswegen ist es ganz, ganz wichtig, immer wieder auch mit echten Menschen zu reden und die Ergebnisse auf seine Persona, die man sich baut, zu projizieren. Prüfen Sie, was die anderen machen. Blicken wir nun auf das, was die Konkurrenz an Vergleichbarem treibt. Am leichtesten gelingt diese Recherche über die Suche auf der Plattform, für die Sie ein Produkt entwickeln wollen. Suchen Sie zum Beispiel nach Konkurrenzpod‐ casts mithilfe von Schlagworten etwa über die Apple-Podcast-Suche. Hangeln Sie sich über die „Das gefällt dir vielleicht auch“-Empfehlungen weiter. In einer Tabelle können Sie ganz einfach sammeln, welche vergleichbaren Produkte es aus anderen Medienhäusern oder auch von Einzelpersonen gibt. Finanztip https: / / www.tiktok.com/ @finanztip NPR's Planet Money https: / / www.tiktok.com/ @planetmoney Your Money https: / / www.tiktok.com/ @your.money Steuerfabi https: / / www.tiktok.com/ @steuerfabi Sparkasse Düsseldorf https: / / www.tiktok.com/ @sparkasseduesseldorf Professorfinanzen https: / / www.tiktok.com/ @professorfinanzen Finanzen einfach verste‐ hen https: / / www.tiktok.com/ @finanzeneinfachverstehen … … Tab. 8: Finanzaccounts auf TikTok Prüfen Sie, was die anderen machen. 49 <?page no="50"?> Wenn Sie diese Liste für umfangreich genug halten, setzen Sie sich mit jedem Produkt intensiver auseinander und ergänzen Sie die Tabelle um weitere Spalten. Welche Formatre‐ geln lassen sich iden‐ tifizieren? Nehmen Sie die Beiträge auseinander, wie Sie in der Redi‐ gatur einen Artikel auseinandernehmen würden. Welche Struktur ist zu erkennen? Wie ist die Tonalität? Wie wird das Publikum eingebunden? Wie viele Personen sind an der Produk‐ tion beteiligt? Durch diese Analyse gewinnen Sie ein Gefühl dafür, wie viele Ressourcen für die Produktion benötigt werden. Womöglich gibt es Pressemitteilungen, denen sich die Be‐ teiligten eines Produkts entnehmen lassen. Videos enden in der Regel mit einer Credittafel, der Sie die Anzahl der Beteiligten sowie Ihre Rollen entnehmen können. Gelegentlich ist ein solches Outro auch bei Podcasts zu finden. Auch in Newslettern findet sich gelegentlich am Ende ein Impressum. Viele Produkte von öffentlich-recht‐ lichen Medienanstalten werden von Pressemitteilungen begleitet, in denen die Verantwortlichen und das Team genannt werden. In welchem Rhyth‐ mus erscheinen ein‐ zelne Beiträge? Die Frequenz gibt Ihnen zusätzlich Auskunft darüber, was mit der bereits evaluierten Teamstärke regelmäßig schaffbar ist. Auf welchen Platt‐ formen wird das Pro‐ dukt beworben und wie? Digitale Produkte werden vor allem über digitale Platt‐ formen beworben. Prüfen Sie, wie die Konkurrenz dabei vorgeht: Wird ein Newsletter mit Bannern auf der Website der Konkurrenz beworben oder mit bezahlten Anzeigen auf Instagram? Wird ein Podcast in thematisch passende Artikel auf der Website eingebunden? Mit wieviel Vorlauf wird ein Twitter Space auf dem Account der Konkurrenz angekündigt und wie? Tab. 9: Kriterien zur Konkurrenzbeobachtung Versuchen Sie auch herauszubekommen, mit welcher Technik die Konkur‐ renz Produkte erstellt hat. Womöglich gibt es bei den bereits erwähnten Me‐ diendiensten Interviews mit den verantwortlichen Redakteur: innen. Oder Sie finden möglicherweise auf Twitter, LinkedIn oder auf Entwicklungsblogs der Unternehmen entsprechende Angaben. Checken Sie noch einmal die von Ihnen erstellte Liste von Services und Tools gegen. Fragen Sie sich: Lassen sich Reels mit iMovie schneiden oder braucht es Kenntnisse in Final Cut? Müssen Podcasts unbedingt mit Adobe Audition nachbearbeitet werden oder ließen sich Aufnahmen auch gut mit der Open-Source-Software 50 Recherche <?page no="51"?> Audacity polieren? Wenn Sie dahinterkommen, wie Beiträge produziert werden, wissen Sie für die Mandatierungsphase noch besser, ob Sie bei der Chefredaktion vorsorglich nicht nur Lizenzen für die Software, sondern auch Schulungen fürs Team anfragen sollten. Sagen Sie der Konkurrenz Hallo. Die deutsche Journalismusbranche ist nicht Hollywood. Um Kontakt zu interessanten Persönlichkeiten aufzunehmen, muss man in den seltensten Fällen über Managements und Agent: innen gehen. Menschen sind erreich‐ bar - und wollen auch erreicht werden. Wenn Sie einen Blick hinter die Kulissen eines Produkts erhaschen wollen, fürchten Sie sich nicht davor, Mails und DMs zu schicken. Sicher wird es auch Ihr Gegenüber interessieren, welche Gedanken Sie wiederum zu Podcasts, Newslettern oder Social- Media-Aktivitäten anstellen. Bei solchen Austauschen spielt häufig auch die Angst vor Ideenklau eine große Rolle. Was, wenn ich zu viel ausplaudere und morgen geht plötzlich die Konkurrenz mit unserer Idee an den Start? Befreien Sie sich von dieser Furcht. Sie müssen ja nicht jeden Gedanken, jeden Plan und jedes Detail offenbaren - aber die Sorge, übervorteilt zu werden, ist in vielen Fällen unangebracht. Wenn es bisher noch nicht klar geworden ist, sei es nachdrücklich formuliert: Die Entwicklung neuer digitaler Produkte ist schwere Arbeit. Und diese schwere Arbeit besteht nicht darin, eine Idee zu haben. Ideen haben zig Redakteur: innen jeden Tag - und sehr wahrscheinlich auch ganz ähnliche Ideen wie Sie. Die Herausforderung ist es, diese Ideen umzusetzen. Das kann nicht von jetzt auf gleich passieren. Drehen wir den Spieß um: Wenn Sie heute eine geniale Produktidee von der Konkurrenz hören - wie lange würde es wohl brauchen, bis Ihre Redaktion sie durchdacht und umgesetzt hat? Eben. Wenn eine für Formatentwicklung zuständige Person sich nicht über das Impressum eines Mediums auffinden lässt, probieren Sie es via LinkedIn oder XING. Darüber hinaus gibt es kleine Communitys, die zum gegenseitigen Austausch über digitale Entwicklung laden, etwa das Team des Social Media Watchblogs in einem Slack-Channel oder auch OP Next, dem Forum deutsch‐ sprachiger Online-Publisher. Sagen Sie der Konkurrenz Hallo. 51 <?page no="52"?> Besser online Bei der Fachkonferenz des Deutschen Journalisten-Verban‐ des (DJV) kommen jedes Jahr Journalist: innen zum Austausch über Digitalthemen zusammen. besser-online.info Journalismus Lab Das Lab der Landesanstalt für Medien NRW unterstützt innovative Medienschaffende unter anderem mit Fellow‐ ships und Veranstaltungen wie dem Audiocamp. journalismuslab.de Media Lab Bayern Das Team vernetzt innovative Menschen in der Medienbran‐ che sowohl digital als auch bei Barcamps. media-lab.de nextMedia.Hamburg Die Initiative fördert die Hamburger Medien- und Digital‐ wirtschaft unter anderem mit Workshopprogrammen und Netzwerktreffen wie dem Scoopcamp. nextmedia-hamburg.de OP Next Das Forum deutschsprachiger Online-Publisher tauscht sich zu diversen Channels in einem Slack-Workspace aus. opnext.info Social Media Watchblog Das Team des Newsletters betreibt einen Salck-Workshop für seine zahlenden Abonnent: innen. socialmediawatchblog.de Tab. 10: Auswahl von Netzwerken zum Austausch und zur Förderung von Innovation in den Medien 52 Recherche <?page no="53"?> Mandatierung Was bisher geschah | Sie haben alle nötigen Infos gesammelt, um Ihre Idee für ein Produkt und die Formatentwicklung ausführlich mit der Chefredaktion zu diskutieren. Was nun geschieht | Beim sogenannten Mandatsgespräch werden Sie mit der Chefredaktion die Produktidee und den Ablauf der Formatent‐ wicklung besprechen. Erhalten Sie ein Mandat, können Sie ein Team zusammenstellen und die Arbeit organisieren. Jede Formatentwicklung kann erst mit einem Mandat der Chefredaktion beginnen. Als Redakteur: in würden Sie keinen Beitrag produzieren, ehe Sie nicht das Go Ihrer Ressortleitung dazu erhalten haben. Das Gleiche gilt für Formatentwickler: innen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie den Job als Formatentwickler: in zum ersten Mal oder schon seit Jahren routiniert erledigen: Um ein Team zu bilden, konkrete Produktideen zu sammeln und ein Konzept zu schreiben, benötigen Sie immer ein Go Ihrer Vorge‐ setzten. Holen Sie sich dieses Mandat weder bei einem persönlichen Jour fixe noch bei einem Mitarbeitendengespräch ein, und schon gar nicht bei einem flüchtigen Plausch am Kaffeeautomaten. Beraumen Sie dafür einen eigenen Termin an. Fragen Sie dieses Mandatsgespräch idealerweise unmittelbar bei der Chefredaktion an. Beispiel | Termineinladung Liebe: r Chefredakteur: in, in der Themenkonferenz des Sport-Ressorts ist die Frage aufgekom‐ men, ob wir die geplante Kolumne zur Fußball-Weltmeisterschaft [Thema] an unsere fußballbegeisterte Nutzer: innen [grobe Zielgruppe] auch als Newsletter [Plattform] verschicken könnten. Ich sehe in <?page no="54"?> diesem Gedanken Potenzial und möchte eine Formatentwicklung mit dir diskutieren. Viele Grüße Der Termin sollte mindestens eine Länge von 45 Minuten haben. Struktu‐ rieren Sie das Mandatsgespräch in vier Teile. ● 5 Minuten: Präsentation der Idee ● 15 Minuten: Diskussion der Idee ● 15 Minuten: Gespräch über die Rahmenbedingungen der Formatent‐ wicklung ● 10 Minuten: Nächste Schritte Je klarer der Rahmen ist, desto besser lässt sich ein Produkt entwickeln. Ein Mandatsgespräch entscheidet noch nicht darüber, ob ein redaktionelles Produkt wirklich auf dem Markt eingeführt wird. Jetzt geht es zunächst um den Auftrag, sich gemeinsam mit einem Team intensiv mit einer Idee für ein potenzielles Produkt auseinanderzusetzen. Für dieses Gespräch benötigen Sie keinen unumstößlichen Masterplan zur Formatentwicklung. Sie benötigen keine aufwändige Präsentation. Sie brauchen keine feurige Verteidigungsrede halten. Stattdessen brauchen Sie ein offenes Ohr, um die Gedanken Ihrer Chefredaktion zu dem Impuls zu verstehen. Nachdem Sie die Idee kurz und prägnant vorgetragen haben, gehen Sie also rasch in die Diskussion mit Ihrer Chefredaktion. Weiten Sie dabei zunächst den Blick: Ein Produkt und sein Format sollten immer auf die Vision und Strategien Ihres Unternehmens einzahlen. Im Managementjargon ist die Vision das übergreifende Ziel eines Unternehmens. Es ist der Idealzustand, auf den langfristig hingearbei‐ tet werden soll, zum Beispiel: Unser Online-Magazin soll das führende Nachrichtenmedium in der Region sein. Daraus lassen sich konkrete Strategien ableiten, etwa: Wir wollen die Reichweite im kommenden 54 Mandatierung <?page no="55"?> 13 https: / / newsroom.tiktok.com/ de-de/ tiktok-launcht-lernenmittiktok-und-vereint-enter tainment-und-lernen 14 https: / / rp-online.de/ digitales/ internet/ neuer-tiktok-kanal-die-rheinische-post-widerle gt-humbug_aid-56024141 15 https: / / www.funkemedien.de/ de/ presse/ medienmitteilungen/ news/ Junge-Zielgruppe n-fuer-Qualitaetsjournalismus-FUNKE-und-TikTok-kooperieren-bei-Programm-Lern enMitTikTok Jahr um zehn Prozent erhöhen; wir wollen die Konkurrenz mit unserer Follower: innenzahl auf Facebook überholen. Fragen Sie konkret nach Visionen und Strategien und gleichen Sie gemein‐ sam mit der Chefredaktion die Idee damit ab: ● Passt das Oberthema zu den Visionen und Strategien der Chefre‐ daktion? Es ist wenig sinnvoll, über das Datingverhalten von Mittdreißiger einen Podcast zu produzieren, wenn die Strategie Ihres Verlags vorsieht, Ihr Lifestyle-Magazin mittelfristig verstärkt an ein Publikum in der zweiten Lebenshälfte auszurichten. Ebenfalls unsinnig wäre es, einen Kultur- Talk auf Clubhouse zu starten, wenn sich Ihr Haus kurzfristig stärker auf politische Themen fokussieren möchte. ● Passt die Plattform zu den Visionen und Strategien? Zwar bietet es sich an, eine Videoserie auf YouTube zu veröffentlichen. Aber wenn die Strategie Ihres Unternehmens vorsieht, einen eigenen Player für die Website zu entwickeln, sollten Sie die Plattform im Gespräch mit der Chefredaktion noch einmal zur Disposition stellen. Prüfen Sie auch, ob Ihr Unternehmen mit der Plattform kompatibel ist. Zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen Medienhäuser beispielsweise im Fall von TikTok. Im Sommer 2020 startete TikTok die Kampagne #lernenmittiktok. Das chinesische Unternehmen Byte Dance, dem TikTok gehört, animierte deutsche Creator: innen mit einem Fördertopf von 4,5 Milliarden Euro, Lerninhalte zu produzieren. 13 In einem späteren Schritt wurden auch deutsche Medienhäuser in die Kampagne involviert. Im Frühjahr 2021 startete die Rheinische Post mit der Humbug-Serie 14 auf TikTok. Funke rief den politischen Kanal „Du hast die Wahl“ ins Leben. 15 Andere Häuser wie Axel Springer Je klarer der Rahmen ist, desto besser lässt sich ein Produkt entwickeln. 55 <?page no="56"?> 16 https: / / omr.com/ de/ daily/ bild-chefredakteur-johannes-boie-omr-podcast/ 17 https: / / www.axelspringer.com/ de/ ax-press-release/ globale-partnerschaft-axel-springe r-und-snap-gestalten-zukunft-des-digitalen-journalismus 18 https: / / taz.de/ Privatsphaere-bei-Snapchat/ ! 5243057/ verweigern sich aus politischen Gründen wiederum vehement, auf der Plattform aus China aktiv zu werden. 16 Springer wiederum hat kein Problem damit, einen globalen Deal mit Snapchat abzuschließen 17 - das US-amerikanische Unternehmen Snap steht unter anderem in der Kritik, undurchsichtig Verwertungsrechte von Nutzer: innen-Inhalten einzufordern. 18 In der Recherchephase haben Sie sich mit der Kritik an der angestreb‐ ten Plattform auseinandergesetzt. Wägen Sie das Für und Wider nun gemeinsam mit der Chefredaktion ab. Spricht nichts gegen die Aktivität auf der Plattform? Wunderbar. Haben Sie Bedenken? Vielleicht lässt sich Ihre Berichterstattung ja auch auf einer anderen Plattform erzählen? ● Spielt die bisher angedachte Zielgruppe für unsere Visionen und Strategien eine Rolle? Es kann sein, dass die Chefredaktion plant, neue Zielgruppen zu er‐ schließen, die Sie bisher mit keinem Ihrer Angebote erreichen. Womög‐ lich kann das zu entwickelnde Produkt einen Anteil dazu leisten. Prüfen Sie am Ende dieses Gesprächsteils, ob Sie die drei gestellten Fragen mit Ja beantworten können. Wenn dem so ist: Sprechen Sie über das Team, das Equipment, das Budget und den Zeitplan für die Formatentwicklung. Im Pingpong mit der Chefredaktion konkretisiert sich die Idee. Durch die Diskussion über Visionen und Strategien wissen Sie allmählich den Projektwert für das Unternehmen besser einzuschätzen. Zudem können Sie auch die Projektgröße realistischer umreißen. Wenn ein Reportagepodcast entstehen soll, für den Sie durch Deutschland reisen müssen, können Sie absehen: Die Absprache mit Protagonist: innen, um Aufnahmetermine auszumachen, wird zeitintensiv. Es werden Fahrtkos‐ ten für die Redakteur: innen anfallen. Es wird viel Rohmaterial entstehen, 56 Mandatierung <?page no="57"?> das im Schnitt schwerer zu bearbeiten sein wird als eine zuvor getextete Moderation. Auf Basis dieses neuen Inputs können Sie nun ausführlicher über den Rahmen der Formatentwicklung sprechen - über Personal, Equipment, Bud‐ get sowie über den Zeitraum, in dem Sie die Entwicklung des potenziellen Produkts bestreiten sollen. Auch hier gilt: Bei dieser Diskussion über Ressourcen geht es noch nicht darum, eine langfristige Produktion des Produkts abzusichern. Noch haben Sie ja keine konkreten Produktideen gesammelt. Sie wissen zwar: Repor‐ ter: innen begleiten Politiker: innen. Aber wie ist eine Episode aufgebaut? Gibt es eine Moderation? Oder führen die Politiker: innen selbst durch die Folgen, als würden sie ein Audio-Tagebuch führen? Gibt es Musik? Kommen auch andere Menschen zu Wort, Wähler: innen, Expert: innen? All das wissen Sie noch nicht und entsprechend auch nicht, wie viele Menschen Sie im zu gründenden Team brauchen. Sie wollen also zunächst gemeinsam mit der Chefredaktion eine erste Ahnung davon gewinnen, wie aufwändig die Entwicklung und Produktion der rohen Idee sein wird. Und im zweiten Schritt wollen Sie klären, ob die Idee dann immer noch umsetzbar ist. Im Idealfall war Ihre Recherche so ergiebig, dass Sie die spontanen Über‐ legungen der Chefredaktion einordnen und den Aufwand rasch ermessen können. Im Fall des Reportagepodcasts müssen Sie nun unbedingt hartnäckig erklären, dass die Entwicklung eine Menge Arbeit sein wird. Um den Podcast substanziell redaktionell zu betreuen, werden mehrere Politikre‐ dakteur: innen beschäftigt werden müssen. Die Aufnahmen, wenn sie gut klingen sollen, müssen von Profis durchgeführt werden. Ebenso der Schnitt. Um den Podcast schließlich groß zu spielen, muss das Social-Media-Team involviert werden. Die Aufbereitung des Transkripts sollte in die Hände des Politikressorts gelegt werden. Der Einsatz der unterschiedlichen Gewerke will gut geplant und koordiniert werden. Der Chefredaktion sollte durch das Gespräch bewusst werden, dass diese Idee umzusetzen kein netter Zeitvertreib ist. Es geht hier nicht darum, dass Redakteur: innen sich austoben können. Formatentwicklung ist viel Arbeit und das Produkt langfristig umzusetzen ebenso. Sprechen Sie über das Team, das Equipment, das Budget und den Zeitplan. 57 <?page no="58"?> ● Wie kann das Team zusammengesetzt sein? Machen Sie klar, dass Sie die Formatentwicklung mit dem gleichen Team bestreiten wollen, welches das Produkt später langfristig umsetzt. Das ist wichtig, damit die Personen von Beginn an eine hohe Identifikation mit dem zu entwickelnden Produkt aufbauen und langfristig für dessen Umsetzung verpflichtet werden können. In der Recherchephase haben Sie durch die Analyse ähnlicher Produkte ein Gefühl dafür bekommen, wie viele Menschen in die Produktion involviert sind. Davon ausgehend können Sie jetzt gemeinsam mit Ihrer Chefredaktion eine grobe Teamliste erstellen. Notieren Sie jeweils die Rolle und Aufgaben. Beispiel | Teamliste Für den oben erwähnten Reportagepodcast könnte diese Liste so aussehen: ● 2x Redakteur: innen: Recherchieren zu den Politiker: innen und bereiten Aufnahmen inhaltlich vor und schreiben Skripte für die Cutter: innen ● 2x Reporter: innen: Begleitet Politiker: innen zu ausgewählten Ereignissen während des Wahlkampfs ● 2x Tonmenschen: Begleiten Reporter: innen bei Aufnahmen ● 2x Fotografen: Sind zu ausgewählten Ereignissen dabei ● 2x Cutter: innen: Schneiden Episoden nach Skripten der Re‐ dakteur: innen ● 1x Designerin: Gestaltet aus Fotos Grafiken für Podcast- und Social-Plattformen sowie die Website ● 2x Social-Media-Redakteur: innen: Posten Beiträge zum Pod‐ cast ● 1x Communityredakteur: Sammelt Hörer: innen-Zuschriften und reicht das Feedback an Redakteur: innen weiter Bestimmen Sie die Größe Ihres Kernteams, indem Sie alle Personen ein‐ klammern, die nur vorübergehend oder gelegentlich an der Produktion beteiligt sein müssen. 58 Mandatierung <?page no="59"?> Im Fall der Reportagepodcast-Liste können wir zum Beispiel die Desi‐ gnerin einklammern: Das Design wird zu Beginn erstellt, auch die Werbemittel können zwischendurch auf Zuruf gebaut werden; die Designerin ist nicht als permanentes Mitglied im Team vonnöten. Auch die Cutter: innen ließen sich einklammern und aus dem Kernteam aussparen, da sie auf Anweisung der Redakteur: innen schneiden und keine inhaltliche Mitsprache am Produkt haben. Entsprechendes gilt für die Fotograf: innen und die für den Ton zuständigen Personen. Im obigen Fall kommen wir zu dem Ergebnis, dass Ihr Kernteam aus vier Personen besteht. Die Redakteur: innen, die Reporter: innen sowie die Kolleg: innen aus dem Social-Media- und Communityteam sind inhaltlich am Produkt beteiligt und bilden somit das Kernteam, mit dem Sie die Formatent‐ wicklung bestreiten wollen. Und sie sind es auch, die langfristig die Produktion des Podcasts bestreiten sollen. Die für den Ton zuständige Personen, Cutter: innen, die Designerin und die Fotografen können gegebenenfalls als Freelancer: innen engagiert werden und häufiger wechseln; sie kommen beim Gespräch über Budgets wieder zur Sprache. Wenn möglich, sprechen Sie mit der Chefredaktion bereits über kon‐ krete Kolleg: innen aus Ihrer Redaktion, welche die genannten Rollen besetzen könnten. Womöglich hat die Chefredaktion eigene Ideen, wen sie in Ihrem Team dabei haben möchte - zum Beispiel weil Ihre Vorgesetzten in jungen Kolleg: innen Potenzial sehen und es abschöpfen wollen. Oder aber auch, weil sie untergetauchte Kolleg: innen aus der Schlafstarre reißen wollen. Bedenken Sie stets: All diese Menschen arbeiten bereits in Ihrer Re‐ daktion, sie haben Aufgaben und sehr sicher Stress. Wenn Ihre Forma‐ tentwicklung ausschließlich auf den Schultern eines Teams lastet, das eigentlich keine Zeit für andere Aufgaben hat, sollten Sie unbedingt protestieren. Die Formatentwicklung wird enorm von der Motivation Ihres Teams abhängig sein - und ein Haufen von destruktiven Redak‐ teur: innen, die nur auf Ansage der Chefredaktion teilnehmen, werden das Risiko des Scheiterns erhöhen. Arbeiten Sie im Gespräch darauf hin, dass Sie Ihr Team - natürlich immer in Rücksprache mit der Chefredaktion und den Ressortleiter: in‐ nen - selbst zusammenstellen können. In dem Fall können Sie in Einzelgesprächen den Workload Ihrer potenziellen Kandidat: innen eru‐ ieren und besser abwägen, wer welche Aufgaben in welchem Rahmen übernehmen kann. Sprechen Sie über das Team, das Equipment, das Budget und den Zeitplan. 59 <?page no="60"?> ● Kann das Team die Hardware, Software und Räumlichkeiten be‐ kommen, die es zur Umsetzung und Produktion einer Idee braucht? Es ist toll, wenn Ihre Chefredaktion Ihnen für eine Videoserie eine Mo‐ tion-Grafikerin zur Verfügung stellt - sie wird Ihnen allerdings wenig bringen, wenn sie keinen Zugriff auf einen Rechner mit After Effects hat oder der Rechner wie eine Schnecke kriecht. Ebenso dürfte sich Ihr Podcast-Host nicht sonderlich freuen, wenn er seine Moderation in seinem stickigen Kleiderschrank aufnehmen muss, weil sich in keinem Redaktionsraum eine vernünftige Aufnahmesituation herstellen lässt. Das bedeutet aber nicht, dass Sie bei diesem Gesprächsteil garantierte Zusagen für High-End-Computer oder Studioausbauten einholen müs‐ sen. Erneut geht es darum, der Chefredaktion ein realistisches Bild zu vermitteln, was voraussichtlich für Entwicklung und Produktion einer Idee benötigt wird. ● Gibt es ausreichend Budget für die Entwicklung und langfristige Umsetzung des Produkts? Umreißen Sie gemeinsam, wie viele Tage Sie möglicherweise Freelan‐ cer: innen buchen müssen, wie viele Bahnfahrten Ihr Team unternehmen muss, wie viel Equipment geliehen oder gekauft werden muss. Schätzen Sie Ihr Projekt gemeinsam mit der Chefredaktion realistisch ein. Und wieder gilt: Die Chefredaktion muss Ihnen keine Summe x zusichern. Es ist zunächst grundsätzlich zu klären, ob ein Topf für Freelancer: innen, für Bahnfahrten, für Equipment da ist. Falls die Antwort vage ausfällt, beharren Sie darauf, dass eine Formatentwicklung nicht möglich sein wird. Falls ja, prima - und weiter zum nächsten Gesprächsthema. ● Steht ausreichend Zeit für das Projekt zur Verfügung? Ihre Formatentwicklung mag nur ein kleines Facebook-Format betreffen - doch auch das kann durch Urlaube und Krankheitsfälle in Verzug geraten. Stimmen Sie daher bei jedem Projekt einen möglichst großzügigen Zeitplan mit der Chefredaktion ab. Umreißen Sie, wie lang welche Phase der For‐ matentwicklung voraussichtlich dauern wird. Und legen Sie Meilensteine fest, zu denen Sie der Chefredaktion ein Update geben. Dafür eignet sich zum Beispiel das jeweilige Ende einer Phase. Insbesondere am Ende der Konzeptphase sowie des Formattests sollten Sie Ihren Vorgesetzten ausführlich in einem langen Termin präsentieren, woran Sie und Ihr Team gearbeitet haben. 60 Mandatierung <?page no="61"?> ● Ist die Formatentwicklung und Produktion unter diesen Bedin‐ gungen realistisch? Argumentieren Sie bei jedem dieser Gesprächsthemen klar, warum welche Ressourcen notwendig sind und veranschaulichen Sie, welche Auswirkungen fehlende Ressourcen auf die Formatentwicklung neh‐ men können. Bleiben Sie bei Diskussionen beharrlich - und sagen Sie es ehrlich, wenn sich eine Formatentwicklung in dem von der Chefredak‐ tion genannten Rahmen nicht umsetzen lässt. Sagen Sie notfalls beherzt Nein. Ihr Ziel beim Mandatsgespräch ist nicht, unter allen Umständen ein Go zu erhalten. Wenn Sie das Gefühl haben, dass unter den besprochenen Bedingungen kein Produkt entstehen wird, sagen Sie es direkt. Falls noch nicht geschehen, klären Sie mit der Chefredaktion ab, wel‐ ches Ergebnis am Ende der Formatentwicklung stehen soll. Wird ein konkretes Produkt erwartet wie ein Podcast, ein Newsletter oder eine Vi‐ deoserie für eine konkrete Zielgruppe? Oder ist das Projekt in manchen Punkten ergebnisoffen und Sie sollen den bestmöglichen Weg finden, um Inhalte zu einem Thema seriell und formatiert zu präsentieren? Am Ende dieser Diskussion sollte eine Entscheidung stehen, ob eine Formatentwicklung möglich ist oder nicht. Wenn ja: Sprechen Sie kurz über sich. Damit Sie das Projekt adäquat durchführen können, klären Sie mit der Chef‐ redaktion Ihre Rolle als Formatentwickler: in. Insbesondere wenn Sie zum ersten Mal in dieser Funktion tätig sind, sollten Sie sich den Rückhalt Ihrer Chefredaktion sichern. Ihren Vorgesetzten muss klar sein, dass Sie über die Laufzeit der Forma‐ tentwicklung die Verantwortung für das Projekt und somit das Team über‐ nehmen. Auch wenn Sie den Kolleg: innen nicht disziplinarisch vorgesetzt sind, so werden Sie sie fachlich steuern. Sie müssen das Recht haben - immer in Rücksprache mit den Ressortleiter: innen -, zu einem gewissen Grad über die Arbeitskraft Ihrer Teammitglieder zu verfügen. Ebenso sollten Sie das Recht haben, Feedbackgespräche mit den Teammitgliedern über deren Arbeit die Formatentwicklung betreffend zu führen. Und im Extremfall sollten Sie das Recht haben, Mitglieder aus Ihrem Team zu entlassen, wenn Sie die Formatentwicklung blockieren. Sprechen Sie kurz über sich. 61 <?page no="62"?> Ein Blick in die Zukunft schadet darüber hinaus auch nicht: Im Check-in haben wir besprochen, dass jede Formatentwicklung für Sie eine Projektarbeit ist. Wenn das Produkt auf dem Markt ist, wird das Team daran weiterarbeiten. Aber für Sie kommt irgendwann die Zeit, Abschied zu nehmen. Diskutieren Sie mit der Chefredaktion, wer anschließend die Produktionsleitung übernehmen soll. Wer hält den Laden zusammen, wenn Sie sich der nächsten Entwicklung zuwenden? Idealerweise benennen Sie bereits eine: n Redakteur: in aus dem potenziellen Team, dem Sie langfristig die Produktion übergeben wollen. Klären Sie, wer wichtige Stakeholder: innen sind. Eine Formatentwicklung findet nicht im luftleeren Raum abseits aller üb‐ rigen Unternehmensstrukturen statt. Im Gegenteil werden sehr bald sehr viele Parteien auf Sie zukommen, die alle ihr eigenes Interesse an dem zu entwickelnden Produkt mitbringen. Über diese Stakeholder: innen sollten Sie bereits im Mandatsgespräch mit der Chefredaktion sprechen. In der Betriebswirtschaftslehre werden unter Stakeholder: innen alle internen und externen Personen einer Organisation verstanden, die am Verlauf und Ergebnis eines Projekts oder Prozesses Interesse haben. Dazu gehören von der Geschäftsführung bis zu den Kund: innen sämtliche Parteien. Legen Sie gemeinsam mit der Chefredaktion eine Stakeholder: innen-Liste an. Stakeholder: innen-Map von Dark Horse Innovation Die Berliner Agentur Dark Horse Innovation stellt auf der Website zu ihrem lesenswerten Buch „Digital Innovation Playbook“ eine Vielzahl von Templates daraus gratis zur Verfügung. Unter anderem gibt es eine Stakeholder: innen-Map, in der Sie ähnlich einem Persona-Bogen einen Steckbrief für jede: n Stakeholder: in anlegen können. newfoundlabs.de/ s takeholder-map 62 Mandatierung <?page no="63"?> Mit dieser Liste wollen Sie einerseits abbilden, welche Personen Sie über die Formatentwicklung informieren und dafür nach dem Mandatsgespräch dringend kennenlernen sollten, sofern sie Ihnen noch nicht bekannt sind. Andererseits wollen Sie identifizieren, welche Bedürfnisse diese Stakehol‐ der: innen haben. Auf diese Weise können Sie abschätzen, ob es in der Zusammenarbeit mit den Stakholder: innen an manchen Stellen zu Querelen oder im Gegenteil zu nützlichen Synergien kommen kann. Ganz wichtig: Klären Sie, welche der Stakeholder: innen Entscheidungen mitfällen. Bis Sie ein Produkt auf den Markt bringen, wird Ihre Idee mehrere Abnahmeschleifen durchlaufen. Die Chefredaktion kann womög‐ lich die strategischen, inhaltlichen und narrativen Entscheidungen Ihrer Formatentwicklung prüfen und freigeben. Sofern es um Technik und Design geht, verlässt sie sich womöglich lieber auf Profis aus der IT und der Art Direction. Wenn Sie ein Instagram-Format entwickeln, werden sicherlich die Verantwortlichen im Social-Media-Team Mitspracherecht bekommen. Entsteht bei Ihrer Formatentwicklung ein Wirtschaftspodcast, möchte die Chefredaktion sehr sicher mindestens auch Feedback von den Wirtschaft- Redakteur: innen einholen. Sprechen Sie über Leistungskennzahlen. Um später Ihre sowie die Arbeit Ihres Teams am Produkt beurteilen zu können, sollten Sie sich mit der Chefredaktion auf Leistungskennzahl einigen. Man spricht auch von Key Performance Indicators (KPI). Dabei handelt es sich um Zahlenwerte, anhand derer Sie den Fortschritt und Erfolg eines Produkts messen können. Welche KPIs für welche Produktarten in Frage kommen, werden wir noch in der Konzeptionsphase ausführlich besprechen. Sich auf KPIs mit der Chefredaktion zu einigen bedeutet an diesem Punkt nicht, dass Ihre Vorgesetzten Ihnen etwa auftragen, dass Sie bis Ende des Jahres 20.000 Abonnent: innen mit einem Newsletter erreichen müssen. Zu diesem Zeitpunkt ist wichtig, dass Sie sich darauf einigen, dass die Kennzahl der Verteilergröße eines Newsletters eine wichtige KPI für die Bewertung des Produkts werden wird. Die Leistungskennzahlen sollten sich aus den Visionen und Strategien ableiten, die Sie bereits besprochen haben. Ist Ihrem Medienhaus zum Beispiel wichtig, mit einem Podcast eine starke Community aufzubauen, Sprechen Sie über Leistungskennzahlen. 63 <?page no="64"?> könnte die Anzahl an Hörer: innen eine nachrangige Rolle spielen - dafür könnten Sie die Hördauer sowie die Anzahl an Zuschriften pro Episode als wichtigere Kennzahl definieren. Denn die geben mehr Auskunft darüber, ob die erreichte Zielgruppe sich intensiv mit Ihren Beiträgen auseinandersetzt. Wenn Ihrer Chefredaktion Kennzahlen zunächst egal sein sollten, ver‐ ständigen Sie sich darauf, dass Sie selbst relevante KPIs definieren. Recherchieren Sie weiter oder schreiben Sie ein Protokoll. Wir haben hier einen idealtypischen Ablauf eines Mandatsgesprächs be‐ trachtet. Eines, an dessen Ende die Entscheidung steht: Die Formatentwick‐ lung kann losgehen! Natürlich kommt es auch und ziemlich sicher häufiger vor, dass die Chefredaktion eine Idee ablehnt. Oder Ihre Vorgesetzten benötigen noch weitere Infos, um eine endgültige Entscheidung fällen zu können. Es kann also sein, dass Sie in die Recherche zurückkehren und einzelne Aspekte erneut betrachten, abwägen und ausarbeiten müssen. Stellen Sie dafür sicher, dass Sie ganz genau wissen, welche Punkte Ihre Chefredaktion kritisch sieht. Schreiben Sie während des Mandatsgesprächs fleißig mit. Schreiben Sie auch dann fleißig mit, wenn alles glatt läuft. Das Gesprächs‐ protokoll sollten Sie Ihren Vorgesetzten in Kopie per Mail senden, damit Sie und Ihre Vorgesetzten schwarz auf weiß vorliegen haben, worauf Sie sich einigen konnten - und auch, welche Punkte noch offen sind. Übung | Protokollcheck Felicitas arbeitet bei einem Monatsmagazin. Mit ihrer Chefredakteurin Claudia hat sie ein ausführliches Mandatsgespräch über die Entwick‐ lung eines Newsletters geführt. Claudia war von Beginn an angetan von der Idee, es gab kaum etwas zu besprechen. Felicitias fasst das Mandatsgespräch in einer Mail zusammen. Prüfen Sie das Protokoll auf seine Tauglichkeit: Welche fehlenden Absprachen könnten später noch Probleme bereiten? 64 Mandatierung <?page no="65"?> Mandat für die Entwicklung eines Newsletters im Ressort Kultur, Arbeitstitel: „Auslassen oder ausrasten? “ Gespräch geführt am 26. April, Teilnehmende: Chefredakteurin Claudia, Formatentwicklerin Felicitas Was haben wir vor? ● Felicitas verantwortet die Entwicklung eines Kultur-Newsletters zum Thema Serien- und Film-Streaming. ● Einmal im Monat soll ein festes Ensemble von Redakteur: innen über Streaming-Highlights schreiben. Dabei soll die Frage beantwortet wer‐ den, ob man Filme und Serien auslassen oder euphorisch ausrasten soll. ● Der Newsletter soll Kulturinteressierte ansprechen, tendenziell mehr männliche Nutzer. ● Er soll auf unser Drei-Jahres-Ziel zur Erhöhung der Kund: innenbin‐ dung einzahlen. Wie soll es passieren? ● Felicitas erhält zunächst für die Entwicklung eines Formats sowie die Produktion von drei Dummy-Ausgaben des Newsletters ein Budget von 1.500 Euro (auszugeben für Technik und Grafik). ● Der Newsletter soll im kommenden Monat entstehen. ● Claudia entscheidet vor dem öffentlichen Versand des ersten Newslet‐ ters final, ob das Produkt eingeführt wird. Wer bestimmt mit? ● In die Formatentwicklung sollen Claudia, die Art Direction sowie die Kund: innenbetreuung eng einbezogen werden, letztere um zu prüfen, ob das Angebot tatsächlich auf die Kund: innenbindung einzahlt. Wer soll informiert werden? ● Felicitas lädt alle Interessierten in den öffentlichen Slack-Channel #streaming-newsletter ein. ● Sie informiert zum Ende eines Monats über den aktuellen Stand des Formats. Recherchieren Sie weiter oder schreiben Sie ein Protokoll. 65 <?page no="66"?> Kurze Auswertung des Protokolls ● Der Streaming-Newsletter betrifft das Kulturressort - dem Pro‐ tokoll zufolge sind die Kolleg: innen allerdings in keiner Form mitgedacht worden. Sollen Kulturredakteur: innen in Entwicklung und Produktion mit einbezogen werden? Dann sollte die Ressort‐ leitung als Stakeholder: in berücksichtigt sein. ● Überdies ist „alle Interessierten“ eine sehr vage Stakeholder: innen- Vorgabe. Mindestens die zuständige Person für Datenschutzfra‐ gen, die für technische Infrastruktur zuständigen Kolleg: innen und das Salesteam sollten von diesem neuen Produkt erfahren und in die Entwicklung miteinbezogen werden. ● Die Entwicklungszeit von einem Monat für einen Newsletter mutet sehr optimistisch an. Felicitas hätte mehr Zeit einfordern sollen. ● Chefredakteurin Clauda möchte vor dem ersten öffentlichen Versand über das Überleben des Produkts entscheiden. Die Ent‐ scheidung ist gefährlich spät ans Ende der Formatentwicklung gesetzt. Das Budget wird verbraucht, das Team auf Regelbetrieb eingespielt sein. Das Produkt kurz vor Erscheinen abzusagen, dürfte viel Ärger provozieren. ► Angela Kea über das Stakeholder: innenmanagement: „Es geht hier ganz stark um einen Beziehungsaufbau“ Angela Kea ist systemische Organisationsberaterin. Sie berät und unterstützt Führungskräfte sowie deren Teams bei Veränderungspro‐ zessen. Zuvor hat die gelernte Journalistin das Lab der Deutschen Welle mitaufgebaut und operativ geleitet. Im Interview spricht Angela über die Teamzusammenstellung in Projekten sowie über die Steue‐ rung unterschiedlicher Interessensgruppen. Angela, ich habe aus der Chefredaktion das Mandat erhalten, ein neues Produkt zu entwickeln - zum Beispiel einen Social- Media-Kanal. Wie werde ich mir klar darüber, welche Personen ich in meinem Team haben sollte? 66 Mandatierung <?page no="67"?> Angela Kea: Für mich hat sich bewährt, zu Beginn eine Stakeholder‐ analyse zu erstellen. Das Ziel der Stakeholderanalyse ist es, erstmal zu verstehen, was die Interessen und Motivationen der jeweiligen Stake‐ holder: innen an meinem Thema sind. Aufschreiben, wer irgendetwas mit dem Social-Media-Kanal zu tun haben könnte oder wer glaubt, etwas damit zu tun zu haben. Im nächsten Schritt werden eigene Annahmen über die jeweiligen Stakeholder: innen in einem persönlichen Gespräch überprüft. Bei der Zusammenstellung meines Kernteams frage ich mich zuerst, welche Kompetenzen ich bei der Entwicklung des Social- Media-Kanals benötige. Dann schaue ich, wo ich Personen mit diesen Kompetenzen finde - intern oder extern. Und die muss ich dann für mein Projekt gewinnen. Ich bin ein Fan davon, das Team möglichst interdisziplinär mit ganz unterschiedlichen Stärken, Erfahrungen und Hintergründen aufzustellen. So werde ich mir bewusst darüber, welche Themen, Fragen und offene Punkte noch geklärt werden müssen, wer welchen Einfluss aufs Projekt hat und wer wann und in welcher Form eingebunden werden will. So kann das Projekt erfolgreich werden. Es geht hier ganz stark um einen Beziehungsaufbau, um Wünsche, Sorgen und Nöte der jeweiligen Menschen frühzeitig zu kennen und dieses Wissen ins Projekt einfließen zu lassen. Wie motiviere ich die Personen, damit sie gern an Bord sind? Meine Erfahrung ist, dass viele Kolleg: innen Lust auf partizipative und kreative Prozesse haben und sich abseits ihres Arbeitsalltags auch gern mal mit neuen Herausforderungen beschäftigen. Ein gutes und professionelles Stakeholdermanagement bedeutet für mich, mit den beteiligten und betroffenen Personen eine gute Beziehung im Sinne des Projektes aufzubauen und zu pflegen. Das Team ist zusammengestellt, ich kenne ihre Wünsche und Sorgen. Was gilt es beim ersten Zusammenkommen des Teams zu beachten? Ich finde es wichtig, am Anfang genügend Zeit für den Projekt-Kickoff einzuplanen, damit das Team gegenseitiges Vertrauen aufbaut und dadurch eine gute Gesprächsatmosphäre mit einem authentischen Austausch entsteht. Außerdem sollte geklärt werden, wie das Team zusammenarbeiten will und was den Teammitgliedern wichtig ist im gegenseitigen Miteinander. Auch sollten die Kompetenzen im Team transparent gemacht sowie Rollen und Verantwortlichkeiten geklärt ► Angela Kea über das Stakeholder: innenmanagement 67 <?page no="68"?> werden. Danach kann es inhaltlich losgehen. Im Projektverlauf arbeite ich gerne iterativ, um das Produkt kontinuierlich zu verbessern. Ein weiterer Erfolgsfaktor für mich sind regelmäßige Retrospektiven, damit das Team aus vergangenen Arbeitstagen lernt und gezielt Verbesserungsmaßnahmen ergreift. Neben meinem Kernteam haben weitere Gruppen Interesse an einer Entwicklung: die Anzeigenabteilung, die Datenschutzbe‐ auftragten, die Geschäftsführung und und und. Ist es nötig, mit all diesen Stakeholder: innen während der Entwicklung eines Produkts in Kontakt zu treten? Ja! Es gibt Personen oder Abteilungen, die von Anfang an eingebunden werden wollen und sollten. Dann gibt es aber auch Stakeholder: innen, von denen brauche ich mir nur ein Mandat für die Durchführung meines Projekts abzuholen. Und wiederum andere wollen nur regel‐ mäßig informiert werden. Diese Informationen bekomme ich aus persönlichen Gesprächen, die ich im Rahmen der Stakeholderanalyse durchführe. Im Übrigen können im Projektverlauf immer wieder neue und wichtige Akteure hinzukommen. Deshalb sollte die Stakeholder‐ analyse regelmäßig aktualisiert werden. Ein Teil des Stakeholder: innenmanagements ist es, Projektgeg‐ ner: innen zu identifizieren. Das könnte eine Ressortleitung sein, die keine Lust darauf hat, dass Personen aus Ihrem Team für die Entwicklung eines Podcasts eingespannt werden. Wel‐ che Hebel kann ich in einem solchen Fall bewegen, um diese Ressortleitung für das Projekt zu gewinnen? Unbedingt erstmal in den Austausch mit der Ressortleitung gehen und verstehen, welches Bedürfnis sich dahinter verbirgt. Es ist ja zunächst nur eine Position. Vielleicht fehlen Ressourcen oder eine vergangene Zusammenarbeit verlief nicht optimal. Das finde ich nur heraus, indem ich nachfrage, ehrliches Interesse an meinem Gegenüber habe und empathisch bin. Oft werden Personen, die nicht immer gleicher Meinung sind wie das restliche Team, als unliebsame Blockade wahrgenommen. Tatsächlich können sie mit ihrer Perspek‐ tive eine notwendige Anregung geben, indem sie das Team auf blinde Flecken hinweisen. Für mich ist eine andere Position erst einmal willkommenes Feedback. Es gilt dann herauszufinden, was die Person bewegt. Im Übrigen gibt es ja auch Kreativitätstechniken, die genau 68 Mandatierung <?page no="69"?> 19 Meier, Klaus: Ressort. Sparte. Team. Wahrnehmungsstrukturen und Redaktionsorgani‐ sation im Zeitungsjournalismus. Konstanz 2002 dieses Ziel verfolgen: eine kritische Sichtweise einzunehmen, um die Idee herauszufordern und sie so zu verbessern. Die hohe Kunst ist es, wenn sich jedes Mitglied im Team die Kraft der Kritik bewusst macht und sie zielführend einsetzt. Vernetzen Sie sich und benennen Sie Ihr Team. Nach dem Mandatsgespräch werden Sie viele Tassen Kaffee trinken. Sie werden alle Stakeholder: innen kennenlernen wollen, mit denen Sie im Laufe der Formatentwicklung in Berührung kommen werden. Ebenso werden Sie schnellstmöglich die Kandidat: innen für Ihr Team sprechen und die finalen Mitglieder bestimmen wollen. Wie Angela Kea im Interview sagt, ist es wichtig, die Wünsche, Sorgen und Erwartungen aller Stakeholder: innen zu kennen. Das gelingt nur bei einem ausführlichen persönlichen Gespräch, das beispielsweise folgendermaßen ablaufen könnte: Stellen Sie sich vor. Präsentieren Sie die Idee und Entwicklung. Nutzen Sie diese Gesprächsgelegenheiten, um Ihr Wissen über die Teams aufzufrischen, mit denen Sie künftig enger zusammenarbeiten werden. ● Welche Aufgaben beschäftigen das Team? ● Wer im Team ist wofür zuständig? ● Welche Tools nutzen sie? ● Welches Vokabular müssen Sie sich aneignen, um sich mit den Teams verständigen zu können? Je besser Sie über Social-Media-, Community-, Design-, Sales-, Datenschutz- und Technikteam Bescheid wissen, desto leichter wird es Ihnen später fallen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Von Ihren potenziellen Teammitgliedern wollen Sie wissen, was Ihr Gegenüber motiviert. Das kann zum Beispiel kreative Selbstverwirklichung oder auch Selbstdarstellung innerhalb der Redaktion sein. 19 Lassen Sie sich aber nicht dazu verleiten, Kolleg: innen mit dem Versprechen großer kreati‐ ver Freiheit ins Team zu locken. Die Entwicklung und auch die langfristige Produktion wird nur gelingen, wenn allen Teammitgliedern der Rahmen der Vernetzen Sie sich und benennen Sie Ihr Team. 69 <?page no="70"?> 20 Jedes journalistische Produkt kann von vielfältigen Perspektiven unterschiedlicher Menschen nur profitieren. Fragen Sie sich daher, welche unterschiedlichen Sichtwei‐ sen für das Thema Ihres Newsletters, Podcasts oder Social-Media-Kanals sinnvoll wären. Wenn Sie einen Newsletter entwickeln möchten, der sich mit Erziehung in Pandemiezeiten beschäftigt, sollte Ihr Team gemeinschaftlich in der Lage sein, sich in unterschiedliche Familienkonstellationen hineinzuversetzen. Vor welchen Heraus‐ forderungen stehen Alleinerziehende? Worüber machen sich Eltern mit niedrigem Einkommen Gedanken? Was bewegt Familien auf dem Land? Wenn Sie kein diverses Team zusammenstellen können, nehmen Sie sich vor, für die spätere Themenfindung immer wieder Stimmen von außen zu hören. 21 Pabst, Reinhold/ Schutt, Mareike/ Tyrasa, Isabelle: Wertschätzende Teamentwicklung. Weinheim 2022, S.-44 ff. Formatentwicklung klar ist ebenso wie ihre Rollen. Spielen Sie mit offenen Karten, und fordern Sie auch von Ihrem Gegenüber das Gleiche ein. Fragen Sie kritisch nach, ob der: die Kolleg: in wirklich glaubt, ausreichend Zeit für die Entwicklung und anschließende langfristige Produktion zu haben. Wenn sich die Teamliste konkretisiert hat, lohnt sich ein letzter prüfender Blick. Ist das Team zum Beispiel divers besetzt? Insbesondere wenn eine Aufgabe Kreativität erfordert, ist es förderlich, ein Team heterogen zu besetzen. 20 Diversität sollte allerdings nicht bedeuten, dass Sie bei der Zu‐ sammenstellung äußere oder demografische Merkmale berücksichtigen. Ein vielfältiges Team gewinnt auch durch Menschen mit unterschiedlichen Per‐ sönlichkeitsmerkmalen. 21 Sie sollten Diversität jedoch nicht um der Diver‐ sität willen herstellen. Fragen Sie sich stattdessen, welche unterschiedlichen Perspektiven gewinnbringend für Ihre Formatentwicklung sein könnte. Wenn Sie einen Instagram-Account entwickeln möchten, der eine nichtakademische Zielgruppe erreicht, sollte Ihr Team nicht ausschließlich aus Menschen mit Studienabschluss bestehen. Wenn Sie einen Podcast für eine migrantische Zielgruppe erstellen, sollten Sie sicherstellen, dass entspre‐ chende Perspektiven in Ihrem Team vorhanden sind, um Themen aus nichtweißer Perspektive zu betrachten. Ein Newsletter für Eltern sollte nicht von einer Truppe Single-Mittdreißiger entwickelt werden. Achten Sie auch darauf, dass keine Rollenkonflikte entstehen können. Haben Sie mehrere Personen im Team, die unbedingt vor der Kamera stehen wollen? Hat das Konfliktpotenzial, weil Sie jetzt schon erahnen, dass nur ein: e Presenter: in benötigt gebraucht wird? Verschicken Sie schließlich freundliche Absagen an die, die Sie nicht mit ins Team holen, und euphorische Zusagen an die, mit denen Sie die kommenden Wochen oder Monate zusammenarbeiten wollen. 70 Mandatierung <?page no="71"?> 22 Fromme, Peter/ Strich, Sonja/ Dietze, Katharina: Mehr PEP im Team! . Frankfurt am Main 2008, S.-135 ff. Entscheiden Sie, mit welchen Werkzeugen Ihr Team zusammenarbeiten soll. Gelungene Projekte zeichnen sich durch drei Erfolgskomponenten aus: relevante Personengruppen werden in das Projekt eingebunden, es gibt eine klare Projektdefinition und das Projekt wird transparent gesteuert. 22 Im Mandatsgespräch haben Sie für die ersten beiden Komponenten vorge‐ sorgt. Sie wissen, welche Stakeholder: innen Sie in die Entwicklung des Produkts einbeziehen müssen. Zudem haben Sie mit der Chefredaktion klar abgesteckt, in welche Richtung die Entwicklung streben soll. Nun gilt es, sich zu überlegen, wie Sie die Entwicklung transparent steuern wollen. Das ist insbesondere eine Frage Ihrer Kommunikation, aber auch der Tools, die Sie, Ihr Team und alle weiteren Stakeholder: innen verwenden. E-Mails, die nur zwischen wenigen Personen hin und her geschickt werden, sind ein absolut intransparenter Weg, um ein Projekt zu steuern. In einem öffentlichen Slack-Channel sämtliche Kommunikation laufen zu lassen, ist wiederum hinreichend transparent, kann aber auch in Chaos ausarten. Es bietet sich an, unterschiedliche Kommunikationswege und Tools für unterschiedliche Personengruppen zu wählen. Für die transparente Projektsteuerung ist überdies ein ordentlicher Wissens‐ transfer erforderlich. Im Laufe der Formatentwicklung, die sich sicherlich über mehrere Monate zieht, wird sich eine Vielzahl von Dokumenten anhäufen. Es wird einen Projektplan geben, Protokolle von Meetings, To-do-Listen, Umfra‐ gebögen und -ergebnissammlungen, Moodboards, Tutorials zum Erstellen von Inhalten, Reportings und einige mehr. Einen Teil werden Sie selbst anlegen, auch Ihr Team wird Dokumente anlegen. Ein Durcheinander all dieser Artefakte an unterschiedlichen, im schlimmsten Fall unauffindbaren Ablageorten gilt es unbedingt zu vermeiden. Am furchtbarsten wäre es, wenn an mehreren Orten unterschiedliche Versionen eines Dokuments mit sich widersprechenden Angaben liegen und Verwirrung entzünden. Es bietet sich also an, alle Artefakte in einer Cloudlösung zu organisieren. Setzen Sie sich mit Tools zur Kommunikation und zum Wissenstransfer auseinander, die in Ihrem Haus standardmäßig in Verwendung sind - und sehen Sie sich darüber hinaus im Netz um, welche weiteren Werkzeuge zur Organisation des Teams und des Wissens hilfreich sein könnten. Entscheiden Sie, mit welchen Werkzeugen Ihr Team zusammenarbeiten soll. 71 <?page no="72"?> Tägliche Kom‐ munikation „Kann mir mal eben jemand die Präsentation rüberschicken …? “, „Wer kann mir in Photoshop diese Grafik zuschneiden …? “, „Hat jemand die Zugangsdaten zu Getty Images …? “: Wenn das Team in pandemischen Zeiten nicht im Büro zusammensitzen und sich solche Fragen über den Tisch zurufen kann, es hybrid oder dezentral zusammenarbeitet, benötigt es einen digitalen Kommunikationskanal für das Tagesgeschäft. E-Mails sind der herkömmliche Weg, aber auch wenig unmittelbar. Um digital eine unkomplizierte Echtzeit-Kommunikation zu ermöglichen, lohnt es sich, unternehmensinterne Instant-Messaging-Dienste zu nutzen. Als da beispielsweise wären: ● Slack ● Microsoft Teams ● Zulip ● Mattermost ● Fleep ● Chanty Meetings Auch wenn die Chat-Kommunikation tadellos funktioniert, wird es regelmäßig notwendig sein, dass das Team von Angesicht zu Angesicht miteinander spricht. Digitale Meetings lassen sich unter anderem mit diesen Tools bestreiten: ● Zoom ● Microsoft Teams ● Skype ● Google Meet ● Webex ● Jitsi Kollaborative Zusammenar‐ beit und zen‐ trale Wissens‐ speicher Es ist wenig zielführend, wenn die Teammitglieder Dokumente lokal auf ihren Rechnern speichern und sie zur gemeinsamen Zusammenarbeit hin und her schicken. Sinnvoller ist es, kol‐ laborativ am gleichen Dokument arbeiten zu können. Um zu‐ sammen an Texten zu schreiben oder Tabellen zu füllen, ein Whiteboard zu bepinseln oder Präsentationen zu bauen, eignen sich beispielsweise diese cloudbasierten Dienste: ● Google Workspace (inklusive Docs, Spreadsheets, Formulare etc.) ● Microsoft 365 (inklusive der Office-Anwendungen Word, Excel etc.) ● Miro (nur Whiteboard) 72 Mandatierung <?page no="73"?> To-dos Aus jedem Meeting werden die einzelnen Teammitglieder Todos mitnehmen. Um den Überblick über Aufgaben zu behalten, selbst wenn spontan die Zuständigkeiten wechseln, tut ein Team gut daran, ebenfalls ein einheitliches Tool festzusetzen. Zum Beispiel eines von diesen: ● Todoist ● Trello ● Notion ● Asana Tab. 11: Werkzeuge zur Organisation des Teams und des Wissens So viele tolle Werkzeuge es auch gibt, es wird nicht notwendig sein, sie alle zu verwenden. Achten Sie darauf, dass die Komplexität der Organisation nicht ausartet und im Verhältnis zum entwickelnden Produkt steht. Wenn Sie einen Facebook-Kanal entwickeln und die Projektphase mit drei Monaten bemessen ist, wird es sich kaum lohnen, ein eigenes Wiki aufzusetzen. Die Produktion eines täglichen Nachrichtenpodcasts, für den eine Vielzahl von To-dos zu erledigen ist, sollten Sie wiederum nicht über ein Miroboard orga‐ nisieren. Jedes Projekt erfordert eine eigene Wissensorganisation. Wichtig ist, dass sie überhaupt stattfindet. Sie streben eine transparente Projektleitung an. Das bedeutet aber nicht, dass jedes Teammitglied zwangsläufig Zugriff auf alle die Formatentwick‐ lung betreffenden Dokumente haben sollte. Die Kostenkalkulation beispiels‐ weise kann ein Dokument sein, in das ausschließlich Sie respektive die für die langfristige Produktion zuständige Person Einsicht erhalten. Der Formatkatalog, in dem Sie die einzelnen Workflows einer Produktion festhalten, ebenso wie Tutorials, auf die wir in der Konzeptionsphase zu sprechen kommen, sollten wiederum nicht von jedem Teammitglied bearbeitet werden können. Sobald Sie ein neues Dokument in der Cloud anlegen, empfiehlt es sich mitzuüberlegen, wer aus dem Kreis des Teams und der Stakeholder: innen welche Art von Zugriff auf das Dokument erhalten sollte. Entscheiden Sie, mit welchen Werkzeugen Ihr Team zusammenarbeiten soll. 73 <?page no="74"?> Übung | Organisieren Sie sich! Wenn Sie und Ihr Unternehmen keine Datenschutzbedenken gegen‐ über Google haben, können Sie Ihre Formatentwicklung mithilfe des Google Workspaces organisieren. Der Vorteil: Mit Gmail, dem Kalender, Meet, Drive, Docs, Spreadheets, Formularen und Präsen‐ tationen ist eine Vielzahl von Anwendungen im Paket enthalten. Ihre Teammitglieder benötigen lediglich einen Account, um die volle Bandbreite zu nutzen. In Drive können Sie alle Dokumente in einer Ordnerstruktur sortieren und granular bestimmen, welche Dokumente für wen sichtbar, kom‐ mentierbar und bearbeitbar sind. Erstellen Sie in Drive einen Ordner, der den Arbeitstitel Ihrer Pro‐ duktidee trägt. Legen Sie für jede Phase einen Unterordner an. Alle Unterlagen aus der Recherchephase können Sie in den Recherche- Ordner legen, das Protokoll und die Stakeholder: innenanalyse aus der Mandatierungsphase können in den entsprechenden Ordner wandern. Allein diese drei Dokumente sind bereits ein großer Schatz. Das Protokoll des Mandatsgesprächs können Sie für künftige Formatent‐ wicklungen als Vorlage verwenden. Die Personen und Kontaktdaten auf Ihrer Shortlist, die diesmal nicht an der Entwicklung beteiligt sind, haben Sie für das nächste Projekt in der Hinterhand. Und Ihre Übersicht möglicher Tools, womöglich mit kurzer Notiz von Vor- und Nachteilen der Anwendungen, können Sie sicherlich mit vielen Ressorts und Abteilungen in Ihrem Haus teilen. Wann immer Sie über die Laufzeit der Formatentwicklung eine Phase abschließen, prüfen Sie die Ordner auf ihre Vollständigkeit. 74 Mandatierung <?page no="75"?> Ideenfindung Was bisher geschah | Die Chefredaktion hat das Mandat erteilt, eine Formatentwicklung durchzuführen und aus einer noch unkonkre‐ ten Idee ein marktfähiges Produkt zu formen. Sie haben das Team zusammengestellt und sich in Tools eingearbeitet, mit denen Sie die Zusammenarbeit organisieren können. Was nun geschieht | Es wird Zeit, konkrete Produktideen zu sammeln. Aber bitte nicht allein. Beziehen Sie unbedingt das Team mit ein, das später auch an der langfristigen Umsetzung des Produkts arbeiten wird. Wenn das Team von Beginn an mitentscheidet und das Produkt „sein“ Produkt wird, wird es sicher motivierter daran wirken. In diesem Kapitel besprechen wir, wie Sie im Team Ideen erdenken, evaluieren und Prototypen erstellen. Bereiten Sie sich auf Ihre Rolle als Projekt- und Teamleitung vor. Mit der Ideenfindung beginnt die Zusammenarbeit im Team und damit Ihre Aufgabe als Projektleitung. Von nun an sind Sie Ansprechpartner: in aller Stakeholder: innen, insbesondere Ihrer Teammitglieder. Sie geben die Struktur für die Zusammenarbeit vor, geben Halt und Rat und haben nicht zuletzt entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsatmosphäre. Auch wenn Sie Ihren Kolleg: innen nicht disziplinarisch vorgesetzt sind, haben Sie ihnen gegebenüber eine Führungsrolle. Darauf gilt es sich vorzubereiten. Sie haben gewiss tolle Leute für Ihr Team gewonnen. Dass jede: r Einzelne toll ist, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie auch als Gruppe von Beginn an wunderbar miteinander auskommen. Ein Team muss erst zu einem solchen zusammenwachsen, ehe es sein volles Potenzial entfalten kann. Laut dem US-amerikanischen Psychologen Bruce Tuckman geschieht die Teamentwicklung in vier Phasen: Forming, Storming, Norming und Performing. Es handelt sich dabei um keine natürliche Abfolge der Phasen. <?page no="76"?> Sondern es bedarf Arbeit, ein leistungsfähiges Team zu formen. Manche Phasen können sich dabei auch wiederholen. 1. Forming: Orientierungsphase Das neu zusammengestellte Team nimmt die Arbeit auf. Redakteur: innen, Desi‐ gner: innen, SEO-Expert: innen und andere haben womöglich bislang noch nicht zusammengearbeitet und müssen sich erst beschnuppern. Es gibt zunächst keine Konflikte, die Teammitglieder nähern sich behutsam einander an. 2. Storming: Konfrontationsphase Die Eingewöhnungsphase ist vorbei und die ersten Konflikte können beginnen. Die Social-Media-Redakteurin beschwert sich, dass der Text-Redakteur sie nicht ernst nimmt. Der freie Cutter bemängelt, dass er nicht hinreichend informiert wird. Es entstehen Probleme in der Zusammenarbeit. 3. Norming: Organisationsphase Das Team setzt sich mit der Zusammenarbeit auseinander und überwindet Kon‐ flikte mit Lösungen. Nach und nach wird so die Effizienz des Teams gesteigert. 4. Performing: Leistungsphase Das Team hat Normen zur Zusammenarbeit entwickelt, ist eingespielt und arbeitet effizient. Tab. 12: Phasen der Teamentwicklung Für Sie als verantwortliche Person der Formatentwicklung ist zunächst wichtig zu verinnerlichen, dass es diese Phasen gibt. Mit diesem Wissen können Sie die Dynamiken in Ihrem Team besser nachvollziehen und Probleme antizipieren. Um das Teamgefüge zu stärken und Ihr Team in die Performingphase zu leiten, sind Meetings ein wichtiges Instrument. Setzen Sie drei unterschied‐ liche Typen an: ● Im wöchentlichen Teammeeting können Sie über das große Ganze spre‐ chen. Sie können Organisatorisches klären, Grundsatzentscheidungen diskutieren und auch alle Konflikte verhandeln. Dieses Meeting hat eine identitätsstiftende Bedeutung fürs Team. Der Ton, in dem die Teammitglieder miteinander umgehen, wie sie diskutieren, streiten und Kompromisse erarbeiten, wird hier gesetzt. ● In Jours fixes mit den einzelnen Teammitgliedern können Sie detail‐ liertes Feedback zur Arbeit Ihrer Kolleg: innen geben und individuelle 76 Ideenfindung <?page no="77"?> 23 Wir betrachten es in einer ergänzten Fassung von: Stolzenberg, Kerstin/ Heberle, Krischan: Change Management. Veränderungsprozesse erfolgreich gestalten. Berlin 2009, S.-121 Themen wie die Arbeitsbelastung oder Zufriedenheit besprechen. Idea‐ lerweise sprechen Sie jedes Teammitglied einmal pro Woche, maximal eine halbe Stunde lang. ● Am Ende einer jeden Phase der Formatentwicklung lohnt es sich, in einer sogenannten Retrospektive die bisherige Arbeit im Team zu resümieren und gemeinsam Schritte zur Verbesserung zu formulieren. Vergegenwärtigen Sie sich für all diese Termine, dass Sie in Ihrer Rolle als Projektleitung dem Team den Weg weisen. Sie sollten immer eine Antwort darauf haben können, wer wann was wie zu tun hat - und warum. Aber: Halten Sie sich nicht krampfhaft an Vorgaben fest, wenn offensichtlich ist, dass sie keinen Sinn ergeben. Nutzen Sie all diese Meetings auch, um Feedback zu den von Ihnen vorgegebenen Strukturen zu sammeln. Und passen Sie sie gegebenenfalls an. Weil das Projekt zusätzlich zum Tagesgeschäft stattfindet und ihre Chef: innen die Ressortleitungen sind, kann das die Redakteur: innen dazu verleiten, Ihre Anweisungen als nicht zu wichtig zu erachten oder sie ganz zu ignorieren. Dem sollten Sie schon zu Beginn der Kommunikation mit Ihren Teammitgliedern entgegengewirkt haben, indem Sie die Rollenverteilung klar gemacht haben (siehe dazu auch Mandatierungsphase). Auch während der Formatentwicklung sollten Sie Ihre Kommunikation mit dem Team weiterhin kontrollieren. Formatentwicklung ist kein spaßiger Zeitvertreib neben der eigentlichen „echten“ Arbeit. Bleiben Sie in Ihren Anweisungen eindeutig und kongruent. Um Ihre Kommunikation zu steuern, ist das Delegationskontinuum nach Douglas McGregor hilfreich. 23 Vor jedem Gespräch mit einem oder mehreren Teammitgliedern können Sie prüfen, welchen Handlungsspielraum Ihre Kommunikation lässt. Stufe Ich habe entschieden … und du bist eingeladen, um … 1 nichts zu klären, ob etwas gemacht wer‐ den soll. 2 dass etwas gemacht werden soll zu klären, was gemacht werden soll. Bereiten Sie sich auf Ihre Rolle als Projekt- und Teamleitung vor. 77 <?page no="78"?> 3 was gemacht werden soll zu klären, wer es wie, wann, wo machen soll. 4 wer, was, wann, wo, wie machen soll die Konsequenzen zu klären, die damit für dich verbunden sind. 5 alles dich zu informieren. Tab. 13: Delegationskontinuum nach Douglas McGregor Was lange währt, wird nicht immer gut. Beraumen Sie nun die Workshops zur Ideenfindung an. Und zwar so wenige wie möglich. Der Ideenoutput Ihres Teams wird nicht unbedingt kongenialer, je länger Sie sich für die Ideenfindung Zeit nehmen. Die kongeniale Idee, die weltver‐ ändernde Innovation suchen Sie ohnehin nicht. Sie wollen eine Produktidee erdenken, an der alle im Team gerne mitwirken und die vom Team auch umgesetzt werden kann. In der Ideenfindungsphase wollen Sie nicht auf die eine geniale Idee kommen, die niemand sonst vor Ihnen hatte. Sie wollen eine Produktidee erdenken, die umsetzbar ist und an der sich alle im Team gerne beteiligen wollen. Wichtiger als die Anzahl der Workshops ist also die Atmosphäre, die Sie dafür schaffen. Alle Teammitglieder sollten sich wohl fühlen, sich gern am Prozess beteiligen und Ideen ehrlich diskutieren können - damit das Team sich am Ende auf eine gemeinsame Produktidee verständigt. Dieses Ziel erreichen Sie nicht, wenn Sie ein Team zur Ideenfindung für wenige Stunden ohne Pause in ein graues Büro sperren. Sie erreichen es aber ebenso wenig, wenn Sie ein Team zwei Wochen in einen fancy Coworking-Space mit gut gefüllten Kühlschränken einmieten, in dem das Workshoppen zum Festgelage ausartet. Für die Treffen müssen Sie nicht zwangsläufig Räume außerhalb Ihrer Redaktion anmieten. Sie sollten aller‐ dings einen Ort für die Meetings wählen, an dem Sie und Ihr Team ungestört bleiben und sich wohlfühlen können. Der Konfi, in den immer mal wieder Ressorts für Besprechungen platzen, ist also ebenso ungeeignet wie das zwar häufig freie, aber fensterlose und stickige Videostudio. Wir wollen hier eine Folge von vier Meetings vorschlagen. Bei einem Kick-off sorgen Sie dafür, dass sich das Team kennenlernen kann. An‐ 78 Ideenfindung <?page no="79"?> schließend veranstalten Sie mit dem Team drei kurz aufeinanderfolgende Kreativworkshops zur Ideenfindung, -evaluation und -auswahl. Mit den Kreativworkshops orientieren wir uns am Modell des Design- Sprints. Bei einem solchen nutzer: innenorientierten Sprint zur Produktent‐ wicklung lernt ein Team zunächst die Bedürfnisse und Probleme seiner Nutzer: innen zu verstehen, entwickelt Lösungen, entscheidet sich für eine Idee, baut einen Prototypen und lässt ihn von Nutzer: innen testen. Wir werden diese Methode nachfolgend ein wenig eindampfen. Termin Was Sie mit diesem Termin erreichen wollen: Kick-off ● Das Team soll die Rahmenbedingungen der For‐ matentwicklung verstehen. ● Das Team soll die Rollen und Aufgaben jedes einzelnen Mitglieds verstehen. ● Die Teammitglieder sollen einander kennenler‐ nen, um eine angenehme Atmosphäre für die folgenden Workshops aufzubauen. Workshop 1: Ideenfindung und Bewertung ● Sie wollen mit dem Team möglichst viele kon‐ krete Ideen für das zu entwickelnde Produkt sammeln. ● Sie wollen diese Ideen gemeinschaftlich bewer‐ ten und eine Vorauswahl treffen. Workshop 2: Ausarbeiten der Ideen und Bewertung ● Die Auswahl der Ideen wird konkretisiert, indem das Team Prototypen baut. ● Die Prototypen werden Externen, bestenfalls Tester: innen aus der Zielgruppe, vorgestellt. ● Die Ideen werden ein weiteres Mal bewertet. ● Das Team soll demokratisch aus den Produkt‐ ideen einen Favoriten wählen. Diese Idee legen Sie der Chefredaktion vor, um ein Okay für die weitere Entwicklung zu erhalten. Workshop 3: Verkündung der Auswahl und Retro‐ spektive ● Sie stellen die demokratisch ausgewählte und von der Chefredaktion abgesegnete Produktidee vor. ● Das Team und Sie resümieren die bisherige Ar‐ beit, um die Teamkommunikation und Zusam‐ menarbeit zu verbessern. ● Sie kommunizieren die weiteren Schritte im Team und verteilen Aufgaben für jedes Mitglied. Tab. 14: Termine und deren Ziele Was lange währt, wird nicht immer gut. 79 <?page no="80"?> 24 Fitzpatrick, Rob/ Hunt, Devin: The Workshop Survival Guide. 2019. S.-12 ff. Setzen Sie für alle vier Treffen Termine an, die für alle Teilnehmenden passen und die nicht durch andere Verpflichtungen irritiert werden. Stellen Sie sich vor, alle halbe Stunde springt jemand auf, um am Newsdesk eine Meldung zu schreiben, oder postet nebenbei Tweets oder telefoniert. Dieses Ambiente würde die Ideenfindung behindern. Das Team muss in der Lage sein, sich voll und ganz auf die Workshops einzulassen. Versuchen Sie, die Termine möglichst eng hintereinander zu planen. Gerade zu Beginn wird Ihr Team voller Energie und Tatendrang sein. Den Verlust von beidem wollen Sie nicht durch zu lange Pausen zwischen den Terminen riskieren. Wenn die Terminplanung daran scheitert, dass die gleichen Personen ständig keine Zeit haben, überdenken Sie streng, ob Sie diese Teammitglieder entbehren können. Ist deren Verfügbarkeit zu Beginn ein Problem, wird sich das im Verlauf der Formatentwicklung wahrscheinlich nicht bessern. Für alle Termine gilt: Planen Sie ausreichend Pausen ein. Besser noch: Planen Sie die Inhalte um die Pausen herum, wie es Rob Fitzpatrick und Devin Hunt in ihrem „Workshop Survival Guide“ empfehlen. 24 Nach 60 bis 90 Minuten sollte unbedingt eine Pause folgen, entweder 15 Minuten für Kaffee oder eine volle Stunde für das Mittagessen. Wer zwischendurch Zeit zum Luftholen hat, denkt danach frischer weiter. ► Sebastian Klein über Meetings: „Für mich ist die Moderation die entscheidende Rolle“ Sebastian Klein ist Co-Gründer des Wirtschaftsmagazins Neue Narra‐ tive, dessen Redaktion sich mit Ideen für eine moderne Arbeitswelt beschäftigt. Er hat Psychologie studiert und unter anderem als Un‐ ternehmensberater gearbeitet sowie selbst Unternehmen gegründet. Sebastian setzt sich intensiv mit Betriebsorganisationen auseinander, unter anderem mit Meeting-Strukturen. Im Interview gibt er Tipps, wie die Zusammenkunft von Teams spannungsfrei und für alle Teil‐ nehmenden gewinnbringend abläuft. 80 Ideenfindung <?page no="81"?> Sebastian, im Laufe einer Formatentwicklung hält das Team viele Meetings ab. Darunter morgendliche Check-ins, wöchent‐ liche Teamrunden und Retrospektiven am Ende wichtiger Phasen. Worauf muss man als Moderator: in solcher Treffen achten? Sebastian Klein: Für mich ist die Moderation die entscheidende Rolle: Wenn ich moderiere, habe ich die Verantwortung, dass alle genau wissen, was mit dem Meeting bezweckt wird und dass wir die Zeit gut nutzen. Für mich ist das am einfachsten, wenn es eine klare Struktur gibt und zu jedem Punkt klar ist, wer gerade was braucht. Dann kann die Moderation nämlich streng, aber unpersönlich sein. Indem sie einfach die betreffende Person fragt: Hast du bekommen, was du brauchst? Oder was brauchst du, um hier weiterzukommen? Wann ist für dich ein Meeting richtig gut geglückt? Für mich sind die beiden Erfolgskriterien: Dass alle nachher mehr Klarheit haben als vorher. Und dass alle sagen, dass sie am Ende des Meetings mehr Energie haben als zu Beginn des Meetings. Kann man auch wunderbar in einem Check-in und Check-out abfragen. Das Ziel eines Meetings ist zwar klar vorgegeben, trotzdem stößt nun ein Störenfried eine Diskussion über Grundsätzliches an. Wie wimmelt man diesen Teilnehmenden ab, ohne ihn zu vergraulen? Meine Lieblingswaffe in der Moderation ist, immer zu fragen: Was brauchst du? Und die Leute dazu bringen, vom Wir und Konjunktiv wegzukommen und sie zum Ich und Du zu bringen: „Ich brauche von dir xy“. Das macht jede Grundsatzdiskussion ziemlich kurz. Man kann sich zum Beispiel darauf einigen, dass die woanders stattfindet, dass die beiden Personen, die sie brauchen, sich wann anders austauschen. Störenfriede reden ja gerne in „Man könnte“ und „Wir müssten“ und das sind für mich Formulierungen, die die Moderationsrolle leicht unterbinden kann. Manchmal gibt’s zu wenig, manchmal zu viel zu besprechen. Wie geht man mit überschüssiger oder zu knapper Meeting- Zeit um? Auch das ist für mich Aufgabe der Moderationsrolle: Ich habe 20 Minuten und 40 Items auf der Agenda? Kein Problem, dann können ► Sebastian Klein über Meetings 81 <?page no="82"?> wir zu den 40 Punkten nur sehr knapp fragen: Was ist hier der nächste Schritt, der uns weiterbringt? Und diesen dann eben auslagern aus dem Meeting. Habe ich länger Zeit, kann ich Diskussionen und Refle‐ xionen zulassen. Bei manchen Themen wie zum Beispiel Governance- Entscheidungen oder interpersonellen Konflikten kann es aber auch besser sein, einfach das wichtigste Thema nach vorne zu ziehen und dem so viel Zeit zu geben, wie es eben braucht. Was meines Erachtens viel zu oft übersehen wird: Meetingzeit lässt sich auch prima nutzen, um in Stillarbeit Gedanken zu sammeln. Wenn ich 20 Tickets habe, zu denen alle kommentieren sollen, ist es ziemlich ineffizient, wenn das mündlich geschieht. Stattdessen können ja auch alle die Tickets durchgehen und ihre Kommentare parallel reinschreiben. Welche Rolle spielt der Raum für das Gelingen eines Meetings? Der spielt natürlich eine wichtige Rolle. Ich habe zum Beispiel die Erfahrung mit einem Team gemacht, das erstaunlich aggressiv wurde, wenn es in einem bestimmten Raum zusammen saß. Der hatte nur ein kleines Fenster zum Hof und ein bläulich-kaltes Licht. Oder wenn es darum geht, kreativ zu denken und zusammenzuarbeiten, macht es sicher nicht so viel Sinn, um einen Konferenztisch herum zu sitzen, am besten noch mit Keksen drauf. Bei physischen Treffen mag ich Runden ohne Tisch gern, die Moderation sollte stehen und es sollte Möglichkeiten geben zu visualisieren. Im Digitalen braucht es für mich immer eine visuelle Struktur. Bei Neue Narrative gucken alle in der Regel auf ein Notion-Board und wissen dann genau, worum es gerade geht. Sitzen, stehen, liegen: Was macht die Körperhaltung in Mee‐ tings mit uns? Ich glaube, in Konzernen dachte man phasenweise, Räume mit Sitz‐ säcken würden zu verrückten Produktideen führen. Ich bin nicht so sicher, ob das geklappt hat. Für mich sind Meetings gut, wenn sie möglichst gut und möglichst fokussiert sind. Stehen ist da keine schlechte Methode, aber auch ein Sitzkreis ohne Laptops kann sehr fokussiert sein. In virtuellen Meetings finde ich es auch angenehm, mal stehen zu können. Und meine Meetings mit einzelnen Personen mache ich immer per Telefon, sodass ich rumlaufen und mich bewegen kann. 82 Ideenfindung <?page no="83"?> Durch die Corona-Pandemie tauschen sich Teams auch oder vielleicht sogar ausschließlich digital oder hybrid aus. Worauf ist dabei zu achten? Es ist einfach eine ganz neue Herausforderung, und man sollte meines Erachtens von Grund auf fragen, was in diesen Umgebungen möglich und realistisch ist. Einen Ganztagesworkshop ins Virtuelle verlegen und die Menschen acht Stunden lang in den Bildschirm starren zu lassen, finde ich nicht so smart. Also dann eher aufteilen auf mehrere Tage oder mit Kleingruppen so arbeiten, dass die Leute sich auch mal bewegen und vom Laptop weg können. Ich vermute, man sollte auch mitdenken, dass es nun viel einfacher ist, nebenbei was anderes zu machen. Ist das gewünscht? Oder nicht? Was heißt das jetzt für uns? Ich glaube, der größte Fehler ist einfach alle Meetings 1: 1 ins Digitale zu übertragen. Und daran hängt eine andere Beobachtung, die ich habe: Die meisten Teams verwenden zu wenig Zeit, sich Gedanken über bessere Meetings zu machen. Wenn ein Team von 10 Leuten durchschnittlich 10 Stunden die Woche in Meetings verbringt, dann lohnt es sich doch locker, jede Woche 1 von diesen 100 Stunden auf die Frage zu verwenden: Wie können wir etwas besser werden? Diese Zeit wird oft gespart, aber die Rechnung geht nicht auf. Der Kick-off setzt den Ton für die weitere Entwicklung. Bisher haben Sie mit den Teammitgliedern Einzelgespräche geführt und nicht mit jedem Teammitglied in voller Gänze über die Formatentwicklung gesprochen. Womöglich haben die Teammitglieder sich untereinander noch gar nicht ausgetauscht, weil sie sich teilweise auch noch gar nicht kennen. Der Kick-off dient dem Zweck, alle im Team auf den gleichen Wissensstand sowie die Mitglieder miteinander in Kontakt zu bringen. Wie lange der Kick-off idealerweise dauert, hängt vor allem vom Projekt‐ umfang ab. Wenn ein dreißigköpfiges Team eine Livestream-Talkshow auf Twitch entwickeln soll, ist der Kick-off womöglich mit einem Arbeitstag zu knapp bemessen. Geht es um die Entwicklung eines Instagram-Accounts unter Beteiligung von zwei Social-Media-Redakteur: innen sowie einer De‐ signerin, die bereits miteinander bekannt sind, wäre ein halber Arbeitstag an das Kick-off-Meeting verschwendet. Spielen Sie einmal durch, wie lange Sie Der Kick-off setzt den Ton für die weitere Entwicklung. 83 <?page no="84"?> brauchen, um die Rahmenbedingungen der Formatentwicklung zu erklären und wie lange es dauern würde, wenn sich jedes Teammitglied fünf Minuten lang vorstellt. Addieren Sie eine halbe Stunde Zeit für Fragen und Antwor‐ ten. Das ist die optimale Länge. Ein Kick-off-Termin mit anderthalb Stunden Länge könnte so aufgebaut sein: Agenda Minuten Ankommen und Smalltalk 5 Vorstellung der Rahmenbedingungen der Formatentwicklung: Ziel, Zeit, Ablauf 10 Vorstellung der Teammitglieder, ihrer Rollen und Aufgaben 30 Kaffeepause 15 Vorstellung der Kommunikationsmittel und Tools zum Wissens‐ transfer 5 Fragen und Antworten zur Formatentwicklung 20 Ausklang 5 Tab. 15: Beispielagenda für einen Kick-off-Termin Fassen Sie zunächst kurz zusammen, was aus dem Mandatsgespräch her‐ vorgegangen ist: Was ist das Ziel und der Rahmen der Formatentwicklung? In welchen Phasen haben Sie vor, die Formatentwicklung durchzuführen? Geben Sie gegebenenfalls erste Einblicke in die Recherche, die Sie geleistet haben, wenn Sie der Meinung sind, dass es Ihrem Team hilft, die kommende Arbeit besser zu verstehen. Anschließend sollte sich jede: r im Team kurz vorstellen. Ob Sie dafür ein Kennenlernspiel inszenieren oder die Vorstellung im Uhrzeigersinn von‐ stattengeht, machen Sie am besten von den Menschen im Team abhängig. Achten Sie in jedem Fall darauf, dass bei der Vorstellung klar wird, welche Rollen die Mitglieder im Team spielen werden. Die Runde ist nun perfekt für die Kaffeepause vorbereitet. Im Idealfall weiß jede: r über jede: n anderen im Team ein Detail, das sich als Anknüp‐ fungspunkt für ein Gespräch an der Kaffeemaschine eignet. Wenn Sie be‐ merken, dass bei heiterer Stimmung gute Gespräche entstehen, überziehen Sie die Pause ruhig. Sie müssen nicht mit der Stechuhr unterwegs sein 84 Ideenfindung <?page no="85"?> - bei diesem Auftakttermin darf und soll es fröhlich zugehen. Ist die Situa‐ tion steif und angespannt, müssen Sie die Gespräche ankurbeln. Bringen Sie Kolleg: innen zusammen, von denen Sie schon wissen, dass sie enger miteinander zu tun haben werden und nutzen Sie das als Gesprächsanlass. Stellen Sie schließlich kurz die Tools vor, mit denen sich das Team koor‐ dinieren und miteinander kommunizieren soll. Wenn Sie komplexe Tools einsetzen, die für alle neu sind, werden Einführungsworkshops vonnöten sein. Fragen Sie ab, welche Teammitglieder solcher Workshops bedürfen und machen Sie Termine aus. Kündigen Sie darüber hinaus an, dass Sie allen Teammitgliedern zwei Kalendereinträge schicken werden: einen für das wöchentliche Teammeeting und einen für persönliche Jours fixes mit Ihnen. Nehmen Sie sich anschließend ausreichend Zeit, um Fragen aus dem Team zu beantworten. Wenn keine Fragen kommen, stellen Sie Fragen: ● Haben alle verstanden, worum es bei der Entwicklung geht? ● Kennt jede: r seine: ihre Rolle im Team? ● Sind die Kommunikationswege klar? Kündigen Sie am Ende den ersten Kreativworkshop an, bei dem Sie gemein‐ sam konkrete Produktideen sammeln wollen. Achten Sie darauf, dass alle motiviert das Meeting verlassen. Wenn Sie ein Team haben, das sich bisher untereinander nicht kannte, bietet es sich an, den Kick-off-Termin so zu legen, dass danach noch Zeit zum informellen Austausch ist. Idealerweise endet das Treffen vor dem Mittagessen, damit für den Plausch mit den Kolleg: innen niemand seine Freizeit nach Feierabend opfern muss. Die Stimmung bei diesem ersten Meeting ist besonders entscheidend. Es ist wie der Ersteindruck beim Kennenlernen: Wie Sie sich als Projektleitung der Formatentwicklung präsentieren und wie gut Sie Ihr Team zusammen‐ führen und motivieren, wird den Ton für die weitere Zusammenarbeit bestimmen. Das bedeutet nicht, dass Sie mit Konfetti werfen und Anekdoten wie am Fließband abfeuern sollen, weil Sie auf ein heiteres Miteinander Wert legen. Finden Sie Ihren Ton, welcher der Formatentwicklung angemessen ist und Ihnen entspricht. Der Kick-off setzt den Ton für die weitere Entwicklung. 85 <?page no="86"?> 25 Vogt 2010, S. 20; Sternberg/ Lubart 2010, S. 4 f.; Sternberg, R. J. (2010) (Hrsg.): Handbook of Creativity. 14. Auflage. Cambridge. 26 Holm-Hadulla, Rainer Matthias: Kreativität. Konzept und Lebensstil. Göttingen 2010. S.-11 27 Majaro, Simon: Erfolgsfaktor Kreativität. Ertragssteigerung durch Ideen-Management. London 1993 28 Amabile, Teresa M.: Motivating creativity in organizations: On doing what you love and loving what you do, in: California Management Review, Vol. 40, 1997, 1, S.-39-59 29 Brem, Alexander/ Brem, Stefanie: Kreativität und Innovation im Unternehmen. Metho‐ den und Workshops zur Sammlung und Generierung von Ideen. Stuttgart 2013, S.-15 Jedes Teammitglied ist kreativ. Die Kreativworkshops stehen an. An diesem Punkt muss zunächst mit einem Mythos über Kreativität aufgeräumt werden. Der schöpferischen Fähigkeit haftet in unserem Sprachgebrauch und Denken etwas geradezu Mystisches an. 25 Kreativität, so der weitverbreitete Glaube, ist auserwählten Genies vorbehalten, die von der Muse geküsst in manische Arbeit im stillen Kämmerlein verfallen und große Kunst im Alleingang vollbringen. Das ist Unfug. Die in der Psychologie beheimatete Kreativitätsforschung ist längst zu wenig mystischen Erkenntnissen über Kreativität gekommen. 26 Unter Kreativität wird der Denkprozess verstanden, der dabei hilft, Ideen hervorzubringen, um Probleme zu lösen. 27 Nach der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Theresa Amabile braucht es für Kreativität drei Komponenten: Expertise (nicht fachspezifisch zum Beispiel auf Journalismus bezogen, sondern ein breitgefächertes Wissen), Einfallsreichtum und Motivation. 28 Kreatives Denken ist keinen auserwähl‐ ten Individuen vorbehalten, es lässt sich erlernen und trainieren. 29 Das bedeutet: Jede: r in Ihrem Team bringt grundsätzlich das Potenzial mit, auf gewinnbringende Ideen zu kommen - nicht nur die, die bewiesener Maßen bereits an der Entwicklung von Produkten beteiligt waren oder sich für begnadete Ideenfinder: innen halten. Achten Sie bei den kommenden Workshops darauf, dass sich alle im Team einbringen können und wollen. Nehmen Sie Ihre Rolle als Moderator: in der Workshops daher ernst. Behalten Sie die Beteiligung und Stimmung der Teammitglieder im Blick. Stupsen Sie die Stilleren an, drosseln Sie die Forschen ruhig etwas ab. 86 Ideenfindung <?page no="87"?> Lassen Sie beim ersten Workshop Ideen sprudeln - im vorgegebenen Rahmen. Nehmen wir an, Sie haben das Mandat für folgende Entwicklung bekommen: In einer Videoserie für YouTube soll ein strittiges Thema von zwei Menschen mit entgegengesetzter Meinung diskutiert werden. Das ist bereits eine durchaus konkrete Vorgabe. Über das finale Produkt ist dadurch allerdings noch lange nicht entschieden. Sie könnten zu einer konkreten Produktidee finden wie die Produktions‐ firma Hyperbole mit „Sag’s mir“ . Die Videoserie hat einen sehr verspielten Charakter. Die beiden Diskutanden werden in Overalls gesteckt, damit sie sich ebenbürtig begegnen. Das Gespräch ist in drei Runden gegliedert, in jeder Runde rücken die beiden einander auf Sitzen näher. Die gleichen Vorgaben könnten aber auch zum konkreten Produkt „Prost und Contra“ vom rbb führen. Statt im Studio finden die Gespräche in einer Bar statt. Während bei „Sag’s mir“ keine Moderation stattfindet, spricht bei „Prost und Contra“ eine Sprecherin aus dem Off zum Publikum und ordnet Aussagen ein, unterlegt von Grafikeinblendungen. Die gleiche Idee führte den SWR wiederum zum „Mixtalk“, einem mode‐ rierten Live-Streitgespräch. Nutzer: innen können sich zuvor anmelden und sich ins Gespräch einklinken. Diese Beispiele zeigen: So eng der Rahmen aus dem Mandatsgespräch sich auch anfühlen mag, er ist es nicht. Was Ihr Team und Sie nun aus den Vorgaben für Produktideen ableiten, ist ein entscheidender Teil der Formatentwicklung. Beim ersten Workshop sollten Sie darauf abzielen, so viele Ideen wie mög‐ lich zu erdenken. Je nachdem, wie lange der Kick-off-Termin her ist, lohnt es sich zu Beginn, noch einmal die Rahmenbedingungen der Formatentwick‐ lung klarzumachen. Benennen Sie deutlich das Ziel des Workshops, um zu verhindern, dass ganz andere Ideen ersonnen werden. Wenn Sie mit der Chefredaktion abgesprochen haben, dass bei der Ideenfindung unbedingt ein TikTok-Account entstehen soll, aber das Oberthema gegebenenfalls angepasst werden kann, dann geben Sie diese Anforderung so ans Team weiter. Wenn am Ende das Oberthema das gleiche ist, aber Ideen für einen YouTube-Kanal entstanden sind, ist die Ideenfindung gescheitert. Wie sich Kreativität anregen lässt, dafür gibt es Vorschläge wie Sand am Meer - und alle sind sie schlecht, und alle sind sie gut. Für manche Teams ist es aussichtsreich, interaktive Workshops zur Ideenfindung durchzuführen. Lassen Sie beim ersten Workshop Ideen sprudeln - im vorgegebenen Rahmen. 87 <?page no="88"?> 30 Taheri, Taraneh: Brainstorming funktioniert nicht. Wie ihr stattdessen bessere Ideen findet. 2022. https: / / www.neuenarrative.de/ magazin/ warum-brainstorming-nicht-fun ktioniert/ Toolbox von Hyper Island Sinnvolle Workshopformate für Innovationsmeetings hat beispielsweise die Agentur Hyper Island in einer frei zugänglichen Toolbox gesammelt. Ein Workshop nach dem „Mash-Up Innovation“-Prinzip etwa fordert die Gruppe auf, zu drei Themenfeldern Assoziationen zu sammeln (zum Beispiel: Technologie, Bedürfnisse von Nutzer: innen, bestehende Ser‐ vices) und die Gedanken später in Kleingruppen zu kombinieren, um neue Dienste zu entwickeln. Sofern die Teilnehmer: innen motiviert und teamfähig sind, kommt bei interaktiven Workshops dieser Art etwas rum. toolbox.hyperisland.com Die bekannteste Methode zur raschen Ideenfindung dürfte das Brainstor‐ ming sein, 1939 vom US-amerikanischen Werber Alex F. Osborn erfunden. Allerdings hat die Forschung gezeigt, dass die Methode nicht unbedingt effektiv ist. Beim Brainstorming sollen von einer Gruppe von Menschen Ideen in den Raum geworfen werden. Eine ausgesprochene Idee inspiriert ein anderes Teammitglied zur nächste Idee und so weiter. Doch in der Praxis dominieren Extrovertierte die Brainstormings, während Introvertierte kaum zu Wort kommen. Teammitglieder verfallen in soziales Faulenzen, tragen also nichts zur Diskussion in der Gruppe bei, weil ihre Einzelleistung nicht bewertet wird und sie andere machen lassen können. Und weil nicht alle gleichzeitig Ideen in den Raum rufen können, drohen Gedanken verloren zu gehen. 30 Das klassische Brainstorming soll als Möglichkeit zur Ideenfindung hiermit zwar erwähnt sein - besser nutzen Sie aber mit dem Brainstorming verwandte Alternativen: 88 Ideenfindung <?page no="89"?> 31 Brem, Alexander/ Brem, Stefanie: Kreativität und Innovation im Unternehmen. Metho‐ den und Workshops zur Sammlung und Generierung von Ideen. Stuttgart 2013, S.-15 Methode 31 Beschreibung Brainstorming Diese Kreativitätsmethode zielt darauf ab, möglichst viele Ideen innerhalb kurzer Zeit zu sammeln. Dafür tragen Sie zunächst eine Aufgabenstellung in die Gruppe. Anschließend darf sich jede: r laut mit Gedanken äußern. Dabei soll der Synergieeffekt genutzt werden: Die Gruppenmitglieder sollen durch die Ideen der anderen wieder auf neue Ideen gebracht werden. Damit diese Methode funktioniert, müssen Sie als Moderator: in auf die Einhaltung von vier Regeln achten: Jeder Gedanke ist erlaubt. Es soll möglichst viel erdacht werden, die Qualität der Beiträge spielt keine Rolle. Die Gruppenmitglieder sollen auf den Ideen der Kolleg: innen aufbauen. Es darf während des Brainstormings keine Wertung der Ideen vorgenommen werden. Als Modera‐ tor: in sollten Sie zudem flinke Schreibhände haben, um alle Gedanken digital oder auf Kärtchen festzuhalten. Wenn Ihr Team sehr groß ist, können Sie Kleingruppen von bis zu circa fünf Personen bilden. In dem Fall brainstormt jede Gruppe für sich, am Ende tragen alle Gruppen ihre Ergebnisse in großer Runde zusammen. Kärtchentech‐ nik Die Kärtchentechnik funktioniert ähnlich dem Brainstorming. Doch statt laut in der Gruppe Ideen zu sammeln, soll jedes Teammitglied möglichst viele Gedanken auf einzelnen Kärtchen mit einem Stift niederschreiben. Diese Methode hat den Vorteil, dass auch stillere Personen gleichberechtigt an der Ideenfindung teilhaben können. Nach Ablauf der zuvor festgelegten Zeit bitten Sie als Moderator: in reihum die Gruppenmitglieder, ihre Ideen laut vorzustellen. Pinnen oder kleben Sie die Ideen für die spätere Bearbeitung an die Wand. „And also“-Me‐ thode Bei dieser Variante des Brainstormings wird die Regel außer Kraft gesetzt, dass die Ideen nicht bewertet respektive diskutiert werden können. Im Gegenteil soll die Gruppe bei dieser Variante jede Idee besprechen, um darauf aufbauend die nächste zu formulieren. Sandwich- Brainstorming Die Gruppen- und Einzelphasen werden kombiniert und wech‐ seln sich ab. Tab. 16: Kreativitätsmethoden Als Formatentwickler: in kennen Sie Ihre Redaktion am besten und wis‐ sen, mit welchen Methoden Sie das kreative Potenzial Ihrer Kolleg: innen abschöpfen können. Oder Sie haben aus den Kaffeegesprächen mit Ihren Lassen Sie beim ersten Workshop Ideen sprudeln - im vorgegebenen Rahmen. 89 <?page no="90"?> 32 Schlicksupp, Helmut: Innovation, Kreativität und Ideenfindung. Würzburg 2004, S.-6 33 Hauschildt, Jürgen/ Salomo, Sören: Innovationsmanagement. München 2011 künftigen Teammitgliedern und dem Kick-off-Termin heraus ein Gespür dafür entwickeln können, mit welcher Technik Sie sie motivieren. Wichtig ist, dass Sie sich mit den Kreativitätsmethoden auseinanderset‐ zen, die Moderationsregeln verinnerlichen, denn nur so lassen sie sich vernünftig durchführen. 32 - 33 Ihr Erfolg hängt insbesondere von Ihrer Mode‐ ration ab. Wenn Sie ausreichend Ideen gesammelt haben, bewerten Sie sie im Team. Vermeiden Sie unbedingt, über den Kopf des Teams hinweg eine Aus‐ wahl der Ihrer Meinung nach gelungensten Vorschläge zu treffen. Ihre Kolleg: innen sind es, die das Produkt langfristig und mit Freude umsetzen sollen. Ihnen ein Produkt aufzudrücken, hinter dem nur ein kleiner Teil von ihnen steht, wäre kontraproduktiv. Lassen Sie demokratisch abstimmen, zum Beispiel durch das Kleben von Punkten. Jedes Teammitglied erhält drei Klebepunkte, um die besten Ideen zu küren. Die Ideen mit den meisten Punkten nehmen Sie mit ins zweite Meeting. Formulieren Sie die Vorschläge dafür in einem letzten Schritt aus, sodass Sie sich im zweiten Meeting noch daran erinnern können, was hinter den womöglich rasch hingekritzelten oder mitgeschriebenen Buzzwords steckt. Zeitlich können Sie einen ganz‐ tägigen Workshop so gestalten: Agenda Minuten Ankommen und Smalltalk 5 Vorstellung des Ablaufs 15 Ideenfindung in der Gruppe mit Hilfe des Brainstormings 75 Kaffeepause 15 Präsentation und Diskussion der Ideen 90 Mittagspause 60 Zweite Runde der Ideenfindung mit Hilfe des Sandwich-Brainstor‐ mings 90 Kaffeepause 15 90 Ideenfindung <?page no="91"?> Präsentation der Ideen und Bewertung 90 Ausklang 5 Tab. 17: Beispielagenda für einen ganztätigen Workshop Übung | Kann das was? Das dreiköpfige Sportressort einer regionalen Tageszeitung sitzt einen Mittwochnachmittag zusammen, um Produktideen für einen Podcast zu sammeln. Das Mandat der Chefredaktion gibt vor, sich mit dem Thema E-Sport auseinanderzusetzen. Der Podcast soll die Kernziel‐ gruppe der Tageszeitung ansprechen, 30bis 50-Jährige in familiären Verhältnissen mit Kindern lebend. Die Sportredakteur: innen Monica, Stefan und Berit finden den Auftrag super, denn sie haben alle Teenagerkinder, die ihre Freizeit mit Zocken verbringen. Sie gehören mit zur Zielgruppe und glauben, beim Brain‐ storming die perfekte Idee erdacht zu haben: In ihrem wöchentlichen Podcast wollen sie in jeder Episode einen Begriff aus der Welt des E- Sports vorstellen. „Lag“, „Buff “, „Carry“ - je ein: e Redakteur: in plus Nachwuchs sollen vors Mikro treten. Die Kids erklären den Eltern, was es mit den Begriffen auf sich hat. Kurz, positiv und humorig soll der Podcast sein, ohne abfällige Tiraden aufs Gaming. Eine Episode soll nicht länger als zehn Minuten dauern, damit man sie gut auf dem Weg zur Arbeit hören kann. Am Ende des Ideenfindungs-Workshops unterziehen Monica, Stefan und Berit ihre Idee einer Analyse. Was könnten sie feststellen? Kurze Auswertung | Die Machbarkeit ist bei dieser Idee höchst fraglich: Die Kinder müssen mitspielen, damit die Idee in ihrer aktu‐ ellen Fassung funktioniert. Würden sie dafür bezahlt werden? Und wie lange würden sie mitmachen? Womöglich wollen die Teenies ja bald mal dem elterlichen Einfluss entkommen und für Jobs oder das Studium wegziehen? Lassen Sie beim ersten Workshop Ideen sprudeln - im vorgegebenen Rahmen. 91 <?page no="92"?> 34 https: / / www.br.de/ presse/ inhalt/ pressemitteilungen/ ich-bin-sophie-scholl-englisch-u ntertitel-100.html 35 https: / / www.swr.de/ unternehmen/ ich-bin-sophie-scholl-instagram-serie-102.html 36 https: / / www.instagram.com/ p/ CX374m8sG_-/ Basteln, beschreiben und benennen Sie Ihre Lieblinge. Betrachten Sie Ihre Ideen aus dem ersten Kreativworkshop zum Beginn des zweiten gemeinsam im Team mit frischem, scharfem Blick: ● Entsprechen die Produktideen den Anforderungen des Mandats aus der Chefredaktion? ● Kann die Produktidee die in der Recherchephase identifizierten Bedürf‐ nisse der Zielgruppe befriedigen? ● Besitzt die Produktidee ausreichend Alleinstellungsmerkmale, um im Wettbewerb mit den Konkurrenzangeboten zu bestehen? ● Ist sie vom versammelten Team realistisch langfristig umsetzbar? ● Passt die Produktidee zum Thema und zur Plattform, für die sie erdacht wurde? Während sich die ersten vier Fragen schnell prüfen lassen, bedarf die fünfte Frage womöglich einer längeren Diskussion. Aber sie lohnt sich. Ein Beispiel, bei dem diese Diskussion womöglich zu kurz gekommen ist, ist ein im Mai 2021 von SWR und BR gestartetes Instagram-Projekt. Der Account @ichbinsophiescholl „begleitet Sophie Scholl in nachempfundener Echtzeit durch die letzten zehn Monate ihres Lebens“ 34 . Die User: innen soll‐ ten „hautnah, emotional“ am Leben der Widerstandskämpferin teilhaben können. 35 Die Schauspieler: innen Luna Wedler und Max Hubacher stellten auf dem Account Sophie und Hans Scholl dar. Look und Narration des Instagram-Auftritts sind der Formatierung moderner Influencer: innen- Accounts nachempfunden: Im Feed postete die von SWR und BR geschaf‐ fene Sophie-Scholl-Figur unter anderem Selfies mit langen Bildbeschrei‐ bungen, in denen sie aus ihrem Leben und Denken berichtet und ihre Follower: innen direkt anspricht. Zu Weihnachten schrieb die Scholl-Figur beispielsweise: „Weihnachten ist für mich schon immer gefühlig - schon vor dem Krieg. Im einen Moment bin ich dankbar und freue mich, im nächsten Moment weine ich los. Kennt ihr das? “ 36 In den Storys wurden Umfragen gepostet, um der Community Interaktionsmöglichkeiten mit 92 Ideenfindung <?page no="93"?> 37 https: / / www.instagram.com/ p/ CaHkfORKgdm/ 38 https: / / uebermedien.de/ 68879/ nach-zehn-monaten-sophie-scholl-auf-insta-lernen-wie -man-es-nicht-machen-sollte/ 39 https: / / www.youtube.com/ watch? v=rx8HZ0rnRxA der Figur der Sophie Scholl zu suggerieren. Unter anderem sollten die Follower: innen auf die Fragen reagieren, ob die Figur Scholl sogenannte Panzerschokolode, eine populäre Rauschdroge während des Zeiten Welt‐ kriegs, nehmen oder Flugblätter verteilen sollte. Auf IGTV war im Video- Format „Meine Woche“ zu sehen, was die Scholl-Figur erlebt hat. Am 18. Februar 2022, dem Tag der Verhaftung von Sophie Scholl, endete das Projekt. Die fiktive Sophie Scholl ist in ihrem „Meine Woche“-Rückblick zuletzt bei ihrer Verhaftung zu sehen. Die Videobeschreibung lautet: „Sie haben uns. Wir sind in Haft. Ich hoffe, die anderen können sich in Sicherheit bringen. ,Wenn ich ein Vöglein wär …‘“ 37 . Mehrere Hunderttausend Follower: innen haben @ichbinsophiescholl abonniert, die Posts generierten mehrere zehntausende Likes und hunderte Kommentare. Aus Reichweiten- und Interaktionssicht kann man sicherlich von erfolgreichen Feed-, Story- und Video-Formaten sprechen, auch wenn wohl die angepeilte Zielgruppe von Frauen zwischen 18 und 24 nur zu geringem Teil erreicht worden ist. 38 Ob das Projekt als allgemein erfolgreich bewertet werden kann, ist höchst fraglich: @ichbinsophiescholl wurde vielfach konzeptionell und inhaltlich kritisiert und stieß eine Debatte über den Umgang mit historischen Ereignissen an. Jan Böhmermann und Team widmeten eine Ausgabe des „ZDF Magazin Royal“ dem Projekt, um es detaillierter zu demontieren: Trotz Beratung durch eine Historikerin wurden Fakten zum Vorteil der Dramaturgie fiktionalisiert. Eine Aufklärung darüber ebenso wie einordnender Kontext bestimmter Post waren nur auf Nachfrage des Publikums gepostet worden. 39 Was auf den ersten Blick wie eine clevere Idee wirkt, ist in der Umsetzung nach hinten losgegangen. Thema und Plattform haben hier nicht vernünftig zueinander gepasst. Wenn Sie alle übereinkommen, dass eine oder mehrere Ideen noch immer einer weiteren Auseinandersetzung würdig sind, unterteilen Sie Ihr Team in kleine Gruppen, sofern möglich. Jetzt geht es darum, eine optisch klarere Vorstellung von den Produktideen zu bekommen. Dafür soll Ihr Team die Ideen visualisieren. Entweder lassen Sie Ihre Teammitglieder Prototypen basteln oder Moodboards bauen. Basteln, beschreiben und benennen Sie Ihre Lieblinge. 93 <?page no="94"?> Prototyp Ein Prototyp oder Dummy ist eine zunächst grobe, vereinfachte Version Ihres späteren Produkts. Er wird noch nicht unter rea‐ listischen Produktionsbedingungen gefertigt, sondern dient erst einmal nur der ersten Visualisierung Ihrer Idee und einer an‐ schließenden Diskussion. Den Prototypen für einen Newsletter können Sie ganz einfach in einem Google Doc anlegen. Posts für einen Instagram-Kanal können Sie Ihr Team ganz einfach zeichnen lassen. Den Prototypen für ein Reel, TikTok oder You‐ Tube Short kann Ihr Team mit dem Handy drehen. Eine Twitter- Space-Talkshow können Sie mit Test-Accounts aufnehmen und speichern, um sie nachträglich zu hören. Einen Podcast kann das Team ebenfalls am Handy einsprechen und mit einer einfachen Software wie Audacity zusammenschneiden. Schwieriger wird eine erste Visualisierung bei aufwändigen Produktideen wie Re‐ portage-Videoserien. Hierfür bietet sich ein Moodboard an. Moodboard Ein Moodboard kann Fotos, Illustrationen, Farbpaletten oder auch, wenn es in digitaler Form angelegt wird, Videos beinhalten. Es ist eine Sammlung von inspirierenden Optiken. Es dient dem Zweck, wie der Name bereits verrät, eine Stimmung wiederzuge‐ ben. Es kann einen Prototypen zwar nicht ersetzen, aber aus den Collagen lässt sich bereits ein Gefühl für die spätere Visualität des zu entwickelnden Produkts ableiten. Sie können das Team auch zunächst ein Moodboard und erst im zweiten Schritt einen Prototypen auf Basis der Inspirationssammlung erstellen lassen. Tab. 18: Übersicht Prototyp - Moodboard Je nachdem, wie groß das Team ist und wie viele Ideen es bisher erdacht hat, kann jede Kleingruppe eine andere Idee visualisieren. Oder Sie beauftragen mehrere Kleingruppen damit, einen Prototypen oder ein Moodboard für die gleiche Produktidee zusammenzustellen. Namecheckr Eine Idee nimmt zusätzlich Gestalt an, sobald man Ihr einen Namen gibt. Wenn Ihr Team im Flow ist und dadurch von der Prototyp- oder Moodboard-Erstellung zu sehr abgelenkt wird, beauftragen sie es, sich auch einen Namen für das Produkt zu überlegen. Mit der Website na‐ mecheckr.com können Sie im nächsten Schritt rasch prüfen, auf wel‐ chen Plattformen ein Account mit diesem Namen noch zu bekommen wäre. namecheckr.com 94 Ideenfindung <?page no="95"?> Ist die Aufgabe erledigt, besprechen Sie die Prototypen bzw. Moodboards in großer Runde. Verlieren Sie sich dabei nicht in Details. Ob das Logo einer Videoserie grün oder blau sein sollte, können später Designer: innen entscheiden. Wie die Podcasthosts die Hörer: innen ansprechen sollen, ist ebenfalls eine zu überfrühte Diskussion und kann getrost verschoben werden. Fragen Sie sich vor allem: Kann der Prototyp auf der designierten Plattform so umgesetzt werden? Greifen Sie bei der Diskussion auf das plattformspezifische Wissen zurück, das Sie in der Recherchephase gesam‐ melt haben. Wenn Sie einen Newsletter entwickeln wollen, werden Sie in der Recher‐ chephase festgestellt haben, dass Newsletter von unterschiedlichen Mail- Plattformen beziehungsweise Clients verschieden dargestellt werden. Wenn ein Prototyp vorsieht, dass in einem zweispaltigen Layout Pro und Contra zu einem Thema gegenübergestellt werden, sollten Sie hellhörig werden: Zweispaltigkeit mag am Desktop gut aussehen, in den Apps von GMX, Gmail und Co. auf dem Smartphone dürfte die Lesbarkeit des Pro-Contra- Newsletters nutzer: innenunfreundlich sein. Email Resources Welche Schriftarten funktionieren in Newslettern? Wie kann man testen, in welchen Clients sie wie aussehen? Wo bekommt man kostenlose Lay‐ outs her? Und welche Blogs, Newsletter und Podcasts erklären, wie gute Newsletter funktionieren? Solche Fragen beantwortet die Website emailre sourc.es, auf der zahlreiche newsletterrelevante Links gesammelt sind. Sofern Sie ein Produkt schaffen wollen, das auf allen Plattformen später Ihren ästhetischen Regeln entspricht, können Sie schon jetzt den Prototypen dahingehend auf Tauglichkeit prüfen. Sie sind mit Ihren Prototypen zufrieden? Dann wäre nun ein guter Zeitpunkt gekommen, sie einer Testgruppe in die Hände zu geben. Im Idealfall haben Sie in der Recherchephase eine Umfrage auf Ihrer Website veröffentlicht und darüber Testnutzer: innen rekrutiert. Alternativ können Sie Personen aus der Redaktion gewinnen, die bislang nichts mit der Formatentwicklung zu tun hatten und einen frischen Blick mitbringen. Oder Sie gewinnen Menschen aus Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Basteln, beschreiben und benennen Sie Ihre Lieblinge. 95 <?page no="96"?> Kombinieren Sie den Test mit einer Pause für Ihr Team: Während die Kolleg: innen zu Mittag essen oder Kaffee schlürfen, soll die Testgruppe die Prototypen sichten. Im Anschluss an die Pause kommen beide Gruppen zusammen. Die Testgruppe berichtet, was ihr an den Prototypen gefällt und was nicht. Ihr Team hört zu und stellt Nachfragen. Anschließend können Sie die Prototypen auf Basis dieses Feedbacks ein weiteres Mal mit Ihrem Team diskutieren und optimieren. Sind Sie auch damit zufrieden, stimmen Sie ein weiteres Mal ab. Verdeutlichen Sie, dass diese Entscheidung wichtig ist: Es darf nur ein Prototyp gewählt werden - und auf Basis dieses Prototypen werden Sie das Produkt konzipieren. Haben Sie sich geeinigt und noch die Kraft, kann es hilfreich sein, die Produktidee in Adjektiven zu beschreiben. Verteilen Sie dafür eine Adjek‐ tivliste wie die folgende und lassen Sie Ihr Team fünf Adjektive einkreisen, die seiner Meinung nach am treffendsten zum Prototypen passen. aktuell alternativ anspruchsvoll ausgefallen begeisternd beglückend cool dezent einfach einfallsreich elegant exklusiv facettenreich formell frech fröhlich gediegen gefühlvoll heimatverbunden hilfreich informativ inspirierend jung klar klassisch konservativ kultiviert lebendig lebensnah leidenschaftlich mobil modern nachhaltig nett nüchtern nostalgisch originell phantasievoll plakativ positiv pragmatisch provokant rational reizend romantisch schön seriös sexy sinnlich sinnvoll skurril smart stilbewusst sympathisch traditionell unangepasst ungewöhnlich ungezwungen unkompliziert unterhaltsam unverwechselbar verlässlich verspielt verwegen vielseitig visionär vorbildlich wertig witzig wohltuend zeitlos zuverlässig Tab. 19: Adjektivliste Sowohl für die anschließende Konzeption des Formats können Ihnen diese Adjektive helfen, als auch später den Designer: innen, Kameraleuten und Cut‐ ter: innen, die an den visuellen oder auditiven Aspekten des Produkts arbeiten. Der zeitliche Ablauf dieses Workshops könnte so aussehen: 96 Ideenfindung <?page no="97"?> Agenda Minuten Ankommen und Smalltalk 5 Zusammenfassung des ersten Termins 15 Bauen von Prototypen 75 Kaffeepause 15 Bauen von Prototypen 90 Mittagspause 60 Präsentation der Prototypen und Prüfung durch Testnutzer: innen 60 Kaffeepause 30 Evaluation 90 Ausklang 5 Tab. 20: Beispielagenda für Workshop zur Prototyperstellung ► Vanessa Wormer über die Auswahl von Ideen: „Wir helfen Projektteams dabei, sich nicht so sehr in ihre Ideen zu verlieben“ Vanessa Wormer ist Journalistin und leitet das SWR X Lab. Das Innovationsteam unterstützt SWR-Redaktionen bei der Produkt- und Formatentwicklung. Dabei steht für Vanessas Team nicht die Entwick‐ lung selbst im Fokus, sondern die Befähigung der Teams, Prozesse zu etablieren, in denen innovative Ideen entstehen und gedeihen können. Das SWR X Lab evaluiert gemeinsam mit anderen SWR-Abteilungen Bedarfe des Publikums und das Potenzial für die Erweiterung des SWR-Angebots um neuartige Produkte. In nutzerzentrierten Gestal‐ tungsprozessen leitet das SWR X Lab Projektteams an, Ideen in Prototypen zu übersetzen. Das Team versteht sich als „Vision Keeper“ für digitale Innovationen und ermutigt Teams im SWR, „groß zu denken und klein zu starten“. Vanessas Team war unter anderem an der Entwicklung der App NEWSZONE (dasding.de/ newszone/ index .html) sowie an der Liveshow „Mix Talk“ (mixtalk-swr.de) beteiligt. Aktuell explorieren sie die Möglichkeiten im Bereich Gaming. ► Vanessa Wormer über die Auswahl von Ideen 97 <?page no="98"?> Wann man weiß, ob eine Idee für ein Produkt entwicklungswürdig ist, erklärt Vanessa im Interview. Vanessa, mein Team und ich haben mehrere Ideen für ein Produkt gesammelt, das ein zuvor identifiziertes Problem un‐ seres Zielpublikums lösen soll. Was rätst du uns nun: Woran erkennen wir, welche dieser Ideen wir in der Entwicklung weiter verfolgen sollten? Vanessa Wormer: Steve Jobs hat gesagt: Ideen sind nichts wert, solange sie nicht umgesetzt sind. Das stimmt aus meiner Sicht. So früh im Prozess sieht man es Ideen ja selten an, ob sie erfolgreich werden können. Deshalb sind kleine Experimente so wichtig. Fast jede Idee lässt sich in gut bewältigbare Einzelschritte unterteilen. Vielleicht gibt es sogar Hypothesen, die man testen kann und die auf mehrere Ideen gleichzeitig einzahlen. Hilfreich für die Entscheidung, welche Ideen man überhaupt in die Umsetzung bringt, sind Methoden wie die Effort/ Impact-Matrix. Damit lassen sich Ideen danach bewerten, wie das Verhältnis von Wirkung und Aufwand ist. Auf wessen Intuition ist eher Verlass: Auf die des Teammitg‐ lieds mit jahrelanger Erfahrung oder vielleicht doch besser auf die der Person, die dem Zielpublikum des Produkts am nächsten ist? Im besten Fall kommt beides zusammen. Intuition ist ja nichts anderes als kumuliertes Erfahrungswissen. Sie hat ihren Wert, egal von wem sie kommt. Allerdings wissen wir natürlich, dass uns das Erfahrungs‐ wissen aus der Vergangenheit nur begrenzt weiterhilft, wenn es um die Entwicklung digitaler Formate auf neuen Plattformen oder sogar eigener innovativer Produkte geht. Plötzlich ist da viel Unsicherheit, die Projektteams überfordern kann. Und die vielleicht auch dazu verleitet, auf selbstbewusste Stimmen zu vertrauen, die wissen, was in der Vergangenheit funktioniert hat. In gut gestalteten Entwicklungs‐ prozessen bleiben Projektteams nutzerzentriert und schaffen sich ihre eigene Team-Intuition, indem sie den Nutzer: innen zuhören, aber genauso Expert: innenwissen und Marktlogiken in den Blick nehmen und sich mit der größeren Zukunftsvision verbinden. Und dann zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. 98 Ideenfindung <?page no="99"?> Es gehört auch Mut dazu, sich auf eine Idee festzulegen. Woher nehmen mein Team und ich diesen Mut? Dabei helfen aus meiner Sicht Gestaltungsprozesse wie Design Thin‐ king. Es gibt den sogenannten „Problem Space“, der den Raum auf‐ macht für eine Vielzahl von Erkenntnissen: Wir sondieren den Markt, sprechen mit Nutzer: innen, befragen Expert: innen, werten Studien aus. Im „Solution Space“ erlauben wir uns, auf Basis des gesammelten Wissens Entscheidungen zu treffen und Ideen zu entwickeln. Das ist immer eine kritische Phase, wenn sich Teams entscheiden oder auf eine Idee einigen müssen, weil sie oft das Gefühl haben, dass sich Türen hinter ihnen schließen. Dabei braucht es diesen Wagemut, um in Gestaltungsprozessen überhaupt handfeste Erfahrungen zu sammeln - also auch ins Prototyping und Testing gehen zu können. Teams dürfen da ruhig selbstbewusst zu ihren Entscheidungen stehen, wenn sie immer offen für weitere Iterationen und das Feedback der Nutzer: innen sind. Was auch immer hilft: Erstmal mit dem kleinen Besteck versuchen, ins Doing zu gehen. Wir müssen uns ja nicht immer gleich für eine ganze Staffel eines neuen Formats entscheiden, sondern können erstmal mit einem MVP [Anmerkung: Minimum Viable Product; die erste lebensfähige Fassung eines Produkts, die man veröffentlichen kann, um schnell Nutzer: innendaten zu sammeln und es weiterzuentwicklen] auf den Markt gehen. Was passiert mit den vielen Ideen, die wir nicht weiterverfol‐ gen: Kommt alles in den Schredder? In einem agilen, nutzerzentrierten Entwicklungsprozess ist es meist so, dass man eine Vielzahl von Ideen hat, die sofort wieder verworfen, weitergesponnen oder miteinander kombiniert werden. „Everything is a remix“ quasi. Wir helfen Projektteams dabei, sich nicht so sehr in ihre Ideen zu verlieben, sodass sie sie nicht mehr verwerfen oder weiterentwickeln wollen. Das ist schließlich auch nach der Umsetzung und dem Marktstart wichtig, weil man hier noch mal viel Neues lernt und bereit für neue Erkenntnisse und Experimente sein muss. Außerdem: Nicht umsetzbare Ideen landen im Erfahrungswissen der Projektteams und nicht im Schredder. Vielleicht bekommen sie später noch eine Chance. ► Vanessa Wormer über die Auswahl von Ideen 99 <?page no="100"?> Die Chefredaktion muss Ja sagen. Ihnen liegt nun mindestens eine Produktidee vor, die das Team und Sie weiterentwickeln wollen. Dafür benötigen Sie unbedingt die Zusage der Chefredaktion. Um sie einzuholen, ziehen Sie sich in Ihr Kämmerchen zurück und formulieren Sie die Idee kurz und prägnant aus. Verwenden Sie dabei auch die Adjektive, die Sie im letzten Kreativworkshop ausgewählt haben. Etwa so: Beispiel | Produktidee: 24 Stunden - Ihr abendlicher Tagesrück‐ blick Um 17: 30 Uhr erhalten unsere Nutzer: innen den neuen Nachrichten- Newsletter. Er enthält einen Überblick der wichtigsten Ereignisse der vergangenen 24 Stunden. Seine Autor: innen sind rollierend die Chef: in‐ nen vom Dienst. Der Ton des Newsletters ist klar und sympathisch. Jede Ausgabe besteht aus der Nachrichtenübersicht, einem Quiz des Tages, einer Communityfrage und drei Empfehlungen für lange Lesestücke auf unserer Website. Schicken Sie diese konkretisierte Produktidee Ihrer Chefredaktion - und gegebenfalls weiteren Stakeholder: innen, die Sie in der Mandatierungsphase als Entscheider: innen identifiziert haben. Fügen Sie auch den Prototypen bei. Bitten Sie in einem Zug um ein Gespräch, bei dem Sie von der Chefredaktion die Entscheidung erwarten, ob Sie mit Ihrem Team die Formatentwicklung dieser Produktidee fortsetzen können. Wenn Sie bei den Kreativworkshops mehrere Ideen erdacht haben, die Sie und Ihr Team allesamt für gelungen halten, schicken Sie mehrere Vorschläge an Ihre Vorgesetzten. Für den Fall, dass Ihre Chefredaktion mit diesen Vorschlägen noch nicht einverstanden ist, wiederholen Sie die Ideenfindungsphase. In jedem Fall: Blicken Sie gemeinsam mit dem Team zurück. Ihr Team hat einen wichtigen Schritt in der Formatentwicklung getan. Es hat zum ersten Mal zusammengearbeitet und sich auf ein Ergebnis geeinigt. 100 Ideenfindung <?page no="101"?> Dieser Moment will gebührend gewürdigt werden. Das gelingt mit einem dritten Meeting, der ersten Retrospektive. Eine Retrospektive ist ein Teammeeting, bei dem Sie gemeinsam mit Ihren Kolleg: innen auf vorangegangene Ereignisse zurückblicken. Ziel ist es, das Geschehene zu bewerten und Maßnahmen für eine bessere Zusammenarbeit zu entwickeln. Kündigen Sie Sinn und Zweck des Treffens ruhig an, damit jede: r vorbereitet in das Treffen geht. Die Retrospektive ist für Ihr Team und Sie ein wichtiger Raum, offen über das Befinden zu sprechen und Kritik zu äußern. Für eine nachhaltige Formatentwicklung und später auch Produktion eines Erzeugnisses, das zusätzlich zum Tagesgeschäft anstehen soll, ist dieses Meeting unbedingt notwendig. Gab es Reibereien, bietet es sich an, sie bei der Retrospektive ausführlich zu besprechen, um den Frust aufzulösen und das Teamgefüge wieder zu festigen. Mehr noch als bei den vorangegangenen Workshops müssen Sie bei diesem Meeting auf eine Atmosphäre achten, in der sich jede: r traut, seine Meinung offen zu sagen. Wenn Sie Bedenken haben, können Sie eine Retrospektive ebenso wie die Ideenfindung mit unterschiedlichen Methoden auflockernd gestalten. Methode Beschreibung Amazon- Retrospektive Reihum vergibt jedes Teammitglied der bisherigen Zusammen‐ arbeit eine Sterne-Bewertung von 1 („hat mir nicht gefallen“) bis 5 („hat mir sehr gut gefallen“). Zudem formuliert jede: r eine Ein- Satz-Zusammenfassung, wie man sie auch über eine Amazon- Produktbewertung schreiben würde. Das Team entscheidet je nach Teamgröße gemeinsam über die wichtigste oder die zwei oder drei wichtigsten Bewertungen. Anschließend versetzen sich die Teammitglieder in die „Verkäufer: innen-Perspektive“ und beantworten die ausgewählten Rezensionen reihum. Schließlich werden Maßnahmen zur Verbesserung der Situation diskutiert. Die Beteiligung aller sorgt dafür, dass keine Einzelpersonen gegeneinander antreten, sondern sich alle an der Diskussion beteiligen. Die „Verkäufer: innen“-Runde sorgt für einen Perspek‐ tivwechsel und hoffentlich gegenseitiges Verständnis. Blicken Sie gemeinsam mit dem Team zurück. 101 <?page no="102"?> Batterie- Retrospektive Bitten Sie Ihr Team, sich den Ladestatus einer Batterie vorzustellen und stellen Sie diese vier Fragen: Wie ist dein aktueller Energie‐ level? Was hat dir bei der bisherigen Arbeit im Team viel Energie abgezogen? Wodurch hat sich deine Batterie aufgeladen? Was würde dir helfen, bei der weiteren Formatentwicklung Energie zu sparen? Diese Methode bietet einen emotionalen Einstieg in die Diskussion und erfordert keiner kreativen Leistung wie die Amazon- Retrospektive, einen Status in einem Satz zusammenzufassen. Tab. 21: Retrospektiven Retromat Wie sich ertragreiche Retrospektiven gestalten lassen, sammelt die Scrum- und Kanban-Expertin Corinna Baldauf auf der Website Retro‐ mat. In dem Archiv lassen sich circa 140 Ideen für strukturierte Rück‐ blicke finden. retromat.org/ Eine zeitliche Agenda für eine etwa 60-minütige Retrospektive könnte so aussehen: Agenda Minuten Ankommen und Smalltalk 5 Retrospektive 30 Kaffeepause 15 Nächste Schritte 10 Ausklang 5 Tab. 22: Beispielagenda für Retrospektive Protokollieren Sie oder lassen Sie das Meeting detailliert protokollieren. Ver‐ schicken Sie anschließend eine Zusammenfassung per Mail. Damit zeigen Sie einerseits, dass Ihnen das Feedback des Teams wichtig ist. Andererseits halten Sie schwarz auf weiß fest, auf welche Schritte zur Verbesserung der Zusammenarbeit Ihre Kolleg: innen und Sie sich geeinigt haben. Wählen Sie stets einen optimistischen Ton. Machen Sie dem Team Lust auf die kommende intensive Entwicklung des Produkts. 102 Ideenfindung <?page no="103"?> Konzeption Was bisher geschah | Geschafft! Ihre Chefredaktion ist mit einer der erdachten Produktideen zufrieden, wenn nicht gar begeistert. Ihr Team hat sich kennengelernt, erfolgreich einen wichtigen Meilenstein in der Formatentwicklung erreicht und Lust, das Produkt umzusetzen. Was nun geschieht | Nun können Sie mit der detaillierten Konzeption des Produkts beginnen. In dieser Phase werden Sie diese drei Dokumente anlegen: das Formatkonzept, den Formatkatalog sowie ein Reporting. Desweiteren werden voraussichtlich mehrere Templates sowie Tutorials benötigt, mit deren Hilfe das Team später Beiträge produzieren kann. In all diesen Dokumenten formulieren Sie die Merkmale aus, die Ihr Produkt einzigartig und für Ihr Publikum interessant machen sollen. Das Formatkonzept ist ein Factsheet für Stakeholder: innen. Das Formatkonzept - auch One-Sheet-Pager oder One-Pager - ist das Dokument, das von den meisten Menschen gelesen werden wird. Stakehol‐ der: innen und Kolleg: innen werden Sie nach dem Konzept fragen, wenn Sie sich über Ihr Produkt informieren wollen. Das Presseteam wird auf Basis des Dokuments seine Öffentlichkeitsarbeit ausrichten. Und gerade weil es für viele Menschen gedacht ist und weil es gegebenenfalls in Auszügen an die Öffentlichkeit gelangt, will es prägnant und klug formuliert sein. Stellen Sie sich das Formatkonzept vor wie einen Artikel-Pitch, den Sie einer Redaktion schicken. Das Konzept muss spannend formuliert sein, sodass es Interesse weckt. Und es muss klar formuliert sein, damit die Leser: innen sich das Produkt genau vorstellen können. <?page no="104"?> ► Johannes Nichelmann über Konzepte: „Ein Thema allein ist noch keine Sendung, ist noch kein Podcast“ Um besser zu verstehen, worauf es beim Formulieren von Formatkon‐ zepten ankommt, wollen wir im folgenden Interview einen Perspek‐ tivwechsel unternehmmen: Wir nähern uns dem Konzeptschreiben aus der Rolle von Freelancer: innen, die einer Redaktion ein digitales Produkt anbieten wollen. Wir begeben uns also in eine Perspektive, in der ein gutes Konzept entscheidend ist und in jeder Hinsicht überzeugen muss. Johannes Nichelmann ist für dieses Thema ein ausgezeichneter Gesprächspartner, er kennt sich mit dem Schreiben von Formatkonzepten aus - sowohl in der Rolle als externer Produzent als auch als abnehmender Redakteur bei WDR, rbb und Deutschland‐ radio. Johannes ist Journalist und Autor. Er moderiert verschiedene Sendungen und Podcasts im Deutschlandfunk Kultur, für seine Au‐ diodokus ist er vielfach ausgezeichnet worden. Seit 2021 ist er Co- Gründer der Berliner Produktionsfirma Studio Jot, die sich auf Audio- und Videoproduktionen konzentriert. Unter anderem produziert er für Audible den Geschichts- und Philosophiepodcast „Mensch & Mythos“ und für den rbb Doku-Podcasts wie „Deep Doku“, „Mord verjährt nicht“ und „Liechtenstein in Stalinstadt“, außerdem Kulturformate für ZDF und 3sat. Johannes, ich habe eine Idee für einen Podcast und möchte sie einem öffentlich-rechtlichen Sender oder einem Audio- Streaming-Dienst anbieten. Rufe ich an, schreibe ich eine Mail, und mit welchen Infos wecke ich ein erstes Interesse? Johannes Nichelmann: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es vor allem auf das persönliche Gespräch ankommt. Die besten Redaktionen sind die, in denen Ideen nicht mit dem Cäsar-Daumen nach dem ersten Pitch abgelehnt oder angenommen werden. Vielmehr finde ich, dass die besten Formate und Einzelsendungen dann entstehen, wenn mehrere Köpfe vorbehaltlos drauf schauen. Und das geht vor allem face to face. Vermutlich sind die meisten Redakteur: innen und Produzent: innen auch offen genug in diesen Prozess einzusteigen. 104 Konzeption <?page no="105"?> Wie überzeuge ich die Verantwortlichen von einem Treffen? Um erstes Interesse zu wecken, braucht es eine sogenannte Logline. Ein bis maximal zwei Sätze, die das Projekt komplett umreißen und neugierig machen. Manchmal hängt es von dieser einen Formulierung ab, ob ein Projekt - Cäsar-Daumen hin oder her - weiterkommt. Es ist auch eine gute Prüfung des eigenen Stoffes, ob er sich so zuspitzen lässt und man damit einen guten Zugang gefunden hat. Denn ein Thema allein ist noch keine Sendung, ist noch kein Podcast. Wie sieht eine gute Logline aus? Bei unserem Podcast „Finding van Gogh“, den ich 2019 gemeinsam mit Jakob Schmidt und dem Städel-Museum produziert habe, geht es augenscheinlich um ein verschwundenes Van-Gogh-Gemälde. Aber würde dieser Satz allein schon ziehen? „Ich möchte einen Podcast über ein verschwundenes Gemälde machen“ - klingt nach, kann man machen, kann man aber auch nicht machen. Das ist oft die Abwägung in den Redaktionen, denn die Budgets reichen nicht für unendlich viele Annahmen. Diese Logline haben wir gewählt: „Das legendäre ‚Bildnis des Dr. Gachet‘ ist Vincent van Goghs letztes Porträt und seit mehr als dreißig Jahren verschwunden. Der Doku-Podcast erzählt seine Geschichte, die für 130 Jahre Kunsthistorie steht und fragt auch: Wo befindet sich das Meisterwerk heute? “ Sie soll möglichst viele Anreize setzen für das, was hinter dieser Geschichte steht, die verschiedenen Ebenen anreißen. Es lohnt sich meines Erachtens, sich für diesen ersten Werbesatz Zeit zu nehmen und ruhig länger darauf rumzudenken und ihn auch an anderen Leuten zu testen. Die Logline hat überzeugt, ich bin zum Gespräch in einer Re‐ daktion geladen. Tauche ich mit einem schick gestalteten Pitch- Deck auf, das ich per Beamer in fünf Minuten präsentiere, oder lege ich den Meeting-Teilnehmenden ein Din-A4-Handout mit groben Daten für die Produktion hin? Ich würde tatsächlich immer fragen, was die Redaktion erwartet. Manche wollen eine formlose Seite mit schnellen Infos, andere aus‐ gearbeitete Präsentationen, als wäre man eine Werbeagentur mit 17 Angestellten. Es kommt natürlich immer auf den Umfang des Projekts an. Für ein halbstündiges Radiofeature lohnt es sich vielleicht nicht, solch große Energie in das Pitch-Deck zu legen, wie für eine fünfteilige TV-Reihe. Mir hat einmal eine Autorin ein Exposé geschickt, dass den ► Johannes Nichelmann über Konzepte 105 <?page no="106"?> 40 Gerhards, Claudia: Nonfiction-Formate für TV, Online und Transmedia. Konstanz und München, 2013, S.-69-ff. Umfang des Manuskripts der ganzen Sendung hatte. Viele Leute sind sich unsicher, welche Infos rein müssen und welche nicht. Gerade dann, wenn das Thema umfangreich und kompliziert ist. Am Exposé oder Treatment lässt sich aber schon ablesen, ob jemand den Stoff wirklich bezwingen kann oder nicht. Wer es schafft, das alles auf eine Seite runter zu dampfen, ist in der Regel auf einem guten Weg, denke ich. Claudia Gerhards empfiehlt in ihrem Buch „Nonfiction-For‐ mate“ über TV-Formatentwicklung, den Pitch-Termin auch örtlich spannend zu gestalten und ihn zum Beispiel dort an‐ zuberaumen, wo eine Serie später gedreht wird. Oder auch potenzielle Talente wie Moderator: innen zum Pitch-Termin mitzunehmen. 40 Welche Kniffe helfen noch? In jedem Fall hilft es, wenn man die potenziellen Hosts und Moderator: in‐ nen vorher schon einmal gefragt hat, ob sie mitmachen wollen. Nichts ist schlimmer, als einen Rückzieher machen zu müssen. Redaktionen achten, meiner Erfahrung nach, penibel darauf, ob die Autor: innen oder Produzent: innen ihre Versprechen einhalten können. Wenn die Host- Frage noch hypothetisch ist, dann geht es auf jeden Fall nicht so gut los. Gerade im TV-Geschäft kommt es vor allem auf die Vertrauensbasis zwischen Sender und Macher: innen an. Manchmal ist das fast wichtiger als der Stoff selbst. Aber nur fast! Generell gilt also: Ehrlichkeit und keine Versprechungen machen, die sich nicht umsetzen lassen. Legen Sie das Formatkonzept wie einen Artikel als Textdokument an. Bauen Sie auf der kurzen Produktbeschreibung auf, die Sie am Ende der Ideenfindungsphase an Ihre Chefredaktion verschickt haben. Nutzen Sie auch die Adjektive, die Sie gemeinsam mit Ihrem Team zur Beschreibung der Produktidee ausgesucht haben. Beginnen Sie mit einem Produktnamen und einer Logline und gehen Sie danach mehr und mehr ins Detail. Strukturieren Sie es mit klaren Zwischenüberschriften. Schreiben Sie kurze Absätze und nutzen Sie Aufzählungen, wann es sich anbietet. Destillieren Sie dabei das Wesentliche aus Ihren Vorüberlegungen heraus. Auch wenn Ihre Recherchephase mehrere Wochen gedauert hat und Sie 106 Konzeption <?page no="107"?> zu spannenden Erkenntnissen über das Oberthema, die Zielgruppe, die Plattformen und die Konkurrenz gekommen sind: Dieses Grundlagenwissen gehört nicht in ausufernden Details ins Formatkonzept. Der Hergang der Ideenfindung und die vielen kleinen Ideen, die Ihr Team hatte, spielen an dieser Stelle ebenfalls keine Rolle. Konzentrieren Sie sich auf die folgenden Elemente, die aber durchaus in anderer Reihenfolge angeordnet werden können. Produktname Im zweiten Kreativworkshop haben Sie Ihrem Produkt bereits einen vorläufigen Namen gegeben. Prüfen Sie, ob er wirklich etwas taugt. Letztendlich muss der Name zu Ihrem Unternehmen und Ihrer übrigen Markenwelt passen. Unabhängig davon können Sie einen Titel wählen, der dem Publikum genau sagt, was es erwartet: Der Newsletter von finanztip.de heißt zum Beispiel „Finanztip“ und enthält genau das. Oder Sie wählen einen kryptischen, aber dafür neugierig machenden Titel. „Wumms“ heißt zum Beispiel eine Sport-Satire-Show aus dem funk-Netzwerk. Die Namensgebung ist kompliziert, aber Sie müssen das Kind nun taufen. Logline Fassen Sie Ihre Produktidee bestenfalls in einem Satz zusammen. Diese Logline kann später auch der Vermarktung des Produkts dienen und extern kommuniziert werden. Verstehen Sie diese Logline wie den Küchenzuruf: Wer ist beteiligt? Was passiert? Worin besteht die Spannung? Plattform Erklären Sie kurz und knapp, auf welcher Plattform und gege‐ benenfalls mithilfe welches Services Ihr Produkt erscheint. Account Dieser Punkt ist vor allem für Social-Media-Formate wichtig. Wird Ihr Produkt auf einem bestehenden Account Ihres Unternehmens veröffentlicht oder wird dafür ein neuer Account gestartet? Genre Legen Sie fest, ob es sich zum Beispiel um nachrichtliche Bei‐ träge, Meinungsstücke oder Reportagen handelt. Handelt es sich um Audios, Videos und Texte? Zielgruppe Notieren Sie kurz und spezifisch, was Sie in der Recherchephase konkretisiert haben: Wen wollen Sie mit diesem Produkt errei‐ chen und welches Bedürfnis befriedigen Sie damit? Veröffent‐ lichungs‐ rhythmus Sollen neue Beiträge täglich, wöchentlich, monatlich erschei‐ nen? Vielleicht sogar zu einer bestimmten Uhrzeit? Outline Ergänzend zur Logline formulieren Sie an dieser Stelle aus, worum es in Ihrer Serie von journalistischen Beiträgen konkret geht, wer Hosts, Protagonist: innen und was erste Themen sein können. Erklären Sie prägnant die inhaltliche Klammer, die alle Beiträge zusammenhält. Was wiederholt sich, was ist variabel? ► Johannes Nichelmann über Konzepte 107 <?page no="108"?> Verzichten Sie dabei darauf, Vergleiche zu ziehen wie „Wir machen das so wie die Washington Post, aber an dieser und jener Stelle anders“. Ein gutes Formatkonzept erklärt sich selbst. Vergleiche können die Leser: innen des Konzepts selbst ziehen. Informatio‐ nen zum De‐ sign Greifen Sie für diesen Punkt auf die Adjektive zurück, die Sie zuvor festgelegt haben. Umschreiben Sie mit ihnen den Look der Beiträge. Welche optischen und/ oder akustischen Regeln sind wichtig? Informatio‐ nen zur Pro‐ duktion Geben Sie einen Blick hinter die Kulissen! Wenn Sie einen Pod‐ cast oder Videos produzieren: Nehmen Sie im Studio oder On- Location auf ? Wie viele Menschen werden bei den Aufnahmen benötigt? Wenn Sie ein Social-Media-Formatkonzept schreiben: Werden Beiträge mit Photoshop produziert oder einem Tool wie Headliner? Wie lange wird die Produktion eines einzelnen Beitrags dauern? Was kostet eine Ausgabe? Distribution Wir wissen zwar, für welche Plattform Sie produzieren - aber womöglich haben Sie weitere Maßnahmen zur Verbreitung Ihres Produkts geplant. Ist für eine Interviewreihe auf Instagram wichtig, dass die jeweiligen Interviewpartner: innen getaggt werden? Ist für einen Newsletter wichtig, dass er am Vortag der Veröffentlichung einer neuen Ausgabe auf Ihrer Homepage prominent beworben wird? Team Wer wird an der Produktion der Reihe beteiligt sein und in welcher Funktion? Beenden Sie Ihr Konzept wie einen Film oder eine Serie mit Credits. Tab. 23: Elemente eines Formatkonzepts Am Ende mag Ihr Formatkonzept lediglich eine Seite umfassen und men‐ genmäßig nicht nach viel aussehen. Aber gerade in kurzen Konzepten steckt oftmals die größte Präzision. Lesen und prüfen Sie das Konzept mehrfach, lassen Sie es mindestens eine Nacht ruhen. Suchen Sie sich eine: n Sparringspartner: in, der: die das Konzept gegenliest. Fragen Sie diese Person anschließend aus, ob sie alles verstanden hat. Das Konzept darf keinen Spielraum für Interpretationen lassen. Übung | Konzeptcheck Das Wirtschaftsressort einer Bielefelder Tageszeitung hat bei einem zweitägigen Retreat beschlossen, dass es sich in neuen journalis‐ tischen Formen ausprobieren möchte. Es folgten mehrere Kreativ‐ workshops, aus denen die Idee „Bielefelds Beste“ als Favorit der 108 Konzeption <?page no="109"?> Redakteur: innen hervorgegangen ist. Dafür hat Redakteur Robert ein Konzept ausformuliert. Analysieren Sie, in welchen Punkten Roberts Schriftstück sinnvoll ist und an welchen Stellen es dringend überar‐ beitet werden sollte. Ihre Erkenntnisse können Sie am Ende mit einer kurzen Auswertung abgleichen. Bielefelds Beste Bielefeld gibt es nicht? Tatsächlich stammen aus der Stadt am Teuto‐ burger Wald zahlreiche Erfindungen, die wir alle nutzen. Wir stellen die Produkte sowie die Unternehmerinnen und Unternehmer dahinter vor. Plattform: YouTube, Podcast (iTunes und Spotify) Account: Auf YouTube bekommt „Bielefelds Beste“ einen eigenen Account, Audio-Ausschnitte veröffentlichen wir zudem als Rubrik in unserem bestehenden wöchentlichen Regio-Podcast für Bielefeld (Absprache ausstehend). Genre: Video-Porträt und Audio-Kolumne Zielgruppe: Menschen aus Bielefeld und solche, die Bielefeld nicht kennen. Wir wollen für die Stadt begeistern. Veröffentlichungsrhythmus: einmal pro Woche Outline: In jeder Folge von „Bielefelds Beste“ stellen wir eine Unter‐ nehmerin oder einen Unternehmer aus der Stadt vor, die: der Produkte herstellt, die wir alle kennen: Pudding, Hemden, Vibratoren. Wir begleiten die Protagonisten bei ihrer Arbeit - der Clou: Das Publikum weiß zu Beginn nicht, welches Produkt die Unternehmerinnen und Unternehmer herstellen. Wir stellen immer die gleichen fünf Fragen und das Publikum muss miträtseln, um welches Produkt es geht. Die Auflösung findet ganz am Ende statt. Design: Das Wahrzeichen der Stadt Bielefeld, die Sparrenburg, soll sich in allen Gestaltungselementen wiederfinden. Das Podcast-Cover soll um das „Bielefelds Beste“-Logo ergänzt werden. Produktion: Das Material wird mit zwei Kameras gedreht (Sony Alpha 7 III, in S-Log, um bestmögliches Grading zu ermöglichen). Jedes Video hat eine Länge von maximal 10 Minuten und wird im mp4-Format in 3840x2160 Pixeln (16: 9) veröffentlicht. Jeder Beitrag erhält ein Thumbnail im JPEG-Format in 1280x720 Pixel und in einer Maximalgröße von 2 MB. Jedes Video ist untertitelt, ein Transkript können wir zusätzlich als Artikel auf unserer Website veröffentlichen. ► Johannes Nichelmann über Konzepte 109 <?page no="110"?> Auswertung ● Name und Logline passen zusammen und machen neugierig. ● Wir stellen fest, dass hier ein Produkt für zwei Plattformen formatiert wird. Allerdings enthält das Konzept später vor allem Angaben zum YouTube-Format. Die Zweitverwertung als Teil des Podcasts wird nicht hinreichend genug beschrieben. ● Die Zielgruppe ist zu vage definiert. ● Die Outline lässt uns weitestgehend im Dunkeln: Welche fünf Fragen werden in jedem Beitrag gestellt? Außerdem stellt sich die Frage, wie es im Video gelingen soll, die Tätigkeit der Unterneh‐ mer: innen über die Beitragslänge von zehn Minuten geheim zu halten. ● Spätestens wenn die Podcast-Verantwortlichen den Design-Punkt lesen, werden sie mit der Faust auf den Tisch hauen: Nicht nur soll hier über ihren Kopf eine neue Rubrik in ihrem Podcast etabliert werden, auch ihr Cover soll zugunsten des neuen Formats überarbeitet werden. Hier eröffnet das Format enormes Konflikt‐ potenzial! ● Die Produktionsinformationen verlieren sich in technischen De‐ tails, die in den Regelkatakolg, aber nicht ins Konzept gehören. Im Übrigen wird hier das Format auf eine dritte Plattform verlängert werden: Nun soll das Transkript auch noch als Artikel auf der Website erscheinen! Der Formatkatalog ist die Geheimrezeptur Ihres Produkts. Stellen Sie sich vor, Sie entwickeln einen Instagram-Kanal für eine Tageszei‐ tung. Auf dem Kanal wollen Sie Bildposts zu aktuellen Nachrichten veröf‐ fentlichen. Schlagzeilen wie „Besucherrekord beim Schützenfest“, „Deutsche Kommunen bereiten sich auf den Gasmangel vor“ oder „Der nächste Bayern- Abgang bahnt sich an“ sollen auf einem dazu passenden Bild stehen. Dieses Unterfangen klingt zunächst simpel, nicht wahr? Im Detail wird es jedoch schnell komplex. Allein ein einheitliches, schickes und zugleich leserliches Design für diese Serie von Nachrichten-Bildposts zu schaffen, kann zur Herausforderung werden. 110 Konzeption <?page no="111"?> Die Posts ließen sich gestalten wie bei der WAZ, um das Problem der Unleserlichkeit auszuschließen. Dort steht der Text stets auf weißem Grund. Oder man wählt eine serifenlose, sehr dicke Schriftart wie Bild, die auf jedem unruhigen Foto hervorstechen kann. Abb. 9 und 10: Posts vom 14. August 2022 Darüber hinaus werden Sie festlegen wollen, wann und wieviel gepostet werden soll, welche Themen Sie besetzen und welche nicht, wie Sie Hashtags in den Captions verwenden, in welchem Ton Sie auf Kommentare reagieren und und und. Der Formatkatalog umfasst sämtliche Regeln, an die sich die Produzieren‐ den einzelner Beiträge für die Serie halten müssen. Er enthält, wie im Checkin bereits vorweggenommen wurde, strategische, inhaltliche, ästhetische, partizipative und technische Vorgaben. Am Ende wird der Formatkatalog alle Infos enthalten, die Ihr Team benötigt, um das Produkt im Regelbetrieb herzustellen. Wäre das Ergebnis Ihrer Formatentwicklung ein köstlicher Kuchen, würde der Formatkatalog die Geheimrezeptur beinhalten. Er ist demnach nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Der Formatkatalog ist die Geheimrezeptur Ihres Produkts. 111 <?page no="112"?> Strategische Regeln Wir haben bereits geklärt, dass jedes Produkt auf die Ziele Ihres Medienhauses einzahlen muss. Auf Basis Ihrer Erkennt‐ nisse aus dem Mandatsgespräch sowie aus dem, was Sie über Ihre Zielgruppe in der Recherchephase gelernt haben, können Sie die strategischen Regeln für Ihr Format ableiten. Halten Sie fest, warum, für wen und mit welchem Ziel das Produkt entwickelt wird. Sofern Sie dies bereits können, reglementieren Sie auch den Erscheinungsrhythmus ebenso wie die Distribution und die Vermarktung des Produkts. Diskutieren Sie die Regeln mit den jeweiligen Expert: innen in Ihrem Team; die Distribution also etwa mit den Social-Media- Kolleg: innen. Inhaltliche Regeln Im Check-in haben wir geklärt, dass redaktionelle Forma‐ tentwicklung bestimmt, wie einzelne Inhalte aufbereitet sein müssen, damit sie in eine Reihe hineinpassen. In die‐ sem Teil des Regelwerks müssen die Details ausgearbeitet werden. Legen Sie fest, mit welchem großen Oberthema sich Ihre Reihe beschäftigt, welche Einzelgeschichten Sie erzählen und auch, welche Einzelgeschichten Sie nicht erzählen wollen, ob Protagonist: innen oder Expert: innen zu Wort kommen und welche Anforderungen diese erfül‐ len müssen, um zu Ihrem Produkt zu passen. Beziehen Sie die Redakteur: innen aus Ihrem Team in diese Entschei‐ dungen mit ein. Anschließend befassen Sie sich mit der Dramaturgie der einzelnen Beiträge. Beginnt eine Podcast- Folge immer mit einer Anmoderation oder mit einem Cold Open, also einer starken Szene, die man als Teaser der Episode voranstellen kann? Besteht ein Newsletter aus wiederkehrenden Elementen - zum Beispiel Editorial, Nachrichtenblock, Communityaufruf, Outro - oder ist er flexibel strukturierbar? Muss ein Videobeitrag immer mit einem Fazit enden oder darf er mit einem O-Ton eines Prot‐ agonisten schließen? Wie entsprechende Produkte drama‐ turgisch aufgebaut sein können oder auch müssen, haben Sie bestenfalls während der Recherchephase eruiert. Ihr Wissen reicht noch nicht aus? Ästhetische Regeln Hier formulieren Sie Vorgaben für den Look und/ oder Klang Ihres Produkts. Für eine Instagram-Post-Reihe sollten Sie beispielsweise festlegen, welche Schriftart kommen darf und in welchen Schnitten. Welche Farben sind erlaubt und in welcher Kombination? In welchem Verhältnis steht der Text zu Bildern? Wie sind sie zu positionieren? Taucht das Logo Ihres Mediums in einer Ecke auf, und wenn ja, in welcher? Besprechen Sie die Details mit den designierten Designer: in‐ nen für Ihr Produkt. Partizipative Regeln Das Regelwerk für ein digitales Produkt muss immer auch die Interaktion mit dem Publikum berücksichtigen. Wie bezieht ein Podcast die Community mit ein? Wird in der 112 Konzeption <?page no="113"?> Moderation und in den Show-Notes auf eine Mail-Adresse verwiesen, an die sich die Hörer: innen wenden können? Sollen sie ausschließlich Texte schreiben oder können sie auch Sprachnachrichten einreichen? Wenn ja, werden diese Sprachnachrichten in einem Communitysegment einer Episode gespielt und von den Moderator: innen diskutiert? Holen Sie sich hierzu Input von den Kolleg: innen aus dem Community- und Social-Media-Team. Technische Regeln Formulieren Sie schließlich Vorgaben, mit welchen Tools die einzelnen Beiträge zu produzieren sind und wie die fertigen Dateien ausgespielt werden müssen. Wenn Sie eine Videoreihe produzieren wollen, sollten Sie unter anderem vorgeben, mit welcher Kamera und in welchen Einstellun‐ gen gedreht wird, wie ein Studio auszuleuchten ist, mit welcher Software das Grading und der Schnitt vorgenom‐ men werden dürfen, in welcher Dateigröße und in welchem Dateiformat das finale Video ausgespielt wird, welches Format die Untertiteldatei haben muss und welche Thumb‐ nails vorliegen müssen. Besprechen Sie diese Themen mit den Technikexpert: innen in Ihrem Team oder unter Ihren Stakeholder: innen. Tab. 24: Strategische, inhaltliche, ästhetische, partizipative und technische Regeln Der Formatkatalog muss konsistent sein. Essenziell ist, dass die Vorgaben einander nicht widersprechen. Wenn die partizipativen Regeln eine Communitybeteiligung einfordern, muss diese Vorgabe auch bei den inhaltlichen Regeln Berücksichtigung finden. Geben Sie bei den technischen Regeln eine fröhlich-bunte Beleuchtung vor, die ein junges Publikum ansprechen soll, so darf dies nicht im Widerspruch etwa zu den strategischen Regeln stehen, dass Ihr Medienhaus künftig einen zurückgenommen, schlichten Designauftritt anstrebt, um ein älteres Publikum anzusprechen. Der Formatkatalog muss ein konsistentes Werk sein. Legen Sie den Katalog als Tabellendokument an. Die Komplexität Ihres Katalogs sollte sich an Größe und Umfang Ihres Produkts orientieren. Eine Zitatkarten-Reihe auf Instagram erfordert sicherlich keinen zwanzig Tabs umfassenden Formatkatalog, eine Videoreihe hingegen womöglich schon. Sie können also alle Regeln in einem Tab notieren. Oder Sie widmen jeder der sechs Regeldimensionen ein Tab. Oder für jedes an der Produktion Der Formatkatalog muss konsistent sein. 113 <?page no="114"?> beteiligte Gewerk bekommt ein Tab für die relevanten Regeln (zum Beispiel im Fall einer Videoserie: Redaktion, Moderation, Kamera, Ton, Schnitt etc.). Spielen wir an einem komplexen Vorhaben durch, wie ein Formatkatalog gestaltet sein könnte. Es soll eine meinungsstarke Videokolumne für Instagram-Reels entstehen. Die Zielgruppe ist jung, es tritt eine in der Zielgruppe bekannte Redakteurin vor die Kamera. Jeder Dreh wird durch eine Producerin hinter der Kamera begleitet. Die Redakteurin schreibt ihr Skript, es wird von einer Kollegin aus dem Politik-Ressort abgenommen. Anschließend wird das Material in der Postproduktion von einer Cutterin bearbeitet, auf maximal eine Minute Länge gebracht, mit Musik und Effekten unterlegt. Das Social-Media-Team erhält den fertig produzierten Beitrag zur Veröffentlichung. In diesem Fall ist es auch langfristig für die Evaluation des Formats zuständig, da das Produkt für eine Social-Media-Plattform entsteht. Der Formatkatalog könnte nun so gestaltet sein: Regel- Nr. Betrifft Zuständig‐ keit Regel 1 Themen Redakteurin Es sollen nur Kommentare zu diesen Themenbereichen entstehen: [Thema 1, Thema 2, Thema 3, …]. 2 Skriptvorlage Redakteurin Zum Verfassen des Skripts diese Vor‐ lage werden: [Link zur Vorlage] 3 Ansprache Redakteurin Wir sprechen die Zuschauer: innen der Videos mit „ihr“ und „euch“ an. 4 Gendern Redakteurin Redakteurin kann sprechen, wie sie möchte. … … … … … Social-Texte Redakteurin Das Skript muss auch immer Social- Texte für die Instagram-Reel-Caption umfassen mit einer Länge von maxi‐ mal 200 Zeichen und drei zum Thema passenden Hashtags; Emojis sind op‐ tional. … Materialüber‐ gabe Redakteurin Skript-Dokument bitte nach Ab‐ nahme an Producerin und So‐ cial-Team per Mail schicken an: [E-Mail-Adresse] Tab. 25: Katalog für Skript und Moderation 114 Konzeption <?page no="115"?> Regel- Nr. Betrifft Zuständig‐ keit Regel 1 Studiohinter‐ grund Producerin 1,35x11m Leaf (befindet sich, wenn nicht im Studio eingehangen, im La‐ ger in Ablage A1) 2 Kamera Producerin Sony Alpha 7III; in S-Log3 filmen; frontal zur Redakteurin zu positionie‐ ren mit einem Abstand von einem Me‐ ter; hochkant und leicht übersichtig filmen; vom Knie aufwärts mit gutem Abstand über dem Kopf 3 Licht Producerin Bresser BR-2246B Tageslicht-Softbo‐ xen-Set; links und rechts neben der Kamera mit einem Meter Abstand zur Redakteurin zu positionieren 4 Ton Producerin - 5 Outfit Redakteurin Keine weiße, feingemusterte oder pas‐ tellgrüne Kleidung … … … … … Material- Übergabe Producerin/ Redakteurin Verwendbare Takes samt Skript per WeTransfer Pro mit Redaktionszu‐ gang (Zugangsdaten: …) an Cutterin (Mail-Adresse der Cutterin …) ver‐ schicken Tab. 26: Katalog für Studio-Dreh Regel- Nr. Betrifft Zuständig‐ keit Regel 1 Materialüber‐ gabe Cutterin Rohmaterial und Skript über We‐ Transfer herunterladen 2 Interpretation des Filmmate‐ rials Cutterin In Premiere muss der Farbraum über‐ schrieben werden: Rec. 2100 HLG 2 Titel Cutterin Für Titel des Videos Template „Vi‐ deo-Titel“ verwenden; mit Sound „Ti‐ tel.mp3“ hinterlegen 3 Kurze Text- Highlights Cutterin Für Text-Highlights Template „High‐ light 1“ verwenden Der Formatkatalog muss konsistent sein. 115 <?page no="116"?> 4 Bauchbinde Cutterin Bauchbinden-Template „Bauchbinde neu“ verwenden … … … … … Export Cutterin Beitrag in 1920x1080 Pixeln und 30 FPS als MP4 exportieren … Materialüber‐ gabe Cutterin Video in Slack-Channel #an-social posten und Social-Team vertaggen Tab. 27: Katalog für Cutterin Regel- Nr. Betrifft Zuständig‐ keit Regel 1 Materialanlie‐ ferung Social-Team Ihr werdet über Fertigstellung ei‐ nes Beitrags in #an-social informiert; Skript liegt euch zu diesem Zeitpunkt bereits per Mail vor. … … … … … Seeding Social-Team Jede neue Episode muss bei entspre‐ chenden Influencer: innen beworben werden. Dafür bitte passende Kon‐ takte dieser Seeding-Tabelle entneh‐ men: [Link]. … Evaluation Social-Team 24 Stunden nach Veröffentlichung Reichweite, Likes und Kommentare in Reporting-Tabelle eintragen: [Link]. Tab. 28: Katalog für das Social-Team Verstehen Sie den Katalog wie ein umfassendes FAQ: Welche Fragen könn‐ ten die einzelnen Gewerken zu ihrer Arbeit haben und wie können Sie diese Fragen kürzestmöglich beantworten? Fügen Sie Bilder ein, wenn sich Regeln besser visuell erklären lassen - zum Beispiel wenn es um den zu filmenden Bildausschnitt geht, in dem ein Host vor der Kamera zu sehen sein soll. Mit Zusammenstellen dieses Formatkatalogs legen Sie auch gleichzeitig die Arbeitsabläufe für die Produktion fest. Während des Formattests und der Produktion werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass einige Workflows und damit auch die Regeln angepasst werden müssen. Nach dem Start des Produkts werden Sie anhand der Nutzungszahlen ebenfalls nachjustieren. Werden 116 Konzeption <?page no="117"?> Sie in dieser Phase der Formatentwicklung also nicht zu perfektionistisch. An dieser Baustelle werden Sie bis zum Abschluss der Formatentwicklung intensiv feilen. Behalten Sie die Bearbeitungshoheit über den Formatkatalog. Das Do‐ kument sollte zwar für alle Teammitglieder zugänglich, aber nicht durch sie veränderbar sein. Bitten Sie Ihr Team, Verbesserungsvorschläge zu kommentieren oder Ihnen direkt zu schicken, damit Sie sie einpflegen und gleichsam prüfen können, ob die Konsistenz des Katalogs gewahrt bleibt. Fügen Sie nach Bedarf Templates und Tutorials bei. Die Optik und Akustik ist bei seriellen Produkten ein entscheidender Faktor. Alle Einzelbeiträge sollen als Teil des Produkts erkennbar sein. Das Team darf bei der Produktion nicht plötzlich ein anderes Logo auf Instagram-Posts legen oder einen anderen Intro-Song zu Beginn eines Podcasts spielen. Damit alle Beiträge optisch und akustisch einheitlich sind und ihre Produktion dem Team leicht von der Hand geht, bietet es sich an, Templates zu erstellen. Vorlagen also, mit denen die Teammitglieder Inhalte rasch in das vorgefertigte Design einbetten können. Die Templates können Sie bereits nach der Ideenfindungsphase bei Designer: innen in Auftrag gegeben haben, als Ableitung aus den Moodbo‐ ards und Prototypen, die das Team gestaltet hat. Andernfalls können Sie die Designzuständigen nun bitten, Layouts zu entwerfen, sie mit Ihnen abzustimmen und dann Templates zu erstellen, mit denen das Team weiter‐ arbeiten kann. Arbeiten Sie hier eng mit den Designer: innen zusammen. Ihre ästheti‐ schen Regeln aus dem Formatkatalog müssen im Template Berücksichtigung finden - und umgekehrt sollten die Designer: innen, die ja Expert: innen auf ihrem Gebiet sind, Ihnen wiederum vermitteln, welche Regeln möglich und unmöglich sind. Ein solches Template kann beispielsweise eine Photoshop-Datei sein. In dieser können bereits alle Ebenen, Schrift- und Bildpositionen angelegt sind, damit das Team binnen weniger Minuten einen Instagram-, Facebook-, Pin‐ terest- oder Twitter-Post basteln kann. Hilfslinien können anzeigen, welche Bereiche in welchen Feed-Ansichten zu sehen sind oder Randbegrenzungen vorgeben, über die beispielsweise ein Text nicht hinüberlaufen darf. Fügen Sie nach Bedarf Templates und Tutorials bei. 117 <?page no="118"?> Abb. 11: Beispiel für Instagram-Post-Templates Canva Wenn Photoshop zu teuer ist oder es zu aufwändig ist, das Team darin zu schulen, dann lassen sich mit Canva leicht im Browser Social-Media- Posts erstellen und eigene Templates anlegen. www.canva.com Templates können Sie auch für Video- und Audioskripte aufsetzen. Darin können Sie auch den dramaturgischen Aufbau einer jeden Folge definieren. Im nachfolgenden Beispiel ist definiert, dass jede Podcast-Episode mit einem „Cold Open“ beginnt. Der Begriff ist der Filmbranche entliehen und bezeichnet einen unmittelbaren Sprung in eine Geschichte; in diesem Fall sollen mehrere Protagonist: innen direkt mit starken Aussagen zu hören 118 Konzeption <?page no="119"?> sein. Erst nach diesem Einstieg folgt das 15-sekündige Intro mit Jingle und Anmoderation. Segment Moderation Länge Cold Open - 00: 00-00: 15 O-Ton 1 „Das war die abgefahrenste Recherche, an der ich jemals beteiligt gewesen bin! “ - O-Ton 2 „An einem Punkt dachte ich: Das war’s. Wir müssen abbrechen. Aber dann mel‐ dete sich doch tatsächlich …“ - Intro - 00: 15-00: 30 Jingle - 00: 15-00: 20 Anmoderation Ihr hört eine neue Episode von „Behind the Screens“. Wir blicken wieder hinter die Kulissen unserer Recherchen, lassen euch teilhaben an Rückschlägen und Erfolgen. Heute geht’s um … 00: 20-00: 35 Werbung - 00: 35-00: 50 Spot 1 - - Vorstellung Bei „Behind the Screens“ sind heute im Studio: Unsere Redakteur: innen … 00: 50-02: 00 Tab. 29: Beispiel Audioskript-Template Ebenso kann mit Hilfe eines Templates veranschaulicht werden, wie ein Newsletter aufgebaut sein soll. Eine solche Vorlage können Sie in einem Textdokument aufsetzen. Fügen Sie nach Bedarf Templates und Tutorials bei. 119 <?page no="120"?> Newsletter- Segment Inhalt Top-Header Im Browser lesen Header Editorial Liebe Leser: innen, -(Text, maximal 800 Zeichen inklusive Leerzeichen) -Mit vielen Grüßen Vorname Nachname, Funktion Anzeige 1 Text immer: Anzeige Banner: 600x200px Artikelempfeh‐ lungen Headline (maximal 70 Zeichen inklusive Leerzeichen) Teaser (maximal 200 Zeichen inklusive Leerzeichen) Standard-Linktext: Jetzt den Artikel lesen → -Immer sechs Empfehlungen, die erste und die dritte sind bebil‐ dert; Foto: 600x350px Anzeige 2 Text immer: Anzeige Banner: 600x200px Communityele‐ ment Frage des Tages [Zum Beispiel: Mit welchem Politiker würden Sie am liebsten ein Harry-Styles-Konzert besuchen? ] (Text, maximal 400 Zeichen inklusive Leerzeichen) Button mit Text: Jetzt teilnehmen! Footer Möchten Sie uns Feedback senden? Schreiben Sie uns jederzeit eine E-Mail. Sie können diesen Newsletter jederzeit hier abbestellen. Impressum | Datenschutzerklärung Tab. 30: Beispiel Template für Newsletter Bei komplexen Templates ist es sinnvoll, ein Tutorial, also eine Benutzungs‐ anleitung, aufzusetzen. So stellen Sie sicher, dass Teammitglieder wissen, 120 Konzeption <?page no="121"?> wie die Templates zu verwenden sind - und erleichtern es neuen Teammit‐ gliedern, schnell den Umgang mit den Templates zu erlernen. Das bietet sich vor allem dann an, wenn Sie eine fürs Team wenig gängige Software zum Erstellen von einzelnen Beiträgen verwenden. Eine Cutterin, die seit Jahren mit Premiere arbeitet, wird keine Anleitung für die Verwendung von Essential Graphics benötigen. Oder eine Cutterin, wie sie in Audacity Störgeräusche bereinigt. Aber wenn Sie zum Versenden eines Newsletters einen Service nutzen, in den sich das gesamte Team einarbeiten muss, oder Ihre Organisation vorsieht, dass alle im Team ein Tool beherrschen sollten, dann ist ein Tutorial essenziell. Ein Tutorial sollte immer ein Textdokument sein. Berücksichtigen Sie: Software verändert sich und Workflows ändern sich - und so werden Sie auch immer Ihren Tutorials ein Update verpassen müssen. Beschränken Sie die Bearbeitungsrechte Ihres Teams wie beim Formatka‐ laog auf die Kommentarfunktion der Dokumente. Sie wollen nicht, dass jemand aus Versehen Dinge löscht oder ändert und dadurch der Workflow gefährdet wird. Rufen Sie stattdessen dazu auf, dass Ihr Team, wann immer es Verbesserungsvorschläge oder Anmerkungen hat, diese an den Rand des Dokuments kommentiert. Prüfen Sie das Tutorial dann regelmäßig auf Kommentare und pflegen Sie notwendige Änderungen ein. Betrachten Sie das Produkt aus der Sicht Ihres Publikums. Im Gegensatz zu klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Print- Erzeugnissen können die Nutzer: innen im Digitalen mit den Produkten unmittelbar in Kontakt treten. So selbstverständlich das klingt, wird die Interaktion mit dem Publikum jedoch oftmals vernachlässigt. Deshalb er‐ hält die Auseinandersetzung mit den partizipativen Regeln einen eigenen Abschnitt. In der Recherchephase haben Sie sich intensiv mit den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppe auseinandergesetzt und mehrere Personas erstellt. Auf Basis dieser Erkenntnisse fällt es Ihnen hoffentlich leicht, sich in die Perspektive Ihres Publikums hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor, Sie würden dem Produkt, das Sie bis hierher erdacht und ausformuliert haben, als Nutzer: in begegnen. Stellen Sie sich dabei diese Fragen: Betrachten Sie das Produkt aus der Sicht Ihres Publikums. 121 <?page no="122"?> ● Auf welchem Kanal werden Sie auf das Produkt aufmerksam? ● Wird Ihnen unmittelbar klar, was dieses Produkt für einen Nutzen für Sie hat? ● Welche Möglichkeiten haben Sie, mit dem Produkt zu interagieren? ● Werden Sie explizit eingeladen, zu interagieren? ● Welchen Nutzen erfüllt die Interaktion für Sie? ● Welches Feedback erhalten Sie auf Ihre Interaktion? ● Würden Sie das Produkt danach weiterempfehlen? Betrachten Sie nun noch einmal den Formatkatalog. Liefert er Antworten auf all diese Fragen? Ist in den strategischen Regeln hinreichend beantwortet, auf welchen Plattformen das digitale Produkt wann und wie verbreitet wird, um ein möglichst breites Publikum darauf aufmerksam zu machen? Haben Sie zudem festgelegt, wie das Produkt beworben wird, gegebenenfalls mit einem Claim oder in Stichpunkten, um das Interesse des Publikums zu we‐ cken? Ist in den inhaltlichen Regeln festgehalten, dass die Moderator: innen etwa von einem Podcast oder einer Videoserie mit dem Publikum in Kontakt treten? Und wenn ja: Erklären die partizipativen Regeln hinreichend, wie mit dem Feedback des Publikums umgegangen, wie und von wem es weiterver‐ arbeitet wird und wie es seinen Weg zurück in die Beiträge findet? Und sind diese Interaktionsmöglichkeiten so einladend und einfach gestaltet, dass die Nutzer: innen Lust darauf haben? Natürlich können Sie auch gänzlich auf Interaktion mit Ihrem Publikum verzichten. Auf manchen Plattformen können Sie die Kommentarfunktion deaktivieren. Oder Sie beschließen: Selbst wenn etwas kommt, antworten wir einfach nicht. Spielen Sie diese Entscheidung einmal durch: Wie käme das beim Publikum an? Wenn Sie von der Nicht-Kommunikation überzeugt sind, sollte auch das Nicht-kommunizieren-Gebot im Formatkatalog festge‐ halten sein. 122 Konzeption <?page no="123"?> ► Lennart Schneider über Communityaufbau: „Der Nutzer soll selbst entscheiden, ob, wann und wie er sich einbringen möchte“ Lennart Schneider ist Strategieberater für Abomodelle mit Fokus auf Communitymarketing. Er unterstützt Unternehmen und Redaktionen dabei, aus Nutzer: innen ein aktives Publikum zu formen. In seinem Podcast „Subscribe Now“ spricht er mit Expert: innen über Abos und Communitys. Zuvor hat Lennart als Projektleiter bei Freunde der ZEIT Newsletter unter anderem für literatur- und reiseinteressierte Leser: innen konzi‐ piert und umgesetzt. Welche Fragen man sich stellen sollte, um Newsletter-Leser: innen zu aktivieren, diskutiert Lennart im Interview. Lennart, wieso sollte ich es mir überhaupt zum Ziel setzen, mit einem Produkt in Interaktion mit dem Publikum zu tre‐ ten? Nehmen wir einen Newsletter: Kann es nicht reichen, durch den regelmäßigen Versand meinen Website-Traffic zu erhöhen? Lennart Schneider: Doch, natürlich. Am Anfang sollte die Frage stehen, welches Ziel der Newsletter erfüllen soll. Das kann zum Bei‐ spiel Traffic sein oder der Verkauf von Produkten in meinem Online- Shop. Das kann alles auch ohne Community funktionieren und der zusätzliche Aufwand für das Community-Building lohnt sich nicht im‐ mer. Eine Community bietet allerdings viele Chancen: Einerseits baut man eine intensivere Beziehung zu den Leserinnen und Lesern auf, was zu einer längeren Haltbarkeit, höheren Öffnungsraten und auch einer gesteigerten Interaktion mit den Inhalten führen kann. Durch diese Beziehung sticht man im Postfach zwischen vielen anderen Newslettern hervor und wird zu einer regelmäßigen Pflichtlektüre. Außerdem lernt man durch den Austausch mit der Community viel über ihre Bedürfnisse und kann das bei der Produktentwicklung berücksichtigen. Was für Vorteile kann das haben? Im besten Fall ergeben sich daraus sogar neue Formatideen oder Geschäftsmodelle, mit denen sich die Community über den Newsletter ► Lennart Schneider über Communityaufbau 123 <?page no="124"?> hinaus noch monetarisieren lässt. In den sozialen Medien ist das Community-Building bereits zum Standard geworden und Influencer erreichen mit ihren Kanälen hunderttausende Fans, die eine persönli‐ che Beziehung spüren und sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen. In Newslettern wird dieser Ansatz stärker, aber wir können noch viel von den sozialen Medien lernen. In diesem Buch wird geraten, bei der Formatentwicklung Re‐ geln für die Kommunikation mit dem Publikum auszuarbeiten. Für einen Newsletter würde das bedeuten, sich beispielsweise zu fragen: Wollen wir, dass Leser: innen auf den Newsletter antworten können? In welcher Tonalität antworten wir wie‐ derum auf Mails? Probieren wir uns in Co-Creation, kann das Publikum also die Inhalte des Newsletters mitbestimmen? Haben solche Fragen bei der Entwicklung der Newsletter, an denen du beteiligt warst, auch eine Rolle gespielt? Das war sogar maßgeblich. Angefangen hatte alles mit dem Freundeder-ZEIT-Programm, durch das wir die Beziehung zu unseren Abonnen‐ tinnen und Abonnenten ausbauen wollten. Dabei haben wir festgestellt, dass der Newsletter zu unserem Hauptkanal wurde und dass bestimmte interaktive Formate sehr gut angenommen wurden. Als dann die Idee aufkam, einen ZEIT-Buchclub zu gründen, haben wir diese Erfahrungen übertragen und auf das Thema Buch angewandt. Inzwischen gibt es vier Communitys, die nach ähnlichen Prinzipien und Regeln funktionieren, das heißt die Formate, die Leserinteraktion und auch die Teamprozesse dahinter sind so weit ritualisiert, dass wir nicht jede Woche das Rad neu erfinden. Gleichzeitig gibt uns das aber auch die Möglichkeit, immer wieder kleine Änderungen auszuprobieren und bei Erfolg auf die drei anderen Communities auszurollen. Wann beginnt man, die Leser: innen zum Mitmachen aufzufor‐ dern: im allerersten Letter oder ist das etwas für später, wenn das Publikum das Produkt besser kennt? Ich finde es immer wichtig, dem Nutzer zu zeigen, dass er sich einbrin‐ gen kann, aber nicht muss. Die meisten Nutzer sind vollkommen damit zufrieden, den Newsletter nur passiv zu lesen. Das bedeutet nicht, dass sie kein Interesse an der Community haben, sie interessieren sich meistens trotzdem für die Meinungen der anderen Mitglieder. Wichtig ist, dass man die Community schnell erleben kann, indem 124 Konzeption <?page no="125"?> man sieht, was mit den Ergebnissen aus den Umfragen passiert und wo Leser: innenbeiträge veröffentlicht werden. Dadurch bleibt die Community nicht abstrakt, sondern ist an allen Stellen sichtbar. Die Community sollte keinesfalls vereinnahmend sein. Zu viel Druck, sich aktiv einzubringen, kann auch manche Interessent: innen verschre‐ cken. Die Nutzer: innen sollen selbst entscheiden, ob, wann und wie sie sich einbringen möchten. Welche Beteiligungsangebote funktionieren in Newslettern deiner Erfahrung nach? Am besten funktionieren niedrigschwellige und sehr konkrete Umfra‐ gen. Wenn klar definiert ist, wofür sich die Community interessiert, kann man zu diesen Themen jede Woche eine kurze Frage stellen, am besten mit einer emotionalen, vielleicht auch polarisierenden Haupt‐ frage und einer optionalen Zusatzfrage, bei der der Teilnehmende noch mehr verraten kann. Was bedeutet niederschwellig für dich? Die Teilnahme sollte nicht länger als zwei Minuten dauern und am besten fällt dem Nutzer schon beim Lesen der Frage ein, was er darauf antworten könnte. Schwierig sind abstrakte und komplexe Fragen, über die man zu lange nachdenken muss und nicht genau weiß, welche Art von Antwort erwartet wird. Zusätzlich zu diesen kurzen Umfragen sind auch Quiz und Gewinnspiele eine schöne Möglichkeit, das Engagement zu steigern und dem Nutzer einen Mehrwert zu bieten. Zuletzt würde ich auch immer empfehlen, regelmäßige Com‐ munitytreffen, zum Beispiel über Zoom, anzubieten. Dadurch baut man eine persönliche Beziehung auf und schafft eine Nähe, die durch reinen Text nur schwer vermittelt werden kann. Auch hier würde ich aber empfehlen, dass die Nutzer nicht zwingend aktiv mitdiskutieren müssen, sondern auch nur zuschauen dürfen. Lässt sich jede Community mit einem strategischen User: in‐ nen-Engagement aktivieren? Jede Community ist anders und das sollte man bei der Auswahl der Communityformate und Tools berücksichtigen. Grundsätzlich glaube ich schon, dass Communityansätze immer dann funktionieren, wenn die Community eine starke Gemeinsamkeit hat, auf der man aufbauen kann. ► Lennart Schneider über Communityaufbau 125 <?page no="126"?> Meine Empfehlung: Einfach mal ausprobieren. Fragen stellen ist nicht aufwendig und ihr seht schnell, ob es eine Resonanz gibt, oder nicht. Setzen Sie ein Reporting auf. In der Mandatierungsphase haben Sie gemeinsam mit der Chefredaktion Leistungskennzahlen definiert. Andernfalls ist es jetzt an der Zeit, sich über sie Gedanken zu machen. Anhand dieser Key Performance Indicators können Sie später den Erfolg Ihres Produkts messen. Für unterschiedliche Produktarten sind nachfolgende die wichtigsten Leistungskennzahlen auf‐ gelistet: Key Performance Indicators: Newsletter Anzahl von Emp‐ fänger: innen Wenn Sie einen neuen Newsletter starten, wollen Sie na‐ türlich auch, dass er gelesen wird. Also werden Sie Signup-Formulare auf Ihrer Website auf einer Landing-Page, im Footer und/ oder in Artikeln platzieren. In Ihrem E-Mail- Service können Sie sehen, wie viele Menschen sich über diese Formulare für den Newsletter angemeldet haben. Öffnungsrate Sie kennen es von sich selbst: Auch wenn man einen Newsletter abonniert hat, liest man nicht jede Ausgabe. Manchmal erreicht sie einen im falschen Moment, sie geht im Strom von Mails unter oder man löscht sie aus Zeitman‐ gel direkt. Die Öffnungsrate gibt Auskunft darüber, wie viel Prozent der Abonnent: innen einen einzelnen Newsletter geöffnet haben. Klickrate Die Klickrate gibt Auskunft darüber, wie viel Prozent der Leser: innen, die den Newsletter geöffnet haben, einen Link im Newsletter angeklickt haben. Wenn Sie auswerten, wel‐ che Links in einem Newsletter angeklickt wurden, können Sie daraus ableiten, welche Themen bei Ihrem Publikum besonders gut ankommen und welche nicht. Abbestellrate Die Abbestellrate zeigt an, wie viel Prozent der Abon‐ nent: innen einen Newsletter abbestellt haben. Wenn bei einem einzelnen Newsletter die Abbestellrate überraschend hoch ist, kann das ein Hinweis darauf sein, dass Ihre Leser: innen kein Interesse an dem Inhalt hatten. Tab. 31: Key Performance Indicators: Newsletter 126 Konzeption <?page no="127"?> Key Performance Indicators: Podcast Abonnent: innen Auf Plattformen wie Spotify und Apple Podcasts haben Nutzer: innen die Möglichkeit, einzelnen Podcasts zu folgen oder zu abonnieren. Wer einem Podcast folgt, dem: der werden neue Episoden prominenter im Feed angezeigt und Benachrichtigungen aufs Smartphone ausgespielt. Unique Listeners Unique Listeners sind einzelne Nutzer: innen, die eine Pod‐ cast-Episode anhören. Streams/ Downloads Eine Episode kann von einer Person mehrfach gestreamt oder heruntergeladen werden. Auch die Anzahl all dieser einzelnen Aufrufe kann man in den gängigen Plattformen einsehen. Hördauer Über die Analyse der durchschnittlichen Hördauer der Epi‐ soden können Sie feststellen, ob Ihre Dramaturgie aufgeht - oder ob Sie an den inhaltlichen Regeln des Podcasts schrauben sollten. Ratings Auf den gängigen Audio-Streaming-Plattformen können Nutzer: innen Podcasts bewerten, was Auswirkungen dar‐ auf hat, wie prominent Ihr Podcast anderen Nutzer: innen vorgeschlagen werden. Tab. 32: Key Performance Indicators: Podcast Key Performance Indicators: Social Media Anzahl von Follo‐ wer: innen Ob ein Social-Media-Kanal erfolgreich ist oder nicht wird noch immer vor allem an der Gesamtzahl an Nutzer: innen festgemacht, die einem Kanal folgen. Wie bei anderen Produkten ist aber auch hier zusätzlich die Wachstums‐ rate interessant, also die Geschwindigkeit, in der die Follo‐ wer: innenzahl steigt. Impressions Die Anzahl der Impressions gibt Auskunft darüber, wie oft ein Inhalt im Feed der Nutzer: innen angezeigt wurde. Wenn die gleiche Nutzerin einen Post mehrfach angezeigt bekommt, wird jedes Mal eine Impression gemessen. Die Impressions geben also keine unmittelbare Auskunft dar‐ über, wie viele einzelne Nutzer: innen einen Beitrag gesehen haben. Reichweite Die Reichweite hingegen gibt an, wie viele einzelne Nut‐ zer: innen einen Beitrag gesehen haben. Setzen Sie ein Reporting auf. 127 <?page no="128"?> Click-through-Rate Vor allem für die Bewertung von Storys zum Beispiel auf Instagram oder Facebook spielt diese Kennzahl eine wichtige Rolle. Die Click-through-Rate (kurz CTR) gibt die Prozentzahl der Nutzer: innen an, die eine Story bis zum Ende angesehen haben. Watchtime Für Videoinhalte auf Social-Media-Kanälen ist insbeson‐ dere die Watchtime eine relevante Kennzahl: Sie gibt in Sekunden und Minuten an, wie lange Nutzer: innen ein Vi‐ deo angesehen haben. Darüber lässt sich darauf schließen, ob die Dramaturgie eines Videos funktioniert. Engagement-Rate Für alle Inhalte auf Social-Media-Plattformen ist relevant, in welchem Maß die Nutzer: innen mit den Beiträgen in‐ teragieren, wie oft sie liken, kommentieren, teilen oder einen Inhalt zu ihren Favoriten speichern. Auf diesen Wert kommt man, wenn man die Anzahl an Interaktionen entwe‐ der durch die Impressions oder die Reichweite dividiert. Im Vergleich mit anderen Posts oder auch Konkurrenzinhalten können Sie abgleichen, wie Beiträge bei Ihren Follower: in‐ nen ankommen, welche Themen und welche Ansprache möglicherweise gut oder weniger gut funktioniert. Tab. 33: Key Performance Indicators: Social Media Das Reporting ist immer ein Tabellendokument. Sofern Sie harte zu er‐ reichende Werte definiert haben, können Sie in Excel oder auch Google Docs mit bedingten Formatierungen arbeiten: Unterschreitet ein Wert eine Vorgabe, können Sie die Zahl sich automatisch rot färben lassen. So haben Sie direkt im Blick, an welchen Stellen Ihr Produkt nicht hinreichend performt - oder im Gegenteil natürlich gut performt. Übung | Was kommt bei den Leser: innen auf den Tisch? Das Online-Magazin „Für zwei kochen“ hat vor wenigen Wochen einen Newsletter gestartet. Formatentwicklerin Faizar ergänzt jede Woche Zahlen in eine Reporting-Tabelle. Ende Juni steht wieder eine Analyse an. Sie blickt auf diese Zahlen. Welche Beobachtungen kann Faizar aus diesem Reporting ziehen? 128 Konzeption <?page no="129"?> Da‐ tum Betreff Empfän‐ ger: innen Öffnungs‐ rate Klickrate Abbestell‐ rate 01.06. Zwei schnelle Gerichte für zwei Personen 7.756 45,8% 11,8% 0,11% 08.06. Wie man richtig grillt 8.135 37,4% 19,8% 0,12% 15.06. Leckere vegane Grillrezepte 8.503 28,4% 4,9% 0,21% 22.06. Alkoholfreie Cocktails leicht gemacht 8.745 41,1% 20,1% 0,09% 29.06. Alles aus Auber‐ gine 8.908 29,1% 5,4% 0,19% Kurze Auswertung ● Das Online-Magazin „Für zwei kochen“ beschäftigt sich offenbar vorrangig mit Rezepten für Zwei-Personen-Menüs. Der Newsletter vom 1. Juni, der in der Betreffzeile zwei schnelle Gerichte für zwei Personen anteasert, scheint gut zu den Interessen der Zielgruppe zu passen: Die Öffnungsrate ist die beste im Juni. Allerdings scheinen die Rezepte die Leser: innen nicht sonderlich überzeugt zu haben: Die Klickrate hält sich im Juni eher im Mittelfeld. ● Für die Artikel, die in den Newslettern am 8. und 22. Juni enthalten sind, haben sich die Leser: innen hingegen sehr interessiert: Die Klickrate ist hoch. Vor allem für die alkoholfreien Cocktails konnte sich das Publikum begeistern. ● Vegane Grillrezepte haben die Leser: innen wiederum abgeschreckt. Nicht nur ist die Öffnungsrate des Newsletters vom 15. Juni sehr gering, auch die Abbestellrate ist erschreckend hoch. Faizar könnte nun überlegen, in künftigen Newslettern mehr über alkoholfreie Getränke und weniger über vegane Gerichte zu schreiben. Setzen Sie ein Reporting auf. 129 <?page no="131"?> Formattest Was bisher geschah | Auf dem Papier ist das Produkt ausformuliert. Es liegen ein Formatkonzept, ein Formatkatalog und ein Reporting vor. Des Weiteren haben Sie alle zur Produktion von Beiträgen notwendigen Tutorials und Templates vorläufig fertig, das heißt verwendbar vorlie‐ gen. Was nun geschieht | In dieser Phase wird die Umsetzbarkeit Ihres Formatkatalogs und somit die Machbarkeit des Produkts auf die Probe gestellt. Dafür startet Ihr Team den Testbetrieb. Es folgen vier Fragen, die Sie und Ihre Kolleg: innen sich bei der Testproduktion stellen sollten. Jede Erkenntnis muss unmittelbar auf den Formatkatalog rückwirken - was nicht umsetzbar ist, muss im Regelwerk geändert werden. Verstehen alle im Team den Formatkatalog? Gehen Sie mit Ihrem Team in den Testbetrieb. Testbetrieb bedeutet: Sie pro‐ duzieren den Newsletter, Podcast oder den Social-Media-Kanal, als wären Sie bereits im Regelbetrieb. Aber Sie veröffentlichen noch keinen der Beiträge, zumindest nicht für ein großes Publikum. Idealerweise gibt es aber bereits eine kleine Gruppe von Testnutzer: innen: Entweder besetzen Sie dieses Panel mit Personen aus Ihrer Redaktion, von der Sie sich ein gewinnbrin‐ gendes Feedback versprechen. Oder Sie stellen, sofern möglich, aus Ihrem zukünftigen Publikum eine Testgruppe zusammen. Hierfür können Sie zum Beispiel die in der Recherchephase akquirierten Umfrageteilnehmenden einspannen. In dieser Testphase wollen Sie die Machbarkeit des Produkts unter realis‐ tischen sowie extremen Bedingungen testen. Die Grundlage dafür ist, dass alle im Team die bisher geplanten Arbeitsabläufe und Regeln verstehen, also den Formatkatalog verinnerlicht haben. Setzen Sie das zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraus. Ende der Nullerjahre begann der italienische Künstler Gianluca Gimini, Freund: innen und Unbekannten auf der Straße den Auftrag zu geben: Zeichne ein Fahrrad! Das Überraschende an dem Projekt: Obwohl natürlich <?page no="132"?> 41 “Velocipedia“ von Gianluca Gimini, 2009-2016: https: / / www.gianlucagimini.it/ portfoli o-item/ velocipedia/ jede: r Fahrräder kennt oder eines besitzt und regelmäßig fährt, entstanden die kuriosesten Zeichnungen. 41 Manchmal glaubt der Mensch, eine klare Vorstellung von etwas zu haben, obwohl die Realität deutlich davon abweicht. Das kann auch bei Ihrer Formatentwicklung passieren. Zwar hat das Team die konkrete Produktidee mit erdacht, in einem Prototypen visualisiert, Ihnen für das Formatkonzept und den -katalog Input geliefert und die Dokumente gelesen. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass alle im Team die gleiche Vorstellung davon haben müssen, wie das Produkt am Ende aussehen soll. Selbst wenn ein schlüssiger Formatkatalog vorliegt, selbst wenn alle ihn gelesen haben, kann es immer noch vorkommen, dass Mitglieder Ihres Teams Beiträge am Katalog vorbei produzieren - indem sie nicht die Tonalität eines Newsletters treffen, in Hochkant-Videos Texteinblendungen an Stellen setzen, die von nativen Elementen der App überlagert werden oder die Hintergrundmusik eines Podcasts über die vorgegebene Dezibelzahl heben. Zu Beginn des Formattests ist für Sie deshalb essenziell zu prüfen, ob die Teammitglieder tatsächlich die gleiche Vorstellung vom fertigen Produkt haben. Ziehen Sie sich aus der Produktion der ersten Beiträge also nicht raus - mischen Sie sich im Gegenteil intensiv mit ein. Prüfen Sie, ob der Formatkatalog für alle Teammitglieder verständlich ist. Passen Sie ihn an, falls dem nicht so ist. Führen Sie zu jedem Beitrag der Testphase eine gemeinschaftliche Kritik durch. Gehen Sie dabei ins Detail, auch wenn es penibel und nervig sein mag. Es sollen sich nicht gleich zu Beginn Fehler in der Produktion einschleichen. Die Regeln im Formatkatalog kommen nicht aus dem Nichts - sie sind abgeleitet aus Erkenntnissen aus der Re‐ cherchephase und korrespondieren mit Anforderungen der Chefredaktion aus der Mandatierungsphase. Verdeutlichen Sie, dass die Regeln bei der Produktion einzuhalten sind. Aber versperren Sie sich nicht gegen kritische Anmerkungen aus dem Team: Wenn Regeln keinen Sinn ergeben, passen Sie sie an. 132 Formattest <?page no="133"?> 42 https: / / www.ardmediathek.de/ video/ deep-und-deutlich/ deep-und-deutlich-mit-husch ke-mau/ ndr/ Y3JpZDovL25kci5kZS9mOGM0ZTYyNC02OTQ1LTRmYzItYjM4ZS01MD I5ZTJlYzU3ODY 43 https: / / www.journalist.de/ startseite/ detail/ article/ strafbar-schlechter-journalismus Können wir das, was wir uns vorgenommen haben, wirklich mit der nötigen Genauigkeit umsetzen? Im April 2022 nahm eine Ausgabe der NDR-Talkshow »deep und deutlich« ein ungeplantes abruptes Ende: Aktivistin und Autorin Huschke Mau, die zur Diskussion über Prostitution in Deutschland geladen war, verließ die Sendung vorzeitig. YouTuberin Alicia Joe weinte. Die Moderator: innen Ami‐ nata Belli und Michel Abdollahi waren sichtlich überfordert. 42 Was lief da schief ? Die Redaktion produziert offenbar stets mehrere »deep und deutlich«-Episoden in einem Rutsch. In diesem Fall: die Diskussion über Prostitution, ein Gespräch zum Gendern sowie eines zum Krieg in der Ukraine. Die gleichen vier Gäste saßen dafür in unterschiedlicher Kombi‐ nation zusammen - teilweise ohne allzu große Kenntnisse vom jeweiligen Thema zu haben. Dass unter diesen Produktionsbedingungen kein gutes Ergebnis entstehen kann, zeigte sich dann deutlich in erwähnter Episode mit Huschke Mau. Das Gespräch entgleiste inhaltlich mehr und mehr, bis Mau das Studio verließ. Was lernen wir daraus? Mehrere Episoden in einem Rutsch mit den gleichen Gästen abzudrehen, spart Zeit und Geld, bestimmt. Man sollte es trotzdem unterlassen, wenn darunter die Qualität der einzelnen Beiträge leidet. Was offensichtlich klingt, ist den Produzierenden häufig nicht so gewahr, weil sie viel zu tief in der Produktion stecken. Ein weiteres Beispiel: Der Podcast „Sack Reis“ vom Radiosender Das Ding thematisiert in jeder Episode ein anderes Auslandsthema. In der Folge „Kurz vor Krieg? Der zerbrechliche Frieden in Bosnien-Herzegowina“ kam eine junge Frau zu Wort, die über den Völkermord von Srebrenica sagte: „Ich war nicht dort, und die Geschichte hat immer zwei Seiten. Deshalb kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, was passiert ist.“ Der Massenmord, bei dem serbische Truppen mehr als 8000 bosnische Muslime ermordeten, wird vom Internationalen Gerichtshof als Genozid eingestuft. Ihn zu leugnen, ist in Bosnien strafbar. Die Journalistin Melina Borčak kritisierte die Episode scharf. 43 Sie wurde schließlich zu einer Sonderfolge eingeladen, in der sie der Redaktion unter anderem Fehler bei der Recherche Können wir das wirklich mit der nötigen Genauigkeit umsetzen? 133 <?page no="134"?> vorwarf und die Wahl der Protagonistin erneut kritisierte. Auch die lang‐ same Reaktionszeit des „Sack Reis“-Teams auf die Hinweise zur fehlerhaften Recherche heizten die Diskussion an. Statt die Fehler aufzuarbeiten, gerieten die Moderatorinnen mit Borčak mehr und mehr aneinander; die Episode endete unversöhnlich. Inzwischen sind beide Podcast-Ausgaben gelöscht und „Sack Reis“ pausiert. Auch aus diesem Fall lässt sich viel lernen: Wie gedenken Sie mit öffentlicher Kritik umzugehen? Und wie gehen Sie mit ihr um, wenn sie korrekt ist und schwerwiegende Fehler bei Ihrer journalistischen Arbeit offenlegt? Der Formattest dient dem Zweck, einen Schritt zurückzutreten und die Workflows kritisch auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Haben alle Beteiligten ausreichend Zeit, um ihre Aufgaben zu erledigen? Haben sie ausreichend Kenntnis über die notwendigen Tools oder sind Schulungen notwendig? Sind die verwendeten Templates leicht bedienbar oder müssen sie verein‐ facht werden? Läuft alles glatt, führen Sie die Produktion Ihrer Beiträge auch einmal in realistischen Stressszenarien durch. Wenn Sie einen Nachrichtenpodcast produzieren, sollten Sie den Ernstfall einer nachrichtlichen Lage durchspie‐ len: Was passiert, wenn sich in der Nacht eine Flutkatastrophe ereignet - wären Sie in der Lage, in der Podcast-Episode am darauffolgenden Morgen darüber zu berichten? Wie bilden Sie auf einem nachrichtlichen Social-Media-Kanal eine Lage ab, in der sich die Informationen fortlaufend überholen? Was tun Sie, wenn kurz vor Newsletter-Versand eine wichtige Eilmeldung über die Agenturen reinkommt - ist es okay, wenn sich der Versand dann verzögert, um die Nachricht aufzunehmen? Und an welcher Stelle wird der verspätete Versand den Leser: innen erklärt oder muss das überhaupt geschehen? Überlegen Sie, welche Szenarien für Ihr Produkt relevant sein könnten und spielen Sie sie durch. Womöglich müssen Sie nachträglich die strate‐ gischen Regeln des Formats ändern und die Veröffentlichungsfrequenz einzelner Beiträge herunterfahren. 134 Formattest <?page no="135"?> Was passiert, wenn ein Puzzleteil fehlt? Nicht zuletzt der Erfolg von Influencer: innen verleitet Redaktionen dazu, di‐ gitale Produkte an Einzelpersonen zu binden. In den Storys eines Instagram- Kanals wie tickr.news vom WDR ist ein festes Ensemble von Presenter: innen zu sehen. Der Newsletter „Was für ein Tag! “ wird täglich vom Editorial Director des ZEITmagazins, Christoph Amend, verfasst. Die Episoden des ZDF-Podcasts „Lanz & Precht“ sind auf die beiden prominenten Namensge‐ ber am Mikro angewiesen. Die Strategie dürfte klar sein: Wie es bei TV-Persönlichkeiten und Influ‐ encer: innen seit Jahren funktioniert, treibt auch Medienhäuser der Gedanke an, dass über die Gewöhnung an eine Person oder ein überschaubares Ensemble von Personen eine Bindung zum Publikum aufgebaut und gestärkt wird. Aus Produktionssicht ist diese Fokussierung auf wenige Persönlich‐ keiten allerdings ein Problem. Machen die bekannten Personen Urlaub oder werden krank, kann kein Beitrag entstehen. Während der Testphase sollten Sie für diese Fälle vorsorgen. Spielen Sie einmal durch, wie der Newsletter produziert wird, wenn seine tonangebende Autor: innenstimme ihn einmal nicht schreiben kann. Oder wie ein Podcast trotzdem fortgesetzt wird, wenn die bekannte Stimme wegen einer Erkäl‐ tung den Dienst verweigert. Neben diesem offensichtlichen Flaschenhals müssen Sie die gesamte Produktionskette auf personelle Ausfälle prüfen. Was passiert, wenn die Cutterin einer Videoserie urlaubt? Wie schläft der Social-Media-Kanal nicht ein, wenn der Communitybeauftragte keine Kommentare sichten und beantworten kann? Wer springt ein, wenn die freiberufliche Tonmischerin eines Podcasts mit anderen Projekten voll ist? Betrachten Sie auch technische Hemmnisse: Wie geht das Team eines Podcasts damit um, wenn der Schnittrechner abrauscht? Wer kann bei wem Alarm schlagen, wenn vor dem Versand eines Newsletters der Mail-Service plötzlich streikt? Wo liegen die Zugangsdaten für den Instagram-Kanal, wenn der Social-Media-Redakteur, der sonst immer Beiträge postet, auf einer Konferenz und unerreichbar ist? Idealerweise gehen Sie den Produktionsablauf mit dem Team durch und sprechen über Lösungen. Dokumentieren Sie alle Flaschenhälse und Lösungen für Ausfälle im Formatkatalog. Kommunizieren Sie die Lösungen im Team, damit jede: r auf Notfälle vorbereitet ist. Was passiert, wenn ein Puzzleteil fehlt? 135 <?page no="136"?> Welche äußeren Umstände können unsere Produktion beeinflussen? Ende Dezember 2019 meldete China, dass Bewohner: innen von Wuhan mit einer rätselhaften Lungenerkrankung angesteckt haben. In Europa bleibt es zwei Monate ruhig, dann breitet sich das Coronavirus von Bergamo aus überall aus. Am 11. März erklärte die WHO den Ausbruch des Coronavirus Sars-CoV-2 zur Pandemie, am 22. März erteilt die deutsche Bundesregierung ein umfassendes Kontaktverbot. Für viele Redakteur: innen folgten zwei Jahre im Homeoffice. Auf die gemeinsame Arbeit hatte dies gewaltige Folgen. Treffen waren entweder nicht möglich oder nur unter Einhaltung von strengen Hygienestandards. Räume wie Studios für Video- oder Audio- Aufnahmen waren nicht mehr ohne Weiteres zugänglich. Neue Kolleg: innen konnten nicht mehr physisch eingearbeitet werden, manche lernten ihre Redaktionen erst nach Monaten oder Jahren kennen. Deutschlandreisen waren zwischenzeitlich nicht möglich, Interviews konnten nur noch digital geführt werden. Große Ereignisse wie die Coronapandemie können die journalistische Arbeit erheblich beeinflussen und einschränken. Aber auch kleinere Ereig‐ nisse wie personelle Wechsel in der Chefredaktion, der Umzug der Redaktion in neue Räumlichkeiten oder die Umstellung des Hauses auf neue Hard- und Software können sich erheblich auf die laufende Herstellung Ihres digitalen Produkts auswirken. Insbesondere eine Analyse Ihrer Abhängigkeit zu Dritten ist wichtig. In der Recherchephase haben wir bereits darüber gesprochen: Plattformen und Services entwickeln sich ständig weiter. Als Formatentwickler: in sollten Sie es zu Ihrer Aufgabe machen, kontinuierlich Marktentwicklungen zu beob‐ achten - aber auch Ihr Team, das nach der Formatentwicklung unabhängig von Ihnen produzieren soll, sollten Sie dafür sensibilisieren, wachsam zu sein. Es bietet sich an, einen Blick auf Plattformen und Services als Punkt auf der Agenda der wöchentlichen Teammeetings zu institutionalisieren. Im wöchentlichen Wechsel könnten die Teammitglieder Branchennachrichten lesen und im Teammeeting von relevanten Veränderungen berichten. Zum Beispiel wenn Instagram ein neues Feature einführt, das sich auf die Produk‐ tion Ihrer Beiträge auswirken könnte, oder wenn YouTube Veränderungen am Algorithmus plant, nach dem Videos ausgespielt werden. Der Testbetrieb sollte eine Routine im Team erzeugen, in der sich alle in ihrer Rolle einfinden und sicher ihren Job erledigen lernen. Gleichzeitig 136 Formattest <?page no="137"?> sollten Sie dafür sensibilisieren, dass Veränderungen stattfinden werden, und sich darauf vorbereiten, wie mit ihnen umzugehen ist. ► Ann-Kathrin Hipp über Spontanität: „Am wichtigsten ist, sich darauf vorzubereiten, dass man eben nicht auf alles vorbereitet sein kann“ Ann-Kathrin Hipp ist verantwortliche Redakteurin beim Tagesspiegel Checkpoint. Neben dem populären Newsletter ist sie inzwischen auch für zwei Podcasts zuständig, der erste heißt „Eine Runde Berlin“. Darin fährt Hipp mit wechselnden Gästen in der Berliner Ringbahn um den Stadtkern und plaudert. Über Politik, Wirtschaft, Kultur, das Stadtgeschehen. Mal trifft sie Politiker: innen wie Franziska Giffey, mal Promis wie Kurt Krömer, mal engagierte Bürger: innen. Sie wird dabei von einer Kollegin unterstützt, die den Ton pegelt; aufgenommen wird mit handlichem Gerät, einem Zoom H5 und zwei Mikros. Es war Hipp bei der Entwicklung wichtig, dass man spürt, in Berlin zu sein, und dass viel Interaktion stattfinden kann - etwas, wofür die Marke Tagesspiegel Checkpoint auch als Newsletter steht. Wenn sich Mitfahrende ins Gespräch einklinken, wird das nicht herausgeschnit‐ ten. Es ist Teil des Konzepts, dass das Unvorhergesehene passieren darf. Wie probiert man ein solches, von Spontanität abhängiges Format aus, nachdem man es auf dem Papier durchdacht hat? Ann-Kathrin, als du das erste Mal mit deiner Kollegin Testauf‐ nahmen in der Ringbahn gemacht hast, welche Ideen aus dem Konzept haben sich in der Realität als schwierig umzusetzen herausgestellt? Ann-Kathrin Hipp: Die erste Feststellung war: Man kann hier nichts planen. Grundsätzlich sind die S-Bahnen um 10 Uhr leerer als in der Stoßzeit und die neuen S-Bahnen als Hintergrundkulisse leiser als die alten und dadurch besser für die Aufnahme geeignet. Aber Ausnahmen bestätigen bekannterweise die Regel und nicht jeder Gast hat um 10 Uhr Zeit beziehungsweise kann so lange warten, bis die „richtige“ Bahn kommt. Falls die überhaupt kommt: Fahrpläne anhand von S-Bahn-Modellen gibt es ja bekanntermaßen noch nicht. Im Zweifel kann es also durchaus sein, dass man sich nicht, wie ► Ann-Kathrin Hipp über Spontanität 137 <?page no="138"?> geplant. auf einen Vierer-Platz setzen kann, sondern das Interview erstmal einige Stationen stehend in der völlig überfüllten Bahn führen muss. Außerdem - und auch das ist keine Seltenheit - kommt es immer mal wieder zu Betriebsstörungen, die dazu führen, dass eine Ringbahnrunde statt 60 Minuten plötzlich 90 Minuten dauert und einen Umstieg auf den Schienenersatzverkehr beinhaltet. Auch das muss man mit einkalkulieren. Du hast dir „Eine Runde Berlin“ nicht nur ausgedacht, du bist auch die Moderatorin. Wie hast du dich in der Testphase darauf vorbereitet, auf alles vorbereitet sein zu müssen? Ich glaube, am wichtigsten ist, sich darauf vorzubereiten, dass man eben nicht auf alles vorbereitet sein kann. Am Anfang habe ich noch versucht, alle Fragen genau auf die Stationen abzustimmen, an denen wir vorbeifahren. Das hat vorne und hinten nicht funktioniert und war viel zu kompliziert. Mittlerweile habe ich zwar immer noch einen Fragebogen in petto und bereite mich auch nach wie vor akribisch auf die Gäste vor; ich versuche mich dann aber letztlich vor allem spontan auf Situation, Gast und Umgebung einzulassen. Jede Ringbahnrunde ist ein bisschen anders. Und genau das ist eigentlich auch das Schöne: Man weiß, wenn man einsteigt, noch nicht genau, was letztlich dabei passiert und herauskommt. Die erste Episode ist im März 2020 erschienen, dann kam unvorhergesehen die Pandemie. Wie hat sich der Podcast durch die Maßnahmen gegen das Coronavirus verändern müssen? Wir haben genau eine Folge ohne Maske aufgenommen, die allererste. Danach ging die Pandemie los. Seitdem sind wir immer mit Mund‐ schutz unterwegs - auf die Tonqualität hatte das zum Glück nur geringe Auswirkungen. Außerdem haben wir vorerst auf das Spiel „Ringbahn-Speeddating“ verzichtet, in dem der Gast mit anderen Fahr‐ gästen ins Gespräch kommen soll. Einige Folgen haben wir spontan - weil die Bahnen zu voll waren - auf dem Bahngleis aufgenommen. Andere haben wir, im Pandemie-Peak, sogar direkt im Büro aufgenom‐ men. Um das Ringbahnfeeling trotzdem einigermaßen beizubehalten, habe ich mit den Gästen dann eine „virtuelle“ Runde Berlin gedreht, indem wir uns Führerstandsvideos auf YouTube angeschaut haben. 138 Formattest <?page no="139"?> Das Hausrecht in der Ringbahn obliegt der Berliner S-Bahn. Was musstet ihr mit der S-Bahn klären, um den Podcast mo‐ natlich aufzuzeichnen? Als wir die Idee hatten, haben wir erstmal mit den Presseverantwort‐ lichen der S-Bahn geklärt, ob es grundsätzlich möglich ist, einmal im Monat einen Podcast in der Ringbahn aufzunehmen. Da hatten wir, nachdem wir das Konzept erklärt haben, relativ schnell eine Zusage. Bei der ersten Fahrt hat eine Sprecherin zugeschaut; da gab es aber keinerlei Probleme oder Einwände. Vor den einzelnen Aufnahmen füllen wir jetzt auf der Webseite der Deutschen Bahn immer nochmal eine Anfrage für eine Drehgenehmigung aus. Das ist vor allem eine Formsache. Die Genehmigung bekommen wir meist innerhalb weniger Stunden. Halten Sie die Chefredaktion auf dem Laufenden. Erinnern Sie sich noch an das Mandatsgespräch? Bei diesem Meeting zu Beginn der Formatentwicklung haben Sie recht unkonkret mit der Chefre‐ daktion über die Teamkonstellation und die Ressourcen gesprochen. Da noch keine konkrete Produktidee feststand, wussten Sie über die tatsächli‐ chen Aufwände der Produktion noch nicht Bescheid. Das ist an diesem Punkt der Formatentwicklung anders: Spätestens nach Abschluss der Testphase wissen Sie nun sehr genau, unter welchen Bedingungen die Videoserie, der Podcast, der Newsletter oder der Social-Media-Kanal entstehen kann - und unter welchen es nicht möglich ist. Jetzt wäre der spätestmögliche Zeitpunkt, mit der Chefredaktion über zusätzliche Ressourcen zu verhandeln. Ist das Produkt erst einmal am Markt, wird sich die Chefredaktion denken „Ach, klappt doch! “ und von weiteren Teammitgliedern oder einem höheren Budget absehen. In der Folge wird Ihr Team fortwährend unter extremen Bedingungen arbeiten, langfristig dürfte Ihr Produkt gefährdet sein. Wenn Sie den Bedarf an weiteren Mitteln sehen, berufen Sie also unbedingt ein Treffen mit der Chefredaktion ein. Berufen Sie sich auf die Testphase und die Schwächen in der Produktion, die sie offenbart hat. Begründen Sie klar, welche zusätzlichen Ressourcen welchen positiven Effekt auf die Arbeit am Produkt hätte - und erklären Sie hartnäckig, welche negativen Folgen drohen können, wenn die benötigten Halten Sie die Chefredaktion auf dem Laufenden. 139 <?page no="140"?> Mittel nicht von der Chefredaktion bewilligt werden sollten. In einer gerechten, guten Welt wird Ihre Chefredaktion ein Einsehen haben. Die Daumen sind gedrückt. 140 Formattest <?page no="141"?> 44 faz.net/ aktuell/ faz-startet-eigenen-kanal-auf-tiktok-18099930.html Start und Evaluation Was bisher geschah | Das Team ist eingespielt. Die Testausgaben kamen beim Publikum gut an. Auch Ihre Chefredaktion ist überzeugt. Das Produkt kann auf den Markt gebracht werden. Was nun geschieht | Mit dem Launch ist die Formatentwicklung noch längst nicht beendet. Im Gegenteil: Sie müssen jetzt wachsam die Kennzahlen und Workflows prüfen und optimieren. Betreiben Sie Seeding. Keine falsche Bescheidenheit! Unabhängig davon, ob das Produkt durch die Decke geht oder nicht, haben Ihr Team und Sie etwas Entscheidendes geschafft: Sie haben eine Idee zu einem marktreifen Produkt geformt, haben ausprobiert, verworfen, Neues erlernt, Konflikte gelöst - das gelingt nicht jedem Team und nicht jedem Medienhaus. Darauf können Sie stolz sein und ruhig selbstbewusst davon sprechen. Wenn Ihre Unternehmenskommunikation bislang nicht auf Ihrer Stake‐ holder: innen-Liste stand, dann setzen Sie sich nun mit den Kolleg: innen in Verbindung. Schreiben und verschicken Sie eine Pressemitteilung zum Start. Da das Produkt vorrangig nicht für Medienvertreter: innen, sondern für Ihr Publikum gedacht ist, können Sie auch einen Artikel auf Ihrer Website ver‐ öffentlichen, in dem Sie Ihr neues Produkt vorstellen - zum Beispiel wie es die FAZ zum Start des TikTok-Kanals getan hat. 44 Auch im Digital-Podcast der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde der neue TikTok-Auftritt zum Thema gemacht. Womöglich gibt es auch bei Ihnen abseits der Website Werbemöglichkeiten für das neue Produkt: Kann in einem Newsletter sinn‐ voll auf den neuen Social-Media-Account verwiesen werden? Oder auf dem Social-Media-Account auf den neuen Newsletter? <?page no="142"?> Animoto Wenn die Zeit es zulässt, können Sie einen kleinen Trailer produzie‐ ren, in dem Sie das Produkt vorstellen. Ein einfaches, browserbasier‐ tes und kostengünstiges Tool ist Animoto. Damit haben Sie binnen weniger Minuten ein schickes Werbevideo in 16: 9 oder 9: 16 erstellt, um es auf Ihren Social-Media-Auftritten zu verbreiten oder in Artikel einzubetten. animoto.com Darüber hinaus ist zu überlegen, wie Sie einzelne Beiträge über Ihre eigenen Plattformen hinaus weitflächig streuen können. Greifen Sie dafür auf die Erkenntnisse aus der Recherchephase zurück. Wenn Sie eine Liste mit vergleichbaren Angeboten erstellt haben, prüfen Sie jetzt noch einmal, ob Ihr fertiges Produkt in eine Kooperation mit einem vergleichbaren Produkt eintreten kann. Wenn Sie einen Instagram-Kanal gestartet haben, könnten Sie bei inhaltlich passenden Angeboten anfragen, ob der Account einen Post von Ihnen in der Story teilen würde und umgekehrt. Ebenso könnten Sie wechselseitig Hinweise in Newslettern platzieren. Oder auf YouTube Communityposts mit Hinweisen zu Partner-Accounts platzieren. Dieses so‐ genannte Seeding, also das Säen von Inhalten auf anderen Plattformen, kann durchaus gewinnbringend sein. Haben Sie einmal eine Seeding-Liste mit Partner: innen zusammengestellt und die Partnerschaften waren ertragreich, können Sie immer mal wieder Koops ausmachen. Hinterfragen Sie weiterhin alles. Auch wenn Testnutzer: innen die Prototypen aus der bisherigen Formatent‐ wicklung gesehen und kritisiert haben und dieses Feedback in das Produkt zurückgeflossen ist - verlässliche Daten, ob ein digitales Produkt beim Publikum ankommt oder nicht, sammeln Sie erst nach dessen Start. Und so smart und präzise das Formatkonzept und der Formatkatalog auch verfasst sind, scheuen Sie nach dem Start des Produkts auf gar keinen Fall davor zurück, diese zentralen Dokumente noch einmal anzufassen. Machen Sie es sich nicht bequem. Verhindern Sie, dass Ihr Team zu schnell in eine Routine hineingerät und einfach nur abarbeitet. Hinterfragen Sie gemeinsam erst einmal alles. Setzen Sie dafür weitere regelmäßige Retro‐ 142 Start und Evaluation <?page no="143"?> spektiven an - abhängig davon, wie oft Beiträge eines Produkts erscheinen. Wenn Sie einen wöchentlichen Newsletter produzieren, kommen Sie mit Ihrem Team am Ende eines Monats zusammen. Produzieren Sie täglich mehrere Beiträge für einen Social-Media-Kanal, trommeln Sie das Team wöchentlich oder zweiwöchentlich für eine Retrospektive zusammen. Prüfen Sie die Leistungskennzahlen und passen Sie den Formatkatalog an. Zwei Dokumente spielen bei den Meetings eine Rolle: das Reporting sowie der Formatkatalog. Mithilfe des Reportings stellen Sie fest, wie Ihre Zielgruppe das Produkt annimmt. Sind Sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden, können Sie im Formatkatalog sehr leicht prüfen, welche Regeln nachzujustieren sind. Ein Beispiel: Im Gespräch mit der Chefredaktion haben Sie die Interakti‐ onsrate als essenzielle Leistungskennzahl für Ihre Videoserie auf YouTube definiert. In der Konzeptionsphase haben Sie als inhaltliche Regeln im For‐ matkatalog festgehalten, dass die Moderatorin am Ende eines Beitrags das Publikum aufruft, die Meinung zu einer Frage in die Kommentare zu schreiben. Nach dem Start des Kanals stellen Sie nun fest, dass die Interaktionsrate gering ist. Offenbar funktioniert der Aufruf am Ende nicht. Sie beschließen, die inhaltliche Regel im Formatkatalog zu ändern und schreiben vor, dass eine die Kommentare anregende Frage direkt nach dem Intro gestellt wird. Oder: Sie haben die Klickrate als wichtige Kennzahl für einen Newsletter definiert. Doch die Klickrate ist Ihnen zu gering. Sie stellen fest, dass die Leser: innen überwiegend Artikel anklicken, die mit einem Foto angeteasert werden. Deshalb fassen Sie die ästhetischen Regeln an und definieren nun, dass jeder Artikel mit einem Foto zu illustrieren ist in der Hoffnung, dadurch die Klickrate zu steigern. Wichtig ist, dass Sie nicht alle Stellschrauben auf einmal nachziehen. Damit Sie gezielt untersuchen können, welche Handlung welchen Effekt ausgelöst hat, sollten Sie das Nachjustieren des Formatkatalogs und damit der Beitragserstellung staffeln. Priorisieren Sie, von welcher Veränderung Sie sich am meisten erhoffen und starten Sie mit dieser. Die anderen folgen dann. Überlegen Sie dabei, wie lange Sie beobachten sollten, ob eine Veränderung wirklich zu einem positiven Effekt geführt hat. Nach nur einem Beitrag darauf zu schließen, dass eine Veränderung gewirkt hat, wäre übereilt. Nehmen Sie sich für Anpassungen Zeit. Prüfen Sie die Leistungskennzahlen und passen Sie den Formatkatalog an. 143 <?page no="144"?> Behalten Sie das Wohlbefinden des Teams im Auge. Bisher war alles aufregend. Während der Formatentwicklung konnten Ihre Kolleg: innen aus ihrer Alltagsroutine ausbrechen. Sie durften kreativ sein, sich ausprobieren und haben Neues gelernt. Wenn Sie als Projektleitung Ih‐ ren Job gut gemacht haben, waren die Ideenfindungs- und Testphase mit viel Euphorie verbunden. Nun wird die Produktion des neuen digitalen Produkts allerdings nach und nach selbst zur Routine. Auch wenn Sie zwischendurch immer wieder am Format werkeln. Darunter kann die Begeisterung des Teams leiden. Im Sinne einer nachhaltigen Formatentwicklung sollten Sie nach dem Start nicht nur das Produkt, sondern auch die Stimmung sowie den Ener‐ gielevel des Teams evaluieren. Sind die Aufgaben so an die Kolleg: innen verteilt, dass sie keinen Stress und Druck erzeugen? Und wenn das der Fall ist: Wie ließe sich das ändern? Können Workflows optimiert werden? Oder müssen Ressourcen erhöht werden? Spiegeln Sie diese Beobachtungen regelmäßig der Chefredaktion. Teilen Sie Ihren Vorgesetzten nicht nur kühl Zahlen mit, sondern sprechen Sie auch immer wieder über das Team. Wenn es hakt, aber ebenso auch, wenn alles gut läuft. ► Johannes Middelbeck über die Evaluation: „Jetzt geht die Entwicklungsarbeit erst richtig los“ Johannes Middelbeck ist Gründer und Chief Creative Officer (CCO) des Digitalstudios DRIVE beta. Die circa 80 Mitarbeitenden der Ber‐ liner Produktionsfirma haben sich auf die Entwicklung von Video- Formaten in den Bereichen Doku, Entertainment und Hochkant spe‐ zialisiert. DRIVE beta hat insbesondere mehrere Formate für den öffentlichrechtlichen Rundfunk erdacht und umgesetzt - darunter funk-Kanäle wie „Hundert Hektar Heimat“ und „TRU Doku“ oder das Debatten- Format „Auf der Couch“ für die ZDF Mediathek. Johannes’ Arbeit besteht unter anderem darin, sich mit Pitches auf Ausschreibungen zu bewerben, einzelne Dokus oder Reihen zu forma‐ 144 Start und Evaluation <?page no="145"?> tieren und sie auch über den Start hinaus zu begleiten. Wie es nach einem Launch weitergeht, erzählt er im Interview. Johannes, nach mehreren Monaten Entwicklung ist ein neuer Kanal von euch auf dem Markt. Ist dein Job damit getan? Johannes Middelbeck: Nein, und das ist das Spannende an der Arbeit mit digitalen Formaten. Jetzt geht die Entwicklungsarbeit erst richtig los. Dabei hilft das unmittelbare Feedback der Nutzer: innen, das uns Hinweise darauf gibt, wie wir ein Format thematisch, dra‐ maturgisch, aber auch visuell weiterentwickeln müssen, um es zum Erfolg zu führen. So war es bei uns zum Beispiel bei „TRU Doku“. Da sind wir zunächst breit gestartet und haben auf dem YouTube- Kanal verschiedene Autor: innenstücke ausprobiert. Erst durch das User: innen-Feedback und das sukzessive Testen von Themen und dokumentarischen Erzählweisen hat sich ein Format rausgeschält. Wie sah dieses Feedback aus? Wir haben festgestellt, dass einzelne Filme deutlich überperformten, und zwar über viele Parameter hinweg: Reichweite, Zuschauerbin‐ dung, aber auch Kommentarvolumen. Dann haben wir uns ange‐ schaut, was diese Filme verbindet und von anderen unterscheidet. Dabei wurde klar, dass die Ausreißer erstens einer dramaturgischen Formel folgten und beinahe prototypisch als Held: innenreise erzählt waren und zweitens auffällig oft emotionale Themen und weibliche Protagonist: innen im Fokus standen. Mit diesen Insights konnten wir den Markenkern unseres Formats immer weiter schärfen. Ihr habt in der Vergangenheit einige YouTube-Reihen auf den Weg gebracht. Auf welche Key Performance Indicators (KPI) guckt ihr bei der Plattform besonders intensiv? Der erste Blick nach Veröffentlichung eines neuen Videos geht auf die Watchtime beziehungsweise die Retention Rate - also darauf, wie lange die User: innen ein Video angeguckt haben. Dieser Wert ist für den YouTube-Algorithmus einer der wichtigsten Indikatoren dafür, wie vielen Nutzer: innen dein Inhalt ausgespielt wird. Aber auch die Klickrate, die Hinweise darauf gibt, wie gut dein Versprechen in Thumbnail und Videotitel funktioniert, ist einen Blick wert. Später schauen wir uns dann Views und Gesamtreichweiten an. Schaut man aus der Vogelperspektive auf den ganzen Kanal, werden Daten über ► Johannes Middelbeck über die Evaluation 145 <?page no="146"?> die Community interessant: Wer schaut unsere Videos, und vor allem: Wer schaut sie immer wieder? Ihr habt nun festgestellt: Ein Format funktioniert noch nicht. Setzt ihr die Veränderungen unmittelbar um oder zieht ihr Stellschrauben nach und nach an, damit fürs Publikum kein krasser Bruch entsteht? Das ist ein schmaler Grat. Wenn das Nutzer: innenfeedback sehr eindeutig ist und es sich um kleinere Anpassungen wie zum Beispiel Videoeinstiege oder Wordings im Thumbnail handelt, setzen wir Ver‐ änderungen schon mal sofort und manchmal sogar noch rückwirkend nach Veröffentlichung um, zum Beispiel indem wir den Titel ändern. Unsere Erfahrung zeigt aber auch, dass es gefährlich ist, vorschnelle Schlüsse aus Daten zu ziehen und in Aktionismus zu verfallen. Nicht überall, wo sich in den Zahlen eine Korrelation auftut, ist es am Ende auch eine Kausalität. Und manchmal muss man einem Format einfach etwas Zeit geben - das ist auf YouTube genauso wie im Fernsehen. Was funktioniert auf YouTube eigentlich so richtig gut? Das kann man im Jahr 2022 nicht seriös beantworten. Ein 10-Stunden- Video, das den Flug von Seoul nach London aus dem Fenster zeigt, funktioniert zum Beispiel richtig gut. Eine geklaute ZDF-Info-Doku auch. Treckervideos - das weiß ich seit „Hundert Hektar Heimat“ - funktionieren extrem gut. Das Einzige, was man also als allgemein‐ gültiges Erfolgsrezept formulieren kann, ist: Finde deine Community. Dass ein Format der Community gefällt, ist natürlich wichtig. Welche Rolle spielt es für die Weiterentwicklung, ob euch selbst das Format gefällt? Für mich persönlich gesprochen kann ich behaupten, dass wir kein einziges Format produzieren, das ich nicht mag. Wir sind da mittler‐ weile aber auch sehr selektiv. Trotzdem gilt: Wenn man wie wir für ganz unterschiedliche Communities entwickelt, ist es eine Challenge, sich auf andere Lebenswelten und Nutzungsgewohnheiten einzulas‐ sen und zu akzeptieren, dass ich nicht zwingend selbst der Zuschauer bin. Aussagen wie „Aber es klickt doch“ oder „Die Community will das so“ finde ich trotzdem faul. Ich bin der Überzeugung, dass gute Inhaltemacher: innen auch in Videos für eine ganz andere Zielgruppe Qualität erkennen und dabei ihr Bauchgefühl einsetzen können. 146 Start und Evaluation <?page no="147"?> Am Ende dieses Buches wird es um die Frage gehen, wie man ein Projekt gedanklich loslässt, um sich frisch dem nächsten zu widmen. Hast du dafür einen Tipp? Mir hilft das „offizielle“ Abschiednehmen. Wenn ein Projekt von meinem Tisch wandert: Ein Übergabemeeting, in dem ich alles sagen kann, was ich noch zu sagen habe. Wenn ein Projekt zu Ende geht - und nicht in den Sand gesetzt wurde: Anstoßen und Feiern mit dem Team. ► Johannes Middelbeck über die Evaluation 147 <?page no="149"?> Check-out Was bisher geschah | Sie haben mit einer planvollen Formatentwick‐ lung ein vom Team umsetzbares Produkt ausformuliert und es bis zur Marktreife begleitet. Bei der Evaluation haben Sie festgestellt, dass das Produkt gut bei Ihrem Publikum ankommt. Was alternativ geschah | Im Verlauf einer planvollen Formatent‐ wicklung haben Sie festgestellt, dass die Idee für ein Produkt nicht tragfähig und machbar ist. Das kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unterschiedlichen Phasen geschehen sein. Womöglich erst nach dem öffentlichen Start des Produkts. Trotz ausgiebiger Evaluation und kontinuierlicher Anpassung wollte Ihr Podcast, Newsletter oder Social- Media-Kanal nicht zünden. Ihre Chefredaktion hat deshalb beschlossen, das Produkt wieder vom Markt zu nehmen. Was nun geschieht | Im Check-in haben wir konstatiert, dass Forma‐ tentwicklung für Formatentwickler: innen stets eine Projektarbeit ist. Nach Einführung des Produkts oder nach dessen vorzeitigem Aus heißt es: Abschied nehmen. Im Check-out klären wir, was es dabei zu beachten gibt. Lernen Sie, sich überflüssig zu fühlen. Die Formatentwicklung war eine intensive Zeit, alles daran aufregend. Sie haben Ihre Wohlfühlzone verlassen und neues Terrain betreten, sich mit neuen Themen, neuen Plattformen, neuen Zielgruppen, einem neuen Team und mit neuen Arbeitsabläufen beschäftigt. Es ist selbstverständlich, dass Sie zu dem entwickelten digitalen Produkt eine enge Bindung aufgebaut haben. Und ebenso zu dem Team, mit dem Sie es ins Leben geholt haben. Jetzt müssen Sie Abschied nehmen. Im Mandatsgespräch haben Sie idealerweise mit der Chefredaktion geklärt, wer aus dem Team langfristig die Produktion des Newsletters, Podcasts oder Social-Media-Accounts über‐ blickt und anleitet. Andernfalls ist jetzt der Moment, Ihre Nachfolge zu klären. In der Regel dürfte die Entscheidung auf eine: n Redakteur: in fallen, der: die gute Organisationsfähigkeiten mitbringt und ein Team anleiten <?page no="150"?> kann. Übergeben Sie dieser Person das Zepter. Vollziehen Sie diesen Akt ruhig formell. In einem Teammeeting können Sie verkünden, wer von nun an die Produktion verantwortet und dass Sie sich langsam verabschieden werden. Und dann: Ziehen Sie sich auch wirklich zurück, nehmen Sie operativ nicht mehr an der Produktion teil. Wenn Sie sich in Meetings Ihr Produkt betreffend überflüssig fühlen, haben Sie alles richtig gemacht. Sichten Sie alle Dokumente. In der Mandatierungsphase haben wir über Wissensspeicherung gespro‐ chen. Sofern Sie sich an den Vorschlägen der Übung „Organisieren Sie sich! “ orientiert haben, dürfte Ihnen in einer Cloud nun Folgendes vorliegen: In Ordnern zu einer jeden Phase ist das Material gesammelt, das Sie und Ihr Team während der Formatentwicklung recherchiert, erarbeitet und produziert haben. Sichten Sie die Gesamtheit der Dokumente. Sie werden dabei feststellen, dass es sich hierbei um einen Schatz handelt, dessen Wert über die aktuelle Formatentwicklung hinausreicht. Zum Beispiel haben Sie in der Recher‐ chephase Kontakte zu anderen Medienhäusern hergestellt, mit denen ein Austausch auch in Zukunft sinnvoll wäre. Sie sind auf Studien gestoßen, die für Ressorts oder Ihre Chefredaktion sinnvoll zu kennen wären. Sie haben an neuen Produkten interessierte Nutzer: innen akquiriert, die Sie auch für künftige Formatentwicklungen ansprechen können. Sie haben zahlreiche Stakeholder: innen kennengelernt, mit denen Sie bei künftigen Projekten erneut zusammenkommen können. Und Sie haben plattformspezifisches Wissen gesammelt, das für die Optimierung kommender Produkte verwen‐ det werden kann. Arbeiten Sie sich durch die Ordner mit der Frage, welche Unterlagen sich zweitverwerten lassen. Können Sie Erkenntnisse aus der Recherche zu einer Präsentation zusammenfügen und einem Ressort einen Workshop geben? Haben Sie spannende Tools entdeckt, die auch andere Teams im Haus bei der Arbeit helfen könnten? Gibt es Templates, die an anderer Stelle ebenfalls eingesetzt werden können? Haben Sie eine Meetingstruktur erdacht, durch die Sie Ihre Kolleg: innen besonders aktivieren konnten - und sollten vielleicht manche redaktionellen Konfis nach diesem Muster umstrukturiert werden? 150 Check-out <?page no="151"?> Im Laufe der Formatentwicklung haben Sie einiges gelernt. Werfen Sie dieses Wissen nicht weg. Insbesondere wenn es Ihrem zu entwickelnden digitalen Produkt nicht vergönnt war, tatsächlich zu starten oder es kurz nach dem Start eingestellt wurde, sollten Sie aus der Entwicklung alles Wissen mit sich nehmen. Womöglich lässt sich das Rohmaterial für die bislang entstandenen Bei‐ träge noch verwenden? Vielleicht können Sie aus langen Podcast-Gesprä‐ chen O-Töne für einen oder mehrere Artikel für Ihre Website destillieren. Oder die für eine Videoserie gesammelten zeitlosen Schnittbilder eignen sich für ein künftiges Videoprojekt. Das für einen Social-Media-Kanal entstan‐ dene Design kann gegebenenfalls mit anderer Farbwahl für einen anderen Kanal verwendet werden. Recyclen Sie, was geht. Es wird das Gefühl, gescheitert zu sein, deutlich abschwächen, wenn Sie sich das Gelernte vergegenwärtigen. Übergeben Sie die Ordner schließlich besenrein an die designierte Per‐ son, die künftig für das Produkt verantwortlich sein wird. Hat der: die Redakteur: in Zugriff auf alle Dokumente und die notwendigen Rechte? Idealerweise übertragen Sie die Eigentümer: innenschaft sämtlicher Doku‐ mente auf die neue Ansprechperson. In der Mandatierungsphase haben wir über Wissensspeicherung gesprochen. Sofern Sie sich an den Vorschlägen der Übung „Organisieren Sie sich! “ orientiert haben, dürfte Ihnen in einer Cloud nun Folgendes vorliegen: In Ordnern zu einer jeden Phase ist alles Material gesammelt, das Sie und Ihr Team während der Formatentwicklung recherchiert, erarbeitet und produziert haben. Veranstalten Sie ein Debriefing. Ihr Abschied vom Produkt ist ein wichtiger Einschnitt in dessen Lebens‐ zyklus: Die Formatentwicklung ist beendet, die langfristige Produktion beginnt. Dieser Moment kann ruhig in angemessenem Rahmen feierlich begangen werden. Setzen Sie dafür ein letztes Meeting mit dem Team an. Laden Sie dazu ruhig alle an der Formatentwicklung beteiligten Personen ein. Sämtliche Stakeholder: innen auf der im Mandatsgespräch angefertigten Liste sollten kommen dürfen. Egal, ob diese Kolleg: innen noch mit der Produktion zu tun haben oder nicht. Haben Sie unterwegs auch immer wieder auf die Unterstützung durch Freelancer: innen zurückgegriffen, laden Sie auch diese ein. Veranstalten Sie ein Debriefing. 151 <?page no="152"?> Bei dem Meeting wollen Sie unmissverständlich kommunizieren, dass die Formatentwicklung beendet ist und Sie nicht länger die zu kontaktierende Person für das entstandene Produkt sind. Bei dieser Gelegenheit bietet es sich zudem an, eine letzte Retrospektive durchzuführen. Gerade das Feedback eher aus der Ferne beteiligter Stakehol‐ der: innen oder auch aus der Formatentwicklung ausgeschiedener Personen kann neue Perspektiven auf Ihre Arbeit geben. Schließlich können Sie sich verabschieden. Vergessen Sie nicht: Für das von Ihnen zusammengestellte Team geht die Arbeit bestenfalls lange weiter. Werden Sie deshalb nicht allzu wehmütig. Natürlich dürfen Sie sagen, dass es schade ist, dass die Zeit der Formatentwicklung endet. Aber Sie wollen unbedingt vermeiden, dass das Team in ein Motivationsloch stürzt. Seien Sie aufmunternd, freuen Sie sich aufrichtig auf zukünftige Beiträge und beenden Sie das Meeting positiv. Auch dann, wenn das Produkt beerdigt worden ist. In diesem Fall fassen Sie zusammen, welches Wissen und welches Material Sie aus dem Projekt überführen wollen. Aus welchem Rohmaterial können noch Beiträge für die Website werden? Welche Dokumente werden zu Vorlagen für kommende Projekte? Welche Erkenntnisse können als Arbeitsgrundlage für künftige Formatentwicklungen herangezogen werden? Je mehr Sie mitnehmen, desto mehr wird das Team den Eindruck haben, dass die Arbeit sinnvoll gewesen ist. Und dann: Atmen Sie durch. Blicken Sie nach vorn. Das Ende einer Formatentwicklung ist der Beginn der nächsten. 152 Check-out <?page no="153"?> Sachregister Acasts-16 Animoto-142 Apple Podcasts-16 Artlist.io-37 Bearbeitungsrechte-121 Brainstorming-88 Budget-56, 60 Buzzsprout-37 Canva-118 Cloud-73 Communitytreffen-125 Content Piece-14 Debriefing-151 Deezer-16, 37 Design Thinking-99 Diversität-70 Email Resources-95 Equipment-56, 60 Evaluation-19, 141 Feedly-40 Font Awesome-37 Format-13f Formatentwicklung-17 Formatentwicklung, Aufgaben-28 Formatkatalog 25, 110, 113, 122, 131, 143 Formatkonzept-103, 106 Formatregeln-26 Formattest-19, 131 Gewinnspiel-125 Google Podcasts-37 Google Workspace-74 Ideenfindung-75, 85, 87 Ideenfindungsphase-19 Instagram-37, 110 Instagram-Reels-114 Kalkulation-60 Key Performance Indicators 63, 126, 145 Klickrate-143, 145 Konkurrenz-49, 92, 107 Konzeptionsphase-19 Kreativität-86 Kreativworkshop-85f Later-16 Leistungskennzahlen-63, 126, 143 LinkedIn-48, 50f Logline-105f Mailchimp-16 Mail-Plattform-95 Mandatierung-53 Mandatierungsphase-19, 37, 132 Mandatsgespräch-53, 61, 149 Marke-31 Martkforschung-42 Minimum Viable Product-99 Moderator: in-81 Moodboard-117 One-Pager-103 <?page no="154"?> Performingphase-76 Persona-45 personelle Ausfälle-135 Plattform-13, 15, 34, 92, 107 PodBean-37 Podcast-14, 37, 91 Podigee-16, 37 Premium Beat-37 Pressemitteilung-141 Problem Space-99 Produkt-14 Produktidee-92 Projekt-28, 75 Projektarbeit-28 Projektdefinition-71 Quiz-125 Recherche-33 Recherchephase-19, 95, 106, 142 Regeln- ästhetische-23, 25, 143 inhaltliche-23, 25, 143 partizipative-23, 25, 113, 121 strategische-23, 25f, 113, 122, 134 technische-23, 25 Reporting-126, 143 Retention Rate-145 Retromat-102 Retrospektive-77, 101f, 142, 152 Rollenkonflikte-70 Seeding-141f Sendinblue-16 Service-16, 34 Slack-Channel-51 SocialFlow-16 Solution Space-99 Soundstripe-37 Spotify-16, 37 Stakeholder: innen-62, 66, 69, 103 Stakeholderanalyse-67 Stakeholder-Map-62 Strategie-54, 63 Team-56, 58, 69, 92, 97, 100 Teamentwicklung-75 Teamleitung-75 Teammeeting-78, 80, 83 Template-117f The Noun Project-37 TikTok-49, 55 Tools-71, 85 Tutorial-117, 120 Twitch-83 Twitter-48, 50 Typeform-45 Umfrage-43, 47, 125 Unsplash-46 Unternehmenskommunikation-141 Veröffentlichungsfrequenz-134 Vision-54, 63 Watchtime-145 Werkzeuge-71 Wissensorganisation-73 Workshop-88, 90 XING-51 Zeitplan-56 Zielgruppe-41f, 45, 64, 107, 121 154 Sachregister <?page no="155"?> Formate Auf der Couch, Videoserie, ZDF-144 Deep Doku, Podcast, rbb-104 deep und deutlich, Videoserie, NDR 133 Die Fahrrad-Fanatiker, Videoserie, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag-47 duhastdiewahl (heute: funke), TikTok- Account, Funke-55 Eine Runde Berlin, Podcast, Tagesspiegel-137 faz, TikTok-Account, FAZ-141 Finding van Gogh, Podcast, Städel- Museum-105 Hundert Hektar Heimat, Videoserie, funk-144 ichbinsophiescholl, Instagram- Account, SWR/ BR-92 Lanz & Precht, Podcast, ZDF-135 Liechtenstein in Stalinstadt, Podcast, rbb-104 Mensch & Mythos, Podcast, Audible-104 Mixtalk, Videoserie, SWR-87 Mord verjährt nicht, Podcast, rbb-104 News-WG, Instagram-Account, BR24-27 NEWSZONE, App, SWR-97 Prost und Contra, Videoserie, rbb-87 radioeins, Instagram-Account, radioeins-17 rheinischepost, Instagram-Account, Rheinischen Post-23 rheinischepost, TikTok-Account, Rheinische Post-55 Sack Reis, Podcast, Das Ding-133 Sag’s mir, Videoserie, ZDF-87 Spurensuche, Podcast, Stern-17 Tagesschau in 100 Sekunden, Videoserie, ARD-23 tickr.news, Instagram-Account, WDR-135 TRU Doku, Videoserie, funk-144 Was für ein Tag! , Newsletter, ZEITmagazin-135 Was wir lesen, Newsletter, Freunde der ZEIT-124 Weekly Obsession, Newsletter, Quartz-27 your.money, TikTok-Account, funk-26 <?page no="156"?> BUCHTIPP Rainer Nübel, Susanne Doppler Storyporting Wie aus Storytelling und Reporting eine konstruktive Kommunikationsform entsteht 1. Auflage 2022, 232 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-7398-3120-6 eISBN 978-3-7398-8120-1 Storytelling hat seine Stärken u. a. in der anschaulichen Vermittlung von Erfahrungswissen. Doch in der öffentlichen Kommunikation werden Narrative zunehmend manipulativ missbraucht. Dieses Buch liefert die Storyporting-Methode: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzbasiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die subjektive Wahrnehmung und Analyse verbindet und daraus lösungsorientierte Konzepte entwickelt. Praxisbeispiele und Tools zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Storyportings, etwa bei Änderungsprozessen in Unternehmen, Kommunen und Organisationen. Das Buch richtet sich an Lehrende, Studierende, Funktionsträger: innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien und Bildung sowie an interessierte Bürger: innen. UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="157"?> BUCHTIPP Julia Lück-Benz Statistik für Journalist: innen Grundlagen und Praxis 1. Auflage 2022, 309 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-5340-0 eISBN 978-3-8385-5340-5 Grundlegende Kenntnisse in Statistik sind für Journalist: innen mittlerweile unerlässlich. Durch die stetig wachsende Menge an verfügbaren Daten steigen auch die Anforderungen, diese gut und logisch aufzubereiten, auszuwerten und darzustellen. Darüber hinaus werden Journalist: innen regelmäßig mit Studien und Statistiken konfrontiert. Deren Qualität und Gültigkeit richtig einzuschätzen, ist unabdingbar, um unabhängige und sorgfältige Berichterstattung sicherstellen zu können. Das vorliegende Lehrbuch führt in die Grundlagen der Statistik ein, klärt zentrale Begriffe und Methoden und zeigt die Anknüpfungspunkte zur alltäglichen journalistischen Arbeit. Die Studierenden lernen, wie sie die Qualität von Daten und Studien kritisch beurteilen und wie sie selbst korrekte Statistiken herstellen, um sie in qualitativ hochwertige Berichte einfließen zu lassen. UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="158"?> ISBN 978-3-7398-3222-7 Mark Heywinkel ist Leiter Formatentwicklung bei ZEIT ONLINE in Berlin. Er verantwortet unter anderem die Weiterentwicklung von Social-Media-Kanälen sowie die Umsetzung neuer Newsletter und Videoprojekte. So erhält eine Idee ein klares Format Ihre Redaktion möchte einen Podcast, Newsletter oder Social- Media-Kanal starten - doch Sie wissen nicht, wie das Projekt angestoßen und langfristig umgesetzt werden kann. Dieses Buch hilft Ihnen dabei, digitale Produkte zu entwickeln. Praxisnah erklärt Mark Heywinkel die Grundlagen der Formatentwicklung. Er zeigt, in welchen Phasen Redaktionen ihr Publikum analysieren, Produktideen erdenken, Prototypen bauen und geordnet Formate erstellen können. Ein Buch für alle in Zeitungs-, TV- und Radioredaktionen, die ihre Marke im Digitalen erfolgreich positionieren möchten.