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Projektverträge

Ein Leitfaden für Projektmitarbeiter:innen

0515
2023
978-3-7398-8240-6
978-3-7398-3240-1
UVK Verlag 
Christoph Zahrnt
10.24053/9783739882406

Bei der Arbeit in Projekten hat man auf verschiedene Weise mit dem Vertragsrecht zu tun. Das Buch unterstützt beispielsweise dabei, was bei der Erstellung einer Leistungsbeschreibung aus rechtlicher Sicht beachtet werden sollte. Die Leistungsbeschreibung kann den größten Teil des Vertragsdokuments ausmachen. Der Autor erklärt zudem, was bei der sachgerechten Projektdurchführung in rechtlicher Hinsicht zu beachten ist. Hier spielt insbesondere die Abnahmeprüfung eine zentrale Rolle.

<?page no="0"?> Christoph Zahrnt Projektverträge Ein Leitfaden für Projektmitarbeiter: innen <?page no="1"?> Projektverträge <?page no="2"?> Dr. Christoph Zahrnt ist examinierter Jurist und Diplom-Volkswirt. Als Sachbuchautor und als Organisationsberater von Softwareanbietern hat er sich intensiv mit den Methoden für das Erstellen von Texten beschäftigt und hat Mitarbeiter: innen im Erstellen von Texten trainiert. Jetzt arbeitet er zusätzlich als Trainer, Coach und Lektor im Bereich Schreiben. <?page no="3"?> Christoph Zahrnt Projektverträge Ein Leitfaden für Projektmitarbeiter: innen UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagmotiv: © ljubaphoto · iStockphoto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783739882406 © UVK Verlag 2023 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7398-3240-1 (Print) ISBN 978-3-7398-8240-6 (ePDF) ISBN 978-3-7398-0634-1 (ePub) <?page no="5"?> Vorwort Bei der Projektarbeit auf der Basis von Verträgen haben Sie auf verschiedene Weise mit dem Vertragsrecht zu tun. Dementsprechend brauchen Sie für Ihre Arbeit Wissen und Empfehlungen auf unterschiedlichen Stufen. Das Buch ist ganz auf diese Situation hin ausgerichtet. Es geht davon aus, dass es eine organisatorische Ebene oberhalb von Ihnen gibt, die für alles spezifisch Rechtliche zuständig ist. Das entlastet Sie bei Ihrer Arbeit und auch jetzt beim Lesen: Sie brauchen sich nicht mit so vielem Komplizierten zu belasten. Sie haben Aufgaben durchzuführen. Hierfür sollten Sie einiges Rechtliche gut wissen, damit Sie es bei Ihrer Arbeit berücksichtigen können, beispielsweise was Sie bei der Erstellung einer Leistungsbeschreibung aus rechtlicher Sicht beachten sollten. Die Leistungsbeschreibung kann den größten Teil des Vertragsdokuments ausmachen. Für den rechtlichen Teil des Vertrags ist die obere Ebene / Leitungsebene zuständig. Zu deren Themen brauchen Sie kein gründliches Wissen zu haben. Dementsprechend geht das Buch kaum darauf ein. Sie sollten auch eine ungefähre Vorstellung davon haben, was bei der Projektdurchführung in rechtlicher Hinsicht abläuft, damit Sie Ihre Aufgaben sachgerecht durchführen können. Beispielsweise was Sie bei einer Abnahmeprüfung tun und was Sie nicht tun sollten. Ihr Handeln könnte zu komplizierten und riskanten rechtlichen Situationen führen. Da geht es für Sie darum, diese möglichst zu vermeiden. Dazu brauchen und erhalten Sie Erläuterungen und Empfehlungen, auch da reicht eine ungefähre Vorstellung von der rechtlichen Situation. Wenn beispielsweise Schriftform vereinbart worden ist, sollten Sie grundsätzlich keine mündlichen Vereinbarungen treffen, auch wenn diese in gewissen Fällen geschäftspolitisch plausibel und rechtlich wirksam sind. Auseinandersetzungen oder sogar Streit können drohen oder können sogar schon eingetreten sein. Dann ist die obere Ebene zuständig. Sie können vorbeugend dagegenwirken. Das Buch nennt Ihnen Maßnahmen dazu. In solchen Situationen werden Sie mit einem Rechtsberater sprechen: Sie erfahren in diesem Buch, wie der denkt. So können Sie mit diesem erfolgreich kommunizieren. <?page no="6"?> 6 Vorwort Sie sollen kein Schmalspur-Jurist werden. Aber Sie sollten Ihre Arbeit auf der Grundlage von Verträgen beherrschen. Es ist dann Ihre Sache herauszufinden, wie Sie kluges Management betreiben. Neckargemünd, April 2023 Christoph Zahrnt Genderhinweis Ich bitte die Leserinnen um Verständnis, dass ich in diesem Sachbuch Wörter im generischen Maskulinum nicht gendergemäß ersetze. Diese Wörter werden im funktionalen Zusammenhang verwendet. Sie beziehen sich meist auf Organisationen. Es geht hier nicht um den Gleichrang von Frauen mit Männern. Das Vertragsrecht verwendet durchgängig die Wörter im generischen Maskulinum. Es würde Sie vermutlich irritieren, wenn Sie in diesem Buch Rechtsbegriffe teilweise ungegendert und teilweise gegendert lesen würden. Ich kann auch nicht, wie Gender-Anhänger: innen propagieren, aus dem genderunfreundlichen Singular in den Plural ausweichen. Denn es geht um die spezifische Situation zwischen zwei Singularitäten. [Zum Gendern siehe Schreiben in Projekten Anhang C] Vor Gericht erscheinen meistens Organisationen / juristische Personen. Deswegen spreche ich in diesem Zusammenhang neutral von „Parteien“ bzw. von der „Klägerin“ und von der „Beklagten“. - Es bleibt beim „Richter“, weil die Rechtsvorschriften auf den „Richter“ abstellen. An den Gerichten, die für Prozesse über Projekte zuständig sind, werden unter „Richtern“ selbstverständlich auch Frauen verstanden, zumal Frauen die Mehrheit dieser Richterschaft bilden. <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... 5 Genderhinweis ............................................................................................... 6 1 Wie Sie das Buch nutzen können ...........................................11 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen ..................................17 Grundzüge des Vertragsrechts ................................................... 17 2.1.1 Die Rechtsvorschriften ............................................................ 18 2.1.2 Die wichtigsten Gesetze für Ihre Verträge ......................... 28 2.1.3 Vertragsfreiheit und ihre Grenzen........................................ 34 2.2.1 Schritt 1: Anspruchsgrundlagen und Abwehrgrundlagen. 39 2.2.2 Schritt 2: Darlegen der Voraussetzungen............................ 42 2.2.3 Schritt 3: Die Beweislast.......................................................... 45 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen .............................. 50 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis ......................................61 Vertragsvorbereitung und -abschluss ...................................... 61 3.1.1 Antrag und Annahme ergeben einen Vertrag.................... 61 3.1.2 Der Vertragsantrag................................................................... 63 3.1.3 Annahme und „Auftragsbestätigung“ .................................. 66 3.1.4 Schweigen: nur selten Zustimmung ..................................... 68 3.1.5 Schriftform ................................................................................. 71 3.1.6 Letter of Intent und Verträge im Vorfeld ............................ 76 3.1.7 Vertragsabschluss mit „Telekommunikationsmitteln“..... 79 3.1.8 Bedingungen dafür, dass etwas gelten soll ......................... 79 3.1.9 Unternehmerisches Bestätigungsschreiben ........................ 81 3.1.10 Noch einige Hinweise zu Verträgen .................................. 85 3.2 Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung .......................... 87 3.3 Was wird in welcher Reihenfolge Vertragsbestandteil ........ 93 3.4 Vorvertragliche Pflichten............................................................ 97 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen ........................................ 100 <?page no="8"?> 8 Inhaltsverzeichnis 4 Allgemeines zu den Ansprüchen .........................................107 Art von Ansprüchen auf Leistung / Erfüllung ......................107 4.2 Vergütung.....................................................................................108 4.3 Fälligkeit von Leistungen ..........................................................110 4.4 Leistungsort / Erfüllungsort .....................................................111 4.5 Pflichten im eigenen Interesse / Obliegenheiten .................113 4.6 Mitwirkung des Kunden............................................................113 4.7 Kündigung ....................................................................................114 4.8 Leistungsverweigerungsrechte, Aufrechnung......................115 4.9 Störung der Geschäftsgrundlage .............................................116 4.10 Verjährung und Verwirkung ....................................................118 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten ..................................................................................122 Charakterisierung dieser Vertragstypen................................123 5.2 Abgrenzung Kauf (auch Werklieferung) zu Werkvertrag .124 5.3 Abgrenzung Werkvertrag zu Dienstvertrag .........................126 6 Kaufverträge ............................................................................131 Grundzüge ....................................................................................131 6.2 Geschuldete Leistungen: Umfang und Eigenschaften.........134 6.3 Vertragsdurchführung ...............................................................137 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen ..................................................................................................137 6.4.1 Beweislast für das Vorliegen von Mängeln .......................138 6.4.2 Der Anspruch auf Nacherfüllung ........................................141 6.4.3 Minderung und Rücktritt ......................................................145 6.4.4 Schadensersatzansprüche......................................................146 6.4.5 Kenntnis von Mängeln, Kaufmännische Untersuchungs- und Rügeobliegenheit ............................................................146 6.4.6 Verjährung................................................................................148 6.4.7 Garantien ..................................................................................150 6.4.8 Vergütung für die Beseitigung von Störungen beim Kunden ......................................................................................153 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 7 Werkverträge ...........................................................................155 Grundzüge des Werkvertragsrechts ....................................... 156 7.2 Geschuldete Leistungen ............................................................ 157 7.2.1 Umfang und Eigenschaften des Werks .............................. 160 7.2.2 Weitere geschuldete Leistungen ......................................... 168 7.3 Durchführung.............................................................................. 170 7.3.1 Das Vorgehen allgemein ....................................................... 170 7.3.2 Insbesondere die Ermittlung der Anforderungen............ 174 7.3.3 Änderungs- und Zusatzverlangen, Change- Request- Verfahren, Claim-Management ........................................... 193 7.3.4 Freies Kündigungsrecht des Kunden.................................. 199 7.4 Vergütung .................................................................................... 200 7.5 Terminvereinbarungen ............................................................. 204 7.6 Abnahme ...................................................................................... 206 7.7 Haftung wegen Mängeln .......................................................... 210 7.8 Verträge mit Unterauftragnehmern über Leistungen für Kunden.......................................................................................... 213 7.9 Verträge über geistige Leistungen (Konzepterstellung usw.) ....................................................................................................... 217 8 Werklieferungsverträge.........................................................223 9 Dienstverträge .........................................................................225 Grundzüge des Dienstvertrags ................................................ 225 9.2 Vertragstypen in der Praxis ..................................................... 230 9.2.1 Insbesondere Verträge mit freien Mitarbeitern ............... 230 9.2.2 Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung ..................... 231 9.2.3 Gemischte Dienst- und Werkverträge ............................... 233 10 Mietverträge (einschließlich Leasing) .................................235 Hauptpflichten des Vermieters und seine Haftung ............ 235 10.2 Pflichten des Mieters ................................................................. 237 10.3 Leasingverträge........................................................................... 238 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten .........239 11.1 Ansprüche auf Schadensersatz ................................................ 242 11.2 Recht zum Rücktritt ................................................................... 248 <?page no="10"?> 10 Inhaltsverzeichnis 11.3 Ergänzende Vorschriften zum Verzug ...................................253 11.4 Kündigung aus wichtigem Grund ...........................................255 11.5 Unmöglichkeit .............................................................................255 11.6 Annahmeverzug des Kunden mit dem Endergebnis ...........257 11.7 Unzulängliche Mitwirkung des Kunden ................................258 11.8 Vertragsstrafe ..............................................................................260 11.9 Außervertragliche Haftung ......................................................261 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts ............................263 Anhang B Internationales Vertragsrecht..........................................280 Anhang C Vertragsmanagement im Projektmanagement ............283 Anhang D Abkürzungsverzeichnis ....................................................285 Anhang E Begriffe .................................................................................287 Anhang F Literaturhinweise ...............................................................291 Anhang G Stichwortverzeichnis .........................................................293 <?page no="11"?> 1 Wie Sie das Buch nutzen können Aller Anfang ist schwer. Lesen Sie erst einmal einige der Hinweise. Sie können das Lesen aufteilen. Gegenstand des Buchs Ein Projekt kann sich auf alles Mögliche beziehen, auch auf Organisationsvorhaben. In diesem Buch steht ein „Liefergegenstand“ (DIN 1 ) im Vordergrund, ein „Ergebnis, das abzuliefern ist.“ Damit Sie davon eine möglichst anschauliche Darstellung bekommen, stehen solche Projekte im Vordergrund, bei denen es um die Erstellung eines greifbaren Liefergegenstands geht. Dafür bieten sich häufig Softwareprojekte an, weil bei diesen viel zwischen den Vertragspartnern kommuniziert wird und damit viele rechtliche Themen verdeutlicht werden können. Kompetenzstandard ICB 4: Bei der Auswahl des Stoffes wird die Zertifizierung von Projektleitern gemäß diesem Kompetenzstandard der IPMA berücksichtigt. 2 Dieser verlangt Kenntnisse im Vertragsrecht und definiert deren Mindestumfang aus der Sicht des Projektträgers. Dazu gehören auch Kauf- und Mietverträge. Deswegen werden auch diese abgehandelt. Das gemäß dem Kompetenzstandard ICB 4 erforderliche Wissen ist in deren Projekthandbuch PM4 „Kompetenzbasiertes Projektmanagement - Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement“ aufgeführt. Rechtsvorschriften, die für Verbraucher oder Arbeitnehmer von denen für das Geschäftsleben abweichen: Auf diese Abweichungen werden Sie nur hingewiesen, wenn Sie solche von Ihrem Alltagsleben her wahrscheinlich kennen und möglicherweise irritiert sind, dass parallele Rechtsvorschriften für Verträge im Geschäftsleben und damit für Projektverträge anders lauten. Solche Rechtsvorschriften sollen den schwächeren Vertragspartner schützen. 1 DIN 69901-5: 2009-01 Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 5: Begriffe 2 Individual Competence Baseline der International Project Management Association ICB 4 verwendet den Begriff „Projektmanager“. In Deutschland ist die GPM für diese Zertifizierung zuständig (die „Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement“, Mitglied in der IPMA). <?page no="12"?> 12 1.1 Grundzüge des Vertragsrechts Was Sie wann in welcher Weise lesen sollten Die folgenden Auflistungen interessieren Sie im Detail erst, wenn Sie die genannten Teile lesen wollen. Lesen Sie jetzt nur den ausgerückten Text, überspringen Sie also die eingerückten Aufzählungen. Was Sie erst einmal gründlich lesen sollten Das ergibt sich aus dem Vorwort, nämlich einiges Grundsätzliches:  Damit Sie wissen, auf welchem Boden solche Projekte durchgeführt werden: Kapitel 2.1.1 (2) bis (4) und Kapitel 2.1.3 (1) über einige grundlegende Eigenschaften von Rechtsvorschriften sowie Kapitel 2.2.1 über Rechtsvorschriften in der Form von Ansprüchen und von deren Abwehr.  Damit Sie wissen, wie Sie Ihre Schritte auf diesem Boden machen können: Kapitel 3.1.1 bis 3.1.5 sowie 3.1.9 über den Abschluss von Verträgen und über nachträgliche Vereinbarungen. und anschließend:  Anhang E über die Begriffe, damit Sie wissen, wo Sie bei Bedarf nachsehen können.  Kapitel 2.1.3 (2) über die Grenzen der Vertragsfreiheit.  Was für Ansprüche jede Seite haben kann: Kapitel 4.1 zu denen auf Vertragserfüllung und ergänzend Kapitel 4.6 zur Mitwirkung des Kunden.  Kapitel 2.2.2, wie Sie Ihre Position gegenüber dem anderen Vertragspartner vertreten sollten, und Kapitel 2.2.3, dass Sie dabei und auch sonst an die Beweislast denken sollten. Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei. Vor allem geht es um die geschäftliche Seite, nämlich Streit zu vermeiden.  Den Anfang von Kapitel 11 bis einschließlich „Höhere Gewalt“, damit Sie wissen, was es mit der Haftung auf sich hat, insbesondere mit der auf Schadensersatz. Das sollte Sie so beeindrucken, dass Sie künftig noch umsichtiger vorgehen und dadurch Schaden und in dem Zusammenhang Streit möglichst vermeiden. Was Sie danach ansatzweise lesen sollten Damit Sie wissen, dass diese Themen abgehandelt werden, dass Sie also Informationen zu diesen bei Bedarf lesen können:  Kapitel 2.1.1 (1) über die Rechtsquellen überhaupt sowie Kapitel 2.1.2, Kapitel 2.2.1 über die wichtigsten Gesetze für Ihre Verträge und Kapitel 5.1, um einen Überblick über das Vertragsrecht zu erhalten, insbesondere über die wichtigsten Vertragstypen.  Den Rest von Kapitel 3 <?page no="13"?> 1 Wie Sie das Buch nutzen können 13  Kapitel 4.2 bis 4.5 zu Leistungen, die mehrere Vertragstypen betreffen, und Kapitel 11.1 zu Vertragsverletzungen/ Haftung. Was Sie später gründlich lesen sollten Kapitel 2.3 (1) bis (3): Wie Sie den Vertrag, soweit Sie mit diesem zu tun haben, zu verstehen oder sogar auszulegen haben. Wann Sie den großen Rest lesen sollten (sollten Sie das überhaupt? ) Alles Weitere ist eher zum Nachschlagen für den Fall gedacht, dass bei der Projektdurchführung eine Rechtsfrage auftritt. Am günstigsten ist es, wenn Sie den Abschnitt zu der jeweiligen Frage dann insgesamt lesen: Ziehen Sie sich zurück, auch wenn Ihnen das von der Arbeitssituation her nicht recht passt. Das kann eine gute Vorbereitung für Ihr weiteres Handeln oder für ein Gespräch mit einem Rechtsberater sein. Es bietet sich an, mehr zu lesen, wenn Sie sich im Projektmanagement professionalisieren wollen. Bei Bedarf Manche Themen enthalten einiges, was Sie lesen sollten, und einiges, was Sie nur zu lesen brauchen, wenn das Thema für Sie relevant wird. Deswegen kennzeichne ich diese weiteren Teile mit Bei Bedarf und Ende. Zur Information So sind Texte gekennzeichnet, die zur Abrundung für Interessierte dienen. Ende Weiteres zum Konzept Viele Vorschriften zum Kaufvertrag und zum Werkvertrag stimmen weitgehend überein. Um diese nicht zweimal zu beschreiben und um das Kapitel über den Werkvertrag auf die Projektdurchführung konzentrieren zu können, werden solche Vorschriften weitgehend im Kapitel über den Kaufvertrag erläutert. Im Kapitel über den Werkvertrag wird dann auf diese Erläuterungen verwiesen. In Ihrem Interesse, der/ die Sie einen Leitfaden suchen, wird auf Verweise auf Rechtsprechung und Literatur weitgehend verzichtet. Die Fußnoten enthalten erläuternde oder ergänzende Informationen. Falls Sie die zitierten Paragrafen lesen wollen, finden Sie diese im Internet, zum Lesen am besten unter „www.Gesetze-im-Internet.de“. Wählen Sie auf der ersten Seite das Format „pdf“. Zitierte Urteile des BGH finden Sie im Internet unter www.bundesgerichtshof.de. In diesem Buch wird die Rechtslage für den Fall dargestellt, dass die Vertragspartner keine Vereinbarungen getroffen haben, die Rechts- <?page no="14"?> 14 1.1 Grundzüge des Vertragsrechts lage sich also nach dem Vertragsrecht richtet. Es werden auch einige Vereinbarungen erläutert, die in der Praxis häufig getroffen werden. Wenn Sie sagen, dass Sie dieses oder jenes anders kennen würden, dann gehen Sie davon aus, wie Ihre Organisation Verträge gestaltet und durchführt. Das ist dann spezifisch, manchmal aus rechtlicher Sicht untauglich, dank der Vertragsfreiheit fast immer zulässig. Sie werden wiederholt lesen, dass die Rechtslage „normalerweise“ so und so sei. Die Rechtslage kann auch anders sein. Denn die Umstände einer Situation können eine andere rechtliche Beurteilung erfordern. - Es kann auch heißen, dass die Rechtslage in schwierigen Situationen so oder so sein „dürfte“. Diese Unsicherheit ist unvermeidbar (wie Anhang A zeigt). Lassen Sie sich dadurch nicht verunsichern, sondern nehmen Sie das als Aufforderung, in Ihrer Praxis unklare Situationen möglichst zu vermeiden und riskanter Wege möglichst gar nicht erst einzuschlagen. Das Management von Projekten auf der Basis von Verträgen Das Buch behandelt die Einflussfaktoren „Rechtliche Basis“ und ergänzend dazu das „Management auf der Projektebene“, also auf Ihrer Ebene (in der Abbildung fett gedruckt). Das Buch enthält auch ausdrückliche Empfehlungen zu Ihrem Projektmanagement in dieser besonderen Formatierung in Rahmen. Einige Empfehlungen beziehen sich darauf, wie Sie „der guten Ordnung halber“ vorgehen sollten, insbesondere um unklare Situationen zu vermeiden. Beispiel: „Ich mache alles schriftlich.“ Einige Empfehlungen gehen dahin, wie Sie ersatzweise vorgehen sollten, wenn Ihre Leitungsebene keine Vereinbarungen zum sachgerechten Vorgehen getroffen hat. Vom Projektmanagement insgesamt handelt das Buch „IT-Projektverträge: Erfolgreiches Management für Auftragnehmer“ (abgekürzt <?page no="15"?> 1 Wie Sie das Buch nutzen können 15 „PM-AN“). Dieses richtet sich an die Leitungsebene (DIN), aber auch an Sie. - Das Buch richtet sich stärker an die Auftragnehmerseite, weil diese mehr als die Kundenseite gefordert wird. Kunden finden Ratschläge in meinem Beitrag im Projekthandbuch PM4 [→ Kap. 1 unter „Kompetenzstandard ICB 4“, S. 11]. Einflussfaktor „Texte sachgerecht erstellen“: Das ist eine wichtige Aufgabe bei der Projektarbeit. Sie werden in diesem Buch laufend damit konfrontiert, dass unklare Formulierungen häufig die Ursache für Streitigkeiten sind, sei es berechtigterweise oder vorgeschoben. Die Vertragspartner streiten in der Praxis mehr über die Vereinbarungen, die sie formuliert haben, als über Rechtsvorschriften. Deswegen ist es so wichtig, sachgerecht zu formulieren, um solche Streitigkeiten zu verringern. Das Buch „ Schreiben in Projekten . Von der Leistungsbeschreibung bis zum Abschlussbericht “ hilft Ihnen, die Eindeutigkeit und die Verständlichkeit Ihrer Texte zu erhöhen. Zwar haben Sie in der Schule gelernt, wie man Besinnungsaufsätze schreibt. Sachtexte sollten Sie aber anders schreiben, und ganz besonders solche in Projekten. - Für den/ die, der/ die sich nicht um die vertragliche Seite zu kümmern braucht, gibt es die Variante „ Schreiben im Beruf “. <?page no="17"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen Damit Sie sich auf dem Boden des Vertragsrechts sachgerecht bewegen können, sollten Sie erst einmal die Grundzüge des Vertragsrechts kennen lernen. Verträge in Ihrem Aufgabenbereich sind im Wesentlichen im Schuldrecht des BGB geregelt. Es heißt „Schuldrecht“, weil die Vertragspartner sich gegenseitig etwas schulden. Ich bezeichne das Schuldrecht zusammen mit den Vorschriften des BGB über den Abschluss von Verträgen als „Vertragsrecht“. Das Vertragsrecht ist Teil des Privatrechts (dieses steht im Gegensatz zum öffentlichen Recht). Das Vertragsrecht regelt wesentliche Teile dessen, wie Rechtsgenossen auf gleicher Ebene miteinander rechtlich umgehen können, manchmal auch umgehen müssen. Die Juristen bezeichnen das Vertragsrecht als Teil des „materiellen Rechts“ , wenn sie den Gegensatz zum Prozessrecht betonen wollen. Das Prozessrecht regelt, wie die Klägerin ihre Ansprüche bei Gericht durchsetzen kann bzw. wie die Beklagte diese abwehren kann. Sie wollen mit Prozessen möglichst wenig zu tun haben. [Ausführlich Zahrnt im Buch „Ihr Rechtsstreit bei Gericht“] Beweislast Allerdings ist ein Thema des Prozessrechts für Ihr Handeln sehr wichtig: die Beweislast. [→ Kap. 2.2.3, S. 45, und vorgeschaltet die Darlegungslast/ Argumentationslast, Kap. 2.2.2, S. 42] Grundzüge des Vertragsrechts <?page no="18"?> 18 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Das Thema ist gerade deswegen so wichtig, weil Ihre Seite möglichst nicht zu Gericht gehen will. Sie will einen Kompromiss möglichst auf dem Verhandlungsweg erzielen. Sie braucht in diesem Fall noch bessere Beweismittel, um die Gegenseite zu überzeugen und nicht nur ein Gericht. - Wenn es doch zu Gericht geht, möchte sie wenigstens den Prozess gewinnen. Wahrscheinlich haben Sie den Satz schon oft gehört, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei sei. Bei Gericht kommt es entscheidend darauf an, dass jede Partei ihre Behauptungen zu Tatsachen auch beweisen kann. Im Wesentlichen sind Sie es, der/ die zu einer guten Beweislage beitragen kann. Denn es ist fast nur während der Projektarbeit möglich, die Beweislage abzusichern. Wenn man gut beweisen kann, fängt der and‘re einen Streit nicht an, geht schon gar nicht zu Gericht. Beweis zu sichern ist stets Ihre Pflicht. Im Wesentlichen geht es darum, dass Sie vieles schriftlich machen und das Projekt nach den Regeln des Projektmanagements durchführen. Diese Empfehlungen dienen auf jeden Fall dazu, in der Praxis Reibungsverluste zu verringern. Es geht also kaum um zusätzlichen Aufwand im Verhältnis zu dem bei ordentlichem Projektmanagement! Sie schließen mit dem Projektleiter der anderen Seite einen Kompromiss. Wenn Sie ihm nicht ein Bestätigungsschreiben schicken, sondern eine Formulierung mit der Bitte um Gegenzeichnung, wird die andere Seite nach der Gegenzeichnung stärker zu dem Kompromiss stehen. ‒ Wahrscheinlich wird auch Ihre Leitungsebene weniger ihr Bedauern ausdrücken, nachgegeben zu haben, nachdem sie einen solchen Kompromiss unterzeichnet hat. 2.1.1 Die Rechtsvorschriften Verträge bauen auf Rechtsvorschriften auf. Was für welche gibt es in Ihrem Tätigkeitsbereich, und was sind deren wesentliche Eigenschaften? (1) Das Vertragsrecht seinen Quellen nach Es gibt geschriebenes/ offizielles Recht:  Gesetze, von den Parlamenten erlassen, z.B. das BGB und das HGB. <?page no="19"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 19  Verordnungen, von den Regierungen erlassen, und zwar auf der Grundlage von Ermächtigungen in Gesetzen. Auf der Ebene der Bundesrepublik erfolgt das oft mit der Zustimmung des Bundesrats, z.B. bei der Straßenverkehrsordnung. „Verordnungen“ der EU wie die Datenschutzgrundverordnung haben hingegen Gesetzesrang und gehen den nationalen Gesetzen vor. [→ Zur internationalen Ebene siehe Anhang B, S. 280] Es gibt weitere (sog. „ungeschriebene“) Quellen. Diese sind im geschriebenen Recht sogar vorgesehen, nämlich dafür, das geschriebene Recht zu detaillieren. Gewohnheitsrecht: Dieses entwickelt sich im Laufe der Zeit. Oft geschieht das auf der Basis von Richterrecht [→ im Folgenden unter „Richterrecht“, S. 20]. Wenn die Rechtsgenossen sich an Richterrecht ausrichten, kann sich solches zum Gewohnheitsrecht verfestigen. - Dieses hat denselben Rang wie das geschriebene Recht. Wenn die Juristen vom „Gesetz“ sprechen, meinen sie das Gewohnheitsrecht mit. Beispiel Das Recht der Arbeitskämpfe. Es gibt nur den Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz, der den Grundsatz der Koalitionsfreiheit festschreibt. Alles andere in dem Bereich ist Rechtsprechung, die zu Gewohnheitsrecht geworden ist. Verkehrssitten: Das sind sozusagen die kleinen Münzen des Gewohnheitsrechts. Das geschriebene Recht nimmt auf sie ausdrücklich Bezug. Sie entstehen, wenn die beteiligten Personenkreise während längerer Zeit etwas einheitlich durchführen oder wenn sie eine branchenübliche Vereinbarung einheitlich verstehen und dieses Verständnis als rechtlich richtig ansehen („Das ist doch selbstverständlich.“). Beispiel Verträge über die Überlassung von Standardsoftware sahen anfangs die Lieferung einer Benutzerdokumentation oft nicht vor. In einem solchen Fall prüften Richter, ob sich die Pflicht zu deren Lieferung aus Treu und Glauben ergeben würde. Sachverständige bestätigten wiederholt, dass eine Benutzerdokumentation erforderlich sei und dass ordentliche Anbieter diese auch liefern würden. Daraufhin stellten Richter ihre Entscheidungen darauf ab, dass die Lieferung eine Verkehrssitte sei. Die Pflicht zur Lieferung hatte sich also entsprechend zur Verkehrssitte verfestigt. <?page no="20"?> 20 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Anfangs handelte es sich um gedruckte Benutzerdokumentationen. Einige Jahre später fragten die Richter die Sachverständigen, ob die inzwischen verbreitete teilweise Lieferung als Online-Dokumentation ausreichen würde. Wiederum später fragten die Richter, ob die Lieferung einer Online-Bedienerhilfe sogar üblich sei. Nachdem auch das bestätigt worden war, gingen die Richter auch davon aus, dass eine Online-Bedienerhilfe gemäß einer Verkehrssitte zu liefern sei. Handelsbräuche: So werden Verkehrssitten im kaufmännischen Bereich bezeichnet („branchenüblich“/ „marktüblich“). Technische Normen: Diese haben nicht den Rang von Rechtsvorschriften. Wenn sie sich in der Praxis durchgesetzt haben, werden sie zu (verbindlichen) Verkehrssitten. Vorher kann sich aus den besonderen Umständen bereits ergeben, dass eine Norm eingehalten werden muss. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn die Norm dem Schutz vor Schädigungen dient. „Richterrecht“: Es entsteht allmählich durch die Rechtsprechung bis dahin, dass der BGH erklärt, dass er eine Frage „in ständiger Rechtsprechung“ so und so entscheiden würde. 3 [→ Siehe auch Anhang A.3, S. 278] Für Richter und Rechtsberater hat eine solche Rechtsprechung faktisch Gesetzeskraft: Andere Richter werden dieser in der Regel folgen, und Rechtsberater gehen von einem solchen Verhalten aus („Präzedenzfall“). 4 Widersprüche zwischen und in Rechtsquellen: Das ist fast kein Thema. Sie gelten im Rang von oben nach unten. Eine Norm mit niedrigerem Rang kann einer mit einem höheren also nicht widersprechen. Bei Gleichrang gilt für das Verhältnis, dass die spezielle Rechtsvorschrift Vorrang gegenüber der allgemeinen hat. [→ Die Auslegung kann helfen, einen Konflikt im Rangverhältnis 3 Der BGH kann seine ständige Rechtsprechung ändern. An Gewohnheitsrecht ist er gebunden, er kann es aber gemäß den neuen Entwicklungen auslegen und somit einen Prozess einleiten, der das Gewohnheitsrecht weiterentwickelt. 4 Abgesehen davon ist es für Richter einfach und zeitsparend, sich auf die ständige Rechtsprechung höherer Instanzen zu berufen. Dieses Vorgehen liegt auch im Interesse der durch die Rechtsprechung des BGH belasteten Partei. Denn ein für sie günstiges Urteil in erster Instanz, das von dessen Rechtsprechung abweicht, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in der zweiten Instanz aufgehoben werden, spätestens in der dritten Instanz vom BGH selbst. <?page no="21"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 21 weg zu argumentieren, siehe Kap. 2.3 (1) unter „Gesetzeskonforme Auslegung“, S. 42] Anzuwenden sind die Rechtsvorschriften andersherum, d.h. von unten nach oben, also vom Speziellen zum Allgemeinen. Widersprüche innerhalb einer Rechtsquelle werden möglichst nicht als Widersprüche, sondern als Reibungen angesehen und werden möglichst durch Auslegung weg argumentiert. Das als vollständig gedachte Vertragsrecht: Richter müssen in ihren Urteilen für jede Rechtsfrage eine Antwort aus dem Vertragsrecht ableiten: Sie müssen jeweils ermitteln, wie die Rechtsvorschrift für den konkreten Fall lauten würde, wenn der Gesetzgeber diese ausformuliert hätte. Über den Inhalt der Antwort kann man streiten. Es gibt aber immer eine Antwort. [→ Genauer in Anhang A.2 unter „Der Richter gibt immer eine Antwort“, S. 272] (2) Inhaltliche Prinzipien des Vertragsrechts Vertragsfreiheit: Der Gesetzgeber des BGB hat den Vertragspartnern schon immer möglichst weitgehend freigestellt, ihre Verträge selbst zu formulieren, also von den Vorschriften des Vertragsrechts abzuweichen. Es hat das insbesondere für das Geschäftsleben getan. Die Vertragsfreiheit ist nunmehr sogar als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit durch das Grundgesetz geschützt (Art. 2 Abs. 1). Der Gesetzgeber ist also verpflichtet, den Vertragspartnern möglichst weitgehend freizustellen, ihre Verträge selbst zu formulieren [→ Kap. 2.1.3, S. 34]. Also stellt sich den Vertragspartnern die Frage, inwieweit das Vertragsrecht für Projekte taugt. Es würde die Vertragspartner hoffnungslos überfordern, alles selbst zu regeln. Aber wie viel sollten sie selbst regeln? Inhaltliche Prinzipien: Der Gesetzgeber hat das Vertragsrecht auf drei Prinzipien hin ausgerichtet:  Sachgerechtigkeit/ Funktionalität  Rechtssicherheit  Fairness Das klingt gut. Die Vertragspartner können sich auf eine ziemlich taugliche Vertragsrechtsordnung verlassen. brauchen also nicht viel Rechtliches zu regeln. Sie können sich in ihren Verträgen darauf beschränken, sachgerechte Vereinbarungen für ihr Projekt zu treffen. <?page no="22"?> 22 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Fairness: Das Wort „gerecht“ kommt im BGB nur im Sinne von „den Regeln gemäß“ vor („sachgerecht“/ „termingerecht“). 5 In der deutschen Rechtssprache heißt es traditionell „Billigkeit“. „Billigkeit ergänzt das geschriebene Recht, um Härten zu vermeiden oder sie zu mildern.“ [Wikipedia] Die Fairness spielt auf zwei Weisen hinein. Zum einen werden - zunehmend - spezifische Vorschriften ins BGB eingefügt, die dem Schutz der Schwächeren dienen, beispielhaft in den Vorschriften zu AGB, inwieweit der Verwender von AGB den anderen Vertragspartner benachteiligen kann (den Unternehmer stärker als den Verbraucher] [→ Kap. 3.5 (4), S. 103]. [→ Siehe dazu auch Kap. 1 unter „Gegenstand des Buchs“, S. 11] Treu und Glauben: Zum anderen hat die Fairness innerhalb des Grundsatzes von Treu und Glauben ein stärkeres Gewicht bekommen. Ausgangspunkt ist § 242 BGB (und ähnlich § 157 BGB zur Auslegung von Vereinbarungen): „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Diese Vorschrift ist inzwischen zu einer ungeschriebenen Generalklausel ausgewachsen, die die Auslegung und ggf. Ergänzung von Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung von Fairness gebietet. Diese kann wie folgt formuliert werden: „Die Rechtsvorschriften sind gemäß Treu und Glauben (und dabei unter Berücksichtigung von Fairness) anzuwenden/ auszulegen.“ [→ Siehe ausführlich Anhang A.1.3, S. 271] Wenn der Jurist nicht weiter kann, fängt er mit Treu und Glauben an. Sie werden in diesem Buch mehr als 70 Beispiele für den Einfluss von Treu und Glauben finden. Wie zu erwarten stehen diese Prinzipien in einem erheblichen Spannungsverhältnis zueinander. Bei der Auslegung von Rechtsvorschriften liegt also Streit darüber nahe, welches Prinzip mit welchem Gewicht zu berücksichtigen ist. 5 Für Rechtsvorschriften im privaten Bereich, also im Familienrecht und Erbrecht, stellt das BGB auf die „Billigkeit“ ab. <?page no="23"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 23 Der eine Vertragspartner beruft sich darauf, dass das Ergebnis in seinem Fall fairerweise nicht gewollt sein könne, der andere verteidigt seine Position mit dem Wortlaut der Vereinbarung bzw. einer Rechtsvorschrift. Das österreichische Vertragsrecht stellt bei der Auslegung mehr auf Rechtssicherheit ab: Man müsse bei Vereinbarungen „worttreu“ sein: „Was da steht, ist Sache.“ Die Auslegung von Vereinbarungen: Die Vertragspartner werden sich doch vernünftigerweise bei ihren Vereinbarungen an diesen Prinzipien ausgerichtet haben! Deswegen werden diese auch für die Auslegung von Vereinbarungen angewendet. [→ Zur Auslegung von Vereinbarungen nach Treu und Glauben siehe Kap. 2.3 (2), S. 53] Die Vertragspartner können dank der Vertragsfreiheit auch anders vorgegangen sein. Das muss dann in den Formulierungen zum Ausdruck kommen. Erfreulicherweise ist die Auslegung von Vereinbarungen meist nicht so kompliziert und das Ergebnis nicht so unsicher. Denn die Rechtsvorschrift soll für eine Vielzahl von Fallgestaltungen/ Sachverhalten gelten, ein Vertrag bezieht sich hingegen nur auf einen Fall. (3) Die Konstruktion von Rechtsvorschriften Sie fragen, ob Sie die jeweils einschlägigen Rechtsvorschriften ermitteln können, also sich in den Rechtsvorschriften zurechtfinden können. Antwort: Sie können das kaum. Die Grundkonstruktion von Anspruchsgrundlagen bzw. von Abwehrgrundlagen ist im Prinzip einfach: Eine jede besteht aus den Voraussetzungen und aus der Rechtsfolge. Wenn die Juristen sich auf die sprachliche Seite beziehen, fassen sie die Voraussetzungen unter dem Begriff „Tatbestand“ zusammen und bezeichnen die einzelnen Voraussetzungen als „Tatbestandsmerkmale“. Es geht für Juristen darum, ob der konkrete Sachverhalt / der Lebenssachverhalt den abstrakt formulierten Tatbestand erfüllt und damit die Rechtsfolge auslöst. Ist das der Fall, muss die abstrakt formulierte Rechtsfolge auf den jeweiligen Sachverhalt hin konkretisiert werden. Dafür gibt es „Ausfüllungsnormen“, beispielsweise zur Höhe des Anspruchs auf Schadensersatz [→ Kap. 11.1 (5), S. 246]. Das Grundschema für Anspruchsgrundlagen lautet also: „Wenn ... [Anspruchsvoraussetzungen erfüllt], dann ... [Anspruch besteht].“ Das Grundschema für Abwehrgrundlagen lautet: „Der Anspruch besteht nicht / nur eingeschränkt, wenn ... [Abwehrvoraussetzungen erfüllt].“ <?page no="24"?> 24 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts [Zur Formulierung in Vereinbarungen siehe Schreiben in Projekten , Kap. 4.4] Die Juristen bezeichnen solche Konstruktionen als eine „vollständige Rechtsvorschrift“, auch als einen „vollständigen Rechtssatz“/ eine „vollständige Rechtsnorm“. Die Bausteintechnik: Das Grundschema führt aber nicht dazu, dass Anspruchs- oder Abwehrgrundlagen zusammenhängend abgefasst werden würden. Denn es kann ganz viele Anspruchsvoraussetzungen geben, und die können sehr differenziert sein: „Wenn ein Vertrag …“. Der muss zustande gekommen sein durch zwei Erklärungen, diese von geschäftsfähigen Personen gegebenenfalls von bevollmächtigten Personen erklärt, rechtswirksam …“ usw. Viele dieser Anspruchsvoraussetzungen spielen im Normalfall keine Rolle, beispielsweise die Frage der Geschäftsfähigkeit oder die der Vollmacht. Deswegen wendet der Gesetzgeber eine Bausteintechnik an: Er formuliert die Anspruchs-/ Abwehrvoraussetzungen als Bausteine. Diese können je nachdem, welche jeweils eine Rolle spielen, zusammengesetzt werden. Beispielsweise kann das Thema Vollmacht relevant werden, wenn Abreden auf Projektebene getroffen worden sind. Die Bausteintechnik ermöglicht, Bausteine durch Unterbausteine zu differenzieren. Der Gesetzgeber setzt Bausteine als Platzhalter für alternative Ausprägungen auf der nächst unteren Ebene ein. Diese können wiederum als Platzhalter für alternative Ausprägungen auf der dritten Ebene dienen usw. Der Gesetzgeber kann also durch den Einsatz eines Bausteins auf der obersten Ebene eine ganze Struktur von Alternativen verfügbar machen. Bausteine können aus einem einzigen Wort/ Begriff, beispielsweise „Verschulden“, aus einem Satz oder aus wenigen Sätzen bestehen. Damit Anspruchs-/ Abwehrgrundlagen zusammengesetzt werden können, bedarf es ergänzender Konstruktionsmaßnahmen und damit weiterer Bausteine, beispielsweise solcher, die Verweise enthalten, oder solcher, die etwas für unwirksam erklären oder verbieten [→ siehe ausführlich Anhang A.1.1, S. 264]. Die Bausteine können aus verschiedenen Gesetzen (oder auch anderen Rechtsquellen) kommen. Sie können in einem Gesetz für viele Gesetze definiert sein, z.B. „unverzüglich“ im BGB (§ 121). [→ Siehe Anhang A.1.1 unter „Beispiel für eine umfangreiche Ausgangsfassung“, S. 264] <?page no="25"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 25 In solchen Konstruktionen können Sie sich kaum zurechtfinden. Für Ihre Praxis ist das nicht so schlimm, wie Sie im übernächsten Abschnitt erfahren werden [→ Kap. 2.1.1 (5), S. 26]. Zu Bausteinen, die für Ihre Praxis wichtig sind, werden Ihnen die Paragrafen angegeben, damit Sie diese gegebenenfalls nachlesen können. (4) Das Konstruktionsprinzip Fachsprache Der Gesetzgeber strebt auch inhaltlich nach Kürze: Er verwendet eine Fachsprache mit vagen bis sehr vagen Begriffen. Diese führen zu einem großen bis sehr großen Auslegungsspielraum, ob der jeweilige Sachverhalt unter den Tatbestand der geltend gemachten Rechtsvorschrift fällt und welche Rechtsfolge sich im positiven Fall daraus ableitet. Unter diesem Konstruktionsprinzip leidet die Eindeutigkeit und letztlich auch die Verständlichkeit. Der Richter hat die Aufgabe, die im jeweiligen Fall einschlägigen Rechtsvorschriften im Lichte der inhaltlichen Prinzipien von Sachgerechtigkeit, Rechtssicherheit und ggf. Fairness auszulegen, um die richtige Antwort aus dem Vertragsrecht abzuleiten. Nach der Konkretheit bzw. Vagheit und damit nach der Größe des Auslegungsspielraums lassen sich Stufen von Vorschriften kennzeichnen. Dabei geht es letztlich um ein Kontinuum mit Häufungen:  Deskriptive/ umgangssprachliche Begriffe, präzise oder unbestimmt (z.B. „ergonomisch“),  deskriptive Begriffe mit einer normativen Komponente, sodass sie eine Bedeutung haben, die von der umgangssprachlichen abweicht. [Zu einer Liste siehe Schreiben in Projekten , Anhang B] Beispielsweise besteht zwischen Eigentum und Besitz ein erheblicher rechtlicher Unterschied [→ Kap. 2.1.2 (3), S. 33].  Normativ geprägte Begriffe, auch „wertausfüllungsbedürftige Begriffe“ genannt, wie z.B. „angemessen/ unangemessen“ oder „zumutbar/ unzumutbar“.  Generalklauseln enthalten ganz unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Treu und Glauben“ und sind entsprechend vage. [→ Siehe zu Treu und Glauben Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 26, und zu der dadurch erreichten Vollständigkeit des Vertragsrechts Anhang A.2 unter „Der Richter gibt immer eine Antwort“, S. 272] <?page no="26"?> 26 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts (5) Die Ermittlung der Rechtslage in Ihrer Praxis Wie in (3) erläutert sind Rechtsvorschriften für Sie allerdings nur schwer zu ermitteln, und wie in (4) erläutert, ist deren Ausformulierung schwer zu verstehen oder muss sogar durch Auslegen ermittelt werden. Der Gesetzgeber denkt bei der Formulierung von Rechtsvorschriften vorrangig an Fachleute [→ Anhang A am Anfang, S. 263]. Erste Entwarnung: Um Rechtsvorschriften bei Ihrer Projektarbeit befolgen zu können, brauchen Sie nur eine ungefähre Vorstellung von diesen zu haben, und deswegen brauchen Sie diese kaum zu lesen. Sie brauchen nur den Kern zu erfassen, d.h. sich eine Vorstellung zu machen, wie denn die Rechtsvorschrift für Ihren Projektalltag lauten und damit zu verstehen sein dürfte. Sie kommen dann mit dem „Mangel“ zurecht, auch mit der „Angemessenheit“ und sogar mit „Treu und Glauben“ (gegebenenfalls mit der Betonung der Fairness). [→ Anhang A.1.2 unter „Deskriptive Begriffe mit einer normativen Komponente“, S. 268] Zweite Entwarnung: Sie haben es eher mit Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern zu tun, insbesondere mit Leistungsbeschreibungen. Diese sind auf den Einzelfall ausgerichtet. Damit ist der Inhalt relativ leicht zu ermitteln, auch zu verstehen und bei Unklarheiten auszulegen. - Voraussetzung ist allerdings, dass die Vereinbarungen ordentlich formuliert worden sind. Dritte Entwarnung: Ihr Rechtsberater kann Ihnen die Rechtsvorschriften darstellen, damit er mit Ihnen in ein Gespräch kommen kann. Dabei geht es eher nur um einzelne Voraussetzungen für einen Anspruch oder für dessen Abwehr. Der Rechtsberater braucht Ihnen nur diese als Text darzustellen / zu erläutern. Nur wenn Sie eine Rechtsvorschrift für Ihre Projektarbeit genau kennen lernen wollen, müssen Sie diese sprachlich verstehen und gegebenenfalls selbst auslegen. Ihr Vorgehen: Sie überlegen, wie Sie in einer konkreten Situation handeln wollen, und fragen sich, ob das so, wie Sie das beabsichtigen, nach dem Vertrag zulässig ist. Welche Antwort würden die Vereinbarungen geben? Wenn die Vereinbarungen nichts hergeben und es auf die ergänzende Vertragsauslegung oder das weitere ergänzend geltende Vertragsrecht ankommt, reicht der gesunde Rechtsverstand, um im Normalfall das Ergebnis zu finden. Der Rechtsverstand rät dazu, umsichtig vorzugehen, wie das im Folgenden vorgeschlagen wird. - Wenn Sie die- <?page no="27"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 27 ses Buch durch-arbeiten, verbessern Sie Ihren Rechtsverstand und damit das umsichtige Vorgehen. Wenn Sie sich über die wahrscheinliche Rechtslage nicht sicher sind, bedenken Sie,  dass Ihre Antwort beiden Vertragspartnern gerecht werden muss und  dass die Antwort von den jeweiligen Umständen abhängt. Wenn Sie das bedenken, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Ergebnis kommen, das im rechtlich sehr plausiblen Bereich liegt. Dieser Bereich geht zum Teil zu Gunsten Ihrer Seite, aber zum Teil auch zu Gunsten der anderen Seite (beiden gerecht! ). Die rechtlich genaue Grenzlinie liegt irgendwo zwischen diesen Bereichen. Treffen Sie Ihre Entscheidung vorsichtshalber unter der Annahme, dass Sie etwas optimistisch waren, dass also der Teil zu Gunsten Ihrer Seite teilweise oder ganz zugunsten der anderen Seite gehen könnte. Ordnen Sie vorsichtshalber Ihren gesamten Bereich zu deren Gunsten ein. Wenn Sie in Ihrer Einschätzung der Rechtslage unsicher sind, nehmen Sie sicherheitshalber an, dass die Rechtslage noch etwas weniger günstig für Ihre Seite ist. Vergrößern Sie den Risikobereich zu Ihrer Seite hin etwas. Ziehen Sie eine neue Grenzlinie und bedenken Sie diese. Entscheiden Sie eher wie zuvor: Schlagen Sie den gesamten Bereich der anderen Seite zu. Das kann bedeuten, dass Sie nachgeben sollten. Das kann aber auch einfach nur bedeuten, dass Sie vorsichtiger vorgehen sollten. Wenn die Situation schwierig wird, ist es nicht mehr Ihre Aufgabe, die Rechtslage zu ermitteln und über das Vorgehen zu entscheiden, sondern ist das die Aufgabe der Leitungsebene. Für Sie reicht das Wissen, dass Sie umsichtig oder sogar vorsichtig vorgehen sollten. Beispiel für riskantes Vorgehen Sie schließen als Projektleiter mit dem Projektleiter der anderen Seite mündlich einen Kompromiss und schicken ihm gleich ein unternehmerisches Bestätigungsschreiben dazu. Das kann gut gehen, das braucht es aber nicht zu tun, insbesondere nicht, wenn Schriftform vereinbart worden ist. - Auch kann es zu einer Unsitte werden, mit solchen Schreiben zu arbeiten, sodass die andere Seite sich andersherum immer leichter darauf berufen kann, dass ihre Bestä- <?page no="28"?> 28 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts tigungsschrei-ben auf mündlichen Vereinbarungen beruhen würden [→ Kap. 3.1.9, S. 81]. Bleiben Sie als Auftragnehmer vorsorglich im sicheren Bereich! Die Menge aller Sachverhalte zu einem Tatbestand entsprechend den Umständen und unter Berücksichtigung der Beweislast maximal sichere Konstellation, dass der Anspruch für den Auftragnehmer besteht zugunsten des Kunden nicht besteht Risikobereich sicherer Bereich sicherer Bereich Kunde sagt: „Ich habe Recht! Der Auftragnehmer sollte vorsorglich von diesem Verhalten ausgehen. Die Leitungsebene auf der Auftragnehmerseite sollte besonders vorsichtig sein. Denn wenn es zu einem Streit und dann zu Verhandlungen kommen sollte, würde die Leitungsebene wahrscheinlich zumindest auch dann nachgeben, wenn deren streitgegenständliches Vorgehen diesseits des angenommenen Risikobereichs, aber noch nicht im sicheren Bereich lag. 2.1.2 Die wichtigsten Gesetze für Ihre Verträge Wie angekündigt folgt nach der Darstellung der Grundzüge des Vertragsrechts die Darstellung der konkreten Rechtsvorschriften. Die wichtigsten Gesetze für Verträge in Projekten sind  das BGB,  das HGB. (1) BGB Das BGB besteht aus fünf „Büchern“: 1. Allgemeiner Teil 2. Recht der Schuldverhältnisse 3. Sachenrecht 4. Familienrecht 5. Erbrecht Vertragsrecht <?page no="29"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 29 Für Ihre Verträge sind die beiden ersten Bücher wichtig (das „Vertragsrecht“), z.T. auch das dritte (Übereignung von Sachen). Allgemeiner Teil: Dieser regelt insbesondere, wie Verträge geschlossen werden [→ Kap. 3, S. 61] und wie deren Inhalt auszulegen ist [→ Kap. 2.3, S. 50]. Schuldrecht: Es regelt die Vertragstypen im unternehmerischen wie auch im privaten Geschäftsverkehr. Der Arbeitsvertrag ist innerhalb des Dienstvertrags rudimentär geregelt [→ Kap. 9.1, S. 225]. Die meisten Vertragstypen sind „Austauschverträge“: Sie bilden die Grundlage dafür, dass Leistungen ausgetauscht werden. Das steht im Gegensatz zu gesellschaftsartigen Verträgen, die der Zusammenarbeit für gemeinsame Ziele dienen, z.B. in einer Gesellschaft. „Dauerschuldverhältnisse“ sind Verträge, die nicht auf einmal erfüllt werden, sondern gegenseitige Rechte/ Ansprüche und Pflichten für eine gewisse Dauer begründen. Diese unterliegen in verstärktem Maße den Geboten von Treu und Glauben. Das kommt beispielsweise in der Pflicht des Vermieters zum Ausdruck, die Mietsache betriebsbereit zu halten [→ Kap. 10.1, S. 235]. Das Schuldrecht besteht dem Inhalt nach, wenn auch nicht formal, aus einem Allgemeinen Teil (Zweites Buch, Abschnitte 1 bis 7), im Wesentlichen: …. <?page no="30"?> 30 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts  Was beinhalten Pflichten (und damit spiegelbildlich Ansprüche)?  Welche Grenzen bestehen für den, der Allgemeine Geschäftsbedingungen aufstellt und zum Vertragsbestandteil machen will?  Wie sind Verträge über Leistungen abzuwickeln?  Was sind die üblichen Rechtsfolgen bei der Verletzung von Vertragspflichten? Weiterhin besteht das Schuldrecht aus einem Besonderen Teil über die einzelnen Vertragstypen (Zweites Buch, Abschnitt 8 „Einzelne Schuldverhältnisse“). Der Gesetzgeber beschreibt zu den einzelnen Vertragstypen an deren Anfang deren vertragstypische Pflichten. Lassen Sie sich nicht beeindrucken, wenn Rechtsberater diese Pflichten zu „vertragstypologische Pflichten“ aufmotzen [→ Beispiele in Kap. 5.1, S. 123]. Gemischte Verträge: Ein Vertrag kann Leistungen enthalten, die unter verschiedene Vertragstypen fallen. Beispiele (1) Ein Hotelaufnahmevertrag enthält Elemente eines Mietvertrags, eines Werkvertrags, eines Dienstvertrags und eines Aufbewahrungsvertrags. (2) Siehe auch „Gemischte Dienst- und Werkverträge“ [→ Kap. 9.2.3, S. 233]. Dann greifen für die verschiedenen Leistungen die Vorschriften zum jeweils einschlägigen Vertragstyp ergänzend ein. Beispiel Schulung Die Schulung hat einen dienstvertraglichen Charakter, auch innerhalb eines Projektvertrags. Der Kunde hat bei schlechter Schulung also keinen Anspruch auf Mängelbeseitigung. Er hat allerdings einen Anspruch auf Schadensersatz (im Falle von Verschulden). Dieser Anspruch kann auf Nachschulung gehen [→ Kap. 11.1 (5), S. 246]. Man kommt also (bei Verschulden und damit in der Regel) zu demselben Ergebnis wie bei einer werkvertraglichen Leistung. Das ist durchaus plausibel. Es müssen allerdings unterschiedliche Routinen des Vertragsrechts durchlaufen werden. Ein Vertragstyp kann punktuell das Schicksal des Vertrages insgesamt dominieren. Dieser Vertragstyp bestimmt die anzuwendenden Vorschriften, wenn es um den gesamten Vertrag geht. Bei einem Pro- <?page no="31"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 31 jektvertrag kann das ein Werkvertrag mit dienstvertraglicher Schulung sein. Beispiel Schulung Fortsetzung (1) Die Fälligkeit der Vergütung für die Schulung regelt sich nicht nach dem Dienstvertragsrecht (Fälligkeit bei Vergütung nach Aufwand praktisch laufend), sondern nach dem Vertragstyp, der den Vertrag insgesamt dominiert. Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Werkvertrag: also Zahlung mit Abnahme der werkvertraglichen Leistung, allerdings mit Anspruch des Auftragnehmers auf Abschlagszahlungen (§ 641 BGB) [→ Kap. 7.4 (3), S. 203; siehe dort auch zur Schulung] . (2) Wenn der Kunde wegen Mängeln im System vom Vertrag insgesamt zurücktritt, erfasst der Rücktritt auch die dienstvertragliche Schulung. Der Kunde braucht diese gemäß Werkvertragsrecht nicht zu bezahlen, insoweit diese für ihn nutzlos geworden ist. Die Vertragspartner können dank der Vertragsfreiheit. Den gesamten Vertrag einem Vertragstyp unterstellen Beispiel Auf einen Kundenwunsch hin wird ein Kaufvertrag dem Werkvertragsrecht unterstellt, um damit die Abnahme gemäß Werkvertragsrecht zu vereinbaren. - Dank der Vertragsfreiheit könnte die Abnahme im Vertrag auch direkt geregelt werden. Voraussetzung für die Unterstellung unter einen Vertragstyp ist allerdings, dass das Sinn macht. Negativbeispiel Eine dienstvertragliche Leistung kann nicht dem Werkvertragsrecht unterstellt werden, weil kein vom Auftragnehmer geschuldetes Ergebnis greifbar wäre. (2) HGB Das HGB (Handelsgesetzbuch) ist in seinen Wurzeln noch älter als das BGB. Seine wichtigen „Bücher“ sind: 1. Handelsstand, insbesondere wer Kaufmann ist 2. Handelsgesellschaften und stille Gesellschaft (die AG und die GmbH sind in eigenen Gesetzen geregelt) 3. Handelsbücher 4. Handelsgeschäfte <?page no="32"?> 32 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Das HGB ergänzt und modifiziert das Vertragsrecht des BGB bei Verträgen zwischen Kaufleuten. Aus „Geschäften“ werden „Handelsgeschäfte“. Bei diesen ist „in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen (§ 346 HGB).“ [→ Siehe als Beispiel Kap. 3.1.9 zum Unternehmerischen (kaufmännischen) Bestätigungsschreiben, S. 81] Das HGB soll u.a. den Geschäftsverkehr erleichtern und beschleunigen. Es erwartet, dass die Beteiligten kaufmännisch und somit auch im Vertragsrecht einigermaßen gebildet sind, sodass sie deswegen Risiken besser erkennen und bewerten können und auch bereit sind, diese zu übernehmen. Das HGB mutet ihnen deswegen mehr Risiken zu. Beispiele für Risikoübernahme (1) Ein Kaufmann kann eine Bürgschaft auch mündlich übernehmen (§ 350 HGB). Sonst ist Schriftform erforderlich (§ 766 BGB). Der Nicht-Kaufmann soll durch diesen formalen Akt noch einmal auf das Risiko seiner Erklärung hingewiesen werden. (2) Die Vollmacht eines Geschäftsführers oder eines Prokuristen kann nicht eingeschränkt werden. Der andere Verhandlungspartner weiß also, woran er ist, und kann sich also darauf verlassen, dass sein Gegenüber die rechtsgeschäftliche Erklärung wirksam abgibt [→ Kap. 3.2 (2), S. 89]. (3) Zum Schweigen eines Kaufmanns oder eines sonstigen Unternehmers auf ein Angebot hin siehe Kap. 3.1.4 unter „Schweigen eines Unternehmers bei Projektverträgen“ [→ S. 70]. Kaufmann: Ein solcher ist,  wer ein Gewerbe betreibt, es sei denn, dass sein Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert (§ 1 HGB), oder auch  wer als Handelsgesellschaft organisiert ist, auch wenn er kein Gewerbe betreibt, also insbesondere jede GmbH (Formkaufmann gemäß § 6 HGB). Handeln für einen Kaufmann: Wird ein Mitarbeiter eines Kaufmanns (z.B. einer GmbH) nach außen hin tätig, tut er das für diesen. Also wird sein Tun nach Handelsrecht bewertet, auch wenn er selbst kein Kaufmann ist. <?page no="33"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 33 Beispiel Das Schweigen eines Mitarbeiters in seiner beruflichen Tätigkeit gilt als das eines Kaufmanns. Es gilt damit eher als Zustimmung, als wenn der Mitarbeiter als Privatperson in einem eigenen vertraglichen Zusammenhang schweigt. [→ Kap. 3.1.4 unter „Schweigen eines Kaufmanns bei Projektverträgen“, S. 70] (3) Gesetze zu Herrschaftsrechten Der Begriff „Herrschaftsrechte“ mag Ihnen fremd vorkommen, ist Ihnen aber in der Sache bekannt. Das sind Rechte, die einem an etwas zustehen, beispielsweise das Eigentum an Sachen. Das Sachenrecht des BGB befasst sich damit. Herrschaftsrechte können auch an Gegenständen bestehen, die nicht körperlich sind, wie die Inhaberschaft an Gesellschaftsanteilen oder die an „geistigem Eigentum“ 6 , beispielsweise an Patenten oder an urheberrechtlich geschützten Werken wie Software. Beispiel zur Abgrenzung von Anspruch und Herrschaftsrecht Der Eigentümer eines Hauses hat das Herrschaftsrecht, alle anderen Personen von der Benutzung seines Hauses abzuhalten. Er kann das Haus mittels eines Mietvertrags vermieten. Der Mieter erlangt kein Herrschaftsrecht am Haus; er hat aber gegenüber dem Eigentümer den vertraglichen Anspruch auf Benutzung, d.h. dass der Eigentümer sein Herrschaftsrecht an dem Haus dem Mieter gegenüber nur sehr beschränkt auszuüben berechtigt ist. - Außerdem hat der Mieter als Besitzer (= als Repräsentant des Eigentümers) das herrschaftsrechtliche Recht, Dritte von der Benutzung auszuschließen. Das zeigt einen gewissen Übergang zwischen Herrschaftsrecht und schuldrechtlicher Position an. Diesen Übergang gibt es auch anderswo. Wer ein Herrschaftsrecht hat, hat den Anspruch gegen Dritte, dass sie dieses respektieren, beispielsweise sich von Software keine Raubkopien verschaffen. Verletzt ein Dritter ein Herrschaftsrecht, kann dessen Inhaber Ansprüche gegen diesen auf Unterlassung, Rückgabe oder Vernichtung sowie auf Schadensersatz haben. 6 Dabei sollten Juristen eigentlich nicht von „geistigem Eigentum" (das es nur an Sachen gibt) sprechen, aber „intellectual property“ übersetzt sich so schön. <?page no="34"?> 34 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Schließen Vertragspartner einen Vertrag, begründet dieser erst einmal nur Ansprüche bzw. Pflichten. Dieser Vertrag ist nach deutschem Recht ein rein schuldrechtlicher Vertrag, er enthält nur den Anspruch auf die Übertragung des Herrschaftsrecht, etwa des Eigentums an einer Sache. Nach deutschem Recht bedarf es noch eines weiteren Vertrags zur Erfüllung des schuldrechtlichen Vertrags, nämlich eines Vertrags über die Übertragung des Herrschaftsrecht, etwa des Eigentums wie im schuldrechtlichen Vertrag vorgesehen. Juristen nennen diesen weiteren Vertrag einen „dinglichen/ sachenrechtlichen Vertrag“. Formal gesehen liegen zwei Verträge vor. Diese können in einem Vertrag, sozusagen in einem Gesamtvertrag, zusammengefasst werden. Deswegen wird der dingliche Vertrag oft nicht wahrgenommen. Beispielsweise fallen bei einem Kauf in einem Supermarkt der schuldrechtliche Kaufvertrag und der Übereignungsvertrag über die gekaufte Ware praktisch zusammen. [→ Siehe auch Kap. 6.1 (1) unter „Eigentumsübertragung“, S. 132] Rechte an geistigen Leistungen, beispielsweise an Software Geschützt sind Programme, wenn sie eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten (§ 69a Abs. 3 UrhG). Das ist im hier angesprochenen Bereich nicht der schöpferische Inhalt, sondern die schöpferische Darstellung: Die Idee, der Algorithmus, die Methode usw. selbst sind - anders als im Patentrecht - nicht geschützt. Die Anforderungen an die Schöpfungshöhe sind niedrig. § 69c UrhG gewährt folgende wirtschaftliche Nutzungsrechte:  Vervielfältigungsrecht  Verbreitungsrecht  Umgestaltungsrecht Diese Rechte können in beliebigen Kombinationen eingeräumt/ übertragen werden:  ausschließlich oder nicht ausschließlich  örtlich/ zeitlich/ sachlich unbeschränkt oder beschränkt. Praktiker ignorieren oft, dass es immer um drei Nutzungsrechte geht und ein jedes von diesen in Kombinationen von zwei Ausmaßen in drei Bereichen. 2.1.3 Vertragsfreiheit und ihre Grenzen (1) Vertragsfreiheit Das Vertragsrecht strebt einen fairen und sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Vertragspartnern an. Es geht davon aus, dass <?page no="35"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 35 die Vertragspartner dieses Ziel am besten eigenständig erreichen können. Deswegen stellt es den Vertragspartnern weitgehend frei, ihre Verträge selbst zu gestalten und damit von seinen Vorschriften abzuweichen [→ siehe schon Kap. 2.1.1 (2), S. 21]. Beispiele für Vertragsfreiheit (1) Zum Abschluss von Verträgen: Der Anbieter kann die ziemlich kurze Frist, während der sein Vertragsantrag nach dem BGB wirksam ist, in einer Bindefrist verlängern; er könnte die Frist auch abkürzen. [→ Kap. 3.1.2 (2) unter „Die Dauer der Wirksamkeit eines Antrags“, S. 65] Jede Seite kann vorgeben, dass der geplante Vertrag nur schriftlich abgeschlossen werden kann. (2) Die normale Verjährungsfrist für Mängelansprüche beträgt bei Kauf- und Werkverträgen zwei Jahre (§ 438 bzw. § 634a BGB). Ein Auftragnehmer kann diese Frist in seinen AGB gegenüber Unternehmern auf ein Jahr abkürzen oder in einer individuellen Vereinbarung überhaupt ausschließen. Das Vertragsrecht stellt seine Vorschriften also weitgehend nur hilfsweise/ als Ergänzung zur Verfügung. Insoweit wird es als „nachgiebiges/ dispositives“ Recht bezeichnet: Es steht zur Disposition der Vertragspartner. Diese können es nutzen oder ersetzen. Wenn die Juristen vom „geltenden Vertragsrecht“ sprechen, meinen sie die einschlägigen Vorschriften des Vertragsrechts, das derzeit in Kraft ist; sie wollen damit nicht ausdrücken, dass das Vertragsrecht insgesamt verbindlich (= zwingend) sei. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit beantwortet also die Frage, ob Sie dieses oder jenes vereinbaren können: Sie können es, soweit nicht ausnahmsweise Grenzen bestehen [→ siehe hier Kap.2.1.3 (2), S. 143]. Die Vertragsfreiheit erlaubt also sehr weitgehend,  Verträge abzuschließen: das überhaupt zu tun, und zwar in der gewünschten Weise und mit dem gewünschten Partner, oder aber das abzulehnen,  andere Vertragstypen als die gesetzlich geregelten zu bilden, z.B. Outsourcing,  von den gesetzlichen Vorschriften abzuweichen, Beispiele für abweichende Vereinbarungen Einschränkungen der Haftung auf Schadensersatz bei Vertragsverletzungen <?page no="36"?> 36 2.1 Grundzüge des Vertragsrechts Ein Leasingvertrag ist ein Mietvertrag, der insbesondere dahingehend modifiziert ist, dass die Pflicht des Vermieters, Mängel zu beseitigen, ausgeschlossen wird [→ Kap. 10.3, S. 238].  geschlossene Verträge gemeinsam zu ändern oder aufzuheben. Begründungen für eine Vereinbarung in den Vertrag aufnehmen Lassen Sie sich von Juristen nicht davon abhalten, Begründungen für eine Vereinbarung aufzunehmen. Juristen mögen das für unpassend halten; denn Vereinbarungen sollen etwas regeln. Aber Juristen sehen selbst ständig in der amtlichen Begründung für eine Rechtsvorschrift nach und argumentieren damit. (2) Grenzen der Vertragsfreiheit Das Vertragsrecht enthält schon immer einzelne Vorschriften, die einen Vertragspartner schützen, möglicherweise sogar vor sich selbst. Zwingende Vorschriften: Von solchen können die Vertragspartner nicht zu Lasten des geschützten Vertragspartners abweichen. Beispiel Ein normaler Rechtsgenosse kann eine Bürgschaftserklärung nur schriftlich abgeben; er soll auf diese Weise noch einmal angehalten werden zu überlegen, was Gefährliches er gerade vorhat. [→Vgl. Kap. 2.1.2 (2) unter „Beispiele für Risikoübernahme (1)“, S. 32] Das Vertragsrecht sieht zwingende Vorschriften zunehmend zu Gunsten von solchen Vertragspartnern vor, die in bestimmten Bereichen besonders schutzbedürftig sind. Das sind Personen in ihrer Position als Arbeitnehmer, als Mieter von Wohnraum oder als Verbraucher [→ siehe auch Kap. 2.1.1 (2) unter „Fairness“, S. 22]. Das Vertragsrecht kennt andererseits Vertragspartner, die weniger Schutz als die normalen Rechtsgenossen benötigen. Das sind die Unternehmer (die Kaufleute, die Freiberufler) und die öffentlichen Auftraggeber. Im Vertragsrecht gibt es für sie nur wenige zwingende Vorschriften. - In diesem Buch sind die öffentlichen Auftraggeber bei den „Unternehmern“ mitgemeint. Beispiel Normalerweise beträgt der Satz für Verzugszinsen 5 % über dem Basiszinssatz. Kaufleute müssen 9 % zusätzlich zahlen (§ 288 BGB). <?page no="37"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 37 Dass eine Vorschrift zwingend ist, kann so selbstverständlich sein, dass diese Eigenschaft nicht erwähnt wird. Oft findet sich ein Satz wie: „Von den vorstehenden Vorschriften kann zu Lasten von …. nicht abgewichen werden.“ Beispiele für zwingende Vorschriften Gemäß § 648a BGB kann ein Werkvertrag und gemäß § 314 BGB kann ein Dauerschuldverhältnis wie Miete stets aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Wortlaut dieser Vorschriften drückt deren zwingenden Charakter nicht aus. Die Haftung auf Schadensersatz kann bei einer Beschaffenheitsgarantie nicht eingeschränkt werden (so ausdrücklich § 444 bzw. § 639 BGB) [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150]. Sittenwidrige Verträge : Sittenwidrigkeit beinhaltet einen schweren Vorwurf. Solche Verträge müssen unwirksam sein, weil die Rechtsordnung für deren Durchsetzung Rechtsschutz durch Gerichte nicht bereitstellen will (§ 138 BGB). Was sittenwidrig ist, können Sie selbst weitestgehend beurteilen. Beispiel Wucherische Zinsen bei Darlehen. Das Wort Wucher erinnert an Mietwucher oder an gewerbsmäßigen Wucher, beides strafbar. Verstöße gegen gesetzliche Verbote : § 134 BGB erklärt Vereinbarungen und andere Rechtsgeschäfte, die gegen gesetzliche Verbote verstoßen, für „nichtig (= unwirksam), wenn sich aus dem [jeweiligen] Gesetz nichts anderes ergibt.“ Bei Verträgen in Projekten greifen nur wenige Verbote ein. Gesetze sehen Verbote (und nicht zwingendes Recht) insbesondere dann vor, wenn sie ein Handeln nicht schlechthin, sondern nur in bestimmten Zusammenhängen ausschließen wollen. Beispiele (1) Ein Vertrag über ein Glas Bier in einer Gastwirtschaft vor der Sperrstunde ist (im Normalfall) wirksam, ein solcher nach Beginn der Sperrstunde ist verboten und damit unwirksam. (2) Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verbietet die Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis, sieht eine Erlaubnis aber unter solchen Bedingungen vor, die einen gewissen Schutz für die Leiharbeiter schaffen [→ Kap. 9.2.2, S. 231]. (3) Die Datenschutzgrundverordnung enthält Gebote und Verbote. <?page no="38"?> 38 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun Besondere Grenzen wegen der Marktmacht eines Vertragspartners: Die Marktmacht kann zu Einschränkungen führen. Beispielsweise kann der Gesetzgeber regeln, ob und ggf. in welcher Höhe ein Netzbetreiber Gebühren verlangen kann, beispielsweise für den Fall, dass ein Kunde mit seiner Telefonnummer zu einem anderen Netzbetreiber wechseln will. Oder ein Anbieter hat die Pflicht, Verträge abzuschließen, beispielsweise aufgrund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun Die Vertragspartner waren sich einig und haben einen Projektvertrag geschlossen, wahrscheinlich sogar einen schriftlichen, um Klarheit zu schaffen. Zum Streit kann es trotzdem kommen, so wenn der eine Vertragspartner einen Anspruch gelten macht, den der andere überhaupt oder zumindest in der geltend gemachten Weise für unberechtigt hält. Der Streit kann sich auf eine Vereinbarung oder auf eine ergänzend geltende Rechtsvorschrift beziehen. Die Vertragspartner streiten häufiger über die von ihnen formulierten Vereinbarungen als über Rechtsvorschriften. Deswegen ist es für Sie so wichtig, dass Sie in den Vereinbarungen, die Sie schreiben, die Ansprüche und die Pflichten möglichst eindeutig und situationsgerecht verständlich formulieren. [ Schreiben in Projekten , Kapitel 1 und 5] Der Streit kann bis vor Gericht gehen, etwa wenn der Kunde den Rücktritt von einem Projektvertrag erklärt hat. - Wenn ich im Folgenden beschreibe, wie ein Streit vor Gericht abläuft, verwende ich die Begriffe „Gericht“ und „Parteien“, nämlich „Klägerin“ und „Beklagte“. Die drei Schritte zum Anspruch bzw. zu dessen Abwehr Die Klägerin wird vor Gericht Erfolg haben, wenn  der Vertrag eine Grundlage für den Anspruch, so wie dieser geltend gemacht wird, enthält ,  die von ihr behaupteten Tatsachen die Voraussetzungen für diesen Anspruch erfüllen und  sie die strittigen Tatsachen beweisen kann. Die Beweislast kann im Streitfall eine entscheidende Rolle spielen [→ Kap. 2.1 unter „Beweislast“, S. 17]. <?page no="39"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 39 Die Beklagte wird vor Gericht erst einmal die behaupteten Tatsachen und die rechtlichen Ausführungen der Klägerin bestreiten. Darüber hinaus kommt in Betracht, dass die Beklagte der Klägerin eine Abwehrgrundlage entgegenhalten kann. Für diese gelten die drei Schritte entsprechend. Die Beklagte muss  sich auf eine passende Abwehrgrundlage berufen,  darlegen, dass die von ihr behaupteten Tatsachen deren Voraussetzungen erfüllen, und  die strittigen Tatsachen beweisen. Auch wenn ein jeder Vertragspartner erst einmal eine Einigung auf dem Verhandlungsweg erzielen will, so wird er vorab seine Position und seine Chancen gemäß diesen drei Schritten ermitteln. In Verhandlungen wird ein jeder den dritten Schritt „Beweis“ eher nur andeuten. Denn dieses Thema belastet die Atmosphäre stark (es geht um die eigene Glaubwürdigkeit), während man über rechtliche Positionen nahezu entspannt streiten kann. Wertausfüllungsbedürftige Begriffe: Rechtsvorschriften enthalten nicht nur Sachbegriffe, sondern auch wertausfüllungsbedürftige Begriffe wie „zumutbar“ oder „angemessen“ [→ Kap. 2.1.1 (4), S. 25]. Die kann man nicht unmittelbar beweisen. Sie bauen aber auf Tatsachen auf; diese sind beweisbar. 2.2.1 Schritt 1: Anspruchsgrundlagen und Abwehrgrundlagen Die Vorfrage lautet: Wer will was von wem weswegen (= aufgrund von welchem Lebenssachverhalt) haben? Wenn das geklärt ist, kann mit der Suche nach der Anspruchsgrundlage angefangen werden. (1) Was es an Anspruchsgrundlagen gibt Die erste Frage lautet also, ob für das, was ein Vertragspartner verlangt, eine Anspruchsgrundlage besteht. Anspruchsgrundlagen können sich aus den Vereinbarungen und ergänzend aus dem Vertragsrecht ergeben. Diejenigen aus den Vereinbarungen können Sie im Vertragsdokument finden. Die wesentlichen Ansprüche aus den Vertragstypen werden Sie kennen. Das reicht normalerweise für Ihre Tätigkeit aus. Über die besonderen Ansprüche können Sie sich bei Ihrem Rechtsberater informieren. Die Abbildung „Ansprüche verlangen eine Anspruchsgrundlage“ zeigt einen Überblick über mögliche Anspruchsgrundlagen. <?page no="40"?> 40 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun Die Juristen sprechen auch von „Primäransprüchen“ auf Leistung und von „Sekundäransprüchen“ aus Haftung. Es gibt auch Anspruchsgrundlagen außerhalb von Verträgen aufgrund von Rechtsvorschriften. Denken Sie an das Vorgehen gegen Raubkopien von Software oder gegen wettbewerbswidriges Verhalten. Darum geht es in diesem Buch allerdings kaum [→ Kap. 11.9, S. 261]. Die Anspruchsgrundlagen werden erläutert hinsichtlich:  Leistungen und Rücksichtnahme in Kapitel 4.1 [→ Kap. 4.1, S. 107]  Pflichtverletzungen in Kapitel 11 [→ Kap. 11, S. 239] Keine Anspruchsgrundlage wie gewünscht: Das Vertragsrecht enthält nicht immer die gewünschte Anspruchsgrundlage, selbst wenn diese plausibel wäre. Beispiel: Der gewünschte Anspruch nicht vorgesehen Der Auftragnehmer sieht das Projekt scheitern, weil der Projektleiter des Kunden unfähig ist (was der Auftragnehmer beweisen kann). Der Auftragnehmer verlangt dessen Austausch. Dafür gibt es (wohl) keine Anspruchsgrundlage. <?page no="41"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 41 Das heißt aber nicht, dass der Anspruchsteller nichts bekommt. Es kann auch eine andere Anspruchsgrundlage mit einem andersartigen Anspruch oder mit einem weniger weitreichenden Anspruch bestehen. Fortsetzung des Beispiels: Anderer Anspruch vorgesehen Der Kunde wirkt nicht ordnungsgemäß mit. Der Auftragnehmer kann sich eine Anspruchsgrundlage schaffen. Er kann eine Nachfrist mit der Androhung setzen, den Vertrag in dem Fall zu kündigen, dass der Kunde eine konkrete Aufgabe nicht durchführt. Selbst wenn das nicht auf Anhieb funktioniert: Einmal wird es das tun. Im Falle der Kündigung behält der Auftragnehmer seinen Vergütungsanspruch weitgehend [→ Kap. 4.6, S. 113]. Manch ein Kunde formuliert deswegen in seinem Vertragsentwurf einen solchen Anspruch auf Austausch gegenüber dem Auftragnehmer. Dieser Weg kann auch in dem Fall helfen, dass der gewünschte Anspruch besteht, der Anspruchsteller dessen Voraussetzungen aber nicht beweisen kann. (2) Was es an Abwehrgrundlagen gibt 7 Abwehrgrundlagen setzen darauf auf, dass der geltend gemachte Anspruch besteht, zumindest möglicherweise in dem Augenblick, in dem der Schuldner über seine Verteidigung nachdenkt. Aus einer Vereinbarung oder aus einer Rechtsvorschrift kann sich ergeben, dass der Schuldner den bestehenden Anspruch  derzeit nicht erfüllen muss, Beispiele (1) Der Kunde kann geltend machen, dass der Auftragnehmer seinen Zahlungsanspruch gestundet habe. (2) Der Auftragnehmer hat das Recht, die Beseitigung von Mängeln zu verweigern, wenn der Kunde in Zahlungsverzug ist.  nicht mehr erfüllen muss, Alle Ansprüche im Vertragsrecht unterliegen der Verjährung, d.h. dass der Schuldner nach Ablauf der Verjährungsfrist die Leistung 7 Die Juristen sprechen von „Einwendungen“ und „Einreden“. Das ist nur für Prozesse relevant: Einwendungen hat das Gericht von Amts wegen zu beachten, Einreden nur, wenn sich eine Partei darauf beruft, beispielsweise auf Verjährung [→ Kap. 4.10 (1), S. 118]. <?page no="42"?> 42 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun verweigern kann [→ Kap. 4.10 (1), S. 118]. Beispiel Die Verjährungsfrist für Mängelansprüche [→ Kap. 6.4.6, S. 148]  nicht in dieser Höhe erfüllen muss, Beispiel Bei Schadensersatzansprüchen kann der Schuldner Mitverschulden des Geschädigten einwenden [→ Kap. 11.1 (3), S. 244].  überhaupt nicht oder nicht wie verlangt erfüllen muss. Beispiele (1) Der Schuldner beruft sich darauf, dass der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei oder dass er vom Vertrag wirksam zurückgetreten sei. (2) Der Käufer verlangt bei einem Kaufvertrag wegen eines Mangels Ersatzlieferung. Der Verkäufer kann entgegenhalten, dass diese für ihn unzumutbar sei, weil die Beseitigung des Mangels wesentlich kostengünstiger sei [→ Kap. 6.4.2 am Anfang, S. 141]. Abwehrgrundlagen aus Beweisgründen: Normalerweise bauen Abwehrgrundlagen auf einem sachlichen Grund auf. 8 Es gibt allerdings auch Rechtsvorschriften, die formal als Abwehrgrundlagen formuliert sind, obwohl ihr rechtlicher Grund in der Sache zur Anspruchsgrundlage gehört, nämlich weil der Anspruchsteller sich auf diesen stützt. Der Gesetzgeber ist allerdings davon ausgegangen, dass der Anspruchsteller Schwierigkeiten haben dürfte, den Grund zu beweisen. Deswegen hat der Gesetzgeber den Grund in eine Abwehrvoraussetzung gepackt. Beispielsweise „Dies gilt nicht, wenn …“ oder: „Ausgenommen ist …“. [→ Ausführlich Kap. 2.2.3 (2) unter „Umkehr der Beweislast“, S. 47] 2.2.2 Schritt 2: Darlegen der Voraussetzungen Im zweiten Schritt muss die Klägerin vor Gericht darlegen, dass die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen durch die von ihr behaupteten Tatsachen erfüllt sind [→ siehe einleitend Kap. 2.2 unter „Die drei Schritte …“ S. 38]. 8 Das gilt selbst für die Berufung auf Verjährung: Es soll Frieden herrschen! <?page no="43"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 43 Der Gang zu Gericht ist nicht Ihre Sache. Aber Sie haben das Thema erst einmal auf Ihrer Ebene. Erst einmal müssen Sie mit Ihrem Partner auf der anderen Seite argumentieren, dass Ihre Seite einen bestimmten Anspruch hat oder eine von der anderen Seite behauptete Pflicht nicht hat - und kommen hoffentlich zu einer Einigung. Fragen Sie bei Argumentationen auf Ihrer Ebene eher nicht nach der Wahrheit oder der Beweisbarkeit, um die Atmosphäre nicht zu beeinträchtigen. Sie können das aber in dem Fall tun, dass Ihr Gegenüber die Wahrheit und die Beweisbarkeit fairerweise nicht bestreiten kann, um zu verdeutlichen, dass man Ihre Seite nicht herumkommandieren kann. [→ Vgl. Kap. 2.2 unter „Die drei Schritte…“ am Ende, S. 38] Oft streiten die Parteien darüber, wie ihre Vereinbarungen zu verstehen/ auszulegen sind. Manchmal streiten sie über die Auslegung von Rechtsvorschriften. - Da können auch Sie beteiligt sein, beispielsweise wenn es darum geht, ob ein Mangel vorliegt oder nicht. - Die Klägerin möchte alles so auslegen, dass die Anspruchsvoraussetzungen von den behaupteten Tatsachen erfüllt werden. Die Beklagte möchte die Anspruchsvoraussetzungen eng auslegen, sodass diese nicht erfüllt wären. Den Wortlaut von Abwehrgrundlagen möchte sie hingegen dehnen. Je vager Rechtsvorschriften abgefasst sind, insbesondere die verwendeten Rechtsbegriffe, desto größer ist der Auslegungsspielraum. Es kommt immer mehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Desto mehr können die Parteien über die richtige Auslegung streiten. Insbesondere kann jede ergänzend mit Treu und Glauben argumentieren: Die Klägerin stützt sich auf Treu und Glauben zur Begründung ihres Anspruchs, oder die Beklagte beruft sich auf Treu und Glauben gegen den hölzernen Wortlaut der für sie nachteiligen Vereinbarungen [→ vgl. Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 22]. Darauf, ob die in den Argumentationen behaupteten Tatsachen wahr sind, kommt es bei diesem Schritt noch nicht an. Bei Gericht wird die Wahrheit in dieser Phase sozusagen unterstellt. Die behaupteten Tatsachen müssen nur gemäß dem Prozessrecht beweisbar sein. [Zahrnt, Ihr Rechtsstreit bei Gericht, Kapitel 2] Zur Information Die Klägerin muss den Anspruch „substanziieren“, d.h. mit Substanz füllen, also in nachweisbarer Weise darlegen, dass die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Sie hat die „Darlegungslast“, dass ihr das gelingt. <?page no="44"?> 44 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun Im Zivilprozess gilt der „Verhandlungsgrundsatz“. Grundsätzlich (also mit Ausnahmen) haben die Parteien die Tatsachen vorzutragen, auf die sie sich stützen. Es gilt der „Beibringungsgrundsatz“. 9 Beispiel Der Auftragnehmer hat einen Teil des Systems nicht innerhalb einer angemessenen Nachfrist geliefert. Der Kunde will vom Vertrag insgesamt zurücktreten. Er ist dazu nur in dem Fall berechtigt, dass er „an der Teilleistung kein Interesse hat.“ Jetzt muss er Argumente für die Nutzlosigkeit liefern (und gegebenenfalls im dritten Schritt die in diesen enthaltenen Tatsachen beweisen) [→ Kap. 11.2 (2), S. 251]. Entsprechend muss die Beklagte ihre Abwehrgrundlage darlegen. - Die Beklagte könnte eigentlich abwarten, ob die Klägerin deren Behauptungen auch beweisen kann, und erst nach einer für sie selbst negativen Beweisaufnahme sich auf eine Abwehrgrundlage berufen. Ihr droht aber, dass das Gericht solches Vorbringen als verspäteten Vortrag beiseiteschiebt 10 ; der Prozess könnte dann für sie verloren gehen. Die Beklagte muss also im eigenen Interesse nicht nur den Vortrag der Klägerin bestreiten, sondern auch alsbald ihre Abwehrgrundlage darlegen und unter Beweis stellen. Das Beweisen und Bestreiten läuft dann andersherum ab. Das Gericht überprüft die Schriftsätze beider Parteien in der „Schlüssigkeitsprüfung“. Subsumtion Die Juristen nennen den Vorgang der Schlüssigkeitsprüfung (die endgültig der Richter vornimmt) „Subsumieren“ und das Ergebnis die „Subsumtion“: Erfüllt der Sachverhalt die Anspruchs-/ Abwehrvoraussetzungen? Die Parteien brauchen keine Rechtsausführungen zu machen. Schon die alten Römer sagten, dass das Gericht das Recht kennen würde („Jura novit curia“). Aber es kann sehr nützlich sein, dem Gericht die „richtige“ Rechtsauffassung zu vermitteln. 9 In Prozessen vor den Verwaltungsgerichten gilt hingegen der Amtsermittlungsgrundsatz: Das Gericht ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Kann es für eine Voraussetzung keine Bestätigung ermitteln, trägt die betroffene Partei die Feststellungslast. 10 So vorgesehen in § 296 Zivilprozessordnung <?page no="45"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 45 Möglicherweise streiten die Parteien nur über Tatsachen. Die rechtliche Seite kann problemlos sein. Dann „entscheidet“ oft das Sachverständigengutachten über den Prozessausgang. Beispiel Warum funktioniert das erstellte System nicht: Weil dessen Istbeschaffenheit mangelhaft ist oder weil der Kunde es falsch angewendet hat? Im Normalfall muss die Klägerin auch genau angeben, was sie einklagt. Auch die Tatsachen dazu muss sie substantiiert vortragen, beispielsweise die Höhe des Schadens oder was an Ansprüchen daraus folgt, dass sie vom Vertrag zurückgetreten ist. Das Gericht prüft, ob die Parteivorträge überzeugende Begründungen/ nachvollziehbare Argumentationen enthalten. Das gilt besonders hinsichtlich der wertausfüllungsbedürftigen Begriffe wie „angemessen“ oder „zumutbar“ [→ Kap. 2.2 unter „Wertausfüllungsbedürftige Begriffe“, S. 39]. Dann muss das Gericht prüfen, ob die behaupteten Tatsachen diese Rechtsbegriffe erfüllen. Bei solchen Begriffen wird die Partei rechtliche Ausführungen machen, um die Tatsachen in ihre Argumentation einzuführen. [→ Kap. 2.2 unter „Wertausfüllungsbedürftige Begriffe“, S. 39] Ist das Gericht nicht überzeugt, weist es die Klage als unschlüssig ab. Anderenfalls führt es die Beweisaufnahme durch. Das Gericht muss entscheiden [→ siehe Anhang A.2 am Anfang, S. 272]. Gegebenenfalls muss es so lange abwägen, bis die Waage sich in die eine oder die andere Richtung neigt. Ein hoher Grad an Überzeugung ist hinsichtlich der rechtlichen Seite nicht erforderlich. [→ Zum (hohen) Beweismaß für Tatsachen siehe Kap. 2.2.3 (1) unter „Vollbeweis“, S. 45] Es liegt nahe, dass Richter den Parteien einen Vergleich vorschlagen, wenn sich die Waage in jede der beiden Richtungen neigen könnte. [Zahrnt, Ihr Rechtsstreit bei Gericht, Kapitel 3 Die Güteverhandlung] Die Darlegungslast besteht auch gegenüber dem Gericht. Auflistungen von Mängeln müssen in einer für das Gericht verständlichen Weise abgefasst sein. Denn sonst kann das Gericht nicht die richtige Beweiserhebung anordnen und wird folglich nichts anordnen. Ende 2.2.3 Schritt 3: Die Beweislast (1) Was heißt Beweislast? Wenn die Klägerin vor Gericht schlüssig dargelegt hat, dass die behaupteten Tatsachen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, kommt <?page no="46"?> 46 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun es darauf an, ob die behaupteten Tatsachen auch „wahr“ sind. Als wahr gelten sie im Rechtssinn, wenn sie bewiesen werden können. Es reicht die „prozessuale Wahrheit“, diese muss aber auch gegeben sein. Gelingt der Klägerin der Beweis nicht, verliert sie den Prozess im Hinblick auf die geltend gemachte Anspruchsgrundlage. 11 Das gilt entsprechend für die behaupteten Tatsachen zu einer Abwehrgrundlage. Begrifflich geht es nicht um die „Beweispflicht“, sondern um die „Beweislast“: Keine Partei ist verpflichtet, die Richtigkeit ihrer Behauptungen zu beweisen. Sie muss es allerdings im eigenen Interesse tun, damit sie Erfolg haben kann. 12 Als Nicht-Jurist können Sie ruhig von „Beweispflicht“ sprechen. Jede Partei braucht nur diejenigen Tatsachen zu beweisen, die die andere Partei zulässigerweise bestreitet. Die andere Partei kann nicht einfach solche Tatsachen bestreiten, die in ihrem Bereich gelegen sind und/ oder noch liegen. Dieser Gedanke hat sich in der Verteilung der Beweislast niedergeschlagen [→ siehe im Folgenden unter (2), S. 47]. Vollbeweis: Dieser bezeichnet das normale Beweismaß. Für den Beweis vor Gericht reicht ein „so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch nicht mehr an der Wahrheit zweifelt“. Es kommt demnach darauf an, dass das Gericht „zu einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit gelangt, der dem Zweifel Schweigen gebietet, ohne ihn völlig auszuschließen.“ 13 Gegenbeweis: Auch die andere Seite muss die Behauptungen, auf die sie ihr Bestreiten stützt, beweisen, wenn sie sich erfolgreich verteidigen will. Der Gegenbeweis braucht allerdings nicht das Beweismaß des Vollbeweises zu erreichen, sondern braucht nur die Behauptungen der beweisbelasteten Partei zu erschüttern. Es geht nicht um den Beweis des Gegenteils [→ dazu im Folgenden (2) unter „Umkehr der Beweislast“, S. 47]. Maßgeblich ist oft ein Handeln oder ein Zustand in der Vergangenheit. Der Beweisbelastete kann also leicht in Beweisnot kommen. 11 Formal gesehen geht es um die „Feststellungslast“. Diese fällt in Ihren Rechtsstreitigkeiten allerdings wegen des Beibringungsgrundsatzes mit der Beweislast zusammen. 12 Es geht im juristischen Sprachgebrauch um eine Pflicht im eigenen Interesse. Vergleiche dazu die Obliegenheiten [→ Kap. 4.6, S. 113]. 13 BGH vom 18.4.1977, Versicherungsrecht 77, 721 unter Verweis auf das Urteil vom 21.12.1960 (Neue Juristische Wochenschrift 1961, 779). <?page no="47"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 47 Deswegen besteht eine gewisse Pflicht der anderen Seite, bei ihr vorhandenes Material zur Verfügung zu stellen. [→ Kap. 6.4.1 unter „Bereitstellen von Beweismitteln …“, S. 141] (2) Die Verteilung der Beweislast Wer die Beweislast trägt, ergibt sich im Normalfall aus dem Wortlaut der Vereinbarung bzw. der Rechtsvorschrift: Der Gläubiger muss die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage beweisen, der Schuldner die der Abwehrgrundlage. Beispiel Das System hat die vereinbarte Leistung nicht erbracht. Der Auftragnehmer bestreitet, dass die Stromversorgung ordnungsgemäß gewesen sei. Bei der folgenden Formulierung trägt der Kunde die Beweislast für die ordnungsgemäße Stromversorgung: „Vorausgesetzt, die Spannungsschwankung hält sich in folgenden Grenzen, wird das System ...“. Hingegen trägt der Auftragnehmer die Beweislast, wenn formuliert worden ist: „Das System wird ... Das gilt nicht, wenn die Spannungsschwankung ...“ Wer Vereinbarungen formuliert, etwa eine Leistungsbeschreibung, sollte daran denken, dass er die Beweislast durch seine Formulierungen mit verteilt. Der Schreiber kann die Beweislast in gewissem Umfang der anderen Seite zuschieben. Er bestimmt durch die Formulierung weitgehend, ob etwas eine Anspruchsvoraussetzung ist, die der Gläubiger beweisen muss, oder ob etwas eine Ausnahme ist, deren Vorliegen der Schuldner beweisen muss. [Siehe auch Schreiben in Projekten , Kapitel 5.4 unter „Denken Sie an die Beweislast“] Möglicherweise ist die eigentlich beweisbelastete Partei von der Konstellation her kaum in der Lage, die Tatsache zu beweisen, insbesondere weil es um Tatsachen im Bereich der anderen Partei geht. Dann kann das Vertragsrecht die beweisbelastete Partei auf verschiedenen Weisen entlasten. Bei Bedarf In abgeschwächter Reihenfolge kommen in Betracht: Umkehr der Beweislast: Der Gesetzgeber hat einen Umstand, der eigentlich zur Anspruchsgrundlage gehört, aus dieser herausgenommen, weil der Gläubiger zu diesen nur schwierig, der Schuldner aber leicht Be- <?page no="48"?> 48 2.2 Ansprüche stellen oder abwehren, und das erfolgreich tun weis erbringen kann. Das Gesetz legt dem Schuldner die Beweislast auf, d. h. es „vermutet“, dass die kritische Anspruchsvoraussetzung erfüllt ist. Also muss der Schuldner sich entlasten, d.h. den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Voraussetzung doch nicht erfüllt ist (= „Beweis des Gegenteils“). Es reicht also nicht wie im Normalfall des Bestreitens aus, dass der Schuldner die Beweisführung des Gläubigers erschüttert [→ vgl. Kap. 2.2.1 (1) unter „Gegenbeweis“, S. 46]. Beispiele (1) Wenn der Kunde bei einem Werkvertrag sein freies Kündigungsrecht ausübt, wird vermutet, dass dem Auftragnehmer nur 5 % der entfallenden Vergütung als Entschädigung zustehen [→ Kap. 7.3.4, S. 199]. (2) Wer Schadensersatz verlangt, müsste eigentlich die Verantwortlichkeit (= das Vertretenmüssen in der Form von Verschulden) des Schädigers nachweisen. Weil das so schwierig sein kann, dreht § 280 BGB bei vertraglichen Anspruchsgrundlagen die Beweislast hinsichtlich der Verantwortlichkeit um: „… kann verlangen. Dies gilt nicht, wenn …“ Die Beklagte muss sich entlasten, also vortragen und beweisen, dass sie nicht schuldhaft gehandelt hat [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Auslegungsregeln: Das BGB enthält zahlreiche Vorschriften zur Auslegung von Willenserklärungen, seien diese Teil von Vereinbarungen oder selbstständige Erklärungen. Diese Vorschriften sind oft mit „im Zweifel“ formuliert. Damit die jeweilige Auslegungsregel nicht eingreift, muss die durch diese belastete Partei den Beweis des Gegenteils erbringen, also den vollen Beweis für einen anderen Willen. Das entspricht der Umkehr der Beweislast [→ Kap. 2.3 (5), S. 59]. Beweis des ersten Anscheins: Wenn es nach der Lebenserfahrung einen typischen Geschehensablauf gibt, der zu dem zu beweisenden Ergebnis führt, braucht die beweisbelastete Partei nur den typischen Geschehensablauf zu beweisen, nicht aber auch das Ergebnis. Beweist die andere Seite aber, dass auch ein anderes Ergebnis wegen besonderer Umstände ernsthaft in Betracht gezogen werden kann (= sät sie ernsthafte Zweifel bei Gericht 14 ), ist der Beweis des ersten Anscheins entkräftet. Dann muss die beweisbelastete Partei den Beweis normal führen („Vollbeweis“). 14 Dieses „Sähen“ verlangt weniger Überzeugungskraft als das „Erschüttern“ eines Vollbeweises, weil letzterer eine höhere Überzeugungskraft als ein Beweis des ersten Anscheins hat [→ siehe vorstehend (1) unter „Vollbeweis“, S. 46]. <?page no="49"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 49 Entsprechend gilt andersherum: Wenn ein Geschehensablauf bewiesen werden muss, kann aus einem typischen Ergebnis auf den Geschehensablauf geschlossen werden. Beispiele (1) Es sei ein Beispiel aus dem Leben von Autofahrern erlaubt: der Auffahrunfall. Aus dem Ergebnis wird auf das schuldhafte Verhalten des Auffahrenden geschlossen. Denn die Erfahrung sagt, dass solch ein Fahrer typischerweise die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, sei es, dass er unaufmerksam war oder den erforderlichen Abstand nicht eingehalten hat bzw. zu schnell gefahren ist. (2) Macht der Kunde Ansprüche wegen eines Mangels gelten, muss er beweisen, dass die Ursache dafür zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs bereits gesetzt war. Bei dem Ausfall eines Systems in der ersten Zeit nach dessen Inbetriebnahme (Geschehensablauf) ist typischerweise davon auszugehen, dass die Ursache bereits gesetzt war. 15 Erklärungslast: Das Vertragsrecht verteilt die Beweislast - wie vorstehend dargelegt - oft so, dass derjenige etwas beweisen muss, in dessen Herrschafts- oder Einflussbereich etwas geschehen ist, der also „näher am Beweis“ ist. Die Rechtsprechung wendet diesen Gedanken der Nähe der Nähe ansatzweise auch in nicht gesetzlich geregelten Situationen an, in denen der beweisbelastete Vertragspartner ebenso keinen ausreichenden Einblick in die Situation des anderen hat. Die Beweislast bleibt zwar bei der beweisbelasteten Partei. Die andere, die näher am Beweis ist, ist aber verpflichtet darzulegen, was in deren Wahrnehmungsbereich geschehen ist. Sie ist dazu desto ausführlicher/ weitgehender verpflichtet, je weniger die beweisbelastete Partei die Umstände kennen kann. Auf der Grundlage dieser Information muss letztere dann Beweis antreten (die sog. „sekundäre Beweislast“). Ende 15 Die Rechtsprechung hat das lange Zeit im Wege des Beweises des ersten Anscheins berücksichtigt. Inzwischen hat der Gesetzgeber die Rechtslage beim Verbrauchsgüterkauf ausdrücklich so geregelt, indem er in § 477 BGB die Beweislast umgekehrt hat: „Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein von den Anforderungen nach § 434 oder § 475b abweichender Zustand der Ware, so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Ware oder des Mangels unvereinbar.“ <?page no="50"?> 50 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen Um das richtige Ergebnis zu finden, müssen Sie zwei Fragen beantworten:  Was ist an Vereinbarungen Vertragsbestandteil geworden? Das ist abzugrenzen auf der einen Seite von dem, was nicht Vertragsbestandteil geworden ist, und auf der anderen Seite von dem, was vom Vertragsrecht weiterhin ergänzend gilt: Inwieweit haben die Vertragspartner das ergänzend geltende Vertragsrecht durch ihre Vereinbarungen nicht überlagert? 16  Wie sind die Vereinbarungen und die ergänzend geltenden Rechtsvorschriften zu verstehen bzw., wenn es kein klares Verständnis gibt, wie sind sie dann auszulegen? Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich aus dem Verstehen der Vereinbarungen bzw. erst aus deren Auslegung. Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit: Wenn die Vertragspartner ihre Verhandlungen in einem Vertragsdokument zusammengefasst haben, kann und muss davon ausgegangen werden, dass sie genau diese Zusammenfassung als verbindlich gewollt haben. Deswegen wird vermutet, dass die Vereinbarungen vollständig wiedergeben sind. Die Vermutung geht auch dahin, dass die Vereinbarungen richtig wiedergegeben sind. Wer schreibt, der bleibt Halten Sie lieber etwas mehr schriftlich fest, verlassen Sie sich also nicht darauf, dass sich etwas von alleine verstehen würde. Verlassen Sie sich auch nicht darauf, dass die andere Seite deren eigene Texte oder Ihre Texte so versteht, wie Sie es tun. Bei Auseinandersetzungen ist Ihre Seite dann verlassen, zumindest wenn sie die Auftragnehmerin ist. Diese Vermutung wird hinsichtlich der Vollständigkeit noch verstärkt, wenn die Vertragspartner für den Vertrag Schriftform vereinbaren. [→ Zur Wirksamkeit von mündlichen Vereinbarungen bei vereinbarter Schriftform siehe Kap. 3.1.5 (2) unter „Beweislast bei mündlichen Nebenabreden“, S. 74] 16 In diesem Zusammenhang sind AGB im Verhältnis zum Vertragsrecht wie individuelle Vereinbarungen einzuordnen. <?page no="51"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 51 [→ Zur Frage bei mehreren Dokumenten, welche zum Vertragsbestandteil geworden sind und das in welcher Rangfolge, siehe Kap. 3.3, S. 93] Verstehen und Auslegen: Das ist ein Kontinuum vom ungefähren Verstehen bis zum Auslegen auf hohem Wissens- und Denkniveau. Das kann Sie und die Leitungsebene betreffen. Deswegen werden Sie im Folgenden nicht direkt angesprochen. (1) Auslegungsmethoden Nach welchen Methoden muss Ihre Seite beim Auslegen vorgehen, um die richtige Antwort zu finden. Sie dürften in erster Linie an Ansprüche auf Leistung denken: Besteht der geltend gemachte Anspruch? Ansprüche können sich auch aus Pflichtverletzungen ergeben [Kapitel 11]. Die Auslegungsmethoden sind dann dieselben. Juristen formulieren das Thema Auslegung dann vielfach in der Weise: „Fällt das, was dem Vertragspartner vorgeworfen wird, noch in dessen Risikobereich, sodass eine Pflichtverletzung vorliegt? “ [→ Kap. 11 am Anfang unter „Der Risikobereich“, S. 240] Die Rechtswissenschaft hat zur Auslegung von Rechtsvorschriften im Wesentlichen vier Auslegungsmethoden entwickelt. Diese sind also keine Rechtsvorschriften. [→ Zu Auslegungsregeln zu Vereinbarungen siehe Kap.2.3 (2), S. 53 und Kap.2.3 (4), S. 59]. „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihrs nicht aus, so legt was unter.“ Goethe (Mephisto in Faust I) „Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt, wie ein Jurist die Wirklichkeit.“ Jean Giraudoux (Der Trojanische Krieg findet nicht statt) Diese Auslegungsmethoden werden auch auf die Auslegung von Vereinbarungen angewendet. Befürchten Sie nicht, dass diese Sie überfordern würden. Sie werden sehen, dass Sie diese Methoden im Ansatz selbst anwenden:  Ausgangspunkt für die Auslegung ist der Wortlaut. Gesucht wird nach dem Wortsinn. Es kann einen üblichen Wortsinn geben. Der Wortsinn kann allerdings auch unscharf bis vage sein. Dann gibt es wahrscheinlich eine naheliegende Bedeutung sowie fernlie- <?page no="52"?> 52 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen gende Bedeutungen. Bei den letzteren fragt sich, ob diese noch unter den Wortlaut fallen. Beispiel Wenn der Kunde „bei der Herstellung“ (§ 642 BGB) nicht ordnungsgemäß mitwirkt, kann der Auftragnehmer eine Entschädigung verlangen [→ Kap. 4.6, S. 113]. Das ist auch ohne Kenntnis der Rechtsvorschrift einsichtig. Fällt darunter auch die Variante, dass der Kunde die Voraussetzungen für den Arbeitsbeginn des Auftragnehmers nicht rechtzeitig schafft? Das fällt wohl nicht unter den Wortlaut, aber noch unter den Wortsinn. Die Sprache soll an den Adressaten ausgerichtet sein, also gegebenenfalls an Fachleute. Sie ist aber in Wirklichkeit primär an Juristen ausgerichtet [→ Kap. 2.1.1 (4), S. 25]. Bei Vereinbarungen geht es vorrangig darum, wie die Vertragspartner die von ihnen verwendeten Begriffe verstanden haben [→ Kap. 2.3 (2), S. 53].  Die systematische Auslegung fragt nach der Stellung der Vorschrift im unmittelbaren Zusammenhang, sodann innerhalb des Gesetzes und schließlich innerhalb der Rechtsordnung. Bei Vereinbarungen spielt diese Methode weniger eine Rolle.  Die historische Auslegung „kramt“ in der Entstehungsgeschichte der Rechtsvorschrift. Dabei stellt sich ein Problem: Soll der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich sein oder der - nicht direkt geäußerte - Wille des heutigen Gesetzgebers. Neue Gesetze zeigen den Willen des heutigen Gesetzgebers im Sinne seiner allgemeinen Einstellung. Dieser Wille / diese Einstellung soll nach herrschender Meinung bei der Auslegung älterer Gesetze berücksichtigt werden [→ beispielsweise spielt Treu und Glauben für den heutigen Gesetzgeber eine größere Rolle, siehe Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 21] Bei Vereinbarungen kramen die Vertragspartner erst recht in deren Entstehungsgeschichte, nämlich in den Gesprächsprotokollen vor Vertragsabschluss, manchmal auch nur in ihren Erinnerungen. Glücklicherweise brauchen sie kaum wie bei Rechtsvorschriften in der fernen Vergangenheit zu kramen. Es empfiehlt sich, die Entwürfe von vertragsbezogenen Dokumenten aus deren Entstehungszeit aufzuheben. Das gilt auch für Protokolle, insbesondere für solche, die dem anderen Vertragspartner seinerzeit mitgeteilt worden sind. <?page no="53"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 53  Die teleologische Auslegung stellt auf den Zweck der Rechtsvorschrift ab, manchmal auch auf den Endzweck/ das Ziel. Da kann viel argumentiert werden. Argumente beziehen sich auf eine Rechtsvorschrift. Deswegen müssen sie einen allgemeinen Charakter haben, dürfen sich also nicht auf den Einzelfall beziehen. Der Einzelfall ist dann ein Beispiel für den allgemeinen Charakter. Bei Ihren Vereinbarungen wird nur etwas schlichter gefragt, was die Vertragspartner erreichen wollten. Hier taugen auch Argumente, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die Rangfolge der vier Auslegungsmethoden ist strittig. Jede hat ihre Berechtigung. Deswegen werden die Methoden vielfach kombiniert angewendet. Sie haben eben zur historischen Auslegung gelesen: „nach herrschender Meinung“. Es gibt also Situationen, bei denen die tonangebenden Juristen sich nicht auf ein einheitliches Verständnis einigen. Gesetzes-/ Vertragskonforme Auslegung: Wenn eine Rechtsvorschrift mit einer höherrangigen vom Wortlaut her teilweise nicht zu vereinbaren ist, kommt in Betracht, die mit dem niedrigeren Rang so auszulegen, dass sie nicht mehr widerspricht. Vielleicht haben Sie in den Nachrichten schon von der „verfassungskonformen Auslegung“ durch das Bundesverfassungsgericht gehört. [→ Zum Rangverhältnis siehe Kap. 2.1 (1) unter „Widersprüche zwischen und in Rechtsquellen“, S. 20] Solche Widersprüche kommen auch in Vertragsdokumenten vor, mit denen Sie zu tun haben. Allerdings gibt es häufig kein ausdrückliches Rangverhältnis [→ siehe im Folgenden (2) unter „Widersprüche“, S. 56]. (2) Vorschriften zur Auslegung von Vereinbarungen Das Vertragsrecht enthält zwei allgemeine Auslegungsregeln für Vereinbarungen sowie zahlreiche punktuelle Auslegungsregeln [→ Kap.2.3 (4), S. 59]. Ergänzend werden die unter (1) vorgestellten Methoden des Auslegens eingesetzt. Die erste allgemeine Auslegungsregel stellt auf einzelne Willenserklärungen ab (§ 133 BGB): „Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“ Das passt vom Wortlaut her gut für einseitige Willenserklärungen wie für eine Rücktrittserklärung. Bei diesen ist also genau auf den wirklichen Willen des Erklärenden abzustellen. Die Regel passt vom Wortlaut her eher nicht für Vereinbarungen, weil der wirkliche Willen von zwei Erklärenden sich in kritischen <?page no="54"?> 54 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen Fällen eher nicht deckt. Die zweite allgemeine Auslegungsregel geht auf die Situation von zwei Erklärenden ein, also auf Vereinbarungen (§ 157 BGB). Sie hat deswegen Vorrang: „Verträge [also gemeinsame Willenserklärungen] sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Beispiel für die Konkretisierung Eine kurze Vereinbarung lautet: „Der Auftragnehmer ist zur Geheimhaltung vertraulicher Informationen verpflichtet.“ Das ist auf der Grundlage von Treu und Glauben auszulegen und hat dann denselben Inhalt wie die verbreitete Formulierung: „Der Auftragnehmer ist - auch nach Beendigung des Vertrags - zur Geheimhaltung vertraulicher Informationen verpflichtet. Dies gilt nicht für Informationen, die dem Auftragnehmer bereits bekannt waren oder die ihm außerhalb des Vertrags auf rechtmäßige Weise bekannt wurden oder die zu Allgemeingut wurden.“ § 133 BGB greift ergänzend ein: Was wollten die Vertragspartner mit ihren Formulierungen oder Begriffen gemeinsam ausdrücken? Haben sie das wirklich ausgedrückt? Die Juristen fassen beide Regeln als „Auslegung nach §§ 133, 157 BGB“ zusammen. Sie können vertragsbezogene Dokumente weitestgehend so formulieren, wie Sie das für sachgerecht halten. Sie sollten diese formulieren • möglichst eindeutig • situationsgerecht verständlich und • als Auftragnehmer vorsichtig. [Siehe Schreiben in Projekten allgemein Kapitel 4 und speziell zu vertragsbezogenen Dokumenten Kapitel 5] Alle relevanten Umstände sind zu berücksichtigen. Die Juristen sprechen von dem „Hintergrund“, vor dem jeweils einer etwas erklärt. 17 [→ Siehe Kap. 7.8 (1) unter „Beispiel Leistungsverhalten“, S. 214] Allerdings muss auch die Situation des Erklärungsempfängers berücksichtigt werden: Er kann nicht schlechthin wissen, was sich der Erklärende mit dessen Erklärung vorgestellt hat. Der Empfänger darf davon ausgehen, was er situationsgerecht erkennen konnte. 17 Die Linguistiker sprechen vom „Kontext“, der zu berücksichtigen ist. Dazu gehören „alle Elemente einer Kommunikationssituation, die das Verständnis einer Äußerung bestimmen.“ (Wikipedia) <?page no="55"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 55 Der Empfänger darf bei seinem Erkennen allerdings nicht für Unwissenheit oder Ignoranz belohnt werden. Deswegen wird auf den „objektiven Empfängerhorizont“ abgestellt: Wie durfte und musste ein verständiger Empfänger die Erklärung bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt verstehen? Es sind also nicht nur die Umstände zu berücksichtigen, die ihm tatsächlich bekannt waren, sondern auch solche, mit denen er als verständiger Empfänger rechnen musste. Beispiel für die Situation Fachmann - Laie Ein Fachmann muss gegenüber einem Laien dessen Verständnisniveau berücksichtigen: Als Empfänger der Erklärung eines Laien muss er diese entsprechend auslegen. Als Sender muss er berücksichtigen, dass ein Laie nur auf dessen Niveau Formulierungen eines Fachmanns verstehen kann. Maßgeblich ist nicht das persönliche Niveau des jeweiligen Laien (das der Fachmann eher nicht kennt), sondern das eines solchen Laien, als der der Empfänger auftritt. Es kommt auf die Umstände bei Abschluss des Vertrags an. Zu diesen gehören auch solche künftigen Umstände, von deren normaler Entwicklung die Vertragspartner ausgehen durften und mussten. Bei der Frage, ob sich die Willenserklärungen decken, ist davon auszugehen, dass die Vertragspartner den verwendeten Begriffen diejenige Bedeutung beigemessen haben, die diese nach der Verkehrsauffassung (Verkehrssitte) für das maßgebliche Verständnisniveau gewöhnlich haben. Wer sich darauf beruft, dass beide gemeinsam  einen Begriff abweichend von dessen üblichem Inhalt verstanden hätten oder  tatsächlich etwas Anderes als formuliert gewollt hätten oder  weitere Vereinbarungen als nur die niedergelegten getroffen hätten, also zusätzlich mündliche, trägt die Beweislast dafür, dass das entgegen dem Text des Dokuments gewollt war. 18 Ergänzende Vertragsauslegung: Unvollständige Vereinbarungen müssen ergänzt werden: Wie hätten die Vertragspartner einen Punkt geregelt, wenn sie an diesen gedacht und ihn für regelungsbedürftig gehalten hätten? Diese Frage stellt sich besonders bei Leistungsbeschreibungen. 18 Bei einer überhaupt nur mündlich getroffenen Vereinbarung: Dass diese nachweisbar so wie behauptet formuliert worden ist. <?page no="56"?> 56 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen Beispiel für die ergänzende Vertragsauslegung In einem Vertrag über die Überlassung von Standardsoftware mit Pflege heißt es, dass der Vertrag mit Unterzeichnung in Kraft tritt. Unklar ist, wann die Pflege überhaupt beginnt, wann die Mindestlaufzeit und wann die Pflicht zur Zahlung der laufenden Pflegepauschale. Es drängt sich auf, dass die Pflegeleistungen von unterschiedlichen Zeitpunkten an erbracht werden sollen: die Weiterentwicklung fortlaufend (demnächst könnte ein neues Gesetz Anpassungen verlangen), die Hotline ab Beginn der produktiven Nutzung, die (entgeltliche) Fehlerbeseitigung ab Ende der Verjährungsfrist für Mängelansprüche. Dann bleibt unklar, wann die Mindestlaufzeit und wann die Zahlungspflicht beginnen. Für letztere käme eine unterschiedliche Höhe der Pflegepauschale während der Verjährungsfrist für Mängelansprüche in Betracht (während dieser Frist muss der Auftragnehmer Mängel unentgeltlich beseitigen [→ Kap. 6.4, S. 137]). In diesem Fall würde man versuchen, auf branchenübliche Vereinbarungen abzustellen. „Widersprüche“: Wenn Vereinbarungen in einem Vertragsdokument nicht recht zusammenpassen, vermeiden Juristen möglichst, diese als widersprüchlich zu bezeichnen. Sie versuchen, die Vereinbarungen in ein solches Verhältnis zu bringen, dass diese sich nicht mehr widersprechen. Beispielsweise kann die eine Formulierung die Regel ausdrücken und die andere vorrangig einen speziellen Fall. Oder die Juristen legen eine der Vereinbarungen oder beide eingeschränkt aus. Manchmal funktioniert diese Methode nicht, weil Formulierungen sich wirklich widersprechen. Dann wird der wirkliche Wille der Vertragspartner aus der Gesamtheit der Vereinbarungen ermittelt. Beispiele für Widersprüche (1) Ein Vertrag wird als „Werkvertrag“ bezeichnet; die Leistung besteht darin, dass „der Auftragnehmer den Kunden bei ... unterstützen soll.“ Die Vertragspartner wollen also einen Dienstvertrag vereinbaren [→ siehe auch Kap. 5.3, S. 126]. (2) Über einem Brief steht „Letter of Intent“. In ihm wird der Auftragnehmer aufgefordert, schon mit der Durchführung des Vertrags zu beginnen. Der Brief enthält also bereits einen Vertragsantrag zu einem vorläufigen Auftrag (mit Vergütungspflicht! ) und nicht nur eine Absichtserklärung [→ Kap. 3.1.6 (1), S. 76]. <?page no="57"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 57 Manchmal ist der Widerspruch in einem Dokument darauf zurückzuführen, dass die sich widersprechenden Textstellen von dem einen oder dem anderen Vertragspartner stammen. Beispielsweise kann der Auftragnehmer ein Stück Text aus dem Anforderungskatalog des Kunden in sein Angebot übernommen haben. Dann muss das Rangverhältnis aus dem Dokument herausgelesen werden. [→ Zum Rangverhältnis bei zwei Dokumenten siehe Kap. 3.3, S. 93] Auslegung von AGB: Die Rechtsvorschriften für die Auslegung von Vereinbarungen knüpfen an die individuellen Erklärungen der beiden Vertragspartner an, wobei die spezifischen Umstände zu berücksichtigen sind. In seinen AGB richtet sich der Verwender hingegen an die Menge der potenziellen Vertragspartner. Deswegen sind AGB so auszulegen, wie ein redlicher Verwender diese wohl gemeint hat und ein durchschnittlich verständiger Empfänger diese verstehen darf. (3) Das Vorgehen zum Feststellen des Vertragsinhalts Wegen der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Vertragsdokumenten kommt es erst einmal auf das Greifbare an: erst einmal auf das Vertragsdokument, dann ergänzend auf die Rechtsvorschriften. Möglicherweise weicht der tatsächliche Wille der Vertragspartner jeweils davon ab. Der soll Vorrang haben, muss aber nachgewiesen werden. Deswegen erhält jeder Hauptschritt einen weiteren Teilschritt: Gibt es einen abweichenden tatsächlichen Willen und ist der nachweisbar? Das führt zu einer Reihe von vier Schritten: Erster Schritt: Was enthält das Vertragsdokument als Zusammenfassung der Vereinbarungen gemäß den Verkehrssitten/ Handelsbräuchen und unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Einzelfalls? Vom Grundsatz der Vertragsfreiheit her würde die Feststellung dessen, was die Vertragspartner hinsichtlich Umfang und Inhalt tatsächlich gewollt haben (zweiter Schritt ), Vorrang gegenüber dem Dokument haben. Wegen der Beweislast kann sich der Gläubiger aber erst einmal auf den Text stützen. [→ Kap. 2.3 unter „Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit“, S. 50] Zweiter Schritt: Feststellen, ob die Vertragspartner tatsächlich etwas gewollt haben, was vom Text abweicht oder in ihn nicht aufgenommen worden ist. Ein solches Ergebnis hat Vorrang. An die Beweisführung sind aber hohe Anforderungen zu stellen. In einem Prozess würde der Richter beispielsweise Zeugen zu den Vertragsverhandlun- <?page no="58"?> 58 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen gen vernehmen. Der Richter könnte zu dem Ergebnis kommen, dass die Vertragspartner eine mündliche Nebenabrede getroffen haben, auf die die Klägerin ihren Anspruch zu stützen berechtigt ist. Zu diesem Ergebnis könnte auch ein maßgeblicher Umstand führen. Dritter Schritt: Wie ergänzt das Vertragsrecht die Vereinbarungen gemäß Verkehrssitten/ Handelsbräuchen und gemäß den erkennbaren Umständen des Einzelfalls? Jetzt wird es schwierig. Denn das Vertragsrecht sieht vor, dass die Ergänzung möglichst durch die ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen und die spezifischen Rechtsvorschriften nur ersatzweise eingreifen: Was hätten die Vertragspartner vereinbart, wenn sie an diesen Punkt gedacht und ihn für regelungsbedürftig gehalten hätten? Es liegt gemäß Treu und Glauben nahe, dass die Vertragspartner die gesetzlichen Regelungen hätten gelten lassen wollen. Es bleibt also meist beim Ergebnis des dritten Schritts. [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55] Aus mündlichen Vereinbarungen oder dem Geflecht der Vereinbarungen und/ oder den Umständen kann sich im Einzelfall ergeben, dass die Vertragspartner den Vertrag in eine bestimmte Richtung innerhalb ihres Geflechts und damit abweichend von der einschlägigen Rechtsvorschrift ergänzt hätten. Gemäß der ergänzenden Vertragsauslegung soll diese spezielle Ergänzung Vorrang haben [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]. Wer eine solche Ergänzung behauptet, muss deren Vorrang gegenüber der Ergänzung durch die einschlägige Rechtsvorschrift überzeugend begründen. Er wird sich besonders auf die teleologische Auslegung von Vereinbarungen stützen [→ Kap. 2.3 (1), S. 51]. Beispiele (1) Die Vertragspartner haben ein bestimmtes Vorgehensmodell für die Softwareentwicklung vereinbart. Dieses gibt dem Kunden einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Ergebnisses. Die Vertragspartner stoßen auf eine Lücke in der Aufgabenstellung. Nach dem Vertragsrecht wäre diese in einer Weise zu schließen, die dem Kunden wenig Einfluss geben würde. Hier ist aber eine Ergänzung zu formulieren, die den Grad des Einflusses beibehält. (2) Das Thema stellt sich in der parallelen Situation, dass der Vertrag eine AGB-Klausel enthält, die unwirksam ist. Die Lücke wird dort ebenso durch das Vertragsrecht geschlossen. Das soll allerdings vorrangig durch die ergänzende Vertragsauslegung erfolgen, <?page no="59"?> 2 Auf welchem Boden Sie sich bewegen 59 erst hilfsweise durch die Anwendung von spezifischen Rechtsvorschriften [→ Kap. 3.5 (6) unter „Beispiele (1)“, S. 105]. Vierter Schritt: Haben die Vertragspartner tatsächlich etwas Anderes gewollt und kann das nachgewiesen werden? Es geht um eine mündliche Nebenabrede oder wesentliche nicht im Rahmen der Auslegung erkennbare Umstände. (4) Die Ermittlung des Inhalts von mündlich geschlossenen Verträgen Bei mündlich geschlossenen Verträgen kann oft nur schwer festgestellt werden, welche Erklärungen zum Vertragsbestandteil geworden sind und welchen Wortlaut diese gehabt haben. Die Umstände, unter denen etwas geäußert worden ist, können eine noch größere Rolle spielen. Wenn die Vertragspartner sich über den Wortlaut einig sind, ist das Vorgehen zum Feststellen des Vertragsinhalts nicht anders als bei einem schriftlichen Vertrag. Wenn die Vertragspartner sich über den Wortlaut streiten, verschmelzen die ersten beiden Schritte im Vorgehen nach Abschnitt (3). Dabei sind die Vertragspartner sich nur darüber einig, dass sie eine Vereinbarung geschlossen haben. Wer auf der Grundlage des von ihm behaupteten Wortlauts einen Anspruch stellt, muss den Wortlaut beweisen. Für den anderen reicht es nicht, den behaupteten Wortlaut nur zu bestreiten, er muss vielmehr auch seine Version des Wortlauts mitteilen. [→ Zu einem Beispiel siehe Kap. 3.1.9 (2) unter „Beispiel“, S. 83] [→ Zu mündlichen Vereinbarungen zu Eigenschaften siehe Kap. 7.2.1 (2), S. 164] [→ Zu mündlichen Nebenabreden siehe Kap. 3.1.5 (2), S. 74] [→ Zu unternehmerischen Bestätigungsschreiben siehe Kap. 3.1.9, S. 81] (5) Punktuelle Auslegungsregeln im Vertragsrecht Neben den beiden allgemeinen Auslegungsregeln enthält das Vertragsrecht auch Auslegungsregeln zu einzelnen Punkten. Dieses Buch spricht mehr als 20 solcher Auslegungsregeln an. Diese sind darauf gerichtet, die Beweislast zu verteilen. [→ Kap. 2.2.3 (2) unter „Auslegungsregeln“, S. 48] Beispiele § 632 Abs. 1 BGB zum Werkvertrag: „Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werkes den Um- <?page no="60"?> 60 2.3 Die Ermittlung des Inhalts von Verträgen ständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.“ [→ Kap. 7.1 unter „Hauptpflicht des Kunden“, S. 157] Dazu enthält § 632 Abs. 3 BGB eine weitere Auslegungsregel: „Ein Kostenanschlag ist im Zweifel nicht zu vergüten.“ [→ Kap. 3.1.2 (3) unter „Vergütung für die Erstellung von Angeboten/ Vertragsanträgen“, S. 66] (6) Wer schuldet, wer erbringt die Leistung? Dritte können an der Durchführung des Vertrags beteiligt werden, seien es Mitarbeiter, Unterauftragnehmer oder mit dem Auftragnehmer kooperierende Auftragnehmer. Dann ist auseinanderzuhalten, wer etwas schuldet und wer etwas tun/ ausführen wird. Das Handeln eines Mitarbeiters wird dessen Arbeitgeber zugerechnet: Das Erscheinungsbild für den anderen Vertragspartner ist, dass der Mitarbeiter nicht im eigenen Interesse, sondern für seinen Arbeitgeber tätig werden will. [→ Vgl. Kap. 2.1.2 (2) unter „Handeln für einen Kaufmann“, S. 32. Siehe aber auch zu rechtsgeschäftlichem Handeln ohne Vollmacht Kap. 3.2 (2) unter „Rechtsgeschäftliches Handeln ohne Vollmacht“, S. 90] Am einfachsten können Sie sich den Unterschied klarmachen, wenn Sie sich vorstellen, dass ein Kunde wegen einer fehlerhafte Arbeit Schadensersatzansprüche stellt: Wer hat den Schaden verursacht? Wer soll ihn ersetzen? Sie können sich auch die Frage stellen: An wen soll der Kunde die Vergütung für eine von einem Dritten erbrachte Leistung zahlen? [Zum Vermeiden von Formulierungsproblemen siehe Schreiben in Projekten , Kap. 4.5 unter „Wer schuldet, wer führt aus“] Auftragnehmer Dritter Kunde = schuldet = tut / führt aus <?page no="61"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis Dieses Kapitel soll Ihnen vermitteln, welche wesentliche Schritte Sie auf dem Boden des Vertragsrechts machen können:  Wie Sie Verträge vorbereiten und abschließen können, auch Änderungen eines bisherigen Vertrags oder Zusatzaufträge zu diesem;  wie Sie mit besonderen Situationen umgehen können, z.B. wenn die andere Seite schweigt, obwohl eine ausdrückliche Reaktion naheliegt;  was ein unternehmerisches (kaufmännisches) Bestätigungsschreiben ist;  was Vollmacht bedeutet;  wie Sie feststellen können, was Vertragsbestandteil geworden ist, z.B., wenn Vertragsentwürfe abgeändert und/ oder mündliche Erklärungen abgegeben worden sind oder wenn mehrere Dokumente vorliegen. Sie können an dem Erstellen von Vertragsdokumenten beteiligt sein, insbesondere an dem von Leistungsbeschreibungen. 3.1.1 Antrag und Annahme ergeben einen Vertrag Ein Vertrag kommt durch Erklärungen der Vertragspartner zustande. Diese müssen verbindlich sein (im rechtlichen Sprachgebrauch: Willenserklärungen sein). In der Regel müssen sie inhaltlich vollständig übereinstimmen. Der Vertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft (oder ein mehrseitiges, z.B. die Gründung einer Gesellschaft durch mehrere Gesellschafter). Es gibt auch einseitige Rechtsgeschäfte, z.B. die Bevollmächtigung. Erklärungen können durch Worte (schriftlich oder mündlich) abgegeben werden. Sie können auch durch schlüssiges Handeln („konkludent“) erfolgen. Das ist ein Handeln, das die Erklärung und den Bindungswillen ausdrückt. 19 19 Solche Handlungen können so typisiert sein, dass sie wie Worte behandelt werden, z.B. das Heben der Hand bei einer Versteigerung. § 863 österreichisches ABGB spricht von „allgemein angenommenen Zeichen“. Das gilt auch für Deutschland. Vertragsvorbereitung und -abschluss <?page no="62"?> 62 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss [→ Zur Erklärung durch Schweigen siehe Kap. 3.1.4, S. 68] Beispiel für schlüssiges Handeln Als der Stammgast sich an die Theke setzt und freundlich nickt (Begrüßung, zugleich Antrag), stellt der Wirt ihm eine Flasche Bier hin (Annahme). Wenn Erklärungen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander abgegeben werden, kommt es darauf an, wann zwei Erklärungen übereinstimmen und damit den Vertrag zustande bringen. Danach richtet sich dessen Inhalt. Es kann schwierig sein, diese Übereinstimmung eindeutig festzustellen [→ Kap. 3.3, S. 93]. Angebot: Der Gesetzgeber spricht von „Antrag“ (und von dessen „Annahme“). Der Begriff „Angebot“ ist ein kaufmännischer bzw. operativer Begriff: Er wird in der Praxis für die (verbindliche oder unverbindliche) Erklärung des Auftragnehmers verwendet, dass dieser etwas leisten und das bezahlt haben will. Umgangssprachlich bezeichnen allerdings auch Juristen manchmal einen Antrag als „Angebot“ (beispielsweise bei einem Vergleichsgespräch: „Ist das Ihr Angebot? “). Verträge mit offenen Punkten: Zu der Situation, dass sich die Vertragspartner über bestimmte Punkte noch nicht geeinigt haben, enthält § 154 BGB eine Auslegungsregel: Der Vertrag ist im Zweifel noch nicht geschlossen worden. Dieser Zweifel wird ausgeräumt, sobald die Umstände eindeutig ergeben, dass beide Seiten sich bereits binden wollen. Das kann sich insbesondere daraus ergeben, dass beide mit der Durchführung des <?page no="63"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 63 Vertrags erkennbar beginnen (schlüssiges Handeln). Für die offenen Punkte gilt das Vertragsrecht unter Berücksichtigung dessen, dass es für diese zuerst auf die ergänzende Vertragsauslegung ankommt. [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55] Beispiele für das Schließen der Lücke (1) Jeder Vertragspartner verweist auf seine AGB. Sie lassen offen, wessen AGB (inwieweit) gelten sollen. Das AGB-Recht entscheidet, inwieweit welche AGB gelten [→ Kap. 3.5 (2), S. 102]. (2) Bei einem Werkvertrag liege die Aufgabenstellung nur im Groben fest, der Auftragnehmer solle sie noch präzisieren. Die endgültige Spezifikation solle noch Vertragsbestandteil werden. Wenn die Vertragspartner sich später über diese nicht einigen, liegt es gemäß der ergänzenden Vertragsauslegung nahe, dass jede Seite das Recht hat, den Vertrag zu beenden [→ Kap. 7.3.2 (1.1), S. 176]. Vorverträge: Das sind Verträge, in denen sich die Vertragspartner verpflichten (ausnahmsweise nur einer), einen Hauptvertrag abzuschließen, der im Detail erst noch endgültig fixiert werden soll. Es handelt sich um normale Verträge. Die Vertragspartner müssen sich also wie auch sonst bereits über alle wesentlichen Punkte geeinigt haben. Der Unterschied zum endgültigen Vertrag ist also gering [→ Kap. 3.1.2 (1), S. 63] Beispiel Im Rahmen einer Ausschreibung eines Kunden schließt ein Generalunternehmer mit einem Vertragspartner als einem Unterauftragnehmer einen Vertrag, in dem der letztere sich verpflichtet, bestimmte Leistungen zu bestimmten Bedingungen für den Fall zu erbringen, dass der Generalunternehmer den Zuschlag erhält. Einzelheiten sollen dann an diejenigen Regelungen angepasst werden, zu denen der Vertrag zwischen dem Generalunternehmer und dem Kunden abgeschlossen werden wird. 3.1.2 Der Vertragsantrag (1) Anforderungen an den Vertragsantrag Ein Vertragsantrag liegt vor, wenn die Erklärung erkennen lässt, dass der Antragsteller sich binden will, und die Erklärung inhaltlich so vollständig und bestimmt ist, dass ein Vertrag durch eine einfache Zustimmungserklärung („Einverstanden“) zustande kommen kann. Die Erklärung muss also alle für diesen Vertrag wesentlichen Punkte enthalten. <?page no="64"?> 64 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss Beispiel Der Projektleiter des Auftragnehmers legt dem Projektleiter des Kunden den x-ten Zusatzauftrag über eine gemeinsam definierte zusätzliche Funktion des Systems gegen Vergütung nach Aufwand vor. Das reicht als Vertragsantrag aus: Alles Weitere dürfte sich aus dem Projektvertrag ergeben, beispielsweise der Liefertermin. Sollte etwas Anderes gewollt sein (etwa das der Kunde diese Funktion schon früher benötigt und erhalten soll), würde sich der Liefertermin aus dem ergänzend geltenden Vertragsrecht ergeben. Ein Auftragnehmer kann in seinem Angebot, das er als bloße Aufforderung zu Verhandlungen ansieht, die Leistungen schon so genau beschreiben, dass der Kunde es als fertigen Vertragsentwurf mit objektiv ausgedrücktem Bindungswillen ansehen darf, also als einen Vertragsantrag. Das Dokument unterscheidet sich in diesem Fall von einem Vertragsantrag nur darin - und das nicht erkennbar -, dass der Aufragnehmer sich noch nicht binden will. Dementsprechend wird der im fertigen Vertragsentwurf objektiv ausgedrückte Bindungswille nicht beseitigt. Beispiel für Unverbindlichkeit Ein Auftragnehmer legt dem Kunden den ausgehandelten Projektvertrag mit zwei Feldern für die Unterschriften vor, leistet aber noch keine Unterschrift. Weil zwei Felder vorhanden sind, also zwei Unterschriften erwartet werden, liegt noch kein (verbindlicher) Vertragsantrag vor. Wenn Sie auf der Auftragnehmerseite ein unverbindliches Angebot abgeben wollen, dann bezeichnen Sie das als „Informationsangebot“, als „Entwurf“ oder als „freibleibend“. Enthält ein Angebot Alternativen, beispielsweise alternative Standardprodukte, von denen jede die Zwecke des Kunden erfüllt, kann das ein Bündel von Vertragsanträgen sein. Der Kunde kann einen von diesen aussuchen und annehmen. Ein solches Angebot kann aber auch so offen sein, dass es nur als ein Vorschlag für Verhandlungen anzusehen ist. Noch weniger ist die Aufforderung des Kunden an den Auftragnehmer, dass dieser einen Antrag abgeben soll: „Ich brauche ...“ [→ Zum Letter of Intent siehe Kap. 3.1.6 (1), S. 76] <?page no="65"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 65 (2) Zeitliche Wirksamkeit des Vertragsantrags Ein Antrag wird mit seinem Zugang beim Antragsempfänger wirksam und bleibt eine Zeit lang verbindlich; danach erlischt er. Ein Widerruf ist also nicht nötig. Ein Widerruf innerhalb der Bindefrist ist nur möglich, wenn der Antragsteller sich diesen vorbehalten hat. Das kann er dank der Vertragsfreiheit tun. Zeitpunkt des Zugangs: Wenn es auf diesen Zeitpunkt ankommt, reicht es nicht aus, dass die Willenserklärung in den Machbereich des Empfängers gelangt ist. Die Erklärung gilt in zeitlicher Hinsicht erst als zu dem Zeitpunkt zugegangen, in dem der Empfänger diese den Umständen nach normalerweise zur Kenntnis nimmt. Beispiele Ein Brief gilt nicht bereits als zugegangen, wenn er in den Briefkasten des Empfängers geworfen worden ist, sondern erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Empfänger seinen Briefkasten normalerweise leert. Eine E-Mail, die beim Empfänger nach dessen werktäglichem Geschäftsschluss eingeht, gilt erst am nächsten Tag als zugegangen. Die Erklärung gilt allerdings schon früher als zugegangen, wenn der Empfänger sie schon vor diesem Zeitpunkt tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Dafür trägt der Erklärende die Beweislast. Die Dauer der Wirksamkeit eines Antrags: Der Antragsteller kann angeben, wie lange sein Antrag verbindlich sein soll (§ 148 BGB). In der Praxis geht es meist darum, dass der Anbieter die Frist verlängert, die für den Kunden nach dem Gesetz relativ kurz ist. Ein Anbieter kann die Dauer auch teilweise einschränken, beispielsweise für die Preise von Standardprodukten, die er von Vorlieferanten bezieht. Andernfalls bestimmt sich die Geltungsdauer des Antrags nach dem Zeitbedarf für dessen Annahme: Ein unter Anwesenden abgegebener Antrag kann nur sofort angenommen werden, ebenso ein Antrag per Telefon (§ 147 BGB) [→ zu „sofort“ siehe Kap. 4.3, S. 110]. Ein unter Abwesenden abgegebener (schriftlicher) Antrag kann bis zu demjenigen Zeitpunkt angenommen werden, bis zu dem der Antragsteller den Eingang einer zügig gegebenen Antwort erwarten darf. „Zügig“ hängt von den normalen Transportzeiten hin und zurück ab, vor allem aber von der erforderlichen Überlegungsfrist für den Empfänger. Dieser soll zügig entscheiden. Was „zügig“ ist, hängt wiederum von den Umständen ab, insbesondere davon, wie weit der <?page no="66"?> 66 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss Vertragsentwurf schon ausgehandelt worden ist, und von dessen Gewichtigkeit. Ein Antrag erlischt in der Regel, sobald der Empfänger ihn abgelehnt hat. Dieser kann es sich also nicht mehr anders überlegen. Er kann nur seinerseits einen Antrag abgeben oder um einen erneuten Antrag bitten. (3) Vergütung für die Erstellung von Angeboten Für Vorarbeiten, die im Rahmen der Erstellung eines Angebots anfallen, kann der Anbieter keine Vergütung verlangen. Das gilt auch, wenn diese Arbeiten viel Aufwand verursachen. Ist etwas anderes gewollt, bedarf es einer ausdrücklichen Vereinbarung [→ Kap. 3.1.6 (2), S. 77]. § 632 Abs. 3 BGB regelt für den Werkvertrag, dass die Erstellung eines Kostenanschlags im Zweifel nicht zu vergüten ist. Das ist zumindest analog / entsprechend auch auf andere Verträge anzuwenden. [→Zur Beweislast in diesem Fall siehe Kap. 2.2.3 (2) unter „Auslegungsregeln“, S. 48] 3.1.3 Annahme und „Auftragsbestätigung“ (1) Annahme Ein Vertrag kommt durch die rechtzeitige und normalerweise uneingeschränkte Annahme des Antrags zustande. Nimmt der Empfänger einen Antrag verspätet an, kann er den Vertrag nicht mehr zustande bringen, weil der Antrag bereits erloschen und deshalb nicht mehr annahmefähig ist. Der Empfänger will allerdings etwas verbindlich erklären. Deswegen gilt seine Annahmeerklärung als ein neuer Antrag. Der ursprüngliche Antragsteller kann - nunmehr als Antragsempfänger - den Antrag ausdrücklich annehmen. Er kann das auch durch schlüssiges Handeln tun (indem er mit der Vertragsdurchführung beginnt). Der Vertrag kann auch durch Schweigen zustande kommen [→ Kap. 3.1.4, S. 68]. Ein Vertrag kommt in der Regel nicht zustande, wenn der Empfänger den Antrag unter einem Vorbehalt „annimmt“, d.h. mit einer Einschränkung, Erweiterung oder einer sonstigen Abänderung. Auch diese „Annahme“ genannte Erklärung gilt als ein neuer Antrag. Beispiel Der Auftragnehmer: „Ich biete das Standardprogramm einschließlich Installation zu 5.000 Euro an.“ Kunde: „Ich bestelle zu 5.000 <?page no="67"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 67 Euro einschließlich einem Tag Schulung.“ - Das ist eine Änderung, also ein neuer Antrag. Der Auftragnehmer ruft am nächsten Tag an: „Wann soll ich zum Installieren kommen? “ Das ist als Annahmeerklärung zum Antrag des Kunden zu verstehen. Also kommt der Vertrag einschließlich einem Tag Schulung zustande. Wenn der Auftragnehmer nicht anruft, sondern gleich zum Installieren kommt, erklärt er die Annahme mit demselben Inhalt durch schlüssiges Handeln. Ein Antragsteller hat seine AGB in den Vertragsantrag einbezogen. Der Empfänger lehnt diesen Antrag auch dann ab, wenn er die Annahme erklärt und dabei die Einbeziehung dieser AGB ablehnt. [→ Siehe Kap. 3.5 (2) dazu, wie es weitergehen kann, S. 102] Zugangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung: Normalerweise muss diese dem Antragsteller zugehen, um wirksam zu werden. Der Antragsteller kann in seinem Antrag auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichten. Der Vertrag kommt dann nicht durch Schweigen zustande, sondern durch eine bloß interne Willensbetätigung des Antragsempfängers (§ 151 BGB). - Das kann zu Beweisschwierigkeiten für denjenigen führen, der sich auf eine solche Willensbetätigung beruft. Beispiel für eine interne Willensbetätigung Der Kunde schickt die x-te Bestellung eines Standardprodukts per E-Mail; er erwartet keine Bestätigung. Der Auftragnehmer registriert die Bestellung in seinem Auftragssystem. Sie wissen jetzt, dass es diese Variante für einen Vertragsabschluss gibt. Ein Auftragnehmer sollte Bestellungen jedoch der guten Ordnung halber ausdrücklich annehmen: „Wir danken für Ihre Bestellung.“ Die Variante mag früher dazu gedient haben, Zeit und Aufwand zu ersparen. Im Zeitalter des Internets entfällt dieser Vorteil weitestgehend. (2) Auftragsbestätigung „Auftragsbestätigung“ ist ein Wort, das im Geschäftsleben in verschiedener Weise verwendet wird. Es handelt sich nicht um einen rechtlichen Begriff. Im rechtlichen Zusammenhang geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt ein Vertrag dadurch zustande gekommen <?page no="68"?> 68 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss ist, dass zwei sich inhaltlich deckende Willenserklärungen (zeitgerecht) abgegeben worden sind. Damit Sie Ihre Analyse von „Auftragsbestätigung“ nicht durch Ihre Vorstellung über das Wort „Auftragsbestätigung“ belasten, sollten Sie das Wort gedanklich durch „Ist eine Willenserklärung gewollt? “ ersetzen. Das Wort „Auftragsbestätigung“ wird unter anderem verwendet für:  die schriftliche Annahme eines Vertragsantrags, unabhängig davon, welche Seite diese erklärt. Falls der Annehmende dabei den Vertragsantrag abändert, macht er rechtlich gesehen einen neuen Vertragsantrag, gibt also keine Bestätigung ab, auch wenn er das beabsichtigen mag [→ Kap. 3.1.3 (1), S. 66];  einen Vertrags antrag des Kunden, den der Auftragnehmer annehmen soll;  ein Dokument, das der Kunde oder der Auftragnehmer nach einem schriftlichen Vertragsabschluss erstellt, • als Wiederholung schriftlicher Vereinbarungen (das Schreiben dient der eigenen Seite zur Abwicklung, hat also nur eine interne Funktion), oder als • als Bestätigungs- und Dankschreiben. Solche Schreiben des Auftragnehmers können dazu führen, dass der Kunde sie liest und Meinungsverschiedenheiten bzw. Missverständnisse früh erkennt und anspricht;  die schriftliche Wiederholung bereits mündlich getroffener Vereinbarungen zwecks Dokumentation und damit als unternehmerisches (kaufmännisches) Bestätigungsschreiben von erheblicher Bedeutung [→ Kap. 3.1.9, S. 81] oder  bei einem über das Internet organisierten Vertrieb die Ankündigung (! ) des Verkäufers, die eingegangene Bestellung anzunehmen. 3.1.4 Schweigen: nur selten Zustimmung Schweigen beinhaltet im rechtsgeschäftlichen Verkehr nur selten Zustimmung, beispielsweise die Annahme eines Vertragsantrags. Die gegenteilige Vorstellung ist falsch. Sie dürfte im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzuführen sein:  Viele Verträge kommen nach Auffassung der Vertragspartner durch Schweigen zustande. Ursache für das Zustandekommen ist allerdings oft schlüssiges Handeln nach Schweigen. Darauf, dass <?page no="69"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 69 der Vertrag tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen worden ist, kommt es dann meist nicht mehr an. [→ Siehe Kap. 3.1.1 am Anfang, S. 62]  Es gibt im Geschäftsleben einige Ausnahmefälle, in denen Schweigen Zustimmung bedeutet [→ siehe im Folgenden]. Diese werden überbetont. Außerdem wird häufig, wenn es um den Inhalt von Verträgen geht, fälschlich davon gesprochen, dass Pflichten schweigend übernommen worden seien. Sie werden vielmehr „implizit“ übernommen, weil sie die ausdrücklich vereinbarten Leistungen als Nebenleistungen oder als Nebenpflichten automatisch ergänzen. „Schweigend“ wird also fälschlich (allerdings schadlos) mit „unausgesprochen“/ „implizit“/ „automatisch“ gleichgesetzt. 20 Schweigen gilt als Zustimmung: Das ist der Fall, wenn es im geschäftlichen Verkehr so verstanden werden muss , beispielsweise als Annahmeerklärung : Wenn der Antragsteller nach der Lebenserfahrung in der gegebenen Situation davon ausgehen darf, dass der Antragsempfänger mit dem Antrag hoch wahrscheinlich einverstanden ist und also ausdrücklich widersprechen würde, wenn das überraschenderweise nicht der Fall sein sollte. Man kann dann von „beredtem Schweigen“ sprechen. Beispiel für Schweigen als Zustimmung Der Kunde hat ein Angebot ganz kurz nach Ablauf von dessen Bindefrist angenommen. Er hat also rechtlich gesehen einen neuen Vertragsantrag gemacht. In diesem Fall ist das Schweigen des Auftragnehmers typischerweise als Zustimmung einzuordnen, weil anzunehmen ist, dass der Auftragnehmer das Geschäft noch gerne tätigen wolle. Wenn letzteres nicht der Fall sein sollte, beispielsweise weil der Auftragnehmer plötzlich keine freie Mitarbeiterkapazität mehr haben sollte, kann er widersprechen. Das ist ihm auch zumutbar. [→Zu gesetzlich geregelten Fällen siehe Kap. 6 unter „Kauf auf Probe“, S. 131, und Kap. 9.1 (3) „Weiterarbeit nach Beendigung“, S. 228]. Auch bei der Durchführung von Projekten kann sich die Frage stellen, ob Schweigen Zustimmung bedeutet. 20 §§ 611 und 632 BGB gehen - sprachlich missglückt - davon aus, dass eine Vergütung „stillschweigend“ vereinbart werden kann. Besser würde es „unausgesprochen" lauten. <?page no="70"?> 70 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss Beispiel für Schweigen als Zustimmung Der Mitarbeiter des Auftragnehmers hat nach einer Besprechung zu Anforderungen des Kunden die Details systematisch dargestellt und seinem (bevollmächtigten) Gesprächspartner mit dem folgenden Anschreiben geschickt: „… Ich gehe davon aus, dass ich die von Ihnen genannten Anforderungen richtig dargestellt habe und Sie der Darstellung zustimmen, wenn Sie nicht bis zum ______ widersprechen.“ Hier ist Schweigen Zustimmung, da der Auftragnehmer davon ausgehen darf, dass seine Darstellung korrekt ist und dass Zeitdruck besteht. Schweigen eines Unternehmers bei Projektverträgen: Es gibt eine Sonderregelung in § 362 HGB, dass das Schweigen bei manchen Geschäftsbeziehungen als Zustimmung gilt. Es liegt nahe, § 362 HGB analog / entsprechend auch auf Vertragsanträge innerhalb eines Projektes anzuwenden, insbesondere auf Zusatzaufträge. 21 Beispiel Der Kunde sendet dem Auftragnehmer den x-ten Ergänzungswunsch zu einer Systemerstellung, den dieser gegen Vergütung nach Aufwand realisieren soll. Dass Schweigen hier als Zustimmung anzusehen ist, liegt besonders nahe, wenn die Vertragspartner den Ergänzungswunsch vorher besprochen haben. Jeder Vertragspartner sollte sich überlegen, ob er sich mit Schweigen des anderen als Zustimmung zufriedengibt und auf dessen ausdrückliche Erklärung verzichtet. Der Auftragnehmer sollte sich das zweimal überlegen. Kein Vertragspartner sollte mit der Konstruktion arbeiten: „Ihr Schweigen gilt als Zustimmung.“ Wozu diese Konstruktion dient: Der Schreiber rechnet nicht damit, dass der andere antwortet. Böse ausgedrückt: Er will sich die Zustimmung erschleichen. 21 § 362 HGB greift nicht analog / entsprechend ein, wenn die Projektpartner eine Vereinbarung getroffen haben, wie Zusatzverträge zu vereinbaren sind. Das ist so auch dann, wenn diese Vereinbarung nicht auf Schweigen eingeht [→ Kap. 7.3.3, S. 145]. <?page no="71"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 71 3.1.5 Schriftform (1) Grundsatz Gesetzliche Schriftform: Das Vertragsrecht verlangt im Geschäftsverkehr nur ausnahmsweise die Schriftform (126 BGB). 22 Im Normalfall erfüllt die elektronische Form (durch die qualifizierte elektronische Signatur) die gesetzliche Schriftform (§ 126a BGB). Beispiel für das Schriftformerfordernis im BGB „§ 623 Schriftform der Kündigung: Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.“ (Übrigens: Ein Grammatikfehler des Gesetzgebers! ) Die gesetzliche Schriftform kann auch anderen Zwecken als der Beweissicherung dienen, etwa dazu, einen Nicht-Kaufmann vor übereilten Handlungen zu schützen, etwa vor der Abgabe einer Bürgschaft [→ Kap. 2.1.2 (2) unter „Beispiele für Risikoübernahme (1)“, S. 48]. Wird die gesetzliche Schriftform nicht eingehalten, ist der Vertrag nichtig (§ 125 S. 1 BGB). Eine nachträgliche - teilweise oder vollständige - Heilung ist nur ganz ausnahmsweise vorgesehen. Das ist bei der Nichteinhaltung der vereinbarten Schriftform anders. Vereinbarte Schriftform: Die Vertragspartner vereinbaren diese häufig, insbesondere um die Beweislage zu verbessern, bei Projekten auch, um durch die schriftliche Formulierung der Leistungen Klarheit und Richtigkeit zu schaffen. Bei Verträgen kann jeder, der Vertragsverhandlungen beginnt, die Schriftform zur Voraussetzung dafür machen, dass Erklärungen verbindlich sein sollen. Jeder kann das individuell oder in AGB vorsehen. Auch für die vereinbarte Schriftform gilt: Halten die Vertragspartner diese nicht ein, ist der Vertrag im Zweifel nichtig (§ 125 S. 2 BGB: „konstitutive Schriftform“). Die Zweifel können durch den Beweis des Gegenteils ausgeräumt werden [→ Kap. 2.2.3 (2) unter „Auslegungsregeln“, S. 48]. Beispiel für Verzicht auf Schriftform Das Angebot des Auftragnehmers sieht Schriftform vor. Bei der Schlussverhandlung vereinbaren die Vertragspartner mündlich Änderungen des Angebots. Der Geschäftsführer des Kunden erklärt 22 Grundstücksgeschäfte gehören nicht zum Geschäftsverkehr. <?page no="72"?> 72 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss am Ende mit einem Händedruck auf gute Zusammenarbeit, dass er den Auftrag hiermit erteile (also mündlich). - Der Vertrag ist schon jetzt mit den mündlichen Änderungen wirksam. Im Streitfall muss der Händedruck bewiesen werden. In zweiter Linie auch, dass die mündliche Vereinbarung getroffen worden ist, auf die sich ein Vertragspartner beruft. [→ Zu mündlichen Nebenabreden siehe hier Kap. 3.1.5 (2), S. 74] Die Vertragspartner können bestimmen, ob sich das Schriftformerfordernis nur auf den Text zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezieht, oder auch  auf Änderungen oder Ergänzungen des Vertrags  auf andere rechtsgeschäftliche Erklärungen, beispielsweise auf eine Kündigung oder auf einen Rücktritt. Für solche Willenserklärungen gilt die Schriftform nicht bereits deswegen, weil sie für das Zustandekommen des Vertrags vereinbart worden ist. Beispiel für eine umfassend formulierte Schriftformklausel „Der Vertrag und seine Änderungen, Ergänzungen und Zusatzaufträge bedürfen der Schriftform. Das gilt auch für einseitige Erklärungen.“ Die Klausel kann auch noch die Textform als ausreichend einbeziehen [→ im Folgenden unter „Textform“, S. 73]. Prüfen Sie, inwieweit das zentrale Vertragsdokument die Schriftform für zusätzliche Aufträge vorsieht. Sollte das zentrale Vertragsdokument keine Schriftform vorsehen, sollten Sie Vereinbarungen auf Projektebene der guten Ordnung halber trotzdem schriftlich abfassen (E-Mails in Textform reichen derzeit, siehe im nächsten Abschnitt). Vorgaben zur vereinbarten Schriftform: Die Vertragspartner können die Anforderungen an die Schriftform selbst festlegen. Im Zweifel gelten dieselben Anforderungen wie für die gesetzliche Schriftform (§ 127 BGB). Zur Erleichterung gilt: Bei mehreren Exemplaren genügt es, wenn jeder das für den anderen Vertragspartner bestimmte Exemplar unterzeichnet (§ 126 BGB). Im Zweifel genügt ein Briefwechsel zur Wahrung der vereinbarten Schriftform (§ 127 BGB). <?page no="73"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 73 Bei E-Mails muss also im Zweifel jeder Vertragspartner das gleichlautende Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen (§ 126a BGB). Die Vertragspartner können dank der Vertragsfreiheit ausdrücklich vereinbaren, dass einfache E-Mails ausreichen. Beispielsweise können sie dafür die „Textform“ in die Schriftformklausel aufnehmen [→ siehe den folgenden Abschnitt „Textform“]. Formulieren die Vertragspartner allerdings nur „E-Mails“, dürfte eine E-Mail mit einer einfachen Signatur (Namenseingabe) im Zweifel ausreichen. Diese Form ist derzeit auf Projektebene so weit verbreitet, dass derzeit anzunehmen sein dürfte, dass die Zweifel ausgeräumt sind. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Die Vertragspartner können durch die wiederholte Verwendung von E-Mails mit einer einfachen Signatur zu einer Parteisitte machen, sodass diese Form auf der Projektebene auf Dauer bestimmt ausreicht [→ Kap. 3.1.10 (3), S. 86]. [Zur vereinbarten Schriftform bei E-Mails siehe Schreiben in Projekten , Kapitel 5.8 unter „E-Mails formulieren“] Textform: Der Gesetzgeber hat die Textform eigentlich für andere Erklärungen eingeführt, nämlich für solche, bei denen aus Gründen der Praktikabilität eine händische Unterschrift nicht erforderlich sein soll. Das bezieht sich auf Massenerklärungen wie Garantieurkunden und/ oder auf solche, die elektronisch übermittelt werden (§ 126b BGB). Die Anforderung an die Schriftform besteht nur darin, dass der Text erkennbar abgeschlossen sein muss, beispielsweise durch die Nachbildung einer Unterschrift. Ist die Textform in einer Rechtsvorschrift vorgesehen, muss der Aussteller seinen Namen angeben. Beziehen die Vertragspartner in ihrer Schriftformklausel ein, dass die „Textform“ ausreichen soll, ist anzunehmen, dass dann auch der Name angegeben werden muss. Im Ergebnis macht es also derzeit keinen Unterschied, ob die Vertragspartner „E-Mails“ oder „Textform“ formulieren. Paraphieren: Siehe Wikipedia. <?page no="74"?> 74 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss (2) Mündliche Nebenabreden bei vereinbarter Schriftform Ohne eine Schriftformklausel sind mündliche Nebenabreden möglich, müssen aber bewiesen werden. [→ Kap. 2.3 unter „Vertragsbestandteile bei schriftlichen Verträgen“, S. 50]. Die Vertragspartner wollen Streit darüber, ob mündliche Nebenabreden vereinbart worden sind, durch die Vereinbarung der Schriftform möglichst vermeiden. Die Anforderungen an den Beweis sind also höher. Mündliche Nebenabreden bei Vertragsabschluss: Vorrangig stellt sich die Frage, ob die Vertragspartner überhaupt schon einen Vertrag abgeschlossen haben, solange sie diesen nicht vollständig schriftlich abgefasst haben. Wenn die Vertragspartner Schriftform vorgesehen haben, gilt der Vertrag im Zweifel erst nach der Unterzeichnung aller Vereinbarungen als abgeschlossen. 23 Mündliche Nebenabreden verhindern die Vollständigkeit. Also kommt es darauf an, ob die Vertragspartner den Vertrag trotzdem bereits abschließen wollten. Sie zeigen diesen Willen deutlich, wenn sie diesen durchführen [→ Kap. 3.1.1 unter „Verträge mit offenen Punkten“, S. 62]. Schicken Sie zumindest ein unternehmerisches Bestätigungsschreiben, dass die Vertragspartner den Vertrag mit den folgenden Änderungen gemäß der Schlussverhandlung beschlossen haben. Es dient allerdings der Absicherung und zeigt Souveränität, das Vertragsdokument gemäß der Schlussverhandlung fortzuschreiben, zu unterzeichnen und an den anderen Vertragspartner mit der Bitte um Gegenzeichnung als Bestätigung des Vertragsabschlusses zu schicken. (Rechtlich ist das bereits ein unternehmerisches Bestätigungsschreiben und bedarf nicht der Gegenzeichnung. Allerdings ist es auf der geschäftlichen Ebene vorzuziehen, auf der Gegenzeichnung zu bestehen.) Spätere mündliche Abreden trotz vereinbarter Schriftform: Die Vertragspartner können auch später Änderungen oder Ergänzungen mündlich vereinbaren, indem sie vorübergehend auf die vereinbarte 23 Die Juristen haben hier Schwierigkeiten, weil nach herrschender Meinung gleich zwei Vorschriften des Vertragsrechts eingreifen: Der Vertrag ist im Zweifel erst wirksam, wenn die vereinbarte Schriftform erfüllt ist (§ 125 Satz 2 BGB [→ siehe vorstehend unter (1), S. 71]) und wenn die Beurkundung erfolgt ist (§ 154 Abs. 2). Nicht um kümmern! <?page no="75"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 75 Schriftform verzichten (die jeweiligen Verhandlungspartner müssen dazu bevollmächtigt sein). Enthält die Vereinbarung zur Schriftform einen zweiten Satz dahingehend, dass diese nur schriftlich aufgehoben werden kann, kommt es darauf an, ob ein solcher Satz in AGB steht oder individuell formuliert worden ist. In AGB verhindert ein solcher Satz eine mündliche Vereinbarung nicht (sie kann das schon wegen des Vorrangs von Individualabreden im Normalfall nicht bewirken). [→ Kap. 3.5 (1) unter „Rangverhältnis von Individualabreden und AGB“, S. 101] 24 In Individualverträgen ist dieser Satz allerdings meist wirksam, weil er den definitiven Willen der Vertragspartner ausdrückt. Unternehmerisches Bestätigungsschreiben und Schriftform: Einem solchen Schreiben geht eine mündliche Vereinbarung voraus. Diese kann - wie vorstehend dargestellt - bereits wirksam sein. Schickt ein Vertragspartner zusätzlich ein solches Bestätigungsschreiben, so erfüllt er damit das Schriftformerfordernis. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob die mündliche Vereinbarung trotz der Schriftformklausel schon ausreichte. Wobei Sie sich daran erinnern sollten, dass zwei Unterschriften im Hinblick auf die Vermeidung von Streit besser sind. Beweislast für mündliche Nebenabreden bei Abschluss des Vertrags: Wer sich auf eine mündliche Vereinbarung beruft, trägt die Beweislast dafür, dass diese getroffen worden ist und entgegen der vereinbarten Schriftform gelten soll. Bei mündlichen Vereinbarungen während der Vertragsdurchführung liegt es näher, dass die Vertragspartner - im Eifer der Projektdurchführung - auf die Schriftform verzichten. Die Rechtsprechung stellt deswegen etwas weniger hohe Anforderungen an die Beweiserbringung. Ein letztes Mal, insbesondere an die Adresse der Auftragnehmerseite: Es kann Streit über die Wirksamkeit und den Inhalt von mündlichen Nebenabreden geben. Vermeiden Sie solche! 24 Also ist es auch sinnlos, in AGB noch einen dritten Satz anzuhängen, dass die Vertragspartner unwiderruflich darauf verzichten, den zweiten Satz mündlich aufzuheben. <?page no="76"?> 76 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss 3.1.6 Letter of Intent und Verträge im Vorfeld (1) Letter of Intent Ein Letter of Intent enthält nur eine Absichtserklärung (Begriff! ) und also noch keinen Vertragsantrag. In der Praxis geht es häufig darum, dass der Empfänger schon auf eigenes Risiko etwas tun soll. Beispiele Der Kunde will bei den Verhandlungen über einen Kaufvertrag erreichen, dass der Auftragnehmer ihm schon einen günstigen Rang bezüglich der Lieferfrist reserviert. Der Kunde will bei den Verhandlungen über einen Werkvertrag erreichen, dass der Auftragnehmer schon den Auftrag einplant oder sogar auf eigenes Risiko hin schon am Projekt arbeitet. Wenn der Kunde den Vertragsabschluss dann scheitern lässt, muss er möglicherweise die Aufwendungen ersetzen, die der Auftragnehmer in Erwartung des Auftrags erbracht hat: Das Verlangen des Kunden nach einem Letter of Intent kann den Auftragnehmer zu einem gesteigerten Vertrauen berechtigen, aufgrund dessen dieser es als sinnvoll ansehen darf, Aufwendungen zu erbringen. [→ Zur Haftungsgrundlage siehe Kap. 3.4, S. 97] Der Kunde haftet auf Ersatz dieser „vergeblichen“ Aufwendungen, wenn er  das Vertrauen ohne sachliche Grundlage gesteigert hat, insbesondere in Wirklichkeit gar keinen Vertrag mit diesem Auftragnehmer abschließen wollte, Beispiel Der Projektleiter des Kunden fordert einen Auftragnehmer zur Abgabe eines Angebots auf, weil sein Einkauf mindestens zwei Angebote verlangt. Dabei hat der Projektleiter den Auftrag bereits mit einem anderen Auftragnehmer abgesprochen.  nachträglich von dem geschaffenen Vertrauen ohne sachlichen Grund abrückt. Die entscheidende Frage ist dann, inwieweit er im Einzelfall Vertrauen geschaffen hat, aufgrund dessen der Auftragnehmer sachgerecht tätig geworden ist. In Betracht kommt die Haftung besonders bei einem Letter of Intent im Rahmen eines laufenden Projekts. Die Erklärung kann sogar bereits einen Vertragsantrag enthalten. Maßgeblich ist nicht die Bezeichnung, sondern der erkennbare Wille des Erklärenden [→ Kap. 2.3 (2), S. 53]. Man denke an die Aufforde- <?page no="77"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 77 rung des Kunden bei einem Projektvertrag, „dass der Auftragnehmer schon mal anfangen soll.“ Eine solche Erklärung kann zu einem Vorfeldvertrag führen [→ siehe im Folgenden (2), S. 77]. Der Begriff wird in der Praxis auch verwendet, um Vereinbarungen zum weiteren Vorgehen bis zur Auftragserteilung zu treffen, etwa zur Geheimhaltung. Das Dokument wird dann von beiden Seiten unterschrieben [→ siehe auch im Folgenden (4), S. 78]. (2) Vorfeldverträge Der Kunde - derzeit noch ein Interessent - kann den Auftragnehmer auffordern, schon vor dem Abschluss des Hauptvertrags am Projekt zu arbeiten. Dabei kann er ausdrücklich erklären, dass er diese Leistungen in dem Fall vergüten werde, dass der Hauptvertrag nicht zustande kommen sollte. Im Falle des Zustandekommens würden die gegenseitigen Rechte und Pflichten im Hauptvertrag aufgehen. Man kann deswegen auch von „vorläufigen Verträgen“ sprechen. Wenn der Kunde keine solche ausdrückliche Erklärung abgegeben hat, stellt sich die Frage, inwieweit die Aufforderung die Bereitschaft zur Entschädigung für den Fall enthält, dass der Hauptvertrag nicht zustande kommt. Hier können zwei Fälle unterschieden werden:  Der Auftragnehmer soll eine selbstständig verwertbare Leistung erbringen, beispielsweise eine solche, die Entscheidungsgrundlage für die Durchführung des Projekts und damit für den Abschluss des Hauptvertrags ist. Hier liegt es relativ nahe, dass die Vertragspartner eine Vergütung unausgesprochen vereinbaren. 25  Der Auftragnehmer soll bereits an einem Teil der Hauptleistung arbeiten, den der Kunde bei Abbruch der Zusammenarbeit nicht mehr nutzen kann. Dann ist es unsicher, ob der Kunde sich unausgesprochen zur Zahlung einer Vergütung verpflichten will. 26 - Dann kommt die Haftung nach (1) in Betracht. Es kommt wie immer auf die Umstände an: Nennt der Kunde konkret diese Leistung, liegt die Vergütungspflicht nahe. Denn er erweckt den Anschein, dass er diese Leistung brauchen kann, auch wenn es nicht zum Hauptvertrag kommen sollte. 25 Hier liegt es auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlage Geschäftsführung ohne Auftrag nahe, dass der Auftragnehmer ein fremdes Geschäft führt, das der Kunde und nicht der Auftragnehmer als eigenes will. 26 Bzw. dass er hinsichtlich der Anspruchsgrundlage Geschäftsführung ohne Auftrag die Tätigkeit des Auftragnehmers als Geschäft für sich wünscht. <?page no="78"?> 78 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss (3) Geheimhaltungsvereinbarungen Geheimhaltungsvereinbarungen bei der Aufnahme einer Geschäftsbeziehung kommen insbesondere daher, dass sie in den USA erforderlich sind und Vertragspartner in Deutschland diese Praxis übernehmen. Zu unterscheiden sind hinsichtlich des Geheimhaltungsbedürfnisses:  Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Diese sind sowieso aufgrund des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und durch das Strafgesetzbuch geschützt [→ Kap. 7.9 (3) unter „Schutz von Geschäftsgeheimnissen“, S. 219].  Sonstige geheimhaltungsbedürftige Informationen. Diese können aufgrund von Treu und Glauben der Geheimhaltung unterliegen. Das ist der Bereich, für den der jeweilige Vertrauensgeber sich weitgehend absichern will, der jeweilige Vertrauensnehmer sich eher weniger weit verpflichten will. [→ Vgl. Kap. 2.3 (2) unter „Beispiel für die Konkretisierung“, S. 54]  [→ Zur Situation von Projektmitarbeitern siehe Kap. 7.9 (3) unter „Sonstiges Know-how“, S. 220]  Nicht geheimhaltungsbedürftige Informationen. Diese werden in Geheimhaltungsvereinbarungen der Kundenseite oft pauschal der Geheimhaltungspflicht unterstellt: Alle Informationen seien geheimhaltungsbedürftig. Eine solche standardmäßige Geheimhaltungsvereinbarung (= AGB) auch für nicht geheimhaltungsbedürftige Informationen hält der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht nicht stand und ist deswegen unwirksam; wegen ihrer pauschalen Formulierung ist sie das vollständig [→ Kap. 3.5 (4), S. 103]. Dann greift das Vertragsrecht und damit die ergänzende Vertragsauslegung ein: Nicht nur Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (gemäß Rechtsvorschrift), sondern auch geheimhaltungsbedürftige Informationen dürften der Geheimhaltung unterliegen [→ Kap. 3.5 (6), S. 105]. (4) Memorandum of Understanding (MoU) Diese Bezeichnung wird für verschiedene Dokumente verwendet, die Vertragspartner im Vorfeld eines zentralen Vertrags unterzeichnen. Die Bezeichnung hat also keinen bestimmten Inhalt. In der Projektpraxis kann es im Verhältnis von Kunde zu Auftragnehmer um Verschiedenes gehen:  um einen Letter of Intent [→hier Kap. 3.1.6 (1), S. 76], <?page no="79"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 79  um einen Vorvertrag [→ Kap. 3.1.1 unter „Vorverträge“, S. 63],  um einen vorläufigen Vertrag [→ hier Kap. 3.1.6 (2), S. 77] oder  um eine Geheimhaltungsvereinbarung [→ hier Kap. 3.1.6 (3), S. 78]. Häufig wird ein MoU zwischen zwei Auftragnehmern geschlossen, um deren Zusammenarbeit einzuleiten. Zum einen soll das die Geheimhaltung beim Austausch von geheimhaltungsbedürftigen Informationen absichern, zum anderen die Grundlage für ihre Zusammenarbeit schaffen, beispielsweise für die Abgabe eines gemeinsamen oder eines abgestimmten Angebots bei einer Ausschreibung. 3.1.7 Vertragsabschluss mit „Telekommunikationsmitteln“ Bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Auf der rechtstechnischen/ formalen Ebene geht es um die Voraussetzungen dafür, dass wirksame Willenserklärungen vorliegen. Wenn die Vertragspartner nur gelegentlich Telekommunikationsmittel für den Abschluss von Verträgen nutzen, fällt das nicht unter das Thema Telekommunikationsmittel, sondern unter das Thema Schriftform [→ Kap. 3.1.5, S. 71]: „Welche Formen sollen nach dem Willen der Vertragspartner für Antrag und Annahme erforderlich sein? “ 27 Auf der inhaltlichen Ebene schränkt das Vertragsrecht die Vertragsfreiheit des Anbieters ein, allerdings nur gegenüber Verbrauchern. Insbesondere wird diesen das Recht zum Rücktritt vom Vertrag eingeräumt. 3.1.8 Bedingungen dafür, dass etwas gelten soll Vereinbarungen werden manchmal „Bedingungen“ genannt, beispielsweise spricht man von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“. Dann beabsichtigen die Vertragspartner nicht, die Geltung von Vereinbarungen von Bedingungen = Voraussetzungen abhängig zu machen. 27 Insofern kommt es nicht darauf an, wie § 312b BGB Fern kommunikationsmittel definiert. Darauf kommt es erst an, wenn der Anbieter den Abschluss solcher Verträge (möglicherweise auch deren Durchführung) über Fernkommunikationsmittel organisiert . Dann legen die §§ 312a ff. BGB dem Anbieter Pflichten zur Information und zur Abwicklung auf. Diese hat er auch gegenüber Unternehmern als Kunden; die Vorschriften enthalten aber gegenüber Unternehmern nicht zwingendes Recht . <?page no="80"?> 80 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss In diesem Abschnitt geht es darum, dass die Vertragspartner Bedingungen dafür vereinbaren können, ob der Vertrag überhaupt schon oder noch wirksam ist. Auch einzelne Vereinbarungen können unter eine Bedingung gestellt werden. Die folgenden Erläuterungen gelten auch für diese. Verträge können normalerweise unter solchen Bedingungen geschlossen werden. 28 Bedingungen können ihrer Wirkung auf den Vertrag nach sein  aufschiebend: Der Vertrag oder die einzelne Vereinbarung wird erst mit Eintritt der Bedingung wirksam. Beispiel Die Übereignung einer Sache wird unter Eigentumsvorbehalt erklärt: Das Eigentum geht erst mit der Bezahlung des Kaufpreises über. [→ Vgl. Kap. 6.1 (1) unter „Eigentumsübertragung“, S. 131]  auflösend: Der Vertrag oder die einzelne Vereinbarung ist gleich wirksam, verliert aber bei Eintritt der Bedingung seine/ ihre Wirksamkeit. Man kann das als eine automatische Aufhebung verstehen. Beispiel, hier für ein einseitiges Rechtsgeschäft Bei einem Werkvertrag wird die Abnahme unter der Bedingung erteilt, dass die Mängel bis zu einem bestimmten Datum beseitigt werden. [→ Vgl. Kap. 7.6 (3) unter „Abnahme unter … einer Bedingung“, S. 208] In manchen Fällen kann man nur schwer beurteilen, was vorliegt, wenn nämlich eine Bedingung so definiert ist, dass etwas bis zu/ an einem bestimmten Zeitpunkt nicht geschieht. Beschreiben Sie in Ihrer Sprache möglichst genau das, was Sie mit einer Bedingung erreichen wollen. Die Bedingung kann auch vom Willen eines Dritten abhängen, sogar von dem eines Vertragspartners [→ siehe im Folgenden unter „Option“]. 28 Bei einseitigen Rechtsgeschäften geht das nur ausnahmsweise, weil die Erklärung Klarheit schaffen soll, also nicht bei einer Kündigung, wohl aber bei der Erklärung der Abnahme eines Werks. <?page no="81"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 81 Beispiel Kauf auf Probe [ → vgl. Kap. 6 unter „Kauf auf Probe“, S. 131] Wird der Eintritt einer Bedingung wider Treu und Glauben verhindert, gilt die Bedingung als eingetreten (§ 162 BGB). Beispiel Ein Systemvertrag wird unter der Bedingung „Finanzierung durch Leasing“ abgeschlossen. Der Kunde bemüht sich nicht, einen Leasingvertrag zu schließen, dabei ist er ausreichend kreditwürdig. Option: Sie ist das Recht eines Vertragspartners, einen bereits ausreichend definierten Vertrag oder eine bereits ausreichend definierte Vereinbarung in Kraft zu setzen. Sie lässt sich als aufschiebende, vom Willen des Optionsberechtigten abhängige Bedingung erklären. 3.1.9 Unternehmerisches Bestätigungsschreiben Die Vertragspartner haben einen Vertrag oder eine einzelne Vereinbarung mündlich geschlossen. Der eine bestätigt dem anderen das zur Klarstellung schriftlich. Die Rechtsprechung hat solche Bestätigungen anfangs zwischen Kaufleuten als verbindlich anerkannt und von einem „kaufmännischen“ Bestätigungsschreiben gesprochen. 29 Sie anerkennt die Verbindlichkeit jetzt für alle Bestätigungsschreiben, bei denen beide Vertragspartner geschäftsgewandt sind. - Da das jetzige Schuldrecht für diese den Begriff des Unternehmers verwendet, sollten diese Schreiben jetzt zutreffend als „unternehmerische Bestätigungsschreiben“ bezeichnet werden. 30 [→ Zum Begriff „Unternehmer“ siehe Kap. 2.1.3 (2), S. 36] Gegenstand des Bestätigungsschreibens kann im Rahmen eines Projekts auch eine einzelne Vereinbarung sein, auch eine auf einem niedrigen Niveau wie eine zur Konkretisierung einer Anforderung. Der operative Begriff „Auftragsbestätigung“ wird leicht mit dem Rechtsbegriff des unternehmerischen Bestätigungsschreibens verwechselt. Letzteres liegt nur dann vor, wenn bereits mündlich geschlossene Vereinbarungen bestätigt werden. Ein als „Auftragsbestätigung“ bezeichnetes Schreiben kann das tun, kann also ein unternehmerisches Bestätigungsschreiben beinhalten [→ Kap. 3.1.3 (2), S. 67]. 29 Sie hat das auf der Grundlage von § 346 HGB getan [→ Kap. 2.1.2 (2), S. 31]. 30 Österreich hat schon 2007 sein „Handelsgesetzbuch“ in ein „Unternehmensgesetzbuch“ umgewandelt. <?page no="82"?> 82 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss Darauf, wie der Absender sein Schreiben bezeichnet, kommt es nicht an. Bringen Sie bei einem Bestätigungsschreiben deutlich zum Ausdruck, dass Sie etwas bestätigen, was bereits „vereinbart“ und nicht nur „besprochen“ worden ist. Sonst können Sie später schwerlich behaupten, dass etwas „vereinbart“ worden sei. Für die Auftragnehmerseite ist es am besten, für eine Unterschrift des Kunden zu sorgen: Bestätigen Sie, dass die Vertragspartner das Folgende mündlich vereinbart haben, und bitten Sie den Kunden, die Vereinbarungen gegenzuzeichnen und zurückzuschicken. (1) Übliche Wirkung Das unternehmerische Bestätigungsschreiben soll den mündlichen Abschluss des Vertrags (im Kleinen: der Vereinbarung) und dessen Inhalt bestätigen und damit die Beweislage sichern. Wer ein solches Schreiben macht, beugt späteren Auseinandersetzungen vor. Deswegen wird er für diese Mühe vom Vertragsrecht „belohnt“: Wenn der Empfänger auf ein solches Bestätigungsschreiben hin schweigt, zumindest diesem nicht unverzüglich widerspricht, gilt es normalerweise als korrekte Dokumentation der getroffenen Vereinbarungen. Widerspricht der Empfänger, gilt nicht diese Dokumentation. Sondern es geht darum, ob und was vorher mündlich vereinbart worden ist. Wenn der Absender sich in diesem Fall auf eine mündliche Vereinbarung beruft, muss er beweisen, dass diese getroffen worden ist. Der Empfänger kann seinen Widerspruch auf einen Teil des Bestätigungsschreibens beschränken. Dann bleiben die übrigen Vereinbarungen insoweit wirksam, wie diese von dem bestrittenen Teil unabhängig sind. Der Empfänger kann auch erwidern, dass Vereinbarungen anders als bestätigt getroffen worden seien. Damit widerspricht er den diesbezüglichen Formulierungen im Bestätigungsschreiben. Ein Bestätigungsschreiben, dem der Empfänger nicht unverzüglich widerspricht, ist auch dann wirksam, wenn es von den tatsächlich getroffenen Vereinbarungen abweicht; es sei denn  dass der Bestätigende arglistig abgewichen ist oder  dass die Abweichungen so groß sind, dass der Bestätigende vernünftigerweise mit der Billigung des Empfängers nicht rechnen konnte. Über beides kann man streiten. <?page no="83"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 83 Die Grundsätze zum unternehmerischen Bestätigungsschreiben gelten auch während der Vertragsdurchführung für die Bestätigung von Änderungen/ Ergänzungen des Vertrags, insbesondere für Konkretisierungen der Aufgabenstellung. Das unternehmerische Bestätigungsschreiben „wahrt“ sogar die vereinbarte Schriftform (= erfüllt diese). Diese ist also kein automatischer Schutzwall gegen mündliche Vereinbarungen. Vorsichtshalber sollte der Empfänger widersprechen. (2) Beweislast Wer sich auf ein Bestätigungsschreiben beruft, trägt die Beweislast dafür, dass Verhandlungen stattgefunden haben (und - wie üblich - dass sein Schreiben der anderen Seite zugegangen ist). Der Empfänger, der der Bindungswirkung des Bestätigungsschreibens entgehen will, trägt die Beweislast dafür, dass er unverzüglich widersprochen hat bzw. einer der Ausnahmefälle nach (1) vorliegt, bei denen ein Widerspruch nicht erforderlich ist. Wenn der Empfänger erwidert, dass eine Vereinbarung zwar getroffen worden sei, diese aber anders als bestätigt, widerspricht er erst einmal wirksam. Wenn er sich darauf beruft, dass seine Version vereinbart worden sei, trägt er die Beweislast dafür. Beispiel Bei einem Projekt über die Einführung von Standardsoftware waren die Vertragspartner verschiedener Meinung darüber, ob eine Anforderung geschuldet war, die nur durch Anpassungsprogrammierung erfüllt werden konnte. Der Kunde brauchte diese Funktion dringend. Bei einer Besprechung hatte der Projektleiter des Auftragnehmers ein Angebot für einen Zusatzvertrag über € 8.000 vorgelegt. Der (bevollmächtigte) Mitarbeiter des Kunden hatte mit ihm über den Preis verhandelt. Der Auftragnehmer bestätigte danach schriftlich die Beauftragung zu einer Vergütung von € 6.000. Der Kunde widersprach unverzüglich, dass er nur € 4.000 akzeptiert habe. Also kommt es darauf an, was die Vertragspartner mündlich vereinbart haben. Variante a): Der Auftragnehmer will die Anpassung nur erstellen, wenn der Kunde sich verpflichtet, € 6.000 zu zahlen. Er wird eine solche mündliche Vereinbarung kaum beweisen können. Variante b): Der Kunde verlangt die Erstellung der Anpassung, will <?page no="84"?> 84 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss aber nur € 4.000 bezahlen. Auch er wird eine solche Preisvereinbarung kaum beweisen können. Also bleibt den Vertragspartner kaum etwas Anderes übrig, als sich noch einmal zusammenzusetzen. (3) Ergänzungen zu den getroffenen Vereinbarungen Der Schreiber kann in einem unternehmerischen Bestätigungsschreiben die mündlich getroffenen Vereinbarungen in Nebenpunkten konkretisieren und/ oder ergänzen. Erfolgt das im Rahmen des Üblichen, gilt der Verzicht des Empfängers auf einen unverzüglichen Widerspruch als Zustimmung; insofern stellt sein Schweigen eine rechtsgeschäftliche Erklärung dar. [→ Kap. 3.1.4 unter „Schweigen gilt als Zustimmung“, S. 69] Beispiel Der Auftragnehmer bestätigt eine werkvertragliche Leistung zu einer Vergütung für fünf Personentage. Er ergänzt einen - plausiblen - Liefertermin von 14 Kalendertagen. Das Schweigen gilt allerdings nicht als Zustimmung, wenn die Konkretisierungen und Ergänzungen über das Übliche so weit hinausgehen, dass der Bestätigende vernünftigerweise mit der Zustimmung des Empfängers nicht rechnen durfte [→ vgl. vorstehend (1), S. 82]. (4) Gegenbestätigung In der Praxis wird manchmal um eine Gegenbestätigung gebeten: „Bitte bestätigen Sie mein Schreiben.“ Oder: „Bitte bestätigen Sie die getroffenen Vereinbarungen.“ Der Absender möchte sicherheitshalber bestätigt haben, dass die Vereinbarungen getroffen worden sind und er diese richtig protokolliert hat. Die Bitte ändert nichts am Charakter des unternehmerischen Bestätigungsschreibens, soweit es bereits getroffene Vereinbarungen dokumentiert. Es gilt also auch dann, wenn keine Gegenbestätigung erfolgt. Wenn der Empfänger eines solchen Bestätigungsschreibens schweigt, sollte der Absender auf seiner Linie bleiben. Er sollte also den Empfänger nach den Gründen dafür fragen, warum dieser die Gegenbestätigung nicht abgibt. Etwas Anderes ist die Bitte um „ Zustimmung“ . Wenn das Schreiben über die Bestätigung der getroffenen Vereinbarungen hinaus wesent- <?page no="85"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 85 liche Ergänzungen enthält, ist die Bitte nötig [→ siehe vorstehend (3), S. 84]. Der Bestätigende sollte bei der Bitte um Zustimmung auseinanderhalten, was bereits vereinbart worden ist und was seine Ergänzungen sind, und sollte nur für die Ergänzungen um Zustimmung bitten (für Änderungsvorschläge gilt dasselbe). Anderenfalls liegt es nahe anzunehmen, dass er für alles erst noch um Zustimmung bittet (auch wenn am Anfang des Schreibens von „Bestätigung“ die Rede ist). Denn die Formulierung geht in die Richtung, dass noch gar keine Vereinbarung getroffen worden sei. [Zu Formulierungen siehe Schreiben in Projekten , Kapitel 5.2 unter „Unternehmerisches (kaufmännisches) Bestätigungsschreiben“] 3.1.10 Noch einige Hinweise zu Verträgen (1) Die Verbindlichkeit von Verträgen Ist ein Vertrag abgeschlossen, gilt er und kann nur einverständlich geändert oder aufgehoben werden (es sei denn, dass die Vertragspartner etwas Anderes vereinbart haben). Es gibt kein allgemeines Widerrufsrecht (nur ein beschränktes zugunsten von Verbrauchern). In Betracht kommt, dass der eine Vertragspartner den Vertrag einseitig aufheben kann, weil der andere den Vertrag verletzt hat [→ Kap. 11, S. 239]. Verträge sind auch grundsätzlich einzuhalten. Treu und Glauben kann einem Vertragspartner ausnahmsweise einen Anspruch darauf geben, dass der Vertrag interessenneutral abgeändert wird. Beispiele (1) Ein Kunde macht während der Projektabwicklung einen Lernprozess durch, was er wirklich als Ergebnis braucht [→ Kap. 7.3.3 (1), S. 140]. Er kann im Rahmen von Treu und Glauben verlangen, dass der Vertrag entsprechend abgeändert wird. Dabei sind die sich daraus ergebende Gegenansprüche des Auftragnehmers einzubeziehen. (2) Bei einem Projektvertrag (Werkvertrag) hat der Kunde ein freies Kündigungsrecht, allerdings gegen einen finanziellen Ausgleich [→ Kap. 7.3.4, S. 145]. Nur ganz ausnahmsweise kann ein Vertragspartner verlangen, dass der Vertrag sogar zu Lasten des anderen Vertragspartners abgeändert wird. [→ Siehe zur Störung der Geschäftsgrundlage Kap. 4.9, S. 116] <?page no="86"?> 86 3.1 Vertragsvorbereitung und -abschluss (2) Was ist ein Vertrag, was ist ein System? Ein Vertrag im Rechtssinne ist jede Vereinbarung, die die Vertragspartner treffen. Sie mag umfangreich oder ganz kurz sein. Es liegt so wie bei einem Programm. Dort hilft man sich manchmal mit Begriffen wie „Programmpaket“ oder „Modul“ oder „Routine“, um den Umfang anzudeuten. Juristen verwenden entsprechend die Begriffe „Vertrag“, „Vereinbarung“ oder „Abrede“. Eine Vereinbarung, und damit formal gesehen ein weiterer Vertrag, liegt auch dann vor, wenn ein bestehender Vertrag geändert oder ergänzt wird. Man spricht dann weiterhin von dem einen (abgeändert weiterhin bestehenden, oft umfangreichen) Vertrag oder vom „Vertragsverhältnis“ und ignoriert den Zusatzvertrag als formal gesehen weiteren Vertrag. Der Zusatzvertrag geht in der weiterentwickelten Fassung des Vertrags auf. Manchmal heißt es in der Praxis dann präzis „Vertrag in der Fassung vom [Datum des Änderungsvertrags]“, ohne dass ein solches physisches Dokument existieren würde. [→ Zu den Begriffen im Zusammenhang mit „Vertrag“ siehe Anhang E unter „Vertrag“, S. 288] (3) Parteisitten Wenn die Vertragspartner sich in einem Punkt wiederholt gleichförmig verhalten, entsteht leicht etwas, was als Gewohnheit auf der geschäftlichen Ebene begriffen werden kann. Ein solches gleichförmiges Verhalten kann auf der Ebene des Vertrags auf Dauer zu einer Vereinbarung führen, die den bestehenden Vertrag ergänzt, konkretisiert oder abändert: Wenn die Vertragspartner etwas dreimal in gleicher Weise durchgeführt haben, liegt es nahe, dass das in Zukunft so auch auf vertraglicher Ebene gelten soll. Sie schaffen dann so etwas wie eine Verkehrssitte im Kleinen: eine Parteisitte. Beispiel Die Vertragspartner haben Schriftform (ohne weitere Angaben) vereinbart. Sie können dadurch, dass sie wiederholt Vereinbarungen mittels E-Mails mit einer einfachen elektronischen Signatur treffen, für sich regeln, dass diese Kommunikationsform der vereinbarten Schriftform genügt, also eine qualifizierte Signatur wie im Vertrag ursprünglich vorgesehen nicht mehr nötig ist. Das gilt dann sogar in dem Fall, dass sie im Vertrag ausdrücklich vereinbart haben, dass E-Mails (d.h. solche mit qualifizierter Signatur) für die Einhaltung der vereinbarten Schriftform nicht ausrei- <?page no="87"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 87 chen, also E-Mails mit einer einfachen elektronischen Signatur schon gar nicht. [→ Kap. 3.1.5 (1) unter „Vorgaben zur vereinbarten Schriftform“, S. 72] 3.2 Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung Es geht bei Verträgen darum, dass jemand berechtigt wird, rechtsgeschäftliche Erklärungen für einen anderen abzugeben, beispielsweise der Mitarbeiter für seinen Arbeitgeber. Ein Bote überbringt hingegen eine rechtsgeschäftliche Erklärung eines anderen (das kann er auch mündlich tun). Neben der durch Rechtsgeschäft erteilten Vollmacht gibt es auch die gesetzliche Vertretungsmacht, beispielsweise die des Geschäftsführers einer GmbH bzw. die des Vorstandsmitglieds einer AG. - Die Gesetze sprechen von „Geschäftsführungsbefugnis“, die die Aufgabenzuständigkeit und die Vertretungsmacht umfasst. (1) Vollmacht contra Aufgabenzuständigkeit Ausgangspunkt ist, dass der Geschäftsherr einem Anderen Aufgaben überträgt, beispielsweise der Arbeitgeber einem Mitarbeiter. Dessen Zuständigkeit für Aufgaben wird im Arbeitsvertrag umrissen („Arbeitsplatzbeschreibung“). Der Arbeitgeber kann diese später im Rahmen seines Direktionsrechts konkretisieren. Die Aufgabenzuständigkeit  braucht mit Vollmacht nichts zu tun zu haben, z.B. für das Programmieren, für Sekretariatsarbeiten,  kann es nahelegen, dass Vollmacht zur effektiven Erfüllung der Aufgaben erteilt wird, Beispiel Der Vertriebsbeauftragte soll Aufträge akquirieren. Man kann als Geschäftsherr verschiedener Meinung darüber sein, ob der auch Vollmacht dafür haben soll, Aufträge entgegenzunehmen. Das Vertragsrecht kann unwiderlegbar oder widerlegbar vermuten, dass Vollmacht erteilt worden ist. Es tut das nur selten. Die Rechtsprechung hilft da etwas nach [→ siehe (2) unter „Duldungs- / Anscheinsvollmacht“, S. 91],  kann Vollmacht erfordern, zumindest dringend nahelegen, damit die Aufgaben überhaupt erfüllt werden können. <?page no="88"?> 88 3.2 Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung Beispiele für gesetzliche Vollmacht Wer in einem Ladengeschäft als Verkäufer tätig ist, gilt unwiderlegbar als bevollmächtigt für die „Verkäufe und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden gewöhnlich geschehen“ (§ 56 HGB). Der Geschäftsführer einer BGB-Gesellschaft gilt im Zweifel, also widerlegbar, auch als bevollmächtigt, soweit seine Zuständigkeit für Aufgaben reicht (§ 714 BGB). Damit der Geschäftsherr entscheiden kann, ob er einem Mitarbeiter Vollmacht erteilen will oder nicht, trennt das Gesetz die Vollmacht von der Aufgabenzuständigkeit formal weitgehend ab. Die Vollmacht kann also von der Zuständigkeit für Aufgaben abweichend erteilt werden. Dementsprechend kann es Nicht-Juristen Schwierigkeiten machen, die Vollmacht und die Zuständigkeit für Aufgaben auseinanderzuhalten. Beispiele für Vollmacht abweichend von der Aufgabenzuständigkeit (1) Eine Abteilungsleiterin X (mit Prokura) geht in Urlaub. Sie teilt mit: „Hinsichtlich meiner Aufgaben werde ich durch meine Stellvertreterin, die Gruppenleiterin Y, vertreten. Für Unterschriften ist der Abteilungsleiter Z zuständig.“ Mit „Unterschriften“ meint sie „rechtsgeschäftliche Erklärungen“. (2) Ein Abteilungsleiter des Kunden mit Prokura sagt dem glücklichen Auftragnehmer: „Wir sind uns einig. Der Einkauf ist für den Vertrag zuständig.“ (= „Wir sind uns in der Sache einig. Ich habe als Prokurist zwar Vollmacht, nutze diese aber nicht, weil ich nicht dafür zuständig bin, Verträge zu schließen.“) Der Abteilungsleiter kann ergänzen: „Aber fangen Sie bitte schon einmal mit der Arbeit an.“ Das beinhaltet rechtlich: „Ich erteile einen vorläufigen Auftrag dank der mir zustehenden Vollmacht; ich soll das gemäß meiner Zuständigkeit für Aufgaben vielleicht nicht tun; das ist aber nicht Ihr Problem, sondern meines.“ Möglicherweise umfasst seine Geschäftsführungsbefugnis sogar, solche vorläufigen Verträge abzuschließen. Das ist aber unerheblich für die vorläufige Beauftragung, weil er seine Vollmacht als Prokurist bei diesem Umfang der Beauftragung nicht treuwidrig eingesetzt hat. <?page no="89"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 89 (2) Einräumung der Vollmacht Ausdrückliche Einräumung der Vollmacht: Diese kann insbesondere erteilt werden:  durch eine Erklärung an den Bevollmächtigten, z.B. durch die Aushändigung einer Urkunde;  durch eine Erklärung an den Vertragspartner, dem gegenüber der Bevollmächtigte künftig handeln und dabei rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben soll, z.B. in einem Projektvertrag, in dem ein Mitarbeiter als Projektleiter mit Vollmacht benannt wird. Arten der Vertretungsmacht Position Umfang Erteilung Zeichnung Geschäftsführer (= Gf.) 31 Vertretungsbefugnis unbeschränkt nach außen (z.B. § 37 Abs. 2 GmbHG) Bestellung zum Gf. wie im Gf.- Vertrag vorgesehen Prokurist (Prokura) Vollmacht für alles, was der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 HGB), nicht einschränkbar ausdrückliche Erklärung; soll beim Handelsregister angemeldet werden (§ 53 HGB) mit einem die Prokura andeutenden Hinweis Praxis: ppa Handlungsbevollmächtigter (Handlungsvollmacht §§ 54 ff. HGB) Vollmacht hinsichtlich für alles, was gewöhnlich mit sich bringt *) gegenüber Handlungsbevollmächtigten (möglich auch gegenüber dem Dritten, dem gegenüber die Vollmacht eingesetzt werden soll) mit Zusatz, der auf Vollmachtsverhältnis hinweist (§ 57 HGB) Praxis: i.V. (die Bedeutung von „i.A.“ ist unklar) - des Betriebs eines Handelsgewerbes - der Vornahme einer bestimmten Art von Geschäften - der Vornahme eines einzelnen Geschäfts - diese Art des Betriebs - diese Art von Geschäften - dieses Geschäft (z.B. Projektleitung) *) Einschränkungen sind möglich und sind wirksam, wenn der Dritte sie kennt/ kennen muss. 31 Die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers einer GmbH braucht nicht angemeldet zu werden und kann es auch nicht; denn er erhält sie automatisch. Seine Bestellung zum Geschäftsführer ist anzumelden. Entsprechendes gilt für ein Vorstandsmitglied einer AG. <?page no="90"?> 90 3.2 Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung Die Vollmacht baut zwar auf einem Vertragsverhältnis zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten auf; sie ist aber in gewissem Umfang von diesem Verhältnis unabhängig. So kann sie im Regelfall widerrufen werden, ohne dass das Vertragsverhältnis, z.B. der Arbeitsvertrag, deswegen geändert werden müsste. Sie kann auch fortbestehen, wenn das Vertragsverhältnis endet. Zeichnung/ Unterschrift des Bevollmächtigten: Der Bevollmächtigte soll bei schriftlichen Erklärungen durch einen Zusatz auf seine Bevollmächtigung hinweisen. Implizite Erteilung der Vollmacht: Das ist möglich und liegt nahe, wenn jemandem eine Aufgabe übertragen wird, für deren Durchführung Vollmacht zwar nicht zwingend ist, sich aber aufdrängt, weil die Aufgabe nur dann sinnvoll durchgeführt werden kann. Beispiele (1) Der Kunde darf den Montageleiter bei einem Bauvorhaben als bevollmächtigt ansehen. Die ausdrückliche Erteilung der Vollmacht wird hier durch den im Aufgabenbereich des Auftragnehmers entstandenen Rechtsschein der Vollmacht ersetzt (BGH). 32 Man kann das auf Projektleiter in anderen Projektarten, die beim Kunden durchgeführt werden, übertragen. (2) Der Einkauf schickt eine Bestellung. Mini-Vollmacht für Gesprächspartner in Projekten: Ein Vertriebsmitarbeiter soll mit dem künftigen Kunden Details zu solchen Positionen festlegen, die im Vertrag nur benannt worden sind. Oder ein Projektmitarbeiter soll während der Vertragsdurchführung Einzelheiten mit einem Mitarbeiter des anderen Vertragspartners festlegen. Wenn nicht vorgesehen ist, dass das hinterher abgesegnet werden soll, etwa durch die Freigabe einer Spezifikation, soll das jetzt wohl verbindlich geklärt werden. Also sollen die Gesprächspartner wohl Vollmacht dafür haben [→ detaillierter Kap. 7.3.2 (2), S. 182]. Rechtsgeschäftliches Handeln ohne Vollmacht: Die Erklärung eines Mitarbeiters, die dieser ohne Vollmacht abgibt, gilt als von diesem im eigenen Namen abgegeben. 33 Er wird selbst zum Vertragspartner (seine Unterschrift gilt als in eigenem Namen abgegeben). Würde sein Arbeitgeber sich auf das Fehlen der Vollmacht berufen, müsste der Mitarbeiter den Vertrag durchführen. Man lässt einen 32 BGH vom 18.10.1951 (III ZR 138/ 50), NJW 52, 217. 33 Außer wenn der Erklärungsempfänger den Mangel an Vollmacht kannte oder kennen musste. <?page no="91"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 91 Mitarbeiter nicht gerne im Regen stehen - auch dann nicht, wenn die dadurch getroffene Vereinbarung nachteilig ist. Also genehmigt der Arbeitgeber die rechtsgeschäftliche Erklärung seines Mitarbeiters intern und macht sich damit ohne Aufhebens zum Auftragnehmer. Wenn der Mitarbeiter ein zweites Mal so gehandelt hat, ist es für den Arbeitgeber noch peinlicher, sich auf das Fehlen der Vollmacht zu berufen. Beim dritten Mal greift die Duldungs-/ Anscheinsvollmacht ein, wie diese im Folgenden dargestellt wird. Duldungs-/ Anscheinsvollmacht: Vollmacht kann auch dadurch erteilt werden, dass ein Geschäftsführer duldet, dass ein Mitarbeiter wie ein Bevollmächtigter auftritt. Etwas überspitzt ausgedrückt: Die Rechtsprechung vermutet, dass jemand, der nach außen hin tätig werden soll und mehr als zweimal eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgegeben hat, auch die dafür erforderliche Vollmacht hat. (3) Stärke der Vollmacht Der Umfang der Vollmacht kann unterschiedlich sein. Es gibt aber keine stärkere oder schwächere Vollmacht. Ein bevollmächtigter Mitarbeiter kann eine Erklärung seiner Vorgesetzten an den anderen Vertragspartner im Rahmen seiner Vollmacht abändern. Zulässig ist es, die Vollmacht dahingehend zu erteilen, dass mindestens zwei Bevollmächtigte die Erklärung abgeben müssen. Das sichert den Vollmachtgeber ab. Auch wenn auf der Vorstands-/ Geschäftsführungsebene Gesamtvertretungsbefugnis besteht (typischerweise dahingehend, dass nur zwei Personen gemeinsam die AG bzw. GmbH vertreten können), kann ein Projektleiter Einzelvollmacht haben. Eine solche Einzelvollmacht sollte im Vertrag ausdrücklich formuliert werden. (4) Weisungen zur Ausübung der Vollmacht Die Vollmacht regelt, was der Bevollmächtigte gegenüber Dritten erklären kann (= zu erklären berechtigt ist) . Der Vollmachtgeber kann intern Weisungen erteilen, ob der Bevollmächtigte seine - bestehende - Vollmacht nur eingeschränkt oder teilweise gar nicht ausüben soll . Soweit die erteilte Vollmacht reicht, wird sie also nicht wirklich beschränkt, auch wenn es in der Praxis oft so heißt. 34 Beachtet der Bevollmächtigte die internen Weisungen nicht, ist sein Handeln gegen- 34 § 37 GmbHGesetz spricht in der Überschrift unglücklich von „Beschränkungen der Vertretungsbefugnis“: <?page no="92"?> 92 3.2 Vertretungsmacht durch Bevollmächtigung über Dritten dennoch wirksam (es sei denn, dass der Dritte die Nichteinhaltung der internen Weisungen ausnutzt). Der Bevollmächtigte verletzt allerdings seine Pflichten und kann sich damit schadensersatzpflichtig machen. Beispiele für die Erteilung einer Vollmacht mit internen Weisungen (1) „Sehr geehrte/ r ..., hiermit erteilt die ... GmbH Ihnen Handlungsvollmacht für alle Geschäfte im Bereich ‚…‘. Sie sind berechtigt, Verträge mit Kunden bis zu einem Volumen von Euro 100.000 zu schließen. Sie haben schriftliche Erklärungen mit ‚i.V.’ und Ihrem Namen zu unterzeichnen. Intern sind Sie verpflichtet, vor folgenden rechtsgeschäftlichen Erklärungen die Zustimmung des Geschäftsführers einzuholen: ... (z.B. bei Abweichungen von den AGB der GmbH; bei Verträgen mit einem Volumen von über Euro 50.000).“ (2) Der Projektleiter u.a. (mit Vollmacht) kann die Vorgabe erhalten, Festpreise für Anpassungsprogrammierung durch die Abteilung für Programmierung ermitteln zu lassen (nur diese ist für diese Aufgabe zuständig) und Verträge nur mit den so ermittelten Preisen abzuschließen. (5) Handlungsvollmacht Die Handlungsvollmacht ist ganz allgemein die Vollmacht für die Vertretung eines Kaufmanns. Der Vollmachtgeber kann den Umfang der Vollmacht beliebig festlegen, z.B. für bestimmte Geschäfte und für diese wiederum beschränkt, beispielsweise auf eine bestimmte Obergrenze. § 54 HGB legt den Mindestumfang gegenüber gutgläubigen Dritten dahingehend fest, dass sich die Vollmacht auf alle Geschäfte erstreckt, die die Position mit sich bringt, für die die Vollmacht erteilt worden ist. Es besteht also die Vermutung, dass die Vollmacht den Umfang hat, der sich aus der Aufgabe ergibt. § 54 HGB schützt also einen gutgläubigen Dritten vor untypischen Einschränkungen der Vollmacht (z.B. hinsichtlich untypisch niedriger Obergrenzen): Diese gelten ihm gegenüber nicht. Gutgläubig ist, wer Einschränkungen nicht kennt und auch nicht kennen muss. Die Handlungsvollmacht braucht nicht schriftlich erteilt zu werden. Sie kann nicht ins Handelsregister eingetragen werden (weil sie dafür mangels klarer Typenbildung nicht geeignet ist). „(1) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, … festgesetzt sind.“ <?page no="93"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 93 3.3 Was wird in welcher Reihenfolge Vertragsbestandteil? Vertragsbestandteile sind alle Vereinbarungen, gleich wo und wie sie getroffen worden sind. Die Unterzeichnung eines Dokuments führt allerdings zu einer starken Einschränkung. [→ Siehe Kap. 2.3 unter „Vertragsbestandteile bei schriftlichen Verträgen“, S. 50] Diese Einschränkung kann noch dadurch verstärkt werden, dass die Vertragspartner Schriftform vereinbaren. [→ Kap. 3.1.5 (2) unter „Beweislast für mündliche Nebenabreden“, S. 75] Gibt es mehrere physische Vertragsbestandteile (Dokumente) aus der Zeit des Vertragsabschlusses, kann unklar sein, welche zu Vertragsbestandteilen geworden sind, und weiterhin, welche im Falle von Widersprüchen Vorrang haben. Beispiel, dass die Reihenfolge nicht eindeutig bestimmt werden kann „Das System ist zu erstellen gemäß beiliegender Beschreibung vom 14.5.xx und Schreiben des Kunden vom 8.5.xx (im Zweifelsfall unsere Beschreibung). Unter Bezugnahme auf unsere Anfrage ... vom 10.4.xx., Ihr Angebot vom 24.4.xx, die am 30.4.xx zwischen Ihren sehr geehrten Herren ..., ... und unseren Herren ..., ... geführte Unterredung sowie die am 10.5.xx zwischen Ihren Herren ..., ... und unseren Herren ..., ... erfolgte Schnittstellen-Abstimmung sowie beiliegende Vereinbarung.“ Nicht aufgeführte Dokumente Möglicherweise sind auch im zentralen Dokument nicht aufgeführte Dokumente Vertragsbestandteil geworden. Dafür spricht viel, wenn diese gesondert unterschrieben worden sind, beispielsweise eine umfangreiche Vereinbarung zum Datenschutz (wahrscheinlich ein Standarddokument für verschiedenartige Fälle). Für Sie geht es im Folgenden primär um Dokumente zur Leistungsbeschreibung. Nicht aufgeführtes Dokument des Kunden: Dieser hat ein Dokument über seine Anforderungen vorgelegt. Es steht der Leistungsbeschreibung des Auftragnehmers gegenüber. Für die Einbeziehung in den Vertrag spricht es, wenn die Vertragspartner über dieses verhandelt <?page no="94"?> 94 3.3 Was wird in welcher Reihenfolge Vertragsbestandteil? haben. Je mehr sie aber - aufgrund der Verhandlungen - Teile von diesem in der Leistungsbeschreibung des Auftragnehmers berücksichtigt haben, desto näher liegt es, dass nur diese Teile verbindlich sein sollen. Das Dokument des Kunden kann noch für die Auslegung dieser Teile dienen. [Siehe auch Schreiben in Projekten Kapitel 5.6 unter „Das Lastenheft soll nicht Vertragsbestandteil werden“] Es ist möglich, dass das Dokument insgesamt zum Vertragsbestandteil geworden ist. Der Kunde trägt die Darlegungslast (dass seine Argumente überzeugen) und die Beweislast für Ereignisse aus den Verhandlungen, auf die er sich beruft [→ zur Darlegungslast siehe Kap. 2.2.2, S. 42]. Das bedeutet noch nicht, dass dieses Dokument im Fall von Widersprüchen zur Leistungsbeschreibung des Auftragnehmers Vorrang hat. Der Rang wird im Folgenden unter „Reihenfolge der … Dokumente“ erörtert. Wie üblich: Schaffen Sie in Ihrem Bereich Klarheit durch ordentliches Projektmanagement. Beispiele (1) Eher Vertragsbestandteil: Der Auftragnehmer hat zu einem Dokument des Kunden Stellung genommen, insbesondere in diesem Dokument selbst. Die Vertragspartner haben im Vertrag Leistungen als Positionen aufgeführt, die im Dokument beschrieben sind. (2) Wohl nicht Vertragsbestandteil: Der Kunde hat das Dokument lange Zeit vor Vertragsabschluss vorgelegt, die Vertragspartner haben danach ohne ausdrückliche Bezugnahme auf das Dokument lange die Anforderungen des Kunden besprochen, ob diese erfüllt werden sollen oder nicht oder nur in einem eingeschränkten Umfang, und entsprechend in die Leistungsbeschreibung aufgenommen. Nicht aufgeführte Langfassung des Angebots des Auftragnehmers: Dieser hat erst einmal ein ausführliches Angebot erstellt, dann aber ein solches kurzes Vertragsdokument zur Unterzeichnung vorgelegt, das auf das ausführliche Angebot nicht Bezug nimmt. Es liegt nahe, dass das ausführliche Angebot ergänzend gelten soll, soweit das kurze Vertragsdokument von diesen diesem nicht deutlich abweicht. Die Einbeziehung liegt noch näher, wenn das ausführliche Angebot bis <?page no="95"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 95 zur Vorlage des kurzen Vertragsdokuments als Dokument fortgeschrieben worden ist. - Was von dem ausführlichen Angebot des Auftragnehmers noch zusätzlich gelten soll, wenn er dieses nicht fortgeschrieben hat, ist unklar. Tendenziell würde ein Gericht die Situation zu Lasten des Auftragnehmers entscheiden, weil dieser die Unklarheit verursacht hat. Fragen Sie bei Bedarf Ihren Rechtsberater. Reihenfolge der zum Vertragsbestandteil gewordenen Dokumente Wie vorstehend dargestellt kann auch ein nicht aufgeführtes Dokument teilweise oder ganz zum Vertragsbestandteil geworden sein und muss dann in die Festlegung einbezogen werden. Problematisch ist im Wesentlichen die Situation, dass sich ein Dokument des Kunden und eines des Auftragnehmers mit der Beschreibung von Leistungen gegenüberstehen. Die Rangfolge ist im zentralen Dokument angegeben: Hat demgemäß das Dokument des Auftragnehmers Vorrang, dient dasjenige des Kunden nur zur Auslegung. Hat demgemäß das Dokument des Kunden Vorrang, kann das Dokument des Auftragnehmers trotzdem partiell Vorrang haben, wenn es dem Dokument des Kunden widerspricht. Es kann das des Kunden einschränken oder von jenem abweichen. Das muss im Dokument des Auftragnehmers allerdings so deutlich formuliert sein, dass der Kunde bei normalem Lesen darauf gestoßen wird. Mit der Unterzeichnung des Vertrags nimmt der Kunde den partiellen Vorrang in seinen Willen auf. Der Vorrang kann auch implizit ausgedrückt werden: Der Kunde hat eine umfassende Vorgabe gemacht, die der Auftragnehmer nur in einem gesonderten Dokument oder innerhalb des Dokuments des Kunden ergänzen sollte. Die Angaben des Auftragnehmers sollen Vorrang haben, wenn der Kunde den Vertrag unterschreibt und damit die Texte des Auftragnehmers akzeptiert. Zur Information Keine Angabe der Rangfolge: Das Argument, dass die Dokumente in einer zeitlichen Abfolge entstanden seien und das jeweils spätere maßgeblich sein sollte, gilt nur eingeschränkt. Denn mit dem Vertragsabschluss ist zeitlicher Gleichrang aller Vertragsbestandteile geschaffen worden. Man kann allerdings begrenzt damit argumentieren, dass das jeweils vor Vertragsabschluss zu einem späteren Zeitpunkt geschaffene Dokument das jeweils erreichte Einverständnis ausdrücken solle. <?page no="96"?> 96 3.3 Was wird in welcher Reihenfolge Vertragsbestandteil? Es kommt auf die Situation und damit auf die Umstände an. Sie sollten mit Ihrem Rechtsberater sprechen. Stellen Sie ihm die Situation gemäß den folgenden Gesichtspunkten dar. Denken Sie dabei daran, dass Juristen Widersprüche gerne weginterpretieren [→ Kap. 2.3 (2) unter „Widersprüche“, S. 56]. Es kann um den Rang der vollständigen Dokumente gehen:  Der (künftige) Kunde hat seine Aufgabenstellung nur umrissen ; ein ausführliches Angebot des (künftigen) Auftragnehmers war also erforderlich. Letzteres ist dann maßgeblich. Das Dokument des Kunden dient nur der Auslegung. Es hat aber größeres Gewicht, als wenn es nicht zum Vertragsbestandteil gemacht worden wäre. Allerdings kann der Auftragnehmer aufgrund eines vorvertraglichen Beratungsverhältnisses verpflichtet gewesen sein, den Kunden auf erhebliche Widersprüche hinzuweisen. Der Auftragnehmer kann sich durch sein Schweigen schadensersatzpflichtig gemacht haben [→ Kap. 3.4 unter „Verletzung von vorvertraglichen Pflichten“, S. 99].  Der Kunde hat eine ausführliche Vorgabe gemacht und bekommt ein ausführliches Angebot des Auftragnehmers. Wenn Widersprüche bestehen, sind diese nur schwer zu lösen. Weitgehend liegt die Lösung darin, dass Besprechungen Klarheit und Entscheidungen schaffen sollten. Allerdings kann es schwierig sein zu beweisen, was das Ergebnis solcher Besprechungen war. Es kann auch um den Rang von (inhaltlichen) Teilen von Dokumenten in der Situation gehen, dass eines der beiden Dokumente im Zuge der Vertragsverhandlungen geändert worden ist. Hinsichtlich der Änderung soll wohl das geänderte Vorrang haben [→ Kap. 7.2 (2), S. 164]. Dann stellt sich die Frage, was für solche Widersprüche gilt, die erst während der Projektdurchführung erkannt werden und also nicht geklärt worden sind. Wenn der Auftragnehmer mehrere Änderungen in seinem ausführlichen Angebot vorgenommen hat, liegt es nahe, dass der Kunde dem Auftragnehmer seine Anforderungen zu allen entdeckten Widersprüchen erklärt hat und der Auftragnehmer sie nur im Umfang der vollzogenen Änderungen akzeptiert hat. Problematisch bleiben die nicht entdeckten Widersprüche. Je mehr nur oder fast nur im Angebot geändert worden ist, desto näher liegt es, dass dieses insgesamt Vorrang haben soll. - Entsprechendes gilt, wenn das Dokument des Kunden geändert worden ist. <?page no="97"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 97 Es können auch beide Dokumente geändert worden sein. Wenn das des einen Vertragspartners deutlich mehr zu Gunsten des anderen geändert worden ist, spricht das dafür, dass das des anderen hinsichtlich nicht erkannter Widersprüche Vorrang haben soll. Nicht aufgeführtes Dokument, das doch zum Vertragsbestandteil geworden ist: Es wird noch schwieriger, dieses gegenüber dem mit ihm konkurrierenden Dokument einzuordnen. Ende 3.4 Vorvertragliche Pflichten Ein Schuldverhältnis kann jeden Beteiligten „zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten“ (§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Schuldverhältnis entsteht nicht nur durch den Abschluss eines Vertrags, sondern schon durch „1. die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, 2. die Anbahnung eines Vertrags, bei welchem der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder 3. ähnliche geschäftliche Kontakte“ (§ 311 Abs. 2 BGB). Das Schuldverhältnis kann im Wesentlichen enthalten:  Aufklärungspflichten. Diese entstehen automatisch, wenn der andere Vertragspartner Gefahr läuft, sich selbst unverschuldet erheblich zu schaden.  Beratungspflichten [→ im Folgenden unter „Beratungspflichten“, S. 98]  Fürsorgepflichten, dass der andere Vertragspartner sich nicht selbst schädigt.  Verhandlungstreuepflichten [→ Zu denen des Kunden bei einem Letter of Intent siehe Kap. 3.1.6 (1), S. 31] In erster Linie geht es um Pflichten des (künftigen) Auftragnehmers. Solche Pflichten entstehen kaum, wenn der Kunde sich bereits anderweitig hat beraten lassen oder wenn er mit festen Vorstellungen über das auftritt, was er beauftragen will. Beispielsweise könnte der Kunde im Rahmen seines Gesamtprojekts bereits nahezu eine Spezifikation seiner Anforderungen erstellt haben (lassen). <?page no="98"?> 98 3.4 Vorvertragliche Pflichten Erst einmal bestehen keine Beratungspflichten, nur Aufklärungspflichten gegenüber einem „dummen“ Kunden. Fürsorgepflicht des Auftragnehmers, eine schriftliche Aufgabenstellung des Kunden zu überprüfen: Der Auftragnehmer muss eine solche im eigenen Interesse insoweit durcharbeiten, dass er wie verlangt einen Festpreis oder einen Kostenanschlag anbieten kann. Insoweit ist das seine Sache. Im Zusammenhang mit § 311 BGB ist das allerdings als eine Pflicht gegenüber dem Kunden zu verstehen. Dieser darf sich darauf verlassen, dass der Auftragnehmer die Aufgabenstellung im Hinblick auf die Preisfindung durchgearbeitet hat und ihn bei Bedenken informiert. 35 Der Auftragnehmer sollte den Kunden auf jeden Fall informieren, wenn er tatsächlich Bedenken hat. Der Auftragnehmer muss eine grobe Aufgabenstellung zwangsläufig nach Abschluss des Vertrags - unter Einbeziehung des Kunden - detaillieren. Wegen des Aufwands dafür hat er keine vorvertragliche Pflicht, das vor Vertragsabschluss zu tun, sofern er nicht einen Festpreis anbietet [→ Kap. 7.3.2, S. 174]. Technische Anforderungen: Je stärker der Kunde technisch versiert ist, desto mehr darf sich der Auftragnehmer auf die Sachgerechtigkeit der Anforderungen verlassen. Beratungspflichten Diese entstehen aufgrund eines Vertrauensverhältnisses, dass der Auftragnehmer geschaffen hat. Ein wesentlicher Faktor für die Begründung eines solchen Beratungsverhältnisses ist der Abstand in der Fachkunde zwischen dem Auftragnehmer und dem Kunden. Dabei dürften die Beratungspflichten desto stärker sein, je weniger die Aufgabenstellung dem Kunden zugänglich ist. Es gibt allerdings keine vorgegebene fachlich überragende Kompetenz des Auftragnehmers für die Aufgabenstellung. Wenn der Auftragnehmer die Beratung über das bei einem Akquisitionsgespräch Übliche hinaus übernimmt, schafft er ein vorvertragliches Beratungsverhältnis. Die Abgrenzung ist schwierig. „Nennen Sie Ihre Anforderungen? “ gehört zum Akquisitionsgespräch. „Wozu brauchen Sie das? “ liegt an der 35 Bei Vergütung nach Aufwand bräuchte der Auftragnehmer nur die Realisierbarkeit zu überprüfen. <?page no="99"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 99 Grenze. „Lassen Sie uns Ihre Anforderungen besprechen! “ schafft wahrscheinlich ein Beratungsverhältnis. „Lassen Sie uns einen (unentgeltlichen) Workshop durchführen“ bahnt ein solches Verhältnis an. Erst einmal verpflichtet dieses Verhältnis den Auftragnehmer, zusammen mit dem Kunden dessen Anforderungen zu ermitteln oder ein Konzept zu entwickeln, wie die Anforderungen innerhalb eines Vertrags erarbeitet werden können [→ Kap. 7.2 unter „Die Eigenschaften des Werks … noch nicht fest“, S. 160]. Im ersten Fall muss ein Dokument mit den Anforderungen erstellt werden. Die Beratungspflicht geht nicht so weit, dass das Ergebnis so detailliert wie bei einem entgeltlichen Beratungsvertrag sein müsste. Der Auftragnehmer kann das Beratungsverhältnis beschränken oder beenden. Schließlich hatte er keinen Vertrag, der ihn verpflichten würde. Beispielsweise kann er erklären, die Beratung nur entgeltlich fortzusetzen. Oder er kann den Kunden auffordern, dass dieser seine Anforderungen aufgrund der Besprechungen selbst formulieren solle. Der Auftragnehmer ist dann verpflichtet, den Kunden zu warnen, dass noch nicht alle Voraussetzungen für einen sachgerechten Vertrag geschaffen worden sind. Für den Kunden kommt es darauf an, dass der Auftragnehmer später in seinem Angebot und damit im Vertrag erklären soll, dass die angebotenen Leistungen die ermittelten Anforderungen abdecken. Erklärt dieser das, haftet dieser auf deren Erfüllung. Mitwirkung des Kunden: Dieser ist im eigenen Interesse gehalten, sachgerecht mitzuwirken. 36 Tut er das nicht und entsteht deswegen ein Schaden, muss er sich das anrechnen lassen: Er muss einen seinem Eigenverschulden entsprechenden Anteil als Mitverschulden am Schaden tragen [→ vgl. Kap. 11.1 (3), S. 244]. Verletzung von vorvertraglichen Pflichten Der Auftragnehmer macht sich nach der allgemeinen Haftungsvorschrift schadensersatzpflichtig [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Er hat den Kunden so zu stellen, wie dieser bei ordnungsgemäßer Aufklärung bzw. Beratung gestanden hätte. Hätte dieser dann den Erwerb unterlassen, entfällt dessen Zahlungspflicht; der Auftragnehmer hat dessen nutzlose/ vergebliche Aufwendungen zu ersetzen. Allerdings ist es 36 Es wird hier nicht von Mitwirkungspflichten des Kunden gesprochen, weil es weitgehend erst einmal der Auftragnehmer ist, der den Kunden bei dessen Aufgaben, nämlich Anforderungen zu ermitteln, zu unterstützen hat. Es geht um Pflichten des Kunden im eigenen Interesse [→ Kap. 11.7, S. 258]. <?page no="100"?> 100 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso möglich, dass der Kunde bei ordnungsgemäßer Beratung mehr an Leistung beauftragt und also mehr zu zahlen sich verpflichtet hätte. Er hätte dann keinen Schaden erlitten. [→ Kap. 11.1 (5) unter „Inhalt und Umfang“, S. 246] 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen Wenn Sie den Begriff lesen, denken Sie wahrscheinlich an das „Kleingedruckte“, also an rechtliche Regelungen, die den anderen Vertragspartner benachteiligen. Eigentlich ist es ganz vernünftig, mit Standardtexten in normaler Schriftgröße zu arbeiten, beispielsweise mit Vorlagen für Angebote oder Aufträge: Einmal gründlich erarbeitet können diese vielfach verwendet werden. Dazu bietet es sich an, einige Standardtexte aus dem zentralen Vertragsdokument auszugliedern: eine Datenschutzvereinbarung gemäß der Datenschutzgrundverordnung oder einen Projektleitfaden. Allerdings droht, wie das Kleingedruckte in der Praxis zeigt, dass Standardtexte mit rechtlichem Inhalt unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit einseitig zu eigenen Gunsten formuliert werden. Der Gesetzgeber hat dem einen Riegel vorgeschoben. Die sogenannte Inhaltskontrolle besagt: AGB-Klauseln sind unwirksam, wenn sie den anderen Vertragspartner „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“ (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) [→ im Folgenden unter (4), S. 103]. Ein bisschen Benachteiligung bleibt also zulässig. 37 Die Inhaltskontrolle ist auf Abweichungen von den Rechtsvorschriften hin gedacht, bezieht sich also nicht auf Vereinbarungen, die die Leistungen beschreiben, insbesondere nicht auf den Preis. Der Verwender von AGB kann den anderen Vertragspartner auch durch undurchsichtige Bedingungen benachteiligen. Deswegen enthält das AGB-Recht auch einige (zwingende) Ordnungsvorschriften, die eine gewisse Klarheit in Standardtexten absichern, damit AGB die Vertragsverhandlungen tatsächlich vereinfachen und Klarheit schaffen. Sie selbst werden kaum grob unfaire Vorlagen für Verträge erstellen. Die Inhaltskontrolle dürfte also kaum ein Thema für Sie sein. Es kann aber eines für Ihre Leitungsebene oder für die Ihres Vertragspartners sein. Deswegen wird Ihnen die Inhaltskontrolle vorgestellt. 37 Dabei kann der Verwender Verbraucher weniger stark als Unternehmer benachteiligen. <?page no="101"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 101 Die Ordnungsvorschriften beziehen sich auf alle vorformulierten Texte, die Vertragsbestandteil werden, also auch auf Preislisten oder Produktbeschreibungen. Die Ordnungsvorschriften sollen Druck dahingehend ausüben, dass möglichst viele Standardtexte klar und verständlich abgefasst werden. Insbesondere das Transparenzgebot kann gegen Ihre Vorlagen eingreifen, wenn Sie diese nicht klar genug formuliert haben [→ im Folgenden unter (5), S. 105]. (1) Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alle Texte, die vorformuliert sind, können AGB sein. 38 Auf Kürze oder Länge, auf Schriftart und Form kommt es nicht an, ebenso wenig auf deren Bezeichnung und deren Inhalt. Sie werden zu AGB, wenn der Verwender sie dem anderen Vertragspartner „stellt“. Beispiel Die Richtlinien im Projektleitfaden zur Durchführung eines Projekts sind erst einmal nicht gestellt. Wenn es dann im Angebot heißt, dass das Projekt gemäß diesen Richtlinien durchgeführt werden soll, sind diese Richtlinien gestellt. Also enthält bereits das zentrale Vertragsdokument AGB, wenn es auf einer Vorlage beruht. Wenn bei deren Verwendung Variable oder Texte eingefügt werden, bleiben die vorformulierten Teile AGB. Rangverhältnis von Individualabreden und AGB: „Individuelle Vertragsabreden haben Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (305b BGB). Die Vertragspartner können ohne Weiteres Vereinbarungen treffen, die von den in den Vertrag einbezogenen AGB abweichen. Sie brauchen sich dessen nicht bewusst zu sein. Sie können das auch noch während der Projektdurchführung tun. [→ Zum Verzicht auf die Schriftform in diesem Fall siehe Kap. 3.1.5 (2), S. 74] Es dient der Klarheit, abweichende Vereinbarungen deutlich als solche zu formulieren, [Siehe auch Schreiben in Projekten , Kapitel 5.2 unter „Von AGB abweichende Vereinbarungen treffen“] Die Vorstellung, dass AGB Vorrang vor Individualabreden hätten oder sogar zwingender Natur seien, ist also falsch. Sie wird teilweise 38 Das BGB spricht abwechselnd von „Bedingungen“, „Bestimmungen“ und „Klauseln“. <?page no="102"?> 102 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen dadurch genährt, dass AGB manchmal den Eindruck erwecken, als ob sie zwingend seien. So heißt es beispielsweise in den Einkaufsbedingungen der öffentlichen Hand für IT-Leistungen bei einzelnen Bedingungen: „Davon abweichend können die Parteien gesonderte Vereinbarungen treffen.“ Es bedarf keiner solcher Erlaubnis. Eine andere Frage ist die, ob ein Mitarbeiter die Vollmacht für Abweichungen hat. (2) Die Einbeziehung von AGB in den Vertrag Baut das Vertragsdokument auf einer Vorlage (die stets AGB beinhaltet) auf, wird diese automatisch Vertragsbestandteil. Sind AGB in einem ausgegliederten Dokument enthalten, werden diese nur Vertragsbestandteil, wenn dieses Dokument im zentralen Dokument genannt oder gesondert unterzeichnet wird. Negativbeispiel Ein Hinweis erst auf einer Rechnung, dass die AGB des Auftragnehmers gelten würden, ändert nichts daran, dass der Vertrag bereits ohne Einbeziehung dieser AGB abgeschlossen worden ist. Der Verwender braucht die (ausgegliederten) AGB einem Unternehmer nicht mitzuteilen; jener muss nur die Möglichkeit haben, von den AGB einfach Kenntnis zu erlangen. 39 - Ob der andere Vertragspartner die AGB liest, ist dessen Sache und ist für die Einbeziehung unerheblich. Jeder der beiden Vertragspartner verweist in seiner Erklärung auf seine AGB: Das kann etwa bei einem Briefwechsel geschehen. Dann kommt der Vertrag im Zweifel erst einmal nicht zustande; denn die Partner haben sich noch nicht in allen Punkten geeinigt (§ 154 BGB) [→ Kap. 3.1.1 unter „Verträge mit offenen Punkten“, S. 62]. Kommt der Vertrag doch noch zustande, entfallen in den beiden Dokumenten diejenigen Regelungen, in denen sich die beiden AGB der Sache nach widersprechen (weil kein übereinstimmender Wille besteht). An deren Stelle tritt das Vertragsrecht. Weitere Schreiben des einen oder des anderen Vertragspartners, dass seine und nur seine AGB gelten würden, sind normalerweise unbeachtlich. Wenn es um Regelungen zur Vertragsdurchführung geht, sollten Sie allerdings auf der Ebene des Projekts mit Ihrem Partner auf der anderen Seite klären, was gelten soll, und das Ergebnis niederlegen. 39 Einem Verbraucher muss der Verwender seine AGB so mitteilen, dass jener diese einfach zur Kenntnis nehmen kann, muss diese also im Normalfall zusenden. <?page no="103"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 103 Einbeziehung von AGB in Zusatzaufträgen: Sie bereiten einen Zusatzauftrag vor [→ Kap. 7.3.3, S. 193] und fragen sich, ob Sie auf die AGB Ihrer Seite verweisen sollen. Eine solche Einbeziehung kann bereits im zentralen Vertragsdokument erfolgt sein [→ Kap. 7.3.3, S. 193]. Andernfalls ist die Einbeziehung erforderlich, damit die AGB Bestandteil des Zusatzauftrags werden. (3) Vorschriften nur mit Ordnungsfunktion Mehrdeutige Bedingungen: „Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders“ (§ 305c Abs. 2 BGB). Erst einmal ist also der Text auszulegen [→ Kap. 3.5 (2) unter „Auslegung von AGB“, S. 57]. Wenn am Ende des Auslegungsprozesses zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, bleiben Zweifel bestehen. Dann gilt das für den anderen Vertragspartner günstigere Ergebnis. Achten Sie, wenn Sie eine Vorlage erstellen, vorsorglich darauf, dass keine Formulierung mehrdeutig zu sein droht. Wenn - bei rechtlichen Bedingungen - auch nur ein Ergebnis grob unfair ist, bedeutet das, dass die Bedingung entfällt und das Vertragsrecht ergänzend eingreift [→ Einzelheiten zur Auslegung siehe Kap. 2.3 (2), S. 53]. Überraschende Bedingungen: Objektiv überraschende Bedingungen werden nicht Vertragsbestandteil. Das gilt auch, wenn der andere Vertragspartner die AGB gelesen hat (es sei denn, dass er bei den Verhandlungen auf diese Bedingungen eingegangen ist und diese damit als Individualabreden akzeptiert hat). Beispiel Koppelungsgeschäfte beim Kauf von Druckern dahingehend, dass der Käufer verpflichtet wird, künftig Verbrauchsmaterial beim Verkäufer zu beschaffen, auch wenn er sich dieses anderweitig beschaffen könnte. (4) Die materielle Inhaltskontrolle von AGB Zur Information Die Grenze der Vertragsfreiheit wird in individuellen Verträgen im Hinblick auf Fairness dadurch bestimmt, dass Verträge nicht sittenwidrig sein dürfen [→ Kap. 2.1.3 (2), S. 36]. Wenn jemand aber die Vertragsfreiheit nutzt, um AGB vorab zu formulieren (vermutlich zu seinen Gunsten), wird die Grenze enger gezogen. Bedin- <?page no="104"?> 104 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen gungen mit rechtlichem Inhalt in AGB dürfen zwar etwas von den gesetzlichen Vorschriften abweichen (würden Abweichungen überhaupt nicht zugelassen werden, bliebe von der Vertragsfreiheit nichts mehr übrig). Solche Bedingungen dürfen aber nicht „unangemessen“ benachteiligen, so wie das in individuellen Vereinbarungen zulässig ist [→ Kap. 2.1.3 (2), S. 36]. Tun sie das, sind sie unwirksam. Beispiele für Unwirksamkeit Einschränkung der Haftung auf Schadensersatz bei einer leicht fahrlässigen Verletzung von wesentlichen Vertragspflichten [→ Kap. 11.1 (6), S. 187] Zu kurze Verjährungsfrist [→ im Folgenden unter „Beispiel Verjährungsfrist“, S. 105] Zu lange Zahlungsfrist [→ Kap. 4.3 unter „Zahlungsfristen“, S. 111] Das AGB-Recht regelt also nicht, was der Inhalt von AGB-Klauseln sein soll, sondern erklärt, was nicht zum Inhalt wird. 40 Die Inhaltskontrolle greift auch dann korrigierend ein, wenn sich der andere Vertragspartner mit der Geltung der AGB des Verwenders einverstanden erklärt hat, beispielsweise ein gesondertes Dokument mit diesen unterzeichnet hat. 41 Die Inhaltskontrolle greift allerdings insgesamt nicht ein, wenn die Vertragspartner über die AGB so intensiv verhandelt haben, dass diese insgesamt als Individualabreden anzusehen sind. Noch AGB-Klausel oder schon Individualabrede: Nicht mehr AGB sind Klauseln, soweit sie zwischen den Vertragspartnern „im Einzelnen ausgehandelt worden“ sind (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB). Das kann sich am geänderten Wortlaut zeigen. Die Rechtsprechung erwartet sogar, dass es dann „in aller Regel“ auch zu Änderungen gekommen ist. Ist letzteres nicht der Fall, trägt der Verwender die Beweislast dafür, dass der andere Vertragspartner diese Bedingungen in den Verhandlungen letztlich akzeptiert hat. Dieser Wandel zu Individualabreden kann auch für das gesamte AGB- Dokument gelten, wenn über dieses insgesamt intensiv verhandelt worden ist. Schließlich kann der andere Vertragspartner sich auch mit einzelnen unangemessenen Benachteiligungen im Verhandlungsergebnis zufrieden gegeben haben. 40 §§ 308 und 309 BGB enthalten zwei umfangreiche Kataloge von Klauseln dazu, was bestimmt oder ziemlich wahrscheinlich unwirksam ist. 41 Das gilt auch für das zentrale Dokument selbst, das als ein Standarddokument / eine Vorlage verwendet worden ist, soweit es nicht abgeändert worden ist <?page no="105"?> 3 Der Vertragsabschluss in der Praxis 105 (5) Das Transparenzgebot Dieses Gebot bezieht sich auf alle vorformulierten Texte, also auch auf Vorlagen für Vereinbarungen zu den Leistungen. Es enthält primär eine Ordnungsfunktion, ist aber im Zusammenhang mit der materiellen Inhaltskontrolle geregelt. Die unangemessene Benachteiligung, die zur Unwirksamkeit führt, „kann sich daraus ergeben“, dass eine AGB-Klausel nicht „klar und verständlich“ formuliert ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Klausel braucht also inhaltlich nicht grob unangemessen/ unfair zu sein. Sie muss den anderen Vertragspartner nur spürbar benachteiligen, und ihr Wortlaut muss das verschleiern. 42 Beispiel für mangelnde Transparenz Die „bequeme“ Klausel in den AGB von Auftragnehmern, dass für die Mängelhaftung und/ oder für das Nutzungsrecht an der Standardsoftware die Bedingungen des jeweiligen Herstellers gelten würden. Also bemühen Sie sich, wenn Sie eine Vorlage erstellen, um Transparenz. Dann schadet es rechtlich nicht, wenn eine Formulierung hinsichtlich der Fairness etwas bedenklich ist. Geschäftspolitisch gesehen sollte allerdings keine Formulierung in einer Vorlage intransparent und hinsichtlich der Fairness bedenklich sein. (6) Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Ist eine Klausel nicht Vertragsbestandteil geworden oder ist sie unwirksam, bleibt der Vertrag grundsätzlich dennoch wirksam. Die unwirksame Klausel wird durch das Vertragsrecht ersetzt. Beispiel Verjährungsfrist Eine Klausel zu einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern laute: „Die Verjährungsfrist für Mängel in der Hardware beträgt 12 Monate, gerechnet ab Lieferung, für Software 3 Monate.“ Die Einschränkung der gesetzlichen Verjährungsfrist von 24 Monaten (§ 438 BGB) auf zwölf Monate für die Hardware ist gerade noch zulässig (§ 309 Nr. 8 BGB). Die Begrenzung auf drei Monate für die Software ist hingegen unwirksam. Dementsprechend beträgt die Verjährungsfrist für Mängel in der Software 24 Monate. 42 Ein kompliziertes Thema kann eine komplizierte Regelung erfordern. Das allein macht eine Klausel noch nicht intransparent. Sie wird es erst, wenn der Verwender sich nicht ausreichend bemüht hat, sie eindeutig und verständlich zu formulieren. <?page no="106"?> 106 3.5 Allgemeine Geschäftsbedingungen Bei Bedarf Wenn viele Verwender in ihren AGB dennoch regeln, dass der Vertrag im Übrigen wirksam bleibe, dient das dazu, die sog. salvatorische Klausel vorzubereiten: „Die Vertragspartner verpflichten sich, die unwirksamen Klauseln durch wirksame zu ersetzen, die wirtschaftlich so weit wie zulässig gleichwertig sind,“ also durch solche, die für den Verwender so günstig wie zulässig sind. Meist ist unklar/ intransparent, was das beinhaltet. Die Klausel verstößt deswegen gegen das Transparenzgebot und ist also unwirksam [→ siehe hier Kap. 3.5 (5), S. 105]. In Betracht kommt, dass eine Klausel nur zum Teil unwirksam ist. Dann bleibt der Rest bestehen, wenn nach Streichung des unwirksamen Teils die verbleibende Klausel verständlich bleibt und eine eigenständige Regelung enthält. Bei der Ersetzung ist zu berücksichtigen, dass auch die ergänzende Vertragsauslegung zum Vertragsrecht gehört und Vorrang vor den anderenfalls eingreifenden Vorschriften des Vertragsrechts hat [→ Kap. 2.3 (3) unter „Dritter Schritt“, S. 58]. Diese ergänzende Vertragsauslegung kann dazu führen, dass die unwirksame Klausel aufgrund ihres Zusammenhangs mit anderen Vereinbarungen im Vertrag in einer Weise zu ersetzen ist, wie diese sich - zugunsten des Verwenders - aufdrängt und für den anderen Vertragspartner noch angemessen ist. Die Klausel kann somit in einem eingeschränkten Umfang wirksam bleiben. [→ Siehe Kap. 2.3 (2) zur „Ergänzenden Vertragsauslegung“, S. 55, sowie ein Beispiel dazu in Kap. 2.3 (3) unter „Vierter Schritt …“, S. 59] Beispiel für eingeschränkte Unwirksamkeit Unwirksam ist eine AGB-Klausel, die das Einsatzrecht an einem Standardprogramm an den anfangs eingesetzten Server fest bindet (sodass das Standardprogramm im Zeitablauf nicht auf einem anderen Server eingesetzt werden darf). Aufgrund der ergänzenden Vertragsauslegung lautet die Ersatzregelung, dass der Anwender das Standardprogramm auf einer Nachfolgeeinheit einsetzen darf. Er darf es allerdings nicht auf beliebig vielen Servern parallel einsetzen, wie es nach dem Urheberrecht naheliegen würde [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]. Beweislast: Wenn sich der andere Vertragspartner auf den Schutz des AGB-Rechts beruft, trägt er die Beweislast dafür, dass es sich bei der von ihm angegriffenen Vereinbarung um eine AGB-Klausel handelt. Der Beweis kann schwer zu führen sein, wenn Standardformulierungen in einem individuellen Vertragstext eingebettet sind. Ende <?page no="107"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen Das Vertragsrecht unterscheidet zwischen Erfüllungsansprüchen (= Ansprüchen auf Leistung) und Haftungsansprüchen. Letztere sind solchen auf Ausgleich wegen einer Pflichtverletzung. Ein Vertragspartner kann in einer Situation gleichzeitig Ansprüche auf Erfüllung und aus Haftung haben. Beispiel Bei Lieferverzug behält der Kunde seinen Erfüllungsanspruch auf die vereinbarte Leistung und kann daneben seinen Verzugsschaden geltend machen. Ein Vertragspartner kann auch im Zeitablauf erst einen Anspruch auf Erfüllung und später einen fast identischen Anspruch aus Haftung haben 43 . Diese können sich punktuell unterscheiden, beispielsweise hinsichtlich der Dauer der Verjährungsfrist. Nehmen Sie das nicht so wichtig. Für Feinheiten ist Ihr Rechtsberater zuständig [→ zu den Ansprüchen aus Haftung siehe Kap. 11, S. 239]. 4.1 Art von Ansprüchen auf Leistung / Erfüllung Der Vertrag schafft Ansprüche des Gläubigers und damit entsprechende Pflichten des Schuldners auf  die Erbringung von Leistungen: von Hauptleistungen und von Neben leistungen . Letztere sind Leistungen, an denen der Leistungsempfänger kein eigenständiges Interesse hat. Sie sind im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich, hängen mit dieser eng zusammen und werden üblicherweise erbracht, beispielsweise die Erstellung einer Rechnung.  die Beachtung von Neben pflichten . Dazu enthält § 241 Abs. 2 BGB eine Generalklausel: „Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter 43 Beispielsweise kann der Käufer die Entgegennahme einer mangelhaften Sache ablehnen und Erfüllung verlangen, sei es durch die Beseitigung des Mangels oder durch Lieferung einer mangelfreien Sache. Nach der Entgegennahme hat er sehr ähnliche Rechte aus Haftung. <?page no="108"?> 108 4.2 Vergütung und Interessen des anderen Teils verpflichten.“ Beispielsweise kann es um Geheimhaltungspflichten gehen. [→ Vgl. die Parallele in Kap. 3.4 unter „Vorvertragliche Pflichten“, S. 97] Die Paragrafen im BGB, die einen Vertragstypen einleiten, benennen dessen Hauptpflichten, um diesen zu charakterisieren. Die Vertragstypen können weitere Leistungspflichten enthalten [→ Kap. 5.1, S. 123]. 4.2 Vergütung Soweit üblich, ist alles zu vergüten; im Zweifel arbeitet niemand umsonst (Rechtsprechung zu § 612 Abs. 2 und § 632 Abs. 2 BGB). [→ Kap. 9.1 (2), S. 226, bzw. Kap. 7.1 unter „Hauptpflicht des Kunden“, S. 157] Die Erstellung von Angeboten ist normalerweise nicht zu vergüten [→ Kap. 3.1.2 (3), S. 66]. Festpreis: Dieser dürfte alle Nebenleistungen abgelten, soweit nicht eine zusätzliche Vergütung ausdrücklich vorgesehen ist [→ Kap. 7.2.2, S. 168]. Vergütung nach Aufwand: Ein Arbeitstag versteht sich als 8 Arbeitsstunden (abgeleitet aus der maximal zulässigen Dauer bei regelmäßiger Arbeit). Es kann allerdings branchenüblich sein, dass nach der Zahl der tatsächlich geleisteten Stunden abgerechnet wird, und das selbst in dem Fall, dass die Vergütung sich auf Tagessätze bezieht. Der Kunde darf davon ausgehen, dass die Mitarbeiter des Auftragnehmers die gesetzlichen Pausenregelungen einhalten. Das heißt bei einem normalen Arbeitstag, dass ein Mitarbeiter des Auftragnehmers zusätzlich eine halbe Stunde für eine Pause verbringt. 44 Die Vergütung von Reisezeiten und Reisekosten richtet sich nach dem Branchenüblichen. Für Reisezeiten werden meist reduzierte Vergütungssätze vereinbart. Welche Tätigkeiten im Einzelnen als Arbeitszeit angesetzt werden können und welche davon bereits durch die vereinbarten Vergütungssätze abgegolten sind, ist teilweise schwierig zu bestimmen. 44 Der Kunde darf davon ausgehen, dass der Auftragnehmer die Pausenzeiten den Mitarbeitern nicht zu vergüten braucht, sodass er diese ebenfalls nicht gegenüber dem Auftragnehmer zu vergüten braucht. <?page no="109"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 109 [→ Kap. 7.4 (2) unter „Vergütungspflichtige Tätigkeiten“, S. 200] Der Auftragnehmer hat Anspruch auf die Vergütung aller sachgerecht aufgewendeten Arbeitszeit. Wenn der Kunde unwirtschaftliches Vorgehen behauptet, muss er diesen Vorwurf darlegen und dann beweisen. Das wäre für ihn schwierig; deswegen muss der Auftragnehmer ihm sein eigenes Vorgehen erläutern [→ Kap. 2.2.3 (2) unter „Erklärungslast“, S. 49]. [→ Zur Wirtschaftlichkeit, Fehler zu machen, siehe Kap. 7.4 (2) unter „Fehlerhaftes Arbeiten“, S. 201] Kontingent: Bei einem Festpreis ist ein Ergebnis abzuliefern oder ein konkreter Dienst zu erbringen. Ein Kontingent bezieht sich hingegen auf die Menge einer Basisleistung, beispielsweise eine Menge an Arbeitszeit oder an Sachen wie Smartphones. Bei einem Kontingent an Arbeitszeit wird üblicherweise nach Aufwand abgerechnet. Zu unterscheiden sind verschiedene Formen: Unverbindliches Kontingent: Der Kunde braucht es nicht voll in Anspruch zu nehmen. Der Auftragnehmer dürfte kaum einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung haben, wenn er ein unverbindliches Kontingent überzieht, ohne dass das dem Kunden deutlich geworden ist. 45 Teilen Sie als Auftragnehmer bei einem unverbindlichen Kontingent dem Kunden mit, dass sich dieses bald erschöpfen werde, Sie aber im Interesse des Kunden die Dienste / Dienstleistung weiterhin erbringen würden. • Sie würden den Kunden bitten, der Klarheit der Abrechnung wegen das Kontingent wie folgt zu erhöhen … Festes Kontingent: Der Auftragnehmer hat Anspruch auf die volle Vergütung, auch wenn der Kunde das vereinbarte Volumen nicht voll in Anspruch nimmt. Wenn der Auftragnehmer dieses ohne Absprache überzieht, dürfte er andersherum kaum Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung haben. Man könnte die Vergütungsform als einen Festpreis bezeichnen. 45 § 625 BGB setzt bei einem Dienstvertrag für die Zahlungspflicht voraus, dass der Auftraggeber von dem Ablauf der Dienstzeit weiß [→ vgl. Kap. 9.1 (3) unter „Weiterarbeit nach Beendigung“, S. 172]. Bei einem unverbindlichen Kontingent kann der Kunde das manchmal nur errechnen. Es dürfte darauf ankommen, wie deutlich der Auftragnehmer den Verbrauch des Kontingents mitgeteilt hat. <?page no="110"?> 110 4.3 Fälligkeit von Leistungen Teilen Sie als Auftragnehmer bei einem festen Kontingent dem Kunden mit, dass sich dieses bald erschöpfen werde. • Sie wären bereit, die Dienste / Dienstleistung weiterhin zu erbringen, würden den Kunden allerdings auffordern, das Kontingent wie folgt zu erhöhen … Mindestkontingent : Der Auftragnehmer kann auf jeden Fall die volle Vergütung verlangen und darf darüberhinausgehende Stunden wahrscheinlich ohne Zustimmung des Kunden leisten und abrechnen. [→ vgl. Kap. 9.1 (3) unter „Weiterarbeit nach Beendigung“, S. 228] Teilen Sie als Auftragnehmer bei einem Mindestkontingent dem Kunden mit, dass sich dieses bald erschöpfen werde. • Sie würden den Kunden bitten, der Klarheit der Kostenentwicklung und der Abrechnung wegen das Mindestkontingent wie folgt zu erhöhen … Budget: Der Begriff sei angesprochen, weil er vielfach verwendet wird und unklar ist. Es handelt sich üblicherweise um einen Geldbetrag, den der Kunde für eine eher ungenau bestimmte Aufgabenstellung auszugeben bereit ist. Er möchte weitgehend entscheidungsbefugt bleiben, wie viel und wofür er das Geld ausgeben wird. Beispiele (1) Der Kunde teilt seinem Auftragnehmer mit, dass er ein bestimmtes Budget habe und plane, in dessen Rahmen Aufträge zu erteilen; diese könnten Festpreise beinhalten. (2) Der Kunde verpflichtet sich, Leistungen im Umfang des Budgets zu beauftragen, wobei er berechtigt ist, die Leistungen im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers zu bestimmen. 4.3 Fälligkeit von Leistungen Leistungen sind sofort fällig, wenn eine Leistungszeit weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist (§ 271 BGB). Der Schuldner muss also begründen (und gegebenenfalls beweisen), warum er nicht sofort zu liefern braucht. [→Zur Situation, dass die Leistung erst erstellt werden muss, siehe Kap. 7.5 (1), S. 204] <?page no="111"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 111 Die Bestimmung kann sich direkt aus dem Kalender oder kalendermäßig in Abhängigkeit von einem Ereignis ergeben (§ 286 BGB). [→ Kap. 11.3 (1) unter „Mahnung nach Fälligkeit“, S. 253] „Sofort“ ist schneller als „unverzüglich“ und bedeutet so schnell, wie der Schuldner den Umständen nach leisten kann. Produkte sind also sofort zu liefern. Sie sind dann mangels anderweitiger Vereinbarung auch sofort nach Lieferung zu bezahlen. Der Auftragnehmer darf die Leistung „im Zweifel“ vor deren Fälligkeitstermin erbringen (§ 271 BGB: „Leistungszeit“). Gegenbeispiel Ein System soll installiert werden. Der Kunde muss den Aufstellungsraum für dieses erst noch fertig stellen. Unter „Leistung“ ist nicht nur die endgültige Leistung zu verstehen, sondern auch jede Zwischenstufe, die im Vertrag vorgesehen ist: Der Auftragnehmer kann also auch bei Meilensteinterminen in Verzug kommen. Zahlungsfristen: Die Vertragsfreiheit erlaubt den Vertragspartnern, Zahlungsfristen zu vereinbaren. Damit der Kunde die Vertragsfreiheit nicht übermäßig ausnutzen kann, sind Zahlungsfristen von mehr als 60 Tagen nach der Fälligkeit nur wirksam, wenn sie den Auftragnehmer nicht „grob unbillig“ belasten (§ 271a BGB). 46 Zusätzlich sieht das Vertragsrecht erhebliche Verzugszinsen zum Schutz des Auftragnehmers vor [→ Kap. 11.3 (2) S. 254]. Das Werkvertragsrecht sieht auch Fälligkeitszinsen vor [→ Kap. 7.4 (3), S. 203]. 4.4 Leistungsort / Erfüllungsort Der Leistungsort ist der Ort, an dem der jeweilige Schuldner zu handeln hat, um seine Leistung zu erbringen. Nicht gemeint ist der Ort, an dem der Leistungs erfolg eintreten soll. Deswegen sprechen §§ 269, 270 BGB nicht vom „Erfüllungsort“, sondern vom „Leistungsort“. In der Praxis wird häufig vom „Erfüllungsort“ gesprochen. Der Leistungsort ist maßgeblich:  Für die Rechtzeitigkeit der Leistung.  Für den Gerichtsstand: Gemäß § 29 Zivilprozessordnung kann 46 Für den öffentlichen Auftraggeber ist diese Grenze zwingend. <?page no="112"?> 112 4.4 Leistungsort / Erfüllungsort auch am Leistungsort geklagt werden (und nicht nur am Sitz der Beklagten).  Für die Geltung von Verkehrssitten und Handelsbräuchen. Das BGB unterscheidet hinsichtlich des Leistungsorts:  Holschulden: Der Leistungsort ist beim Schuldner. Der Schuldner hat die Leistung bereitzuhalten; es ist Sache des Gläubigers, diese abzuholen. - Es müsste eigentlich „Bereitstellungsschulden“ heißen. Es ist Sache des Kunden, die Sache abzuholen.  Schickschulden: Der Leistungsort ist beim Schuldner. Dieser hat die Leistung auch zu versenden. Hier spielt die „Gefahr“ herein. Der Kunde trägt den Schaden, wenn die Kaufsache während des Transports zufällig sich verschlechtert oder untergeht („Versendungskauf“ in § 447 BGB).  Bringschulden: Der Leistungsort ist beim Gläubiger. Der Schuldner hat die Leistung dort zu erbringen. Das ist typisch für Projektverträge. Wird der Leistungsort nicht vereinbart, bestimmt sich dieser aus den Umständen, und zwar insbesondere aus der Art des Schuldverhältnisses (§ 269 BGB). Beispiel für den Leistungsort eines Auftragnehmers Kauf eines Systems, das der Kunde selbst installieren soll: Leistungsort beim Auftragnehmer. Kauf eines Systems, das der Auftragnehmer beim Kunden installieren soll: Leistungsort beim Kunden. Wenn die Vertragspartner nichts vereinbart haben und sich ein Leistungsort auch nicht aus der Art des Schuldverhältnisses ergibt, ist der Leistungsort der Ort der gewerblichen Niederlassung des Schuldners zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Warenkäufe sind also nach Gesetz Holschulden. Der Leistungsort für die Sachleistung und der für die Bezahlung sind jeweils gesondert zu bestimmen. [→ Zum Leistungsort für die Mängelbeseitigung siehe Kap. 6.4.2 (2), S. 143]. [→ Zum hingegen einheitlichen Leistungsort für die Rückabwicklung nach einem Rücktritt siehe Kap. 11.2 (3), S. 251]. <?page no="113"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 113 4.5 Pflichten im eigenen Interesse / Obliegenheiten Das Recht sieht für alle, die am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen, nicht nur die Pflichten gegenüber anderen Menschen vor, diese nicht zu schädigen. Sondern es enthält auch die Aufforderung an einen jeden, im eigenen Interesse diejenige Sorgfalt einzuhalten, die ein verständiger Mensch anwendet, um sich möglichst vor Schaden zu bewahren. Von den Juristen wird das als „Pflichten im eigenen Interesse“ bezeichnet. Denken Sie an die Sicherheitsgurte beim Autofahren. Diese Sorgfalt kann den Verpflichteten auch vor Schaden bewahren, den andere Menschen ihm zufügen könnten. Andere Menschen können diese Sorgfalt vom Verpflichteten nicht verlangen. Sie dürfen aber erwarten, dass dieser seine Pflichten im eigenen Interesse einhält. Wenn sie ihn fahrlässig schädigen, können sie dessem Schadensersatzanspruch entgegenhalten, dass der Schaden vermieden worden wäre, wenn dieser seine Pflichten im eigenen Interesse eingehalten hätte [→ zum Mitverschulden siehe Kap. 11.1 (3), S. 244]. Beispiel Ein Auftragnehmer vernichtet beim Programmieren auf dem Server des Kunden Daten fahrlässig, die der Kunde nicht gesichert hat. Der Kunde trägt den Schaden insoweit selber, wie dieser bei ordnungsgemäßer Datensicherung nicht entstanden wäre. Solche Pflichten im eigenen Interesse bestehen auch im Zusammenhang mit Verträgen. Sie fallen dann unter die „Obliegenheiten“. 47 Die Vertragspartner können solche Obliegenheiten im Vertragsdokument klarstellen, auch weitere einführen. Bei der sog. kaufmännischen Untersuchungs- und Rüge“pflicht“ geht es also um eine Obliegenheit. Verletzt der Kunde diese, verliert er sogar seine Ansprüche wegen Mängeln [→ Kap. 6.4.5, S. 146]. 4.6 Mitwirkung des Kunden Die Mitwirkung des Kunden wird nur im Werkvertragsrecht und dort auch nur kurz für den Fall angesprochen, dass er nicht ordnungsgemäß mitwirkt (§ 642 BGB) [→ Kap. 11.7, S. 258]: „Ist bei der Herstellung des Werkes eine Handlung … erforderlich, …“ 47 Achtung: Das BGB spricht vielfach von den jemandem „obliegenden Pflichten". Da geht es wirklich um Pflichten, die einer hat. <?page no="114"?> 114 4.7 Kündigung Die Vertragspartner können darüber streiten, ob eine Handlung erforderlich ist. [Siehe PM-AN, Kap. 3.3.2 unter „Kick-off-Meetings“] [→ Zur Arbeitsteilung siehe Kap. 7.2.2 unter „Erbringung durch den Kunden“, S. 169] Wegen der Unklarheit der Rechtslage empfiehlt es sich dringend, Mitwirkungshandlungen des Kunden zu regeln. Das kann in einem Projekthandbuch erfolgen, das zum Vertragsbestandteil gemacht wird. Das kann auch spezifisch zu Beginn des Projektstarts vereinbart werden. [→ Kap. 7 am Anfang unter „Projektmanagementsystem / Projekthandbuch“, S. 123] Die Mitwirkung ist nicht als Pflicht ausgestaltet, auch wenn sie eine Voraussetzung dafür ist, dass der Auftragnehmer seine Leistung erbringen kann. Aus der Sicht des Vertragsrechts geht es dem Auftragnehmer nur um die Vergütung, und nur diese soll er einfordern können. Der Kunde soll entscheiden können, ob er mitwirken will oder nicht, der Auftragnehmer soll ihn dazu nicht zwingen können. Das Vertragsrecht regelt die Mitwirkung des Kunden deswegen als Obliegenheit: Er solle vernünftigerweise im eigenen Interesse mitwirken. [→ Vgl. Kap. 4.5 unter „Pflichten im eigenen Interesse / Obliegenheiten“, S. 113] Für den Fall, dass der Kunde nicht oder unzulänglich mitwirkt, sieht das Vertragsrecht Ansprüche des Auftragnehmers auf Ausgleich des Mehraufwands vor. Das kann für den Kunden teuer werden [→ Kap. 11.7, S. 258]. Die Vorschriften gelten auch analog / entsprechend bei anderen Vertragstypen, wenn der Kunde mitwirken soll. 4.7 Kündigung Sie kennen den Begriff: Meist geht es um die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses, sei es aufgrund einer Vereinbarung oder sei es außerordentlich / aus wichtigem Grund wegen einer Pflichtverletzung. In der Praxis wird manchmal übersehen, dass es zwei verschiedene Zeitpunkte für den Eintritt der Beendigung gibt, nämlich die sofortige Beendigung und die nach Ablauf einer Kündigungsfrist. Bei der zwei- <?page no="115"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 115 ten Variante wird öfters nicht mitgedacht, dass der Vertrag dann noch für die Dauer der Kündigungsfrist normal weiterläuft. Oder es wird bei der „Kündigung“ nicht zwischen deren Ausspruch und deren Eintritt unterschieden. Verdeutlichen Sie bei einer normalen/ ordentlichen Kündigung, ob Sie sich auf den Ausspruch der Kündigung oder auf das Ende der Vertragslaufzeit beziehen. 4.8 Leistungsverweigerungsrechte, Aufrechnung Bei Bedarf [→ Zum speziellen Leistungsverweigerungsrecht wegen persönlicher Unzumutbarkeit siehe Kap. 11.5 (2), S. 257] Einzelheiten werden hier nicht dargestellt, weil es ‒ erfreulicherweise ‒ nicht Ihre Sache ist, diese Instrumente anzuwenden. Denn wer diese falsch anwendet, verletzt den Vertrag und macht seine Seite schadensersatzpflichtig. Allgemeines Zurückbehaltungsrecht: Das ist das Recht eines Vertragspartners, seine Leistung zu verweigern, solange der andere Vertragspartner irgendeine fällige Leistung noch nicht erbracht hat (§ 273 BGB). Beide Leistungen müssen sich aus demselben rechtlichen Verhältnis ergeben, beispielsweise aus einem Kaufvertrag. Das spezielle kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ist eng definiert. Es ist für Projektverträge praktisch irrelevant (§ 369 HGB). Leistungen Zug um Zug : Hier sprechen die Juristen von einem „Leistungsverweigerungsrecht“. Es hat gewisse Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht. Für Sie ist relevant, dass es bei einem Projektvertrag (Werkvertrag) kaum besteht. Also: Bei manchen Austauschverträgen sollen die Leistungen gemäß Vertragsrecht Zug um Zug erbracht werden, beispielsweise beim Kaufvertrag. Jeder Vertragspartner kann die geforderte Erbringung seiner Leistung verweigern, wenn der andere dessen Leistung, also die Gegenleistung, nicht gleichzeitig anbietet. Denken Sie an einen Kauf über den Ladentisch. Jeder hat dann die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 322 BGB). Beim Werkvertrag ist der Auftragnehmer allerdings vorleistungspflichtig. Er hat Anspruch auf die Vergütung erst, nachdem der Kunde <?page no="116"?> 116 4.9 Störung der Geschäftsgrundlage die Abnahme erklärt hat. Bis dahin ist der Kunde noch nicht zur Zahlung verpflichtet (§ 320 BGB „Einrede des nicht erfüllten Vertrags“). Zum Ausgleich hat der Auftragnehmer wahrscheinlich einen Anspruch auf Abschlagszahlungen [→ Kap. 7.4 (3), S. 203]. Werden diese nicht geleistet, kann er zur Leistungsverweigerung berechtigt sein. Aufrechnung: Es kommt in Betracht, dass beide Vertragspartner gleichartige Leistungen schulden; im Wesentlichen geht es um Geldschulden. Zum Beispiel soll der Kunde die vereinbarte Vergütung zahlen, macht aber Schadensersatzansprüche geltend. Er ist berechtigt, diese gegen die von ihm zu leistende Zahlung aufzurechnen und seine Zahlungspflicht damit zu erfüllen. Die Aufrechnung braucht nur der Vereinfachung zu dienen. Der Kunde kann diese aber auch als Druckmittel einsetzen: Die Höhe von Schadensersatzansprüchen kann zweifelhaft sein. Der Kunde erklärt erst einmal die Aufrechnung in Höhe der Vergütung. Der Auftragnehmer muss dann entweder zu Gericht gehen oder einen Kompromiss aushandeln. Ende 4.9 Störung der Geschäftsgrundlage Bei Bedarf § 313 Abs. 1 BGB regelt die Störung der Geschäftsgrundlage unter dem Gliederungspunkt „Anpassung und Aufhebung von Verträgen“. Pflichten werden abgeschwächt, wenn sich die Geschäftsgrundlage nachträglich „schwerwiegend“ ändert. Es geht also weitgehend um die Verteilung von Risiken. Ausgangspunkt ist, dass jeder Vertragspartner seine eigenen Gründe dafür hat, den Vertrag abzuschließen. Diese sind für den Vertrag normalerweise unerheblich. Es gibt aber „Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind“ (§ 313 BGB). Diese sind für beide Vertragspartner meist so selbstverständlich, dass diese nicht ausdrücklich im Vertrag aufgeführt werden. Man sollte von „Bedingungen schwächerer Art“ sprechen [→ Kap. 3.1.8, S. 79], weil sie meist nur zu einer Anpassung des Vertrags führen und nur ausnahmsweise zu dessen Aufhebung. „Haben sich [diese Umstände/ Bedingungen] nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten“ (im Wortlaut umgestellt), dann kann „Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einer Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere <?page no="117"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 117 der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“ Beispiel Als Plattenspeicher für PCs noch richtig teuer war, erwarb ein Importeur ein Alleinvertriebsrecht für ein Komprimierungsprogramm in Deutschland; dafür musste er sich zu einer hohen Mindestabnahme verpflichten. Als die nächste Version von MS-DOS eine solche Routine standardmäßig enthielt, war das Programm praktisch unverkäuflich. Damit war die Geschäftsgrundlage gestört. Zu den Umständen: Die Vertragspartner brauchen über die Umstände nicht nachgedacht zu haben; sie können deren Vorhandensein oder künftigen Eintritt einfach angenommen haben. Zu den Umständen gehören auch solche, deren künftigen Eintritt die Vertragspartner einfach angenommen haben. Das können auch Umstände sein, die nur für den einen Vertragspartner wichtig waren, wenn sie mit diesem Gewicht für den anderen erkennbar waren und von diesem nicht beanstandet worden sind. Die Umstände für eine Geschäftsgrundlage können im Vertrag erwähnt sein, sind es aber eher nicht. 48 Die Geschäftsgrundlage ist abzugrenzen von dem Motiv , das für einen oder für beide Vertragspartner dem Vertragsabschluss zugrunde lag. Ein solches einseitige Motiv ist unerheblich. Die Abgrenzung kann schwierig sein. Beispiel Der Kunde beschaffte ein System, um Personal einzusparen. Das gelingt ihm nicht. Wenn der Auftragnehmer in der Akquisitionsphase betont hatte, dass der Kunde die Einsparung mit dem System erreichen würde, liegt nahe, dass nicht nur ein Motiv vorlag, sondern dass diese Erwartung zur Geschäftsgrundlage geworden ist. Was im Vertrag selbst vereinbart worden ist, was zumindest im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus ihm herauszulesen ist, ist nicht Geschäftsgrundlage im rechtlichen Sinne. [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55] Der Geschäftsgrundlage ist der Fall gleichgestellt, dass wesentliche 48 Ist etwas angesprochen, liegt es nahe, dass es relevant sein soll und dementsprechend über Treu und Glauben berücksichtigt werden muss. Siehe im Folgenden. <?page no="118"?> 118 4.10 Verjährung und Verwirkung Umstände, die beide Vertragspartner zur Grundlage des Vertrags gemacht haben, sich als falsch herausstellen, mit anderen Worten: dass beide Vertragspartner sich über diese Umstände geirrt haben (§ 313 Abs. 1 BGB). Die Anpassung kann beispielsweise darin bestehen, dass dem Auftragnehmer ein Ausgleichsanspruch zugestanden oder seine Leistungspflicht herabgesetzt oder gestundet wird. Beispiel Bei Projektverträgen haben die Vertragspartner die Vorstellung, dass die Leistung und die Gegenleistung ungefähr gleichwertig sind. Grundsätzlich übernimmt der Auftragnehmer bei einem Festpreis das Risiko, dass die Leistungserbringung einen höheren Aufwand erfordert als geplant und dem Vertrag zugrunde gelegt (Realisierungsrisiko). Wird die Erstellung des Systems aus widrigen, nicht vorhersehbaren Gründen allerdings massiv aufwendiger (= mindestens doppelt so hoch), kann der Auftragnehmer verlangen, dass ein Festpreis angemessen erhöht wird. In Ausnahmefällen kann der belastete Vertragspartner vom Vertrag zurücktreten, hilfsweise bei einem Dauerschuldverhältnis den Vertrag außerordentlich kündigen (§ 313 BGB). 4.10 Verjährung und Verwirkung Sie haben diese Abwehrgrundlagen schon kennengelernt [→ Kap. 2.2.1 (2), S. 41]. Im Bereich von Ansprüchen wegen Mängeln können Sie die Verjährung fördern oder dieser entgegenwirken. Ansonsten ist die Verjährung ein Thema für die Leitungsebene. (1) Begriff und Wirkung der Verjährung Alle Ansprüche im Vertragsrecht unterliegen der Verjährung (§ 194 BGB). Die Verjährungsfrist ist diejenige Frist, innerhalb derer der Gläubiger einen Prozess bei Gericht eingeleitet haben muss, damit die Gegenseite sich nicht auf Verjährung berufen kann. Mit Ablauf der Verjährungsfrist erlischt der Anspruch also nicht. Der Schuldner kann sich aber auf Verjährung berufen. Tut er das, braucht er den Anspruch nicht mehr zu erfüllen; eine Klage würde abgewiesen werden. Anderenfalls nimmt der Prozess seinen normalen Fortgang 49 [→ zu dieser Abwehrgrundlage siehe Kap. 2.2.1 (2), S. 41]. 49 Das Gericht beachtet den Eintritt der Verjährung also nicht von Amts wegen. <?page no="119"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 119 Beispiel Der Kunde verlangt nach Ablauf der Verjährungsfrist berechtigterweise Schadensersatz. Der Auftragnehmer hat eine Haftpflichtversicherung und möchte sich nicht auf Verjährung berufen, sondern im Interesse der Geschäftsbeziehung die Versicherung in Anspruch nehmen. Da der Anspruch noch besteht, muss die Versicherungsgesellschaft zahlen (es sei denn, dass die Versicherungsbedingungen das einschränken würden). Der Auftragnehmer kann die Verjährung dahingehend nutzen, dass er erklärt, nach Fristablauf Mängel nur noch gegen Vergütung zu beseitigen, insbesondere im Rahmen eines Wartungsvertrags. Der Auftragnehmer, der nach Ablauf der Verjährungsfrist Mängel ohne eine solche Erklärung beseitigt, kann dafür nachträglich keine Vergütung verlangen; er hat eben darauf verzichtet, sich auf Verjährung zu berufen, und hat seine Pflicht erfüllt. - Wenn er aber deutlich nach Ende der Verjährungsfrist eine Reparatur vornimmt, geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Kunde sich bei seinem Verlangen nach Reparatur nicht mehr auf die Haftung wegen Mängeln stützen, sondern notgedrungen einen Auftrag erteilen will. Die Verjährungsfrist bezieht sich auf einzelne Ansprüche, z.B. auf die Ansprüche wegen jedes einzelnen Mangels [→ siehe im Folgenden (3) unter „Hemmung“]. Dauer der Verjährungsfrist: Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt im Normalfall mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 195 bzw. § 199 BGB). Das gilt beispielsweise für den Kaufvertrag und den normalen Werkvertrag. Für Ihre Praxis am wichtigsten ist die Verjährungsfrist im Hinblick auf Mängel. Diese Frist beginnt beim Kaufvertrag mit der Ablieferung der Kaufsache bzw. beim Werkvertrag mit der Abnahmeerklärung und beträgt im Normalfall zwei Jahre. Vor diesen Zeitpunkten hat der Kunde Erfüllungsansprüche; für die gilt die regelmäßige Verjährung [→ Kap. 6.4.6 (1), S. 148, bzw. Kap. 7.7 (4), S. 213]. Hinweis zu ähnlichen Vorschriften zu Mängelansprüchen Die Vorschriften zu Mängeln implizieren, dass der Mangel innerhalb dieser zwei Jahre aufgetreten sein muss, damit der Kunde innerhalb dieser Frist gerichtlich vorgehen kann. Es gibt auch Vorschriften, die ausdrücklich bestimmen, dass der Mangel innerhalb der von ihnen genannten Frist aufgetreten sein muss (so die Richtlinie 1999/ 44/ EG vom 25. Mai 1999 zum Verbrauchsgüterkauf, Arti- <?page no="120"?> 120 4.10 Verjährung und Verwirkung kel 5). Eine Verjährungsfrist für den rechtzeitigen Gang zu Gericht nach Auftreten des Mangels kann hinzukommen (so in der genannten Richtlinie). Ausschlussfristen: Im Gegensatz zu Verjährungsfristen erlischt ein Recht, das einer Ausschlussfrist unterliegt, nach Ablauf dieser Frist. Ausschlussfristen sollen Ruhe/ Rechtsfrieden schaffen. Dementsprechend kann diese Frist zu einem unproblematischen Zeitpunkt beginnen. Beispielsweise ist es in Arbeitsverträgen beliebt, für (fast) alle Ansprüche eine Ausschlussfrist von x Monaten nach Vertragsbeendigung zu vereinbaren. Die Frist kann auch zum Zeitpunkt einer Störung beginnen. Dann ist sie eher sehr kurz: Der Berechtigte muss typischerweise unverzüglich reagieren, beispielsweise wenn bei einem Handelskauf ein Mangel auftritt [→ Kap. 6.4.5 (2) unter „Kaufmännische Rügeobliegenheit“, S. 146]. (2) Hemmung Die Hemmung ist vergleichbar mit „Time out“ bei Handball oder Eishockey. Für deren Dauer ruht die Verjährungsfrist und läuft nach deren Beendigung weiter (§ 205 BGB). Die Hemmung ist also das, was umgangssprachlich als „Unterbrechung“ bezeichnet wird. Die Juristen nennen hingegen das „Unterbrechung“, was im Handball oder Eishockey als „Abbruch“ bezeichnet wird [→ Kap. 6.4.6 (3) unter „Neubeginn durch Anerkenntnis …“, S. 149]. Hemmung ist im Vertragsrecht beispielsweise vorgesehen, solange ein Prozess vor Gericht anhängig ist oder solange die Vertragspartner über einen Anspruch verhandeln [→ Kap. 6.4.6 (3), S. 149]. Hemmung der Verjährung Verjährungsfrist Rest der ursprünglichen läuft weiter Beginn der Beginn Ende Eintritt der Verjäh- Verjährungsfrist der Hemmung rung Die Hemmung bezieht sich im Normalfall nur auf den betroffenen Anspruch, so wie die Verjährung das tut. Meldet der Kunde einen Mangel nach Ablauf der Verjährungsfrist für einen anderen Teil des Systems, sind die diesbezüglichen Ansprüche also verjährt, auch wenn die Frist für einen früher gemeldeten Mangel wegen deren <?page no="121"?> 4 Allgemeines zu den Ansprüchen 121 Hemmung noch läuft (das Weiterlaufen ist für den Fall relevant, dass dieser Mangel nur unzureichend beseitigt wird). (3) Verwirkung Bei Bedarf Es geht darum, dass ein Gläubiger viel Zeit seit der Entstehung des Anspruches hat verstreichen lassen und damit schon vor Ablauf der Verjährungsfrist den starken Eindruck erweckt hat, dass er den Anspruch nicht mehr geltend machen werde. Schweigen alleine reicht nicht aus. In Betracht kommt insbesondere, dass das Verhalten des Anspruchsberechtigten wie ein stilles Einverständnis aussieht, dass er es bei der Situation belassen, seinen Anspruch also nicht mehr geltend machen will. Die Folge ist, dass der Anspruch erlischt. 50 [→ Zum Beispiel der Anspruch auf Minderung, siehe Kap. 10.1 (1), S. 235] Dafür, wie lange Zeit seit der Entstehung des Anspruches verstrichen sein muss, lassen sich keine allgemeinen Maßstäbe aufstellen. In der Praxis wird wesentlich häufiger Verwirkung behauptet, als sie tatsächlich eingetreten ist. Ende 50 Die Rechtsprechung hat die Verwirkung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet. Dieser Grundsatz verbietet ein widersprüchliches Verhalten im Rechtsverkehr. <?page no="122"?> 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten Der Überblick ist ziemlich ausführlich,  weil der Gesetzgeber die Abgrenzungen nicht recht durchdacht hat und deswegen Erklärungsbedarf besteht, und  weil es in der Praxis einige Missverständnisse zu den für Sie relevanten Typen gibt. Die Wirtschaft spricht von „ Lieferungen “ von Waren/ Produkten und von „ Leistungen “. Mit letzteren meint sie Dienstleistungen. Der Klarheit wegen heißt es hier gleich „Dienstleistungen“. Das Vertragsrecht spricht allgemein von „Leistungen“, bei Waren manchmal von „Lieferungen“. Bezeichnungen für Leistungen Vertragsgegenstand normaler Kauf Kauf als Werklieferung von beweglichen Sachen Werk, das eine Sache ist Werk, das nicht eine Sache ist Dienste im Vertragsrecht Leistung in der Wirtschaft Lieferung (Dienst-)Leistung im Buch, wenn zusammengefasst Lieferung Dienstleistung im Buch, wenn auf die einzelne Leistung abgestellt wird Sache/ Recht/ sonstiger Gegenstand Werklieferung Werk/ System Werk/ Ergebnis zusammen mit Kauf/ Werk: Dienstleistung isoliert: Dienst <?page no="123"?> In Ihrer Praxis geht es in erster Linie um Projektverträge und damit meist um Werkverträge. In Betracht kommen auch Dienstverträge in den Fällen, in denen die Vertragspartner eng zusammenarbeiten [→ Kap. 1 am Anfang, S. 11]. Der Projektträger kann auch Kaufverträge und Mietverträge (etwa in der Variante Leasing) für Beschaffungen in seinem Projekt abschließen. Das BGB charakterisiert die Vertragstypen durch deren Hauptleistungen. Vertragstypische Einordnung der Verträge Kaufvertrag: „Sache übergeben ...“ (§ 433 BGB): Da steht nichts zu „erstellen“. Variante Werklieferungsvertrag: „herzustellende nicht vertretbare Sache übergeben“ Mietvertrag: „… wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren.“ (§ 535 BGB) Werkvertrag: „Herstellung des versprochenen Werkes …“ (§ 631 BGB) Dienstvertrag: „… Leistung der versprochenen Dienste… Gegenstand … können Dienste jeder Art sein.“ (§ 611 BGB) Kaufverträge: §§ 433 ff. BGB regeln den normalen Kaufvertrag über Sachen. Der Auftragnehmer hat „die Sache zu übergeben … frei von Sach- und Rechtsmängeln.“ Der Käufer hat den Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache „abzunehmen“. Gemeint ist: „entgegenzunehmen“; die „Abnahme“ im Werkvertragsrecht ist etwas Anderes [→ siehe mehr zum Vertragstyp Kap. 6.1, S. 131]. Das Vertragsrecht spricht durchgehend von „(Kauf-)Sache“ und weist darauf hin, dass es auch andere Kaufgegenstände gibt, beispielsweise Rechte. Hier bleibt es der Konkretheit wegen bei „(Kauf-)Sache“. Als zusätzliche Herstellungsleistung kann nur die Montage der Kaufsache hinzukommen. Wenn mehr Herstellungsleistungen hinzukommen, liegt erst einmal die kaufvertragliche Variante „Werklieferungsvertrag“ vor, nicht gleich ein Werkvertrag. Beim Werklieferungsvertrag werden die kaufvertraglichen Vorschriften durch die werkvertraglichen über die Herstellung ergänzt. Es bleibt allerdings bei der Entgegennahme der 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten 123 Charakterisierung dieser Vertragstypen <?page no="124"?> 124 5.2 Abgrenzung Kauf (auch Werklieferung) zu Werkvertrag Kaufsache nach Kaufrecht und kommt nicht zur Abnahme nach Werkvertragsrecht [→ Kap. 8, S. 223]. Werkverträge: „Gegenstand … kann die Herstellung … einer Sache als auch ein … durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein“ (§ 631 BGB). Die erste Alternative enthält die Abgrenzung zum Werklieferungsvertrag, die zweite die Abgrenzung zum Dienstvertrag. Beim Werkvertrag beinhaltet die „Abnahme“ nicht nur die Entgegennahme wie beim Kaufvertrag, sondern darüber hinaus die Abnahmeprüfung und die Abnahmeerklärung. Die Vergütung wird erst nach der Abnahme fällig [→ Kap. 7.4 (3), S. 203]. Dienstverträge: Der Auftragnehmer schuldet die „Leistung der versprochenen Dienste“, der Kunde die vereinbarte Vergütung (§ 611 BGB) [→ siehe mehr zum Vertragstyp Kap. 9.1, S. 225]. Der Auftragnehmer soll nicht nur tätig werden, sondern soll das in Richtung auf ein Ergebnis / einen Erfolg tun. Darauf, ob dieses/ dieser erreicht wird, kommt es im Gegensatz zum Werkvertrag nicht an. In der Praxis ist die irrige Vorstellung verbreitet, dass ein Werkvertrag mit einem Festpreis einhergehe bzw. ein Dienstvertrag mit Vergütung nach Aufwand. [→ Kap. 5.3 unter „Die vertragstypische Einordnung“, S. 128] 5.2 Abgrenzung Kauf (auch Werklieferung) zu Werkvertrag Sachen können im Rahmen eines Werklieferungsvertrags oder eines Werkvertrags hergestellt werden. Also fragt sich, worin der Unterschied zwischen den beiden Vertragstypen liegt. Beim Werklieferungsvertrag (und beim Kaufvertrag sowieso) steht die Lieferung / Übereignung von Sachen im Vordergrund, beim Werkvertrag die Herstellungsleistungen. Für die Einordnung kommt es im Wesentlichen auf das Wertverhältnis und sodann auf die individuelle Leistungshöhe an. 51 Im Werkvertrag gehe es um ein Werk als „Ergebnis einer individuellen Tätigkeit“ (BGH). Wortklauberei von Juristen? Ja, allerdings un- 51 BGB, Urteil vom 20.10.2021 (I ZR 96/ 20). In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um den komplizierten Einbau eines Treppenlifts: Werkvertrag <?page no="125"?> 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten 125 vermeidbar, weil das BGB zwei fast identische Vertragstypen vorsieht. 52 Wesentliche Rechtsfolgen bei Kaufverträgen und Werkverträgen Kaufvertrag Werkvertrag Erbringung der Sachleistung in der Variante Werklieferungsvertrag: ergänzend Werkvertragsrecht, aber keine Abnahme nach Werkvertragsrecht, also mit Abnahmeprüfung/ -erklärung Fälligkeit der Vergütung mit vollständiger Übergabe mit Abnahme *) Beginn der Verjährungsfrist für Mängelansprüche mit vollständiger Übergabe mit Abnahme Beweislast für Mängel beim Kunden ab vollständiger Übergabe ab Abnahme *) vorher Abschlagszahlungen für erbrachte Leistungen (auch wenn diese nicht als Teilleistungen vereinbart sind) Zur Information Wie künstlich schon die Abgrenzung zwischen einem reinen Kaufvertrag und einem Werkvertrag sein kann, zeigt beispielsweise das Merkmal Beweglichkeit: Das Kaufrecht (in der Variante des Werklieferungsvertrags) greift nur ein, wenn die Sache beweglich ist. Ist ein Standardprodukt wegen seines Gewichts nicht beweglich, fällt dessen Lieferung unter das Werkvertragsrecht. Möglicherweise kommen dienstvertragliche Dienstleistungen hinzu. Dann liegt ein gemischter Kauf-/ Dienstvertrag vor [→ Kap. 2.1.2 (1), S. 30]. Beispiel Bei einem Vertrag über die Inbetriebnahme eines Laptops und über die Schulung in einfacher Anwendungssoftware können die dienstvertraglichen Dienstleistungen wesentlich teurer als die Anwendungssoftware sein. 52 Die österreichische Rechtsprechung hat es leichter, weil das ABGB keine Vorschrift zu so etwas wie zu einem Werklieferungsvertrag vorsieht: Bei geringfügigen Abwandlungen eines Serienerzeugnisses liegt ein Kaufvertrag vor, bei erheblichen ein Werkvertrag. <?page no="126"?> 126 5.3 Abgrenzung Werkvertrag zu Dienstvertrag EU-Richtlinie (EU) 2019/ 771 für Kaufverträge: Die Vorschriften zur Mängelhaftung unterscheiden sich inhaltlich wenig von denen für Werkverträge, sind aber seit 2022 aufgrund dieser Richtlinie teilweise anders formuliert. Der Erfolg als Abgrenzungsmerkmal: Dieser spielt eine große Rolle für solchen Juristen, die die Tradition des deutschrechtlichen Werkvertrags wahren wollen oder die betonen wollen, wie wichtig es sei, den „richtigen“ Vertragstyp zu wählen und deswegen einen Rechtsanwalt einzuschalten. Der Unterschied zwischen einem Werkvertrag und einem Kaufvertrag (auch in der Variante des Werklieferungsvertrags) würde - angeblich - darin liegen, dass der Auftragnehmer bei einem Werkvertrag nicht nur ein funktionierendes Ergebnis schulden würde, sondern gemäß der Definition des Werkvertrags einen „Erfolg“. „Herbeiführen eines Erfolgs“ klingt für den Kunden besser als „Lieferung“ beim Kaufvertrag (auch in dessen Variante des Werklieferungsvertrags). Mancher Kunde möchte aus dem Wort „Erfolg“ zu seinen Gunsten ableiten, dass seine (schriftlichen) Anforderungen so auszulegen seien, wie er das für seine Zwecke bräuchte. Denn nur dann könne das Ergebnis ein Erfolg genannt werden. Das Wort „Erfolg“ dient im BGB allerdings nur zur Abgrenzung des Werkvertrags vom Dienstvertrag [→ Kap. 5.3, S. 126]. Wie zitiert steht „Herbeiführen eines Erfolgs“ als Alternative zur „Herstellung einer Sache“; es bezieht sich also nicht auf die Sache. Mit „Erfolg“ ist parallel zur „Sache“ nicht mehr als ein Ergebnis gemeint. ‒ Aber selbst wenn man auf den „Erfolg“ im üblichen Sinn abstellen würde, würde der Kunde keinen Vorteil gegenüber dem Kaufvertrag (auch in der Variante des Werklieferungsvertrags) erlangen. Denn auch ein Kaufvertrag kann laut BGH in diesem Sinne „erfolgsbezogen“ sein. 53 Wie dargestellt kommt es dem BGH für die Abgrenzung der Vertragstypen auf „das Ergebnis einer individuellen Tätigkeit“ an. 54 Ende 5.3 Abgrenzung Werkvertrag zu Dienstvertrag Zuerst eine Klarstellung: Der Begriff „Dienstleistung“ ist primär ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben. Er wird im Recht genauso verstanden wie im Wirtschaftsleben. Er bezieht sich auf Dienstverträge wie 53 Urteil von 23.07.2009 (VII ZR 151/ 08) 54 Urteil von 05.06.2014 (VII ZR 276/ 13) <?page no="127"?> 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten 127 Beratung bei der Auswahl eines Systems sowie auf Werkverträge, die die Erstellung eines nicht körperlichen Gegenstandes beinhalten, beispielsweise die einer Spezifikation [→ Kap. 5 am Anfang, S. 122]. In der Praxis wird häufig der Begriff „Dienstleistungsvertrag“ verwendet. Man kann das sachgerecht für den Fall tun, dass man einen Oberbegriff braucht 55 oder dass man in Projektverträgen offenlassen möchte, welcher der beiden Vertragstypen vorliegt. Schließlich kann das in Projekten unerheblich sein, solange die Projektarbeit gut läuft, insbesondere bei Projekten mit Vergütung nach Aufwand. Nicht-Juristen setzen allerdings oft „Dienstleistungsvertrag“ fälschlich mit „Dienstvertrag“ gleich. Verträgen mit werkvertraglichen und dienstvertraglichen Leistungen: Werden beide Arten von Leistungen innerhalb eines Vertrags vereinbart, liegt ein gemischter Vertrag vor. Jede Leistung wird erst einmal gemäß den Vorschriften für ihren Vertragstyp behandelt. Bei Problemen mit dem gesamten Vertrag erfolgt das gemäß denen des dominierenden Vertragstyps. [→ Siehe grundsätzlich Kap. 2.1.2 (1) unter „Gemischte Verträge“, S. 30, sowie spezifisch Kap. 9.2.3 unter „Gemischte Dienst- und Werkverträge“, S. 233] Ihr Vorgehen: Wenn Sie einen Vertrag einordnen müssen, sollten Sie fragen:  Soll der Auftragnehmer ein Werk / Ergebnis abliefern? Ein Werkvertrag kann nur vorliegen, wenn das der Fall ist. Auch wenn Sie das bejahen, sollten Sie weiterhin fragen, ob ein Werkvertrag trotzdem ausscheidet:  Ist der Kunde an der Erstellung des Werks beteiligt? Ist das der Fall, kann kein Werkvertrag vorliegen, weil dieser voraussetzt, dass allein der Auftragnehmer das Werk erstellt. Der Kunde mag Informationen liefern sollen oder Wünsche äußern dürfen. Damit ist er aber nicht an der Erstellung des Werks beteiligt. Beispiel Gibt der Kunde die Anforderungen an das System Stück für Stück vor, kann gemeinsame Arbeit, also ein Dienstvertrag, vorliegen. 55 Die „Erbringung von Dienstleistungen“ wird im Vergaberecht (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Teil 4, hier: § 113) im Gegensatz zu „Lieferungen von Waren“ und zur „Ausführungen von Bauleistungen verwendet“ und umfasst dementsprechend viele Leistungen, die dem Recht des Werkvertrags unterliegen. <?page no="128"?> 128 5.3 Abgrenzung Werkvertrag zu Dienstvertrag Dienstverträge kommen vor allem in Betracht, wenn die Vertragspartner das Ergebnis in einem gemeinsamen Team entwickeln.  Auch wenn der Auftragnehmer das Werk allein erstellt: Kann man ausnahmsweise dem Auftragnehmer nicht zumuten, die Nachteile zu tragen, wenn er das Ergebnis nicht erreicht? Das kann beispielsweise bei einem Forschungs- und Entwicklungsauftrag der Fall sein (auch bei einer ärztlichen Behandlung). Beispiel Ein Auftragnehmer hat die Aufgabe übernommen, Fehler in einem alten, schlecht dokumentierten IT-System zu finden. Er soll die Vergütung wohl auch dann bekommen, wenn er den Fehler trotz ordnungsgemäßem Vorgehen nicht findet (beispielsweise weil das Fehlerbild nicht reproduzierbar ist). Deswegen wird der Vertrag als Dienstvertrag eingeordnet. Andersherum lag es lange Zeit bei einem modernen und gut dokumentierten IT-System. Inzwischen … Komplexität …? Mein IT-Berater ist davon überzeugt, dass er Dienstverträge abschließt. Ist die Aufgabenstellung für die Erstellung eines Systems zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erst vage beschrieben, liegt deswegen nicht ein Dienstvertrag vor; es besteht dann ein vager Maßstab für das geschuldete Werk, sodass unterschiedliche Ergebnisse vertragsgemäß sind. Beispiel Manch eine berühmte Persönlichkeit war mit dem Porträt von ihr, das sie von einem modernen Künstler hatte malen lassen, sehr unzufrieden, musste das aber bezahlen. Bei einem Werkvertrag ist der Auftragnehmer für die technische Gestaltung des Ergebnisses zuständig, z.B. entscheidet er, welche Entwicklungs- und Dokumentationsrichtlinien er sachgerechterweise anwendet, wenn nichts ausdrücklich vereinbart ist. Bei gemeinsamer Arbeit (also bei einem Dienstvertrag) muss er hingegen mit dem Kunden absprechen, welche Entwicklungs- und Dokumentationsrichtlinien das gemeinsame Team anwenden soll. [→ siehe auch Kap. 7.3.1 (2), S. 128] Zur Information Die vertragstypische Einordnung: Sie ist auch hier nicht so wichtig, wie manche Juristen behaupten und viele Nicht-Juristen annehmen. Diese Überschätzung ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen. <?page no="129"?> 5 Überblick über die wichtigsten Vertragstypen in Projekten 129 Erstens wird in der Praxis vielfach fälschlich verstanden, dass ein Werkvertrag mit einem Festpreis einhergehe und ein Dienstvertrag mit Vergütung nach Aufwand. Daran ist nur so viel richtig, dass bei einem Werkvertrag der Arbeitsumfang oft besser als bei einem Dienstvertrag abgeschätzt werden kann und deshalb ein Festpreis eher in Betracht kommt und dementsprechend auch vereinbart wird. Es gibt allerdings auch viele Dienstverträge gegen eine pauschale Vergütung, also gegen einen Festpreis. Beispiel Ein Arzt erhält für sehr viele dienstvertragliche Tätigkeiten jeweils eine bestimmte Gebühr. Es handelt sich um typische Tätigkeiten, für die der Aufwand gut geschätzt werden kann. Zweitens möchte die Auftragnehmerseite die Abnahme sowie das Risiko vermeiden, dass sie bei einem Werkvertrag einen ominösen „Erfolg“ schulden würde, deswegen mehr leisten müsse und stärker haften würde. Konsequenterweise sieht die Kundenseite das als Vorteile für sich. Das zusätzliche Risiko bzw. der zusätzliche Vorteil werden rechtlich gesehen allerdings weit überschätzt. So möchte der Kunde Schulung als Werkvertrag einordnen: Seine Mitarbeiter sollen nach der Schulung das System einsetzen können. Dafür will der Auftragnehmer aber nicht einstehen und würde das selbst bei Anwendung des Werkvertragsrechts nicht tun. [→ Kap. 5.2 unter „Der Erfolg als Abgrenzungsmerkmal“, S. 126] Damit die Idee des Erfolgs etwas hergibt, empfehlen manche Rechtsberater dem Kunden, die Schulung so zu definieren, dass dessen Mitarbeiter nach der Schulung das Werk „ordnungsgemäß“ oder sogar „fehlerfrei“ einsetzen können. Eine solche Vereinbarung kann dank der Vertragsfreiheit geschlossen werden; sie ergibt sich aber nicht aus dem Werkvertragsrecht. Ende Arbeitnehmerüberlassung: Das ist eigentlich ein deutlich abgesetzter Vertragstyp. Dieser hat Konsequenzen, die dem Kunden möglicherweise nicht passen. In der Praxis wird häufig versucht, diesen Vertragstyp dadurch zu umgehen, dass ein Vertrag, der eigentlich Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand hat, als Dienstvertrag oder sogar als Werkvertrag formuliert wird [→ Kap. 9.2.2, S. 231]. Unterschiede in den Rechtsfolgen: Die wesentlichen Unterschiede der drei Vertragstypen hinsichtlich der finanziellen Seite, der terminlichen Seite und der Qualität der Leistungen sind in der Abbildung dargestellt. <?page no="130"?> 130 5.3 Abgrenzung Werkvertrag zu Dienstvertrag Die Vertragstypen bei Dienstleistungen Drei Vertragstypen für verschiedene Wege zum Ziel Vertragstyp Werkvertrag „AN erstellt Programm für / Konzept für …“ (§ 631 BGB) Dienstvertrag „AN unterstützt bei folgenden Arbeiten: ...“ (§ 611 BGB) Arbeitnehmerüberlassung „AN stellt Mitarbeiter für .... zur Verfügung“ (AÜG) Geld gibt es für das Ergebnis das (zielgerichtete) Arbeiten das Überlassen von Mitarbeitern geschuldet: Haftung für Qualität Eignung des Ergebnisses (bezogen auf Vorgabe) = Mangelfreiheit Mängelbeseitigung, bei Verantwortlichkeit auch Schadensersatz ordentliche Arbeit (mit geeigneten Mitarbeitern) bei Verantwortlichkeit Schadensersatz, z.B. Aufwand für Mängelbeseitigung ordentliche Auswahl (also Bereitstellung geeigneter Mitarbeiter) bei Verantwortlichkeit Schadensersatz geschuldet: Haftung für Termine termingerechte Übergabe ohne Verantwortlichkeit Rücktritt, bei ~ auch Schadensersatz termingerechtes Arbeiten ohne ~ a.o. Kündigung, bei ~ auch Schadensersatz rechtzeitige Bereitstellung bei Verantwortlichkeit Schadensersatz Vergütungsform entsprechend der konkreter Vereinbarung (eher Festpreis) entsprechend konkreter Vereinbarung (eher nach Aufwand) nach Aufwand <?page no="131"?> 6 Kaufverträge Gegenstand eines Kaufvertrags können Sachen und Rechte sein. Sie können auch digitale Güter sein: So können Sie dieses Buch auf Papier gedruckt oder als ePUB gekauft haben. Der Gesetzgeber hat die Variante „Verträge über digitale Produkte“ 2022 ins BGB aufgenommen. Diese bezieht sich aber nur auf Verträge mit Verbrauchern. Verträge über digitale Produkte bleiben für Sie also Kaufverträge. In Projekten kommen Testinstallationen und Ähnliches in Betracht. Das Vertragsrecht kennt dafür die Leihe und den Kauf auf Probe. Die Vertragsfreiheit ermöglicht weiterhin, einen Kauf mit einem Rücktrittsrecht zu vereinbaren. Kauf auf Probe: Die Wirksamkeit des Kaufvertrags hängt davon ab, dass der Kunde die Kaufsache innerhalb der Probefrist billigt; der Vertrag ist im Zweifel aufschiebend bedingt geschlossen [→ zu Bedingungen siehe Kap. 3.1.8, S. 79]. Ist die Kaufsache wie bei einer Testinstallation bereits übergeben worden, gilt das Schweigen des Kunden allerdings als Billigung (§ 455 BGB). Die Billigung steht im Belieben des Kunden; er braucht die Ablehnung nicht zu begründen. Billigt der Kunde die Kaufsache nicht, kommt der Kaufvertrag nicht zustande (§ 454 BGB). Der Kunde braucht zusätzlich erbrachte dienstvertragliche Leistungen nicht zu vergüten. Vertrag mit Rücktrittsrecht des Kunden: Der Auftragnehmer soll die Leistung erst einmal mehr oder weniger erbringen, um dem Kunden zu zeigen, dass diese sich für ihn eignet. Das Rücktrittsrecht wird als Sicherheitsmaßnahme vereinbart. Wird es ins Belieben des Kunden gestellt, muss dieser im Falle des Rücktritts erbrachte Dienstleistungen vergüten (§ 346 BGB). Die Vertragspartner können das Rücktrittsrecht von Voraussetzungen abhängig machen und/ oder die Vergütungspflicht für Dienstleistungen einschränken. Der Vertragstyp wird in Kapitel 5.1 vorgestellt [→ Kap. 5.1, S. 123]. In der Praxis geht es im Wesentlichen um die Ansprüche des Kunden gegen den Auftragnehmer wegen Mängeln. Letzterer kann als Käufer wegen solcher Mängel wiederum Ansprüche gegen seinen Verkäufer, Grundzüge <?page no="132"?> 132 6.1 Grundzüge also seinen Vorlieferanten, haben. Die Vorschriften im BGB sind darauf ausgerichtet, dass der in der Lieferkette „schuldige“ Lieferant die Nachteile trägt (§§ 445a und 445b). (1) Hauptpflichten des Verkäufers Eigentumsübertragung: Der Kunde erwirbt nach dem deutschen Vertragsrecht durch den Abschluss eines Kaufvertrags noch nicht das Eigentum an der Kaufsache (die noch gar nicht zu existieren braucht), sondern nur einen Anspruch auf deren Übereignung. Der Verkäufer erfüllt diesen dadurch, dass er mit dem Käufer einen weiteren, sachenrechtlichen („dinglichen“) Vertrag über die Eigentumsübertragung schließt und die Kaufsache übergibt [→ Kap. 2.1.2 (3), S. 33]. Eigentum (an Sachen) wird also durch Einigung und Übergabe der Kaufsache verschafft (§§ 925 ff. BGB). Die Übergabe beinhaltet die Verschaffung des (tatsächlichen) Besitzes. Die Einigung ist der sachenrechtliche (= herrschaftsrechtliche) Vertrag mit dem Inhalt, dass das Eigentum übergehen soll. Die Einigung wird meist nicht extra erklärt, sodass sie den Vertragspartnern selten bewusst wird. Bei einem Eigentumsvorbehalt wird deutlich, dass neben dem schuldrechtlichen Kaufvertrag noch die sachenrechtliche Einigung über den Eigentumsübergang erforderlich ist. Einfacher Eigentumsvorbehalt: Die Einigung kann unter der aufschiebenden Bedingung [→ Kap. 3.1.8, S. 79] geschlossen werden, dass sie erst wirksam wird, wenn der Käufer den gesamten Kaufpreis bezahlt hat. Wird über das Vermögen des Vorbehaltskäufers ein Insolvenzverfahren eröffnet, ehe er den Kaufpreis gezahlt hat, kann der Verkäufer die noch in seinem Eigentum stehende Kaufsache aus der Insolvenzmasse aussondern, d.h. verlangen, dass der Insolvenzverwalter die Kaufsache herausgibt. Verlängerter Eigentumsvorbehalt: Siehe Wikipedia unter „Eigentumsvorbehalt“. Geistige Leistungen, insbesondere Software: Herrschaftsrechte an geistigen Leistungen sind entsprechend einzuräumen. Ein Eigentumsvorbehalt im strengen Wortsinn an Software ist nicht möglich, nur einer am Eigentum am Datenträger. Der Auftragnehmer kann dem Kunden allerdings entsprechend dem einfachen Eigentumsvorbehalt an Sachen ein vorläufiges Nutzungsrecht an der Software einräumen, das mit vollständiger Bezahlung zu einem dauerhaften Nutzungsrecht erstarkt. [→ Kap. 2.1.2 (3) unter „Rechte an geistigen Leistungen … Software“, S. 34] <?page no="133"?> 6 Kaufverträge 133 (2) Hauptpflichten des Käufers Fälligkeit der Vergütung: Mit dem „Kaufpreis“ ist Geld gemeint (anderenfalls würde ein Tausch vorliegen). Mehr wird zu diesem nicht gesagt. Dieser ist zwar gemäß § 271 BGB sofort nach Abschluss des Vertrags fällig [→ Kap. 4.3, S. 110]. Der Kaufvertrag ist aber ein gegenseitiger Vertrag. Solche Verträge sind Zug-um-Zug zu erfüllen. Der Verkäufer kann die Vergütung deswegen erst fordern, wenn er seine Leistung vollständig erbracht hat [→ siehe zur Erfüllungshandlung Kap. 4.4, S. 87]. Etwas Anderes kann vereinbart werden oder sich aus den Umständen ergeben. Die Vertragspartner können beispielsweise Anzahlungen oder an den Lieferfortschritt geknüpfte Abschlagszahlungen vereinbaren. Bei Teilleistungen wird die Vergütung jeweils nach deren Erbringung fällig. Teilleistungen liegen nicht schon vor, wenn Preise für die einzelnen Positionen vereinbart worden sind. Teilleistungen müssen deutlich vereinbart werden, weil sie den Kunden rechtlich belasten. 56 Beispiel für Teilleistungen Es sind gesonderte Liefertermine mit jeweils einem Preis für die Lieferung vereinbart worden. Teilleistungen sind von einer Gesamtleistung, die in Schritten erbracht werden soll, abzugrenzen. Die Schritte können ausdrücklich vereinbart sein oder sich nur aus der vereinbarten Vertragsdurchführung ergeben. Beispiel für Leistung in Schritten Es werden mehrere dezentrale Endgeräte bestellt, die der Auftragnehmer an verschiedenen Orten aufstellen soll. Der Preis kann pro Gerät und für alle zusammen angegeben werden. Bei Bedarf Leistungsverweigerungsrecht wegen Mängeln: Liefert der Verkäufer eine mangelhafte Kaufsache, kann es sein, dass der Kunde den Mangel bereits kennt oder bei der Anlieferung erkennt, beispielsweise bei einer sofortigen Untersuchung / einem sofortigen Test. Der Käufer kann die Kaufsache zurückweisen. Das Recht besteht selbst 56 Die Verjährungsfrist für die Haftung wegen Mängeln beginnt; die Voraussetzungen für den Rücktritt vom Vertrag insgesamt werden verschärft [→ Kap. 11.2 (2), S. 251]. <?page no="134"?> 134 6.2 Geschuldete Leistungen: Umfang und Eigenschaften bei unerheblichen Mängeln. 57 Die Leistung ist dann noch nicht vertragsgemäß; der Kaufpreis wird dann noch nicht fällig. - Regelmäßig dürfte der Kunde den Willen zur Entgegennahme erst nach vollständiger Lieferung haben. Der Zurückweisung steht gleich, wenn der Kunde die Kaufsache unter Missbilligung bei sich belässt [→ Kap. 6.4.5 (1) unter „Offene Mängel“, S. 146]. Ende 6.2 Geschuldete Leistungen: Umfang und Eigenschaften § 434 BGB beschreibt die Sollbeschaffenheit danach, welchen Anforderungen die Kaufsache „entsprechen“ muss. Als Eigenschaften kommen nicht nur inhärente (= dem Objekt innewohnende) Eigenschaften 58 in Betracht, sondern „jegliche Merkmale einer Sache, die der Sache selbst anhaften oder sich aus ihrer Beziehung zur Umwelt ergeben.“ 59 Der erste Absatz teilt die Anforderungen in subjektive und ergänzend in objektive auf. 60 Bei beiden Arten wird auf die Beschaffenheit und auf die Verwendbarkeit abgestellt. 57 Wie üblich berücksichtigt die Rechtsprechung Treu und Glauben: Das Recht darf nicht ausgeübt werden, wenn das wegen besonderer Umstände gegen Treu und Glauben verstoßen würde. 58 So eingeschränkt allerdings in DIN EN ISO 9000: 2015 3.6.2 Anmerkung 2 59 Drucksache 19/ 27424, Begründung zu § 434 Abs. 2 Zu den subjektiven Anforderungen gehören „Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben. Zu den objektiven Anforderungen gehören - fast gleichlautend - „Menge, Qualität und sonstige Merkmale der Sache, einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit.“ Zur Haltbarkeit: Es geht nicht darum, dass die Gebrauchsfähigkeit von verkauften Produkte (beispielsweise Software) aufrechterhalten werden muss, wenn die Hersteller von Produkten, mit denen die verkauften Produkte zusammenwirken sollen, deren Schnittstellen ändern. Diese Pflicht besteht nur bei Produkten für Verbraucher. 60 Eine Anforderung ist gemäß IEE Standard 610.12-1990 entweder „eine Eigenschaft oder Bedingung, die von einer Person zur Lösung eines Problems oder zur Erreichung eines Ziels benötigt wird“ oder „eine Bedingung oder Fähigkeit, die eine Leistung erfüllen muss, um einen Vertrag, eine Spezifikation oder ein anderes bestimmtes Dokument zu erfüllen.“ <?page no="135"?> 6 Kaufverträge 135 Beide Arten müssen erfüllt sein. Das ist auch gegeben, wenn eine vereinbarte/ subjektive Anforderung ein höheres Niveau als die objektive/ gewöhnliche hat, ebenso andersherum, wenn die Vertragspartner subjektive Anforderungen vereinbaren, die unter dem Niveau der objektiven Anforderungen bleiben. Es ist noch offen, wie deutlich das Zurückbleiben in einer Produktbeschreibung formuliert sein muss, die der Verkäufer in den Vertrag einbringt). 61 Der Auftragnehmer sollte bei Verträgen über die Lieferung von Standardprodukten deutlich ausdrücken, inwieweit diese die objektiven Anforderungen nicht erfüllen. „Subjektive Anforderungen“: Gemäß Abs. 2 Nr. 1 ist geschuldet „die vereinbarte Beschaffenheit“. Gemäß Abs. 2 Nr. 2 muss die Kaufsache „sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung“ eignen. Soweit sich diese Anforderungen nicht konkretisieren lassen, insbesondere nicht aus der zum Vertragsbestandteil gewordenen Produktbeschreibung ergeben, gelten die entsprechenden objektiven Anforderungen. In Abs. 2 Nr. 3 werden „das vereinbarte Zubehör und die vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen,“ extra aufgeführt: Diese müssen „übergeben“ werden. Welche Anforderungen die Montageanforderungen zu erfüllen haben, ist in Abs. 4 geregelt [→ siehe hier Kap. 6.2 unter „Montageanforderungen“, S. 137]. Für die anderen Bestandteile gelten die Anforderungen nach Nr. 1 und Nr. 2 entsprechend. Objektive Anforderungen: Der Auftragnehmer schuldet gemäß Abs. 3, dass die Sache „1. sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, 2. eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der [Kunde] erwarten kann unter Berücksichtigung a) der Art der Sache“ 61 Einen Anhaltspunkt gibt § 476 Abs. 1 S. 2, wonach die einschränkende Vereinbarung nur wirksam ist, wenn „1. der Verbraucher … eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und 2. die Abweichung … ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.“ Gegenüber Verbrauchern muss ein gesondertes Dokument erstellt werden (Gesetzesbegründung). Gegenüber anderen Kunden ist das also nicht erforderlich. <?page no="136"?> 136 6.2 Geschuldete Leistungen: Umfang und Eigenschaften Das bezieht sich auf die Eigenschaften, die in den Vereinbarungen nicht angeführt werden. Werden sie hingegen angeführt, fallen sie unter die subjektiven Anforderungen [→ vgl. Kap. 7.2 unter „Qualitätsniveau“, S. 159]. Diese sind dann zu ermitteln und auszulegen. Das läuft wahrscheinlich auf dasselbe Ergebnis wie bei objektiven Eigenschaften hinaus [→ Kap. 2.3 (3) unter „Dritter Schritt“, S. 58]. „Sachen derselben Art“ ist eng definiert. Ein Standardprodukt kann es in einer einzigen Art geben, aber auch in unterschiedlichen Arten/ Klassen. Beispielsweise klassifiziert das Kraftfahrt-Bundesamt „Standard-Personenwagen“ in sechs „Segmenten“ von „Minis“ bis zur „Oberklasse“. Oberklassewagen sind im Vertragsrecht also nicht von derselben Art wie Minis. - „Standard-Personenwagen“ ist also ein Oberbegriff. Sollten die Vertragspartner einen Oberbegriff wie „Standard-Personenwagen“ verwendet haben, muss erst einmal ausgelegt werden, welche Klasse auf der nächstunteren Ebene gemeint ist. Qualitätsniveau: Auch die einzige Art hat eine Spannweite in ihrer Qualität. Es ist ein Exemplar im mittleren Niveau geschuldet. Die Praxis spricht von „mittlerer Art und Güte“ des Standardprodukts. Gibt es bei einem Standardprodukt mehrere Arten/ Klassen, kommt es für die Bestimmung der geschuldeten Art/ Klasse darauf an, wie die Vertragspartner die Anforderungen im subjektiven Bereich beschrieben haben. 62 [→ Zum mittleren Ausführungsstandard“ im Werkvertragsrecht siehe Kap. 7.2 unter „Qualitätsniveau“, S. 159] „b) den öffentlichen Äußerungen, die von dem Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden.“ Der Hersteller kann also die Beschaffenheit, die der Kunde erwarten darf, unter bestimmten Randbedingungen beeinflussen. 63 62 Der gedanklichen Vollständigkeit wegen: Hilfsweise bestimmt sich die geschuldete Art/ Klasse nach den (nicht angesprochenen! ) objektiven Anforderungen. Es ist ein Exemplar der mittleren Art/ Klasse im mittleren Niveau geschuldet. 63 Es kommt nicht darauf an, dass die Vertragspartner diese ausdrücklich als Maßstab für die Beschaffenheit vereinbart hätten. ‒ Der Hersteller haftet auch selbst gegenüber dem Kunden für diese Beschaffenheit, wenn er diese <?page no="137"?> 6 Kaufverträge 137 Zu den Produktbeschreibungen gehören ohnehin diejenigen, die die Vertragspartner im Vertrag aufgeführt haben. 64 [→ Zu Beispielen für die gewöhnliche Beschaffenheit und Verwendbarkeit bei Werkverträgen siehe Kap. 7.2.1 (3), S. 167] Gemäß Abs. 3 Nr. 3 muss die Kaufsache „der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entsprechen, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat“. Zubehör u.a.m: Gemäß Abs. 3 Nr. 4 müssen übergeben werden „das Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie andere Anleitungen, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.“ Für sie gelten die Anforderungen nach Nr. 1 und Nr. 2. Montageanforderungen: Abs. 4 bezieht sich auf die Durchführung der Montage. Für diese kann auch der Kunde zuständig sein. Deswegen wird darauf abgestellt, dass das Ergebnis der Montage erfolgreich sein muss. Ist der Auftragnehmer zur Montage verpflichtet, kann eine mangelhafte Montage nicht nur zur Nacherfüllung, sondern auch zu Schadensersatzansprüchen führen. Führt der Kunde die Montage durch und hat keinen Erfolg, liegt ein Mangel vor, wenn der Fehlschlag auf die Montageanforderungen zurückzuführen ist. 6.3 Vertragsdurchführung Bei reinen Kaufverträgen kann nur die Montage als weitere Herstellungsleistung hinzukommen. Bei Werklieferungsverträgen kann es weitere Herstellungsleistungen geben [→ Kap. 5.2, S. 124]. [→ Zum Leistungsort siehe Kap. 4.4, S. 111] 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen Wenn es um Mängel geht, werden Sie auf operativer Ebene eingeschaltet und spielen eine wichtige Rolle. Deswegen ist dieser Abschnitt ausführlich abgefasst. garantiert hat [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150]. 64 Da die Vertragspartner diese Standarddokumente (= AGB) vereinbart haben, haben diese einen Rang zwischen dem subjektiven und dem objektiven Bereich. <?page no="138"?> 138 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen Der Begriff Gewährleistung wird im Vertragsrecht selten verwendet; es heißt im Vertragsrecht normalerweise „Haftung für Mängel“. 65 Der Anspruch auf die Beseitigung von Mängeln besteht von vornherein als Erfüllungsanspruch [→ Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerung wegen Mängeln“, S. 133]. Nach der Entgegennahme der Kaufsache hat der Kunde diesen Anspruch aus Haftung. Der Kunde kann entsprechend den Voraussetzungen (§ 437 BGB): „1. … Nacherfüllung verlangen (= Mängelbeseitigung oder Ersatzlieferung), 2. … von dem Vertrag zurücktreten oder … den Kaufpreis mindern und 3. … Schadensersatz oder … Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.“ 6.4.1 Beweislast für das Vorliegen von Mängeln Bei Bedarf Geschuldete Eigenschaften können teilweise oder ganz fehlen (Mängel in der Sollbeschaffenheit) oder zwar vorhanden sein, aber wegen Fehler in der Realisierung teilweise oder gar nicht nutzbar sein (Mangel in der Istbeschaffenheit). Es hilft Ihnen die Anforderungen an die Beweisführung zu verstehen, wenn Sie zwischen Mängeln in der Sollbeschaffenheit und solchen in der Istbeschaffenheit unterscheiden. Bei Mängeln in der Sollbeschaffenheit geht es um die Frage, ob das, was die Kaufsache tatsächlich leistet, die Vereinbarungen über deren Beschaffenheit erfüllt. Der Kunde kann beispielsweise sagen: „Die Ergebnisse mögen an und für sich richtig sein; die Funktionalität erreicht aber nicht die, auf die ich Anspruch habe.“ Mängel in der Istbeschaffenheit liegen vor, wenn das gelieferte System nicht einmal die Eigenschaften aufweist, die es auch nach Auffassung des (fairen) Auftragnehmers haben sollte. Solche Mängel schaffen erhebliche Beweisprobleme in dem Fall, dass die Ursache strittig ist. Diese kann in der Leistung des Auftragnehmers liegen und ist dann ein Mangel; die Ursache kann aber auch in einer Handlung des Kunden oder sonst in dessen Risikobereich liegen. Dann liegt kein Mangel vor. Der Kunde braucht nur ein Fehlerbild / ein Symptom, nicht aber die 65 Der Begriff Gewährleistung wird in der Praxis in verschiedenem Zusammenhang meist positiv verwendet: „Der Auftragnehmer gewährleistet, dass folgende Eigenschaften vorhanden sind: ...“ Oder: „Der Auftragnehmer gewährleistet die Wartung für fünf Jahre“. <?page no="139"?> 6 Kaufverträge 139 Ursache für die Funktionsuntüchtigkeit darzulegen und nur zu behaupten, dass die Ursache dafür in den Leistungen des Auftragnehmers liege. [→ Zur Beseitigung von einer solchen Störung, wenn diese im Risikobereich des Kunden liegt, siehe Kap. 6.4.8, S. 153] Mängel in der Sollbeschaffenheit in der Istbeschaffenheit Der Kunde hat den Sollzustand gegenüber dem Istzustand zu beschreiben das Fehlerbild/ -symptom darzulegen und zu behaupten: „Ist so vereinbart worden.“ „hat seine Ursache in der Leistung.“ Der Zeuge wird befragt: „Ist das so vereinbart worden? “ „Ist das Fehlerbild aufgetreten? “ Der Sachverständige wird befragt: „Nach Vertrag geschuldet? “ „Liegt Mangel vor: ja/ nein! “ und erklärt: „ja/ nein! “ Wenn „ja“: „Ursache ist gefunden.“ / „Fehlerbild lässt zwingend auf eine Ursache in der Leistung schließen.“ Beide Ursachen können zusammenkommen. Dann schreibt der Sachverständige in seinem Gutachten beispielsweise: „Das System brachte unbrauchbare Ergebnisse; es lag kein Bedienungsfehler vor. Aber selbst wenn es die aus der Sicht des Auftragnehmers geschuldeten Ergebnisse erbracht hätte, hätten diese den Vereinbarungen nicht entsprochen.“ Bei Mängeln in der Istbeschaffenheit stellen sich vier Probleme:  A ngesichts der Schwierigkeit, die Ursachen zu erkennen, ist der Kunde verpflichtet, den Auftragnehmer bei der Mängelsuche zu unterstützen [→ Kap. 6.4.2 (1), S. 142]. 66 Das fängt schon bei der 66 Damit besteht eine deutlich über die prozessuale Substanziierungspflicht hinausgehende operative Beschreibungspflicht. <?page no="140"?> 140 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen Mängelrüge an: Diese muss so abgefasst sein, dass der Auftragnehmer ihr die Art und den Umfang der Mängel genau entnehmen kann. 67 Beispiel für eine nicht ausreichende Mängelrüge: „Seit einer Woche können wir das System nicht nutzen.“  Die ordnungsgemäße Mängelmeldung zur Wahrung von Ansprüchen wegen Mängeln. Die Meldung muss so genau abgefasst sein, dass verglichen werden kann, ob eine spätere Mängelrüge in der früheren schon enthalten ist. Das Vertragsrecht will damit verhindern, dass der Kunde später nicht rechtzeitig gerügte Mängel „nachschiebt“ (= sich auf diese stützt). [→ Zur kaufmännischen Untersuchungs- und Rüge„pflicht“ siehe Kap. 6.4.5 (2), S. 147].  Die Aufgabe, vor Gericht die Anspruchsvoraussetzungen vorzutragen / darzulegen - und das für das Gericht verständlich [→ Kap. 2.2.2, S. 42].  Der Nachweis bei Gericht: Wie soll ein Anwender den Nachweis erbringen, wenn er das System nicht mehr im maßgeblichen Zustand hat? [→ hier im Folgenden unter „Bereitstellen von Beweismitteln“, S. 141]. Beweislastverteilung: Die Beweislast für das Vorliegen von Mängeln liegt beim Kunden, sobald dieser die Kaufsache als Erfüllung entgegengenommen hat, gleich ob er auf Rückzahlung oder ob der Auftragnehmer auf Zahlung klagt (§ 363 BGB). Vorher trägt der Auftragnehmer die Beweislast für die Mängelfreiheit. [→ Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerung wegen Mängeln“, S. 133] Der Nachweis von Mängeln in der Istbeschaffenheit bei Gericht: Der Nachweis, dass der Mangel, wie von seinem Erscheinungsbild her beschrieben, seine Ursache tatsächlich in der Leistung hat, wird vor Gericht im Wege des Sachverständigengutachtens geführt. Möglicherweise stellt der Sachverständige die konkrete Ursache nicht fest, son- 67 Der BGH spricht im Urteil vom 23.01.2008 (VIII ZR 246/ 06) von „Symptom“. Dieser Begriff ist besser als der häufig genutzte Begriff „Fehlerbild“, weil er offenlässt, ob wirklich ein Fehler vorliegt. <?page no="141"?> 6 Kaufverträge 141 dern beschränkt sich auf die Aussage, dass der Mangel aufgrund des Fehlerbildes (des Symptoms) seine Ursache in der Leistung haben müsse und alle Ursachen aus dem Risikobereich des Kunden vernünftigerweise ausscheiden würden. Wenn der historische Zustand nicht mehr zur Verfügung steht, müssen Zeugen in Gegenwart des Sachverständigen vernommen werden. Dieser bildet sich daraufhin seine Beurteilung. Bereitstellen von Beweismitteln durch die Gegenseite vor Gericht: Die Gegenseite ist gemäß der Zivilprozessordnung verpflichtet, Beweismittel, die sich in ihrem Bereich befinden, zur Verfügung zu stellen. Wer damit rechnen muss, dass ein System noch zu Beweiszwecken benötigt wird, und es dennoch nicht zugänglich hält, läuft erhebliche Gefahr, dass ihm das als Beweisvereitelung angelastet wird: Der Beweis durch die andere Seite gilt als erbracht, wenn dieser nicht erbracht werden kann, weil das System ohne rechtfertigenden Grund nicht mehr zur Verfügung steht. Ende 6.4.2 Der Anspruch auf Nacherfüllung Der Kunde kann ab der Entgegennahme der Kaufsache nach seiner Wahl Nachbesserung oder die Lieferung einer mangelfreien Kaufsache verlangen (§ 439 BGB). Wenn der Kunde Ersatzlieferung wählt, kann der Auftragnehmer diese in dem Fall verweigern, dass diese mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist (§ 439 Abs. 4 bzw. § 635 Abs. 3 BGB beim Werkvertrag). Dann kommt nur die Nachbesserung in Betracht. Wenn auch diese mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist, entfällt der Anspruch auf Nacherfüllung insgesamt. Der Kunde ist in diesem Fall berechtigt, vom Vertrag ohne Fristsetzung zurückzutreten (§ 440 bzw. § 636 BGB beim Werkvertrag). Darüber hinaus kann er gemäß den üblichen Vorschriften Schadensersatz verlangen [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Das Ganze gilt entsprechend, wenn der Kunde zuerst vergeblich Nachbesserung verlangt. Der Anspruch auf Nacherfüllung entfällt, wenn diese unmöglich ist [→ zu den Ausgleichsansprüchen Kap. 11.5 (1), S. 255]. Zur Ersatzlieferung: Der Kunde, der eine Ersatzlieferung aufgrund von Nacherfüllung erhält, muss die Nutzungsvorteile, die er bis dahin erzielt hat, „erstatten“, d.h. er muss diese über den Kaufpreis hinaus <?page no="142"?> 142 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen vergüten (§ 439 Abs. 6 Satz 1 bzw. § 635 Abs. 4 BGB beim Werkvertrag im Hinblick auf den Werklohn). 68 Im Falle der Ersatzlieferung hat der Auftragnehmer die ersetzte Sache auf seine Kosten zurückzunehmen (§ 439 Abs. 6). (1) Aufgaben des Kunden bei der Mängelbeseitigung Genau genommen geht es nicht um Pflichten, sondern um Aufgaben: Der Kunde muss etwas tun, damit er seinen Anspruch durchsetzen kann [→ zu Pflichten im eigenen Interesse siehe Kap. 4.5, S. 113]. Der Auftragnehmer trägt immer die erforderlichen Kosten [→ siehe im Folgenden (3), S. 144]. Der Kunde muss (also im eigenen Interesse) das Fehlerbild / das Symptom bei dessen Meldung zumindest so genau beschreiben, wie er das auch vor Gericht zu tun hätte. Zur Mängelmeldung gehört auch, dass der Kunde, soweit es ihm möglich ist, das Fehlerbild / das Symptom auf Verlangen des Auftragnehmers vorführt oder dass er vorlegt, was die gerügten fehlerhaften Ergebnisse anzeigt. Die Vertragspartner können vereinbart haben, wie der Kunde Mängel melden soll. Wenn der Kunde diese Vorgaben nicht einhält, kann sich der Auftragnehmer insoweit darauf nicht berufen,  wie er Kenntnis vom Fehlerbild/ Symptom hat; er kann in diesem Fall immer noch eine vertragsgemäße Meldung verlangen, soweit diese nützlich ist, bzw.  wie er sich sogar bereits um die Beseitigung des Mangels bemüht hat. Auf Kundenseite sollten Sie Fehlersymptome detailliert schriftlich melden. Sie sollten den Auftragnehmer bei der Fehlersuche unterstützen - lieber zu viel als zu wenig. Das dürfte auch im geschäftlichen Interesse Ihrer Seite liegen. Die weitere Unterstützung: Diese hängt von den Fähigkeiten des Kunden und von dem für die Mängelbeseitigung sachgerechten Ort ab 68 Man kann dagegen nicht damit argumentieren, dass der Auftragnehmer so für die Schlechtlieferung belohnt werden würde und die Erstattungspflicht deswegen aufgrund von Treu und Glauben ausgeschlossen werden müsse. Denn der Gesetzgeber hat diese Argumentation ausdrücklich für den Verbrauchsgüterkauf und nur für diesen anerkannt (§ 475 Abs. 3 BGB). Ein Verbraucher ist nicht zur Erstattung der Nutzungsvorteile verpflichtet. Der Umkehrschluss ist zwingend [Anhang A.2 unter „Analogie“, S. 276]. <?page no="143"?> 6 Kaufverträge 143 [→ siehe im Folgenden (2), S. 143]. Der Kunde hat neben dem Gewähren des Zugangs zum System, soweit zumutbar,  auch andere als die gestörten Einheiten zur Fehlerlokalisierung bereitzustellen, z.B. die Nutzung einer Verbindung zwischen einer zentralen IT-Anlage und einem Subsystem zu ermöglichen, das Daten nicht wie vorgesehen überträgt oder empfängt,  entsprechend seinen Fähigkeiten den Auftragnehmer technisch zu unterstützen, z.B. bei der Klärung einer Schnittstellenproblematik durch Beratung oder durch Tests,  Korrekturmaßnahmen in das System einzufügen [→ siehe im Folgenden (2), S. 143]. (2) Der Ort für die Mängelbeseitigung Der Leistungsort für die Nacherfüllung/ Mängelbeseitigung bestimmt sich nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit:  geeigneter Ort für die Suche nach dem Mangel  Transportierbarkeit der Kaufsache  geeigneter Ort für die Reparatur / das Erarbeiten einer Korrekturmaßnahme und  geeigneter Ort für deren Einfügen in ein System. Weiterhin sind zu berücksichtigen:  der Zeitbedarf und  die Kosten. 69 Damit kann dieser Leistungsort von dem Ort für die Erfüllung der Lieferpflicht abweichen (§ 269 BGB) [→ Kap.4.4, S. 111]. Die Suche kann erfordern, dass der Auftragnehmer zum Kunden kommen muss, weil der Mangel anders nicht lokalisiert werden kann. Wenn der Kunde die Korrekturmaßnahme bei sachgerechter Anleitung durch den Auftragnehmer selbst „anbringen“ kann, soll der Kunde das dann auch soweit zumutbar tun. 69 Die Rechtsprechung stellt darauf ab, dass es in erster Linie auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Dabei geht es insbesondere um die Ortsgebundenheit der Sache und die Art der Nachbesserungstätigkeit. Ergibt sich auch daraus nichts, soll beim Kaufrecht der Erfüllungsort beim Auftragnehmer liegen und beim Werkvertragsrecht dort, wo sich die mangelhafte Sache vertragsgemäß befindet (eine bewegliche Sache kann sich vertragsgemäß jeweils an unterschiedlichen Orten befinden). <?page no="144"?> 144 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen Der Auftragnehmer kann dem Kunden mitteilen, an welchem Ort dieser ihm die Kaufsache zur Verfügung stellen solle. Besteht der Auftragnehmer auf einer unberechtigten Vorgabe, kann das den Kunden zum Rücktritt berechtigen. Der Kunde hat die Kaufsache selbst installiert: Der Auftragnehmer braucht nur in besonders schwierigen Fällen zur Mängelsuche zum Kunden zu kommen und zur Reparatur nur dann, wenn die Kaufsache nicht oder nur schlecht transportiert werden kann. Anderenfalls kann der Auftragnehmer verlangen, dass der Kunde die Kaufsache zu ihm schafft. Er muss allerdings die Aufwendungen des Kunden ersetzen, die für den Transport anfallen [→ siehe im Folgenden (3), S. 144]. 70 Der Auftragnehmer hat die Kaufsache vor Ort installiert: Grundsätzlich muss er vor Ort kommen. Allerdings könnte es für den Kunden zumutbar sein, die gestörte Kaufsache zu übersenden. Die Grenze dürfte da liegen, wo der Kunde die Kaufsache noch verpacken und mit den bei ihm verfügbaren Hilfsmitteln bewegen kann. Wenn die Kaufsache allerdings in dem Bereich liegt, den die Wartungstechniker des Auftragnehmers regelmäßig befahren, muss dieser in der Regel vor Ort kommen. (3) Aufwendungen für die Mängelbeseitigung Der Auftragnehmer muss alle Aufwendungen für die Mängelbeseitigung tragen, auch die, die sachgerecht beim Kunden anfallen (§ 439 Abs. 2 bzw. § 635 Abs. 2 BGB beim Werkvertrag). Auch wenn der Leistungsort für die Nachbesserung beim Auftragnehmer ist, muss dieser die Aufwendungen dafür tragen, dass ein gestörtes Gerät zu ihm gebracht wird. Er muss auch den Mehraufwand tragen, der dadurch entsteht, dass der Kunde die Kaufsache vom Erfüllungsort an einen anderen Ort gebracht hat und von dort aus schicken muss. Entsprechendes gilt für die Kosten für Einbau, Ausbau und Anbringung. 71 70 § 439 Abs. 2 bzw. § 635 Abs. 2 BGB sieht keine Pflicht des Kunden zum Transport vor, sondern erlaubt dem Auftragnehmer, die Fahrt zum Kunden zu verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde. 71 § 439 Abs. 3 BGB stellen klar, dass der Auftragnehmer auch die Aufwendungen für Ausbau und Einbau / Anbringung zu tragen hat, wenn der Käufer die mangelhafte Kaufsache selbst eingebaut / angebracht hat (bevor der Mangel offenbar wurde). Im Werkvertragsrecht ist Entsprechendes nicht vorgesehen, weil es davon ausgeht, dass der Auftragnehmer das Teil eingebaut / angebracht hat. <?page no="145"?> 6 Kaufverträge 145 Der Kunde ist nicht berechtigt, von sich aus auf Kosten des Auftragnehmers aufwendige Suchaktionen zu starten, geschweige denn zu versuchen, den Mangel (ggf. unter Zuhilfenahme Dritter) zu beseitigen (nur im Wege der Selbstvornahme [→ siehe im Folgenden (4), S. 145]). Als sachgerechte Aufwendung gilt auf jeden Fall alles, was der Auftragnehmer durch seine Vorgaben verursacht hat. (4) Selbstvornahme Die Selbstvornahme wird im Geschäftsleben auch „Ersatzvornahme“ genannt. Der Käufer hat kein Recht zur Selbstvornahme. Er kann die Erstattung von solchen Aufwendungen allerdings als Schadensersatzanspruch verlangen, die er aufgrund von Verzug bei der Mängelbeseitigung nach einer nutzlosen Fristsetzung erbracht hat [→ Kap. 11.3 (1), S. 253]. 72 6.4.3 Minderung und Rücktritt Der Kunde kann eine Frist für die Nacherfüllung setzen. Bei erfolglosem Fristablauf kann er nach seiner Wahl die Vergütung herabsetzen (= mindern) oder vom Vertrag zurücktreten [→ Kap. 11.2, S. 248]. Bei Bedarf Minderung oder Rücktritt ohne Nachfristsetzung: Der Kunde braucht insbesondere dann nicht erst noch eine Nachfrist zu setzen,  wenn der Auftragnehmer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert oder  wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist oder für ihn unzumutbar ist (§ 440 BGB). Der Fehlschlag ist für den Kaufvertrag wie folgt definiert (das Werkvertragsrecht enthält diese spezielle Regelung nicht [→ Kap. 7.7 (3), S. 212]: „Eine Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.“ 72 Damit braucht der Kunde sich nicht auf Schadensersatz wegen Mängeln zu stützen, bei denen Vertretenmüssen (= Verschulden) Anspruchsvoraussetzung ist. <?page no="146"?> 146 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen Der Versuch bezieht sich auf den einzelnen Mangel bezogen auf dessen Ursache. 73 Beispiel für einen Mangel In einem Programm ist eine Rücksprungadresse, die mehrfach vorkommt, fehlerhaft. Der Auftragnehmer korrigiert sie an einer Stelle, nicht aber an den anderen. Tritt der fehlerhafte Rücksprung an einer anderen Stelle auf, handelt es sich um denselben Mangel. Weiternutzen nach dem Rücktritt: Damit der Kunde den Umstieg auf ein anderes Standardprodukt (bzw. beim Werkvertrag auf ein anderes System) vorbereiten kann, ist er berechtigt, einen angemessenen Termin zu bestimmen, bis zu dem er das Standardprodukt/ System - gegen eine Nutzungsentschädigung - weiternutzen will. Dieses Recht ergibt sich aus Treu und Glauben. Ende 6.4.4 Schadensersatzansprüche Der Kunde kann erst einmal den Ersatz des Schadens verlangen, den er durch den Mangel erleidet, wenn der Auftragnehmer diesen zu vertreten hat (§ 280 BGB) [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Auch ohne Verschulden haftet dieser, wenn der eine Garantie für das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft gegeben hat [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150]. Der Kunde kann auch die Leistung zurückgeben und Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn er - wie bei Lieferverzug - eine Frist für die Nacherfüllung gesetzt hat und diese erfolglos verstrichen ist. Es kommt dann zu derselben Situation wie bei Lieferverzug, dass er eine gewisse Zeit mit der Rücktrittserklärung abwarten kann [→ Kap. 11.2 (1) unter „Ausübung des Rücktrittsrechts“, S. 250]. 6.4.5 Kenntnis von Mängeln, Kaufmännische Untersuchungs- und Rügeobliegenheit (1) BGB Das BGB unterscheidet zwischen offenen und versteckten Mängeln: 74 Offene Mängel: Der Auftragnehmer haftet nicht für Mängel, die der 73 Wenn mehrere Mängel auftreten, kommt ein Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit der Mängelbeseitigung in Betracht, auch wenn die Mängel jeweils im ersten Anlauf beseitigt werden. 74 Das Werkvertragsrecht kennt nur versteckte Mängel, weil das Werk ja noch nicht existiert [→ Kap. 7.7 (3) unter „Kenntnis von Mängeln“, S. 212]. <?page no="147"?> 6 Kaufverträge 147 Kunde bei Vertragsabschluss kennt (§ 442 BGB). 75 Erkennt der Käufer bei der Entgegennahme einen Mangel, rügt diesen aber nicht, dürfte das dahingehend auszulegen sein, dass er die Beschaffenheit so wie gesehen akzeptiert, d.h. auf Ansprüche wegen Sachmängeln insoweit verzichtet. [→ Siehe auch Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerung wegen Mängeln“, S. 133] Versteckte Mängel: Sie unterliegen der normalen Haftung für Mängel. Das Kaufrecht des BGB kennt keine Pflicht zur unverzüglichen Untersuchung, auch keine zur unverzüglichen Mängelmeldung. Der Kunde muss sich aber bei Schadensersatzansprüchen Mitverschulden entgegenhalten lassen, nämlich dass der Schaden geringer ausgefallen wäre, wenn er den Mangel nach Kenntniserlangung unverzüglich gemeldet hätte. (2) HGB Beim Handelskauf gibt es noch eine dritte Art von Mängeln, nämlich erkennbare Mängel: Das sind solche Mängel, die der Kunde nach Erhalt der Kaufsache bei ordentlicher Prüfung erkennen kann. Das HGB sieht je eine Sonderregelung für erkennbare und für versteckte Mängel vor. Es belastet den Kunden stärker, als das Werkvertragsrecht das tut. In der Sache geht es um eine Obliegenheit, also eine Pflicht im eigenen Interesse. Allgemein wird fälschlich von einer „Rügepflicht“ gesprochen. [→ Kap. 4.5 unter „Pflichten im eigenen Interesse / Obliegenheiten“, S. 113] Unverzügliche Untersuchung auf erkennbare Mängel: Der Kunde hat die Kaufsache unverzüglich nach der Ablieferung zu untersuchen , soweit dies im ordnungsgemäßen Geschäftsgang tunlich ist (§ 377 HGB). Zeigt sich bei dieser Untersuchung ein Mangel, hat der Kunde diesen unverzüglich anzuzeigen . Tut er das nicht, gilt die Kaufsache als genehmigt. Das hat zur Folge, dass die Ansprüche des Kunden wegen Mängeln nicht nur für erkannte, sondern auch für erkennbare Mängel entfallen. Ob eine Mängelrüge rechtzeitig oder verspätet erfolgt, hängt davon 75 Bei grob fahrlässiger Unkenntnis zu diesem Zeitpunkt haftet der Auftragnehmer nur noch, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. <?page no="148"?> 148 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen ab, welche Anforderungen an eine Untersuchung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang zu stellen sind. Das ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, wobei zwischen den Interessen des Auftragnehmers und denen des Kunden abzuwägen ist. Der Kunde hat nur beschränkte Möglichkeiten, ein Produkt besser als der Auftragnehmer zu untersuchen. Dementsprechend richten sich die Anforderungen an den Möglichkeiten des Kunden aus. Rügeobliegenheit bei versteckten Mängeln: Ein Mangel, der bei einer Untersuchung in ordnungsgemäßem Geschäftsgang nicht festgestellt werden kann, ist „versteckt“ („verdeckt“ oder „verborgen“). Der Kunde braucht diesen erst zu rügen, wenn sich dieser zeigt. Dann muss er diesen aber im eigenen Interesse unverzüglich rügen; andernfalls gehen die Ansprüche wegen eines solchen Mangels verloren. Erneute Untersuchung: Wenn der Auftragnehmer die Mängelbeseitigung abgeschlossen hat, hat der Kunde erneut die Obliegenheit zur Untersuchung, um seine Ansprüche für den Fall zu erhalten, dass der gerügte Mangel nicht vollständig beseitigt worden ist. Die Obliegenheit gilt auch für Mängel, die erst nach der Mängelbeseitigung auftreten können (aber mangels erneuter Untersuchung nicht aufgetreten sind). Handelskauf: Denken Sie als Kunde daran, dass Ihre Seite im Hinblick auf das Rügen von Mängeln drei Aufgaben hat! 6.4.6 Verjährung [→ Zur Verjährung allgemein siehe Kap. 4.10, S. 118]. (1) Dauer der Verjährungsfrist Die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Kunden wegen Mängeln in beweglichen Sachen beträgt zwei Jahre (§ 438 BGB), ist also kürzer als die regelmäßige Verjährungsfrist [→ Kap. 4.10 (1), S. 118]. Die Herstellerseite - und in der Folge die Auftragnehmerseite - streben vielfach an, diese Frist auf ein Jahr abzukürzen [→ Kap. 3.5 (6), S. 105]. Verjährung tritt auch dann ein, wenn der Kunde den Mangel während dieser Frist nicht entdecken konnte. (2) Beginn der Verjährungsfrist Die Frist beginnt mit der Ablieferung der Kaufsache, d.h. mit der Entgegennahme ohne Missbilligung, also nicht erst, wenn der Kunde die echte Möglichkeit zur Untersuchung hat. Haben die Vertragspartner <?page no="149"?> 6 Kaufverträge 149 bei einem Kaufvertrag ausdrücklich die „Abnahme“ der Kaufsache vereinbart, meinen sie die nach dem Werkvertragsrecht. Dann beginnt die Frist erst mit der Abnahmeerklärung. Vorher kann der Kunde die Beseitigung von Mängeln im Rahmen seines Erfüllungsanspruchs verlangen (so er diese kennt). [→ Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerung wegen Mängeln“, S. 133] Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist ist, dass der Auftragnehmer alle Leistungen erbracht hat. Aus Vereinbarungen kann sich - auch durch Auslegung - ergeben, dass die Vertragspartner den Zeitpunkt für den Beginn früher oder später angesetzt haben. Beispiel Haben die Vertragspartner Teilleistungen vereinbart, beginnt die Verjährungsfrist für jede Teillieferung bereits mit deren Entgegennahme. Die Vertragspartner können vereinbaren, dass die Verjährungsfrist erst mit der vollständigen Lieferung beginnen soll. (3) Erschwerung der Verjährung Wenn es zum Ende der Verjährungsfrist hin geht, kann es wichtig werden, ob die Verjährungsfrist sich bei der Meldung eines Mangels verlängert. Hemmung: Die Mängelmeldung kann dazu führen, dass der Lauf der Verjährungsfrist ausgesetzt wird (umgangssprachlich: unterbrochen wird) [→ Kap. 4.10 (2), S. 120]. Die Meldung eines Mangels bezieht sich nur auf den Lauf der Verjährungsfrist für Ansprüche wegen dieses Mangels. Die Meldung hemmt den Lauf nicht automatisch. Wenn der Auftragnehmer allerdings auf eine solche Meldung nicht ablehnend reagiert, ist die Situation so einzustufen, dass die Vertragspartner über die Mängelbeseitigung verhandeln. Das führt zur Hemmung wegen Verhandlungen. Das gilt so lange, bis diese abgebrochen werden (indem der Auftragnehmer erklärt, dass er den Mangel beseitigt habe oder dass kein Mangel vorliegen würde). - Allerdings ist das Folgende zu beachten. Neubeginn durch Anerkenntnis des Anspruchs auf Mängelbeseitigung: Die Verjährungsfrist beginnt sogar erneut, wenn der Auftragnehmer dem Kunden gegenüber die Ansprüche wegen dieses Mangels anerkennt (§ 212 BGB). Also muss die Reaktion des Auftragnehmers auf <?page no="150"?> 150 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen eine Mängelmeldung ausgelegt werden, ob sie sich nur auf die operative Seite bezieht oder ob sie als Anerkenntnis anzusehen ist. 76 Beispiel Die Vertragspartner führen im Rahmen einer Überprüfung ein Protokoll. Es werden Mängel im Protokoll aufgenommen. Auch der Auftragnehmer unterzeichnet das Protokoll. Das ist hoch wahrscheinlich ein Anerkenntnis. Achten Sie als Auftragnehmer darauf, dass Sie auf eine Mängelmeldung hin, auch wenn Sie diese für berechtigt halten, nicht ausdrücklich einen Mangel anerkennen. Bleiben Sie bei operativen Begriffen. Beispielsweise: „Bitte teilen Sie uns zu Ihrer Mängelmeldung mit ...“ oder „Wir werden eine Korrekturmaßnahme erarbeiten.“ Wenn Sie die Mängelmeldung für unberechtigt halten, dann weisen Sie diese ausdrücklich zurück. Nacherfüllung durch Ersatzlieferung: Die Verjährungsfrist fängt in der Regel für das neue Exemplar der Kaufsache insgesamt neu an . 6.4.7 Garantien Unterscheiden Sie Beschaffenheitsgarantien und Haltbarkeitsgarantien. (1) Beschaffenheitsgarantie Der Auftragnehmer kann im Vertrag Beschaffenheitsgarantien abgegeben haben. Damit verschärft er die Haftung für Mängel auf Schadensersatz (§ 443 BGB). Er kann sich dann nicht mehr damit entlasten, dass ihn kein Verschulden treffen würde. Damit haftet er auch für Fehler in Fremdprodukten auf Schadensersatz [→ Kap. 11.1 (2) unter „Beweislast“, S. 244]. Das gilt auch im Werkvertragsrecht (§ 639 BGB) [→ Kap. 7.7 (5), S. 213]. Vermeiden Sie als Auftragnehmer Beschaffenheitsgarantien oder die Zusicherung von Eigenschaften abzugeben, insbesondere für Fremdprodukte. 76 BGH, Urteil vom 5.10.2005 (VIII ZR 16/ 05): „Konkludentes Anerkenntnis … ist … keineswegs regelmäßig, sondern nur dann anzunehmen, wenn der Verkäufer aus der Sicht des Käufers nicht nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung eines Streits, sondern in dem Bewusstsein handelt, zur Mängelbeseitigung verpflichtet zu sein.“ <?page no="151"?> 6 Kaufverträge 151 Garantiert ist eine Eigenschaft, wenn der Auftragnehmer dem Kunden durch eine zum Vertragsinhalt gewordene Erklärung zu erkennen gibt, er wolle auf jeden Fall dafür geradestehen (= vertreten), dass seine Leistung die betreffende Eigenschaft aufweise. In der Praxis wird auch von „zugesicherten Eigenschaften“ gesprochen. Die Haftung aus der Garantie kann nicht eingeschränkt werden, nicht einmal in einem individuellen Vertrag (§ 444 bzw. § 639 BGB beim Werkvertrag). Die Garantie kann allerdings von vornherein eingeschränkt formuliert werden. Beispiel Zum Leistungsverhalten eines IT-Systems kann vereinbart werden, dass jeder Vertragspartner die Hälfte der Kosten für dessen Aufrüstung tragen muss, wenn das „angestrebte“ Leistungsverhalten des Gesamtsystems nicht erreicht wird. Die Abgrenzung von nur vereinbarten zu garantierten/ zugesicherten Eigenschaften ist problematisch. Beschreibungen von Standardprodukten stellen in der Regel noch keine Garantie/ Zusicherung von Eigenschaften dar. Die Vereinbarung von Anforderungen des Kunden bewirkt in der Regel noch keine Garantien/ Zusicherungen. Gegenbeispiel Die Angabe einer DIN-Norm an einer Zapfsäule bei einer Tankstelle ist eine Garantiezusage (wegen des Sicherheitsaspekts). (2) Haltbarkeitsgarantie Bei Bedarf Bei einer Haltbarkeitsgarantie geht es um eine Zusicherung zur Istbeschaffenheit, nämlich dass die Kaufsache für eine bestimmte Dauer die vereinbarte Istbeschaffenheit behält. In der Praxis wird oft von einer „Garantiefrist“ gesprochen. Konsequenz ist: Wenn während der Geltungsdauer der Haltbarkeitsgarantie eine Störung auftritt, wird vermutet , dass diese einen Mangel darstellt und dass dieser schon bei der Übergabe zumindest im Ansatz vorhanden war (§ 443 BGB). Das „begründet“ (= löst aus) die Rechte aus der Garantie. 77 Ursache für die Störung können Material- 77 Das entspricht der Situation bei Verkauf an einen Verbraucher während der ersten 6 Monate der Verjährungsfrist. <?page no="152"?> 152 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen und Fertigungsfehler, gegebenenfalls auch Konstruktionsfehler sein. Diese Form von Garantie kann auch bei einem Werkvertrag vereinbart werden. Wenn der Garantiegeber sich darauf beruft, dass die Störung durch den Kunden verursacht worden sei, trägt er dafür die Beweislast. Beispiele Der Kunde habe Geräte überhitzt, ätzenden Dämpfen ausgesetzt, über die in der Garantieerklärung vorgesehenen Grenzen hinaus genutzt. Haltbarkeitsgarantie des Herstellers: Dieser gibt sie typischerweise zur Förderung des Absatzes seiner Standardprodukte. Sie wird in der Praxis beispielsweise als „Herstellergarantie“ bezeichnet. Die Hersteller definieren den Umfang ihrer Garantieleistung in verschiedener Weise. Sollte ein Hersteller die Garantieleistung nicht definieren, dürfte diese auf Mangelbeseitigung/ Reparatur gehen. Die Ansprüche des Kunden aus der Haltbarkeitsgarantie stehen neben seinen gesetzlichen Ansprüchen wegen Mängeln; die letzteren werden also durch eine Garantie nur erweitert, aber nicht eingeschränkt. § 443 BGB spricht davon, dass die Rechte „dem Käufer zustehen“. Bei einer Vertriebskette ist damit wahrscheinlich nicht der Vorlieferant gemeint (oder der Auftragnehmer, der beim Hersteller gekauft hat), sondern derjenige, der die Herrschaft über das Standardprodukt hat, also meist der Kunde. <?page no="153"?> 6 Kaufverträge 153 Wenn Ihre Seite als Auftragnehmer die Herstellergarantie in Ihrem Angebot aufführt, läuft sie Gefahr, den Eindruck zu erwecken, dass sie die Herstellergarantie zu einer eigenen Garantieerklärung macht („Ich garantiere, weil ich mich auf eine Herstellergarantie stützen kann.“). Ihre Seite sollte ausdrücklich nur darauf „hinweisen“, dass der Hersteller eine Herstellergarantie gibt. Beispiel für eine gewollte eigene Haltbarkeitsgarantie Ein Hersteller von Hardware bietet in einem „Care-Paket“ eine Haltbarkeitsgarantie für einige Jahre gegen eine zusätzliche Vergütung an. Der Auftragnehmer gibt diese Verlängerung einschließlich deren Vergütung in seinem Vertrag mit dem Kunden bei der entsprechenden Hardwareposition an. Ende 6.4.8 Vergütung für die Beseitigung von Störungen beim Kunden Unter Störungen des Systems fallen alle Beeinträchtigungen von dessen Funktionsfähigkeit (in der Istbeschaffenheit): Das System funktioniert nicht so, wie es nach übereinstimmender Auffassung der Vertragspartner funktionieren sollte. Wenn der Auftragnehmer dafür einstehen muss, liegt ein Mangel vor, sodass der Auftragnehmer diesen auf jeden Fall während der Verjährungsfrist auf eigene Kosten zu beseitigen verpflichtet ist. Anderenfalls liegt eine Störung im Bereich des Kunden vor (dafür gibt es keinen Fachbegriff; in Betracht kommt „kundenbezogene Störung“ oder „Störung im Risikobereich des Kunden“). Bei solchen Störungen kann der Kunde das System (teilweise) wie bei einem Mangel nicht oder nur eingeschränkt einsetzen. Er ist also auf Hilfe angewiesen Der Auftragnehmer ist gemäß Treu und Glauben verpflichtet, den Kunden bei der Aufklärung und Beseitigung solcher Störungen im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu unterstützen. Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Auftragnehmer eine Vergütung dafür verlangen kann:  Ist er dazu berechtigt, wenn der Kunde ausdrücklich erklärt, dass ein Mangel vorliegen würde? Ein Teil der Rechtsprechung hat im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung angenommen, dass diese Aufforderung so zu verstehen sei, dass der Auftragnehmer auf jeden Fall die Situation klären solle, der Kunde also in dem Fall, dass die Ursache in seinem Bereich liege, die Unterstützung vergüten wolle. [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55] <?page no="154"?> 154 6.4 Haftung wegen Mängeln, unberechtigte Mängelmeldungen  Ein Teil der Rechtsprechung hat den Anspruch nur als Haftungsanspruch auf der Basis anerkannt, dass der Kunde seine Pflicht zur Rücksichtnahme verletzt habe, nämlich seine Pflicht zu überprüfen, ob die Störung auf eine Ursache in seinem Risikobereich zurückzuführen sei. Anspruchsvoraussetzung für die Entschädigung ist dann, dass der Kunde fahrlässig gehandelt hat. Wenn das Thema im Vertrag nicht geregelt ist, sollten Sie auf der Auftragnehmerseite selbst deutlich reagieren. Wenn Sie zu der Auffassung kommen, dass die Ursache für die Störung wahrscheinlich im Bereich des Kunden liegen würde, sollten Sie den Kunden informieren, dass wahrscheinlich kein Mangel vorliegen würde. Sie würden die Suche nach der Ursache nur fortsetzen, wenn der Kunde sich verpflichten würde, (den bisherigen und) den weiteren Aufwand zu bezahlen, wenn sich herausstellen würde, dass kein Mangel vorgelegen habe.  Kann der Auftragnehmer auch dann eine Vergütung verlangen, wenn er die Ursache nicht aufklären kann? Die Suche wird abgebrochen, insbesondere weil die Störung nicht mehr auftritt, nachdem die betroffene Einheit neu installiert und/ oder neu eingestellt worden ist. In solchen Fällen kann die Ursache auch ein Mangel sein, der unentgeltlich zu beseitigen gewesen wäre. Der Auftragnehmer kann also nur dann seinen Anspruch auf Vergütung durchsetzen, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass die Störung im Risikobereich des Kunden gelegen habe. <?page no="155"?> 7 Werkverträge Dieses Kapitel ist schwerpunktmäßig auf Werkverträge über die Erstellung eines Systems ausgerichtet (weiterhin auf Organisationsprojekte, auf Bauprojekte nicht spezifisch, weil es in deren Bereich so viele spezifische Regelungen gibt). Was für ein Werk ist geschuldet? Woraus ergibt sich das? Das können die wichtigsten Fragen bei Ihrer Projektarbeit sein. Das Werkvertragsrecht geht davon aus, dass die Anforderungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits so fein abgefasst sind, dass der Auftragnehmer beim Realisieren nur noch Details zu klären braucht. Diese Klärung kann relativ formlos erfolgen. Selbst die neuen Bauverträge innerhalb des Werkvertragsrechts von 2018 gehen nur auf Änderungsverlangen des Kunden ein. Die Anforderungen müssen aber nicht schon so weitgehend festgelegt sein. Die Vertragspartner können dank der Vertragsfreiheit regeln, dass die endgültige Aufgabenstellung erst während der Projektdurchführung ermittelt wird. Das kann auf einer mehr oder weniger groben Basis gemäß Vertrag und mehr oder weniger gemeinsam erfolgen. Das Zusammenwirken kann unterschiedlich vereinbart werden, insbesondere wie die Aufgabenstellung spezifiziert wird. Der Auftragnehmer kann darüber hinaus am Veränderungsmanagement des Kunden beteiligt werden. Die Vertragspartner können ein gemeinsames Projektteam bilden. Der Auftragnehmer kann auf allen Ebenen des Gesamtprojekts des Kunden mitwirken [→ Anhang E unter „Begriffe aus dem Projektmanagement“, S. 287]. Das kann zu einem gemischten Werk- und Dienstvertrag führen. Das wird den Vertragspartnern oft nicht klar und spielt bei einer erfolgreichen Vertragsdurchführung kaum eine Rolle [→ Kap. 9.2.3, S. 233]. Das Vertragsrecht regelt das Zusammenwirken nicht. Es kennt nur einen Paragrafen zur Mitwirkung des Kunden, und der bezieht sich kaum auf die Handlungsseite, sondern schwerpunktmäßig auf die Haftung des Kunden. Die Vertragspartner können und sollen das Zusammenwirken insgesamt selbst regeln. [→ Kap. 4.6, S. 113, bzw. Kap. 11.7, S. 258] Projektmanagementsystem / Projekthandbuch: Wie umfangreich der Regelungsbedarf sein kann, zeigt DIN 69901 - Projektmanagement - Projektmanagementsysteme, insbesondere Teil 2 über Prozesse und Prozessmodelle. <?page no="156"?> 156 7.1 Grundzüge des Werkvertragsrechts Angesichts der Wichtigkeit eines solchen Systems heißt das hoffentlich, dass Ihre Organisation ein Projektmanagementsystem eingerichtet hat, dieses beschrieben hat und es als „Projekthandbuch“ zum Gegenstand des Vertrags macht. Insbesondere ein Auftragnehmer für serienartige Projekte kann es bereits auf die Zusammenarbeit mit einem Vertragspartner ausgerichtet haben, beispielsweise einen internen Teil und einen für die Zusammenarbeit mit dem Kunden erarbeitet haben. Auch der Kunde kann so vorgegangen sein. Wenn beide das getan haben, muss geklärt werden, welches Dokument wofür gilt. Inhaltliche Richtlinien, beispielsweise zur Entwicklung und zur Qualitätssicherung, eventuell auch zur Dokumentation, werden im Folgenden unter „Projekthandbuch“ mitgedacht [→ siehe auch Kap. 7.3.1 (2), S. 128]. Testinstallationen und Ähnliches : Diese kommen in Betracht, wenn das System weitgehend aus Standardprodukten besteht [→ Kap. 6 am Anfang, S. 131]. Grundzüge des Werkvertragsrechts Da § 650 BGB Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen dem Kaufvertrag unterstellt (ggf. in der Variante des Werklieferungsvertrags), bleibt als Raum für den Werkvertrag:  eine bewegliche Sache herzustellen , die nicht nur individualisiert ist (Werklieferungsvertrag), sondern das „Ergebnis einer individuellen Tätigkeit“ ist (BGH), [→ Zum Werklieferungsvertrag siehe Kap. 8, S. 173. Zu dieser - künstlichen - Abgrenzung siehe Kap. 5.2 unter „Information“, S. 125],  eine unbewegliche Sache herzustellen, unbeweglich möglicherweise wegen deren Gewichts,  eine Sache des Kunden zu verändern, beispielsweise ein System zu modernisieren,  etwas zu erstellen, was nicht eine Sache ist, beispielsweise Software, ein Konzept, ein Gutachten,  ein Bauwerk zu schaffen oder zu ändern. In diesem Fall gelten die Vorschriften über den Bauvertrag ergänzend [→ Kap. 7.3.3 (1) unter Fn 94, S. 195]. Hauptpflichten des Auftragnehmers: Dieser ist verpflichtet, das System frei von Mängeln zu erstellen [→ Kap. 7.7, S. 210]. Hat dieses auch nur <?page no="157"?> 7 Werkverträge 157 einen wesentlichen Mangel, braucht der Kunde es nicht abzunehmen. [→ Kap. 7.6 (2) unter „Zweite Voraussetzung“, S. 207] Weiterhin ist der Auftragnehmer verpflichtet, soweit es wegen der Beschaffenheit des Werks möglich und noch nötig ist, dem Kunden auch den Besitz (= die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit) und das Herrschaftsrecht an dem System zu verschaffen (beispielsweise das Eigentum an Sachen oder Nutzungsrechte an geistigen Leistungen). [→ Kap. 2.1.2 (3), S. 33; siehe auch Kap. 6.1 (1) unter „Eigentumsübertragung“, S. 131] Für die Herstellung des Werks darf der Auftragnehmer im Zweifel Unterauftragnehmer einschalten. Hauptpflicht des Kunden: Er hat die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Diese kann als Festpreis, nach Aufwand sowie kombiniert vereinbart werden [→ siehe allgemein Kap. 4.2, S. 108]. Wird zur Vergütung nichts ausdrücklich vereinbart, wird vermutet, dass die Zahlung einer Vergütung immer dann „stillschweigend“ (besser: implizit) vereinbart ist, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (§ 632 BGB). Ist über deren Höhe nichts vereinbart, so gilt die übliche Höhe als vereinbart. Sie ist notfalls durch einen Sachverständigen zu ermitteln. [→ Zur Vergütung für Tätigwerden vor Vertragsabschluss siehe Kap. 3.1.6, S. 76] 7.2 Geschuldete Leistungen Das Konzept des BGB Die Eigenschaften des Werks liegen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits im Wesentlichen fest. [→ Zu ergänzenden Tätigkeiten innerhalb des Erstellungsprozesses siehe Kap. 7.2.2, S. 168] § 633 BGB umreißt, welche Eigenschaften das Werk haben muss, und geht in § 634 BGB auf die Rechtsfolgen für den Fall ein, dass diese nicht erfüllt sind, also Mängel vorliegen. § 633 BGB verlangt die Erfüllung von drei Bereichen der Sollbeschaffenheit, und zwar in absteigender Rangfolge: 78 78 Die Themen Zubehör, Anleitungen usw. sind im neuen Kaufrecht ausführlich geregelt. Für diese gilt bei Werkverträgen dasselbe, sei es durch sachgerechte Auslegung der Vorschriften des Werkvertragsrechts oder durch die <?page no="158"?> 158 7.2 Geschuldete Leistungen  Die vereinbarte Beschaffenheit  Die Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung  Die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die Beschaffenheit, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Kunde nach Art des Werkes erwarten kann. 79 Die Reihenfolge bezieht sich nur auf die nach dem Vertrag „vorausgesetzte“ Verwendung. Wird diese im Vertrag beschrieben , teilt sie hingegen als Vereinbarung den ersten Rang mit der vereinbarten Beschaffenheit. [→ Siehe auch Kap. 7.2.1 (1.2) unter „Beschreibung vom angebotenen System her“, S. 163] Als Eigenschaften kommen nicht nur inhärente (= dem Objekt innewohnende) in Betracht, sondern auch tatsächliche, wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen des Werks zur Umwelt (= zugeordnete). DIN-Normen: Es gibt zahlreiche Normen, die ausführlich Qualitätsklassen, Qualitätsniveaus, Qualitätsgrade usw. abhandeln. Es macht allerdings keinen Sinn, auf diese hier einzugehen; denn diese beziehen sich jeweils auf Zusammenhänge des spezifischen Projekt- oder Qualitätsmanagements. „Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung“: Dieser zweite Bereich hat eine größere Bedeutung als im Kaufrecht: Ein Verkäufer hat seine Standardprodukte auf die Anforderungen des Marktes und damit auf viele potentielle Kunden ausgerichtet. Ein Werkunternehmer soll das Werk auf die Anforderungen des jeweiligen Kunden ausrichten. Für die individuelle Erstellung zahlt dieser ein Vielfaches von dem, was ein Standardprodukt kosten würde. Es kommt also zu mehr Gesprächen vor dem Abschluss des Projektvertrags. Diese sollen die „vorausgesetzte Verwendung“ stärker als bei einem Kaufvertrag bestimmen. Möglicherweise sollen die Gespräche diese sogar erst festlegen [→ Kap. 7.2.1 (2), S. 164]. analoge Anwendung der Vorschriften im Kaufvertragsrecht [→ Kap. 6.2, S. 134]. 79 Dem Wortlaut nach entsprechen die ersten beiden Punkte den subjektiven Anforderungen beim Kaufvertrag (§ 434 Abs. 2 a) BGB) und der dritte Punkt den objektiven (§ 434 Abs. 3 Nr. 2 a) BGB). Produktbeschreibungen oder Werbeaussagen (wie in § 434 Abs. 3 Nr. 2 b) BGB geregelt) werden hier nicht aufgeführt (weil das System insgesamt noch nicht existiert); diese können allerdings die Sollbeschaffenheit von im System enthaltenen Standardprodukten mitbestimmen. <?page no="159"?> 7 Werkverträge 159 Wenn Standardprodukte in das Werk einbezogen werden oder das System sogar auf solchen aufbaut, sinkt der Preis beträchtlich. Dann will der Auftragnehmer eher nur die Eigenschaften der Standardprodukte zusagen (einschließlich deren jeweiligem Anwendungsvorrat). Dann muss der Kunde mehr darlegen und unter Beweis stellen, dass der Auftragnehmer den spezifischen Anforderungen des Kunden zugestimmt hat. [→ Siehe auch Anhang E unter „Begriffe aus dem Projektmanagement“, S. 287] Die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und Beschaffenheit: Der dritte Bereich ist dadurch definiert, dass er in den Vereinbarungen nicht angesprochen wird. Qualitätsniveau: Im dritten Bereich wird normalerweise nicht dasselbe Qualitätsniveau geschuldet, das die Vertragspartner für die ersten beiden Bereiche festgelegt haben, sondern nur ein mittlerer Ausführungsstandard, also ein niedrigerer. Schließlich hat der Kunde zu diesem Bereich keine Beschreibungen verlangt oder geliefert, diesen also nicht für so wichtig gehalten. 80 Weil die Anforderungen immerhin angesprochen sind, kann sich aus dem Zusammenhang heraus aber auch ergeben, dass zumindest punktuell ein höheres Niveau geschuldet wird, etwa dasjenige, wie das in den ersten beiden Bereichen beschrieben ist. Der Kunde ist dafür darlegungspflichtig [→ Kap. 2.2.2, S. 42]. Die Anforderung kann aber auch nur als Stichwort gemeint sein: Gibt es die Funktion überhaupt? Dann bleibt es eher bei einem mittleren Ausführungsstandard in dem Zusammenhang, in dem die Anforderung aufgeführt ist. Ein mittlerer Ausführungsstandard ist noch wahrscheinlicher geschuldet, wenn es sich um eine Liste von Stichwörtern handelt. Beispiel: „Anpassbarkeit“ im Rahmen einer Aufzählung von Stichwörtern: mittlerer Ausführungsstandard in dem Gesamtzusammenhang „Hohe Anpassbarkeit“ in einem beschriebenen Zusammenhang: eher das Niveau im ersten oder im zweiten Bereich Bis hierher ist es schon schwierig genug. Es wird aber noch eins draufgesetzt, nämlich welchen Einfluss die Vorgespräche haben [→ Kap. 7.2.1 (2), S. 164]. 80 Aus der „mittleren Art und Güte“ beim Kaufvertrag wird hier der „mittlere Ausführungsstandard“ [→ Kap. 6.2, S. 109]. <?page no="160"?> 160 7.2 Geschuldete Leistungen Die Eigenschaften des Werks liegen im Wesentlichen noch nicht fest Die Vertragspartner können vereinbaren, den Umfang und die Eigenschaften des Werks erst im Rahmen der Vertragsdurchführung endgültig festzulegen. Die Aufgabenstellung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist dann dementsprechend konkretisierungsbedürftig oder nur noch detaillierungsbedürftig. In einem geordneten Verfahren soll eine Spezifikation erstellt werden. Der Kunde soll diese überprüfen und dann freigeben, der Auftragnehmer diese dann in ein System umsetzen. Das kann auch schrittweise gemäß der Integration der Anforderungsbereiche erfolgen. Die Aufgabenstellung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist dann als Leitlinie für die Erstellung der Spezifikation zu verstehen, möglicherweise sogar nur als ein Arbeitsauftrag an beide Vertragspartner. Wenn die Spezifikation verabschiedet wird, wird sie zur Vorgabe dafür, welche Eigenschaften das Werk haben soll. Das zuvor beschriebene Konzept des BGB bezieht sich dann auf sie. Die Spezifikation kann ein allumfassendes Dokument sein, aber auch weniger formal eine Menge von im Laufe der Projektdurchführung erarbeiteten Dokumenten. Dieses Vorgehen wird innerhalb der Durchführung des Vertrags beschrieben [→ Kap. 7.3.2, S. 174]. 7.2.1 Umfang und Eigenschaften des Werks „Der Kunde will goldene Klunker angestrickt haben.“ So reagiert ein genervter Auftragnehmer bei einem Festpreis. Abstrakt ist vorstehend erläutert worden, auf was der Kunde Anspruch hat. Aber in der Praxis spielen so viele Umstände eine Rolle, dass man nur schwer bestimmen kann, ob das, was der Kunde fordert, durch den Vertrag abgedeckt ist. Deswegen können im Folgenden auch nur Hinweise gegeben werden. (1) Sollbeschaffenheit gemäß Vertragsabschluss Jeder der beiden Vertragspartner kann die Aufgabenstellung formuliert haben. Ansatzweise gehen Unklarheiten im Vertragsdokument zu Lasten desjenigen Vertragspartners, der die unklare Formulierung abgefasst hat. Zu Unklarheiten könne auch mündliche Nebenabreden <?page no="161"?> 7 Werkverträge 161 führen, die bevollmächtigte Gesprächspartner auf beiden Seiten vereinbart haben [→ Kap. 7.3.2, S. 174]. (1.1) Der Kunde hat die Aufgabenstellung formuliert Es ist Aufgabe des Kunden in eigenem Interesse, vor dem Vertragsabschluss seine Anforderungen zu ermitteln sowie sich auf dem Markt zu informieren [→ Kap. 2.3 (2), S. 53]. Der Auftragnehmer darf also normalerweise von einem gewissen Wissensniveau des Kunden ausgehen. Der Auftragnehmer hat dessen Äußerungen vor dem Hintergrund von dessen Situation auszulegen, soweit der Auftragnehmer diese aus dem bisherigen Kontakt heraus erkennen konnte [→ genauer Kap. 2.3 (2), S. 53]. Je gröber der Kunde seine Anforderungen formuliert hat, desto eher darf der Auftragnehmer davon ausgehen, dass der Kunde nur abfragen will, ob diese realisiert werden können, und zwar in einem Qualitätsniveau (und damit Preisniveau), in dem der Kunde seine Anforderungen formuliert hat. Vieles muss noch geklärt werden; das Qualitätsniveau dürfte aber bestimmt sein [→ Kap. 7.3.2, S. 174]. Beispiel Wenn es heißt, dass bestimmte Daten „rechtzeitig“ zur Verfügung gestellt werden müssen, bedeutet das, dass sie entsprechend den aus der Sicht des verständigen Auftragnehmers zu erwartenden betrieblichen Anforderungen zeitgerecht zur Verfügung zu stellen sind, nicht aber zu den tatsächlichen, möglicherweise sehr spezifischen. Bei Systemen auf der Basis von Standardprodukten kommt hinzu, dass Funktionen schon realisiert und also mit einem gewissen Anwendungsvorrat festgelegt sind. Desto näher liegt es, dass der Kunde nur abfragen will, ob diese realisiert sind. Damit will er sich wohl zufriedengeben und ist bereit, gegebenenfalls seine Organisation anzupassen oder Zusatzaufträge zu erteilen. Lücken in der Aufgabenstellung: Der Kunde kann Selbstverständlichkeiten fortgelassen haben. Der Auftragnehmer schuldet deren Realisierung automatisch als Eignung in den ersten beiden Bereichen der Sollbeschaffenheit (der Kunde hat die Darlegungslast). Die Lücke kann auch darin liegen, dass der Kunde etwas fortgelassen hat, was zwar nicht selbstverständlich erforderlich ist, worauf es gemäß der Aufgabenstellung aber erkennbar ankommt (der Kunde hat die Darlegungslast). <?page no="162"?> 162 7.2 Geschuldete Leistungen Beispiel für eine erkennbar unvollständige Anforderung Zu einer Kapazitätsanforderung fehlt die zeitliche Dimension: Gilt die Anforderung für den Normalbetrieb oder für den Spitzenbetrieb? Wenn auch für den letzteren: Wie lange kann dieser dauern: beispielsweise das Weihnachtsgeschäft? Der Kunde hat für solche Anforderungen Anspruch auf deren Realisierung in einem mittleren Ausführungsstandard. Aus dem Zusammenhang heraus kann sich zu seinen Gunsten ergeben, dass die Lücke sogar in demjenigen Qualitätsniveau zu schließen ist, das für den betroffenen Bereich des Systems gilt [→ Kap. 7.2 unter „Qualitätsniveau“, S. 159]. Der Auftragnehmer kann zur Beratung verpflichtet gewesen sein. An einer Lücke kann ihn Beratungsverschulden treffen. Daraus kann aber bei einem Festpreis kaum konstruiert werden, dass der Auftragnehmer nicht besprochene, aber für den Kunden wichtige Funktionen überhaupt oder in der vom Kunden benötigten Ausprägung realisieren müsse [→ Kap. 3.4 unter „Beratungspflichten“, S. 97]. Der Satz „Diese Ausprägung brauche ich. Deswegen habe ich Anspruch darauf.“ trifft also bei einem Festpreis nicht zu. Die Beschreibung hat bereits die Qualität einer Spezifikation : Der Auftragnehmer darf normalerweise von deren Richtigkeit ausgehen. Das gilt auch für technische Anforderungen. Da der Auftragnehmer im Rahmen der Projektdurchführung die Anforderungen auf Vollständigkeit und Konsistenz intensiv überprüfen wird, dürfte er am Anfang seiner Arbeit nicht zu einer detaillierten Vorweg-Überprüfung verpflichtet sein. [→ Siehe auch Kap. 3.4 unter „Pflicht des Auftragnehmers, …“, S. 98] Der Auftragnehmer darf eine solche Spezifikation so verstehen, dass der Kunde diese professionell formuliert hat. Damit ist der Auslegungsbereich enger als bei einer konkretisierungsbedürftigen Aufgabenstellung. (1.2) Der Auftragnehmer hat die Aufgabenstellung formuliert Führt der Auftragnehmer den Leistungsumfang im Vertrag in Schlagworten auf, lässt das sehr viel Raum für deren Auslegung. Dann kommt es vor allem darauf an, was sich in den vorvertraglichen Gesprächen an Spezifizierungen ergeben hat [→ siehe hier Kap. 7.2.1 (2), S. 164]. Standardprodukte, die der Auftragnehmer in das System einbezieht, müssen das für das System insgesamt vereinbarte Qualitätsniveau er- <?page no="163"?> 7 Werkverträge 163 reichen. - Es kommt in Betracht, dass die Standardprodukte wegen deren Umfang das Qualitätsniveau insgesamt bestimmen [→ Kap. 6.2, S. 134]. Hat der Auftragnehmer sogar eine Einsatzuntersuchung durchgeführt und daraufhin die Anforderungen des Kunden formuliert, darf der Kunde diese Darstellung von seinem Verständnis her auslegen [→ Kap. 2.3 (2), S. 53]. - Bietet der Auftragnehmer daraufhin Standardprodukte als Basis für die Erstellung des Systems an, fragt sich, ob der Kunde davon ausgehen darf, dass die Standardprodukte seine Anforderungen auch im Detail abdecken. Die Antwort dürfte davon abhängen, wohin und wie tief der Untersuchungsauftrag gegangen ist:  Wohin: Auf die Ermittlung von Anforderungen unabhängig von den genannten Typen von Standardprodukten (frühes Untersuchungsstadium) oder bezogen auf genannte, sogar vorgeschlagene Standardprodukte. Im zweiten Fall darf der Kunde eine weitergehende Abdeckung im Detail erwarten.  Wie tief: Hier kommt es vor allem auf die Entgeltlichkeit der Ermittlung an. Bei einer unentgeltlichen Untersuchung darf der Kunde nur davon ausgehen, dass er die vorgeschlagenen Standardprodukte ohne wesentliche unerwünschte Änderungen in seiner Organisation einsetzen kann. Beschreibung vom angebotenen System her: Damit liegt der Auftragnehmer die Beschaffenheit fest. Der Kunde kann die vorausgesetzte Verwendung nur noch als mündliche Nebenabrede, die Vorrang habe, behaupten und unter Beweis stellen [→ Kap. 2.3.3 unter „Zweiter Schritt“, S. 57]. Sorgen Sie auf der Kundenseite dafür, dass die Leistungsbeschreibung vorrangig deren Anforderungen enthält, also auch dann, wenn der Auftragnehmer die Leistungsbeschreibung formuliert. Dieser mag seine Leistungen / Lösung ergänzend aufführen. Ausdrücklich noch unvollständige Aufgabenstellung Jeder der beiden Vertragspartner kann zu einer Anforderung darauf hingewiesen haben, dass diese noch unvollständig beschrieben sei. Beispiel „Die erforderlichen Daten müssen noch ermittelt werden.“ Für eine solche Anforderung dürfte das Qualitätsniveau geschuldet sein, das sich aus den konkret beschriebenen Anforderungen in den <?page no="164"?> 164 7.2 Geschuldete Leistungen ersten beiden Bereichen ergibt, und nicht nur eines im mittleren Ausführungsstandard wie für den dritten Bereich [→ Kap. 7.2 unter „Qualitätsniveau“, S. 159]. Bei einem solchen Hinweis des Kunden darf der Auftragnehmer nicht von einer normalen Situation ausgehen, sondern muss mit einer spezifischen rechnen, typischerweise mit einer unklaren, eventuell sogar komplexen. Denn der Kunde hätte sonst seine Anforderung wahrscheinlich besser formuliert. Der Auftragnehmer nimmt das Risiko hin, wenn er sich bei einer solchen Aussage auf einen Festpreis einlässt. (2) Vorgespräche über die Anforderungen Daran sind Sie beteiligt, gleich auf welcher Seite Sie stehen. Es gibt verschiedene Vorgehensweisen, die Anforderungen zu ermitteln. Aus rechtlicher Sicht kommt es für die Sollbeschaffenheit in erster Linie darauf an, was am Ende wie im Vertrag steht oder nicht steht. Was ist aus den Gesprächen an gemeinsamem Willen in den Vertrag eingegangen und was nicht? Was davon kann bewiesen werden? [→ Kap. 2.3, S. 53] [→ Zur Mini-Vollmacht der Gesprächspartner siehe Kap. 3.2 (2) unter „Mini-Vollmacht …“, S. 90] Stützen Sie sich besser nicht auf Orientierungsgespräche in dem Sinn, ob man überhaupt zusammenkommen will. Denn das sollte eher noch nicht verbindlich sein. Außerdem lässt sich das später praktisch nicht beweisen. Insbesondere dürfte das Meiste in den folgenden Gesprächen genauer und wohl abweichend besprochen worden sein. Die Gespräche dienen dazu, die Anforderungen des Kunden zu ermitteln. Tendenziell sollen die Gespräche zu verbindlichen Festlegungen führen. Sie können herangezogen werden, um den Text der Leistungsbeschreibung auszulegen. Vereinbarte Schriftform: Es wird nicht alles aufgeschrieben und in der Leistungsbeschreibung aufgenommen, was abgesprochen worden ist. Häufig entwickeln die Vertragspartner eine Ebene, auf der sie die Anforderungen schriftlich formulieren. Mündlich festgelegte Details werden wegen deren Umfangs bewusst nicht aufgenommen. Diese können im Streitfall detailliert vorgetragen werden. Sie müssen dann bewiesen werden [→ Kap. 3.1.5 (2), S. 74]. <?page no="165"?> 7 Werkverträge 165 Die Schriftform wird wahrscheinlich eingehalten, wenn die Anforderungen, die auf der eingespielten Ebene schriftlich formuliert sind, die Details decken. Sie wollen unterhalb der Ebene, in der die Leistungsbeschreibung abgefasst ist, Details festlegen (als Kunde: dass etwas geschuldet werde, als Auftragnehmer, dass etwas nur insoweit geschuldet werde): Halten Sie die Details in einem Protokoll fest und schicken Sie dieses der anderen Seite. Der zustimmende Wille des Auftragnehmers kann ganz naheliegen, etwa wenn der Kunde eine Selbstverständlichkeit genannt hat. Dieser Wille kann aber auch fernliegen, etwa wenn der Kunde einen Sonderwunsch genannt hat, den ein für diesen Bereich vorgesehenes Standardprodukt nicht erfüllt. Soweit der Kunde seine Branche, seine Betriebsgröße und ähnliche für ihn allgemeine Anforderungen mitteilt, ist das Schweigen des Auftragnehmers als Bestätigung einzuordnen, dass die angebotenen Standardprodukte bereits darauf ausgerichtet sind (zumindest in einem mittleren Ausführungsstandard) bzw. dass er das zu erstellende System daraufhin ausrichten wird. Die Antwort des Auftragnehmers „Das geht! “/ „Das ist machbar! “ heißt, dass es für die nachgefragte Funktion bereits einen sachgerechten Lösungsweg gibt (zumindest im mittleren Ausführungsstandard). Nur besprochen oder auch vereinbart Der Kunde mag viele Anforderungen im Großen und im Kleinen geäußert haben, manche zurückgezogen haben, wenn er erfahren hat, wie teuer deren Realisierung sein würde und/ oder dass diese Anforderungen im Wesentlichen durch die angebotenen Standardprodukte und damit kostengünstig abgedeckt werden würden. Der Kunde kann während der Gespräche davon überzeugt gewesen sein, dass es für ihn günstiger sei, seine Organisation an (bewährte! ) Standardprodukte anzupassen. Er will dann aber während der Vertragsdurchführung möglichst doch bei seiner bisherigen Organisation bleiben. Bei der Beweiswürdigung, ob etwas nicht nur besprochen, sondern auch vereinbart worden ist, kommt es auch auf die Art der Gesprächsführung an:  Der Kunde stellt Fragen; möglicherweise lässt er sich die zugrundeliegenden Standardprodukte vorführen. Der Auftragnehmer <?page no="166"?> 166 7.2 Geschuldete Leistungen mag Rückfragen stellen. Aber am Ende weiß er wenig über die Situation des Kunden. Der Kunde nimmt die Kompetenz für sich in Anspruch, sachgerecht fragen zu können. Tendenziell hat der Auftragnehmer nur erklärt, was er erstellen könnte, gegebenenfalls auf der Basis von Standardprodukten.  Der Auftragnehmer stellt die relevanten Standardprodukte vor und stellt Fragen zu den Anforderungen des Kunden. Dadurch begründet er ein Beratungsverhältnis und ist damit verpflichtet, sachgerecht zu fragen [→ Kap. 3.4 unter „Beratungspflichten“, S. 98]. Zu vielen Punkten wird der Auftragnehmer erklären, dass die angebotenen Standardprodukte die Anforderungen abdecken. Die Beweislast bleibt beim Kunden, wenn dieser sich später auf konkrete Zusagen in den ersten beiden Bereichen beruft, also auf mehr, als dass die Funktion gemäß dem dritten Bereich in einem mittleren Ausführungsstandard vorhanden ist [→ Kap. 6.2, S. 134]).  Fragt der Auftragnehmer, ob eine Anforderung besteht, bejaht der Kunde das und schweigt der Auftragnehmer daraufhin, dürfte sein Schweigen eher als sonst eine entsprechende Zusage beinhalten. Beispiel für eine Zusage Auftragnehmer: „Brauchen Sie diese Funktion? “ Kunde: „Ja“. Auftragnehmer: „Wie häufig kommt das vor? “ Kunde: „Häufig“. - Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Zusage aus Schweigen oder implizit ergibt (implizit: weil die zweite Frage sich bereits auf ein Detail bezieht und damit die Zusage „Funktion vorhanden und auf häufige Nutzung ausgerichtet“ enthält. Wenn der Kunde nur nach der Existenz einer Funktion fragt und sich mit der Bejahung seiner Frage zufriedengibt, also nicht für die schriftliche Fixierung sorgt, ist er wahrscheinlich mit einer Realisierung der Funktion in einem mittleren Ausführungsstandard einverstanden. Er muss beweisen, dass er gefragt hat. - Die Funktion kann allerdings bereits zur gewöhnlichen Verwendbarkeit gehören, sodass eine Zeugenaussage nicht erforderlich ist (wohl aber ein Sachverständiger). Schlagwortartig im Vertrag: Die Vertragspartner haben vor Vertragsabschluss (einzelne) Anforderungen ziemlich genau besprochen; der Auftragnehmer hat diese nur schlagwortartig in die Leistungsbeschreibung aufgenommen. Das ist so zu verstehen, dass er diese wie besprochen als geschuldet bestätigt (wozu hätte er mehr schreiben sollen! ). Die Vertragspartner können sich später über den Inhalt dieser Gespräche streiten. Das geht zu Lasten des Auftragnehmers. Denn <?page no="167"?> 7 Werkverträge 167 er ist seiner Aufgabe innerhalb des Beratungsverhältnisses nicht gerecht geworden, die Ergebnisse schriftlich detailliert niederzulegen oder den Kunden dazu aufzufordern, das seinerseits zu tun [→ Kap. 3.4 unter „Beratungspflichten“, S. 98]. Der Kunde kann auf der Erfüllung der damals mündlich festgelegten Details bestehen; dabei braucht er nur zu beweisen, dass die Anforderungen ziemlich genau besprochen worden sind. Der Auftragnehmer trägt die Beweislast, wenn er bezweifelt, dass der Kunde die Festlegungen jetzt so wie besprochen wiederholt. Protokolle/ fortgeschriebene Angebote: Wenn der Auftragnehmer nach Besprechungen deren Ergebnisse protokolliert und diese Ergebnisse und/ oder ein fortgeschriebenes Angebot an den Kunden schickt, ist das ein Indiz dafür, dass er darüber hinaus nichts zugesagt hat. (3) Gewöhnliche Verwendbarkeit und Beschaffenheit Soweit die Vertragspartner die ersten beiden Bereiche nicht festgelegt haben, kommt es im dritten Bereich auf die gewöhnliche Verwendbarkeit und die übliche Beschaffenheit an, und zwar in einem mittleren Ausführungsstandard. Es geht insbesondere um Folgendes:  Werden Eigenschaften, auch wenn nicht aufgeführt, als erforderlich geschuldet?  Welche Eigenschaften müssen als gewöhnlich realisiert sein? Stand der Technik: Dieser wird automatisch geschuldet. Die Rechtsprechung tendiert dazu, die Stabilität und die Ausgereiftheit von Standardprodukten mitzubewerten, sodass der Grad der technischen Neuheit nicht so im Vordergrund steht. Funktionsumfang: Die Anforderung nach wirtschaftlich sinnvollem Einsatz beinhaltet insbesondere, dass solche Schritte automatisiert werden, die Routineaufgaben beinhalten. Das System muss „rund laufen“. Jede dafür erforderliche Funktion muss vorhanden sein und ihrerseits „rund laufen“. Ordnungsmäßigkeit: Rechtsvorschriften können sich auf die Konstruktionsweise (Sicherheit) und/ oder auf die Funktionalität beziehen. Dass Produkte Rechtsvorschriften befolgen, die ihre Funktionalität beeinflussen, gehört zu ihrer bestimmungsgemäßen und damit zu ihrer gewöhnlichen Verwendbarkeit. Rechtsvorschriften müssen vollständig eingehalten werden. <?page no="168"?> 168 7.2 Geschuldete Leistungen Weiterhin stellt sich die Frage, ob Produkte Funktionen haben müssen, die den Kunden unterstützen, Rechtsvorschriften zu erfüllen, etwa Berichtspflichten. Die Antwort dürfte im Wesentlichen auf der Grundlage zu finden sein, ob der Rationalisierungszweck das gebietet. Diese Antwort gilt auch für Anforderungen, die ähnlich zwingend wie Rechtsvorschriften sind. Verträglichkeit (Kompatibilität): Die Einheiten eines Systems müssen miteinander und mit der Einsatzumgebung kompatibel sein. Gewöhnliche benutzerbezogene Qualität/ Ergonomie: Beispielhaft sei DIN EN ISO 9241 „Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten“ angeführt, insbesondere Teil 10: Grundsätze der Dialoggestaltung. Diese Norm ist sachliche Grundlage für die Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung). Der Auftragnehmer darf im Normalfall davon ausgehen, dass der Kunde geeignete Mitarbeiter einsetzt. Leistungsverhalten: Das Leistungsverhalten des Systems muss für die betriebliche Situation eines solchen Anwenders, als der sich der Kunde gezeigt hat, ordentlich sein, beispielsweise hinsichtlich der Größe seines Betriebs. Das gilt auch für seine Anforderungen zu betrieblichen Hochzeiten und sogar zu Spitzenzeiten, soweit ein verständiger Auftragnehmer davon ausgehen muss. Der Kunde darf eine gewisse Reserve an Leistungsfähigkeit und eine gewisse Ausbaubarkeit des Systems erwarten, um seine - typischerweise steigenden - Anforderungen abdecken zu können. Sicherheit: Hingewiesen sei auf das Produktsicherheitsgesetz (Prod- SG) mit Vorschriften zu den Sicherheitsanforderungen von technischen Arbeitsmitteln und Verbraucherprodukten. Zuverlässigkeit: Es geht darum, wie verlässlich eine Funktion in einem Zeitintervall erfüllt wird. Technische Produkte können ausfallen. Ein Ausfall wird rechtlich jeweils als Mangel behandelt. Eine angemessene Zuverlässigkeitsrate wird automatisch geschuldet. 7.2.2 Weitere geschuldete Leistungen [→ Zu den Rechten an den Ergebnissen sowie dem damit zusammenhängenden Know-how-Schutz siehe Kap. 7.9 (3), S. 218] Die Frage lautet: Inwieweit hat der Auftragnehmer während der Projektdurchführung Leistungen zu erbringen, die im Vertrag nicht genannt sind, beispielsweise Unterstützungsleistungen? <?page no="169"?> 7 Werkverträge 169 Relevant wird das besonders, wenn ein Festpreis vereinbart worden ist oder aber wenn die Zuständigkeit nicht festgelegt ist (Projekthandbuch! ) und der Kunde solche Maßnahmen selbst durchführen könnte. Das Thema stellt sich bei Bauvorhaben immer wieder und ist deswegen in § 4 VOB/ C zu Bauvorhaben geregelt worden. Die formalen Regelungen in § 4 VOB/ C passen ansatzweise auch für andere Werke:  „Nebenleistungen“ sind solche, die aufgrund von Verkehrssitten zur Leistung gehören. Sie sind also auch ohne Erwähnung im Vertrag geschuldet. Sie sind nicht gesondert zu vergüten [→ Kap. 4.1, S. 107].  „Besondere Leistungen“ sind nur dann geschuldet, wenn sie im Vertrag besonders erwähnt sind. Auch sie sind durch einen Festpreis abgegolten, soweit nichts Anderes im Vertrag vereinbart ist. § 4 VOB/ C enthält je einen [nicht abschließenden) Katalog von solchen Leistungen im Baubereich. Soweit es in Ihren Bereichen keine Verkehrssitten gibt, gehören zu den Nebenleistungen solche Dienstleistungen, die für die Erstellung des Werks erforderlich und vom Fachwissen her Sache des Auftragnehmers sind. Das kann ansatzweise wie die gewöhnlichen Verwendbarkeit des Systems im dritten Bereich behandelt werden, die der Auftragnehmer automatisch schuldet: Gewöhnlicherweise zu erbringende Dienstleistungen sind im gewöhnlichen Umfang innerhalb des vereinbarten Qualitätsniveaus geschuldet und abgegolten. Erbringung durch den Kunden: Ansatzweise gilt der Grundsatz: Was nur einmal gemacht werden muss (oder nur nach langer Zeit wiederholt zu werden braucht), soll der Kunde gar nicht erst erlernen müssen und soll folglich der Auftragnehmer machen. Das sagt aber nur wenig darüber aus, auf welche Weise und damit in welchem Umfang der Auftragnehmer das bei einem Festpreis zu tun verpflichtet ist. Beispiele Übernahme der Altdaten bei der Einführung von Standardsoftware Schulung der Benutzer nach dem Konzept Train-the-Trainer oder unmittelbar insgesamt durch den Auftragnehmer Es kann - auch bei einem Festpreis - hinzukommen, dass die Vertragspartner erst einmal offenlassen, wie diese oder jene Aufgabe später angegangen werden soll. Das spricht dafür, dass der Kunde eine gesonderte Vergütung zahlen muss, wenn der Auftragnehmer <?page no="170"?> 170 7.3 Durchführung die Aufgabe später übernimmt. Allerdings trägt der Auftragnehmer die Beweislast dafür, dass nicht nur die Klärung von Details für die Durchführung, sondern die Zuständigkeit für die Durchführung überhaupt offengelassen worden ist. Die Vertragspartner können kaum auf Kataloge mit Nebenleistungen zurückgreifen. Der Auftragnehmer - ggf. auch der Kunde - kann solche in der Form geschaffen haben, dass er ein Projekthandbuch für die Durchführung des Projekts erarbeitet hat und dafür sorgt, dass dieses als Vertragsbestandteil vereinbart wird. Dieses kann auch angeben, welche Leistungen durch einen Festpreis abgegolten sind. Das bietet sich insbesondere für serienartige Projekte an. [→ Kap. 7 am Anfang unter „Projektmanagementsystem / Projekthandbuch“, S. 155] 7.3 Durchführung Da das Vertragsrecht fast nichts zur Vertragsdurchführung regelt [→ Kap. 7 am Anfang, S. 155], sind die Vertragspartner aufgefordert, die Durchführung selbst zu vereinbaren (z.B. im Projekthandbuch). Soweit sie das nicht getan haben, greift die ergänzende Vertragsauslegung ein: Was hätten die Vertragspartner vereinbart, wenn sie das getan hätten? [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 48] Projekte können nach verschiedenen Konzepten gemanagt werden. Entsprechend finden sich verschiedene Ansätze in Verträgen und dementsprechend jeweils viele Regelungslücken, die der ergänzenden Vertragsauslegung bedürfen. Der folgende Abschnitt kann nur auf einzelne Varianten von wichtigen Themen eingehen. Effiziente und effektive Hilfe schafft nur eine Vorlage, die aus einem Projekthandbuch abgeleitet worden ist. Dafür ist die Leitungsebene zuständig. Das wichtigste Thema, nämlich wie die Anforderungen endgültig festgelegt werden sollen, wird in Kapitel 7.3.2 vorgestellt [→ Kap. 7.3.2, S. 174]. 7.3.1 Das Vorgehen allgemein Je mehr der Auftragnehmer innerhalb des Gesamtprojekts des Kunden Projektarbeit leisten soll, desto mehr wird er in dessen Projektmanagement einbezogen. Desto mehr muss der Auftragnehmer den Kunden beim Aufstellen von dessen Zeit- und Arbeitsplan für dessen Gesamtprojekt unterstützen und den eigenen Zeit- und Arbeitsplan an dem des Kunden ausrichten. <?page no="171"?> 7 Werkverträge 171 Bei serienartigen Projekten 81 kann der Auftragnehmer die Führung nahezu übernehmen. [→ Anhang E unter „Begriffe aus dem Projektmanagement“, S. 287] Zur ordnungsgemäßen Leistung gehört dann auch, dass der Auftragnehmer den Kunden warnt, wenn dessen Mitarbeiter nicht sachgemäß mit ihm zusammenarbeiten, insb. ihn nicht ordnungsgemäß unterstützen. Offen ist, ob der Zeit- und Arbeitsplan des Auftragnehmers bei Vergütung nach Aufwand auch den - unverbindlich -zu schätzenden Aufwand beinhalten muss. Ist ein Kostenanschlag vereinbart worden, müsste der Auftragnehmer das auf jeden Fall tun. Andernfalls kommt es auf die Umstände an. (1) Mitwirkung des Kunden Der Umfang der Aufgaben, die der Kunde hinsichtlich der Projektanteile des Auftragnehmers hat, ist schwer zu bestimmen. Der Umfang kann im Projekthandbuch weitgehend festgelegt sein [→ siehe im Folgenden unter (2), S. 174]. Der Kunde hat die Aufgabe mitzuwirken, soweit das erforderlich ist. Zur Mitwirkung zählen auch Aussagen über seine Situation (als Grundlage für das Verstehen seiner Anforderungen). Wenn der Auftragnehmer Aussagen, die der Kunde mündlich gemacht hat, dem Kunden schriftlich mitteilt, hat letzterer die Aufgabe, diese auf die richtige Wiedergabe hin zu überprüfen. [→ Zur Mitwirkung des Kunden allgemein siehe Kap. 4.6, S. 113. Zu den Rechtsfolgen unzulänglicher Mitwirkung siehe Kap. 11.7, S. 258] Der Kunde trägt den Aufwand für seine Aufgaben selbst. Wie hat der Kunde Informationen bereitzustellen? Informationen dazu sind für den Auftragnehmer sozusagen Holschulden, sie sind aber nicht „Suchschulden“. Der Kunde hat Informationen, insbesondere Daten, geordnet bereitzustellen; der Auftragnehmer muss den Kunden bei Bedarf darin einweisen, wie dieser das tun kann und soll. Es geht also darum, inwieweit der Auftragnehmer den Kunden einspannen darf. Das hängt von der Aufgabenstellung, dem Wissen und der Vorgehenskompetenz des Kunden ab. 81 Das sind Projekte, die der Auftragnehmer immer wieder durchführt, in denen er einen erheblichen Anteil an der Projektarbeit und Wissen und Hilfsmittel hat, beispielsweise die Einführung von Standardsoftware, die der Auftragnehmer überlässt. <?page no="172"?> 172 7.3 Durchführung Das, was der Kunde an Details nicht mitteilt, kann der Auftragnehmer kaum berücksichtigen. Das Problem liegt also darin, inwieweit der Auftragnehmer nachzufragen verpflichtet ist. Das dürfte der Fall sein,  wenn die Aussage unklar ist,  wenn der Auftragnehmer etwas so oder so ausgestalten kann. Bereitstellung von Entwicklungs- und Zielumgebung: Wenn die Vertragspartner die erforderlichen Vereinbarungen nicht treffen, hat der Auftragnehmer Anspruch auf alles, was er beim Kunden erwarten darf, also andersherum auf alles, mit dem der verständige Kunde rechnen muss. Pflicht des Auftragnehmers, dem Kunden Unterstützung anzubieten: Wenn der Kunde mit der Durchführung der eigenen Aufgaben nicht klarkommt, ist der Auftragnehmer im Rahmen von Treu und Glauben verpflichtet, diesem (entgeltliche) Unterstützung bei dessen Mitwirkung anzubieten, beispielsweise diesen bei dessen Aufgaben anzuleiten oder diese sogar selbst durchzuführen. [→ Siehe auch Kap. 7.3.3 (2) unter „Ermittlung des genauen Verlangens“, S. 196] (2) Richtlinien Es geht um Richtlinien zur Entwicklung/ Inbetriebnahme, Dokumentation und Qualitätssicherung. Jeder kann dafür Richtlinien (einschließlich Methoden) erarbeitet haben, beispielsweise in einem Projekthandbuch [→ Kap. 7 am Anfang unter „Projektmanagementsystem / Projekthandbuch“, S. 155]. Keine Vereinbarungen getroffen: Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist zu klären:  Welche Richtlinien sind wegen deren Wichtigkeit anzuwenden?  Wie sehr darf der andere Vertragspartner dadurch belastet werden?  Wenn die Richtlinien der Vertragspartner sich überschneiden: Welche sind dann anzuwenden? Hätten die Vertragspartner daran gedacht, hätten sie Richtlinien zu wichtigen Themen vereinbart, insbesondere solche zur Gestaltung des Ergebnisses. Sie hätten auch solche zum Vorgehen vereinbart, deren Anwendung selbstverständlich ist und die nur die übliche Belastung für den anderen Vertragspartner beinhalten. Teile mit Belastungen, die darüber hinaus gehen, sind also nicht ver- <?page no="173"?> 7 Werkverträge 173 bindlich. Die einbezogenen Richtlinien würden also für den Kunden nur die ohnehin erforderliche Mitwirkung enthalten. Beispiele für Aufgaben des Kunden in Richtlinien Formular und Anleitung, wie der Kunde Mängel melden soll: übliche Belastung. Formular und Anleitung, wie der Kunde Anforderungen dokumentieren soll: Das kann darüber hinaus gehen, wenn das schon auf das Verfahren für deren Umsetzung abgestellt ist. Wenn beide Vertragspartner sich überschneidende Richtlinien haben, kommt es gemäß der ergänzenden Vertragsauslegung vor allem auf die folgenden Umstände an [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]:  Dass nichts vereinbart worden ist, spricht dafür, dass der Auftragnehmer diejenigen Richtlinien einhalten soll, die sich auf die Systemerstellung beziehen. Denn solche Richtlinien sind - zumindest ansatzweise - auf die Systemerstellung und die spätere Wartung durch den Auftragnehmer abgestimmt.  Je stärker der Kunde allerdings mit der Weiterentwicklung und Wartung des Systems befasst sein wird, desto wichtiger ist es, dass seine Richtlinien im Hinblick auf diese Aufgaben angewendet werden. Umso eher hat er also Anspruch auf deren Einhaltung. Konfigurationsmanagement: Die Qualitätssicherung verlangt ein sehr weitgehendes Konfigurationsmanagement nach DIN EN ISO 10007. Wenn im Vertrag nichts vereinbart ist, dürfte der Auftragnehmer zwar zum Konfigurationsmanagement verpflichtet sein, aber nicht in dem Umfang dieser Norm. (3) Protokolle Die Vertragspartner können zur Protokollführung vereinbaren, dass beide die Protokolle unterschreiben sollen oder dass nur der Protokollierende das tun soll . Sie können vereinbaren, ob Unterschriften überhaupt nötig sind oder ob die Textform ausreicht (= das Protokoll ein erkennbares Ende hat). [→ Kap. 3.1.5 (1) unter „Textform“, S. 73] Haben die Vertragspartner keine Vereinbarungen getroffen und schickt ein Vertragspartner trotzdem ein Protokoll, so handelt es sich bei diesen um ein normales unternehmerisches Bestätigungsschreiben [→ Kap. 3.9, S. 81]. <?page no="174"?> 174 7.3 Durchführung Einseitige Unterzeichnung vereinbart: Solche Protokolle sind unternehmerische Bestätigungsschreiben [→ Kap. 3.9, S. 81]. Sie sind allerdings von den Vertragspartnern sozusagen geadelt: Sie sind nicht nur eine einseitige nachträgliche Maßnahme zur Absicherung, sondern sie sind ausdrücklich in dieser Form vorgesehen. Beide Vertragspartner wollen und sollen diese als richtig und verbindlich nehmen. Die Vertragspartner können Regeln festlegen, z.B., dass der Empfänger gegebenenfalls nur innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen kann. Die Festlegungen sollen wahrscheinlich bereits von dem Zeitpunkt an gelten, an dem sie getroffen worden sind - vorbehaltlich eines Widerspruchs. Beiderseitige Unterzeichnung vereinbart: Es ist unklar, wann die im Protokoll festgehaltenen Vereinbarungen wirksam werden sollen. Die beiderseitige Unterzeichnung kann dem dienen, dass das Protokoll Vereinbarungen enthalten kann, die erst noch von einer höheren Ebene abgesegnet werden sollen. Dieses Argument relativiert sich, wenn vorgesehen ist, dass an der Besprechung auf beiden Seiten bevollmächtigte Personen teilnehmen, oder aber wenn vorgesehen ist, dass bei einer solchen Besprechung keine gewichtigen Entscheidungen getroffen werden sollen. Inhalt: In Protokollen kann anstelle des Worts „vereinbart“ auch das Wort „beschlossen“ verwendet werden. Der protokollierende Vertragspartner kann sich auf geschäftlicher Ebene etwas stärker als bei einem normalen unternehmerischen Bestätigungsschreiben darauf verlassen, dass der Empfänger das Protokoll dauerhaft als richtig anerkennen wird. Es können auch Tatsachen protokolliert werden; der Empfänger kann dann deren Richtigkeit später kaum noch bestreiten. [Zum Formulieren siehe Schreiben in Projekten , Kap. 4.9] 7.3.2 Insbesondere die Ermittlung der Anforderungen Es gibt ein breites Spektrum an Konzepten für das Projektmanagement und dementsprechend an Vorschlägen, wie der Umfang und die Eigenschaften des Werks im Rahmen der Vertragsdurchführung endgültig ermittelt und festgelegt werden sollen. 82 Das Buch handelt die Konstellation ab, dass die Vertragspartner vereinbart haben, eine Spezifikation in einem formalen Verfahren zu er- 82 Dieses Buch geht auch auf Scrum ein, um zu zeigen, dass Scrum gemäß Style Guide gar nicht in einem Vertrag abgebildet werden kann. Es ist auch gar nicht dafür gedacht [→ Kap. 7.9 (4), S. 220]. <?page no="175"?> 7 Werkverträge 175 arbeiten, die der Kunde freigeben und der Auftragnehmer anschließend umsetzen soll. [→ Siehe schon Kap. 7.2 unter „Die Eigenschaften … liegen … noch nicht fest“, S. 160] Die Vertragspartner können unterschiedlich regeln, wie sie bei der Erarbeitung der Spezifikation zusammenwirken wollen, modellartig ausgedrückt:  Damit der Kunde stark Einfluss nehmen kann, arbeiten die Vertragspartner eng zusammen. Der Kunde kann sogar die operative Führung übernehmen. Diese Vorgehensweise liegt in dem Fall nahe, dass die Aufgabenstellung noch vage ist und „konkretisiert“ werden soll. Diese Phase kann sogar dienstvertraglichen Charakter haben.  Der Auftragnehmer wird in Abstimmung mit dem Kunden die Aufgabenstellung detaillieren. Die Aufgabenstellung ist dann, auch wenn sie vage abgefasst ist, in der Sache ziemlich festgelegt. Dann wird im Folgenden von „Detaillieren“ gesprochen. Die Ausführungen zum Konkretisieren gelten abgeschwächt auch für das Detaillieren in dem Fall, dass die Vertragspartner ein Spezifikationsverfahren vereinbart haben. Je gröber die Aufgabenstellung abgefasst ist, desto größer ist die Zahl möglicher vertragskonformer Spezifikationen im vereinbarten Qualitätsniveau. Desto dringender ist die intensive Abstimmung bei der Konkretisierung, und desto stärker ist der Auftragnehmer zu dieser verpflichtet. Beispiel für die Detaillierung der Aufgabenstellung In der Aufgabenstellung heißt es: „zulässiger Ausschuss: 5 Stück.“ Bezogen auf welche Losgröße: die Gutmenge oder die Gutmenge plus dem Ausschuss? Der Auftragnehmer darf nicht selbst entscheiden, etwa gemäß dem, was üblich ist. Der Kunde bleibt für sein Gesamtprojekt verantwortlich. Der Auftragnehmer ist für die Durchführung des gemeinsamen Teilprojekts zuständig, insbesondere für das Befragen des Kunden. Für einzelne Bereiche der Aufgabenstellung kann das Vorgehen unterschiedlich vorgesehen sein. Der Kunde hat die Aufgabe, im Rahmen der Vereinbarungen Entscheidungen im Hinblick auf die Nutzung des künftigen Systems zu treffen, auch organisatorische. Der Auftragnehmer hat den Kunden <?page no="176"?> 176 7.3 Durchführung dabei zu unterstützen, indem er diesem erläutert, welche Möglichkeiten das System bieten wird (Basis Standardprodukte) oder bieten kann (Basis Entwicklung), und ihn entsprechend befragt. Sollten die Vertragspartner das Vorgehen nicht geregelt haben, kommt es bei der ergänzenden Vertragsauslegung darauf an, ob es mehr um das Konkretisieren oder mehr um das Detaillieren geht. (1) Erarbeitung der Spezifikation Die beiden Vorgehensweisen können beispielhaft, wie in der Abbildung formuliert, vereinbart werden. Die folgenden Erläuterungen gehen in beiden Konstellationen davon aus, dass der Auftragnehmer die Konkretisierung bzw. Detaillierung operativ führt und das Dokument „Spezifikation“ formuliert. Auszug aus einem Programmerstellungsvertrag 1. Aufgabenstellung 1.1 - 1.6 ... (einzelne Funktionen der Programme) 1.7 Die erforderlichen / Diverse / Geeignete Statistiken sind zu programmieren. 2. Durchführung Der Auftragnehmer wird die Aufgabenstellung • in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden konkretisieren, • in (enger) Abstimmung mit dem Kunden detaillieren, eine Spezifikation erarbeiten, ausformulieren und dem Kunden zur Freigabe vorlegen. Die freigegebene Spezifikation ersetzt die bisherige Aufgabenstellung. 3. Die Vergütung • Festpreis für die Spezifikation, später Festpreis für die Realisierung (oder gleich ein Festpreis insgesamt, wie das beim Konkretisieren kaum konzeptgerecht ist) • nach Aufwand für die Spezifikation, später Festpreis für die Realisierung (1.1) Vorgehen beim gemeinsamen Konkretisieren Die Vertragspartner haben vereinbart, die Konkretisierung gemeinsam vorzunehmen. Die rechtliche Analyse muss dem gerecht werden, dass es hier nicht nur um die Detaillierung innerhalb von dem geht, <?page no="177"?> 7 Werkverträge 177 was bereits im Vertrag festgelegt ist, sondern dass erhebliche Gestaltungsräume bestehen, die die Vertragspartner gemeinsam füllen wollen. 83 Die Vertragspartner beschließen also, erst einmal zu diesem Zweck zusammenzuarbeiten. Wäre der Vertrag nur für diese Phase geschlossen worden, wäre er wahrscheinlich ein Dienstvertrag. Also liegt insgesamt ein Werkvertrag mit einer dienstvertraglichen Anfangsphase vor. Der Auftragnehmer ist für die operativen Aufgaben zuständig, soweit diese nicht in der Sphäre des Kunden anfallen. Für die anschließende Realisierung soll die Spezifikation die verbindliche Vorgabe sein. Aus der Zielsetzung der Zusammenarbeit ergibt sich, dass die Spezifikation schriftlich zu erstellen ist. Dabei schuldet der Auftragnehmer dieses Dokument nicht als Ergebnis, sondern übernimmt nur die Funktion des Formulierungs- und Schreibdienstes für das gemeinsam erarbeitete Ergebnis [→ vgl. Kap. 7.9 (1), S. 217]. Der Auftragnehmer ist dafür zuständig, dass die Spezifikation in ein funktionierendes System umgesetzt werden kann, schuldet ein solches System also als Endergebnis. [→ Zur Pflicht, den Kunden wegen dessen Vorgaben zu warnen, vgl. Kap. 7.7 unter „Fehlerhafte Anforderungen des Kunden“, S. 211] Abbruch des Projekts: Die Vertragspartner sind sich zunächst nur über das Ansteuern dieses Zwischenziels einig. Sie müssen sich zusammenraufen. Insofern nehmen sie von vornherein die Möglichkeit in Kauf, dass sie sich nicht einigen werden. - Dass diese Analyse richtig ist, zeigt die in der Praxis häufig verwendete Formulierung: „Die Spezifikation wird gemeinsam erarbeitet und wird dann Vertragsbestandteil.“ Einigen sich die Vertragspartner nicht, fehlt ein wesentlicher Vertragsbestandteil endgültig. Damit entfällt der Vertrag mit Wirkung für die Zukunft. Dieser Zeitpunkt kann bei enger Zusammenarbeit jederzeit eintreten, nicht erst, wenn der Kunde die Spezifikation freigeben soll. Die Vertragspartner sind verpflichtet, sich um eine Einigung zu bemühen. Es lässt sich nicht exakt beurteilen, ob sie das tun. Maßstab dürfte sein, dass ein Vertragspartner den Vertrag verletzt, wenn er die Einigung gegen Treu und Glauben verhindert, d.h. wenn der 83 Da die Vertragspartner gemeinsam arbeiten, kann § 315 oder § 316 BGB (= der Auftragnehmer kann seine Leistung nach Treu und Glauben bestimmen) auch nicht analog angewendet werden. <?page no="178"?> 178 7.3 Durchführung Kunde zu viel verlangt bzw. der Auftragnehmer zu wenig liefern will (entsprechend § 162 BGB). Dementsprechend können die Vertragspartner streiten, was eine vertragsgerechte Konkretisierung ist. Wenn die Vertragspartner während der Konkretisierung auseinandergehen, ohne dass der Auftragnehmer sich treuwidrig verhalten hat, steht diesem m.E. ein dem geleisteten Teil der Arbeit entsprechender Anteil an der Vergütung zu. Anderenfalls kann der Kunde Schadensersatzansprüche haben. 84 Es spielt keine Rolle, ob die Vertragspartner bereits einen Festpreis für die Realisierung vereinbart haben. Die Kosten sind für jeden Vertragspartner ein legitimer Faktor für den Abbruch. Wenn es dem Auftragnehmer nur um eine zusätzliche Vergütung und zusätzliche Zeit geht, kann er sich möglicherweise auf die Störung der Geschäftsgrundlage stützen. Der Kunde kann es seinerseits tun, wenn die Vergütung nach Aufwand mehr als das Doppelte von dem bisher geschätzten Aufwand erreichen dürfte [→ Kap. 4.9, S. 116]. Der Auftragnehmer kann die Realisierung bereits ohne freigegebene schriftliche Spezifikation begonnen haben. Weil die Spezifikation als Maßstab für die Vertragsgemäßheit des Systems so wichtig ist, kann der Kunde diese weiterhin fordern, auch wenn er dieses Vorgehen eine Zeit lang bereits mitbekommen hat. Der Kunde kann auf dieses Recht verzichten, auch durch schlüssiges Handeln, beispielsweise indem er erklärt, was aus seiner Sicht am System noch zu ändern und/ oder zu ergänzen sei. (1.2) Detaillierung in Abstimmung mit dem Kunden Der Auftragnehmer soll die Aufgabenstellung in Abstimmung mit dem Kunden in einer Spezifikation detaillieren, der Kunde soll diese freigeben. Der Auftragnehmer ist stark verpflichtet, den Kunden zu führen. Das System soll die spezifischen Anforderungen des Kunden im vereinbarten Qualitätsniveau abdecken. Also soll der Auftragnehmer die spezifische Situation des Kunden ermitteln, damit er sie später im System abbilden kann (gegebenenfalls über Änderungs- oder Zusatzverlangen, wenn der Kunde merkt, dass er anderes oder mehr braucht). Das kann er nur im engen Kontakt mit dem Kunden tun. 84 Ähnlich sieht § 650 r BGB ein Sonderkündigungsrecht bei Architekten- und Ingenieurverträgen für den Fall vor, dass der Kunde der vom Auftragnehmer erarbeiteten Planungsgrundlage nicht zustimmt. Die bisher erbrachten Leistungen sind zu vergüten, unbeschadet bleiben Ansprüche gegen den Auftragnehmer aus Haftung. - Von gemeinsamer Arbeit ist nicht einmal die Rede. <?page no="179"?> 7 Werkverträge 179 Der Kunde hat die Aufgabe, Informationen zu liefern, und zwar möglichst richtige und verbindliche [→ Kap. 7.3.2 (2), S. 182]. Das heißt nicht, dass er bestimmen darf, was der Auftragnehmer zu realisieren hat. Der Gestaltungsspielraum des Auftragnehmers kann allerdings aufgrund von Sachzwängen nahezu entfallen. Beispiel für Gebundenheit an Vorgaben des Kunden Bei der Erstellung von Software hat der Auftragnehmer die Anforderungen zu befolgen, wie rechnungsspezifische Rabatte zu ermitteln sind. Auch hier kann es zum Streit über die Vergütung kommen, wenn bereits ein Festpreis vereinbart worden ist. Hier ist die Aufgabenstellung aber weniger offen; deswegen steht das Auseinandergehen weniger im Raum. Ein Recht zum Abbruch des Projekts wie bei gemeinsamer Arbeit in (1.1) dürfte deswegen nicht bestehen [→ siehe hier Kap. 7.3.2 (1.1) unter „Abbruch des Projekts“, S. 177], wohl aber ein Kündigungsrecht für den Kunden [→ Kap. 7.3.4, S. 199]. (1.3) Der Einfluss der Preisform Vergütung nach Aufwand oder Festpreis: Der Einfluss der Preisform ist sehr groß sowohl für die Erstellung der Spezifikation als auch für die anschließende Realisierung. Einfluss auf die Erstellung der Spezifikation Bei einem Festpreis trägt der Auftragnehmer weitgehend das finanzielle Risiko, bei Vergütung nach Aufwand weitgehend der Kunde. Bitte denken Sie auch an den parallelen Einfluss auf den Zeitbedarf. Festpreis: Es droht, dass der Aufwand für das Konkretisieren, möglicherweise auch der für das Detaillieren, aus dem Ruder läuft: Der Kunde möchte Funktionen auf bestimmte Art realisiert haben. Selbst wenn das für die spätere Realisierung kostenneutral sein sollte: Es müssen Gespräche geführt werden; auch kundeninterne. Diese können sich hinziehen, bis der Kunde seine Entscheidung getroffen hat. Das kann beim Auftragnehmer zu nicht nutzbaren Wartezeiten führen. Streit liegt nahe, ob die Anforderungen, die der Kunde äußert, durch den bisherigen Festpreis abgedeckt sind oder nicht. Das führt zu Aufwand. Auch das Festlegen der gewöhnlichen Verwendbarkeit und Beschaffenheit (dritter Bereich der Sollbeschaffenheit) kann zu langwierigen Diskussionen führen [→ Kap. 7.2.1 (3), S. 167. Dieser Aufwand ist entsprechend der Art des Systems durch einen <?page no="180"?> 180 7.3 Durchführung Festpreis in sachgerechtem Umfang abgegolten. Für den darüber hinaus gehenden Aufwand kann der Auftragnehmer eine zusätzliche Vergütung wegen unzulänglicher Mitwirkung verlangen; auf Verschulden kommt es nicht an [→ Kap. 11.7, S. 203]. Die Rechtslage geht also in Ordnung. Der Auftragnehmer wird aber Schwierigkeiten mit der Zahlungswilligkeit des Kunden haben, schließlich auch mit den Auswirkungen auf die Atmosphäre. Vergütung nach Aufwand: Die Vertragspartner brauchen nicht zu diskutieren, ob der Kunde unangemessen viel Aufwand verursacht. Denn er bezahlt diesen sowieso. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die Mitarbeiter des Kunden darauf hinzuweisen, sich nicht zu verzetteln. Einfluss auf die künftige Realisierung Der Festpreis kann von vornherein vereinbart worden sein (Gesamtfestpreis) oder soll im Zusammenhang mit der Freigabe der Spezifikation vereinbart werden. Wenn das System auf Standardprodukten aufbaut, kommt Vergütung nach Aufwand für die weiteren Leistungen in Betracht. Festpreis für die Realisierung bereits vereinbart: Der Kunde kann - insbesondere durch seine Mitarbeiter - unbewusst Wünsche äußern, die durch den Festpreis nicht abgedeckt sind. Solche Wünsche können nur dann als Antrag zu einem Zusatzauftrag angesehen werden, wenn sich der entsprechende Wille eindeutig aus dem Zusammenhang ergibt und die Mitarbeiter Vollmacht haben. Auch die benannten Mitarbeiter, die im Rahmen von Besprechung mit dem Auftragnehmer die Anforderungen aus ihrer Sicht schildern, brauchen sich des bisherigen Auftragsumfangs nicht bewusst zu sein (sie sollen Informationen und aus ihrer Sicht beauftragte Anforderungen beschreiben) . Wenn der Auftragnehmer nicht auf den zusätzlichen Aufwand hinweist und erst später ein zusätzliches Angebot für die aufwändigere Realisierung macht, kann der Kunde auf die teurere Realisierungsweise verzichten. Dann müssen Teile der Spezifikation überarbeitet werden. Normalerweise trägt der Auftragnehmer diesen Aufwand: Der Kunde ist zwar Auslöser für den Mehraufwand. Der Auftragnehmer ist aber verpflichtet, die Konkretisierung sachgerecht zu lenken. Die Mitarbeiter des Kunden sollen in dieser Konstellation (Freigabe der Spezifikation vorgesehen) eher nicht zusätzliche Aufträge erteilen. - Andersherum liegt es, wenn der Kunde über seinen (bevollmächtigten) Projektleiter Anforderungen vorgegeben hat. <?page no="181"?> 7 Werkverträge 181 Der Kunde kann auch bewusst auf eine Konkretisierung drängen, die zu einem umfangreichen System in einem höheren Qualitätsniveau als im Vertrag vereinbart führt. Jeder Vertragspartner kann es beim Konkretisieren zum Bruch kommen lassen [→ siehe vorstehend Kap. 7.3.2 (1.1) unter „Abbruch des Projekts“, S. 177]. Auf der Auftragnehmerseite sollten Sie selbst konsequent reagieren, wenn der Kunde unbewusst mehr als vereinbart verlangt. Wenn er das bewusst macht, sollten Sie Ihre Leitungsebene darüber informieren. Festpreis noch zu vereinbaren: Das Risiko liegt weitgehend beim Kunden. Die Vertragspartner können das Risiko verteilen [→ auch über die Maßnahmen in Kap. 7.4 (2) unter „Beschränkungen in der Höhe“ hinaus, S. 201]. Die Mitarbeiter des Kunden brauchen, wenn sie den Auftragnehmer über ihre Wünsche informieren, nicht an den Realisierungsaufwand zu denken [→ siehe auch Kap. 7.3.2 (2), S. 178]. Wenn ein Mitarbeiter des Kunden sehr kostenträchtige Anforderungen stellt, ist der Auftragnehmer verpflichtet, den Projektleiter des Kunden frühzeitig auf den Realisierungsaufwand hinzuweisen. (1.4) Erstellen einer Spezifikation nicht vereinbart Soweit die Vertragspartner keine ausdrückliche Vereinbarung treffen, greift die ergänzende Vertragsauslegung wie folgt ein [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]. Der Auftragnehmer kann das Vorgehen in seiner Zuständigkeit festlegen. Das kann bis dahin gehen, dass der Auftragnehmer eine Spezifikationsphase wie vorstehend beschrieben einschlägt. Allerdings kann er die Variante „engen Zusammenarbeit“ nur mit Zustimmung des Kunden wählen, weil diese dem Kunden zwar eine umfangreiche Mitarbeit ermöglicht, diesen aber damit überfordern kann. Der Auftragnehmer kann auch die Vorgehensweise wählen, dass er die Anforderungen Stück für Stück in Abstimmung mit dem Kunden konkretisiert bzw. detailliert, ohne eine umfassende Freigabe vorzusehen. Die Festlegungen sollen dann jeweils alsbald mit einer positiven Stellungnahme des Kunden verbindlich werden, ggf. also nach einer Überarbeitung. Weiterhin müssten die Vertragspartner berücksichtigen, dass der Kunde Träger seines Gesamtprojekts 85 bleiben und damit weitgehend 85 Oberste Leitungsebene im Sinne von DIN EN ISO 9000 <?page no="182"?> 182 7.3 Durchführung für die übergreifenden Sach- und Managementaufgaben zuständig sein würde, insbesondere für sein Veränderungsmanagement. Der Auftragnehmer müsste den Kunden nahezu ebenso wie bei der Projektdurchführung mit Spezifikation unterstützen. (2) Verbindlichkeit von Aussagen zu Anforderungen [→ Zu Protokollen siehe Kap. 7.3.1 (3), S. 173] Im Ansatz gehört es zur Aufgabe des Kunden, die Verbindlichkeit zu erklären. Denn Aussagen des Kunden sollen alsbald verbindlich werden, damit der Auftragnehmer eine solide Basis für die weitere Arbeit hat. Der Auftragnehmer will bei einem Festpreis auch nicht doppelte Arbeit haben, wenn der Kunde seine Anforderungen ändert. Schon vom Projektmanagement her kommt in Betracht, bei Festlegungen anzugeben, wie verbindlich/ endgültig sie sein sollen. Die Arbeitsebene kann den Abschluss ihrer Arbeit erklären. Die Projektleiter können für die Erklärung von deren Verbindlichkeit zuständig sein und diese in ein Konzept einarbeiten. Der Lenkungsausschuss kann dieses Konzept nach einiger Zeit freigegeben. Es kommt auch in Betracht, die Verbindlichkeit einzuschränken, etwa weil sich im Laufe der zunehmenden Konkretisierung der Aufgabenstellung Änderungen aufdrängen werden oder sogar geboten sein werden. In unserer Konstellation „Freigabe der Spezifikation“ liegt das nahe. Diese Maßnahmen - im Interesse der Gesamteffektivität und Gesamteffizienz - können punktuell Reibungsverluste verursachen. Der Auftragnehmer ist deswegen verpflichtet, den Kunden zu warnen, dass seine Entscheidungen im Laufe des Projektfortschritts möglicherweise keinen Bestand haben werden. Die Reibungsverluste können zu Auseinandersetzungen führen, wenn ein Festpreis für die Erarbeitung der Spezifikation und für die Realisierung (und entsprechende Termine) bereits vereinbart worden ist. Dann geht es darum, inwieweit der Aufwand für die Überarbeitung durch den Festpreis abgedeckt ist. Das Vorgehen und die Art der Verbindlichkeit können im Vertrag geregelt sein (besonders im Projekthandbuch). Die Festlegungen können sich auch indirekt ergeben, beispielsweise aus Aussagen im Projektplan („Der Auftragnehmer schickt zur Bestätigung …“). Es gibt allerdings verschiedene Gesichtspunkte, sodass die Auslegung unsicher ist. <?page no="183"?> 7 Werkverträge 183 Hilfsweise ergeben sich die Regeln zur Verbindlichkeit aus der ergänzenden Vertragsauslegung [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]:  Ist der Kunde zur Erklärung der Verbindlichkeit verpflichtet?  Wer auf Kundenseite hat die Vollmacht dazu?  Inwieweit kann der Kunde die Erklärung widerrufen, ohne bei einem Festpreis (einem festen Termin) die nachteiligen Konsequenzen tragen zu? [→ Er ist weitgehend berechtigt, Änderungen zu beauftragen; siehe Kap. 7.3.3, S. 193]. Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass Festlegungen allgemein unter dem Vorbehalt stehen, dass deren Integration auf höherer Ebene Änderungen erfordern kann [→ siehe im Folgenden unter „Vorbehalt der Gesamtprüfung“, S. 184]. Der Empfänger beim Kunden muss schon ausdrücklich als für die Fragestellung verantwortlich benannt worden sein, um eine Mini-Vollmacht erhalten zu haben [→ Kap. 3.2 (2) unter „Mini-Vollmacht“, S. 75]. Eine solche Vollmacht umfasst nicht solche Verlangen, die zu einer zusätzlichen Vergütung führen. Wenn der Auftragnehmer Anforderungen zusammen mit verschiedenen Mitarbeitern des Kunden konkretisiert oder sich die benötigten Informationen bei verschiedenen Mitarbeitern des Kunden holt, darf er sich eher nicht auf diese Informationen und damit auf deren Antworten verlassen. Dafür braucht er schon eine Aussage des als verantwortlich benannten Mitarbeiters. Wenn der Auftragnehmer diese Aussagen den Gesprächspartnern beim Kunden selbst schriftlich wiedergibt, darf er nur eine Stellungnahme erwarten, ob er deren Aussagen korrekt wiedergegeben hat. Wenn der Auftragnehmer Aussagen dem Projektleiter des Kunden mitteilt, darf er von diesem einen Stellungnahme zur Verbindlichkeit fordern. Der Auftragnehmer sollte viel über die (bevollmächtigten) Projektleiter kommunizieren, auch zur Verbindlichkeit von Aussagen des Kunden. Die Vertragspartner können Festlegungen auch ergänzend während des Konkretisierens oder Detaillierens treffen - unbeschadet von Maßnahmen im Vertrag. [→ Zur Variante, dass der Auftragnehmer nur nach der richtigen Wiedergabe fragt, siehe Kap. 7.3.1 (1), S. 171] <?page no="184"?> 184 7.3 Durchführung Formulierungen des Auftragnehmers Der Auftragnehmer fragt, ob seine Formulierung verbindlich sein soll. Nicht: „… schicken zur Stellungnahme“ Sondern (in zwei Varianten): „Sie haben / Ihre Seite hat folgende Festlegungen zu THEMA getroffen: … Wir bitten um Bestätigung.“ „Wir fassen die Anforderungen, die Sie gemacht haben, / die die Arbeitsgruppe gemacht hat, / wie folgt zusammen: … Wir bitten um Bestätigung, dass wir diese Anforderungen realisieren / dem System zu Grunde legen / in die Spezifikation übernehmen sollen.“ Vorläufige Festlegungen: Es kann auch sinnvoll sein zu vereinbaren, dass der Kunde erst einmal nur vorläufige Festlegungen trifft und verbindliche erst auf der Basis eines größeren Zusammenhangs. Seine als verantwortlich benannten Mitarbeiter dürften deswegen aufgrund der ergänzenden Vertragsauslegung Vollmacht haben, im Einzelfall zu erklären, dass Festlegungen nur vorläufig verbindlich sein sollen [→ Kap. 2.3 (2) unter „Ergänzende Vertragsauslegung“, S. 55]. Die Vorläufigkeit bedeutet, dass die bisherigen Festlegungen des Kunden bis dahin noch nicht bindend sein sollten, sondern nur die Arbeit an der Spezifikation unterstützen sollten. Bei vorläufigen Festlegungen nimmt der Auftragnehmer im Falle eines Festpreises Doppelarbeit in Kauf. Die Doppelarbeit hat ihre Grenzen. Wenn der Kunde später von bisherigen Festlegungen, auch von vorläufigen, abweicht, weil er nicht ordentlich gearbeitet hat, möchte der Auftragnehmer einen Ausgleich für die unnötige Doppelarbeit haben. Diese kann und muss er auf Verschulden des Kunden stützen [→ Kap. 4.6, S. 113, bzw. Kap. 11.7, S. 258]. Eine solche Forderung verursacht wahrscheinlich Ärger. Vorbehalt der Gesamtprüfung: Ist eine solche vereinbart, dürfte gemäß Treu und Glauben gelten, dass die Spezifikation nach Fertigstellung aller Teile bei Bedarf konsistent gemacht werden muss. Der Auftragnehmer muss deswegen erst am Ende der Erstellungsphase die Konsistenz überprüfen und gegebenenfalls in Absprache mit dem Kunden herstellen. Eine solche Überprüfung kann auch schon für Zwischenstände vereinbart werden. - Es eine Sache der Vernunft, dass der Auftragnehmer sich schon vorher um Konsistenz bemüht. <?page no="185"?> 7 Werkverträge 185 Dass der Kunde bei einer solchen Prüfung Änderungen zu verlangen berechtigt ist, kann ihm erst einmal kaum vorgeworfen werden. Denn seine bisherigen Aussagen bzw. Stellungnahmen galten nur isoliert, d.h. dass der Kunde nicht verbindlich erklären musste, ob deren Inhalte mit anderen (bereits konkretisierten oder noch zu konkretisierenden) zusammenpassen würden. Diese Einschränkung gilt wiederum kaum, insoweit der Auftragnehmer in früheren Darstellungen bereits auf die Frage des Zusammenpassens eingegangen ist und der Kunde in seinen Stellungnahmen keine Vorbehalte gemacht hat. Zu berücksichtigen ist bei dieser Abwägung, dass jeder Vertragspartner von vornherein nach Treu und Glauben verpflichtet ist, den anderen auf mögliche künftige Probleme hinzuweisen, soweit er selbst diese bereits zu erkennen vermag. (3) Anforderungen an die Spezifikation Spezifizierungsgrad: Die Spezifikation soll als Vorgabe für die Realisierung des Systems dienen. Die Spezifikation soll in die Richtung gehen, dass der Auftragnehmer sie mit einzelnen Rückfragen umsetzen kann. Bei einer auch nur etwas umfangreichen Aufgabenstellung lässt sich das Ziel kaum erreichen. Das heißt, dass auch die Spezifikation tendenziell eine im Detail noch nicht vertragsgerechte Lösung beschreibt (sei es hinsichtlich aufwandsneutraler Details, sei es hinsichtlich des geschuldeten Qualitätsniveaus). Also kommt auch bei einem Festpreis in Betracht, dass der Kunde nach der Freigabe der Spezifikation noch etwas mehr verlangen kann. [→ Kap. 7.3.2 (5.1) unter „Überarbeitung der Spezifikation bei Festpreis“, S. 191] Darstellung: Die Spezifikation muss so abgefasst sein, dass der Kunde in der Lage ist, diese zu verstehen und hinsichtlich der Auswirkungen des Systems auf seine Zielerreichung und auf seine Organisation zu beurteilen. Wenn vereinbart ist, dass die Spezifikation der Benutzerschaft die künftige Lösung vorstellen soll, muss sie für diese insoweit verständlich sein. Das bedeutet, dass sie insoweit mehr an einer Benutzerdokumentation ausgerichtet sein soll als an einem systemtechnischen Entwurf. Werkzeuge, die die Realisierungsphase unterstützen/ erleichtern sollen, können die Verständlichkeit der Spezifikation beeinträchtigen. Der Auftragnehmer darf beeinträchtigende Funktionen beim Erstellen der Spezifikation nur einsetzen, wenn das vereinbart worden ist oder wenn diese die Verständlichkeit nur unwesentlich beeinträchtigen. <?page no="186"?> 186 7.3 Durchführung Der Abgleich mit der Aufgabenstellung gemäß Vertrag würde erleichtert werden, wenn die Spezifikation wie jene gegliedert werden würde. Die Spezifikation sollte aber eher in der Struktur abgefasst sein, in der das System realisiert werden soll. Der Kunde hat also keinen Anspruch auf eine identische Gliederung. Pflicht, auf Abweichungen von der ursprünglichen Aufgabenstellung hinzuweisen: Bei gemeinsamer Konkretisierung [→ Kap. 7.3.2 (1.1), S. 176] ist dem Kunden das Ergebnis aufgrund seiner intensiven Mitarbeit bekannt; zumindest ist rechtlich davon auszugehen. Ein Anspruch auf zusätzliche Information besteht kaum. Bei Detaillierung durch den Auftragnehmer in Abstimmung mit dem Kunden [→ siehe hier Kap. 7.3.2 (1.2), S. 178] ist zu bedenken, dass der Kunde die Spezifikation gründlich durcharbeiten soll. Abweichungen sollten ihm eigentlich auffallen. Andererseits kann der Abgleich wegen des unterschiedlichen Aufbaus der Dokumente schwierig sein. Ein Anspruch auf zusätzliche Information dürfte desto eher bestehen, je schwerer der Kunde Abweichungen erkennen kann. Auf die Tatsache, dass Abweichungen mit seinen Mitarbeitern besprochen worden sind und also bekannt sein sollten, kann nur mit Vorsicht abgestellt werden. Denn die dafür eingeschalteten Mitarbeiter brauchen nicht für die Überprüfung zuständig zu sein. Weisen Sie als Auftragnehmer vorsorglich in der Spezifikation darauf hin, in welchen Bereichen gegenüber der Aufgabenstellung gemäß dem ursprünglichen Vertrag viel geändert worden ist. (4) Die Freigabe der Spezifikation [→ Zur Änderung von Festlegungen, die aufgrund der Integration auf höherer Ebene erforderlich werden, siehe hier Kap. 7.3.2 (2) unter „Vorbehalt der Gesamtprüfung“, S. 184]. Bei der Freigabe der Spezifikation insgesamt oder von Bereichen geht es weniger um etwas wie eine Abnahmeerklärung (= „Die Aufgabenstellung ist korrekt umgesetzt worden.“/ „Das haben wir geprüft, das ist im Verhältnis zur Vorgabe fehlerfrei.“). 86 Sondern es geht mehr um die Erklärung des Kunden: „Das haben wir überprüft. So wollen wir es haben. / So soll es gemacht werden.“ Wegen dieser Zielsetzung 86 Din EN ISO 69001-5 unter 3.22: Erlaubnis zur Durchführung nachfolgender Arbeiten mit festgelegtem Inhalt. Im Sinne von DIN EN ISO 9000: 2015 geht es nicht um Verifikation, sondern um eine frühe Stufe der Validation. <?page no="187"?> 7 Werkverträge 187 wird hier von der „Freigabe“ der Spezifikation gesprochen [→ vgl. dazu Kap. 7.2 unter „Die Eigenschaften des Werks … noch nicht fest“, S. 160]. 87 (4.1) Pflicht zur Freigabe der Spezifikation Zum ordnungsgemäßen Projektmanagement gehört nach Treu und Glauben nicht nur der formale Abschluss einer jeden Phase (unbeschadet der Rückkehr zu ihr im Falle von Änderungen/ Ergänzungen der Anforderungen), sondern gehören auch die Überprüfung und die Freigabe der jeweiligen Ergebnisse durch den Kunden. Der Prozess des Konkretisierens bzw. Detaillierens soll zu einem ‒ zumindest vorläufigen ‒ Abschluss kommen. Auch bei einer Spezifikation, die der Aufgabenstellung gerecht wird, kann der Kunde die Freigabe ablehnen, wenn der Auftragnehmer die Konkretisierung bzw. Detaillierung nicht angemessen mit ihm abgestimmt hat. Also trägt der Auftragnehmer die Beweislast dafür, dass er die Spezifikation pflichtgemäß abgestimmt hat. „Pflicht“ zur Freigabe: Liegt eine Pflicht oder eine Obliegenheit vor? Die Unterschiede sind gering [→ Kap. 11.7, S. 258]. Für eine Pflicht spricht, dass ein Vertrag geändert wird. Es geht auch wie bei der Abnahme um eine (vorgelagerte) Voraussetzung für die Zahlungspflicht; diese ist als Pflicht geregelt [→ Kap. 7.6 (2), S. 207]. Technische Eigenschaften: Der Auftragnehmer schuldet die technische Tauglichkeit des Systems. Dementsprechend hat der Kunde im Normalfall nicht die Aufgabe, die technische Seite der Vorstufe des Systems zu beurteilen und freizugeben; seine Freigabe betrifft also die technische Seite eher nicht. Der Kunde kann aber von sich aus die technische Seite bereits in den Vertrag aufgenommen haben oder während der Vertragsdurchführung diese Seite in die Besprechungen eingeführt haben. Dann bezieht sich die Freigabe auch auf diese Seite. [→ Zur Verantwortung des Auftragnehmers siehe Kap. 7.7 am Anfang unter „Fehlerhafte Anforderungen …“, S. 211] 87 Der Kunde könnte auch ‒ zu seinem Nachteil ‒ ausdrücklich die Abnahme als definitiven Abschluss erklären. Dann hätte er sozusagen seinen Segen gegeben und hätte kaum noch Anspruch auf Feinanpassung der Spezifikation innerhalb eines Festpreises [→ siehe (5) unter „Überarbeitung der Spezifikation bei Festpreis“, S. 152]. <?page no="188"?> 188 7.3 Durchführung (4.2) Wirkung der Freigabe Die freigegebene Spezifikation wird zur neuen verbindlichen Aufgabenstellung, unabhängig davon, welche Seite die Spezifikation formuliert hat:  Die Anforderungen des Kunden sind im Hinblick auf das zu erstellende System verbindlich dargestellt.  Die gewählte Lösung entspricht den Wünschen des Kunden. Beispiel In der Aufgabenstellung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses steht: „Antwortzeit im Dialog maximal 3 sec“. In der Spezifikation ist das fallgruppenspezifisch von maximal 2 sec bis zu maximal 5 sec differenziert worden. 88  Entscheidungsräume des Kunden sind wunschgemäß gefüllt worden.  Der Kunde genehmigt Kürzungen der ursprünglichen Aufgabenstellung. Ebenso akzeptiert der Auftragnehmer Erweiterungen durch deren Aufnahme in die Spezifikation. Er kann aber einen Vorbehalt hinsichtlich der Vergütungspflicht machen. Die Freigabe bezieht sich nur auf diejenigen Teile der Aufgabenstellung laut Vertrag, die in der Spezifikation abgehandelt werden. Im Übrigen gilt die ursprüngliche Fassung des Vertrags weiter. Beispiel Anforderungen im Vertrag an die Dokumentation oder an das Zeitverhalten brauchen in der Spezifikation nicht angesprochen zu sein. (4.3) Verzögerung der Freigabe der Spezifikation Die Freigabe ist ein wichtiger Schritt. Der Kunde ist verpflichtet, diese zügig durchzuführen. Verzögert der Kunde die Prüfung, drohen dem Auftragnehmer Leerzeiten. Der Auftragnehmer muss dann im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht dafür sorgen, dass entstehende Leerzeiten seiner Mitarbeiter und sonstige Nachteile auf seiner Seite insgesamt gering bleiben. Also hat er unverzüglich den Kunden zu warnen und dessen Weisung einzuholen, 88 Wenn der Kunde nach der Freigabe monieren würde, dass die Differenzierung nicht sachgerecht sei, würde er sich bereits auf Mängelhaftung berufen. <?page no="189"?> 7 Werkverträge 189  ob er sein Projektteam zusammenhalten und Leerzeiten verursachen soll oder nicht. Das muss der Kunde entscheiden, auch weil nur dieser abschätzen kann, wie lange die Verzögerung voraussichtlich dauern wird,  und für den Fall, dass der Kunde ihn auffordert, das Team zusammenzuhalten, mit welchen Arbeiten an der Realisierung der Auftragnehmer sein Team beschäftigen soll (~ Wo sind Änderungsverlangen am wenigsten zu erwarten? ). Ohne Freigabe müssten Sie als Auftragnehmer auf ungesicherter Basis weiterarbeiten. Vertane Zeit droht. Mehraufwand lässt sich kaum überzeugend darlegen und also kaum durchsetzen. Warum sollte der Kunde sich binden, wenn Ihre Seite auch ohne Freigabe weiterarbeitet. Aufgrund der bisherigen Zusammenarbeit können Sie beurteilen, wie wichtig es ist, dem Kunden frühzeitig zu verdeutlichen, dass Ihre Seite nur an solchen Teilen weiterarbeiten wird, die der Kunde freigegeben hat. (4.4) Auslegung der Spezifikation Spezifikation vom Auftragnehmer formuliert: Diese ist gegen ihn auszulegen. Soweit er in ihr solche Begriffe aus den Gesprächen verwendet, die der Kunde beim Spezifizieren in einem bestimmten Sinne verwendet hat, darf der Kunde davon ausgehen, dass der Auftragnehmer diese Begriffe so wie der Kunde versteht. Soweit die Spezifikation erkennbar pauschal gehalten ist, kann das Verschiedenes bedeuten, insbesondere:  Die Realisierung soll sich nach den Details der Anforderungen des Kunden richten. Das ist dann anzunehmen, wenn es im Wesentlichen um die Umsetzung bereits bestehender Abläufe geht und das künftige Verfahren nicht erst noch konkretisiert werden muss (Stichwort: Sollkonzept dazu innerhalb der weiteren Konkretisierung nicht nötig). Beispiel Bei einem Software-Projekt sind im Vertrag Statistiken aufgeführt, die übernommen werden sollen. Soweit die Statistiken verbessert werden können, weil zusätzliche Daten zur Verfügung stehen werden, wird eine angemessene Verbesserung geschuldet. Wenn eine allgemeine Anforderung dahin geht, dass das neue System mehr grafische Darstellungen ermöglichen soll, wird auch das für die Statistiken geschuldet. <?page no="190"?> 190 7.3 Durchführung  Andersherum: Laut Spezifikation soll ein Abschnitt später noch konkretisiert/ detailliert werden. Dann bedarf die spätere Konkretisierung/ Detaillierung erneut der Freigabe. Der Kunde darf davon ausgehen, dass der Auftragnehmer die spätere Konkretisierung/ Detaillierung für unproblematisch hält, dass er als Kunde also ein Ergebnis entsprechend dem bekommen soll, wie die pauschal gebliebene Anforderung fairerweise zu behandeln ist (das ist offener als die noch vorzunehmende Feinanpassung). [Siehe hier Kap.7.3.2 (5.1) unter „Überarbeitung der Spezifikation bei Festpreis“, S. 191] Spezifikation vom Kunden formuliert: Diese ist ebenfalls gegen den Ersteller auszulegen. Begriffe sind branchenüblich zu verstehen, soweit sie nicht in einer kundenspezifischen Bedeutung mitgeteilt worden sind. Pauschal gehaltene Teile sind nicht so zu verstehen, dass die Konkretisierung noch fortgesetzt werden solle, sondern dass diese Teile nur noch detailliert werden sollen. (4.5) Nichteinigung über die Spezifikation Wenn die Vertragspartner die Spezifikation gemeinsam erarbeitet haben und sich über diese sich jetzt nicht einigen, kann jeder von ihnen den Projektvertrag beenden, sei es mit oder ohne Zahlungspflichten [→ Kap. 7.3.2 (1.1), S. 176]. 89 Bei Bedarf Wenn ein Vertragspartner finanziell günstiger aus dem Vertrag herauskommen will, kann er eine Nachfrist wegen Verzugs setzen 90 und nach deren nutzlosem Ablauf ein Rücktrittsrecht behaupten. Wahrscheinlich ist nur einer von beiden berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten (und Vergütung oder Rückzahlung oder Schadensersatz zu verlangen). Jeder von beiden kann aber auch der Position des anderen unter Vorbehalt zustimmen: Der Kunde kann die Spezifikation unter dem Vorbehalt freigeben, dass er sich Ansprüche auf weitere Leistungen vorbehalte. Er kann auch einen vom Auftragnehmer verlangten Zusatzauftrag erteilen, sich aber eine Klage auf Rückzahlung vorbehalten. - Der Auftragnehmer kann seinerseits die Anforderung des Kunden in die Spezifikation aufnehmen und dazu erklären, dass er sich eine Klage auf zusätzliche Vergütung vorbehalte. Der endgültige Liefertermin richtet sich nach dem endgültigen Zeitbedarf [→ Kap. 4.3, S. 110]. Ende 89 Bei Detaillierung in Abstimmung mit dem Kunden besteht eher kein solches Recht [→ Kap. 7.3.2 (1.2) am Ende, S. 178]. 90 Der Kunde wegen Verzugs bei der vertragsgemäßen Erstellung, der Auftragnehmer wegen Verzugs bei der Freigabe <?page no="191"?> 7 Werkverträge 191 (5) Die Behandlung der Spezifikation nach deren Freigabe (5.1) Die Überarbeitung der Spezifikation bei einem Festpreis Die Spezifikation mag die Ergebnisse der Spezifikationsphase sachgerecht wiedergeben. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass die Spezifikation während der Realisierung noch überarbeitet werden muss. Der Kunde hat Anspruch auf ein gewisses Niveau gemäß der ursprünglichen Aufgabenstellung [→ Kap. 7.2.1, S. 160]. Dieses ist wahrscheinlich noch nicht ganz erreicht worden. Es kann auch Inkonsistenzen geben. Der Kunde ist berechtigt, die Differenz nach der Freigabe der Spezifikation noch geltend zu machen [→ siehe hier Kap. 7.3.2 (3) unter „Spezifizierungsgrad“, S. 185]. Diese Differenz lässt sich nur abstrakt bestimmen. Der Kunde ist nicht berechtigt, zu verlangen, was er in der Spezifikationsphase auch nicht hätte verlangen können. Diese Einschränkung wird für den Kunden dadurch abgemildert, dass der Auftragnehmer die Beweislast dafür trägt, dass er dessen Anforderungen ordnungsgemäß erfragt hat [→ Kap. 7.3.2 am Anfang, S. 174]. Der Auftragnehmer wird also einzelne Anforderungen nachspezifiziert müssen. 91 Das wird wahrscheinlich jeweils ziemlich am Anfang nach der Freigabe (oder nach einer Teilfreigabe) erforderlich werden, wenn er einen Bereich der Realisierung mit dem Kunden angeht. Es besteht also eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Nachspezifikation am Anfang eines Realisierungsschritts mehr dazu dient, das geschuldete Qualitätsniveau zu erreichen, und es im Laufe der Zeit immer mehr darum geht, dass der Kunde aufgrund seines Lernprozesses zusätzliche/ geänderte Anforderung stellt. Mitverschulden des Kunden ist hinsichtlich des zusätzlichen Aufwands zu berücksichtigen. Soweit der Auftragnehmer die Spezifikation noch offen formuliert hat, ist diese kundenfreundlich zu vervollständigen [→ Kap. 7.3.2 (4.4), S. 189]. (5.2) Die Fortschreibung der Spezifikation und weiterer Dokumente Wird der Inhalt eines Dokuments geändert, das an den anderen Vertragspartner geht und später noch von diesem gebraucht wird, sei es als Maßstab für das geschuldete Ergebnis oder als Teil der Dokumen- 91 Daneben bleibt die Aufgabe, Details, die in der Spezifikation noch offengelassen sind, abzuarbeiten. Das führt aber kaum zur Änderung des Dokuments Spezifikation, ist eher unkritisch und deswegen hier nicht gemeint. <?page no="192"?> 192 7.3 Durchführung tation, so ist das Dokument fortzuschreiben. 92 Dazu gehört auch, dass nach der Beauftragung von Änderungs- und Zusatzverlangen die Dokumente, die bis zu dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Änderungsverlangens erstellt worden sind und durch das Änderungsverlangen berührt werden, zur Förderung der Eindeutigkeit fortgeschrieben werden. [→ vgl. Kap. 7.3.3 (2) unter „Fortschreibung der bisher erarbeiteten Dokumente“, S. 197] (5.3) Vorlage von Zwischenergebnissen Der Auftragnehmer kann von sich aus Zwischenergebnisse (möglicherweise unselbstständige Teile der Endergebnisse) vorlegen und den Kunden auffordern, deren Richtigkeit oder deren Wunschgemäßheit zu prüfen und u.U. auch zu bestätigen (im Interesse der Sache und damit der Auftragnehmer auf spätere Kritik antworten kann, dass der Kunde Defizite früher hätte monieren müssen). Eine solche Bestätigung der Richtigkeit ist weniger als eine Teilabnahme. Formulierungsvorschlag für den Kunden: „Wir haben wunschgemäß … geprüft und halten … für ein vertragsgemäßes Zwischenergebnis. Diese Aussage erfolgt ohne Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und ist keine teilweise Abnahmeerklärung.“ An der Überprüfung kann der Kunde ein eigenes Interesse haben (Qualitätssteuerung, aber auch interne Rückkoppelung zwecks Lernprozess); eine verbindliche Überprüfung und die Bestätigung fallen ihm hingegen schwer, insbesondere weil er u.U. nicht alles überschauen kann und weil er den Auftragnehmer von dessen Verantwortung für den Lösungsweg nicht befreien will. Obliegenheiten oder sogar Pflichten des Kunden können deswegen nach Treu und Glauben nur vorsichtig bejaht werden. Auch wenn der Kunde ein Zwischenergebnis gebilligt hat, hat er, wenn sich später Lücken oder sonst sachliche Mängel zeigen, Anspruch auf Lückenfüllung oder sonstige Mängelbeseitigung. Er verliert diesen Anspruch nur, wenn er den Mangel zum Zeitpunkt der Billigung gekannt hat (gemäß oder entsprechend § 442 BGB) [→ Kap. 92 Die Aufgabenstellung gemäß Vertrag braucht normalerweise nicht fortgeschrieben zu werden, weil die Spezifikation sie ersetzen soll [→ Kap. 7.3.2 (4.2), S.188]. <?page no="193"?> 7 Werkverträge 193 6.4.5 (1), S. 146]. 93 Er kann aber nicht mehr vorbringen, dass er es gern anders bekommen würde. Hat der Kunde allerdings im Vertrag die Prüfung übernommen, hat er bei schuldhafter Verletzung der Pflicht oder der Obliegenheit, also schon bei Fahrlässigkeit, dem Auftragnehmer den Schaden zu ersetzen (= den Mehraufwand, der sich daraus ergibt, dass die Leistung erst jetzt erbracht wird). Mitverschulden des Auftragnehmers ist zu berücksichtigen. 7.3.3 Änderungs- und Zusatzverlangen, Change- Request-Verfahren, Claim-Management Drei Begriffe stehen für drei Aspekte: Änderungs- und Zusatzverlangen: Hat ein Vertragspartner das Recht, Änderungen der vereinbarten Leistungen zu verlangen? Und soweit er - in erster Linie der Kunde - dazu berechtigt ist: Was kann der andere Vertragspartner - in erster Linie der Auftragnehmer - als Ausgleich verlangen? Ein gewisser Streit ist vorprogrammiert, ob überhaupt ein Änderungs- oder Zusatzverlangen vorliegt und welchen Mehraufwand dieses verursacht. Change-Request- (CR)-Verfahren: Es geht um die inhaltliche und die rechtliche Abwicklung von Änderungs- oder Zusatzverlangen und von Gegenforderungen. Die Vertragspartner können ein Verfahren vereinbaren, wie solche Verfahren abgewickelt werden sollen, insbesondere Zusatzaufträge [siehe PM-AN, Kap. 3.3.4.3]. Claim-Management : Wie das Wort zeigt, geht es um das Management der Leitungsebene, vorrangig beim Auftragnehmer. Thema ist, dass diese Ebene die Ansprüche gegenüber dem Kunden absichern sollte: ein CR-Verfahren im Vertrag aufnehmen sowie interne Prozeduren schaffen und deren Einhaltung durchsetzen, so dass Ansprüche wegen Änderungs- und Zusatzverlangen rechtzeitig und erfolgreich geltend gemacht werden [→ siehe im Folgenden (2) unter „Verzicht auf Gegenansprüche …“, S. 198]. Beispiele für Ausreden bei verzögerter Geltendmachung Der Auftragnehmer will rechtfertigen, dass er seine Nachforderungen erst sehr spät stellt: „In der heißen Projektphase hatten wir keine Zeit dafür, uns um Nachträge zu kümmern.“ 93 Zur Rechtslage bei grober Fahrlässigkeit fragen Sie Ihren Rechtsberater. <?page no="194"?> 194 7.3 Durchführung „Wenn wir zu dem Zeitpunkt mit Nachforderungen gekommen wären, wäre das Projekt geplatzt.“ In der Praxis ist weniger problematisch, dass der Kunde eine zusätzliche Leistung ausdrücklich wünscht, als dass bei einem Festpreis das Konkretisieren oder Detaillieren der Aufgabenstellung zu einem Mehr an Leistung führt. Für Sie auf der Auftragnehmerseite geht es dann darum, das CR-Verfahren zu befolgen. Sie sollen den Kunden alsbald warnen, dass ein solches Mehr droht, sowie Material sammeln und aufbereiten. Unter das Claim-Management wird oft auch das Management von Ansprüchen wegen unzulänglicher Mitwirkung des Kunden gepackt. Da ist es für den Auftragnehmer wegen der Beweislast noch wichtiger, zeitnah zu handeln, wenn er seine Ansprüche durchsetzen will [→ Kap. 11.7, S. 195]. Vorsicht vor dem sog. „Nachforderungsmanagement“ DIN 69905: 1997 enthielt die Empfehlung an den Auftragnehmer, erst einmal Material zu beschaffen, um später noch Nachforderungen geltend machen zu können. Das ist als kontraproduktiv in DIN 69901- 2: 2009-01 abgeschwächt worden: Der Auftragnehmer soll dafür sorgen, dass „mögliche Nachforderungen gegenüber dem Auftraggeber gesichert“ werden. Das reicht oft nicht aus: Dem Auftragnehmer drohen erhebliche Schwierigkeiten, Ansprüche später durchzusetzen. Zu seinen Lasten kommen in Betracht: Verzicht durch Schweigen, Zustimmung zur Auslegung der Leistungsbeschreibung durch deren Umsetzung entsprechend den Verlangen des Kunden sowie Darlegung und Nachweis des Mehraufwands. Der Kunde kann seinerseits in die Offensive gehen: Er kann Verschiedenes behaupten: Lieferverzug, Minderleistungen oder Mängel, deren Beseitigung sehr teuer werden würde. Er kann auch noch Schadensersatz geltend machen und deswegen einen Teil der Vergütung einbehalten. Als Auftragnehmer sollten Sie auf Ihrer Ebene von vornherein ein internes „Protokoll über Mehraufwand“ führen, zumindest bei einem Festpreis. <?page no="195"?> 7 Werkverträge 195 Tragen Sie einen Aufwand ein, der aus der Sicht eines fairen Auftragnehmers zusätzlich vergütet werden sollte. Sehen Sie zusätzlich vor - eine Zeile für die Begründung, - eine Zeile dafür, wann Sie die Position streichen sollten, weil Ihre Seite diese nicht mehr durchsetzen will oder kann. Sehen Sie auch eine Zeile für jeden spürbaren Mehraufwand vor, den Sie dem Kunden bereiten. Sie bekommen damit auch ein Bild, wo die Schwachstellen - auf beiden Seiten - liegen, und können überlegen, wie Sie denen entgegenwirken können. (1) Das Recht des Kunden, Änderungen/ Zusätze zu verlangen Normalerweise mag sich der Auftragnehmer über zusätzliche Aufträge freuen. Aber was, wenn einer ihm nicht passt: Kann er den einfach ablehnen? Der Kunde hat im Rahmen von Treu und Glauben Anspruch darauf, dass der Auftragnehmer Änderungen des Vertrags, insbesondere solche der Aufgabenstellung, zustimmt. Der Auftragnehmer ist desto eher dazu verpflichtet, je stärker das Konzept des Vertrags zu solchen Änderungsverlangen führt. Beispiel Konkretisieren: Die Aufgabenstellung ist noch nicht endgültig konkretisiert, oder ein großer Lerneffekt des Kunden, was er wirklich braucht, ist zu erwarten. Das gilt in der Realisierungsphase weniger; denn der Auftragnehmer muss die Möglichkeit haben, den Auftrag erst einmal zu einem Ende zu bringen, damit die Vertragspartner sich dann neu konzentrieren können. Die Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers bildet auf jeden Fall die Grenze (fachlich und von der Verfügbarkeit seiner Ressourcen her). 94 Beispiel Der Auftragnehmer kann solche Zusatzaufträge auf die Zeit nach dem Produktivstart verschieben, die nicht bis zum geplanten Termin für den Produktivstart umgesetzt sein müssen. 94 §§ 650b bis 650d BGB räumen dem Kunden beim Bauvertrag weitgehende Rechte ein, Änderungen durchzusetzen. Sie tun das allerdings ziemlich spezifisch, sodass diese Vorschriften nicht entsprechend auf andere Werkverträge angewendet werden können. Die Existenz dieser Vorschriften gebietet allerdings noch stärker als bisher, den Kunden für berechtigt zu halten, Änderungen zu verlangen. <?page no="196"?> 196 7.3 Durchführung (2) Gegenansprüche des Auftragnehmers Der Auftragnehmer kann seine Zustimmung von der Anpassung aller von der Änderung betroffenen Vertragsbedingungen abhängig machen. Im Vordergrund stehen Termine und Preise. Beispiele (1) Zahlungstermine: Der Auftragnehmer will mit Liquidität wie geplant versorgt werden. Es solle bei den bisherigen Zahlungsterminen datumsmäßig bleiben, auch wenn diese bisher an das Erreichen von bestimmten Zwischenzielen geknüpft seien. (2) Der Kunde soll Test- oder Dokumentationsaufgaben des Auftragnehmers übernehmen, weil dieser seine Kapazitäten nach dem vorgesehenen Vertragsende schon weitestgehend verplant hat. Bei einem Festpreis muss der Auftragnehmer darlegen, dass das Verlangen des Kunden zu einem höheren Aufwand führt. „Bagatellgrenze“: Ein rechtlicher Grund, kleinere Änderungsverlangen als durch einen Festpreis abgegolten anzusehen, ist über die Überarbeitung der Spezifikation hinaus nicht anzuerkennen [→siehe hier Kap.7.3.3 (5) unter „Überarbeitung der Spezifikation bei Festpreis“, S. 191]. Der Auftragnehmer muss zwar mit solchen Änderungsverlangen rechnen; er braucht sie aber nicht in den Festpreis einzukalkulieren, schon weil sich diese nicht vorab pauschal abschätzen lassen. Ermittlung des genauen Verlangens: Der Auftragnehmer hat Anspruch darauf, dass der Kunde ihm das Verlangen zumindest mit einer solchen Genauigkeit mitteilt, wie die Aufgabenstellung bei Vertragsabschluss abgefasst worden ist. 95 Ist der Kunde damit überfordert, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als den Auftragnehmer mit der Abfassung zu beauftragen. Für Sie auf der Auftragnehmerseite geht es darum, von vornherein deutlich zu machen, dass der Kunde zusätzliche Leistungen verlangt. Zur Vermeidung von Streit braucht Ihre Seite eine ausdrückliche Bestätigung einer bevollmächtigten Person des Kunden. Der Auftragnehmer hat Anspruch auf Vergütung für diese Unterstützung (§ 632 BGB). Denn es geht noch nicht um den Aufwand, ein An- 95 Das entspricht § 650b Abs. 1 Satz 4 BGB. <?page no="197"?> 7 Werkverträge 197 gebot für einen Auftrag zu erstellen. 96 Der Auftragnehmer kann diesen Vergütungsanspruch durch Schweigen verlieren [→ siehe im Folgenden (2) unter „Verzicht auf Gegenansprüche mehr…“, S. 198]. Die Vertragspartner können allerdings vereinbart haben, dass der Aufwand in die zusätzliche Vergütung einkalkuliert werden soll. Entsprechenden dem Stand des Projektes und der vereinbarten Vorgehensweise kann der Auftragnehmer verlangen, dass erst einmal die Spezifikation ergänzt und erneut freigegeben wird, bevor er die Änderung in die Realisierung einbezieht. Gegebenenfalls sind auch andere Dokumente betroffen und müssen fortgeschrieben werden. Fortschreibung der bisher erarbeiteten Dokumente: Im Interesse der ordnungsgemäßen Abwicklung der Beauftragung kann der Auftragnehmer verlangen, dass diese Dokumente bei Bedarf fortgeschrieben werden. [→ Kap. 7.3.2 (5.2) unter „Fortschreibung der Spezifikation und weiterer Dokumente“, S. 191] Bestimmung des angemessenen Ausgleichs: Der Auftragnehmer hat Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich. Erst einmal geht es um den Aufwand bis zur Angebotserstellung, also um den, der vorstehend beschrieben worden ist. Da drängt sich aus rechtlicher Sicht Vergütung nach Aufwand auf. Zur Vergütung für die Umsetzung des Verlangens: Es kann um die für die Spezifikation und/ oder um die für die Realisierung gehen. Es dürfte schwer sein, den erforderlichen Aufwand zu ermitteln, wenn ursprünglich ein Festpreis vereinbart worden ist. Das gilt insbesondere, wenn der Aufwand für die bisher vorgesehene Realisierung nicht gesondert geschätzt worden ist. Wenn der zusätzliche Aufwand nicht gut abgegrenzt werden kann, ist Vergütung nach Aufwand kaum die angemessene Vergütungsform. Da der Auftragnehmer ursprünglich einen Festpreis akzeptiert hat, ist ihm auch jetzt normalerweise zuzumuten, einen Festpreis für die Änderung anzubieten. Denn er hat ja bisher behauptet, dass er den Auftrag kalkulieren könne, und jetzt kennt er die Aufgabenstellung besser. - Wenn der Auftragnehmer einen Festpreis anzubieten verpflichtet ist, hat er andersherum einen Anspruch darauf, dass ein solcher vereinbart wird. Wenn sich die Vertragspartner über die Auswirkungen eines Änderungsverlangens auf die Vertragsbedingungen, insbesondere auf die 96 Das geht auf eigene Kosten [→ Kap. 3.1.2 (3), S. 49]) <?page no="198"?> 198 7.3 Durchführung zusätzliche Vergütung, nicht einigen können, können sie vereinbaren, dass das Verlangen auf jeden Fall realisiert werden soll. Dann steht es dem Auftragnehmer zu, die Auswirkungen nach Treu und Glauben zu bestimmen (§ 316 BGB). Verzicht auf Gegenansprüche durch Unterlassen des Geltendmachens: Fraglich ist, ob der Auftragnehmer, wenn er einem Änderungsverlangen erst einmal zustimmt, später noch Gegenforderungen geltend machen kann, etwa wenn er mit der Bearbeitung von diesem Mehr an Leistung beginnt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er die Zustimmung ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln erklärt hat, etwa durch die Aufnahme in eine Spezifikation. 97 - Haben die Vertragspartner ein CR-Verfahren vereinbart, kommt es auf dessen Regelungen an. Haben die Vertragspartner kein CR-Verfahren vereinbart, sind die Umstände abzuwägen: Einerseits gilt eine Vergütung gemäß § 632 BGB als „stillschweigend“ vereinbart, wenn die Realisierung des Zusatzes oder der Änderung den Umständen nach nur gegen eine (zusätzliche) Vergütung zu erwarten ist, etwa wegen beträchtlicher Kosten. Es macht durchaus Sinn, dass die Vertragspartner sich erst einmal über die Leistung des Auftragnehmers einigen. 98 [→ Kap. 7.1 unter „Hauptpflicht des Kunden“, S. 157] Andererseits wird der Auftragnehmer tätig. Sein Verhalten spricht dafür, dass es bei den bisherigen Abmachungen bleiben soll, insbesondere wenn Schriftform vereinbart ist. Schließlich kann der Auftragnehmer sehr einfach den Vorbehalt machen, dass er sich Gegenforderungen vorbehalte. Die Vertragspartner können auch einfach absprechen, dass erst einmal in der Sache Klarheit geschaffen und dann erst über Geld (und Termine) gesprochen werden solle. Es kommt auf das gesamte Verhalten des Auftragnehmers an, also auch schon auf die Reaktion beim Ermitteln des genauen Verlangens [→ siehe hier Kap.7.3.3 (2), S. 196]. Ist der Mehraufwand gering, spricht das für einen Verzicht. Weiterhin nimmt der Auftragnehmer durch sein Verhalten dem Kunden die Mög- 97 Da der Auftragnehmer etwas tut (= schlüssiges Handeln), braucht der Kunde sich kaum auf dessen Schweigen zu stützen. 98 Mangelt es an der Beauftragung, kann der Auftragnehmer trotzdem Ansprüche auf Vergütung aus ungerechtfertigter Bereicherung haben (§§ 812 ff. BGB), wenn die zusätzlichen Leistungen für den Kunden notwendig waren und der Kunde sie anderenfalls selbst oder durch einen Dritten hätte erbringen müssen. Besprechen Sie das mit Ihrem Rechtsberater. <?page no="199"?> 7 Werkverträge 199 lichkeit, die ohnehin schwierige Ermittlung des Mehraufwands zu beurteilen und zu verhandeln oder sogar auf die Änderung zu verzichten. Denken Sie bei der Formulierung des Zusatzvertrags daran, dass dieser den Grundvertrag ändert. Formulieren Sie den Zusatzvertrag also so, dass er genau zu dem Grundvertrag passt - zu diesem in dessen aktuellem Stand. (3) Der Auftragnehmer wünscht Änderungen Auch der Auftragnehmer kann Vorschläge machen, die zu Änderungen des Vertrags führen, Die Vertragspartner können vereinbaren, dass auch diese innerhalb eines vereinbarten CR-Verfahrens abgehandelt werden sollen. Der Kunde ist gemäß Treu und Glauben zur Zustimmung verpflichtet, sofern die Änderung für ihn zumutbar ist. Bei dieser Abwägung sind die Voraussetzungen für die Zumutbarkeit allerdings hoch anzusetzen. 7.3.4 Freies Kündigungsrecht des Kunden Bei Bedarf Der Kunde braucht sich die Leistung des Auftragnehmers nicht aufdrängen zu lassen, wenn er sein Interesse an dieser verloren hat. Deswegen kann er einen Werkvertrag jederzeit kündigen (§ 648 BGB). Der Kunde bleibt zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der Auftragnehmer muss sich allerdings das abziehen lassen, was er an Ausgaben tatsächlich erspart (er muss seine Mitarbeiter weiterhin bezahlen, erspart also insoweit wenig) bzw. was er anderweitig durch den Einsatz der freigewordenen Kapazität erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. § 648 BGB „vermutet“, dass dem Auftragnehmer (nur) 5% derjenigen Vergütung zusteht, die sich auf den entfallenden Teil der Leistung bezieht. Will der Auftragnehmer einen höheren Anteil erhalten, muss er beweisen, dass der Verlust höher ist. Die Vorschrift ist dem Wortlaut nach so hart formuliert, damit die Beweislast für den höheren Verlust auf den Auftragnehmer geschoben wird. Insbesondere soll er darlegen, dass er die freigewordenen Kapazitäten nicht anderweitig gewinnbringend genutzt hat bzw. nicht hat nutzen können [→ Kap. 2.2.3 (2), S. 47]. Bei Vergütung nach Aufwand gilt nichts Anderes. Der Auftragnehmer muss darlegen, welche Vergütung er erzielt hätte, wenn er den Auftrag vollständig durchgeführt hätte. Ende <?page no="200"?> 200 7.4 Vergütung 7.4 Vergütung Die Vergütung kann für die einzelnen Leistungen in verschiedenen Formen vereinbart werden. (1) Festpreis Ein Festpreis deckt alle Leistungen ab, die notwendig sind, auch wenn diese im Vertragsdokument nicht aufgeführt sind [→ Kap. 7.2.2, S. 168]. Der Auftragnehmer übernimmt diejenigen Risiken, die man als das Ausführungsrisiko zusammenfassen kann. [→ Zur Belastungsgrenze siehe Kap. 4.9 „Störung der Geschäftsgrundlage“, S. 116] Leistungsabdeckungsklausel: Sie beinhaltet, dass der Auftragnehmer alle erforderlichen Leistungen zu erbringen hat, um ein gemäß der Aufgabenstellung funktionsfähiges Ergebnis zu erreichen, auch wenn diese im Vertragsdokument nicht aufgeführt sind. Die Klausel setzt nicht voraus, dass ein Festpreis vereinbart worden ist. Bei einem Festpreis betont sie, dass ein funktionsfähiges Ergebnis zu liefern ist. Preisabdeckungsklausel: Der Kunde wünscht die Klarstellung, dass nur diejenigen Leistungen zu vergüten sind, für die das im Vertrag ausdrücklich vereinbart ist. 99 Beispiel Bei einem Vertrag sind für die Standardprodukte Preise vorgesehen, im Abschnitt für deren Inbetriebnahme ist Vergütung nach Aufwand vorgesehen. In einem weiteren Abschnitt ist die Schulung an-gesprochen, dort ist keine Vergütung angegeben. Dann ist auch keine zu zahlen. (2) Vergütung nach Aufwand [→ Siehe allgemein Kap. 4.2 unter „Vergütung nach Aufwand“, S. 108] Vergütungspflichtige Tätigkeiten: Welche Tätigkeiten im Einzelnen abgerechnet werden können, ist teilweise schwierig zu bestimmen. Möglicherweise sind einige durch die vereinbarten Vergütungssätze abgegolten oder fallen unter die Akquisition von Zusatzaufträgen oder unter die allgemeinen Geschäftskosten. 99 Das soll den Vermutungen in §§ 612 und 632 BGB entgegenwirken, dass Leistungen im Zweifelsfall zu vergüten sind. <?page no="201"?> 7 Werkverträge 201 Beispiele (1) Die Vorbereitung eines Gesprächs über einen Zusatzauftrag ist vergütungspflichtig, auch die Nachbereitung bis zum Beginn der Erstellung eines Angebots. Zur Nachbereitung gehört, wie sich der Zusatz (auch eine Änderung) auf das System insgesamt auswirkt, nicht aber die Erarbeitung der Einzelheiten des Angebots [→ Kap. 7.3.3 (2) unter „Ermittlung des genauen Verlangens“, S. 148]. (2) Projektleitungsaufgaben wie das Schreiben von Berichten sind vergütungspflichtig, die Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen des Projektleiters mit seinem Vorgesetzten sind es nicht. Es ist Sache der Leitungsebene des Auftragnehmers, Richtlinien zu erstellen und diese auch mit dem Kunden zu vereinbaren. Fehlerhaftes Arbeiten: Wer arbeitet, macht Fehler und verursacht neben nutzlos aufgewendeter Arbeitszeit auch weitere Kosten, beispielsweise für nicht mehr nutzbares Material. Erfolgt das fahrlässig, hat der Kunde ein Schadensersatzanspruch dahingehend, dass er die Arbeitszeit und das nicht mehr nutzbare Material nicht zu bezahlen braucht [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Wer als Auftragnehmer solche Kürzungen sowie weitere Schadensersatzleistungen vermeiden wollte, müsste sehr vorsichtig arbeiten und würde entsprechend viel Zeit verbrauchen. Der Kunde müsste diese bezahlen. Der Auftragnehmer sollte lieber nicht unwirtschaftlich vorgehen. Er soll eher einige Fehler machen, die nicht zu hohen Schäden führen und die er während der Projektdurchführung oder später beseitigen kann. 100 Die Voraussetzungen dafür, dass der Auftragnehmer fahrlässig handelt, werden also erhöht. [→ Allgemein zum wirtschaftlichen Vorgehen siehe Kap. 4.2 unter „Vergütung nach Aufwand“, S. 109. Zu den Auswirkungen auf die Mängelhaftung siehe Kap. 7.7 (2) unter „Vergütungspflicht bei Vergütung nach Aufwand“, S. 212] Beschränkungen in der Höhe Die Vertragspartner können die Höhe der insgesamt zu zahlenden Vergütung wie folgt beschränken. Kostenanschlag (auch „Kostenvoranschlag“ genannt) : Dieser übt nur Druck auf den Auftragnehmer aus. Er bindet den Auftragnehmer nicht an eine bestimmte Höhe der Vergütung, sondern gibt dem Kun- 100 Bei der Erstellung von Software ist die Testphase (für das Finden und das anschließende Beseitigen von Fehlern) ausdrücklich im Arbeits- und Terminplan vorgesehen, also als reguläre Leistung. <?page no="202"?> 202 7.4 Vergütung den nur das Recht zur Kündigung für den Fall, dass der Kostenanschlag wesentlich überschritten wird (§ 649 BGB). Für die Wesentlichkeit kommt es insbesondere darauf an, wie verlässlich die Kalkulationsgrundlage ist. Beispiel In einem Angebot heißt es: „Wir schätzen den Aufwand auf xxx Tage.“ In einem anderen heißt es: „Bei unserem derzeitigen Kenntnisstand Ihrer Aufgabenstellung schätzen wir den Aufwand auf xxx Tage.“ Bei der zweiten Formulierung muss die Überschreitung höher als bei der ersten sein, um wesentlich zu sein. Vor allem ist bei der zweiten Formulierung die Schwelle für Beratungsverschulden höher [→ Kap. 3.4, S. 97]. Zusätzlicher Aufwand, der durch die Vereinbarung zusätzlicher Leistungen entsteht, ist bei der Beurteilung außen vor zu lassen. Der Auftragnehmer ist zur Information verpflichtet, sobald eine wesentliche Überschreitung des Kostenanschlags droht. Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, macht er sich schadensersatzpflichtig. Dann muss er den Kunden so stellen, wie dieser gestanden hätte, wenn er diesen rechtzeitig informiert hätte. - Der hätte dann was gemacht? Den Projektvertrag gekündigt? Der Auftragnehmer kann den Kostenanschlag schuldhaft zu niedrig angesetzt haben. Wenn bereits ein Vertrauensverhältnis bestanden hat, führt das zur Schadensersatzpflicht [→ Kap. 3.4, S. 97]. Der Kunde müsste darlegen, dass er den Projektvertrag sonst nicht oder nicht in dieser Weise geschlossen hätte. Obergrenze und Zirkapreis: Bei der Obergrenze wird der Aufwand nur vergütet, bis diese erreicht ist. Der Auftragnehmer muss die Leistung dann auf seine Kosten fertig stellen. Der Zirkapreis ist eine Vereinbarung über Vergütung nach Aufwand nicht nur mit einer Obergrenze, sondern auch mit einer Untergrenze, beispielsweise: „+/ - 10 %“. Wenn der Auftragnehmer unterhalb des Mindestbetrags (im Beispiel: 90 % des Zirkapreises) bleibt, soll er zusätzlich die Differenz bis zu diesem sozusagen als Prämie erhalten. Wenn das Intervall nicht in beide Richtungen worden ist, ist es vom Auftragnehmer nach Treu und Glauben zu bestimmen (§ 316 BGB). - Die Auftragnehmerseite versteht unter einem Zirkapreis häufig so etwas wie einen Festpreis, den sie in bestimmtem Umfang anzupassen berechtigt ist. Dabei ist meist nicht klar, in welchem Umfang und auf welcher Grundlage das zulässig sein soll. <?page no="203"?> 7 Werkverträge 203 Auch die Obergrenze und der Schätzpreis stehen unter dem Vorbehalt, dass sich die Aufgabenstellung nicht ändert. Der Kunde wird also nicht vor sich selbst geschützt. Im Zweifelsfall fallen auch die Reisekosten unter die Beschränkung. (3) Fälligkeit der Vergütung Soweit die Vertragspartner nichts anderes vereinbaren, wird die Vergütung erst mit der Abnahmeerklärung fällig. Das gilt auch bei Vergütung nach Aufwand. § 641 Abs. 4 BGB sieht vor, dass die Vergütung ab der Abnahme mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen ist (4% gemäß § 246 BGB allgemein bzw. 5% gemäß § 352 HGB bei Handelsgeschäften). Die Zinsen sind Fälligkeitszinsen, also geschuldete Vergütung und nicht Verzugszinsen. Der Auftragnehmer kann Abschlagszahlungen „in Höhe der von ihm erbrachten und nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen verlangen. Die Leistungen sind durch eine Aufstellung nachzuweisen, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglichen muss“ (§ 632a BGB). Die Höhe der Abschlagszahlung ist schwierig zu bestimmen, wenn die Vertragspartner keine einzelnen Vergütungspositionen vereinbart haben. Voraussetzung ist nicht, dass die Vertragspartner Teilleistungen vereinbart haben, auch nicht, dass der Kunde die Leistung bereits nutzen kann. Bei Mängeln in solchen erbrachten Leistungen kann der Kunde die Zahlung eines angemessenen Teils der Abschlagszahlung zurückhalten. Zahlungsverweigerung wegen Mängeln: Der Kunde kann die bei Abnahme fällige Zahlung so lange verweigern, wie er die Abnahme wegen Mängeln verweigern kann. Wegen unwesentlicher Mängel kann er die Zahlung nicht verweigern (§ 640 Abs. 1 BGB). [→ Zur Leistungsverweigerung allgemein siehe Kap. 4.8, S. 115, zu der beim Werkvertrag Kap. 7.6 (2), S. 207] Der Kunde kann auch noch später die Zahlung eines solchen Anteils verweigern, wenn er erst später einen Mangel meldet. Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers: Dieser ist vorleistungspflichtig. Für Abschlagszahlungen wird die Vorleistungspflicht des Auftragnehmers in deren Höhe aufgehoben (ggf. unter Abzügen wegen Mängeln). Zahlt der Kunde den (ggf. reduzierten) Abschlag nicht, hat der Auftragnehmer also im Normalfall ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der weiteren Leistungen. <?page no="204"?> 204 7.5 Terminvereinbarungen 7.5 Terminvereinbarungen (1) Liefertermin Ist ein Liefertermin nicht vereinbart worden, bestimmt dieser sich nach der allgemeinen Vorschrift für Termine, also nach dem Zeitbedarf für die zügige Vertragsdurchführung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (§ 271 BGB). Der Auftragnehmer muss den Zeitbedarf begründen [→ Kap. 4.3, S. 110]. Dabei kann es darauf ankommen, in welchem Umfang und wann die Mitarbeiter beider Seiten mitarbeiten müssen. Dieser Umfang kann sich aus einem Termin- und Arbeitsplan ergeben. Wenn der Auftragnehmer auf operativer Ebene einen Zeit- und Arbeitsplan erstellt, verpflichtet er sich damit, sich zu bemühen, diesen einzuhalten. Wenn der Kunde dem seinerseits nicht widerspricht, stimmt er diesem als Plantermin zu. Wenn der Auftragnehmer in Verzug gerät, wird über das weitere Vorgehen und dabei über Termine gesprochen. Das kann beinhalten, wie lange die Nachfrist aus der Sicht des Auftragnehmers sein müsse, das kann aber auch als Vereinbarung eines neuen Liefertermins einzuordnen sein. Ist das der Fall, wird der Verzug aufgehoben. Wenn Sie als Kunde mit dem Auftragnehmer darüber sprechen, wie sich der Verzug auf den Liefertermin auswirken würde, achten Sie darauf, dass sie über die Dauer des Verzugs und nicht über einen neuen Liefertermin sprechen. Anforderungen an die Mängelfreiheit am vereinbarten Liefertermin: Der Maßstab für die erforderliche Mängelfreiheit hängt davon ab, ob der Kunde das System nach der Lieferung gleich produktiv einsetzen will oder ob er erst einmal dessen Tauglichkeit im Rahmen der Abnahmeprüfung prüfen will. Im ersten Fall haben die Vertragspartner eine klare Vereinbarung getroffen, dass die Einsatzreife und damit die Abnahmereife bereits bei Lieferung gegeben sein sollen. Im zweiten Fall soll der Auftragnehmer noch die Möglichkeit haben, während des Prüfzeitraums Mängel zu beseitigen. Wenn es nahe liegt, dass solche Mängel schnell beseitigt werden können, braucht die Einsatzreife zum Zeitpunkt der Lieferung noch nicht ganz erreicht zu sein. Das Prüfen soll aber nicht darüber hinaus der Mängelsuche dienen, sondern im Wesentlichen nur die Einsatzreife bestätigen. Es ist Sache des Auftragnehmers, bei Bedarf den Kunden vor der Lieferung in den Prüfbetrieb einzubinden oder von vornherein mit ihm einen langen Prüfzeitraum zu vereinbaren. <?page no="205"?> 7 Werkverträge 205 Treten zu Beginn des Prüfzeitraums alsbald Mängel auf, die den sachgerechten Start des Prüfens wesentlich behindern, kann der Kunde die Erklärung des Auftragnehmers, dass das System zur vereinbarten Abnahmeprüfung bereit sei, zurückweisen [→ siehe ergänzend Kap. 7.6 (2), S. 207]. (2) Termin für die Abnahmeerklärung (nach der Abnahmeprüfung) § 640 Abs.1 BGB sieht nur die Pflicht des Kunden zur Abnahme(-erklärung) vor. Der Termin für diese bestimmt sich nach der allgemeinen Vorschrift für Termine. Also: sofort, wenn aus den Umständen nichts anderes zu entnehmen ist (§ 271 BGB) [→ Kap. 4.3, S. 110]. Eine Abnahmeprüfung ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Der Kunde muss also den Zeitbedarf für diese aus den Umständen ableiten, die für eine Abnahmeprüfung sprechen. Der Zeitbedarf richtet sich danach, wie lange der Kunde für eine sachgerechte Prüfung braucht. Eine solche verschiebt die Pflicht zur Erklärung der Abnahme und damit die zur Zahlung der Vergütung. Dieser Umstand spricht dafür, dass der Kunde die Prüfung eher zügig durchzuführen hat. Allerdings sieht § 640 Abs. 2 BGB nicht nur vor, dass der Auftragnehmer dem Kunden eine kurze Frist, sondern mindestens eine angemessene Frist für die Abnahme(-erklärung) und damit für die Abnahmeprüfung setzen muss [→ hier Kap. 7.6 (4) unter „Nichterteilung der Abnahme“, S. 167]. Das Werkvertragsrecht geht davon aus, dass die Vertragspartner die Dauer der Abnahmeprüfung vereinbaren. Eine Frist von mehr als 30 Tagen ist nur wirksam, wenn sie für den Auftragnehmer nicht grob unbillig ist (§ 271a Abs. 3 BGB). Der Umstand, dass der Kunde das System im laufenden Betrieb überprüfen will, reicht nicht für eine Verlängerung der Frist, wenn diese Art der Durchführung nur der Bequemlichkeit oder der letzten Absicherung dient. Zur Vereinbarung der Dauer reicht aus, einen Termin für die Lieferung und einen für die Abnahmeerklärung zu vereinbaren. Ist nur ein Termin für die Abnahmeerklärung vereinbart, muss der Auftragnehmer das System vor diesem Termin entsprechend dem Zeitbedarf für die Abnahmeprüfung liefern, der sich aus den Umständen ergibt. Im Zeit- und Arbeitsplan sollten die Termine oder Plantermine für die Lieferung (BzA = Bereitstellung zur Abnahme) und für die Abnahmeerklärung bestimmt werden. Sie können im Zusammenhang mit der Freigabe der Spezifikation überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. <?page no="206"?> 206 7.6 Abnahme 7.6 Abnahme Unter „Abnahme ist nicht nur zu verstehen, dass der Kunde - wie beim Kaufvertrag - das Werk ohne Missbilligung entgegennimmt, sondern zusätzlich, dass er dieses billigt, indem er die Abnahme erklärt (§ 640 BGB). Er ist berechtigt, erst einmal das Werk auf Vertragsgerechtigkeit hin zu überprüfen [→ Kap. 7.5 (1), S. 204]. Die Entgegennahme allein kann nicht als Billigung/ Abnahmeerklärung verstanden werden. Kann das Werk seiner Natur nach nicht abgenommen werden, beispielsweise ein Workshop, tritt an die Stelle der Abnahme dessen Vollendung. Die Rechtslage ist kompliziert, weil diese erst 2017 neu geregelt worden ist, und das unklar. In der Literatur bestehen noch sehr unterschiedliche Auffassungen. In kritischen Situationen müssen Sie Ihren Rechtsberater befragen. (1) Die Abnahmeprüfung Die Abnahmeprüfung ist ein Recht des Kunden. Er ist nicht verpflichtet, das Werk im Interesse des Auftragnehmers zu prüfen. - Der Kunde mag mit der Prüfung überfordert sein. Wenn er keine Unterstützung vereinbart hat, hat er keinen Anspruch auf diese (diese ist keine automatisch geschuldete Leistung). Gemäß Treu und Glauben ist er berechtigt, diese bei Bedarf entgeltlich und so weit wie für den Auftragnehmer zumutbar zu beauftragen. [→ Kap. 7.3.1 (1) unter „Pflicht des Auftragnehmers …“, S. 204] Für die Auftragnehmerseite ist es meist klug, sich an der Abnahmeprüfung zu beteiligen, insbesondere um den Kunden bei der Handhabung des für ihn neuen Systems zu unterstützen. Der Kunde ist nicht verpflichtet, sein Prüfkonzept vorab bekanntzugeben. Denn die Abnahmeprüfung dient der Qualitätssicherung. Bei der Prüfung werden Fehlerbilder protokolliert. Wenn der Auftragnehmer das Protokoll gegenzeichnet, anerkennt er, dass die Fehlerbilder Mängel darstellen. Sorgen Sie auf Auftragnehmerseite für die Formulierung: „Der Kunde macht folgende Fehler geltend: …“ Der Auftragnehmer hat Interesse daran, Mängel bald zu beseitigen. Dazu ist er berechtigt. Er muss aber bei der Einführung von Korrek- <?page no="207"?> 7 Werkverträge 207 turmaßnahmen Rücksicht darauf nehmen, dass er die Testabläufe des Kunden möglichst wenig stört. Der Kunde kann beispielsweise verlangen, dass der Auftragnehmer Korrekturen während Einschnitten von Tests einführt oder - unter besonderen Umständen - erst am Ende des Prüfungszeitraums. (2) Abnahmepflicht Erste Voraussetzung für die Abnahmepflicht: Alle Leistungen, die bis zur Abnahmeprüfung erbracht werden sollen, müssen erbracht worden sein, also auch dienstvertragliche Leistungen wie die vereinbarte Einweisung. An die Bereitstellung zur Abnahme schließt sich die Abnahmeprüfung an. Der Kunde hat Anspruch darauf, dass das Werk zum Zeitpunkt der Bereitstellung zumindest so frei von Mängeln ist, dass er es einer sinnvollen Abnahmeprüfung unterziehen kann [→ Kap. 7.5 (1) unter „Anforderungen an die Mängelfreiheit“, S. 204]. Hat der Kunde die Prüfung bereits beginnen können und trifft nun auf starke Einschränkungen, kann er berechtigt sein, die Abnahmeprüfung zu unterbrechen oder sogar abzubrechen. Er hat dann Anspruch auf einen im Verhältnis zum insgesamt vereinbarten Prüfzeitraum noch angemessenen Prüfzeitraum. Der Kunde hat von vornherein Anspruch auf Mängelbeseitigung. Er kann von vornherein eine Nachfrist für die Mängelbeseitigung setzen und, wenn diese erfolglos verstrichen ist, vom Vertrag zurücktreten. Allerdings dürften die Voraussetzungen für den Rücktritt in dieser Phase höher als danach sein; die Nachfrist müsste mindestens bis zum vereinbarten Ende der Abnahmeprüfung reichen. Weil Mängel in gewissem Umfang unvermeidbar sind, muss der Kunde eine gewisse Menge an Mängeln in der Anlaufphase hinnehmen, wenn diese nur alsbald beseitigt werden. Insofern liegt eine typische Einschränkung der Verwendbarkeit vor. Zweite Voraussetzung: Die Überprüfung muss erfolgreich sein. Das ist der Fall, wenn das Werk am Ende des Prüfungszeitraums im Wesentlichen vertragsgemäß ist. Wenn auch nur ein erheblicher gemeldeter Mangel noch nicht beseitigt worden ist, braucht der Kunde das Werk noch nicht abzunehmen und kann weiterhin Erfüllung verlangen (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB). 101 101 Möglicherweise ist der Kunde berechtigt, die Abnahmeerklärung wegen der Menge der unwesentlichen Mängel zu verweigern. <?page no="208"?> 208 7.6 Abnahme (3) Die Abnahmeerklärung Die Abnahmeerklärung/ Billigung des Werks ist eine Willenserklärung. In Ihren Projekten dürfte diese als formeller Akt geregelt sein. Der Kunde erklärt damit nicht, dass das Werk mangelfrei sei, sondern nur, dass er es als vertragsgemäß ansehe. Abnahmeerklärung durch schlüssiges Handeln: Wenn der Kunde die (ggf. restliche) Vergütung zahlt, ist das ein sehr starkes Indiz für dessen Abnahmewillen. Auch die produktive Nutzung eines Systems ist zumindest nach dem Zeitraum für die Abnahmeprüfung ein Indiz für die Billigung. Die Nutzung kann aber auch durch Mängel beeinträchtigt sein, die gegen den Abnahmewillen sprechen, insbesondere wenn der Kunde das System bereits nutzen muss. Auch andere Umstände sind zu berücksichtigen, insbesondere inwieweit das Verhalten des Kunden Zufriedenheit ausdrückt. Wenn es keine Vereinbarungen über die Abnahmereife gibt: Auf Kundenseite sollten Sie bei einer Mängelmeldung ggf. betonen, dass das Werk leider immer noch nicht abnahmereif sei. Auf Auftragnehmerseite haben Sie nur geschäftliche Möglichkeiten, den Kunden zur Abnahmeerklärung zu bewegen. Abnahmeerklärung in Kenntnis eines Mangels: Mit dieser Erklärung (ohne Vorbehalt) billigt der Kunde den ihm bekannten Stand des Werks (§ 640 Abs. 3 BGB). Ihm droht, damit seinen Anspruch auf die Beseitigung dieser Mängel zu verlieren. 102 Aber: Abnahme unter Vorbehalt oder unter einer Bedingung: Will der Kunde die Abnahme trotz bekannter Mängel erklären, kann und muss er sich deren Beseitigung in der Abnahmeerklärung vorbehalten, damit er die Ansprüche auf Mängelbeseitigung nicht verliert. Der Vorbehalt bezieht sich nicht auf die Abnahmeerklärung, sondern nur auf den Anspruch, dass die Mängel beseitigt werden. Der Kunde will die Abnahme schon trotz der erkannten Mängel erklären: „Wir erklären die Vertragsgemäßheit der Leistung unter Vorbehalt unseres Anspruchs, dass folgende Mängel noch beseitigt werden …“ 102 Er behält aber seine Ansprüche auf Schadensersatz (§ 640 Abs. 2 BGB). Die Plausibilität dieser unterschiedlichen Regelungen ist nicht zu erkennen. <?page no="209"?> 7 Werkverträge 209 Von der Abnahme unter Vorbehalt ist die bedingte Abnahme zu unterscheiden: „Die Abnahme erfolgt unter der Bedingung, dass die Mängel bis zum _____ beseitigt werden.“ Wird die Bedingung nicht erfüllt, fällt die Abnahmeerklärung fort. 103 Der Auftragnehmer ist dann hochwahrscheinlich in Lieferverzug. Wenn der Kunde in der Abnahme unter Vorbehalt angibt, bis zu welchem Termin der Auftragnehmer die Mängel beseitigen soll, macht das die Erklärung noch nicht zu einer bedingten Abnahme. - Ist die gesetzte Frist angemessen lang und hält der Auftragnehmer diese nicht ein, kommt er mit der Mängelbeseitigung in Verzug [→ Kap. 11.3 (1), S. 253]. In allen Fällen der Abnahme ist der Kunde zur Zahlung des bei Abnahme fälligen Anteils an der Vergütung verpflichtet. Er kann die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung wegen Mängeln (vorläufig) verweigern. Das ist in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten (§ 641 Abs. 3 BGB). Teilabnahme: Diese hat dieselben Rechtsfolgen wie die Schluss-/ End- / Gesamtabnahme. Der Kunde kann auch nach einer Teilabnahme noch wegen weiterer Mängel zum Rücktritt vom Vertrag insgesamt berechtigt sein. Voraussetzung ist dann, dass er an der teilweisen Erfüllung kein Interesse hat [→ Kap. 11.2 (2), S. 251]. (4) Nichterteilung der Abnahme Der Kunde erklärt die Abnahme nicht, sei es, dass er keine Mängel gemeldet hat, sei es, dass alle wesentlichen Mängel, die er gemeldet hat, beseitigt worden sind. Der Auftragnehmer kann den Kunden erst einmal in Annahmeverzug bringen; letzterer setzt nicht Verantwortlichkeit voraus [→ Kap. 11.6, S. 257]. Damit hat der Auftragnehmer Ansprüche wegen Annahmeverzugs (sowie zumindest auf Fälligkeitszinsen [→ Kap. 7.4 (3), S. 203], aber noch nicht Anspruch auf Zahlung der Vergütung. Der Auftragnehmer kann darüber hinaus dem Kunden eine angemessene Frist für die Abnahmeerklärung setzen. 104 Wenn der Kunde nicht innerhalb dieser Frist mindestens einen Mangel gemeldet hat, gilt die 103 Vorausgesetzt, dass die Mängel wegen ihrer Schwere zur Verweigerung der Abnahme berechtigen. 104 Bei der Angemessenheit ist zu berücksichtigen, wie viel Zeit der Kunde bereits für die Abnahmeprüfung hatte. <?page no="210"?> 210 7.7 Haftung wegen Mängeln Abnahme mit Ablauf der Frist als erteilt (§ 640 Abs. 2 BGB). Strittig ist, ob der Mangel wesentlich sein muss (letzteres ist plausibel! ). Der Kunde meldet nur einen unwesentlichen Mangel: Wenn der Mangel wesentlich sein muss, tritt die Fiktion ein / wird die Abnahme unterstellt. Wenn der Mangel nur unwesentlich ist, verletzt der Kunde seine Abnahmepflicht (sofern nicht anderweitig wesentliche Mängel vorliegen) und macht sich schadensersatzpflichtig. Besprechen Sie das mit Ihrem Rechtsberater! (5) Rechtsfolgen der Abnahmeerklärung Rechtsfolgen der Abnahmeerklärung sind im Wesentlichen:  Die Vergütung wird fällig, wobei es wegen Abschlagszahlungen nur um einen Restbetrag gehen dürfte [→ Kap. 7.4 (3), S. 203].  Die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Mängeln beginnt. Der Mangel muss zu diesem Zeitpunkt mindestens im Ansatz (Rechtsprechung: „im Keim“) vorhanden sein. Der Kunde muss das beweisen.  Für die Mängelhaftung greifen jetzt teilweise andere Vorschriften als vor der Abnahmeerklärung ein, allerdings mit fast denselben Rechtsfolgen [→ Kap. 7.7 am Anfang, S. 210].  Die Beweislast dafür, dass Störungen auf Mängel zurückzuführen sind, geht auf den Kunden über [→ Kap. 6.4.1, S. 138].  Der Kunde kann bestimmte Ansprüche wegen solcher Mängel verlieren, die er bereits kennt [→ siehe vorstehend (3) unter „Abnahmeerklärung in Kenntnis eines Mangels“, S. 208]. Wegen dieser wichtigen Rechtsfolgen ist die Abnahme eine Hauptpflicht des Kunden. Bei deren Verletzung liegt in der Regel Schuldnerverzug vor [→ siehe hier Kap. 7.6 (4), S. 209]. Eine ganz wichtige Folge für die Auftragnehmerseite ist, dass Umsatz gebucht werden kann. 7.7 Haftung wegen Mängeln [→ Zum Anspruch des Auftragnehmers bei unberechtigten Mängelrügen auf zusätzliche Vergütung siehe Kap. 6.4.8, S. 153]. Der Kunde hat bis zur Abnahmeerklärung einen Erfüllungsanspruch auf mängelfreie Lieferung (§ 631 BGB). Dieser wandelt sich mit der Abnahmeerklärung in fast identische Ansprüche wegen Mängeln um <?page no="211"?> 7 Werkverträge 211 (§§ 633 ff. BGB). 105 - Ich handele deswegen die Mängelhaftung vor und nach der Abnahmeerklärung zusammen ab. Der Vertrag kann dienstvertragliche Leistungen umfassen, beispielsweise Schulungen. Die Haftung für diese richtet sich nach Dienstvertragsrecht. [→ Kap. 9.1 (4), S. 228. Zu gemischten Verträgen siehe Kap. 2.1.2 (1) unter „Gemischte Verträge“, S. 30] Der Kunde hat bei Mängeln ähnliche Rechte wie beim Kaufvertrag (§ 634 BGB) [→ Kap. 6.4 am Anfang, S. 137]. Die Unterschiede werden im Folgenden dargestellt. Ort der Mängelbeseitigung: Dieser bestimmt sich nach denselben Vorschriften wie weit beim Kaufvertrag. Das Ergebnis ist meist, das es der Ort ist, an dem sich das System befindet [→ Kap. 6.4.2 (2), S. 143]. Fehlerhafte Anforderungen des Kunden: Der Auftragnehmer schuldet ein taugliches Werk. Wenn fehlerhafte Anforderungen des Kunden den Mangel verursacht haben, wird der Auftragnehmer nur dann von der Haftung dafür befreit, wenn er den Kunden - nach Kenntniserlangung - gewarnt hat und dieser auf seinen Anforderungen bestanden hat. Der Auftragnehmer darf sich nicht darauf verlassen, dass die vorgegebenen Anforderungen fehlerfrei sind. Das gilt auch, wenn diese von Fachleuten erstellt worden sind. Haben Sie als Auftragnehmer Bedenken, dass eine Anforderung des Kunden fehlerhaft ist, dann klären Sie das auf, selbst wenn die Anforderung von einem Fachmann stammt. Wer den Mehraufwand für das Schaffen eines mangelfreien Systems trägt, hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit der eine oder der andere Vertragspartner diesen zu vertreten hat. Fragen Sie Ihren Rechtsberater. (1) Beweislast bei Mängeln Der Kunde muss die Anspruchsvoraussetzungen, also das Vorliegen von Mängeln, beweisen [→ Kap. 6.4.1, S. 138]. 105 Wie im Kaufrecht [→ Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerung wegen Mängeln“, S. 100]. Der Kunde kann bei unwesentlichen Mängeln zur Abnahme verpflichtet sein [→ Kap. 7.6 (2) unter „Die zweite Voraussetzung“, S. 207]. <?page no="212"?> 212 7.7 Haftung wegen Mängeln (2) Der Anspruch auf Nacherfüllung Die Nacherfüllung kann durch Mängelbeseitigung oder durch Neuherstellung des Werks erfolgen. Das Wahlrecht liegt hier beim Auftragnehmer [→ Kap. 6.4.2 (4), S. 145]. Vergütungspflicht bei Vergütung nach Aufwand: Der Auftragnehmer ist berechtigt, die Kosten für das Finden und die Beseitigung von üblichen Mängeln während der Herstellung bei dieser Vergütungsform normalerweise in Rechnung stellen. Die Gründe dafür sind so stark, dass der Auftragnehmer den Aufwand für die Beseitigung von üblichen Mängeln auch in dem Fall vergüten muss, dass solche erst nach Ablieferung entdeckt und beseitigt werden („Sowieso-Kosten“) [→ Kap. 7.4 (2), S. 201]. Selbstvornahme: Kommt der Auftragnehmer einer Fristsetzung für die Nacherfüllung nicht nach, hat der Kunde das Recht, den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der hierfür erforderlichen Aufwendungen zu verlangen (das gilt auch dann, wenn den Auftragnehmer kein Verschulden an der Verzögerung trifft). Zu den Aufwendungen gehört auch der eigene Arbeitsaufwand des Kunden. 106 Eine Fristsetzung ist in denselben Fällen wie bei Verzug nicht erforderlich [→ Kap. 11.2 (1) unter „Fristsetzung nicht erforderlich“, S. 250]. - Darüber hinaus besteht bei Verantwortlichkeit auch ein Anspruch auf Ersatz des weiteren Schadens. (3) Minderung, Rücktritt und Schadensersatz Die Rechtsfolgen aus Pflichtverletzungen ergeben sich weitgehend aus den allgemeinen Vorschriften. Eine spezifische Regelung zum Fehlschlagen der Mängelbeseitigung wie bei Kaufverträgen gibt es nicht. Es wird auf die allgemeinen Vorschriften verwiesen (§ 636 BGB). Der Kunde kann nicht wegen unerheblicher Mängel vom Vertrag zurücktreten (§ 323 Abs. 5 BGB). Abzustellen ist auf die Menge der Mängel insgesamt [→ Kap. 11.2 (1), S. 248]. [→ Minderung Kap. 6.4.3, S. 145] [→ Schadensersatzansprüche spezifisch (wie bei Kaufverträgen) Kap.6.4.4, S. 146 und allgemein Kap. 11.1 (2), S. 244]. Kenntnis von Mängeln: Das Werkvertragsrecht geht davon aus, dass das Werk bei Abschluss des Vertrags noch nicht existiert, und kennt 106 Bei Schadensersatz käme es auf die Umstände an. Es geht hier aber nicht um Schadensersatz. <?page no="213"?> 7 Werkverträge 213 deswegen keine offenen Mängel. Es kennt im Rahmen der Abnahmeprüfung auch nicht eine ausdrückliche Prüfungsobliegenheit wie beim Handelskauf. [→ Zur Abnahmeerklärung in Kenntnis eines Mangels siehe Kap. 7.6 (3) unter „Abnahmeerklärung in Kenntnis eines Mangels“, S. 208] (4) Verjährung Die Frist beginnt im Normalfall mit der Abnahmeerklärung (§ 634a BGB). Sie beträgt zwei Jahre bei Verträgen, die sich auf die Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache einschließlich der dazu gehörenden Planungs- oder Überwachungsleistungen beziehen. Bei Verträgen über die Erstellung geistiger Werke gilt die normale Verjährungsfrist von drei Jahren [→ Kap. 4.10 (1), S. 118]. (5) Garantien § 639 BGB erklärt nur, dass die Haftung für eine Beschaffenheitsgarantie [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150] nicht eingeschränkt werden kann. Haltbarkeitsgarantien [→ Kap. 6.4.7 (2), S. 151] werden im Werkvertragsrecht nicht geregelt. Die Vertragspartner können solche aufgrund der Vertragsfreiheit vereinbaren. Der Kunde kann zumindest für Standardprodukte wie beim Kaufvertrag ein plausibles Interesse daran haben, dass der Auftragnehmer sich verpflichtet, alle Ausfälle auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche ohne große Diskussionen zu beseitigen. - Die Pflicht kann auch über eine Verlängerung der Verjährungsfrist erreicht werden; dann würde die Beweislast, dass Störungen auf Mängel zurückzuführen sind, allerdings beim Kunden bleiben. 7.8 Verträge mit Unterauftragnehmern über Leistungen für Kunden Im Folgenden werden der Auftragnehmer als „Unterauftragnehmer“ (abgekürzt: „Unter-AN“) und sein Auftraggeber als „Generalunternehmer“ (= „GU“) bezeichnet. Der GU erhält den „Hauptauftrag“ vom „Endkunden“. Besonderheiten ergeben sich, wenn der Unterauftragnehmer nicht nur innerhalb des Teams des GU mitwirkt, sondern Teile des Hauptauftrags eigenverantwortlich durchführt. Aus dem Verhältnis zwischen zwei Beteiligten können sich Auswirkungen auf den dritten ergeben. <?page no="214"?> 214 7.8 Verträge mit Unterauftragnehmern über Leistungen Beispiel Im Rahmen eines Hauptauftrags über die Einführung von umfangreicher Standardsoftware schulde der GU die Lieferung der Hardware und der Standardsoftware des Unter-AN. Der Unter-AN habe im Innenverhältnis die Inbetriebnahme dieser Standardsoftware und deren projektspezifische Anpassung übernommen. An der Abnahmeprüfung des Endkunden mit dem GU beteiligt sich auch der Unter-AN zwecks Unterstützung der Prüfläufe. Der Endkunde nimmt Mängelrügen in einem Protokoll auf. Auch der Unter- AN unterzeichnet dieses. Damit anerkennt er hoch wahrscheinlich Mängelrügen, die seinen Lieferanteil betreffen, in seinem Verhältnis zum GU. Der GU darf Dokumente des Unter-AN inhaltlich verändert nur in Absprache mit dem Unter-AN an den Endkunden weiterreichen; es sei denn, dass er die Änderungen kenntlich gemacht hat oder die Dokumente als eigene weiterreicht. (1) Was der Unterauftragnehmer nicht schuldet Die vom GU dem Endkunden geschuldete Leistung braucht sich selbst bei identischer schriftlicher Aufgabenstellung nicht mit der vom Unter-AN geschuldeten Leistung zu decken:  Jedes Dokument ist vor dem Hintergrund desjenigen auszulegen, der es erstellt hat. Der GU hat also Dokumente des Endkunden vor dessen Hintergrund auszulegen [→ im Einzelnen siehe Kap. 2.3 (2), S. 53]. So können z.B. aufgrund früherer Aufträge des Endkunden an den GU bestimmte Konventionen über die Leistungserbringung oder über die Leistung selbst bestehen. Der Unter-AN weiß zwar, dass die Dokumente vom Endkunden stammen und vor dessen Hintergrund auszulegen sind. Soweit ihm dieser spezifische Hintergrund allerdings nicht bekannt ist, kann er diesen nicht berücksichtigen und braucht es auch nicht zu tun.  Der GU kann schriftlich oder mündlich Leistungen zum Lieferanteil des Unter-AN zugesagt haben, die dieser nicht kennt [→ siehe hier Kap. 7.8 (3), S. 216].  Der GU hat eine Gesamtleistung zu erbringen, die sich auf die vom Unter-AN übernommene Leistung auswirkt, ohne dass diese Auswirkungen als Anforderungen in den Unterauftrag übernommen worden sind. Beispiel Leistungsverhalten Das Leistungsverhalten der vom Unter-AN zu erstellenden Pro- <?page no="215"?> 7 Werkverträge 215 gramme kann wesentlich von der Kapazität der IT-Anlage beeinflusst werden, die der GU liefert. Hat der GU deren Kapazität knapp bemessen, mag es sein, dass der Unter-AN das gewünschte Ergebnis mithilfe von Tuning-Maßnahmen erreichen kann. Er schuldet allerdings nicht diese Maßnahmen, sondern mangels Absprache mit dem GU nur Programme, deren Leistungsverhalten auf einer ordentlich bemessenen Kapazität der IT-Anlage aufbaut. Der Unter-AN ist zu den sich daraus ergebenden Mehrleistungen nicht verpflichtet, muss aber im Rahmen von Treu und Glauben entsprechende Zusatzaufträge übernehmen. Daraus erwachsen ihm Gegenansprüche [→ Kap. 7.3.3 (2), S. 196]. Wenn der Unter-AN mit der Realisierung der Mehrleistungen anfängt, ohne eine zusätzliche Beauftragung zu fordern, kann er dieselben Schwierigkeiten wie ein normaler Auftragnehmer bekommen, seine Ansprüche gegenüber seinem Kunden, dem GU, durchzusetzen. [→ Kap. 7.3.3 (2) unter „ Verzicht auf Gegenansprüche … “, S. 198] (2) Der Unterauftragnehmer leistet mehr ohne Beauftragung Der Unter-AN leistet auf Wunsch des Endkunden von sich aus mehr, als zwischen diesem und dem GU vereinbart worden ist. Beispielsweise erarbeitet er für seinen Lieferanteil mit dem Kunden eine Spezifikation, die eine Leistung beschreibt, die im Umfang und/ oder in der Qualität über das hinausgeht, was der GU dem Endkunden schuldet und was durch den zwischen jenen vereinbarten Festpreis abgedeckt ist. Im Ansatz könnte der GU sich gegenüber dem Endkunden stur stellen, auf den Hauptauftrag verweisen und die Umsetzung der Spezifikation in diesem Umfang von einer zusätzlichen Beauftragung durch den Endkunden abhängig machen.107 Damit würde er wahrscheinlich die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen. Außerdem würde drohen, dass der Endkunde den Hauptauftrag so auslegt, dass die Anforderung im Hauptauftrag bereits enthalten sei; schließlich habe der Unterauftragnehmer den Hauptauftrag so verstanden und dementsprechend die Spezifikation so abgefasst. In diesem Fall hat der Unter-AN den GU in eine schwierige Lage gebracht. Der Unter-AN 107 Der Unter-AN hat keine Vollmacht für den GU, kann also im Normalfall nicht für diesen in dessen Verhältnis zum Endkunden auf eine zusätzliche Beauftragung verzichten (er könnte allerdings eine Anscheinsvollmacht zu Lasten des GU haben [→ Kap. 3.2 (2), S. 83]). <?page no="216"?> 216 7.8 Verträge mit Unterauftragnehmern über Leistunge n könnte zur Vermeidung von - schlecht greifbaren - Schaden für den GU verpflichtet sein, das Mehr in der Spezifikation auf seine Kosten zu realisieren. Hier kommt so viel zusammen, dass Sie Ihre Leitungs-ebene einschalten sollten. Der GU sollte den Unter-AN von vornherein vor einer Übererfüllung von dessen Auftrag warnen, am besten von vornherein mit ihm vereinbaren, dass dieser eine drohende Übererfüllung ihm sofort mitteilen müsse. (3) Auswirkungen des Hauptauftrags auf den Unter-Auftrag Der GU und der Unter-AN können ausdrücklich vereinbaren, dass der GU die Abnahmeprüfung gegenüber dem Unter-AN erst im Zusammenhang mit der Abnahmeprüfung durch den Endkunden durchzuführen braucht. Wenn diese das nicht vereinbart haben, kommt es auf die Situation an: (a) Die Leistung soll zuerst beim GU installiert werden, damit dieser sie überprüfen kann. Dann liegt es nahe, dass die Auslieferung an den Endkunden die Abnahmeerklärung beinhaltet (und dem Unter-AN zugeht, sobald dieser von der Weitergabe Kenntnis erlangt hat). (b) Der Unter-AN soll seine Leistung gleich an den Endkunden ausliefern. Dann liegt es nahe, dass der GU die Abnahme erst zu erklären braucht, wenn der Endkunde sie gegenüber dem GU erklären muss. Dasselbe gilt, wenn der Unter-AN seine Leistung zwar an den GU liefert, diese aber sinnvoll nur beim Endkunden installiert und dann überprüft werden kann. Der GU muss die Begrenzung der Prüffrist gemäß § 271a BGB zugunsten des Unter-AN beachten [→ Kap. 7.5 (2), S. 205]. Er muss gegebenenfalls in seinem Vertrag mit dem Unter-AN dafür sorgen, dass dieser seine Leistung kaum früher als der GU abschließen kann und erst damit den Lauf der Frist auslöst. Beispielsweise kann das so erfolgen, dass der Unter-AN bei der Abnahmeprüfung zwischen dem GU und dem Endkunden Dienstleistungen erbringen soll. Fälligkeit der Zahlung des GU: § 641 Abs. 2 BGB schützt speziell den Unter-AN dahingehend, dass er die Abnahmeerklärung für seine Leistung und sein Geld nicht (spürbar) später als der GU bekommt: Sobald der GU die Vergütung für die Leistung des Unter-AN ganz oder teilweise erhalten hat, muss er den Unter-AN ganz oder teilweise bezahlen. Dafür ist nicht Voraussetzung, dass der Endkunde und der <?page no="217"?> 7 Werkverträge 217 GU ausdrücklich Abschlagszahlungen vereinbart haben. Es reicht, dass der GU solche erhalten hat. Wenn der Endkunde die Abnahme gegenüber dem GU für eine Leistung erklärt hat, die Leistungen des Unterauftragnehmers umfasst, ist die Vergütung ebenso für diese Leistung fällig. Abnahmepflicht des GU: Wenn der Endkunde die Abnahme erklärt hat, muss der GU das normalerweise in seinem Verhältnis zum Unter- AN gelten lassen, also auch die Abnahme erklären. Lehnt der Endkunde die Abnahme nur wegen Mängeln in der Leistung des GU ab, muss dieser die Abnahme gegenüber dem Unter-AN erklären. Verweigert der Endkunde die Abnahme ohne sachlichen Grund, dürfte das im Risikobereich des GU liegen und dessen Pflicht zur Abnahme nicht einschränken. Denn der GU hat Schadensersatzansprüche gegen den Endkunden wegen dessen Vertragsverletzung. [→ Siehe Kap. 7.6 (4), S. 209] 7.9 Verträge über geistige Leistungen (Konzepterstellung usw.) (1) Wann liegt ein Werkvertrag vor, wann ein Dienstvertrag Die Einordnung eines Vertrags als Werkvertrag oder als Dienstvertrag ist in Kapitel 5.3 dargestellt [→ Kap. 5.3, S. 126]. Die Erstellung von Software wird unter der Erstellung eines Systems abgehandelt [→ Kap. 7.3, S. 170]. Verträge über die Erstellung von Konzepten für die (Re-)Organisation oder die Auswahl eines Systems erfordern typischerweise viel Zusammenarbeit. Diese kann auf der Grundlage eines Werkvertrags oder eines Dienstvertrags erfolgen, beispielsweise die Erstellung einer Spezifikation [→ vgl. Kap. 7.3.2 (1.1), S. 140, bzw. Kap. 7.3.2 (1.2), S. 142]. Bei der Einordnung kommt es auf die Intensität der Zusammenarbeit an: Arbeiten die Vertragspartner eng zusammen (liefern die Mitarbeiter des Kunden also nicht nur Informationen, die der Auftragnehmer mit diesen abstimmen soll), liegt ein Dienstvertrag vor. Wenn der Auftragnehmer bei einer solchen Zusammenarbeit die Führung übernimmt, heißt das nicht automatisch, dass ein Werkvertrag vorliegen würde. Der Auftragnehmer erstellt in diesem Falle nicht ein Dokument als Ergebnis im Sinne des Werkvertragsrechts, sondern <?page no="218"?> 218 7.9 Verträge über geistige Leistungen (Konzepterstellung usw.) übernimmt nur die Funktion des Formulierungs- und Schreibdienstes für das gemeinsam erarbeitete Ergebnis. [→ Zu einem gemischten Werk- und Dienstvertrag siehe Kap. 9.2.3, S. 233]. Bei einem Auftrag über eine Systemauswahl liegt eher ein Dienstvertrag vor, wenn der Kunde (dank seiner Sachkompetenz) die Auswahlentscheidung selbst trifft und der Auftragnehmer nicht eine Empfehlung schuldet. (2) Durchführung bei einem Werkvertrag Tendenziell ist die Aufgabenstellung vager als bei der Erstellung eines Systems definiert und ist damit das Ergebnis weniger bestimmt [→ vgl. dazu Kap. 7.2 unter „Die Eigenschaften … nicht fest“, S. 160]. § 650p BGB drückt das für den Architektenvertrag und Ingenieurvertrag als Typen von Werkverträgen so aus, dass die vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele „zu erreichen“ sind. Die Vertragspartner können erst einmal einen ersten Werkvertrag nur über die Erstellung einer Spezifikation schließen und dann einen zweiten Vertrag über die Umsetzung dieser Spezifikation (Kapitel 7). Dann ist die Spezifikation abzunehmen (§ 640 BGB). Im zweiten Vertrag ist die abgenommene Spezifikation die verbindliche Vorgabe. Das ist bei einem Festpreis relevant, wenn Anforderungen des Kunden in der abgenommenen Spezifikation nicht enthalten sind. Der Kunde kann deren Realisierung nur als Schadensersatzanspruch auf der Grundlage des ersten Vertrags verlangen: Die Nichtaufnahmen / Lücken in der Spezifikation würden Mängel darstellen, die der Auftragnehmer auch zu vertreten habe. 108 Dann muss der Kunde beweisen, dass er einen Schaden erlitten hat: Der Auftragnehmer hätte, wenn dieser die betreffenden Anforderungen bereits in der Spezifikation aufgenommen hätte, bei den Verhandlungen über den zweiten Vertrag keine höhere Vergütung verlangt und auf keinen Fall durchgesetzt [→ Kap. 11.1 (5), S. 246]. (3) Rechte an den Ergebnissen, Schutz von Geschäftsgeheimnissen In erster Linie geht es um die Interessen des Kunden: Möglicherweise will er berechtigt sein, die Ergebnisse anderweitig zu nutzen, beispielsweise für die Erstellung eines Standardprodukts, das er vertrei- 108 Ohne Vertretenmüssen hätte der Kunde nur einen Anspruch auf Nachbesserung des Konzepts, nicht aber auf Realisierung der nachgebesserten Teile. <?page no="219"?> 7 Werkverträge 219 ben will. Dazu kann die Absicherung gehören, dass der Auftragnehmer das spezifische Know-how, das dieser durch seine Arbeit gewonnen hat, nicht nutzen darf. - Möglicherweise soll dieser auch solches weitere Know-how nicht nutzen dürfen, das er beim Kunden kennengelernt hat. Urheberrechtliche Nutzungsrechte: Solche können an den Ergebnissen entstehen, nämlich wenn deren Darstellung schöpferisch ist (das Urheberrecht schützt nicht Ideen, sondern - nur - die schöpferische Darstellung). Diese Rechte wachsen den Schöpfern zu. Das sind erst einmal die Mitarbeiter des Auftragnehmers. Diese müssen alle Rechte an ihren Arbeitgeber übertragen. Das erfolgt praktisch automatisch. Der Auftragnehmer ist nicht ebenso eindeutig zur Übertragung der Nutzungsrechte an den Kunden verpflichtet. Er muss nur die zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlichen Rechte weiter übertragen. Dafür kommt es auf die Auslegung nach Treu und Glauben an [→ Kap. 2.3 (2), S. 53]. Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Der Begriff umfasst auch Betriebsgeheimnisse. Er ist im „Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ definiert. 109 Damit besteht eine einigermaßen klare Abgrenzung, was ein Geschäftsgeheimnis ist, das Ihnen als Projektmitarbeiter bekannt gemacht wird. Sie dürfen es nur für die Projektarbeit nutzen. Sie dürfen es also an solche Personen weitergeben, die es im Rahmen der Projektarbeit auch aus Sicht des Kunden benötigen, aber nicht an andere Personen. „Geschäftsgeheimnis ist eine Information,“  die einen Geheimnischarakter hat und „daher von wirtschaftlichem Wert ist,  die Gegenstand von den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen … ist, und  bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.“ Was zu den „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ gehört, wird in den nächsten Jahren von der Rechtsprechung konkretisiert werden. Dazu gehört der organisatorische und der technische Zugriffsschutz. Zu den angemessenen Maßnahmen dürfte gehören, dass der Inhaber 109 Das Gesetz geht auf die Richtlinie (EU) 2016/ 943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zurück. <?page no="220"?> 220 7.9 Verträge über geistige Leistungen (Konzepterstellung usw.) mit Ihnen eine Vereinbarung zur Geheimhaltung schließt. Darin müssen die Geschäftsgeheimnisse konkret aufgeführt werden. Eine Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern kann nur die Basis für Ihre Pflicht sein, einer solchen Vereinbarung zuzustimmen. Ihre Zustimmungspflicht richtet sich nach Ihrem Vertrag mit Ihrem Arbeitgeber. Vorsichtshalber sollten Sie davon ausgehen, dass Sie andere Personen, denen Sie ein Geschäftsgeheimnis mitteilen, über dessen Charakter zu informieren verpflichtet sind. Sie könnten sonst, wenn diese Personen Schaden anrichten, schadensersatzpflichtig sein. Fahrlässigkeit reicht dafür aus. Sie sollten noch vorsichtiger sein und ein Geschäftsgeheimnis im Rahmen der Projektdurchführung nur dann an einen Dritten weitergeben, wenn der Kunde dem ausdrücklich zugestimmt hat. - Das sollte der Kunde möglichst schon in der Vereinbarung mit Ihnen festlegen. „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ sind strafrechtlich geschützt, müssen also sowieso vom anderen Vertragspartner respektiert werden (§ 204 Strafgesetzbuch „Verwertung fremder Geheimnisse“). Sonstiges Know-how: Offen ist also derjenige Bereich des Know-hows, das nicht die Qualität eines Geschäftsgeheimnisses hat, aber nach Auffassung des anderen Vertragspartners geheim gehalten werden sollte. Dazu kann der Inhaber des Know-hows auf der Basis des Vertragsrechts eine Vereinbarung mit Ihnen schließen. Sie sind über Ihren Arbeitgeber im Rahmen von Treu und Glauben verpflichtet, diese zu akzeptieren. Das bezieht sich auf sonstiges Know-how, das in Unterlagen verkörpert ist. Weitergehende Verpflichtungen würden in Richtung auf ein Wettbewerbsverbot gehen. Ihr Arbeitgeber kann dieses mit Ihnen nur gegen eine Karenzentschädigung vereinbaren. (4) Insbesondere Softwareerstellung auf der Basis von Scrum Vorweg: Es geht nicht allgemein um agile Methoden, weil sich nur wenige auf die Vertragsgestaltung spürbar auswirken. Man denke an die Kanban-Entwicklungsmethode. Es geht hier nur um Scrum . Scrum ist als eine Entwicklungsmethode konzipiert, nicht auch als ein Konzept für das Projektmanagement. Wenn diese Methode angewendet werden soll, muss sie in einen Projektvertrag eingebettet werden. Das geht nur unter massiven Änderungen der Methode. 110 110 Matthias Eberspächer, Bernd Hahn, René Warweitzky, Es gibt kein „agiles Projektmanagement“, PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 05/ 2021, S. 46ff. <?page no="221"?> 7 Werkverträge 221 Es geht auch anders herum, nämlich durch massiven Verzicht auf gemeinsames Management, also im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung. Die folgende Analyse zeigt, welche Anforderungen an die Vertragsgestaltung die reine Lehre, dargestellt in „The Scrum Guide“ von 2020, stellen würde. 111 Beispiele für massive Änderungen der Methode Die Beiträge in PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL Heft 4/ 2021 waren Scrum gewidmet. Nach einer Erhebung gab es bei mehr als zwei Drittel der Projekte einen Projektleiter. In der reinen Lehre von Scrum gibt es den nicht. Der Project Owner sollte beim Kunden oder aber beim Scrum Team angesiedelt sein. Das Scrum Team sollte möglichst unabhängig vom Kunden oder aber an ihn angebunden arbeiten. The Scrum Guide kennt Wörter wie „Vertrag“ oder „Kunde“ nicht. Es wird im Scrum Team gemäß den Rollen der Mitglieder zusammengearbeitet. Die Anforderungen sind „emergent“: Sie tauchen irgendwie im Laufe der Zeit auf. Die ersten müssen irgendwie schon ermittelt worden sein. Der Project Owner kann die weiteren sammeln. Das Scrum Team soll während eines Sprints hinsichtlich der abzuarbeitenden Anforderungen nur wenig mit anderen Instanzen kommunizieren. Erst am Ende eines jeden Sprints „stellt das Scrum Team … die Ergebnisse seiner Arbeit den wichtigsten Stakeholder: innen vor, und die Fortschritte in Richtung des Produkt‐Ziels werden diskutiert.“ Das Team ist weitgehend frei, wie es das Produkt gestaltet. Der Product Owner (nach der Lehre Mitglied im Team) legt die Anforderungen für die Sprints in den User Stories fest. Das Team wählt die für den nächsten Sprint aus. Die Stakeholder (beim Kunden) können nur „versuchen, den: die Product Owner: in [von Änderungen] zu überzeugen.“ Während der Sprints soll das Team eigenverantwortlich arbeiten. Siehe auch Marco Liechti, Anne-Kathrin Bolender, Reto Scherrer, Agilität trifft Projektmanagement, PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 01/ 2022, S. 43ff: Bei einem Vertrag können nur einzelne agile Werkzeuge eingesetzt werden. 111 Ken Schwaber & Jeff Sutherland, Der Scrum Guide: Der gültige Leitfaden für Scrum: Die Spielregeln, November 2020. PDF in Deutsch: https: / / scrumguides.org <?page no="222"?> 222 7.9 Verträge über geistige Leistungen (Konzepterstellung usw.) Das Team ist nicht verpflichtet, den in den Sprint aufgenommenen Umfang vollständig abzuarbeiten. Wäre der Product Owner ein Mitarbeiter des Kunden, läge ein Dienstvertrag mit werkvertraglichen Zügen für die Realisierung vor [→ Kap. 9.2.3, S. 233] oder Arbeitnehmerüberlassung. Die Vergütung mag einen bestimmten Preis je Sprint betragen. Sie richtet sich maßgeblich nach der Zahl der im jeweiligen Sprint vorgesehenen Arbeitsstunden. Sie ist also kein Festpreis für ein Ergebnis, sondern ein Preis für ein festes Kontingent an Arbeitsstunden [→ Kap. 4.2 unter „Kontingent“, S. 109]. Der „Sprint Review“, zum Ergebnis eines Sprints ist keine Zwischenabnahme oder Teilabnahme im Sinne eines Werkvertrags und soll es auch nicht sein: Die Fortschritte werden mit den wichtigsten Stakeholdern „diskutiert“. Es geht nicht um eine Prüfung im Rechtssinne, ob das Ergebnis die Anforderungen des Sprint Backlogs (vollständig) erfüllt. Wenn das Ergebnis unvollständig oder nicht so ist, wie es alle am Review Beteiligten haben wollen, so ist das Team aufgefordert, das im nächsten Sprint auszugleichen (das wird bezahlt). Die Ergebnisse von Sprints sollen schon alsbald nach dessen Ende genutzt werden können. Das Team soll also so arbeiten, dass das Ergebnis eines Sprints (möglichst) frei von Fehlern ist. Der Auftragnehmer schuldet die Beseitigung von Fehlern auf seine Kosten allerdings nur, wenn er die bei dieser Methode vorgesehene Sorgfalt nicht eingehalten hat. Das entspricht der Kostentragung bei Vergütung nach Aufwand [→ Kap. 7.4 (2) unter „Fehlerhaftes Arbeiten“, S. 201]. Man kann Scrum als Entwicklungsmethode für Software für bestimmte Anwendungsbereiche in eine Managementmethode und damit in einen Werkvertrag integrieren. Man kann aber auch das Zusammenwirken der Vertragspartner durch mehr Kommunikation verstärken, beispielsweise wie in Kapitel 7.3 beschrieben. Dort ist der Festpreis der störende Faktor. Bei Scrum ist dieser eliminiert. Scrum-Anhänger versuchen, der Kundenseite die Methode als Konzept für einen Vertrag schmackhaft zu machen. Es gibt sogar ein Buch „Der agile Festpreis: Leitfaden für wirklich erfolgreiche IT-Projekt- Verträge“. Der dort beschriebene Festpreis ist agil: Er läuft von Sprint zu Sprint. Manchmal bleibt er stehen. Dann ist die Zusammenarbeit beendet - gleich ob erfolgreich oder nicht. <?page no="223"?> 8 Werklieferungsverträge Wie in Kapitel 5.1 erwähnt, steht der „Werklieferungsvertrag“ zwischen dem reinen Kaufvertrag und dem Werkvertrag. Diesen Vertragstyp sollten Sie kennenlernen, weil viele Bücher über das Projektmanagement, die auf die Vertragstypen eingehen, diese Variante übersehen und damit Kaufverträge und Werkverträge falsch gegenüberstellen. Vertragstyp: Die Bezeichnung „Werklieferungsvertrag“ ist in Anführungsstrichen gesetzt, weil diese nicht aus dem BGB, sondern aus der Praxis stammt. Das BGB regelt den Werklieferungsvertrag nicht als einen selbstständigen Vertragstyp, sondern innerhalb des Werkvertragsrechts als eine Variante des Kaufvertrags. Es geht um Verträge, die die „Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand“ haben.“ Es sind mehr Herstellungsleistungen als die bei einem reinen Kaufvertrag allein vorgesehene Montage nötig [→ Kap. 5.1 unter „Kaufverträge“, S. 123]. Auf solche Verträge „finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung“ und zusätzlich die des Werkvertragsrechts über Herstellungsleistungen (§ 650 BGB). Dem Wortlaut nach liegt ein Werklieferungsvertrag allerdings nur dann vor, wenn die Kaufsache vertretbar ist. Vertretbar sind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen (§ 91 BGB). Beispiel Steinplatten, die auf Kundenwunsch nach Maß zugeschnitten werden. Vertretbar sind hingegen beispielsweise PKWs, die gemäß Katalog konfiguriert werden. Der Gesetzgeber konnte sich nicht vorstellen, dass eine Sache auch bei weiteren Herstellungsleistungen vertretbar sein könnte. Wenn die Sache trotz Herstellungsleistungen über die Montage hinaus vertretbar ist, kann dasselbe Bedürfnis für die Anwendung der Vorschriften des Werkvertrags zu den Herstellungsleistungen bestehen. Dann sind diese anzuwenden. Das erfolgt allerdings nicht direkt, sondern entsprechend / analog [→ Anhang A.2 unter „Analogie“, S. 213]. <?page no="224"?> 224 8 Werklieferungsverträge Zur Information Ergänzend geltende Vorschriften für die Herstellungsleistungen:  § 642 BGB über die Entschädigung des Auftragnehmers für dessen Mehraufwand, wenn der Kunde unzulänglich mitwirkt [→ Kap. 4.6, S. 113, bzw. Kap. 11.7, S. 258]  § 643 BGB über das Recht des Auftragnehmers, den Vertrag bei unzulänglicher Mitwirkung außerordentlich zu kündigen [→ Kap. 11.7, S. 258]  § 645 BGB über Ansprüche des Auftragnehmers, wenn der Kunde für Störungen verantwortlich ist [→ Kap. 11.7, S. 258]  § 648 BGB über das freie Kündigungsrecht des Kunden [→ Kap. 7.3.4, S. 199]  § 649 BGB über Kostenanschläge [→ Kap. 7.4 (2), S. 201] Die Höhe der Vergütung wird nicht angesprochen. § 632 BGB bei Herstellungsleistungen bzw. § 612 BGB bei dienstvertraglichen Leistungen greifen entsprechend / analog ein: Wenn nichts festgesetzt ist, gilt die übliche Vergütung als vereinbart. [→ Kap. 7.1 unter „Hauptpflicht des Kunden“, S. 157, bzw. Kap. 9.1 (2), S. 226] Die Rechtsfolgen, die im Werkvertragsrecht an die Abnahme geknüpft sind, richten sich also nach dem Kaufvertragsrecht. Dieses stellt auf den Zeitpunkt der Entgegennahme der Kaufsache ab [→ siehe auch die Abbildung in Kap. 5.2, S. 124]. Das macht keinen erheblichen Unterschied aus:  Die Vergütung wird mit der Entgegennahme fällig (es besteht kein Anspruch auf Abschlagszahlungen) [→ Kap. 6.1 (2) unter „Fälligkeit der Vergütung“, S. 133].  Der Anspruch auf mangelfreie Lieferung wandelt sich von einem Erfüllungsanspruch in einen Haftungsanspruch um [→ Kap. 6.1 (2) unter „Leistungsverweigerungsrecht wegen Mängeln“, S. 133].  Die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Mängeln beginnt mit der Entgegennahme [→ Kap. 6.4.6 (2), S. 111].  Die Beweislast dafür, dass Mängel vorliegen, geht mit der Entgegennahme an den Kunden über [→ Kap. 6.4.1, S. 138].  Den kaufmännischen Kunden trifft zusätzlich die kaufmännische Untersuchungs- und Rügeobliegenheit [→ Kap. 6.4.5 (2), S. 147]. Ende <?page no="225"?> 9 Dienstverträge Grundzüge des Dienstvertrags Siehe einleitend Kapitel 5.1 [→ Kap. 5.1, S. 123]. Der wichtigste Typ des Dienstvertrags ist der Arbeitsvertrag. Er wurde im Laufe der Jahre immer umfangreicher in zusätzlichen Gesetzen zum BGB geregelt. Das Arbeitsrecht bildet heute einen eigenständigen Teil des Privatrechts. Ein Arbeitsvertrag liegt vor, wenn Dienste in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit erbracht werden. § 611a BGB enthält eine ausführliche Definition. Diese ist eigentlich überflüssig. Sie dient der Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung - nicht, weil das vom Vertragsrecht her erforderlich wäre, sondern um in der Praxis auf sprachlicher Ebene formal einfacher prüfen zu können, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. [→ Siehe Kap. 9.2.2 zur Abgrenzung vom Arbeitnehmer zum freien Mitarbeiter, S. 231] (1) Vertragstypische Pflichten des Auftragnehmers Der Auftragnehmer schuldet Tätigkeit. Er muss sie gemäß Treu und Glauben nach seinen Kräften und nach seinem Wissen in Richtung auf ein Ergebnis / einen Erfolg leisten; darauf, dass dieses/ dieser erreicht wird, kommt es allerdings nicht an. Das ist der wesentliche Unterschied zum Werkvertrag [→ vgl. Kap. 5.3, S. 127]. Zur ordnungsgemäßen Leistung gehört beim Dienstvertrag auch, dass der Auftragnehmer den Kunden warnt, wenn dessen Mitarbeiter nicht sachgemäß mit ihm zusammenarbeiten, insb. diese ihn nicht ordnungsgemäß unterstützen. Persönliche Leistungserbringung: Der Kunde hat sich seinen Auftragnehmer ausgesucht. Deswegen muss dieser die vereinbarten Dienste - anders als beim Werkvertrag - im Zweifel selbst leisten (§ 613 BGB). Wird eine Gesellschaft beauftragt, heißt das, dass sie nicht nur durch ihre Geschäftsführer, sondern auch durch ihre Mitarbeiter tätig werden darf. Wahrscheinlich soll sie es sogar. Der Auftragnehmer darf aber im Zweifel keinen Unterauftragnehmer einschalten. Trotzdem fragt sich, ob eine Gesellschaft nur fest angestellte Mitarbeiter oder aber auch freie Mitarbeiter als Unterauftragnehmer ein- <?page no="226"?> 226 9.1 Grundzüge des Dienstvertrags setzen darf. Im Zweifel darf sie das nicht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Kunden, die in ihren AGB ein Verbot oder einen Zustimmungsvorbehalt bezüglich des Einsatzes von Unterauftragnehmern vorsehen, häufig solche freien Mitarbeiter, mit denen der Auftragnehmer dauernd zusammenarbeitet, für gut geeignet halten und vom Verbot ausnehmen. Persönliche Leistungsfähigkeit: Der Kunde hat sich seinen Auftragnehmer ausgesucht. Deswegen muss er sich mit diesem zufriedengeben. Auch wenn er mit dessen Fähigkeiten und mit dessen Einsatzbereitschaft berechtigterweise unzufrieden ist, bleibt ihm normalerweise nur die Möglichkeit, den Dienstvertrag ordentlich zu beenden [→ siehe aber Kap. 9.1 (3) unter „Besonderes Kündigungsrecht bei Diensten höherer Art“, S. 227]. Wenn der Auftragnehmer allerdings einen Mitarbeiter einsetzt, der das durchschnittliche Niveau dieses Auftragnehmers (ggf. in der vereinbarten Qualifikationsstufe) nicht erreicht, kann der Kunde den Auftragnehmer auffordern, den Mitarbeiter auszutauschen. Kommt der Auftragnehmer dem nicht nach, bleibt dem Kunden nur der Weg, sich auf Nichterfüllung wegen konkret nicht ausreichender Leistung zu berufen [→ siehe im Folgenden (4), S. 228]. (2) Vergütung Der Kunde ist verpflichtet, die vereinbarte Vergütung zu bezahlen. Sie besteht in der Regel in Geld. Sie kann sich auf eine Zeiteinheit, aber auch als ein Betrag auf die gesamte Zeit beziehen. Die Vergütung kann auch für den Umfang / die Erbringung der vereinbarten Dienste vereinbart werden. Damit wird zugleich das Ende des Vertrags vereinbart. Der Zeitaufwand kann auch als Kontingent vereinbart werden [→ Kap. 4.2 unter „Kontingent“, S. 109]. Wird die Vergütungspflicht nicht ausdrücklich vereinbart, wird vermutet, dass die Zahlung einer Vergütung „stillschweigend“ vereinbart ist, wenn die Leistung der Dienste den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist (§ 612 BGB). Ist über die Höhe der Vergütung nichts geregelt, so gilt die übliche Vergütung nach Zeiteinheiten als vereinbart. Deren Höhe ist notfalls durch einen Sachverständigen zu ermitteln [→ vgl. Kap. 7.1 unter „Hauptpflichten des Kunden“, S. 157]. Für die pauschale Vergütung der vereinbarten Dienste gemäß deren Umfang kann eine Obergrenze vereinbart werden. Der Auftragnehmer übernimmt dann ein gewisses Risiko. Kommen Aufgaben hinzu, hat er Anspruch darauf, dass die Obergrenze erhöht wird. - Wird eine Aufwandsschätzung dem Vertrag zugrunde gelegt, dürfte § 649 BGB <?page no="227"?> 9 Dienstverträge 227 zum Kostenanschlag entsprechend anzuwenden sein [→ vgl. Kap. 7.4 (2) unter „Kostenanschlag“, S. 201]. Die Vergütung ist fällig, wenn die Dienste geleistet sind (§ 614 BGB). Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, ist sie jeweils nach dem Ablauf des einzelnen Zeitabschnitts zu entrichten. In der Praxis wird oft die Zahlung in längeren Zeitabschnitten vereinbart (beispielsweise bei Vergütung nach Tagessätzen die monatliche Abrechnung und Zahlung statt der täglichen). Die Vertragspartner können eine Zahlungsfrist vereinbaren. Dann gelten zu Lasten des Kunden die allgemeinen Schranken [→ Kap. 4.3 unter „Zahlungsfristen“, S. 111]. Vergütungspflicht bei Annahmeverzug des Kunden: Der Kunde lässt den Auftragnehmer nicht tätig werden. Wenn der Auftragnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen will, ohne die Dienste geleistet zu haben und ohne zur Leistung zu einem späteren Zeitpunkt verpflichtet zu bleiben, muss er seine Dienste ausdrücklich anbieten (§ 615 BGB). Er setzt den Kunden dadurch in Annahmeverzug [→ Kap. 11.6, S. 257]. Bei Annahmeverzug muss der Auftragnehmer unverzüglich ausdrücklich seine Dienste anbieten, um seinen Vergütungsanspruch zu behalten. Der Auftragnehmer muss sich den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er erspart, weil seine Leistung unterbleibt, sowie das, was er durch die anderweitige Verwendung seiner Arbeitszeit oder derjenigen von den eingeplanten Mitarbeitern erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 615 BGB) [→ vgl. Kap. 7.3.4, S. 199]. (3) Kündigung / Beendigung Da beim Dienstvertrag die Dienste im Zeitablauf geleistet werden, sieht das Gesetz die Kündigung mit Wirkung für die Zukunft vor, nicht den (rückwirkenden) Rücktritt. Die Kündigungsfristen sind für beide Seiten sehr kurz, wenn die Vergütung nach Stunden- oder nach Tagessätzen bestimmt wird (§ 621 BGB). Besonderes Kündigungsrecht Dienste höherer Art: § 627 BGB erlaubt beiden Seiten, einen Vertrag über Dienste höherer Art fristlos zu kündigen. Das sind Dienste, die üblicherweise nur aufgrund besonderen <?page no="228"?> 228 9.1 Grundzüge des Dienstvertrags Vertrauens übertragen werden. 112 Das dürfte sich in etwa mit dem decken, was freiberufliche Dienste im Sinne des Steuerrechts sind (§ 18 Einkommensteuergesetz). Auch Firmen können Auftragnehmer von solchen Diensten sein. Der Auftragnehmer darf nur so kündigen, dass sich der Kunde die Dienste anderweitig beschaffen kann. Der Auftragnehmer, der kündigt, bekommt für die bisher geleisteten Dienste eine Vergütung nur insoweit, wie die Dienste für den Kunden noch einen Wert haben bzw. darf eine bereits erhaltene nur insoweit behalten. Weiterarbeit nach Beendigung: Arbeitet der Auftragnehmer nach Ablauf der kalendermäßig bestimmten Zeit oder der Kündigungsfrist weiter, billigt der Kunde das in der Regel, wenn er davon weiß und nichts dagegen unternimmt. Die Vertragspartner verlängern dann unausgesprochen den Vertrag. § 625 BGB sichert den Auftragnehmer dahingehend ab, dass der Kunde sich nicht auf seinen gegenteiligen Willen berufen kann. - Es reicht also aus, wenn die Fachabteilung des Kunden um die Fortsetzung weiß, auch wenn die zuständige Einkaufsabteilung noch nicht die von der Fachabteilung gewünschte Vertragsverlängerung (kennt und) durchgeführt hat. (4) Die Haftung des Auftragnehmers Die Verletzung der Pflicht zu ordentlicher Arbeit führt zur Schadensersatzpflicht, wenn der Auftragnehmer diese Verletzung zu vertreten hat. Im Normalfall bedeutet das: diese verschuldet hat [→ Kap. 11.1 (1), S. 242]. Eine Pflicht zur Beseitigung von Mängeln gibt es begrifflich nicht (es gibt keine Mängel im Rechtssinn, weil es kein allein vom Auftragnehmer geschuldetes Ergebnis gibt, das mangelhaft sein könnte). Das ist so auch dann, wenn die Vertragspartner gemeinsam ein Ergebnis erstellt haben und die Fehlhandlung dem Auftragnehmer zuzuordnen ist. Wenn der Auftragnehmer die Fehlhandlung allerdings verschuldet hat, kommt in Betracht, dass er deren Folgen wegen Schlechtfüllung auf eigene Kosten beseitigen/ ausgleichen muss. [→ Möglicherweise nicht bei Vergütung nach Aufwand, vgl. Kap. 7.7 (2) unter „Vergütungspflicht bei Vergütung nach Aufwand“, S. 212] Die Vertragsfreiheit ermöglicht zu vereinbaren, dass der Auftragnehmer Fehlhandlungen stets auf eigene Kosten beseitigen/ ausgleichen muss. 112 § 627 BGB greift nicht bei dauernden Dienstverhältnissen mit festen Bezügen ein. <?page no="229"?> 9 Dienstverträge 229 Das Dienstvertragsrecht kennt keine Minderung der Vergütung, wenn die Leistung hinter dem üblichen Leistungsniveau zurückbleibt (Qualität und Durchsatz). Nur insoweit wie der Kunde durch schuldhaftes Handeln des Auftragnehmers einen Schaden erleidet, hat er Anspruch auf Schadensersatz. Eine Minderung lässt sich kaum damit begründen, dass der Schaden darin liege, dass der Auftragnehmer keine vollwertige Leistung erbracht habe und die Vergütung also proportional zu kürzen sei [→ Kap. 9.1 (1) unter „Persönliche Leistungsfähigkeit“, S. 226]. Verzug: Der Auftragnehmer kommt in Verzug und macht sich bei Verantwortlichkeit schadensersatzpflichtig, wenn er nicht zeitgerecht arbeitet (§§ 286 f. BGB). Eine unmittelbare Haftung für die Einhaltung von Endterminen gibt es nicht. Der Auftragnehmer ist nur verpflichtet, zu den vereinbarten Zeiten zu arbeiten, sowie dazu, sich um die Einhaltung von Terminen zu bemühen. Erkennt er, dass er einen geplanten Termin trotz ordnungsgemäßem Einsatz nicht einhalten kann, ist er verpflichtet, den Kunden darüber zu informieren. Unterlässt er das, macht er sich wegen Verletzung von Nebenpflichten insoweit schadensersatzpflichtig. - Möglich sind selbstständige Zusagen (Garantien), aufgrund derer der Auftragnehmer ggf. haftet [→ Kap. 11.1 (1) unter „Verantwortlichkeit strenger oder milder“, S. 243]. Kündigung aus wichtigem Grund: Gegenüber der allgemeinen Vorschrift zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) [→ Kap. 11.4, S. 255] enthält das Dienstvertragsrecht eine Besonderheit, nämlich eine Ausschlussfrist (§ 626 BGB): Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden, gerechnet von dem Zeitpunkt an, in dem der Kündigungsberechtigte von dem wichtigen Grund Kenntnis erhalten hat. Meist erfüllen die Tatsachen, die zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen, zugleich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadensersatz [→ siehe vorstehend (4) am Anfang]. (5) Recht an den Arbeitsergebnissen Es geht um die Darstellung/ Verkörperung der Ergebnisse, weiterhin um das Know-how. Darstellung der Ergebnisse: Dem Kunden stehen bei Projekten im Normalfall alle Rechte an der Darstellung der Ergebnisse zu. Das ist urheberrechtlich plausibel [→ Kap. 2.1.2 (3) unter „Rechte an geistigen Leistungen …“, S. 34]. Denn die Vertragspartner arbeiten nur vor- <?page no="230"?> 230 9.2 Vertragstypen in der Praxis übergehend zusammen. Wenn Mitarbeiter von beiden Vertragspartnern Miturheber sind, liegt es nahe, dass die Nutzungsrechte vollständig auf einen der Vertragspartner übergehen sollen. Das ist plausiblerweise meist der Kunde. Die Rechtsprechung geht auch davon aus, dass alle Rechte an den Kunden übergehen sollen, wenn ein Auftragnehmer eine geistige Leistung zwar alleine, aber in enger Anbindung an den Kunden erstellt. Beim Auftragnehmer verbleiben die Rechte an solchen Dokumenten, die er in die Vertragsdurchführung einbringt, z.B. Untersuchungen, die er früher erarbeitet hat. Die Rechte an Ergänzungen solcher Dokumente verbleiben ebenfalls beim Auftragnehmer, soweit der Kunde diese nicht für die Nutzung der Arbeitsergebnisse benötigt. Know-how : Der Auftragnehmer darf das erworbene Wissen anderweitig verwenden, soweit nicht besondere Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Um dieses nicht geschützte Wissen effektiv nutzen zu können, darf der Auftragnehmer eine Kopie der dazu von ihm erstellten Unterlagen behalten [→ siehe auch Kap. 3.1.6 (3), S. 53]. 9.2 Vertragstypen in der Praxis 9.2.1 Insbesondere Verträge mit freien Mitarbeitern (1) Vertragstypen Verträge mit freien Mitarbeitern können Dienst- oder Werkverträge sein. Die Vertragspartner können Rahmenverträge schließen, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Die Verträge werden manchmal unzutreffend als Werkverträge bezeichnet, insbesondere  um Dienstverträge auszuschließen und den Auftragnehmer möglichst stark in die Pflicht zu nehmen. Der Auftragnehmer solle ein „Erfolg“ schulden, auch wenn es dann im Vertrag/ Einzelauftrag um „Unterstützung“ geht [→ Kap. 5.3 unter „Einordnung unter die gesetzlichen Vertragstypen“, S. 127],  um den Eindruck zu erwecken, dass Arbeitnehmerüberlassung ganz fern liege [→ Kap. 9.2.2, S. 231]. Maßgeblich ist, was an Leistung tatsächlich gewollt ist. Das ergibt sich erst einmal aus deren Beschreibung im Vertrag und endgültig aus der Art der Durchführung. [→ Siehe auch Kap. 2.3 (2) unter „Widersprüche“, S. 56] <?page no="231"?> 9 Dienstverträge 231 (2) Abgrenzung freie Mitarbeiter - normale Mitarbeiter Eventuell nimmt der Kunde den freien Mitarbeiter so stark in Beschlag, dass der Vertrag zu einem Arbeitsvertrag wird und der freie Mitarbeiter zu einem Arbeitnehmer. Man spricht dann von Scheinselbständigkeit. Ausgangspunkt ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IV: „Anhaltspunkte für eine (abhängige) Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ [→ Siehe auch Kap. 9.1 (1) zur Definition des Arbeitsvertrags, S. 225] Es geht um die Situation, dass ein freier Mitarbeiter durchweg nur mit einem einzigen Kunden/ Auftraggeber (häufig mit einem GU) zusammenarbeitet und nach Aufwand vergütet wird. Der Abschluss eines Einzelvertrags ist ziemlich unbedeutend und wird deswegen oft dementsprechend formlos gehandhabt. Er kann auch sehr formal gehandhabt werden, um die Abhängigkeit und Eingliederung des Mitarbeiters zu verschleiern. Der Einsatz für einen GU bei einem Endkunden wird so organisiert, dass der freie Mitarbeiter dem Endkunden gegenüber als normaler Mitarbeiter des GU auftritt. Er hat einen abgegrenzten Aufgabenbereich nur dann, wenn er der Einzige ist, der an der Aufgabe arbeitet. Bei dauerhafter Zusammenarbeit stellt sich die Frage, ob der freie Mitarbeiter wirklich frei oder aber persönlich und wirtschaftlich so abhängig ist, dass es geboten ist, ihn wie einen Arbeitnehmer zu schützen. „ Arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger “: Der steht in seiner Abhängigkeit zwischen dem echten freien, nämlich dem persönlich und wirtschaftlich unabhängigen Mitarbeiter, und dem Arbeitnehmer. Seine Stellung als Unternehmer bleibt allerdings unangetastet; er bleibt ein freier Mitarbeiter. Er kann aber wirtschaftlich so schwach dastehen, dass er gemäß § 2 Nr. 9 Sozialgesetzbuch VI im Interesse des Allgemeinwohls verpflichtet wird, sich bei der Rentenversicherung zu versichern. 9.2.2 Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung Zur Information Ein Mitarbeiter eines Auftragnehmers wird bei einem Kunden tätig. Er wird aber nicht als Erfüllungsgehilfe tätig, um von Auftragnehmer geschuldete Leistungen zu erbringen. Sondern die Leistung des Auftragnehmers beschränkt sich darauf, den Mitarbeiter mit (fast) dessen ganzer Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen, sodass dieser beim Kunden wie ein Mitarbeiter des Kunden tätig wird. <?page no="232"?> 232 9.2 Vertragstypen in der Praxis Der Auftragnehmer schließt einen Arbeitsvertrag mit seinem Mitarbeiter und einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit dem Kunden. Ein Unternehmer kann als Verleiher solche Arbeitnehmerüberlassungsverträge gewerbsmäßig legal schließen. Er braucht dafür eine entsprechende Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Auf diese hat er Anspruch, wenn er gewisse Arbeitgeberpflichten gegenüber seinen Mitarbeitern einhält, beispielsweise die Pflicht zu konstanter Bezahlung. Der Erlaubnisvorbehalt dient also nur der Kontrolle. Die maximale Ausleihzeit beträgt 18 aufeinander folgender Monate (§ 1 Abs. 1b). Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Kunden als Entleiher muss ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet werden. Anderenfalls greift die Erlaubnis nicht. Bei gewerbsmäßiger Überlassung ohne Erlaubnis sind der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Mitarbeiter sowie der zwischen dem Verleiher und dem Entleiher unwirksam. Der Mitarbeiter des Verleihers wird in diesem Fall dadurch geschützt, dass er als solche des Entleihers gilt (§ 10 AÜG). - Das ist so auch für freie Mitarbeiter und Scheinselbstständige, die mit dem Verleiher einen Vertrag über freie Mitarbeit geschlossen haben: Wenn sie so eingegliedert sind wie die Beschäftigten des Entleihers, gelten sie ebenso als dessen Mitarbeiter. Die neuen Mitarbeiter können sich auf die beim Entleiher üblichen Vertragsbedingungen berufen; sie können mindestens die Vergütung verlangen, die sie mit dem Verleiher vereinbart haben. - Ein Mitarbeiter kann diesen Schutz ablehnen: Er kann bis zum Ende des ersten Monats nach dem vorgesehenen Arbeitsbeginn erklären, dass er an dem Vertrag mit seinem Verleiher festhalten würde. In der Praxis stellt sich das Problem, dass Kunden Arbeitnehmerüberlassungsverträge vermeiden wollen und deswegen Verträge mit Auftragnehmern als Dienstverträge oder Werkverträge kaschieren. Der Gesetzgeber hat den Arbeitsvertrag in § 611a BGB definiert, um dessen Umgehung durch das AÜG entgegenzuwirken [→ vgl. Kap. 9.1, S. 225]. Die Definition soll zeigen, wann das Verhältnis zwischen dem Kunden und dem eingesetzten Arbeitnehmer so eng ist, dass in deren Verhältnis ein Arbeitsvertrag vorliegt und also kein Dienstvertrag im Verhältnis von Kunde und Auftragnehmer, sondern (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein Merkblatt 10 „zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Einsatz von Arbeitnehmern <?page no="233"?> 9 Dienstverträge 233 im Rahmen von Werk- und selbstständigen Dienstverträgen sowie anderen Formen drittbezogenen Personaleinsatzes“ Stand 04/ 2017 herausgegeben. Das Merkblatt erläutert, wann Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 AÜG mit Erlaubnis) vorliegt und beschreibt die Vertragstypen, die davon abzugrenzen sind. Wer den Anschein von Arbeitnehmerüberlassung vermeiden will, muss zumindest Formulierungen vermeiden, die in Richtung Arbeitnehmerüberlassung gehen. Ende 9.2.3 Gemischte Dienst- und Werkverträge [→ Zu gemischten Verträgen allgemein siehe Kap. 2.1.2 (1) unter „Gemischte Verträge“, S. 30] Es geht um Verträge, bei denen der Auftragnehmer dienstvertragliche und werkvertragliche Leistungen erbringt. Beispiel Eine Anstalt will ihre Organisation verbessern. Sie führt mit einem Auftragnehmer eine Schwachstellenanalyse durch (Dienstvertrag). Dabei befragt der Auftragnehmer die Mitarbeiter nach deren Vorschlägen. Daraufhin stellt er diese in einem Arbeitspapier zusammen und erarbeitet einen Reorganisationsvorschlag als Grundlage für Workshops (Werkvertrag). Dieser Vorschlag wird nach dessen Billigung in Workshops mit den Mitarbeitern besprochen; der Auftragnehmer stellt die Moderatoren (Dienstvertrag). Anschließend überarbeitet er seinen Reorganisationsvorschlag (Werkvertrag). Er kann dann noch an manchem Weiteren beteiligt werden. Der Auftragnehmer hat eine starke Stellung im Projektmanagement dank seines Wissens um den Inhalt der Aufgabenstellung und/ oder um die Methoden und Werkzeuge zu deren Konkretisierung und Umsetzung. Die Aufgabenstellung kann von konkret bis offen reichen, die einzelnen Arbeitsschritte können in Richtung auf ein Ziel (Dienstvertrag) oder auf ein Ziel (Werkvertrag) gehen. Die Vertragspartner können Arbeitspakete sogar so definieren, dass diese beide Komponenten enthalten. Die Terminierung kann strikt oder vage vereinbart sein. Die vereinbarte Vergütung kann von einem Festpreis bis zu einem Budget reichen. <?page no="234"?> 234 9.2 Vertragstypen in der Praxis Es kann sich aufgrund von Zwischenergebnissen aufdrängen, die Zielsetzung abzuändern, infolgedessen auch den Terminplan. Der Kunde ist stärker als normal berechtigt, Änderungen der Vereinbarungen zu verlangen. Der Auftragnehmer haftet bei Vertragsverletzungen je nach der Art gemäß dem Dienstvertragsrecht oder dem Werkvertragsrecht. Wenn etwas im dienstvertraglichen Bereich falsch läuft, trifft den Auftragnehmer nicht automatisch Verschulden. Das vereinbarte Vorgehen kann Risiken enthalten, die sich nun einmal realisieren können. Entsprechend gilt das im werkvertraglichen Bereich bei einer vagen Aufgabenstellung, wenn der Auftragnehmer abredegemäß einen Weg auf der Basis von unsicheren Prämissen einschlägt und dieser sich als nicht erfolgreich herausstellt [→ vgl. Kap. 7.4 (2), S. 200]. Der Auftragnehmer hat allerdings die Pflicht, den Kunden warnen. Der Kunde kann sich unabhängig vom Vertragstyp vom Vertrag wegen Vertragsverletzungen des Auftragnehmers insgesamt lösen. Die Vorschriften zum freien Kündigungsrecht ähneln sich bei beiden Vertragstypen. [→ Siehe zum Werkvertrag Kap. 7.3.4, S. 199, und zum Dienstvertrag Kap. 9.1 (3) unter „Besonderes Kündigungsrecht bei Diensten höherer Art“, S. 227] <?page no="235"?> 10 Mietverträge (einschließlich Leasing) Bei Bedarf §§ 535 ff. BGB regeln die Vermietung von Sachen sowie ‒ über eine Verweisung im Pachtrecht ‒ die Überlassung von Gegenständen zur Nutzung, z.B. von Rechten [→ Kap. 5.1, S. 123]. Laufzeit: Der Mietvertrag kann auf bestimmte oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Im zweiten Fall kann jeder Vertragspartner den Vertrag durch eine Kündigung beenden. Dafür sind die Fristen gemäß § 580a BGB einzuhalten. Bei beweglichen Sachen beträgt diese Frist maximal drei Tage. Die Vertragsfreiheit erlaubt die verschiedenartigsten Vereinbarungen. Hauptpflichten des Vermieters und seine Haftung Der Mietvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis. Der Vermieter hat die Mietsache in einem „zu dem vertragsmäßigen Gebrauche geeigneten Zustand zu überlassen“ (§ 535 BGB). Mehr ist zu den geschuldeten Eigenschaften nicht geregelt. Es können erst einmal Leistungen erforderlich sein, um einen vereinbarten Zustand zu erreichen (Herstellungsleistungen oder dienstvertragliche Leistungen). Diese sind im Zweifel nur dann gesondert zu vergüten, wenn das festgelegt ist. Der Vermieter ist verpflichtet, die Mietsache betriebsbereit zu halten, sei es durch (vorbeugende) Instandhaltung oder durch Instandsetzung/ Mängelbeseitigung. Damit ist die Wartung eines Systems durch den Auftragnehmer ansatzweise bereits im Mietvertrag geregelt. Wenn manche Auftragnehmer eine gesonderte Vergütung unter der Bezeichnung „Wartung“ vorsehen, so ermöglicht das erst einmal, einen Preisvorbehalt beschränkt für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft zu vereinbaren. Sodann können Leistungen über das hinaus vereinbart werden, was das Mietrecht für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft vorsieht. (1) Haftung des Vermieters wegen Verzugs Der Mieter kann nach nutzlosem Setzen einer Nachfrist den Vertrag aus wichtigem Grund (= fristlos) kündigen und Schadensersatz statt der Leistung verlangen [→ Kap. 11.4, S. 255]. (2) Haftung des Vermieters für Mängel Minderung des Mietzinses: Dieser mindert sich bei Mängeln automatisch entsprechend dem Grad der Nutzungseinschränkung (ggf. auf <?page no="236"?> 236 10.1 Hauptpflichten des Vermieters und seine Haftung null). Das gilt von dem Zeitpunkt an, an dem der Mangel entstanden ist, bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser beseitigt sein wird. Eine Rüge des Mieters ist also nicht Voraussetzung (§ 536 BGB) [→ zur Pflicht, Mängel anzuzeigen, siehe Kap. 10.2, S. 237]. Ist die Tauglichkeit der Mietsache nur unerheblich eingeschränkt, erfolgt die Minderung nur, wenn die betroffene Eigenschaft zugesichert ist. 113 Wenn der Mieter allerdings trotz eines ihm bekannten Mangels längere Zeit den vollen Mietzins zahlt, bestätigt er seine Zahlungsbereitschaft. Dann kann er wegen Verwirkung kaum noch rückwirkend auf der Kürzung des Mietzinses und damit auf einer Rückzahlung bestehen, möglicherweise auch nicht mehr auf die Kürzung für die Zukunft [→ Kap. 4.10 (3), S. 121]. Schadensersatz wegen eines Mangels: Dieser ist zu zahlen, wenn der Sachmangel bereits bei Abschluss des Mietvertrags vorhanden war (§ 536a BGB). Der Vermieter haftet unabhängig davon, ob er den Mangel hätte kennen müssen oder ob ihn an dessen Entstehen ein Verschulden trifft. Er haftet also garantieartig. [→ Siehe Kap. 11.1 (1) unter „Verantwortlichkeit strenger oder milder“, S. 243] Wenn ein Sachmangel hingegen erst nach Vertragsabschluss entsteht, haftet der Vermieter auf Schadensersatz nur, wenn er diesen verschuldet hat, oder dafür, dass er mit dessen Beseitigung in Verzug kommt. Beim Mietvertrag gibt es keine Sonderregelung zur Abkürzung der Verjährungsfrist wie beim Kaufvertrag oder beim Werkvertrag. Es gilt also die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren [→ Kap. 4.10 (1), S. 118]. Selbstvornahme: Bei dringendem Bedarf kann der Mieter den Mangel auch selbst auf Kosten des Vermieters beseitigen (§ 536a BGB). Fristlose Kündigung: Der Mieter kann den Mietvertrag fristlos kündigen, wenn der Vermieter ihm den vertragsmäßigen Gebrauch der Mietsache nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzieht (§ 543 BGB) [→ Kap. 11.4, S. 255]. Ein Entziehen des Gebrauchs liegt auch vor, wenn die Mietsache wegen Mängeln nicht oder nur wesentlich eingeschränkt genutzt werden kann. Allerdings muss der Mieter im Normalfall zunächst eine angemessene Nachfrist setzen, sodass der Vermieter Abhilfe schaffen kann. 113 Mit „zugesichert“ ist weniger als eine Beschaffenheitsgarantie gemeint, eher „ausdrücklich vereinbart“ [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150]. <?page no="237"?> 10 Mietverträge (einschließlich Leasing) 237 [→ Zum Abwarten mit dem Ausspruch der Kündigung siehe Kap. 11.2 (1) unter „Ausübung des Rücktrittsrechts“, S. 250] 10.2 Pflichten des Mieters Der Mieter hat die vereinbarte Miete zu bezahlen (§ 535 Abs. 2 BGB), normalerweise in Geld. Da das Wort „Miete“ sowohl den Vertrag als auch den Gegenstand der Zahlung bezeichnet, wird zur Unterscheidung häufig von „Mietzins“ gesprochen. Die Pflicht zur Zahlung des Mietzinses beginnt im Zweifel erst nach der Erbringung der vereinbarten zusätzlichen Leistungen, gleich ob diese gesondert vergütungspflichtig sind oder nicht. Der Mietzins ist am Ende der Mietzeit zu entrichten. Ist diese nach Zeitabschnitten bemessen, hat der Mieter den Mietzins nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu bezahlen (§ 579 BGB). Zahlungsverzug: Der Vermieter kann den Vertrag gemäß § 543 BGB außerordentlich kündigen, wenn der Mieter „a) für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrags in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.“ Anzeigepflichten: Zeigt sich während der Mietzeit ein Mangel der gemieteten Sache oder wird eine Vorkehrung zum Schutze der Mietsache gegen eine nicht vorhergesehene Gefahr erforderlich, muss der Mieter dies dem Vermieter umgehend anzeigen (§ 536c BGB). 114 Unterlässt der Mieter diese Anzeige schuldhaft, ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch die Unterlassung entsteht. Rückgabe: Nach Beendigung der Mietzeit ist der Mieter verpflichtet, die gemietete Sache zurückzugeben (§ 546 BGB). Er ist verpflichtet, die Mietsache vorab in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Er muss den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, also Änderungen beseitigen. Veränderungen und Verschlechterungen, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch der Sache entstanden sind, sind durch den Mietzins abgegolten (§ 538 BGB). 114 Hier handelt es sich um eine Pflicht und nicht nur um eine Obliegenheit, weil es nicht um den Schutz des Mieters, sondern um den des Vermieters als Eigentümer geht. <?page no="238"?> 238 10.3 Leasingverträge 10.3 Leasingverträge Der Leasingvertrag ist nach der Rechtsprechung ein modifizierter Mietvertrag dahingehend, dass der Leasinggeber das Leasingobjekt für den Leasingnehmer erwirbt und an diesen vermietet: 115  Der Leasinggeber schließt seine Haftung für Sachmängel, meist auch die für Verzug, möglichst aus und tritt zum Ausgleich seine diesbezüglichen Ansprüche aus seinem Liefervertrag mit dem Auftragnehmer an den Leasingnehmer ab. Der Kunde/ Leasingnehmer hat also normalerweise kein Recht, die Zahlung der Leasingraten wegen Mängel einzustellen, solange er nicht vom Liefervertrag zurückgetreten ist und damit dem Leasingvertrag die Grundlage entzogen hat.  Der Kunde hat (abweichend von § 535 BGB) die Mietsache betriebsbereit zu halten. Er wird normalerweise verpflichtet, zu diesem Zwecke entsprechende Verträge abzuschließen, typischerweise mit deren Lieferanten. Der Kunde hat von der Unterzeichnung der Übernahmeerklärung an den Mietzins / die Leasingraten zu zahlen. Der Kunde hat Erfüllungsansprüche, wie er sie mit dem Lieferanten vereinbart hat. Denn der Kunde soll die Leasingsache nutzen. Dementsprechend schuldet auch der Leasinggeber diejenige Verwendbarkeit, die der Kunde und der Lieferant vereinbart haben. Das ist unabhängig davon, ob diese beiden schon einen Liefervertrag abgeschlossen haben oder noch nicht. Wenn die beiden das schon getan haben, dann ist die zwischen ihnen vereinbarte Verwendbarkeit auch dann geschuldet, wenn der Leasinggeber einen neuen Liefervertrag mit dem Lieferanten schließt (wodurch der bisher geschlossene Liefervertrag aufgehoben wird). Ende 115 Zur steuerlichen Seite siehe Wikipedia unter „Leasing“. <?page no="239"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten Die bisherigen Kapitel handelten davon, wie Sie sich auf dem Boden des Vertragsrechts bewegen und handeln können und wie Sie das tun sollten. Dabei haben Sie auch die wichtigen Anspruchsgrundlagen kennengelernt, auf die der Geschädigte sich im Falle von Pflichtverletzungen stützen kann, insbesondere bei mangelhaften Leistungen. - Pflichten können sich auch aus allgemeinen Rechtspflichten ergeben, auch aus solchen außerhalb von Verträgen. Dieses Kapitel beschreibt diese Anspruchsgrundlagen etwas ausführlicher. Es soll Ihnen erläutern, was Ihrer Seite aus rechtlicher Sicht an Risiken und Nachteilen droht. Weiterhin erläutert es Ihnen, wie Sie mit Ihrem Rechtsberater kommunizieren können. Dank der Vertragsfreiheit können die Vertragspartner Voraussetzungen und Umfang von Haftungsansprüchen weitgehend vereinbaren [→ Kap. 2.1.3, S. 36]. In welcher Weise ein Vertragspartner für eine Pflichtverletzung haftet, richtet sich nach deren Schwere, wie sie das Vertragsrecht einstuft. Der gesamte Bereich von Ansprüchen wegen Pflichtverletzungen wird als „Bereich des Vertretenmüssens“ bezeichnet. Dieser teilt sich auf in den „Risikobereich“ von Ansprüchen, die nicht auf Schadensersatz gerichtet sind, und in den „Verantwortlichkeitsbereich“ von Ansprüchen auf Schadensersatz. 116 116 Wobei der Gesetzgeber im Risikobereich gelegentlich auch das Wort „Verantwortung / Verantwortlichkeit“ verwendet, beispielsweise in § 645 Verantwortlichkeit des Bestellers. Es geht dort um dessen Risikobereich. <?page no="240"?> 240 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten Risikobereich: Das Vertragsrecht fragt im ersten Schritt, ob das, auf was der eine Vertragspartner seinen Anspruch stützt, wirklich eine Pflichtverletzung gegenüber dem anderen enthält. Ein Auftragnehmer könnte gegen den Vorwurf, dass das gelieferte Standardprodukt einen Mangel habe, vorbringen, dass er Fehler in fremden Standardprodukten nicht beseitigen könne, also dafür auch nicht haften würde. So einfach ist das nicht. Wer einen Vertrag schließt, übernimmt bestimmte Pflichten, so z.B. übernimmt der Verkäufer die Pflicht, eine mangelfreie Sache zu liefern. Erfüllt er diese Pflicht nicht, muss er dafür einstehen. Konkret: Wenn Mängel auftreten, ist er verpflichtet, diese zu beseitigen. Wie er das organisiert, ist seine Sache. Schafft er die Beseitigung nicht, haftet er dafür. Der Käufer ist zumindest berechtigt, vom Vertrag zurücktreten. Die Juristen sprechen viel davon, dass „die Ursache im Risikobereich des Schädigers gelegen“ haben müsse. So formulieren sie im Rahmen der Auslegung die Frage, wie weit die jeweils betroffene Pflicht reicht, also ob der Vertragspartner berechtigt war, so zu handeln, wie er das getan hat, bzw. ob er gebotene Maßnahmen zur Vermeidung der Vertragsverletzung unterlassen hat [→ Kap. 2.3 (1), S. 51]. Verantwortlichkeitsbereich: Wenn der Kunde allerdings mehr verlangt, nämlich Schadensersatz, sieht das Vertragsrecht eine schwerwiegendere Anspruchsvoraussetzung vor, sozusagen eine höhere Stufe. Für unser Beispiel bedeutet das: Normalerweise „kann der Auftragnehmer nichts“ für Mängel in Fremdsoftware. Dementsprechend ist die höhere Stufe nicht erreicht und haftet der Auftragnehmer im Normalfall nicht auf den Ersatz des Schadens, den Mängel verursachen [→ Kap. 11.1, S. 242]. Wenn das Wort „Vertretenmüssen“ in einer Rechtsvorschrift auftaucht, geht es nicht stets um einen Anspruch auf Schadensersatz. So genau formuliert der Gesetzgeber seine Vorschriften nicht. Höhere Gewalt: Ereignisse höherer Gewalt liegen außerhalb des Risikobereichs. Dafür haftet niemand. Dann liegt kein Pflichtverstoß vor. Streik oder Aussperrung fallen nicht unter höhere Gewalt, da sie vorhersehbar sind. Deshalb ist eine Klausel in Auftragnehmer-AGB verbreitet, etwa „Dem Fall höherer Gewalt stehen Streik und Aussperrung gleich“. Rechtswidrigkeit: Das ist ein ganz großes Thema im Strafrecht. Im Vertragsrecht erledigt es sich meist mit der Frage, ob eine Vertrags- <?page no="241"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 241 verletzung vorliegt. Die Rechtswidrigkeit kann ausnahmsweise eine Rolle spielen, beispielsweise wenn der Auftragnehmer zu spät zu einem Termin kommt, weil er auf dem Weg einem Verletzten erste Hilfe leisten musste. Das Thema wird dann meist innerhalb der Frage des Verschuldens abgehandelt. Zur Information Mögliche Ansprüche/ Rechte aus Haftung: Diese richten sich danach, wie die jeweilige Pflichtverletzung ausgeglichen werden kann. Insgesamt kommen in Betracht: 117  Anspruch auf Schadensersatz [→ zu deren Inhalt Kap. 11.1 (5), S. 246] • neben der vereinbarten Leistung, etwa wegen Verzugs oder wegen der Verletzung von Nebenpflichten [→ Kap. 4.1, S. 107] • statt der vereinbarten Leistung, etwa nach Rücktritt wegen Verzugs [→ Kap. 11.2 (3) unter „Zusätzlicher Anspruch auf Schadensersatz“, S. 252].  Anspruch auf Aufwendungsersatz (wenn der nutzlose Aufwand im Vertragsrecht ausnahmsweise keinen ersatzfähigen Schaden darstellt)  Recht zum Rücktritt / zur Rückgängigmachung des Vertrags. Das führt zu Ansprüchen auf dessen Rückabwicklung [→ Kap. 11.2, S. 248].  Kündigung aus wichtigem Grund (auch „außerordentliche/ fristlose Kündigung“ genannt) beendet den Vertrag mit Wirkung für die Zukunft ganz oder ziemlich schnell [→ Kap. 11.4, S. 255] .  Minderung ( = Recht zur) Herabsetzung der Vergütung [→ Kap. 6.4.3, S. 145] 118  Anspruch auf Nacherfüllung durch Mängelbeseitigung oder Ersatzlieferung/ Neuherstellung [→ Kap. 6.4, S. 137, und Kap. 7.7, S. 210]  Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes (z.B. einer Versicherungszahlung) 117 Die ersten beiden sind genau genommen Gestaltungsrechte; sie sind also nicht wie Ansprüche auf eine Handlung des Schuldners gerichtet. Für die Praxis ist das unerheblich; deswegen behandele ich diese Rechte wie Ansprüche (wie es auch das Vertragsrecht bei Bedarf tut) 118 Im Mietrecht erfolgte die Minderung automatisch; formal gesehen hat der Mieter also keinen Anspruch auf Minderung [→ Kap. 10.1 (1), S. 235]. Der Mieter muss sie aber geltend machen. <?page no="242"?> 242 11.1 Ansprüche auf Schadensersatz  Anspruch auf Unterlassung  Anspruch auf Auskunft, um danach die eigentlich beabsichtigten Ansprüche geltend machen zu können. Ende 11.1 Ansprüche auf Schadensersatz Der gesamte Schaden ist zu ersetzen [→ Kap. 11.1 (5), S. 246]. Dieser kann unterschiedlich weit gehen:  Im Normalfall ist der Geschädigte so zu stellen, wie er gestanden wäre, wenn der andere ihn nicht geschädigt hätte: • Verletzung von Nebenpflichten [→ Kap. 4.1, S. 107], • Verletzung von vorvertraglichen Pflichten [→ Kap. 3.4, S. 97], • außervertragliche Haftung [→ Kap. 11.9, S. 261].  Bei Verletzung von Erfüllungsansprüchen ist der Geschädigte darüber hinaus so zu stellen, wie er gestanden wäre, wenn der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte. (1) Anspruchsvoraussetzung Verantwortlichkeit Das BGB betrachtet Ansprüche auf Schadensersatz als etwas Gewichtiges. Es handelt diese unter der Anspruchsvoraussetzung „Verantwortlichkeit“ für die Schadensersatzpflicht ab (§ 276 BGB „Verantwortlichkeit des Schuldners“ leicht umgestellt und umformuliert): 119 „Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten [zusammengefasst: Verschulden],  wenn eine strengere oder mildere Haftung  weder [ausdrücklich]bestimmt ist noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses [= implizit] zu entnehmen ist,  insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos.“ 120 Diese Voraussetzung für Schadensersatzansprüche muss also nicht durch ein Wort wie „Verschulden“ ausgedrückt sein. Sie kann sich sogar allein aus der Anspruchsgrundlage ergeben, beispielsweise bei 119 Wobei es auch Rechtsvorschriften gibt, die den Begriff „Verantwortung“ verwenden, ohne eine Schadensersatzpflicht daran zu knüpfen. 120 Der Nebensatz mit „wenn“ enthält keine Anspruchsvoraussetzung, sondern verweist auf Normen, denen etwas zur Anspruchsvoraussetzung zu entnehmen ist. <?page no="243"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 243 der Produkthaftung [→ Kap. 11.9 unter „Produzentenhaftung / Produkthaftung“, S. 262]. Fahrlässigkeit: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt [→ zu einer Erläuterung dazu siehe Kap. 7.4 (2) unter „Fehlerhaftes Arbeiten“, S. 201]. Das Vertragsrecht differenziert selten zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit. In der Praxis ist es beliebt, das in Verträgen zu tun (damit der Auftragnehmer in AGB sein Haftungsrisiko im Falle der leichten Fahrlässigkeit verringern kann [→ Kap. 3.5 (4), S. 103]. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, insbesondere wenn er schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Beispiele für grobe Fahrlässigkeit (1) Im Normalfall dürfte grobe Fahrlässigkeit vorliegen, wenn ein Programmierer ein Programm beim Kunden abändert, ohne die Änderung anschließend zu testen. (2) Ein Berater lässt bei telefonischer Unterstützung den Laien-Benutzer einen Löschbefehl eingeben, der bei falscher Eingabe zu einem schwerwiegenden Datenverlust führt. Verantwortlichkeit strenger oder milder: Diese Differenzierung kann sich aus einer Rechtsvorschrift oder aus einer Vereinbarung ergeben. Strengere Haftung: Es wird auf Umstände abgestellt, die vom Verschulden unabhängig sind, beispielsweise auf eine Garantieerklärung. Der Schuldner erklärt mit dieser, dass er auf jeden Fall haften will [→ Kap. 6.4.7 (1), S. 150]. Das tut er dann auch. [→ Siehe auch Kap. 11.9 unter „Produzentenhaftung / Produkthaftung“, S. 262] Auch wer Geld schuldet, haftet ohne Verschulden auf Verzugszinsen als Schadensersatz: „Geld hat man zu haben.“ Mildere Haftung : Bei der Leihe liegt ein Gefälligkeitsverhältnis vor (§ 599 BGB). Deswegen haftet der Verleiher nicht bei leichter Fahrlässigkeit. Die Rechtsprechung schränkt die Haftung des Arbeitnehmers auf Er- <?page no="244"?> 244 11.1 Ansprüche auf Schadensersatz satz des Schadens, den er bei betrieblichen Tätigkeiten fahrlässig verursacht, unter dem Stichwort „Betriebsrisiko“ massiv ein. 121 (2) Anspruchsgrundlagen im Verantwortlichkeitsbereich Einige solcher Anspruchsgrundlagen sind bereits in (1) angesprochen worden. Die allgemeine Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz in § 280 BGB lautet: Verletzt ein Vertragspartner eine beliebige Pflicht in seinem Verantwortlichkeitsbereich, kann der Geschädigte „Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“ Die Vorschriften zur Haftung in den einzelnen Vertragstypen verweisen auf diese Anspruchsgrundlage. Wenn Juristen einen Begriff für diese Anspruchsgrundlage benötigen, sprechen sie von „Schlechterfüllung/ Schlechtleistung“, sonst allgemein von „Pflichtverletzung“. Beispiele Die Verletzung der Pflicht zur ordentlichen Arbeit bei Dienstverträgen. Die Verletzung von Nebenpflichten wie Geheimhaltungspflichten. Beweislast: Der Geschädigte kann Verschulden oft nur schwer beweisen [→ Kap. 2.2.3 (2), S. 47]. Deswegen ist Verschulden in der vorstehenden Anspruchsgrundlage nicht als Anspruchsvoraussetzung formuliert, sondern ist die Beweislast umgedreht. Der Verursacher kann und muss sich entlasten, dass ihn kein Verschulden trifft. 122 (3) Mitverschulden Wenn sich jemand schadensersatzpflichtig gemacht hat, kommt in Betracht, dass er nur anteilig haftet, weil den Geschädigten ein Mitverschulden trifft (§ 254 BGB) [→ Kap. 2.2.1 (2), S. 41]. Mitverschulden ist hier als Verschulden gegen sich selbst zu verstehen, als Verletzung einer Pflicht im eigenen Interesse [→ Kap. 4.5, S. 113]. Mitverschulden umfasst entgegen dem Wortlaut auch den Risikobe- 121 Siehe Wikipedia unter „Arbeitnehmerhaftung“. 122 Im Arbeitsrecht bleibt es dabei, dass der Arbeitgeber bei Ansprüchen gegen den Arbeitnehmer die Beweislast für dessen Vertretenmüssens trägt (§ 619a BGB). <?page no="245"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 245 reich 123 . Es wird bei der Abwägung weniger schwer als Verschulden gewichtet. Beispiele für Mitverschulden (1) Innerhalb eines Vertrags Ein Mangel in einer gekauften Sache ist aufgetreten. Dieser führt kontinuierlich zu einem Schaden. Der Kunde verzögert die Mängelmeldung. Deswegen muss er denjenigen Anteil am Schaden selbst tragen, der bei unverzüglicher Mängelmeldung nicht mehr entstanden wäre. Ist der Kunde ein Kaufmann, verliert er seine vertraglichen Schadensersatzansprüche wegen dieses Mangels sogar insgesamt [→ Kap. 6.4.5, S. 146]. (2) Außerhalb eines Vertrags Autofahrer kennen das Mitverschulden von der Schadensverteilung bei Unfällen her: Oft trägt der Geschädigte einen Teil des Schadens selbst, weil er sich am riskanten Autoverkehr beteiligt hat. In dieser Konstellation geht es um die Mitverantwortung des Geschädigten aufgrund von dessen Risikobereich [→ siehe auch Kap. 11.9, S. 261]. Wer welchen Anteil am Schaden tragen muss, ergibt sich aus den Umständen, im Wesentlichen aus dem Anteil an der Verursachung des Schadens und aus dem Anteil am Verschulden. Beispiel Wenn der Kunde keine Datensicherung vornimmt und Daten durch einen vom Auftragnehmer verschuldeten Programmfehler verloren gehen, trägt der Kunde im Normalfall denjenigen Schaden selbst, den er bei ordnungsgemäßer Datensicherung vermieden hätte. Insoweit entfällt also sein Anspruch auf Schadensersatz. (4) Verantwortlichkeit für den Erfüllungsgehilfen Beim Erfüllungsgehilfen geht es darum, dass der Verantwortungsbereich des Vertragspartners erweitert und damit dessen Haftung ausgedehnt wird. Erfüllungsgehilfe ist derjenige, den - meist - der Auftragnehmer zur Erfüllung seiner Pflichten einsetzt (§ 278 BGB). Er kann dafür Mitarbeiter oder aber Unterauftragnehmer einsetzen. 123 Genau genommen geht es also um Mitvertretenmüssen / Mitverantwortung; aber Mitverschulden ist ein uralter Begriff. <?page no="246"?> 246 11.1 Ansprüche auf Schadensersatz Geht es um Schadensersatzansprüche, muss der Schuldner sich das Handeln seines Erfüllungsgehilfen als eigenes zurechnen lassen: als wenn er selbst gehandelt hätte. Für Vorlieferanten haftet der Auftragnehmer nur abgeschwächt. Denn wenn er eine Sache verkauft, die er selbst einkaufen muss, übernimmt er keine Pflicht zur Herstellung. Der Vorlieferant ist also kein Unterauftragnehmer. Der Auftragnehmer trägt allerdings sein Beschaffungsrisiko, also das Risiko dafür, dass er sich rechtzeitig eingedeckt hat [→ Kap. 11.5 (1) unter „Beschaffungsrisiko“, S. 256] Bei der Abgrenzung von Vorlieferanten und Erfüllungsgehilfen kommt es also darauf an, wer die spezifischen Pflichten des Auftragnehmers erfüllen soll. Beispiel Wenn ein Hersteller eine IT-Anlage an ein Systemhaus verkauft, ist er nur Lieferant und damit nicht dessen Erfüllungsgehilfe im Verhältnis zum Kunden. Wenn er dann die Anlage im Auftrag des Systemhauses installiert, ist er insoweit dessen Erfüllungsgehilfe. (5) Einzelheiten zum Schadensersatz Inhalt und Umfang: Wenn möglich, ist der Zustand herzustellen, der ohne den schadensverursachenden Umstand bestehen würde (§§ 249 ff. BGB). <?page no="247"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 247 Ist die Wiederherstellung nicht möglich oder genügt sie nicht zur Entschädigung des Geschädigten, ist in Geld zu entschädigen, gegebenenfalls zusätzlich. Bei Personen- und Sachschäden hat der Geschädigte das Wahlrecht, ob er Wiederherstellung oder den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangt. Der Schaden in Geld liegt in der Differenz zwischen dem zu vermutenden künftigen Wert des Zustands aufgrund der Schädigung und dem künftigen Wert des Zustands, der ohne den schadensverursachenden Umstand zu vermuten ist („Differenzhypothese“). Beide Zustände sind hypothetischer Natur. § 252 BGB erleichtert dem Geschädigten die Beweisführung: Zwei plausible Schätzungen reichen aus. Die Differenz ist der „entgangene Gewinn“ im Sprachgebrauch von § 252 BGB. Gemeint sind „entgangene Vorteile“, beispielsweise entgangenes Einkommen bei einer Körperverletzung. Die Differenz kann auch zwischen dem liegen, was der Kunde durch den Einsatz des bestellten Systems erlangt/ gewonnen hätte, wenn der Auftragnehmer dieses vertragsgerecht geliefert hätte, und der finanziellen Lage des Kunden ohne dieses System. Das ist der Erfüllungsschaden, auch das „positive Interesse“ genannt. Dann ist es plausibel, vom „entgangenen Gewinn“ zu sprechen. Wenn in AGB „ einschließlich entgangenem Gewinn“ formuliert wird, ist das irreführend. Denn wenn Gewinn (beim Erfüllungsschaden) in Betracht kommt, ist der entgangene Gewinn als Differenzbetrag bereits im Schaden enthalten. Bei Bedarf Wie üblich ist eine normative Komponente zu berücksichtigen. Der reine Vergleich in Geld entspricht manchmal nicht Treu und Glauben. Wenn der Geschädigte die beschädigte Sache von Mitarbeitern reparieren lässt, ohne dass ihm aufgrund der verwendeten Arbeitszeit anderweitige Einnahmen entgehen, hat er insoweit keine Einbuße. Denn er muss seine Mitarbeiter ohnehin bezahlen. Das soll dem Schädiger nicht zugutekommen, d.h. dass dieser die normalen Reparaturkosten als Schaden zu zahlen hat. Vertrauensschaden / negatives Interesse : Jemand hat Vertrauen erweckt, das er nicht erfüllt. Für den daraus entstandenen Schaden haftet er. Beispiel Ein Kunde hat irrtümlich einen Auftrag erteilt und diesen nach Erkennen des Irrtums angefochten. Er muss den Auftragnehmer so stellen, als ob kein Vertrag geschlossen worden wäre, also dem Auftragnehmer dessen bereits erbrachte Aufwendungen erstatten. <?page no="248"?> 248 11.2 Recht zum Rücktritt Die Situation kann auch viel komplizierter sein. Befragen Sie Ihren Rechtsberater. Betroffenes Rechtsgut : Die Rechtsordnung unterscheidet zwischen Schäden, an „absoluten Rechten“, also an Herrschaftsrechten wie dem Eigentum an Sachen [→ Kap. 2.1.2 (3), S. 33], und solchen, die von vornherein nur das Vermögen treffen (= Schaden nur in Geld). Diese Arten werden teilweise unterschiedlich behandelt. Die Schäden an absoluten Rechten werden als unmittelbare Schäden behandelt. Aus solchen Verletzungen kann ein mittelbarer Schaden entstehen, beispielsweise dass mit einer beschädigten Produktionsanlage nicht produziert und also nichts verkauft werden kann. Dieser Schaden ist der Sache nach ein Vermögensschaden, wird aber als Teil des Schadens, der aus der Verletzung des Rechts stammt, behandelt. Dieser ist deswegen gemäß den Vorschriften für die Verletzung von absoluten Rechten zu ersetzen. Die Juristen bezeichnen diesen als „unechten“ Vermögensschaden. Im Gegensatz dazu steht der „echte“ oder „reine“ Vermögensschaden, der sich von vornherein auf das Vermögen bezieht (= Schaden in Geld ist). Er ist bei einigen Anspruchsgrundlagen aus außervertraglichen Schuldverhältnissen nicht zu ersetzen [→ Kap. 11.9, S. 261]. Ende (6) Haftungseinschränkung im Vertrag Das Vertragsrecht enthält weitgehend nachgiebiges Recht. Die Vertragspartner können also weitgehend davon abweichen [→ Kap. 2.1.3, S. 34]. Das gilt auch für die Vorschriften zur Haftung. Nur wenige sind zwingend, sodass die Vertragspartner die Haftung nicht bereits im Vertrag einschränken können, beispielsweise die Haftung wegen vorsätzlicher Schädigung (§ 276 BGB). 124 Einschränkungen der Haftung auf Schadensersatz sind in AGB allerdings nur sehr begrenzt wirksam [→ Kap. 3.5 (4) unter „Beispiele“, S. 103]. 11.2 Recht zum Rücktritt Jeder Vertragspartner kann zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt sein, wenn der andere eine Vertragspflicht erheblich verletzt hat. Die Ursache muss zumindest im Risikobereich des Schuldners liegen [→ 124 Die Vertragsfreiheit geht sogar so weit, dass die Vertragspartner teilweise auch die Haftung aus Anspruchsgrundlagen außerhalb von Verträgen [→ Kap. 11.9, S. 261] einschränken können. <?page no="249"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 249 Kap. 11 unter „Risikobereich“, S. 240]. Der Gläubiger kann zusätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verantwortlichkeit haben. [→ Zu spezifischen Vorschriften zum Lieferverzug siehe Kap. 11.3, S. 253]. (1) Nachfristsetzung Voraussetzung ist im Normalfall, dass der Gläubiger dem Schuldner eine angemessene Nachfrist für die Leistung bzw. bei Mängeln für die Nacherfüllung gesetzt hat (§ 323 BGB). Wenn die Leistung auch innerhalb der Nachfrist nicht erbracht wird, kann der Gläubiger die Leistung ablehnen und vom Vertrag zurücktreten. Ausspruch der Fristsetzung: Der Gläubiger braucht den Rücktritt nicht anzudrohen. Die Drohung steckt in der Fristsetzung [→ zur Mahnung siehe Kap. 11.3 (1) unter „Mahnung nach Fälligkeit“, S. 253]. Es stellt sich die Frage, wie genau der Gläubiger die ausstehenden Teile bezeichnen muss. Sie ist im Ansatz zugunsten des Kunden dahingehend zu beantworten, dass der Auftragnehmer selbst wissen muss, was er nach dem Vertrag schuldet. Es gibt Fälle, in denen die Vertragspartner plausiblerweise unterschiedlicher Meinung sind, sodass der Auftragnehmer Klarheit braucht, worauf der Kunde besteht. Der Auftragnehmer muss die Chance haben, das zu realisieren, auch wenn der Vertrag das nach seinem Verständnis nicht hergibt. Hat er Recht, kann er später einen Anspruch auf Vergütung geltend machen. Der Kunde muss also auf Verlangen klar darlegen, was aus seiner Sicht fehlt, um seine Rechte zu wahren [→ vgl. zur Mängelmeldung Kap. 6.4.1, S. 138]. Angemessene Nachfrist: Diese bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Frist muss zu Gunsten eines Auftragnehmers so bemessen sein, dass er diese unter sachlichen und personellen Anstrengungen einhalten kann, wenn er die Leistung bereits im Wesentlichen fertig gestellt hat. Diese vage Formulierung hat der Rechtsprechung bisher gereicht. Die Faustformel für die Fristbestimmung lautet: zwischen 15 Prozent der vereinbarten Lieferzeit bei einer kurzen Lieferzeit und zehn Prozent bei einer langen. Eine unangemessen kurze Frist verlängert sich automatisch in eine angemessen lange. Der Gläubiger soll nicht das Risiko tragen, eine zu kurze Frist gesetzt zu haben. Wenn er allerdings bereits vor Ablauf der ggf. automatisch verlängerten Frist den Rücktritt vom Vertrag erklärt, bricht er den Lauf der Frist ab. Seine Erklärung ist dann zu früh <?page no="250"?> 250 11.2 Recht zum Rücktritt gekommen, ist damit unwirksam und beinhaltet eine Vertragsverletzung auf seiner Seite. Fristsetzung nicht erforderlich: In Ausnahmefällen ist der beeinträchtigte Vertragspartner zum Rücktritt berechtigt, ohne dass er eine Nachfrist setzen müsste, nämlich wenn die Fristsetzung zwecklos oder für ihn unzumutbar wäre (§ 323 Abs. 2 BGB). Bei Lieferverzug ist das der Fall, wenn ein Fixgeschäft vorliegt, d.h. ein Geschäft, bei dem „das Leistungsinteresse des Gläubigers an die Rechtzeitigkeit der Lieferung gebunden ist“, also wenn er die Leistung nach dem Liefertermin nicht mehr brauchen würde. Das ist so in § 376 HGB für den Handelskauf geregelt; die Vertragspartner können das auch bei einem Werkvertrag vereinbaren. Der Kunde kann sogar schon vor dem Liefertermin ohne Fristsetzung zurücktreten, wenn schon vorher „offensichtlich“ ist, dass der Auftragnehmer nicht in der Lage sein wird oder sogar schon ist, die vertragsgemäße Leistung zustande zu bringen, in der Sprache des Gesetzes: „dass die Voraussetzungen für den Rücktritt eintreten werden“ (§ 323 Abs. 4 BGB). 125 Ausübung des Rücktrittsrechts: Der Gläubiger braucht den Rücktritt nicht gleich zu erklären, sondern kann eine angemessene Zeit lang damit abwarten. Der Schuldner ist also weiterhin zur Leistung verpflichtet. Er ist dazu auch berechtigt. Er muss allerdings damit rechnen, dass der Gläubiger sein Rücktrittsrecht noch vor der vollständigen Vertragserfüllung ausübt. 126 Die Kundenseite sollte vorsichtshalber eine gut ausreichende Nachfrist setzen und nach deren Ablauf noch einige Zeit abwarten, bevor sie den Rücktritt erklärt. 125 Bei der Beurteilung ist eine angemessene Nachfrist einzubeziehen. Denn die Voraussetzungen für den Rücktritt sind erst nach Ablauf einer solchen Frist erfüllt. 126 Dieses Recht zum Abwarten wird damit gerechtfertigt, dass der Auftragnehmer vertragsbrüchig sei. Er habe doch die Chance, bis zur Rücktrittserklärung noch jederzeit den Vertrag zu erfüllen. Er müsse es deswegen hinnehmen, dass der Kunde „innerhalb eines gewissen Zeitraums zwischen den verschiedenen Rechtsbehelfen wählen kann“ (Amtliche Begründung zu § 323 Abs. 1 BGB). § 350 BGB ermöglicht zwar dem Vertragspartner, der durch ein Rücktrittsrecht des anderen betroffen ist, dem anderen eine Erklärungsfrist zu setzen, ob der andere vom Vertrag zurücktreten wolle oder nicht. Das gilt aber ausdrücklich nur für ein vereinbartes Rücktrittsrecht (das von einer Vertragsverletzung nicht abhängig ist). <?page no="251"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 251 (2) Umfang des Rücktritts Bei teilweiser Nichterfüllung bzw. teilweiser Mangelhaftigkeit kann der Kunde nur dann vom Vertrag insgesamt zurücktreten, wenn die erbrachte teilweise Leistung für ihn ohne Interesse ist. Das ist aus der jeweiligen Konstellation abzuleiten. Bei Projektverträgen dürfte der Kunde meist berechtigt sein, vom Vertrag insgesamt zurückzutreten. Beispiel für Berechtigung zum Gesamtrücktritt Bei Teilverzug bei der Erstellung eines Systems ist es für einen anderen Auftragnehmer aufwendig, sich in ein fremdes System einzuarbeiten, um dieses fertig zu stellen, für den Kunden ist das also aufwendig und auch riskant. Weiterhin hätte der Kunde es künftig mit zwei Auftragnehmern für ein System zu tun. Es droht, dass diese sich bei Störungen die Schuld gegenseitig zuschieben. Die Vertragspartner können ausdrücklich eine Gesamtleistung vereinbaren, beispielsweise indem sie Begriffe wie „Lösung“ oder „integriertes System“ verwenden. Dann kann der Kunde bei Vertragsverletzungen stets insgesamt zurücktreten; es sei denn, dass das ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Hat der Auftragnehmer mehrere Leistungen auf zwei oder mehr formal unabhängige Vertragsdokumente aufgeteilt, ist das kein Indiz dafür, dass der Kunde nicht berechtigt sein soll, insgesamt zurückzutreten. Die Verträge müssen schon ausdrücklich als voneinander unabhängig bezeichnet sein. Beispiel für die Einbeziehung von Nachträgen Änderungen im ursprünglichen Bestellumfang, insbesondere Erweiterungen während der Projektdurchführung, können den bisherigen Zusammenhang ergänzen. Wenn der zusätzlich bestellte Teil mangelhaft ist, müsste der Auftragnehmer auch die früher gelieferten Teile zurücknehmen. Für ein Gesamtinteresse des Kunden spricht insbesondere, wenn zusätzliche Aufträge von vornherein eingeplant oder zumindest angedacht worden sind. Sonst gilt allgemein: Je enger die Leistungen zusammenhängen, desto größer kann der zeitliche Abstand zwischen den Bestellungen sein, ohne dass das Recht zum Gesamtrücktritt entfallen würde. (3) Rechtsfolgen des Rücktritts Soweit der Rücktritt reicht, wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt. Damit entfallen alle beiderseitigen Leistungspflichten. <?page no="252"?> 252 11.2 Recht zum Rücktritt Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzugewähren. Der Kunde muss Sachen zur Abholung bereitstellen, der Auftragnehmer muss sie auf eigene Kosten abholen, bei Bedarf auch abbauen [→ siehe zum Leistungsort Kap. 4.4, S. 111] . Beim Rücktritt nimmt die Rechtsprechung einen gemeinsamen Leistungsort für die Abholung und die Rückzahlung geleisteter Zahlungen an, und zwar an dem Ort, an dem sich die Sachleistung befindet. Das schafft einen gemeinsamen Gerichtsstand für alle beiderseitigen Ansprüche. Es können bereits Schadensersatzansprüche entstanden sein, beispielsweise wegen Verzugs. Der Wegfall der Leistungspflichten wegen Verzugs führt nicht dazu, dass diese Ansprüche erlöschen würden. Diese bestehen weiterhin (neben dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung [→ siehe im Folgenden „Zusätzlicher Anspruch auf Schadensersatz“]). Der Kunde ist berechtigt, den Umfang des Rücktritts zu beschränken (wenn er einen Teil behalten will). Voraussetzung dafür ist, dass das für den Auftragnehmer zumutbar ist. Zusätzlicher Anspruch auf Schadensersatz: Der Kunde kann Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn der Auftragnehmer für den Rücktritt verantwortlich ist. [→ Kap. 11.1 (2), S. 244. Zur Struktur dieser Anspruchsgrundlage siehe auch das „Beispiel für eine umfangreiche Ausgangsfassung“, Anhang A.1.1, S. 211] Der Kunde kann das Vorhaben einstellen. Dann kann er seine bisherigen nutzlos gewordenen („vergeblichen“) Aufwendungen für die Mitwirkung an der Vertragsdurchführung als Mindestschaden ersetzt verlangen (§ 284 BGB). 127 Unerheblicher Lieferverzug / unerhebliche Mängel: Der Kunde kann in diesen Fällen nicht vom Vertrag zurücktreten (§ 323 Abs. 5 BGB). Abzustellen ist auf die Defizite insgesamt im Verhältnis zur Gesamtleistung. Ein Auftragnehmer mag Mängel mit der Begründung bagatellisieren, dass deren Beseitigung eine Kleinigkeit sei. Entscheidend ist aber, in welchem Umfang solche Mängel die Verwendbarkeit des Systems beeinträchtigen. Weiterhin ist auf den Aufwand für das Beseitigen der Mängel und auf die Fähigkeit des Kunden abzustellen, das zu tun. Ein Mangel dürfte 127 Die Vorschrift ist erforderlich, weil dieser Nachteil aus rechtsdogmatischen Gründen nicht immer als Schaden ersatzfähig ist. <?page no="253"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 253 nur unerheblich sein, wenn der Kunde diesen selbst mit geringem Aufwand beseitigen kann. [→ Zum Anspruch auf die Beseitigung von unerheblichen Mängeln siehe Kap. 6.4.2 am Anfang, S. 248]. 11.3 Ergänzende Vorschriften zum Verzug Jeder Vertragspartner kann mit einer Leistung in Verzug kommen, auch mit der Erfüllung einer Pflicht aus Haftung, z.B. der Auftragnehmer mit der Beseitigung von Mängeln. Der Geschädigte will dann Schadensersatz bekommen. [→ Zur Fälligkeit siehe Kap. 4.3, S. 87. Zum Rücktritt wegen Verzugs siehe Kap. 11.2, S. 248} (1) Anspruch auf Schadensersatz Nichtleistung trotz Fälligkeit der Leistung ist die erste Anspruchsvoraussetzung. Der Schuldner trägt die Beweislast dafür, dass er die Leistung rechtzeitig erbracht hat. Mahnung nach Fälligkeit : Der Schuldner soll auf seine Vertragsverletzung deutlich hingewiesen werden. Das kann durch eine Mahnung erfolgen. Diese ist die bestimmte und eindeutige Aufforderung, die Leistung endlich zu erbringen. Sie ist stärker als eine normale Zahlungserinnerung. Die Setzung einer Nachfrist enthält auch die Mahnung für die Inverzugsetzung. Andersherum ist nicht jede Mahnung schon eine Fristsetzung. Denn letztere enthält implizit zusätzlich die Drohung, nach nutzlosen Fristablauf vom Vertrag zurückzutreten. Eine einmalige Mahnung genügt, um den Schuldner in Verzug zu setzen. Der Mahnung bedarf es alternativ nicht (§ 286 Abs. 2 BGB), wenn „1. für die Leistung die Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,“ Beispiel: „Liefertermin: 25. August / 32. Kalenderwoche“; ausreichend auch „spätestens am 10. April“, „noch im Laufe des April“. „2. der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt.“ Beispiel: „Zwei Monate nach Vertragsabschluss“, „Zahlung zwei Wochen nach Lieferung“. <?page no="254"?> 254 11.3 Ergänzende Vorschriften zum Verzug „3… 4. aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.“ Beispiel: Die Erfüllung ist offensichtlich besonders dringend, z.B. die Reparatur eines Servers, der produktiven Zwecken dient. Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er „nicht zu vertreten“ hat. Gemeint ist: für den er nicht verantwortlich ist (§ 286 Abs. 4 BGB). Er kann sich also entlasten. Beispiel für Entlastung Der Auftragnehmer ist bei der Erstellung von Anwendungssoftware entlastet, wenn der Kunde den Server, auf dem der Auftragnehmer diese erstellen sollte, nicht im vereinbarten Umfang zur Verfügung gestellt hat. Der Kunde behält seinen Leistungsanspruch und kann daneben Ersatz seines Verzögerungsschadens verlangen. Der Kunde hat also Anspruch darauf, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie wenn er die Leistung zu dem vereinbarten Zeitpunkt erhalten hätte. (2) Ansprüche des Auftragnehmers bei Verzug des Kunden Der Kunde kommt als Schuldner einer Geldforderung automatisch in Zahlungsverzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung (oder einer gleichwertigen Zahlungsaufstellung) zahlt. ‒ Der Auftragnehmer kann auch schon vor Ablauf von 30 Tagen mahnen, um den Kunden in Zahlungsverzug zu setzen. Bei Geldschulden ergibt sich aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses, dass die unterlassene Zahlung für Schadensersatzansprüche reicht: „Geld hat man zu haben.“ Der Schuldner kommt nur bei höherer Gewalt nicht in Verzug [→ Kap. 11.1 (1) unter „Verantwortlichkeit strenger oder milder“, S. 244]. Der Verzugszins beträgt zu Lasten von Unternehmern 9 % über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 2 BGB). 128 Der Anspruch kann vor Eintritt des Zahlungsverzugs nicht ausgeschlossen werden; er kann nur eingeschränkt werden, wenn das für den Auftragnehmer nicht grob unbillig ist. 128 Außerdem kann der Auftragnehmer eine Mahngebühr von Euro 40 je Zahlungsverzug verlangen. <?page no="255"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 255 11.4 Kündigung aus wichtigem Grund Die Kündigung aus wichtigem Grund beinhaltet, dass ein Vertrag, der auf Dauer angelegt ist, mit Wirkung für die Zukunft vorzeitig beendet wird. Eine sonst bestehende Kündigungsfrist braucht nicht eingehalten zu werden. Das BGB spricht auch von einer außerordentlichen Kündigung. Der wichtige Grund liegt meistens in einem vertragswidrigen Verhalten des anderen Vertragspartners. 129 in diesem Fall hat der zu dieser Kündigung berechtigte Vertragspartner meistens auch Schadensersatzansprüche [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist im Arbeits- und Mietrecht speziell und in § 314 BGB allgemein für andere Dauerschuldverhältnisse anstelle des Rücktritts vorgesehen. Auch ein Werkvertrag kann aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 648a BGB). Er ist zwar kein Dauerschuldverhältnis, ist aber auf eine gewisse Dauer hin ausgelegt [→ siehe auch Kap. 7.3.4 zum freien Kündigungsrecht, S. 199]. Das Recht zu einer Kündigung aus wichtigem Grund kann nicht ausgeschlossen werden [→ Kap. 2.1.3 (2), S. 36]. 11.5 Unmöglichkeit Es geht primär darum, Ihnen die „faktische“ Unmöglichkeit vorzustellen. Echte Unmöglichkeit kommt nur selten vor. (1) Echte Unmöglichkeit Unmöglichkeit liegt vor, wenn niemand, also weder der Schuldner noch sonst jemand, die Leistung erbringen kann, gleich welcher Grund das verhindert. Es kommt nicht darauf an, ob die Leistung schon bei Vertragsabschluss unmöglich ist (§ 311a BGB) oder erst später unmöglich wird: Was nicht geht, geht nicht! Deswegen „ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen“ (§ 275 Abs. 1 BGB). Bei 129 § 314 BGB: „Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.“ <?page no="256"?> 256 11.5 Unmöglichkeit einem gegenseitigen Vertrag entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB). Beispiele Verkauf einer gebrauchten Maschine, die bereits durch Brand vernichtet worden ist. - Vertrag über Montage und Inbetriebnahme einer neuen Maschine in Deutschland, die nicht den Vorschriften des Produktsicherheitsgesetzes entspricht. Der Schuldner haftet nach der allgemeinen Haftungsvorschrift auf Schadensersatz, also wenn er die Unmöglichkeit zu verantworten hat [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Ist die Leistung schon bei Vertragsabschluss unmöglich, hat er die Unmöglichkeit in dem Fall nicht zu vertreten, dass er das Leistungshindernis nicht kannte und diese Unkenntnis ihm nicht vorzuwerfen ist (§ 311a Abs. 2 BGB). Beschaffungsrisiko: Der Auftragnehmer hat sein Beschaffungsrisiko zu verantworten: Er muss dafür sorgen, dass er eine nur der Gattung nach bezeichnete Leistung, etwa einen PC, liefern kann. Deckt er sich nicht rechtzeitig ein, haftet er auf Schadensersatz, solange dieses Standardprodukt auf dem Markt für einen Käufer wie ihn überhaupt verfügbar ist. 130 (2) „Faktische“ Unmöglichkeit § 275 Abs. 2 und 3 BGB behandelt zwei Fälle, in denen die Leistung zwar möglich, aber so erschwert ist, dass das Vertragsrecht diese Fälle der echten Unmöglichkeit gleichstellt. Grundlage ist wieder einmal Treu und Glauben. Unverhältnismäßigkeit des Aufwands für die Leistung: „Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht, …“. Diese Vorschrift soll nur für ganz krasse Fälle gelten, in denen das Leistungsinteresse des Gläubigers (= sein Vorteil) im Verhältnis zum Aufwand gering ist. Standardbeispiel von Juristen Der ausgeliehene Ring ist auf den Grund eines tiefen Sees gefallen und müsste geborgen werden. 130 Das wird aus § 275 Abs. 1 BGB abgeleitet; § 276 Abs. 1 BGB weist auf dieses Risiko hin [→ Kap. 11.1 (1), S. 242]. <?page no="257"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 257 Die Vorschrift betrifft nicht den Fall, dass die Vergütung für die Erstellung eines Systems nur weit hinter dem dafür erforderlichen Aufwand zurückbleibt; dann geht es um die Störung der Geschäftsgrundlage [→ Kap. 4.9, S. 116]. Persönliche Unzumutbarkeit: Ebenso kann der Schuldner eine Leistung, die er persönlich zu erbringen hat, verweigern, soweit und solange sie ihm unter Abwägung des Leistungsinteresses des Gläubigers und der Leistungshindernisse auf seiner Seite nicht zugemutet werden kann. Beispiel Der Mitarbeiter des Auftragnehmers, der den Vertrag allein durchführt, hat einen Trauerfall in seiner engsten Familie. Er braucht deswegen an dem Tag des Begräbnisses nicht zur Arbeit zu kommen. 11.6 Annahmeverzug des Kunden mit dem Endergebnis Zur Information Soweit der Kunde die Vergütung nicht rechtzeitig zahlt, richten sich die Rechtsfolgen seines Verzuges nach den Vorschriften über den Schuldnerverzug [→ Kap. 11.3, S. 253]. Das gilt auch für Verzug bei Mitwirkungsleistungen, soweit diese als Pflicht vereinbart sind, der Kunde diese also schuldet. Wenn der Kunde als Gläubiger die Leistung des Auftragnehmers nicht rechtzeitig entgegennimmt, kann das für den Auftragnehmer erhebliche nachteilige Folgen haben. Davon soll dieser entlastet werden. Für den Dienstvertrag ist das im Dienstvertragsrecht geregelt [→ Kap. 9.1 (2) unter „Vergütungspflicht bei Annahmeverzug des Kunden“, S. 227]. Für die anderen Vertragstypen regelt das Vertragsrecht das allgemein in der Weise, dass der Kunde in Annahmeverzug kommt, wenn er „die ihm angebotene Leistung nicht annimmt“ (§§ 293 ff. BGB). Die Paragrafen dafür sind auf den Verzug bei der Entgegennahme des Endergebnisses ausgerichtet. Wenn das vorkommt, ist Ihre Leitungsebene zum Handeln aufgefordert. Dementsprechend erspare ich Ihnen die Einzelheiten. Der nächste Abschnitt geht darauf ein, wie sich das Thema „Mangelnde Mitwirkung“ bei der Vertragsdurchführung in Ihrem Aufgabenbereich stellt. Ende <?page no="258"?> 258 11.7 Unzulängliche Mitwirkung des Kunden 11.7 Unzulängliche Mitwirkung des Kunden Es geht um Situationen wie die, dass der Auftragnehmer eine verabredete Besprechung durchführen oder ein Zwischenergebnis übergeben will, gegebenenfalls installieren will, also um die normale Projektarbeit. Die extreme Situation, dass der Kunde das fertig gestellte Werk nicht entgegennimmt, wird im vorhergehenden Abschnitt abgehandelt. [→ Zur Frage, ob der Kunde mitzuwirken hat (Pflicht oder Obliegenheit), siehe Kap. 4.6, S. 113] Der Fall, dass der Kunde während der Projektdurchführung nicht ordnungsgemäß mitwirkt, wird im Werkvertragsrecht nur kurz abgehandelt (§ 642 BGB). Der Auftragnehmer kann eine „angemessene Entschädigung“ dafür verlangen, dass er „Personal, Geräte und Kapital, also die Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung, bereithält.“ (BGH) 131 Diese Entschädigung beinhaltet einen Anspruch eigener Art. Sie ist niedriger als ein Schadensersatzanspruch. Dafür reicht als Anspruchsvoraussetzung, dass die Ursache im Risikobereich des Kunden liegt, dessen Verschulden also nicht Voraussetzung ist. Auch die Darlegung des Schadens wird erleichtert. Dieser Anspruch bezieht sich nicht auf kleine Störungen durch den Kunden. Deswegen ist Raum für konkrete Schadensersatzansprüche wegen kleinerer Störungen. Für solche Ansprüche gibt es verschiedene Ansätze. 132 Am einfachsten ist es, wenn die Mitwirkung als Pflicht und nicht nur als Obliegenheit des Kunden vereinbart worden ist. Das muss der Kunde erst einmal akzeptiert haben. Dann kommt der Kunde gegebenenfalls in Schuldnerverzug und macht sich schadensersatzpflichtig. Verschulden wird vermutet [→ Kap. 11.3 (1), S. 253]. Bei dieser Anspruchsgrundlage kommt sogar in Betracht, dass der Auftragnehmer Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns hat (§ 645 BGB) [→ Kap. 11.1 (2), S. 244]. Beispiel für streng gemeinte Mitwirkungspflichten Der Auftragnehmer will mit fachlicher Unterstützung des Kunden für diesen ein Programm erstellen, mit dem er zugleich seine Softwarefamilie erweitern will. Ein Teil der Gegenleistung des Kunden soll in Know-how und Unterstützung bestehen, beispielsweise beim 131 BGH, Urteil vom 30.01.2020 (VII ZR 33/ 19) 132 Auch eine Gesetzesanalogie gemäß § 304, § 642 und § 645 BGB <?page no="259"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 259 Testen. Erbringt der Kunde diese Leistungen nicht, muss der Auftragnehmer sich das Know-how und die Unterstützung anderweitig beschaffen. Dann muss der Kunde ihm die Mehrkosten als Schadensersatz erstatten. Entgangener Gewinn kann hinzukommen. [Zum Formulieren von Aufgaben und Pflichten des Kunden siehe Schreiben in Projekten , Kapitel 5.3] Wir haben hier eine eigenartige Situation in der Praxis: Es wird in Leistungsbeschreibungen viel von „Mitwirkungspflichten“ gesprochen und geschrieben (Ihr Thema! ). Gemeint sind selten echte Pflichten wie im vorstehenden Beispiel. Es geht dem Auftragnehmer meist nur um den Ersatz seines Mehraufwands. Er denkt sogar eher nur daran, die Mitwirkung in der Leistungsbeschreibung festzuklopfen. Der Kunde sieht das meist ebenso. Also ist es für den Auftragnehmer möglicherweise gar nicht so schwierig, das rechtlich so gefährliche Wort „Pflicht“ zu verwenden. Der Auftragnehmer kann einen Anspruch auf Ersatz des unmittelbaren Schadens auch bei der Nichterfüllung einer Obliegenheit schaffen. Er muss den Kunden als Gläubiger hinsichtlich der Mitwirkung in Verzug setzen, nämlich in Analogie zum Verzug des Kunden als Gläubiger der Gesamtleistung (§ 304 BGB) [→ Kap. 11.6, S. 257]. Erste Voraussetzung dafür ist, dass der Auftragnehmer seine vorgesehene Handlung im Falle der ordnungsgemäßen Mitwirkung erbringen könnte. Zweitens muss der Auftragnehmer den Kunden warnen. Wenn ein Termin für die Mitwirkungshandlung bestimmt ist [→ vgl. Kap. 4.3 am Anfang, S. 90], reicht ein „Angebot“, also die Erklärung des Auftragnehmers, dass er tätig werden will (und kann). Wenn ein Termin nicht vereinbart ist, reicht es, dass der Auftragnehmer eine angemessene Zeit vorher angekündigt hat, wann er die Mitwirkung benötigt (§ 299 BGB). Diese Voraussetzungen gelten auch für den oben genannten Anspruch auf Entschädigung gemäß § 642 BGB für längere Verzögerungen. Wenn der Kunde bereits erklärt hat, dass er nicht mitwirken werde, genügt ein wörtliches Angebot des Auftragnehmers: „Wir haben uns vorbereitet und könnten termingemäß zur Installation / zur Besprechung kommen.“ <?page no="260"?> 260 11.8 Vertragsstrafe Der Auftragnehmer sollte den Kunden vorweg darauf hinweisen / daran erinnern, dass eine bestimmte Mitwirkung ansteht. Das sollte er auch in dem Fall, dass diese bereits in einem Terminplan aufgenommen ist, und erst recht dann und sehr deutlich, wenn kein Termin vereinbart worden ist und er seine Tätigkeit nur ankündigt. Auch das „Angebot“ vor dem Termin ist regelmäßig erforderlich, selbst wenn klar ist, dass der Kunde nicht mitwirken wird. Wenn der Auftragnehmer von der Nicht-Mitwirkung überrascht wird (z.B. vergeblich vor Ort erscheint), soll er den Kunden darüber - nachweisbar - informieren. Weiterhin soll der Auftragnehmer den Kunden auf die Auswirkungen der Nicht-Mitwirkung hinweisen und vorschlagen, wie es weitergehen könnte. -Sonst würde er seine Schadensminderungspflicht verletzen und also seinen Anspruch beeinträchtigen. Ist kein Termin für die Mitwirkung vereinbart und hat der Auftragnehmer auch nicht den Termin für die Mitwirkung angekündigt, steht er also sozusagen überraschend an der Tür, kommt der Kunde nicht in Verzug, wenn er an der Mitwirkung „vorübergehend verhindert“ ist (§ 299 BGB). Der Liefertermin verschiebt sich automatisch [→ Kap. 7.5 (1), S. 204]. Der Auftragnehmer kann gemäß Treu und Glauben im Interesse des Projektmanagements verlangen, dass die Dauer der Verschiebung nicht im Vagen bleibt, sondern unverzüglich geklärt wird, sodass er diese alsbald im Zeit- und Arbeitsplan berücksichtigen kann. Der Auftragnehmer kann eine angemessene Nachfrist mit Kündigungsandrohung setzen (§ 643 BGB). Nach deren nutzlosem Ablauf gilt der Vertrag automatisch (! ) als aufgehoben. Der Auftragnehmer kann dann ohne Verschulden des Kunden die Vergütung für den geleisteten Teil verlangen (§ 645 BGB Abs. 1), bei Verschulden vollen Schadensersatz. 11.8 Vertragsstrafe Zur Information Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe (= eines Vertragsstrafeversprechens) dient erst einmal dazu, Druck auf den Schuldner auszuüben. Weiterhin dient sie dazu, für den Fall, dass die Vertragsstrafe zu zahlen ist (= „verwirkt“ ist), den Nachweis des Schadens in deren Höhe zu ersparen. Ist die Vertragsstrafe für den Fall des Lieferverzugs vereinbart, muss <?page no="261"?> 11 Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten 261 der Kunde sich den Anspruch darauf bei der Entgegennahme der Leistung vorbehalten, wenn er die Vertragsstrafe noch bekommen will. Tut er das nicht, entfällt sein Anspruch (§ 341 Abs. 3 BGB). Wird eine Vertragsstrafe vereinbart, kann der Begünstigte seinen über diese hinausgehenden Schaden zusätzlich verlangen (§ 340/ § 341 Abs. 2 BGB). Anders herum ausgedrückt: Die Vertragsstrafe wird auf den Schadensersatzanspruch angerechnet. Sie beinhaltet also keine Pauschalierung des Schadens, sondern die Vereinbarung eines Mindestschadens. Die Vertragspartner können abweichend vereinbaren, dass ein weitergehender Schadensersatzanspruch entfällt (sie können also einen Schadensersatzanspruch pauschalieren). Sie können auch andersherum vereinbaren, dass die Vertragsstrafe nicht auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen ist. Das Vertragsrecht sieht nirgends die Zahlung einer Vertragsstrafe vor, sondern regelt - weitestgehend hilfsweise - die Rechtslage für den Fall, dass eine Vertragsstrafe vereinbart worden ist. Ende 11.9 Außervertragliche Haftung Es gibt zahlreiche Gesetze, die einer Person bestimmte Pflichten auch außerhalb von vertraglichen Beziehungen gegenüber einem Dritten auferlegen. Meist geht es darum, dass die Person Handlungen unterlassen soll, die Dritte schädigen. Beispiele (1) Niemand darf Raubkopien eines fremden Programms herstellen (§ 97 UrhG). (2) Niemand darf unfairen Wettbewerb betreiben Das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) will den fairen Wettbewerb schützen und fördern. Es greift mit verschiedenen Verboten ein. Wenn eine solche Pflicht innerhalb eines Vertragsverhältnisses verletzt wird, ist das zugleich eine Pflichtverletzung, die zur Haftung aus Vertrag führt. Es gibt dann zwei Grundlagen für nahezu denselben Anspruch (die Beweislast ist bei vertraglichen Ansprüchen meist geringer). § 823 Abs. 1 BGB enthält eine Grundvorschrift für die Haftung wegen schuldhafter Verletzung fremder Rechtsgüter. Die Rechtsprechung sieht insbesondere Verkehrssicherungspflichten als solche gesetzliche Pflichten an. Diese reichen von der Pflicht, für die Verkehrssi- <?page no="262"?> 262 11.9 Außervertragliche Haftung cherheit des Bürgersteigs vor dem eigenen Haus bei Schnee und Eis zu sorgen, bis zur Produzentenhaftung [→ siehe hier im Folgenden]. Wer eine außervertragliche Pflicht verletzt, haftet dem Geschädigten. Die Haftung geht erst einmal auf Unterlassen. Bei Verschulden ist auch Schadensersatz zu leisten. Allerdings werden nur bestimmte Rechtsgüter geschützt, insbesondere die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum. Unmittelbare Vermögensschäden zählen normalerweise nicht dazu [→ Kap. 11.1 (5) unter „Arten von Schäden“, S. 248]. Einige Rechtsvorschriften wollen auch das Vermögen des Dritten schützen und sehen vor, dass auch reine Vermögensschäden zu ersetzen sind. Beispiele § 826 BGB bei sittenwidriger (vorsätzlicher) Schädigung, das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) Produzentenhaftung: Die Produzentenhaftung bezieht sich auf die Pflicht, eine Produktionsanlage als eine gefährliche Einrichtung so zu organisieren, zu lenken und zu kontrollieren, dass kein dort hergestelltes Produkt einen vermeidbaren Personen- oder Sachschaden verursacht. Die Produzentenhaftung ist aus der normalen Haftung für unerlaubte Handlungen abgeleitet, bezieht sich also nur auf Personen- und Sachschäden und nicht auch auf reine Vermögensschäden (§ 823 Abs. 1 BGB). Sie ist im Laufe der Zeit in der Rechtsprechung dahingehend verschärft worden, dass die Pflichten zur Absicherung immer mehr ausgeweitet wurden. Produkthaftung: Diese ist vornherein eine reine Gefährdungshaftung (wie beim Autofahren). In Erfüllung der Produkthaftungsrichtlinie der EU ist 1990 das Produkthaftungsgesetz in Kraft getreten. Es sieht eine Haftung nur für Personenschäden sowie für Sachschäden an Konsumgütern vor (also nicht an von Unternehmen genutzten Produkten). Auch hier gibt es keine Haftung für unmittelbare Vermögensschäden. Es bestehen zwei Grundlagen für weitgehend denselben Anspruch. Die Produkthaftung schafft weniger weitreichende Schadensersatzansprüche, diese aber unter noch niedrigeren Anspruchsvoraussetzungen. Mehr dazu beispielsweise: www.weingarten.ihk.de › produktentwicklung „Leitfaden für Einsteiger: Produkthaftung und Produzentenhaftung“ <?page no="263"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Zur Information (bis zum Ende des Anhangs) Dieser Anhang erweitert Kapitel 2.1.1 (3) [→ Kap. 2.1.1 (3), S. 23] über die Bausteintechnik und Kapitel 2.1.1 (4) [→ Kap. 2.1.1 (4), S. 25] über die Verwendung einer Fachsprache für Rechtsvorschriften. Dabei geht der Anhang auch auf die Auslegung von Vereinbarungen ein [→ Kap. 2.3, S. 50]. Das Bundesverfassungsgericht verlangt „Normenklarheit“, damit der Bürger weiß, woran er ist. 133 Der Gesetzgeber strebt laut den „Allgemeinen Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften“ allgemein Verständlichkeit an: 134 „Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig und möglichst für jedermann [= für die jeweiligen Adressaten] verständlich gefasst sein.“ Das dazu erlassene „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ nennt in Teil B unter 1.1 als Motto „kurz und verständlich“. Es führt in 1.2 dazu aus: „Die Sprache solle juristische Fachsprache bleiben (Rz 55). Fachsprache ist Ausdruck fachlichen Denkens und daher die Sprache von Fachleuten für Fachleute. Begriffe und Aussagen erschließen sich dem Laien nicht ohne weiteres. (Rz 56) ... In Rechtsvorschriften darf Allgemeinverständlichkeit nicht zu Lasten der inhaltlichen und juristischen Genauigkeit gehen.“ (Rz 65) Die Sprache darf und soll also für Nicht-Juristen gegebenenfalls schwer verständlich sein. Das Handbuch beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Thema „Fachsprache“. Das Thema „Bausteintechnik“ wird nur gestreift: „1.3 … Diese rechtsetzungstechnischen Mittel sind … in der Regel unverzichtbar. Sie machen das Recht übersichtlich und in der Anwendung auf die unterschiedlichsten Sachverhalte handhabbar.“ (Rz 66) Diese Aussage gilt nur im Hinblick auf Personen mit einer juristischen Ausbildung. 133 Beispielsweise BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 - 1 BvR 782/ 94 134 Erlassen vom Bundesministerium der Justiz und für den Verbraucherschutz auf der Grundlage von § 42 Abs. 5 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien <?page no="264"?> 264 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Der Anhang soll Ihnen nicht vermitteln, wie Rechtsvorschriften ermittelt und methodisch perfekt ausgelegt werden können. Denn Sie brauchen so viel Wissen in Ihrem Aufgabenbereich fast nicht [→ Kap. 2.1.1 (5) unter „Erste Entwarnung“, S. 26, und im Folgenden in A.2 unter „Vorgehen“, S. 273]. Der Anhang soll Ihnen helfen zu verstehen, wie Juristen und so auch Ihre Rechtsberater denken, sodass Sie mit ihnen eine rechtlich komplizierte und/ oder risikobehaftete Situation besprechen können. - Und wenn Sie in eine Position mit höherer Verantwortung hineinwachsen, ist es vorteilhaft, wenn Sie eine Basis dafür gelegt haben, in Vertragsfragen mitdenken und mitreden zu können. A.1 Die Konstruktion von Rechtsvorschriften A.1.1 Das Konstruktionsprinzip Bausteintechnik Der Gesetzgeber strukturiert Gesetze auf der Basis, dass er Bausteine schafft, die zu Rechtsvorschriften zusammengestellt werden können. Dabei formuliert er viele Bausteine so, dass sie möglichst mehrfach eingesetzt werden können [→ Kap. 2.1.1 (3) unter „Bausteintechnik“, S. 24]. Der Gesetzgeber formuliert häufig eine kurze Ausgangsfassung einer Rechtsvorschrift, die die charakteristischen Bausteine enthält [→ zu weiteren Beispielen siehe Kap. 5.1, S. 96]. Beispiel für eine umfangreiche Ausgangsfassung Der Kunde will das Projekt wegen Leistungsverzugs des Auftragnehmers neu aufsetzen. Er will deswegen vom Vertrag zurücktreten und Schadensersatz erhalten. Die Ausgangsfassung könnte als „Anspruch des Kunden auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags nach Rücktritt wegen Verzugs des Auftragnehmers“ bezeichnet werden. Diese besteht gemäß dem Aufbau des BGB aus zwei Teilen. Das Recht zum Rücktritt ist in § 323 (1) BGB als Ausgangsfassung formuliert: „Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung … bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.“ A1 = Gegenseitiger Vertrag geschlossen <?page no="265"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 265 A2 = eine Leistung (Platzhalter für „zur Vertragserfüllung“ oder „wegen Haftung“) A3 = fällig (Platzhalter für die Unterbausteine „durch Termin bestimmt“ oder „durch die Umstände bestimmt“) A4 = Zeitpunkt dafür nicht eingehalten (Der Schuldner kann eine Abwehrgrundlage haben: höhere Gewalt, unzulängliche Mitwirkung des Kunden) A5 = Leistung nachholbar (Anderenfalls würde es um Unmöglichkeit gehen. In der Ausgangsfassung wird diese Voraussetzung nicht aufgenommen, weil sie nur sehr selten relevant ist.) A6 = Angemessene Nachfrist gesetzt A7 = Nachfrist nutzlos abgelaufen Der Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich aus der allgemeinen Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz (§ 280 BGB) [→ zum Wortlaut siehe Kap. 11.1 (2), S. 244]. A8 = Rücktritt erklärt A9 = Der Auftragnehmer hat die Ursache zu vertreten. Diese Maßnahmen schließen das Ermitteln von Rechtsvorschriften für Nicht-Juristen fast aus. Der Gesetzgeber arbeitet mit Bausteinen, die sehr systematisch, aber deswegen für Nicht-Juristen sehr verstreut angeordnet sind. Er arbeitet weiterhin mit Verweisen und mit komplizierten Konstruktionen. Beispiel In der Ausgangsfassung der Anspruchsgrundlage für den Kaufvertrag in § 433 BGB steht nichts zur Fälligkeit des Kaufpreises. Vielleicht finden Sie die allgemeine Vorschrift zur Fälligkeit in § 271 BGB. Diese besagt, dass der Auftragnehmer als Gläubiger sofortige Zahlung verlangen kann, also gleich nach Abschluss des Vertrags [→ Kap. 4.3, S. 110]. Das kann nicht richtig sein, wenn der Verkäufer die Kaufsache erst noch versenden oder anliefern soll. Die Lösung: Der Kaufvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag. Deswegen ist dieser Zug um Zug zu erfüllen. Denn jeder Vertragspartner hat als Schuldner die Einrede des nicht erfüllten Vertrags [→ Kap. 4.8 unter „Leistungen Zug um Zug“, S. 115]. Es kommt also für die Fälligkeit der Zahlung letztlich darauf an, wann der Verkäufer liefern darf oder muss. <?page no="266"?> 266 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Maßnahme „Strukturierung von Gesetzen“: Der Gesetzgeber strukturiert Gesetze nach dem Prinzip, dass er „Allgemeines vor die Klammer zieht“, wie die Juristen das ausdrücken, d.h. dass er den Inhalt in Bereichen von Bausteinen vom Allgemeinen zum Besonderen sortiert. Beispiel für die Struktur von Gesetzen Das BGB ist wie folgt aufgebaut: • Allgemeine Vorschriften • Allgemeine Vorschriften zum Schuldrecht • die einzelnen Vertragstypen • Unterarten davon, z.B. Verbrauchsgüterkauf [→ Siehe Kap. 2.1.2 (1) zum Aufbau des BGB, S. 115] Der Vertragspartner muss dann seine Anspruchs-/ Abwehrgrundlage über die Stufen hinweg zusammensetzen. Ein Anspruch geregelt über mehrere Stufen Ein Kunde verlangt Schadensersatz, weil eine Funktion im beschafften System nicht so wie vereinbart realisiert worden sei und er deswegen einen Schaden erlitten habe. Die Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wegen Mängeln baut auf vier Bereichen auf: Erster Bereich: Vorschriften, die für alle Willenserklärungen gelten §§ 145 ff. BGB regeln die Anforderungen an Willenserklärungen, die zu einem Vertrag führen: Wann und damit mit welchem Inhalt ist der Vertrag geschlossen worden? Zweiter Bereich: Vorschriften, die für den Abschluss von allen Verträgen gelten § 133 und § 157 BGB regeln, wie die Erklärungen auszulegen sind: Ist die Funktion so vereinbart worden, wie der Kunde das behauptet? [→ Kap. 2.3 (2), S. 53] Dritter Bereich: Allgemeine Vorschriften zur Haftung aus Verträgen §§ 280 ff. BGB regeln allgemein die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche, §§ 249 ff BGB deren Inhalt. Vierter Bereich: Vorschriften zur Haftung bei einzelnen Vertragstypen § 634 BGB regelt im Werkvertragsrecht, ob und welche Schadensersatzansprüche der Kunde haben kann. Maßnahme „Verweise“: Der Gesetzgeber arbeitet im Interesse der Kürze mit Verweisen. Manche sind so umfangreich, dass auch Juristen mit diesen kaum klarkommen. <?page no="267"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 267 Beispiel für die Verweistechnik Zum vorhergehenden Beispiel: Der Käufer kann bei Mängeln gemäß § 437 BGB, „wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nichts anderes bestimmt ist, 1. nach § 439 Nacherfüllung verlangen, 2. nach den §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 441 den Kaufpreis mindern und 3. nach den §§ 440, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.“ Maßnahme „Zwar kompliziert geregelt, dafür aber kurz“: Im Interesse der Kürze fasst der Gesetzgeber ähnliche Sachverhalte zusammen. Beispiel Wann endet eine Frist von einem Monat? Sie kann ganz unterschiedlich beginnen und damit enden: - am 30. November, dann am 30. Dezember, - am 31. Oktober, dann am 30. November, - am 31. Januar, dann am 28. Februar, - am 28. Februar, dann am 28. März. Der Gesetzgeber regelt das in § 188 BGB in einem Paragrafen, und zwar zusammen mit der Berechnung von Fristen für ein Jahr, ein halbes Jahr und ein Vierteljahr; er regelt darin auch noch, ob der erste Tag für den Fristbeginn mitgezählt wird oder nicht. § 188 zum Fristende lautet: „(1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. (2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstage der Frist entspricht. (3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablaufe des letzten Tages dieses Monats.“ <?page no="268"?> 268 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts A.1.2 Das Konstruktionsprinzip Fachsprache In Kapitel 2.1.1 (4) und 2.3 (1) haben Sie erfahren, wie das Konstruktionsprinzip „Verwendung einer Fachsprache“ die Anforderungen an das Auslegen von Rechtsvorschriften formt [→ Kap. 2.1.1 (4), S. 25, bzw. Kap. 2.3 (1), S. 51]. Wenn Vorschriften einen großen Anwendungsbereich haben sollen, müssen diese in eher vagen Begriffen abgefasst sein. Juristen sprechen nicht von „vage“, sondern davon, dass Vorschriften „abstrakt“ abgefasst seien, also für einen großen Bereich an Sachverhalten gelten (sowie generell abgefasst, d.h. für viele Personen). Die Juristen sprechen im Bild des Mondes davon, dass Begriffe einen „Begriffskern“ und einen „Begriffshof“ haben, z.B. „Schriftform“ oder „Angemessenheit“. Der Begriffshof kann von sehr klein bis sehr groß reichen. Das kann auch für die Konkretisierung der Rechtsfolge gelten [→ Kap. 2.1.1 (3), S. 23]. In Ihrer Praxis brauchen Sie meist nur den Begriffskern zu erfassen, d.h. sich eine Vorstellung / ein Bild davon zu machen. Sie kommen dann im Normalfall mit dem „Mangel“ zurecht, auch mit der „Angemessenheit“ und sogar mit „Treu und Glauben“. Ebenso reicht Ihnen meist ein elementares Verständnis der Rechtsvorschrift insgesamt. Je höher der rechtliche Anteil an der Bedeutung eines Begriffs ist, desto mehr kann man über die richtige Auslegung streiten. Deskriptive Begriffe mit einer normativen Komponente: Das Verstehen wird schwieriger, wenn Begriffe in Rechtsvorschriften einen normativen Anteil haben, der sie von der im Alltag zugeschriebenen Bedeutung abhebt. Beispiel Das „Vervielfältigungsstück“ eines Standardprogramms. Mit solchen Begriffen können Sie in der Praxis einigermaßen gut leben. Im Normalfall geht es für Sie nicht um den normativen Anteil. Beispiel Das beliebteste Beispiel für den normativen Anteil sind die Dämmerung und die Dunkelheit, weil es so viele Rechtsvorschriften gibt, die diese Begriffe je nach Sachgebiet unterschiedlich definieren. Wenn solche Begriffe allerdings in einer Leistungsbeschreibung auftauchen, sind Sie gewarnt, dass der Begriff wohl eine spezifische Bedeutung hat. <?page no="269"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 269 Normativ geprägte Begriffe: Es gibt zahlreiche Begriffe, die nur aus der Rechtsordnung heraus zu verstehen sind, z.B. „Vertrag“ oder „Schriftform“. Immerhin können Fachleute bei den meisten entscheiden, ob diese im Einzelfall erfüllt sind oder nicht. [Beispiele siehe Schreiben in Projekten , Anhang B] Beispiel Zwischen Eigentum und Besitz besteht rechtlich ein erheblicher Unterschied [→ Kap. 2.1.2 (3), S. 33]. Vorschriften mit ziemlich vagen Begriffen: Solche enthalten „unbestimmte Rechtsbegriffe“. Diese dienen dazu, die Umstände des Einzelfalles gebührend zu berücksichtigen (= wertausfüllungsbedürftige Begriffe). Das heißt für die Auslegung, dass alle Umstände des Einzelfalls zu ermitteln und alle relevanten zu bewerten sind. - „Gebührend“ ist ein solch wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. Beispiele (1) Gemäß § 313 Abs. 1 BGB ist die Frage, ob die Geschäftsgrundlage eines Vertrags gestört ist, „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls“ zu entscheiden [→ Kap. 4.9, S. 116]. (2) Siehe § 311 Abs. 2 BGB betreffend vorvertragliche Pflichten [→ Kap. 3.4 am Anfang, S. 97]. (3) Frage: Wie wichtig sind im BGB die „Umstände“? In etwa jedem dreizehnten Paragrafen kommt das Wort vor, insgesamt über 180 Mal. Jedes Fachgebiet hat ebenso seine unbestimmten Begriffe. Die „Benutzerfreundlichkeit“ ist ein Fachbegriff, dem sogar eine DIN-Norm gewidmet ist. [→ Kap. 7.2.1 (3) unter „Gewöhnliche benutzerbezogene Qualität/ Ergonomie“, S. 168] Rechtsvorschriften anzuwenden verlangt Umsicht und Neutralität. Wenn Sie diese befolgen, können Sie übliche Situationen meist selbst bewerten. Beim Ermitteln und Bewerten aller Umstände Ihres Falls sind Sie als Praktiker Ihrem Rechtsberater sogar überlegen. Teamarbeit ist angesagt. Ganz vage Vorschriften/ Generalklauseln: Sie enthalten im Wesentlichen ziemlich vage normative Begriffe. Es kommt dann ganz besonders auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Grundlage für diese <?page no="270"?> 270 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Klauseln ist der Grundsatz von Treu und Glauben [→ siehe Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 22]. Beispiele für Generalklauseln § 157 BGB: Auslegung von Verträgen [→ Kap. 2.3 (2), S. 53] § 242 BGB: Leistung nach Treu und Glauben [→ Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 22] § 346 HGB: Handelsbräuche [→ Kap. 2.1.2 (2), S. 31 Der Gesetzgeber stützt sich zunehmend auf Generalklauseln, weil er die Menge der Fallgestaltungen und Lösungen im Einzelnen kaum vorausbedenken kann und/ oder sich das Vorausbedenken ersparen will. Er verwendet Treu und Glauben immer stärker als eine allgemein geltende Vorschrift. Dann schreibt er in der Begründung zu Gesetzen, dass er diesen oder jenen Fall nicht regele, sondern es der Rechtsprechung überlasse, diese auf der Grundlage von Treu und Glauben zu entscheiden. So entsteht zunehmend Richterrecht [→ Kap. 2.1.1 (1) unter „Richterrecht“, S. 20]. Entscheidungsfindung zu wertausfüllungsbedürftigen Begriffen: Die zugrundeliegenden Tatsachen unterliegen der Beweisführung mit dem entsprechenden Beweismaß. Um die Bewertung von solchen Begriffen durchführen zu können, muss das Gericht die Faktoren ermitteln, nach denen es zu bewerten hat. Dann muss es diesen Gewichte geben (das ist Teil der Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschrift). Innerhalb der Subsumtion hat das Gericht den Erfüllungsgrad der Faktoren zu bewerten und mit den Gewichten zu multiplizieren, um festzustellen, ob das Bewertungsmaß erfüllt ist. [Das entspricht der Nutzwertanalyse (Wikipedia)] Die Rechtsvorschrift gibt das jeweilige Bewertungsmaß vor, sozusagen wie viele Punkte erreicht werden müssen. § 275 BGB verlangt ein „grobes Missverhältnis“ [→ Kap. 11.5 (2), S. 256], § 323 Abs. 5 BGB: kein Rücktrittsrecht, „wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist“ [→ Kap. 11.2 (3) unter „Unerheblicher Lieferverzug“, S. 252]. Neue Fallgruppen: Es treten neue Sachverhalte auf, und diese in verschiedenen Konstellationen. Bei jedem neuen Sachverhalt oder jedem wegen der „Umstände“ neuen Fall muss ausgelegt werden, ob und ggf. wie er im rechtlichen Sinn zu verstehen ist, also ob und ggf. wie er unter die Rechtsvorschrift fällt, auf die sich ein Vertragspartner stützt [→ zu den Umständen hier im Folgenden unter „Vorschriften mit ziemlich vagen Begriffen“), S. 269]. Möglicherweise kann der neue Fall leicht eingeordnet werden, er <?page no="271"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 271 muss auf jeden Fall erst einmal kennengelernt werden. Wenn er öfters auftritt, auch in verschiedenen Konstellationen, kann sich eine neue Fallgruppe bilden, insbesondere durch die Rechtsprechung. Wenn sich die Rechtsauffassung dazu konsolidiert, wird die Fallgruppe als ein Unterfall der Rechtsvorschrift aus Tatbestand und konkretisierter Rechtsfolge behandelt. Mit der Bildung einer Fallgruppe ist das Abwägen der Argumente im Wesentlichen erledigt, und es braucht künftig nicht mehr viel ausgelegt zu werden. 135 - Am Ende kann eine weitere ständige Rechtsprechung des BGH stehen [→ Kap. 2.1.1 (1) unter „Richterrecht“, S. 20]. - Dann haben die Juristen einen neuen Trabanten um ihren Mond. A.1.3 Die Auslegung nach Treu und Glauben Die Rechtsvorschriften sollen auf eine Vielzahl von Fällen angewendet werden, sie sind allerdings auf einen Grundfall hin formuliert. Die Richter müssen deswegen die Möglichkeit haben, Rechtsvorschriften auf den Einzelfall hin auszurichten. Eine solche Generalklausel könnte neutral sein. Deren Kern „Treu und Glauben“ zeigt allerdings schon immer, dass die verwendete Generalklausel in Richtung Fairness geht. Der BGH hat dazu schon im ersten Jahr seines Bestehens erklärt: „Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Zweck und Sinn. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Streitfall einer vernünftigen und billigen Lösung zuzuführen, ist die Aufgabe des Richters.“ 136 Zwei generalklauselartige Vorschriften aus dem Jahr 2002 geben dieser Ausrichtung der Rechtsprechung in Richtung auf Fairness noch mehr Gewicht: „Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).“ Und ergänzend: „Ein solches Schuldverhältnis kann auch schon bei Anbahnung eines Vertrags, insbesondere bei Vertragsverhandlungen, entstehen [→ Kap. 3.4, S. 97].“ 135 [→ Der Risikobereich bei der Auslegung wird für diese Fallgruppe immer kleiner, siehe Kap. 2.1.1 (5), S. 21] 136 BGH 23.05.1951 - II ZR 71/ 50, BGHZ 2, 176, 184 <?page no="272"?> 272 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Rücksichtnahme ist nunmehr nicht nur im Hinblick auf Rechte geschuldet, sondern schon im Hinblick auf Interessen. Deswegen habe ich die ungeschriebene Generalklausel um den Hinweis auf die Fairness ergänzt [→ Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 22]. Damit beinhaltet Treu und Glauben die Prinzipien Sachgerechtigkeit und Fairness. Der BGH hat auch die Rechtssicherheit unter Treu und Glauben gepackt. Die ungeschriebene Generalklausel kann auch wie folgt formuliert werden: „Wenn das Ergebnis, das aus den Rechtsvorschriften formal korrekt ermittelt worden ist, den Geboten von Treu und Glauben (unter besonderer Berücksichtigung der Fairness) nicht entspricht, muss es entsprechend ‚nachjustiert‘ werden“ (wie heute gerne formuliert wird). A.2 Konstruktionsprobleme des Rechts Das Vertragsrecht ist vom Gesetzgeber als im Umfang und im Detail so vollständig gedacht, dass der Richter für jede Rechtsfrage eine Antwort aus dem Vertragsrecht ableiten kann. Das ist der Ausgangspunkt für die Anwendung des Vertragsrechts. [→ Siehe schon Kap. 2.1.1 (1) unter „Das als vollständig gedachte Vertragsrecht“, S. 21] Der Richter gibt immer eine Antwort Es gibt also innerhalb des Vertragsrechts (= innerhalb der Fragestellung, was rechtens ist) keinen rechtsfreien Raum. Wenn ein Jurist vom rechtsfreien Raum spricht, meint er, dass man einen Fall nur nach Maßstäben bewerten könne, die außerhalb des Vertragsrechts liegen würden, also vor allem nach moralischen. Die Auffassung ist also falsch, dass Punkte, zu denen die Vertragspartner nichts vereinbart haben und die auch nicht ausdrücklich in einer Rechtsvorschrift geregelt sind, nicht geregelt seien und dass dementsprechend zu diesen nichts gefordert bzw. geschuldet werden würde. Wenn Richter auf jede Rechtsfrage eine Antwort aus dem Vertragsrecht ableiten müssen, heißt das, dass das Vertragsrecht als dafür ausreichend vollständig gedacht ist. Bei den wertausfüllungsbedürftigen Begriffen bleibt ein gewisser Freiraum innerhalb der vorgegebenen Bahnen [→ Anhang A.1.2 unter „Entscheidungen zu wertausfüllungsbedürftigen Begriffen“, S. 270]. Eine Rechtsvorschrift für die Lückenfüllung Im ABGB (Österreich) heißt es im Abschnitt „Auslegung“ <?page no="273"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 273 „§ 7. Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muss solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.“ Die Antwort des Richters soll nicht von der (subjektiven) Bewertung des einzelnen Richters oder der einzelnen Richterin abhängen. Der Gesetzgeber will über die Betonung von Treu und Glauben klarstellen, dass es für die Antwort auf diese Prinzipien ankommt. [→ Anhang A.1.2 unter „Ganz vage Vorschriften …“, S. 269] Keine oder keine angemessene Antwort Wenn Juristen von „Lücken“ innerhalb des Vertragsrechts sprechen, beziehen sie sich entweder darauf, dass man keine Antwort aus dem geschriebenen Vertragsrecht ableiten kann oder dass man das zwar tun kann, die Antwort aber den inhaltlichen Prinzipien nicht gerecht wird [→ Kap. 2.1.1 (1) am Anfang, S. 18]. Wenn der Richter keine oder keine akzeptable Antwort findet, kann er den Wortsinn etwas biegen, vom BGH stilvoller ausgedrückt: Treu und Glauben stärker berücksichtigen [→ Kap. 2.1.1 (2) unter „Treu und Glauben“, S. 22]. Das Biegen innerhalb des Wortsinns hat allerdings seine Grenzen. Eigentlich bildet der Wortlaut, zumindest der Wortsinn, die Grenze, wenn man das Wort „Auslegung“ ernst nimmt. Außerdem sollen die Richter Maß halten: Sie sollen die Gewaltenteilung respektieren und nicht ihre Auffassung an die Stelle des Gesetzgebers stellen. Wer von der Verneinung einer Anspruchsgrundlage / Abwehrgrundlage profitiert, wird sich darauf berufen, dass das Gesetz diesen Fall nun einmal so regele. Der Wortlaut sei plangemäß, und man müsse sich auf das geschriebene Recht verlassen können. Er wird Argumente dafür suchen, dass die Nichteinbeziehung auch sachgerecht sei. Beispiel Rechtsvorschrift mit einer plangerechten Auslassung Ein Mitarbeiter setzt im Unternehmen eine Raubkopie ein. Der Rechtsinhaber verlangt Schadenersatz vom Arbeitgeber. § 100 UrhG sieht in diesem Fall nur Unterlassungsansprüche gegen den Arbeitgeber vor. Schadensersatzansprüche gegen diesen können also nicht auf diese Vorschrift gestützt werden . Der Inhaber stützt <?page no="274"?> 274 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts sich plausiblerweise auf den Umkehrschluss: Wenn der Gesetzgeber nicht eine höhere Sanktion als die geregelte vorsieht, soll es eine solche auch nicht geben. Schließlich kennt der Gesetzgeber das Thema Sanktionen aus vielfacher Beschäftigung mit diesem genau. Doch kann die Antwort so unangemessen sein, dass das Ergebnis korrigiert werden muss, wenn auch jenseits des Wortsinns. Dafür braucht man starke Argumente. [→ Siehe zu Beispielen, dass die Rechtsprechung Antworten vorsichtig aus Treu und Glauben abgeleitet hat, Anhang A.3 unter „Beispiele für neue Anspruchsgrundlagen“, S. 278] Der (Miss-)Begriff „Rechtsfortbildung“ Die Rechtswissenschaftler nennen die Korrekturen unglücklicherweise „Rechtsfortbildung“. Gemäß diesem Begriff würde bereits jedes Lehrbuch mit einem Korrekturvorschlag das Recht fortbilden. Mehrere Lehrbücher zum selben Thema würden unterschiedliche Antworten finden und damit punktuell unterschiedliche Rechtsordnungen schaffen. Wenn Sie diesen Begriff hören, sollten Sie an „Rechtsanwendung über den Wortlaut hinaus“ denken. [→ Siehe Anhang A.3 zur Weiterentwicklung des Vertragsrechts, S. 278] Welche Korrekturen innerhalb und welche außerhalb des Wortsinns liegen, ist strittig. Das ist nicht wirklich relevant: 137 Man muss schon bei der Auslegung innerhalb des Wortsinns überzeugende Argumente für ein Auslegung haben, die nach dem Wortlaut eher an der Grenze des Wortsinns liegt. Bei Maßnahmen außerhalb des Wortsinns braucht man eben noch stärkere Argumente. Solche Argumente sind allerdings desto eher zu finden, je offensichtlicher der Wortlaut nach der erkennbaren Regelungsabsicht der Rechtsvorschrift nicht wirklich gewollt sein dürfte (~ Leider kann man das Miss-Ergebnis nicht mehr mit der Auslegung des Wortsinns korrigieren). Bei einem Formulierungsfehler drängt sich nahezu auf, diesen zu korrigieren (und zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Text demnächst offiziell korrigieren wird). Das gilt auch für einen logischen Fehler. Bei der Korrektur solcher Fehler verletze der Richter doch eigentlich die Gewaltenteilung nicht („So kann es nicht gewollt sein! “). 138 137 Für die Rechtswissenschaft kann eine Auslegung, die den Wortlaut korrigiert, noch unter den Wortsinn fallen. 138 Fröschle (Anhang F) unter V. Methoden der Rechtsgewinnung <?page no="275"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 275 Bei einem Verstoß gegen die inhaltlichen Prinzipien sind die Anforderungen desto höher, je mehr Gegenargumente es gibt. „So darf es nicht gewollt sein! “: Die wortwörtliche Auslegung würde zu einem Wertungswiderspruch innerhalb des Vertragsrechts führen. Dieses soll aber im Zweifel konsistent sein. „So soll es nicht gewollt sein! “: Das Ergebnis der Auslegung wäre widerspruchsfrei, es wäre jedoch mit dem Zweck der Rechtsvorschrift nicht zu vereinbaren. Das Vertragsrecht bietet in vielen Rechtsvorschriften Beispiele dafür, wie es die inhaltlichen Prinzipien konkretisiert hat. Für die Rechtfertigung ist es also günstig, mit diesen Beispielen zu argumentieren. Jede Abweichung vom Wortsinn muss wie eine Rechtsvorschrift formuliert werden. Dabei sollte einleitend ausgedrückt werden, dass es sich um eine Abweichung handelt. Beispiele zu einleitenden Formulierungen „Das gilt auch in dem Fall, dass …“/ „Das gilt entsprechend …“ „Das gilt nicht in dem Fall, dass …“ „§ XXX BGB gilt in dem Fall entsprechend.“ Es hat sich eine Reihe von Argumentationsmustern zur Rechtfertigung von Korrekturen herausgebildet. Deren Systematisierung und Bezeichnung sind zweitrangig. „Teleologische Reduktion“: Das klingt komplizierter als es ist. Der Wortlaut des Tatbestands einer Vorschrift erfasst Sachverhalte, die nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht erfasst sein sollten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift muss entsprechend eingegrenzt werden. Beispiele für eine gerechtfertigte Reduktion (1) Ein Arbeitnehmer ist ein Verbraucher im Sinne von § 13 BGB; denn gemäß dieser Vorschrift ist jeder ein Verbraucher, der nicht ein Unternehmer ist. Bei Verträgen, die er für seine Zwecke auf dem Gelände seines Arbeitsplatzes schließt, handelt er als Verbraucher. Also steht ihm ein Widerrufsrecht zu (§ 312 BGB). Das soll wohl nicht für einen Vertrag über die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses gelten, den er auf dem Gelände seines Arbeitgebers abschließt. Die Rechtsprechung hat deswegen das Widerrufsrecht für diesen Fall ausgeschlossen. (2) § 266 BGB verbietet Teilleistungen. Die Rechtsprechung lässt sie aber insoweit zu, wie Treu und Glauben das gebieten: Es liege nahe, <?page no="276"?> 276 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts dass der Kunde auch erst einmal einen Teil seiner fälligen Geldschuld bezahlen dürfe. - Davon kann es dann gemäß Treu und Glauben wiederum Ausnahmen wegen besonderer Interessen des Kunden geben, zum Beispiel an den Zinseinnahmen. „Teleologische Extension“: Der Wortlaut des Tatbestands einer Vorschrift erfasst Sachverhalte nicht, die nach deren Sinn und Zweck erfasst sein sollten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift müsse entsprechend ausgedehnt werden. Beispiele für eine gerechtfertigte Extension (1) Darlehensverträge mit wucherischen Zinsen sind nichtig. Die Leistungen sind sofort zurückzugeben Trotzdem muss der Darlehensnehmer das Geld nicht sofort zurückzahlen (das er so dringend benötigt hat, dass er einen solchen Zinssatz akzeptiert hat), sondern nur im Rahmen der vereinbarten Rückzahlungsfristen. (2) Der Werklieferungsvertrag bezieht die Vorschriften des Werkvertrags zur Vertragsdurchführung nur bei nicht vertretbaren Sachen ein (§ 650 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dieser Satz dürfte bei vertretbaren Sachen wegen weiterer Herstellungsleistungen genauso erforderlich sein und sollte dann sachgerechterweise ergänzend angewendet werden [→ Kap. 8 unter „Vertragstyp“, S. 223]. Mögliche Formulierung in einem Vertrag: „§ 650 Abs. 1 Satz 2 BGB findet auch Anwendung auf Herstellungsleistungen, die über die Montage hinausgehen.“ Analogie: Diese ist die am meisten verbreitete Technik, eine Lücke zu füllen, um ein Ergebnis zu korrigieren. Die Lücke kann darin liegen, dass eine Anspruchs- oder Abwehrgrundlage insgesamt oder eine Ergänzung einer passenden Anspruchs- oder Abwehrgrundlage fehlt. Voraussetzung für die analoge / entsprechende Anwendung einer die Lücke schließenden Rechtsnorm ist, dass diese - auf den Sachverhalt hin umformuliert - gut bis sehr gut passt, auch wenn diese für den konkreten Sachverhalt nicht gemacht ist. Wie die Juristen die Voraussetzungen für dieses Passen formulieren, kann Ihnen egal sein. Es kommt darauf an, dass diese Lückenfüllung gut bis sehr gut passt. Die weitere, entscheidende Voraussetzung ist, dass die Lücke „planwidrig“ ist. Das ist anzunehmen, wenn in dem Fall, dass gründlicher nachgedacht worden wäre, die Lücke plangemäß geschlossen worden wäre, sei es bei Verabschiedung der Rechtsvorschrift oder später. Darüber kann man dann streiten. Es liegt nahe, dabei an den historischen Gesetzgeber zu denken. Von der Entscheidung her geht es aber <?page no="277"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 277 um das heutige Vertragsrecht: Wie hätte der heutige Gesetzgeber entschieden, wenn er die Rechtsvorschrift heute gemacht hätte. Deswegen wird auf das heutige Vertragsrecht abgestellt [→ Kap. 2.3 (1), S. 51]. Es wird zwischen „Rechtsanalogien“ und „Gesetzesanalogien“ unterschieden. Bei einer Rechtsanalogie wird die Analogie aufgrund einer einzelnen Rechtsvorschrift getroffen. Bei einer Gesetzesanalogie wird ein allgemeiner Gedanke aus mehreren Rechtsvorschriften abgeleitet. Das überzeugt eher. Es gibt mehrere etablierte Ansätze, die Planwidrigkeit einer Lücke zu begründen. Die ersten beiden bilden zwar eine hohe Hürde, es kann aber überzeugende Gründe für deren Vorliegen geben: (a) Erst-recht-Schluss vom Größeren auf das Kleinere. Wenn eine Rechtsvorschrift schon zu einem für den Schuldner schwerwiegenden Anspruch führt, dann ist der Gläubiger alternativ berechtigt, einen weniger schwerwiegenden Anspruch geltend zu machen. Beispiel Wenn der Kunde zum Rücktritt vom gesamten Vertrag berechtigt ist, kann er den Rücktritt im Rahmen von Treu und Glauben auf einen Teil beschränken [→ Kap. 11.2 (3), S. 251] . (b) Erst-recht-Schluss vom Kleineren auf das Größere. Das ist die Spiegelung von (a): Wenn eine solche Vereinbarung schon zu Lasten eines Vertragspartners erlaubt ist, dann ist das erst recht eine solche, die diesen Vertragspartner weniger belastet. Beispiel Die Kündigungsfristen für einen Dienstvertrag sollen den Dienstnehmer schützen (§ 621 BGB). Bei anderen Vertragstypen ist geregelt, dass die Vertragspartner auch eine längere Kündigungsfrist als die im Gesetz vorgesehene vereinbaren können. Ein entsprechender Satz ist für den Dienstvertrag nicht vorgesehen. Er gilt analog. (c) Gleiches gleich behandeln. In einer anderen Rechtsvorschrift ist eine Konstellation überzeugend geregelt. In dieser von der Interessenlage her ganz ähnlichen Situation ist das anders, und zwar nicht plausibel geregelt. Jetzt braucht man wirklich überzeugende Gründe dafür, dass der Gesetzgeber hier planwidrig gehandelt hat und deswegen die andere Regelung analog anzuwenden ist. <?page no="278"?> 278 Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts Beispiele für (wohl) planwidrige Lücken (1) Das Thema „Zubehör …“ ist nur im Kaufrecht geregelt. Bei einem Werkvertrag stellt sich dasselbe Thema. Die analoge Anwendung drängt sich auf. Zur Konkretisierung der Ansprüche des Kunden sind die Vorschriften analog anzuwenden. (2) Das Schweigen eines Auftragnehmers zu einem Zusatzauftrag innerhalb eines Projektvertrags kann wie das Schweigen eines Kommissionärs eine Annahmeerklärung beinhalten [→ Kap. 3.1.4 unter „Schweigen eines Unternehmers bei Projektverträgen“, S. 70]. „Natur der Sache“: Schließlich werden Lücken durch allgemeine Grundsätze des Rechts geschlossen, insbesondere durch die „Natur der Sache“. Beispiele (1) Der Kunde hat aus der Natur der Sache heraus die Obliegenheit, Informationen über seine Anforderungen zu geben [→ Kap. 7.3.2 (2), S. 178]. (2) Wegen der Unvermeidbarkeit von Softwaremängeln gibt es bei der Erstellung von Software eine Anlaufphase, in der der Kunde mehr Mängel als bei anderen Produkten erst einmal hinnehmen muss [→ Kap. 7.6 (2), S. 207] . A.3 Die Weiterentwicklung des Vertragsrechts Jeden Tag können neue Konstellationen und damit Fragen auftreten, sei es, dass diese Konstellationen sich bisher nur nicht gestellt haben oder dass sie neu sind. Der Richter muss diese in beiden Fällen zeitnah beantworten. Daraus ergibt sich, dass das Vertragsrecht jeden Tag ein bisschen ergänzt wird: Es wird detailliert, in der Sache weiterentwickelt oder korrigiert. Das erfolgt erst einmal inoffiziell in einem Urteil, dann in weiteren Urteilen, dann halb offiziell durch die ständige Rechtsprechung des BGH [→ Kap. 2.1.1 (1) unter „Richterrecht“, S. 20]. Manchmal nimmt der Gesetzgeber die ständige Rechtsprechung des BGH auf und entwickelt das Vertragsrecht auf dieser Grundlage weiter. Beispiele für neue Anspruchsgrundlagen „Störung der Geschäftsgrundlage “: Beispielsweise muss ein Festpreis fairerweise angepasst werden, wenn der sachgerechte Aufwand den Festpreis sehr weit übersteigt (ohne dass dieser Aufwand durch Wünsche des Kunden verursacht worden wäre). Der Auftragnehmer kann einen Anspruch auf Erhöhung des Festpreises haben. Im <?page no="279"?> Anhang A Zur Konstruktion des Vertragsrechts 279 Jahr 2002 hat der Gesetzgeber die Störung der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB geregelt [→ Kap. 4.9, S. 116]. Ähnlich hat die Rechtsprechung die Rechtsvorschrift „ Verletzung von vorvertraglichen Pflichten “ (insbesondere von Warnpflichten) vorbereitet [→ Kap. 3.4, S. 97]. Auch die Rechtsvorschriften zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen beruhen zu einem großen Teil auf der Rechtsprechung zur überzogenen Ausnutzung der Vertragsfreiheit [→ Kap. 3.5, S. 100]. Es können sich auch Verkehrssitten und Gewohnheitsrecht umbilden oder neu bilden [→ Kap. 2.1.1 (1) unter „Gewohnheitsrecht“, S. 19, und „Verkehrssitten“, S. 19]. Treten neue Vertragsformen in der Praxis auf (z.B. Leasing, Wartung/ Pflege), bemüht sich die Rechtsprechung (zusammen mit der Rechtswissenschaft), diese den bereits gesetzlich geregelten Vertragstypen zuzuordnen. Dies geschieht manchmal mehr formal („In welche Schublade passt der Vertragstyp? “), manchmal mehr in der Weise, dass bisher geregelte Typen als Musterregelungen verstanden werden und daraus abgeleitet wird, wie der Gesetzgeber diesen neuen Typ wohl geregelt hätte. Manchmal rafft der Gesetzgeber sich dazu auf, einen Vertragstyp in das Vertragsrecht aufzunehmen, der sich in der Praxis etabliert hat. Beispiel für neue Vertragstypen Bauverträge als neue Untertypen des Werkvertrags Ende <?page no="280"?> Anhang B Internationales Vertragsrecht (1) EU-Vertragsrecht Es gibt nur wenig EU-Recht, das für die Bürger und die juristischen Personen der Mitgliedsstaaten direkt gilt. Dazu gehört beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung. Der Schwerpunkt auf der EU-Ebene liegt darin, Richtlinien zu erlassen, die die Mitgliedsstaaten in ihren jeweiligen Rechtsordnungen umzusetzen haben. Der einheitliche Wirtschaftsraum wird also im Wesentlichen durch die Harmonisierung des Rechts der Mitgliedsstaaten erreicht (neben den verbindlichen Richtlinien gibt es auch bloße Empfehlungen für die Gestaltung des nationalen Rechts). Beispiel für Richtlinien Richtlinie (EU) 2011/ 7 vom 16.02.2011 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr. 139 [→ Siehe Kap. 11.3 (2), S. 185, zu Verzugszinsen und Kap. 4.3 unter „Zahlungsfrist“, S. 87] Richtlinie (EU) 2019/ 771 zum Warenkauf [→ siehe Kap. 5.2 unter „EU-Richtlinie (EU) 2019/ 771“, S. 126]. (2) UN- Kaufrecht Zur Information Für Lieferverträge zwischen Vertragspartnern, die von verschiedenen Staaten aus tätig werden, hat die UN ein einheitliches „Kaufrecht“ geschaffen, die „Convention on Contracts for the International Sale of Goods“ (CISG) vom 11.04.1980, auch „UN-Kaufrecht“ genannt. Diese Konvention ist durch das Ratifizierungsgesetz vom 05.07.1989 auch zu einem deutschen Gesetz geworden. „Sale of Goods“ umfasst nicht nur Kaufverträge im Sinne des BGB, sondern auch Werkverträge, soweit es um die Erstellung von Produkten geht. [→ Die Vertragstypologie ist weniger kompliziert als die in Deutschland, siehe Kap. 5.2, S. 124] Jeder Staat kann diesem Abkommen beitreten, also Mitglied des Abkommens werden. Dessen Bedeutung liegt darin, dass sowohl die 139 Umgesetzt im Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr mit Wirkung vom 28. 07.2014 (BGBl Seite 1218). <?page no="281"?> Anhang B Internationales Vertragsrecht 281 USA und Japan als auch die wesentlichen EU-Staaten beigetreten sind. Wenn die Vertragspartner von zwei Mitgliedsstaaten aus einen Vertrag schließen, unterliegt dieser automatisch dem UN-Kaufrecht. Denn jeder der zwei Staaten hat dieses zum Teil seines Vertragsrechts gemacht: Es ist also als identisches nationales Recht eines jeden Vertragspartners anzuwenden. Das UN-Kaufrecht erfreut sich bei deutschen Unternehmern bisher wenig Beliebtheit. In AGB deutscher Lieferanten wird dessen Geltung bisher meist ausgeschlossen - zulässigerweise, weil es nachgiebiges Recht ist. Ende (3) US-Vertragsrecht Zur Information Das US-Vertragsrecht hat sich aus dem englischen Common Law entwickelt. Damit ist es ein Fallrecht (Case Law). Das bedeutet, dass es kaum umfangreiche Gesetze zum Vertragsrecht gibt, sondern dass sich das Vertragsrecht aus den Entscheidungen der Gerichte zu den einzelnen Fällen gebildet hat und sich in dieser Weise weiterentwickelt. Diese Entscheidungen gewinnen dadurch an Gewicht, dass - vereinfacht ausgedrückt - ein Gericht bei derselben Sachlage nicht von einer eigenen Entscheidung abweichen darf, auch nicht von einer Entscheidung eines höheren Gerichts. Das Vertragsrecht wird dadurch zu einem Mosaik aus den Einzelentscheidungen, erhält also wenig formulierte Systematik und wenig verlässliche Begrifflichkeit. Es ist aber konkret-praktisch. Jeder US-Bundesstaat sowie der Gesamtstaat haben ein eigenes Vertragsrecht. In den letzten Jahrzehnten wurden verstärkt Gesetze auf der Grundlage des Common Law erlassen, die das Vertragsrecht zwischen Unternehmern betreffen. 140 Auch diese Gesetze streben normalerweise keine konsistente vollständige Regelung des betroffenen Rechtsgebiets an, sondern sind mehr als Lösung von Einzelproblemen konzipiert. Sie sollen das Case Law ergänzen oder korrigieren. Sie stehen also in der Tradition des fallorientierten Denkens des Case Law. Wer einen Vertrag aus den USA liest, wundert sich über dessen Umfang. Das hat im Wesentlichen vier Ursachen: 140 Das gilt beispielsweise für das Kaufrecht. Die National Conference of Commissioners on Uniform State Laws und das American Law Institute haben den Uniform Commercial Code als Empfehlung erarbeitet. Dieser ist von fast allen Staaten weitgehend als Gesetz übernommen worden. <?page no="282"?> 282 Anhang B Internationales Vertragsrecht Es gibt nicht mit derselben Klarheit wie in Kontinentaleuropa eine Vertragsrechtsordnung, die bei Bedarf ergänzend eingreift und einigermaßen leicht zugänglich ist. Die Auslegung von Verträgen hält sich enger am Wortlaut, Nebenpflichten werden zurückhaltender konstruiert (es gibt keine so weitreichenden Generalklauseln auf der Grundlage von Treu und Glauben). Deswegen müssen Rechte und Pflichten umfangreicher und genauer festgelegt werden. Der Zivilprozess ist in den USA umständlicher, meist langwieriger und teurer als der in Deutschland. Deswegen ist es gut, möglichst alles Wichtige eindeutig zu vereinbaren, um Prozesse möglichst zu vermeiden. Da man sich auf Grundsätze des Vertragsrechts weniger verlassen kann, hat sich die Einstellung entwickelt, lieber viele Punkte detailliert zu vereinbaren. Ende <?page no="283"?> Anhang C Vertragsmanagement im Projektmanagement Wikipedia: „Vertragsmanagement bezeichnet alle Tätigkeiten im Rahmen des Projektmanagements, die sich mit der Entwicklung, Verwaltung, Anpassung, Abwicklung und Fortschreibung der Gesamtheit aller Verträge im Rahmen eines Projektes beschäftigen.“ Das entspricht dem Faktor „Organisation des Vertragswesens“, wie im Vorwort geschrieben. Dazu gehören die Teilbereiche:  Vertragscontrolling: Das liegt kaum in Ihrem Aufgabenbereich. Sie sollen an die Verantwortlichen Informationen wie von diesen vorgegeben liefern.  Vertragsverwaltung: Diese „ist ein wesentlicher Bestandteil des Vertragsmanagements zur Optimierung des Vertragswesens.“ Das liegt ebenfalls kaum in Ihrem Aufgabenbereich.  Vertragsarchivierung: „Im Mittelpunkt steht hierbei die unveränderbare, langfristige und revisionssichere Archivierung von vertragsrelevanten Dokumenten … zielt die Vertragsarchivierung ebenfalls auf die Optimierung des Vertragswesens ab.“ Das gehört im Umfang des Konfigurationsmanagements zu Ihrem Aufgabenbereich [→ Kap. 7.3.1 (2) unter „Konfigurationsmanagement“, S. 173]. Es ist Aufgabe der Leitungsebene, Ihnen dazu Vorgaben zu machen. Das Vertragsmanagement ist also ein Thema für die Leitungsebene und damit für Sie nicht unmittelbar relevant. <?page no="285"?> Anhang D Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Abs. Absatz AG Auftraggeber/ Kunde oder Aktiengesellschaft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AN Auftragnehmer AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof GU Generalunternehmer HGB Handelsgesetzbuch IT-PM (Zahrnt) IT-Projektverträge: Erfolgreiches Management für Auftragnehmer PM Projektmanagement Unter-AN Unterauftragnehmer <?page no="287"?> Anhang E Begriffe Begriffe zum Projektmanagement Die Einleitung von Kapitel 7 geht auf Projektmanagementsysteme und damit auf Projekthandbücher ein [→ Kap. 7 unter „Projektmanagementsystem / Projekthandbuch“, S. 155]. Es gibt Phasen und Ergebnisse. Die Begriffe „Lastenheft“ und „Pflichtenheft“ in DIN 69901 Teil 5 bringen so, wie sie definiert sind, nichts. Sie treffen nicht die Praxis von Projektverträgen [ Schreiben in Projekten , Kapitel 5.1]. DIN 69901 Teil 2 beschreibt den Prozessmanagementprozess 10 „Verträge und Nachforderungen“. Das klingt gut, bringt aber nichts. Denn der Prozess erschöpft sich nahezu in der Aufforderung, Vertragsinhalte festzulegen. Die rechtlichen Hinweise stammen anscheinend von Organisatoren. Denn es werden die üblichen Fehler gemacht. So seien AGB „notwendig“. [→ Siehe auch Kap. 7.3.3 unter „Vorsicht vor dem sog. Nachforderungsmanagement“, S. 194] In diesem Buch kann die „Aufgabenstellung im Vertrag“ bereits ein Konzept enthalten (= ein Pflichtenheft; dieses kann auch vom Kunden stammen). Dieses wird in eine „Spezifikation“ umgesetzt. Diese kann mit einem fachlichen Feinkonzept gleichgesetzt werden. Der anschließend zu erstellende systemtechnische Entwurf und die systemtechnische Realisierung spielen vertraglich gesehen nur eine geringe Rolle: Die Vertragspartner arbeiten weiterhin wie bisher zusammen. Auf dieser Grundlage wird das System „realisiert“. Der Einsatz von Standardprodukten für die systemtechnische Realisierung, insbesondere von solchen, die die Basis des Systems bilden, kann sich stark auf das System und auf dessen Erstellung auswirken: Wird preiswerte Konfektion oder eine teure individuelle Lösung realisiert [→ Kap. 7.2 unter „Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung“, S. 158]. Das System kann schneller realisiert werden. Das „Veränderungsmanagement“ (Change Management) bleibt innerhalb des Gesamtprojekts weitgehend beim Kunden. Bei serienartigen Projekten hat der Auftragnehmer dank der intensiven Beschäftigung mit dieser Art von Projekten Wissen über die Aufgabenstellung und die Möglichkeiten von deren Umsetzung. Der Auftragnehmer steht mit dem Kunden in einem ständigen Abstimmungs- <?page no="288"?> 288 Anhang E Begriffe und Beratungsprozess. Dieser richtet sich nach den Vereinbarungen und ist rechtlich wenig problematisch. Es heißt in diesem Buch „Standardprodukt“ und nicht „Produkt“, weil bei manchen Konzepten des Projektmanagements jedes Ergebnis als „Produkt“ bezeichnet wird. Rechtliche Begriffe Sie finden diese Begriffe im Stichwortverzeichnis [Anhang G]. Dieses weist Sie auf ausführlichere Darstellungen hin. Einige Rechtsbegriffe „Vertrag“: Dieser besteht aus „Vereinbarungen“ , die die Vertragspartner selbst formuliert haben, und ergänzend aus „(Rechts-)Vorschriften“ . 141 [→ Zu der Begrifflichkeit im Zusammenhang mit „Vertrag“ siehe auch Kap. 3.1.10 (2), S. 86] „Vertragsbezogene Dokumente“: Beim Wort „Vertrag“ stellen Sie sich vielleicht ein zentrales Dokument vor. Wenn die Leistungsbeschreibung ausgegliedert ist, kommen Sie mit dem eher wenig in Berührung. Sie werden möglicherweise an Dokumenten wie einer Leistungsbeschreibung arbeiten, also an dem wohl wichtigsten Teil eines Vertragswerks. Damit auf diese und auf andere Dokumente wie beispielsweise ein Formular für die Abnahmeerklärung Bezug genommen werden kann, werden diese hier als „vertragsbezogene Dokumente“ bezeichnet. Im zentralen Dokument werden diese Dokumente häufig als „Anlagen“ bezeichnet. „Vertragswerk“: Es umfasst das zentrale Vertragsdokument und die vertragsbezogenen Dokumente und drückt damit die Gesamtheit des Vertrags aus. „Rechtsvorschriften“: Lassen Sie sich von diesem Begriff nicht beeindrucken: Die wenigsten schreiben Ihnen etwas vor (= sind zwingend). Die meisten enthalten Regelungen für den Fall, dass die Vertragspartner zu einem Punkt nichts vereinbart haben. In diesem Buch heißt es „Regelung“, wenn es um den Inhalt von Rechtsvorschriften geht, und „Vorschrift“, wenn es um die textliche Abfassung geht. „Vollständige Rechtsvorschriften“: Sie bestehen aus dem Tatbestand (entspricht den Voraussetzungen für Ansprüche/ Abwehr) und der Rechtsfolge. 141 Also fallen AGB unter die Vereinbarungen. <?page no="289"?> Anhang E Begriffe 289 „Tatbestand“ ist abstrakt, er bezieht sich auf eine Vielzahl von Sachverhalten. „Sachverhalt/ Lebenssachverhalt“ : Um den geht es Ihnen im konkreten Fall: Fällt dieser unter den Tatbestand der Rechtsvorschrift = Erfüllt er deren Anspruchsvoraussetzungen? Um das zu ermitteln, wird gegebenenfalls ein Gutachten im Gutachtenstil erstellt: „…, also…“ Das Gericht schreibt sein Urteil hingegen im Urteilsstil: „Ergebnis, weil …“ „Anspruch“ und „Forderung“: Die Begriffe decken sich nach deren Definition (§ 194 bzw. 241 BGB). Der Begriff „Forderung“ wird in der Praxis mehr verwendet, wenn es um eine konkrete Leistung geht, etwa um einen Geldbetrag: „Wir haben Anspruch auf eine Abschlagszahlung, unsere Forderung beträgt Euro XXX.“ „Gläubiger“ und „Schuldner“: Der erste ist der Berechtigte, der zweite ist der Verpflichtete in einem „Schuldverhältnis“ , typischerweise in einem Vertrag. „ Partei “ heißt es im BGB und „ Teil “, wenn es um die eine oder die andere Partei geht. Hier heißt es freundlicher „Vertragspartner“ bzw. „Seite“. Begriffe zum Verständnis des Buches Ermitteln: Das kann sich auf das Auffinden der einschlägigen Rechtsvorschrift beziehen und dann auf die Kenntnisnahme des Textes (auch von Vereinbarungen). Es folgt: Verstehen: Das ist das inhaltliche Begreifen eines Sachverhalts über die bloße Kenntnisnahme hinaus, vor allem die intellektuelle Erfassung des Zusammenhangs, in dem der Sachverhalt steht (Wikipedia gekürzt). Das findet in Stufen statt, z.B. dass Sie den Kern einer Rechtsvorschrift erfassen, d.h. sich eine Vorstellung/ ein Bild davon machen. Bei Rechtsvorschriften ist die höchste Stufe des Verstehens sehr problematisch und wird deswegen als „Auslegen“ gesondert abgehandelt. Auslegen: Von unserer Kultur her sind Sie an den Begriff „Interpretieren“ gewöhnt, und zwar dahingehend, dass das Interpretieren stark subjektiv geprägt ist. Deswegen sprechen Juristen von „Auslegen“. Das soll möglichst objektiv erfolgen. Leitungsebene: Siehe Kapitel 1 unter „Das Management von Projekten“ [→ S. 14]. <?page no="290"?> 290 Anhang E Begriffe Rechtsberater: Das muss nicht ein studierter Jurist sein. Das können auch ein Projektkaufmann / eine Projektkauffrau sein. Je schwieriger die Rechtsfrage ist, desto eher sollte es ein studierter Jurist sein. <?page no="291"?> Anhang F Literaturhinweise DIN = Deutsches Institut für Normung DIN 69905 Projektwirtschaft - Projektabwicklung - Begriffe Die Norm ist zurückgezogen. Die Norm ist teilweise bedenklich. Beispielsweise wird die „Auftragsbestätigung“ falsch definiert. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4): Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement 1. Aufl. 2019 ISBN 978-3-924841-77-5 (Hardcover) ISBN 978-3-924841-78-2 (E-Book) Fröschle, Tobias Einführung in die Methodik der Rechtswissenschaft und der Fallbearbeitung Wintersemester 2004/ 05 www.wiwi.uni-siegen.de Das Buch enthält eine Einführung auf einem breiten und hohen Niveau. Dabei ist es weitgehend gut verständlich. Das Thema Fallbearbeitung für Klausuren ist auf das letzte Kapitel konzentriert und kann also gut ausgelassen werden. Das Buch eignet sich für den Leser und die Leserin, der/ die den Stoff des vorliegenden Buchs hinsichtlich der juristischen Methodik vertiefen will. Kötz, Hein Vertragsrecht Mohr Siebeck Tübingen, 2. Auflage 2012 ISBN 978-3-16152065-5-77-5 (Hardcover) ISBN 978-3-16152194-2 (E-Book) Zahrnt, Christoph IT Projektverträge: Erfolgreiches Management für Auftragnehmer Bisher bei Amazon 2013, laufend aktualisiert Zahrnt, Christoph Ihr Rechtsstreit bei Gericht Amazon ISBN 978153307767 <?page no="292"?> 292 Anhang F Literaturhinweise Zahrnt, Christoph Schreiben in Projekten 1. Aufl. 2021 UVK Verlag, München ISBN 978-3-7398-3111-4 (Print) ISBN 978-3-7398-8111-9 (ePDF) Weitere Bücher: Das Angebot ist groß. Viele gut klingende Titel sind auf Jura-Studenten ausgerichtet. Viele andere Titel stellen große Bereiche kurz dar. „Blick ins Buch“: Dieser Empfehlung von Amazon schließe ich mich an. Sie werden dort schnell herausfinden, ob dieser Blick Lesenswertes findet. Internet - Skripte Manfred Pander „Grundlagen des Zivilrechts: Unterrichtsbegleitendes Skript“, Stand: August 2010 unter dem Titel des Skripts Ausführliche Darstellung des Vertragsrechts (ohne die Vertragstypen des Besonderen Teils des Schuldrechts) im Skript von Das Skript ist auf Fachhochschüler ausgerichtet und entsprechend verständlich geschrieben. - Es enthält auch viele Aufgaben, als unterrichtsbegleitendes Skript allerdings verständlicherweise keine Lösungen. Punktuelle Erläuterungen im Internet, beispielsweise: www.juraform.de: Rechtslexikon über 6500 juristische Wörter. Teil eines Suchdienstes für Rechtsanwälte. Ausführliche Erläuterungen, allerdings häufig in der Sprache von Rechtsanwälten. lexikon.jura-basic: von Diplom-Jurist Volker Friedrich-Schmid. Die Begriffe sind nach Sachgebieten aufgeteilt, die Erläuterungen sind relativ kurz. www.wikipedia.de ist zwar nicht auf juristische Begriffe ausgerichtet, handelt aber viele ausführlich ab. Dabei nehmen die Beiträge eher wenig Rücksicht auf Nicht-Juristen. Vieles ist auf Jura-Studenten und Juristen ausgerichtet. www.Rechtswoerterbuch.de www.lexexact.de www.JuraWiki.de <?page no="293"?> Anhang G Stichwortverzeichnis Abnahme 124, 206 Abnahmepflicht 207 Abnahmeprüfung 204, 206 Abnahmetermin 205 bei Kenntnis von Mängeln 208 durch schlüssiges Handeln 208 keine bei Werklieferungsvertrag 224 Rechtsfolgen 210 unter Vorbehalt oder Bedingung 208 vorläufige Verweigerung: 209 Absichtserklärung siehe Letter of Intent Abwehrgrundlagen 38 Begriff 41 darlegen 44 Verjährung 118 zwecks Beweislastverschiebung 47 AGB 100 Auslegung 57 Inhaltskontrolle 103 mehrdeutige Bedingungen 103 salvatorische Klausel 106 Transparenzgebot 105 überraschende Bedingungen 103 Vertragsbestandteil 102 Analogie 276 Anforderungen des Kunden Fehler darin 211 Lücke 163 Vertragsbestandteil geworden 98 Angebot (zum Vertragsabschluss) ( siehe auch Vertragsantrag) 63 Aufforderung zur Abgabe 64 Begriff 62 Vergütung für Erstellung 66 Annahme (eines Vertragsantrags) 66 unter Vorbehalt / Änderungen 66 Annahmeverzug des Kunden 227, 257 Ansprüche Arten 107 auf Erfüllung 107 geltendmachen 38 Anspruchsgrundlagen 38, 39, 107 Beweislast 47 Anspruchsvoraussetzungen 140 Darlegung 42 Arbeitnehmerüberlassung 129, 225 Arbeitsvertrag 225 <?page no="294"?> 294 Anhang G Stichwortverzeichnis Aufrechnung 116 Auftraggeber, öffentliche 36 Auftragsbestätigung 67, 81 Aufwendungen vergebliche als Schaden 99, 252 Ausführungsstandard, mittlerer 159 Ausfüllungsnormen 23 auslegen/ Auslegung 51, 289 ergänzende Vertragsauslegung 55, 62 gesetzeskonform 53 Methoden 51 Rechtsvorschriften 51, 268 Vereinbarungen 51, 53 bei Widersprüchen 56 mündliche 59 Vertrag 62 Auslegungsregeln 48, 59 Auslegungsspielraum von Rechtsvorschriften 51, 268 von Vereinbarungen 51 Ausschlussfrist 120, 229 Austauschverträge 29, 115 Bausteintechnik 24 Bedienungsfehler ( siehe auch Risikobereich, eigener) 139 Bedingungen (für die Geltung des Vertrags) 80 Beibringungsgrundsatz 44 Beratungsvertrag mögliche Gegenstände 217 Rechte an den Ergebnissen 218, 229 Werkvertrag oder Dienstvertrag 217 Beschaffungsrisiko 256 Besitz 33 Bestätigungsschreiben, unternehmerisches (kaufmännisches) 81 Beweislast 83 Gegenbestätigung 84 mit Ergänzungen 84 beweisen 38, 45 Auslegungsregeln 48, 59 Beweis des ersten Anscheins 48 Gegenbeweis 46 Vollbeweis 46 Beweislast 17 Begriff 45 Erleichterungen 141 Mängel 138 Verteilung 140 Umkehr der Beweislast 47 Verteilung 47, 83, 151 Beweismaß 45, 46 Beweiswürdigung 140 Bewertungsmaß 270 BGB/ Bürgerliches Gesetzbuch 28 Billigkeit 22 Bindefrist (bei Vertragsantrag) 65 Bringschulden 112 Budget 110 Ca.-Preis 202 Change Management 288 <?page no="295"?> Anhang G Stichwortverzeichnis 295 Change-Request-(CR)-Verfahren 193, 195 Claim-Management 193 Darlegungslast 43 Dauerschuldverhältnisse ( siehe auch Mietvertrag) 29, 235 der guten Ordnung halber 14 Dienstleistungen 130, 225 Begriff 122, 217 Dienstvertrag 177 Abgrenzung zum Werkvertrag 126 Annahmeverzug des Kunden 227 Begriff 124 Grundzüge 225 Haftung des AN 228 höchstpersönliche Leistung 225 keine Minderung 229 Kündigung 227 bei Diensten höherer Art 227 Pflichten des AN 225 Rechte an den Ergebnissen 229 Schlechterfüllung 228 Vergütung 226 Werkvertrag gemischt 127 DIN-Normen 168, 173, 186 Eigentum ( siehe auch Herrschaftsrechte) 33 Eigentumsvorbehalt 132 Einigungsmangel 62 elektronischer Geschäftsverkehr 79 Erfüllungsansprüche 107 Erfüllungsgehilfe 245 Abgrenzung zum Vorlieferanten 246 Ergonomie 168 Erheblich(-keit) (Begriff hinsichtlich Mängel u.a.m.) 212, 252 EU-Richtlinie (EU) 2019/ 771 für Kaufverträge 126 EU-Vertragsrecht 280 Extension, teleologische 276 Fachsprache des Rechts 25 Fahrlässigkeit leichte/ grobe 243 Maßstab bei Vergütung nach Aufwand 201 Fairness ( siehe auch Treu und Glauben) 22 Fälligkeit von Leistungen 110 Fehlerbild/ -sympton 138, 140, 142 Festpreis 108 Begriff 200 Verhältnis zu Kontingent 109 Verhältnis zu Vertragstyp 129, 157 Fixgeschäft 253 freier Mitarbeiter(-vertrag) ( siehe auch Unterauftragnehmer) 230 Abgrenzung normaler Mitarbeiter 231 zu Arbeitnehmerüberlassung 232 <?page no="296"?> 296 Anhang G Stichwortverzeichnis Freigabe siehe unter Spezifikation Fürsorgepflicht vertragliche 107 vorvertragliche 97, 98 Gefahrübergang 112 Geheimhaltungsvereinbarungen 78 Generalklauseln 25 Beispiele 107, 269 Generalunternehmer(-vertrag) 213 Auswirkungen auf Unter- Auftrag 216 Geschäftsgrundlage 116 Gesetze 18 Gesetzesanalogie 277 Gewährleistung siehe Mängelhaftung Begriff 138 Gewalt, höhere 240 Gewohnheitsrecht 19 Grund, wichtiger 229, 255 Haftung 239 mögliche Ansprüche 241 vereinbarte Einschränkung 248 Haftungsansprüche 107, 239 Haltbarkeitsgarantie 151 Handelsbrauch 20 Handlung, unerlaubte 261 Handlungsvollmacht 92 Herrschaftsrechte 33 Herstellergarantie für Haltbarkeit 152 HGB/ Handelsgesetzbuch 31 Holschulden 112 Internetverträge 79 interpretieren 289 Istbeschaffenheit, Mangel darin 153 Begriff 138 Kaufmann ( siehe auch Unternehmer) 31 Begriff 32 kaufmännische Untersuchungs- und Rügeobliegenheit 147 Kaufrecht, internationales (der UN) 280 Kaufvertrag 131 auf Probe 131 Begriff 123 Grundzüge 131 Mängelhaftung 138 Montageanforderungen 137 objektive Anforderungen 135 subjektive Anforderungen 135 Zubehör, Montage 135, 137 Kompatibilität (= Verträglichkeit) 168 Kompetenzstandard ICB 4 11 Konfigurationsmanagement 173 Kontingent 109 Kündigung ( siehe auch bei den einzelnen Vertragstypen ) 202, 227, 235, 260 <?page no="297"?> Anhang G Stichwortverzeichnis 297 außerordentliche ( siehe auch Grund, wichtiger ) 229, 236, 241, 255 Begriff 114 Besonderes beim Dienstvertrag 227 Freies beim Werkvertrag 199 Leasingverträge 238 Leistungen Begriff 122 Fälligkeit 110 Zug um Zug 115 Leistungsabdeckungsklausel 200 Leistungsort 111 Leistungsverweigerungsrechte 115 wegen Mängeln 133, 203 Mängel Erheblichkeit 212, 252 erkennbare 147 fehlerhafte Anforderungen 211 offene 147, 210 reproduzierbare 142 versteckte 147, 210 Mängelbeseitigung Anspruch bei Kaufvertrag 141 Anspruch bei Mietvertrag 235 Anspruch bei Werkvertrag 212 Fehlschlagen, endgültiges 145 Kostentragung 144 Ort bei Kaufvertrag 143 Ort bei Werkvertrag 211 Selbstvornahme Kauf (kein Recht) 145 Werkvertrag 212 Mängelhaftung Kaufvertrag 138 Werkvertrag 210 Mängelmeldung/ -rügen Anforderung an Substanziierung 139, 142 unberechtigte 153 unverzügliche bei Handelskauf 147 Mängelsuche/ -lokalisierung 138 Mangelursache 138, 154 Memorandum of Understanding (MoU) 78 Mietvertrag 235 Anzeigepflichten 237 Aufrechterhaltung der Nutzbarkeit 235 Mietzins 237 Minderung 235 Minderung 145, 241 Mitverschulden 99, 244 Mitwirkung des Kunden bei Vertragsdurchführung 113, 171 unzulängliche 258 Nacherfüllung ( siehe auch Mängelbeseitigung) Begriff 141 Fehlschlagen 145 <?page no="298"?> 298 Anhang G Stichwortverzeichnis Nachfristsetzung 145, 204, 249 angemessene Länge bei Mängelhaftung 145 Entbehrlichkeit (siehe auch Mängelbeseitigung - Fehlschlagen) 250 Natur der Sache 278 Nebenleistungen 107 des AN bei der Durchführung 200 Nebenpflichten 107 Nutzungsentschädigung/ -vorteile 141 Obliegenheiten 113, 142, 148, 244 Option 81 Ordnung halber, der guten ~ ~ 14 Parteisitten 86 Pflichten im eigenen Interesse 147, 171, 244 vorvertragliche 97 Verletzung 99 Präzedenzfall 20 Preisvereinbarungen 200 Primäransprüche 40 Produktbeschreibungen 158 Produkthaftungsgesetz / Produzentenhaftung 261 Projekte serienartige 170, 287 Protokolle 173 Qualitätsniveau 159 Recht ( siehe auch Vertragsrecht) geschriebenes 18 materielles Recht (Begriff) 17 nachgiebig/ dispositiv 35 zwingendes 36 Rechtsanwendung 272 Rechtsbegriffe unbestimmte 25 wertausfüllungsbedürftige 25, 269 Rechtsquellen 18 Rechtssprache 25 Rechtsvorschriften 18 ermitteln 263 Lücke 272, 276 Strukturierung 266 Verweise 266 vollständige 23, 264 zwingende 36 Rechtsvorschriften, siehe auch Auslegungsspielraum 23 Reduktion, teleologische 275 Richterrecht 20, 270 Richtpreis 202 Risikobereich 240 eigener 113, 116, 217 für die Rechtsanwendung 28 Rücktritt(-srecht) 145 Ausübung 250 Rechtsfolgen 252 Umfang 145, 251 Verwirkung 121 <?page no="299"?> Anhang G Stichwortverzeichnis 299 Rügeobliegenheit 148 Rügepflicht sog. kaufmännische 147 Sachenrecht ( siehe auch Herrschaftsrechte) 2 Schäden ( siehe auch Schadensersatz) Arten 248 Schadensersatz(-ansprüche) 240 bei Beschaffenheitsgarantie 151 bei Kauf 146 möglicher Umfang 246 negatives/ positives Interesse 242 statt der Leistung 235 und Vertragsstrafe 261 Schickschulden 112 Schlechterfüllung/ Schlechtleistung 228 Begriff 244 Schriftform 71 E-Mail 73 gesetzliche 72 mündliche Aufhebung 74 mündliche Nebenabreden 74, 75 vereinbarte 71, 83, 164 Schuldrecht 29 Begriff 17 Schuldverhältnis 29 außervertragliches/ gesetzliches 107, 261 Entstehen 271 Schweigen ( siehe auch Bestätigungsschreiben, unternehmerisches) 68 Bedeutung 82 Unternehmer 70 Scrum 220 Sekundäransprüche 40 Selbstständiger arbeitnehmerähnlicher 231 Sittenwidrigkeit 37 Software 34 Sollbeschaffenheit Begriff 138 bei Mietvertrag 235 Spezifikation der Aufgabenstellung Anforderungen daran 185 Feinanpassung 191 Fortschreibung 191 Freigabe 186 Wirkung 188 Nachschieben von Anforderungen bzw. Feinanpassung 191 Überprüfung durch den Kunden 187, 192 Standardprodukt 288 Störu ng ( siehe auch Mängel) 151 Begriff 153 Störung der Geschäftsgrundlage 116 Festpreis nicht kostendeckend 118 substanziieren 43 Subsumption 44 <?page no="300"?> 300 Anhang G Stichwortverzeichnis Tatbestand ( siehe auch Anspruchsvoraussetzungen) 23, 39, 288 Technische Normen ( siehe auch DIN-Normen) 20 Teilabnahme 209 Teilleistungen 133 Vereinbarung 204 Testinstallation 131 Treu und Glauben (siehe auch beim einzelnen Problem) 22 Beispiel 85, 256 und AGB 103 UN-Kaufrecht 280 Unmöglichkeit 255 persönliche Unzumutbarkeit 257 Unterauftragnehmer 213, 226, 245 Abnahme 216 Anforderungen des Endkunden Vertragsbestandteil 214 Auswirkungen des GU-Vertrags 214 zusätzliche Leistungen 215 Unternehmer 36 unverzüglich (Begriff) 111 US-Vertragsrecht 281 Verantwortlichkeit Begriff 242 Erfüllungsgehilfe 245 Verbote (gesetzliche) 37 Vereinbarungen Begriff 86, 288 Vergütung nach Aufwand 108 Budget 110 Kostenanschlag 201, 226 Obergrenze 202, 226 Zirkapreis 202 Verhandlungsgrundsatz 44 Verhandlungstreuepflicht 76, 97 Verjährung(-sfrist) 118, 148 Abbruch 120 Beginn 149 erneuter bei Ersatzlieferung 150 Dauer 119, 213 Hemmung 120, 149 Unterbrechung 120 Verkehrssicherungspflicht 261 Verkehrssitten 19 Verletzung von vorvertraglichen Pflichten 99 Vermögensschaden 248 Verordnungen 19 Verschulden Anspruchsvoraussetzung für Schadensersatz 240 Begriff 242 keine Anspruchsvoraussetzung für Schadensersatz 236 Nachweis 244 Vertrag Begriff 61, 86, 288 dinglicher 34 <?page no="301"?> Anhang G Stichwortverzeichnis 301 gemischter 30 Verbindlichkeit 85 Vertragsabschluss 61 Bedingungen 79 Vertrag mit offenen Punkten 62, 74 Vertragsänderung Anspruch darauf 85 ~ des Auftragnehmers 199 Vertragsantrag 63 Anforderungen daran 63 Wirksamkeit (zeitliche) 65 Vertragsbestandteile bei schriftlichen Verträgen 50 dazu geworden? 93 vertragsbezogene Dokumente 54, 288 Vertragsfreiheit 34 Grenzen ~ in AGB 103 Vertragsmanagement 283 Vertragsrecht Begriff 17 Begriffe, grundlegende 288 Gegenstand 32 Lücke 272 Prinzipien 21, 34, 36 Konstruktionsweise 263, 267 Kürze 263 Rechtsfortbildung 274 Vollständigkeit gedacht 21, 272 Weiterentwicklung 19, 278 Vertragsstrafe 260 Vertragstypen 29 Begriff 123 Vertragswerk Begriff 288 Vertretenmüssen 239 Risikobereich 254 Verzug Erheblichkeit 252 Verzug des Schuldners 204, 253 insb. Zahlungsverzug 254 Vollmacht 87 Einräumung 89 rechtsgeschäftliches Handeln ohne Vollmacht 91 Weisungen zur Ausübung der Vollmacht 91 Zeichnung/ Unterschrift 90 Vorauszahlungen 133 Vorfeldverträge 77 Vorvertrag 63 Werklieferungsvertrag Begriff 123 Grundzüge 223 Werkvertrag Abgrenzung zum Dienstvertrag 126 Abgrenzung zum Kaufvertrag 125, 156 Anforderungen des Kunden Auslegung 178 Vorgespräche 164 Anforderungen vom Auftragnehmer formuliert 162 <?page no="302"?> 302 Anhang G Stichwortverzeichnis Anforderungen vom Kunden formuliert 161 Begriff 124, 156 Dienstvertrag gemischt 127, 233 Durchführung 170 Richtlinien 172 Zwischenergebnisse 192 Eigenschaften, geschuldete 157, 167 Stand der Technik 167 Erstellung einer Spezifikation Abbruch Vertrag 177 Einflussnahme Kunde 178 Festpreis 179 Festpreis für die künftige Realisierung 180 gemeinsam 176 Maßstab 178 nicht vereinbart 181 Grundzüge 156 Konkretisierung der Aufgabenstellung 175 Liefertermin 204 Mängelhaftung 210 Spezifikation der Aufgabenstellung Auslegung 189 Freigabe Nichteinigung 190 Verzögerung 188 Vergütung 200 Fälligkeit 203 Verwendbarkeit 157 gewöhnliche 167 vorzeitige Kündigung 199 Willenserklärung konkludente / durch schlüssiges Handeln 61 Zugangsbedürftigkeit 67 Zahlungstermin/ -fristen 111, 203 Zirkapreis 202 Zurückbehaltungsrecht 115 Zusatzaufträge 86 Zwischenergebnisse 192 <?page no="303"?> ISBN 978-3-7398-3240-1 Dr. Christoph Zahrnt ist examinierter Jurist und Diplom-Volkswirt. Als Sachbuchautor und als Organisationsberater von Softwareanbietern hat er sich intensiv mit den Methoden für das Erstellen von Texten beschäftigt und hat Mitarbeiter: innen im Erstellen von Texten trainiert. Jetzt arbeitet er zusätzlich als Trainer, Coach und Lektor im Bereich Schreiben. Bei der Arbeit in Projekten hat man auf verschiedene Weise mit dem Vertragsrecht zu tun. Das Buch unterstützt beispielsweise dabei, was bei der Erstellung einer Leistungsbeschreibung aus rechtlicher Sicht beachtet werden sollte. Die Leistungsbeschreibung kann den größten Teil des Vertragsdokuments ausmachen. Der Autor erklärt zudem, was bei der sachgerechten Projektdurchführung in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen ist. Hier spielt insbesondere die Abnahmeprüfung eine zentrale Rolle.